Das personale Unrecht [1 ed.] 9783428408894, 9783428008896

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Das personale Unrecht [1 ed.]
 9783428408894, 9783428008896

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Ernst-Joachim Lampe / Das personale Unrecht

S c h r i f t e n zum Strafrecht Band 7

Das personale Unrecht

Von

Dr. Ernst-Joachim Lampe Privatdozent

DUNCKER

& HÜMBLOT

/

BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

Werner Niese zum Gedenken

Vorwort Die vorliegende Schrift stellt die überarbeitete Fassung eines i m März 1965 abgeschlossenen Manuskripts dar, welches der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität i n Mainz i m Wintersemester 1965/66 als Habilitationsschrift vorgelegen hat. Es ist m i r ein Bedürfnis, den Herren Professoren Noll, Lang-Hinrichsen und Viehweg auch an dieser Stelle noch einmal für die Betreuung der Arbeit meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Gewidmet habe ich das Buch meinem allzu früh verstorbenen Lehrer, Herrn Professor Niese, von dem ich die Anregung zu dieser Arbeit empfing. Ich danke ferner der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre Hilfe zum Druck des Buches sowie Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme des Bandes i n seine Schriftenreihe. Mainz, i m Dezember 1966 Ernst-Joachim Lampe

Inhalt

Einleitung Erster

11

Teil

Zur Geschichte der Lehre vom Unrecht

Zweiter

13

Teil

Systematische Kritik der bisherigen Lehren

51

I. K r i t i k der Lehren von der impersonalen N a t u r des Unrechts

51

I I . K r i t i k der Lehren von der objektiv-personalen N a t u r des Unrechts

68

I I I . K r i t i k der Lehren von der subjektiv-personalen N a t u r des Unrechts

78

Dritter

Teil

Begründung einer eigenen Lehre vom personalen Unrecht Erster Abschnitt: Der Begriff rechts

der Person im Rahmen des personalen

112 Un115

I. Grundlagen der Person f ü r Lebensplanung u n d Lebensgestaltung . . 116 1. Die physische Realität der Person

116

2. Die psychische Realität der Person

118

a) Die Gefühle b) Die Triebe u n d Triebfedern c) Die Strebungen 3. Die geistige Realität der Person a) Die Vorstellungen b) Die Beweggründe c) Die Absichten 4. Intentionalitätsmerkmale I I . M i t t e l der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung 1. Erkenntnistheoretische Vorfragen 2. Wesen u n d F u n k t i o n der menschlichen Freiheit

118 123 133 135 138 140 144 153 157 158 162

Inhalt

10

a) Freiheit i m negativen Sinne

162

b) Freiheit i m positiven Sinne

169

aa) Die Grundsetzungen (Grundsätze)

172

bb) Die Einsetzungen (Einsätze) cc) Die Vorsetzungen

175 183

3. Erweiterung des bisherigen Ergebnisses: Freiheit als Aufgabe . . . 188 4. Der Begriff des personalen Verhaltens Zweiter Abschnitt: Das Unrecht

der Person (personaler

192 Unrechtsbegriff)

I. Das Wesen des personalen Unrechts

199 206

I I . Die systematische Stellung des personalen Unrechts u n d seiner Elemente 227 1. Die Abgrenzung des personalen Unrechts v o m impersonalen U n recht 227 2. Die Abgrenzung des personalen Unrechts von der Schuld

229

a) Subjektive Unrechtselemente 229 b) Schuldelemente 238 c) Elemente, die sowohl dem Unrecht als auch der Schuld angehören 241 aa) Komplexe Elemente 242 bb) Grenzelemente 243 3. Die Abgrenzung des personalen Unrechts von der Rechtswidrigkeit I I I . Personales Unrecht und Strafe

personalen 256 256

Literaturverzeichnis

267

Personen- und Sachverzeichnis

279

Einleitung Vor rund 25 Jahren, i m Jahre 1940, erschien die erste Auflage von Welzels „Allgemeinem Teil des deutschen Straf rechts". Es handelte sich u m ein Werk, das wegen der Neuartigkeit und der Konsequenz der i n i h m vorgetragenen Gedanken allgemeines Aufsehen erregte. Rückschauend urteilt Welzel heute: „Mein Buch knüpfte an eine Deutung der menschlichen Handlung i m Sinne eines zweckgelenkten Geschehens an, dem die funktionelle Einheit von objektiven und subjektiven Elementen wesentlich ist. . . . Mein Buch bemühte sich zu zeigen, daß die Handlung i n dieser zweckgeleiteten Einheit objektiver und subjektiver Elemente den Anforderungen des Rechts unterliegt und von ihnen je nachdem, ob sie ihnen entspricht oder nicht, als »rechtmäßig 4 oder rechtswidrig' beurteilt w i r d 1 . " Dieser Handlungslehre Welzels entsprach von Anfang an ein Unrechtsbegriff, der ebenfalls objektive und subjektive Elemente umfaßte u n d d e r v o n W e l z e l als „täterbezogener

(personaler)

Unrechtsbegriff'

bezeichnet wurde 2 . „Nicht die von der Täterperson inhaltlich abgelöste Erfolgsverursachung (Rechtsgüterverletzung)", so hieß es damals und so heißt es noch heute 3 , „erschöpft das Unrecht, sondern rechtswidrig ist die Handlung nur als Werk eines bestimmten Täters: Welche Zielsetzung er der objektiven Tat zwecktätig gegeben, aus welcher Einstellung heraus er sie begangen hat, welche Pflichten i h m dabei oblagen, all das bestimmt maßgeblich das Unrecht der Tat neben der etwaigen Rechtsgüterverletzung. Rechtswidrigkeit ist immer die Mißbilligung einer auf einen bestimmten Täter bezogenen Tat. Unrecht ist täterbezogenes, ,personales' Handlungsunrecht." Dieser personale Unrechtsbegriff steht mehr denn je i m Mittelpunkt der strafrechtsdogmatischen Diskussion, seit sich die Ansicht durchzusetzen beginnt, daß der wertfreie Handlungsbegriii „dogmatisch letztlich unergiebig" ist und „die Würfel der strafrechtlichen D o g m a t i k . . . bei Tatbestandsmäßigkeit und Unrecht" fallen 4 . Eine ständige Vertiefung der Auseinandersetzung um den Handlungsbegriff mußte i n der 1

Welzel, Deutsches Strafrecht (9. Aufl.), S. V I . Welzel, a.a.O., S. 56. Welzel, Allg. T. (2. Aufl., 1943), S. 36 f. — noch nicht allerdings i n der 1. Aufl. —, sowie heute (9. Aufl.) S. 56. 4 Schönke/Schröder, StGB § 1 Vorbem. 36; Baumann, Straf recht A l l g . T., S. 128, 190; Roxin i n ZStW 74, 531 (548); Krauß i n ZStW 76, 19 (19). 2

3

Einleitung

12

Tat „sowohl zu den letzten geistigen Fundamenten der Strafrechtsordnung führen, als auch die heutige Aktualität allen Fragens nach dem Wesen des Unrechts offenbaren" 5 . Sie mußte daher aus der wertfreien, ontologischen Sphäre des Handelns hinleiten zur werthaften Sphäre des Unrechts, wo allein w i r jene Sinnelemente vorfinden können, die uns erlauben, strafend gegen einen Täter vorzugehen. Denn nicht weil er handelte, w i r d der Täter bestraft, sondern weil er unrecht handelte! So erscheint es berechtigt, das Problem des täterbezogenen, personalen Unrechts zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung zu machen und den Versuch zu wagen, einige der wichtigsten strafrechtlichen Begriffe von der Unrechtssphäre her zu deuten. Der Begriff des personalen Unrechts ist allerdings insofern mißverständlich, als er das Gewicht einseitig auf das Substantiv Unrecht legt und es alsdann durch das Beiwort personal lediglich näher charakterisiert. Indessen muß es gerade der Ausgangspunkt einer Untersuchung über das personale Unrecht sein zu klären, wozu i m Begriff des personalen Unrechts Stellung bezogen w i r d : ob zum Unrecht, das als personal, oder zur Person, die als i m Unrecht stehend gekennzeichnet wird. Die Untersuchung kann daher ohne vorherige Abklärung die grammatikalische Funktion der beiden begrifflichen Bestandteile allenfalls als eine Ausgangshypothese gelten lassen, während sie ihren Gegenstand analytisch vorsichtigerweise als die Verbindung von Unrecht und Person präzisiert.

5

Würtenberger,

Geistige Situation, S. 48.

Erster

Teil

Zur Geschichte der Lehre vom Unrecht Eine Möglichkeit, das Verhältnis von Person und Unrecht zueinander und ihre Verbindung i m personalen Unrecht zu bestimmen, kommt von der geschichtlichen Entwicklung der Unrechtslehre her. Gewisse A n sätze zu einer personalen Unrechtsauffassung finden sich bereits bei H e g e l , wenngleich i h m eine strenge Unterscheidung von personalem und impersonalem Unrecht noch gänzlich fernlag. I n seiner Rechtsphilosophie unterschied Hegel drei Arten von Unrecht: das unbefangene (bürgerliche) Unrecht, den Betrug und das Verbrechen. „Das Recht, das als ein Besonderes und damit Mannigfaltiges gegen seine an sich seiende Allgemeinheit und Einfachheit die Form des Scheines erhält, ist als solcher Schein teils an sich oder unmittelbar, teils w i r d es durch das Subjekt als Schein , teils schlechthin als nichtig gesetzt 1 ." Bürgerliches Unrecht ist für Hegel also der Schein des Rechts, der nur Schein an sich, d. h. für das Recht, nicht aber Schein für das Subjekt ist; es liegt stets dann vor, wenn das Subjekt irrtümlich Unrecht für Recht hält, wie etwa beim gutgläubigen Besitz einer fremden Sache. Betrug ist der Schein des Rechts sowohl an sich als auch für das Subjekt; i n i h m w i r d der Wille des Betrogenen nicht verletzt, weil i h m glaubhaft gemacht wird, i h m widerfahre kein Unrecht; doch kennt i m Unterschied zum bürgerlichen Unrecht das Subjekt hier das Unrechtmäßige seines Verhaltens. Verbrechen schließlich ist der Schein des Rechts an sich, für das Subjekt und für die anderen, also schlechthin als nichtig gesetztes Recht; es stellt die offene Auflehnung des Subjektes gegen die Rechtsordnung dar, wie w i r sie etwa beim Mord oder beim Diebstahl finden. Da auch der Betrug Verletzung des Rechts als Ausdruck des allgemeinen Willens ist, so muß die i n ihm liegende W i l l k ü r durch Strafe aufgehoben werden 2 . Insoweit ist auch der Betrug schon Verbrechen. Hegels Dreiteilung des Unrechts läßt sich m i t h i n ohne Schwierigkeiten i n eine Zweiteilung zurückführen. Hören w i r hierzu den Hegelianer Ab egg: „Das Verbrechen überhaupt enthält einen Bruch des Rechts, 1 2

Hegel , Rechtsphilosophie, § 83. Vgl. Hegel t a.a.O., § 89.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

14

einen Zwang, der gegen dasselbe ausgeübt wird, und unterscheidet sich dadurch von dem Unrecht i n der Sphäre des Privatrechts. Näher aber auf das Freiheitsgebiet bezogen, äußert sich dieser Zwang entweder unmittelbar als offene Gewalt, vis, violentia, oder mittelbar als Betrug, dolus, fraus, falsum, indem dem Unrecht der Schein des Rechts gegenüber anderen gegeben, und es dadurch zum Dasein gebracht wird. Dieses sind die beiden Formen der verbrecherischen Handlung i m weiteren Sinne, und es werden sich leicht alle konkreten Fälle unter eine dieser Formen oder deren Konkurrenz ziehen lassen 3 ." Vom unbefangenen Unrecht ist also — nunmehr i n den Worten Hegels selbst — das Verbrechen dadurch geschieden, daß „weder das Recht an sich, noch, wie es m i r scheint, respektiert wird, wo also beide Seiten, die objektive und subjektive, verletzt sind" 4 . Die Verletzung auch der subjektiven Seite des Rechts kann i n gewissem Sinne als das personale Moment des Unrechts bezeichnet werden — insofern nämlich, als das Subjekt sich beim verbrecherischen Unrecht aus freier Entscheidung (d. h.: persönlich) gegen das Recht wendet und den Geltungsanspruch des Rechts ausdrücklich für sich (d. h. abermals: persönlich) negiert. I n der Handlung des verbrecherischen Subjekts liegt nach Hegels Auffassung eine ausgeprägte Tendenz, einen Unwert hervorzubringen — etwas also, was w i r heute i m Anschluß an Welzel als Aktunwert bezeichnen würden. Bedeutsam ist ferner, daß das verbrecherische Unrecht bei Hegel nicht m i t schuldhaftem Unrecht identisch ist. Denn das Verbrechen ist i n Hegels System eine Erscheinungsform des abstrakten Rechts, nicht der Moralität, also nur des äußeren, nicht auch des inneren Daseins der Willensfreiheit. Hegel schreibt: „Die Besonderheit des Willens ist wohl das Moment des ganzen Bewußtseins des Willens, aber i n der abstrakten Persönlichkeit als solcher noch nicht enthalten. Sie ist zwar vorhanden, aber als von der Persönlichkeit, der Bestimmung der Freiheit, noch verschieden, Begierde, Bedürfnis, Triebe, zufälliges Belieben usf. — I m formellen Rechte kommt es daher nicht auf das besondere Interesse, meinen Nutzen oder mein Wohl an — ebensowenig auf den besonderen Bestimmungsgrund meines Willens, auf die Einsicht und Absicht 5 ." A l l dies w i r d erst i m Rahmen der Moralität bedeutsam; denn hier erst ist es „das Recht des Willens, i n seiner Tat nur dies als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen i n seinem Zwecke weiß, was davon i n seinem Vorsatze lag" 6 . 3 4 5 6

Ahegg Hegel, Hegel, Hegel,

i n Arch. d. K r i m . 1835 S. 391 f. a.a.O., S. 308 (Hervorhebung v o m Verf.). a.a.O., § 37. a.a.O., § 117.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht Unschwer lassen auch diese Äußerungen Hegels Parallelen zur gegenwärtigen Diskussion u m das personale Unrecht erkennen. Denn n u r leicht verwandelt ersteht die abstrakte Persönlichkeit Hegels wieder i n Maihofers „vernünftiger Person" 7 , w i e sie ihrerseits die A b k u n f t von Fichtes „ v e r n ü n f tigem Wesen" 8 nicht verleugnet. Als vernünftige Person aber ist sie i n M a i hofers System auch heute noch personaler Zurechnungsgegenstand des U n rechts, während ihre individuellen Besonderheiten bei Hegel w i e bei Maihofer n u r f ü r die Schuld Bedeutung erhalten.

Die nachfolgende Diskussion, die sich bis i n unser Jahrhundert hinzog, knüpfte nicht an Hegels Unterscheidung zwischen abstraktem Unrecht und Schuld, sondern an diejenige zwischen bürgerlichem und verbrecherischem Unrecht an 9 . Wesentlich sind hier insbesondere die Untersuchungen Adolf M e r k e l s , die u m so mehr Erwähnung verdienen, als sie später Grundlage jener Auffassung wurden, welche das Hecht als Summe persongerichteter Imperative ansieht: der sog. Imperativentheorie. Merkels Ausgangspunkt war die Frage, wie sich der Hegel'sche Dualismus von bürgerlichem und verbrecherischem Unrecht überwinden lasse 10 . Diese Frage glaubte er durch eine Besinnung auf das Wesen des Hechts beantworten zu können; denn Unrecht erschien i h m als nichts anderes denn die Verneinung von Recht 11 . Das Recht aber sei durch zwei Merkmale gekennzeichnet: es sei zum einen staatlicher Gemeinwille, der durch die Gemeininteressen konstituiert w i r d 1 2 ; und es sei zum anderen ein Inbegriff von Geboten und Verboten, welche sich an den zurechnungsfähigen Menschen wenden 1 3 . A n diese letzte Bestimmung des Rechts anknüpfend, bestimmte Merkel das Unrecht als eine Verletzung rechtlicher Gebote und Verbote durch denjenigen, an den sich die Gebote und Verbote wenden: durch den zurechnungsfähigen, schuldfähigen Menschen. Kein Unrecht hingegen seien Naturereignisse und solche Folgen menschlicher Tätigkeit, die ihrem Urheber nicht zugerechnet werden können 1 4 . „Als rechtsverletzend ist eine W i r k samkeit stets nur insofern und insoweit zu charakterisieren, als sie eine zurechenbare ist 1 5 ." Aber auch, w e n n w i r von der Pflichtseite her, von Seiten des verletzenden Subjekts den Ausgang nehmen, u m das Wesen des Unrechts zu ergründen, kommen w i r nach Merkels Ansicht zum selben Ergebnis. Pflichten nämlich 7

Maihofer i n Rittler-Festschrift (1957), S. 141 (154) u. ö. Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2. Teil S. 1 ff. u. ö. Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Ad. Merkel, Bd. I, S. 6 ff. 10 Merkel, a.a.O., S. 1 ff., 42. 11 Merkel, a.a.O., S. 42. 12 Merkel, a.a.O., S. 42 f. 13 Merkel, a.a.O., S. 43 f. 14 Merkel, a.a.O., S. 44. 15 Merkel, a.a.O., S. 44. 8

9

K r i m i n a l . Abh.

16

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

bemessen sich stets nach den Fähigkeiten eines zurechnungsfähigen Menschen. „Es gibt keine Pflicht, das f ü r den Menschen Unmögliche zu bewirken, das Unvermeidliche vorherzusehen u n d zu vermeiden. Folglich k a n n i n solchem Nichtvorhersehen u n d Nichtvermeiden keine Verletzung von Pflichten u n d somit keine Hechts Verletzung liegen 1 8 ."

Freilich sah Merkel sehr wohl, daß auch Unzurechnungsfähige i n die Rechtsgüter anderer eingreifen können und daß daher das Recht wenigstens gestatten müsse, ihrem Eingriff zu wehren. Der zurechenbaren Verletzung des Rechts (dem Unrecht) stellte er deshalb die wehrfähige Verletzung der Rechtsobjekte, d.h. derjenigen Interessen gegenüber, welche den Gemeinwillen konstituieren — deren Verletzung zwar stets i n der Verletzung des Gemein willens eingeschlossen, jedoch nicht unbedingt immer auch selbst eine Verletzung des Gemeinwillens ist. Die Bedeutung dieser Unterscheidung lag für i h n darin, daß er einerseits die Verletzung der Rechtsobjekte durch Unzurechnungsfähige einräumen konnte, ohne andererseits die Verletzung des Rechts selbst zugestehen zu müssen 17 . Merkel begründete so: Das Recht ist eine geistige Macht; seine Herrschaft kann weder durch Naturereignisse noch durch den Menschen berührt werden, sofern der Mensch lediglich als Repräsentant einer Summe natürlicher Kräfte erscheint. Nur wo der Mensch als denkendes und wollendes, sich verantwortlich wissendes Wesen auftritt, ist er imstande, Unrecht zu bewirken; wo nicht, ist er „Urheber i n keinem anderen Sinne wie der Regen, der eine Überschwemmung stiftet, Urheber der von dieser angerichteten Verwüstung ist. Seine Urheberschaft gibt dem Ereignis keine geistige Bedeutung, gibt i h m insbesondere keine Beziehung auf die Herrschaft der Rechtsgrundsätze. Wer daher seine Thätigkeit um des von ihm ausgehenden Kausalzusammenhanges w i l l e n unter den Begriff des Unrechts zieht, der w i r d sich der Konsequenz nicht erwehren können, auch Wind und Wetter als Subjekte des Unrechts gelten zu lassen" 18 . Auch i n der Bestimmung der Rechtsfolgen ging Merkel davon aus, daß Unrecht stets Verletzung des Rechts selbst, nicht nur der Rechtsobjekte, sei. Sowohl die strafrechtliche Verpflichtung zu Sühne und Genugtuung als auch die zivilrechtliche Ersatzverbindlichkeit haben daher bei i h m eine zurechenbare Rechtsverletzung zur Voraussetzung. So vermag er schließlich — als Antwort auf seine eingangs gestellte Frage — einen einheitlichen Begriff des Unrechts, an den sowohl Zivilrecht als auch Straf recht ihre Folgen anschließen, aufzuweisen 19 : die Zurechenbarkeit an die Person des Handelnden. Unrecht ist für Merkel personal zurechenbares Unrecht. 18 17 18 19

Merkel, Merkel, Merkel, Merkel,

a.a.O., S. 44. a.a.O., S. 45 f. a.a.O., S. 46 f. a.a.O., S. 49 ff.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

Der entscheidende Gegenschlag gegen die Thesen Merkels kam schon i m selben Jahre von zivilrechtlicher Seite. Rudolph v. J h e r i n g stellte den Unterschied zwischen verbrecherischem und bürgerlichem Unrecht wieder her, indem er für das bürgerliche Unrecht — i m Gegensatz zum verbrecherischen Unrecht — das Schuldmoment als unwesentlich nachwies. „Wie sollen w i r denn", so fragte er, „den Zustand des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache bezeichnen?" Und er antwortete: „ E i n rechtmäßiger ist er nicht; also bleibt nichts übrig, als i h n einen unrechtmäßigen zu nennen. Ich sehe gar nicht ein, wie der Jurist diese Bezeichnung sollte entbehren können, und so viel ich weiß, ist der Gebrauch des Wortes Unrecht i n diesem Sinn eben so alt wie das Recht selbst 20 ." Das an dieser Stelle als Kriterium des verbrecherischen Unrechts neu eingeführte Moment persönlicher Verschuldung führte i m Rahmen des Strafrechts wiederum zu einer konkret-personalen Beziehung zwischen Unrecht und Person: nicht (wie bei Hegel) die abstrakte Person kam mit dem Recht i n Konflikt, sondern (wie bei Merkel) die allein verschuldensfähige Individualperson. Obwohl bewußt an Hegel anknüpfend, gab Jhering daher dem verbrecherischen Unrecht doch einen neuen Inhalt, als er, bürgerliches und verbrecherisches Unrecht gegeneinander abgrenzend, schrieb: „Jeder fühlt die Verschiedenheit zwischen dem Anspruch des Eigentümers gegen den dritten gutgläubigen Besitzer einer Sache und demjenigen des Bestohlenen gegen den Dieb. I n jenem Fall handelt es sich lediglich u m die Existenz des bestrittenen Rechts, ohne daß von Seiten des Klägers sich der V o r w u r f einer bewußten und verschuldeten Rechtskränkung hinzuzugesellen braucht; er kann sich hinzugesellen, und dies ist auf das Maß der Haftung von Einfluß, allein er braucht es nicht, m. a. W. das Moment der subjectiven Verschuldung ist diesem Anspruch unwesentlich, er hat zum Gegenstande lediglich die Unrechtmäßigkeit eines sachlichen Zustandes i n der Person des Beklagten. Die Klage gegen den Dieb dagegen beruht wesentlich auf dem V o r w u r f der Rechtskränkung, d. h. bewußter, wissentlicher Verletzung des Rechts, das Moment subjectiver Verschuldung ist ihr unerläßlich, er gibt keinen Diebstahl ohne Absicht 2 1 ." Nur eine Konsequenz des von Hegel abweichenden Standpunkts war, daß Jhering, u m den Gegensatz zwischen bürgerlichem und verbrecherischem Unrecht noch stärker zu betonen, beide Begriffe durch die Bezeichnungen „objektives" und „subjektives Unrecht" ersetzte 22 . Bürgerliches Unrecht war alsdann für i h n objektives Unrecht, d. h. ein Unrecht, welches nicht 20 21 22

die

Schuld,

wohl

Jhering, Schuldmoment, S. 5 f. Jhering, a.a.O., S. 4. Jhering, a.a.O., S. 5 f.

2 Lampe

aber

den

menschlichen

Willen

zur

18

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

Grundlage hat 2 3 . Hier wurde Jhering zum ersten Vertreter einer vermittelnden Ansicht; denn ebenso wie Merkel schrak er davor zurück, die Natur als Subjekt des Unrechts gelten zu lassen: „Wenn der Hagel meine Fluren verwüstet, so liegt darin keine Verletzung meines Rechts, sondern nur des Gegenstandes desselben, eines Guts; für das Recht entbehrt diese Tatsache aller Bedeutung, es gibt dagegen keine Klage. Wenn aber ein Dritter bona fide meine Sache besitzt und ihre Herausgabe verweigert, so ist es ein menschlicher Wille, der sich m i r entgegenstellt, der m i r nicht bloß mein Gut vorenthält, sondern mein Recht wissentlich oder unwissentlich antastet 24 ." — I m Gegensatz dazu war verbrecherisches Unrecht für i h n subjektives, verschuldetes Unrecht. Nehmen w i r hier, bis zum Beginn unseres Jahrhunderts vorgreifend, noch die Ansicht L ö f f l e r s von der rein objektiven Natur der Rechtswidrigkeit hinzu, so haben w i r bereits sämtliche grundsätzlichen Standpunkte angegeben, die i n der Diskussion bis zum heutigen Tage vertreten worden sind — zahlreicher feinerer Nuancen freilich ungeachtet, welche bei einzelnen Wissenschaftlern zu finden sind. Die von Jhering begründete Unterscheidung von subjektivem und objektivem, strafrechtlichem und bürgerlichem Unrecht konsequent weiterführend, kam Löffler dazu, das Strafrecht ganz auf dem schuldhaften Unrecht, das Bürgerliche Recht ganz auf dem objektiven Erfolgsunrecht aufzubauen. Er schrieb: „Die moderne Rechtsentwicklung zeigt uns eine doppelte Bewegung: das Straf recht überwindet allmählich den mittelalterlich-germanischen Einschlag von Erfolgshaftung; die Zukunft gehört dem rein durchgeführten Schuldprinzip; aus dem Gebiete des Z i v i l rechts hingegen feiert das germanische Verursachungsprinzip immer neue Erfolge. Noch hält zwar das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch grundsätzlich daran fest, daß nur der verschuldete Schade zu ersetzen sei; aber schon i n diesem konservativen Gesetzeswerke und i n zahlreichen deutschen und außerdeutschen Spezialgesetzen gibt es so viele Ausnahmen, so viele Fälle der Schadenshaftung ohne Verschulden, daß man wohl sagen kann, die Theorie Merkels (seil, von der Möglichkeit nur schuldhaften Unrechts) ist durch die moderne Rechtsentwicklung einfach überholt, sie ist veraltet 2 5 ." Löffler war auch der erste, der nicht davor zurückwich, selbst Naturereignissen das Prädikat „rechtswidrig" zuzusprechen. Für i h n galt: „Rechtswidrig sind Naturereignisse, wenn sie m i t dem Willen der Rechtsordnung, einen bestimmten Zustand aufrecht zu erhalten, i n 23 Dieser Begriff des objektiven Unrechts taucht bei Jhering zum ersten Male auf (a.a.O. S. 5; vgl. auch S. 6). 24 Jhering, a.a.O., S. 6. 25 Löffler i n ZStW 21, 537 (560).

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

19

Streit geraten. Allerdings w i r d gerade da die Rechtsordnung häufig eine Grenze ihrer Macht finden; ihre Mißbilligung w i r d eine rein theoretische bleiben. Wo sie aber irgend kann, greift sie helfend und wehrend ein, u m Rechtsgüter auch gegen Naturereignisse zu schützen, durch direkte und durch Reflexwirkung die einschlägigen Sätze des Rechts aus der ,papiernen oder bloß theoretischen Existenz' i n die Realität überzuführen. Diese Tendenz zur Realisierung beweist m. E., daß w i r uns bereits i m Gebiete der Rechtsordnung bewegen 26 ." Daher kam Löffler zu dem Ergebnis, daß kein Anlaß vorliege, den Begriff des Unrechts auf die schuldhafte Beeinträchtigung von Rechtsgütern zu beschränken; Unrecht sei vielmehr jeder Widerspruch gegen den Willen der Rechtsordnung 27 . Somit ist bei Löffler — entgegen allen bisherigen Lehren — das Subjekt aus der Rechtsbetrachtung völlig ausgeschieden, sein Wille für das Unrecht bedeutungslos geworden. Das Unrecht w i r d impersonal gesehen, und es ist bezeichnend, daß die Rechtswidrigkeit nunmehr nach einem K r i t e r i u m bestimmt wird, welches nicht das Subjekt, sondern das Objekt des Unrechts i n den Mittelpunkt rückt: nach der Befugnis zur Abwehr eines verletzenden Angriffs. „Das Recht ist wehrhaft, sein Träger darf es behaupten gegen das Unrecht, gegen jedes Unrecht." Und so sieht Löffler „ i n der grundsätzlichen Zulässigkeit der eigenmächtigen Abwehr die allgemeinste und charakteristischste Rechtsfolge des Unrechts" 2 8 . Damit sind die Alternativen aufgezeigt: Ist das Unrecht impersonal (Löffler) oder personal begründet? Und wenn personal: liegt i h m der Wille einer abstrakten (Hegel) oder einer konkreten Person zugrunde? Und schließlich: wenn es auf den Willen der konkreten Person ankommt, muß dieser Wille schuldhaft (Merkel) oder kann er auch schuldlos sein (Jhering)? Die Standpunkte der nachfolgenden Diskussionsteilnehmer lassen sich sämtlich auf eine dieser Alternativen zurückführen, mögen sie i n Einzelheiten auch immer wieder voneinander abweichen und neue Gesichtspunkte einführen. — Selbstverständlich soll mit dieser Feststellung der Wert der Diskussionsbeiträge nicht herabgesetzt werden; i m Gegenteil, die Problemerkenntnis ist bis zum heutigen Tage durch alle widerstreitenden Äußerungen außerordentlich vertieft worden. Das gilt zunächst und besonders von der Imperativentheorie 29, welche T h o n 1878 i n seinem Buche „Rechtsnorm und subjektives Recht" ent26

Löffler i n ZStW 21, 537 (558 f.). Löffler, a.a.O., S. 563 f. Löffler, a.a.O., S. 564. 20 Z u den geistesgeschichtlichen Grundlagen der Imperativentheorie vgl. Germann, Imperative u n d autonome Rechtsauffassung (1927), Wiederabdruck 27

28

2*

20

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

wickelte. Thons These lautet: „Das gesamte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Komplex von Imperativen" 3 0 ; es ist der „allgemeine Wille" (Hegel!), der sich „wieder an das Wollen der Einzelnen" richtet 3 1 . „ I m Rechte sucht die Rechtsordnung den ihren Satzungen Unterworfenen einen Impuls zu einem bestimmten Verhalten zu geben, mag nun das gewünschte Verhalten i n einem Tun oder Unterlassen bestehen. Dieser Impuls erfolgt durch Befehle bald positiven bald negativen Inhalts. Gebote und Verbote belassen die natürliche Freiheit dessen, an den sie sich richten 3 2 ." Wiederum kommt hier, wie bei Merkel, der individuelle Mensch i n seiner individuellen Freiheit m i t dem Recht i n Berührung. Und wiederum ist hier, wie bei Merkel, das Recht die geistige Macht, die an die Unterworfenen Befehle erläßt und den Befehlen i n einem „ D u sollst" oder „ D u sollst nicht" zum Ausdruck verhilft, mag dies nun äußerlich so erscheinen oder sich aus den für die Übertretung angedrohten Folgen ergeben 33 . Adressat solcher Rechtsnormen kann alsdann nur der Mensch sein. Denn „wie alles Recht von Menschen ausgeht, so werden auch seinen Satzungen nur Menschen unterworfen. Auch sind es die Interessen der Gemeinschaft und m i t h i n menschliche Interessen, deren Schutz die Verbote, deren Förderung die Gebote bezwecken. Nicht blind und ziellos erläßt die Rechtsordnung ihre Befehle; und Zweck ist ihr auch nicht, den Gehorsam der Normunterworfenen zu prüfen. Nicht das Gehorchen liegt ihr am Herzen, sondern die Folgen desselben. Sie wünscht das Verbotene fernzuhalten, das Gebotene zu erreichen. Ihre Befehle sind nur ein M i t t e l zu diesem Zwecke" 3 4 . Thon sagt uns, daß dem Menschen als dem Adressaten der Norm durch die Gebote und Verbote die natürliche Freiheit belassen werde. Aber, so müssen w i r fragen, setzen die Imperative die Freiheit nicht überhaupt erst einmal voraus? Gilt nicht die Konsequenz, die Merkel zog, daß nur Zurechnungsfähige Adressaten der Normen sein können? — Thon folgt hierin Merkel nicht; die Erwiderung Jherings war unvergessen und tat ihre Wirkung. A u f Grund ähnlicher Erwägungen wie Jhering kommt Thon dazu, die Möglichkeit schuldlosen Unrechts zu bejahen; denn wesentlicher als jede unrechtstheoretische Betrachtung erscheint i h m „zu untersuchen, ob die an die Übertretung der Normen geknüpften Rechtsfolgen nur bei schuldhafter Übertretung eintreten oder auch Unschuldige treffen können. Sollten w i r letzteres, wenigstens hinsichtlich eines Theils dieser Rechtsfolgen, bejahen müssen, so wäre i n : Methodische Grundfragen, S. 23 ff. — Über Vorläufer der Imperativentheorie vgl. Eitzbacher, Handlungsfähigkeit Bd. I, S. 47 A n m . 5. 30 Thon, Rechtsnorm, S. 8. 31 Thon, a.a.O., S. 1 f. 32 Thon, a.a.O., S. 2. 33 Thon, a.a.O., S. 2 f. 34 Thon, a.a.O., S. 3 f.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

i m praktischen Ergebnisse erwiesen, was m i t der Annahme eines objectiven Unrechts erzielt werden soll. Ob es passend sei, ein solches schuldloses normwidriges Verhalten als Unrecht zu bezeichnen, kann dann unerörtert bleiben; es genügt, daß es — wie das schuldbare — Rechtsfolgen der Normwidrigkeit nach sich zieht 3 5 ." Den Nachweis, daß es auch unverschuldetes Unrecht gebe, vermag Thon nun für das Straf recht nicht zu führen. I m Gegenteil — hier gilt: „Keine Strafbarkeit ohne Schuld, kein Strafurteil und keine Strafvollstreckung gegen einen Unzurechnungsfähigen 36 ." Anders jedoch verhält es sich auf dem Gebiete des Zivilrechts. Hier t r i t t die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes i n gleicher Weise ein, ob nun der Versuch eines solchen von einem Unschuldigen, ja selbst von einem Unzurechnungsfähigen ausgegangen ist 3 7 . Hier auch können Normwidrigkeiten verhindert werden, gleichgültig ob sie durch einen Schuldbewußten oder einen gänzlich Unschuldigen drohen 38 . Und erst recht muß die Rechtsordnung Hilfe gewähren, wenn das Recht durch einen Schuldlosen verletzt wurde. I n etwas blumenreichen Wendungen f ü h r t Thon dies noch weiter aus: „ H a t m i r der Wolf mein L a m m geraubt, so d a r f ich m i r helfen, w i e ich es i m m e r vermag. Gewalt u n d L i s t sind m i r gestattet, ich darf m i r das Geraubte zurückholen u n d den Räuber dazu. Das Recht ist nicht m i t m i r , aber auch nicht gegen mich. Anders, falls ein Mensch die w e n n auch schuldlose Ursache der Besitzveränderung war. I h m gegenüber ist Selbsthülfe verboten, i n gleicher Weise verboten, mag der Besitzer meiner Sache sich nunmehr i n bösem Glauben befinden oder nach w i e vor schuldlos sein. . . . Auch der v o m Wahnsinn E r g r i f fene bleibt Mensch. Er, w i e jeder v o m Weibe Geborene, ist Glied der staatlichen Gemeinschaft, i h n wie jeden Anderen deckt die Rechtsordnung m i t i h r e m schützenden Schilde. Gewalt gegen seine Person ist m i r verboten, j a sogar bei Strafe verboten. Die staatliche Hilfe soll anrufen, w e r von seinem Mitmenschen etwas beansprucht. Ist es da b i l l i g u n d gerecht, w e n n diese gerichtliche Hülfe m i r nicht gewährt w i r d , j a nicht gewährt werden kann, da deren Voraussetzung, eine Normwidrigkeit, ermangelt 3 9 ?"

Die Vorstellung, daß der Unzurechnungsfähige nicht rechtswidrig handeln könne, ist daher nach Thons Meinung unhaltbar. Aber auch positiv ergibt sich für i h n der Nachweis, daß die Normen für Unzurechnungsfähige gelten, aus der unbezweifelbaren Tatsache, daß die Rechtsordnung Verpflichtungen Unzurechnungsfähiger kennt. Ist nämlich jemand verpflichtet, so bedeutet das nichts anderes, als daß ein „ D u sollst" oder „ D u sollst nicht" an i h n gerichtet wird, daß er Adressat der Norm ist 4 0 . Dies erscheint auch nicht ungerechtfertigt. Zwar w i r d 35 36 37 38 39 40

Thon, Thon, Thon, Thon, Thon, Thon,

a.a.O., S. 76. a.a.O., S. 84. a.a.O., S. 85 f. a.a.O., S. 88. a.a.O., S. 91 ff. a.a.O., S. 92.

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Zur Geschichte der Lehre v o m Unrecht

die Rechtsordnung nicht erwarten können, durch ihre Imperative das Verhalten Unzurechnungsfähiger zu bestimmen. Auch w i r d sie nicht zürnen dürfen, wenn Unzurechnungsfähige gegen ihre Normen verstoßen. Das bedeutet aber nicht, daß sie deswegen auch darauf verzichten muß, an die Übertretung ihrer Normen Rechtsfolgen anzuknüpfen. Lediglich alle Rechtsfolgen, welche die Rechtsordnung u m der Qualifikation der Tat w i l l e n androht, können gegen den schuldlosen Täter nicht verhängt werden. Werden aber Rechtsfolgen wegen der Verletzung von Interessen angedroht, die auch Schuldlosen gegenüber gewahrt werden müssen, so ist nicht einzusehen, warum die Unschuld des Normverletzers diese gar nicht seiner Schuld wegen angedrohten Rechtsfolgen hintanhalten soll 4 1 . Die Norm „ist nicht wie der Hut Geßlers gesetzt, nur u m den Gehorsam der ihr Unterworfenen zu erproben. . . . Sie erstrebt den Zustand, der bei Befolgung ihrer Imperative eintreten würde" 4 2 . Darum ist der Wille des Übertreters und seine Beschaffenheit für sie indifferent 4 3 . So richtig indessen Thons Argumentation vom Boden des positiven Rechts aus sein mochte, der Bruch innerhalb seiner Theorie war nicht zu übersehen. Den „Impuls der Rechtsordnung" können logischerweise nur diejenigen verspüren, welche durch Normen bestimmbar, welche zurechnungsfähig sind. „Zurechnungsfähigkeit ist ja die normale Bestimmbarkeit durch Motive 4 4 ." Wollte der Gesetzgeber Unzurechnungsfähigen (Säuglingen, Irren) Befehle zukommen lassen, so wäre das widersinnig. „Würde der Gesetzgeber das voraussichtlich Unerreichbare trotzdem wollen, so müßte i h m das Prädikat der Vernünftigkeit unweigerlich abgesprochen werden 4 5 ." H o l d v. F e r n e c k , dessen umfangreicher Untersuchung über die „Rechtswidrigkeit" die zuletzt angeführten Zitate entstammen, zog daher aus der Imperativentheorie die S c h l u ß f o l g e r u n g , daß Unrecht

und

Schuld

völlig

gleichzustellen

seien.

Rechtswidrig bedeute: wider das subjektive Recht. Da aber das subjektive Recht nichts anderes besagt, als daß jemand verpflichtet ist, empfehle es sich, den i n so vielfacher Weise mißbrauchten Ausdruck „rechtswidrig" überhaupt zu vermeiden und stattdessen „pflichtwidrig" zu sagen 46 . Pflichten wiederum könnten nur demjenigen auferlegt werden, von dem der Gesetzgeber eine zumindest regelmäßige Befolgung der Norm erwarten kann. Unzurechnungsfähige sowie Zurechnungsfähige i m Augenblick ihrer Unzurechnungsfähigkeit seien daher keine 41 42 43 44 45 46

Thon, a.a.O., S. 77 f. Thon, a.a.O., S. 98. Thon, a.a.O., S. 98. Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit Bd. I I , S. 3. Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 29. Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit Bd. I, S. 149.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

tauglichen Normadressaten 47 . „Rechtswidrig, bzw. pflichtwidrig kann immer nur eine verbotene, zurechenbare Handlung oder Unterlassung eines Menschen sein. . . . Der Begriff der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit läßt eine Zerfällung i n eine objektive und subjektive Seite schlechterdings nicht zu. Denn das Recht erfaßt weder die Innerlichkeit des Menschen allein, noch die äußere Sphäre allein, sondern es w i r k t durch die Innerlichkeit — als Motiv — auf die äußere Bethätigung 4 8 ." Bei Hold v. Ferneck sehen w i r damit wie schon bei Merkel eine enge subjektiv-personale Beziehung zwischen Recht und Subjekt durchgeführt. „Die Norm wendet sich nur an prinzipiell taugliche Befehlsempfänger, und zwar nur dann, wenn sie sich i n einem subjektiven Zustand befinden, der es ermöglicht, ihnen die Handlung zuzurechnen. Darnach ist rechtswidrig nur eine zurechenbare Bethätigung 4 9 ." Das Recht erscheint als eine unmittelbar durch mechanische Zwangsmittel w i r kende, sich wenigstens regelmäßig durchsetzende psychische Macht über den Willen des einzelnen Menschen, als sein Mittel erscheint die Auferlegung von individuellen Pflichten 50 . Aber damit nicht genug: auch das objektive Recht w i r d psychologisch aufgelöst, existiert nur noch personal i n den Köpfen der Menschen als Komplex von psychischen Funktionen 5 1 . Dem metaphysischen Glauben an eine über den Menschen thronende Rechtsordnung müsse man, so meint Hold v. Ferneck, entsagen 52 ; nur als objektive Mächte kämen die ethischen Mächte i n Betracht: als befehlender Wille, dem zu gehorchen ein anderer Wille verpflichtet w i r d 5 3 . Und hier t r i t t schließlich — i n positivistisch verwandelter und modifizierter Gestalt — die Hegel'sche Dreiteilung zwischen bürgerlichem Unrecht, Betrug und Verbrechen wieder vor uns hin, welche durch den Schein des Rechts an sich, für das Subjekt und für die anderen begründet war. Denn die verbotene zurechenbare Handlung ist nach Hold v. Fernecks Ansicht formell: normwidrig ( = Schein an sich), pflichtwidrig ( = Schein für mich) und (subjektiv) rechtswidrig ( = Schein für den anderen); inhaltlich betrachtet: läuft sie dem Gemeinwillen, der sich i n den Normen verkörpert, zuwider (Standpunkt des Gesetzgebers), ist sie die Äußerung eines rechtlich bekämpften Individualinteresses (vom Standpunkt des Verpflichteten), widerspricht sie einem rechtlich geschützten (objektiven, abstrakten) 47

Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 199 f. Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 277. 49 Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 361. 50 Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 94. 51 Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 99: „Das objective Recht, als objective Macht betrachtet, ist als Einheit lediglich das Product des Denkens . . . Nirgends gibt es i n der Realität ein einheitliches objectives Recht n e b e n . . . den Rechtss u b j e c t e n . . . Reale Macht sind i m m e r n u r die einzelnen subjectiven Rechte." 52 Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 17 f. 53 Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 42 f. 48

Z u r Geschichte der Lehre vom Unrecht

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Durchschnittsinteresse (vom Standpunkt des Berechtigten) 54 . Die Pflichtwidrigkeit als Äußerung eines rechtlich bekämpften Individualinteresses ist alsdann wiederum das i n jedem Unrecht enthaltene personale Element. Z u r selben Zeit wie Hold v. Ferneck vertrat K o h l r a u s c h i n seinem Buch „ I r r t u m und Schuld" (1903) die Meinung, daß Unrecht n u r schuldhaft begangen werden könne. Das Wesen des Unrechts liege nicht i n der Veränderung eines rechtlich gebilligten Zustandes, i n der Herbeiführung eines Erfolges also, den das Recht nicht haben w i l l , sondern i n d e r rechtlich

mißbilligten

Veränderung

eines Zustandes 55.

Die Ver-

änderung eines Zustandes könne aber nicht durch Normen mißbilligt werden, welche nur den Zustand betreffen (Zustandsnormen), sondern welche die einen Zustand ändernde Tätigkeit eines Menschen zum Gegenstand haben: Bestimmungsnormen also. Diese Normen aber setzten einen bestimmbaren Täter voraus, nämlich eine Person, die unter solchen Voraussetzungen handelt, welche die Zurechnung der Tat an sie begründen 5 6 . Wie für Merkel, auf den er weitgehend Bezug nimmt, ist daher für Kohlrausch die Zurechnungsfähigkeit unabdingbare Voraussetzung jeglichen Unrechts. Schließlich entschied sich auch G r a f zu D o h n a („Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges M e r k m a l i m Tatbestande strafbarer Handlungen, 1905) dafür, das Unrecht von bestimmten subjektiven M e r k malen des Täters abhängig zu machen. Seine Frage lautet: „ W a n n ist eines Menschen Verhalten rechtswidrig 5 7 ?" U n d er gibt hierauf die A n t w o r t : „ E i n rechtswidriges Verhalten i m Sinne unserer Reichsgesetzgebung ist i n erster L i n i e ein unrichtiges Verhalten, d. h. ein solches, welches nicht anerkannt werden kann als rechtes M i t t e l zu rechtem Zweck; eine weitere Bedingung der Rechtswidrigkeit bildet dann eine dahingehende positiv-rechtliche E r k l ä r u n g 5 8 . " Z u r Begründung seiner Ansicht beschreitet Dohna den Weg, daß er zunächst die beiden bisher gegebenen Begriffsbestimmungen der Rechtswidrigkeit als unzulänglich nachweist: Rechtswidrigkeit sei Rechtsgüterverletzung, und: Rechtswidrigkeit sei Gesetzes Verletzung. Da w i r ganz allgemein die Einsperrung eines Vebrechers nicht für rechtswidrig erachten, w o h l aber den fehlgeschlagenen Versuch jedweden Verbrechens, obwohl eine materielle Rechtsverletzung gerade dort vorliegt und hier fehlt, sei sichergestellt, daß nicht die Rechtsgüterverletzung die Rechtswidrigkeit begründet, sondern allenfalls die 54 55 58 57 58

Hold v. Ferneck, a.a.O., S. 378. Kohlrausch, I r r t u m u n d Schuld, S. 52 f. Kohlrausch, a.a.O., S. 50. Graf Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 15. Graf Dohna, a.a.O., S. 54.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

formelle Rechtsverletzung, der Verstoß gegen die Rechtsnorm 59 . Aber der Gesetzgeber setze i n seinen Normen die Rechtswidrigkeit nicht als Konsequenz, sondern er setze sie bei der Pönalisierung voraus, so daß das Wesen der Rechtswidrigkeit i n der Verbotswidrigkeit zumindest sich nicht erschöpfen könne. Notwendig sei daher ein apriorischer A u f weis der Rechtswidrigkeit als eines alle Straftatbestände überspannenden Prinzips 6 0 . Die Möglichkeit, einen apriorischen Inhalt der Rechtswidrigkeit aufzuweisen, bietet nun nach Dohnas Meinung nicht das Naturrecht; denn es sei dem Mißverständnisse erlegen, daß sich an dem Maßstab der Vernunft ein System von Rechtssätzen, eine materielle Rechtsordnung konstruieren lasse, welcher zeitlos-absolute Gültigkeit zukommt 6 1 . Der Stoff jeder wissenschaftlichen Betrachtung müsse vielmehr aus der Erfahrung geschöpft werden, er sei m i t h i n empirisch bedingt und unterliege daher auch dem Wechsel der Erscheinungen 62 . I m Anschluß an Kant und Stammler glaubt er jedoch, die Gefahren des Naturrechts durch die formale Gestaltung einer allgemeinen Maxime zu vermeiden 6 3 : eine jede Norm sei der Forderung zu unterstellen, daß sie rechtes Mittel zum rechten Zweck sein muß 6 4 . Rechtswidrig sei alsdann ein Verhalten, welches gegen eine Rechtsnorm verstößt, die ihrerseits rechtes M i t t e l zum rechten Zweck ist. Aber nicht nur die Normen unterstehen nach Dohnas Meinung der Forderung, rechtes M i t t e l zu rechtem Zwecke zu sein; für das gesamte Gemeinschaftsleben ist vielmehr erforderlich, daß „jeder einzelne objektiv berechtigte Zwecke wähle und die zu ihrer Erreichung tauglichen M i t t e l anwende, also seinerseits sein Wollen und Handeln nach der formalen Maxime richte, wonach es als rechtes M i t t e l zu rechtem Zwecke sich ausweist" 65 . Norm und normiertes Verhalten seien demnach richtig nur dann, wenn sie dem nämlichen Prinzip genügen. Und daraus ergebe sich, daß ein menschliches Verhalten, das als rechtes M i t tel zu rechtem Zwecke erscheint, niemals einer sachlich berechtigten Norm zuwider sein kann 6 5 . Wiederum erscheint hier das Recht als i n höchstem Maße personal gebunden, indem es den Grundgesetzen menschlichen Wollens und Handelns unterstellt wird. Das Recht ist nach Dohnas Meinung nicht Zustands-, sondern Verhaltensordnung. Und darum hängt, was Un59 80 61 82 83 84 85

Graf Graf Graf Graf Graf Graf Graf

Dohna, Dohna, Dohna, Dohna, Dohna, Dohna, Dohna,

a.a.O., S. 18. a.a.O., S. 20, 39 f. a.a.O., S. 40 f. a.a.O., S. 41. a.a.O., S. 45. a.a.O., S. 48. a.a.O., S. 50.

Zur Geschichte der Lehre v o m Unrecht

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recht ist, nicht zuletzt davon ab, welche Zwecke der Täter i n seinem Handeln verfolgte und welche M i t t e l er für seine Zwecke auswählte. Freilich w i l l Dohna zur Definition des Unrechts seine Maxime nicht einfach umdrehen: rechtswidrig sei jede Handlung, welche nicht rechtes M i t t e l zu rechtem Zwecke ist. Ob ein Zweck von der Rechtsordnung mißbilligt wird, ist allein den Paragraphen des Strafgesetzbuches zu entnehmen 66 . Doch genügt es i h m andererseits nicht, daß ein Verhalten rein äußerlich den Zwecken der Rechtsordnung zuwiderläuft. Von einer Unrichtigkeit des Verhaltens kann immer erst dann die Rede sein, wenn es der Täter an der erforderlichen Sorgfalt bei Vornahme der inkriminierten Handlung hat fehlen lassen 67 . Die Pflichtwidrigkeit eines konkreten Verhaltens ist demnach das Essentiale des Unrechts: Mehr als daß der Täter sein Verhalten als rechtes M i t t e l zu rechtem Zwecke wähle, könne die Rechtsordnung nicht erreichen wollen; sei doch ihr Endzweck nicht der, u m jeden Preis Schädigungen von Gemeinschaftsgütern fernzuhalten, sondern „die Rechtsunterworfenen zu objektiv begründetem, inhaltlich richtigem Wollen anzuleiten"" 88 . — Die personale Unrechtslehre i n ihrer heute durch Welzel geprägten Form ist hier zum Greifen nahe. Schwierig zu bestimmen und daher kontrovers ist die Stellung B i n d i n g s zur Unrechtslehre. Liest man die folgenden Ausführungen, so scheint es, als müsse man Binding zwangsläufig den konsequenten Subjektivisten zuordnen: „ E i n rechtliches Verbot oder Gebot als Forderung des vernünftigen Gemeinwillens an den vernünftigen Einzelwillen kann sich nur an solche richten, die je weilen die Fähigkeit haben i h m zu entsprechen. Wie der Herr seine Aufträge dem Diener i n Erwartung dieser werde sie erfüllen nicht dann geben wird, wenn der Bediente schläft oder betrunken ist oder i m Fieber liegt, so bindet auch die Norm diejenigen nicht, die i m einzelnen Falle ihres Tätigwerdens handlungsunfähig sind. Ihre Aktion ist von Seiten der Norm gesehen nicht Handlung sondern Zufall und nichts Anderes. . . . Wenn aber ein Handlungsfähiger eine Norm verletzt, so kann er der Schuld nicht ermangeln, sonst hörte er eben auf handlungsfähig zu sein: eine normwidrige Handlung muß vorsätzlich oder fahrlässig sein; es giebt nur verschuldetes und

kein

unverschuldetes

Unrecht.

Was m a n das o b j e k t i v e U n -

recht nennt ist reiner Zufall"® 9 . Scheint nicht hier Hold v. Fernecks konsequente Durchführung der Imperationentheorie wiederaufgenommen zu sein? Man muß jedoch bedenken, daß Binding an der zitierten Stelle nur vom Unrecht als Normwidrigkeit spricht, von einer bestimm88 67 68 69

Graf Dohna, a.a.O., S. 53. Graf Dohna, a.a.O., S. 77. Graf Dohna, a.a.O., S. 150. Binding, Normen Bd. I , S. 243 f.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

ten Art von Unrecht also, die nach seiner Ansicht m i t jenem „Unrecht schlechthin", von dem noch Hold v. Fernecks Untersuchung handelte, nicht übereinstimmt. Aus Gründen, die w i r sogleich darlegen werden, kann es für Binding ein „Unrecht schlechthin", ein „einheitliches Unrecht", nicht geben; und darum, folgert er, könnten w i r vom „Unrecht schlechthin" auch gar keine Aussagen machen. Die Einheit des Unrechts zerfällt nach Bindings Ansicht an der fundamentalen Verschiedenheit der Folgen, welche die Rechtsordnung an die Rechtswidrigkeit anknüpft: an der Verschiedenheit von Strafe und Schadenersatz. Die Strafe ist Rechtsminderung des Schuldigen ohne Aufhebung des dem Rechte nicht gemäßen Zustandes; sie ist Rechtsminderung zur Genugtuung für unwiederherstellbares Unrecht. Schadensersatz hingegen hebt den dem Recht widerstreitenden Zustand auf; er betrifft wiederherstellbares Unrecht 70 . Die herrschende Lehre, welche die Einheit des Unrechts i n der Gesetzesübertretung findet, ist nach Bindings Ansicht falsch. Denn das Gesetz sei unmittelbarem Angriffe überhaupt entrückt 7 1 . Es könne nur i m Medium der von i h m geschaffenen subjektiven Rechte getroffen werden 7 2 . Soviel Arten subjektiver Rechte es aber gebe, soviel Arten und Tatbestände des Unrechts müßten w i r annehmen 78 . Das Delikt sei die eine ganz fest geschlossene A r t des Unrechts, sein Angriffsobjekt das Recht auf Botmäßigkeit, dessen Garantiegesetz wiederum die Norm. Bei dem Delikt allein bedeute die „Gesetzwidrigkeit" Normwidrigkeit 7 4 . Dem Delikt gegenüber stehe aber die Verletzung privater Rechte, welche als bürgerliches Unrecht bezeichnet werden könne 7 5 . Hier sei die menschliche Handlung nicht Voraussetzung für die Unrechtmäßigkeit eines Zustandes; vielmehr könne auch der Zufall die Verantwortlichkeit begründen 76 . Liege gleichwohl eine menschliche Handlung vor, so vermöge sie, sowohl dem privaten Rechte als auch dem Rechte auf Botmäßigkeit zuwider zu laufen 7 7 . Alsdann forderte aber der Staat nur wegen der Unbotmäßigkeit, nicht wegen der Privatrechtsverletzung, mittels derer die Unbotmäßigkeit begangen wurde, Genugtuung. M i t dem Delikt konkurriere, sobald die Sachlage vom Standpunkte des beschädigten Eigentums aus gesehen wird, ein selbständiges Zivilunrecht 7 8 . 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding,

a.a.O., S. 290. a.a.O., S. 292. a.a.O., S. 293. a.a.O., S. 298 f. a.a.O., S. 299. a.a.O., S. 300. a.a.O., S. 301 f. a.a.O., S. 303. a.a.O., S. 304.

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Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

Zusammenfassend ergeben sich für Binding alsdann folgende „unumstößlichen" Sätze: „Das Delikt als subjektive Rechtsverletzung darf schlechterdings nur als Verletzung des Rechtes auf Botmäßigkeit gefaßt werden. Die vollendete Verletzung eines andern als des Rechtes aus der Norm ist keinem Delikt je wesentlich. Die Schuld m i t ihren beiden Arten des Vorsatzes wie der Fahrlässigkeit ist die Willensseite ausschließlich des Deliktes. Es giebt keine schuldhafte Verletzung anderer Rechte als des Rechtes auf Botmäßigkeit. Das bürgerliche Unrecht als solches erschöpft sich rein i n der Privatrechtsverletzung. Es giebt nur absichtliche und unabsichtliche, nicht dolose und fahrlässige Privatrechtsverletzung" 79 . M i t diesen Grundsätzen ist — i n abgewandelter Form — abermals die Hegel'sche Unterscheidung zwischen bürgerlichem und verbrecherischem Unrecht wiederhergestellt worden und gleichzeitig, wie bei Jhering, die Schuld als das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen beiden Unrechtsarten festgehalten. Der Unterschied der Binding'schen Auffassung gegenüber den früheren Lehren liegt vor allem i n der positivistischen Grundeinstellung Bindings. Suchte Hegel den Grund für die Mehrheit von Unrechtsarten noch i n einem materiellen Kriterium: der rechtsfeindlichen Gesinnung des Verbrechers gegenüber der an sich rechtsfreundlichen des i n bürgerlichem Unrecht Befindlichen, so ist für Binding der Grund für jede Unterscheidung innerhalb des Unrechts positivrechtlich vorgezeichnet: durch die unterschiedliche Weite des Gebietes, i n dem das Recht jeweils Geltung beansprucht. Ob Unrecht vorliegt, beweist sich nach Bindings Ansicht „allein an dem Recht, das stets Verletzt' ist, wenn seinem Geltungsgebiet Abbruch geschieht, ohne daß es durch einen seiner Bestimmung gemäßen, vom Gesetzgeber gebilligten Endigungsgrund erfaßt würde. Es braucht nur zu geschehen, was der Anforderung des subjektiven Rechts widerspricht, oder nur zu unterbleiben, was danach zu geschehen hätte: dann sagt man, das Recht sei verletzt" 8 0 . Verbrecherisches Unrecht liegt also nach Bindings A n sicht allemal da vor, wo das Gesetz von den i h m Unterworfenen Botmäßigkeit verlangt; wann und inwieweit das Gesetz Botmäßigkeit verlangen darf, bleibt offen. Darf der Gesetzgeber das Maß des Gehorsams, welches er verlangt, selbst abstecken, ohne an vorgegebene (naturrechtliche) Grundsätze gebunden zu sein, so darf er doch den Gehorsam nur von denjenigen verlangen, die hierzu überhaupt fähig sind. Insofern ergibt sich auch für Binding eine Bindung des Gesetzgebers, welche sich i n einem besonderen, personal bestimmten Unrechtsbegriff niederschlagen muß. Unrecht als deliktisches Unrecht ist für Binding das Unrecht einer hand79 80

Binding, a.a.O., S. 308 f. Binding, a.a.O., S. 300.

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lungsfähigen Person. Handlungsfähigkeit aber bedeutet Schuldfähigkeit. Und so gilt: „Alles verschuldete Unrecht ist vom Standpunkte der Normen aus gesehen kein Unrecht" 8 1 . Jede Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld i m Rahmen des Deliktes kann nur theoretischer Natur sein 82 . Insofern ist Binding i n der Tat konsequenter Subjektivist. Aber hat nicht die Schuld das Unrecht zur Voraussetzung? Kann nicht überhaupt die Schuldfrage erst gestellt werden, wenn die Unrechtsfrage bejaht ist? Ist also die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld nicht schon deshalb auch praktisch notwendig? — N a g 1 e r bejahte dies i n seiner Studie über „den heutigen Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit" (1911) und brachte durch die Folgerichtigkeit seiner Gedankenführung die objektivistische Auffassung vom Unrecht aufs neue und für lange Zeit siegreich zur Geltung. Das Recht ist für Nagler eine objektive soziale Lebensordnung 83 . Die Ordnungsfunktion ist seine primäre Funktion, von der die Schutzfunktion lediglich abgeleitet ist 8 4 . Von diesem Standpunkt aus wendet sich Nagler entschieden gegen die Imperativentheorie. Zwei Einwände lassen seiner Ansicht nach diese Theorie rettungslos scheitern 85 : Sie vermag einmal die subjektive Berechtigung nur als Reflex der Pflicht zu erklären; und sie läßt zum anderen die Gewährungen des Rechts völlig unberücksichtigt. Wie das subjektive Recht gegeben sein müsse, bevor i h m entsprochen werden könne 8 6 , so müsse auch die Ordnungsfunktion des Rechts beachtet werden, bevor die Schutzfunktion zu ihrer Bedeutung gelangen könne 8 7 . M i t der Bezeichnung „rechtswidrig" gebe das Recht lediglich ein Unwerturteil ab, es drücke seine Mißbilligung über ein Verhalten aus 88 , welches i m Widerspruch stehe zum objektiven Recht 89 . I m Zivilrecht, welches i n erster Linie den Standpunkt des Verletzten i m Auge habe, sei dies gesicherte Erkenntnis; lediglich der Strafrechtler lenke sein Augenmerk einseitig auf das Subjekt der Tat und vernachlässige aus diesem Grunde über der Bestimmungsfunktion die Bewertungsfunktion des Rechts 90 . Man w i r d diesen Ausführungen Naglers zugeben müsssen, daß es wahrhaftig Verhaltensweisen gibt, die von der Rechtsordnung als 81

Binding, a.a.O., S. 299. Binding, Handbuch, S. 503. Nagler, Rechtswidrigkeit, S. 273 (315 f.). 84 Nagler, a.a.O., S. 313. 85 Nagler, a.a.O., S. 311 ff. 86 Das subjektive Recht ist nicht n u r ein „Loch i m Normenkreise" — w i e es Binding, Abhandlungen Bd. I, S. 539, überspitzt, aber i m Grunde zutreffend formuliert hat. 87 Nagler, a.a.O., S. 312 f. 88 Nagler, a.a.O., S. 316 f. 89 Nagler, a.a.O., S. 339 ff. 90 Nagler, a.a.O., S. 338 f. 82

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rechtswidrig bezeichnet werden, obwohl ihnen keine Pflichtwidrigkeit, kein Verstoß gegen einen rechtlichen Imperativ zugrunde liegt. Schon Jhering hatte das für das Beispiel des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache erkannt und der allein subjektiven Unrechtsbegründung darin ein entscheidendes Argument entgegengestellt. Dennoch muß man die Sorge des Strafrechtlers verstehen, ob der Mensch, der Täter, mit dem er es ständig zu t u n hat, von der bloßen Bewertung des Rechts überhaupt berührt werde, ob nicht wenigstens der strafrechtlichen Norm der Bezug auf den Menschen, die Bestimmungsfunktion, wesentlich sei. So meint es heute O e h l e r , wenn er schreibt: „Dem Strafrecht kommt es primär nicht auf seine Funktion der Bewertung, sondern auf die Verhinderung von strafrechtlich erheblichen Handlungen an, und das Recht kann diese Verhinderung nur durch den A n r u f des Menschen durchdrücken" 91 . Aber setzt dieser Anruf, wenn er einen Sinn haben soll, nicht einen Menschen voraus, der i h n vernimmt oder wenigstens vernehmen kann? Spricht gegen solche Auffassung nicht das „entscheidende Argument, das der Imperiativentheorie immer wieder entgegengehalten worden ist: die i m positiven Recht zweifellos verankerte Möglichkeit rechtswidrigen Verhaltens Zurechnungsunfähiger" 92 ? Nun freilich ist auch zu diesem Argument das Gegenargument i n der Literatur schon zu finden: „Es ist öde Theorie, wenn man einem vernünftigen Rechtssatz für Vernünftige, wenn man einer Erörterung über das Wesen des Rechts, welches für Vernünftige paßt, immer wieder mit dem Hinweis begegnen zu können wähnt, sie paßten für Willensunfähige nicht. Die Welt des Rechts ist kein Tollhaus noch eine Kleinkinderbewahranstalt" 9 3 . Indessen — erweist sich nicht längst, daß man das als richtig empfundene Ergebnis m i t der Imperativentheorie nicht zu begründen, das durch die Lehre von der objektiven Rechtswidrigkeit begründete Ergebnis aber wenigstens i m Strafrecht nicht als richtig zu empfinden vermag 94 ? Gilt nicht von der ganzen bisherigen Kontroverse Naglers Wort (im umgekehrten Sinne freilich, als er es meinte), daß die „logischen Trümpfe" auf der einen, die „Wahrheit" aber auf der anderen Seite zu finden seien 95 ? W i r wollen den Streit hier weder durch weitere Belege aus der L i teratur verbreitern noch durch Anführung weiterer Argumente vertie91 Oehler, Objektives Zweckmoment, S. 42. Siehe auch Nagler selbst, a.a.O., S. 338: „Es besteht f ü r den K r i m i n a l i s t e n die nahe Versuchung, das Verdammungsurteil der Widerrechtlichkeit als persönliches U n w e r t u r t e i l zu begreifen." 92 Nowakowski i n ZStW 63, 287 (291). 93 Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 45. 94 Siehe dazu i m einzelnen unten S. 109 ff. 95 Vgl. Nagler, a.a.O., S. 336.

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fen. Der Streit ist ohnehin heute verklungen, geblieben nur die Resignation ob seiner Ergebnislosigkeit.

Die Lehre wandte sich i n der nun folgenden z w e i t e n P h a s e der Unrechtsbetrachtung allein der Entdeckung einzelner subjektiver Unrechtselemente auf objektivistischer Grundlage zu 9 *. Die Frage nach dem grundsätzlichen Wesen des Unrechts wurde dadurch i n den Hintergrund gedrängt 97 . Feste Ergebnisse ließen sich allerdings auch auf dem neuen Forschungsgebiet nicht erzielen. Der erste Schriftsteller, der auf die Notwendigkeit hinwies, auch subjektive Momente bei der Rechtswidrigkeit zu berücksichtigen, war ein Zivilrechtler: Hans Albrecht F i s c h e r 9 8 . Er wies für das Privatrecht nach, daß beim Schikaneverbot des § 226 BGB und beim Verstoß gegen die guten Sitten 9 9 „die verwerfliche Gesinnung des Täters einen blassen Tatbestand oder sogar eine Rechtsausübung derart färbt, daß nunmehr dieser ins Leben gerufene Tatsachenkomplex u m der Gesinnung seines Urhebers willen vom Rechte mißbilligt w i r d " 1 0 0 . Ferner könne aber auch eine an sich mißbilligte Tätigkeit wegen der vom Täter hierbei verfolgten Zwecke gebilligt, ja dem Täter auf die Herbeiführung des Erfolges sogar ein Recht verliehen werden: bei der Notwehr, der Beseitigung eines Notstandes, i m Rahmen der Selbsthilfe und der ordnungsgemäßen Geschäftsführung ohne Auftrag 1 0 1 . — A u f die Strafrechtswissenschaft und zumal auf die Herausarbeitung der subjektiven Unrechtselemente hatten Fischers Ausführungen nur einen sehr geringen Einfluß 102. Grund hierfür war vor allem, daß sie die Frage offen ließen, wie die subjektiven Unrechtselemente von den Schuldmerkmalen abzugrenzen seien 103 . Obgleich zur selben Zeit wie Fischer auch N a g 1 e r darauf hinwies, daß i n bestimmten Fällen subjektive Merkmale für die „objektive Rechtswidrigkeit" von konstitutiver Bedeutung sein könnten 1 0 4 , brachten erst wenig später, i n den Jahren 1915/16, die Arbeiten von Max Ernst Mayer und Hegler den entscheidenden Durchbruch. 96

H. Lampe, Personaler Unrechtsbegriff, S. 24. H. Lampe, a.a.O., S. 77. 98 Fischer, Rechtswidrigkeit (1911). 99 Fischer, a.a.O., S. 138,140 ff. 100 Fischer, a.a.O., S. 293. 101 Fischer, a.a.O., S. 138, 258, 288 f., 294. 102 Sieverts, Subjektive Unrechtselemente, S. 7. 103 M. E. Mayer, A l l g . T., S. 186 A n m . 104 Nagler, a.a.O., S. 286 A n m . 8. 97

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Max Ernst M a y e r geht von dem Beispiel aus, daß ein junger Mediziner, den Ratschlag Mephistos befolgend, ein Mädchen u m die schlanke Hüfte faßt, „zu sehn wie fest geschnürt sie sei". Durch diese Absicht werde das als ärztliche Untersuchung rechtmäßige Verhalten des Mediziners zum rechtswidrigen. Die Schuld des Mediziners sei hingegen noch nicht festgestellt; sie könne ausgeschlossen sein etwa durch starke Trunkenheit oder durch den verzeihlichen Irrtum, das Mädchen sei m i t seiner Handlungsweise einverstanden 105 . Allgemein lasse sich sagen: „Eine Handlung w i r d zur Schuld zugerechnet, wenn sie aus tadelnswerten Motiven entstanden ist, die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ergreift die Handlung hingegen als M i t t e l für Zwecke", welche — i m Gegensatz zu den Motiven — stets über den Erfolg hinausragen. Diese Verschiedenheit von Motiv und Zweck sei identisch m i t jener anderen von Warum und Wozu 1 0 6 , von kausaler und teleologischer Betrachtungsweise 107 . — W i r werden auf diesen i n seiner Fruchtbarkeit bis heute kaum erkannten Gedanken noch zurückkommen 108 . Noch bewußter machte gleichzeitig H e g l e r die teleologische Betrachtungsweise für die Unrechtslehre fruchtbar 1 0 9 . Ausgehend von der i n der Tübinger Zivilrechtsschule vertretenen „Interessenjurisprudenz" (Heck, Rümelin) sah er i n der Straftat stets eine „Verletzung von Interessen, genauer von Lebensinteressen, von Existenz- und Entwicklungsbedingungen der i m Staat organisierten Gesellschaft". Das Verbrechen erschien i h m als „ein äußeres Verhalten, welches deshalb von der Rechtsordnung mißbilligt wird, weil es gesellschaftsschädlich, als Interessen der i m Staat organisierten Gesellschaft verletzend angesehen w i r d " 1 1 0 . A u f dieser — insoweit noch vom Rechtsgutdenken geprägten — Grundlage erwuchs sodann die entscheidende Wendung i n der Unrechtsauffassung: Hegler betonte, daß es nicht nur ein äußeres Verhalten sei, welches die Interessenverletzung darstelle. Beim Diebstahl etwa und beim Betrüge handele nicht schon der interessenverletzend, der eine fremde Sache wegnimmt, sondern nur derjenige, welcher dies i n der Absicht rechtswidriger Zueignung tut; nicht schon der, der durch Täuschung fremdes Vermögen beschädigt, sondern nur derjenige, welcher dies i n der Absicht tut, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen 105

M. E. Mayer, a.a.O., S. 185 f. Vgl. auch Fischer, a.a.O., S. 294 f.: „ M o t i v u n d Zweck bezeichnen das Woher u n d Wohin". U n d A n m . 18: „ E i n Zweck w i r d erreicht, ein M o t i v dagegen nicht. E i n M o t i v k a n n stark oder schwach sein, der Zweck dagegen n i m m t keine Intensitätsgrade an". 107 M. E. Mayer, a.a.O., 187. I m einzelnen dazu unten S. 233 ff. — Schweikert, Tatbestandslehre, S. 46 Anm. 138, erklärt diese Unterscheidung hingegen ohne Begründung f ü r zweifelhaft. 109 Hegler i n Z S t W 36, 19 (20 f.). 110 Hegler, a.a.O., S. 30 f. 106

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Vermögensvorteil zu verschaffen 111 . Man könne hier von „Delikten m i t überschießender Innentendenz" reden. Bei ihnen sei die Tendenz nicht zur Schuld zu rechnen, vielmehr handele es sich bei der Tendenz u m ein „sozusagen ins Subjektive verflüchtigtes Moment des gesellschaftsschädlichen interesseverletzenden Verhaltens, eine A r t Vordatierung der Empfindlichkeit des betreffenden Interesses" 112 . Die Auffüllung des Unrechts mit einem materiellen Gehalt, die bei Hegler erstmalig die Unterscheidung zur Schuld bestimmte 1 1 3 , führte ihn also dazu, auch psychischem Geschehen Bedeutung für das Unrecht beizumessen. Wie Hegler definierte auch S a u e r den materiellen Gehalt der Rechtswidrigkeit teleologisch: „Rechtswidrig ist ein Verhalten, das nach seiner allgemeinen, objektiv zu fassenden Tendenz dem Staate und seinen Gliedern mehr schadet als n ü t z t " 1 1 4 . Weise demnach das Wesen der Rechtswidrigkeit ins Soziologische, so habe das Schuldurteil seinen Grund i n der Individualethik, der Moral 1 1 5 . Und werde bei der Rechtswidrigkeit noch das äußere Verhalten des Täters beurteilt, so gehe die Schuld auf den Willensentschluß des Täters zurück 1 1 6 : „Schuld ist der vorwerfbare freie Willensentschluß zu einer rechtswidrigen Handlung (äußeres Verhalten) trotz Kenntnis oder Kennensollens ihrer Rechtswidrigkeit" 1 1 7 . — Zur Rechtswidrigkeit rechnete Sauer i m A n schluß an den von i h m nicht erwähnten Hegler auch die Zueignungsabsicht beim Diebstahl und die Bereicherungsabsicht beim Betrüge. „Man kann den Diebstahlstatbestand nicht ohne die Zueignungsabsicht, den Betrugstatbestand nicht ohne die Bereicherungsabsicht denken. Rechtswidrig i n dem Sinn, daß diese Handlungen der staatlichen Gemeinschaft mehr schaden als nützen, ist nicht schon allein die Vermögensschädigung mittels Täuschung, sondern das sind diese Handlungen erst unter Hinzunahme der soeben genannten subjektiven Merkmale" 1 1 8 . Ist somit i n Sauers Darstellung k e i n Fortschritt gegenüber Heglers A u f fassung zu erkennen, so bedeutet seine weitere Ausführung über die objektive N a t u r des subjektiven Zweckes entwicklungsmäßig gar einen Rückschritt. A m Objekt des Unrechts ist nämlich nach seiner Meinung „nichts Subjektives zu entdecken; das Verhalten muß ein äußeres u n d der Erfolg ein äußerer sein. N u r insofern ist der letztere ein gedachter, ein subjektiver, als er nicht t a t sächlich eingetreten zu sein braucht, sondern n u r i n dem objektiven W a h r scheinlichkeitsurteil vorhanden sein muß. . . . Nicht der individuelle Zweck 111 112 113 114 115 117 11B

Hegler, a.a.O., S. 31. Hegler, a.a.O., S. 31 (ff.). Schweikert, a.a.O., S. 51. Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 286. Sauer, a.a.O., S. 532 ff. Sauer, a.a.O., S. 543. Sauer, a.a.O., S. 548. Sauer, a.a.O., S. 344.

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des Täters bildet das Wertungsobjekt, sondern der generelle Zweck der Tat, der reale Zweck, die allgemeine Tendenz der Handlung. Die Handlung ist o b j e k t i v auszulegen; der i h r immanente Zweck ist zu erforschen. Die Frage ist: w i e ist die Tat o b j e k t i v zu verstehen? u n d sodann ist zu fragen: Nützen Verhaltensweisen dieser A r t (!) dem Staate usw. mehr, als sie i h m schaden" 1 1 9 ? — Bei Sauer t r i t t uns auch die erste K r i t i k an M. E. Mayer entgegen. Denn i m Gegensatz zu i h m 1 2 0 hält Sauer eine sich i n normalen Grenzen haltende, objektiv der Erziehung dienende Züchtigung eines Schülers durch den Lehrer auch dann f ü r rechtmäßig, w e n n der Lehrer zugleich Rache an dem Vater des Schülers nehmen w o l l t e 1 2 1 . I h r e wesentlichste F ö r d e r u n g erfuhr die L e h r e v o n den subjektiven U n r e c h t s e l e m e n t e n d a n n d u r c h M e z g e r 1 2 2 . M e z g e r unterscheidet z w e i Gruppen v o n Tatbeständen: 1. Tatbestände, b e i d e n e n das Gesetz n u r e i n „einfaches W o l l e n der äußeren H a n d l u n g " e r f o r d e r t 1 2 3 , u n d 2. Tatbestände, d i e e i n „ s i n n e r f ü l l t e s W o l l e n d e r äußeren H a n d l u n g " voraussetzen124. Z u r ersten G r u p p e g e h ö r e n beispielsweise T o t s c h l a g u n d Sachbeschädigung, z u r z w e i t e n d i e A b s i c h t s - , T e n d e n z - u n d A u s d r u c k s d e l i k t e . K r i t e r u m d a f ü r , ob e i n s u b j e k t i v e s M e r k m a l T a t b e s t a n d s - oder S c h u l d e l e m e n t ist, i s t f ü r M e z g e r d i e Frage, ob das M e r k m a l d e m rechtsgutverletzenden C h a r a k t e r d e r T a t e t w a s Neues h i n z u f ü g t 1 2 5 ; d e n n r e c h t s w i d r i g k ö n n e n u r d i e V e r l e t z u n g eines r e c h t l i c h geschützten I n teresses s e i n 1 2 6 . Das o b j e k t i v i s t i s c h e R e c h t s g u t d e n k e n b r i c h t sich also auch b e i M e z g e r w i e d e r B a h n . Das „einfache W o l l e n " v e r m a g d e n spezifischen U n r e c h t s g e h a l t der T a t n i c h t z u v e r ä n d e r n 1 2 7 ; e b e n s o w e n i g v e r m ö g e n dies d i e M o t i v e des T ä t e r s b e i d e n sog. M o t i v d e l i k t e n ( w i c h t i g s t e B e i s p i e l e h e u t e : N o t d i e b 119

Sauer, a.a.O., S. 346 f. M. E. Mayer, a.a.O., S. 86: „Die Rechtswidrigkeit einer Züchtigung k a n n z. B. darauf beruhen, daß der Lehrer sich am Vater des Schülers rächen w i l l . " 121 Sauer, a.a.O., S. 347. Gleiches gelte auch f ü r die Verhaftung, die nicht d a r u m unrechtmäßig werde, w e i l der Beamte sie (trotz Legalität) zu unerlaubtem Zwecke mißbrauche, e t w a u m persönliche Feindschaft i n die Tat umzusetzen. 122 Zunächst i n Mezgers Aufsatz „Die subjektiven Unrechtselemente" i n GS 89, 260 ff., sodann i n seiner Abhandlung „ V o m Sinn strafrechtlicher T a t bestände" i n : Traeger-Festschrift, S. 187 ff. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf die letztgenannte Abhandlung. 123 Mezger, V o m Sinn, S. 198 f. 124 Mezger, a.a.O., S. 199 ff. 125 Mezger, a.a.O., S. 199; vgl. auch S. 206: der interesse- (rechtsguts-)verletzende Charakter der äußeren Handlung sei ein ganz anderer, w e n n i h r der besondere seelische Gehalt, die Tendenz, die Absicht zugrunde liegt, als w e n n dies nicht der F a l l ist. 126 Mezger, a.a.O., S. 198. 127 Mezger, a.a.O., S. 199. 120

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stahl und Notbetrug — §§ 248 a, 264 a StGB). Beide werden daher von Mezger zur ersten Gruppe von Tatbeständen gerechnet 128 . Mezger steht damit der Meinung M. E. Mayers nahe, der — wie schon erwähnt — i n den Motiven des Täters ebenfalls Schuldelemente sah 1 2 9 . Unrechtselemente sind hingegen für Mezger das sinnerfüllte Wollen der äußeren Handlung als „Ausdruck eines seelischen Vorgangs i m Täter" („Ausdrucksdelikt"; Beispiel: Überzeugungseid — i m Gegensatz zum Wahrheitseid) 1 8 0 , das sinnerfüllte Wollen der äußeren Handlung als „Betätigung einer subjektiven Tendenz" („Tendenzdelikt"; Beispiel: unzüchtige Handlung) 1 3 1 , schließlich das sinnerfüllte Wollen der äußeren Handlung als „ M i t t e l zu weiterem Zweck" („Absichtsdelikt"; Beispiele: Betrug, Urkundenfälschung) 1 3 2 . Jeden noch verbleibenden Zweifel an der Existenz subjektiver Unrechtselemente aber muß der Hinweis auf die subjektive Versuchslehre beseitigen 1 3 3 . Der Genuß eines Glases Zuckerwasser ist für sich gewiß kein Unrecht, w i r d es aber, wenn er i n A b treibungsabsicht u n d i m Glauben an die Tauglichkeit des Mittels erfolgt 1 3 4 . Anhänger einer rein subjektiven Versuchslehre (zu denen Mezger sich allerdings nicht rechnet) müßten sogar dahin kommen, Fälle lediglich subjektiver Unrechtsbegründung i m Straf recht anzuerkennen 1 3 5 . Die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen wurde nach diesen grundlegenden Vorarbeiten von vielen namhaften Strafrechtlern übernommen und weiter ausgebaut, ohne daß sich noch neue grundsätze Gesichtspunkte ergaben. Eberhard Schmidt 136, Grünhut 1* 7, Engisch 138, 139 140 141 Robert von Hippel , Radbruch und Graf zu Dohna schlossen sich 128

Mezger, a.a.O., S. 198 f. M. E. Mayer, a.a.O., S. 185 f. Dieselbe Ansicht, daß nur die Zwecke, nicht auch die Motive des Täters das Unrecht konstituieren, vertrat später auch E r i k Wolf, Schuldlehre, S. 52 Anm. 124. 130 Mezger, a.a.O., S. 200 ff. 131 Mezger, a.a.O., S. 202 ff. Z u m Unterschied der „Tendenzdelikte" gegenüber den „Motivdelikten" vgl. Mezger, a.a.O., S. 203: „Bei letzteren entspringt das ,einfadie' Wollen der Tat einem bestimmten Motiv, ohne daß dieses Motiv dem Wollen selbst eine bestimmte Färbung verleihen würde, während bei ersteren das Wollen erst durch die begleitende Tendenz seinen maßgeblichen 'Sinn' erhält. A u f den sprachlichen Ausdruck kommt es hierbei natürlich nicht an: das ,aus Not 4 der §§ 248 a, 264 a StGB schafft ein Motiv-, das ähnlich lautende ,aus Eigennutz' des § 180 StGB dagegen ein deutliches Tendenzdelikt". 132 Mezger, a.a.O., S. 206 f. 133 Mezger, a.a.O., S. 207. 134 Mezger i n GS 89, 260 (266); vgl. auch Lehrbuch, S. 170. 135 Mezger i n GS 89, 260 (266). 138 Eb. Schmidt i n v. Liszt/Schmidt, Lehrb. (26. Aufl.), S. 184. 137 Grünhut i n ZStW 50, 285 ff.; 52, 117 ff. 138 Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 62 f. 139 R. v. Hippel, Dtsch. Strafr. Bd. I I , S. 188. 140 Radbruch i n Frank-Festgabe Bd. I, S. 163, 170. 141 Graf zu Dohna i n ZStW 52, 96 ff. 129

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der bestehenden Ausformung der Lehre i m wesentlichen an. Einen gewissen Abschluß erlangten die Bestrebungen i n der gründlichen Monographie von Sieverts 1* 2. S i e v e r t s rechnet solche Merkmale zum Tatbestand, die den rechtsgutverletzenden Charakter der typisierten Handlungen bedingen, steigern oder vermindern 1 4 3 . Nach dieser Methode stellt er auch die Existenz von subjektiven Rechtswidrigkeitselementen fest 1 4 4 . E r unterscheidet zwei Gruppen, i n denen diese Elemente eine Rolle spielen: Delikte m i t überschießender Innentendenz u n d Delikte m i t intensiver Innentendenz 1 4 5 . Grundsätzlich neue Gedanken zur Abgrenzung des subjektiven Unrechts von der Schuld ergeben sich bei i h m nicht.

Trotz aller Bemühungen, klare Abgrenzungskriterien zwischen Unrecht und Schuld zu finden, ist das Ausmaß der subjektiven Unrechtselemente immer umstritten geblieben. Allgemein durchgesetzt hat sich lediglich die Auffassung, daß es bereits für das Unrecht bedeutsam sein kann, i n welcher Absicht oder Einstellung der Täter gehandelt hat 1 4 6 . Aber auch insoweit w i r d heute mehr und mehr geleugnet, daß m i t der Berücksichtigung subjektiv-psychischer Momente i m Rahmen der Rechtswidrigkeit der Unrechtsbegriff selbst „ins 'Personale' gebogen" werde 1 4 7 . Richtig sei allein die gesetzestechnische Erklärung, daß zum Diebstahl etwa nicht die wirkliche Zueignung erfordert wird, sondern die Wegnahme i n Zueignungsabsicht genügt und daher die Vollendung schon früher eintritt. Die Zueignungsabsicht gehöre daher hinsichtlich der Zueignung zum Tatbestand als vertyptem objektivem Unrecht; sie gehöre aber auch zur Schuld insofern, als nicht einfacher Vorsatz der Wegnahme genügt, sondern eine über den Vorsatz hinausgehende und auf Verwertung gerichtete Absicht erfordert w i r d 1 4 8 . Dem Problem der subjektiven Unrechtselemente schenke man, obwohl es ohne praktische Bedeutung sei, vielfach übertriebene Aufmerksamkeit 1 4 9 ; Versuche, von hier aus das Verbrechenssystem mit seiner objektiven Unrechtsbegründung aus den Angeln zu heben, widerlegten sich von selbst 150 . So erscheint auch durch die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen der Streit u m das personale Unrecht keineswegs geschlichtet.

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Sieverts, Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen i m Strafrecht (1934). 143 Sieverts, a.a.O., S. 115 ff. 144 Sieverts, a.a.O., S. 128 ff. 145 Sieverts, a.a.O., S. 140 ff. 146 H. Lampe, a.a.O., S. 4. 147 Lange i n ZStW 63, 456 (480). 148 Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S. 61. 149 Sauer, a.a.O., S. 61. 150 Lange, a.a.O., S. 458.

Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

Die d r i t t e P h a s e in der Entwicklung der Unrechtslehre, der w i r uns nun noch zuwenden müssen, greift wiederum die Frage nach dem Wesen des Unrechts auf. Sie zeichnet sich gegenüber der früheren Diskussion dadurch aus, daß sie i n verstärktem Maße Fragen einer allgemeinen Handlungslehre m i t der Unrechtslehre verquickt. I n Gang gebracht wurde die Diskussion durch die Angriffe der sogenannten Kieler Schule auf das Rechtsgutsverletzungsdogma und durch ihre gleichzeitige Propagierung des Gesinnungsstrafrechts. Lassen w i r ihre übersteigerten Forderungen nach einem reinen Gesinnungsstrafrecht beiseite, so bleiben für die Hinwendung zu einem personalen Unrechtsbegriff die Nachweise insbesondere S c h a f f s t e i n s beachtenswert, daß außer den „komplexen" Tatbeständen mit subjektiv gefaßten Tatbestandsmerkmalen (wie Motiven, Absichten und Gesinnungen) noch weitere Delikte von der Kategorie der Rechtsgutsverletzung nicht erfaßt werden könnten 1 5 1 , w e i l erst täterpsychische oder personale Elemente der Tat das Unwertmerkmal aufdrückten 1 5 2 . So erführen manche Straftaten dadurch eine Steigerung ihres Unrechtsgehalts, daß sie sich nicht i n der Verletzung eines bestimmten Rechtsguts erschöpften, sondern daß darüber hinaus beim Täter eine besondere Pflichtenstellung vorliege, deretwegen die Tat erst ihren eigentlichen Unwert erhalte: so beim Kameradendiebstahl (nach dem MStGB) oder bei der Untreue des § 266 StGB. Der materielle Gehalt der Untreue etwa könne niemals durch die nebensächliche Verletzung eines Forderungsrechtes, sondern erst durch den Treubruch selbst bestimmt werden 1 5 3 . Auch die verschiedenartigen Eigentumsdelikte (Diebstahl, Unterschlagung, Sachbeschädigung — §§ 242, 246, 303 StGB) erklärten sich aus personalen Tatbestandselementen, nämlich der Unterscheidung von A r t und Weise der Eigentumsverletzung; ein Generaltatbestand der vorsätzlichen, dauernden Eigentumsentziehung sei zwar einfacher, klarer und lückenloser, jedoch auch farbloser 1 5 4 . Auch Hellmuth M a y e r ging davon aus, daß das Verbrechen sich nicht i n einer Rechtsgutsverletzung erschöpfe; denn es könne nicht als eine „Schädigung i m grobäußerlichen Nützlichkeitssinne" 1 5 5 erfaßt werden. Stattdessen versuchte Mayer i n einem „vergeistigten Tatbegriff" 1 5 6 eine Lösung zu finden. Für Mayer ist das Verbrechen die „ V e r w i r k l i chung bösen Willens" 1 5 7 ; daher sei, so folgert er, die Innenseite der Tat, die A r t und Weise der Tatausführung, gleichwertig neben der äußeren 151 152 153 154 155 159 157

Schaff stein i n ZStW 57, 295 (301 f.). Schaff stein i n DStR 1937, 343. Schaffstein i n DStR 1935,104. Schaff stein i n DStR 1937, 342. H. Mayer, Strafrecht (1936), S. 73. H. Mayer, a.a.O., S. 78. H. Mayer, a.a.O., S. 95 f.

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Rechtsgutsverletzung zu berücksichtigen. Der Unrechtsgehalt werde von den subjektiven Verhältnissen, von der Gesamtwirkung i m Lebenszusammenhang geprägt 1 5 8 . Bezögen sich doch die Strafdrohungen nicht auf einen abstrakten Rechtsuntertanen, sondern auf den w i r k l i c h e n Menschen, der i n der Gemeinschaft u n d Gesamtheit seiner rechtlichen u n d sozialen Beziehungen lebe 1 5 9 . Das Verbrechen als die negative Erscheinung des menschlichen Gemeinschaftslebens gebiete, es nicht als Einbruch i n die Rechtsgüterwelt, sondern als einen „unerträglichen Widerspruch zur völkischen Sittenordnung" aufzufassen 160 . So komme es, daß „die Tatbestände sich nicht einfach als Verursachungsvorgänge verstehen lassen" 1 6 1 , sondern daß man über das Verbotensein erst i n der „Lehre von den subjektiven Voraussetzungen des Verbrechens" etwas erfahre 1 6 2 . Die Verwandtschaft dieser Lehren m i t den früheren subjektivistischen Lehren etwa Merkels, H o l d v o n Fernecks u n d Kohlrauschs ist trotz der veränderten Argumentation offensichtlich. Z w a r ist die Bedeut u n g des Unterschieds zwischen bürgerlichem u n d verbrecherischem U n recht i n den Hintergrund getreten; f ü r das verbrecherische Unrecht aber w i r d der Blick umso intensiver auf den Täter gelenkt, der sich als Person gegen die Rechtsordnung auflehnt. Die Nachteile dieser Lehren liegen denn auch ebenfalls auf der Hand: Wie es für Schaff stein keine Trennung zwischen Rechtswidrigkeit u n d Schuld geben kann, w e i l Recht u n d Sittlichkeit identisch sind 1 6 3 , so sind auch f ü r Mayer Rechtsw i d r i g k e i t u n d Schuld aufs engste miteinander verschlungen: „Das Urteil, eine Handlung sei widerrechtlich, kann n u r dann sinnvollerweise gefällt werden, w e n n zugleich vorausgesetzt w i r d , daß die w e i tere u n d zu unterscheidende Frage nach der Schuld oder besser der Verantwortlichkeit bejaht werden k a n n " 1 6 4 . Wie Schaffstein betonte auch E r i k Wolf, der sich auf anderem (später zu besprechendem) Wege der personalen Unrechtslehre genähert hatte: „Es gibt kein schuldfreies U n r e c h t " 1 6 5 . U n d gerade u m dieses Nachteils w i l l e n : w e i l sie die klare Unterscheidung zwischen Unrecht u n d Schuld aufhoben, erfuhren die neuen Lehren überwiegend A b l e h n u n g 1 6 6 . Schien es doch 1 6 7 , daß die 158 159 160 161 162 183

S. 137. 164

H. Mayer, a.a.O., S. 162. H. Mayer i n DStR 1938, 96. H. Mayer, Strafrecht (1936), S. 162 (im Anschluß an Schaffstein). H. Mayer, a.a.O., S. 168. H. Mayer, a.a.O., S. 169. Schaff stein i n DStR 1935, 101 f., und: Verbrechen als Pflichtverletzung,

H. Mayer, Straf recht (1936), S. 225; s. a. Allg. T. (1953), S. 102. E r i k Wolf i n Z A k D R 1936, 362. Schwinge/Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken, S. 33; Nagier i n LeipzKomm (6. Aufl.), S. 14 f.; Mittermaier i n ZStrR 52, 209 ff. u. a. 167 Vgl. Boldt i n ZgStaatsW 96, 475 (506). 165

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Abkehr vom Verletzungsdogma und die stärkere Berücksichtigung subjektiv-personaler Merkmale für den Unrechtsgehalt der Tat die Scheidung von Unrecht und Schuld überhaupt ausschloß oder wenigstens i n Frage stellte! Ihren entscheidenden Durchbruch erlebte die personale Unrechtsauffassung dann jedoch i n den Arbeiten von G a l l a s 1 6 8 . Nach seiner A u f fassung beruht die überkommene Ansicht, daß das Verbrechen sich i n dem störenden Eingriff i n fremde Interessen (Rechtsgüter) erschöpfe 169 , auf einer verfehlten Anschauung des Staates als einer Gesellschaft unabhängiger Individuen, deren reibungsloses Nebeneinanderleben die Rechtsordnung garantieren soll. Nur i n einem solchen Staat beschränke sich nämlich die Aufgabe des Strafrechts auf eine Schutzfunktion. Nach richtiger Auffassung sei aber der Staat eine lebendige ethische Gemeinschaft der i n i h m verbundenen Mitglieder. Diesem Staatsgedanken entspreche ein vom Gemeinschaftsgedanken beherrschtes Strafrecht. Und für das Wesen des Verbrechens folge hieraus, daß es, als die negative Seite des Gemeinschaftslebens, von der Gemeinschaftsethik ebenfalls beeinflußt ist. Verbrecherisches Unrecht liege demnach nicht schon i n der Rechtsgutsverletzung, sondern erst i n der Gemeinschaftswidrigkeit, i n einem rechtsethisch zu mißbilligenden, pflichtwidrigen Verhalten 1 7 0 . Dieses könne aber nur durch eine Zusammenschau von Tat und Täter erfaßt werden. „Die verbrecherische Tat ist nicht allein Störung der äußeren Ordnung oder formaler Ungehorsam gegen ein Rechtsgebot, sondern darüber hinaus ein sittlich verwerfliches Tun, ein Verhalten, i n dem das erschütterte Verhältnis des Täters zur Gemeinschaft, sein innerer Abfall, seine gemeinschaftswidrige Gesinnung zum Ausdruck kommt. Daher w i r d die Tat-Täter-Beziehung, die personale Seite des Verbrechens betont. Während der Täter bisher nur als der verantwortliche Urheber eines Geschehnisses, das seinen Unwert als Störung der äußeren Ordnung i n sich trug, angesehen wurde, w i r d er nunmehr zu einem den Sinngehalt des Verbrechens bestimmenden Faktor, vom normunterworfenen Rechtssubjekt zum Glied einer ethisch verpflichteten Gemeinschaft" 171 . Nur von hier aus gesehen enthüllten die personalen Merkmale des Unrechts ihren wahren Sinn: „Es sind Merkmale, die den sozial-ethischen Unwertgehalt der Tat mitbestimmen" 1 7 2 . 188

Gallas i n Gleispach-Festschrift (1936), S. 50 ff., u n d i n ZStW 60, 374 ff. Besonders charakteristisch f ü r diese Auffassung sind die Stellungnahmen v. Liszts, Lehrbuch- (13. Aufl.), S. 139, u n d Mezgers, Lehrbuch, S. 98, zum Unrechtsproblem. 170 Ebenfalls legten früher Kohlrausch/Lange, StGB (38. Aufl.) § 1 Vorbem. I, den Akzent nicht auf die Rechtsgüter-, sondern auf die Pflichtverletzung. 171 Gallas i n ZStW 60, 374 (379). 172 Gallas i n ZStW 60, 374 (387). 189

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Gleichzeitig wies Gallas erstmals darauf hin, daß eine Revision des Unrechtsbegriffs durch die Einbeziehung personaler Elemente auch vor dem Handiungsbegriff nicht halt machen dürfe, w e i l eine kausal-mechanische Handlungslehre und eine personale Unrechtsauffassung nicht miteinander zu vereinbaren seien. So gelangte er schließlich zu der Folgerung, daß n u r ein Handlungsbegriff, der die Tat als zielstrebiges menschliches Verhalten erfaßt, taugliches Substrat für sozialethische Wertungen sei; denn nicht erst für die Wertung des Sachverhalts, sondern schon bei der Feststellung des Wertungsgegenstandes müßten diese personalen Züge berücksichtigt werden: also beim Erfassen der Handlung173. Ergänzt wurden die Untersuchungen von Gallas durch die Ausführungen H e l l m u t h v. W e b e r s über die „finale" Struktur vieler Verbrechensmerkmale. Während es bei den kausal aufgebauten Tatbeständen für das Unrecht nicht auf die Psyche des Täters ankomme, sei bei den finalen Tatbeständen (z. B. Wilderei, Widerstand gegen die Staatsgewalt) das Verhalten begrifflich erst durch ein Zurückgehen auf den W i l l e n des Täters erfaßt; die innere Willensrichtung, der Willensinhalt, kennzeichne das Verhalten als tatbestandsmäßig (z. B. dem Wilde nachstellen, Widerstand leisten) 1 7 4 . So werde das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung zum unrechtsbestimmenden Faktor, der Vorsatz also zum allgemeinen subjektiven Unrechtselement 1 7 5 . Etwa gleichzeitig stellte i n der Schweiz G e r m a n n dem Verbrechensbegriff als wesentliche positive Grundlage den deliktischen Willensentschluß, den Vorsatz, voran und gab i h m damit Bedeutung sowohl für das Unrecht als auch für die Schuld 1 7 6 . Für sehr bedeutsam erklärte er darüber hinaus die Motive des deliktischen Willens, die Gesinnung des Täters und seinen Charakter sowie alles, was man als Persönlichkeitsadäquanz seiner Tat bezeichne 177 .

Da schließlich auch Graf zu Dohna 1 7 8 , H e l l m u t h Mayer 179 und Richard Lange180 darauf hinwiesen, daß die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Handlung von der Willensrichtung des Täters abhängig sein könne, war es Bockelmann möglich, 1940 als die herrschende Meinung zu bezeichnen, „daß es bestimmte personale 4 Verbrechenselemente gibt, daß ihre Einordnung i n das überkommene System Schwierigkeiten macht und daß es zweifelhaft ist, ob die subjektiven Unrechtselemente 173 174 175 176 177 178 179 180

Gallas i n ZStW 60,374 (389). v. Weber, Aufbau, S. 8 ff. v. Weber i n DJZ 1931, 666 f., und Aufbau, S. 25. Germann, Verbrechen (1942), S. 142. Germann, a.a.O., S. 54. Graf zu Dohna i n MoKrimPsych 1934, 177 f., s. auch Aufbau, S. 22 f. H. Mayer, Allg. T., S. 208 ff. R. Lange, Moderner Täterbegriff, S. 26 f., 59 ff.

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eine befriedigende Lösung sind, da damit die Ausnahmen allmählich zur Regel werden" 1 8 1 . — Die Diskussion der Nachkriegszeit war mit dem Streit um die „finale Handlungslehre" so ausgefüllt, daß über der Handlung zunächst das Unrecht etwas i n den Hintergrund trat. Aber hatte nicht Gallas gesagt: „ N u r ein Handlungsbegriff, der die Tat als zielstrebiges menschliches Handeln erfaßt, ist taugliches Substrat für sozialethische Wertungen, wie sie unser Unrechtsbegriff enthält" 1 8 2 ? Und mußte deshalb nicht die finale Handlungslehre die Probe aufs Exempel sein, ob ein personaler Unrechtsbegriff überhaupt konsequent durchführbar sei? W e 1 z e 1 nahm es jedenfalls so, als er schrieb: „Seitdem sich gezeigt hat, daß die Elemente des Rechtsgüterschutzes das strafrechtliche Unrecht nicht erschöpfen, geht es nicht an, für eine Deliktsgruppe (für die Delikte m i t subjektiven Unrechtselementen) einen anderen Unrechtsbegriff zugrunde zu legen als für die übrigen Straftatbestände. . . . Auch bei den Delikten ohne (spezielle) subjektive Unrechtselemente ist Unrecht niemals bloß die 'objektive' Rechtsgüterverletzung, sondern sozialethisch unerträglicher A k t , d. h. es umfaßt auch den subjektiven Tatbestand, also den Vorsatz als generelles subjektives Unrechtselement — andernfalls gerät man i n Teufels Küche" 1 8 3 ! Welzel behauptet nicht, i m personalen Unrecht einen für alle Rechtsgebiete geltenden Unrechtsbegriff i n Händen zu halten; er anerkennt vielmehr „ein spezifisch strafrechtliches Unrecht, wie es ein spezifisch zivilrechtliches oder verwaltungsrechtliches Unrecht g i b t " 1 8 4 . Ferner kommt bei i h m nicht zum Ausdruck, welches der eigentliche Unterschied zwischen diesen Unrechtsarten ist. Wesentlich allein ist ihm, daß „der personale Handlungsunwert der generelle Unwert aller strafrechtlichen Delikte i s t " 1 8 5 . Dies ist der bisher stets gleich gebliebene Gehalt der finalen Handlungs- und Unrechtslehre, mag sie sich i n ihrer Einzelausgestaltung noch so sehr und noch so häufig gewandelt haben. Selbst ein Gegner der finalen Handlungslehre wie Nowakowski betont: „Den Aktunwert als die entscheidende und unabdingbare Unwertqualität des Verbrechens klar erfaßt und herausgestellt zu haben, ist vielleicht Welzels fundamentalste Leistung" 1 8 6 . 181

Bockelmann i n Z S t W 60, 417 f. Gallas i n ZStW 60, 374 (389). Welzel, U m die finale Handlungslehre, S. 15. 184 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 47. 185 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 57. 188 Nowakowski i n J Z 58, 415 (416). — Anregung, die Handlung als alleinigen Träger des strafrechtlichen Unwerturteils anzusehen, hatte Welzel von Scheler u n d H a r t m a n n erhalten. Scheler schied die Handlungswerte, welche bei i h m i n enger Verbindung zu den Gesinnungswerten stehen, von den Erfolgswerten (Formalismus, S. 121) u n d erkannte n u r jenen sittlichen Charakter zu, während i h m „alle Erfolge des sittlichen Handelns f ü r den sittlichen Wert der 182

183

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Welzel stellt den Handlungsunwert dem von der objektivistischen Unrechtslehre einseitig i n den Vordergrund gerückten Erfolgsunwert gegenüber: „Jede menschliche Handlung, i m guten wie i m schlechten, unterliegt zwei verschiedenen Wertaspekten. Sie kann einmal nach dem Erfolg bewertet werden, den sie herbeiführt (Erfolgs- oder Sachverhaltswert), zweitens aber auch unabhängig vom Erreichen des Erfolges schon nach dem Sinne der Tätigkeit als solcher (Aktwert)" 1 8 7 . Für das Strafrecht seien beide Wertarten von Bedeutung. Zunächst sei der Wert bestimmter Lebensgüter für die Gemeinschaft Richtschnur des strafrechtlichen Schutzes. Doch werde der Schutz nicht dadurch erreicht, daß die Verletzung der Rechtsgüter u m jeden Preis verboten würde, sondern indem die auf Rechtsgüterverletzung abzielenden Handlungen unter Strafandrohung gestellt werden: also „Verhinderung der Sachverhalts» oder Erfolgsunwerte durch Pönalisierung der A k t u n w e r t e " 1 8 8 . „Die zentrale Aufgabe des Strafrechts liegt darin, durch Strafdrohung und Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlichen Handelns die unverbrüchliche Geltung dieser Aktwerte sicherzustellen" 189 . Falsch sei es, Recht oder Unrecht einer Handlung nach dem Grade ihrer Sozialnützlichkeit oder Sozialschädlichkeit zu bemessen. Denn dabei werde übersehen, daß es dem Strafrecht weniger auf das aktuelle positive Ergebnis der Handlung als auf die bleibende positive Handlungstendenz der Rechtsgenossen ankommen müsse. „Die Achtung vor den Rechtsgütern (also der Geltung der Aktwerte) zu sichern, ist wichtiger, als i m aktuellen Einzelfall ein positives Ergebnis zu erreichen" 1 9 0 . Den Menschen erreicht die Rechtsordnung nach Welzels Meinung durch ihre Normen, d. h. durch Verbote oder Gebote. I m Gegensatz zu den bisherigen Vertretern des subjektiv-personalen Unrechts hält Welzel aber nicht die Persönlichkeit des Normadressaten, des Täters, für Personen, Akte, Handlungen vollständig gleichgültig" waren (S. 131). Straft das Recht, w i e Welzel es annimmt, „den w i r k l i c h e n A b f a l l von den rechtlichen Gesinnungs werten" (Dtsch.Strafr. S. 2), so erscheint es i n der Tat folgerichtig, den Erfolgsunwert aus der strafrechtlichen Betrachtung auszuscheiden. Obw o h l Welzel i m übrigen die materiale Wertethik Schelers ablehnt (Neues Bild, S. V), k a n n er bezüglich der verschiedenen Wert träger doch auf der Unterscheidung Schelers fußen. — Ä h n l i c h w i e Scheler legte auch Hartmann, dessen Lehre von der F i n a l s t r u k t u r allen Handelns f ü r Welzel so fruchtbar wurde, das entscheidende Gewicht auf die A k t e als Träger sittlicher Werte. W i r lesen bei i h m : „Die sittlichen Werte haften nicht den gesetzten Zwecken als solchen an, sondern den auf sie gerichteten A k t e n u n d letzten Endes dem Subjekt der A k t e Handlung, Wille, Gesinnung — bis i n die innerste, rein gefühlsmäßige Stellungnahme hinein — sind die Träger der eigentlich sittlichen Werte" (Ethik, S. 186 f.). 187 Welzel, a.a.O., S. 1. 188 Welzel, a.a.O., S. 2. 189 Welzel, a.a.O., S. 2. 190 Welzel, a.a.O., S. 3.

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den Charakter der Normen entscheidend, sondern allein die Struktur seiner Handlungen. „Die finale S t r u k t u r des menschlichen Handelns ist für die strafrechtlichen Normen schlechthin konstitutiv. Rechtsnormen . . . können sich nicht an blinde Kausalprozesse, sondern n u r an Handlungen wenden, die die Zukunft zwecktätig zu gestalten vermögen" 1 9 1 . Gleichwohl ist die Täterpersönlichkeit für i h n nicht gleichgültig. I m Gegenteil: „Rechtswidrig ist die Handlung nur als Werk eines bestimmten Täters: Welche Zielsetzung er der objektiven Tat zwecktätig gegeben, aus welcher Einstellung heraus er sie begangen hat, welche Pflichten i h m dabei oblagen, all das bestimmt maßgeblich das Unrecht der Tat neben der etwaigen Rechtsgüterverletzung. Rechtswidrigkeit ist immer die Mißbilligung einer auf einen bestimmten Täter bezogenen Tat. Unrecht ist täterbezogenes, 'personales' Handlungsunrecht" 1 9 2 . Generelles subjektiv-personales Element des Unrechts ist für Welzel der Vorsatz 193. Dem Vorsatz zur Seite treten besondere subjektiv-personale Momente, welche den sozial-ethischen Gehalt der Handlung i n einem bestimmten Sinne färben: die Absichten, Handlungstendenzen und besonderen Gesinnungstendenzen 194 . Sie alle gehören nicht zur Schuld, w e i l diese nur die Vorwerfbarkeit eines bestimmten Handlungswillens ist, nicht aber die Besonderheit des Handlungswillens i n seinen besonderen Beweggründen und Zwecken selbst charakterisiert 1 9 5 . So sehr Welzel immer wieder die Möglichkeit schuldlosen Unrechts betont 1 9 6 , unerörtert bleibt bei i h m doch, wie denn das Gesetz A k t u n werte soll verbieten können, wenn der Täter das Verbot wegen genereller oder konkreter Rechtsblindheit nicht erkennen kann. Auskunft erhalten w i r hierauf indessen bei Welzels Schüler A r m i n Kaufm a n n , welcher sich dem Problem i n seiner Untersuchung über „ B i n dings Normentheorie" ausführlich gewidmet h a t 1 9 7 . Jeder Rechtsnorm, so meint Kaufmann i m Anschluß an die Imperativentheoretiker, sei die Beziehung auf Menschen wesentlich 1 9 8 ; sie könne daher vom Menschen sinnvollerweise n u r das verlangen, was er zu erfüllen vermöge 1 9 9 . Da jedes menschliche Vermögen aber immer n u r i n der Vornahme von Handlungen bestehe, werde nur der Handlungsfähige durch Normen verpflichtet 2 0 0 . Dies w a r n u n freilich auch der Standpunkt Bindings, und 191 Welzel, a.a.O., S. 33; vgl. allerdings auch S. 28: „Das Strafrecht kann sich nur darum, weil der Mensch zum Vollzug zweckbewußter Handlungen fähig ist, gebietend oder verbietend an den Menschen wenden." 192 Welzel, a.a.O., S. 56. Siehe dazu schon oben S. 11. 193 Welzel, a.a.O., S. 59. 194 Welzel, a.a.O., S. 71 ff. 195 Welzel, a.a.O., S. 125,73 (allerdings einschränkend). 196 Welzel, a.a.O., S. 124 f. 197 Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 102 ff. 198 Kaufmann, a.a.O., S. 105. 199 Kaufmann, a.a.O., S. 106. 200 Kaufmann, a.a.O., S. 106 f.

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so könnte man meinen, daß damit die finale Handlungslehre den alten Einwänden gegen die Konfundierung von Unrecht und Schuld ausgesetzt sei. Indessen liegt der entscheidende Unterschied gegenüber den früheren Auffassungen i n der andersartigen Bestimmung der Handlungsfähigkeit. N u r dreierlei ist nämlich bei Kaufmann für die Handlungsfähigkeit vorausgesetzt: Kenntnis des Tatobjekts, Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Realisierbarkeit 2 0 1 . Die Entschließungsfähigkeit des Menschen, seine Motivationsfähigkeit aus Werteinsichten, w i r d nicht berücksichtigt 2 0 2 . Ist damit die „Sackgasse, i n der sich die Unrechtslehre m i t der I m perativentheorie festgerammt h a t t e " 2 0 3 , gemieden? M a i h o f e r hat diese Frage verneint und die Schwierigkeiten imperativer Rechtsauffassung dadurch zu meistern versucht, daß er i m Täter nicht das Selbstsein der konkreten Täterpersönlichkeit begreift, sondern auf das „ A i s sein" abstellt: auf die i n jedem Täter enthaltene Sozialperson 204. Auch Maihofer geht wie Welzel davon aus, daß alles Recht auf menschliches Verhalten bezogen sei 2 0 5 und daher seine Aufgabe, Interessen (Rechtsgüter) zu schützen, nur durch die Aufstellung von Verhaltensnormen erfüllen könne 2 0 8 . Adressat dieser Verhaltensnormen ist i h m aber — und hier stellt er sich i n Gegensatz zu Kaufmann und Welzel — der Mensch nur als durch rechtlich-soziale Kategorien fassbarer Rechtsgenosse, als objektivierte „Person" 2 0 7 . Es ist unschwer zu sehen, daß damit der einleitend charakterisierte „personale Unrechtsbegriff" Hegels, welcher das verbrecherische U n recht als Schein des Rechts für die abstrakte Persönlichkeit begreift, wieder auferstanden ist. Seine unmittelbare Herkunft hat der PersonBegriff Maihofers indessen von E r i k W o l f s Studie über das „Wesen des Täters" (1932), auf die w i r daher an dieser Stelle kurz eingehen wollen. Von einer „wesenswissenschaftlichen Personlehre" geleitet versucht Wolf, zu einem allgemeinen strafrechtlichen Täterbegriff und zum Aufbau einer systematischen Tätertypologie zu gelangen 2 0 8 . Wolf sieht den Täter eingebettet i n den Lebensraum der K u l t u r 2 0 9 . I n i h m erscheint er nicht als Individuum, sondern i n seiner menschlichen Personhaftigkeit 2 1 0 . Er ist nicht bloßer Zuordnungsendpunkt bürgerlicher 201

Kaufmann, a.a.O., S. 140 f. Kaufmann, a.a.O., S. 43 f.; vgl. auch Kaufmann, S. 38 f. 208 Maihofer i n Schmidt-Festschrift, S. 156 (168). 204 Maihofer i n Rittler-Festschrift, S. 141 (163). 205 Maihofer, a.a.O., S. 142,149. 206 Maihofer, a.a.O., S. 149. 207 Maihofer, a.a.O., S. 148. 208 E r i k Wolf, V o m Wesen des Täters, S. 13. 209 Wolf, a.a.O., S. 14 f. 210 Wolf, a.a.O., S. 19. 202

Unterlassungsdelikte,

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oder öffentlicher Rechte (Rechtssubjekt), sondern darüber hinaus w i l lentlicher Mitträger der Rechtsgemeinschaft 211 . Als solcher ist er Adressat der Rechtsnormen, der i n unseren Gesetzen meist abstrakt als „Wer" umschrieben w i r d und sich nur i n Ausnahmefällen zur „Frau", zum „Mann", zur „Mutter", zum „Beamten" oder „Kaufmann" konkretisiert 2 1 2 . Während das Gesetz nur einen sehr formellen Täterbegriff kennt 2 1 3 , muß nach Wolfs Meinung der Richter zu einem materiellen Täterbegriff vorstoßen, w i l l er nicht i n formalem Schematismus „ohne Ansehen der Person" richten, sondern der individuellen Gerechtigkeit zum Siege verhelfen 2 1 4 . Der Richter darf sich daher nicht mit dem Verbrechen als einem natürlichen oder geschichtlichen Ereignis befassen, sondern muß zu einer subjektiv-normativen Wertung durchstoßen. Dies aber ist „nicht möglich ohne Rückgriff auf innere Einstellungen der an der Tat Beteiligten, ohne Wissen und Verständnis ihrer 'Parallelwertung' der Tatbestandselemente, kurz: ohne einen Begriff vom Täter i m materiellen Sinn" 2 1 5 . Besonders deutlich werde die Notwendigkeit eines materiellen Täterbegriffs bei den Absichts- oder Tendenzdelikten 216 , ja überhaupt bei den „sog. subjektiven Tatbestandselementen, deren geheimnisvoll dunkle Existenz nun auf einmal lichtvoll w i r d : sie gehören nicht zur Schuld, nicht zur Tatbestandsmäßigkeit i m Sinne der äußeren Handlungsbeschreibung, auch nicht u m objektiven Unwerturteil über den Deliktstypus, d. h. also zur Rechtswidrigkeit; sie sind vielmehr Merkmale der Typen der Täterschaftsmäßigkeit, die den Typen der Tatbestandsmäßigkeit gleichberechtigt als unvollkommene Versuche gesetzlicher Tätertypisierung zur Seite treten" 2 1 7 . Ein absichtlos begangener Betrug bleibt straflos; aber nicht weil es am äußeren Geschehen fehlte, sondern weil kein Täter, kein Betrüger da ist 2 1 8 . Der Mensch nicht i n seiner jeweiligen Individualität, sondern i n seiner Typizität für die Welt des Rechts ist also nach Wolfs Meinung der Täter der Tat 2 1 9 . Und an diesen „echt" personalen Täterbegriff knüpft Maihof er nunmehr an 2 2 0 . Maihofer w i r f t der personalen Unrechtslehre Welzels vor, sie vermöge die einmal eingeschlagene Richtung auf eine Subjektivierung des Unrechtsbegriffs h i n nicht durchzuhalten; denn 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220

Wolf, a.a.O., S. 15. Wolf, a.a.O., S. 20. Wolf, a.a.O., S. 21. Wolf, a.a.O., S. 22. Wolf, a.a.O., S. 23. Wolf, a.a.O., S. 24. Wolf, a.a.O., S. 25. Wolf, a.a.O., S. 29. Wolf, a.a.O., S. 31 f. Maihofer, a.a.O., S. 148.

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überall i m Strafrecht machten sich Elemente geltend, welche einem ganz anderen, nämlich objektiv-personalen Bereich angehören: der objektiven Pflichtenstellung des Täters 2 2 1 . Nicht darauf komme es an, was der Täter nach seinen konkreten Einsichten und Fähigkeiten zu vollbringen i n der Lage war, sondern was man eigentlich sollte und könnte 2 2 2 . Daher verfehle der Täter den vom Gesetz vorgeschriebenen Verhaltensstandard schon dann, wenn er als „vernünftiger Mensch" hätte anders handeln können 2 2 3 . Es ist nicht schwer zu bemerken, daß i n dieser Auffassung Maihofers das Adressatenproblem der Imperativentheorie von vornherein sein Gewicht verloren hat. Denn die „vernünftige Person" Maihofers ist stets ein Mensch, welcher Recht oder Unrecht seiner Tat zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln i n der Lage ist. Aber, so ist k r i tisch zu fragen, läßt sich das Personsein des Menschen i n der Tat so aufteilen, „daß sich das Aissein neben das Selbstsein stellt und beide Seinsweisen einen eigenen Sachverhalt derart scharf abgrenzen, daß sie zur Grundlage zweier voneinander unabhängiger Werturteile taugen" 2 2 4 — Obwohl viele Autoren sich der Lehre vom personalen Unrecht angeschlossen haben 2 2 5 , hat es an kritischen Gegenstimmen bis i n die jüngste Zeit hinein nicht gefehlt. M a u r a c h hält diesen Begriff für „geeignet, die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld zum Verschwinden zu bringen und damit eine gesichert erschienene Erkenntnis der Wissenschaft wieder fragwürdig zu machen" 2 2 6 . Und W ü r t e n b e r g e r sieht „keinen zureichenden Grund, das personale Element als Hauptkennzeichen des Tatunrechts anzusehen und die objektiven Gesichtspunkte i n den Hintergrund zu schieben, wie es i m Rahmen der Lehre vom personalen Unrecht geschieht" 227 . Mache man die gesinnungsmäßige Einstellung des Täters zum Kern des Unrechts, wie etwa Welzel es tue, so beseitige man die Trennungslinie zwischen Unrecht und Schuld 2 2 8 . Würtenberger selbst geht es darum, „gegenüber den neueren Versuchen, durch Verlagerung des Unrechtsgehalts ins Personale eine vor221

Maihof er, a.a.O., S. 145. Maihof er, a.a.O., S. 152 f. 223 Maihof er, a.a.O., S. 157 f. 224 Krauß i n ZStW 76, 19 (37). 225 Uneingeschränkt A r m i n Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 71 ff. u. ö.; Stratenwerth i n ZStR 79, 233 ff.; Niese, Finalität, Vorsatz, Fahrlässigk e i t ; sämtliche i m Anschluß an Welzel i n ZStW 51, 718 ff., 53, 504 ff. u. ö. Eingeschränkt Krauß i n ZStW 76, 19 (38 ff.); Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 29 ff.; Gallas i n ZStW 67,1 (35, 38 ff.); Schmidhausen Gesinnungsmerkmale, S. 161 ff. u. a. 226 Maurach, A l l g . T. S. 191. 227 Würtenberger, Geistige Situation, S. 52. Ä h n l i c h Lang-Hinrichsen in JR 52, 184 (190). 228 Würtenberger, a.a.O., S. 57. 222

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nehmlich i m Subjektivismus gründende Verbrechenslehre aufzubauen, den Rangwert des Rechtsgutsgedankens innerhalb der Dogmatik stärker zu betonen und damit das bedrohte Fundament einer objektiven Unrechtsbegründung wieder zu befestigen" 229 . Solchen objektivistischen Standpunkt bevorzugt auch B i n d o k a t : „Die Unterscheidung von Erfolgs- und Handlungsunwert", meint er, „leistet nichts. Der Erfolgsunwert begründet nicht unbedingt die Rechtswidrigkeit, der A k t w e r t heilt nicht den Erfolgsunwert. Entscheidend ist vielmehr, ob die Rechtsordnung den Eingriff gestattet oder nicht" 2 3 0 . Welzels Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsunwert gefährde darum nur die Einheit der Rechtsordnung 231 . Da auch von zivilrechtlicher Seite wiederholt Bedenken gegen den personalen Unrechtsbegriff geäußert worden sind 2 3 2 , ist letzthin die Bemerkung Würtenbergers nicht ganz unberechtigt, es habe den Anschein, „daß allen Bestrebungen der Anhänger der Lehre vom ,personalen Unrecht' zum Trotz heute der Rechtsgutsgedanke als Hauptkriterium der Unrechtsbegründung wieder stärker i n den Vordergrund rückt" 2 3 3 , daß also die objektivistische Unrechtsauffassung noch durchaus am Leben sei und sich wachsenden Ansehens erfreue 234 . A m konsequentesten w i r d solcher objektivistischer Standpunkt heute noch i n Österreich vertreten, so daß sich Engisch veranlaßt sah, geradezu von einer „objektivistischen österreichischen Schule" zu sprechen 235 . Rittler, Kadelka, Malaniuk und Nowakowski sind ihre hauptsächlichen Vertreter. Da von ihnen Nowakowski wiederholt auch i n die deutsche Diskussion eingegriffen hat 2 3 6 , sei es gestattet, seine Lehre hier stellvertretend für alle übrigen österreichischen Objektivisten kurz zu kennzeichnen. Für N o w a k o w s k i gibt es nur zwei Möglichkeiten, das Wesen der Rechtswidrigkeit zu deuten: entweder man bestimmt die Rechtswidrig229

Würtenberger, a.a.O., S. 58 f. Bindokat i n J Z 58, 553 (557). 231 Bindokat, a.a.O., Zustimmend auch Kohlrausch/Lange, StGB System. Vorbem. I I I 1. 232 Baur i n AcP 160, 465 ff.; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 214; Larenz i n : V o m deutschen zum europäischen Recht (Festschrift f ü r Dölle), Bd. 1 S. 165 ff.; Lehmann i n : Festschrift für Hedemann, S. 188 ff.; Reinhardt i n JZ 61, 713 ff.; Rudolf Schmidt i n N J W 58, 488; Stoll i n J Z 58, 137 ff.; Weitnauer i n N J W 62, 1190 u. a. 233 würtenberger, a.a.O., S. 58. 234 Unzutreffend allerdings Horn, Rechtswidrigkeit, S. 89 f.: „Die objektive Natur der Rechtswidrigkeit w i r d k a u m ernsthaft bestritten . . . ; sie w i r d aber trotz ihrer allgemeinen Anerkennung von der heute i n Deutschland h e r r schenden Meinung i n wichtigen Fällen nicht beachtet." 235 Engisch i n : Rittler-Festschrift, S. 165 (170 A n m . 5). 236 v g l . insbesondere Nowakowski i n J Z 58, 335 ff. u n d 388 ff. 230

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keit objektiv; dann muß man sämtliche subjektiven Elemente aus dem Unrecht verbannen. Oder man schlägt umgekehrt auch alle subjektiven Merkmale zum Unrecht, soweit sie als Eigenschaft der Angriffshandlung gedacht werden können; dann werden Gesinnungen, Motive, Ziele sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit des Täters unrechtserheblich 257 . Jede vermittelnde Meinung entbehre der wissenschaftlich zwingenden Begründung. So sei es beispielsweise unmöglich, beim Versuch die Ansicht zu vertreten, daß die subjektive Tatseite zum Unrecht gehöre, dies aber beim vollendeten Delikt zu leugnen. Denn allein u m der Tatsache w i l len, daß ein objektives Unrecht hinzutritt, könne die subjektive Tatseite doch nicht u m einen Unwertakzent ärmer werden 2 3 8 . Wer einmal beim Versuch eine nur subjektive, bei schuldloser Verwirklichung des Deliktstatbestandes eine rein objektive Unrechtsbegründung anerkenne, komme u m die Konsequenz eben nicht herum, bei vorsätzlicher Vollendung des Delikts ein objektives und ein subjektives Unrechtselement nebeneinander anzunehmen 238 . Bei der Frage, welcher der beiden allein folgerichtigen Lösungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben ist, sind für Nowakowski folgende Erwägungen maßgeblich: Das geltende Recht nötigt nicht zur Annahme subjektiver Unrechtselemente. Bei den Absichtsdelikten, bei denen der Wille des Täters auf die Beeinträchtigung eines Schutzobjekts gerichtet ist, das selbst außerhalb des gesetzlich normierten Tatbildes bleibt, sowie beim Versuch läßt sich das subjektive Moment vollkommen objektivieren. Rechtswidrig ist hier allemal nicht das Wollen, sondern das Gewollte, so daß der Wille zwar auf etwas Rechtswidriges gerichtet, niemals aber selbst rechtswidrig, sondern nur schuldhaft sein kann. Entgegen der „eingefleischten Gewohnheit, daß alles Strafbare auch rechtswidrig sein müsse" 2 3 9 , kommt Nowakowski für die Absichtsdelikte wie für alle versuchten Verbrechen zu dem Ergebnis: „Das Verbrechen ist nicht rechtswidrig, sondern nur schuldhaft. Aber die Schuld ist inhaltlich an etwas Rechtswidrigem orientiert. Dazu ist nicht erforderlich, daß es auch verwirklicht ist 2 4 0 ." Für die Tendenzdelikte, deren Hauptbeispiel die unzüchtige Handlung ist, schließt sich Nowakowski einer bereits von Beling und Rittler vertretenen Meinung an, daß das scheinbar subjektive Merkmal („unzüchtig") i n Wahrheit komplex sei und außer der Gesinnung des Täters auch eine objektive Eigenschaft der Handlung umschreibe: die das Geschlechtliche betreffende besondere Artung. Nur i n dieser letzten Hin237 238 239 240

Nowakowski Nowakowski, Nowakowski, Nowakowski,

i n ZStW 63, 287 (313). a.a.O., S. 314. a.a.O., S. 299. a.a.O., S. 315 f.

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sieht unterliege es dem Rechtswidrigkeitsurteil; die (wollüstige) Gesinnung hingegen gehöre zur Schuld 2 4 1 . Fehle subjektiven Merkmalen die komplexe Natur, so gehörten sie folgerichtig nur zur Schuld; für die Rechtswidrigkeit seien sie bedeutungslos. Nowakowski zitiert i n diesem Zusammenhang die Merkmale „aus Gewinnsucht", „aus Eigennutz" und „ u m seines Vorteils w i l l e n " 2 4 2 , ferner die sog. Ausdrucksdelikte (z. B. die „glaubhafte Kenntnis" bei der unterlassenen Verbrechensanzeige) und den Überzeugungseid 243 . Läßt sich i n all diesen Fällen die Trennung objektiv ( = rechtswidrig) — subjektiv ( = schuldhaft) sauber durchführen, so ist für Nowakowski noch einmal bestätigt, daß zumindest für das geltende Recht die objektivistische Unrechtsauffassung, welche die Rechtswidrigkeit nach der Beeinträchtigung einer geschützten Lebenslage bestimmt 2 4 4 , das zureichende Erklärungsprinzip abgibt. Jede subjektivistische Lehre müsse ja ebenfalls damit beginnen, den Erfolg einer Tätigkeit dogmatisch zu erfassen; denn von i h m her erhalte auch der Handlungswille erst seinen Unwert. Für die Bestimmung des Erfolgsunwertes aber stelle die subjektive Lehre die notwendigen M i t t e l nicht bereit, andernfalls müßte sie dem subjektiven Unrecht der Finalität ein objektives, auf der Rechtsgutsverletzung beruhendes, vorlagern und somit eine Verdoppelung der Begriffe i n Kauf nehmen. „Das Strafgesetzbuch enthält nicht nur Deliktstypen m i t final gefaßten Tatbeständen. Auch für das Gebiet vorsätzlicher Begehung sind sie i n der Minderzahl. Die Unterscheidung von Versuch und Vollendung und damit der dogmatische Aufbau des vollendeten Delikts beruhen auf der Kausalität. . . . A l l das verlangt die Gegenüberstellung von Erstrebtem und Bewirktem, von subjektivem Wollen und objektivem Verursachen 245 ." I n der subjektiven Unrechtslehre komme dieses zweite Element nicht entsprechend zum Ausdruck. — So stehen sich i n der heutigen Diskussion extrem objektivistischer und extrem subjektivistischer Standpunkt unversöhnt gegenüber. Keiner von ihnen hat den endgültigen Sieg erringen können, und auch die zahlreichen vermittelnden Ansichten erfreuen sich jeweils nur begrenzter Zustimmung. Daher liegt der Gedanke nahe, daß die geschichtliche Entwicklung i m Grunde nur die Unmöglichkeit entfaltet, Unvereinbares zu vereinen: daß die objektive Ordnung des Rechts und die Individualität der Person nicht zusammengeführt werden können, ohne daß an der einen oder anderen Stelle Reste übrig bleiben, die sich dogma241 242 243 244 245

Nowakowski, Nowakowski, Nowakowski, Nowakowski, Nowakowski,

4 Lampe

a.a.O., S. 316. a.a.O., S. 317. a.a.O., S. 317 f. a.a.O., S. 313. a.a.O., S. 300.

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Z u r Geschichte der Lehre v o m Unrecht

tisch nicht befriedigend erfassen und erklären lassen, die vor allem nicht aufgelöst werden können, ohne daß ein Bruch i m „System" sichtbar wird. Die Untersuchung muß daher jetzt dazu übergehen, die bisherigen Versuche, welche die Existenz eines personal begriffenen Unrechts leugnen oder sie bejahen und deuten, systematisch zu kritisieren.

Zweiter

Teil

Systematische Kritik der bisherigen Lehren Die bisherigen Unrechtslehren lassen sich — dies hat die geschichtliche Betrachtung ergeben — i n zwei große Gruppen einteilen: die einen behaupten, daß das Unrecht objektiv (impersonal) begründet werden müsse, die anderen, daß eine Beziehung zwischen Unrecht u n d personalem Subjekt notwendig sei. W i r wenden uns zunächst der ersten Gruppe der Lehrmeinungen zu. I . Kritik der Lehren von der impersonalen Natur des Unrechts Die Grundlagen dieser Lehren haben zuletzt ihren vorzüglichen Ausdruck bei M e z g e r 1 gefunden. Wenn Mezger selbst auch bestimmten subjektiven Tendenzen i m Rahmen des Unrechts Bedeutung einräumt, j a die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen entscheidend gefördert hat, so ist doch sein Ausgangspunkt — u n d n u r dieser interessiert i m Augenblick — rein objektiv. Er selbst betont: „Das Problem der subjektiven Unrechtselemente verlangt einen objektiven Boden, u m sich richtig entfalten zu können 2 ." Dieser objektive Boden sind i h m alsdann das Recht als „objektive Lebensordnung" u n d — vice versa — das Unrecht als „Verletzung dieser objektiven Ordnung" 3 . Unsere K r i t i k n i m m t diesen Boden als vorgegeben h i n ; nicht n u r w e i l der K a m p f von einem anderen Terrain die strittigen Probleme einseitig verzeichnen würde, sondern auch w e i l w i r m i t der uns gewiesenen Plattform grundsätzlich einverstanden sind. Mezger gibt seiner „ k l a r e n praktischen Einsicht" i n die O b j e k t i v i t ä t allen Rechts die theoretische Grundlage i n der „adressenlosen N o r m " 4 . Die N o r m ist i h m i n begrifflicher K l a r h e i t n u r denkbar als unpersönliches Soll , als auf einen bestimmten objektiven sozialen Zustand gerichtete Bewertungsnorm 5. Hieraus folgert er für das Wesen des U n 1 2 3 4 6

4*

Mezger i n GS 89, 207 (239 ff.). Mezger , a.a.O., S. 233. Mezger , a.a.O., S. 242. Mezger , a.a.O., S. 242. Mezger , a.a.O., S. 245.

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Systematische K r i t i k der bisherigen Lehren

rechts: „Unrecht ist der Widerspruch gegen das Recht als Bewertungsnorm, Veränderung eines rechtlich gebilligten bzw. Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Zustandes, nicht rechtlich mißbilligte Veränderung eines Zustandes 6 ." I n dieser Folgerung ist der entscheidende Punkt enthalten, gegen den w i r uns hier wenden. Mezger geht davon aus oder unterstellt es als selbstverständlich, daß das Unrecht nur sein könne entweder Veränderung eines rechtlich gebilligten bzw. Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Zustandes oder die rechtlich mißbilligte Veränderung eines Zustandes. Der Gedanke, daß hier ein Sowohl-als-auch vorliegen könne, kommt i h m nicht oder erhält bei i h m doch nicht soviel Gewicht, daß er einer ernsthaften Prüfung für wert befunden würde. Damit verengt er von vornherein den Kreis der Gegebenheiten, die für ein Rechtswidrigkeitsurteil auch nur i n Erwägung gezogen werden dürfen, auf zwei einander ausschließende Gruppen. Die weiteren Ausführungen, i n denen er sich gegen Einwände verwahrt, die wider die von i h m vertretene Unrechtsauffassung i m Schrifttum erhoben worden sind, machen dies noch besonders deutlich. Zunächst bemüht sich Mezger, das von seinen Gegnern beschworene Gespenst der widerrechtlich waltenden Natur 7 zu bannen 8 . Er sieht den „Grundfehler" dieses Einwandes darin, daß er vorgibt, man könne sich das Unrecht nicht ohne ein handelndes Subjekt denken. Freilich werde niemand auf den Gedanken kommen, den Hagel, welcher die Saaten zerstört, oder den Strom, welcher die Felder überschwemmt, als „Subjekte" rechtswidrigen Handelns bezeichnen zu wollen; aber Unrecht bedürfe eben keines Subjekts, es sei objektiver Natur. — Hier erscheint Richtiges und Falsches sonderbar gemischt. Gewiß läßt es sich denken, daß ohne handelndes Subjekt ein Zustand hergestellt wird, den das Recht als objektive Lebensordnung nicht als gültig anzuerkennen vermag. Man denke etwa an die Immissionen i m Nachbarrecht, deren Beseitigung verlangt werden kann, oder an den unrechtmäßigen Besitz eines Rechtsnachfolgers (etwa eines Erben). Fallen also die Ziegel eines Hauses infolge eines Unwetters auf das Nachbargrundstück, so kann das Recht ohne Rücksicht auf die Bewertung irgendeines Verhaltens diesen Erfolg als unrechtmäßig ansehen und seine Beseitigung anordnen. E r w i r b t jemand durch Erbgang den Besitz an Sachen, welche dem Erblasser nicht gehörten und zu deren Besitz dieser auch nicht berechtigt war, so ist der Besitz des Erben rechtswidrig und löst entspre6 Mezger, a.a.O., S. 245 f. Der letzte Halbsatz ist ganz offensichtlich gegen Kohlrausch gerichtet, dessen These — w i e w i r sahen — umgekehrt d a h i n ging, daß Unrecht stets die rechtlich mißbilligte Veränderung eines Zustandes sei. 7 Siehe dazu oben S. 15 f. 8 Mezger, a.a.O., S. 246.

K r i t i k der Lehren von der impersonalen Natur des Unrechts

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chende Verpflichtungen aus 9 . Daraus folgt nun aber nicht, daß nicht auch das Verhalten eines Subjektes dem Rechtswidrigkeitsurteil unterliegt und daß für dieses Rechtswidrigkeitsurteil nicht auch beispielsweise täterpsychische Merkmale wesentlich sind. W i r werden hierauf sogleich noch einmal zurückkommen. Mezger sucht noch einem zweiten Einwand gegen seine Lehre zu begegnen, und an dieser Stelle offenbart sich die unbegründete Alternativität der von ihm gesehenen Lösungen noch deutlicher. Merkel hatte bekanntlich bestritten, daß man die Verletzung des Rechts identifizieren dürfe m i t der Verletzung der Rechtsobjekte, derjenigen Interessen also, welche das Recht konstituieren 1 0 . Unrecht sei stets die Verletzung der geistigen Macht des Rechts durch den zurechnungsfähigen Menschen; lediglich die Rechtsobjekte könnten durch einen Unzurechnungsfähigen verletzt werden. Mezger behauptet dagegen, daß „geistige" Beziehungen nicht nur auf der Seite des Unrechthandelnden, sondern ebensogut auf der Seite des Unrechtleidenden bestehen können. Dann aber bleibe eine doppelte Möglichkeit offen: entweder man suche m i t Merkel die geistige Beziehung auf der subjektiven Seite des Unrechthandelnden und entschließe sich damit implizite zur Gleichsetzung von Unrecht und Schuld, oder man bestimme das Recht als geistige Macht und das Unrecht dementsprechend als eine Störung geistiger Rechtsbeziehungen auf der objektiven Seite des Unrechtleidenden und komme damit zu einer klaren, methodisch einwandfreien Trennung von Unrecht und Schuld 11 . Mezger schließt sich dieser zweiten der von i h m gesehenen Möglichkeiten an. Der Gedanke einer Kumulation beider Möglichkeiten entsteht nicht oder w i r d zumindest nicht abgehandelt. Dabei erscheint es keineswegs von vornherein ausgeschlossen, die geistige Beziehung des Rechts sowohl auf der Seite des Unrechthandelnden als auch auf der Seite des Unrechtleidenden zu suchen; denn daß eine solche Beziehung auch auf Seiten des Unrechthandelnden bestehen könne, w i r d von Mezger gar nicht geleugnet. Nur methodische Erwägungen veranlassen ihn, von dieser Beziehung zunächst, d. h. für das Rechtswidrigkeitsurteil, abzusehen. Nun wiegen freilich auch Mezgers methodische Erwägungen schwer genug. W i l l man an der Trennung von Unrecht und Schuld festhalten, und sie dürfte i n der Tat zu den bewährten Unterscheidungen unseres Verbrechenssystems gehören, so muß man bedenken, ob man der A n sicht Merkels, welche i h n zu einer Konfundierung von Unrecht und Schuld führte, folgen oder sie auch nur i n die eigene Auffassung einbeziehen darf. Mezger führt dagegen an, daß nur auf dem Wege der 9

Vgl. dazu vor allem Baur i n A c P 160, 473 ff. 10 Siehe dazu oben S. 16. 11 Mezger, a.a.O., S. 247.

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Systematische K r i t i k der bisherigen Lehren

Trennung von Rechtswidrigkeit und Schuld eine wissenschaftliche Beherrschung des Verbrechensbegriffs möglich, daß jene Trennung eine denknotwendige und damit eine unbedingte Voraussetzung fruchtbarer Lehre sei 12 . Hier ist allerdings zu replizieren, daß auch bei Merkel Unrecht und Schuld durchaus nicht so stark verwoben sind, als daß sie nicht wenigstens analytisch voneinander getrennt werden können, w i l l man nur einige terminologische Unbequemlichkeiten i n K a u f nehmen. F ü r Merk e l schließt das Unrecht als Verneinung des Rechts zwei Merkmale i n sich ein: a) die Verletzung des i m Recht sich objektivierenden Gemeinwillens und b) die Zurechenbarkeit dieser Verletzung 1 3 . Es ist nur selbtverständlich, daß auch für Merkel die Verletzung des Gemeinwillens festgestellt sein muß, bevor die Zurechenbarkeit der Verletzung geprüft werden kann; und es ist darüber hinaus eine mehr terminologische Frage, ob man die primär zu prüfende Verletzung des Gemeinwillens als Unrecht i m objektiven Sinne und die Zurechenbarkeit als Schuld bezeichnet oder beide Merkmale i m weiteren Begriff des Unrechts aufgehen läßt. Gewiß wäre eine Terminologie, welche innerhalb des Unrechts i m weiteren Sinne noch einmal ein Unrecht i m engeren, objektiven Sinne von der Schuld scheidet, wenig praktikabel — unmöglich aber ist sie selbstverständlich nicht. Auch i m System Merkels also ist die von Mezger geforderte analytische Aufgliederung der einzelnen Verbrechensmerkmale durchführbar, j a zur Feststellung des Unrechts (im Merkerschen Sinne) sogar nötig. N u r die anzuwendende Terminologie weicht von der von Mezger gebrauchten ab. Aber m i t diesen Überlegungen bewegen w i r uns noch zu sehr an der Oberfläche der Problematik. W o r u m es Mezger und den Objektivisten letzten Endes geht, ist die Feststellung, daß es auch schuldloses Unrecht gebe, daß die von ihnen geübte Beschränkung des Rechtswidrigkeitsurteils auf Interessenverletzungen also einzig legitim sei. So schreibt Mezger: „Der materielle Gehalt des Unrechts ist die Verletzung menschlicher Interessen. Alles Recht ist u m der Menschen w i l l e n da. . . . Das Endziel allen Rechts, m i t anderen Worten die Idee der Gerechtigkeit bestimmt sich als das Streben nach dem kompossiblen M a x i m u m der Interessenbefriedigung. Was diesem Endziel zuwider ist, das ist materiell gesprochen,Unrecht' 14 ." Unrecht als Verletzung menschlicher Interessen kann jedoch auch dann vorliegen, wenn nicht ein einzelnes Rechtsgut, sondern wenn das allgemeine menschliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Rechts12 13 14

Mezger , a.a.O., S. 247. Merkel , a.a.O., S. 42. Mezger , a.a.O., S. 248 f.

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friedens verletzt ist. Beides ist nicht dasselbe. Denn der Rechtsfrieden kann nicht nur durch Verletzung eines individuellen Gutes angetastet werden — das freilich ist ebenfalls möglich! —, sondern auch durch den Erweis einer rechtsfeindlichen Absicht o. dgl., m i t h i n durch subjektive Gegebenheiten. Ein Beispiel aus dem positiven Recht mag das erläutern: Nach § 241 StGB w i r d bestraft, wer einen anderen m i t der Begehung eines Verbrechens bedroht. Das Gesetz knüpft seine Strafdrohung hier nicht an die Verletzung eines materiellen Gutes an, etwa des Lebens, der Gesundheit oder des Eigentums, sondern, wie m i r scheint, an die Verletzung des allgemeinen Rechts/riedens durch die rechtsfeindliche Absicht des Täters. — Diese Auffassung w i r d von der herrschenden Meinung allerdings nur insoweit gebilligt, als sie die Verletzung des Rechts/riedens betrifft 1 5 . Daß der i n § 241 geschützte Rechtsfrieden derjenige der Allgemeinheit sei, w i r d hingegen bestritten: nicht der allgemeine, sondern der individuelle Rechtsfrieden des Einzelnen, heißt es, sei Schutzobjekt der Norm. Das erscheint m i r indessen nicht richtig, und die Ansicht w i r d dann auch nicht durchgehalten. Vielmehr führt schon das Reichsgericht aus: „Das Gesetz geht (bei § 241 StGB) davon aus, daß eine Bedrohung m i t der Vornahme einer als Verbrechen sich darstellenden Handlung an sich geeignet ist, den Rechtsfrieden des Bedrohten zu stören, i n i h m die Furcht vor der Verwirklichung der Drohung hervorzurufen. Dagegen hat das Gesetz den wirklichen Eint r i t t dieser Folge als Tatbestandserfordernis nicht bezeichnet und ebensowenig verlangt, daß die Bedrohung auch nach den Umständen des konkreten Falles geeignet sein müsse, jene Wirkung zu äußern. Es ist vielmehr i n dieser Richtung nur die Willensbestimmung des Thäters entscheidend 16 ." Nicht eine Verletzung des individuellen Rechtsfriedens also w i r d hier als bedrohlich genannt, sondern die abstrakte Eignung der Handlung dafür. Die abstrakte Eignung der Handlung zur Verletzung des konkreten Rechtsfriedens ist aber gleichbedeutend m i t der konkreten Eignung der Handlung zur Verletzung des abstrakten Rechtsfriedens — wie ja überhaupt die sog. abstrakten Gefährdungsdelikte i h r Wesen am ehesten i n der „verbotenen Verletzung des auf bestimmte Güter bezogenen Rechtsfriedens" offenbaren. Zu solcher Verletzung des abstrakten (allgemeinen, nicht-individuellen) Rechtsfriedens ist aber nach der zutreffenden Ansicht des Reichsgerichts schon der subjektive Wille des Täters imstande: Daß er sich nicht als bedrohlich erweise, schon daran hat die Rechtsordnung, schon daran 15 Frank , StGB § 241 A n m . I ; Kohlrausch/Lange, StGB § 241 A n m . I ; Schänke / Schröder , StGB §241 A n m . 1; Schwarz/Dreher, StGB §241 A n m . 1; v. Liszt/ Schmidt , S. 592; B a y O b L G 4,278; — a. A . Maurach , Bes. T., S. 104; Mezger/Blei, Bes. T., S. 59 f.; Welzel, a.a.O., S. 295. 16 RGSt 4,10.

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haben die Staatsbürger ein berechtigtes „Interesse". Und sie schützen sich vor dieser Gefährlichkeit, indem sie die Verletzung des allgemeinen Rechtsfriedens gegenüber Bedrohungen unter Strafe stellen. Entsprechendes g i l t f ü r die Vorschriften des §§ 110,111 StGB: I n ihnen w i r d m i t Strafe bedroht die Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze (§ 110) oder zur Begehung strafbarer Handlungen (§ 111). Auch hier t r i f f t die Strafe der Vollendung bereits denjenigen, der eine Störung des Rechtsfriedens herbeigeführt hat, ohne daß es auf die Verletzung oder Gefährdung konkreter Rechtsgüter ankäme (vgl. § 111 Abs. 2 StGB). Das verletzte Interesse ist also auch hier ein allgemeines, u n d verletzt ist dieses allgemeine Interesse nicht durch einen bestimmten Erfolg, sondern allein durch den subjektiven W i l l e n des Täters, welcher unabhängig davon, ob er verletzende Erfolge zeitigt, als f ü r den Rechtsfrieden unerträglich angesehen w i r d .

Selbst wenn w i r daher den Objektivisten zugestehen, daß jedes Unrecht „Interesseverletzung" sei, folgt aus diesem Zugeständnis nicht, daß bestimmte individúale Rechtsgüter Gegenstände des strafrechtlichen Schutzes sind. Vielmehr kann bereits der allgemeine Rechtsfrieden, an dem diese Rechtsgüter freilich teilhaben, strafrechtlichen Schutz genießen; und dieser Rechtsfrieden kann dann auch schon durch eine bestimmte Willenseinstellung des Täters beeinträchtigt werden, sofern jedenfalls sie sich i n bestimmten Handlungen niederschlägt: sei es, wie w i r sahen, i n der Bedrohung m i t einer verbrecherischen Tat, sei es aber auch i n anderer Weise, etwa i m Versuch eines Deliktes. Der objektivistische Ausgangspunkt rechtfertigt also nicht die aus i h m gezogene Schlußfolgerung, daß grundsätzlich oder gar ausnahmslos alles Subjektive der Täterpsyche zur Schuld, nicht aber zum Unrecht zu rechnen sei. Man kann Objektivist sein und trotzdem den W i l len des Täters als wesentlichen Faktor zur Unrechtsbegründung heranziehen! Und insoweit dürften einer objektivistischen Lehre dogmatisch auch keine Schwierigkeiten erwachsen. Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen erst, wenn man über die bisher erörterte objektive Unrechtsbegründung noch einen Schritt hinausgeht und jede psychische Beteiligung des Täters an dem von i h m verletzten Interesse bestreitet. Es ist kein Zweifel, daß die Objektivisten das i n aller Regel tun. Sie sehen das Schutzobjekt „ i n Gegebenheiten außerhalb der Täterpsyche". Der geschützte Lebensbereich erscheint ihnen als dem Täter fremd. Und hieraus folgern sie: „Die Täterpsyche kann fremde Lebensbereiche nur dadurch beeinflussen, daß sie nach außen h i n wirksam wird. Damit greift sie i n die Außenwelt hinaus. Erst i n dieser außenweltlichen Wirksamkeit kann sie für das Schutzobjekt überhaupt wesentlich werden 1 7 ." 17

Nowakowski,

i n ZStW 63,287 (312).

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Bei all dem übersehen nun die Objektivisten, daß ihr eigener Standpunkt die Zerreißung von Innen und Außen keineswegs erfordert. Für den Rechtsfrieden als Schutzobjekt etwa t r i f f t die zitierte Deduktion bereits nicht mehr zu. Denn auch der Täter hat als Person vor und nach seiner Tat an dem Rechtsfrieden teil; eine „Friedlosigkeit" kennt unser Recht nicht. Es läßt sich darüber hinaus aber auch nicht behaupten, daß der Rechtsfrieden wenigstens außerhalb der Täterpsyche liege. Rechtsfrieden ist ein sowohl physisch als auch psychisch befriedeter sozialer Zustand, dessen Mitträger der Täter daher sowohl seiner physischen als auch seiner psychischen Natur nach ist. Der geschützte Lebensbereich ist daher für den Täter gerade kein fremder, sondern derjenige, i n dem auch er selbst steht. Und er vermag ihn auch nicht nur durch physische Wirksamkeit zu beeinflussen, sondern darüber hinaus durch seinen Willen, durch die Ziele und Absichten, welche er verfolgt und die dem von i h m gesteuerten Geschehen Bedeutung verleihen. Erst die scharfe Trennung zwischen Subjekt und Objekt des Unrechts führt dann zu unüberwindlichen dogmatischen Schwierigkeiten. Gleichzeitig extrem als auch konsequent hat diese Schwierigkeiten N o w a k o w s k i zu überwinden versucht. Seine Lehre wollen w i r daher hier zunächst würdigen 1 8 . Nowakowski bricht m i t einem Grundsatz, der sich i n allen bisherigen Diskussionen über das Wesen von Unrecht und Schuld allgemeiner Anerkennung erfreute: daß Schuld nur dort bestehen könne, wo auch Unrecht zu finden sei 19 . Nowakowski kennt demgegenüber strafbare Handlungen, die zwar schuldhaft, nicht aber rechtswidrig sind, weil i n ein fremdes Rechtsgut nicht eingegriffen wurde, jedoch der Wille „an etwas Rechtswidrigem orientiert" 2 0 war. Die wichtigsten Beispiele sind i h m der Versuch sowie die Absichtsund Tendenzdelikte, von denen w i r hier zunächst den Versuch herausgreifen. Beim Versuch geht der Wille des Täters immer auf etwas Rechtswidriges: auf die Verwirklichung straf gesetzlich normierter Tatbestände (Rechtfertigungsgründe mögen außer Betracht bleiben). Der Schuldvorwurf, der den Täter wegen seiner versuchten Tat trifft, bleibt daher stets am Unrecht orientiert; er ist ebenso unrechtsbezogen wie die Tat, wegen derer er sich gegen den Täter richtet. Insoweit kann der Ansicht Nowakowskis unbedenklich zugestimmt werden. Aber Nowakowski behauptet darüber hinaus, der Schuldvorwurf setze nicht voraus, daß das Unrecht, auf das er bezogen wurde, auch zur Entstehung gekommen 18 Übereinstimmend m i t Nowakowski: v. Gemmingen i n DStR 1935 S. 107 f.; J. Goldschmidt i n : Frank-Festgabe Bd. I S. 434 ff.; Kadeöka , Rittler-Festschrift 1946, S. 32 ff., Z S t W 59, 17 ff. 19 Vgl. Nowakowski , a.a.O., S. 299, 310 ff. 20 Nowakowski , a.a.O., S. 316.

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ist. Der Schuldvorwurf begnüge sich innere Beziehung des Täters zur Tat; gültig. Daher sei es möglich, dem seine Schuld vorzuwerfen, ohne daß men sei 21 .

vielmehr m i t dem Urteil über die die Realisierung sei für ihn gleichTäter eines versuchten Deliktes es zur Unrechtsbegehung gekom-

Hiergegen ist einzuwenden, daß der Täter beim Versuch nicht i m Denken des Unrechts stehengeblieben ist, sondern daß er seinen Entschluß durch „Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, betätigt hat" (§ 43 Abs. 1 StGB) 2 2 . Wäre der Standpunkt Nowakowskis richtig, so wäre jede objektive Begründung der Versuchsbestrafung unmöglich. Sie ist indessen wenigstens für den tauglichen Versuch vertretbar und hat gerade i n Nowakowskis Landsmann Theodor Rittler einen entschiedenen Verfechter gefunden. I m Anschluß an Crivellari bezeichnet Rittler den Versuch als crimen i n itinere 2 3 u n d bringt damit zum Ausdruck, daß der böse Wille des Täters — seine Schuld — den Weg zur tatbildmäßigen Verwirklichung des Verbrechens bereits genommen hat. Der Dieb hat beispielsweise schon den Gewahrsam gebrochen, aber noch keinen neuen Gewahrsam begründet; der Mörder hat dem Opfer bereits den betäubenden Faustschlag versetzt, aber noch nicht begonnen, es zu erdrosseln. I n diesen Fällen ist nach Rittler die „Tatbildmäßigkeit", d.h. die Typizität der objektiven Tatseite, noch „nicht v o l l ausgeprägt", da das „TatbildEnde", der Erfolg, fehlt; dennoch ist auch das versuchte Verbrechen tatbildmäßig, da die i n i h m enthaltene Handlung, für sich betrachtet, von der A r t ist, die gemeinhin oder doch leicht den Erfolg herbeiführt 2 4 . — Man mag i n dieser objektiven Begründung des Versuchs das Entscheidende, u m dessentwillen neben der Vollendung auch der Versuch bestraft wird, nicht getroffen wähnen. Darauf kommt es hier nicht an. Wesentlich und gegen Nowakowskis Ansicht entscheidend ist, daß wenigstens beim tauglichen Versuch ein tatbestandsmäßiger Unrechtsgehalt faßbar wird, daß er unübersehbar neben die Schuld t r i t t und es darum ausgeschlossen erscheinen läßt, den Unrechtscharakter des Versuches überhaupt zu leugnen. Aber auch beim untauglichen Versuch erscheint es möglich, einen tatbestandlichen Unrechtsgehalt herauszuschälen. Richard Lange hat hier den richtigen Weg gewiesen: der verbrecherische Wille des Täters müsse als tatgestaltender oder als über die Einzeltat hinaus relevanter 21 Ähnlich hatte früher schon v. Gemmingen bemerkt, Schuld sei „nicht die Vorwerfbarkeit i n Bezug auf eine reale Einzeltat, sondern i n Bezug auf eine bloß gedachte... Einheit" (v. Gemmingen , Rechtswidrigkeit des Versuchs, S. 155). 22 Vgl. auch Engisch , Unrechtstatbestand, S. 434. 23 Rittler , österr. Strafr., Bd. I, S. 256. 24 Rittler , a.a.O., S. 255.

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Faktor i n seiner Gefährlichkeit erfaßt werden 2 5 . Und wirklich — verbrecherischer Wille und verbrecherische Handlung sind eine Sinneinheit, die sich nicht nur gegen positivierte Rechtsgüter, sondern auch gegen den die Rechtsgüter einschließenden sozialen Frieden richten. Wer also bereit ist, i m Rechtsfrieden das Angriffsobjekt der verbrecherischen Tat, i n seiner Verletzung aber Unrecht zu sehen, für den bereitet es keine Schwierigkeiten, auch beim untauglichen Versuch einen objektiv faßbaren Unrechtsgehalt festzustellen. Wer freilich hierzu nicht bereit ist, w i r d m i t der Begründung eines objektiven Unrechtsgehalts beim untauglichen Versuch seine Schwierigkeiten haben — er w i r d viel eher auf die Betätigung verbrecherischen Willens, also auf den Aktunwert des Verhaltens, abstellen und damit zu einer subjektiven Begründung der Rechtswidrigkeit gelangen 26 . Entscheidend ist auch dies hier nicht. Was sich gezeigt hat, ist jedenfalls: daß die Theorie Nowakowskis der wie immer zu fassenden objektiven Seite des tauglichen Versuchs nicht gerecht werden kann und daß sie auch beim untauglichen Versuch nicht etwa die einzig mögliche oder auch nur plausibelste Lösung darstellt. W i r wenden uns nunmehr der Behandlung der Absichtsdelikte bei Nowakowski zu. Die formale Vollendung des Delikts — beim Betrug also etwa die Vermögensbeschädigung — führt nach Nowakowskis Meinung eine Beeinträchtigung des Schutzobjekts — beim Betrug also: des Vermögens — entweder überhaupt noch nicht oder jedenfalls nicht vollkommen herbei, jedoch ist die Absicht des Täters auf diesen Erfolg gerichtet 27 . Hier entsteht sofort ein Bedenken: Ist denn der Erfolg, auf den sich die Absicht des Täters beim Betrug richtet, wirklich das wahre Schutzobjekt des Betruges? W i r d wirklich der sozial unerträgliche Erfolg gerade durch die Bereicherung des Täters charakterisiert? Einer der scharfsinnigsten K r i t i k e r der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, Leopold Zimmerl, hat bereits i m Jahre 1928 das Unrichtige dieses Standpunkts erkannt: „Soll wirklich das eigentliche Übel i n der Bereicherung des Täters liegen, und nicht vielmehr i n der Schädigung des Opfers? Ich glaube, diese Frage stellen heißt auch schon sie beantworten. Welches Interesse soll die Rechtsordnung daran haben zu verhindern, daß ein Staatsbürger reicher werde? Dem gemeinen Wohl könnte dies doch nur förderlich sein; es wäre denn, daß die Bereicherung des einen sich vollziehe auf Kosten eines anderen! „ . . W o h l aber kann die Bereicherungsabsicht den Täter charakterisieren.. . 2 8 ." 25 Kohlrausch/Lange, StGB § 43 Vorbem. I I I 2 u n d 3 b). Vgl. auch Engisch, a.a.O., S. 435. 26 So die subjektive Versuchstheorie, welche der ständigen Rechtsprechung sowohl des Reichsgerichts (grundlegend RGSt 1,439) als auch des Bundesgerichtshofs zugrunde liegt (BGHSt 2,76). 27 Nowakowski, a.a.O., S. 315. 28 Zimmerl, Lehre v o m Tatbestand, S. 39.

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Aus diesen Ausführungen ergibt sich m. E. klar, daß entgegen der soeben angeführten Ansicht Nowakowskis das Schutzobjekt des Betruges, das Vermögen des Betrogenen, schon durch seine Beschädigung „vollkommen" beeinträchtigt wird; die Bereicherung des Täters selbst oder eines Dritten trägt zu dieser Schädigung grundsätzlich nichts mehr bei. Daher kann auch die Bereicherung des Täters nicht als das „eigentlich" Rechtswidrige des Betruges angesehen werden. Vielmehr ist die Vermögensschädigung selbst rechtswidrig, ihre i n Bereicherungsabsicht vorgenommene Vollendung echtes strafrechtliches Unrecht und nicht nur Schuld des Täters, welche ihre (volle) Verwirklichung i m Unrecht außerhalb des Tatbestandes fände. Und was für den Betrug gilt, gilt gleichermaßen auch für die Erpressung, gilt für den Diebstahl und gilt für den Raub. I n allen Fällen w i l l zwar das Recht nicht die Bereicherung des Täters; es erklärt den Werterwerb oder die Zueignung sogar ausdrücklich für rechtswidrig. Doch diese Rechtswidrigkeit ist nicht die des Straf rechts; ihr liegt vielmehr ein Verstoß gegen die Eigentumsoder die Vermögensordnung des Bürgerlichen Rechts zugrunde: der Betrüger oder Erpresser hat auf den von i h m erstrebten Vermögensvorteil „keinen Anspruch" 2 9 , dem Dieb oder Räuber steht kein A n eignungsrecht auf die weggenommenen Sachen zur Seite 30 . Das Strafrecht setzt dieses bürgerliche Unrecht jeweils voraus und erklärt sodann seinerseits den Eingriff i n fremdes Vermögen oder Eigentum für strafwürdiges Unrecht, welcher i n der Absicht vorgenommen wurde, weitergehendes bürgerliches Unrecht zu verwirklichen. Bei all dem ist allerdings nicht zu übersehen, daß das Strafgesetz auch andere Absichtsdelikte kennt: Delikte von besonderer Gefährlichkeit, bei denen der Rechtsgüterschutz bereits ins Vorfeld des Angriffs verlegt wurde 3 1 . Hierzu gehört etwa die Urkundenfälschung des § 267 StGB, bei welcher die Täuschung des Rechtsverkehrs zwar nur vom Täter beabsichtigt zu sein braucht, nichtsdestoweniger aber den eigentlichen Schwerpunkt des Deliktes darstellt; denn Rechtsgut der Urkundenfälschung ist die Sauberkeit und Reinheit des Rechtsverkehrs 32 , und zur Verletzung dieses Rechtsgutes taugen Herstellung und Gebrauch von Pseudobeweismitteln nur als Mittel, obschon sie nach dem Wortlaut des Gesetzes den „objektiven" K e r n des Unrechts bilden. Hier scheint Nowakowskis These, daß Schuld ohne vollwertiges Unrecht bestraft werde, ihr Recht zu behaupten; denn hier genügt es, daß das „eigentliche" Unrecht der Täuschung des Rechtsverkehrs unverwirklicht geblieben ist und nur die Absicht des Täters sich diese Unrechts29 30 31 32

RGSt 11, 155; 57, 370. RGSt 44, 42; 64, 212. Dazu schon Binding, Dtsch. Strafr. Bes. T., S. 11 ff. Vgl. RGSt 7,52 (52); 13,65 (66); 17,200 (201) u. ö.

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begehung zum Ziele genommen hat: daß Unrecht also — u m mit Nowakowski zu sprechen — (weitgehend) Schuld geblieben ist. A l l e i n — selbst wenn Nowakowskis These durch eine derartige Gestaltung des strafrechtlichen Schutzes i m Gesetz bestätigt würde, könnte sie doch eben nur für einen Teil der Absichtsdelikte die brauchbare Erklärung bieten: für Delikte m i t einer über die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes hinausgehenden echten Verletzungstendenz. Für andere, nicht minder bedeutsame Straftaten wie die schon erwähnten Delikte des Betruges, der Erpressung, des Diebstahls und des Raubes müßte gleichwohl eine andere dogmatische Erklärung gefunden werden als die, daß hier volle Schuld ohne volles Unrecht strafbar sei. Indessen erscheint Nowakowskis These noch nicht einmal für Delikte m i t gefährdender Absicht zwingend. Entweder kann man nämlich wie beim tauglichen Versuch die durch das Verhalten des Täters bereits eingetretene Gefährdung des Rechtsguts (also etwa der Sauberkeit und Reinheit des Rechtsverkehrs) als objektives Unrecht ansehen 33 , oder man sieht wie beim untauglichen Versuch den auf jenes Rechtsgut bezogenen Rechtsfrieden als gestört an — dann nämlich, wenn eine Gefährdung des Rechtsgutes ausnahmsweise einmal nicht eingetreten ist. I m letzten Fall besteht ferner die Möglichkeit, subjektivistisch auf die Gefährlichkeit des Täters, welche i m Unwert seines Verhaltens zutage getreten ist, abzustellen. Wie immer man nun aber argumentiert, eines ist sicher: Nowakowskis eigene Theorie hat an evidenter Richtigkeit oder auch nur an Zweckmäßigkeit oder Folgerichtigkeit vor anderen Theorien keinesfalls soviel voraus, daß sie für sich i n Anspruch nehmen könnte, die alleinige dogmatische Erklärung für den Standpunkt des Gesetzes abzugeben. W i r kommen vielmehr für die Absichtsdelikte zum selben Ergebnis wie für das versuchte Verbrechen: Nowakowski gibt für einen Teil der hier einschlägigen Fälle einen möglichen, keineswegs aber einen zwingenden Lösungshinweis; für den recht erheblichen Rest der Fälle bleibt er die Erklärung schuldig. Besticht der Lösungsvorschlag Nowakowskis immerhin durch die Konsequenz, m i t der er sämtlicher Phänomene des Verbrechens Herr zu werden trachtet, so können andere objektivistische Lehren diese Konsequenz nicht für sich i n Anspruch nehmen. Denn sie weichen zumindest einem Phänomen aus oder erklären sich bei i h m zu Kompromissen bereit: das ist die Strafbarkeit des untauglichen Versuches. Rittler etwa erklärt den Versuch am untauglichen Objekt oder m i t untauglichen Mitteln schlechtweg für straflos 34 und sieht damit — wie Engisch es ausdrückt 35 — „die bisherige höchstrichterliche Rechtspre33 34 35

Lange i n ZStW 63,456 (480). Rittler , a.a.O., S. 256 ff. Engisch , Unrechtstatbestand, S. 433.

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chung als eine Perversion an". Man mag zur Strafbarkeit des untauglichen Versuches stehen, wie man w i l l — die Ansicht, daß der Täter, der etwas i m konkreten Falle Unmögliches oder etwas Mögliches m i t untauglichen M i t t e l n zu erreichen versucht, ebenso strafwürdig sei wie derjenige, der m i t tauglichen Mitteln etwas i h m Mögliches vergeblich erstrebt, läßt sich wohl vertreten und widerspricht insbesondere nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Wenn Rittler — unabhängig von rechtspolitischen Bedenken — die Strafbarkeit des untauglichen Versuches aus seiner Auffassung vom Verbrechen heraus nicht zu erklären vermag, so fällt dies als ein Mangel auf seine Verbrechensauffassung zurück, und zwar auch dann, wenn er sich dieser Erklärung dadurch enthebt, daß er alle Theorien, welche die Strafbarkeit des untauglichen Versuches bejahen, ablehnt. Die herrschende Meinung innerhalb der objektiven Lehre weicht i m Gegensatz zu Rittler der Forderung, die Strafbarkeit auch des untauglichen Versuches zu erklären, nicht aus. Sie bekennt sich vielmehr zur Strafbarkeit des Versuchs i n vollem Umfang und zieht zur Begründung den Entschluß des Täters heran, der dem Geschehen erst das Gepräge gibt. So betont z. B. B a u m a n n : „ N u r der Entschluß, also der Wille des Täters, ein bestimmtes Verbrechen zu begehen, kann Rechtswidrigkeitskonstitutivum sein, denn der daneben erforderliche Anfang der Ausführungshandlung ist für sich gesehen nicht rechtswidrig 8 6 ." Das bloße Ausstrecken der Hand etwa oder das Berühren einer fremden Sache sei für sich gesehen keine rechtswidrige Handlung; hinzutreten müsse als tragendes Moment noch der Entschluß des Täters, durch diese Handlung einen Straftatbestand, etwa einen Diebstahl, zu verwirklichen. Damit t r i f f t Baumann sich i n der Beurteilung v o l l und ganz mit der subjektiven Lehre, und es ist nicht verwunderlich, wenn Welzel als logische Konsequenz dieser Einsicht die Erkenntnis findet, „daß, wenn der Vorsatz beim versuchten Delikt zum Tatbestand und nicht erst zur Schuld gehört, er dieselbe Funktion auch dann beibehalten muß, wenn das versuchte Delikt i n das Stadium der Vollendung übergeht" 3 6 a . Muß sich also der Kompromiß, den die objektive Lehre der subjektiven beim Versuch anbietet, nicht auf die gesamte Verbrechenslehre erstrecken? E n g i s c h , der sich mehrfach 37 m i t dieser Frage beschäftigt hat, glaubt, eine verneinende A n t w o r t geben zu können. Die Rechtswidrigkeit, meint er, sei keine Eigenschaft, die an der Tat haften bleibe, wenn sie die Tat einmal ergriffen habe. Wer dies annehme, der stelle die normativen Bezüge auf den Kopf. Der Grundfall der verbrecherischen 36 36a 37

Baumann, A l l g . T., S. 266. Welzel , Dtsch. Strafr. S. 55. Engisch , Unrechtstatbestand, S. 436, u n d Rittler-Festschrift, S. 173 f.

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Tat sei das vollendete Delikt; der Versuch sei lediglich ein „Strafausdehnungsgrund", der, weil i h m der objektive Erfolgsunwert fehle, eines eigentümlichen, unrechtsbegründenden Merkmals bedürfe. Diese Funktion nehme der Vorsatz des Täters ein, der somit an Stelle des i n k r i minierten Erfolges den Unrechtsgehalt der Tat begründe. — Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Lange 3 8 und Mezger 39 . Nowakowski hat gegen Engisch eingewandt, daß eine Auffassung, welche die Rechtswidrigkeit nur auf diejenigen Merkmale gründe, deren sie unbedingt bedürfe, u m tatbestandlich zur Entstehung zu gelangen, dem materiellen Gehalt und der Steigerungsfähigkeit des Unrechts nicht Rechnung tragen könne; sie könne die Rechtswidrigkeit nur formell als ein dem Recht Zuwidersein begreifen 40 . Hierauf kann jedoch repliziert werden, daß diese Steigerung des materiellen Unrechtsgehalts sehr wohl i n dem Übergang vom geplanten zum verwirklichten Unrecht zum Ausdruck komme. Der volle Unrechtsgehalt sei allemal m i t der objektiven Erfüllung eines Straftatbestandes gegeben. N u r wenn es daran fehle, müsse man auf den minderen Unrechtsgehalt des verbrecherischen Entschlusses zurückgreifen. — Gewichtiger erscheint darum der Einwand von Krauß, daß das Unrecht, einmal unter jenen Gesichtspunkt gestellt, welcher den Verwirklichungswillen als wesentlich heraushebt, diesen Gesichtspunkt nicht bei anderer Gelegenheit verleugnen könne 4 1 . I n der Tat scheint es, daß die Unrechts-Relevanz des Vorsatzes beim Versuch nur dann bei der Vollendung weichen kann, wenn die ursprüngliche Unrechtsbetrachtung einer völlig neuen Platz macht. Allerdings können sich die Vertreter der angegriffenen Behauptung w o h l auch gegenüber diesem Einwand darauf berufen, daß ihnen Grund für ihr Rechtswidrigkeitsurteil stets ein rechtsgutfeindliches Verhalten sei. Dieses lasse sich aber einmal, nämlich beim vollendeten Delikt, objektiv fassen, während beim Versuch der Rückgriff auf den Täterwillen unvermeidlich sei. Ein grundsätzlicher Wechsel i n der Unrechtsbetrachtung sei hingegen nicht damit verbunden. Indessen steckt doch i n dem Einwand von Krauß ein richtiger Kern, der durch keine Replik widerlegt werden kann: Besteht für die Unrechtsbetrachtung die Möglichkeit, den Vorsatz i n ihr Rechtswidrigkeitsurteil einzubeziehen, so läßt sich nicht andererseits leugnen, daß der Vorsatz außer beim versuchten auch beim vollendeten Verbrechen wenigstens unrechtserheblich sein kann. Freilich: daß er beim vollen38

R. Lange i n ZStW 63, 468. Mezger/Blei , A l l g . T., S. 88 f., 92. 40 Nowakowski i n J Z 58, 335 (336 A n m . 7); vgl. auch schon Nowakowski ZStW 63, 319. 41 Krauß i n ZStW 76, 54. 39

in

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deten Delikt unrechtserheblich sein müsse, dies ergibt sich nicht m i t logischer Stringenz schon aus der Stellung, die i h m i m Unrecht des versuchten Verbrechens eingeräumt wird. Insofern muß der Standpunkt Engischs gegenüber dem Welzels anerkannt werden. Andererseits zwingt aber auch nichts, den beim Versuch eingenommenen Standpunkt für die Unrechtsbetrachtung bei der Vollendung zu verlassen; i n die Unrechtsbetrachtung kann vielmehr der Unrechtsgehalt des objektiven Bereichs zusätzlich zu dem des subjektiven Bereichs aufgenommen werden. Insofern treten w i r der Auffassung Welzels bei. Ein Zwang, den Vorsatz aus dem Unrecht des vollendeten Verbrechens zu eliminieren, w i r d nun allerdings auch von Engisch nicht behauptet; vielmehr „genügt" für i h n „zur Begründung jenes Unwerturteils vollauf die Tatsache, daß hier durch die Handlung des Täters der E r f o l g . . . bew i r k t worden ist" 4 2 . Aber diese Genügsamkeit i n der Unrechtsfeststellung bleibt solange persönliche Liebhaberei, als sie nicht ein sachliches Argument für sich anzuführen vermag, ein Argument, warum der vollständig gegebene objektive Tatbestand den Blick auf den subjektiven Tatbestand verstelle und damit die Zuordnung des subjektiven Tatbestandes zur Schuld legitimiere. Schlechter noch als beim Versuch ist es für die objektive Lehre bei gewissen subjektiven Tatbestandsmerkmalen bestellt, von denen w i r sogleich die Absichten — wie etwa Bereicherungs- oder Zueignungsabsicht — noch beispielhaft herausgreifen wollen. Doch zunächst erscheinen uns zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen einige allgemeine Bemerkungen erforderlich. W i r hatten als Ergebnis unserer Untersuchungen über die Entwicklung dieser Lehre festgestellt, daß trotz aller Bemühungen, klare Abgrenzungskriterien zwischen Unrecht und Schuld zu finden, das Ausmaß der subjektiven Unrechtselemente immer umstritten geblieben ist, daß sich allgemein lediglich die Auffassung durchgesetzt hat, es könne bereits für das Unrecht bedeutsam sein, i n welcher Absicht oder Einstellung der Täter gehandelt hat. Die Gründe für dieses negative Ergebnis scheinen uns bereits i n dem apodiktisch einseitigen objektivistischen Ausgangspunkt der Lehre zu liegen. M e z g e r hatte, wie w i r sahen, den objektivistischen Ausgangspunkt damit begründet, daß das Unrecht formell Widerspruch gegen die abstrakte Norm, materiell Interessenverletzung sei. Er erkannte jedoch selbst, daß diese Auffassung, strikt durchgeführt, m i t dem positiven Recht i n Widerspruch geraten mußte. Daher erschien i h m — und hier setzen w i r unsere Betrachtung seiner Lehre neu an — „der Ausschluß jeder subjektiven Unrechtsbestimmung unhaltbar. Unrecht ist 42

Engisch i n Rittler-Festschrift, S. 174.

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grundsätzlich objektive Interessenverletzung. Damit ist aber nicht gesagt, daß diese Interessenverletzung immer funabhängig von der ,subjektiven' Willensrichtung des sich gegen fremde Interessen Wendenden zu bestimmen wäre. So grob und äußerlich läßt sich das feine und komplizierte menschliche Interessenspiel nicht fassen. Das Prinzip der maximalen Interessenbefriedigung selbst verlangt vielmehr eine M i t berücksichtigung des subjektiven Faktors" 4 3 . Mezger unterschied nun drei große Gruppen von Fällen, i n denen nach seiner Meinung subjektive Elemente bereits i m Rahmen der Unrechtsfeststellung berücksichtigt werden müssen: 1. „Fälle, i n denen die Rechtsordnung bei Feststellung des Unrechts sich sozusagen m i t einem bloßen Teil der objektiven Unrechtsvoraussetzungen begnügt und i m übrigen auf den subjektiven Ersatz Bezug n i m m t " ; 2. „Fälle, i n denen die Rechtsordnung dem Handelnden den Eingriff i n fremde Interessen gestattet, dafür aber von i h m ,guten Willen 1 verlangt"; und 3. „Fälle, i n denen eine besonders intensive antisoziale Willensrichtung die Interessenverletzung i n nächste Nähe rückt" 4 4 . Mezgers Lehre bietet uns damit ein verwirrendes Bild. Der objektive Ausgangspunkt, der zunächst zwingend erschien, entpuppt sich als eine Regel, welche eine große Reihe von Ausnahmen dulden muß. Diese Ausnahmen stehen ihrerseits wiederum unter keinem einheitlichen Gesichtspunkt, sondern müssen es sich gefallen lassen, i n drei große Gruppen von Fällen eingeteilt zu werden. Maßgebend für die Einordnung einzelner subjektiver Merkmale soll zuguterletzt „stets eine exakte Untersuchung des geltenden Rechts" sein 45 , für die eindeutige Richtlinien nicht an die Hand gegeben werden. Daß m i t solcher Methode eindeutige Ergebnisse nicht gewonnen werden können, liegt auf der Hand 4 6 . Neuerdings freilich w i r d insbesondere ein Gesichtspunkt hervorgehoben, welcher die subjektiven Unrechtselemente m i t einem objektiven Ausgangspunkt der Unrechtslehre versöhnen soll: die große Mehrzahl der subjektiven Unrechtselemente bedeute eine „Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes" 47 bzw. eine „Vorverlegung der Strafbarkeit" 4 8 . Richard L a n g e meint, der Gesetzgeber habe uns durch die Neufassung des § 267 StGB i m Jahre 1943 darüber belehrt, wie etwa die A b sichtsdelikte zu verstehen seien: „Was früher Rechtsgutsverletzung erforderte, w i r d schon als unmittelbare Rechtsgutsgefährdung bestraft, 43

Mezger i n GS 89, 207 (259 f.). Mezger , a.a.O., S. 280. Z. T. abweichend jetzt Mezger/Blei, Allg. T. S. 87 f. 45 Mezger , Mod. Wege, S. 25; Mezger/Blei, a.a.O., S. 87. Vgl. auch Engisch i n Rittler-Festschrift, S. 182. 46 Übereinstimmend Otto, Rechtswidrigkeit, S. 26; Schmidhäuser , Gesinnungsmerkmale, S. 141 f. 47 Lange i n ZStW 63, 468. 48 Mezger/Blei, a.a.O., S. 92. 44

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was früher Versuch war, w i r d Vollendung. Nichts weiter 4 9 ." Hier kennzeichne demnach das subjektive Merkmal die Vorverlegung des objektiven Interessenschutzes auf einen Zeitpunkt, wo diese Interessen noch nicht wirklich verletzt sind, sondern ihnen nur eine Verletzung droht. — Der objektive Ausgangspunkt erscheint damit gewahrt, und es scheint berechtigt zu sein, hier von „unechten" subjektiven Elementen zu sprechen, die i m Falle der materiellen Vollendung der Tat „gegenstandslos" werden 5 0 . Beweist aber das Beispiel Langes wirklich, was es beweisen soll? Sicher: die Urkundenfälschung ist durch die Neufassung i m Jahre 1943 aus einem zweiaktigen zu einem einaktigen Delikt geworden; es genügt jetzt, daß der Täter die Urkunde zum Zwecke der Täuschung fälscht, ein Gebrauch der Urkunde ist nicht mehr erforderlich. Der Rechtsgüterschutz ist damit gewiß vorverlegt. Aber gerade die Absicht des Täters, i m Rechtsverkehr zu täuschen — das subjektive Element, auf das i n diesem Zusammenhang alles ankommt —, w i r d heute wie früher gefordert. Sie ist ein subjektives Unrechtselement, das die Neufassung des Gesetzes zwar nicht dem Wortlaut 5 1 , wohl aber dem Sinne nach überstanden hat. Schon deshalb kann aber vom Gesetzgeber des Jahres 1943 keine Belehrung erwartet werden, welche Funktion der Täuschungsabsicht als subjektivem Unrechtselement zukommen soll. Doch sehen w i r einmal von der Neufassung des § 267 StGB ab. Früher wie heute hatte die Absicht des Täters bei der Urkundenfälschung eine besonders gefährliche Tendenz. Insofern bedeutete früher wie heute, wenn man so w i l l , die Aufnahme der subjektiven Absicht eine Vorverlegung des objektiven Rechtsgutschutzes: indem man nämlich nicht bis zur Täuschung des Rechtsverkehrs abwartete, sondern den Täter wegen des vollendeten Delikts bereits dann bestrafte, wenn er die Fälschungshandlung vorgenommen oder (früher: und) die gefälschte Urkunde gebraucht hatte. Erscheint es daher für die Urkundenfälschung wenigstens plausibel, den Gedanken der Rechtsgütergefährdung als Erklärungsprinzip für das subjektive Unrechtselement der Täuschungsabsicht herauszustellen, so ist u m so fragwürdiger Mezgers Behauptung, „ganz dasselbe" gelte für alle Absichtsdelikte 52 . Denn jene Einwände, die w i r oben gegen die Ansicht Nowakowskis 49

Lange, a.a.O., S. 480. Mezger ¡Blei, a.a.O., S. 92. §267 a. F. lautete: „ W e r i n rechtswidriger Absicht eine inländische oder ausländische Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht, w i r d wegen Urkundenfälschung m i t Gefängnis bestraft." Unter rechtswidriger Absicht w u r d e allgemein die Absicht des Täters verstanden, die Urkunde i m Rechtsleben zur Täuschung zu benutzen. 52 Mezger/Blei, a.a.O., S. 92. 50

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von der Unrechtsbezogenheit des Schuldelements „Absicht" erhoben haben, gelten auch gegen den Gefährdungscharakter des Unrechtselements „Absicht". W i r greifen wiederum auf unsere Beispiele des Diebstahls (bzw. Raubes) und des Betruges (bzw. Erpressung) zurück. W i r d beim Diebstahl wirklich das Eigentum durch die Zueignungsabsicht des Täters und nicht durch seinen Abeignungsvorsatz, w i r d beim Betrug wirklich das Vermögen durch die Bereicherungsabsicht des Täters und nicht durch seinen Schädigungsvorsatz gefährdet, wie es nach der Behauptung Mezgers der Fall sein müßte? Gewiß nicht. Das Eigentum leidet nicht darunter, daß der Dieb sich die gestohlene Sache zueignet statt sie wegzuwerfen. I m Gegenteil: der Eigentümer behält so die reellere Chance, sein Eigentum wiederzuerlangen, als wenn es dem Zugriff eines jeden Dritten ausgesetzt wäre. Und auch das Vermögen w i r d wenigstens erhalten, wenn der Betrüger sich oder einen Dritten damit bereichert; der Geschädigte w i r d es, soweit die Bereicherung noch fortdauert, leicht zurückholen können, sobald er seinen I r r t u m entdeckt hat. Wo aber die Absicht des Täuschenden nur auf die Schädigung des Vermögensinhabers gerichtet ist, liegt der völlige Untergang eines Vermögensstückes viel näher, und damit rückt gleichzeitig die Möglichkeit für den Geschädigten, sein Vermögen zurückzuerhalten, i n viel weitere Ferne. Nicht die Gefährdung des Rechtsgutes also w i r d bei Diebstahl und Betrug durch die dort vorausgesetzte Absicht charakterisiert, sondern der Täter. Darum ist aber der Hinweis auf den Gefährdungsgedanken für wesentliche Fälle der Absichtsdelikte kein brauchbares Erklärungsprinzip. Der Bruch i n der Unrechtsbegründung, der sich damit schon für die Absichtsdelikte deutlich abzeichnet, w i r d unausweichlich schließlich bei den sog. „echten" subjektiven Unrechtselementen, welche „ihre unrechtskonstituierende Funktion auch i n der Vollendung nicht verlieren" 5 8 . Bei den Tendenzdelikten, den vorzüglichsten Beispielen für diese Gruppe von Unrechtsmerkmalen, erscheint die Handlung stets nur als Ausdruck einer bestimmten Tendenz des Täters rechtswidrig; das Unrecht ist i n einem „echten" Sinne von der subjektiven Einstellung des Täters abhängig. Anschaulich w i r d das i n dem Fall, m i t dem M. E. Mayer der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen zum Durchbruch verhalf: ein junger Mediziner faßt, den Ratschlag Mephistos befolgend, ein Mädchen nur darum um die schlanke Hüfte, u m „zu sehn wie fest geschnürt sie sei" 5 4 . Hier macht erst die wollüstige Absicht die ärztliche Untersuchung zu einer unzüchtigen Handlung. Das Unrecht w i r d allein objektiv unfaßbar; der vom Rechtsgut getrennte Täter muß 53 Mezger ¡Blei, a.a.O., S. 93. 54 Siehe oben S. 32.

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i n den Blick der Unrechtsbetrachtung einbezogen werden. Oder, m i t den Worten Engischs: „Das Subjektive darf innerhalb der Tatbestandsund Unrechtslehre dort nicht beiseite gesetzt werden, wo es bei sachgemäßer Auslegung und Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes unentbehrlich ist, um das Urteil tatbestandsmäßigen Unrechts zu begründen 5 5 ." Aus alledem ergibt sich, daß jener objektivistische Ausgangspunkt der klassischen Unrechtslehre, welcher den persönlichen A n t e i l des Täters an dem von i h m verletzten Interesse bestreitet, unhaltbar ist, soweit er als absolut gesetzt wird; daß er aber eine verhängnisvolle und sich immer wieder i n Ungereimtheiten und Widersprüchen anzeigende Aufweichung der Dogmatik darstellt, sofern er zur Regel degradiert wird, welche Ausnahmen zu dulden hat. Eine Lösung der dogmatischen Probleme unseres heutigen Strafrechts ist damit von dieser Lehre nicht zu erwarten. Der vom Täter losgelöste Erfolgsunwert ist nicht das einzige und — vielleicht — nicht einmal das entscheidende K r i t e r i u m des Unrechts. W i r wenden uns daher nunmehr der K r i t i k der Lehren von der personalen Natur des Unrechts zu. Wie w i r i n unserer geschichtlichen Betrachtung bereits sahen, zerfallen diese Lehren i n zwei Gruppen. Die eine Gruppe legt dem personalen Unrecht den Willen einer abstrakten Person zugrunde, während die andere Gruppe auf den Willen einer konkreten Person abstellt. W i r werden zunächst die erste Gruppe betrachten. I I . Kritik der Lehren von der objektiv-personalen Natur des Unrechts A u f der zuletzt getroffenen Feststellung, daß der vom Täter losgelöste Erfolgsunwert nicht das einzige und vielleicht nicht einmal das entscheidende K r i t e r i u m des Unrechts darstelle, baut M a i h o f e r seine personale Unrechtslehre auf. Maihofers K r i t i k an der objektivistischen Unrechtsauffassung entzündet sich allerdings nicht an den subjektiven Unrechtselementen, sondern — und das ist für die Entwicklung seiner eigenen Auffassung entscheidend — an der Behandlung der objektiv-sozialen Pflichtenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten und den Fahrlässigkeitsdelikten i n der gegenwärtigen Lehre und Rechtsprechung. Bei diesen Formen der Verbrechensverwirklichung ist das Unrecht nämlich ohne Rückgriff auf die soziale Stellung des Täters und die i n seinem Verhalten liegende Verletzung einer bestimmten sozialen Pflicht (der Garantenpflicht bei den Unterlassungsdelikten, der objektiven Sorgfaltspflicht bei den Fahrlässig55

Engisch i n Rittler-Festschrift, S. 182.

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keitsdelikten) nahezu unbestritten nicht feststellbar. Damit ist aber nach Maihofers Ansicht nichts anderes gesagt, als daß w i r ganz allgemein i m Unrechtsurteil das Verhalten des Täters nach sozialen Maßstäben mißbilligen 1. Folgerichtig t r i t t bei i h m daher das Moment der sozialen Pflichtverletzung zu dem i n der objektiven Unrechtslehre allein anerkannten Moment der Rechtsgutsverletzung hinzu 2 , so daß erst beide Momente zusammen das Rechtswidrigkeitsurteil ausmachen. Bereits die Prämissen der objektiv-personalen Unrechtslehre weisen indessen entscheidende Mängel auf. Maihofer sieht alles Recht „bezogen auf menschliches Verhalten. Es ist die Vorzeichnung, damit Sicherstellung und notfalls Durchsetzung eines bestimmten Verhaltens 'im Interesse* des Anderen" 8 . „Grund und Ziel allen Rechts" sind i h m „die Eigentlichkeit des Aisseins, i n der sich das Selbstsein i n seinem Dasein m i t anderen zu vollbringen hat" 4 . Diese Thesen decken keinesfalls, wie Maihofer behauptet, den gesamten Bereich des Rechts. W i r erinnern uns, daß schon zu Beginn der Diskussion über den Unrechtsbegriff Jhering die Frage gestellt hatte, wie man denn den Zustand eines gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache bezeichnen solle: Ein rechtmäßiger, meinte er, sei er nicht, also bleibe nur übrig, i h n rechtswidrig zu nennen 5 . Jhering wollte damals nachweisen, daß dem Recht i n manchen Fällen die Pflichtwidrigkeit (die Schuld) des Handelnden gleichgültig sei, daß es nicht gehindert sei, auch einen schuldlos geschaffenen oder aufrechterhaltenen Zustand als Unrecht zu bezeichnen. Dieses Argument läßt sich heute auch gegen Maihofers Lehre wenden. Denn das Recht beabsichtigt nicht, das Verhalten des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache sozial zu mißbilligen; gleichwohl kennzeichnet es den Besitz als rechtswidrig. Und ebenso verfährt es bei Eingriffen i n Rechtsgüter, welche auch durch Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt nicht zu vermeiden waren. Die Injektion einer tödlichen Dosis Morphium durch die ahnungslose und auch nicht fahrlässig handelnde Krankenschwester stellt einen rechtswidrigen Angriff nicht weniger dar als die von einem sich verkehrsrichtig verhaltenden Kraftfahrer ausgehende Gefahr, er werde einen Fußgänger überfahren 6 . Unabhängig von der sozialen Mißbilligung eines bestimmten menschlichen Verhaltens bewertet das Recht hier überall einen Zustand oder Vorgang als seiner Ordnungsfunktion zu1

Maihofer i n Rittler-Festschrift, S. 144. Maihofer, a.a.O., S. 149. 8 Maihofer, a.a.O., S. 149. 4 Maihofer, Recht u n d Sein, S. 125. s Siehe oben S. 17. • Vgl. dazu Welzel, Dtsch. Strafr. S.30; B G H Z 24, 21 ff. (betr. den Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens). I m Sinne des Textes Bindokat i n JZ 58, 553 (555); Baur i n AcP 160, 465 (467 ff.) (betr. § 1004 BGB). 2

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wider — als „rechtswidrig" — und knüpft an diese Bewertung rechtliche Folgen, die derjenige, welcher den Zustand herbeigeführt hat, aufrechterhält oder i m Begriff ist hervorzurufen, tragen muß. Das Objekt der rechtlichen Wertung ist aber nicht „die Eigentlichkeit des Aisseins, in der sich das Selbstsein i n seinem Dasein m i t Andern zu vollbringen hat", wie Maihof er es für alles Recht i n Anspruch nimmt; denn diese „Eigentlichkeit des Aisseins" ist gar nicht verfehlt worden. Vielmehr ist, aus welchen Gründen auch immer, ein objektiver Zustand rechtswidrig: das Recht kann i h n gemäß seiner Ordnungsfunktion nicht als endgültig anerkennen und verwirft ihn eben darum zugunsten eines gerechteren Zustandes. W i r d somit Maihofers Theorie einerseits wegen ihres Personalismus ' der objektiven Ordnungsfunktion des Rechts nicht hinreichend gerecht, so vermag der i n seiner Theorie an anderer Stelle ebenfalls enthaltene Objektivismus andererseits nicht den Gegebenheiten des subjektiv-personalen Täterwillens Rechnung zu tragen. A l l das, was bisher gegen eine einseitig objektiv ausgerichtete Unrechtslehre einzuwenden war, kann und muß nun auch gegen die objektiv-personale Unrechtslehre Maihofers eingewendet werden. Denn m i t der Sozialperson bekommt die Unrechtsbetrachtung zwar einen wesentlichen Teil der Täterpersönlichkeit i n den Blick, nicht aber den Täter selbst i n seiner je individuellen Existenz. Sein Vorsatz und seine Absichten lassen sich sozial-objektiv gar nicht fassen, und infolgedessen kann das Unrecht seines Verhaltens sozial-objektiv auch nicht von den Zielen und Zwecken abhängig gemacht werden, die gerade er m i t seiner Handlung verfolgte. Lediglich sein äußerer Habitus, seine äußere Haltung lassen Schlüsse auf sein inneres, materielles Sein zu. Das aber ist nicht genug. Es sei hier ein Beispiel von Engisch angeführt: I n einer Gastwirtschaft greift jemand nach einem fremden Mantel, der über dem seinen hängt 7 . Engisch macht dieses Beispiel gegen die einseitig objektiv ausgerichtete Unrechtslehre fruchtbar: sie vermöge ohne Kenntnis des subjektiven Willensinhalts nicht anzugeben, ob hier eine Gefährdung fremden Gewahrsams vorliege oder nicht, ob also objektiv ein Diebstahlsversuch gegeben sei oder nicht 8 . Aber auch Maihof er vermag den je nach der Willensrichtung des Täters verschiedenen sozialen Bedeutungen nicht Rechnung zu tragen. Dem objektiven Erscheinungsbild nach stellt sich das Verhalten nämlich sowohl als rechtmäßiges Vorhaben (Freihängen des eigenen Mantels) als auch als rechtswidriges Tun (Bruch des Gewahrsams und Abeignung des fremden Mantels) dar. Diesen ambivalenten Sinn zwar vermag Maihofer herauszustellen; zu entscheiden, welcher Sinngehalt die strafrechtliche Wertung 7 8

Engisch i n Rittler-Festschrift, S. 178. Siehe dazu u n d zum folgenden auch Otto , Rechtswidrigkeit, S. 24 f., 27 f.

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tragen soll, vermag er jedoch nicht. Gleichwohl kommt es gerade auf den subjektiven Sinngehalt des Verhaltens für die Frage einer Versuchsbestrafung an. War nämlich die Absicht des Täters auf Wegnahme und Zueignung des fremden Mantels gerichtet, so stellt der Griff nach dem Mantel einen Anfang der Ausführung des Diebstahls dar — der Täter hat den Bereich strafloser Vorbereitung überschritten und zur Verwirklichung seines verbrecherischen Entschlusses unmittelbar angesetzt 9 . Daher ergibt sich bereits i n diesem Zeitpunkt die Frage nach dem rechtlichen Werturteil über das Verhalten. Für ein solches Werturteil kann aber nur eine Theorie die Grundlagen aufzeigen, die den subjektiven Willen des Täters bei der Unrechtsbetrachtung berücksichtigt. Maihofer ist freilich zuzugeben, daß sich bereits aus dem Begreifen der konkreten Situation i n vielen Fällen der soziale Sinn der Handlung erschließen läßt. Aber es sind andererseits auch mannigfache Fälle denkbar, bei denen sich das, was der Täter als Sozialperson ist, erst ergibt aus einem Rückgang auf das individuelle Selbstsein des Täters. Denn wenn auch alles Selbstsein i n der sozialen Welt sich i n der sozialen Form des Aisseins entfaltet, so kann doch dieses Aissein nicht aus der Betrachtung isoliert werden. Was der Täter ist, das ist er nicht nur als . . ., sondern gleichzeitig auch als individuelle Hervorbringung dieses Als . . . . Wenn Maihofer meint, der Sinn des Verhaltens des Menschen i n der Welt bestimme sich nicht nach seiner subjektiven Zwecksetzung und Sinngebung, sondern nach der objektiven Zweckhaftigkeit und Sinnhaftigkeit i m Zusammenhange der sozialen Welt: vom „Empfängerhorizont" der Andern 1 0 , so ist dem entgegenzuhalten, daß dieser Empfängerhorizont solange beschränkt bleiben muß, als er nicht gerade die subjektive Zwecksetzung und Sinngebung einbezieht, als nicht gesehen wird, daß hinter der sozialen Fassade der individuelle Mensch u m seine Teilnahme am sozialen Leben ringt. Aber kehren w i r nochmals zu konkreten Beispielen zurück! Nicht nur die Unrechtsbegründung, auch der Unrechtsausschluß kann nicht allein sozial-objektiv, er muß vielmehr auch täter-individuell gehalten sein. A u f das Beispiel des übergesetzlichen Notstandes hat bereits in diesem Zusammenhang Krauß hingewiesen 11 . Wenn ein Arzt m i t 70 km/h durch die Stadt fährt, handelt er norm- und pflichtwidrig, falls keine Gegeninteressen sein Verhalten rechtfertigen. Liegen diese Gegeninteressen aber vor, etwa weil er einem Schwerverletzten eilendst Hilfe bringen muß, so kann sein Willensentschluß dennoch sozial verwerflich bleiben, wenn er nicht i m Hinblick auf rasche Hilfe so schnell gefahren ist. Rechtsprechung und Lehre setzen demgemäß ganz allge9

Vgl. BGHSt bei Daliinger i n M D R 58,12. Maihofer, Recht u n d Sein, S. 113 f. 11 Krauß i n ZStW 76, 35 f.

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mein für die Rechtfertigung beim übergesetzlichen Notstand bestimmte subjektive Elemente voraus, welche den Willensentschluß nicht als Auflehnung gegen die Rechtsordnung erscheinen lassen 12 . Diese sogenannten subjektiven Rechtfertigungselemente, seit langem anerkannt, sind m i t Maihofers objektiv-personaler Unrechtslehre nicht zu vereinbaren. Denn als Sozialperson müßte der Täter allemal nach seinem unmittelbaren Schaden oder Nutzen für die Gesellschaft bewertet werden, während es auf seine individuelle Willensrichtung nicht ankäme. — Daher müßte auch nach Maihofers Lehre jedes Verhalten als gerechtfertigt erscheinen, das vom Sozialstandpunkt aus als Verteidigung i n einer Notwehrlage erscheint. Ob der Täter den Angriff auf seine Rechtsstellung erkannt hat, bliebe solange gleichgültig, wie nur eine vernünftige Person an der Stelle des Täters den Angriff erkannt haben würde. Hätte ein vernünftiger Mensch den Angriff erkannt und abgewehrt, so könnte über den Täter kein Unrechtsurteil gefällt werden. Wäre aber auch einem vernünftigen Menschen der Angriff verborgen geblieben, so müßte umgekehrt eine Abwehr des Angriffs i n Konsequenz von Maihofers Lehre rechtswidrig erscheinen. Hier, i n diesem letzten Beispiel, zeigt sich das Ungenügende von Maihofers Unterscheidung zwischen der unrechtsirrelevanten Individualperson und der nach seiner Meinung allein i m Recht stehenden Sozialperson i n seiner unheilvollen praktischen Auswirkung nun noch besonders deutlich. Denn warum wohl soll jemand einem Angriff nur darum ohne Verteidigungsrecht ausgesetzt sein, weil ein vernünftiger Mensch nicht auf den Gedanken gekommen wäre, i n einem bestimmten Verhalten einen Angriff auf sich zu erblicken? Genügt es nicht, daß der Angegriffene selbst des Angriffs gewahr wurde, und sollte das Recht nicht froh sein, daß er sich kraft seiner besonderen Fähigkeiten des Angriffs erwehren konnte? — Vermeidet man aber diese Konsequenz von Maihofers Lehre und gibt man auch dem Überdurchschnittlichen wegen seiner überdurchschnittlichen Erkenntnis der Dinge das Recht, sich zu wehren, so erscheint es nur folgerichtig, darüber hinaus ganz allgemein auf die subjektive Kenntnis des konkreten Täters für die subjektive Rechtfertigung seines Verhaltens abzustellen und nicht nach der Erkennbarkeit für eine Normalperson zu fragen. Anders gewendet: verlangt man zur Rechtfertigung die Kenntnis von der rechtfertigenden Situation, so kann für diese Kenntnis nur diejenige des Täters, nicht die einer vernünftigen Person i n der Lage des Täters bedeutsam sein. Und so ergibt sich, daß entgegen der Lehre Maihofers auch der Unrechtsausschluß individuell gehalten sein muß. 12 RGSt 62, 138; BGHSt 2, 114; 3, 7; Baumann, Allg. T., S. 276; Kohlrausch/ Lange, StGB, S. 18; H. Mayer, Allg. T., S. 180; Maurach, A l l g . T., S. 243; Schönke/ Schröder, StGB § 51 Vorbem. 54, 67; Stratenwerth, Juristen-Jahrbuch I I , S. 201; Welzel, a.a.O., S. 83.

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Maihofers Lehre erscheint undurchführbar und hat daher bisher auch wenig Anklang gefunden 13 . Wenn es auch nach unserer K r i t i k der objektiven Unrechtslehren zutreffend erscheint, neben der Rechtsgutsverletzung i m Rahmen des Unrechts personale Elemente zu berücksichtigen, so dürfen diese doch nicht Elemente einer objektiven Sozialperson, sondern müssen ganz offenbar Elemente der konkreten Täterpersönlichkeit sein. — Bereits i n unserer dogmengeschichtlichen Erörterung hatten w i r gesehen, daß Maihofers Lehre viele Gedanken wiederaufnimmt, die schon i n Hegels Lehre vom Unrecht enthalten waren, daß sie ihre unmittelbare Herkunft aber von Erik Wolfs Untersuchung über „Das Wesen des Täters" nachweist 14 . Wenn w i r nun noch Hegels und Wolfs Lehren einer kritischen Betrachtung unterziehen, glauben w i r gleichzeitig, auch dem i n Maihofers Lehre enthaltenen durchaus berechtigten Anliegen näher zu kommen, als uns das bisher i n unserer dogmatischen K r i t i k möglich war. Wie für Maihofer „Mensch i m Recht" die Sozialperson ist, so war es für H e g e l die abstrakte Person. Für diese wesentlich war das Bewußtsein ihrer formalen Freiheit, d. h. der Fähigkeit, sich (ihr Ich) von allen andrängenden Einflüssen zu abstrahieren. „ I n der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten (innerlicher W i l l kür, Trieb und Begierde, sowie nach unmittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und i n der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freie weiß" 1 5 . I n solchem Selbstbewußtsein war die Person Grundlage des abstrakten Rechts, und das Rechtsgebot lautete daher: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" 16 . — Dieser Grundlage vermögen w i r zuzustimmen. Unzutreffend erscheint uns lediglich, wenn Hegel dann die besonderen Gründe, welche eine Person leiten, das Interesse, den Nutzen oder das Wohl, das sie verfolgt, als für das Recht unerheblich erklärt 1 7 . Denn m i t solcher Lehre harmonieren die subjektiven Unrechts- und Unrechtsausschließungselemente nicht. Diese müssen — wie oben dargelegt und begründet — i m Rahmen des Unrechts berücksichtigt werden; alle Lehren, welche das verbieten, sind unhaltbar. Wesentlicher als diese K r i t i k scheint mir, nunmehr noch auf das Anliegen hinzuweisen, welches Hegel m i t dem Aufweis der abstrakten Person als Grundlage des abstrakten Rechts verfolgte und welches 13 Vgl. Gallas i n ZStW 67,14 f.; Krauß i n ZStW 76, 35 ff.; Otto , Rechtswidrigkeit, S. 27 ff. 14 Siehe oben S. 44. 15 Hegel , Rechtsphilosophie § 35. 16 Hegel , a.a.O., § 36. 17 Siehe oben S. 14.

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gleichzeitig, meine ich, den Schlüssel nicht nur zu seiner, sondern auch zu Maihofers Scheidung zwischen Recht und Moralität bzw. zwischen Unrecht und Schuld bietet. Die abstrakte Person erfüllt die Mindestanforderungen, die an einen Rechtsträger (Rechtssubjekt) als Handlungsträger zu stellen sind: sie ist ein Limitationsbegriff. Insofern sind für sie alle Besonderheiten des Willens nicht wesentlich — Recht kann auch ohne besonderes Interesse verwirklicht werden. Aber — und hier entfernen w i r uns von Hegels und Maihofers Standpunkt — all das beweist nicht, daß eine besondere Bestimmung des einzelnen Willens nicht eine Besonderheit der rechtlichen Gestaltung zur Folge haben kann. Ist doch der jeweilige Inhalt des Willens nicht nur schlechthin gegebener Trieb, Neigung, Bedürfnis, sondern durch die Kontrollinstanz des menschlichen Bewußtseins hindurchgegangen: nicht nur Willensinhalt, sondern auch Willensinhalt, d. h. vom Willen selbst umfaßter Inhalt. Alsdann muß i h m aber dieselbe Stellung wie dem Willen zugebilligt werden. Einen gewissen Widerspruch muß Hegels Lehre ohnedies bei der Behandlung der Unrechtsarten i n Kauf nehmen. Beim Unrecht überhaupt ist der Wille nach Hegels Meinung „als besonderer Wille von sich als an und für sich seiendem verschieden und entgegengesetzt" 18. Die Frage aber, ob bürgerliches Unrecht oder kriminelles Unrecht vorliege, soll danach zu entscheiden sein, ob es sich i m Einzelfall u m eine Verschiedenheit oder eine Entgegensetzung des Willens handelt 1 9 . Wie wäre nun diese letzte Frage i m Rahmen des abstrakten Rechtes zu prüfen, wenn alle „Einsicht und Absicht" des Willens als bedeutungslos 20 außer Betracht zu bleiben haben? Die Rechtsfeindschaft, von Hegel als K r i t e r i u m des verbrecherischen Unrechts herausgestellt, w i r d doch gerade nicht durch die äußere Erscheinung des Willens, sondern durch seinen subjektiven Inhalt erzeugt! Wer eine fremde Sache wegnimmt, kann dies darum tun, weil er die Sache für seine eigene hält, aber auch, u m i n diebischer Absicht mit ihr zu verschwinden. I n beiden Fällen ist das Geschehen Ausdruck eines Willensverhaltens, objektivierter W i l l e 2 1 ; ob aber bürgerliches oder verbrecherisches Unrecht vorliegt, entscheidet sich allein aus der besonderen Absicht des Täters. Maihofer freilich entgeht diesem Widerspruch, indem er die Rechtsfeindschaft des Täters als für das Unrecht unerheblich ansieht, und insofern scheint seine Lehre einen Fortschritt gegenüber der Hegel'schen zu bedeuten. Aber w i r dürfen nicht vergessen, daß dieser scheinbare 18

Hegel, a.a.O., § 40. Hegel, a.a.O., § 83. Vgl. Hegel, a.a.O., § 37. 21 Vgl. auch dazu H. Mayer, Allg. T., S. 103 ff., welcher der Hegel'schen A u f fassung denkbar nahe steht, w e n n er die rechtswidrige Handlung als objektivierten W i l l e n begreift, als „die äußere Gestalt, welche sich der W i l l e gibt". 19

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Fortschritt einem wichtigen Mangel gegenüber dem Ansatz Hegels seine Entstehung verdankt: Maihofer stellt seine Unrechts- und Schuldlehre nämlich nicht i n Beziehung zu einer Straftheorie, wie noch Hegel es tat. Nur dadurch erspart er sich, das Charakteristische des verbrecherischen Unrechts herauszuheben und damit w o h l oder übel doch auf die Willenseinstellung eines konkreten Täters abstellen zu müssen. Denn daß nicht jedes „unvernünftige" Verhalten, das einen Verbrechenstatbestand objektiv verwirklicht, verbrecherisches Unrecht ist, ergibt sich bereits aus dem Gesetz: Fahrlässige Eigentumsbeschädigungen, Ehrverletzungen o. dgl. sind zwar Verhaltensweisen, die von der „Eigentlichkeit des Aisseins" abweichen, u. U. auch Rechtsfolgen nach sich ziehen, nicht aber verbrecherisches Unrecht, das mit Strafe geahndet werden kann. Indem Hegel und Maihofer die limitierende Funktion ihres Begriffs der abstrakten bzw. vernünftigen Person aufheben, t u n sie noch ein weiteres: sie vernichten das Spannungsverhältnis zwischen Täter und Recht. Bei Hegel geschieht dies freilich noch nicht völlig; ein Mindestmaß bleibt durch die Beziehung des abstrakten Willens des Täters zum Recht stets noch erhalten. Bei Maihofer hingegen w i r d das Spannungsverhältnis vollends unerheblich. Ob der Täter die Untat, die er beging, vermeiden konnte, bleibt i n seiner Lehre solange unberücksichtigt, als sie einer Normalperson zum Vorwurf gemacht werden kann. Das Spannungsverhältnis w i r d verlagert; es besteht nicht mehr zwischen der konkreten Täterpersönlichkeit und dem Recht, sondern zwischen der konkreten Täterpersönlichkeit und einer abstrakten Person, die als Rechtsperson das Wollen der Rechtsordnung verkörpert und damit selbst Grundlage des Rechts ist. Die Personalität, welche das Recht hierdurch gewonnen hat, hat der individuelle Täter selbst eingebüßt. Was übrig bleibt von ihm, ist ein höchstpersönlicher Rest, den man entschuldigen, nie aber rechtfertigen kann. Das aber kann nicht richtig sein. Was hier und jetzt geschieht, ist nicht Objektivation des Man 2 2 und unterliegt nicht als solches dem Wert- oder Unwerturteil des Rechts, sondern ist Objektivation konkreter individueller Subjektivität: Objektivation des Selbst. Personales Unrecht muß daher immer subjektivpersonales Unrecht sein; und nur das Maß, nach dem die Personalität der individuellen Willensäußerung bestimmt wird, ist abstrakt und daher letzthin auch rechtlich faßbar. Es allein bestimmt, inwieweit die Absicht des Täters Ausdruck seiner Personalität, inwieweit sie rechtlich relevant und inwieweit sie allenfalls m i t Strafe zu ahnden ist; es schließt weiterhin jede Absicht aus der rechtlichen Betrachtung aus, die 22

Vgl. aber Maihofer,

Rittler-Festschrift, S. 154.

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willentlich nicht beherrschbar das Geschehen formt und damit einem Naturereignis gleichzustellen ist. Doch davon noch später! Erik W o l f , dessen Lehren w i r uns jetzt noch zuwenden wollen, hält aus anderen Gründen als Hegel die individuellen Einsichten und Absichten des Täters als für den Bereich der juristischen Täterlehre unerheblich. Täter ist i h m der i m Gesetz meist unvollkommen umschriebene Tätertyp, der Rechtsgenosse i n einer bestimmten Stufe des Personverfalls 28 . So sieht Wolf etwa i n den Absichtsdelikten den Täterschaftstypus der Gemeinwidrigkeit umschrieben: „kalte Asozialität, die jeder Gemeinschaftsbindung aus Personwerten heraus den nackten Egoismus des Individuums entgegensetzt" 24 . M i t seiner Strafdrohung wolle das Gesetz diesen durch seine Gesinnung gekennzeichneten Tätert y p treffen, und darum könne der individuellen Absicht des Täters nur Indizfunktion für das Vorhandensein des vom Gesetz gemeinten Tätertyps zukommen. I m Gegensatz zu Hegels Ansicht erscheint hier die Rechtsperson materiell erfüllt; erfüllendes Moment ist aber nicht „ I n dividuell-Menschliches" 25 , sondern die Typizität einer bestimmten Gesinnung. Die konkrete Täterpersönlichkeit selbst bleibt außerhalb der Betrachtung. Grund für das Stehenbleiben i m Tätertypischen ist für Wolf die Tatsache, daß das Gesetz m i t Begriffen arbeiten muß, welche „nie das Ideal vollkommener Tatsachenbeschreibung erreichen" können 2 6 ; es gibt für Wolf kein gesetzliches Recht des Einzelfalles. Folgt aber daraus auch, daß es kein Recht des Einzelfalles gibt? Gewiß nicht, und wahrscheinlich w i l l Wolf das nicht einmal behaupten. Aber er schließt gleichwohl die Berücksichtigung individueller Merkmale aus der Unrechtslehre aus und verweist sie i n die Lehre von Strafzumessung und Strafvollzug. Wolf ist zuzugeben, daß das Recht des Einzelfalles i m Gesetz nie geschrieben stehen kann, weil der Gesetzgeber sich von Wertbegriffen nicht zu lösen vermag. Aber daraus folgt noch nicht, daß der „Mensch i m Recht" nur jene Wesensmerkmale besitzen darf, welche das Gesetz nennt, daß der Täter — genauer gesagt — i m Recht als Wesensperson und nicht als individuelle Person zu erscheinen hat. Wie bei Hegel und Maihofer beginnt auch bei Wolf die Abstraktion zu frühzeitig: sie setzt ein, ehe der konkrete Täter m i t dem Recht i n Berührung gekommen ist. Sie reduziert den konkreten Täter auf eine Summe von Wesensmerkmalen und konfrontiert i h n so zurechtgestutzt m i t dem Muster der rechtlichen Sollensordnung. 23 14 25 26

Wolf , V o m Wesen des Täters, S. 27 ff. Wolf t a.a.O., S. 29. Vgl. Wolf , a.a.O., S. 26. Wolf , a.a.O., S. 23.

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Aber, so ließe sich einwenden, geht das Recht nicht i n der Tat von einem bestimmten „vernünftigen" Typus der Normunterworfenen aus und richtet es nicht i n der Tat nach diesem vorgestellten Typus seine Verhaltensanforderungen? Etwa bei den unechten Unterlassungsdelikten, wo bestimmte soziale Stellungen oder Funktionen für das Entstehen von Erfolgsabwendungspflichten wesentlich werden, oder (und vor allem) bei den Fahrlässigkeitsdelikten, wo der Maßstab der objektiven Sorgfalt an dem Benehmen einer Durchschnittsperson i n der Lage des Täters gemessen wird? Darauf ist zu erwidern: Gewiß spielt wie für jedes Werturteil so auch für das rechtliche Werturteil über ein Verhalten das normative Leitbild eine Rolle. Aber dieses normative Leitbild „paßt" eben auch nur auf den normalen Menschen. Soll das Verhalten eines konkreten Menschen beurteilt werden, so muß berücksichtigt werden, inwieweit er von der vorausgesetzten Norm ( = Normalität) des Durchschnittsbürgers abweicht und inwieweit infolgedessen die an i h n zu stellenden normativen Anforderungen von den normalen abzuweichen haben. Denn Unmögliches ist von niemandem zu fordern. W i l l daher der Beurteiler sein Urteil über das Verhalten eines bestimmten Menschen abgeben, so muß er zur Grundlage seines Urteils die konkreten Fähigkeiten sowie Einsichten und Absichten dieses Menschen machen; w i l l er dagegen angeben, was i n einer bestimmten Situation durchschnittlich getan w i r d (Normalverhalten) oder getan werden soll (Normativverhalten), so w i r d er ein B i l d des (braven) Durchschnittsbürgers entwerfen. Für den Richter freilich, der über die Tat eines bestimmten Menschen zu Gericht sitzt, kann diese generelle Frage nach dem Normal- oder Normativverhalten nur eine Vorfrage sein, deren Beantwortung i h m allenfalls einen Anhaltspunkt für die Beurteilung des Täterverhaltens abgeben kann, keinesfalls aber die Beurteilung schon liefert. Sie ist eine Station auf dem Wege zur Erkenntnis vom Wert oder Unwert des konkreten Aktes, aber sie beinhaltet die eigentliche Wertaussage, die vom Richter gefordert wird, noch nicht. Und darum kann es auf sie i m Rahmen der Rechtswidrigkeitslehre nicht entscheidend ankommen. So erweist sich, daß durch die objektiv-personale Unrechtslehre zwar schon wesentliche Punkte der Unrechtsbetrachtung berührt werden, daß die Lehre als ganze aber doch nicht befriedigen kann, w e i l sie i n der Abstraktion stecken bleibt und daher nicht die Möglichkeit eröffnet, das Rechtswidrigkeitsurteil über die Tat eines konkret-bestimmten Täters abzugeben. Hierzu kann, so dürfen w i r nunmehr folgern, nur eine Lehre imstande sein, welche bereits für das Rechtswidrigkeitsurteil die Subjektivität des konkreten Täters erforscht und erst auf Grund der dadurch gewonnenen Erkenntnis i h r Urteil abgibt: eine subjektiv-per sonale Unrechtslehre also.

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I I I . Kritik der Lehren von der subjektiv-personalen Natur des Unrechts Unsere geschichtliche Betrachtung hatte bereits gezeigt, daß subjektiv-personale Unrechtslehren i n zweierlei Gestalt vertreten wurden: Unrecht — so besagten die einen der Lehren — ist stets zurechenbares Unrecht, Unrecht also des schuldhaft handelnden Täters; die anderen Lehren hingegen hielten an dem Schulderfordernis nicht fest, ihnen war lediglich eine konkrete schuldindifferente Willensbeziehung des Täters für das Unrecht der Tat wesentlich. Nur diese letztgenannten Lehren haben heute noch Bedeutung. Ihnen wollen w i r uns daher zunächst zuwenden. Eine subjektiv-personale Unrechtslehre i m letztgenannten Sinne w i r d gegenwärtig insbesondere von W e 1 z e 1 m i t seiner Lehre vom A k t u n wert aller Delikte vertreten. Welzel kommt es bei der strafrechtlichen Wertung hauptsächlich auf den Sinn der Tätigkeit an, welche zu einem sozial unerwünschten Erfolg führt 1 . Der objektive Unwert des Erfolges hat für ihn lediglich innerhalb dieses Sinnzusammenhanges Bedeutung 2 . — Welzels Standpunkt stellt demnach — i n vielen Einzeluntersuchungen für die Dogmatik fruchtbar gemacht — den fest umrissenen Gegenpol zu jenen objektiven Lehren dar, nach denen grundsätzlich allein der Erfolg Bedeutung für das Unrecht besitzen soll. Gegen die Deutung des Unrechts aus dem Handlungssinn bestehen indessen zwei Einwände, die zunächst thesenartig herausgestellt und anschließend — verbunden m i t einer ins einzelne gehenden Darstellung von Welzels Lehre — ausgeführt werden sollen. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten, so lautet der erste Einwand, kann der Aktunwert nicht i m (negativ zu bewertenden) Sinn der Tätigkeit liegen; denn dieser „richtet sich auf einen anderen als den tatbestandsmäßigen Erfolg" 8 . Welzel schreibt selbst: „Der entscheidende Unrechtsgehalt der fahrlässigen Delikte liegt i n dem Mißverhältnis der wirklich vorgenommenen Handlung gegenüber demjenigen Verhalten, das auf Grund der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte eingehalten werden müssen" 4 . Daher läßt sich hier nicht i m Vorhandensein eines negativen Sinnes das personale Unrecht fassen, sondern i m Fehlen eines positiven Sinnes „der wirklich vorgenommenen Handlung". Das Fehlen eines positiven Sinnes kann aber nicht selbst wiederum als negativer Sinngehalt i n der A r t eines 1 Welzel, Dtsch. Strafr., S. 1. — W i r folgen i n unseren Ausführungen der Terminologie Welzels, obwohl w i r sie nicht für glücklich halten u n d es v o r ziehen, den Terminus „ A k t u n w e r t (Handlungsunwert)" durch „ S u b j e k t unwert (Täterunwert)" zu ersetzen. 2 Welzel, a.a.O., S. 56 f. s Niese, Finalität, S. 58 f. 4 Welzel, Dtsch. Strafr. (8. Aufl.), S. 113. Dieser Satz ist i n der 9. Aufl. gestrichen worden; er t r i f f t aber auch heute noch den Standpunkt Welzels.

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Aktunwertes betrachtet werden. Kurz gesagt: Bei den Fahrlässigkeitsdelikten fehlt dem „ A k t " der „Unwert", dem „Unwert" aber der „ A k t " . Ein „ A k t u n w e r t " ist daher — entgegen Welzels Behauptung — nicht ersichtlich. — Der zweite Einwand richtet sich gegen die sekundäre Bedeutung, auf die Welzel den Erfolgsunwert reduziert. Ob ein A k t u n wert vorliegt, hängt — auch nach Welzels Ansicht — allein davon ab, ob die Tätigkeit h i n auf einen Erfolgsunwert ausgerichtet war; der Aktunwert beruht m i t h i n auf dem Unwert jenes Erfolges, auf den der A k t zielte. Alsdann kann aber der Unwert jenes Erfolges nicht ein „unselbständiges Moment" des Aktunwertes sein, welches fehlen kann; vielmehr muß m i t dem Erfolgsunwert auch der Aktunwert entfallen. Unser erster Einwand gegen Welzels Lehre vom Aktunwert: daß sie den Fahrlässigkeitsdelikten nicht gerecht werden könne, t r i f f t sich praeter propter m i t der K r i t i k , welche an Hegels Lehre vom verbrecherischen Unrecht geübt wurde. Wie heute für Welzel Grundlage des strafbaren Unrechts die finale Handlung ist, so war früher für Hegel entscheidend die bewußte Entgegensetzung des Einzelwillens der abstrakten Person gegen den allgemeinen Willen des Rechts. Hier wie da qualifizierte ein zielbestimmter A k t das Geschehen; der „ A k t u n w e r t " spielte die entscheidende Rolle. So ist es kein Wunder, daß das Problem, wie die Fahrlässigkeitsdelikte m i t der Lehre vom A k t u n w e r t zu vereinbaren seien, keineswegs neu ist. Bereits Hegel wurde — mit Recht! — vorgeworfen, er habe nicht dartun können, daß beispielsweise „ i n der kulposen Brandstiftung . . . eine bewußte Entgegensetzung des Einzelwillens gegen den allgemeinen liege" 5 , und bis heute sind ähnliche Argumente gegen Welzels Lehre von der finalen Struktur der Fahrlässigkeit nie verstummt 6 . Wie haben sich die Finalisten gegenüber diesen Angriffen verteidigt? Gleichgeblieben ist allen Angriffen zu Trotz auch für die Fahrlässigkeitsdelikte die grundsätzliche Unterscheidung zwischen A k t - und Erfolgsunwert. Allein so plausibel diese Unterscheidung bei den Vorsatzdelikten sein mag, so wenig lassen sich auf den ersten Anhieb m i t i h r die Probleme der fahrlässigen Tat lösen — jedenfalls wenn man Welzels Erläuterung der Begriffe „ A k t - " und „Erfolgsunwert" zugrundelegt. A k t w e r t besitzt nach Welzel die auf ein positives Werk gerichtete Tätigkeit; ihr Wert bleibt auch dann erhalten, wenn das Werk mißlingt und ein Erfolgsunwert entsteht. Aktunwert besitzt hingegen die auf einen schädlichen Erfolg gerichtete Tätigkeit; und auch ihr Aktunwert 5

Ad. Merkel , K r i m i n a l . Abh. Bd. I, S. 37. Daß etwa der Finalist Busch (Moderne Wandlungen, S. 43, A n m . 56) behauptete, das fahrlässige D e l i k t sei ein „Fremdkörper i n unserem Strafrecht", wurde als Konsequenz der „Prävalenz des Finalitätsgedankens" angesehen (Würtenberger, Geistige Situation, S. 4). 8

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bleibt vom E i n t r i t t des Schadens (Erfolgsunwertes) unabhängig 7 . Hieraus folgt eigentlich, daß die fahrlässige Tat durchaus A k t wert besitzt oder wenigstens besitzen kann, da sie meist auf ein positives Werk zielt und ihren dadurch erlangten Wertcharakter nicht verliert, indem sie ihr Ziel verfehlt und einen mißbilligenswerten Erfolg herbeiführt. Daß dies nicht richtig ist, kann jedoch nicht zweifelhaft sein. Die wahre Meinung Welzels ist denn auch wohl anders: er sieht wie i n der vorsätzlichen so auch i n der fahrlässigen Tat einen A k t unwert verwirklicht, und er beschreibt ihn als „die Außerachtlassung der verkehrserforderlichen Sorgfalt". Indessen w i r d hiermit nun wiederum der AJctcharakter der Fahrlässigkeitstat i n Frage gestellt. Schon die negative Fassung des Aktes durch den Begriff „Außerachtlassung" ( = NichtInnehaltung) beweist nämlich, daß Welzel nicht den aktuellen Sinn erfassen konnte, den der Täter seiner Tat gegeben hat. Der Sinn der Tätigkeit steht i m Fahrlässigkeitsdelikt außerhalb der Wertung, die „Finalität" als A k t der Sinngebung ist irrelevant 8 . Wesentlich erscheint allein der Mangel sinnvoller Selbstbestimmung i n Bezug auf den eingetretenen Erfolg, ein Mangel, der darin begründet liegt, daß der Täter den eingetretenen Erfolg zwar vermeiden sollte, nicht aber vermieden hat. Nicht der Sinn also, nicht die Finalität als A k t der Sinngebung für das handlungsmäßige Geschehen kann dem fahrlässigen Unrecht maßgeblich etwas bedeuten, sondern eine Sinnt; er fehlung. Wie aber läßt sich dieses letzthin normative Element, dieses Verfehlen, durch die ontologische Kategorie des Aktes, der Finalität, fassen; wie läßt sich der i m Fahrlässigkeitsurteil ausgedrückte Mangel an aktuellem Sein seinsmäßig bestimmen? Welches ist der A k t , der sich i n einem Mangel kundtut? Oder gibt es einen solchen A k t nicht, kann es i h n nicht geben? Die Antworten, welche die finale Handlungslehre i m Laufe ihrer Entwicklung auf diese Fragen erteilt hat, können nicht befriedigen. So verschieden sie i m einzelnen auch sind, sie erweisen insgesamt doch nur das vergebliche Ringen, ein normatives Grundphänomen 9 ontologisch i n den Griff zu bekommen, Sollen durch Sein auszudrücken und beides, Sollen und Sein, auf einer Ebene zu vereinen, die nicht tragfähig ist. Ursprünglich 1 0 brachte die finale Handlungslehre das subjektive Vermeiden-Können sowie das objektive und subjektive Vermeiden-Sollen als (individuelle) Vorhersehbarkeit sowie objektive und subjektive Verletzung einer Sorgfaltspflicht i n den Handlungskern und bezeichnete 7

Welzel, Dtsch. Strafr. (in allen Aufl.), S. 1 f. Vgl. Niese, a.a.O., S. 58 f. • Vgl. Mezger i n LeipzKomm., S. 8. 10 Siehe jetzt auch Welzel, Dtsch. Strafr. (9. Aufl.), S. 116 f.

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den gesamten Komplex als „zwecktätige Vermeidbarkeit" n. Welzel glaubte, daß durch „das Moment der Finalität, das bei der vorsätzlichen Handlung als wirkliche Zwecktätigkeit real-gestaltender Faktor (aktuelle Finalität), bei der fahrlässigen Handlung als mögliche Zwecktätigkeit nur Bezugsmoment ist (potentielle Finalität)", die Einheit des Handlungsbegriffes und damit die Einheit des Aktunwertes als Grundlage des Rechtswidrigkeitsurteils gerettet würde. Er übersah dabei, daß die Finalität als Seinsstruktur allenfalls dann Wertungsgegenstand sein kann, wenn sie tatsächlich (als „real-gestaltender Faktor") gegeben ist, nicht aber, wenn sie als bloßes Bezugsmoment erscheint. Denn als Bezugsmoment dient sie der auf ein anderes Objekt gerichteten Wertung eben nur als Bezug, d. h. als Vergleichsmaßstab: Nicht die Möglichkeit, den Erfolg zu vermeiden, die potentielle Finalität, w i r d dem Täter nunmehr vorgeworfen, sondern daß er diese Möglichkeit nicht genutzt hat, obwohl er sie hätte nutzen können. So ist Objekt der Wertung ein Mangel an Finalität i m Welzel'schen Sinne, ein Mangel an Sein, welcher sich ontisch als ein Fehlen von Sein äußert und allenfalls normativ als mangelhaftes Sein erfaßt werden kann. Aber noch ein weiterer I r r t u m steckte i n der Argumentation Welzels. Nicht einmal i n ihrer positiven Gegebenheit als real-gestaltender Faktor vermag nämlich die Finalität Gegenstand des strafrechtlichen Unwerturteils zu sein. Denn die reale Gestaltung der Umwelt bedeutet als naturhaftes Geschehen sittlich gar nichts — sie ist Realität ohne sittlichen Wertcharakter. Diese letzte Behauptung mag überraschend erscheinen; scheint doch das außenweltliche Geschehen gerade i n seiner Gestaltung durch das menschliche Wollen strafrechtliche Relevanz zu erlangen. Indessen erweist unsere These ihre Richtigkeit bereits an Welzels eigener Zurechnungslehre. Sie soll daher auch nur insoweit an dieser Stelle begründet werden. Der Grund, weshalb dem Menschen, nicht aber dem Tier sein Verhalten als persönliches Unrecht zugerechnet werden kann, liegt nach Welzels Ansicht i n der Struktur der menschlichen Handlung selbst begründet 1 2 : I m Gegensatz zum tierischen Verhalten, das „zwar zweckmäßig, aber zweckunbewußt" verläuft, sei das menschliche Verhalten nämlich „zweckbewußt" 1 8 . Erkennt man diese Auffassung als richtig an, so ergibt sich aus ihr, daß nur u m der „Bewußtheit" seiner Handlungen w i l l e n der Mensch i m Gegensatz zum Tier der strafrechtlichen Wertung unterliegt; die „Zwecke" als Ziele des Handelns sind hingegen Mensch und Tier weitgehend gemeinsam. So kann etwa ein Tier genausogut wie ein Mensch die Tötung eines Menschen „bezwecken" (in der 11 12 13

Welzel Dtsch. Strafr. (2. Aufl.), S. 86 f., 23. Welzel , Dtsch. Strafr. (9. Aufl.), S. 28. Welzel , a.a.O., S. 27.

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Terminologie Welzels). Unmöglich ist dem Tier lediglich — und hierin liegt gleichzeitig das für die strafrechtliche Wertung Entscheidende! —, die Tötung des Menschen zweck„bewußt" vorzunehmen. Das bedeutet aber, daß nicht der Tötungs„zweck", die Tötungs„absicht" als realgestaltender Faktor des handlungsmäßigen Geschehens der strafrechtlichen Wertung unterliegt, sondern allein die auf diesen „Zweck" oder diese „Absicht" bezogene echt menschliche „Bewußtheit". Diese Erkenntnis gibt uns den Blick frei auf eine Parallele zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat. Beide sind i n ihrem für die Wertung entscheidenden Teil auf die reale Herbeiführung des Erfolges lediglich „bezogen". Bei der Vorsatztat ist es das menschliche Bewußtsein, das den Bezug auf den Erfolg herstellt. Bei der Fahrlässigkeitstat fehlt es zwar an einem aktuellen Bewußtsein, nicht jedoch an einem Bezug auf den herbeigeführten Erfolg; denn es gehört bekanntlich zum Wesen der strafrechtlichen Fahrlässigkeit, daß sie am tatbestandlichen Erfolg ausgerichtet ist. Diesen Bezug kann Welzel jedoch darum nicht erfassen, weil seine Untersuchungen einseitig ontologisch ausgerichtet sind; einer normativen Erfassung entzieht er sich nach unseren bisherigen Überlegungen hingegen nicht. Das soll an dieser Stelle aber noch nicht vertieft werden. Kehren w i r zur Entwicklung der finalen Handlungslehre zurück. Unter dem Eindruck von Einwendungen Mezgers 14 und Bockelmanns 15 baute N i e s e 1 8 die fahrlässige Handlung auf veränderter ontologischer Grundlage auf als aktuell-finales Verhalten m i t mißbilligter nicht-finaler Erfolgsverursachung. Er trug dabei vor allem Angriffen auf das ontologische Verbindungsglied zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Handlung, auf die „zwecktätige Vermeidbarkeit", welche er m i t der potentiellen Finalität gleichsetzt 17 , Rechnung 18 . Bei seiner Untersuchung welche Rolle die Potentialität der Finalität spielt, ging Niese nicht auf Welzels Inhaltsbestimmung der zwecktätigen Vermeidbarkeit zurück — trotz der angeblichen Synonymität beider Ausdrücke; vielmehr prüfte er, ob man die potentielle Finalität „bei wertungsfreier Betrachtungsweise" als objektives Vermeiden-Können oder ob man sie nicht viel14

Mezger , Moderne Wege, S. 18 f. Bockelmann , Täterschaft u n d Teilnahme (1949), a.a.O., S. 31 ff. Niese , a.a.O., S. 40 ff. 17 Diese Gleichsetzung von zwecktätiger Vermeidbarkeit u n d potentieller Finalität hatte Welzel zwar noch nicht ausdrücklich vorgenommen, jedoch lag sie i n seiner Darstellung begründet. Vgl. Dtsch. Strafr. (2. Aufl.), S. 85: „Die fahrlässigen Handlungen sind o b j e k t i v bloße kausale Erfolgs Verursachungen. Aber über einen blinden Naturvorgang heben sie sich dadurch hinaus, daß die Erfolgs Verursachung zwecktätig vermeidbar war. Ist die Finalität bei der v o r sätzlichen Handlung ein o b j e k t i v gestaltender Faktor (aktuelle Finalität), so ist sie bei der fahrlässigen Handlung wenigstens Bezugsmoment (potentielle Finalität)." Siehe aber auch Welzel i n ZStW 58, 491 (561)! 18 Niese , a.a.O., S. 42. 15

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mehr als Vermeiden-Sollen anzusehen habe. Ein objektives VermeidenKönnen hatte aber Welzel nie zum Inhalt des subjektiven Tatbestandes machen wollen. Darum geht die an sich richtige Argumentation Nieses an der damals bestehenden Ausformung der finalen Handlungslehre vorbei. Denn i n der Tat — wollte man das objektive Vermeiden-Können feststellen, „so wäre das Ergebnis, daß jeder Erfolg ,zwecktätig vermeidbar' ist. . . . Das würde dazu führen, daß" der Täter „ i n jedem Falle 'potentiell finar gehandelt hätte. . . . Das aber ist offensichtlich nicht die Meinung Welzels; denn i h m kommt es darauf an, i n der zwecktätigen Vermeidbarkeit einen auf fahrlässige Handlungen zu beziehenden Maßstab zu gewinnen. Hinter der 'Potentialität' als einer möglichen Zwecktätigkeit steht also — bewußt oder unbewußt — der Gedanke, daß der Handelnde bei einer unvorsätzlichen Erfolgsverursachung von dieser Möglichkeit hätte Gebrauch machen sollen" 19. Indem Niese nun den Wertungsaspekt vor dem Seinsaspekt bei der Fahrlässigkeitstat herausstellte, bekam er zweifellos die normative Seite der Fahrlässigkeit gut i n den Griff. Die Fahrlässigkeit war i h m Gebotswidrigkeit und daher „nur durch eine objektive Wertung auf dem Boden der Rechtsordnung zu fassen" 20 . Umsomehr entglitt i h m der A k t , an dem der Unwert sichtbar werden sollte, die finale Handlung. Die Finalität der Handlung war i h m strafrechtlich irrelevant; die ihr zugrundeliegende Kausalität konnte einer Bewertung nicht unterliegen. So blieb als Gegenstand des Unwerturteils nur der „unfinale Verstoß gegen ein rechtliches Sollen gelegentlich einer Handlung" 2 1 . Die potentielle Finalität aber, bisher als tatbestandliche Gegebenheit Grund für den Fahrlässigkeitsvorwurf, wurde zum limitierenden Teil des Unwerturteils selbst: die Fahrlässigkeit sollte durch die Unvermeidbarkeit begrenzt sein. War daher ein tatbestandsmäßiger Erfolg trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht zu vermeiden, so traf den Täter kein Unrechtsvorwurf. Eine solche Konstruktion konnte nicht befriedigen. Denn sie löste die objektiven Wertungsmaßstäbe des Rechts inhaltlich nach der jeweiligen Person des Täters auf und atomisierte sie damit. Es trug nach Nieses Auffassung das Recht selbst die Beschränktheit des individuellen Täterkönnens i n sich und war damit individuelles Recht statt allgemeines Recht für Individuen. Die Konstruktion war aber auch unbegründet. M i t Recht zwar stellte Niese fest, daß die potentielle Finalität sich ontologisch nicht als Sein fassen läßt. Ontologisch auch ist richtig, daß ein Seinssachverhalt „entweder ist oder nicht ist" und daß „ i n 19 20 21

6*

Niese , a.a.O., S. 42 f. Niese , a.a.O., S. 63. Niese, a.a.O., S. 63.

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diesem 'Sein oder Nichtsein' das Wesen der ontologischen Kategorien" liegt 2 2 . Aber die daraus gezogene Schlußfolgerung, daß „mögliche Finalität keine Finalität" sei 22 , gilt doch eben nur, wenn die Finalität „diese Ausschließlichkeit mit der Kausalität gemeinsam" 22 hat und damit tatsächlich „Seinssachverhalt" ist. Hiergegen aber bestehen ganz erhebliche Bedenken. Gerade nach den Lehren Welzels und Nieses kann an keinen anderen Sachverhalt das Unwerturteil angeknüpft werden als eben an die Finalität; nur die finale Zwecktätigkeit, so behaupten sie, sei werthaft oder unwerthaft, die Kausalität dagegen unterliege keinem sittlichen Werturteil. Alsdann aber erscheint es unbegründet und sogar inkonsequent, die Finalität hinsichtlich ihres Seinscharakters m i t eben jenen Sachverhalten auf eine Stufe zu stellen, an die sich kein Werturteil soll anknüpfen dürfen. Stattdessen gilt vielmehr: Entweder ist Finalität Sein wie anderes Sein; dann nimmt sie an dessen Ausschließlichkeit teil (daß sie nur entweder sein oder nichtsein kann), unterliegt aber auch keiner Wertung. Oder Finalität ist nicht wie anderes Sein, dann unterliegt sie der Wertung, nimmt aber nicht an der Ausschließlichkeit von Sein oder Nichtsein teil. Denn die sittliche Wertung knüpft daran an, daß etwas geworden ist, obwohl es auch hätte nicht werden können, oder daß etwas nicht geworden ist, obwohl es hätte werden können; ihr ist das (freie) Schwanken des Wertungsobjekts (und Handlungssubjekts) zwischen Sein und Nichtsein wesentlich; daru m muß ihr aber die eindeutige Seinsbestimmtheit, die „Härte des Realen", fehlen. W e 1 z e 1, der Nieses Konstruktion i n der 3. Auflage seines Lehrbuchs zunächst übernommen hatte 2 3 , gab sie i n der 6. Auflage seines Lehrbuches wieder auf 2 4 . Insbesondere strich er das limitierende Merkmal des subjektiven Vermeiden-Könnens aus der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit und betonte stattdessen: „Die Innehaltung der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt stellt objektive Anforderungen an den Vollzug von Handlungen i m sozialen Bereich unabhängig davon, ob der individuelle Täter ihnen nachkommen konnte oder nicht. Erfüllt die vorgenommene Handlung nicht die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt, so ist sie rechtswidrig, und es ist lediglich eine Frage der Schuld, ob dem Tater die objektive Sorgfaltsverletzung vorgeworfen werden kann oder nicht" 2 5 . Damit war die Entscheidung Welzels zugunsten einer systematisch späteren Eingrenzung auf das individuell Mögliche durch die Schuld (Vorwerfbarkeit) gefallen und die engste Berührung hergestellt zur objektiv-personalen Unrechtslehre, welche die konkrete Täter22 23 24 26

Niese , a.a.O., S. 43. Welzel, Dtsch. Strafr. (3. Aufl.), S. 94 ff. Welzel , Dtsch. Strafr. (6. Aufl.), S. 109 ff. Welzel , Dtsch. Strafr. (6. Aufl.), S. 116.

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persönlichkeit ebenfalls erst bei Beantwortung der Schuldfrage berücksichtigt. Sie war damit den gleichen Einwänden wie diese Lehre ausgesetzt — Einwänden, die freilich i m Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte nicht allzu schwer wiegen. Belastender jedoch war, daß Welzel i m Gegensatz zur objektiv-personalen Lehre nicht einmal den A k t einer objektiven (vernünftigen) Person seiner Wertung zugrundelegte, sondern allein auf den vom Täter w i l l k ü r l i c h angestoßenen Kausalverlauf abstellte. Hierüber können auch Äußerungen Welzeis wie diese nicht hinwegtäuschen: „'Fahrlässige 1 Handlungen sind solche finale Handlungen, welche durch bessere finale Steuerung der Handlung . . . hätten vermieden werden können" 2 6 . Denn abgesehen davon, daß Welzel es unklar ließ, ob er hier die subjektive, objektive oder „normative" (d. h. als Fahrlässigkeitsmaßstab geeignete) Vermeidbarkeit herausstellen wollte, betrachtete er nach wie vor die bei („gelegentlich") der fahrlässigen Handlung erbrachte „schlechte" Finalität nicht als nichtvollwertige Finalität, sondern als fehlende finale Steuerung des angestoßenen Kausalverlaufs überhaupt, m. a. W. identifizierte er i n einseitig ontologischer Betrachtungsweise die finale Fehlsteuerung (Sinnverfehlung) mit fehlender finaler Steuerung 27. Fehlte aber die finale Steuerung der fahrlässigen Tat, so war der eigentlich verwerfliche Akt , an dem der Unrechtsgehalt hätte sichtbar werden können, wiederum unfaßbar; vorhanden war lediglich der „dürre Kausalstrang". Aber auch diesen seinen Standpunkt hat Welzel bereits i n der nächsten Auflage seines Lehrbuchs wieder verlassen. Seine gegenwärtige Stellungnahme ist folgende 28 : Bei den fahrlässigen Delikten sei die Tatbestandshandlung nicht gesetzlich umschrieben; sie müsse daher vom Richter nach einem allgemeinen Leitbild ergänzend bestimmt werden. Dieses Leitbild sei am treffendsten i n § 276 BGB umschrieben: „Fahrlässig handelt, wer die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt." Der Richter habe daher zunächst zu ermitteln, was i n der konkreten Lage des Täters für i h n die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt ist, und dann durch einen Vergleich dieses gebotenen Verhaltens m i t der wirklichen Handlung des Täters festzustellen, ob diese sorgfaltsgemäß war oder nicht. Jede Handlung, die hinter einem sachgemäßen oder verkehrsrichtigen Verhalten zurückbleibt, sei tatbestandsmäßig i. S. der fahrlässigen Delikte. 26

Welzel , a.a.O. (6. Aufl.), S. 32. Vgl. zur zitierten Stelle auch Cerezo i n Z S t W 71, 136 (140 ff., besonders 142 f.), der ungerechtfertigt dort die objektive Vermeidbarkeit wiederbeschworen sieht; seine Argumente stimmen m i t denen Nieses gegen die ursprüngliche Lehre Welzels überein. 28 Welzel , a.a.O. (8. Aufl.), S. 114 ff.; übereinstimmend a.a.O. (9. Aufl.), S. 117 ff. 27

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Bei dieser jetzigen Auffassung Welzels scheint es, als seien alle Bemühungen, die fahrlässige Handlung ontologisch i n den Griff zu bekommen, aufgegeben. Das würde aber dem Grundanliegen der finalen Handlungslehre, die wertfreie Seinsstruktur des menschlichen Verhaltens herauszuarbeiten, allerdings strikt zuwiderlaufen. Wie anders aber läßt sich Welzels Äußerung verstehen, die fahrlässige Handlung müsse vom Richter nach dem Leitbild der „ i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt" ergänzt werden 29 ? Treten hier nicht axiologische Momente i n den Handlungsbegriff ein, Momente, die allein rechtlicher Natur sind? A n dieser Stelle gilt es zu bedenken, daß Welzel nicht von einer Handlung schlechthin spricht, die nach einem Leitbild ergänzt werden müsse, sondern von der tatbestandlichen Handlung der fahrlässigen Delikte. Es dürfte daher Welzels Meinung sein, die Täterhandlung gewinne durch ihre Beziehung zu einem Leitbild lediglich die strafrechtliche Relevanz 30 . Hierfür spricht auch, daß er außer der tatbestandlichen Handlung noch eine „wirkliche Handlung" des Täters kennt. Der Weg, den er wählt, u m die tatbestandliche Relevanz der wirklichen Handlung zu finden, führt i h n jedoch nicht zum Ziel. Die wirkliche Handlung des Täters gewinnt nämlich ihre strafrechtliche Relevanz durch ihren Bezug nicht auf ein Leitbild, sondern auf den Erfolg, den sie herbeiführt. Hierfür spricht bereits die Parallele, welche sich zur tatbestandsmäßigen Handlung vorsätzlicher Delikte ergibt. Dort gewinnt die auf einen tatbestandsmäßigen Erfolg zielende Handlung ihre tatbestandsmäßige Relevanz i n der Regel auch dadurch, daß sie den Erfolg verwirklicht — es sei denn, der Gesetzgeber habe ausdrücklich den Versuch für strafbar erklärt, so daß die Handlung schon früher strafrechtlich relevant wird. Genauso aber genügt es für die fahrlässigen Delikte, daß zwischen Täter und Taterfolg ein handlungsmäßiger Bezug steht, den freilich der Täter i n diesem Falle nicht gewollt hat. Bereits dadurch w i r d die wirkliche Handlung des Täters zur tatbestandsmäßigen. Indem Welzel versucht, die tatbestandsmäßige Relevanz der Handlung durch eine Wertung herzustellen, verfehlt er den realen Bezug zwischen (finaler) Handlung und Erfolg. Jede Wertung setzt ein Objekt und jede sittliche Wertung insbesondere einen sittlichen Vorgang voraus. Solange Welzel den Vorgang, an dem der Unwert sichtbar werden soll, nicht erfragt, bleibt i h m die „Fahrlässigkeit" unfaßbar. Die „wirkliche (finale) Handlung" muß ihre tatbestandsmäßige Relevanz erreichen; das aber vermag sie nicht durch eine Wertung — durch die Feststel29

Welzel, a.a.O. (9. Aufl.), S. 117 f. H i e r f ü r spricht besonders folgende Äußerung Welzels (a.a.O., S. 117): Bei den fahrlässigen Delikten werde „der konkrete Vollzug (oder die konkrete Steuerung) der finalen Handlung i n Beziehung gesetzt m i t einem maßstäblichen, leitbildhaften Sozialverhalten, das an der Vermeidung sozial u n erwünschter Handlungsfolgen orientiert ist". 30

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lung, sie verletze die Sorgfaltspflicht —, sondern durch einen realen Bezug auf den tatbestandsmäßigen Erfolg — durch die reale Sorgfaltslosigkeit 3 1 . Für den Bezug der wirklichen Handlung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg waren i n Welzels Lehre bis vor kurzem Ansätze vorhanden, die indessen mehr verwirrten als klärten; kamen sie doch aus einer völlig anderen Richtung als jene grundlegende Auffassung, daß alles Handeln Ausübung der Zwecktätigkeit sei. „Die fahrlässigen Delikte beruhen darauf, daß die menschliche Handlung ein Leistungsbegriff ist", so schrieb Welzel noch i n der 8. Auflage seines Lehrbuchs 32 , und m i t diesem „Leistungsbegriff" der Handlung war offenbar nicht nur der finale A k t als ontisch erbrachte Leistung, sondern auch als normativ zu erbringende Leistung gemeint. Zum erstenmal erwähnt finden w i r die Handlung als Leistungsbegriff i n einem Aufsatz Welzels aus dem Jahre 1956. Dort heißt es: „Jede finale Steuerung von Handlungen, die eine vom Menschen als zwecktätigem Wesen zu erbringende Leistung darstellt, hat nicht nur das Ziel und die zur Zielerreichung erforderlichen Mittel, sondern auch die m i t der Mittelanwendung verbundenen (möglichen) Nebenfolgen i n Rechnung zu ziehen. Der Mangel einer (finalen) Handlung, der ihre Fahrlässigkeit ausmacht, besteht darin, daß ihre finale Steuerung den erkennbaren E i n t r i t t von (tatbestandsmäßigen) Nebenfolgen nicht (oder nicht genügend) berücksichtigt hat. Ohne diesen Bezug ist die fahrlässige Handlung überhaupt nicht zu begreifen . . ." 3 3 . Hier w i r d der Mangel einer finalen Handlung also nicht nur als ein Fehlen finaler Steuerung, sondern auch als deren Fehler gewürdigt, ohne daß freilich deutlich würde, wieso das Fehlen finaler Überdetermination beim fahrlässig angestoßenen Kausalverkauf nicht ein Fehlen, sondern einen Fehler der finalen Handlung zur Folge habe. Die 6. Auflage des Lehrbuchs führt den Gedanken der Handlung als einer Leistung weiter. Es heißt dort: jede finale Handlung sei eine Leistung , die der Mensch dem blinden Kausalgeschehen abzwinge. Die fahrlässige Handlung habe zwar nicht selbst finale Folgen, doch seien ihre Folgen auf die Handlung als einen Leistungsbegriff bezogen. „Die finale Steuerung einer Handlung als eine über den bloßen Naturprozeß hinausgehende Leistung . . . umfaßt auch die planmäßige Vermeidung von nichtgewollten Nebenfolgen." Hieraus schließt Welzel sodann: „ I n folgedessen kann umgekehrt der Mangel einer finalen Handlung als 31 Welzels Bemerkung, die fahrlässigen Delikte seien „finale Handlungen, . . . deren A u s f ü h r u n g . . . die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt" (S. 117), behauptet den Realitätscharakter der Fahrlässigkeit zwar, weist i h n jedoch nicht auf. 32 Welzel , a.a.O. (8. Aufl.), S. 113. 33 Welzel i n J Z 56, 316 (317).

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einer vom Menschen zu erbringenden Leistung darin bestehen, . . . daß infolge mangelhafter Steuerung der Handlungsmittel nichtgewollte (Neben-)Folgen, die bei besserer Steuerung vermieden werden können, nicht vermieden werden" 3 4 . Diese Schlußfolgerung ist durch die vorher angegebene Prämisse nicht gedeckt. Denn wenn man davon ausgeht, daß die finale Steuerung auch die Vermeidung von unerwünschten Nebenfolgen umfaßt, so folgt daraus nicht ein Fehler, sondern ein Fehlen finaler Steuerung, wenn unerwünschte Nebenfolgen nicht vermieden wurden. Der Fehler einer finalen Steuerung beruht hingegen darauf, daß jede Handlung eine vom Menschen „zu erbringende Leistung" darstellt, nicht also auf einem ontologisch faßbaren, sondern auf einem normativen Moment. I n der 7./8. Auflage des Lehrbuchs sind diese Ausführungen dann gestrichen. Aufgegeben ist der Gedanke, daß die menschliche Handlung ein Leistungsbegriff sei, jedoch noch nicht; denn nach wie vor ist es hier Welzels Auffassung: „Der Wille, der rückläufig vom Ziele her die für die Zielerreichung erforderlichen Handlungsmittel auswählt, muß bei der Auswahl und bei der Anwendung der Handlungsmittel auch die Folgen berücksichtigen, die die M i t t e l außer dem Ziele oder an dessen Stelle herbeiführen können. Hieran knüpft die Rechtsordnung an und gebietet bei Vornahme jedweder Handlung, welche (ungewollt) eine Rechtsgutsverletzung zur Folge haben kann, 'die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt' zur Vermeidung solcher Folgen anzuwenden" 35 . Der A k t unwert der fahrlässigen Delikte beruht hier auf einem doppelten Gebotsverstoß: erstens auf dem Verstoß gegen das Gebot, bei Auswahl und Anwendung der Handlungsmittel jene Folgen zu berücksichtigen, die außer oder an Stelle der gewollten eintreten können, und zweitens auf dem Verstoß gegen das rechtlich begründete Gebot, bei Vornahme von Handlungen, welche Rechtsgutsverletzungen ungewollt zur Folge haben können, die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beobachten. Der Rechtsimperativ beinhaltet nur das zweite Gebot; nur der Verstoß gegen das zweite Gebot begründet daher die Rechtswidrigkeit. Das erste Gebot hingegen beruht nicht auf dem Recht, es beruht auf dem Willen des Menschen selber: der Wille „muß" alle Folgen, die er herbeiführen kann, berücksichtigen. Damit w i r d aber die ontologische Betrachtung des strafrechtlich bedeutsamen Aktes zugunsten einer normativen oder, wie ich lieber sagen möchte, einer anthropologischen Betrachtung verlassen. Denn nicht mehr an etwas Seiendes, etwa die Finalität als einen real-gestaltenden Faktor, knüpft das Rechtswidrigkeitsurteil an, sondern an ein i n der Natur des Menschen begründetes Sollen, das sich zwar auf Sein bezieht, nicht aber selbst Sein ist. 34 35

Welzel, Dtsch. Strafr. (6. Aufl.), S. 31 f. Welzel, Dtsch. Strafr. (8. Aufl.), S. 113.

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Bevor w i r diesen Ansätzen zu einem Leistungsbegriff der Handlung auf anthropologischer Grundlage noch etwas weiter nachgehen, bleibt die Frage zu untersuchen, ob Welzels ontologisch begründetes System imstande ist, ohne inneren Bruch diesen neuen Handlungsbegriff i n sich aufzunehmen. Die geringe Bedeutung, welche der Leistungsbegriff der Handlung erlangt hatte, sowie die Tatsache, daß Welzel ihn nunmehr, i n der 9. Auflage seines Lehrbuchs, stillschweigend aufgegeben hat 3 6 , deuten bereits darauf hin, daß diese Frage zu verneinen ist, daß Welzel hier über die selbstgesteckten Grenzen einer i m Ontologischen verhafteten Handlungslehre hinausging, u m den andernfalls drohenden Rückschritt zur „kausalen" Handlungslehre zu vermeiden. I n der Tat — wenn man die Handlung als „Ausübung der Zwecktätigkeit" 3 7 , als „überdeterminiertes äußeres Kausalgeschehen" 38 definiert, muß das Fehlen aktueller finaler Überdetermination den Handlungscharakter des Kausalgeschehens beseitigen. Die bloße Möglichkeit, die Kausalität planvoll zu steuern, kann alsdann nur die Möglichkeit einer Handlung, das Sich-Entschlagen der Möglichkeit nur das Ausbleiben einer Handlung begründen. Niese hatte das, wie w i r sahen, einst klar erkannt und deshalb die strafrechtliche Relevanz der aktuellen Handlung bestritten; stattdessen hatte er die Wertung an einem Sollensverstoß gelegentlich einer Handlung angeknüpft. Das war konsequent, zeigte allerdings gerade i n dieser Konsequenz gleichzeitig die Grenzen, die einem ontologisch begründeten finalen Handlungsbegriff gesetzt sind. Welzels Leistungsbegriff der Handlungen hingegen führte i n seiner nur anthropologisch zu begründenden Struktur über einen ontologisch-finalen Handlungsbegriff hinaus. I h m war nicht die „Überdetermination des äußeren Kausalgeschehens" wesentlich, sondern die Überdetermination des Menschen selbst, sei es durch die Selbstbestimmung i n der eigenständigen Setzung von Zwecken, sei es durch die i n i h m aufklingende Bestimmungsfunktion des Gebotes zur Selbstbestimmung, jenes Gebotes, die Folgen zu bedenken und auszuwählen: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem! Bestehen w i r hier ausschließlich auf diesem Leistungsbegriff der Handlung, so erscheint zunächst eine neue Bezeichnung des Handlungsbegriffes als anthropologisch gerechtfertigt. Aber auch daß w i r unseren „anthropologischen Handlungsbegriff" dem ontologischen Handlungsbegriff Welzels entgegensetzen, erhält seinen Sinn. W i r verkennen nicht, wie sehr Welzels Lehrgebäude anthropologische Erkenntnisse i n sich aufgenommen und für die Dogmatik fruchtbar gemacht hat. Indessen bleibt Welzel i n seinem Ausgangspunkt, i n seiner Definition der 38 37 38

Vgl. Welzel, a.a.O. (9. Aufl.), S. 115 ff. Welzel, a.a.O., S. 29. Welzel, a.a.O., S. 30.

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Handlung als „Ausübung der Zwecktätigkeit", doch so sehr der Eindeutigkeit der Seinssphäre verhaftet, daß sich der zwischen Sein und Nichtsein liegende anthropologische Grenzbegriff der Handlung klar davon abhebt. Ein neuer Ausgangspunkt zur Bestimmung der menschlichen Handlung rechtfertigt aber auch eine neue Bezeichnung. Daß durch diese Bezeichnung nicht polemisierend gegen Welzel Front gemacht, sondern auf seinen bisherigen Untersuchungen aufgebaut werden soll, dürfte nach den Ansätzen, die w i r i n seiner früheren Lehre für eine anthropologische Deutung des Handlungsbegriffes fanden, selbstverständlich sein und w i r d sich auch aus unseren weiteren Untersuchungen noch ergeben. Die Ansätze zu einem Leistungsbegriff der Handlung sollen hier zunächst noch ein wenig vertieft werden. I h r eigentlicher Ausbau w i r d allerdings erst i m Rahmen der Darstellung des Personbegriffs zu erfolgen haben. I n zwei Richtungen nur wollen w i r den Boden für diesen Ausbau hier vorbereiten. Die anthropologische Handlung besteht i n einem Übergang von der Grenze zwischen Sein und Nichtsein i n den eindeutigen Bereich des Seins oder Nichtseins. Das bedeutet i m einzelnen: Kraft seiner Freiheit ist der Mensch ständig vor Entscheidungen gestellt, die er i m bejahenden oder verneinenden Sinne treffen muß. Er muß sich beispielsweise entscheiden, ob er trotz einer Erkältung zur Arbeit geht oder nicht, ob er seine Freizeit m i t Lesen, ob m i t Spazierengehen verbringen w i l l oder nicht, ob er die vom Arzt verordnete Diät einhält oder nicht usf. Das gilt auch für den strafrechtlich relevanten Bereich: Hier w i r d beispielsweise von i h m die Entscheidung gefordert, ob er eine Sache, die er gern besitzen möchte, aber aus Geldverlegenheit nicht erwerben kann, wegnehmen und sich zueignen w i l l oder nicht, ob er sich das Geld zum Erwerb der Sache durch Betrug verschaffen w i l l oder nicht usf. Wie immer er sich dann entscheidet — er „überdeterminiert" das eigene zweckhafte Verhalten, macht es vom „zweckhaften" zum „zweckbewußten". Er nimmt bewußt die fremde Sache weg und eignet sie sich bewußt zu, oder er täuscht bewußt einen anderen und schädigt i h n bewußt am Vermögen i n dem Bewußtsein, daß er sich dadurch bereichert. Oder er entzieht die begehrte Sache bewußt dem Anblick und nimmt sie nicht weg, er sagt dem anderen bewußt die Wahrheit und täuscht und schädigt i h n dadurch nicht. A l l dies ist Geschehen, das aus der Entscheidung, aus der „Uberdetermination" seiner selbst erwächst und schon allein darum Handlungscharakter trägt. — Aber auch wenn er sich nicht entscheidet, obwohl er die Freiheit hierzu hatte — sei es, daß er sich der Entscheidung entschlägt, sei es, daß er sie sich entwinden läßt — auch dann handelt der Mensch. Wenn er die Möglichkeit nicht nutzt, sich des Gegenstandes, auf den er zielt, zu vergewissern, und in-

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folgedessen einen anderen Menschen tödlich trifft, hat er i n Bezug auf diesen Tod — und das ist das Entscheidende! — gehandelt. Er war vor die Entscheidung gestellt, ob er schießen sollte oder nicht, und hat aus dieser Situation zwischen Sein und Nichtsein den Übergang zum Sein genommen. Darin liegt gleichzeitig begründet, daß alle Folgen, die seiner Entscheidung anheimgegeben waren, i h m jetzt zugerechnet werden können: nicht w e i l er sie entschieden hätte, sondern w e i l i h m aufgegeben war, sie zu entscheiden. Der Mensch ist zur Entscheidung „überdeterminiert"; und darum ist alles Geschehen, das aus dieser normativen „Überdetermination" erwächst, Handlung und kann dem Handelnden zugerechnet werden. Aus diesem Begriff der Handlung als dem Menschen aufgegebene Leistung folgt der Begriff des Handlungsuniuertes als Leistungsunwert: Der Unwert der Handlung ruht auf dem einem Sollen widersprechenden Übergang aus der Grenzsituation zwischen Sein und Nichtsein i n den eindeutigen Bereich von Sein oder Nichtsein. Der Übergang kann bewußt vor sich gehen; dann liegt der Unwert i n der akthaften Entscheidung. Der Übergang kann aber auch unbewußt vor sich gehen; dann liegt der Unwert i m Ausbleiben der möglichen Entscheidung, zu der der einzelne aufgerufen war. So ist zum Beispiel die Entscheidung, einen Menschen zu töten, unwerthaft um ihres aktuellen Inhalts willen; die Tötung eines Menschen ohne Entscheidung i n einer Situation, die zur Entscheidung aufrief, ist unwerthaft u m des Ausbleibens der Entscheidung w i l l e n — darum, w e i l der Übergang sich vollzog, ohne daß i h m ein sinnvoller Gehalt gegeben wäre. Diese Andeutungen müssen einstweilen genügen. Sie zeigen, worauf es an dieser Stelle allein ankommt: daß der Handlungsunwert fahrlässiger Delikte entgegen Welzels Behauptung nicht i n der zweckbewußten Selbstbestimmung des Menschen liegt; daß nicht ein personaler Akt die Grundlage des Unwerturteils ist, sondern daß gerade das Ausbleiben des Aktes i n einer Situation, die zur Entscheidung aufrief, das Unwerturteil nach sich zieht; und daß also die Norm „ D u sollst dich entscheiden!" wesentlich zur Begründung des Unwert- und damit des Rechtswidrigkeitsurteils herangezogen werden muß. Eine rein ontologische Betrachtung der Handlung hat auszuscheiden; eine rein ontologische Handlungslehre ist undurchführbar. Stattdessen ist für die Fahrlässigkeit auf den normativen Bezug des Menschen zum Sein abzustellen, welcher aktuell (durch die für Welzel maßgebende „Bewußtheit") unausgefüllt bleibt und gerade dadurch seinen Mangel bezeugt. — W i r wenden uns nunmehr dem zweiten Einwand gegen Welzels Unrechtslehre zu: daß sie den Erfolgsunwert gegenüber dem Handlungsunwert unziemlich i n den Hintergrund dränge.

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Die Ansicht Welzels vom sekundären Charakter des Erfolgsunwerts i m Strafrecht ist innerhalb seiner Unrechtslehre nur kurz begründet. Welzel weist dort lediglich daraufhin, daß Zielsetzung und Einstellung des Täters bei seiner Tat sowie spezielle personale Pflichten maßgebend den Unrechtsgehalt des Deliktes neben einer etwaigen Rechtsgüterverletzung mitbestimmten. Auch habe die Rechtsgüterverletzung stets nur innerhalb einer personal-rechtswidrigen Handlung Bedeutung 39 . A l l dies kann man indessen zugeben, ohne daß man gezwungen wäre, den Sachverhaltsunwert dem Handlungsunwert nachzuordnen. Welzels weitere Ausführungen stehen daher beweislos i m Räume: „Der personale Handlungsunwert ist der generelle Unwert aller strafrechtlichen Delikte. Der Sachverhaltsunwert (das verletzte bzw. gefährdete Rechtsgut) ist ein unselbständiges M o m e n t . . . 4 0 ." Demgegenüber ist schon einleitend zu diesem Abschnitt dargelegt worden, daß der Handlungsunwert auch nach Welzels Ansicht auf dem Unwert jenes Sachverhalts beruht, zu dessen Herbeiführung die Handlung nach dem Willen ihres Urhebers dienen soll. Alsdann kann aber der Unwert der Handlung dem Unwert des Sachverhalts schlechterdings nicht übergeordnet sein. Bei dieser K r i t i k können w i r allerdings jetzt nicht stehenbleiben. Denn was Welzel meint, ist vielleicht überhaupt etwas anderes: daß die Setzung ( = Verwirklichung) eines Handlungsunwertes von der Setzung ( = Verwirklichung) eines Erfolgsunwertes unabhängig sei. Hierauf deutet der den zitierten Sätzen folgende Satz Welzels hin: „Der Sachverhaltsunwert kann i m konkreten Fall fehlen, ohne daß der Handlungsunwert entfiele, z. B. beim untauglichen Versuch 41 ." Beim untauglichen Versuch fehlt es nämlich offenbar nicht am Unwert des vom Täter vorgestellten, sondern nur am Unwert des vom Täter verwirklichten Sachverhalts. Welzel scheint hier also der gleiche I r r t u m zu unterlaufen, den er wenige Seiten zuvor bei der Unterscheidung zwischen Unrecht und Rechtswidrigkeit bekämpft. Dort heißt es völlig zutreffend: „Rechtswidrigkeit ist eine reine Relation (ein Mißverhältnis zwischen zwei Beziehungsgliedern), Unrecht dagegen ist etwas Substantielles: das rechtswidrige Verhalten selbst. Rechtswidrigkeit ist ein Prädikat, Unrecht ein Substantivum. Unrecht ist die rechtswidrige Verhaltensweise selbst: die eigenmächtige Besitzstörung, der Diebstahl, der Tötungsversuch. Rechtswidrigkeit ist eine Eigenschaft an diesen Verhaltensweisen, und zwar das Mißverhältnis, i n welchem diese zur Rechtsordnung stehen 42 ." Der hier aufgewiesene Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Unrecht muß auch auf das Verhältnis zwischen Unwert und Unwertsetzung über39 40 41 42

Welzel , a.a.O., S. 56 f. Welzel , a.a.O., S. 57. Welzel, a.a.O., S. 57. Welzel, , a.a.O., S. 46 f.

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tragen werden. Der Unwert als solcher ist das Gegenteil zum Wert und steht wie dieser i m Gegensatz zum Sein, auf das er sich bezieht. Er ist eine „Eigenschaft" des Seins, und zwar das Mißverhältnis, i n welchem dieses zur Wertordnung steht. Der gesetzte Unwert hingegen ist etwas Substantielles: das wertwidrige Sein selbst. Dieses wertwidrige Sein kann nun fehlen — und es fehlt auch als wertwidriger Erfolg beim untauglichen Versuch —, ohne daß anderes wertwidriges Sein entfiele — nämlich die wertwidrige Handlung als Beginn der Ausführung einer untauglichen Tat. Das alles ist selbstverständlich richtig. Aber es folgt daraus nicht, daß der Unwert als „Eigenschaft" des Erfolges fehlen dürfe, ohne daß der Unwert der Handlung entfiele. Denn gerade durch die Ausrichtung auf einen Erfolgsunwert erhält ja die Handlung ihre Unwerteigenschaft. Welzel vermag daher allenfalls über das Verhältnis der gesetzten Unwerte, keinesfalls über das Verhältnis der Unwerte an sich an der zitierten Stelle etwas Zutreffendes auszusagen. I n unserer bisherigen K r i t i k haben w i r Welzels strenge Trennung zwischen Handlungsunwert und Erfolgsunwert hingenommen. I n einer auf das Phänomen des Unrechts ausgerichteten Arbeit gibt es auch i n der Tat nichts dagegen zu erinnern. Welzel geht aber noch einen Schritt weiter, indem er die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert auf das Straf recht überträgt und damit zur Unterscheidung zweier selbständiger Unrechtsarten, von Handlungs unrecht und Erfolgsunrecht, kommt. Hiergegen müssen Bedenken erhoben werden. Welzel erläutert den Begriff des Erfolgs- bzw. Sachverhaltsunrechts als „das verletzte bzw. gefährdete Rechtsgut" 43 . Aus dieser Definition erwächst ein Problem, das uns schon bei der K r i t i k der impersonalen Unrechtslehre beschäftigte: w o r i n eigentlich das Wesen der Rechtsgüter liege — ob i n „bestimmten Lebensgütern der Gemeinschaft, wie z. B. dem Bestand des Staates, dem Leben, der Gesundheit, der Freiheit, dem Eigentum usf." 4 4 , oder i n der Teilhabe i n dem allgemeinen menschlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens. Welzel löst das Problem genau wie die Vertreter der impersonalen Unrechtslehre i m erstgenannten Sinne. Er erkennt den allgemeinen Rechtsfrieden, an dem sowohl der Täter als auch die von i h m verletzten bzw. gefährdeten Rechtsgüter teilhaben, nicht als das eigentliche, „objektive" Angriffsobjekt der verbrecherischen Tat an und trennt damit ebenso scharf und unerbittlich wie die Vertreter der impersonalen Unrechtslehre Subjekt und Objekt des verbrecherischen Unrechts. Zwar zieht er aus dieser scharfen Trennung dann die entgegengesetzte Folgerung: i h m ist nicht „der Schutz der einzelnen Rechtsgüter" die eigentliche Aufgabe des Straf rechts, sondern „der Schutz der elementaren sozial43 44

Welzel Welzel

a.a.O., S. 57. a.a.O., S. 2.

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ethischen Gesinnungs-(Handlungs-)werte" 45 . Doch gelangt er durch die Einseitigkeit seines Standpunktes ganz ebenso wie die Vertreter der impersonalen Unrechtslehre i n unüberwindliche dogmatische Schwierigkeiten. Bevor w i r diese dogmatischen Schwierigkeiten hier erörtern, bleibt uns noch, die Bedeutung des Handlungsunwertes für die Unrechtslehre Welzeis zu klären. Handlungsunrecht bedeutet Unrecht einer „Handlung"; Handlung aber ist für Welzel „vom Ziel her gelenktes W i r k e n " 4 8 — nicht Wirkung also, nicht Erfolg, sondern auf Wirkung intendierter A k t . Die strenge Zerteilung von Täter und Erfolg einer Tätigkeit gilt auch für Handlungs- und Erfolgsunrecht: das Handlungsunrecht ist vom Erfolgsunrecht streng abgetrenntes Unrecht eines intentionalen Aktes. Ein Handlungsunrecht ohne Erfolgsunrecht erscheint denkbar und wird, wie schon erwähnt, von Welzel i m untauglichen Versuch vorgefunden. Hier indessen beginnen nun die dogmatischen Schwierigkeiten: Läßt sich der Unrechtsgehalt des untauglichen Versuches fassen, ohne daß man auf die Verwirklichung eines Erfolgsrechts abstellen muß? I m Ausgangspunkt zwar ist dies tatsächlich die Meinung Welzeis. Das Recht, so meint er, werde „schon durch einen Willen verletzt, der Handlungen vornimmt, die er für eine taugliche Ausführungshandlung eines Verbrechens hält" 47. Das Unrecht liegt demnach, so scheint es, ganz auf der subjektiven Ebene des verwerflichen Aktes. Aber Welzel macht dann doch eine Einschränkung, die eben die Richtigkeit seines Ausgangspunktes i n Frage stellt: „Wo die Versuchshandlung jeden Boden der Realität verläßt, wie z. B. beim abergläubischen Versuch, da fehlt dem Willen grundsätzlich jede Strafwürdigkeit. Ein solcher Wille kann die Realität des Rechtes als geistiger Macht nicht erschüttern 48 ." Damit ist eingeräumt, daß doch ein realer Erfolgsunwert sich auch beim untauglichen Versuch finden läßt — ein Erfolgsunwert, welcher die „Realität des Rechtes", nicht nur seine Geltung, betrifft. Was ist unter dieser „Realität des Rechtes" zu verstehen? Welzel äußert sich leider nicht eindeutig. Nur aus dem Zusammenhang, i n dem der Terminus gebraucht wird, läßt sich schließen, daß soviel wie „faktische soziale Bedeutung der Existenz von Recht" oder — Rechtsfrieden damit gemeint ist. Alsdann modifiziert sich aber der subjektivistische Ausgangspunkt Welzels zugunsten einer objektiv faßbaren Wesenheit, die als die allgemeine Existenz von Recht (Rechtsfrieden) Einbuße freilich bereits durch Wiiiensbestätigungen erleidet, welche keinen oder 45 Welzel, a.a.O., Strafrechts s. unten 46 Welzel, a.a.O., 47 Welzel, a.a.O., 48 Welzel, a.a.O.,

S. 4. Z u r Gefahr der d a m i t verbundenen Ethisierung des S. 256 ff. S. 29. S. 173. S. 174.

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jedenfalls nicht den vom Täter gewünschten Erfolg haben. Dahin tendiert auch eine andere Behauptung Welzels: „Je tauglicher der Versuch, desto stärker ist grundsätzlich auch die verbrecherische Energie 4 9 " — eine Behauptung, die i n ihrem subjektivistischen Ansatz zwar falsch ist — denn die Tauglichkeit des Versuches hängt nicht von der Energie des Willens, sondern von seiner Beherrschung der Kausalgesetzlichkeit ab, nicht also von einem voluntativen, sondern einem kognitiven Moment —, die aber trotzdem etwas Richtiges trifft, wenn man sie ins Objektive wendet: je tauglicher der Versuch, desto stärker ist grundsätzlich auch die verbrecherische Verletzung des Rechtsfriedens. Wie sich der abergläubische zum untauglichen Versuch verhält, so soll sich nach Welzels Meinung auch der Versuch überhaupt zur Vollendung verhalten 5 0 . Wiederum sehen w i r hierin ein Zugeständnis Welzels an die objektive Verbrechensauffassung, das sich m i t seinem subjektivistischen Ausgangspunkt schlecht verträgt, i h m aber gleichwohl durch die Gestaltung unserer Rechtsordnung abgenötigt wird. Ist der Sachverhaltsunwert nur ein unselbständiges Moment i m Rahmen des generellen Unwertes der verbrecherischen Handlung, so muß es unverständlich erscheinen, wieso die Vollendung i m deutschen Strafrecht grundsätzlich strenger bestraft w i r d als der Versuch. Welzel bemerkt hierzu, i n der Möglichkeit einer Minderbestrafung des Versuchs komme der Gedanke zum Ausdruck, daß bei der Tat, die i m Versuchsstadium steckenbleibt, die verbrecherische Kraft des Willens grundsätzlich doch schwächer sei als bei einer Tatvollendung 5 1 . Das ist indessen unbewiesen und auch nicht stichhaltig. Denn viel näher liegt die Erklärung, daß durch die versuchte Tat der Rechtsfrieden weniger beeinträchtigt w i r d als durch eine Tat, welche einen möglicherweise unwiederherstellbaren Schaden verursacht hat. Welzel scheint dies auch selbst zu bemerken. Jedoch nennt er die „Anschauungen, daß zur vollen Tat doch auch der Erfolg gehört", irrational 5 2 — m. E. unzutreffend, weil der Hinweis auf den bei vollendeter Tat stärker gestörten Rechtsfrieden durchaus ein rationales Erklärungsprinzip an die Hand gibt. Noch viel mehr Schwierigkeiten hat Welzel, wenn er die Bedeutung des Erfolges für die Fahrlässigkeitsdelikte würdigen w i l l . „Dieselbe sorgfaltswidrige Handlung kann — je nach ihrem Ausgang — eine bloße Verkehrsübertretung (§§ 1/49 StVO), eine fahrlässige Körperverletzung (§ 230) oder eine fahrlässige Tötung (§ 222) oder — beim völ49

Welzel , a.a.O., S. 174. Vgl. Welzel , a.a.O., S. 173 f. 51 Welzel , a.a.O., S. 170. Vgl. auch Stratenwerth JT., S. 254. 52 Welzel , a.a.O., S. 170. 50

i n : Festgabe z. Schweiz.

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ligen Ausbleiben eines Erfolges — ganz straflos sein: Alle diese Möglichkeiten stecken i n der Handlung i m Augenblick ihrer Vornahme darin! Nichts kennzeichnet deutlicher als dieses Zufallsmoment, daß ,der strafrechtlich wesentliche Teil der Fahrlässigkeitstat 4 nicht der Erfolg sein k a n n . . , 5 3 ." Träfen Welzels Ausführungen zu, so ließen sich indessen die unterschiedlichen Strafen, die das Gesetz jeweils entsprechend dem herbeigeführten Erfolg androht, nicht erklären; sie wären ungerecht und müßten nach der Sorgfaltswidrigkeit der Täterhandlung neu gestuft werden. Aber auch hier braucht man diese Konsequenz nicht zu ziehen, sofern man dem „objektiven" Unrecht dieselbe Relevanz für die Strafbegründung einräumt wie dem „subjektiven", oder wenn man die Gegensätzlichkeit der Unrechtsbegründung überdeckt durch den Gedanken des Rechtsfriedens — eines Rechtsfriedens, den der Tod eines Menschen mehr beeinträchtigt als die folgenlose Sorgfaltslosigkeit 54 . Freilich ist m i t all diesen Ausführungen noch nichts darüber gesagt, ob die Stellung, welche der Erfolgsunwert neben dem Handlungsunwert i n unserem Strafrecht einnimmt, auch legitim ist. M i t der gegenwärtigen Ausgestaltung des Strafrechts stimmt Welzels Lehre vom Aktunrecht als alleiniger Grundlage der Strafbarkeit jedenfalls nicht überein. Aber ist diese Ausgestaltung w i r k l i c h die richtige? S t r a t e n w e r t h hat nicht zu Unrecht die Frage aufgeworfen, ob denn unser Denken und juristisches Empfinden, das die Strafbemessung auch nach dem Erfolg, welchen die Tat herbeigeführt hat, gutheißt, nicht dem veralteten Prinzip der Erfolgshaftung verpflichtet und damit revisionsbedürftig sei 55 . Obwohl selbst grundsätzlich Anhänger auch subjektiver Unrechtsbegründung, verneint er diese Frage. Denn, so meint er, gerade das Ausmaß der Schuld bestimme sich auch nach dem Ausmaß des Erfolges: „Der Begriff der Schuld ist doppeldeutig. I m üblichen, engeren Sinne gebraucht, bezeichnet er nur die Voraussetzungen, unter denen dem Täter das begangene Unrecht vorgeworfen werden kann. I m ursprünglichen, weiteren Sinne aber umfaßt er auch das Unrecht, das i n vorwerfbarer Weise begangen zu haben, die Schuld des Täters ausmacht. Deshalb kann und muß vom Schuldgrundsatz her auch über den Umfang des strafrechtlich bedeutsamen Unrechts entschieden werden. Und unter diesem Gesichtspunkt bildet zwar bereits der Handlungsunwert Unrecht von strafrechtlicher Relevanz. Doch 53

Welzel, Fahrlässigkeit u n d Verkehrsdelikte, S. 20. Dem Schuldprinzip ist alsdann k e i n Abbruch getan; denn nicht das volle Ausmaß der Schuld w i r d jeweils der Strafzumessung zugrunde gelegt, sondern n u r jener Teil, der sich i n der Störung des Rechtsfriedens als gefährlich ausgewiesen hat. — Vgl. dazu auch A r m i n Kaufmann i n Ztschr. f. Rechtsvergleichung 1964, 41 ff. 55 Stratenwerth i n ZStrR 79, 233 (251 f.). 54

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müssen Handlungsunwert und Erfolgsunwert zusammentreffen, u m das Unrecht i n seinem vollen Ausmaß zu begründen, so, wie es die Schwere der Schuld als der Bezugspunkt der Strafe bestimmt 5 6 ." So berechtigt indessen die Ergebnisse von Stratenwerths Untersuchung sein mögen, so unbegründet sind sie. Denn alles hängt nunmehr davon ab, daß nicht auch die Schuldauffassung, die Stratenwerth vertritt, veraltet und dam i t revisionsbedürftig ist. Insoweit aber beschränkt sich Stratenwerth auf die bloße Behauptung. Führt demnach die Verschiebung der Problematik aus dem Unrechtsi n den Schuldbereich nicht weiter, so bleibt nach wie vor i m Dunkeln, wie die Berücksichtigung des Erfolges sich m i t einer Unrechtskonzeption verträgt, nach der alles strafrechtliche Unrecht Handlungsunrecht sein muß, weil von der Norm her, welche verbietet oder gebietet, eben nur das Handlungsunrecht i n den Blick kommen kann. Wenn der Umstand, ob der beabsichtigte Erfolg eintritt oder ob die Sorgfaltswidrigkeit ein böses Ergebnis zeitigt, vom Standpunkt des Täters aus „Zufall" sein soll 5 7 , dann muß der Erfolgseintritt selbst außerhalb der Verbotsund Gebotsmaterie liegen. Er ist nicht Unrecht i m Sinne der Verhaltensnormwidrigkeit und daher durch die strafrechtlichen Gebote und Verbote nicht getroffen 58 . Das aber bedeutet, daß ein Strafrecht, welches nur den Aktunwert i m Auge hat und nur über ihn den Erfolgsunwert zu treffen hofft, es sich versagen muß, an das Eintreten oder Ausbleiben dieses Erfolges irgendwelche Folgerungen für das Unrecht anzuknüpfen. M. a. W.: Wendet sich der strafrechtliche Imperativ nur an den Willen des Täters, bestimmte Erfolge herbeizuführen oder zu vermeiden, so ist er dort machtlos, wo der E i n t r i t t oder das Ausbleiben des Erfolges nicht vom Willen des Täters abhängt. 59

Stratenwerth , a.a.O., S. 255. Vgl. Krauß i n ZStW 76, 19 (62). 58 Vgl. dazu Stratenwerth, a.a.O., S. 245: „Der E i n t r i t t des rechtlich m i ß billigten Erfolges k a n n nicht zur sog. Verbots- oder Gebotsmaterie gehören, d. h. also nicht zu der normierten Verhaltensweise. Ob die Vornahme der v e r botenen Handlung, etwa der m i t Tötungsvorsatz abgegebene Schuß auf einen Menschen, oder ob die Unterlassung der gebotenen Handlung, etwa die der Rettung eines i n Bergnot geratenen Touristen, w i r k l i c h zum Tode eines M e n schen f ü h r t — das vermag niemand m i t Sicherheit zu sagen, bevor der Erfolg eingetreten ist. Die auf den Erfolg tendierenden Kausalprozesse können i m m e r noch von den gegenläufigen Vorgängen durchkreuzt werden. U n d das gilt natürlich nicht n u r von den Tötungsdelikten, sondern von allen Straftaten, bei denen nicht schon — wie bei Blutschande oder Ehebruch — d i e Vornahme einer bestimmten Handlung als solche den strafrechtlichen Tatbestand erfüllt. Deshalb wäre es i n der Tat sinnlos, etwa nur die wirklich zum unrechten E r folg führende Verhaltensweise zu verbieten: V o n dem (späteren) E i n t r i t t des Erfolges k a n n es nicht abhängen, ob die Handlung (im Zeitpunkt ihrer V o r nahme) verboten ist. Verbieten läßt sich n u r die auf den Erfolg abzielende... Handlung." 57

7 Lampe

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Ergibt sich daraus nun, daß der Erfolg nur als gewollter, nicht auch als eingetretener das strafrechtliche Unwerturteil färben darf? Oder ergibt sich umgekehrt gar, daß das strafrechtliche Unrecht an Momenten orientiert ist, die der rechtsethischen Bewertung i n Wahrheit unzugänglich sind? Das erste ist die Meinung Welzels: „Der Handlungsunwert als solcher kann weder durch das Hinzutreten des Erfolgsunwertes gesteigert, noch durch dessen Ausbleiben gemindert werden 5 9 ." I m Rahmen des Unrechts der strafrechtlichen Delikte besitzt der Erfolg „nicht die Funktion eines konstitutiven, sondern eines nur l i m i tierenden Elementes" 60 . Das zweite ist die Ansicht von K r a u ß : „Der Erfolg kann seine gewiß nicht unbedeutende strafbegründende Funktion nur i m Unrecht ausüben. Er t r i t t hier als vollwertiges Unrechtselement neben den Handlungsunwert. . . . Diese Erkenntnis zwingt zu der Feststellung, daß auch am geltenden Strafrecht das dem Schuldgrundsatz entgegenstehende Prinzip der Erfolgshaftung die Strafbarkeit weitgehend bestimmt 6 1 ." Krauß glaubt daher, i n unserem Strafrecht eine „Zweispurigkeit von Schuldhaftung und Erfolgshaftung" entdecken zu können 6 2 . Und i n der Tat wäre diese Konsequenz unausweichlich, wenn man das strafrechtliche Unrecht nur als Imperativwidrigkeit erklären kann. Alsdann stünde der reale Erfolgseintritt als Fremdkörper außerhalb des strafrechtlich allein faßbaren Unrechts der pflichtwidrigen Handlung und zwänge zu einer pluralistischen Unrechtsbegründung, um den verschiedenen Seiten des Aktunwertes und des Erfolgsunwertes Rechnung tragen zu können. Eine solche pluralistische Unrechtsbegründung hat denn i n der Tat N o l l vertreten. Noll hält den „auf ein Einheitsprinzip zurückgeführten Begriff des materiellen Unrechts für entweder inhaltsleer oder, w e i l pars pro toto nehmend, unrichtig" 6 3 . Stattdessen bevorzugt er als Grundlage des Unrechtsvorwurfs drei Unwertkategorien: Erfolgs-, Handlungs- und Gesinnungsunwert — ohne allerdings deren Ausschließlichkeit zu behaupten 64 . Interessant sind für uns hier nur die beiden ersten Kategorien und die Deutung, die sie bei Noll erfahren. Unter Erfolgsunwert versteht Noll ein der gesetzlichen Wertung zuwiderlaufendes Ergebnis der durch menschliches Verhalten herbeigeführten Veränderung eines Zustandes. Der Erfolgsunwert ist i h m ethisch irrelevant, gleichwohl aber geeignet, die Rechtswidrigkeit zu begründen 65 . Ethische Relevanz besitzt hingegen der Handlungsunwert, 59

Welzel, Fahrlässigkeit u n d Verkehrsdelikte, S. 20. Welzel , a.a.O., S. 21. Krauß , a.a.O., S. 62. 62 Krauß , a.a.O., S. 62 A n m . 185. ® 3 Noll , Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 28. 84 Noll , a.a.O., S. 29. 85 Noll , a.a.O., S. 30.

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der „ i n der Handlung selbst, ungeachtet ihrer Folgen" liegt und gleichfalls imstande ist, die Rechtswidrigkeit zu begründen, z. B. beim Versuch 66 . Noll unterscheidet alsdann zwei Gruppen von Fällen, i n denen der Handlungsunwert i m Recht eine Rolle spielt: einmal bei der Verletzung sittlicher Werte bzw. daraus abgeleiteter Pflichten 67 , zum anderen bei „besonderen Erscheinungsformen des Verbrechens, die, wie Versuch, Anstiftung und Gehilfenschaft, für sich allein keine Rechtsgüterverletzung bewirken" 6 8 . Lassen w i r diese letzte Gruppe von Fällen des Handlungsunwertes zunächst einmal beiseite, so fällt die Parallele auf, welche zwischen Nolls Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsunwert und der früher erwähnten Merkerschen zwischen der Verletzung des Rechts und der Verletzung der Rechtsobjekte besteht. Wie Merkel als Rechtsverletzung die Verletzung von Geboten und Verboten ansah, als deren Träger er den staatlichen Gemeinwillen supponierte, so sieht N o l l als Handlungsunwert die Verletzung von Pflichten an, die auf bestimmte Werte fundiert sind. Die Unterschiede i n der Terminologie sind dabei nicht so wichtig, auch nicht die mehr oder weniger metaphysische Begründung. Wesentlich ist vielmehr der Unterschied, welcher i n dem Verhältnis zwischen Handlungsunwert und Erfolgsunwert bzw. zwischen Rechtsverletzung und Verletzung der Rechtsobjekte liegt. Bei Merkel konstituierten bestimmte Interessen den Gemeinwillen, und über ihre Verletzung kam erst die Verletzung des Gemeinwillens i n den Blick 6 9 . Bei Noll hingegen ist dieses Verhältnis zerbrochen: „Die Lüge verletzt die Wahrhaftigkeit, die Untreue die Zuverlässigkeit usw."; allein die absoluten Werte erscheinen hier als Gegenstände des Angriffs. Der Pluralismus der Unrechtsbetrachtung führt daher konsequent zu einer Verselbständigung des Handlungsunwertes gegenüber dem Erfolgsunwert. Es gilt nicht mehr, daß jeder Handlungsunwert erst durch den Erfolgsunwert begriffen werden kann, auf den die Handlung zielt; sondern der Handlungsunwert hat eine völlig eigenständige, vom Erfolgsunwert losgelöste Bedeutung. Dagegen muß nun ebendasselbe Bedenken erhoben werden, das schon gegenüber Welzeis strenger Abtrennung des Handlungsunwertes vom Erfolgsunwert geltend gemacht wurde: ein Handlungsunwert ohne jeglichen Erfolgsunwert erscheint i m Straf recht undenkbar! Noll kommt diesen Bedenken teilweise sogar entgegen, indem er die Stärke des Handlungsunwertes i m allgemeinen von der Stärke des Erfolgsunwertes bestimmen läßt, indem er den Erfolgsunwert also insoweit w 67 68 69

7*

Noll, a.a.O., S. 30,34. Noll, a.a.O., S. 30. Noll, a.a.O., S. 30. Merkel , K r i m i n a l . Abh. Bd. I , S. 43.

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zum Maß des Handlungsunwertes macht. Entgegen seiner Ansicht gilt dieser Grundsatz aber nicht nur dann, wenn der Erfolgsunwert tatsächlich gesetzt ( = verwirklicht) ist, sondern auch „bei Versuch, Anstiftung und Gehilfenschaft, die für sich keine Rechtsgüterverletzungen bewirken"70. Diese zweite Gruppe von Erscheinungsformen des Handlungsunwertes hat bei Noll ihre Begründung weder i n der Verletzung von Rechtsgütern noch i n der Verletzung sittlicher Werte, die losgelöst von einem speziellen Wertträger bestehen. Bei ihr fehlt jeder Anhalt, wodurch nun eigentlich die Unwerteigenschaft der Handlung begründet wird. Allenfalls könnte sie mit Welzel 7 1 i n der Achtung vor den Rechtsgütern sehen; doch wäre dadurch bereits wieder die Beziehung zum Erfolgsunwert hergestellt, von dem der Handlungsunwert ja gerade unabhängig sein soll. Es bleibt also nur die erste Gruppe jener von N o l l herausgestellten Fälle, i n denen der Handlungsunwert selbständig den Unrechtsgehalt der Tat soll bestimmen können. Aber selbst hier w i r d von Noll ein gewisser Verletzungserfolg hervorgehoben, der allerdings i m absoluten Bereich der Werte liegen soll 7 2 . Absolute Werte können indessen gerade wegen ihrer absoluten Natur nicht verletzt werden; vielmehr bedarf jede Wertverletzung ihres „realen Hintergrundes". So verletzt, u m bei den Beispielen Nolls zu bleiben, die (in Betrugsabsicht gebrauchte) Lüge nicht die Wahrhaftigkeit, sondern die konkrete Vertrauensbeziehung, die zwischen dem Lügenden und dem Belogenen besteht, die Untreue nicht die Zuverlässigkeit, sondern denjenigen, der sich auf den Ungetreuen verlassen hat. So verletzt auch — u m nunmehr zu juristisch leichter faßbaren Beispielen überzugehen — der Meineid (§ 154 StGB) nicht die Rechtspflege als solche, sondern als konkrete, i m Einzelfall tätig gewordene Institution. So zerstört die B l u t schande (§ 173 StGB) nicht die abstrakte Reinheit „der" Familie, sondern die Reinheit als konkrete Beziehung i m Rahmen der konkreten Ausgestaltung einer sozial anerkannten Form. Auch hier also, bei den sog. „reinen" Handlungsdelikten, w i r d ein Erfolgssachverhalt sichtbar, auf den die Handlung tendiert und von dem sie i h r Gepräge erhält — nicht nur was ihren Inhalt, sondern auch was ihren Unwert anbelangt. Und damit hat sich nun endgültig der vorgebliche Pluralismus von Handlungsunwert und Erfolgsunwert als ein unhaltbares K r i t e r i u m erwiesen, u m die Erscheinungsformen des Unrechts zu deuten. Das System unseres Strafrechts zwingt uns nicht, eine „Zweispurigkeit von Schuldhaftung und Erfolgshaftung" (Krauß) anzunehmen. 70 71 72

Noll, a.a.O., S. 30. Welzel, a.a.O., S. 2. Noll , a.a.O., S. 30.

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Offengeblieben ist freilich immer noch die Frage, ob nicht der strafrechtliche Unrechtsvorwurf seiner Natur nach die Berücksichtigung des Erfolgsunwertes ausschließt und ob ein Strafrecht, das gleichwohl den Erfolg einer Handlung zum Maß der Bestrafung erhebt, nicht m i t der i h m eigenen sittlichen Aufgabe i n Widerstreit liegt. Wäre dies der Fall, dann ließe sich dem Erfolg allenfalls, wie Welzel es w i l l , die Funktion eines limitierenden Elementes, keinesfalls aber die eines konstitutiven Elementes zubilligen, sofern man nicht, und das wäre die eigentlich konsequente Lösung, die Berücksichtigung des Erfolges ganz aus dem Strafrecht verbannt. Die praktischen Folgerungen für die Bestrafung etwa des Versuchs oder der Fahrlässigkeit wären dann weittragend: Da nur noch der Handlungsunwert zählte, könnte der E i n t r i t t eines sozial unerwünschten Erfolges auf das Maß des strafrechtlichen Unrechts und infolgedessen auch auf die Höhe des gesetzlichen Strafrahmens keinen Einfluß ausüben; der Versuch eines Verbrechens müßte gleich seiner Vollendung bestraft, das Maß der Strafe für die fahrlässige Tat von der Stärke des Leichtsinns, nicht von dessen schädlicher Auswirkung abhängig gemacht werden. Nun läßt sich i n der Tat ein für die Beantwortung der oben gestellten Frage wesentlicher Umstand nicht bestreiten: Besitzt der strafrechtliche Unrechtsvorwurf (ganz generell) eine gerade auf das Verhalten des Täters bezogene Mißbilligung, so kann nicht der vom Täter herbeigeführte Erfolg, sondern nur das Verhalten des Täters für diese Mißbilligung konstitutiv sein. Das bedeutet aber wiederum, daß eine ganz bestimmte Rechtsauffassung den Erfolg aus der strafrechtlichen Unrechtsbetrachtung ausscheidet: die Auffassung vom Recht als einer über dem einzelnen Menschen thronenden, ihm befehlenden Materie von Verboten und Geboten, m. a. W. die Auffassung von der abstraktimperativen Struktur der Rechtsnormen. Diese Auffassung liegt denn auch der subjektiv-personalen Unrechtslehre Welzeis zugrunde. Welzel behauptet: „Rechtsnormen, d. s. die Verbote oder Gebote des Rechts, können sich nicht an blinde Kausalprozesse, sondern nur an Handlungen wenden, die die Zukunft zwecktätig zu gestalten vermögen 7 3 ." Diese Formulierung ist offenbar ungenau; denn Befehle können sich nicht an Handlungen, sondern nur an den Menschen zum Zwecke der Vornahme von Handlungen wenden. Was Welzel sagen w i l l , ist darum eher dies: daß die Normen des Rechts sich stets nur an handlungsfähige Menschen wenden und nur die Vornahme oder Nichtvornahme von Handlungen bezwecken können. I n diesem Sinne formuliert auch A r m i n Kaufmann: „Die Norm konkretisiert sich nur auf den 73

Welzel , a.a.O., S. 33. — Vgl. zur K r i t i k schon Nagler , Rechtswidrigkeit, S. 317: Z w a r »„verboten* k a n n n u r ein menschliches Handeln sein"; gerade d a r u m aber ist „rechtswidrig" u n d „verboten" nicht dasselbe.

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Handlungsfähigen 74." Hier w i r d deutlich: der Ausschluß des Erfolgsunwertes und die alleinige Berücksichtigung des Handlungsunwertes beruhen auf einer imperativen Rechtsauffassung. W i r hatten bereits i n unserem historischen Dogmenabriß gesehen, daß die Imperativentheorie ihre Bewährungsprobe nicht bestanden hat, daß ihre Konsequenzen vielmehr Grund waren, eine objektivistische Unrechtsauffassung zur Herrschaft gelangen zu lassen, die dann allerdings wiederum nicht befriedigen konnte. W i r erinnern uns noch einmal an die klare Erkenntnis Hold v. Fernecks, daß die Bestimmung durch rechtliche Imperative die Bestimmbarkeit des Befehlsempfängers voraussetze und daß die Zurechenbarkeit die normale Bestimmbarkeit eines Befehlsempfängers bedeute 75 . Daraus folgte, daß der Unzurechnungsfähige nicht rechtswidrig handeln kann und deshalb Unrecht und Schuld konfundiert werden müssen. Gerade eine solche Konfundierung ist nun dasjenige, was Welzel am allerwenigsten erstrebt; denn für i h n ist die Rechtswidrigkeit „eine Relation zwischen Handlung und Rechtsordnung, die das Mißverhältnis der ersteren zur letzteren ausdrückt: Die Willensverwirklichung ist nicht so, wie es das Recht von Handlungen i m sozialen Bereich objektiv erwartet. Die Schuld begnügt sich nicht m i t dieser Relation eines sachlichen Mißverhältnisses zwischen Handlung und Rechtsordnung, sondern macht dem Täter einen persönlichen Vorwurf, daß er die rechtswidrige Handlung nicht unterlassen hat, obwohl er sie unterlassen konnte" 7 6 . Die Schuld ist also von der Rechtswidrigkeit streng zu trennen; die Rechtswidrigkeit ist Voraussetzung der Schuld und muß festgestellt sein, bevor die Schuld überhaupt geprüft werden kann. Von diesem Standpunkt aus müßten die Finalisten nun eigentlich eine imperative Rechtsauffassung als Grundlage ihrer Lehre ausscheiden. Indessen sind sie der Auffassung, daß „der Finalismus nicht eine Rückkehr zu der psychologisierenden Normauffassung der Imperativentheorie" bedeute, sondern daß es sich bei i h m „ u m das Messen eines Sachverhaltes an einem Sollen, also u m eine Frage der Wertung" handle ( G a l l a s ) 7 7 . Selbst wenn man die Stichhaltigkeit dieses A r gumentes zugestehen könnte, so wäre damit freilich noch nicht die Frage beantwortet, warum daraus folgen solle, daß nicht der Erfolg, sondern die Handlung Gegenstand des Werturteils sein müsse; denn nicht schon wenn ein Sachverhalt an einem Sollen, sondern erst wenn er an einem Tun-Sollen gemessen wird, kommt die menschliche Hand74 A r m i n Kaufmann , Bindings Normentheorie, S. 139. 75 Siehe oben S. 22. 76 Welzel, a.a.O., S. 124. 77 Gallas i n ZStW 67,1 (27); vgl. auch Enneccerus-Nipperdey, A n m , 48.

A l l g . T., S. 1288

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lung i n den Blick 7 8 . Mißt man aber den Sachverhalt an einem TunSollen, so kommt wiederum nicht nur die menschliche Handlung i n den Blick, sondern auch der Mensch selbst, welcher zur Handlung aufgerufen w i r d ; sind es doch eben nicht die Handlungen, welche sollen, sondern die Menschen, welche handeln sollen. Alsdann aber steht sofort wieder die Frage der Motivationsfähigkeit zur Handlung vor uns, das alte Problem der Imperativentheorie, und verlangt seine Lösung. Wertung und Bestimmung durch Normen lassen sich i m Rahmen des Unrechts als Pflichtverletzung 79 nicht voneinander trennen. Nun versuchen die Finalisten, den hier beschlossen liegenden Schwierigkeiten noch dadurch zu entgehen, daß sie die Motivationsfähigkeit des Menschen von seiner Handlungsfähigkeit streng trennen: daß sie für das Unrecht nur die Handlungsfähigkeit und erst für die Schuld die Motivationsfähigkeit voraussetzen. Insbesondere A r m i n K a u f m a n n hat auf die Trennbarkeit von Handlungs- und Motivationsfähigkeit wiederholt hingewiesen 80 . Zwar sei es richtig, daß es keine Handlung, keine Finalität ohne einen dazugehörigen Motivationsprozeß gebe, und dies verleite „zu der Umkehrung" (?), daß es keine Handlungsfähigkeit ohne Motivationsmöglichkeit gebe. Aber: „Obwohl jeder Entschluß zur Zwecktätigkeit seinen Ursprung hat i n unübersehbaren Motivationsfaktoren ..., so b i n ich doch nicht gezwungen, i n den Begriff der Handlung die Ursachen der W i l l e n s b i l d u n g . . . m i t aufzunehmen. Ebensowenig besteht Grund, die Motivationsmöglichkeit m i t i n den Begriff der Handlungsfähigkeit ... aufzunehmen 81 ." So wenig indessen die Möglichkeit dieser Trennung bezweifelt werden kann, so wenig überzeugt sie, wenn man das Recht als Summe von Imperativen begreift — von Imperativen, welche nur über die Motivation des Einzelnen i n den realen Bereich hinein wirken. Gewiß ist es für den Gesetzgeber möglich, wie insbesondere Engisch hervorgehoben hat 8 2 , seine Normen an alle, auch an die Kinder und Geisteskranken, zu richten. Gewiß ist es darüber hinaus möglich, wie es A r m i n Kaufmann an anderer Stelle vorgeführt hat 8 3 , zwischen der Normwidrigkeit, die ein jeder begehen kann, und der Pflichtwidrigkeit, die nur der Handlungs78

Vgl. auch Gallas, a.a.O., S. 38. Gallas, a.a.O., S. 38. A r m i n Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 171 ff.; Unterlassungsdelikte, S. 38 ff. 81 A r m i n Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 39. 82 Engisch, Unrechtstatbestand, S. 415; vgl. auch Oehler, Zweckmoment, S. 35, 48 m i t weiterer Literatur. 83 Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 132. K a u f m a n n glaubt, daß sich die Problematik des Adressaten der Normen auflösen lasse i n mehrere Einzelfragen. Folgende Fragen unterscheidet er: Wer ist Adressat der Norm? u n d : Wer w i r d von der N o r m i n concreto verpflichtet? A u f die erste Frage a n t wortet er: Normadressaten sind alle. A u f die zweite Frage gibt er die A n t w o r t : Verpflichtet werden n u r die Handlungsfähigen (S. 139). 79

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fähige begeht, zu unterscheiden. Und schließlich bestehen auch terminologisch keine Bedenken, eben die Handlungsfähigkeit von der Motivationsfähigkeit zu scheiden. Aber die Möglichkeit all dieser Gedankenexperimente ergibt doch noch nichts über ihren Sinn! So hat nicht zu Unrecht Hold von Ferneck gerade den Sinn von Befehlen, welche an Unzurechnungsfähige gerichtet sind, bezweifelt. So muß darüber hinaus bezweifelt werden, ob die Unterscheidung zwischen den Befehlen der Normen und der Verpflichtung aus diesen Normen außer ihrem vielleicht konstruktiven Nutzen für die Zwecke der Finalisten einen Sinn ergibt; denn Befehle, die zu nichts verpflichten, haben ihren Sinn als Befehle verloren — sie sind allenfalls unverbindliche Wünsche. Und so bleibt schließlich zu bezweifeln, ob der Unterscheidung zwischen Motivations- und Handlungsfähigkeit i m Rahmen einer imperativen Rechtsauffassung irgendein Sinn beigemessen werden kann, da doch die Normen die ihnen eigene Bestimmungsfunktion stets nur über die Motivation des Menschen ausüben können — u m freilich dann und dadurch Handlungen hervorzubringen 84 . Daß es sich m i t dem Wesen des Rechts als einer Summe von Imperativen nicht verträgt, den Motivationsprozeß aus dem Bereich der Rechtswidrigkeit auszuklammern, w e i l gerade das Setzen von Motiven wesentlich für die Bestimmungsfunktion der rechtlichen Imperative ist, zeigt besonders deutlich die positiv-rechtliche Parallele, die zu der Bestimmung eines Menschen durch einen anderen Menschen, d. i. zur Anstiftung , besteht. Anstifter ist, wer einen anderen zu einer m i t Strafe bedrohten Handlung „bestimmt" (§ 48 Abs. 1 StGB). Was das bedeutet, hat einst Welzel klar angegeben: „'Bestimmen' ist nicht 'Veranlassen* oder 'Verursachen', sondern das Hervorrufen des Tatentschlusses. Und Tatentschluß ist nicht der Entschluß, irgendetwas zu tun, sondern der Entschluß, eine tatbestandsmäßige Handlung auszuführen" 85 . Überträgt man diese Sätze auf das Verhältnis zwischen Bestimmungsnorm und Normunterworfenem, so läßt sich sagen: Die Bestimmungsfunktion der Rechtsimperative geht nicht dahin, etwas zu „veranlassen" oder zu „verursachen", sondern Tatentschlüsse hervorzurufen (durch die Normierung von Unterlassungsdelikten) oder Tatentschlüsse zu verhindern (durch die Normierung von Begehungsdelikten). Und erläuternd läßt sich hinzufügen: „Veranlassen" oder „verursachen" zwar kann man Handlungen und hierzu bedarf es nicht des Weges über die Motivation; die Motivationsfähigkeit des Täters ist insofern irrelevant und kann aus der Betrachtung ausgeklammert werden. Für das „Bestimmen" 84 Gut Nagler, Rechtswidrigkeit, S. 335: K e i n „Kunststück der D i a l e k t i k " gestatte es, die Unzurechnungsfähigen i n den Adressatenkreis einer Rechtsordnung einzubeziehen, die durch Ge- oder Verbote höchstpersönliches V e r halten fordert. 85 Welzel i n J Z 54, 429.

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h i n g e g e n k a n n m a n a u f d i e M o t i v a t i o n des T ä t e r s n i c h t verzichten. D e n n w i e anders l ä ß t sich d e r V o r s a t z eines Menschen, e t w a s z u t u n oder n i c h t z u t u n , h e r v o r r u f e n , als daß i h m M o t i v e z u r V e r f ü g u n g g e s t e l l t w e r d e n , aus d e n e n er sich b e s t i m m t ? H i e r i s t i m G e g e n t e i l d i e „ H a n d l u n g s f ä h i g k e i t " des T ä t e r s ( i n d e r T e r m i n o l o g i e A r m i n K a u f manns) v o n s e k u n d ä r e m Interesse. Z w a r d a r f a u f sie n i c h t v e r z i c h t e t w e r d e n , w e i l m a n s i n n v o l l n u r solche Entschlüsse b e f e h l e n k a n n , d e r e n D u r c h f ü h r u n g d e m Entschlossenen m ö g l i c h i s t ; doch t r i t t d i e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t zunächst h i n t e r d i e M o t i v a t i o n s f ä h i g k e i t z u r ü c k . V o r r a n g i g ist d i e M ö g l i c h k e i t , a u f G r u n d v o n M o t i v e n e i n b e s t i m m t e s Z i e l erst e i n m a l z u wollen . Vergegenwärtigen w i r uns dies noch an einer bestimmten realen Situation. Jemand ist von rasender Eifersucht gequält, w e i l das Mädchen, das er liebt, sich einem anderen zugewendet hat. I h m k o m m t der Gedanke, sie zu töten, „weil, w e n n er sie nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle"8®. Nehmen w i r n u n an, daß er seine Tat i n einem Zustand der Überreiztheit ausführte, einem Zustand, der i h n zwar noch als handlungsfähig, nicht aber mehr als zurechnungsfähig erscheinen läßt. Wo soll — so müssen w i r uns fragen — das Recht als verbietender I m p e r a t i v einen Ansatzpunkt f ü r seine Bestimmungsfunktion finden? Bestimmt werden k a n n n u r jemand, der noch bestimmbar ist, dessen M o t i v a t i o n zu einer bestimmten Tat also noch nicht die Stärke erreicht hat, welche i h m keine andere W a h l läßt als die, der determinierenden W i r k u n g seiner Triebfedern zu folgen. Wenn n u n aber gemäß unserer Annahme der Täter i n seinem Tötungsentschluß durch die K r a f t seiner Antriebe determiniert war, bleibt f ü r die Bestimmungsfunktion der Rechtsimperative k e i n Raum. Genau w i e es einem Menschen unmöglich ist, den derart Getriebenen „zur Vernunft zu bringen", i h n von seinem Vorhaben „abzustiften", ebensowenig vermag auch das Recht dem Täter ein M o t i v zur Verfügung zu stellen, f ü r oder gegen das er sich nach freier Abwägung entscheiden könnte. — Ganz anders steht es m i t der Fähigkeit des Täters auf der Handhmgsseite. H i e r hat der Täter sehr w o h l die W a h l unter mehreren Kausalfaktoren, die er seinem Entschluß dienstbar machen kann. E r vermag beispielsweise sorgfältig abzuwägen, ob er die von i h m geplante Tötung etwa dadurch ausführt, daß er das Mädchen vergiftet, daß er es erwürgt, oder daß er es erschießt. Z w a r hat n u n das Recht ein Interesse auch daran, daß zur Tat bestimmte M i t t e l nicht angewandt werden (vgl. §211 Abs. 2 StGB!), aber i n seinem erstrangigen Interesse, daß die Tat v ö l l i g unterbleibe, ist es ganz machtlos. Es muß i h m sinnlos erscheinen, d e m Täter zu befehlen, da dieser doch keinem Befehl mehr zu gehorchen vermag. N u r Zwang vermöchte noch, den zur Tat Determinierten aufzuhalten; i h n auszuüben, ist das Recht als geistige Macht aber v ö l l i g außerstande. N i c h t also a u f d i e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t des Täters, s o n d e r n a u f seine M o t i v a t i o n s f ä h i g k e i t k o m m t es an, w e n n m a n v o n e i n e r Rechtsauffassung

imperativen

aus das personale U n r e c h t fassen w i l l . D a h e r

er-

scheint es — v o m S t a n d p u n k t e i n e r i m p e r a t i v e n Rechtsauffassung aus —

richtiger, w e n n überhaupt 86

Vgl. BGHSt 3, 180 (183).

m a n auf die Handlungsfähigkeit

und

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Systematische K r i t i k der bisherigen Lehren

nicht nur auf die Motivationsfähigkeit des Täters rekurrieren w i l l , dann die Handlungsfähigkeit als schuldhafte Handlungsfähigkeit zu begreifen. So tat es einst B i n d i n g für den Bereich des Straf rechts 87 ; doch fand er m i t seiner Lehre keinen Anklang. Denn die Folgerung war nun unausweichlich, daß alles Unrecht schuldhaftes Unrecht ist, daß die Annahme eines schuldlosen Unrechts i n sich einen Widerspruch enthält. Unwiderlegbar gilt die Argumentation: Man sagt einem Täter nach, er habe sich anders verhalten sollen, und dann muß man i h m gleichzeitig die Möglichkeit nachweisen, daß er sich habe anders verhalten können; dies aber ist nur möglich durch den Nachweis anderweitiger Motivationsmöglichkeit, also der Schuldfähigkeit. Damit kommen w i r auf jene andere Auffassung zu sprechen, welche das Unrecht stets als zurechenbares Unrecht ansieht und für die Unrechtsbegehung einen schuldhaft handelnden Täter voraussetzt. Diese Auffassung w i r d heute, soweit ich sehe, nicht mehr vertreten. Allenfalls Andeutungen finden sich bei Ernst Amadeus Wolff i n seiner Studie über den Handlungsbegriff 88 . Es erübrigt sich daher, ausführlich Stellung zu nehmen. Gegen eine Konfundierung von Unrecht und Schuld sind insbesondere zwei Einwände zu erheben: einmal daß eine Trennung der Schuld vom Unrecht möglich, zum anderen daß eine solche Trennung notwendig ist. Daß eine Trennung von Unrecht und Schuld möglich ist und auch i m täglichen Leben vorgenommen wird, hat jüngst Engisch an einigen Beispielen aus der Literatur recht eindrucksvoll belegt. Engisch weist auf einen Ausspruch des Prinzen i n Lessings Emilia Galotti h i n ( I I I 5): „Mein Betragen diesen Morgen ist nicht zu rechtfertigen — zu entschuldigen höchstens. Verzeihen sie meiner Schwachheit!", auf Goethe, der Pylades zu Iphigenie sagen läßt (IV 4): „Das ist nicht Undank, was die Not gebeut", und Iphigenie diese scheinbare Rechtfertigung zurückweisen läßt m i t den Worten: „Es bleibt wohl Undank; nur die Not entschuldigt", schließlich auf Schiller, i n dessen Drama Wallensteis Tod ( I I 2) es heißt: „Nicht loben werd' ich's. Doch ich kann's verzeihen" 8 9 . Hier überall w i r d auf der negativen Seite Unrecht von Schuld geschieden; es w i r d die Rechtfertigung verweigert und nur die Schuld vergeben. Und wie i m Sprachgebrauch des Lebens, so trennt auch der Jurist i m Rahmen der „Gründe, welche die Strafe ausschließen oder m i l 87 Siehe oben S. 26 ff . sowie unten S. 230 ff. E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 15 ff. Wolff entwickelt zunächst einen Handlungsbegriff, der m i t der Rechtswidrigkeit auch die Schuld umfaßt (individueller Handlungsbegriff), u m d a n n erst später i n der Ebene der Rechtsw i d r i g k e i t einen „sozialen Handlungsbegriff" auszugliedern (S. 29 ff.). 89 Engisch, Unrechtstatbestand, S. 424. 88

K r i t i k der Lehren von der subjektiv-personalen Natur des Unrechts

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d e m " (§§ 51 ff. StGB) Rechtfertigungsgründe von Schuldausschliessungsgründen, wobei freilich die Prinzipien, denen die Kategorien von „Strafausschließungsgründen" jeweils unterstehen und nach denen sie abzugrenzen sind, umstritten sind. A n der grundsätzlichen Möglichkeit, Rechtfertigung von Schuldausschluß zu scheiden, w i r d jedoch nicht gezweifelt. Die Angriffe gegen die Trennung von Unrecht und Schuld kamen früher von einer Unrechtsauffassung her, welche die Rechtswidrigkeit mit der Pflichtwidrigkeit identifizierte. H o l d v o n F e r n e c k , der wohl konsequenteste Vertreter dieser Auffassung, erklärte kategorisch: „Der Begriff der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit läßt eine Zerfällung i n eine objektive und subjektive Seite schlechterdings nicht zu" 9 0 . Aber selbst er bestritt nicht, daß die Verletzung des objektiven Rechts, welche er als Normwidrigkeit bezeichnete, von der Pflichtwidrigkeit als Äußerung eines rechtlich bekämpften Individualinteresses geschieden werden könne, wenngleich i h m „eine Normwidrigkeit ohne Pflichtwidrigkeit ebenso undenkbar" erschien „wie eine Pflichtwidrigkeit ohne Normwidrigkeit" 9 1 . Nichtsdestoweniger — wenigstens theoretisch kann auch nach seiner Meinung die Rechtswidrigkeit als Normwidrigkeit von der Schuld, die unauflöslich nur mit der Pflichtwidrigkeit verbunden ist, getrennt und gesondert betrachtet werden. Das aber ist alles, was w i r zunächst nachweisen wollen. Es bleibt uns, den Nachweis einer Notwendigkeit der Scheidung von Unrecht und Schuld zu führen. Hier können w i r zunächst auf die gesetzlich festgelegte sog. limitierte Akzessorietät bei der Teilnahmeregelung hinweisen. Soll strafbare Teilnahme i n Form der Anstiftung oder Beihilfe möglich sein, muß nach der Ansicht des Gesetzes der Haupttäter den Tatbestand eines Deliktes rechtswidrig, nicht notwendig aber schuldhaft, erfüllt haben 92 . Das bedingt eine Scheidung der Verbrechensmerkmale jeweils darnach, ob sie zum Unrecht oder zur Schuld gehören. Nun w i r d der Hinweis auf die Regelung der limitierten Akzessorietät durch den Gesetzgeber allerdings fragwürdig, wenn man der A n sicht ist, daß der Gesetzgeber mit dieser Regelung die i h m durch die „Natur der Sache" gesetzten Grenzen überschritten habe. Während früher noch die Meinung bestand, daß die Bemessung der Akzessorietätsgrenzen beliebig vorgenommen werden könne, daß also die Akzessorietät „durch und durch ein Produkt des Gesetzgebers" sei 93 , ist jetzt die Meinung i m Vordringen, daß jedenfalls „die limitierte Akzessorietät 99 91 92 93

Hold von Ferneck , Rechtswidrigkeit Bd. I , S. 277. Hold von Ferneck , a.a.O., S. 377. Schönke/Schröder, StGB § 47 Vorbem. 65 M. E. Mayer, Strafrecht, S. 390.

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Systematische K r i t i k der bisherigen Lehren

als solche eine verunglückte Figur ist, die per saldo mehr Schaden als Nutzen gestiftet h a t " 9 4 . M. E. 9 5 liegt die Sache so: Das heutige Gesetz geht von der früher herrschenden 96 , gleichwohl aber unbewiesenen A n nahme aus, daß Teilnahme stets Teilnahme am Verbrechen als einer tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlung des Täters sei, und sucht die aus dieser Annahme sich ergebenden Schwierigkeiten, die früher zu einer unangebrachten Einschränkung der Strafbarkeit führten 9 7 , durch eine nachträgliche Einschränkung (Limitation) der Akzessorietät zu überwinden. Dabei geht es aber einerseits zu weit, indem es die Schuld insgesamt, also auch ihrem Sachverhalt nach, als für die Akzessorietät irrelevant erklärt (vgl. § 50 Abs. 1 StGB) 9 8 , andererseits ist es zu engherzig, indem er auch dem nicht-sachverhaltlichen (personalen) Unrecht eine gewisse Relevanz für die Teilnahme beläßt (§ 50 Abs. 2 StGB) 9 9 . Einzelheiten der gesetzlichen Regelung können hier dahingestellt bleiben. Denn verfehlt ist bereits ihr Ausgangspunkt. Teilnahme setzt etwas Teilbares voraus; teilbar ist aber nicht das Höchstpersönliche, Individuelle, dessen Wesen es gerade ist, indivisum i n se zu sein, sondern das (zumindest relativ) Allgemeine. Das aber bedeutet, daß an der Personalität auch des Unrechts, nicht nur der Schuld, keine Teilnahme möglich ist. Einer Abgrenzung zwischen Unrecht und Schuld bedarf es i n der Teilnahmelehre daher gerade für diesen k r i tischen Bereich nicht. Wählen w i r hierzu noch ein Beispiel: Die schwierige u n d umstrittene Frage, ob der Vorsatz Unrechts- oder Schuldelement ist, k a n n unter dem Gesichtsp u n k t der Teilnahme gar nicht bedeutsam werden, da am Vorsatz des Täters überhaupt keine Teilnahme bestehen k a n n ; denn selbst w e n n er Unrechtselement ist, gehört er doch dem Individualbereich des personalen Unrechts an u n d steht damit außerhalb einer allein am objektiven Unrecht zu orientierenden Teilnahme.

M i t diesen Einwänden w i r d die Bedeutung der gesetzlich normierten „limitierten Akzessorietät" für die Unterscheidung von Unrecht und 94 Schönke/Schröder, StGB §47 Vorbem. 60; vgl. auch Maurach, A l l g . T., S. 566 f. 95 Ich habe zu diesem Problemkreis i n ZStW 77, 262 ff. ausführlich Stellung genommen u n d möchte mich daher hier auf wenige Bemerkungen beschränken. 96 Vgl. etwa RGSt 70, 27. 97 Freigesprochen werden mußte beispielsweise, w e r einem Unzurechnungsfähigen oder i n einem schuldausschließenden I r r t u m Befindlichen bei seiner Tat geholfen hatte (RGSt 57, 16, 273). 98 Dieser Fehler w i r d allerdings von der heute h. L. d a h i n berichtigt, daß der Vorsatz des Täters Voraussetzung der Teilnahme bleibt. Zutreffender erscheint es m i r , f ü r die psychische Beihilfe u n d für die A n s t i f t u n g die E r f ü l l u n g des Schuldtatbestandes durch den Handelnden zu fordern. I m einzelnen ZStW 77, 262 (267 ff., 279, 308 ff.). 99 Bedeutsam bleiben die strafbegründenden Merkmale sowie solche „persönliche Eigenschaften u n d Verhältnisse", die n u r „vorübergehender" N a t u r sind (RGSt 25, 266 ff.; sehr bestr.).

K r i t i k der Lehren von der subjektiv-personalen Natur des Unrechts

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Schuld allerdings nur teilweise geleugnet. Unbestreitbar ist, daß die Teilnahme von der objektiven Rechtswidrigkeit des herbeigeführten (oder erstrebten) Erfolges der Tat und nicht von der Schuld des Täters abhängig ist. Insofern bleibt eine Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld nach der durchaus legitimen Forderung des Gesetzes geboten. Aber auch die Unterscheidung zwischen personalem Unrecht und Schuld erscheint unabweislich, weil das Unrecht Voraussetzung jeder Schuld ist. Wenigstens für die Anhänger eines strengen Tatstrafrechts nämlich läßt sich die Schuld des Täters nur auf das rechtswidrige Geschehen beziehen. Alsdann aber müssen die straf begründenden und straf erhöhenden Merkmale echte Unrechtsmerkmale sein; sie dürfen nicht lediglich der Schuld angehören. Es gilt streng der Satz: Keine Schuld ohne Unrecht — dem Täter kann nur das vorgeworfen werden, was der Rechtsordnung zuwider, was also m i t dem Prädikat „rechtsw i d r i g " zu versehen ist. Dies ist die richtige Erkenntnis der sog. normativen Schuldauffassung, welche von F r a n k 1 0 0 begründet w u r d e u n d heute insbesondere i n den Lehren der Finalisten eine beherrschende Rolle spielt. So bestimmt Welzel das Wesen der Schuld dahin, daß sie „den persönlichen V o r w u r f gegen den Täter begründet, daß er die rechtswidrige Handlung nicht unterlassen hat, obwohl er sie unterlassen k o n n t e " 1 0 1 . Schuld sei „Vorwerfbarkeit der W i l l e n s b i l d u n g " 1 0 2 , u n d zwar der Willensbildung bezogen auf die „konkrete T a t " 1 0 3 . Zumindest mißverständlich ist es allerdings, w e n n Welzel aus der Schuld sämtliche subjektiv-seelischen Elemente ausscheiden u n d allein das normative K r i t e r i u m der Vorwerfbarkeit zurückbehalten w i l l 1 0 4 . Betont er doch selbst, daß einem das K r i t e r i u m der Vorwerfbarkeit erst „den Umfang u n d die Fülle der maßgeblichen Schuldgesichtspunkte richtig i n den G r i f f " gebe 1 0 5 . Alsdann muß „die Fülle der maßgeblichen Schuldgesichtspunkte" aber zur Schuld gehören, so daß die Schuld sich nicht mehr i n der Vorwerfbarkeit erschöpft, sondern auch einen i h r eigenen Schuldtatbestand besitzt. Welzels Meinung, daß alle subjektiv-seelischen Elemente aus der Schuld auszuscheiden hätten, muß demnach auf die strafbegründenden u n d straferhöhenden seelischen Elemente eingeschränkt werden; diese allerdings sind bereits zur Unrechtsbegründung erforderlich.

Aus dem Gesagten folgt zweierlei: zum einen, daß man zwischen Unrecht und Schuld scheiden kann und muß, zum anderen, daß die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld sich mit der imperativen Struktur der Rechtssätze nicht verträgt, da sich nach ihr Unrecht und Schuld nicht selbständig feststellen lassen. W i l l man daher zu einer Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld, zur Möglichkeit schuldlosen 100

Frank, A u f b a u des Schuldbegriffs (1907). Welzel , Dtsch. Strafr., S. 124. Welzel, a.a.O., S. 125. 103 Welzel, a.a.O., S. 142. 104 Welzel, a.a.O., S. 126. 105 Welzel, a.a.O. (8. Aufl.), S. 140; i n die 9. Aufl. sind diese Sätze allerdings nicht übernommen worden. 101

102

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Systematische K r i t i k der bisherigen Lehren

Unrechts, gelangen, so muß man, scheint es, w o h l oder übel die Vorstellung vom („kategorisch") imperativen Charakter des Rechts aufgeben. Ist das aber möglich? Schwerlich! Zwar könnte man die Auffassung vertreten, es sei dem Recht gleichgültig, ob i m konkreten Falle der A den B töte; es knüpfe an jede Tötung lediglich eine bestimmte Straf folge und überlasse es i m übrigen dem einzelnen, ob er sich durch die zu erwartende Strafe schrecken läßt oder ob er sie, wie etwa der Überzeugungsverbrecher, i n Kauf nimmt u m der Genugtuung willen, die er durch die Begehung des Deliktes empfindet. Die Annahme eines solchen „hypothetischen" Charakters des Rechts entspräche indessen nicht der ethischen Aufgabe, welche gerade das Strafrecht i m Staatsganzen zu verwirklichen hat. Strafrechtsnormen unterscheiden sich zwar durch ihren Zwangscharakter von den ethischen Normen, doch ersetzt der an die Strafrechtsnorm anknüpfende Zwang der Strafe nicht den („kategorischen") Imperativ der ethischen Normen. Das Du-sollst des ethischen Imperativs gilt auch i m Rechtsbereich; der Zwang der Rechtsnorm ist lediglich ein zusätzliches Moment, das dem Imperativ Nachdruck verleiht 1 0 6 . Wenn aber dem Recht einerseits notwendig eine imperative Struktur zukommt, welche die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld unmöglich macht, andererseits auf diese Unterscheidung nicht verzichtet werden kann, scheint sich ein Widerspruch i n der Sache selbst herausgestellt zu haben, der nicht überwunden werden kann und m i t dem man sich daher abfinden muß. — I n dieser scheinbar ausweglosen Situation besinnen w i r uns auf die Fragestellung, von der unsere gesamten Erörterungen bisher ausgingen: ob und wie eine Verbindung von Unrecht und Person hergestellt werden könne: ob durch das Unrecht, das als personal, oder ob durch die Person, die als i m Unrecht stehend zu kennzeichnen ist. Und auf einmal werden w i r der Einseitigkeit gewahr, m i t der die imperative Rechtsauffassung die Verbindung zwischen Unrecht und Person von der Rechtsordnung aus herzustellen versucht 107 . Vergegenwärtigen w i r uns noch einmal den Ausgangspunkt des Begründers der Imperativentheorie, T h o n s : „ I m Rechte sucht die 106

Vgl. auch Engisch , Einführung, S. 30 ff. Über die historischen u n d ideologischen Grundlagen der imperativen Rechtsauffassung gibt der Aufsatz Germanns , Imperative u n d autonome Rechtsauffassung (wieder abgedruckt i n : Methodische Grundfragen, S. 23 ff.), einläßlich Auskunft. Germanns eigene Auffassung von der „autonomen" Rechtsbildung bezieht den einzelnen Menschen demgegenüber von vornherein stärker i n den Vorgang der Gesetzgebung ein: „ I n der modernen demokratischen Gesetzgebung steht neben dem autoritativen ein autonomes Element. Die Zeiten des Absolutismus sind vorbei; unsere Gesetze sind nicht w i l l k ü r liche Befehle von Inhabern der Staatsgewalt, sondern beruhen auf einer V e r fassung, die nach A r t ihres Zustandekommens i n der Regel m i t d e m Volksw i l l e n übereinstimmt" (a.a.O., S. 33). D a m i t nähert er sich der hier i m folgenden vertretenen anthropologischen Auffassung v o m Recht. 107

K r i t i k der Lehren von der subjektiv-personalen Natur des Unrechts

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Rechtsordnung den ihren Satzungen Unterworfenen einen Impuls zu einem bestimmten Verhalten zu geben, mag nun das gewünschte Verhalten i n einem Tun oder Unterlassen bestehen. Dieser Impuls erfolgt durch Befehle bald positiven bald negativen Inhalts" 1 0 8 . Hier w i r d das Recht als eine außerhalb des Menschen stehende, wenn auch von i h m geschaffene geistige Macht dargestellt, der Mensch selbst aber als der Unterworfene, an den das Recht sich wie ein Souverän m i t Geboten oder m i t Verboten wendet. Diese Auffassung ist bis heute durchgehalten worden, etwa i n A r m i n Kaufmanns Bild: „Ein Rundfunksender (Staat, 'Wille der Gesamtheit') sendet ständig den Spruch: ' A n alle! A n alle! I h r sollt nicht töten, stehlen, unterschlagen, betrügen, usw.! I h r sollt Verbrechenspläne anzeigen, bei Unglücksfällen Hilfe leisten usw.!'" 1 0 0 und i n der weiteren Deutung dieses Bildes: „Die Norm ist die Denkform der Gebundenheit von Menschen. I h r Gegenstand ist (finales) Handeln. Als Denkform ist die Norm abstrakt, losgelöst vom einzelnen Menschen und konkreten Akten. Sie richtet sich an jeden, der irgendwann und irgendwo als Handelnder oder Teilnehmer des Aktes i n Frage kommt, den sie verbietet oder gebietet. Das aber sind alle Menschen, jedenfalls theoretisch. Jedermann ist Adressat jeder Norm"110. Sollte nun nicht i n diesen Versuchen, vom Recht her die personale Beziehung zum Menschen zu finden, der entscheidende Fehler der bisherigen personalen Unrechtslehre liegen? Sollte es nicht möglich sein, den Weg der Verbindung von Mensch und Recht bzw. Unrecht vom Menschen her zu beschreiten, indem man der Einheit gewahr wird, die Recht und Mensch i n der Rechtspersönlichkeit eingehen? Kann nicht das Recht als eine anthropologisch begründete, d. h. i m Wesen des Menschen vorhandene Macht aufgefaßt werden, das Unrecht aber als ein Vorgang, durch den der Mensch sich m i t seinem eigenen rechtlichen Wesen i n Widerspruch setzt: als ein Uberschreiten der immanenten Grenzen der Rechtspersönlichkeit? Kann nicht personal i m Unrecht stehen derjenige, der nicht den Imperativen einer über i h m stehenden geistigen Macht, wohl aber dem i n i h m selbst ertönenden Imperativ „ D u sollst rechtmäßig handeln!" unfolgsam ist? W i r wollen versuchen, i n der Darstellung unserer eigenen Ansicht diesen Weg zu beschreiten.

109 110

Siehe oben S. 20. A r m i n Kaufmann, A r m i n Kaufmann,

Normentheorie, S. 124. a.a.O., S. 124 f.

Dritter

Teil

Begründung einer eigenen Lehre vom personalen Unrecht Grundsätzlich stehen zwei Möglichkeiten offen, die „Person i m Recht" bzw. die „Person i m Unrecht" zu bestimmen: Die erste ist gekennzeichnet dadurch, daß sie von der Rechtsordnung m i t ihren Begriffen ausgeht 1 . I h r Weg ist ähnlich dem der Imperativentheorie, wenn auch nicht völlig gleich; denn sie fragt nicht, wie das Recht den Menschen betrifft, sondern sie setzt diese Betroffenheit schon immer voraus und richtet ihr Augenmerk nur auf die A r t des vom Recht betroffenen Menschen. I h r Thema ist nicht, „wie das Recht den Menschen wertet oder wie das Recht auf den Menschen w i r k t oder wirken soll, vielmehr wie das Recht sich den Menschen vorstellt, auf den es zu wirken beabsichtigt, auf welche A r t Mensch das Recht angelegt ist" 2 . Die zweite Möglichkeit geht den umgekehrten Weg. Sie geht nicht vom Weltbild des Rechts aus und fragt nicht, wie der Mensch sich darein fügt, sondern sie beginnt ihren Weg beim Menschen und fragt, wie sich das Recht i n das Menschenbild einfügen läßt. Der ersten Möglichkeit hat Gustav Radbruch eine eindringliche Studie gewidmet, ohne indessen zu einem einheitlichen B i l d vom Menschen zu gelangen. Denn „mannigfach verschiedene menschliche Eigenschaften erscheinen den verschiedenen Rechtszeitaltern als typisch, als wesentlich, als maßgebliche Angriffspunkte für die rechtliche Normierung" 3 . Das mittelalterlich-deutsche, pflichtdurchdrungene und pflichtgetragene Recht setzte „durch Sitte, durch Religion an die Pflicht und an die Gemeinschaft gebundene Menschen voraus" 4 . Renaissance, Reformation und Rezeption entbanden den Einzelmenschen aus der Gemeinschaft und machten i h n als „vom Interesse geleiteten Einzelmenschen auch zum Ausgangspunkt des Rechts" 5 . Während aber dem polizeistaatlichen Denken noch ein Mensch vorschwebte, „der zwar egoistisch genug ist, sich ausschließlich durch sein Interesse leiten zu lassen, aber noch 1 2 3 4 5

Engisch, W e l t b i l d des Juristen, S. 23. Radbruch, Mensch i m Recht, S. 5. Radbruch, a.a.O., S. 5 f. Radbruch, a.a.O., S. 6. Radbruch, a.a.O., S. 7.

Begründung einer eigenen Lehre v o m personalen Unrecht

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nicht verständig genug, dieses Interesse auch selber zu erkennen" 6 , bevorzugten Aufklärung und Naturrecht jenen Menschentypus, von dem schon das römische Recht ausging: „das nicht nur sehr eigennützige, sondern auch i n seinem Eigennutz sehr kluge Individuum, das lediglich seinem wohlverstandenen Individualinteresse folgt, das dabei von allen soziologischen Bindungen frei ist und juristischen Bindungen nur deshalb unterliegt, w e i l es sich i n wohlverstandenem Individualinteresse selbst daran gebunden hat" 7 . Den modernen Typus des Menschen i m Recht endlich sieht Radbruch i m Gesellschafts- und Kollektivmenschen8; und hierin folgt i h m Engisch: „Die Leistung des Industriearbeiters bedeutet nur etwas i m Rahmen des Kollektivs, sofern sie nur einen Teilbetrag zum Sozialprodukt liefert. Die Macht des Arbeiters bedeutet nur etwas, wenn sie sich summiert. . . . Die ,Gleichheit vor dem Gesetz' w i r d so verstanden, daß ganze Gruppen von Menschen i n ihrer Lebensführung, ihrem Lebensstandard, ja sogar i m Lebensgenuß auf ein bestimmtes Schema festgelegt sind, so daß vor dem Rechte jeder zunächst einmal als das charakterisiert ist, was seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv für ihn rechtlich m i t sich bringt" 9 . Nun w i r d man diese Folge verschiedener Menschenbilder feiner differenzieren, man w i r d sie auch anders akzentuieren können — sie werden ihre geschichtliche Wandelbarkeit dadurch nicht verlieren. Es mochte jede Zeit von der Richtigkeit „ihres" Menschenbildes überzeugt sein und sich sogar nach „ihrer" Vorstellung vom Menschen i n gewissem Maße selbst geprägt haben — eine „neue" Zeit wandelte das Menschenbild und prägte sich neu. So erwies sich stets von neuem, daß es „das" B i l d vom Menschen nicht gibt, daß, zeitlich gebunden, mehrere menschliche Allgemeintypen bestanden und bestehen. A l l die Menschenbilder, die i m Laufe der Geschichte entstanden, waren f i k t i v ; sie nahmen einen Teil der menschlichen Natur für den ganzen Menschen und ergänzten etwa fehlende Züge nach den ideologischen Grundanschauungen der Zeit. Die Frage nach dem Menschenbild des Rechts führt daher zur Zeit- und Ideologiekritik. Aufgabe eines anthropologischen Versuchs der Verbindung von Unrecht und Person kann dies nicht sein. Ein solcher Versuch muß von vornherein beim Menschen beginnen und kann nur vom Menschen her zum Recht vorstoßen. Er kann nicht ein bestimmtes, w e i l einer bestimmten Rechtsordnung entsprechendes, Menschenbild zugrundelegen, sondern er muß ein allgemeines Menschenbild entwickeln — ein Men6 7 8 9

Radbruch , a.a.O., S. 8. Radbruch, a.a.O., S. 8. Radbruch, a.a.O., S. 12. Engisch, a.a.O., S. 32.

8 Lampe

Begründung einer eigenen Lehre v o m personalen Unrecht

schenbild, das imstande ist, Recht schlechthin, i n welcher Einzelausgestaltung auch immer es sich zeigt, i n sich aufzunehmen als ein menschliches, d. h. (nur) für Menschen geltendes Phänomen 10 . Nur insofern kann von einer anthropologischen Begründung des personalen Unrechts, wie sie i m folgenden gegeben werden soll, die Rede sein. Vermag aber die Anthropologie überhaupt, ein solches Menschenbild zu entwickeln? Hier gilt es zunächst, Mißverständnissen vorzubeugen. Weder die biologische noch die ethnologische Anthropologie, welche vorwiegend m i t naturwissenschaftlichen Methoden arbeiten, vermögen den Menschen als Rechts- und Unrechtspersönlichkeit zu begründen; beide anthropologischen Disziplinen „setzen ein Wissen um das, was der Mensch ist, bereits voraus und untersuchen bloß seine äußeren Merkmale oder seine kulturellen Leistungen" 1 1 . Die Frage nach dem Menschen, nach seinem ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidenden Wesen, war und bleibt philosophischer Natur, jede A n t w o r t hierauf letzthin spekulativ. Philosophisch-anthropologische Aussagen über den Menschen sind nicht gesicherter als die philosophischen Aussagen früherer Zeit, etwa i m klassischen Altertum, und werden es vor allem keinesfalls dadurch, daß man sie heute oft allein deshalb als „anthropologisch" etikettiert, u m ihnen den Anschein größerer „Wissenschaftlichkeit" zu geben, als sie den philosophischen Aussagen angeblich eigen ist. Das Wesen der philosophischen Anthropologie, welche uns i m folgenden die Grundlage des personalen Unrechtsbegriffes liefern soll, besteht, so meinen wir, lediglich darin, daß sie das Philosophische als einen Wesenszug des Menschen erkennt und anerkennt: der Mensch ist ihr ein über sich selbst reflektierendes, eben philosophisches Wesen. Er ist auf Philosophieren derart angelegt, daß er ohne Philosophie nicht existieren kann. Diese Erkenntnis des Menschen als zôon philósophon ist eine philosophische Erkenntnis, geradeso w i e die Erkenntnis des Menschen als Naturwesen eine naturwissenschaftliche Erkenntnis ist. Beiden Erkenntnissen k o m m t der Charakter der Wissenschaftlichkeit gleichermaßen zu. Die Definition des Wissenschaftsbegriffes w i r d von W i l l k ü r zwar nie ganz frei gehalten werden können u n d muß letzthin durch Übereinkunft festgelegt werden. Entscheidend für den Grad der Wissenschaftlichkeit einer Aussage k a n n jedoch n u r i h r Signifikanz-Niveau sein. U n d dies ist bei der Aussage, daß der Mensch auf Selbstdeutung u n d philosophische Lebensplanung u n d Lebensgestaltung angelegt sei, m. E. nicht geringer als bei der Aussage, daß er der Schwerkraft unterliege.

Sieht man i m Menschen ein auf philosophische Lebensplanung und -gestaltung angelegtes Wesen, so stellen sich für einen auf dieses Men10

Dieses „Menschenbild" einer Rechtspersönlichkeit muß alsdann aber w i e derum von vorschneller Ideologisierung u n d voreiliger A b l e i t u n g von Konsequenzen, insbesondere f ü r eine bestimmte Straftheorie, freigehalten werden. 11 Landmann, Philosophische Anthropologie, S. 6.

Begründung einer eigenen Lehre v o m personalen Unrecht

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schenbild bezogenen personalen Unrechtsbegriff zwei Fragen: zum einen wie diese Lebensplanung und -gestaltung vonstatten gehe, wie sich geplantes und gestaltetes Leben von naturhaft determiniertem Leben unterscheide; und zum anderen inwieweit bei der menschlichen Lebensplanung das Recht eine Rolle spiele, inwieweit es i n Rechnung zu stellen sei. Man w i r d bereits an dieser Fragestellung bemerken, daß das Wesen des Rechts aus der Untersuchung weitgehend ausgeklammert ist. I n der Tat kann es nicht Aufgabe einer anthropologisch orientierten Arbeit über das personale Unrecht sein, das Wesen von Recht und Unrecht zu ergründen 1 2 ; allein das Rechtswesen, der Mensch als Rechtspersönlichkeit, kann hier Deutung und Begründung erfahren. Die Erkenntnis dessen, was Recht an sich ist, w i r d jeweils schon vorausgesetzt. Insofern weicht bereits unser prinzipieller Ausgangspunkt von dem der Imperativentheorie, die w i r als unzulänglich erkannten, ab.

Erster

Abschnitt

Der Begriff der Person im Rahmen des personalen Unrechts Unsere erste Frage geht nach dem Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts. I h r Gegenstand ist, welche Gegebenheiten innerer und äußerer A r t bei Lebensplanung und Lebensgestaltung der Person eine Rolle spielen und daher überhaupt für ein personales Unrecht bedeutsam werden können; ob sie tatsächlich bedeutsam sind, ist eine davon verschiedene, später zu untersuchende Frage. Bei der Beantwortung unserer ersten Frage gehen w i r so vor, daß w i r zunächst die individuellen Grundlagen der Lebensplanung und Lebensgestaltung zu bezeichnen und systematisch zu ordnen versuchen. Erst daran anschließend bemühen w i r uns, die eigentlichen Mittel der Lebensplanung und -gestaltung aufzuzeigen. Und da all diese Erörterungen nicht Selbstzweck sein können, sondern das Phänomen des personalen Unrechts zum Ziele haben, soll jeweils wenigstens beispielhaft dargestellt werden, inwieweit die Grundlagen und M i t t e l der Lebensplanung und Lebensgestaltung i m Strafrecht — sei es als Unrechts-, sei es als Schuldmerkmale — ihren positiven Niederschlag finden. 12 Anders allerdings Würtenberger, wart, a.a.O., S. 442.

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Naturrecht u n d Philosophie der Gegen-

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

I. Grundlagen der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung Grundlagen der menschlichen Lebensplanung und Lebensgestaltung sind sämtliche physischen und psychischen Kräfte der Person: ihre objektive und subjektive Seinsrealität. 1. Die physische Realität der Person

Die physische Realität der Person ist die Realität ihrer körperlichen und energetischen Prozesse, insbesondere des Stoffwechsels als einer obersten Lebenstatsache. Sie ist als rein leibliches Dasein für das personale Unrecht unproblematisch. Einiger Bemerkungen bedarf lediglich die Tatsache, daß das körperliche Dasein für das seelische Voraussetzung und auch i n der A r t seiner Befindlichkeit bedeutsam ist, wie umgekehrt auch die seelische Verfassung auf die körperliche vielfältig einwirkt. I n dem Teilbereich des Krankhaften ist die medizinische Wissenschaft an diesem Ganzheitsverhältnis von Leib und Seele seit geraumer Zeit zunehmend interessiert und sucht, es zu erforschen. Insbesondere Eugen Bleuler ist i n diesem Zusammenhang zu nennen, der gegen jede schematische Scheidung seelischer und körperlicher Faktoren schon frühzeitig Stellung bezogen und die dem Psychischen vergleichbaren Lebensprinzipien als „Psychoide" zusammengefaßt hat 1 . Ferner ist auf Kretschmers Theorie der Konstitutionstypen hinzuweisen 2 . Aber nicht nur i n Krankheitsfällen, sondern ganz allgemein gilt, daß einer physischen Handlung i m allgemeinen eine psychische Handlung korrespondiert, daß m. a. W. alle äußeren Handlungen von Empfindungen begleitet oder von affektiven Prozessen ausgelöst werden. Ja, physische und psychische Seite eines Verhaltens sind so eng miteinander verbunden, daß sie sich nur theoretisch und nur zum Zwecke der Analyse des Ganzen voneinander trennen lassen. Nehmen w i r hierzu ein Beispiel: W i r kennen alle das Sprichwort, daß der Ton die Musik mache. Dieses Sprichwort besagt, daß der Sinn einer Rede weitgehend von dem Ton abhängt, i n dem sie vorgetragen wird. Der Ton aber ist wiederum unmittelbarer Ausdruck des seelischen Zustandes, i n dem der Redende 1 Bleuler, Die Psychoide (1925); vgl. auch Bleuler, Psychiatrie, S. 2 f.: „ I n der ärztlichen Praxis zeigt sich immer deutlicher, wie die Trennung zwischen psychischen u n d körperlichen Funktionen überholt u n d unhaltbar ist. Gesundheit u n d K r a n k h e i t betreffen i n hohem Maße gleichzeitig u n d gleichsinnig Psyche u n d Körper. . . . Ganz allgemein strebt die moderne Heilkunde nach Erfassung der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Funktionen u n seres L e b e n s . . . " — I n diesem Sinne auch Tumlirz, Anthropologische Psychologie, S. 71 ff.; A. Brunner, Stufenbau, S. 30; Arnold, Person, Charakter, Persönlichkeit, S. 59 f.; Remplein, Psychologie der Persönlichkeit, S. 22 ff. u. a. 2 Kretschmer, Körperbau u n d Charakter, S. 125 ff.

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sich befindet. Objektives und Subjektives, Physisches und Psychisches sind daher, wie w i r sehen, hier völlig verschmolzen, so daß, wenn w i r nur eines von beidem beachten, w i r dem Ganzen nicht Rechnung tragen können 8 . Jetzt, an dieser Stelle, setzt auch das Interesse des Strafrechtlers ein, der sich die Frage vorlegt, ob er die physische Handlung sehen darf, ohne die psychische zu berücksichtigen, oder ob er dadurch von vornherein das Phänomen, das er i n den Griff bekommen w i l l : das begangene Unrecht, verfehlt. I n vielen Fällen zwar erscheint es i h m unbedenklich, wenn er nur die physische Seite eines Vorgangs beachtet und an sie das Unrechtsurteil anknüpft. So könnte er mit einigem Recht schon an die bloße Verursachung des Todes eines Menschen das Rechtswidrigkeitsurteil anschließen, ohne die seelische Lage des Täters, ohne den seelischen A k t , m i t dem dieser seine physische Handlung durchdringt, zu beachten. Sollen nicht Tötungen vermieden werden, und ist nicht schon darum jede Tötung etwas Rechtswidriges? Man kann diese Meinung vertreten und w i r d dennoch zugeben müssen, daß auch der seelische A k t das Unrecht aufs nachhaltigste beeinflußt. Ob der Tod bei einer sachgemäß ausgeführten Operation eintritt, ob er die Folge eines leichtfertig herbeigeführten Verkehrsunfalles oder einer vorsätzlichen Brandstiftung ist, ob ihn die Notwehr, ob i h n der Dolch des Mörders oder die Schüsse des Revolutionärs verursachen — all das beeinflußt die rechtliche Bewertung maßgeblich wegen der seelischen Lage des Täters, deren Ausdruck die Tötungshandlung ist. Freilich mag hier immer noch zweifelhaft sein, ob es wirklich die Unrechtswertung und nicht die Schuldwertung ist, auf welche die psychische Situation Einfluß übt. Die letzten Zweifel aber müssen dort schwinden, wo das Gesetz selbst uns zwingt, Psychisches i n den Blick einzubeziehen, vorzüglich also bei den Tendenzdelikten, deren wichtigstes Beispiel die „unzüchtige Handlung" (§§ 174, 176 StGB) ist. Denn nicht anders als durch eine bestimmte seelische Einstellung des Täters läßt sich die Unzüchtigkeit seiner Tat kennzeichnen: nur wenn die nach außen aufs Sexuelle bezogene Handlung Ausdruck einer ebenfalls aufs Sexuelle bezogenen seelischen Einstellung des Täters ist, ist sie unzüchtig und vermögend, die Strafbarkeit i m Sinne der genannten Bestimmungen zu begründen 4 . Hier also zeigt sich, daß das Recht die Handlung tatsächlich als das begreift, was sie unbefangener Betrachtung von vornherein war: als Gesamtheit physischen und psychischen Geschehens. Als solche liegt sie hier bereits dem Rechtswidrigkeitsurteil zugrunde, das damit die Gesamtheit der Grundlagen für Lebensplanung und Lebensgestaltung ergreift. W i r werden darauf noch wiederholt zurückkommen. 3 4

Vgl. Gerland i n : Festschrift f ü r H. Lehmann, S. 301 (309). Siehe dazu noch unten S. 134, 151 f.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts 2. Die psychische Realität der Person

W i r verstehen i m folgenden unter Psyche lediglich die menschliche Affektivität (Psycho-Vitalität), klammern also die noetischen Funktionen des Seelenlebens zunächst aus, u m sie später i n einem besonderen Abschnitt (unten 3) darzustellen. Dadurch wollen w i r nicht den Eindruck erwecken, es handle sich um zwei anders als theoretisch zu isolierende, gar gegensätzliche5 Materien. I m Gegenteil — es gibt kaum einen intellektuellen Vorgang, der nicht durch Gefühle oder Affekte begleitet würde, keine Gefühls- oder Affekterlebnisse, die nicht mit intellektuellen Vorstellungen besetzt werden könnten. Gefühle und Triebfedern, Vorstellungen und Beweggründe stehen i n einem ständigen Zusammenhang und beeinflussen sich aufs mannigfachste, ja sie „entsprechen wahrscheinlich einem einzigen psychischen Geschehen, das allerdings von verschiedenen Seiten betrachtet und beschrieben werden kann" 6 . Den Bereich der Affektivität (Psycho-Vitalität) unterteilen w i r i n die Gruppen der Gefühle, der Triebe bzw. Triebfedern sowie der Strebungen (Tendenzen), unabhängig davon, ob diese als niedere (mehr animalische) oder höhere (spezifisch menschliche) auftreten, ob sie ins Bewußtsein gelangen oder unbewußt, ja ungeahnt unser Dasein formen. Die Brauchbarkeit dieser Einteilung für die Zwecke des Strafrechts muß die folgende Darstellung erweisen. Nicht geleugnet soll werden, daß andere Einteilungen (insbesondere für andere Bedürfnisse) möglich und durchführbar sind.

a) Die Gefühle Die psychische Realität der Person ist am allgemeinsten und blassesten i n den Gefühlen. Bei ihnen handelt es sich nach allgemeinem psychologischem Sprachgebrauch u m affektive Vorgänge (Gemütsbewegungen), während für die Sinnesleistungen der Ausdruck „Empfindungen" zur Verfügung steht. So können w i r den Schmerz als Sinnesempfindung von dem i h n begleitenden Schmerzgefühl unterscheiden 7 . Doch sei betont, daß auch diese Unterscheidung eine analytische, keine reale ist. Die Gefühle unterscheiden sich von den Trieben oder Triebfedern durch ihre Passivität, von den Strebungen zusätzlich durch ihre weit5 Den Fehler, Seele u n d Geist allzu r a d i k a l zu trennen, begeht Klages i n seiner metaphysischen Lehre v o m „Geist als Widersacher der Seele", begeht aber auch die Phänomenologie bis zu M a x Scheler. 6 Bleuler, Psychiatrie, S. 16. 7 Kretschmer, Medizinische Psychologie, S. 14 f.

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gehende Unbestimmtheit 9. Identisch mit den Gefühlen sind hingegen die Stimmungen 9 . Die Passivität der Gefühle zeigt sich positiv darin, daß w i r sie „erleiden", ohne eigentlich von ihnen betroffen zu werden: Gefühle haben einen „pathischen Charakter" 1 0 . Sie steigen, zumeist unbewußt, i n uns auf und sind , wenn w i r sie verspüren, ohne daß w i r über ihr Werden Auskunft geben könnten. Die Passivität der Gefühle zeigt sich negativ darin, daß w i r durch sie zu nichts anderem als zu ihrer Wahrnehmung veranlaßt werden 1 1 , daß ihre Existenz also zu keiner Spannung führt, die ihre Lösung i m Kontakt mit der Außenwelt suchte. Die Unbestimmtheit der Gefühle zeigt sich darin, daß sie i n der objektiven Realität nichts finden, was ihnen entspräche 12 . Während die Strebungen, wie w i r noch sehen werden, stets etwas „vor Augen" haben, wonach sie streben, sind die Gefühle blind. Sie ruhen i n sich wie Nebel, die einander durchdringen, und führen sehr oft bewußte Vorgänge ins Unbewußte des Stimmungsmäßigen zurück. — Wo spielen die so bestimmten Gefühle nun i m Strafrecht eine Rolle? Hier müssen w i r zunächst die Gegenstände unterscheiden, auf die die Gefühle sich richten: Gegenstand der Gefühle kann einmal der affektive Bereich des Seelischen selbst sein 13 , ferner der Bereich des Geistigen 1 4 und schließlich der Bereich des werthaften Selbstseins. Rechtlich am bedeutsamsten ist wohl der letzte Bereich, der durch das Schlagwort „Wertgefühl" erhellt wird. Insbesondere Max Scheler hat auf ihn hingewiesen: „Der eigentliche Sitz alles Wertapriori (und auch des sittlichen) ist die i m Fühlen, Vorziehen, i n letzter Linie i m Lieben und Hassen sich aufbauende Erkenntnis resp. Wert-Erschauung" 15 . Das 8

Es „ist uns i n den Gefühlen nichts Objektiv-Gegenständliches gegeben, wie i n einer Wahrnehmung oder Vorstellung oder einem Gedanken, sondern ein subjektiver Zustand unseres Selbst" (Remplein , a.a.O., S. 219; vgl. aber auch Stern, Allg. Psychologie, S. 724 ff.). 9 Bestritten! Teilweise w i r d den Gefühlen eine Richtungseigenschaft beigelegt, die den Stimmungen nicht zukommen soll. 10 Wellek, Polarität, S. 231. 11 Wellek, a.a.O., „Über Gefühle verfügt m a n nicht, m a n k a n n sie nicht w i l l k ü r l i c h setzen. Aus demselben Grunde k a n n man Gefühle auch nicht k o n servieren, nicht ,auf Eis legen'." 12 Tumlirz, Anthropologische Psychologie, S. 118 ff. — Lediglich eine Gliederung der Gefühle nach den seelischen Schichten, die durch ein Erlebnis angesprochen werden, ist anzuerkennen. 13 Als Beispiel sei die Sentimentalität genannt. 14 Allerdings ist hier zu beachten, daß die Hinwendung des Verstandes zu den Gefühlen diese abbaut (Wellek, a.a.O., S. 230). Vgl. über den entsprechenden Einfluß des Gefühls auf den Verstand noch unten S. 135 f. 15 Scheler, Formalismus, S. 88. Vgl. auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 54. — Z u r Gefühlswarnung vgl. Mezger i n L e i p z K o m m Bd. I (8. Aufl.) S. 482; ausführlich hierzu Platzgummer, Bewußtseinsform des Vorsatzes, S. 65 ff.

1 2 0 D e r Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Wertgefühl ist bedeutsam für das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, sofern die Rechtswidrigkeit ethisch fundiert ist, es ist bedeutsam somit für die Erkenntnis alles (Wert-)Normativen i m Bereiche des Rechts und damit nicht zuletzt für die reale Existenz des Rechts selber. Denn ohne Gefühl für Recht und Unrecht vermöchte der Mensch niemals, eine Rechtsordnung aufzubauen und i n der Praxis zu bewähren. Die beiden ersten Bereiche, der des Seelischen und der des Geistigen, werden für das Recht relevant nur i n Verbindung m i t den ihnen zugeordneten Triebfedern und Strebungen. A n dieser Stelle erscheint es notwendig, den zwischen Gefühlen, Triebfedern und Strebungen bestehenden Unterschied noch etwas weitergehend zu skizzieren: Triebfedern sind — i m Gegensatz zu den passiven Gefühlen — dynamischer Natur: sie treiben uns, i n der Objektivität Handlungsziele zu suchen. So treibt uns etwa der auf dem Gefühl des Hungers erwachsende Nahrungstrieb zur Aufnahme von Nahrungsmitteln. Die Strebungen durchbrechen zusätzlich die Unbestimmtheit der Gefühle: sie geben die Richtung an, die Tendenz zu bestimmten Objekten als Zielen des Strebens. So streben wir, vom Nahrungstrieb getrieben, eine ganz bestimmte Speise zu uns zu nehmen, die w i r uns i m Gasthaus bestellt haben. Die Gefühle schließlich verschaffen uns die Beglückung, wenn w i r das Ziel unseres Strebens erreicht haben, und sie quälen uns, solange w i r noch nicht am Ziele sind 1 6 . I m wesentlichen bestimmen demnach Lust und Unlust die Richtung unseres Handelns 1 7 : „ W i r suchen uns Lust bzw. lustbetonte Erlebnisse zu verschaffen und sie festzuhalten. Unlust wehren w i r ab. Nehmen w i r eine Unlust auf uns, so ist es, um eine noch größere abzuwehren, oder u m eine Lust, die w i r höher bewerten als das übernommene Übel, zu erlangen" 1 8 . A u f die beiden ersten Bereiche angewandt: Es sind Lust an der psychischen und Lust an der geistigen Befriedigung, die w i r m i t unseren Handlungen zu gewinnen trachten. Ist es Ziel unserer Handlungen, Lustgefühle zu erlangen, so muß auf den ersten Blick verblüffend erscheinen, daß das Gesetz i n § 211 StGB und § 135 Abs. 1 Nr. 1 Entw. 62 die „Mordlust" als qualifizierendes Merkmal des Mordes heraushebt. Wer käme etwa auf den Gedanken, beim Diebstahl die Lust am Stehlen, bei der Sachbeschädigung die Lust am Zerstören straferschwerend zu werten? Die Auslegung des Merkmals durch die Rechtsprechung — Mordlust sei die unnatürliche, abartige Freude am Töten 1 9 — führt unsere Erkenntnis hier nicht weiter; denn wie soll wohl demgegenüber die „natürliche, artgemäße" Freude am Töten von Menschen beschaffen sein? Auch darf nicht übersehen 10 17 18 19

Remplein, a.a.O., S. 221. Vgl. aber auch W. Stern, a.a.O., S. 707 ff. Bleuler, Psychiatrie, S. 16. BGHSt i n N J W 53, 1440 ( = L M § 211 Nr. 24 m. A n m . Jagusch).

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werden, daß die vom Gesetz geforderte „Lust" und die von der Rechtsprechung geforderte „Freude" etwas sehr Verschiedenes sind, wie sich insbesondere an ihren Gegensatzbegriffen zeigt: der Gegensatz der Lust ist die Unlust, der Gegensatz der Freude aber die Trauer. Immerhin läßt die Auslegung des Begriffs „Mordlust" ahnen, daß es die alleinige oder doch überwiegende Triebfeder des Täters gewesen sein muß, sich eine seelische Lust zu verschaffen. W i r werden bei der Behandlung der Triebfedern daher alsbald noch einmal auf dieses Merkmal zurückkommen. Der allein vom Lustbedürfnis getriebene Mörder w i r d sich am ehesten durch eine entsprechende Unlustvorstellung von der Straftat zurückhalten lassen. Er ist ein dankbares Objekt jener Straftheorie, die ihre Strafdrohungen allein auf dem Lust-Unlust-Schema aufbaut: der Theorie vom psychologischen Zwang , die m i t dem Namen Feuerbach aufs engste verknüpft ist 2 0 . I n ihr zeigt sich die Bedeutung der menschlichen Gefühle für das Straf recht nun von der anderen Seite her: nicht von der des Verbrechens, wie beim Mord, sondern von der der Strafe. Denn nach der Theorie vom psychologischen Zwang ist die Strafe ihrerseits ein Appell an das Lustbedürfnis des Menschen, die Straflosigkeit dem sinnlichen Verlangen nach Begehung einer Straftat vorzuziehen. Nach Feuerbachs Meinung kann der „sinnliche Antrieb", eine Straftat zu begehen, nur „dadurch aufgehoben werden, daß jeder weiß, auf seine Tat werde unausbleiblich ein Übel folgen, welches größer ist, als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur Tat entspringt" 2 1 . Kritisch sei hier jedoch schon angemerkt, daß Feuerbachs Theorie nicht für sich i n Anspruch nehmen kann, eine personale Straftheorie zu sein; denn der A p p e l l an das Lustbedürfnis spricht den Menschen auf einer tieferen Stufe als der seiner Personalität an. Gefühle sind lediglich Grundlagen personalen Verhaltens, nicht aber formen sie selbst schon den personalen A k t . Z w a r sind sie daher für die Person absolut notwendig, u n d es wäre gewiß auch i m Rahmen der Strafe verfehlt, diesen Bereich affektiver Motivation zu ignorieren; doch muß i n einer personalen Straftheorie zusätzlich das geistige u n d sittliche Z e n t r u m des Menschen i n die Strafdrohung einbezogen werden, da j a auch aus i h m heraus der Mensch Gründe f ü r sein Handeln empfängt — wenigstens sofern er Person, d. h. auf Lebensplanung u n d Lebensgestaltung angelegtes Lebewesen, ist 2 2 . 20 Eine gute Zusammenfassung von Feuerbachs Theorie findet sich bei v. Bar , Handbuch Bd. I, S. 248 ff. 21 Feuerbach , Lehrbuch S. 46. Entsprechend später auch v. Liszt, Aufsätze u n d Vorträge, S. 45: „Verantwortlichkeit bedeutet nicht mehr als die Tatsache, daß w i r den geistesgesunden Verbrecher f ü r seine Tat strafrechtlich zur V e r antwortung ziehen. Unsere Berechtigung, dies zu tun, liegt einzig u n d allein i n der Zurechnungsfähigkeit des Verbrechers, also i n seiner Empfänglichkeit f ü r die durch die Strafe bezweckte Motivsetzung." 22 Weitgehend übereinstimmend zur Theorie Feuerbachs Noll i n H. MayerFestschrift S. 219 (227): „Der Hauptmangel der Feuerbachschen Theorie liegt i n

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Schließlich sei noch einiges zu jenen Gefühlen bemerkt, die sich auf den geistigen Bereich beziehen. M i t jeder erkenntnismäßig ungelösten Aufgabe verbindet sich eine gefühlsmäßige Spannung, die der Entspannung, dem „Aha-Erlebnis" (K. Bühler) weicht, sobald die Lösung gefunden ist 2 3 . Das Streben nach diesem Erlebnis ist dem Strafrecht so bedeutsam, ein auf die geistige Erkenntnis gerichtetes Gefühl so wichtig, daß es dieses Gefühl i n einer wichtigen Deliktsgruppe geradezu voraussetzt oder jedenfalls doch durch Unlust-(Straf-)Androhung zu wecken sucht: bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Hier verbinden sich die beiden bisher aufgewiesenen Aspekte auf eine neuartige Weise. Nehmen w i r den einfachen Fall an, daß jemand einen Menschen tötet, weil er ihn nicht erkannt hatte. Alsdann setzt das Strafrecht den Fahrlässigkeitsvorwurf an den Nachweis an, daß der Täter den getöteten Menschen hätte erkennen können. Dieser Nachweis kann aber nur dann voll und ganz erbracht werden, wenn i m Täter ein Gefühl entweder lebendig war oder geweckt werden konnte, das ihn zur Nachforschung, zur Erkenntnis rüstete. Denn wie anders sollte der Täter ja auch erkennen können, als wenn er mit der Erreichung der Erkenntnis ein Lustgefühl verband, oder wenigstens eine größere Unlust glaubte abwehren zu können? Strebt doch alles, wie w i r sahen, nach Lustgewinnung! War also das Lustbedürfnis i m Täter nicht vorhanden und konnte es auch nicht geweckt werden, entbehrt ein Fahrlässigkeitsvorw u r f jeder Grundlage. — Geweckt werden konnte das Lustbedürfnis entweder durch autonome Wertüberlegungen des Täters selbst (über die noch später zu sprechen sein wird) oder aber durch eben jene Strafnormen, die an die vermeidbare Unkenntnis der Handlungsfolgen eine Strafdrohung knüpfen. Denn i m letzten Falle wurde der Handelnde bereits durch den Appell an sein Lustbedürfnis dazu angehalten, die Mühen u m die Erkenntnis auf sich zu nehmen, u m der andernfalls zu erwartenden größeren Unlust zu entgehen, die i n der Strafe für sein fahrlässiges Verhalten liegt. Zusammengefaßt ergibt sich hier: Das Streben nach dem gefühlsmäßigen Aha-Erlebnis ist die Grundlage jener Erkennbarkeit, die i n den Fahrlässigkeitstatbeständen einerseits vorausgesetzt, andererseits aber durch Bereitstellung eines entsprechenden Motives ermöglicht ihrer unzulänglichen anthropologischen Voraussetzung, worauf letztens besonders Maurach hingewiesen hat. Sie betrachtet ,den Menschen als eigensüchtiges, dem Nächsten feindliches u n d zugleich furchtsames Wesen 1 , u m m i t Hegel zu sprechen, als einen Hund, dem i m m e r wieder der Stock gezeigt werden muß. Diese Vorstellung ist jedoch keine notwendige Voraussetzung f ü r ein auf Generalprävention gegründetes Strafrecht. Die normative Prävent i o n w i r k t nicht i n erster L i n i e durch Abschreckung mittels Strafdrohung, sondern durch Orientierung u n d A p p e l l an die Einsicht u n d die Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung." 23 Remplein, a.a.O., S. 345.

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wird. Beispiel: Wer einen Menschen, den er für ein Tier gehalten hat, erschießt, ist nur dann der fahrlässigen Tötung schuldig, wenn i n i h m das Gefühl wach war oder erweckt werden konnte, daß er sich u m die (genauere) Erkenntnis des Handlungsobjekts bemühen solle; dieses Gefühl kann auch durch die Kenntnis der Strafdrohung für fahrlässige Tötungen geweckt werden. b) Die Triebe und Triebfedern Gefühle sind keine Dauerzustände; sie wechseln, ohne daß ihre zeitliche Folge je ein gewisses Maß an Intensität überschritte 24 . Sobald jedoch die Abfolge von Gefühlen eine bestimmte Richtung annimmt, sich als gestalthaftes Ganzes aus vorangegangenen und nachfolgenden Vorgängen aussondert und intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt, die zu einer Spannung i m Inneren führen, sprechen w i r von Trieben oder von Triebfedern . A n sich ist es nicht unbedenklich, von Trieben und Triebfedern i m Plural zu sprechen; denn es besteht die Gefahr, sogleich i n einen Atomismus zu verfallen. Extrem könnte man für jede Verhaltensart einen besonderen Trieb nennen, der ihr zugrunde liegt. Beginnt man aber umgekehrt zu generalisieren, oder leitet man einen Trieb aus einem jeweils übergeordneten ab, besteht die noch größere Gefahr, bei einem sog. Grundtrieb, etwa (völlig nichtssagend) dem Lebenstrieb oder (zusätzlich unzulänglich) dem Selbsterhaltungstrieb, zu enden. Geht man schließlich von mehreren Grundtrieben aus, ist das Dilemma auch nicht viel geringer. I n derselben Verhaltensform, etwa dem Kontaktstreben, können sich die verschiedensten Triebe, z. B. der Sexualtrieb oder aber der Schutztrieb, möglicherweise auch beide zusammen, ausprägen. Daraus folgt, daß man zwar eine genauere Qualifikation der Triebe vorzunehmen genötigt ist, wofern man materiell überhaupt etwas über Triebe aussagen w i l l , daß man aber andererseits eine gewisse Unvollkommenheit dieser Qualifikation als notwendiges Übel i n Kauf nehmen muß 2 5 . Dieses letzte w i r d um so leichter fallen, je mehr man sich bewußt bleibt, daß das Triebleben als Ausdruck des menschlichen Daseins unendlich mannigfaltig, bei aller Mannigfaltigkeit aber doch eben als subjektives Menschsein material identisch ist. Die Verhaltensforschung sähe sich ähnlichen Schwierigkeiten ausgesetzt, verlangte man von i h r eine Systematisierung aller nur möglichen Verhaltensarten i n Verhaltensmustern. Das Gesetz wäre überfordert, müßten i n i h m alle Modalitäten möglicher Verbrechensverwirklichung aufgeführt sein. U m aber hierbei erst einmal stehen zu bleiben: Es zeigt sich, daß gerade 24

Wundt, Grundriß, S. 203. Gehlen hält dagegen überhaupt „die Aufstellung von Instinktkatalogen oder Listen von Grundtrieben f ü r wenig aussichtsreich" (Der Mensch, S. 359). 25

1 2 4 D e r Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

durch die Schaffung abstrakter Kriterien, d. h. von Kriterien größerer Allgemeinheit etwa i n den Begriffen des Wegnehmens, Fälschens, Verletzens u. dgl., brauchbare und ausreichende Resultate auch für den Einzelfall erzielt werden können, obgleich die genannten Begriffe Handlungsweisen bezeichnen, die es realiter als unmittelbare Einheit nicht gibt, sondern die einem Zusammenhang von kleinen und kleinsten, nacheinander und nebeneinander verlaufenden Einzelakten entstammen, welchem erst seine besondere Gestaltqualität soziale und rechtliche Relevanz verleiht. So können w i r uns an dieser Stelle nach einer allgemeinen Charakterisierung des Wesens und des Wirkens der Triebe und Triebfedern auf die i m Gesetz genannten und somit unmittelbar bedeutsamen Triebfedern beschränken 28 . Die nähere Bestimmung des W e s e n s der menschlichen Triebe hängt von einer Vorentscheidung ab: Welche Gegebenheiten des menschlichen Seins können als die vitalen Kraftquellen des Psychischen und damit der Person überhaupt gedeutet werden? M i t der Beantwortung dieser Frage ist der Boden für die Bestimmung des Triebbegriffes und letzthin für die Besonderheit der Person gegenüber dem Tier unmittelbar bereitet. Eine Möglichkeit der Analyse des subjektiv-menschlichen Daseins kommt von den urtümlichen vitalen Lebensprozessen her. I h r liegt die Vorstellung zugrunde, daß die menschliche Persönlichkeit aus Schichten aufgebaut sei — eine Vorstellung, die besonders von Rothacker durchgeführt w i r d 2 7 und die durch Welzel auch für das Strafrecht Bedeutung erlangt hat 2 8 . Die Triebe des Menschen erscheinen i n ihr als animalische Grundsubstanz, höhere Triebe werden, sofern überhaupt anerkannt, aus den Elementartrieben abgeleitet. Das spezifisch Menschliche w i r d gemäß der historischen Entwicklung, welche diese Betrachtungsweise nahelegt, zerlegt i n eine naturhafte Unterschicht, die allem animalischen Leben gleich sein soll, und i n die darauf aufbauenden jeweils höheren Schichten, die von der Schicht der menschlich-geistigen Funktion gekrönt werden. Ihre Herkunft hat solche Auffassung am stärksten von Max Schelers 1928 erschienenem Werk „Die Stellung des Menschen i m Kosmos", i n dem, gestützt auf die damaligen Erfahrungen der Biologie, einer Stufung des Psychischen das Wort geredet w i r d 2 9 . 26 Wobei es freilich nicht darauf ankommen kann, „ob Psychologie u n d Psychopathologie sie als selbständige Triebe annehmen", w i e Kohlrausch/ Lange es glauben fordern zu müssen (StGB § 211 f. A n m . V I I I 1). 27 Rothacker, Schichten der Persönlichkeit, S. 4, 7 u n d durchgehend. 28 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 128 ff. Dieser Auffassung folgt auch Maurach, Allg. T. S. 338: „Die gefühlsgetriebene Tiefenschicht w i r d von einer Höhenschicht ü b e r l a g e r t . . . " 29 Scheler, Stellung des Menschen i m Kosmos, insbesondere S. 11 ff.; zu vgl. ist i n diesem Zusammenhang ferner die Unterscheidung Lerschs zwischen endothymem G r u n d u n d personellem Oberbau (Aufbau der Person, S. 99 ff.).

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Gegen diese Auffassung spricht, daß sie das Funktionsgefüge der menschlichen Persönlichkeit zerstört 30 . Sie führt ferner das Problem herauf, i n welchem Verhältnis die Persönlichkeitsschichten zueinander stehen, ohne hier eine befriedigende Lösung bieten zu können. Und schließlich widerspricht sie den neueren Erkenntnissen der Anthropologie 3 1 . Richtiger als Scheler scheint uns daher Helmuth Plessner i n seinem ebenfalls 1928 veröffentlichten Werk „Die Stufen des Organischen und der Mensch" die Einheit des Lebendigen gesehen und die Ganzheit des Menschen als Problem gestellt zu haben 32 . Schließlich hat neuestens A r nold Gehlen das Handeln des Menschen als Ausgangspunkt seiner Untersuchungen gewählt, u m zu ganzheitlichen Aussagen, die nicht allein der Psychologie oder der Physiologie verhaftet sind, gelangen zu können. Legt man solche ganzheitliche Betrachtungsweise zugrunde, dann ist es offenbar unmöglich, die Triebe des Menschen anders als seiner ganzheitlichen Natur entsprechend aufzufassen: Sie sind nicht animalisch, auch nicht primär animalisch, sondern eben human. Das bedeutet: Während beim Tier die vitalorganischen Triebe den Lebenstrieb ausmachen, ist beim Menschen dieses Bedürfnissystem zugunsten einer Werthaftigkeit i n kulturell-sittlicher Hinsicht aufgegeben. Adolf Portmann hat das vor einigen Jahren m i t der Sonderstellung der menschlichen Entwicklung begründet, die den Menschen „zu früh" den Kontakt m i t der Umwelt finden und empfinden läßt 3 3 . Der Säugling trete gleichsam i n embryonalem Zustande ins Leben; die allein vitalorganische Entwicklung werde m i t einem sehr geringen Reifezustand abgeschlossen. Hieraus resultiere die gegenüber den anderen Säugern auffallend hilflose Lage des neugeborenen Menschen 34 . Gleichzeitig bewirke der mangelhafte Abschluß des organischen Reifungsprozesses eine Reifungsbereitschaft i n der sozialen Umwelt (im „sozialen Uterus"), wo sich dann die Strukturen herausbildeten, die für den Sozialkontakt am we30

Hierzu Keller , Philosophie u n d Psychologie des Wollens, S. 143 f. Gegen Scheler z. B. Gehlen, Der Mensch, S. 22 f. Gegen eine Schichtentheorie (und insbesondere w o h l gegen Klages) auch Heidegger , Humanismus, S. 14. 32 Plessner, Stufen des Organischen, S. 288 ff. 33 Portmann , B i l d des Menschen, S. 38 ff., 49 ff. 34 Dazu auch schon Herder (in K T A S. 213 f.): „Das menschliche K i n d k o m m t schwächer auf die Welt als keins der Tiere; offenbar w e i l es zu einer Proportion gebildet ist, die i m Mutterleibe nicht ausgebildet werden konnte. Das vierfüßige Tier nahm i n seiner M u t t e r vierfüßige Gestalt an u n d gewann, ob es gleich anfangs ebenso unproportioniert am K o p f ist w i e der Mensch, zuletzt völliges Verhältnis; oder bei nervenreichen Tieren, die ihre Jungen schwach gebären, erstattet sich doch das Verhältnis der K r ä f t e i n einigen Wochen u n d Tagen. Der Mensch allein bleibt lange schwach; denn sein Gliederbau ist, wenn ich so sagen darf, dem Haupte zuerschaffen worden, das übermäßig groß i m Mutterleibe zuerst ausgebildet w a r d u n d also auf die Welt t r i t t . . . " 31

1 2 D e r

Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

sentlichsten seien: Aufrichten, Denken und Sprechen 35 . — Über diese Thesen Portmanns mag noch nicht das letzte Wort gesprochen sein; gewiß ist, daß die Entwicklung des Menschen von einer bestimmten Zeit an wesentlich anders verläuft als bei sämtlichen anderen, auch höheren Säugetieren (etwa den Menschenaffen) 3,8. Differieren die menschlichen Triebe daher bereits ihrem Wesen nach von den tierischen, so sind sie erst recht ihrem W i r k e n nach von ihnen verschieden. Bei den Tieren lösen die Triebe den ihnen entsprechenden Instinkt aus. Aus einer vitalorganischen Gestimmtheit heraus werden die Tiere durch den Antrieb zu einem Suchen nach dem Lösungseffekt geführt; der Lösungseffekt beendet sodann die Suche und macht einem Verhalten der Triebbefriedigung Platz. Die Schlupfwespe etwa läuft unruhig an Baumstämmen auf und ab, sobald sie i n Legebereitschaft ist, und sucht nach Larven von Baumkäfern, i n die sie ihre Eier legt (Triebverhalten). T r i f f t sie auf solche Larven, so löst deren Geruch instinktiv ihr Durchstechen durch die Baumrinde hindurch und die Eiablage aus (Instinktverhalten). Trieb ist also bei den Tieren die Schaffung einer vitalen Spannung zwischen Individuum und Umwelt, Instinkt ist die Lösung dieser Spannung 37 . I m Gegensatz zu den tierischen Trieben sind die menschlichen nicht auf die Auslösung von Instinkthandlungen, sondern auf die Vornahme von personalen Akten, von Wollenshandlungen, ausgerichtet. Sie wenden sich nicht an einen Auslöser, sondern bringen eine spezifisch menschliche Funktion i n Gang: den freien Willen. Damit erweisen sie sich als die wahrhafte affektive Grundlage der Person; denn, m i t den Worten Welzels, „ n u r das, wozu uns ein Trieb . . . reizt und mitreißt, kann zum Ziel eines Handlungsentschlusses werden" 3 8 . Der Mensch ist gerade durch die A r t und das Wirken seiner Triebe ein auf Entscheidung angelegtes, ein zur Entscheidung „überdeterminiertes" Individuum. Der Weg führt i h n über das Denken. Damit er seine Triebspannung lösen kann, muß er u m ihre Lösungsmöglichkeit wissen. Er muß die Gerichtetheit seiner Triebe erkennen, und hierfür ist wiederum Voraussetzung, daß die Triebe überhaupt erkennbar gerichtet sind: daß eine „emotionale Intention der Triebe" besteht 39 . M i t Recht bemerkt 35

Portmann, a.a.O., S. 66 ff. Siehe auch Herder, a.a.O., S. 214 f. Bemerkenswert ist dabei insbesondere die alsbald erwachende Fähigkeit zur Konzentration auf e i n bestimmtes Objekt u n d zur Distanzierung des Ichs v o m Objekt. 37 Diesen Unterschied übersieht Maurach, w e n n er den „tierischen I n s t i n k t " dem „menschlichen Trieb" gegenüberstellt (Allg. T., S. 338). 38 Welzel, a.a.O., S. 131. 39 Diese „emotionale I n t e n t i o n " ist w o h l zu unterscheiden von der „ I n t e n tionalität des Vollzugs", über die noch unten S. 153 ff. zu sprechen sein w i r d . 38

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hierzu Wilhelm Keller: „Bei einem Wesen, dessen Verhalten nicht nur i n Abläufen besteht, die aus dem bloßen Zusammenwirken von organisch bestimmter Spannung (als energetischem Untergrund) und instinktbestimmter Steuerung (als entsprechender Ausrichtungsfunktion) zustandekommt, bei einem Wesen, das vielmehr i n innerer Differenzierung sich selbst als getrieben erlebt, muß diese Getriebenheit ihrerseits m i t einer eigenen Zielrichtung auftreten, und diese w i r d nicht erst äußerlich, durch den Auslöser und den Instinktmechanismus hergestellt 4 0 ." Diese Ausführungen bedürfen nur i n einem Punkte der Klarstellung: Auch dem tierischen Trieb fehlt natürlich die Gerichtetheit grundsätzlich nicht; andernfalls könnte ja der durch i h n erzeugten Spannung niemals ein bestimmtes Instinktverhalten entsprechen. Der tierische Trieb enthält die Gerichtetheit jedoch nicht als ein negatives Moment, so daß bei i h m die Unterscheidung zwischen Trieb und Gerichtetheit des Triebes unmöglich ist. A l l e i n der menschliche Trieb trägt das M i t t e l seiner Befriedigung als Anregung an das Intellekt bereits i n sich: er enthält sich selbst als potentiell aufgehoben, seine Gerichtetheit auch i n der Negativität. Der Nahrungstrieb beispielsweise wendet sich beim Menschen i m Gegensatz zum Tier nicht an den Freßinstinkt, sondern an die Vernunft, die dem Menschen sagt: D u mußt jetzt etwas essen, u m deinen Hunger zu befriedigen. Er t r i t t so konkret auf, daß der Mensch aus i h m selbst erfährt, wie er i h n befriedigen kann. Das Tier dagegen spürt nur den Trieb, ohne daß es kraft seiner Vernunft ein bestimmtes Verhalten zu dessen Befriedigung einsetzen kann; es ist darauf angewiesen, daß ein zur Triebbefriedigung führender Instinkt i n i h m ausgelöst wird. Nicht nur das Wesen, sondern auch das Wirken der menschlichen Triebe hebt sich daher von dem der tierischen deutlich ab. Und so sind w i r berechtigt, die menschlichen Triebe nicht mehr gleich den tierischen als „Triebe", sondern anders als „Triebfedern " zu bezeichnen. — Was bedeuten diese Triebfedern nun für das Recht, insbesondere für das Strafrecht? Zunächst sind sie, wie bereits angedeutet, grundsätzlich Voraussetzung aller personalen Lebensplanung und Lebensgestaltung, also sämtlicher personalen A k t e überhaupt. Ein Mensch, der völlig frei von Triebfedern wäre (ein selbst i n Krankheitsfällen so gut wie nie vorkommender Fall), müßte außerstande sein, eigene Entscheidungen über sein Lebensschicksal zu fällen und auszuführen. Das Fassen von Vorsätzen, Absichten sowie deren Verwirklichung sind bedingt dadurch, daß der Mensch bestimmte Triebfedern i n sich verspürt; nur so kann 40

Keller , a.a.O., S. 158.

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er bejahend oder verneinend zu ihnen Stellung nehmen und sie zur Grundlage seiner Lebensführung i m allgemeinen oder i m besonderen machen. Einzelne Triebfedern spielen darüber hinaus — benannt oder unbenannt — i m Strafrecht eine bedeutende Rolle. W i r können hier nur einige von ihnen beispielhaft herausgreifen, wobei w i r auf die Einteilung zurückgehen, der w i r schon oben bei den Gefühlen gefolgt sind. Wie die Gefühle, so können sich auch die Triebfedern beziehen auf den affektiven, den geistigen und den eigentlich personalen Bereich des Selbst. Dem ersten, dem affektiven Bereich gehört die Genußsucht 41 an. Jede Triebfeder beruht auf einem Gefühl, dessen Intensivierung sie darstellt. Das allgemeinste, vom Subjekt als positiv empfundene Gefühl ist das der Lust, seine Intensivierung, der Trieb, sich Lust zu verschaffen, ist die Genußsucht. I n ihrer strafrechtlichen Gestalt begegnen w i r ihr bei der schon früher erwähnten Mordlust, nämlich der Lustempfindung anläßlich eines Mordes, verbunden m i t dem Trieb, sich diese Lust zu verschaffen (§ 211 Abs. 2 StGB, § 135 Abs. 1 Nr. 1 Entw. 62). Eine solche Triebfeder w i r d äußerst selten vorkommen; denn nur bei äußerst primitiven Menschen erschöpft sich das Triebleben und somit das Ziel ihres Handelns i m Lustgewinn, und bei ihnen w i r d sich wiederum fast stets das Problem der Zurechnungsfähigkeit stellen 42 . Kennzeichen dieser Triebfeder ist denn auch das Fehlen jeglicher oder wenigstens fast jeglicher rational faßbarer Gründe für die Straftat. Der Täter mordet, ohne daß er m i t dem Mord einen anderen Zweck verfolgt als den der Lustgewinnung, des seelischen Genusses — so wie andere Menschen eine besonders gute Speise zu sich nehmen: nicht um ihren Hunger zu stillen, sondern u m der Lust des Wohlgeschmackes willen. Das Abartige eines solchen Mordens aus Mordlust w i r d damit deutlich offenbar. Es war dem Gesetzgeber (leider!) Anlaß, den Trieb als besonders verwerflich zu bewerten und unter erhöhte Strafe zu stellen 43 . Strafrechtlich besonders bedeutsam sind ferner die Triebfedern des letzten Bereiches, die Triebfedern des Selbstseins, welche man i n die Triebfedern des individuellen Selbstseins und die Triebfedern des Über-sich-hinaus-seins unterteilen kann 4 4 . 41

Bei i h r handelt es sich nicht u m eine „Sucht" i m medizinischen Sinne, sondern u m eine besonders starke Triebfeder. 42 Vgl. z.B. Kohlrausch/Lange, StGB §211 Anm. V I I I 1; Welzel, a.a.O., S. 245. 43 Gegen die gesetzliche Pönalisierung der Mordlust noch unten S. 258 f. 44 I m Anschluß an Lersch, A u f b a u der Person, S. 147 ff., 175 ff.

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Z u den Triebfedern des individuellen Selbstseins gehört als extreme Form die Selbstsucht, insbesondere die Habgier, welche w i r i m Gesetz als Qualifikationsmerkmal des Mordes genannt finden (§ 211 Abs. 2 StGB, § 135 Abs. 1 Nr. 3 Entw. 62). Schmidhäuser behauptet, Habgier sei zunächst eine Absicht des Handelnden, die meistens auf Besitzerwerb („Haben") gerichtet sei; diese Absicht sei jedoch nicht schon als bloßes Haben-wollen sittlich verwerflich, sondern werde es erst i n einer das Maßhalten gebietenden Handlungssituation — alsdann erscheine sie als Hab„gier" 4 5 . Das ist zumindest schief gesehen. Es erscheint bei Schmidhäuser, ganz unbegründet, zunächst nur die intellektuelle Seite des Vorgangs, die Absicht, vor dem geistigen Auge, ohne daß, wie das Gesetz es fordert, gleichzeitig erschaut würde, welche Triebfeder denn der Täter zu befriedigen „beabsichtigt". Dem Gesetzgeber jedenfalls ist das Haben-wollen nur dann verwerflich, wenn es Ausdruck einer Gier, d. h. eines besonders starken Triebes, ist. Allerdings w i l l Schmidhäuser diesem Willen des Gesetzgebers dann dadurch Rechnung tragen, daß er auf die äußere Situation abstellt, i n die hinein die Triebfeder sich entspannt: sie müsse dem Haben-wollen geradezu entgegenstehen, so daß es schon eines besonders starken Triebes bedürfe, u m trotzdem fremdes Gut weiter zu begehren. A l l e i n damit würde die äußere Situation die Habgier zwar erweisen, nicht aber begründen. Begründet ist die Habgier vielmehr i n der Psyche des Täters selbst. Sie ist, wie schon Hardwig richtig erkannt hat 4 6 , die „Triebkraft" (Triebfeder) der Tötungshandlung, ein Besitzstreben, das sich über alle Wertmaßstäbe der menschlichen Gemeinschaftsordnung hinwegsetzt und erst i n solcher Übersteigerung sein Genügen findet. Sie ist „rücksichtsloses Gewinnstreben" 47 , die „Steigerung des Erwerbssinnes auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß" 4 8 . Der Habgier entspricht das i n § 27a StGB, § 52 Entw. 62 genannte M e r k m a l der Gewinnsucht. Auch sie bedeutet die Steigerung des Erwerbssinnes auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß 4 9 .

Weitere besondere Triebfedern sind zwar i m Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, spielen aber auch ungenannt i n Rechtsprechung und Rechtslehre eine bedeutende Rolle. W i r erinnern zunächst an das Selbstwertstreben, ein Streben, das „auf das Haben von Selbstwerten und auf das Freisein von Selbstunwerten gerichtet" ist 5 0 . Bei i h m ist die Triebfeder des individuellen Selbstseins nicht, wie bei der Habgier, 45 46 47 48 49 50

Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 194. Hardwig i n ZStW 68, 14 (27). Maurach, Bes. T. S. 30. Schänke/ Schröder, StGB § 211 A n m . 10. Dazu RGSt 60, 306 (307). Pfänder, Seele des Menschen, S. 183.

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auf materielle Werte, sondern auf ideelle Werte gerichtet. Ohne weiteres ist ersichtlich, daß das Streben nach Moralität, nach ethischer Würde hier seine Grundlage hat. Und es bedarf darüber hinaus wohl auch keines besonderen Hinweises, daß gerade das Strafrecht darauf abzielen muß, diese Triebfeder zu stärken, u m die Begehung von Straftaten hintanzuhalten. Vor allem jeder Strafvollzug muß „ i n erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe sein und das Verantwortungsbewußtsein [bzw. Selbstwertstreben] des Verurteilten wecken und stärken" 5 1 . Allerdings sollte man sich andererseits i m Strafrecht besonders davor hüten, dem Selbstwertstreben irgendeinen Ausschließlichkeitsanspruch einzuräumen und vom Einzelnen etwa Selbstüberwindung und sinnliche oder geistige Askese zu verlangen. Bedenken muß beispielsweise eine Rechtsprechung erwecken, die den Geschlechtsverkehr auch zwischen ernsthaft Verlobten als Unzucht i m Rechtssinne ansieht und diejenigen, welcher dieser „Unzucht" Vorschub leisten, wegen Kuppelei (§§ 180 f. StGB) bestraft 52 . Als sittliche Forderung mag die Forderung nach geschlechtlicher Enthaltsamkeit auch während eines Verlöbnisses Bestand haben; rechtlich hingegen ließe sie sich nur durch den Hinweis auf überragende Gemeinschaftswerte aufrechterhalten, welche die Verlobten als genügendes Gegengewicht zur eigenen Triebfeder empfinden und damit zum Ausbau einer gegenläufigen Triebfeder verwenden können. Andernfalls bleibt die Forderung nach Enthaltsamkeit ein Aufruf zur sinnlichen Askese. Daß sie i n diesem Sinne verstanden und entsprechend mißachtet wird, erweist die Volksmeinung, die sich von der Meinung der Gerichte über die Strafwürdigkeit der Kuppelei Verlobter immer mehr entfernt und bewirkt, daß die Zahl der abgeurteilten Fälle ganz außer Verhältnis zur Dunkelziffer steht. M i t Recht hat daher die Rechtsprechung — wenn auch z. T. aus unterschiedlichen Gründen, auf die w i r an dieser Stelle nicht eingehen können 5 3 — überwiegend Ablehnung erfahren. Ebensowenig wie sinnliche Askese kann das Strafrecht sittlichen Heroismus verlangen; denn auch hierin würde sich eine Übersteigerung 51

Noll, Ethische Begründung der Strafe, S. 28 f. RGSt 8, 172; 71, 13; etwas einschränkend jetzt B G H S t 6, 46: das Bestehen von Ehehindernissen, die von den Verlobten nicht zu verantworten u n d i n absehbarer Zeit nicht zu beheben seien, beseitige die Unzüchtigkeit. A b e r auch B G H S t 17, 230: „Der Geschlechtsverkehr Verlobter, die den W i l l e n zur baldigen Eheschließung haben, ist auch dann unzüchtig, w e n n der Eheschließung ein Ehehindernis entgegensteht, das von einer rechtsstaatlichen Ordnung aus anzuerkennen ist. Das g i l t selbst dann, w e n n das Hindernis (z. B. mangelnde Ehemündigkeit des männlichen Verlobten) behebbar gewesen u n d die Ehe bereits geschlossen worden wäre, die rechtzeitige Behebung jedoch aus U n kenntnis unterlassen worden ist." 58 Bindokat i n G A 55, 167; Bockelmann i n JR 54, 361; Heinitz i n JR 54, 403; Jescheck i n M D R 54, 645; Peters i n FamRZ 54, 96; Sax i n JZ 54, 474; Schönke/ Schröder, StGB 180 A n m . 4. 52

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der Anforderungen an das Selbstwertstreben ausdrücken. So schön und preisenswert solcher Heroismus, so wichtig auch er i n seiner Vorbildwirkung für das Gemeinschaftsleben sein mag — er kann rechtlich doch nicht gefordert werden. Die gesuchten Selbstwerte müssen jeweils der individuellen Eigenart des Einzelnen entsprechen, so daß nicht jeder jeden beliebigen, und vor allem nicht jeder gerade sittliche Selbstwerte i m Höchstmaß verwirklichen kann 5 4 . Darum sind auch i n diesem Zusammenhang Bedenken gegen die Rechtsprechung zu richten, welche zum Beispiel die Erfolgsabwendungspflicht des Garanten bei Unterlassungsverbrechen unter keinen Umständen deshalb entfallen lassen will, weil „der Täter sich durch das Abwenden der Gefahr einem Strafverfahren wegen einer Handlung aussetzen muß, die er früher begangen hat" 5 5 ; es könne von ihm verlangt werden, daß er lieber die Sühne für vergangene Tat auf sich nehme, als daß er das seiner Obhut unterstehende Rechtsgut zu Schaden kommen lasse 56 . Sittliches Pathos ist i n der Rechtsordnung nicht angebracht und praktisch auch nicht zu verwirklichen. Vielmehr ist von Fall zu Fall auf Grund einer lebensnahen Interessenabwägung (im weitesten Sinne) festzustellen, ob den sittlichen Forderungen vor dem sinnlichen Verlangen der Vorzug zu geben, ob also dem Garanten das angesonnene Verhalten menschlich zuzumuten ist 5 7 . Dabei sollte nicht ein maximaler, sondern ein normaler, durchschnittlicher Maßstab angelegt werden. Verwandt mit dem Selbstwertstreben um des Wertes willen ist das Selbstwertstreben um des Selbst willen: die Triebfeder hin zur eigenen Individualität. Hier hat die für das Strafrecht so wichtige Verantwortungsfreude 58 ihren Platz, jene Triebfeder, sich für ein Handeln oder Unterlassen einzusetzen und dafür auch einzustehen. Auf sie weist der Bundesgerichtshof i n seiner bekannten Entscheidung zum Verbotsirrtum hin: „Der Mensch ist, weil er auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit i n die verantwortliche Entscheidung gerufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten und das Unrecht zu vermeiden 59 ." 54

Pfänder , a.a.O., S. 190 ff. RGSt 73, 52 (57); übereinstimmend BGHSt 11, 353 (355 f.). 56 RGSt 70, 20 (23). 57 Die Zumutbarkeit ist als regulatives Prinzip bei den unechten U n t e r lassungsdelikten allgemein anerkannt. Die strittige Frage, ob es sich bei i h r u m ein Unrechts- oder u m ein Schuldproblem handelt (dazu Schönke/Sehr öder, StGB § 1 Vorbem. 58 m. Nachw.), spielt hier keine Rolle. 68 Der Begriff Verantwortungs„freude" ist insofern nicht ganz korrekt, als der Täter bei der verantwortlichen Entscheidung nicht unbedingt Freude empfunden zu haben braucht. Die deutsche Sprache kennt jedoch keinen Begriff, welcher lediglich die Verantwortungstriebfeder kennzeichnet. Verantw o r t u n g s b e w u ß t s e i n " u n d V e r a n t w o r t u n g s g e f ü h l " besagen zu wenig; V e r antwortungs„freude" meint zuviel, k o m m t gleichwohl aber dem hier gemeinten Sachverhalt am nächsten. 59 B G H S t 2, 201. 55

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Die Triebfeder, Verantwortung zu übernehmen, ist fast immer verbunden m i t starkem und grundsätzlich positiv zu bewertendem Freiheitsstreben, da nur i n Freiheit verantwortliche Entscheidungen getroffen werden können. I n übersteigerter Form führt dieses Streben jedoch zur Subjektivität der Weltbetrachtung, zum Erschaffen einer Welt i n sich, der die Außenwelt unterstellt wird, so daß diese von der Subjektivität des Individuums auch ihre ethischen Gesetze empfangen soll. Und i n dieser negativen Form zeigt sich abermals die strafrechtliche Relevanz dieser Triebfeder. Denn i n der Übersteigerung bildet sie die psychische Lage, aus der heraus die Überzeugungsverbrechen entstehen, Verbrechen, bei denen der Täter m i t vollem Bewußtsein ein Gesetz übertritt, dessen Gültigkeit er schlechthin oder wenigstens für sich nicht anerkennt 60 . I n krankhafter Form führt die Triebfeder zum sensitiven Beziehungswahn und zum Querulantentum — Erscheinungsformen, m i t denen insbesondere die Strafverfolgungsbehörden immer wieder zu schaffen haben. Die Liste der unbenannten, gleichwohl aber für das Recht bedeutsamen Triebfedern läßt sich noch nahezu beliebig erweitern. Es kann die Leistungs-, es kann die Geltungstriebfeder erwähnt werden, von denen beiden die wertmäßigen Leistungen des Einzelnen für die Gesellschaft vielfältig abhängen; denn wie oft werden gute und schlechte Taten überwiegend aus Geltungsbedürfnis getan! Indessen soll nur noch eine Triebfeder des Über-sich-hinaus-seins an dieser Stelle kurz behandelt werden, weil sie eng m i t den vorgenannten verwandt ist und daher ihre Erwähnung das Bild, das w i r von der Bedeutung der Triebfedern für die Rechtsordnung zu skizzieren versuchten, abrundet. Gemeint ist die Triebfeder der mitmenschlichen Teilhabe, genauer des mitmenschlichen Füreinander, das sich i n der „sozialen Gesinnung" äußert 61 . Die soziale Gesinnung ist für die personale Verwirklichung des Rechts unerläßliche Voraussetzung, ihr gänzliches oder teilweises Fehlen mitwirkende Ursache fast aller Straftaten. Das Recht kann daher gar nicht zuviel Wert auf ihre Ausbildung bei jedem Einzelnen legen. Es muß sie anregen, fördern und schließlich fordern — fordern freilich genauso wenig i n der Übersteigerung wie das Selbstwertstreben. Daß die Teilnahme an fremdem Schicksal den Einzelnen zu heroischen Taten antreibe, kann hier wie dort nicht verlangt werden. Hier aber w i r d das auch — zwar nicht vom Gesetz, wohl aber vom Gesetzgeber — ausdrücklich anerkannt. Denn i n der amtlichen Begründung des sog. Liebesparagraphen, des § 330 c StGB, heißt es zur Frage der Zumutbarkeit der Hilfeleistung bei Unglücksfällen ausdrücklich: 60 Z u m Problem des Überzeugungsverbrechens zuletzt A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip S. 137 ff., u n d Lang-Hinrichsen i n J Z 66, 153 ff. m i t reichen Schrifttumsangaben. 61 Hierzu Lersch, a.a.O., S. 184 ff., u n d Remplein, a.a.O., S. 184 ff.

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Das allgemeine Sittlichkeitsempfinden werde einen ausreichenden Maßstab geben; „es w i r d keine übertriebenen Anforderungen stellen und keinen bis zur Selbstaufopferung gehenden Heroismus verlangen, wohl aber je nach der Lage das Inkaufnehmen eines etwa durch Zeitverlust entstehenden geschäftlichen Nachteils, u. U. auch einer i m Verhältnis zum drohenden Schaden unbeachtlichen Körpergefahr". Es wäre zu wünschen, daß die Rechtsprechung i n der Frage des Selbstwertstrebens sich die gleiche weise Beschränkung auferlegte und anerkennte, daß nicht schon die Erkenntnis des optimalen Zustandes, sondern erst ein auf seine Herbeiführung gerichteter Trieb den Einzelnen zu Leistungen befähigt, daß aber an die Entwicklung wertvoller Triebfedern keine überspannten Erwartungen geknüpft werden dürfen. c) Die Strebungen Wer glaubt, die psycho-vitalen Grundlagen der Person seien durch den Aufweis der Gefühle und Triebfedern erschöpfend dargestellt, würde der Eigenart des Menschen als eines „unfestgestellten" 62 , „ w e l t offenen" 6 3 Wesens noch nicht genügend Rechnung tragen. Denn was nützte es dem Menschen, daß er auf Entscheidung angelegt ist, vermöchte er nur, sich an der i n sich abgeschlossenen Innenschicht seines Trieblebens zu orientieren, ohne den sozialen Kontakt zur Umwelt zu finden? Erst wenn sich die Antriebsgesetze für ihn aus der ständigen Fühlungnahme m i t der Objektivität ergeben, erst dann w i r d seine Entscheidung für seine Handlungen einen Sinn erhalten, erst dann kann er sehen, wohin es i h n treibt, erst dann vermag er zu wählen. Den Triebfedern müssen also „Augen eingesetzt" werden 6 4 , damit das Verhalten dem inneren Drang nicht zu gehorchen braucht, sondern i n auswählender Orientierung an der Objektivität sich einen objektiven Sinn verleihen kann — damit es nicht blind nur getrieben wird, sondern auch sehend strebt . Freilich darf man sich nun nicht vorstellen, daß Strebungen auf die Triebfedern „aufgesetzt" werden müßten. So wenig wie die Intensivierung des Gefühls i m Trieb oder i n der Triebfeder bedeutet, daß das Gefühl da wäre, bevor die Triebfeder entsteht, so wenig besagt der Umstand, daß der Triebfeder Augen einzusetzen sind, es seien Kräfte vorhanden, die nun plötzlich ihren Gegenstand zu finden hätten 6 5 . Bei Gefühl, Triebfeder und Strebung handelt es sich vielmehr nur u m verschiedene, aufeinander aufbauende Aspekte einunddesselben Sachver-

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Nietzsche , Z u r Genealogie der Moral, a.a.O., S. 862. Gehlen, der Mensch, S. 377. Gehlen, a.a.O., S. 371. Gehlen, a.a.O., S. 376.

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halts. Jede Unterscheidung ist hier theoretischer Natur und geschieht allein zu dem Zweck, Aussagen auch allgemeinerer A r t von einem bestimmten Seelenzustand machen zu können — Aussagen i m übrigen, die nicht mehr als Näherungswerte sein wollen. Sagt doch zutreffend schon Dilthey: „ A l l e psychologische Einzelerkenntnis ist nur Zergliederung"™. — Die gegenüber den Triebfedern daher nur theoretisch selbständigen Strebungen sind jene für eine konkrete Verhaltensweise unmittelbar motivationsbildenden Faktoren, die strafrechtlich gesehen etwa zum Diebstahl eines bestimmten Gemäldes oder zur Fälschung einer bestimmten Urkunde führen. Besonders bedeutsam sind sie für uns i n der Form der „wollüstigen Tendenz"* 7 bei den Sittlichkeitsdelikten. Die Bestimmung, was eine „wollüstige Tendenz" sei, w i r d freilich dadurch erschwert, daß gleichermaßen wie von wollüstiger „Tendenz" auch von wollüstiger „Absicht" gesprochen w i r d 6 8 , ohne daß offenbar durch die Wahl des Terminus ein sachlicher Unterschied ausgedrückt werden soll. Indessen besteht zwischen der wollüstigen Tendenz und der wollüstigen Absicht insoweit ein Unterschied, als die Tendenz (i. S. von Strebung) den aufs Ziel hintreibenden, die Absicht aber den das Ziel ansteuernden Grund angibt. Eine wollüstige Absicht hat beispielsweise auch der Täter, welcher erkennt (vorabsieht), daß sein Verhalten zur Lusterregung oder -befriedigung eines anderen beiträgt, ohne daß er selbst vom Geschlechtstrieb zu diesem Verhalten getrieben würde, also ohne daß eine wollüstige Tendenz bei i h m vorläge 69 . Umgekehrt fehlt die wollüstige Absicht, nicht aber die wollüstige Tendenz, bei Handlungen, die nicht zu sexuellen Zwecken vorgenommen, wohl aber von der Libido gespeist werden 7 0 . Man denke etwa an Handlungen, die der Täter i n der Absicht vornimmt, sich gerade von sexuellen Strebungen abzulenken, an sublimierende Tätigkeit wie etwa das Verfassen von Liebesgedichten u. dgl. W i r werden bei der Behandlung der Absichten hierauf noch einmal zurückkommen. Die Strebungen sind hingegen ohne Bedeutung für den Vorsatz. Sie können m i t i h m verbunden sein, etwa wenn dem Täter der Erfolg erwünscht ist, müssen es aber nicht. Ist der Erfolg er strebt, spricht die Lehre gern davon, der Täter habe den Erfolg beabsichtigt 71. Das ist ungenau, denn der Täter kann auch einen Erfolg beabsichtigen, den er 66

Dilthey, Beschreibende u n d zergliedernde Psychologie, S. 173. Vgl. etwa Welzel, a.a.O., S. 72. „Tendenz" ist hier ganz offenbar i m selben Sinne wie „Strebung" zu verstehen. 68 I m einzelnen dazu noch unten bei Behandlung der „Absichten" (S. 144 ff.). 69 Dazu Schönke/Schröder, StGB § 173 Vorbem. 8 f. 70 Nach dem „Pansexualismus" der Freud-Schule w ü r d e die sexuelle Tendenz bei allen unseren Handlungen eo ipso zugrunde liegen! 71 Mezger /Blei, Allg. T, S. 173; Schönke/Schröder, StGB §59 A n m . 46; vgl. auch Maurach, A l l g . T. S. 224 f. 87

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nicht erstrebt. Was der Täter „als notwendige Folge oder unvermeidliche Nebenwirkung i n seine Absicht m i t aufnimmt" 7 2 , das ist Teil seiner Absicht, ohne — i. S. der hier gebrauchten Terminologie — Teil seines Strebens zu sein 73 . I n jedem Fall aber, ob nun der Täter den Erfolg erstrebt oder nur beabsichtigt hat, hat er vorsätzlich gehandelt 74 und ist er daher wegen vorsätzlicher Tat zu bestrafen. Auch auf diese Erkenntnis werden w i r noch zurückkommen. 3. Die geistige Realität der Person

Vom psycho-vitalen Bereich der personalen Grundlagen ist der psycho-noetische Bereich wenigstens theoretisch abgehoben und unterschieden. Es rechtfertigt sich daher, i h n gesondert zu behandeln. Daß beide Bereiche sich realiter innig durchdringen, sei allerdings noch einmal betont und an dieser Stelle auch noch i m einzelnen belegt. Zunächst werden die Ziele des Handelns i. d. R. von den psychovitalen Bedürfnissen bestimmt. Wozu es uns treibt, wonach w i r streben, das sinnen w i r zu erreichen. Handlungen, die durch Reflexion gelenkt werden, sind demgegenüber weitaus seltener. I m Bereich des k r i m i nellen Unrechts fehlen sie weitgehend, da die meisten Delikte ohne vorherige Überlegungen begangen werden 7 5 . Grundsätzlich gilt, daß je stärker die Handlungsziele affektiv festgelegt sind, desto weniger der Geist m i t seinem Abwägen des Für und Wider an ihnen Anteil hat 7 6 . 72 Mezger/Blei, a.a.O., S. 173. 73 Ungenau Schänke/ Schröder, StGB §59 A n m . 47: „ V o n Absicht spricht man dann, w e n n der Handlungswille des Täters final gerade auf den v o m Gesetz bezeichneten Handlungserfolg gerichtet war, dieser also als erstrebensw e r t i n den W i l l e n aufgenommen wurde." 74 Einhellige Ansicht. Die Unterscheidung zwischen einem dolus directus 1. Grades u n d einem dolus directus 2. Grades (Mezger/Blei, a.a.O.) ist f ü r die Bewertung bedeutungslos (Maurach, a.a.O.). Z u m Begriff der Absicht i m einzelnen noch unten S. 144 ff. 75 Beachtenswert K u r t Schneider, Zurechnungsfähigkeit, S. 20: „ D e m T e x t des § 51 (StGB) liegt eine Psychologie der Handlung zugrunde, die lebensfern ist u n d sich a u d i m i t der heutigen psychologischen Auffassung nicht vereinigen l ä ß t . . . E r gliedert die Handlung i n einen rationalen, intellektuellen T e i l u n d i n den der Willensentscheidung. E r meint, der Handelnde überlege sich vorher, ob die Handlung richtig oder falsch, erlaubt oder verboten sei, u n d darauf gegründet, also überlegt, erfolge dann der Entschluß zur Handlung. So soll gewiß ein »vernünftiger Mensch* handeln, so verlangen es E l t e r n u n d Lehrer — aber so handelt i n W i r k l i c h k e i t fast nie jemand." Dazu auch Platzgummer, Bewußtseinsform des Vorsatzes, S. 31 ff. 76 Hadamik i n M o K r i m 1953, 11 (19). Vgl. auch Wellek, Polarität S. 230: „ F ü r den, der sich v o m Gefühl bestimmen, insbesondere i n seinen Urteilen u n d Handlungen motivieren läßt, gelten keine Vernunftgründe, g i l t keine Einsicht u n d überhaupt keine O b j e k t i v i t ä t oder Sachlichkeit, also auch keine Gerechtigkeit. Das Gefühl ist uneinsichtig, eben »irrational 4 , subjektiv u n d also u n gerecht, selbst dann w e n n es nicht i r r t . "

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Aber nicht nur die Ziele der Handlungen, auch die einzelnen Denkvollzüge unterliegen emotionaler Beeinflussung. Infolgedessen unterliegen w i r ständig Störungen, ja direkten Fälschungen der Logik — je nach dem Grade unserer affektiven Beteiligung an den Objekten unserer Überlegungen. I n welcher Weise die Emotionalität (Affektivität) das Denken und über das Denken das Handeln beeinflußt („mehr, als man sich gewöhnlich vorstellt"), hat i m einzelnen Bleuler dargelegt: „1. Die einem aktuellen Affekt entsprechenden Assoziationen werden gebahnt, d. h. begünstigt, alle anderen, vor allem die i h m w i dersprechenden, werden erschwert (Schaltungskraft der Affekte). Daraus folgt a) ein Zwang zur Beschäftigung m i t dem gefühlsbetonten Gegenstand (aktuelle gefühlsbetonte Erlebnisse können nur i n Ausnahmefällen ignoriert werden und machen unter Umständen geradezu das Denken i n anderer Richtung unmöglich), b) eine Fälschung der Logik (der Euphorische ist nicht imstande, alle schlimmen Chancen i n Berechnung zu ziehen; sie 'fallen i h m gar nicht ein' oder werden doch für die logische Operation außer acht gelassen; seine eigenen Fehler übersieht man). 2. Die Wertigkeit, das logische Gewicht der einem Affekt entspringenden Ideen w i r d erhöht, die der für den Affekt bedeutungslosen und namentlich die der i h m widerstrebenden w i r d herabgesetzt. Daraus folgt wieder einerseits die Tendenz, sich m i t den als wichtig imponierenden Ideen zu beschäftigen, und andererseits eine weitere Alteration der logischen Operation (der Ängstliche wertet die Gefahren zu hoch, die guten Chancen, soweit er sie überhaupt berücksichtigt, zu niedrig. Der Forscher, dessen Ehrgeiz an einer von i h m aufgestellten Theorie hängt, findet immer Beweise für dieselbe und ist nicht fähig, die Gegenargumente i n ihrem ganzen Gewicht zu würdigen)" 7 7 . Die hier gewonnenen Einsichten lassen sich leicht auf das Strafrecht übertragen. W i r wählen als besonders wichtiges Beispiel die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit Von einem Teil der Lehre w i r d ihr eine intellektualistische Deutung gegeben, am eindeutigsten von Schröder, welcher bemerkt: „Entweder kommt der Täter, der die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, zum Ergebnis, durch Vorsicht den Erfolg vermeiden zu können. Dann fehlt i h m i m Endstadium seiner Überlegungen das Bewußtsein der aktuellen Möglichkeit, den Tatbestand zu verwirklichen; es liegt dann . . . Fahrlässigkeit vor. Oder aber er entschließt sich zur Tat, obwohl das Bewußtsein bei i h m bestehen bleibt, sein Handeln könne ebenso einen günstigen wie ungünstigen Erfolg haben; dann liegt i n Wahrheit keine Fahrlässigkeit, sondern dolus eventualis v o r " 7 8 . Aber auch die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie w i l l bei der Abgrenzung intellektualistisch verfahren, in77 Bleuler, Psychiatrie, S. 16 f. 78 Schönke/Schröder, StGB §59 A n m . 145; vgl. auch unten S. 187 f.

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dem sie auf die Vorstellung des Täters abstellt, ob der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges naheliegend (wahrscheinlich) sei oder nicht 7 9 . Gegen diese Ansichten ist zweierlei einzuwenden: Durch den Vorsatz des Täters w i r d ein gegenüber der Fahrlässigkeit höheres Unrecht und eine stärkere Schuld 80 begründet. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind daher sittliche Phänomene — i m Gegensatz zur Erkenntnis, die zwar Voraussetzung sittlichen Handelns, selbst aber weder sittlich noch unsittlich ist. Schon aus diesem Grunde kann die Erkenntnis nicht Abgrenzungskriterium zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sein. Darüber hinaus aber — und hierauf kommt es i m vorliegenden Zusammenhang besonders an — sprechen gegen die zitierten Ansichten die soeben aufgezeigten mannigfachen Beziehungen zwischen Intellektualität und Emotionalität, die es von vornherein ausgeschlossen erscheinen lassen, daß mit dem Abstellen auf die „Erkenntnis" des Täters etwa dessen auf Verantwortungsbewußtsein gegründete „Einsicht" auch nur i n der Regel getroffen wird. Noch als zutreffend erscheint es zwar, wenn Schröder den Vorsatz des Täters dann ausschließt, wennn dieser glaubt, den Erfolg durch „Vorsicht" vermeiden zu können; denn die Vorsicht begreift ein sittliches Moment bereits mit ein. Doch wie soll entschieden werden, wenn der Täter aus anderen Gründen, etwa aus Überheblichkeit, Übermut, Hochgestimmtheit u. dgl. wähnt, es werde „nichts passieren"? Soll er dann etwa i n gleicher Weise entlastet werden? Freilich hat auch die Rechtsprechung die Vorsätzlichkeit des Handelns ausgeschlossen, „wenn der Täter zwar zweifelt, . . . sich aber der Erwartung hingibt, die Möglichkeit eines strafbaren Erfolges werde i n Wirklichkeit nicht zutreffen, und wenn er nur i n dieser, wenn auch leichtfertigen (!), Erwartung die Handlung begeht" 8 1 . Allein hier w i r d der euphorische Täter grundlos vor dem ängstlichen begünstigt, obwohl weder er noch der Ängstliche die Chancen für den Erfolg ihres Tuns richt i g abzuschätzen vermögen. Begriffe wie Vorsatz und Fahrlässigkeit, die für die sittliche Bewertung unmittelbar relevant sind, dürfen nicht nach dem Erkenntnisgrad des Täters abgegrenzt werden, weil dieser Erkenntnisgrad i n den meisten Fällen eben nicht sittlich, sondern emotional begründet sein w i r d und damit letztlich die Emotionalität des Täters zur Grundlage eines Werturteils gemacht wird. Dieses letztgenannte Argument gilt auch gegenüber der Wahrscheinlichkeitstheorie. Ob dem Täter ein Erfolg als wahrscheinlich oder unwahrscheinlich erscheint, w i r d vielfach von dem (emotional bedingten) Interesse abhängen, das er am Eintritt oder am Ausbleiben des Erfolges 79 H. Mayer, Allg. T. S. 250; Wegner, Allg. T. S. 148; Sauer, Allg. Straf rechtslehre, S. 177. 80 Engisch, Vorsatz u n d Fahrlässigkeit, S. 49 ff. (53). 81 RGSt 21, 420 (422).

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hat. Gleichwohl kann er einen Erfolg einerseits auch dann wollen, wenn er seinen E i n t r i t t für unwahrscheinlich h ä l t 8 2 ; andererseits kann er alles unternehmen, daß ein wahrscheinlicher und i h m erwünschter Erfolg nicht eintrete 83 . I h n i n jenem Falle nur wegen Fahrlässigkeit, in diesem aber wegen Vorsatzes zu bestrafen, wäre überaus ungerecht. Nicht darauf kommt es also an, welchen Ausgang der Täter seinem Tun aus freien Stücken beimißt, sondern inwieweit er bereit ist, sich die Vermeidung des strafbaren Erfolges als (sittliches) Ziel vorzusetzen. Fehlt es i h m an dieser Bereitschaft, so ist der höhere sittliche Vorwurf des Vorsatzes am Platze, ist hingegen die Bereitschaft bei i h m vorhanden, t r i t t aber trotzdem der inkriminierte Erfolg ein, so kann es bei der Fahrlässigkeitsstrafe sein Bewenden haben. I m einzelnen dazu noch später 84 . W i r besinnen uns jetzt auf die Einteilung zurück, die w i r i m psychovitalen Bereich vorgenommen haben, und stellen dieser Einteilung eine entsprechende i m psycho-noetischen Bereich gegenüber. Den Gefühlen korrespondieren alsdann die Vorstellungen, den Triebfedern die Beweggründe und den Strebungen die Absichten, so daß sich folgendes Einteilungsschema ergibt:

Vorstellungen

Beweggründe

Absichten

Gefühle

Triebfedern

Strebungen

psycho-noetischer Bereich psycho-vitaler Bereich

a) Die Vorstellungen Lersch definiert die Vorstellungen dahin: sie hätten „immer einen Bezug auf die konkrete Anschaulichkeit, m i t der das, was sie repräsentieren, i n der Wahrnehmung gegeben ist. Sie sind ihrer Natur nach Repräsentanten der Wahrnehmung, i n denen uns einzelne Erscheinungen der Erfahrung bewußtseinsgegenwärtig werden als dieses oder jenes Seiende" 85 . Diese Definition führt zwar zutreffend die Vorstellungen eng an die Wahrnehmungen heran — von denen sie sich vor allem durch den Mangel an „Leibhaftigkeit" (Jaspers) unterscheiden —, sie enthält jedoch eine andere Seite der Vorstellungen nicht: die Beteili82

Vgl. Metzger ¡Blei, A l l g . T. S. 168; Welzel, a.a.O., S. 64. Vgl. Mezger/Blei, a.a.O. M Siehe unten S. 188 ff., 196 ff. 85 Lersch, A u f b a u der Person, S. 438. 83

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gung der menschlichen Phantasie. Lersch betont sie an anderer Stelle selbst: „Genetisch zwar an die Wahrnehmungen gebunden, führen die Vorstellungen über sie hinaus ihr eigenes Leben und eröffnen der Seele eine neue Welt, einen neuen Horizont, der viel weiter reicht als derjenige der sinnlichen Wahrnehmungen" 8 6 . Alsdann muß es aber als zu eng erscheinen, wenn Lersch die Vorstellungen als abbildhaft 8 7 , als Repräsentanten der Wahrnehmung 8 8 bezeichnet. Vorstellungen sind vielmehr Phantasmen, aufbauend auf der anschauenden Wahrnehmung oder der Erinnerung an anschauend Wahrgenommenes 89 . Aber Vorstellungen werden nicht etwa nur von der Erinnerung an Vergangenes gespeist; sie nehmen auch die Zukunft vorweg. I m Unterschied zum Tier hat der Mensch die Fähigkeit, nicht nur Vergangenes zu erinnern, sondern auch planend die Zukunft i n seinen Vorstellungen vorwegzunehmen. M i t Recht sagt Max Ernst Mayer: „Das Gewollte ist zuerst etwas Gedachtes, existiert also i m ersten Stadium als Vorstellung" 90. — I n diesem Zitat ist bereits die Bedeutung der Vorstellung für das Wollen, insbesondere für den strafrechtlichen Vorsatz, bloßgelegt. Die Vorstellung ist der Beginn der strafrechtlich bedeutsamen, weil unmittelbar den Vollzug eines Verbrechens vorbereitenden inneren Planung, die „Vorwegnahme . . . des Zieles, das der Täter verwirklichen w i l l " 9 1 . Je mehr der Täter an diesem Ziele Anteil nimmt, je wichtiger es für i h n ist, desto mehr beschäftigt es die vorstellende Überlegung. Er greift zurück auf das Reservoir vergangener Erfahrungen, erkennt Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die auftreten, wenn er das Ziel erreichen w i l l , er reflektiert auf die „zur Zielerreichung erforderlichen Handlungsmittel" 9 2 , stellt sich die „Nebenfolgen" vor, die „ m i t den i n Aussicht genommenen Kausalfaktoren neben der Zielerreichung verknüpft sind" 9 3 , und wägt ab, addiert Vergangenheit und Zukunft, um für das Jetzt der Gegenwart die Entscheidung zu finden. „Gerade dieser Doppelaspekt, der i n den Vorstellungen erschlossen ist, diese epimethei86

Lersch, a.a.O., S. 401. Lersch, a.a.O., S. 398. 88 Siehe das Z i t a t soeben bei A n m . 85. 89 Gehlen, a.a.O., S. 272 ff., sieht i n den Erinnerungsphantasmen n u r das Rohmaterial, aus d e m die Sprache erst die frei bewegliche u n d verfügbare Vorstellung macht. D a m i t w i r d jedoch die wenigstens theoretisch absteckbare Grenze zwischen objektivem Denken u n d subjektiver Vorstellung niedergerissen. Gewiß besteht zwischen Sprache u n d Vorstellung die allerengste Verbindung; doch ist weder die Sprache bereits Vorstellung, noch die Vorstell u n g ohne weiteres sprachlich verfügbar. — Siehe auch Lersch, a.a.O., S. 402; Remplein, a.a.O., S. 328 f. 90 M . E. Mayer, A l l g . T., S. 103. 91 Welzel, a.a.O., S. 30. 91 Welzel, a.a.O., S. 30. 93 Welzel a.a.O., S. 30. 87

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sehe (rückschauende) und prometheische (vorausschauende) Doppelfunktion der Vorstellung ist ein Faktum, an dem sich auf der Ebene des menschlichen Erlebens der Satz erweist, seelisches Leben habe insofern eine besondere Daseinsform, als es sich i n einem Grenzbereich vollziehe, der der Vergangenheit und Zukunft ebenso wie der Gegenwart angehört" 9 4 . Die Vorstellung ist somit die noetische Grundlage der Lebensund eben auch der Verbrechensplanung. b) Die Beweggründe Damit aber der tatsächliche A k t i n Gang kommt, durch den die Vorstellung i n die Realität übersetzt wird, bedarf es noch der den Einzelnen bewegenden Gründe. Diese verhalten sich zu den Vorstellungen geradeso, wie sich die Triebfedern zu den Gefühlen verhalten 9 5 . Darum können w i r die Beweggründe m i t fast denselben Worten charakterisieren, mit denen w i r oben die Triebfedern gekennzeichnet haben: Vorstellungen wechseln, ohne je ein gewisses Maß mittlerer Intensität zu überschreiten; sobald jedoch die Abfolge von Vorstellungen eine bestimmte Richtung annimmt, sich als gestalthaftes Ganzes aus vorangegangenen und nachfolgenden Vorgängen aussondert und intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt, die zu einer Spannung i m Inneren führen, sprechen w i r von Beweggründen. Ebenso wie bei den Triebfedern ist es auch bei den Beweggründen nicht unproblematisch, i m Plural von ihnen zu sprechen. Einerseits läßt sich nämlich für jede Verhaltensweise ein besonderer Beweggrund angeben, der ihre Grundlage bildet; alsdann ist es aber ausgeschlossen, etwas Allgemeines über die Beweggründe auszusagen. Andererseits kann man einen allgemeinsten Beweggrund anzunehmen, der als letztes Ziel jedem Verhalten zugrunde liegt: etwa die Erringung der Glückseligkeit 9 6 ; alsdann muß man aber auf eine inhaltliche Katalogisierung der Beweggründe von vornherein ganz verzichten 97 . Wissenschaftlich 94

Lersch, a.a.O., S. 424 f. Wundt, Grundriß S. 222: „ I n dem Affekt, der m i t einer Willenshandlung abschließt, pflegen die einzelnen Gefühle keineswegs eine übereinstimmende u n d gleichwertige Bedeutung zu haben, sondern einzelne von ihnen heben sich samt den an sie gebundenen Vorstellungen als die vorzugsweise den Willensakt vorbereitenden hervor. Diese i n unserer subjektiven Auffassung die Handlung u n m i t t e l b a r vorbereitenden Vorstellungs- u n d Gefühlsverbindungen pflegt man als die Motive des Willens zu bezeichnen. Jedes M o t i v läßt sich aber wieder i n einen Vorstellungs- u n d einen Gefühlsbestandteil sondern, von denen w i r den ersten den Beweggrund, den zweiten die Triebfeder des Willens nennen können. . . . Die Beweggründe eines verbrecherischen Mordes können Aneignung fremden Gutes, Beseitigung eines Feindes u. dgl., die Triebfedern Gefühl des Mangels, Haß, Rache, Neid u. a. sein." 98 Aristoteles, N i k . E t h i k I 5 (1997 b). 97 Diese Konsequenz ergäbe sich auch aus der Auffassung Welzels, a.a.O., S. 72, die Beweggrund u n d Endzweck gleichsetzt. 95

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tragbar ist wohl auch hier (wie bei den Trieben) nur der „Ausweg", bestimmte Leitziele 98 generalisierend herauszugreifen, u m über sie — ihr Sein und möglicherweise ihren Wert — Aussagen zu versuchen. Dadurch daß w i r soeben die Begriffe „Beweggrund" und „Leitziel" miteinander i n Verbindung brachten, haben w i r möglicherweise den Boden für ein Mißverständnis bereitet: daß nämlich der Beweggrund schon einen bestimmten Erfolg „anziele". Das ist jedoch gerade nicht der Fall — schon das Beispiel des „obersten Leitzieles", der Glückseligkeit, welche abstrakten Charakter hat, erweist es. I n seinen Beweggründen bewegt der Mensch sich nicht sehend, sondern tastend vorwärts. Sobald einmal ein konkreter Sachverhalt unmittelbar angezielt wird, sprechen w i r nicht mehr davon, daß das Erreichen dieses Sachverhalts „Beweggrund" des Handelns gewesen sei, sondern w i r nennen es „Absicht". I m Beweggrund bestimmt sich zwar der handelnde Mensch; aber er bestimmt sich nur an seinen Vorstellungen, noch nicht an den Wahrnehmungen der Außenwelt. Beweggründe sind binnenhaft. Auch i n dieser Binnenhaftigkeit gleichen die Beweggründe den Triebfedern, j a sind sie recht eigentlich die Spiegelungen, Reflexionen der Triebfedern. Spiegelungen können rein oder verzerrt sein; sie sind rein, w e n n der sinnliche Gehalt der Triebfedern intellektuell bedingungslos bejaht w i r d ; sie sind verzerrt, w e n n der Drang der Triebfedern sich aus rationalen Erwägungen n u r i n Sublimierungen u n d Kompensierungen Geltung verschaffen k a n n " . A b e r die Beweggründe sind andererseits wiederum nicht n u r Spiegelungen, Schein, sondern darüber hinaus Erscheinungen — eigenständige noetische Substanz der Seele, welche die Triebfedern zu Zucht u n d Ordnung mahnen. —

Das juristische Schrifttum entspricht teilweise dem hier entwickelten Begriff des Beweggrundes; vollständig t r i f f t i h n Schröder , der als Beweggrund diejenigen Vorstellungen bezeichnet, die i m konkreten Fall die zum Verbrechen führende Willensbetätigung des Täters entscheidend beeinflußt haben 1 0 0 . Nicht folgt i h m jedoch das Gesetz ! Nach § 211 Abs. 2 StGB nämlich ist Mörder, wer „aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen" einen Menschen tötet. Hieraus ergibt sich zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber Mordlust, Habgier und die Befriedigung des Geschlechtstriebes als Beispiele für niedrige Beweggründe aufgefaßt hat. A l l e i n — handelt es sich denn insoweit (wie Schröder meint) um „be98

Vgl. Keller, Psychologie u n d Philosophie des Wollens, S. 72. Vgl. auch M. E. Mayer , a.a.O., S. 104: „Unsere Vorstellungen sind nicht reine, sondern durch Gefühle gefärbte Bilder. U n d L u s t - oder Unlustgefühle denken w i r uns durchaus nicht als saft- u n d kraftlos. So ist es das an die V o r stellung anknüpfende Gefühl, das aus i h r eine wirkende Vorstellung, also ein M o t i v m a c h t . . . " . Ä h n l i c h auch Binding, Normen 2 (1), S. 17. 100 Schönke/Schröder, StGB § 211 A n m . V 1. Gut auch M. E. Mayer, a.a.O., S. 103 f.: „ M o t i v e (Beweggründe) sind Vorstellungen, die auf den W i l l e n einwirken." 99

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einflussende Vorstellungen"? Das muß wenigstens für die Mordlust und die Habgier verneint werden; nimmt doch die Rechtsprechung m i t Recht an, daß „die i n § 211 Abs. 2 StGB ausdrücklich aufgeführten niedrigen Beweggründe, die Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebes, die Habgier, erkennen lassen, daß der Gesetzgeber nicht nur gedankliche Überlegungen, die zur Triebfeder (?) des Handelns werden, sondern auf gefühlsmäßige und triebhafte (!) Regungen unter die niedrigen Beweggründe einschließt" 101 . Triebhafte Regungen sind aber keine beeinflussenden Vorstellungen! Und darum ist der gesetzliche Begriff der Beweggründe ein anderer als der hier entwickelte psychologische Begriff. Wie sehr dies freilich ein Mangel ist, zeigt die Verwirrung, die das Gesetz i m Schrifttum und Rechtsprechung mit seiner falschen Terminologie gestiftet hat. Zunächst das Schrifttum: Schröders mit dem Gesetz kaum i n Einklang zu bringende Auffassung, die er als Interpretation des Gesetzes vorträgt, wurde schon erwähnt. Eine ähnliche Diskrepanz besteht zwischen den Vorstellungen des Gesetzgebers vom Beweggrund und den Ausführungen Schmidhäusers hierüber. Schmidhäuser schreibt: „Ob i m Strafrecht von 'Absicht' oder von 'Beweggrund' die Rede ist, bleibt sich i n der Sache schließlich immer gleich, denn auch als 'Beweggrund' kommt immer nur i n Betracht, was man zugleich als Willens- und Handlungsziel fassen k a n n " 1 0 2 . Weder Mordlust noch Habgier sind aber Handlungsziele oder lassen sich „zugleich" als Handlungsziele fassen, sondern die aus Mordlust oder Habgier gewählten Handlungsziele dienen der Befriedigung dieser Affektlagen. Schmidhäuser führt also — psychologisch richtig, gesetzesinterpretatorisch falsch — die Beweggründe i n den noetischen Bereich des Seelenlebens hinein und verzerrt dadurch die Bedeutung der gesetzlichen Beispiele für „niedrige Beweggründe": die Bedeutung der Mord„lust" und der Hab„gier". Unter dem Zwiespalt zwischen der psychologisch richtigen und der gesetzlichen Bestimmung des Begriffs „Beweggrund" leidet auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Zur „Niedrigkeit" eines Beweggrundes führt der Bundesgerichtshof aus: „Niedrig ist ein Tötungsbeweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose, triebhafte (!) Eigensucht bestimmt und daher besonders verwerflich, ja verächtlich i s t " 1 0 3 . Damit steht er auf dem Standpunkt des Gesetzes, das den Beweggrund i n den affektiven Bereich verweist. Und es ist konsequent, wenn der Bundesgerichtshof die Frage stellt, ob „der Antrieb" des Täters 1 0 4 eine Rechtfertigung finden 101 102 103 104

OGHSt 2, 344 (345). Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 228. BGHSt 3, 132 f. BGHSt 3, 132 (133).

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könne, statt — wie es von der psychologischen Bedeutung des Begriffs „Beweggrund" aus richtig wäre — ob die bestimmende Vorstellung eine erhöhte Rechtswidrigkeit begründe. Inkonsequent ist es hingegen, wenn der Bundesgerichtshof an anderer Stelle bei der Frage, ob Eifersucht ein niedriger Beweggrund sein könne, es dahingestellt sein läßt, „ob tiefgreifende Eifersucht 'im eigentlichen Sinne' kein Beweggrund, sondern eine Leidenschaft, oder nicht vielmehr eine i n einem besonders starken Elementargefühl wurzelnde seelische Regung und als solche bei der Tötung die wesentliche Grundlage (!) des Tötungsbeweggrundes i s t " 1 0 5 . Denn hier stellt das Gericht plötzlich auf die psychologische Bedeutung des Begriffs „Beweggrund" ab. I m psychologischen Sinne w i r d man die Eifersucht i n der Tat nicht zu den Beweggründen, sondern zu den Triebfedern menschlichen Seins rechnen. Remplein nennt sie „eine Reaktionsform gekränkter Liebe gekoppelt m i t unbefriedigtem egoistischem Besitzwillen" und ordnet sie den „reaktiven Selbstbehauptungs- oder Ichwiederherstellungstriebfedern" unter 1 0 6 . I m Sinne des Gesetzes jedoch kann die Eifersucht m i t der „triebhaften Eigensucht" auf eine Stufe gestellt und unter besonderen Umständen als niedriger Beweggrund bezeichnet werden. Man darf freilich zur Begründung nicht den Weg gehen, den der Bundesgerichtshof i n der genannten Entscheidung gegangen ist. Der nämlich führt aus, hemmungslose Eifersucht könne „durchaus verächtlich und damit (!) ein niedriger Beweggrund" sein — er schließt also von der Niedrigkeit auf das Vorliegen eines Beweggrundes, vom Werturteil auf ein bestimmt geartetes Sein. Psychologisch läßt sich ein Beweggrund so nicht begründen, sondern allenfalls wie es i m Leitsatz der Entscheidung geschieht: es sei ein niedriger Beweggrund, „wenn der Täter . . . ein Mädchen tötet, weil, wenn er es nicht haben könne, es auch kein anderer haben solle" (es sei denn, daß andere, konkurrierende Beweggründe sein Verhalten verständlich erscheinen lassen), oder wie i h n Schmidhäuser (allerdings i n abweichender, m. E. ungenauer Terminologie 1 0 7 ) begründet: „Dies also: sie auch jedem anderen vorzuenthalten, ist das Handlungsziel, dessen sich der Täter klar bewußt war; und nur von diesem uns bekannten Handlungsziel her schließen w i r dann auf einen seelischen Beweggrund zurück, der hier m i t 'Eifersucht* bezeichnet wird, aber als seelisches Erleben, das zeitlich vor dem ausführbaren Willensentschluß liegt, strafrechtlich ohne Bedeutung i s t " 1 0 8 . 105

BGHSt 3, 180 (182). Remplein , a.a.O., S. 169. 107 Schmidhäuser bezeichnet den Beweggrund (im psychologischen Sinn) als Handlungsziel u n d die i h m zugrunde liegende Triebfeder als Beweggrund, stellt aber f ü r die strafrechtliche Wertung auf den Beweggrund als Handlungsziel ab (s. obiges Zitat!). 108 Schmidhäuser , a.a.O., S. 229. Vgl. auch S. 230: Es gehe bei den Beweggründen u m geistiges Verhalten. 106

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Aber noch einmal: auf die psychologische Bedeutung des Beweggrundes kommt es nicht an, sondern auf die gesetzliche; und diese ist (leider!) nicht i m noetischen, sondern i m affektiven Bereich zu suchen. c) Die Absichten Das menschliche Verhalten w i r d nicht nur durch Vorstellungen vorentworfen und durch Beweggründe ausgerichtet, sondern auch durch Absichten gelenkt. Absichten sind bar aller bewußten Phantasmen, die noch Vorstellungen und Beweggründe beherrschten. Das Ziel, das bisher nur vor dem „inneren Auge" schwebte, w i r d hier vielmehr als real Seiendes subjektiv vor,,abgesehen" und angezielt. Die Absichten geben A n t w o r t auf die Frage, worum-willen w i r etwas t u n oder nicht tun. Sie sind deshalb einmal wie die Beweggründe der übergreifende Bezug unseres Handelns, zum anderen aber auch der unmittelbar gegebene Gehalt des Willensaktes selbst. Sie wenden sich an den freien Willen, daß er sie bejahend zu seinem Inhalt mache, um sodann, als Inhalt seiner Freiheit, ihre Wirkung zu erzeugen 109 . Sie tragen eine jede Handlung, sei sie Selbstzweck, sei sie M i t t e l zu weiterem Zwecke, und sie stellen die Handlungen gleichzeitig hinein i n den unmittelbar geschauten übergreifenden Bezug eines Lebenszusammenhanges. Absichten sind damit sachgebundene, geistige Motivation eines Wollensaktes 110 . — Der Begriff der Absicht spielt i m Recht, insbesondere i m Strafrecht, eine bedeutende Rolle; er w i r d jedoch nicht immer i m gleichen Sinne gebraucht 111 . Folgende Bedeutungen sind zu unterscheiden: a) Absicht i m hier entwickelten Sinne als sachgebundene, geistige Motivation eines Wollensaktes. So w i r d der Begriff beispielsweise i n § 225 StGB (beabsichtigte schwere Körperverletzung) gebraucht, ferner in §§ 274 Abs. 1 Nr. 1, 288 StGB, §§ 239, 241 KO. I n diesen Bestimmungen ist erforderlich, aber auch genügend, daß der Täter eine bestimmte Situation vorabgesehen und an ihr sein Verhalten orientiert hat 1 1 2 . 1(

>9 Das w i r d i m einzelnen noch unten S. 168 ff. darzustellen sein. Vgl. dazu auch Keller, a.a.O., S. 85. 111 Z u einem einheitlichen Begriff der Absicht w i l l der E n t w u r f 62 gelangen; er bestimmt daher i n § 17: „Absichtlich handelt, w e m es darauf ankommt, den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt." Die Begründung stellt diesen Begriff der Absicht alsdann i n Gegensatz zu dem des Beweggrundes, versteht unter Beweggrund aber die Triebfeder des Handelns. Dadurch bleibt offen, ob der Begriff der Absicht i m Sinne einer sachgebundenen M o t i v a t i o n zu verstehen sei, oder ob auch die Orientierung an Vorstellungen ausreicht. 112 i m einzelnen ist hier vieles streitig, wozu die Ausführungen bei Schönkef Schröder, StGB § 59 A n m . 65 f. verglichen werden können. 110

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Bestritten ist, ob dem Begriff Absicht auch i n § 43 StGB diese Bedeutung zukommt. Die ganz herrschende Ansicht verneint das: Absicht bedeute hier den Vorsatz i n jeder seiner Erscheinungsformen, also auch das bloße I n - K a u f Nehmen von Handlungsfolgen — es sei denn, daß das vollendete D e l i k t dolus directus verlange 1 1 3 . Eine Begründung f ü r diese Ansicht w i r d nirgends gegeben. Sie läßt sich m. E. auch nicht finden. Denn der Täter k a n n die gegensätzlichsten Handlungsfolgen i n K a u f nehmen; trotzdem können sie i h m nicht k u m u l a t i v zugerechnet werden, da sie j a n u r alternativ eintreten konnten. Versucht ist daher n u r das Delikt, zu dessen Begehung der Täter durch seine Voraussicht motiviert w u r d e 1 1 4 .

b) Absicht als Beweggrund. Hier meint der Begriff die bewegende Zielvorstellung, die „überschießende Innentendenz". I n diesem Sinne w i r d der Begriff „Absicht" i n unserem Strafgesetzbuch meistens verwendet, z. B. i n § 263 StGB. Die Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, hat also derjenige Täter, den bereits die bloße Vorstellung vom Reicherwerden zu seiner Täuschungshandlung bewegt, unabhängig davon, ob i h m diese Vorstellung sachlich begründet erscheint 115 . c) Absicht als sachgebundene , geistige und affektive Motivation eines Willensaktes. Hier ist ein bestimmter vorabgesehener Erfolg vom Täter als erstrebt i n den Willen aufgenommen worden. Das wichtigste Beispiel ist die Nötigung des § 240 StGB. Zwar w i r d hier i n Abs. 1 nur Vorsatz vorausgesetzt; doch zeigt die Fassung des Abs. 2 („zu dem angestrebten Zweck"), daß der Täter zu seinem Verhalten auch affektiv motiviert sein muß 1 1 6 . d) Absicht als Beweggrund und Triebfeder eines Verhaltens. Auch hierin liegt ein möglicher, vom Gesetz — nach allerdings umstrittener Auslegung 1 1 7 — i n § 133 Abs. 2 StGB („in gewinnsüchtiger Absicht") gebrauchter Sinn des Begriffes Absicht. I n welcher Bedeutung das Gesetz den Begriff „Absicht" jeweils verwendet, w i r d oftmals schwierig zu entscheiden sein. Folgende Grundsätze lassen sich indessen aufstellen: Für eine Auslegung i m Sinne von a) und b) w i r d man sich dann zu entscheiden haben, wenn die Absicht als Zweck oder M i t t e l das Unrecht typisiert, wobei die Auslegung a) noch ein gewisses Gefährdungsmoment berücksichtigt. Für eine Auslegung i m Sinne von c) und d) w i r d sprechen, daß die Gesinnung des Täters dem Gesetzgeber für die Pönalisierung (mit)maßgeblich war, sei 113 Jagusch i n LeipzKomm. §43 A n m . I 2 c; Kohlrausch/Lange, StGB §43 A n m . I I ; Schönke/Schröder, StGB §43 A n m . 3 u n d § 59 A n m . 61 f.; Baumann, Allg. T. S. 488; Maurach , Allg. T. S. 4i8; H. Mayer , A l l g . T. S. 283; Welzel , a.a.O., S. 170; RGSt 68, 339 (341). 114 I m einzelnen hierzu Lampe i n N J W 58, 332 f. us Siehe dazu sogleich S. 147 f. 116 Vgl. Schönke/Schröder, StGB § 240 A n m . 23; Welzel, a.a.O., S. 72. 117 Vgl. Schönke!Schröder, StGB § 133 A n m . 20, § 59 Anm. 72.

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dies nun ganz allgemein wie i n § 240 Abs. 2 StGB („verwerflich") oder spezieller wie i n § 133 Abs. 2 („gewinnsüchtig") zum Ausdruck gebracht; i m Falle c) spielt wiederum noch das Gefährungsmoment eine Rolle. — Als Beweis für diese Grundsätze sollen einige Beispiele aus der Rechtsprechung erörtert werden. Bei der Urkundenunterdrückung (§ 274 Nr. 1 StGB) charakterisiert die „Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen", nicht die Gesinnung des Täters, sondern als Zweck das Unrecht der Tat. Es kommt also nur eine Auslegung des Begriffs „Absicht" i m Sinne von a) oder von b) i n Betracht. Für eine Auslegung i m Sinne von a) entscheidet alsdann der Umstand, daß die Benachteiligungsabsicht die Beweislage des Verletzten unmittelbar gefährdet. Diese Auslegung w i r d von der Entscheidung des Reichsgerichts i n HRR 1939 Nr. 536 118 bestätigt. Dort heißt es, das Tatbestandsmerkmal der „Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen" bedeute nicht, „daß der Täter sich von dem Gedanken an die zu erwartenden Nachteile für einen anderen leiten lassen müsse, daß also der Wille, Nachteil zu verursachen, den Beweggrund [seil, die Triebfeder] oder den Zweck [seil, den Beweggrund] der Handlung des Täters bilden müsse"; vielmehr genüge das Bewußtsein, daß die Tat einen Nachteil herbeiführen werde, verbunden mit dem Willen, sie gleichwohl aus irgendwelchen „Beweggründen, zum Beispiel aus Eigennutz" (gemeint also: Triebfedern) auszuführen. Damit ist die „Absicht" des § 274 Nr. 1 als nicht notwendig affektive Motivation (i. S. von c) und d)), sondern als geistige Motivation durch das Wissen u m den Erfolg, und zwar hier nicht als bewegende Zielvorstellung (i. S. von b)), sondern als sachgebundene, geistige Motivation (i. S. von a)) charakterisiert. Bei der Vollstreckungsvereitelung des § 288 StGB gefährdet die „ A b sicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln", das objektive (entgegenstehende) Recht des Gläubigers. Der Begriff der Absicht ist daher i m Sinne von a), als Absicht i m technischen Sinne, auszulegen. Wiederu m w i r d diese Auslegung von der Rechtsprechung bestätigt. Denn i n RGSt 27, 241 (242) heißt es, es sei für das Merkmal „Absicht" i n § 288 nicht nötig, „daß die Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers gerade den Endzweck des Schuldners, die Vorstellung dieses Erfolges also das Motiv [seil. Beweggrund] für die vorgenommene Handlung gebildet hat". Absichtlich i. S. dieser Vorschrift sei der Erfolg vielmehr schon dann, „wenn der Thäter seinen Eintritt als notwendige, unvermeidliche Folge seines Handelns voraussieht und m i t solchem Bewußtsein zur Ausführung schreitet, mag es auch nicht diese, sondern eine andere, nebenher- oder vorangehende Vorstellung sein, aus welcher der A n 118 Die Entscheidung, deren Sachverhalt insoweit leider nicht mitgeteilt w i r d , w i r d aufrechterhalten von BGHSt i n N J W 53,1924.

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trieb [seil. Triebfeder oder Beweggrund] zur That entsprungen ist." Wiederum also gilt auch dem Reichsgericht die Absicht i n § 288 StGB nicht als Triebfeder oder als Beweggrund, sondern als Absicht i m oben dargelegten Sinne der sachbezogenen Motivation. Das bei §§ 274, 288 StGB aufgewiesene Gefährdungsmoment fehlt beim Betrug des § 263 StGB: die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, vertieft zwar — wie w i r schon mehrfach sahen 119 — das personale Unrecht, stellt aber in der Regel keine zusätzliche Gefährdung einer fremden Rechtsstellung dar. W i r haben uns daher gemäß den obigen Grundsätzen für eine Auslegung i. S. von b) zu entscheiden und „Absicht" i n § 263 StGB als Beweggrund (motivierende Erfolgsvorstellung) zu interpretieren. Diese Interpretation w i r d vom Bundesgerichtshof allerdings nur teilweise bestätigt. Ganz i m Sinne unserer Lösung verwahrt sich der Bundesgerichtshof zwar zunächst, die „Absicht" als sachbezogene Motivation zu begreifen: „Jemand kann bei der vorsätzlichen Täuschung eines anderen eine dadurch ebenso vorsätzlich ausgelöste Vermögensverfügung des Getäuschten und einen darauf beruhenden Vermögensschaden des Getäuschten oder eines Dritten und ebenso eine diesem entsprechende Bereicherung als sichere Folge seiner Täuschung voraussehen. Begeht er sie dennoch, so w i l l er unbedingt sowohl den Eintritt des Vermögensschadens als auch den eines Vermögensvorteils für sich oder einen D r i t t e n " 1 2 0 . Trotzdem könne i h m die Bereicherung nicht als absichtlich i. S. des § 263 StGB zugerechnet werden. I n der Begründung seiner A n sicht kommt der Bundesgerichtshof dann aber abweichend von unseren Überlegungen dazu, den Begriff „Absicht" mit „Triebfeder und Beweggrund", also i m Sinne der Auslegung d), gleichzusetzen. Dem Täuschenden, so meint das Gericht 1 2 1 , könne der Bereicherungserfolg „unerwünscht sein, etwa dann, wenn er i h n als peinliche oder lästige Folge seines Handelns, das auf ein anderes Ziel oder mehrere andere Ziele gerichtet ist, hinnimmt, weil er glaubt, sonst sein Ziel zu verfehlen. Eine solche Einstellung würde kaum den Vorwurf verdienen, der Täter habe den vorausgesehenen Vermögensvorteil absichtlich gewollt. Ist ihm aber bei sonst gleicher Vorstellung und Gesinnung der Vermögensvorteil als sicher vorausgesehener und gewollter Erfolg seines täuschenden und vermögensschädigenden Verhaltens erwünscht, so kommt es i h m auch auf diesen Vorteil bei seinem Handeln an. Dann ist er von seinem Streben mitumfaßt." M i t Recht hat Welzel gegen diese Argumentation eingewandt, daß „Absicht nicht identisch m i t Triebfeder', die den Handlungsentschluß hervorgerufen und bestimmt hat", sei. „Denn", so beH0 Siehe dazu oben S. 59 f., 67. BGHSt 16, 1 (4). 121 BGHSt 16, 1 (4). 120

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gründet er, „dann würden w i r hinter den tatbestandsmäßigen Entschluß zurückfragen, und zwar danach, auf welchen »Regungen und Strebungen' die m i t der Täuschungshandlung verfolgte Vorteilsabsicht ihrerseits b e r u h t " 1 2 2 ; das aber sei nirgends der Sinn des Absichtsbegriffs innerhalb der strafrechtlichen Tatbestände 123 . T r i f f t diese K r i t i k zu — und w i r haben gegen sie nichts vorzubringen —, dann muß für die Bereicher ungs,, absieht" gelten, was w i r oben als Folge unserer Grundsätze erkannten: daß sie nicht mehr, aber auch nicht weniger sein kann als „bewegende Erfolgsvorstellung", als „Beweggrund". Dasselbe Ergebnis stellt sich ein, wenn w i r die Zueignungs,,absieht" beim Diebstahl i n eine der oben aufgezeigten Auslegungsmöglichkeiten einordnen: da sie nicht die Gesinnung des Täters, sondern das Unrecht der Tat charakterisiert, ferner keine über die Wegnahme (Abeignung) hinausgehende Gefährdung des Rechtsgutes anzeigt, muß sie als Beweggrund verstanden werden. Dieser Ansicht folgen Rechtsprechung und Lehre, wenn sie annehmen, daß der i n Anstaltskleidung flüchtende Gefangene keinen Diebstahl an diesen Sachen begehe 124 und daß auch der m i t der unbefugten Benutzung eines fremden Autos notwendig verbundene Benzinverbrauch nicht als Diebstahl gelten könne 1 2 5 . Noch eine neuere Entscheidung sei hier erwähnt: I n ihr hatte sich der Bundesgerichtshof m i t der Frage zu befassen, ob derjenige, der einen fremden Kraftwagen wegnimmt, u m i h n zu benutzen und danach i r gendwo stehen zu lassen, jedoch die i m Wagen befindlichen Sachen weder für sich benutzt noch benutzen w i l l , Diebstahl begeht, und zwar nicht nur am Wagen, sondern auch an den i m Innern befindlichen Sachen 126 . Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus: „Bei der Zueignung kommt es wesentlich darauf an, daß der die Sache Wegnehmende die Absicht hegt, sie i n sein Vermögen zu bringen, die Sache für sich zu haben, sie — wenn auch nur auf begrenzte Zeit — wirtschaftlich zu nutzen. Daran fehlt es, wenn derjenige, der einen fremden Wagen wegnimmt, nur den Wagen benutzen w i l l , nicht jedoch die i m Wagen befindlichen Sachen. Läßt er den Wagen nach Benutzung irgendwo außerhalb des Herrschaftsbereiches des Berechtigten und ohne diesen vom Standort zu benachrichtigen stehen, so entzieht er i h m damit zwar nicht nur den Wagen, sondern auch die darin befindlichen Sachen endgültig, die Sachen jedoch ohne sie irgendwie genutzt und damit ihren wirtschaftlichen Wert i n sein Vermögen gebracht zu haben. Er hat deshalb Diebstahl nur am Wagen, nicht auch an dessen Inhalt begangen" 127 . 122

Welzel i n N J W 62, 20 (21). Siehe dazu allerdings oben S. 145 unter c) u n d d)! 124 Jagusch i n LeipzKomm. §242 A n m . V 3 ; Schwarz/Dreher, A n m . 4 B ; Maurach, Bes. T. S. 198. 125 O L G Celle i n N J W 53, 37. 126 BGHSt 16, 190 ff. 127 BGHSt 16, 190 (192). 123

StGB §242

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Diese Begründung scheint die Frage, wie der Begriff „Absicht" i n § 242 StGB zu verstehen ist, nicht unmittelbar zu berühren. Stellt sie doch — scheinbar — allein auf die (objektive) Zueignung der Sache ab. Für diesen Begriff der Zueignung gibt der Bundesgerichtshof jedoch drei Definitionen, die er offenbar als gleichwertig nebeneinanderstellt: Zueignung sei (a) eine Sache i n sein Vermögen bringen, (b) eine Sache für sich haben, und (c) eine Sache wirtschaftlich nutzen. Sieht man nun recht hin, so hat der Autodieb sich die i m Wagen befindlichen Sachen einzig und allein i m Sinne der dritten Definition nicht zugeeignet; hingegen hat er die Sachen genauso wie den Wagen „ i n sein Vermögen gebracht" (a) und „für sich gehabt" (b), da er m i t ihnen „nach Belieben verfahren" und somit das Eigentumsrecht des § 929 BGB faktisch ausgeübt hat 1 2 8 . Lediglich einen „Nutzen" (c) hat er von der Zueignung (a + b ) nicht gehabt, und es ist auffallend, daß gerade hierauf der Bundesgerichtshof i n seiner weiteren Begründung allein abstellt 1 2 9 . Die oben angegebenen drei Definitionen für den Zueignungsbegriff sind nämlich i n der Tat nicht gleichwertig, denn nur die dritte Definition stellt auf den Wert der Sache für den Täter ab. Verbindet man nun diesen Begriff der Zueignung als Nutzung mit dem Begriff der Absicht, so zeigt sich i m vorliegenden Falle eine klare Einschränkung des subjektiven Diebstahlstatbestandes: nicht mehr die Absicht „se ut dominum gerere" genügt, vielmehr muß der Täter darüber hinaus m i t der Ausführung der Absicht auch einen Nutzen gewollt haben — genauer gesagt: der (abstrakte) Nutzeffekt muß der Beweggrund seines Handelns (wenn auch nicht notwendig der einzige) gewesen sein. Nur wenn den Täter die Vorstellung , er sei Herr der Sache, zu ihrer Wegnahme bewegen konnte — und dies ist nur dann möglich, wenn er sich einen Nutzen hiervon versprach — handelte er i n Zueignungs„absicht". Damit ist aber auch an diesem Fall erwiesen, daß der Begriff „Absicht" beim Diebstahl als „Beweggrund" auszulegen ist. Schließlich sei unsere oben aufgestellte Behauptung, bei der Nötigung müsse subjektiv eine Absicht i m Sinne sachgebundener geistiger und affektiver Motivation gefordert werden, noch durch folgendes Beispiel erläutert: A glaubt, sein K i n d sei lebensgefährlich vergiftet und könne nur gerettet werden, wenn er mit i h m sofort den nächsten Arzt aufsuche. Da dieser 10 k m entfernt wohnt, legt er das K i n d auf den Rücksitz seines Wagens und fährt mit i h m i m schnellstmöglichen Tempo los. Unterwegs i h m begegnende Fahrzeuge zwingt er durch Licht- und Hupsignale sowie durch dichtes Auffahren, i h m auszuweichen. Beim 128

v. Liszt/Schmidt, Lehrb. S. 617. Allerdings fügt der Bundesgerichtshof hinzu, der Täter habe den „ w i r t schaftlichen W e r t " der Sache nicht „ i n sein Vermögen" gebracht. Damit w i l l er jedoch offenbar n u r eine weitere Umschreibung der Definition (c) geben, nicht etwa eine Zueignung i m Sinne der Definition (a) ausschließen. 129

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Arzt stellt sich heraus, daß die Vergiftung des Kindes nur ganz harmloser Natur war. — Nehmen w i r an, daß i n unserem Falle die objektiven Voraussetzungen der Nötigung erfüllt sind 1 3 0 . Alsdann stellt sich bezüglich des subjektiven Tatbestandes die Frage, ob bereits der Zwang zum Ausweichen als ein „angestrebter Zweck" anzusehen sei (Abs. 2); denn davon w i r d — da die Rettung des Kindes als „angestrebter Zweck" sozialethisch positiv zu bewerten ist und somit als Grundlage des Rechtswidrigkeitsurteils ausscheidet — die Strafbarkeit des A wegen Nötigung vor allem abhängen. Faßt man den subjektiven Tatbestand i m Sinne von Absicht (a) auf, so ist diese Frage zu bejahen; denn A hat den Zwang zum Ausweichen als Folge seines Verhaltens vorabgesehen und zum Inhalt seines Willens gemacht. Eine solch weite Auslegung kann aber nicht Sinn des Gesetzes sein. Denn würde bereits das bloße Vorabsehen einer Folge und der Wille, sie herbeizuführen, den Täter wegen Nötigung strafbar machen, so müßte, wie Schröder mit Recht ausgeführt hat, für die Nötigung sogar schon genügen, „daß der Dieb eines Fahrrades sich als notwendige Folge vorstellt, der Eigentümer werde zu Fuß nach Hause gehen" 1 3 1 . Erfordert man wegen dieses unannehmbaren Ergebnisses für den subjektiven Tatbestand statt der Absicht den Beweggrund des Täters (b), so kommt man i n unserem Falle ebenfalls zur Annahme einer rechtswidrigen Nötigung; denn auch die bloße Vorstellung, daß andere Kraftwagen zum Ausweichen gezwungen werden, hat den A zu seinem Verhalten bewogen. Aber auch diese Lösung kann nicht richtig sein. Das zeigt sich, wenn w i r unseren Fall abwandeln und unterstellen, daß das K i n d i n der Tat lebensgefährlich vergiftet war und nur auf diese vom Vater gewählte Weise gerettet werden konnte. Jetzt müßten w i r einerseits annehmen, daß die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Nötigung erfüllt seien und zusätzlich die Rechtswidrigkeit i. S. des Abs. 2 bejaht werden müsse, weil der Zwang zum Ausweichen durch verkehrswidriges Verhalten als „verwerflich" anzusehen ist 1 3 2 . Andererseits müßten Wir die Rechtswidrigkeit aber verneinen, da ja der A i m übergesetzlichen Notstand handelte. Demnach würde die Rechtswidrigkeit zunächst nach dem Mittel-Zweck-Prinzip begründet und sodann nach dem gleichen Mittel-Zweck-Prinzip wieder ausgeschlossen werden. Das aber kann nicht richtig sein; denn die Rechtswidrigkeit ist der Widerspruch gegen die Rechtsordnung als Ganzes und kann daher nur einheitlich festgestellt werden. A u f die Frage allein, was der A mit seinem Verhalten „beabsichtigt" oder welche Vorstellung ihn zu seinem Verhalten „bewogen" habe, kann es also nicht ankommen. wo v g l . B G H S t i n N J W 63, 1629; 64, 1426. 131 Schönke/Schröder, StGB § 240 A n m . 27. 132 Schwarz/Dreher, StGB § 240 Anm. 1 B c.

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Damit kommen w i r aber von selbst dazu, Anforderungen an den subjektiven Tatbestand der Nötigung i m Sinne unserer Interpretationsmöglichkeiten c) oder d) zu stellen. Anforderungen i m Sinne von d) scheiden alsdann deshalb aus, weil die Triebfeder des A für die Bestimmung des Zweckes schlechthin keine Rolle spielen kann; ob der A aus Liebe zu seinem K i n d oder aus bloßer Gewissenhaftigkeit gehandelt hat, bleibt völlig gleichgültig. Wesentlich ist allein die auf die Rettung des Kindes bezogene geistige und affektive Motivation, so daß die Auslegung des subjektiven Tatbestandes bei § 240 StGB i m Sinne von c) gerechtfertigt erscheint 183 . Daraus ergibt sich für unseren Fall folgende m. E. befriedigende Lösung, daß der Zwang zum Ausweichen nicht „angestrebter Zweck" gewesen ist, daß A also subjektiv nicht tatbestandsmäßig i m Sinne der Nötigungsstrafbestimmung und damit auch insoweit schon nicht rechtsw i d r i g gehandelt hat. Ein besonderes Problem stellen die Handlungen mit wollüstiger A b sicht dar, d. h. Handlungen, die auf „Erregung oder Befriedigung der eigenen oder fremden Geschlechtslust gerichtet" sind 1 3 4 . Hierzu gehören die „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit " (§§ 173 ff. StGB) sowie die Tötung „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" (in § 211 Abs. 2 StGB). Bei ihnen w i r d die „innere Tatseite" nicht schon dadurch begründet, „daß der Täter bei seinem Tun wollüstige Gedanken gehabt oder Sinneslust empfunden h a t " 1 3 5 ; das bloße Vorhandensein von Lustvorstellungen oder Lustgefühlen geschlechtlicher A r t reicht m. a. W. keinesfalls aus. Fraglich kann lediglich sein, inwieweit sexuelle Triebfedern und Strebungen einerseits, Beweggründe und Absichten andererseits die „wollüstige Absicht" begründen. Kann es wirklich, wie der Bundesgerichtshof annimmt, genügen, daß „wollüstige Gedanken oder Sinnenlust" „Antrieb des Handelns" waren 1 3 6 ? Dann müßte eine ordnungsmäßige ärztliche Untersuchung etwa der weiblichen Geschlechtsorgane schon dadurch zur unzüchtigen Handlung werden, daß der Arzt sie, froh ob der sich bietenden Gelegenheit, m i t einer sexuellen Tendenz durchführt 1 3 7 . Das Gesetz würde also seltsamerweise dem Arzt gebieten, 133 Positiv läßt sich dies zusätzlich durch den Hinweis auf das Gefährdungsmoment begründen, das beim Verhalten des A maßgebend w a r — freilich nicht i. S. einer Herbeiführung der Gefährdung, sondern i. S. einer A b w e n dung: A wollte eine seinem K i n d e drohende Gefahr abwenden. 134 B G H S t 1, 80 (82). 135 BGHSt 13, 138 (142). 13 « BGHSt 13, 138 (142). 137 Seltsamerweise läßt der B G H (a.a.O.) diese Folgerung dahingestellt! „Einer Entscheidung der allgemeinen Frage, ob u n d unter welchen Voraussetzungen eine unzüchtige Handlung nach der inneren Tatseite vorliegt, w e n n beim Täter Beweggründe verschiedener A r t zusammentreffen, zum Beispiel w e n n m i t einer an sich berechtigten Züchtigung oder m i t einer ordnungs-

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eine ordnungsgemäße Untersuchung ganz zu unterlassen, wenn er sich nicht von sexuellen Antrieben frei weiß. Das kann nicht richtig sein; unzüchtige Handlungen erhalten nicht allein schon durch die sie tragende Tendenz (Strebung) ihren Unrechtscharakter, sondern es muß immer (auch) ihr Beweggrund sittlich verwerflich sein 1 3 8 . Zweifelhaft bleibt daher nur noch, inwieweit die Affektivität überhaupt für den unzüchtigen Charakter eines Verhaltens bedeutsam ist. Hier muß, meine ich, Schröder zugestimmt werden: „ W i r d die Unzucht m i t einem anderen begangen und verfolgt dieser eine wollüstige A b sicht . . ., so kann es nicht darauf ankommen, ob auch das Handeln des Täters einer solchen 'Absicht' entspringt; hier genügt vielmehr, daß sein eigenes Verhalten von der Vorstellung getragen ist, ein wesentlicher Faktor für die Lusterregung oder -befriedigung des andern zu sein. Wer sich bewußt für sadistische Handlungen eines anderen zur Verfügung stellt, begeht daher auch dann Unzucht, wenn Motiv oder Ziel [besser: Triebfeder oder Tendenz] seines Handelns weder die Erregung (Befriedigung) des eigenen noch des fremden Geschlechtstriebs ist, sondern z. B. die Erlangung eines finanziellen Vorteils" 1 3 9 . Aber selbst m i t diesen Ausführungen ist noch nicht geklärt, ob die wollüstige „Absicht" nun als sachgebundene, geistige Motivation oder als Beweggrund (oben a) bzw. b)) zu interpretieren ist. Maßgeblich für die eine oder die andere Auslegung w i r d sein, ob i n der wollüstigen Absicht die Gefährdung eines Rechtsgutes liegt, oder ob das Gesetz i n ihr lediglich eine personale Unrechtseigenschaft des Täters sieht, etwa seine sexual-sittliche Unreinheit. Die Entscheidung kann alsdann nur i m Sinne der ersten Alternative fallen; denn nicht die Sexualmoral des Einzelnen wollen die Strafdrohungen des Gesetzes sicherstellen, sondern den Schutz anderer Personen vor Eingriffen i n ihren Sexualbereich 1 4 0 . Als weitere, i m Gesetz nicht erwähnte, Absicht bleibt die Verteidigungsabsicht bei der Notwehr (§ 53 StGB, § 227 BGB) noch besonders herauszuheben. Sie ist echte Absicht i m Sinne einer sachgebundenen, geistigen Motivation des Täters (oben a). Denn nicht auf die Triebfeder oder Tendenz seines Handelns kommt es an, ob er etwa den Angriff aus Haß oder Schädigungssucht abwehrt, sondern allein auf die Kenntgemäß vorgenommenen ärztlichen Handlung unzüchtige Absichten verbunden sind", bedurfte es i n dem dem B G H vorliegenden F a l l nicht. — Wie hier jedoch Engisch i n Rittler-Festschrift, S. 169; H.Mayer, A l l g . T. S. 104; Horn, Rechtswidrigkeit, S. 90 Anm. 57. Vgl. auch Oehler, Objektives Zweckmoment, S. 113 ff. 138 Ä h n l i c h Nowakowski i n ZStW 63, 287 (316); vgl. auch Sieverts, Subjektive Unrechtselemente, S. 155 f.; Beling, Lehre v o m Tatbestand, S. 13 f. 139 Schönke/Schröder, StGB § 173 Vorbem. 8. 140 Vgl. dazu i m einzelnen Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 29 ff., zum Begriff der „Reinheit" S. 39.

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n i s des T ä t e r s v o n d e r N o t w e h r l a g e 1 4 1 . D i e V e r t e i d i g u n g s a b s i c h t ist d i e a l l e i n geistige A n t w o r t des T ä t e r s a u f die A n g r i f f s s i t u a t i o n . D i e a f f e k t i v e G r u n d l a g e der N o t w e h r w i r d l e d i g l i c h b e d e u t s a m b e i m N o t w e h r e x z e ß . E r f ü h r t n ä m l i c h nach § 53 A b s . 3 S t G B n u r d a n n z u r S t r a f l o s i g k e i t , „ w e n n d e r T ä t e r i n Bestürzung, Furcht oder ü b e r d i e Grenzen d e r V e r t e i d i g u n g h i n a u s g e g a n g e n i s t " .

Schrecken

Ob diese gesetzliche Regelung glücklich ist, erscheint allerdings zweifelhaft. Die Verteidigung w i r d meistens getragen 1 4 2 v o m reaktiven Selbstbehauptungsbetrieb u n d zielt psychisch auf die Wahrung oder Wiederherstellung nicht n u r der äußerlich eingenommenen Rechtsposition, sondern auch auf die Wiederherstellung der unangefochtenen Stellung i n der allgemeinen Achtung, insbesondere aber auch auf die Wiederherstellung des Selbstgefühls. Es g i l t für den Täter, sein Selbstvertrauen wiederzugewinnen u n d bestätigt zu sehen, daß m a n i h m „so nicht kommen" kann. Aus diesem Grunde w o h n t seiner N o t wehrhandlung von vornherein die Tendenz des Gegenangriffs inne, u n d zwar u m so mehr, je stärker das Selbstgefühl durch den A n g r i f f getroffen w u r d e u n d je stärker die Selbstverteidigungstriebfeder bei i h m ausgebildet ist. F ü h r t diese Tendenz den Täter über das Maß notwendiger Verteidigung hinaus, sollte er — auch w e n n er nicht i n Bestürzung, Furcht oder Schrecken handelte — entschuldigt sein, w e i l es i h m nicht zum V o r w u r f gereichen kann, daß er jene Geister, die der Angreifer rief, n u n nicht los w i r d . Richtiger erschiene daher eine gesetzliche Regelung, welche den Täter straffrei läßt, wenn er die Grenzen der Notwehr in verständlicher Erregung über den Angriff überschritten h a t 1 4 3 . 4. Intentionalitätsmerkmale W i r h a b e n als G r u n d l a g e n d e r P e r s o n a l i t ä t n u n noch einige M e r k m a l e z u betrachten, d i e n i c h t w i e d i e b i s h e r i g e n i m w e s e n t l i c h e n d e r L e b e n s p l a n u n g , s o n d e r n d i e d e r L e b e n s g e s t a l t u n g angehören. G i b t p l a n e n d d i e S t r e b u n g das z u erreichende Z i e l , d i e A b s i c h t d e n W e g an, a u f d e m es z u erreichen sei, so r e s u l t i e r t aus b e i d e n g e s t a l t e n d d i e Intentionalität des wirkenden Verhaltens. A l s V e r w i r k l i c h u n g v o n Streb u n g u n d A b s i c h t h a t das V e r h a l t e n d e n E n t w u r f a u f d i e U m w e l t , es „ h a t d e n C h a r a k t e r d e r G e r i c h t e t h e i t , d e r I n t e n t i o n a l i t ä t auf die Welt"144. W i e i s t das z u begreifen? V o n d e r A u ß e n w e l t gehen Reize aus, d i e v o n der Seele e r l e b t w e r d e n u n d a u f die sich die Seele i n d e r G e s a m t h e i t i h r e r v i t a l e n u n d noetischen F u n k t i o n e n n u n e i n s t e l l t . Sie s t e l l t sich d a b e i n i c h t n u r a u f e i n e n e i n z e l n e n Reiz oder a u f j e d e n sie t r e f f e n d e n 141

Nowakowski i n ZStW 63, 287 (319). Z u m Folgenden vgl. Klages, Charakterkunde, S. 206. Vgl. auch E 62 Begründung S. 158: „Es gibt Fälle, i n denen es begreiflich ist, daß der zu Unrecht Angegriffene i n seinem U n w i l l e n u n d seiner Erregung bewußt das Maß der erforderlichen A b w e h r überschreitet u n d Vergeltung übt." 144 Lersch, a.a.O., S. 460. 142

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Reiz besonders ein, sondern sie reagiert auf die Gesamtheit der Reize, abgestuft nach deren jeweiliger Stärke. Verlangt die Situation eine A n t wort, so erwächst sie aus dieser Einstellung heraus. Jede Einstellung w i r d dabei nach dem Charakter, der Erlebnisfähigkeit, dem Gemütszustand u. ä. der Person zukommenden Eigenschaften verschieden sein. So w i r d zum Beispiel der körperlich Träge auf eine Situation eher durch Worte als durch Taten reagieren, der geistig Träge umgekehrt w i r d sich mehr affektiv handelnd zur Umwelt verhalten. Insgesamt folgt hieraus: Intentionalität bedeutet die Gerichtetheit gerade dieses Subjekts, auf gerade diese Situation handelnd gerade i n dieser Weise Antwort zu geben. — Einige Beispiele aus dem Bereich des Strafrechts sollen das verdeutlichen. Hier sind es Merkmale wie „roh" oder „grausam", m i t denen das Gesetz die Intentionalität der Handlung gelegentlich besonders heraushebt und zum Gegenstand eines besonderen Unwerturteils macht. Betrachten w i r zunächst das Merkmal „roh" i n § 223 b StGB. Nach ständiger Rechtsprechung ist „roh" eine Mißhandlung, die (objektiv) erhebliche Schmerzen zufügt und (subjektiv) aus gefühlloser Gesinnung hervorgegangen ist 1 4 5 . Dieser Definition müssen vom psychologischen Standpunkt erhebliche Bedenken begegnen. Zunächst ist objektiv die Zufügung erheblicher Schmerzen für den Begriff der Roheit nicht erforderlich; roh handelt vielmehr auch der Täter, der die Zufügung erheblicher Schmerzen nur beabsichtigt, „intendiert", nicht aber erreicht 1 4 6 . Denn wofern der Begriff „roh" psychologisch überhaupt einen Sinn haben soll, kann er nicht von einem außerhalb aller psychologischen Betrachtung stehenden Erfolg abhängig gemacht werden 1 4 7 . Darüber hinaus ist auf der subjektiven Seite der Begriff der Gesinnung zu beanstanden, der zur Definition der Roheit herangezogen wird. Was den Begriff „Gesinnung" vor anderen psychischen Phänomenen besonders auszeichnet, ist das Moment der Dauer. Schmidhäuser, welcher sich um die Definition des Gesinnungsbegriffes sehr intensiv bemüht hat, bestätigt diesen an sich unmittelbar einleuchtenden Befund durch eine Reihe von Belegen aus der Literatur: „Fast überall, wo von Gesinnung die Rede ist, w i r d das Moment der Dauer hervorgehoben. . . . So 145

RGSt i n J W 38, 1879 f., J W 38, 2808, DR 40, 26, DR 41, 492, DR 44, 330 (331), DR 44, 724 (725). — Vgl. auch LeipzKomm. (Schaefer) § 223 b A n m . I I I b ; Kohlrausch/Lange, StGB § 223 b A n m . V ; Schänke/ Schröder, StGB § 223 b A n m . 13. Ferner die Legaldefinition i n § 1 Abs. 2 S. 2 TierschG. 146 Vgl. OGHSt 1, 95 (99) u n d 369 (371) betr. die „Grausamkeit". 147 Schröders Bemerkung (StGB § 223 b A n m . 13), die Gesinnung müsse sich „ i n der Tat niedergeschlagen haben", ist ungenau, da sie Handlung (Ursache) u n d Erfolg (Wirkung) nicht trennt: n u r i n der Handlung k a n n die Gesinnung zum Ausdruck kommen!

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erscheint Gesinnung insbesondere als 'Disposition', als 'habitus oder Disposition', womit man 'psychische Beschaffenheit von längerer Dauer' bezeichnet, 'die als Grundlage (Anlage) für bestimmte seelische Funktionen oder Leistungen angesehen oder angenommen werden'. Weiter w i r d i n der Gesinnung eine 'habituelle Wertmotivation' gesehen, das 'Zuständliche als Habituelles' sei für Gesinnung konstitutiv. Gesinnung w i r d als dauernde Verfassung der Seele verstanden, die sich i n dem gleichmäßigen Werturteil über die von der Gesinnung umspannten Werte bestätige; oder als 'dauernde feste Willensrichtung, welche durch die individuelle Wertdisposition i m ganzen bestimmt w i r d ' " 1 4 8 . Die „gefühllose Gesinnung" bei der Roheit braucht jedoch gerade keine dauernde Charaktereigenschaft des Täters zu sein, sie kann auch als vorübergehender Zustand auftreten 1 4 9 . Daher ist die Verwendung des Gesinnungsbegriffes i n diesem Zusammenhang verwirrend. Nun bricht allerdings Schmidhäuser selbst (für die von i h m herangezogenen Gesinnungsmerkmale, u. a. die „Roheit") m i t diesem Sprachgebrauch, da „ w i r nämlich auch einen Begriff von 'Gesinnung' ohne 'Dauer' . . . kennen und gebrauchen, der sich von der 'beständigen Gesinnung' nur i n diesem Punkte des Nicht-dauerns unterscheidet" 150 . Gesinnung ist nach seiner Ansicht das „sittlich-wertwidrige geistige Verhalten" des Täters, das „auf die unrechte Tat bezogen" ist (Einzeltatgesinnung) 151 . A r t h u r Kaufmann hat gegenüber diesen Ausführungen Schmidhäusers sehr feinsinnig darauf aufmerksam gemacht, daß m i t einem solchen Begriff der Gesinnung eigentlich nichts anderes gemeint sein könne als der „sittliche Wille, die freie Entscheidung für den Wert oder Unwert gerade eben dieser Handlung" 1 5 2 . I n der Tat scheint es, daß sich auf das Merkmal der Dauer nicht verzichten läßt, ohne daß der Gesinnungsbegriff i m Begriff des werthaften Wollens aufginge. Was m i t dem Begriff der Einzeltatgesinnung jedoch gemeint ist, ist offenbar die motivische Grundlage des deliktischen Willensaktes. Wie sich der Willensakt aber zunächst einmal material wertfrei als natürlicher Vorsatz begreifen läßt, so steht nichts i m Wege, die i h n tragende „Gesinnung" als wertfreie psychische Gegebenheit aufzufassen. Der Begriff „roh" wäre alsdann zu charakterisieren: als (objektiv) auf Zufügung erheblicher Schmerzen gerichtet und (subjektiv) aus Gefühllosigkeit entspringend. Aber auch dieser Bestimmung stehen noch zwei Bedenken entgegen: das eine richtet sich gegen den Begriff „Gefühllosigkeit", das andere 148 149 150 151 152

Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 58. RGSt i n J W 38, 2808, DR 40, 26. Schmidhäuser, a.a.O., S. 85. Vgl. Schmidhäuser, a.a.O., S. 217. A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip, S. 152.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

dagegen, daß zwar Herkunft und Ziel der Roheit, nicht aber eigentlich die Roheit selbst bestimmt ist. Gefühllosigkeit bedeutet schwache Erlebnisfähigkeit. „Sie ist eine Wertblindheit der Seele, derzufolge die Persönlichkeit von den Wertgehalten der umgebenden Welt nicht oder nur ungenügend angesprochen w i r d " 1 5 3 . M i t Roheit hat sie i m Grunde nichts zu tun; allenfalls kann sie der Grund dafür sein, daß dem Täter das „Rohe" seines Verhaltens nicht zum Bewußtsein kommt, da er es eben nicht zu erfühlen versteht. Was statt Gefühllosigkeit gemeint ist, ist ganz offenbar etwas anderes: ein Mangel an Gefühlstiefe — Gemütlosigkeit, die der Boden für jene asoziale Gesinnung ist, auf der die Blindheit für alle mitmenschlichen Verbindlichkeiten erwächst. Aber Roheit ist nicht m i t Gemütlosigkeit identisch, auch keine spezielle Form der Gemütlosigkeit. Dementsprechend w i r d i n der Rechtsprechung betont, i n der rohen Mißhandlung zeige sich die „gefühllose Gesinnung" 1 5 4 ; nirgends aber heißt es, Roheit sei „gefühllose Gesinnung". Roheit ist vielmehr eine psychische Wirkungsform der Gemütlosigkeit 1 5 5 . Während die Gemütlosigkeit den Täter i n seiner psychischen Verfassung zur Zeit der Tat charakterisiert ohne Rücksicht darauf, ob er als tätig oder als untätig gedacht wird, und daher nur die Herkunft der Roheit nennt, während demgegenüber m i t der Zufügung erheblicher Schmerzen bereits der Erfolg beschrieben ist, der i n einer solchen Situation von einem solchen Täter bewirkt oder erstrebt wird, meint der Begriff der Roheit das, was zwischen Gemütlosigkeit und Schmerzzufügung steht und das eine aus dem anderen hervorgehen läßt: die Gerichtetheit, Intentionalität des Täters auf den Erfolg hin. Sie steht also zwischen dem Aufweis der psychischen Eigenschaften des Täters und dem der Folgen, die sich aus solchen Eigenschaften i n bestimmten Situationen ergeben können oder gar müssen. Die Bezeichnung der Roheit als Gesinnungsmerkmal ist daher zumindest mißverständlich 156 . Zusammenfassend läßt sich über das Merkmal „Roheit" sagen: „Roheit" ist die asoziale Gerichtetheit des gemütlos handelnden Täters, auf eine bestimmte Situation i n rücksichtsloser Weise, nämlich durch Zufügung starker Schmerzen, A n t w o r t zu geben. Entsprechendes gilt für das Merkmal „grausam" i n § 211 StGB. Auch i h m liegt eine bestimmte psychische Situation des Täters zugrunde, die darauf intendiert, i n der gegebenen Situation handelnd i n 153

Remplein, Psychologie der Persönlichkeit, S. 185. RGSt i n J W 38, 2808. 155 Vgl. Lersch, a.a.O., S. 185. 156 Über die juristischen Konsequenzen, die sich aus unserer Bezeichnung u n d Einordnung ergeben, w i r d noch zu sprechen sein (s. unten S. 142 f. u n d S. 259 ff.). 154

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bestimmter Weise A n t w o r t zu geben. Der Täter w i r d i. d. R. zum sog. „introvertierten Fühltypus" gehören, jenem Typus, der sich nicht dem Objekt anpaßt, sondern sich das Objekt unterordnet, indem er es seiner Wertskala u n t e r w i r f t 1 5 7 ; doch ist eine Dauergesinnung hier wie bei der Roheit nicht vorausgesetzt, wesentlich ist allein die seelische Situation des Täters zur Zeit der Tat. Die Handlung w i r d i. d. R. i n einer Herrschsucht als Triebfeder die Grundlage haben, die auf dem introvertierten Fühlen aufbaut 1 5 8 , ihre Gerichtetheit w i r d wie bei der Roheit die Schmerzzufügung sein 1 5 9 . Daraus ergibt sich für die Grausamkeit folgende Definition: „Grausamkeit" ist die asoziale Gerichtetheit eines introvertiert fühlenden Täters, auf eine bestimmte Situation i n herrschsüchtiger Weise durch Zufügung starker Schmerzen A n t w o r t zu geben 160 . Nach diesen Beispielen w i r d es nicht schwer sein, alle weiteren I n t e n tionalitätsmerkmale des Gesetzes, wie zum Beispiel das M e r k m a l „rücksichtslos", das i n § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB verwendet w i r d , zu bestimmen. Es soll daher auf weitere Merkmale hier nicht mehr eingegangen werden 1 0 1 .

W i r f a s s e n z u s a m m e n : Grundlagen personaler Lebensplanung und Lebensgestaltung sind sämtliche physischen und psychischen Kräfte des Menschen — Kräfte, die sich vielfach gegenseitig durchdringen und einander beeinflussen. A l l diese Kräfte — Gefühle, Triebfedern, Strebungen, Vorstellungen, Beweggründe, Absichten und die von uns sog. Intentionalitätsmerkmale — spielen i m Strafrecht, benannt oder unbenannt, eine Rolle. Sie sind daher sämtlich auf ihre Bedeutung für das personale Unrecht zu überprüfen. I I . M i t t e l der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

W i r haben uns nunmehr den Mitteln der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung zuzuwenden, dem eigentlichen Zentrum der Person, aus dem heraus sie verantwortlich tätig wird. Alle bewußten Regungen und Zustände, insonderheit die oben dargestellten affektiven 157

Remplein , a.a.O., S. 460. Ich verweise auf die obige Darstellung der Gefühle u n d Triebfedern u n d ihres Verhältnisses zueinander! 159 Lersch, a.a.O., S. 258: Es ist — i m Gegensatz zur B r u t a l i t ä t — „das auszeichnende M e r k m a l der Grausamkeit, daß sie sich nacherlebend den Schmerz, das Leiden des anderen vergegenwärtigt, ohne jedoch M i t g e f ü h l zu haben." 160 Abweichend B G H S t 3, 264 f.: Grausam tötet, „ w e r dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer A r t aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt". 161 Z u m M e r k m a l „rücksichtslos" vgl. ausführlich Schweling i n Z S t W 72, 464 ff. 158

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

und noetischen Gegebenheiten der Person, sind auf dieses Zentrum bezogen, werden dort erlebt; alle personalen Akte nehmen von dort ihren Ausgang 1 . 1. Erkenntnistheoretische Vorfragen

Können w i r überhaupt über das Zentrum der Person etwas aussagen, oder bewegen w i r uns hier sofort i m Bereich willkürlicher Hypothesen, die lediglich einem Wunschdenken entstammen, wissenschaftlicher Nachprüfung jedoch nicht standhalten? Diese Frage ist sinnidentisch mit einer anderen: Wie und unter welchen Umständen können w i r Aussagen über die menschliche Freiheit machen? Denn u m die Freiheit als Zentrum der menschlichen Person und u m ihre Erkenntnis w i r d es uns i n den folgenden Ausführungen gehen — ohne daß w i r freilich das Problem der Willensfreiheit insgesamt aufzunehmen vermöchten. Immerhin müssen w i r einige Teilaspekte betrachten, um unsere schon eingangs aufgestellte These zu erhärten, daß w i r uns hier zwar i n einem nur mit dem Schlüssel der Axiomatik zugänglichen, jedoch nicht wissenschaftsfremden Räume befinden. Vorauszuschicken ist, daß w i r zur Erkenntnis der menschlichen Freiheit völlig unergiebig diejenigen Erkenntnismittel halten, die uns die Naturwissenschaft zur Verfügung stellt. Zwar sind i n neuerer Zeit vor allem an die Entdeckung der modernen Physik, daß i m mikrophysikalischen Räume sich „akausale" oder „indeterminierte" Vorgänge abspielen, Spekulationen bezüglich der Erkennbarkeit auch von (zumindest negativer) Freiheit geknüpft worden 2 . Diese Spekulationen sind jedoch nicht stichhaltig und gerade von physikalischer Seite streng abgelehnt worden 3 . 1

Dazu sind insbesondere Schelers Ausführungen, Formalismus S. 394, zu beachten: „Niemals kann die Person sei es auf das X eines bloßen »Ausgangspunktes' von Akten, sei es auf irgendeine A r t des bloßen »Zusammenhangs* oder der Verwebung von A k t e n zurückgeführt werden, w i e ein A k t der sog. »aktualistischen 4 Persönlichkeitsauffassung, die das Sein der Person aus ihrem T u n (ex operari sequitur esse) verstehen möchte, zu verfahren pflegt. Die Person ist nicht ein leerer »Ausgangspunkt 4 von Akten, sondern sie ist das konkrete Sein, ohne das alle Rede von A k t e n niemals ein volles adäquates Wesen irgendeines Aktes t r i f f t , sondern immer n u r eine abstrakte Wesenheit; erst durch ihre Zugehörigkeit zu dem Wesen dieser oder jener individuellen Person konkretisieren sich die A k t e von abstrakten zu konkreten Wesenheiten." 2 I n diesem Sinne von strafrechtlicher Seite vor allem H. Mayer, A l l g . T., S. 230 f. 3 Planck, Wege zur physikalischen Erkenntnis, S. 228: „Nach meiner M e i nung hat die Frage nach der Willensfreiheit nichts zu t u n m i t dem Gegensatz zwischen kausaler u n d statistischer Physik; ihre Bedeutung geht v i e l tiefer, sie ist überhaupt unabhängig von irgendeiner physikalischen oder biologischen Hypothese. 44

e der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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Die moderne Physik geht von der methodischen Forderung Einsteins aus, daß es vermieden werden müsse, der physikalischen Realität Merkmale u n d Bestimmungen zuzuschreiben, die nicht Ergebnis tatsächlich ausgeführter Messungen sind. N u n werden jedoch subatomare Vorgänge durch die zur Beobachtung benötigte Energie zwangsläufig stets verändert; u n d zwar v e r ändert jede Beobachtung, welche die Position einer subatomaren P a r t i k e l bestimmen soll, deren Geschwindigkeit , u n d umgekehrt modifiziert jede Bestimmung der Geschwindigkeit die Position. Es ist also prinzipiell 4 unmöglich, sowohl Position als auch Geschwindigkeit einer Partikel festzustellen. Daher können die Physiker über das Verhalten einer Partikel keine bestimmten Aussagen machen, sondern n u r wahrscheinliche, u n d das zwingt sie zur F o r mulierung statistischer Gesetzmäßigkeiten. A b e r die Ungenauigkeit der statistischen Gesetzmäßigkeiten besagt nicht, daß das, was gemessen w i r d , akausal oder indeterminiert oder frei ist; denn das Sein ist j a gerade unerkennbar. Die statistischen Gesetze sind vielmehr n u r Arbeitsmittel f ü r den Physiker, die er als f ü r seine Zwecke brauchbar erkannt hat. F ü r denjenigen, der die menschliche Freiheit zu erkennen trachtet, sind sie unbrauchbar, w e i l er keine Physik der menschlichen Freiheit betreiben w i l l u n d auch gar nicht betreiben kann, w i l l er nicht das Phänomen, das er sucht, von vornherein verfehlen.

Die Frage nach der Erkennbarkeit menschlicher Freiheit kann nicht i m Bereich der Naturwissenschaften ansetzen, sondern muß nach einer der menschlichen Eigenart adäquaten eigenen Erkenntnisart Ausschau halten 5 . Und hier ist es die Anthropologie, die uns einen ersten Hinweis auf eine besondere, spezifisch menschliche Erkenntnisart gibt: die Erkenntnis durch das B e g r e i f e n von Symbolen. Vor allen anderen Lebewesen durch die enorme Evolution seines Großhirns ausgezeichnet, vermag nämlich der Mensch nicht nur die Welt als einfache Realität sinnlich zu erkennen, sondern darüber hinaus als ein symbolisches Universum zu begreifen, i n deren Symbolgehalt er sich i n seiner Eigenart selbst objektiviert. „Die Einzigartigkeit des Menschen, verglichen m i t allen anderen Geschöpfen", so schreibt Bertalanffy 6 , „liegt darin, daß sein Leben durch Symbole beherrscht wird. Von der unmittelbaren Befriedigung biologischer Triebe abgesehen, lebt der Mensch i n einer Welt nicht der Dinge, sondern der Symbole. Eine Münze ist ein Symbol für einen bestimmten Betrag geleisteter Arbeit oder verfügbarer Nahrung und anderer Güter. Ein geschriebenes Dokument ist ein Symbol für Geschehnisse i n der Vergangenheit. Ein Wort oder ein Gedanke ist ein Symbol für ein Ding oder eine Beziehung. Ein Buch ist eine phantastische Masse aufeinandergetürmter Symbole. Diese Aufzählung kann 4

Vgl. Heisenberg , Das N a t u r b i l d der heutigen Physik, S. 29 f. Die folgenden — etwas überschlägigen — Ausführungen sollen demnächst i m Rahmen einer eingehenden rechtsanthropologischen Untersuchung ergänzt werden. 6 Bertalanffy , Biologische Sonderstellung des Menschen, S. 12. Siehe auch Scheler , Formalismus, S.172; besonders aber Gehlen, Der Mensch, S. 50 ff., 168 ff., 184 ff., 230 ff. 5

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

ad infinitum fortgesetzt werden. Das wichtigste, aber keineswegs einzige Symbolsystem des Menschen ist seine Sprache. Sprache i m weiterer Sinne, das heißt M i t t e l zur Verständigung zwischen Individuen einer A r t , gibt es schon i m Tierreich. Das Kennzeichen des Menschen aber ist seine symbolische Sprache". Indem der Mensch Symbole begreift, begreift er Freiheit. Denn Symbole sind frei geschaffene Zeichen; w i r können unsere Symbole beliebig wählen, ohne durch biologische Determinanten einem Zwang zu unterliegen. Weder anatomisch noch erblich ist festgelegt, welches Objekt w i r mit dem Wort Vater, Mutter, Haus, Urkunde, Beamter usf. belegen. — Aber auch das Begreifen i n sprachlichen Zeichen ist nicht angeboren, sondern w i r d durch Lernen und Tradition übermittelt. Auch es ist daher ein A k t der Freiheit, nicht naturhafter Determination. Infolgedessen gilt i m Bereich der symbolischen Sprache der Satz: „Allein die Freiheit kann Freiheit erkennen" 7! Dieser Satz gilt aber wiederum nicht nur i m Bereich der symbolischen Sprache; vielmehr läßt er sich auf die menschliche Freiheit ganz allgemein anwenden. Denn der nur begreifend zu fassende Symbolismus hat für das gesamte menschliche Dasein einschneidende Konsequenzen. Einmal ist der Mensch i m Gegensatz zu allen Tieren ein geschichtliches Wesen, d. h. ein Wesen, dessen Existenz nicht nur durch die stammes„geschichtliche" Entwicklung gebildet wird, sondern auch durch Geschichte als Tradition von Symbolen. Zum anderen ist der Mensch i m Gegensatz zu allen Tieren ein denkendes Wesen, d. h. ein Wesen, das, vor ein Problem gestellt, dieses durch Operation m i t gedanklichen Symbolen zu lösen versucht, nicht wie das Tier durch körperliche Operation. Schließlich ist der Mensch i m Gegensatz zum Tier ein zweckmäßig handelndes Wesen. Hören w i r hierzu wiederum Bertalanffy: „Zielstrebigkeit und Zweckmäßigkeit i n einem übertragenen Sinn, d. h. eine Regulierung des Geschehens i m Sinne der Erhaltung oder Wiederherstellung des lebenden Organismus, ist ein allgemeines Kennzeichen biologischer Vorgänge. Aber selbst bei den erstaunlichsten Leistungen des tierischen Instinkts oder der organischen Regulation haben w i r nicht nur keine Veranlassung, sondern die entschiedensten Gründe gegen die Annahme, daß diese Leistungen m i t einer Voraussicht des Zieles geführt werden. Diese echte Zweckmäßigkeit ist daran gebunden, daß das künftige Ziel i n der Vorstellung, i m Symbol vorweggenommen w i r d und die Handlung bestimmt" 8 . Das letzte Zitat hat uns bereits an den Begriff der frei gewählten Handlung als den zentralen personalen A k t herangeführt. Die freie 7 8

Abbagnano Bertalanffy,

i n Sinn u n d Sein, S. 521 (524). a.a.O., S. 15.

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Handlung läßt sich nicht heit begreifen. Denn da ihren Symbolcharakter diesen Symbolcharakter hier gilt daher der Satz,

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sinnlich wahrnehmen, sondern nur durch Freisie sich vor allen tierischen Leistungen durch auszeichnet, so muß sich die Erkenntnis auf beziehen und ihn zu begreifen suchen. Auch daß allein Freiheit die Freiheit erkennt.

Durch diesen Satz w i r d einerseits das Axiomatische, andererseits aber auch das wissenschaftlich Gebundene unseres Ausgangspunktes deutlich: Gibt es Freiheit — so können w i r sagen —, dann vermögen w i r auch, sie begreifend zu erkennen; gibt es hingegen keine Freiheit, dann fehlt uns auch jede Erkenntnismöglichkeit, dies festzustellen. Denn wie anders als ihr Nichtsein begreifend sollten w i r zu dem Ergebnis kommen, es gebe Freiheit nicht? Die Behauptung, es gebe keine Freiheit, ist also i n sich widersprüchlich, weil sie behauptet, etwas zu erkennen, was nach ihrem eigenen Ausgangspunkt unerkennbar ist. Als widersprüchlich ist sie aber unwissenschaftlich und daher abzulehnen. Die andere Behauptung hingegen, es gebe Freiheit, ist i n sich widerspruchsfrei, da sie nicht nur die Freiheit, sondern auch die Möglichkeit, Freiheit begreifend zu erkennen, behauptet. Sie ist daher wissenschaftlich haltbar, sofern sie sich ihres axiomatischen Ausgangspunktes bewußt bleibt. Axiomatisch ist die Behauptung nämlich insofern, als die Freiheit nicht anders als durch einen A k t der Freiheit bewiesen werden kann, da eben das begreifende Erkennen, welches allein Freiheit erfassen kann, selbst ein A k t dieser Freiheit ist. W i r sehen hierin indessen keinen grundlegenden Mangel; teilt doch die Freiheit dieses Axiomatische mit anderen grundlegenden Begriffen, wie etwa dem der Wahrheit: Der Satz „Es gibt keine Wahrheit" behauptet sich als wahr und ist damit widersprüchlich, während der Satz „Es gibt Wahrheit" zwar i n sich widerspruchsfrei, aber axiomatisch ist, da er seine eigene Wahrheit voraussetzt. Und daraus folgt letzthin, daß die Wahrheit der gesamten Wissenschaft nicht anders als axiomatisch zu begründen ist. — Es bleibt uns noch, die Konsequenzen unseres Standpunktes für das Strafrecht kurz zu skizzieren. Da sind zunächst abzulehnen sämtliche Meinungen, welche die Unfreiheit des Menschen mit mehr wissenschaftlicher Berechtigung glauben vertreten zu können als seine Freiheit: so die Auffassung Klugs, der „von der nicht verifizierbaren Annahme der Willensfreiheit" spricht und daraus für das Straf recht die Konsequenz zieht, daß „an die Stelle der Sühnetheorie die Schutzstrafentheorie zu treten" habe 9 ; oder die Auffassung Nowakowskis, der die Zweckstrafe m i t der Begründung 9 Klug , Zweck der Strafe, S. 108; ähnlich jüngst Schörcher i n ZStW 77, 240 ff. (gegen i h n Bockelmann i n ZStW 77, 253 ff.). Aus der Ablehnung dieser Ansicht ist n u n freilich nicht der umgekehrte Schluß zulässig, daß an die Stelle der Schutzstrafentheorie die Sühnetheorie zu treten habe.

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fordert, daß ein „wissenschaftlicher Beweis" über Willensfreiheit oder Willensunfreiheit nicht zu führen sei 10 , und damit das Begreifen von vornherein aus d&m Wissenschaftsbereich verbannt 1 1 . Gerechtfertigt erscheinen hingegen jene Ansichten, welche die Freiheit des Menschen axiomatisch i n den Mittelpunkt ihres Strafrechtssystems stellen, sei es i n der Anerkennung eines auf der Freiheit aufbauenden Handlungsbegriffes, sei es i n der Anerkennung der Schuld als Voraussetzung der Strafe. Dieser Standpunkt hat aber vor allem auch für das personale Unrecht zu gelten, dessen Personalität auf der menschlichen Freiheit und ihrem Symbolgehalt zu gründen ist, so daß personales Unrecht nur dort als gegeben angenommen werden kann, wo menschliche Freiheit i m Spiele ist. Die Untersuchung w i r d sich daher nunmehr der Frage zuwenden müssen, welches das Wesen und die Funktion der menschlichen Freiheit sind und wo menschliche Freiheit angetroffen werden kann. 2. Wesen und Funktion der menschlichen Freiheit

Das Wesen der menschlichen Freiheit fassen w i r i n zwei Grundthesen zusammen: 1. Freiheit ist negativ Unabhängigkeit von der kausalen Gesetzmäßigkeit der Natur; 2. Freiheit ist positiv die selbstschöpferische Entscheidung für eine bestimmte kausale Gesetzmäßigkeit der Natur. W i r begründen zunächst die erste These (unten a) und wenden uns sodann der zweiten These zu (unten b). a) Freiheit im negativen Sinne Wenn w i r die Freiheit negativ als Unabhängigkeit von der kausalen Gesetzmäßigkeit der Natur bestimmen wollen, müssen wir, u m dieser Bestimmung überhaupt einen greifbaren Inhalt zu geben, die Begriffe der K a u s a l i t ä t und der Gesetzmäßigkeit ( D e t e r m i n a t i o n ) klären. Hierbei geraten w i r allerdings sofort i n den Zirkel eines heftigen Streits, der sich — wenn auch i n unterschiedlicher Bedeutung — sowohl auf die Naturphilosophie als auch auf die Jurisprudenz erstreckt, aber, wie i m einzelnen gezeigt werden soll, i m wesentlichen terminologische Bedeutung hat. Eine erste Frage: „Gibt es überhaupt Kausalität?", die i n der Naturphilosophie die Gemüter erregt, ist i m Recht i n der Regel 12 ohne Be10

Nowakowski, i n Rittler-Festschrift, S. 61 ff. Vorsichtiger Engisch, Lehre von der Willensfreiheit, S. 54 ff., welcher für den Gedanken der Charakterschuld auf deterministischer Grundlage eintritt. Darüber unten S. 174 f. bei der Behandlung des Charakters. 12 Vgl. aber H. Mayer, A l l g . T., S. 230 f., 318. 11

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deutung, w e i l das Recht, insbesondere das Strafrecht, grundsätzlich m i t außenweltlichen Vorgängen, die dem makrophysikalischen Räume angehören, zu t u n hat, der genannte Streit sich aber hauptsächlich auf Vorgänge der Mikrophysik bezieht. I n der Mikrophysik (und wohl auch i n der Mikrobiologie) bestehen lediglich statistische Gesetzmäßigkeiten, die ein Normalverhalten bestimmen, ohne eine (nicht nur wahrscheinliche 13 ) Individualvorhersage 14 zu gestatten. Wegen der deshalb geltenden — bereits oben erörterten — Unschärferelationen ist das Verhalten bestimmter Partikel grundsätzlich nicht vorherbestimmbar; und deshalb, so folgert man, sei es auch nicht kausal 15 . Diese Folgerung wäre nur dann richtig, wenn die Kausalität ihrem Bestehen nach von der Vorhersagbarkeit eines bestimmten Ereignisses abhinge. Denn nur dann könnten alle nicht vorhersagbaren Vorgänge als akausal bezeichnet werden. Indessen ist diese Abhängigkeit nicht zwingend und schon darum eine terminologische Trennung von Kausalität und Vorhersagbarkeit empfehlenswert, weil Vorgänge nicht nur vorhergesagt, sondern auch i n ihrer Abhängigkeit voneinander festgestellt werden müssen. I n diesem letzten Sinne kann selbst die Quantenphysik des Kausalbegriffes nicht entraten. So bemerkte etwa schon May mit Recht, „daß die Quantenmechanik keineswegs, wie man so oft behauptet, die »Ungültigkeit' des Kausalgesetzes beweist, sondern daß sie vielmehr die Gültigkeit des durchgängigen Kausalzusammenhanges, und zwar nach dem Schema der mechanischen Kausalität, postulatorisch voraussetzt, u m überhaupt den Grund und Boden für ihren Beweis zu gewinnen. Denn Kausalität bedeutet, daß sich das Denken verpflichtet fühlt, zu jedem Gewordenen oder Werden einen Werdegrund zu suchen" 16 . W i r d i n dieser Begründung noch Kausalität als Verpflichtung des Denkens aufgefaßt, so stellt eine andere Auffassung mehr auf die ontische Bedeutung der Kausalität ab. Ernst Zimmer nämlich bemerkt: „Man darf nicht den Zwang, den w i r empfinden, eine ursächliche Bedingtheit alles Naturgeschehens annehmen zu müssen, verwechseln m i t der Möglichkeit, Naturvorgänge genau voraussagen zu können. Diese Vermengung findet man auch bei dem Begriffe ,Determinismus'. Auch er w i r d i n doppelter Bedeutung gebraucht, als kausale Bestimmtheit und als Vorausberechenbarkeit" 17 . Dieser selbe Gedanke — Kausalität bzw. kausale Bestimmtheit sei als Grundlage allen Naturgeschehens unabhängig von der Möglichkeit ihrer Erkenntnis — findet sich auch bei J. E. Heyde, der das Verhältnis von Kausalität und Vor13 Uber den Zusammenhang zwischen Wahrscheinlichkeit u n d Analogie vgl. Gutberiet , Willensfreiheit, S. 9. 14 Siehe dazu Abbagnano, Wissenschaft und Freiheit, S. 525 ff. 15 Vgl. dazu Kelsen , Vergeltung u n d Kausalität, S. 267 ff. 16 May , Bedeutung d. mod. Physik f. d. Theorie der Erkenntnis, S. 80 ff. 17 Zimmer , Umsturz i m W e l t b i l d der Physik, S. 322.

Ii*

Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

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aussagbarkeit des kausalen Verlaufs richtig als das von Grund und Folge bezeichnet: „ A u f der Kausalität beruht die Möglichkeit der Voraussage" 18 . Hier überall erscheint die Kausalität als eine ontologische Kategorie, die erkannt, u. U. aber auch nicht erkannt werden kann. Führt man diese Unterscheidung terminologisch konsequent durch, dürfte der naturwissenschaftlichen Problematik die Schärfe genommen sein. Aber noch eine weitere Unterscheidung w i r d notwendig. Sie klingt an i n der zitierten Äußerung Mays, welche die Kausalität m i t dem Werdegrund alles Gewordenen i n Beziehung bringt und sie damit von der Notwendigkeit dieses Werdens, das die Möglichkeit der Voraussage eröffnet, trennt. Sie ist hingegen wieder verborgen i n den zitierten Äußerungen Zimmers und Heydes. Gemeint ist die Unterscheidung zwischen Kausalität und Determination. Es ist nämlich keineswegs so, daß jede „Kausalität begrifflich nezessitierende Kausalität" sei, wie Hellmuth Mayer meint 1 9 . Schon Kants Definition der Kausalität als „Verknüpfung eines Zustandes m i t dem anderen i n der Sinnenwelt, worauf jener nach einer Regel folgt" 2 0 , nennt i n jedem der beiden Halbsätze ein besonderes Prinzip, welches mit dem anderen nicht zusammen bestehen muß. Das erste Prinzip ist die „Verknüpfung eines Zustandes m i t dem anderen i n der Sinnenwelt", die Kausalität i. S. eines Kausalprinzips, „daß jedes Geschehen eine Ursache haben" muß 2 1 ; mit ihm ist das andere Prinzip, das Kausalgesetz, d. i. die Regelhaftigkeit der Verknüpfung, weder denknotwendig noch, wie aus den Beobachtungen i m mikrophysikalischen Bereich u. U. geschlossen werden kann, seinsnotwendig verbunden. Die Determination, welche der Regelhaftigkeit des kausalen Ablaufs zugrunde liegt, t r i t t vielmehr zum Kausalzusammenhang hinzu als ein nicht die Ursächlichkeit allen Geschehens, sondern dessen Regelhaftigkeit betreffendes Prinzip. Diese Auffassung, daß die Kausalität von der Notwendigkeit (genauer: Determination) zu trennen sei, ist i n neuerer Zeit vor allem von Constantin Gutberiet 2 2 u n d W i l h e l m Heuer 2 3 vertreten worden. I h r e Begründungen zeigen jedoch Schwächen. Heuer wendet sich zwar m i t dem zutreffenden Argument gegen den I n determinismus, daß er eine echte Alternative zum Determinismus d a r u m nicht sei, w e i l es ursachloses Geschehen nicht geben könne. „Diese Ansicht w i d e r streitet dem gesunden Menschenverstand ebensosehr w i e der Fatalismus. W i r meinen nun, daß die Lehre von der kausalen Bedingtheit f ü r sich allein m i t der Willensfreiheit durchaus verträglich ist. Erst i n Verbindung m i t der A u f 18 19 20 21 22 23

Hey de, E n t w e r t u n g der Kausalität?, S. 54. H. Mayer i n Rittler-Festschrift, S. 257. Kant, K r i t i k der reinen Vernunft, S. 560. Hessen, Kausalprinzip, S. 18. Gutberiet, Willensfreiheit u n d ihre Gegner (2. Aufl., 1907). Heuer, Kausalität u n d Willensfreiheit (1924).

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fassung, die Kausalbeziehung sei eine ,notwendige* Beziehung, w i r d sie der Willensfreiheit verhängnisvoll u n d f ü h r t zum Fatalismus 2 4 ." Heuers eigene Erwägungen scheinen aber nicht dazu angetan, nicht-notwendige Ursachen aufzuzeigen. Entgegen der Ansicht Heuers setzt die Notwendigkeit nämlich nicht erst dann ein, „ w e n n ein Mensch daran geht, sich eine Vorstellung zu bilden von der kausalen Bedingtheit"; auch k n ü p f t sich nicht „ n u r an das vorgestellte Kausalverhältnis die Empfindung der Notwendigkeit, nicht aber an das wirkliche Kausal Verhältnis" 25 . Vielmehr hat die Notwendigkeit eines kausalen Geschehens i n der Realität ihren (realen!) Grund u n d w i r d dort von uns vorgefunden 2 6 . Zutreffender unterscheidet demgegenüber Gutberiet 27 notwendige u n d freie Ursachen 28 . Z w a r lehre die äußere Erfahrung, daß i n der physischen Welt die materiellen Ursachen ihre Wirkungen m i t Notwendigkeit hervorbringen. Aber ebenso deutlich lehre uns die innere Erfahrung, daß es andere Ursachen gibt, die ihre Wirkungen ohne Nötigung setzen 29 . Diese Ansicht erscheint lediglich insofern angreifbar, als sie den Gegensatz zur Notwendigkeit i n der Freiheit zu finden wähnt, obwohl Freiheit gerade darum i n der N o t wendigkeit bestehen kann, w e i l sie eben nicht i h r Gegensatz ist. Das ist bereits von Nicolai H a r t m a n n ausführlich begründet worden 3 0 u n d soll d a r u m hier nicht wiederholt werden. Zurückzuweisen ist hingegen die an den Ausführungen Heuers u n d G u t berlets geübte weitergehende K r i t i k Johannes Hessens 31 . V o n der richtigen Voraussetzung ausgehend, daß „ein Vorgang doch n u r dann kausal bedingt ist, wenn alle Bedingungen, die für sein Dasein erforderlich sind, vorhanden sind" 3 2 , folgert er i m Gegensatz zu den genannten Autoren ohne weiteres: „Dann aber muß der Vorgang eintreten, ist sein Dasein notwendig. D a r u m (!) besagt kausale Bedingtheit immer u n d überall Notwendigkeit 32." Wäre das richtig, dann müßte Hessen auch jene Konsequenzen ziehen, die Nicolai H a r t m a n n gezogen hat: daß alles (ontologisch) Mögliche auch (ontologisch) notwendig sei 33 . Die Möglichkeit (ontologisch) auf die Teilmöglichkeit zu beschränken, wie Hessen es w i l l 3 4 , ist durchaus verfehlt; denn wenn auch n u r eine (Teil-)Bedingung zum Wirklichwerden fehlt, dann ist die Sache nicht mehr möglich, sondern unmöglich 3 5 . Da Hessen aber die Konsequenzen Hartmanns ablehnt 3 6 , entzieht er seiner eigenen K r i t i k den Boden.

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Heuer, a.a.O., S. 5. I n ganz entsprechender Richtung gehen neuestens auch die Überlegungen v o n A . J. Ayer (Freiheit u n d Notwendigkeit, i n : Sinn u n d Sein, S. 509 [515]). 25 Heuer , a.a.O., S. 142. 26 Heuers Ergebnisse haben i h r e n G r u n d i n seiner Auffassung von der K a u salität als Deutungsvorgang (vgl. dazu Heuer , Wesen der Kausalität [durchgehend]). A u f diese Auffassung i n ihrer Gesamtheit k a n n hier nicht eingegangen werden. 27 Gutberiet , a.a.O., S. 368. 28 Vgl. auch Aristoteles , Met. I X 5. 29 Gutberiet, a.a.O., S. 11, 31 ff. 30 Hartmann, E t h i k , S. 654 ff. 31 Hessen, Kausalprinzip, S. 254 ff. 32 Hessen, a.a.O., S. 257. 33 Hartmann, Möglichkeit u n d Wirklichkeit, S. 163. 34 Hessen, a.a.O., S. 259. 35 Zutreffend hier Hartmann, Möglichkeit u n d Wirklichkeit, S. 167 f. A n m . 1. 36 Hessen, a.a.O., S. 257 ff.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

W i r haben demnach zu unterscheiden: 1. die Kausalität, d. h. die Folge von Ursache und Wirkung; 2. die Determination, d. h. der zwingende Ablauf einer Kausalreihe; 3. die Erkenntnis der Kausalität (Grund-Folge-Verhältnis 37 ); 4. die Erkenntnis der Determination (Gesetzmäßigkeit 38 ). Kausalität und Determination, auf die es i n diesem Zusammenhang allein ankommt, sind rationes essendi, Grund-FolgeVerhältnis und Gesetzmäßigkeit sind rationes cognoscendi. Bevor w i r diese Unterscheidungen für das Verhältnis der Freiheit zu Kausalität und Determination auswerten, müssen w i r noch auf die für die Jurisprudenz 39 wichtige Abgrenzung des Kausalzusammenhanges von jenem logischen Zusammenhang eingehen, der i n der Conditio-sinequa-non-Formel zum Ausdruck kommt. I n ihrer bekannten Formulierung, eine Handlung sei dann „kausal", wenn sie nicht hinweggedacht werden könne, ohne daß der konkrete Erfolg entfiele, enthält sie keine Aussage über die Realität, sondern nur über die Erkenntnis der Realität; denn nicht etwas Reales, sondern nur etwas Gedachtes, etwa das Wahrsein einer Erkenntnis, kann „hinweggedacht" werden. Hat also der A den B erschossen, so kann das Verhalten des A als Realität durch keine Denkbemühung ungeschehen gemacht werden. Hinweggedacht werden kann hingegen das Wahrsein der Erkenntnis vom Verhalten des A. Geschieht dies, so ergibt sich die Erkenntnis: A hat nicht geschossen, und m i t der Wahrheit dieser Erkenntnis entfällt zwar nicht der Tod des B — auch er kann durch keine Denkoperation aufgehoben werden —, wohl aber die Wahrheit der Erkenntnis: B ist gestorben. Daraus ergibt sich genauer dann die Formel, daß die Wahrheit der Erkenntnis, A habe geschossen, nicht hinweggedacht werden könne, ohne daß die Wahrheit der Erkenntnis, B sei gestorben, entfiele. Freilich: „Die Conditio-sine-qua-non-Formel hilft einem keinen Schritt weiter, wenn man nicht schon weiß, ob das Verhalten V für einen Erfolg E kausal ist oder nicht, denn nur wenn man das weiß, kann man die Frage beantworten, ob ohne V E entfallen wäre" 4 0 . Insofern besteht zwischen dem Kausalzusammenhang und der Conditio-sine-qua-non-Formel ein ähnliches Grund-Folge-Verhältnis wie zwischen Kausalität und Vorhersagbarkeit, und es sieht so aus, als fehle der Conditio-sine-qua-nonFormel i m Grunde jede Existenzberechtigung. Indessen bleibt zweifelhaft, ob dieser Schein nicht trügt: ist doch die Bedingungstheorie ge37 Vgl. dazu insbesondere auch Gass, Ursache, Grund, Bedingung, S. 15 ff.: G r u n d u n d Folge sind Denkgegenstände. 38 Zutreffend wiederum Gass, a.a.O., S. 21: „Der Erzeuger der Naturgesetze, welche i n keinem Falle den Vorgängen der realen W i r k l i c h k e i t anhaften, ist i m m e r der die Erfahrungsinhalte verarbeitende u n d ordnende Verstand." 39 Z u m Folgenden vgl. insbesondere Engisch, Kausalität S. 15 ff., u n d W e l t b i l d S. 129 ff. 40 A r t h u r Kaufmann i n Schmidt-Festschrift, S. 210.

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eignet, den Zusammenhang zwischen bestimmten rechtserheblichen Bedingungsgliedern herauszuarbeiten, etwa zwischen der Fahrlässigkeit des A und dem Tode des B 4 1 . Das kann hier allerdings zunächst noch nicht näher begründet werden; an späterer Stelle werden w i r ausführlicher darauf eingehen 42 . Festzuhalten bleibt jetzt nur, daß Kausalität i m Unterschied zum Bedingungszusammenhang eine ontologische Modalität ist: die Einheit von Ursachen und Wirkungen i m Rahmen eines zeitlichen Geschehens. — Nachdem w i r die Begriffe der Kausalität und der Determination geklärt und gegen verwandte Erscheinungen, m i t denen sie verwechselt werden können und verwechselt wurden, abgegrenzt haben, wenden w i r uns dem Verhältnis zu, i n dem die Freiheit zu Kausalität und zu Determination steht. W i r sagten, Freiheit bedeute (negativ) Unabhängigkeit von der kausalen Gesetzmäßigkeit der Natur, und können diese Aussage nunmehr dahin präzisieren, daß Freiheit Indétermination , nicht aber Akausalität, bedeutet. W i r sind auf dieses Ergebnis i m Laufe unserer Untersuchung schon einmal gestoßen, und zwar als w i r die Besonderheiten der menschlichen Triebe gegenüber den tierischen hervorhoben. Gerade durch die A r t und das Wirken seiner Triebe, so sagten w i r damals, ist der Mensch ein auf Entscheidung angelegtes Individuum. Nunmehr können w i r diese Aussage dahin ergänzen, daß die menschlichen Triebe zwar eine kausierende, nicht aber eine determinierende Wirkung haben. Die Notwendigkeit der menschlichen Handlung hat m. a. W. nicht i n den Antriebsgesetzen, sondern i m Menschen selbst ihre Grundlage. Daraus folgt mehreres: 1. Alle Lehren, welche aus der Kausalität der inneren menschlichen Vorgänge für das äußere Verhalten auf die Determination des äußeren Verhaltens schließen wollen, sind abzulehnen; denn sie machen sich der gerügten Verwechslung zwischen Kausalprinzip und kausaler Gesetzlichkeit (Determination) schuldig. Nur als Beispiel diene uns die Lehre des bedeutendsten Deterministen unter den Strafrechtlern der neueren Zeit, die Lehre Franz von Liszts, die zwar den Gegensatz zwischen der deterministischen und der indeterministischen „Weltanschauung" für strafrechtlich ohne Bedeutung hält 4 3 , gleichwohl aber nur dem Determinismus Lebensrecht innerhalb der Strafrechtswissenschaft zuerkennt 4 4 . Denn nach seiner Ansicht bedeutet der das Straf recht „allein 41

Vgl. dazu B G H S t 11, 1 ff. 42 Siehe unten S. 219 ff. 43 v. Liszt, Lehrbuch (10. Aufl.), S. 69; siehe auch schon 1. Aufl. S. 4: das Strafrecht sei „dem Streit über die menschliche Willensfreiheit entrückt", u n d noch 25. Aufl. (Eb. Schmidt), S. 29 f. 44 Auch Engisch versucht neuestens noch einmal i n einer gründlichen Studie, ein Strafrecht ohne Willensfreiheit zu begründen (Lehre von der Willensfreiheit, S. 42 ff.).

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

berührende wissenschaftliche Determinismus die unanfechtbare Anwendung des Satzes vom zureichenden Grunde auf die menschlichen Handlungen, soweit diese der Welt der Erscheinungen angehören". Alles menschliche Handeln sei „psychisch hausiert, also (!) durch Vorstellungen bestimmt, determiniert, motiviert". Daß hier Kausalität und Determination gleichgesetzt sind, ist offensichtlich. 2. Der Mangel an Determination bedeutet für den Menschen nicht eine motivische (kausale) Leere, sondern eine weitgehende I n d i f f e r e n z gegenüber allen Motiven. Vergegenwärtigen w i r uns nochmals, was w i r als Grundlagen der Person aufzeigten: daß der Mensch auf die vielfältigste Weise affektiv und noetisch motiviert wird. Von Triebfedern getrieben, von Beweggründen bewegt, strebt er nach Erfolgen und beabsichtigt er, Erfolge herbeizuführen. A l l diese Erfolge sind Inhalt seines Sehnens und Trachtens, aber — und hierin liegt das Entscheidende — all diese Erfolge sind darum noch nicht von vornherein Inhalt der Person selbst, Inhalt des ihr eigenen Wollens, dessen also, wofür sie sich einsetzt. Die Person steht vielmehr aller inhaltlichen Motivation frei gegenüber, sie besitzt gegenüber ihren psychischen und physischen Grundlagen einen formalen Abstand, der sie befähigt, zu ihren Motiven Stellung zu nehmen, Haltung zu bewahren. Hierin, i n der H a l t u n g des Selbst zu sich wie auch zur Außenwelt, zeigt sich die Indifferenz der Freiheit am klarsten. Das Subjekt stellt sich seinen Motiven als freie Person, es steht zu 45 ihnen als Person. Dabei läßt sich noch i m einzelnen unterscheiden: a) Haltung gegenüber affektiven Vorgängen ist ein Stehen zu sich — ein Sich-Absetzen von bestimmten Drängen 46 des Inneren. Der Eigensucht gegenüber etwa bewahrt das Selbst Haltung, indem es sich ihr stellt, der Eifersucht hingegen nicht, weil sie übermächtig wurde. Oder konkreter: Dem Streben nach dem Besitz eines wertvollen Kunstwerks vermag der Sammelwütige nicht die Disposition des Selbst entgegenzusetzen, dem Streben nach einer guten Mahlzeit hingegen hält er stand. — b) Haltung gegenüber subjektiv-geistigen Vorgängen ist ein Stehen zur Außenwelt, auf welche diese Vorgänge sich beziehen. Wie ich etwa zum A l k o holismus stehe, ergibt sich aus meiner Stellungnahme zu den Vorstellungen, die ich vom Alkoholkonsum habe. Für mein Verhältnis zur Bereicherung aus fremdem Vermögen ist meine Haltung gegenüber dem Beweggrund maßgeblich, Vorgänge der Außenwelt auf dieses Ziel h i n zu lenken. Und was ich schließlich von der Selbstverteidigung halte, 45 Vgl. Allport, Persönlichkeit, S. 295 f. Eine wesentliche Folge dieser H a l tung ist die „ H e m m b a r k e i t " u n d „Verschiebbarkeit" der Antriebe u n d H a n d lungsimpulse (Gehlen, a.a.O., S. 55). 46 Daß diese Dränge zunächst einmal bewußtseinsgegenwärtig sein müssen (Gehlen f a.a.O., S. 55 f.), versteht sich dabei von selbst.

e der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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zeigt sich darin, wie ich entsprechend oder entgegen meiner Absicht , den Angreifer niederzuschießen, disponiere. 3. Aus all dem ergibt sich schließlich noch eines: daß das Bewahren der Haltung, daß die Indifferenz der Person gegenüber ihren Antrieben und Beweggründen, Voraussetzung ist für alles sittliche Handeln. Wo das Subjekt sich als haltlos erweist, wo es keinen Halt i m eigenen Selbst zu finden vermag, ist Verantwortlichkeit ausgeschlossen. Haltlosigkeit (Willenlosigkeit) ist hierbei nicht i m Sinne einer Psychopathie zu verstehen, einer charakterologischen Spielart also 47 , sondern als Ausschluß einer Willenshaltung i m konkreten Falle, worunter auch der Verlust der Selbstbeherrschung fällt, die Fähigkeit also, „sich gegen seine pathischen Erlebnisse zu distanzieren und sie unter die Regie des Willens zu stellen, und zwar ausgerichtet auf ein Vorbild und Ziel der Persönlichkeitsgestaltung" 48 . Dies w i r d uns als für das Strafrecht wichtigstes Ergebnis i m einzelnen noch beschäftigen. b) Freiheit im positiven Sinne Die Freiheit i m positiven Sinne deuteten w i r als selbstschöpferische Entscheidung für eine bestimmte kausale Gesetzmäßigkeit der Natur. Zur Begründung dieser Deutung müssen w i r einen Umweg beschreiten. Die Indifferenz der Person gegenüber ihren naturhaften physischen und psychischen Grundlagen ist zwar keine Leere, kann jedoch nichts anderes als Leere hervorbringen. Denn wenn alle psychischen Motive nur Möglichkeiten für mich sind, so zu sein, wie es mich treibt oder bewegt, so vermag keine dieser Möglichkeiten, Wirklichkeit zu werden und mich i n meiner Entscheidung zu bestimmen. Bedarf doch jede Entscheidung eines Inhalts, dem ich nicht indifferent gegenüber stehe, der also für mich entscheidend sein kann. Ein solches Motiv kann es aber gerade wegen meiner Indifferenz gegenüber allen Motiven nicht geben. Hier liegt ein Dilemma vor, das dem Indeterminismus stets und m i t Recht zum Vorwurf gemacht wurde 4 9 . Denn der Indeterminismus vermag nicht anzugeben, wieso es überhaupt zu einer Entscheidung i m menschlichen Leben kommen kann. Zwar w i r d von seinen Anhängern nicht etwa behauptet, der Inhalt des freien Willensentschlusses entstünde ursachlos; die volle Motiviertheit eines jeden personalen Aktes w i r d sehr wohl anerkannt. Doch setzt der Indeterminismus an die Stelle der von i h m i m Gegensatz zum Determinismus geleugneten Notwendigkeit des ursächlichen Geschehens keine neue Bestimmung, welche er47 48 49

Z u i h r Langelüddeke, Gerichtliche Psychiatrie, S. 391 f. Lersch , a.a.O., S. 521. Vgl. zum Folgenden auch Welzel, Dtsch. Strafr., S. 128.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

klärt, wieso aus der Möglichkeit der Motivation die Wirklichkeit des Aktes hervorging, so daß schließlich jeder A k t der Freiheit als zufällig erscheint 50 . Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet, wie w i r schon sahen, nicht der Determinismus, dem alle A k t e wiederum als notwendig erscheinen, sondern ein Rückgang auf das der Person eigentümliche Vermögen des Selbstschöpferischen. Überlegen w i r folgendes: Einerseits kann ich mich nur dazu bestimmen, wozu ich ein Motiv i n m i r verspüre (Kausalprinzip). Andererseits aber sind sämtliche Motive i n m i r nicht bestimmender Natur, weil ich als ein Freier allen Motiven gegenüber indifferent bin (Indétermination). Folglich muß ich selbst den Grund dafür abgeben, daß jene Gründe, die ich als Motive i n m i r vorfinde, für mich zu bestimmenden Gründen werden. Das bedeutet aber: Die Freiheit bestimmt sich durch die Gründe, die sie sich selbst als Gründe setzt. Oder, m i t anderen Worten: S e l b s t s e i n ist vom Selbst gesetztes Sein. Zweierlei kommt hierin zum Ausdruck: Einmal daß alles personale Sein (Selbstsein) gesetztes Sein ist, zum anderen, daß die Setzung keine andere Grundlage, keine andere Begründung hat als die des Selbst. Versuchen w i r , uns beides zu veranschaulichen. W i r gehen zu diesem Zweck auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zurück, die w i r bereits mehrfach erwähnt haben und die w i r noch einmal kurz wiederholen: I h r Sachverhalt war der, daß der Angeklagte (A) seine Freundin (F) aus „hemmungsloser Eifersucht" getötet hatte, „weil, wenn er sie nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle" 5 1 . Nach unseren bisherigen Untersuchungen können w i r diesen Sachverhalt dahingehend analysieren, daß die Triebfeder des A Eifersucht, sein Beweggrund der war, daß, „wenn er sie (die F) nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle", daß seine Absicht dahin ging, die F zu töten, und schließlich daß er diese Absicht ausgeführt hat. Damit ist das reale Geschehen sowohl i n physischer als auch i n psychischer Hinsicht vollständig beschrieben. Noch nicht aber ist jener Sachverhalt aufgezeigt, der die Verantwortlichkeit des A für seine Tat begründen könnte. W i r wissen lediglich, daß für diese Verantwortlichkeit die Freiheit des A seinen Antrieben und Beweggründen gegenüber erforderlich ist und daß die Freiheit sich negativ i n der Haltung äußert, die der A einnimmt. Unterstellen w i r einmal, daß es dem A i m vorliegenden Falle möglich war, seiner Eifersucht gegenüber Haltung einzunehmen, daß also seine Eifersucht nicht nur „hemmungslos" ( = ungehemmt), son00 Übereinstimmend M. E. Mayer, Lehrbuch, S. 497 f. A n m . 42: f ü r den I n determinismus sind alle Taten i m gleichen Maße zufällig, f ü r den Determinismus i m gleichen Maße notwendig. Auch Heinitz i n ZStW 63, 57 (64) u n d Bockelmann i n ZStW 77, 253 (253 f.). 51 BGHSt 3, 180 ff.

e der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

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dern auch „hemmbar" 5 2 war — dann ergibt sich für uns die Frage, wie es bei A denn m i t der Freiheit i m positiven Sinne bestellt war: w o r i n sich das sog. „Selbstsein " des A zeigte? Die einzig mögliche A n t w o r t auf diese Frage lautet: Das „Selbstsein" des A zeigte sich darin, daß er sich seine Eifersucht als Triebfeder und die Vorstellung, daß, „wenn er sie (die F) nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle", als Beweggrund seines Handelns gesetzt hatte. Er handelte nicht nur getrieben und bewegt, sondern w e i l er sich dafür einsetzte , daß dies, wozu es i h n trieb und bewegte, geschehe. I m S i c h - E i n s e t z e n für eine affektive und noetische Motivation lag also das Selbstsein des A. Grund für diesen Einsatz des A kann nichts anderes sein als der A selbst, das also, was der A als zugrundegesetzt ist — kurz sein Charakter . Hätte A nicht gerade diesen Charakter gehabt und i m konkreten Falle zugrundegesetzt, so hätte er sich nicht für gerade diese Motivation seines Inneren eingesetzt. Aber nicht nur gleichsam von hinten w i r d der A durch seinen Charakter begründet, sondern auch nach vorn kann der A keinen anderen Zweck frei verfolgen als den seiner selbst, indem er nämlich sich selbst i n dem Tode der F vorsetzte. Tötete er also die F, so verwirklichte er nicht nur deren Tötung, sondern auch zugleich sich selbst: nicht nur das, wofür er sich einsetzte, sondern auch seinen eigenen Einsatz: sich selbst in seinem Werk . Damit können w i r wie folgt formulieren: Die Positivität, das Selbstschöpferische der Freiheit liegt i m Sich-Einsetzen für eine (naturhaft motivierte) Tat. Ich setze mich aber ein, indem ich mich — mein Ich — als Grundlage meiner Entscheidung setze: ich setze mich zugrunde . Ein anderer Grundsatz wäre kein Grundsatz der Freiheit, sondern der determinierten Kausalität, keine Setzung des Selbst, sondern eines Außerselbst, wodurch Ich physisch, psychisch oder geistig bedingt würde. Ich setze mich aber auch dadurch ein, daß ich mich m i r selbst als Zweck vorsetzte . Ein anderer Zweck wäre wiederum kein solcher der Freiheit, sondern determinierter Zweck. Selbstsein ist also das Sein meiner Selbst gesetzt durch mich und in Richtung auf mich. Nunmehr w i r d die Richtigkeit jener Behauptung deutlich, die w i r i n unserer kritischen Betrachtung der bisherigen Unrechtslehren aufstellten, seinerzeit aber nur unvollkommen begründen konnten: daß die reale Gestaltung der Umwelt als naturhaftes Geschehen ohne sittliche Bedeutung, daß sie Realität ohne sittlichen Wertcharakter sei 53 . Der werthafte A k t , so sehen w i r jetzt, liegt i n der Tat außerhalb der psy52 Vgl. oben S. 168 A n m . 45. 53 Siehe oben S. 81.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

cho-physischen Realität der Person, er liegt i m naturwissenschaftlich unerkennbaren und nur begreifbaren Selbstsein der Person, das zwar auf der Realität aufbaut und sich auf Realität bezieht, selbst aber an der Realität keinen Anteil hat. Welzel — so sahen w i r — faßt diesen metaphysischen (da über das Physische hinausgehenden) Tatbestand durch das Zweck„bewußtsein". Das erscheint zu eng, da das Bewußtsein allein den einzelnen A k t personal nicht zu begründen vermag. Richtig aber ist von unserem Standpunkt aus, daß Welzel i n dem „Bewußtsein" einen Tatbestand anspricht, der über die bloß naturhafte Zweckmäßigkeit hinausgeht, sich auf sie bezieht und dadurch dem Geschehen den werthaften Charakter verleiht. Welche Konsequenzen sich hieraus ergeben, w i r d noch zu erörtern sein. W i r müssen uns nunmehr zunächst dem Inhalt der Person und dam i t also dem Inhalt ihrer Freiheit, ihren positiven Mitteln der Lebensplanung und Lebensgestaltung i m einzelnen zuwenden. W i r kommen zu diesem Zweck auf jene Einteilung zurück, die w i r i m psychovitalen und i m psycho-noetischen Bereich zugrundelegten, stellen diese Einteilung aber jetzt i n Beziehung zu derjenigen, welche sich aus unseren bisherigen Ausführungen für den inhaltlich-personalen Bereich schon ergab: der Einteilung i n Grundsetzungen, Einsetzungen und Vorsetzungen. W i r gelangen damit zu folgendem Einteilungsschema:

Vorstellungen

Beweggründe

Absichten

Grundsetzungen

Einsetzungen

Vorsetzungen

Gefühle

Triebfedern

Strebungen

psycho-noetischer Bereich personaler Bereich psycho-vitaler Bereich

aa) Die Grundsetzungen (Grundsätze) Die Grundsetzungen sind Maximen des menschlichen Handelns. Sie sind schwach individuiert und können daher auch als abstrakt bezeichnet werden 5 4 . Die Gesamtheit der Grundsätze bildet den Charakter des Menschen. Der Begriff des Charakters ist dabei als formal werthaft zu bestimmen. Das bedeutet, daß auch der charakterlich Schlechte, den man i n der Alltagssprache gern als charakterlos bezeichnet, einen Charakter besitzt und daß wahrhaft charakterlos nur derjenige ist, der seinem Handeln 54

Remplein,

Psychologie der Persönlichkeit, S. 272,

e der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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ü b e r h a u p t k e i n e ethischen M a x i m e n z u g r u n d e legt, s o n d e r n sich — „haltlos" — d u r c h d i e N e i g u n g des A u g e n b l i c k s b e s t i m m e n l ä ß t 5 5 . W i r g r e n z e n d e n C h a r a k t e r z u r p s y c h o - v i t a l e n Seite d a h i n g e h e n d ab, daß er n i c h t s e l b s t ä n d i g T r i e b f e d e r n e n t w i c k e l t , s o n d e r n daß er u n t e r d e n b e stehenden T r i e b f e d e r n eine r e g u l a t o r i s c h e F u n k t i o n ausübt. W i r g r e n zen f e r n e r d e n C h a r a k t e r nach d e r psycho-noetischen Seite d a h i n g e h e n d ab, daß er d i e Z i e l e des H a n d e l n s n i c h t r a t i o n a l v o r s c h r e i b t , sondern n u r Bestimmungsgründe f ü r die A u s w a h l der Ziele zur V e r f ü g u n g stellt. M i t dieser Abgrenzung stehen w i r der Dreiteilung nahe, die K u r t Schneider i n seiner Monographie über die „psychopathischen Persönlichkeiten" gibt. Er nennt Persönlichkeit i. S. von Charakter das Ganze des seelischen Fühlens u n d Wertens, Strebens u n d Wollens, bezieht also ausdrücklich den Gesichtspunkt des Wertens i n den Charakterbegriff ein. V o m Charakter hebt er sodann die Intelligenz als das Ganze der Verstandesanlagen ab und u n t e r scheidet von beiden (Charakter u n d Intelligenz) das vitale Gefühls- u n d T r i e b leben 5 8 . Auch Messer sieht wenigstens den Kern unseres Charakters i n den „Angelegtheiten (Dispositionen) unseres Fühlens u n d Wollens, die w i r W e r tungen nennen" 5 7 , f ü h r t aber den Charakterbegriff insgesamt zu w e i t i n die noetische u n d vitale Sphäre hinein, wenn er i h n durch die „Einheit der Richtungsdispositionen" kennzeichnet 5 8 . Auch die von Schneider m i t Recht ausgeschiedenen Triebstrebungen ermangeln nämlich nicht der Gerichtetheit; sie schöpfen diese aber keineswegs aus dem Charakter. Charakterlich begründet sind Richtungspositionen vielmehr nur, soweit sie formal werthaft orientiert sind. Umgekehrt bezeichnet Heiss als Charakter einen „innersten K e r n der Persönlichkeit, ein lebendiges Zentrum, aus dem sich das Wesen eines M e n schen entfaltet" 5 9 . So wenig aber n u r der K e r n des Charakters der Person zugehört, so wenig gehört n u r der K e r n der Person zum Charakter! Charakter ist vielmehr die Gesamtheit der Person als formal werthafter Wille60?61. Daraus folgt: ss Siehe aber auch unten S. 188ff.: Freiheit als Aufgabe. K . Schneider, Psychopathische Persönlichkeiten, S. 1. Messer, Psychologie, S. 30. 58 Messer, a.a.O., S. 31. 59 Heiss, Lehre v o m Charakter, S. 17. Ähnlich auch Wellek, Ganzheitspsychologie u n d Strukturtheorie, S. 83: Charakter sei „ n u r eine Sphäre, nämlich die kernhafte, der Persönlichkeit, aus der heraus der Mensch verantwortlich handelt u n d wertet". 60 Vgl. dazu auch Remplein, a.a.O., S. 135: „ F ü r das Handeln des M e n schen . . . ist das Moment der Verantwortlichkeit spezifisch. Das heißt, daß es nicht bloß nach Naturgesetzen m i t Zwangsläufigkeit abläuft, sondern i n der freien Entscheidung gemäß einer geistigen Wertordnung sich vollzieht. . . . Diese verantwortliche Seite menschlichen Handelns fassen w i r ins Auge, wenn w i r den Charakter betrachten. W i r meinen damit die Werthaltung einer Persönlichkeit, die unmittelbar herauswächst aus ihrem seelischen Streben u n d Fühlen u n d bewußt eingenommen w i r d i m absichtlichen Wollen." Ferner Allport, a.a.O., S. 53 (für die amerikanische Psychologie): „ W e n n Charakter als Unterteil der Persönlichkeit angesehen w i r d , setzt man i h n fast i m m e r irgendwie m i t dem W i l l e n gleich; so i n der Definition: der Grad ethisch wirksamer 58 57

1

Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts D i e P e r s o n steht w e d e r über

i h r e m C h a r a k t e r 6 2 noch unter

ihm63,

s o n d e r n in i h m . C h a r a k t e r l i c h e G r u n d s ä t z e e n t s t e h e n aus G r u n d s a t z e n t s c h e i d u n g e n oder aber — u n d z w a r h ä u f i g e r — aus P r ä j u d i z i e r u n g e n . A u c h w e n n b e s t i m m t e M o t i v a t i o n s l a g e n f ü r i h r e A u s b i l d u n g m a ß g e b l i c h sind, s t e l l e n sie gleichsam geronnene A k t e d e r Freiheit, des W o l l e n s , d a r . A n lage u n d U m w e l t 8 4 ü b e n z w a r e i n e n s t a r k e n E i n f l u ß aus; schlechthin b e s t i m m e n d s i n d sie f ü r d e n C h a r a k t e r aber n i c h t . D e n n a l l e G r u n d sätze s i n d d u r c h S t e l l u n g n a h m e n h i n d u r c h g e g a n g e n u n d g e h e n w i e d e r u n d w i e d e r d u r c h S t e l l u n g n a h m e n h i n d u r c h , sobald sie a n d e r e n C h a r a k t e r e n , a n d e r e n G r u n d s ä t z e n g e g e n ü b e r t r e t e n . Es g i b t — i n d e n W o r t e n Welzels — „das, w a s m a n als erworbener Charakter bezeichnet, d. h. j e n e Persönlichkeitsschicht, i n d e r ,die angeborenen u n d f ü r d e n Menschen spezifischen A n l a g e n u n d F ä h i g k e i t e n sprachlicher, i n t e l l e k t u e l l e r , k ü n s t l e r i s c h e r , religiöser A r t z u i h r e r sehr v a r i a b l e n A u s b i l dung* (Rothacker) gelangen. C h a r a k t e r i n diesem S i n n e ist s o w o h l das Ergebnis früherer Handlungen w i e determinative Grundlage weitere H a n d l u n g e n " 6 5 . F ü r i h r e n e r w o r b e n e n C h a r a k t e r ist d i e P e r s o n verantwortlich. — V e r a n t w o r t l i c h k e i t d e r P e r s o n f ü r i h r e n C h a r a k t e r b e d e u t e t i m Strafrecht, daß a l l e Z u r e c h n u n g l e t z t h i n Z u r e c h n u n g (auch) z u m C h a r a k t e r Ordnung aller K r ä f t e des Menschen, oder: eine dauernde psycho-physische Bereitschaft, Impulse zu hindern gemäß einem regulativen Prinzip." 61 Demgegenüber steht ein v i e l weiterer Charakterbegriff, der durch Klages i n die Psychologie eingeführt worden ist (Grundlagen der Charakterkunde, dort insbes. S. 14 ff.) u n d heute vor allem von Rohracher vertreten w i r d . Dieser bestimmt den Charakter als „die seelisch-geistige Eigenart des einzelnen Menschen" (Kleine Charakterkunde, S. 2). Während aber Klages noch Charakter m i t Persönlichkeit gleichsetzte, rechnet Rohracher heute der Persönlichkeit n u r die Gesamtheit der entwickelten psychischen Anlagen zu, w ä h rend der Charakter zusätzlich sämtliche unentwickelten psychischen Anlagen umfassen soll (a.a.O., S. 241). Aus dieser Fassung des Charakterbegriffes folgt, daß es eine „Anlage zur Ausbildung des Charakters" — entgegen etwa der Annahme Engischs (Lehre von der Willensfreiheit, S. 50) — nicht geben kann, da j a sämtliche Anlagen ihrerseits schon z u m Charakter gehören. Zutreffend bringt daher Schelling das grundlegende u n d entscheidende Bedenken gegen die Prädestination des Charakters u n d d a m i t gegen einen deterministischen Charakterbegriff überhaupt zum Ausdruck, wenn er sagt, „daß sie (seil, die Prädestination) alle Umwendung des Menschen v o m Bösen zum Guten u n d umgekehrt, f ü r dieses Leben wenigstens, abschneide" (Wesen der menschlichen Freiheit, S. 535), d. h. daß niemand gut werden kann, der es nicht schon ist, daß aber auch niemand böse werden kann, der es nicht jetzt schon ist. 62 I n dieser Hinsicht vgl. die Ausführungen Schelers, Formalismus, S. 489 f., der allerdings unter Charakter „die dauernden Willenslagen oder andere »Anlagen', w i e z. B. geistige, intellektuelle u n d Gedächtnisanlagen einer Person" versteht. M Vgl. Engisch, a.a.O., S. 51. 64 Gegen diese Begriffe Gehlen, a.a.O., S. 365. 85 Welzel i n Z S t W 60, 428 (458); vgl. auch die dort zitierten Worte des A r i s toteles. Siehe ferner Heinitz i n ZStW 63, 57 (74 f.).

e der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

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des Menschen sein muß. Der Gedanke charakterlichen Unrechts und charakterlicher Schuld führt allerdings keineswegs, wie Engisch meint, zur „Idee der Vergeltung auf deterministischer Grundlage" 6 6 . Auch der Indeterminismus kann — ja muß nach der hier vertretenen Auffassung sogar — die Verantwortlichkeit aus dem Charakter ableiten; nur legt er eben einen anderen Begriff oder wenigstens eine andere Deutung vom Charakter zugrunde als der Determinismus: i h m ist Charakter der Inbegriff grundlegender Freiheit. Demnach ist das Freiheitsproblem — entgegen der Meinung von Engisch 67 — durch den Rückgang auf den Charakter lediglich seiner vordergründigen Behandlung enthoben, keinesfalls aber i m Sinne des Determinismus entschieden. Nicht allein der Determinist, sondern auch der Indeterminist muß, wenn er den Ursachen einer Straftat nachgeht, auf die „Anlage" des Menschen stoßen. Jedoch hält er i m Gegensatz zum Deterministen diese Anlage nicht als gleichbedeutend determinativ wie die „Umweltbedingungen", i n denen sie erwächst, sondern als Ausgangspunkt und Grundlage freier Entscheidungen. M i t Recht sagt Voigt i n diesem Sinne: „Nicht die Tat als solche kann frei und verantwortlich sein, sondern nur der Täter, d. h. sein Charakter , denn dieser ist der Mensch" 68 . Darüber hinaus aber gilt: Nur weil sein Charakter frei ist, kann sein Unrecht, kann seine Schuld dem Täter zugerechnet werden; sobald er hingegen i m Sinne des Determinismus „ein koordiniertes Glied eben desselben Naturprozesses ist, dem die Verdauung und die Gravitation angehören, so w i r d keine begriffliche Deduktion uns überreden, daß er sittlich zurechenbar ist" 6 9 . bb) Die Einsetzungen (Einsätze) Wegen ihrer abstrakten Natur ermöglichen Grundsätze allein keine Entscheidung des Einzelfalles. Wer sich i n einer Entscheidungssituation auf einen seiner Grundsätze beruft, hat ihn entweder als anwendbar erkannt, oder ihn sich ad hoc gebildet, etwa weil er glaubt, daß der Grundsatz nicht nur den zu entscheidenden Sachverhalt, sondern eine Reihe gleicher oder ähnlicher Sachverhalte treffe, vor deren Entscheidung er demnächst gestellt werden könne. Möglich, aber hier ohne Bedeutung, ist schließlich, daß jemand das Bestehen von Grundsätzen vortäuscht, u m sich eine Begründung f ü r seine Handlungsweise zu ersparen.

I n jedem Falle, ob nun die Person einen Grundsatz auf den konkreten Sachverhalt anwendet, ob sie sich einen Grundsatz anläßlich eines EinM

Engisch , a.a.O., S. 54 f. ® 7 Engisch , a.a.O., S. 52 f. 68

99

Voigt, Gesetz der Finalität, S. 28.

Simmel, Moralwissenschaft, Bd. 2, S. 211.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

zelfalles bildet oder ob sie eine Entscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung t r i f f t — sie setzt sich i n ihrer Entscheidung für etwas ein. Das bedeutet gemäß den oben gegebenen Erläuterungen, daß sie ihr Selbst i n die von ihr ausgewählte Motivation einsetzt, daß sie sich mit ihr verbindet und verbündet und daß sie dadurch den naturhaft gegebenen Inhalt ihrer Motivation zum hiervon verschiedenen Inhalt ihres Willens macht. Haben w i r bei der Freiheit i m negativen Sinne von der Indifferenz gesprochen, die zwischen dem personalen A k t und den naturhaften Antrieben besteht, so können w i r nunmehr, bei der Freiheit i m positiven Sinne, von einer D i f f e r e n z sprechen, die zwischen dem naturhaften Gehalt der Motive als der Entscheidungsmaterie und dem Entschiedenen als dem Inhalt der Freiheit gegeben ist. Diese Differenz bezeichnet den Abstand, den zum Beispiel eine bestimmte Absicht als Willensinhalt von der i n der Psyche des Täters aufkeimenden Absicht hat: die Absicht als solche zwar bleibt sich inhaltlich stets gleich, als Willensinhalt jedoch ist sie durch eine Kontrollinstanz hindurchgegangen, die sie bejaht hat und hinfort sich für sie einsetzt. „Sich für etwas einsetzen" bedeutet immer: die Verantwortung für etwas übernehmen; Selbstsein ist verantwortliches Dasein. Oder, anders gewendet: „Verantwortung" entsteht als Folge eines Verhaltens, welches „ein Sicheinsetzen der Person für bestimmte, am sittlichen Wertgefühl orientierte und seligierte Zwecke ist" 7 0 . Verantwortlich-sein wiederum meint stets: Gegenstand eines sittlichen Werturteils sein können. Und da es der Wille ist, der „sich einsetzt" und „verantwortlich ist", hat Kant an die Spitze seiner „Grundlegung der Metaphysik der Sitten" m i t Recht den Satz gesteint: „Es ist überall nichts i n der Welt, ja überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter W i l l e " 7 1 . A l l e i n der Wille, der von den „Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt", kann der sittlichen Bewertung unterstellt werden 7 2 . Aus diesem Grunde erscheint das Sich-Einsetzen für eine Sache als der zentrale Akt der Sittlichkeit. Freilich ist zu bedenken, was oben schon einmal betont wurde: daß der Wert des Sich-Einsetzens formaler Natur ist. Ob die Sache, für die jemand sich einsetzt, uns gut oder schlecht, lobenswert oder verwerflich erscheint, bleibt für das Faktum des Einsatzes völlig gleichgültig. Gleichgültig bleibt daher auch, ob derjenige, welcher sich einsetzt, von zutreffenden oder unzutreffenden Wertvorstellungen, ja ob er überhaupt von Wertvorstellungen geleitet wird. Und nunmehr gewinnen 70 71 72

Hartmann, E t h i k , S. 187. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 1. Kant, a.a.O. Siehe auch Hartmann, a.a.O., S. 621 ff.

e der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

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w i r a n dieser S t e l l e w i e d e r u m d e n U b e r g a n g i n s Strafrecht , f ü r w e l ches gerade d e r B e g r i f f des Einsatzes v o n so z e n t r a l e r B e d e u t u n g ist, daß er, w i e noch z u zeigen, s o w o h l i m H a n d l u n g s - als auch i m S c h u l d bereich, v o r a l l e m aber auch i m p e r s o n a l e n U n r e c h t s b e r e i c h eine e n t scheidende R o l l e spielt. A u c h n ä m l i c h w e r u n f ä h i g ist, das U n e r l a u b t e seiner T a t einzusehen oder sich nach dieser E i n s i c h t z u b e s t i m m e n , k a n n durchaus f ü r eine Sache e i n t r e t e n , sie wollen. W e d e r d e r u n v e r m e i d l i c h e (oder g a r d e r v e r m e i d l i c h ) V e r b o t s i r r t u m noch die U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t i. S. des § 51 A b s . 1 S t G B schließen d a h e r d i e W i l l e n s f ä h i g k e i t (Entscheidungs- u n d H a n d l u n g s f ä h i g k e i t ) aus, m ö g e n sie auch f ü r d i e P e r s o n a l i t ä t v o n U n r e c h t u n d S c h u l d B e d e u t u n g gewinnen73. Wenn diese Auffassung auch i m Strafrecht als absolut herrschend bezeichnet werden kann, so zeigen doch die Begründungen, m i t denen sie gestützt w i r d , vielfach Schwächen. Betrachten w i r n u r die hierzu ausführlichste Stellungnahme eines heutigen Straf rech tslehrbuches! I n seinem „Allgemeinen T e i l des Strafrechts" geht Maurach von einem Schichtenaufbau der Persönlichkeit aus. A u f die „gefühlsgetriebene, allenfalls (?) von einem hemmungslosen ,ich w i l l ' beherrschte Tiefenschicht" erscheint bei i h m eine „Höhenschicht" aufgesetzt, „ i n deren Bereich der Mensch erst i n die Lage kommt, Wert u n d U n wert seines Tuns, zu dem er durch Drang u n d ausschließlich subjektiv bestimmte Wertvorstellungen getrieben w i r d , nunmehr v o m Standpunkt der Gemeinschaft aus, deren M i t g l i e d er ist, wertend zu umfassen, eben von diesem Standpunkt her sein Verhalten zu bestimmen u n d gegebenenfalls seinem zügellosen ,ich w i l l ' das warnende ,aber die Gemeinschaft w i l l es nicht' entgegenzusetzen" 74 . Handlung sei jede aus der Tiefenschicht gespeiste Verhaltensweise; der W i l l e begnüge sich m i t der Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale 7 5 . Bereits der Ausgangspunkt Maurachs erscheint problematisch. W i r haben schon oben 7 6 gegen den Schichtenaufbau der Persönlichkeit Stellung bezogen u n d unsere Ablehnung i m wesentlichen d a m i t begründet, daß das Funktionsgefüge der menschlichen Persönlichkeit durch ihre Zerlegung i n einzelne aufeinandergesetzte Schichten zerstört werde. Entsagt man daher dem Schichtungsgedanken, entfällt auch die Möglichkeit, die Handlungsfähigkeit einer 73 a. A .Wegner, Allg. T., S. 109 ff.: „handlungsfähig" sei n u r der „Zurechnungs-", d . h . „Schuldfähige"; n u r w e r schuldhaft handelt, könne auch t a t bestandsmäßig handeln. Das ist schon deshalb nicht richtig, w e i l die H a n d lungsfähigkeit n u r die Frage der Willensverwirklichung, nicht die der Willenssetzung betrifft, jede Schuld aber gerade Vorwerfbarkeit der Willenssetzung ist. Dazu auch Kantorowicz, Tat u n d Schuld, S. 11. Doch selbst w e n n m a n hiervon absieht, etwa, w e i l die Willenssetzung gleichzeitig Setzung des v e r wirklichenden Willens ist, sind Fälle denkbar u n d gar nicht einmal so selten, i n denen Personen frei, aber schuldlos verbrecherische Handlungen begehen: K i n d e r i m A l t e r ab d r e i Jahren, die bereits prinzipiell zu freier Entscheidung fähig sind, aber noch keinen Zugang zur W e r t w e l t des Unerlaubten haben, ferner diesen gleichstehende Personen (Remplein , a.a.O., S. 35.). 74 Maurach , Allg. T., S. 361. 75 Maurach , a.a.O., S. 361 f. 76 Siehe oben S. 124 f.

12 Lampe

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Tiefenschicht zuzuordnen, welche durch eine Höhenschicht werthafter Einsicht kontrolliert werden soll. Aber selbst w e n n w i r von diesem grundsätzlichen Bedenken einmal absehen, bleibt Maurachs Argumentation zu beanstanden. Jene Gleichsetzung von W i l l e u n d Kenntnis, die w i r bei i h m finden, versagt bereits bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Hier k a n n die Voraussicht des konkreten Erfolges dem Täter fehlen (unbewußte Fahrlässigkeit), ohne daß es d a r u m an einem W i l lensverhalten, an einer Handlung fehlen müßte. — Darüber hinaus erscheint unzutreffend, daß jede aus der Tiefenschicht gespeiste Verhaltensweise bereits eine willentliche Handlung sei. Es k a n n beispielsweise bei einem Z u stande der Bewußtlosigkeit, sinnloser Trunkenheit oder auch hochgradiger Affekte von einem Sich-Einsetzen, von einem Wollen u n d also auch von einer (Willens-)Handlung, nicht mehr die Rede sein; dennoch werden auch hier alle Verhaltensweisen aus der „Tiefenschicht" gespeist. Wollte Maurach seine Schichtentheorie konsequent durchführen, so müßte er daher genauer drei Schichten unterscheiden: 1. eine „Tiefenschicht" rein affektiver Verhaltensweisen, 2. eine „Mittelschicht" willensgesteuerter Handlungen, u n d 3. eine „Höhenschicht", „ i n deren Bereich der Mensch i n die Lage kommt, W e r t u n d U n w e r t seines Tuns wertend zu umfassen". Z u dem letzten Punkte unserer K r i t i k ist einschränkend allerdings zu bemerken, daß n u r i n extremen Fällen absoluter Entpersonalisierung die freie Willensbetätigung ausgeschlossen w i r d . Besteht eine gewisse Einsatzfähigkeit des Selbst, d. h. ein „Hiatus" (Gehlen) zwischen M o t i v a t i o n (im weitesten Sinne) u n d Handlung, so ist R a u m f ü r Freiheit u n d Wollen vorhanden 7 7 . A l s v o m U n r e c h t s b e w u ß t s e i n losgelöster „ n a t ü r l i c h e r V o r s a t z " ist das Sich-Einsetzen f ü r d i e V e r w i r k l i c h u n g eines Unrechtstatbestandes e i n Zentralbegriff unseres Strafrechts. — Dieser Satz b e d a r f nach d r e i Seit e n h i n der B e g r ü n d u n g . 1. Gegen d i e Gleichsetzung v o n n a t ü r l i c h e m V o r s a t z u n d p e r s ö n l i c h e m Einsatz k ö n n t e das B e d e n k e n e r h o b e n w e r d e n , daß V o r s a t z „ W i s s e n u n d W o l l e n " d e r T a t s e i 7 8 , daß aber i m B e g r i f f e des Sich-Einsetzens das Wissenselement n i c h t d i e g e b ü h r e n d e B e d e u t u n g erlange. Dieser E i n w a n d i s t i n s o f e r n b e g r ü n d e t , als tatsächlich das Sich-Einsetzen b i n n e n h a f t o r i e n t i e r t i s t — i m Gegensatz z u d e n sogleich noch z u b e h a n d e l n d e n V o r s e t z u n g e n — , m i t d e r Folge, daß d e r p o s i t i v e n K e n n t n i s d e r A u ß e n w e l t k e i n e B e d e u t u n g beigemessen w e r d e n k a n n . Z w i s c h e n d e r D e f i n i t i o n des Vorsatzes als „Wissen u n d W o l l e n " u n d d e r h i e r v e r t r e t e n e n I d e n t i f i k a t i o n m i t d e m Sich-Einsetzen besteht d a h e r w a h r h a f t i g e i n W i d e r s p r u c h . A b e r t r i f f t d i e a l l g e m e i n gebrauchte D e f i n i t i o n des Vorsatzes d e n n ü b e r h a u p t zu? O d e r s o l l n i c h t e t w a s ganz anderes m i t i h r ausgesagt w e r d e n , etwas, w a s d u r c h d e n B e g r i f f des Wissens, d e r K e n n t n i s d e r k o n k r e t gegebenen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e , n i c h t e r faßt w e r d e n kann? 77 Über die von Maurach herangezogene Entscheidung BGHSt 3, 287 ff. siehe unten S. 186 ff. 78 Schänke/ Schröder, StGB § 59 Anm. 16 m. Zit.

e der Person f ü r Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

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Ich glaube, es kann hieran gar keinen Zweifel geben. Beim Versuch eines Deliktes bringt gerade nicht das Wissen, sondern der Irrtum des Täters den i m Gesetz vorausgesetzten „Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben" (§ 43 StGB), zur Entstehung; wüßte der Täter hingegen u m die tatsächliche Lage, so würde er den Vorsatz ganz sicher nicht gefaßt oder wenigstens den Versuch nicht so unternommen haben. Daher kann hier, beim Versuch, der Vorsatz des Täters nicht als „Wissen und Wollen", sondern nur als „irrtümliche Annahme und Woll e n " 7 9 definiert werden. Daß nun Wissen und I r r t u m sich ausschließen und daß daher die zweite Definition m i t der ersten nicht nur nicht übereinstimmt, sondern ihr geradezu widerspricht, liegt auf der Hand. Aus diesem Grunde läßt sich das Wissenselement als Bestandteil der Vorsatzdefinition nicht aufrechterhalten. Allerdings kann es auch nicht durch das Irrtumsmoment ersetzt werden; denn dann wiederum träfe die Vorsatzdefinition auf sämtliche Fälle der vollendeten vorsätzlichen Tat nicht mehr zu, wo der Täter zweifellos sich über das Vorhandensein der Tatumstände i m klaren war (vgl. § 59 Abs. 1 StGB). Alsdann bleibt aber nur noch der eine Weg, die Kenntnis des Täters gar nicht auf außenweltliche Gegebenheiten zu beziehen, sondern auf seinen binnenhaften Willensinhalt Das ist nicht etwa eine neue Erkenntnis vom Wesen des Vorsatzes, wie überhaupt w i r hier keine neue Theorie des Vorsatzes entwickeln wollen. Worum es uns geht, ist einzig dies: zu zeigen, daß die üblicherweise verwendete Vorsatzdefinition nicht das trifft, was man m i t ihr treffen w i l l , daß sie ungenau ist und daß man m i t ihr nur darum nicht i n Schwierigkeiten gerät, weil man sie dort, wo sie sich als unbrauchbar erweist, stillschweigend durch eine andere ersetzt. Warum sie sich solange unangefochten halten kann, ist unschwer ersichtlich. Nächst ihrer Einprägsamkeit verdankt sie ihr langes ungefährdetes Dasein ganz offenbar unserer strafrechtlichen Systematik, die zunächst auf die Erfüllung des sog. objektiven Tatbestandes abstellt und erst danach die Frage auf wirft, ob der Täter das, was geschehen ist, auch „gewußt und gewollt" hat 8 0 . Daß dies für eine objektive Unrechtslehre die legitime Fragestellung ist, kann keinem Zweifel unterliegen; aber diese Unrechtslehre kann dann eben auch, wie w i r sahen, dem Phänomen des versuchten Deliktes nicht hinreichend Rechnung tragen. Mehr verwunderlich ist es schon, daß auch die subjektive Unrechtslehre, für die der Versuch umgekehrt das am leichtesten zu fassende Phänomen ist und die daher auch i m untauglichen Versuch ihr stärkstes Beweismittel i n Händen hält, hier denselben Weg wie die objektive Lehre geht und, 79

Schönke/Schröder, StGB § 59 A n m . 116 f. Anders allein Germann, Verbrechen, S. 22 ff.; Germann spricht denn auch statt von „Wissen u n d Wollen" richtiger von „Vorstellung u n d Wollen". 80

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

statt beim Vorsatz anzusetzen, grundsätzlich den objektiven Tatbestand als vorrangig behandelt 81 . So kommt es, daß w i r auch bei Welzel, nach richtigen Bemerkungen über das Wesen des Vorsatzes, die alte, falsche Definition finden. Welzel schreibt: „Jede bewußte Handlung w i r d durch den Handlungsentschluß getragen, d. h. durch das Bewußtsein davon, was man will, und die Entschlossenheit dazu, daß man es durchführen w i l l 8 2 . " Hier w i r d das Wissen noch ganz richtig statt auf die Tatbestandsuerwirklichung selber auf das bloße Wollen der Tatbestandsverwirklichung bezogen. Denn i n Übereinstimmung m i t unseren Untersuchungen ist hier nicht erforderlich, daß der Täter u m die Tatbestandsverwirklichung weiß, sofern er nur u m seinen Willen weiß, den Tatbestand zu verwirklichen. Alsdann aber t r i t t ein Widerspruch auf, wenn Welzel den Vorsatz wenig später trotzdem als „das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" definiert 8 3 ; denn damit w i r d nun der subjektive Ausgangspunkt systemwidrig verlassen und die Beziehung zum objektiven Tatbestand hergestellt, von dessen realer Existenz doch der Vorsatz gerade unabhängig sein soll. Das Wissen des Täters bezieht sich m. a. W. plötzlich nicht mehr auf die binnenhafte Subjektivität des Täters, auf sein Wollen der Tatbestandsverwirklichung, sondern auf die außenweltliche Objektivität, auf das Vorhandensein der Tatumstände. Die Strafbarkeit des Versuchs lehrt aber, daß hierauf es zu beziehen nicht angeht. — A l l das mag zunächst spitzfindig erscheinen, von wenig Belang. W i r werden jedoch das Ergebnis, zu dem w i r hier gelangt sind, später für das Verständnis des personalen Unrechts noch unumgänglich brauchen 84 . Wiederholen w i r es darum noch einmal: Der Vorsatz i m strafrechtlichen Sinne ist etwas der Person Binnenhaftes, von der Objektivität, der realen (Ent-)Gegenständlichkeit eines Schutzobjektes Getrenntes, das gerade so wie das Schutzobjekt selbst für sich besteht und für sich (ohne Vorrang des Objektiven) festgestellt werden kann. Er ist nicht „das Wissen und Wollen der Tat", sondern ein u m sich selbst wissendes Wollen der Tat 8 5 . 2. Noch wesentlicher als die richtige Stellung des Wissenselementes i m Vorsatz ist die Abgrenzung des Vorsatzes gegenüber der Handlung. Vorsatz ist, wie w i r sahen, Einsatz i n die naturhaft gegebene Motivation, etwas zu verwirklichen — lediglich ein Sich-Entschließen zur Verwirklichung. Er ist hingegen nicht schon die Verwirklichung jener Tat, die zu verwirklichen er sich vorgesetzt hat. 81

Welzel, Dtsch. Strafr., S. 509 f. Welzel, a.a.O., S. 58 f. Welzel, a.a.O., S. 59. 84 Siehe unten S. 247 ff. 85 Vgl. i n diesem Sinne schon meine Ausführungen i n ZStW 72, 93 (99). 82

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Dies verkennt, wer den Vorsatz als Steuerungsfaktor der Handlung auffaßt, als Finalität, welche vom „Ziel" her das kausale Geschehen lenkt. Welzel hat solche Auffassung seiner „finalen Handlungslehre" zugrunde gelegt und folgendermaßen argumentiert: Die Finalität kennzeichne die Fundamentalstruktur der menschlichen Handlung. I h r Wesen liege darin, daß „der Mensch die möglichen Folgen seines kausalen Eingreifens (in bestimmtem Umfang) gedanklich vorwegnehmen, antizipieren und danach sein Eingreifen i n die Welt steuern, lenken, regulieren kann". Diese gedankliche Antizipation beinhalte zunächst den Zweck, auf den es dem Täter ankommt, denn nur vom Zweck her könne die Handlung gesteuert werden. Alsdann sei aber der Vorsatz das schlechterdings unentbehrliche Element der Finalität 8 6 . — Diese Deduktion beweist die Gleichsetzung von Vorsatz und Finalität indessen nicht. Denn wenn es auch richtig ist, daß jede Steuerung vom Ziel her die Bestimmung des Zieles voraussetzt, so ist die Antizipation des Zieles doch eben nur Voraussetzung der finalen Steuerung, nicht aber darum schon ihr Element! I h r Element kann sie i m Gegenteil gar nicht sein, weil die Steuerung nicht an das einmal erwählte Ziel gebunden ist, sondern, wie die Fahrlässigkeitsdelikte alltäglich beweisen, ihre durchaus eigenen Wege geht. Wer seinen Kraftwagen gegen einen Baum fährt, hat i h n ganz sicher dahin gesteuert , obwohl sein Ziel ebenso sicher anderswo lag! Richtiger als Welzel, wenn auch seinerseits nicht ohne inneren Widerspruch, hat Nicolai Hartmann das Verhältnis von Vorsatz (Zwecksetzung) und finaler Handlung (Zweckverwirklichung) erkannt. Zwar ist auch für Hartmann die Zwecksetzung die erste einer dreischichtigen Bindung zwischen Ausgangs- und Endpunkt des Finalprozesses 87 . Doch sieht er nicht schon i n ihr, sondern erst i n der sich anschließenden Mittelauswahl die „rückläufige, eigentlich finale Bestimmung" 8 8 , während i h m die Zwecksetzung selbst nur als „Vorbestimmung" 8 0 erscheint. Alsdann muß diese aber, als auf einen „irrealen Zweck" 9 0 gerichtet, entgegen Hartmanns Meinung allein dem reflexiven Subjekt angehören 91 ; sie muß außerhalb der — nach Hartmanns eigenen Worten „ganz innerhalb des Realen" 9 2 liegenden — finalen Determination stehen 93 . A u f das Verhältnis von Vorsatz und Handlung angewandt, ergibt sich somit: Der Vorsatz ist die reflexive Vorstufe der Handlung, während die 86 87 80 89 90 91 92 93

Welzel , U m die finale Handlungslehre, S. 7 f. Hartmann, Ethik, S. 192 f. Hartmann, a.a.O., S. 194 zu Nr. 2. Hartmann, a.a.O., S. 196. Hartmann, a.a.O., S. 196. Hartmann, a.a.O., S. 197. Hartmann, a.a.O., S. 192. Lampe i n Z S t W 72, 93 (100 f. A n m . 24).

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

final gesteuerte Handlung die reale Verwirklichung oder wenigstens den Versuch der Verwirklichung enthält. Vorsatz und finale Handlung verhalten sich wie Zwecksetzung und Zweckverwirklichung. Ein Erfolg kann niemals durch eine vorsätzliche Handlung, sondern nur vorsätzlich durch eine Handlung herbeigeführt werden. 3. Schließlich noch einige Worte zum Problem des Sich-Einsetzens: Der Einsatz des Täters bezieht sich nicht nur auf seinen Motivationsgehalt zur Tat, sondern auch und vor allem auf ihn selbst als sich in der Tat objektivierendes Subjekt. Er bedeutet nicht nur, daß er will, sondern auch daß gerade er es ist, der w i l l . W i r sind auf dieses Problem schon beiläufig zu sprechen gekommen. W i r sprachen vom Bewußtseinselement, das sich nicht auf die Tatbestandsverwirklichung, sondern auf den Willen zur Tatbestandsverwirklichung zu beziehen habe. Dieses Bewußtseinselement ist nun zu verstehen nicht als den Willensakt begleitendes Bewußtsein, sondern als spezielles Ich-Bewußtsein, als Bewußtsein der eigenen Freiheit und der eigenverantwortlichen Entscheidung. Es fehlt nicht schon dann, wenn der Täter von sich sagt, daß er sich „nicht mehr gekannt" habe 04 , sondern erst, wenn der Täter nicht mehr weiß, daß die Tat i n der speziellen Ausgestaltung, die sie zeigt, seine eigene war. Die praktischen Fälle, i n denen das Ich-Bewußtsein fehlt, sind gering an Zahl, und daher ist das ganze Problem von untergeordneter Bedeutung. Trotzdem soll zu dem Streit, der hierum entstanden ist und der i m wesentlichen unter dem Stichwort „Verkennung tatherrschaftsbegründender Umstände" ausgetragen w i r d 9 5 , wenigstens kurz Stellung bezogen werden. Während ein Teil der Lehre* 8 auf das Ich-Erlebnis für die Täterschaft verzichtet, Tatvorsatz und Tätervorsatz also gleichachtet, glaubt die herrschende Meinung 9 7 , hiervon nicht absehen zu können: sie bestraft den Irrenden daher wegen vollendeter 9 8 oder wegen versuchter 99 Teilnahme. Vom Standpunkt einer personalen Unrechtsauffassung aus w i r d man auf das Sich-Einsetzen i n das Unrecht der Tatbestandsverwirklichung, also auf den Vorsatz als bewußten IchVorsatz, nicht verzichten können. Denn das personale Moment ist ein 94

Vgl. Hadamik i n M o K r i m 1953, 11 (18). Dazu i m einzelnen Roxin, Täterschaft u n d Tatherrschaft, S. 261 ff. 96 Nämlich Maurach, a.a.O., S. 559; H. Mayer, A l l g . T., S. 329; v. Uthmann i n N J W 61, 1909. 97 Baumann i n J Z 58, 230 ff.; Bockelmann, Strafr. Untersuchungen, S. 95 ff.; Dahm i n N J W 49, 809 (810); Gallas, Gutachten, S. 139 f.; Heinitz, Festschrift z. 41. Dtsch. Juristentag, S. 106; Mezger, Lehrb., S. 449; Roxin, a.a.O., S. 265 f.; Schönke/Schröder, StGB § 47 Vorbem. 66; Tröndle i n G A 56, 122 (143 f.); Welzel, a.a.O., S. 111 f.; vgl. auch B G H S t 8, 137 ff. 98 So Baumann, Dahm, Gallas, Mezger, Roxin und Schröder, jeweils a.a.O., w o h l auch der BGHSt, a.a.O. 99 So Bookelmann, Heinitz, Tröndle und Welzel, jeweils a.a.O. 95

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Wert- bzw. Unwertbestandteil des personalen Unrechts, u m das der Täter wissen oder zumindest wissen können muß, soll es i h m i m Strafurteil zugerechnet werden. Bei der vorsätzlichen Tat muß sich daher der Vorsatz auch auf das personale Moment des Unrechts beziehen, andernfalls fehlt i h m „ein Erlebnisakzent, ein Gesinnungselement, . . . eine psychologische Eindrücklichkeit" 1 0 0 . Bei der vorsätzlichen Täterschaft insbesondere muß der Täter darüber hinaus das Täterbewußtsein, den Täterwillen oder, wie Nowakowski es formuliert hat, das „ U r hebergefühl" 1 0 1 , besitzen. W i r entscheiden uns daher gegen die erste der oben genannten Auffassungen und für die zweite, die herrschende Meinung, deren Alternativen w i r allerdings vom Standpunkt allein der Unrechtspersönlichkeit aus als gleichwertig anerkennen müssen. cc) Die Vorsetzungen Das Sich-Einsetzen findet seine Beziehung zur Objektivität der Außenwelt i m Sich-Vorsetzen, i n der Vorsetzung . W i r verwenden absichtlich hier den Begriff das Vorsatzes nicht, u m Verwechslungen m i t dem Vorsatzbegriff der Psychologie und dem Vorsatzbegriff der Jurisprudenz zu vermeiden. I n der Psychologie bedeutet Vorsatz einerseits einen Entschluß für alle Zukunft („gute Vorsätze"), andererseits aber auch den Entschluß, später etwas zu t u n („sich etwas vornehmen") 1 0 2 . Beide Bedeutungen decken sich mit dem hier gebrauchten Begriff der Vorsetzung offensichtlich nicht. I n der Jurisprudenz wiederum umfaßt der Vorsatzbegriff (gemäß den Darlegungen des vorigen Abschnitts) sämtliche Fälle des Sich-Einsetzens für eine Motivation, unabhängig davon, ob der Täter voluntativ eine Beziehung zur Außenwelt findet, unabhängig also davon, ob seine „Einsetzung" auch eine „Vorsetzung" ist. Diese Unabhängigkeit des strafrechtlichen Vorsatzes vom Begriff der Vorsetzung darf nicht dahin mißverstanden werden, daß für den strafrechtlichen Vorsatz die Beziehung zur Außenwelt völlig gleichgültig wäre, daß also eine vorsätzliche Tat auch dann angenommen werden könne, wenn der Täter sich das, was er i n der Außenwelt verursacht, nicht einmal vorgestellt hat. Wer so denkt, übersieht, daß nur die voluntative (personale) Beziehung des Täters zur Außenwelt fehlen darf, nicht auch die psychisch-affektive und -noetische, für die der Wille sich einsetzt. Denn jedenfalls i n seinen Gefühlen, Triebfedern und Strebungen, i n seinen Vorstellungen, Beweggründen und Absichten muß sich der Täter darauf eingestellt haben, i n der Außenwelt etwas zu vollbringen — andernfalls würde er nicht handeln; nicht erforderlich ist 100 101 102

Nowakowski i n JZ 56, 545 (546). Nowakowski i n Rittler-Festschrift 1946, S. 27 ff., u n d i n J Z 56, 545 ff. Vgl. Remplein , a.a.O., S. 272; Hehlmann , Wörterbuch, A r t . „Vorsatz".

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

lediglich, daß er i n die Außenwelt sich selbst hat einsetzen können, d. h. daß er das, was er nicht nur unmittelbar physisch oder psychisch, sondern als freie Person ist, zur Geltung gebracht hat. Vorsätzlich handelt m i t h i n auch, wer außerstande ist zu erkennen, daß er den Erfolg, den er erstrebt, niemals herbeiführen kann, sofern er nur psychisch sich auf die Herbeiführung des Erfolges eingestellt hat. Nicht vorsätzlich handelt lediglich, wem auch die psychische Einstellung auf den Erfolg, den er herbeiführt, fehlt. A l l dies ist an sich selbstverständlich und bedürfte keines Hinweises, wenn nicht die Rechtsprechung bei krankheitsbedingten Erkenntnisausfällen, wie sie insbesondere bei der Rauschtat des § 330a StGB, aber auch sonst, etwa bei chronischer leichter Manie, eine Rolle spielen, den Vorsatz des Täters bejahte, obwohl hier nicht nur die personale Beziehung zur Außenwelt gestört ist, sondern auch die psychische Einstellung zur begangenen Tat fehlt. So w i r d entgegen der hier vertretenen Meinung der I r r t u m des Rauschtäters dann nicht als vorsatzausschließend berücksichtigt, wenn er durch den Rausch bedingt i s t 1 0 3 ; und für den Geisteskranken hat der Bundesgerichtshof dementsprechend den Satz aufgestellt: verkenne er „infolge seiner Geisteskrankheit Tatsachen, die jeder geistig Gesunde richtig erkennen würde, so beeinträchtigt das, wie auch sonstige Vorstellungsausfälle, die durch die Krankheit bedingt sind, nur seine Verantwortlichkeit, führt aber nicht dazu, daß die sonst vorhandenen inneren Tatbestandsmerkmale (im Sinne eines natürlichen Vorsatzes') verneint werden müßten" 1 0 4 . Begründet w i r d die Nichtberücksichtigung des rauschbedingten I r r tums meist kriminalpolitisch: die typische Gefährlichkeit des Berauschten, u m deretwillen die Strafdrohung des § 330a StGB bestehe, beruhe gerade auf seinem Mangel an Einsichts- und Unterscheidungsvermögen 1 0 5 . Diese Begründung beruht auf der Prämisse, daß das Berauschen schon für sich (personal) strafrechtliches Unrecht sei. Denn nur der personal unrechtmäßige Rausch kann eine personal rechtswidrige Gefährlichkeit begründen, d. h. eine Gefährlichkeit, welche zur strafrechtlichen la3 RGSt 73, 11 (17); B G H S t 18, 235 (236); Boldt i n DR 39, 1036 f.; Bruns i n DStR 39, 234 f.; Dollinger i n DR 39, 1035; Dreher/Maaßen, StGB § 330a A n m . I I b B b ; Kohlrausch/Lange, StGB § 330a A n m . V I 3; LeipzKomm. (Werner) § 330a A n m . V 3; Schönke/Schröder, StGB §330a A n m . 18; Schwarz/Dreher, StGB § 330a A n m . 2 B b aa; Traub i n J Z 59, 11; u. a. 104 BGHSt 3, 287. 105 RGSt 73, 11 (15); BGHSt i n N J W 53, 1442; Dollinger i n DR 39, 1035; Kohlrausch/Lange, StGB §330a A n m . V 3; LeipzKomm. (Werner) §330a A n m . V 3; Niederreuther i n GS 114, 338; Schönke/Schröder, StGB § 330a A n m . 18. — Bruns i n DStR 39, 234 f., Stutzer i n DStR 39, 252 f. u n d Schröder i n D R i Z 58, 221 weisen darüber hinaus darauf hin, daß der Täter gerade wegen des schuldhaften Sichberauschens bestraft werden solle; alsdann dürfe i h m aber nicht der Rausch i n F o r m des rauschbedingten I r r t u m s als Entschuldigungsgrund zugute kommen.

e der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

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Haftung führt, sofern auf ihr Folgen erwachsen, die objektives (nicht notwendig weiteres personales) Unrecht sind. Nun hat i n der Tat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes behauptet, das strafwürdige Unrecht (und damit der Strafgrund des § 330a StGB) liege allein i m Sichberauschen 106 . Das aber kann nicht zutreffend sein. Wie Hellmuth von Weber m i t Recht gegen das Urteil des Bundesgerichtshofes eingewandt hat, hätte „eine Umstellung von der Freiheit des Alkoholgenusses zur Rechtswidrigkeit des Sichversetzens i n einen Vollrausch notwendig zu mehr oder weniger einschneidenden Maßnahmen der Prohibition führen müssen. Das ist nicht geschehen. Ist es aber nicht rechtswidrig, sich zu betrinken, dann ist eine Auslegung des § 330a, die i n diesem Handeln allein den Grund der Strafbarkeit sieht, nicht möglich" 1 0 7 . Die Tatsache, daß sich die Schuld nach gesetzlicher Vorschrift nicht auf die Rauschtat zu beziehen braucht, bedeutet jedenfalls nicht, daß die Rauschtat für das personale Unrecht irrelevant sei 1 0 8 ; denn der Umfang des personalen Unrechts kann nicht vom Umfang der Schuld her bestimmt werden 1 0 9 . Auch die Rauschtat selbst begründet das personale Unrecht des Delikts der Volltrunkenheit zumindest mit. Das aber bedeutet: wie zu jeder anderen vorsätzlichen Tat gehört zu ihr, daß der Täter seinen Standpunkt zur Umwelt wenigstens subjektiv, binnenhaft, gefunden hat; daß er sich für das, was er herbeigeführt, eingesetzt hat. Ist das nicht der Fall, aus welchen Gründen auch immer, so ist sein Wille nicht frei und daher nicht Tatvorsatz 1 1 0 . Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß ein Bedürfnis besteht, auch solche Taten zu verhindern, zu denen der Täter infolge seiner Trunkenheit nicht über einen Tatentschluß gelangt. Der Weg über die SchuldStrafe scheint m i r jedoch nicht geeignet, u m diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen. Strafe bedeutet immer Mißbilligung für eine bestimmte begangene Tat; hat aber der Täter eine vorsätzliche Tat nicht begangen, so kann i h m die Mißbilligung wegen einer vorsätzlichen Tat auch nicht auf dem Umweg über den § 330a StGB ausgesprochen werden. Glaubt man, auf die m i t der Strafe verbundenen Präventivmaßnahmen nicht verzichten zu können, so muß man sie selbständig verhängen (z. B. Unterbringung auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften). 108

BGHSt 16, 124 (127). v. Weber i n : B l u t a l k o h o l 1962, 211 f. A r t h u r Kaufmann i n JZ 63, 425 (428 f.). 109 Gut hierzu Welzel , Niederschriften Bd. V S. 98; siehe auch A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip, S. 248 f. u n d i n J Z 63, 425 (429). 110 Welzel , Dtsch. Straf recht, S. 429; Maurach, Bes. T., S. 458. Richtig auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 124 f.: „ I n den Fällen eines rauschbedingten I r r t u m s k a n n von einem »Vorsatz' beim Täter nicht gesprochen werden. Fehlvorstellungen sind u n d bleiben Fehlvorstellungen, unabhängig davon, welche Ursache sie haben." 107

108

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Ähnliche Einwendungen sind gegen eine § 42b StGB betreffende Entscheidung des 1. Senats des Bundesgerichtshofes zu erheben. I n ihr gibt das Gericht seiner Meinung Ausdruck, daß Vorstellungsausfälle, die auf Geisteskrankheit beruhen, nur die Verantwortlichkeit, nicht aber den Vorsatz des Beschuldigten beeinträchtigen. Es begründet seine Meinung m i t dem Schutzzweck des § 42b StGB: „Wenn ein krankheitsbedingter I r r t u m über die Rechtswidrigkeit oder über das Vorliegen einzelner Merkmale der inneren Tatseite dazu führen sollte, daß die Anwendungsmöglichkeit des § 42b StGB verneint werden müßte, so würde der Schutz dieser Vorschrift versagen und der m i t i h r verfolgte Zweck gerade i n den Fällen vereitelt werden, die nach dem Willen des Gesetzes durch § 42b StGB vornehmlich erfaßt werden sollten, nämlich i n den Fällen, i n denen sich die Geisteskrankheit als gefährlich erweist, w e i l sie dem Erkrankten die Erkenntnis der Gemeinschädlichkeit seines Tuns verbaut 1 1 1 ." Hier w i r d — ungewollt — vom Bundesgerichtshof nun gar die Geisteskrankheit selbst zum personalen Unrecht erhoben; denn anders als aus einer personal rechtswidrigen Geisteskrankheit kann die strafrechtlich relevante Gefährlichkeit des Geisteskranken nicht hergeleitet werden. Wiederum ist nicht zu übersehen, daß gegenüber gefährlichen Geisteskranken auch i n den Fällen, i n denen Vorstellungsausfälle die Gefährlichkeit begründen, ein Sicherungsbedürfnis besteht. Aber wiederum erscheint der Weg über das Strafrecht nicht richtig, u m diesem Sicherungsbedürfnis Rechnung zu tragen. Das Gesetz regelt die Unrechtsvoraussetzungen für Strafen und Maßregeln m i t Recht grundsätzlich gleich. Daraus folgt, daß die Tat des Geisteskranken dieselben Unrechtsmerkmale aufweisen muß wie die Tat des geistig Gesunden. Rechnet man zu diesen Voraussetzungen den Vorsatz des Täters, so muß man diesen Vorsatz auch beim Geisteskranken fordern. Folgt man dagegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes, so stellt man den Geisteskranken letzthin schlechter als jenen geistig Gesunden, dem aus bestimmten Gründen ebenfalls die „Erkenntnis der Gemeinschädlichkeit seines Tuns verbaut" ist. Wer e t w a infolge exquisiter Dummheit f ü r w a h r hält, was er i n seiner Phantasie erlebt, u n d durch seine Phantastereien andere zu einem i h r Vermögen schädigenden Verhalten bestimmt, k a n n selbst dann, w e n n er aus den Vermögensdispositionen unmittelbare Vorteile erlangt, strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Wie der geistig Gesunde muß daher auch der Geisteskranke sich — d. h. sein von fehlerhaften Wertvorstellungen möglicherweise verzerrtes Ich — i n die Tat eingesetzt haben. Dies ist aber nur möglich, wenn er die Tat so, wie sie geschehen ist, sich vorgestellt hat. Die oben zitierte Behauptung des Bundesgerichtshofes, Vorstellungsausfälle beein111

BGHSt 3, 287 (289).

e der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung trächtigten nur die Verantwortlichkeit des Täters, also seine Schuld, ist falsch. Auch für das personale Unrechtsurteil über eine vorsätzliche Tat ist erforderlich, daß der Geisteskranke sich für seine Vorstellungen eingesetzt hat. Grundsätzlich erscheint das selbst dem Bundesgerichtshof richtig: „Trotz der Geisteskrankheit und ihrer Wirkungen auf das Vorstellungsbild des Erkrankten muß allerdings, wenn § 42b StGB anwendbar bleiben soll, noch eine Handlung des Beschuldigten vorliegen, also ein aus Überlegungen und Entschlüssen (!) entsprungenes, von einem natürlichen Willen geleitetes Verhalten 1 1 2 ." Daß der Bundesgerichtshof von diesem Grundsatz bei krankheitsbedingten Vorstellungsausfällen glaubte abweichen zu müssen, lag wahrscheinlich ausschließlich i n der besonderen Gestaltung des entschiedenen Falles begründet, auf die w i r daher kurz noch eingehen müssen. Bei einer Krediterschleichung hatte der Angeklagte „die ganz ungewissen Aussichten, demnächst über Geldmittel zur Bezahlung seiner Schulden zu verfügen, grundlos ,durch die rosarote Brille der Manie' bereits als Wirklichkeit angesehen, wobei bewußte Lüge, Zweifel und ,manisch-optimistisches Fürwahrhalten' fließend ineinander übergingen" 1 1 3 . W i r erkennen hier i m Angeklagten sofort einen euphorischen Täter, der das Denken seinen Wunschvorstellungen unterordnete. Der Bundesgerichtshof glaubte, bei i h m einen Vorsatz nicht annehmen zu können, da er „die Unbegründetheit seiner ungewissen Hoffnungen, die Unrichtigkeit seiner Zusicherungen, die Schädigung seiner Geschäftspartner oder ihr Einverständnis damit verkannt h a t " 1 1 3 . Das Gericht legte also einen Vorsatzbegriff zugrunde, der einseitig intellektualistisch ausgerichtet ist: Indem es darauf abstellte, daß der Täter infolge seiner chronischen leichten Manie auf einen günstigen Ausgang seines Tuns hoffte, vernachlässigte es das ethische Moment des Vorsatzes zugunsten des intellektuellen Kenntniselementes. Da nun aber die Kenntnis des Täters durch die Stärke seiner Emotionen getrübt war, stellte sich i m Ergebnis genau der Fehler ein, auf den w i r oben, als w i r das Verhältnis zwischen Emotionalität und Denken erörterten, bereits hinwiesen: der (auch) dem Bereich des Ethischen angehörende Begriff des Vorsatzes wurde durch eine nicht sittlich begründete Wunschvorstellung ausgeschlossen. Daß ein solches Ergebnis nicht richtig sein konnte, erschien offenbar und verleitete sodann zu der verfehlten Konstruktion, krankheitsbedingten Vorstellungsausfällen die Bedeutung für den inneren Tatbestand zu versagen. — Richtig dünkt uns demgegenüber — w i r wiederholen es noch einmal —, von vornherein darauf abzustellen, ob der Täter sich für das Ausbleiben des von ihm als möglich erkannten Erfolges eingesetzt hat. Hieran nämlich fehlte es dem Täter i n dem vom 112 113

B G H S t 3, 287 (288). BGHSt a.a.O.

Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Bundesgerichtshof entschiedenen Fall. Das Urteil stellt fest, der Täter sei der „Meinung gewesen, wenn sich seine Hoffnungen (!) nicht verwirklichen sollten und er seine Schulden nicht bezahlen könne, so sei es den Geschädigten zuzumuten, etwas für die notleidenden Künstler zu t u n und für die Bedeutung seiner heimatkundlichen Bestrebungen so viel Verständnis aufzubringen, daß sie den Schaden verschmerzten". Darin dokumentiert sich ganz klar ein Mangel an Bereitschaft, sich für das Ausbleiben von Schädigungen bei seinen Gläubigern ernsthaft einzusetzen. Bereits aus diesem Grunde hatte der Täter vorsätzlich gehandelt (dolus eventualis). 3. Erweiterung des bisherigen Ergebnisses: Freiheit als Aufgabe

I n dieser letzten Behauptung — der Täter habe vorsätzlich gehandelt, w e i l er es unterließ, sich für das Ausbleiben des als möglich erkannten Erfolges einzusetzen — ist bereits etwas vorausgesetzt, was noch zu untersuchen und zu beweisen sein w i r d : daß es nämlich für eine vorsätzliche Tat nicht nur ausreicht, wenn der Täter sich für den Eintritt eines Erfolges einsetzt, sondern auch wenn er sich für das Ausbleiben eines Erfolges nicht einsetzt. U m die Bedeutung dieses Unterlassungsmomentes i m Rahmen des Vorsatzes richtig zu würdigen, müssen w i r uns noch einmal auf das Wesen der Freiheit zurückbesinnen. W i r haben das Wesen der Freiheit i n zwei Grundthesen zusammengefaßt: Freiheit — so sagten w i r — ist negativ Unabhängigkeit von der kausalen Gesetzmäßigkeit der Natur und positiv selbstschöpferische Entscheidung für eine kausale Gesetzmäßigkeit der Natur. Diese Bestimmung erweist sich nunmehr als zu eng. Denn sie berücksichtigt nur die eine Freiheit, von der die Person Gebrauch macht; sie läßt hingegen jene andere Freiheit außer acht, von der die Person zwar Gebrauch machen könnte, deren sie sich aber entschlägt oder die sie sich entwinden läßt 1 1 4 . Bei jener anderen Freiheit kann nämlich nicht wie bei der ersten die Rede davon sein, daß die Person Haltung bewahre, daß sie Grundsätze bilde oder anwendbar befinde, daß sie sich einsetze oder sich etwas vorsetze. I m Gegenteil — die Person läßt sich treiben von ihren motivischen Kräften, ohne ihre Entscheidungsmöglichkeit zu gebrauchen. Sie könnte Haltung bewahren, aber sie bewahrt sie nicht. Sie könnte sich einsetzen, aber sie setzt sich nicht ein. Sie hat Freiheit, aber sie nutzt sie nicht. Dieser Umstand, daß die Person Haltung bewahren u n d sich für etwas einsetzen könnte, wäre indessen uninteressant und m i t dem Hinweis auf die Irrealität des ausgesagten Seins abgetan, wenn nicht noch ein zweiter Umstand hinzuträte: der Bezug der Freiheit zur Wertord114

Vgl. Keller, a.a.O., S. 189.

Mittel der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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nung. W i r sahen bereits, daß die Freiheit nur zur einen Hälfte i n den Seinsbereich, zur anderen Hälfte aber i n den Bereich der Werte hineinreicht, daß sie selbst ein formaler Wert und daher zwar für sich weder gut noch schlecht, wohl aber Voraussetzung für alles Gute und Schlechte ist 1 1 5 . Daraus folgt nunmehr, daß die Freiheit dem von jedem Wert ausgehenden Sollen untersteht, daß sie durch ein Gebot gebunden ist, welches hier, wo nur ein formaler Wert i n Frage steht, freilich auch nur formaler Natur sein kann. W i r formulieren das formal-ethische Gebot als „Du sollst wollenUm seinetwillen ist alsdann die Möglichkeit, Haltung zu bewahren oder sich einzusetzen, nicht nur Irrealität, wie es vom Seinsstandpunkt her scheinen möchte, sondern gleichzeitig ethische Realität — Realität nämlich insofern, als sie die reale Aufgabe erzeugt, der Freiheit zum Dasein i m Willen zu verhelfen. W i r erfahren diese Doppelnatur der Freiheit an bestimmten Handlungen von hoher Affektivität, etwa an einer Vergeltungshandlung, die unmittelbar vom Bedürfnis nach Rache für ein erlittenes Unrecht getragen wird, aber auch an Handlungen, die von unkritischen Vorstellungsbildern geleitet werden, also vorzüglich an den fahrlässigen Handlungen. Hier besteht allemal das Willensmoment scheinbar nur i n dem (ontischen) Mangel, den eingetretenen Erfolg nicht vermieden zu haben. Aber dieser Mangel betrifft nicht auch den ethischen Bereich der Freiheit. Denn w i r sagen, eine Person sei realiter frei gewesen, ihren A f fekten zu widerstehen, ihre Vorstellungsbilder zu berichtigen, und w i r meinen, sie habe sich auf Grund ihrer Fähigkeiten zu sich selbst bestimmen können und sollen, es sei ihr i n ihrer Freiheit also die reale Aufgabe der Selbstbestimmung gestellt gewesen. Diese ethische Realität der Freiheit, dieses Wollen-Sollen von etwas Realem, kann i n einer wertfreien Wissenschaft, wie etwa es die Naturwissenschaft ist, keine Rolle spielen, besitzt dafür u m so größere Bedeutung i n der Rechtswissenschaft, soweit diese soziale Wertwissenschaft ist. Hier ist die Freiheit Grundlage der Bewertung unabhängig davon, ob sie real faßbar ist. Denn die ontische Realität der Freiheit ist kein zusätzliches Objekt des sozial-ethischen Urteils . Wollen-Sollen und Wollen besitzen die gleiche Wertrelevanz. Das bedeutet i m einzelnen: Freiheit i m negativen Sinne, d. i. Haltung, w i r d gleichermaßen bewertet, ob der Einzelne sie wahrt oder nur wahren soll. Und zwar gilt das sowohl für die Haltung gegenüber sich selbst als auch gegenüber der Außenwelt: Wer gegenüber dem A n sturm seiner Antriebe und Beweggründe die Waffen streckt, steht wertmäßig dem gleich, der zu seinen Antrieben und Beweggründen steht; denn er war aufgerufen, dem Drang seines Innern gegenüber Siehe oben S. 176.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Haltung zu bewahren. Und wer seinen Vorstellungsbildern von der Außenwelt unkritisch gegenübertritt, der unbewußt Fahrlässige etwa, der einen Menschen für ein Stück W i l d hält, steht demjenigen gleich, der sich diese K r i t i k bewahrt hat, dem bewußt Fahrlässigen also, der m i t der Möglichkeit eines schlimmen Ausgangs seines Tuns rechnete; denn er war zur Erkenntnis aufgerufen. Ferner: Freiheit i m positiven Sinne, d . i . Sich-Einsetzen, muß ohne Rücksicht darauf bewertet werden, ob der Einzelne tatsächlich sich für etwas eingesetzt hat, oder ob er nur sich einsetzen sollte. Das gilt wiederum sowohl gegenüber dem Inneren als auch gegenüber der Außenwelt: Wer nicht den Entschluß faßt, einen i h m bekannten verbrecherischen Plan anzuzeigen (vgl. § 138 StGB), steht demjenigen gleich, der den Entschluß faßt, einen verbrecherischen Plan nicht anzuzeigen 118 . Und wer sich für die Vermeidung eines verbrecherischen Erfolges nicht einsetzt, muß demjenigen gleichbehandelt werden, der sich für die Herbeiführung des verbrecherischen Erfolges einsetzt. Denn i n beiden Fällen, dem der Nichtanzeige eines Verbrechens wie dem der Nichtabwendung des verbrecherischen Erfolges, waren die Täter durch das Postulat ihrer Freiheit aufgerufen, sich einzusetzen. I m Strafrecht werden i n Ubereinstimmung m i t unseren Ausführungen Unterschiede zwischen dem Wollen und dem Wollen-Sollen nicht berücksichtigt. Das zeigt sich bereits an den Definitionen, die beispielsweise für die Willensschuld, für die Fahrlässigkeit und für den Vorsatz gegeben werden. Wer zu seinen wertwidrigen Triebfedern steht, ist gleich schuldig wie derjenige, der sich gegenüber seinen wertwidrigen Triebfedern „gehen läßt". Denn Schuld ist allemal auch „der Mangel (Unterlassung) sinngemäßer Selbstbestimmung" 117 . Wer unbewußt fahrlässig einen Menschen tötet, hat gleichermaßen Unrecht wie derjenige, der dies bewußt fahrlässig tut. Denn das Wesen der Fahrlässigkeit liegt i m Verstoß gegen ein Sollen, liegt i n der Pflichtwidrigkeit, die sich auch auf die Nichtvoraussicht (Unterlassung!) des inkriminierten Erfolges beziehen kann 1 1 8 . Wer schließlich sich gegenüber der Möglichkeit eines strafbaren Erfolges gleichgültig verhält, w i l l ihn aus sozial-ethischer Sicht genauso wie derjenige, der sich aktiv für i h n einsetzt. Denn „das Wesen des Vorsatzes besteht darin, daß der Täter sich durch die Vorstellung, daß sein Verhalten sich zu einer Tatbestandsverwirklichung entwickeln werde und könne, nicht (Unterlassung!) von diesem, seinem Verhalten hat a b h a l t e n . . . lassen" 119 . Ganz allgemein läßt sich 116

Dazu A r m i n Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 76. Welzel a.a.O. S. 135. RGSt 50, 417; Kohlrausch/Lange, StGB § 59 A n m . I V 3 (S. 222 f.). Gut auch Maurach, A l l g . T., S. 455: Unrechtsgehalt der Fahrlässigkeit sei der „folgenschwere Mangel (Unterlassung!) an Sorgfalt". 119 Engisch, Vorsatz u n d Fahrlässigkeit, S. 231. 117

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Mittel der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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daher sagen, daß jeder, der infolge von Willensschwäche etwas unterläßt, sich genauso verantworten muß wie derjenige, der aus rechtsfeindlicher Willensanstrengung sich zum Nichthandeln entschließt. Denn das Wesen des Unterlassens liegt allemal auch i n der „Willensschwäche, welche die K r a f t nicht aufbringt (Unterlassung!), den Forderungen des Allgemeinwillens zu genügen" 1 2 0 , obwohl sie i h m genügen könnte und sollte. Dem strafrechtlich relevanten Willen wohnt hier ein Unterlassungsmoment inne, ein Moment ontischer Irrealität, welches verhindert, daß der Wille, daß Vorsatz, Fahrlässigkeit und Schuld durch ontologische Kategorien faßbar werden. A l l e i n eine wertende Betrachtungsweise vermag, vom Sollen, von der Norm her die Phänomene i n den Griff zu bekommen. Aber nicht nur an den überkommenen Definitionen der strafrechtlichen Zentralbegriffe, sondern auch an den praktischen Ergebnissen bewährt sich unsere These von der seins- und werthaften Doppelnatur des Willens. So läßt sich eine der wichtigsten Formen der Verbrechensbegehung, die unbewußte Fahrlässigkeit , durch eine ontologisch vorgehende Betrachtungsweise überhaupt nicht fassen. Das wiederum hat zu der Meinung verführt, daß die unbewußte Fahrlässigkeit überhaupt keine Grundlage für eine Strafe bilden könne. A r t h u r Kaufmann, der diese Ansicht zuletzt m i t Vehemenz vertreten hat, begründet sie eben damit, daß „das Nichtvorhandensein eines erwarteten Willens" „ein reines Negativum" sei 1 2 1 . Ontologisch gesehen ist das sicher richtig. Aber gerade diese ontologische Sicht ist zu einseitig, weil sie die sittliche Bedeutung des Phänomens übersieht. Nicht an das Sein schlechthin, wie es sich ontologisch fassen läßt, knüpft das Werturteil an, sondern an das Sein, das selbst Wertträger und deshalb m i t einem Sollen belastet ist. Solches werthaftes Sein ist aber allein die menschliche Freiheit, und sie gewinnt nicht nur ontische Realität i n der Entscheidung des Willens, sondern kraft des i h r innewohnenden Sollens auch ethische Realität i m Ausbleiben der Entscheidung. Wollen und WollenSollen stehen i n ihr gleichgewichtig nebeneinander, so daß es für das Werturteil keinen Unterschied abgibt, ob es an das Wollen oder an das Wollen-Sollen anknüpft. Denn noch einmal: Die ontische Realität der Freiheit ist gegenüber der ethischen Realität, die Tatsächlichkeit des Wollens ist gegenüber dem Wollen-Sollen kein zusätzliches Objekt des sittlichen Urteils. Dem Wollen-Sollen aber läßt sich die unbewußte Fahrlässigkeit ohne Schwierigkeiten unterordnen; denn i h r Vorwurf knüpft an den tatsächlichen Mangel des Willens an, der gleichzeitig ein sittlicher Mangel ist; oder deutlicher: an das tatsächliche Fehlen, das gleichzeitig ein sittlicher Fehler ist — „der Täter handelt, weil er in120 121

H. Mayer , A l l g . T., S. 113. A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip, S. 160.

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Der Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

folge ungenügender Anspannung seiner . . . Willenskräfte nicht voraussah" 122 .

den Erfolg

Gleiches wie für die unbewußte Fahrlässigkeit gilt auch für den Vorsatz bei Unterlassungsdelikten. Neuerdings hat A r m i n Kaufmann eine „radikale A b k e h r " 1 2 3 vom Unterlassungsvorsatz zu vollziehen versucht, die auf der gerügten ontologischen Betrachtungsweise beruht, ihr zufolge die Phänomene i n ein falsches Licht rückt und zu schwer vertretbaren Ergebnissen gelangt. Seine Ansichten haben daher fast überall Ablehnung gefunden 124 . Kaufmann behauptet, mangels Willensbetätigung sei kein Unterlassungsvorsatz als Verwirklichungswille denkbar 1 2 5 . Wiederum mag aus einer ontologischen Sicht diese Behauptung wenigstens teilweise zutreffen. Aber wiederum erweist sich die allein ontologische Betrachtung als zu einseitig, u m dem Phänomen des Vorsatzes Rechnung tragen zu können. Denn nicht, wie Kaufmann behauptet, „das Fehlen des Entschlusses, die gebotene Handlung vorzunehmen" 1 2 6 , ist Gegenstand des Werturteils bei den Unterlassungsdelikten, sondern die Nichterfüllung der i n der Freiheit beschlossenen Aufgabe zu wollen; nicht also an ein Fehlen knüpft das sittliche Werturteil an, sondern an einen Fehler. Folgte man Kaufmanns Ansicht, so müßte auch derjenige, dem — trotz Kenntnis des drohenden Erfolgseintritts — die Fähigkeit abging, sich zur Erfolgsabwendung zu entscheiden, vorsätzlich ein Unterlassungsdelikt 127 begangen haben, obwohl i h m mangels Freiheit die Aufgabe, sich für die Erfolgsabwendung einzusetzen, gar nicht gestellt w a r 1 2 8 . 4. Der Begriff des personalen Verhaltens

Die i m vorigen Abschnitt aufgezeigte Doppelnatur der Freiheit, Realität i n einem ontischen, aber auch i n einem ethischen Sinne zu besitzen, erweist sich als bedeutsam auch für den Verhaltens-(Handlungs-) Begriff. Nach traditioneller Auffassung enthalten Handlung und Unterlassung objektive und subjektive Elemente. Diese Unterscheidung ist nur solange unschädlich (wenngleich doch wohl ohne jeden Nutzen), als man sie allein theoretisch begreift und nicht versucht, für sie reale Entsprechungen i n der Unterscheidung von Körperlichkeit und Psyche 122

Maurach, A l l g . T., S. 455. A r m i n Kaufmann, i n Weber-Festschrift, S. 207 (207). Androulakis, Unterlassungsdelikte, S. 262 ff.; Engisch i n JZ 62, 169 ff.; Hardwig i n ZStW 74, 27 ff.: Henkel i n M o K r i m 1961, 178; Lampe i n ZStW 72, 93 (98); Roxin i n Z S t W 74, 530; u. a. 125 Kaufmann, a.a.O., S. 219. 126 Kaufmann, a.a.O., S. 226. 127 Beziehungsweise, w e n n man Kaufmanns Terminologie folgt: ein v o r sätzliches Unterlassungsdelikt. 128 v g l . zu den hier berührten Problemen demnächst näher Lampe, Gleichstellung von Handeln und Unterlassen (in ZStW Bd. 79). 123

124

Mittel der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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des Täters zu entdecken. Jedoch geschieht gerade dies immer wieder mit der Folge, daß die ethische und damit allein einem Werturteil unterliegende Seite des Phänomens der Handlung i m Dunkeln bleibt. So bezeichnet die sog. natürliche oder kausale Handlungslehre die Handlung als „ein körperliches Verhalten, das vom Willen beherrscht w i r d " 1 2 9 . Die Konsequenzen dieser Auffassung werden von Maihofer gezogen: „Eine solche natürliche 4 , physiologisch-psychologische Definition der Handlung führt folgerichtig am Merkmal der Körperlichkeit zur Ausscheidung der Unterlassungen aus dem strafrechtlichen Begriffe der Handlung, da hier eine physische »Körperlichkeit 4 des Verhaltens nicht erforderlich ist; ebenso am Merkmal der Willkürlichkeit zur Ausscheidung aller unbewußt fahrlässigen Begehungs- und Unterlassungsdelikte, da bei ihnen eine psychologische [richtiger: psychische] ,Willkürlichkeit' des Verhaltens nicht notwendig ist 1 3 0 ." Aber auch die sog. finale Handlungslehre erweitert lediglich die W i l l kürlichkeit durch ihren Bezug auf bestimmte gewollte Folgen 1 3 1 , ohne die Grenzen einer i m Ontischen verhafteten Betrachtungsweise zu verlassen. Denn — wie wiederum Maihofer zutreffend feststellt — „selbst wenn w i r den zielbewußten, das kausale Geschehen lenkenden W i l len' mit Welzel als einen nicht nur innerlichen, sondern das äußere Kausalgeschehen durchherrschenden (,überdeterminierenden') ,Steuerungsfaktor' verstehen, als einen Erfolgswillen also, der ,das äußere Geschehen objektiv gestaltet', so ergänzen w i r damit doch lediglich die bisherige faktische Erklärung der Handlung aus einer ,inneren' U r sache: dem kausalen Handlungswillen als dem psychischen Faktum des Gewolltseins der Handlung (Willkürlichkeit), durch eine weitere faktische Erklärung auch des Erfolges aus einer ,inneren' Ursache: dem finalen Erfolgswillen als dem psychischen Faktum des Gewolltseins des Erfolges (Willentlichkeit)" 1 3 2 . Erst die Aufhebung der Differenz zwischen ontischer und ethischer Betrachtungsweise, erst die anthropologische Schau auf die Gesamtheit, auf die Doppelnatur des Freiheitsphänomens, auf Wollen und WollenSollen, schafft die gesuchte Grundlage für einen einheitlichen Handlungs-(Verhaltens-)Begriff: Personales Verhalten ist ein naturhaftes Geschehen, das vom Wollen oder Wollen-Sollen des Menschen getragen w i r d und daher i h m zugerechnet werden kann. W i r nehmen i n dieser 129 Schönke! Schröder, StGB Vorbem. 15 (S. 16); Baumann, A l l g . T., S. 171 f.; Mezger/Blei , Allg. T., S. 50 ff. 130 Maihofer i n : Schmidt-Festschrift S. 156 (159); vgl. auch Maihofer , H a n d lungsbegriff, S. 17 ff., 20 ff. u n d 25 ff. 131 Welzel , a.a.O., S. 31; vgl. auch Nowakowski i n JZ 58, 388 (391): „ W i l l k ü r lichkeit ist Finalität unter Abstraktion von i h r e m konkreten I n h a l t " . Ä h n l i c h Mezger , Lehrbuch, S. 105 f., 108 f. 132 Maihofer i n : Schmidt-Festschrift, S. 161.

13 Lampe

1 9 4 D e r Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

Begriffsbestimmung Ansätze wieder auf, zu denen w i r i n unseren k r i tischen Erörterungen des subjektiven Unrechtsbegriffs Welzels bereits vorgestoßen waren 1 3 3 . W i r sahen, daß Freiheit i m negativen Sinne nicht nur Haltung bewahren, sondern auch Haltung bewahren sollen, daß Freiheit i m positiven Sinne nicht nur sich-einsetzen, sondern auch sich-einsetzen-sollen bedeutet. Beides, Haltung und Einsatz, hatten w i r aber bisher nur auf die Subjektivität der Psyche bezogen, sei es, daß diese uns i n ihren vitalen, sei es, daß sie uns i n ihren noetischen Funktionen entgegentrat. I m Begriff des Verhaltens beziehen w i r Haltung und Einsatz nun auf die Objektivität der menschlichen Physis. W i r haben es i m folgenden daher nicht mehr m i t der menschlichen Entscheidungsfreiheit, sondern mit der Handlungsfreiheit zu tun. Genau aber wie bei der Entscheidungsfreiheit können w i r rein schematisch scheiden: Das Bewahren der Haltung gegenüber der Physis, und zwar jeweils unterschieden gegenüber der Untätigkeit und der Tätigkeit der Physis (Unterlassung und Handlung); das Bewahren-Sollen der Haltung gegenüber der Physis bei Handlung und Unterlassung; das Sich-Einsetzen für eine Tätigkeit oder Untätigkeit der Physis (Handlung oder Unterlassung) und das Sich-EinsetzenSollen für eine Tätigkeit oder Untätigkeit der Physis (Handlung oder Unterlassung). Diese vier Formen der Freiheit gegenüber der Physis sind uns, wie i m einzelnen zu zeigen sein wird, als vorsätzliche Vornahme einer Handlung oder Unterlassung, als bedingt vorsätzliche Vornahme einer Handlung oder Unterlassung, als bewußt fahrlässige Vornahme einer Handlung oder Unterlassung und als unbewußt fahrlässige Vornahme einer Handlung oder Unterlassung i m Strafrecht ohne weiteres geläufig. Die nachfolgenden Ausführungen sollen daher nichts eigentlich Neues bringen, sondern lediglich dem Aufweis dienen, daß Wollen- und Wollen-Sollen auch i m Verhaltensbereich stets gleichgestellt werden. Beginnen w i r m i t dem unbewußt fahrlässigen Unterlassen. I h m liegt ein Bewahren-Sollen der Haltung gegenüber einer physischen Untätigkeit zugrunde. Der Täter tut nichts und w i l l auch nichts; dennoch besteht das unbewußt fahrlässige Unterlassen nicht nur i n einem ontisch negativen Verhalten, sondern auch i n einer ethischen Realität: dem i n Freiheit begründeten Gebot, Haltung gegenüber der Untätigkeit zu bewahren, sich gegenüber bloßer Passivität zu distanzieren und deren Folgen zu überprüfen. — Ein bekanntes Beispiel ist der Schrankenwärter, welcher vergißt, die Schranke vor dem herannahenden Zug zu schließen. Er war kraft seiner Freiheit aufgerufen, gegenüber seiner Untätigkeit Haltung zu bewahren und sich über ihre Folgen Rechen133 siehe oben S. 87 ff. (besonders 90 f.).

M i t t e l der Person für Lebensplanung u n d Lebensgestaltung

195

schaft abzulegen. Tat er dies nicht, so verstieß er gegen das formalethische Gebot „ d u sollst (material: die Schranke schließen) wollen". Den unbewußt fahrlässigen Unterlassungen stehen die unbewußt fahrlässigen Handlungen nahe. Ihnen liegt zwar ein naturhaftes Sein, die Vornahme einer Körperbewegung, als Substrat zugrunde; doch hat der Täter zur Körperbewegung personal nicht Stellung genommen noch gar sich für sie eingesetzt. Das personale Moment ist, allein ontologisch betrachtet, nicht vorhanden; es ist ein Nichts — genauer gesagt: ein nicht-Wollen (fehlendes Wollen). Die Fähigkeit des personalen Moments, Gegenstand eines Werturteils zu sein, liegt darum nicht i n seiner ontischen Realität, sondern i n seiner ethischen Realität, i m WollenSollen. Der Täter war frei, seine Körperbewegung (ontisch) zu steuern, und er war kraft seiner Freiheit aufgerufen, die Steuerung i n die Hand zu nehmen; er war m. a. W. durch das Wollen-Sollen zur Entscheidung über die finale Steuerung bestimmt („überdeterminiert"). Ontisch hat er sich ihrer entschlagen, ethisch jedoch konnte er sich ihrer nicht entschlagen. Denn nur über das Wollen, nicht über das Wollen-Sollen hatte er Macht. Vom ethischen Standpunkt aus ist daher sein Verhalten nicht bloß ein Fehl an Haltung, sondern eine fehlerhafte Haltung, für die er einzustehen hat. — Verdeutlichen w i r uns dies an einem Beispiel: Ein Jäger schießt auf ein Stück Wild, zielt aber sorgfaltslos und t r i f f t so den Treiber, der, ohne daß der Jäger i h n bemerkt hatte, i n der Nähe des Wildes stand. Hier hat der Jäger die von i h m i n Gang gesetzte Kausalität, die ihre strafrechtliche Relevanz durch den Tod des Treibers erhält, nicht vorhergesehen und daher auch nicht i n der Hand gehalten. Er hat sich zu ihr nicht verhalten i m ontischen, tatsächlichen Sinne. Jedoch war er fähig und kraft dieser Fähigkeit auch aufgerufen, zu dem Erfolg, dessen Möglichkeit sich bereits abzeichnete, Stellung zu beziehen. Der ontische Mangel w i r d daher ausgeglichen durch den Verstoß gegen das formal-ethische Sollen, eine persönliche Haltung gegenüber jedem angestoßenen oder beeinflußten Kausalverlauf einzunehmen. M i t den Worten Welzels, die w i r hier noch einmal zitieren wollen: „Der Wille . . . muß bei der Auswahl und bei der Anwendung der Handlungsmittel auch die Folgen berücksichtigen, die die M i t t e l außer dem Ziele oder an dessen Stelle herbeiführen können 1 3 4 ." A n nächster Stelle stehen die bewußt fahrlässigen Unterlassungen. Die ihnen zugrundeliegende Untätigkeit beruht nicht, wie bei den unbewußt fahrlässigen Unterlassungen, auf einem Mangel an Haltung gegenüber der eigenen Untätigkeit i n der Gefahrsituation, sondern i n einer mangelhaften Haltung. Das material-ethische Unwerturteil „du hast die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen" knüpft 134 Welzel, a.a.O., (8. Aufl.) S. 113. Vgl. auch oben S. 88. 13*

1 9 6 D e r Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts

daher nicht an einen Verstoß gegen das formal-ethische Gebot „ d u sollst wollen" („der Wille m u ß . . . berücksichtigen") an, sondern an die tatsächlich erbrachte Haltung. I m Gegensatz zur unbewußten Fahrlässigkeit hat hier der Täter zwar die Folgen seiner Untätigkeit überprüft; an dem ontischen Faktum seiner Haltung kann also kein Zweifel bestehen. Aber er hat die Prüfung nicht sorgfältig genug vorgenommen und damit dem material-ethischen, an seine negative Freiheit gerichteten Gebot, bezüglich der Rechtsgüter anderer Vorsicht walten zu lassen, zuwidergehandelt. — Betrachten w i r auch hierzu ein Beispiel: A sieht, wie den B, der einen Fluß durchschwimmen w i l l , plötzlich die Kräfte verlassen. Selbst Nichtschwimmer, vermag er den B nur dadurch zu retten, daß er i h m einen am Ufer angebrachten Rettungsring zuwirft. Er t u t dies, w i r f t aber fahrlässig den Ring zu weit flußabwärts, so daß der Ring abtreibt und B i h n nicht ergreifen kann. B ertrinkt. A hat hier, unterstellt man einmal seine Garantenstellung, ein fahrlässiges Unterlassungsdelikt begangen. Das Fahrlässigkeitsurteil knüpft aber, i m Gegensatz zum oben erwähnten Schrankenwärter-Beispiel, nicht daran an, daß er zu seiner Unterlassung überhaupt keine Stellung bezogen hätte. I m Gegenteil — A hat sich die Folgen seiner Untätigkeit vor Augen geführt und ist daraufhin auch tätig geworden. Ansatzpunkt des Fahrlässigkeitsurteils ist hier vielmehr die Sorgfaltslosigkeit dieser Haltung, die den A bei seiner Rettungshandlung nicht sein Ziel erreichen ließ. Es fehlt also nicht an einer Haltung des A, wohl aber an einer fehlerfreien Haltung. Ganz ähnlich sind wiederum die bewußt fahrlässigen Handlungen zu beurteilen. Reißt jemand, u m den Zusammenstoß m i t einem Radfahrer zu vermeiden, seinen Wagen nicht genügend zur Seite, so ist die Haltung, die er gegenüber dem als möglich erkannten Unfall einnimmt, ohne Schwierigkeiten als zwar nicht fehlend, aber fehlerhaft zu erkennen. Es liegt daher kein Verstoß gegen das formal-ethische Gebot „ d u sollst wollen (hier: Haltung bewahren)", wohl aber ein Verstoß gegen das material-ethische Gebot, die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt innezuhalten, vor. W i r kommen nunmehr zu den vorsätzlichen Delikten. Ihre schwächste Begehungsform ist die durch bedingt vorsätzliches Unterlassen. Der Täter sieht einen strafbaren Erfolg als Folge seiner Untätigkeit voraus, setzt sich aber nicht dafür ein, daß der Erfolg ausbleibe. Obwohl es hier an einem konkreten Einsatz des Täters fehlt, der Einsatz ontologisch betrachtet also ein Nichts ist, hat der Täter doch den Erfolg „gewollt". Worin dieses voluntative Moment zum Ausdruck kommt, ist i n der Rechtslehre bestritten, und auch die Rechtsprechung hat nicht immer einheitlich entschieden. Die herrschende Lehre spricht heute von einem

Mittel der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

197

„In-Kaufnehmen" des Erfolges 135 , gerät aber i n Schwierigkeiten, wenn sie die Voraussetzungen angeben soll, unter denen der Täter einen Erfolg i n Kauf genommen habe. Ein Teil der Lehre leitet das In-Kauf-nehmen aus emotionalen Momenten her: der Täter müsse den Erfolg innerlich billigen 1 3 6 . Ein anderer Teil legt hingegen intellektuelle Voraussetzungen zugrunde: der Täter müsse den Erfolg sich vorstellen (i. S. von: für-möglich-halten) 1 3 7 . Beides kann nicht befriedigen: Denn einerseits braucht der Täter das, was er w i l l , nicht stets zu billigen, sondern kann es auch als ein Übel i n Kauf nehmen, das geschehen müsse; andererseits kann der Täter aber einen Erfolg billigen und sich trotzdem dafür einsetzen, daß der Erfolg nicht eintritt (Beispiel: Ein Arzt operiert seinen Todfeind; er billigt, daß dieser stirbt, operiert aber trotzdem sachgemäß und setzt sich damit ein, daß der Patient am Leben bleibt). Ferner braucht einerseits der Täter das, was er i n Kauf nimmt, nicht unbedingt „für möglich zu halten"; es kann für i h n vielmehr so „unvorstellbar" sein, daß i h m etwas mißlingt und ein von i h m nicht gewünschter Erfolg eintritt, daß er sich für die Vermeidung überhaupt nicht einsetzt; andererseits kann der Täter sich einen Erfolg als möglich vorstellen, ohne i h n deshalb auch zu wollen: dann nämlich, wenn er sich für seine Vermeidung einsetzt. Aus diesen Gründen erscheint es richtiger, das In-Kauf-nehmen weder auf die emotionale noch auf die intellektuelle Seite der Psyche zu beziehen, sondern auf den Willen selbst, und es als ein „Sich-Abfinden" zu deuten, wie der Entwurf 62 i n § 16 es tut, oder, was dasselbe meint, als einen Mangel an Einsatz. Diese letzte Bestimmung wäre gegenüber dem Sich-Abfinden noch insofern präziser, als sie nicht voraussetzt, daß der Täter sich ausdrücklich mit einem Erfolg abfindet, sondern es genügen läßt, daß der Täter es unterläßt , sich mit einem Erfolg nicht abzufinden. Auch wer also einem Erfolg so gleichgültig gegenüber steht, daß i h m der Gedanke, sich u m seine Vermeidung zu bemühen, gar nicht kommt, hat demnach den Erfolg „ i n Kauf genommen" und damit gewollt. Ist es dem Täter beispielsweise so gleichgültig, ob die Hilfeschreie, die er hört, von einem Kinde herrühren, das i n Not ist, oder das nur zum Scherz schreit, und unterläßt er deshalb jede Bemühung, sich der Sachlage zu vergewissern, so unterläßt er vorsätzlich; er ist, wenn dem K i n d tatsächlich etwas zugestoßen war, wegen unterlassener Hilfeleistung zu bestrafen (§ 330c StGB). Grund für diese Strafbarkeit ist nicht, daß der Täter sich m i t dem Erfolg abgefunden hätte, sondern daß er es unterlassen hat, 135 Schönke/Schröder, StGB § 59 A n m . 54; Baumann, Allg. T., S. 377 ff.; Mezger/Blei, A l l g . T., S. 174 ff. 136 Baumann, a.a.O.; Mezger¡Blei, a.a.O. 137 Schönke/Schröder, a.a.O. Der Begriff des „Sich-Vorstellens" deckt sich hier also nicht m i t dem oben entwickelten Begriff der psycho-noetischen „ V o r stellung"; er schließt vielmehr eine gewisse subjektive Wahrscheinlichkeit, ein In-Rechnung-Stellen, ein.

1 9 8 D e r Begriff der Person i m Rahmen des personalen Unrechts sich m i t d e m E r f o l g nicht

abzufinden,

d. h. sich f ü r

Erfolgsabwendung

einzusetzen. D i e bedingt vorsätzlichen Begehungsdelikte b i e t e n gegenüber d e n bedingt vorsätzlichen Unterlassungsdelikten keine neuen Probleme, s o n d e r n n u r neues A n s c h a u u n g s m a t e r i a l . D e n G r u n d s a t z h a t A r m i n K a u f m a n n m . E. r i c h t i g f o r m u l i e r t : „ A l l e U m s t ä n d e , d i e der H a n d e l n d e als m ö g l i c h e r w e i s e seiend oder e i n t r e t e n d i n R e c h n u n g s t e l l t , w e r d e n v o n seinem V o r s a t z u m s p a n n t , es sei denn, daß sein V e r w i r k l i c h u n g s w i l l e gerade d a r a u f g e r i c h t e t ist, eine als m ö g l i c h e r w e i s e e i n t r e t e n d e r k a n n t e N e b e n f o l g e z u v e r m e i d e n 1 8 8 . " W e r also e i n K i n d d a d u r c h t ö t e t , daß er es v e r s t ü m m e l t , h a t d e n T o d v o r s ä t z l i c h v e r u r s a c h t , w e n n er sich n i c h t d a f ü r eingesetzt h a t , daß das K i n d a m L e b e n b l i e b . O b er sich aber eingesetzt h a t , entscheiden n i c h t d i e H o f f n u n g e n , d e n e n er sich b e i seiner H a n d l u n g h i n g e g e b e n h a t , s o n d e r n sein tatsächlicher Einsatz, d e r nach s i t t l i c h e n M a ß s t ä b e n z u e r m i t t e l n i s t 1 3 9 . Nach diesen Grundsätzen ist auch der bekannte F a l l i n BGHSt 7, 363 zu lösen. Hier hatten die Angeklagten vor, den M zu berauben. Sie erwogen zunächst, i h n durch Würgen m i t einem Lederriemen widerstandsunfähig zu machen, u m anschließend die gewünschten Sachen wegzunehmen. Da sie jedoch die Gefahr sahen, daß M nicht n u r bewußtlos werden, sondern sterben könne, vertauschten sie dieses Handlungsmittel m i t einem anderen, von dem sie eine derart gefährliche W i r k u n g nicht erwarteten: nämlich einem Sandsack, der nach i h r e r Vorstellung sich beim A n p r a l l gegen den K o p f der Schädelform anpassen u n d deshalb keine ernsthaften Verletzungen herbeiführen werde. D a m i t setzten sich die Täter für die Vermeidung des Todeserfolges ein. Hätten sie sich darauf beschränkt, den Sandsack zu benutzen, so dürften sie auch dann nicht wegen vorsätzlicher Tötung bestraft werden, w e n n M infolge der Schläge, die i h m m i t dem Sandsack versetzt wurden, gestorben wäre. Bei der Ausführung der Tat stellte sich jedoch heraus, daß der Sandsack nicht geeignet war, den M zu betäuben. Da besannen sich die Angeklagten auf jenes M i t t e l , das sie zuerst zur Betäubung des M verwenden w o l l t e n : den Lederriemen. Obwohl sie sich seine Gefährlichkeit vor der Tat v o r Augen geführt hatten, drosselten sie den M m i t i h m solange, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab. — Hier hatten sich die Täter i n ihrer Erregung wahrscheinlich nicht soweit über i h r T u n Rechenschaft abgegeben, daß man sagen könnte, sie hätten sich m i t dem Tode des M „abgefunden". Dennoch haben sie vorsätzlich gehandelt; denn bei i h r e m Vorgehen m i t dem Lederriemen setzten sie sich keinesfalls mehr dafür ein, daß der Tod des M ausbliebe u n d n u r seine Betäubung einträte. Der Bundesgerichtshof hat sie daher m i t Recht wegen Mordes verurteilt. Es l i e g t i n d e r N a t u r d e r Sache, daß d i e e i n d e u t i g s t e B e g e h u n g s f o r m s o w o h l des U n t e r l a s s u n g s - als auch des H a n d l u n g s d e l i k t s d i e g e r i n g sten A b g r e n z u n g s s c h w i e r i g k e i t e n b e r e i t e t : d i e direkt vorsätzliche Tat, 138

A r m i n Kaufmann i n ZStW 70, 64 (81). Insoweit besteht ein gewisser Unterschied zur Ansicht Kaufmanns, der eine Abgrenzung nach ontologischen K r i t e r i e n zu finden hofft. 139

Mittel der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung

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bei welcher der Täter es nicht nur dabei bewenden läßt, sich für das Ausbleiben eines als möglich erkannten Erfolges nicht einzusetzen, sondern bei der sich der Täter sogar für den strafbaren Erfolg einsetzt. Hier ist die Entscheidung des Täters für jenen Kausalverlauf gefallen, der — wenigstens nach seiner Vorstellung — zur Vollendung des Deliktes führen wird. Der (böse) Wille ist nicht nur der ethischen, sondern auch der ontologischen Betrachtungsweise evident. Wertungsprobleme entstehen hier nicht. W i r f a s s e n z u s a m m e n : M i t t e l der Person für Lebensplanung und Lebensgestaltung sind die Kräfte ihrer Freiheit, die uns i n den Grundsetzungen, den Einsetzungen und den Vorsetzungen faßbar werden. A l l diese Kräfte gehören nur zum Teil dem ontischen Bereich an; sie besitzen darüber hinaus eine ethische Realität, die sich i n einem i n der Freiheit aufklingenden Sollen äußert — i n einem Sollen, welches sich auf die ontische Realität bezieht und den einzelnen verpflichtet, seiner Freiheit Dasein i m Willen zu geben. Dementsprechend ist auch der Verhaltensbegriff zu bestimmen. Auch er baut nicht auf der Freiheit i n ihrer ontischen Realität, sondern i n ihrer ontischen und ethischen Realität auf. Wollen und Wollen-Sollen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die jeweils entscheidende Frage geht daher nicht nur dahin, ob der Täter etwas gewollt oder nicht gewollt habe, sondern auch ob er etwas habe wollen oder nicht wollen sollen. Zweiter

Abschnitt

Das Unrecht der Person (Personaler Unrechtsbegriff) Nicht i n der ganzen Fülle ihrer Grundlagen und Mittel zu Lebensplanung und Lebensgestaltung kann die Person i m Unrecht stehen. Bedeutsam sind hier vielmehr nur diejenigen Funktionen, m i t denen sie die Grenzen, die ihrer freien Entfaltung auf dem Gebiete des Rechts gesetzt sind, überschreitet und damit ins Unrecht gerät. Welches sind diese Grenzen und wann werden sie überschritten? Einen ersten Ansatz zur Beantwortung dieser Frage finden w i r i n Art. 2 Abs. 1 GG. Dort w i r d anerkannt, daß i m Recht diejenige sich frei entfaltende Persönlichkeit steht, welche nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen das Sittengesetz verstößt. Hieraus läßt sich folgern, daß i m Unrecht diejenige sich frei entfaltende Persönlichkeit steht, welche die Rechte anderer verletzt und gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen

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Das Unrecht der Person

das Sittengesetz verstößt. Ist diese Folgerung richtig, so haben w i r einen personalen Unrechtsbegriff i n Händen, welcher objektiv das Überschreiten der durch die Rechtsordnung oder das Sittengesetz gesetzten Schranken, subjektiv aber das Handeln einer freien Persönlichkeit voraussetzt. Es ist indessen nicht schwer zu sehen, daß sich gegen einen solchen Unrechtsbegriff genau dieselben Einwände erheben lassen, die w i r i n unseren kritischen Betrachtungen der bestehenden Unrechtslehren sow o h l gegenüber der objektiven als auch gegenüber der subjektiven Unrechtslehre erhoben haben. Werden die Schranken, welche das freie Subjekt nicht überschreiten darf, ohne ins Unrecht zu geraten, wirklich durch die außerhalb der Persönlichkeit liegenden Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz aufgerichtet, so läßt sich die Unrechtseigenschaft subjektiver, d. h. innerhalb der Persönlichkeit liegender Unrechtselemente, nicht begründen. Der Entschluß des Täters beim untauglichen Versuch, seine Absichten und Beweggründe etwa beim Betrug oder Diebstahl — sie alle könnten für das Unrecht nicht relevant werden, weil sie weder eine Verletzung der Rechte anderer noch eine Störung der verfassungsmäßigen Ordnung noch des Sittengesetzes enthalten. Das ist für die Verletzung der Rechte anderer ohne weiteres offenbar. Was weiterhin die verfassungsmäßige Ordnung anbelangt, so schweigt sie über die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs geradeso wie über die Unrechtseigenschaft etwa der Diebstahlsabsicht; es läßt sich ihr daher nicht gut entnehmen, daß sie durch beides gestört sei. Ja, es käme wohl niemand auf den Gedanken, einem Gelehrten, welcher die Meinung vertritt, der untaugliche Versuch sei nicht strafbar, vorzuwerfen, er befürworte die Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung, oder einem anderen, welcher der Meinung ist, die Zueignungsabsicht sei kein Unrechts-, sondern ein Schuldmerkmal, entgegenzuhalten, er übersehe die Störung der verfassungsmäßigen Ordnung, die m i t jener Absicht verknüpft sei. Und schließlich ist auch das Sittengesetz nicht geeignet, Rechtsschranke zu sein, da es Unrechtsund Schuldmerkmale gleichermaßen umfaßt und somit die eigentlich schwerwiegende Frage, welche sittlichen Schranken rechtlich bedeutsam sind, nicht beantworten kann. Aber auch gegen das subjektive Erfordernis, das Handeln einer freien Persönlichkeit, gibt uns eine Rückerinnerung an unsere kritische Untersuchung der heutigen Unrechtslehren Bedenken ein, vor allem wenn w i r der Schwierigkeiten gedenken, welche jedem Bemühen der subjektiven Lehre bis heute entgegenstanden, ein personales Unrecht zu begründen, welches die Schuld seines Urhebers nicht voraussetzt. W i r müssen uns daher sehr genau überlegen, wie das Merkmal „freie Entfaltung der Persönlichkeit" zu begreifen sei: erfordert es nur die Hand-

Das Unrecht der Person

lungs- oder auch die Motivationsfreiheit, oder gar eine noch andersartige und bisher von uns nicht behandelte Freiheit, etwa dem Unrechtsgehalt der Tat gegenüber? Erfordert es — kurz gesagt — eine schuldhaft handelnde Persönlichkeit? Dem A r t . 2 Abs. 1 GG sind Antworten auf diese Fragen unmittelbar nicht zu entnehmen. Der Text der Bestimmung läßt mehrere Möglichkeiten offen, und es kann daher nur versucht werden, i m Wege der Auslegung dem Sinngehalt und damit der A n t w o r t auf unsere Frage nach dem Wesen des personalen Unrechts näher zu kommen. Leider besteht nun allerdings über die Auslegung des A r t . 2 Abs. 1 GG nicht einmal i n großen Zügen Einigkeit. Dies ist u m so bedauerlicher, weil die freie Entfaltung der Persönlichkeit als erstes und oberstes Prinzip unserer Rechtsordnung anerkannt w i r d und das Bundesverfassungsgericht sogar die sich frei entfaltende Persönlichkeit i n den Mittelpunkt eines Wertsystems gestellt hat, das alle Rechtsgebiete, also auch das Strafrecht, beherrscht 1 . Von der Rechtsprechung 2 w i r d i n Übereinstimmung m i t der überwiegenden Lehre 3 der Begriff der freien Entfaltung der Persönlichkeit weit ausgelegt. Dem steht jedoch eine andere, insbesondere von Hans Peters 4 vertretene Auffassung gegenüber, welche die Schutzfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG auf einen Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit beschränken möchte. Die Begründung der herrschenden Lehre — insbesondere des Bundesverfassungsgerichts 5 — ist wenig überzeugend, i m einzelnen streitig und mündet i n einen Zirkelschluß. Aus den dem Individuum als Glied der Gemeinschaft auferlegten Beschränkungen (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz) folgert das Bundesverfassungsgericht nämlich, daß das Grundgesetz i n A r t . 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne meine und inhaltlich nichts anderes bedeute als die ursprüngliche Fassung: Jeder kann t u n und lassen, was er w i l l . „Denn es wäre nicht verständlich", so führt das Gericht aus, „wie die Entfaltung innerhalb eines Kernbereichs" der menschlichen Persönlichkeit „gegen das Sittengesetz, die Rechte anderer oder gar gegen die verfassungsmäßige Ordnung einer freiheitlichen [petitio principii!] Demokratie sollte verstoßen können." — Aus der umfassenden Bedeutung des Freiheitsrechtes w i r d dann wiederum auf die Notwendigkeit ebenso umfassender Einschränkung durch die verfassungsmäßige Ordnung zurücJcgeschlossen. Die verfassungsmäßige Ordnung 1

BVerfGE 7, 198 (205). Vgl. auch Henkel, Recht u n d Individualität, S. 7. BVerfGE 6, 32 (36 ff.). 3 Dürig i n Maunz/Dürig, G G A r t . 2 Abs. 1 Randnr. 5 ff.; Forsthoff i n B B 53, 421 f.; Hamann, G G A r t . 2 A n m . C 3; Jerusalem i n SJZ 50, 1 (3 f.); Wernicke i n BonnerKomm. z. GG, A r t . 2 A n m . I I l a u. 2d; u. a. 4 Hans Peters i n : Festschrift f ü r Laun, S. 669 (672 if.). 5 BVerfGE 6, 32 (36 ff.). 2

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sei die „der Verfassung gemäße", die „gemäß der Verfassung aufgebaute und i m Rahmen der Verfassung sich haltende Rechtsordnung" 6 . „Der Bürger w i r d i n seiner allgemeinen Handlungsfreiheit eingeschränkt nicht nur durch die Verfassung oder gar nur durch elementare Verfassungsgrundsätze', sondern durch jede formell und materiell verfassungsmäßige Norm 7 ." Konsequenz solcher Rechtsprechung ist dann, daß der Verfassungssatz des A r t . 2 Abs. 1 GG, welcher dem Gesetzgeber i n der Form: Jeder kann t u n und lassen, was er w i l l — nicht feierlich genug erschien, zu der inhaltlich noch trivialeren Fassung herabgewürdigt w i r d : Jeder kann tun und lassen, was nicht verboten ist. Schon i n den Beratungen zum Entwurf des Grundgesetzes hatte Thoma darauf hingewiesen, daß ein Grundrechtssatz, der dem Menschen die Freiheit gebe, soweit er nicht von Rechts wegen unfrei sei, zu einer Banalität werde 8 . Das Bundesverfassungsgericht sah sich denn auch veranlaßt, dem naheliegenden Vorwurf entgegenzutreten, daß das Grundrecht des A r t . 2 Abs. 1 GG i n dieser i h m gegebenen Auslegung „leerlaufe". Es glaubte, dem V o r w u r f dadurch zu entgehen, daß es auf die eben noch als alleiniges Schutzobjekt des A r t . 2 Abs. 1 GG abgelehnte Menschenwürde — denn nichts anderes ist der Kernbereich menschlicher Persönlichkeit 9 — hinwies, die jedem einzelnen verfassungsmäßig vorbehalten sei. „Es besteht ein letzter unantastbarer 10 Bereich menschlicher Freiheit, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist. Ein Gesetz, das i n ihn eingreifen würde, könnte nie Bestandteil der ,verfassungsmäßigen Ordnung' sein 11 ." Besieht man dieses Argument recht, kann es wohl nur als Eingeständnis gewertet werden, daß das Grundrecht des A r t . 2 Abs. 1 GG leerläuft, soweit nicht die Menschenwürde angetastet ist. Damit ist aber — gleichsam durch die Hintertür — die Menschenwürde doch zum alleinigen Schutzobjekt des A r t . 2 Abs. 1 GG geworden und dasselbe Ergebnis erreicht wie bei jener oben zitierten engen Auslegung, die den Schutz des A r t . 2 Abs. 1 GG von vornherein auf den Kernbereich menschlicher Freiheit beschränkt. Nur ist die Begründung selbst dieses Ergebnisses noch widerspruchsvoll. Denn die Beschränkung der verfassungsmäßigen Ordnung auf solche Normen, die den spezifischen Wert der Person respektieren, folgt nicht etwa aus A r t . 2 Abs. 1 GG unmittelbar, sondern aus den „obersten Grundwerten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als der verfassungsrechtlichen Wertordnung . . . , den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen 6

BVerfGE 6, 32 (37). BVerfGE 6, 32 (38). JöR Bd. I (1951) S. 56. 9 Vgl. Wintrich i n : Festschrift f ü r Apelt, S. 1 (7). 10 Vgl. A r t . 1 Abs. 1 S. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist 11 BVerfGE 6, 32 (41).

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unantastbar."

Das Unrecht der Person u n d d e n G r u n d e n t s c h e i d u n g e n des G r u n d g e s e t z e s . . . , v o r n e h m l i c h d e m Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit12 u n d dem Sozialstaatsprinzip" 13. A u f diese Weise h a t d i e N o r m des A r t . 2 A b s . 1 G G nach d e r Rechtsprec h u n g des Bundesverfassungsgerichts l e t z t e n E n d e s 1 4 sogar d e n C h a r a k t e r eines s u b j e k t i v e n Rechtes v e r l o r e n , w e i l sie von nichts g e w ä h r t 1 5 .

sich

aus

ja

G r u n d f ü r diese w i d e r s p r ü c h l i c h e I n t e r p r e t a t i o n des A r t . 2 A b s . 1 G G d u r c h das Bundesverfassungsgericht ist dessen s c h w e r w i e g e n d e r u n d i n der Folge nicht wiedergutzumachender I r r t u m , H a u p t - u n d Nebensatz des A r t . 2 A b s . 1 G G z u e i n a n d e r i n e i n R e g e l - A u s n a h m e - V e r h ä l t n i s z u setzen. Es m a g sein, daß d e r W o r t l a u t d e r B e s t i m m u n g eine solche A u s l e g u n g nahelegt, daß d e r Schutzzweck sie geradezu z u e r f o r d e r n scheint; d i e anthropologische F u n d i e r u n g erscheint i n dieser A u s legung nichtsdestoweniger verzerrt. Die i m Rahmen der vorstehenden U n t e r s u c h u n g e n w i e d e r h o l t b e t o n t e Unteilbarkeit u n d Einheit der menschlichen P e r s ö n l i c h k e i t i n a l l e n i h r e n F u n k t i o n e n m a c h t v o r der sozial-ethischen B i n d u n g n i c h t H a l t . Es i s t n i c h t e t w a so, daß d e m Menschen n u r Rechte angeboren, P f l i c h t e n aber a u f e r l e g t s i n d 1 6 ; d i e 12 Da der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gerechtigkeit u n d Rechtssicherheit umspannt (vgl. BVerfGE 7, 89 (92)), Gerechtigkeit u n d Rechtssicherheit aber das Recht überhaupt konstituieren, w i r d die Freiheit der Persönlichkeit durch den unbestimmtesten Rechtsbegriff, den eine Rechtsordnung kennen kann, umgrenzt: den Begriff „Recht". So zutreffend dies auch i m Ergebnis sein mag — läßt sich w o h l ein breiterer Einbruchsraum f ü r Irrationalismus u n d Pseudo-Rationalismus i n das sog. Hauptgrundrecht denken? Sollte es nicht gerade Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, hier durch Begriffe rational faßbarerer Substanz präventiv einzugreifen? 13 BVerfGE 6, 32 (41). — Die häufigen Wortverbindungen m i t „ G r u n d . . . " verdecken n u r schlecht, daß hier trotz einem Feuerwerk von höchsten Werten das Wesentliche, Grundlegende, ungesagt geblieben ist. Das erscheint auch gar nicht anders möglich, da etwa zu den obersten Grundwerten der freiheitlichen Grundordnung die Freiheit der Persönlichkeit gehört, so daß schließlich die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch die verfassungsmäßige Ordnung, diese aber wiederum durch die freie Entfaltung der Persönlichkeit begrenzt ist! Es d ü r f t e offenbar sein, daß durch solche Wechselbeziehung von Begriffen die eigentlichen Probleme höchstens verschleiert, niemals aber gelöst werden. 14 Freilich cum grano salis — vgl. Maunz/Dürig, GG A r t . 2 Abs. 1 Randnr. 26 ff. 15 Ä h n l i c h Schätzler i n N J W 57, 818 (819). — Demgegenüber scheinen m i r die Begründungen u n d Einwände, die aus der Entstehungsgeschichte der V e r fassung hergeleitet werden, nicht so wichtig zu sein, zumal feststeht, daß auch bei den Vätern des Grundgesetzes über den Wunsch zur feierlichen Proklamation der Freiheit nach zwölfjähriger D i k t a t u r hinaus wenig E i n m ü t i g k e i t über den unmittelbaren Schutzzweck u n d die Einzelausgestaltung des A r t . 2 Abs. 1 bestand (vgl. JöR Bd. I S. 54 ff.). Z u r Argumentation aus der E n t stehungsgeschichte u n d gegen das Bundesverfassungsgericht vor allem RohdeLiebenau i n N J W 57, 817 (818), Dürig i n JZ 57, 169 (172) u n d Hamann i n B B 57, 229 (230). 16 § 1 B G B g i l t auch f ü r Passivrechte (Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 26). S. auch Nagler, Rechtswidrigkeit, S. 312.

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Ganzheit der menschlichen Persönlichkeit umspannt vielmehr auch die Einheit von Rechten und Pflichten 17 . Diese Einheit ist als Wert wie als Rechtswert unmittelbar ideell Gegebenes, das vom Gesetzgeber nur zerlegt und zergliedert werden darf, wenn dadurch die seinsorganische Einheit nicht verloren geht. Darum widersetzt sich aber gerade der Wesenskern des Rechtsmenschen, die rechtliche Freiheit seiner Persönlichkeit, so sehr der Aufspaltung i n einen positiven und einen negativen Status, i n einen Status unumschränkten Dürfens und i n einen Status pflichtgemäßen Gehorsams, weil — rechtsanthropologisch — i n ihm die Einheit Wesen ist 1 8 . A n der Verkennung dieser Einheit ist einst die Imperativentheorie gescheitert. Ihre Vorstellung von einer außerhalb des Menschen stehenden Rechtsmacht, welche dem Menschen Befehle erteile, was er zu tun und zu lassen habe, mußte konsequent zu jenem anthropologisch unhaltbaren Menschenbild eines von Natur aus rechtlich ungebundenen Wesens führen, das sich rechtlichen Normen aus unterschiedlichen Gründen lediglich unterwarf — oder sich widersetzte, obwohl es sich hätte unterwerfen sollen und können, und dessen Unrecht daher von seiner Schuldfähigkeit abhängig war. Sieht man hingegen jene von vornherein bestehende Gebundenheit des Menschen, wie sie i n der rechtlichen Freiheit besteht, so fällt es nicht schwer, die Schuldfähigkeit aus der Unrechtsbetrachtung auszuklammern: Unrecht (und zwar personales Unrecht) liegt bereits i n einem Verhalten entgegen der eigenen inneren Gebundenheit durch das Recht, Schuld (personale Schuld) liegt erst i n der Vorwerfbarkeit des bindungswidrigen Verhaltens. Und dam i t haben w i r für den Begriff des personalen Unrechts schon ein sehr wesentliches Ergebnis gewonnen: Personales Unrecht ist der Verstoß nicht gegen die äußeren, sondern gegen die inneren Bindungen, welche in der Rechtspersönlichkeit von Natur aus enthalten sind. Was das i m einzelnen bedeutet, muß später noch ausgeführt werden. Hier besinnen w i r uns zunächst darauf zurück, daß es diese einheitliche, rechtliche Freiheit der Persönlichkeit ist, welche i n A r t . 2 Abs. 1 GG geschützt wird. Die Grenzen, die i n dem Soweit-Satze der Bestimmung genannt sind, sind demnach immanente Grenzen, welche die Persönlichkeit des Einzelnen als Rechtspersönlichkeit selbst aufgerichtet hat und i n denen sie sich selbst bestimmt. Sie sind i h r nicht fremd, sondern ihr eigenes Wesen. Und gerade deshalb bezeichnet diese Einheit von Freiheit und Begrenzung, wie sie i n den beiden Halbsätzen des A r t . 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt, die rechtliche Freiheit der Persönlichkeit erst vollständig. 17 Dürig i n Maunz/Dürig, GG A r t . 1 Randnr. 47 ff. — I m Grundgesetz selbst k o m m t die Einheit von Recht u n d Pflicht n u r i n der Beziehung des Einzelnen zum Eigentum zum Ausdruck (vgl. A r t . 14 Abs. 2). 18 Vgl. auch Denninger i n ARSP 1962, 315 (327).

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Hieraus folgt sodann noch ein weiteres: Die Grenzen der Freiheit der Persönlichkeit sind i n A r t . 2 Abs. 1 GG nicht genau bezeichnet. Betrachten w i r nur die strafrechtlich bedeutsamste Schranke der „Rechte anderer"! Sollten sie i n ihrer strengen Objektivität (Entgegenständlichkeit) wahrhaftig jene Barriere sein, die der Einzelne nicht überspringen darf, ohne Sanktionen befürchten zu müssen? Sollten sie es sein — genauer gefragt — unabhängig davon, daß der Einzelne sie erkennen konnte? Kann überhaupt das auf die Persönlichkeit bezogene Recht dort noch regelnd eingreifen, wo die der Persönlichkeit wesensnotwendige Freiheit nicht mehr besteht, ja nicht mehr bestehen kann? Welzel t r i f f t doch wohl den K e r n der Sache, wenn er ausführt: „ U n möglich kann jede Handlung, die . . . eine Rechtsgüterverletzung verursacht, verboten sein. Da der Mensch stets nur einen kleinen Teil der Zukunft vorausbestimmen und . . . gestalten kann und das kausale Weiterwirken seines Eingreifens stets dem Ungewissen überlassen muß, könnte er nur durch Unterlassung jeglicher Tätigkeit absolut sicher sein, daß er keine Rechtsgüter verletzt. Das strikte Verbot von Rechtsgüterverletzungen würde das gesamte Sozialleben sofort zum Stillstand bringen und die Rechtsgüter i n eine Museumswelt versetzen, i n der sie zwar von Menschenhand unverletzt, aber ohne lebendige Funktion unfruchtbar erstarren müßten" 1 9 . Nur wo der Einzelne frei ist, zu verletzen oder nicht zu verletzen, können rechtliche Verbote und Gebote bestehen. Denn das Recht — und gerade das personale Recht — ist keine göttliche, sondern eine menschliche Ordnung, und deshalb kann die Freiheit, die es zur Grundlage hat, keine göttliche, universelle Freiheit sein, sondern sie muß menschlich, partiell sein. Das bedeutet aber, daß sie dort enden darf, wo sie enden muß: an der Grenze unserer Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit. Die Grenzen der freien Entfaltung der Persönlichkeit liegen demnach nicht i n der Objektivität (Entgegenständlichkeit) der Rechte anderer, sondern i n deren Erkennbarkeit für die Person und der erst dadurch bewirkten Pflichtwidrigkeit der sozialen Persönlichkeit 20 . Und damit haben w i r für den Begriff des personalen Unrechts ein weiteres sehr wesentliches Ergebnis gewonnen: Das personale Unrecht setzt die Freiheit zur Erkenntnis der Rechte voraus, in die der Handelnde Gefahr läuft einzugreifen. Es erfordert m. a. W. nicht Motivationsfreiheit, sondern Erkenntnisfreiheit, nicht Freiheit gegenüber dem Schuldgehalt des bindungswidrigen Verhaltens, sondern Freiheit gegenüber dem Unrechtsgehalt des bindungswidrigen Verhaltens.

19 Welzel, Dtsch. Strafr. (5. Aufl.), S. 105; vgl. auch 9. Aufl., S. 118 f. Zutreffend Dürig i n Maunz/Dürig, GG A r t . 1 Randnr. 50 u n d A r t . 2 Abs. 1 Randnr. 25; später — A r t . 2 Abs. 1 Randnr. 69 f f . — leider nicht mehr k l a r durchgeführt. — Siehe i m einzelnen dazu noch unten S. 252 f. 20

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Aus diesen Erkenntnissen lassen sich nunmehr Wesen und systematische Stellung des personalen Unrechts i m einzelnen bestimmen. I. Das Wesen des personalen Unrechts Unsere bisherigen Überlegungen haben uns zu folgendem Ergebnis geführt: Personales Unrecht ist der erkenntnismäßig freie Verstoß der Person gegen die rechtlichen Bindungen, die von Natur aus i n ihr enthalten sind. Dieses Ergebnis bedarf nun vor allem i n zweierlei Hinsicht einer noch weiteren Klärung: Welcher A r t ist das Unrecht, i n das sich die Person setzt, indem sie gegen die ihr immanenten rechtlichen Bindungen verstößt? Und: Welcher A r t ist die Personalität dieses Verstoßes? W i r wenden uns zunächst der ersten Frage zu — der Frage nach der A r t des Unrechts, i n das sich der Täter setzt. Dieses Unrecht w i r d durch das Maß bestimmt, i n dem der Täter die seiner Freiheit gesetzten rechtlichen Schranken überschreitet. Was der Täter tat, was er t u n wollte, oder was er zwar nicht tat oder t u n wollte, aber hätte t u n oder wollen sollen, all das begründet den Unrechtsvorwurf. Das Unrecht w i r d subjektiv, d. h. aus der Täterpersönlichkeit heraus, begründet, und so liegt die Meinung nahe, daß es sich beim personalen Unrecht um subjektives Unrecht handele. I n der Tat ist immer wieder die Behauptung aufgestellt und als Vorw u r f erhoben worden, daß die Lehre vom personalen Unrecht das Unrecht subjekti viere. Maihof er etwa hat sich veranlaßt gesehen, ausdrücklich zu betonen, daß die personale Schwere des Unrechts nicht durch die subjektive Einstellung oder durch den subjektiven Willensinhalt geschaffen werde, sondern durch die Verfehlung der objektiv-sozialen Stellung, die der Täter i n der Rechtswelt (beispielsweise als Beamter) einnimmt 1 . Und auch Würtenberger hat „keinen Grund" aufgefunden, „das personale Element als Hauptkennzeichen des Tatunrechts anzusehen und die objektiven Gesichtspunkte i n den Hintergrund zu schieben, wie es i m Rahmen der Lehre vom ,personalen Unrecht 4 geschieht" 2 . Diese Angriffe besitzen gegenüber der personalen Unrechtslehre Welzels, gegen die sie gerichtet wurden, gewiß einige Berechtigung. Gegen den oben genannten Begriff des personalen Unrechts schlagen sie jedoch nicht durch. Denn wenn auch Unrecht ein Verstoß gegen die der (subjektiven) Person immanenten rechtlichen Bindungen ist, so bleiben diese Bindungen doch i n ihrer objektiven Natur unangetastet: Nicht das Unrecht gerät in den Täter, sondern der Täter gerät ins Un1

Maihof er i n Rittler-Festschrift, S. 146. Würtenberger, Geistige Situation, S. 52. Ähnlich Lang-Hinrichsen 184 (190). 2

i n JR 52,

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recht! Nicht das Unrecht w i r d durch seine Täterbezogenheit subjektiviert, vielmehr w i r d der Täter durch seine Unrechtsbezogenheit objektiviert. W i r wollen als Beleg hierfür die beiden wichtigsten personalen Unrechtsformen heranziehen: die Fahrlässigkeit und den Vorsatz. Fahrlässig handelt, wer die i m Verkehr „erforderliche" Sorgfalt außer acht läßt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB). Was i m Verkehr „erforderlich" ist, bestimmt sich nicht nach subjektiven, sondern nach objektiven K r i terien. Indem man die Frage nach der Fahrlässigkeit eines bestimmten Handelns auf wirft, w i r d daher nicht der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab subjektiviert, sondern der Handelnde nach dem Grade des Fahrlässigkeitsmaßstabes objektiviert. Hat er sich so verhalten, wie es die allgemeine Verkehrsanschauung als „erforderlich" ansieht, t r i f f t i h n kein Unrechtsvorwurf; unterschritt hingegen sein Verhalten jenes der Freiheit gesetzte Maß, so ist er ins Unrecht geraten. Gewertet w i r d also immer etwas Subjektives: das Verhalten der (konkreten) Person. Die Maßstäbe der Wertung aber sind objektiv; denn sie sind dem Sorgfaltsanspruch der verletzten Objekte entnommen. Verfehlt ist es demgegenüber, statt der konkreten Person eine Durchschnitts« oder Normalperson dem objektiven Unrechtsurteil zu unterwerfen. W i r sahen, daß i n einem solchen verfehlten Wertungsvorgang die Schwächen der objektiv-personalen Unrechtslehre begründet liegen 3 , welche glaubt, zur objektiven Wertung des Subjekts n u r durch eine „ O b j e k t i v i e r u n g plus Wertung" des Subjekts gelangen zu können. Das hier zugrundeliegende M i ß v e r ständnis hat zutreffend schon Welzel hervorgehoben: w o h l ist die Rechtsw i d r i g k e i t ein „objektives" ( = allgemeines) Unwerturteil, doch bedeutet das nicht, daß darum das Unrecht ( = die rechtswidrige Handlung) „ o b j e k t i v " sei 4 .

Entsprechendes wie für den Fahrlässigkeitsvorwurf gilt auch für den mit dem Vorsatz verknüpften Unrechtsvorwurf. Der vorsätzlich Handelnde verletzt freilich nicht nur wie der Fahrlässige die i h m obliegende Sorgfalt fremden Gütern gegenüber, sondern er verneint geradezu deren Achtungsanspruch. Dieser Achtungsanspruch bestimmt sich jedoch ebenso wie der Sorgfaltsanspruch aus einem objektiven Kriterium, nämlich dem Wert des verletzten Gutes. W i r f t man die Frage seiner Verletzung durch den Vorsatz des Täters auf, so bedeutet das daher wiederum nicht, daß das Unrecht subjektiviert, sondern daß das Subjekt, der Täter, objektiviert w i r d : Hat er sich so verhalten, wie es sich dem Anspruch auf Achtung fremder Güter gegenüber gebührt, so t r i f f t ihn kein Unrechtsvorwurf; ließ er es, wie i n aller Regel, an Achtung fehlen, so geriet er dadurch ins Unrecht. Wiederum ist etwas Subjektives Gegenstand der Wertung: der Vorsatz des Handelnden. Objektiv * Siehe dazu oben S. 68 ff. Welzel Dtsch. Strafr., S. 54.

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ist aber auch hier die Wertung selber; denn u m einer Verletzung des allgemeinen Achtungsanspruchs fremder Güter willen t r i f f t der Unrechtsvorwurf das Subjekt. Personales Unrecht ist demnach nicht subjektives Unrecht, sondern objektives Unrecht eines Subjekts; es setzt trotz der Subjektivität der i h m zugrundeliegenden Wertungsmaterie eine objektive Unrechtsauffassung voraus. Allerdings ist diese objektive Unrechtsauffassung nicht darauf beschränkt, die vermeidbare Verletzung objektiver (entgegenstehender) Rechtsgüter zu registrieren, so daß die Objektivität ihrer Wertung ihren Grund letzthin allein i n der „objektiven" Verletzung von Rechten anderer hätte; sie kann vielmehr auch i n solchen über den Güterschutz hinausgehenden Interessen ihr Maß finden, welche die Rechtsordnung als für ihren Bestand wesentlich erkennt. Aus diesem Grunde beschränkt sich die personale Unrechtslehre nicht darauf, dem „objektiven" Unrecht der Rechtsgüterverletzung einen personalen Oberbau zu liefern; vielmehr steuert sie selbst typisch subjektive Unrechtselemente zur Unrechtsbegründung bei. Daß der Einbruch speziell subjektiver Unrechtselemente i n eine objektivistische Unrechtsauf fassung sich gegenüber sehr viel weniger W i derständen vollzog als die Anerkennung der allgemeinen Unrechtsmerkmale Vorsatz und Fahrlässigkeit, ist eigentlich verwunderlich. Denn während das Unrecht von Vorsatz und Fahrlässigkeit immer noch am Wert derjenigen Rechtsgüter orientiert bleibt, auf die beide sich beziehen (so bleiben etwa der Unwert des Tötungsvorsatzes und der Tötungsfahrlässigkeit am Unwert des Tötungserfolges orientiert), bringen die subjektiven Unrechtselemente einen völlig neuen Wertgesichtspunkt i n die Unrechtsbetrachtung herein, für den die Objektivität des Maßstabes ungleich schwerer zu finden ist. Warum wohl verschärft die Zueignung sab sieht beim Diebstahl das strafrechtliche Unrecht? Doch nicht u m des Eigentumsrechts des Bestohlenen willen; dieses w i r d allein durch die Abeignung der Sache, nicht aber durch die sich anschließende oder Hand i n Hand gehende Zueignung an den Täter, viel weniger also durch dessen bloße Zueignungsabsicht verletzt! Es sind stattdessen außerhalb des objektiven Güterschutzes liegende Gründe, welche ganz offenbar hier auf das Unrecht Einfluß gewinnen. Freilich — bei manchen subjektiven Unrechtselementen mag man selbst dann noch i n objektiven Gegebenheiten, etwa der Gefährdung des Schutzobjekts durch die verbrecherische Absicht des Täters, den Grund für die Pönalisierung sehen und, wie an früherer Stelle erwähnt, von einer „Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes" sprechen 5. Beispiele wären etwa bei 5

Siehe oben S. 65. Unzutreffend ist allerdings die Redeweise von einer Vorverlegung der Strafbarkeit".

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der Urkundenfälschung die Absicht, i m Rechtsverkehr zu täuschen, oder bei der Vollstreckungsvereitelung des § 288 StGB die Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln. Aber für alle subjektiven Unrechtsmerkmale t r i f f t dieses Erklärungsprinzip keinesfalls zu. Bei ihnen begründet vielmehr ein, wie es scheint, allein i n der Subjektivität des Täterwillens, i n dem Grunde oder Zwecke seines Wollens liegendes Merkmal von besonderer Verwerflichkeit das Unwerturteil und damit die Strafbarkeit. Auch soweit diese letzte Folgerung zutrifft, ist es berechtigt, das personale Unrecht ein rein subjektives, d. h. allein aus der subjektiven Verwerflichkeit des Täters begründbares Unrecht zu nennen. Das objektive Unrechtsurteil findet insoweit i n der objektiven Güterordnung und Güterbewertung keine Grundlage mehr und sieht sich daher auf die verwerfliche Gesinnung des Täters, auf ein allgemeines Persönlichkeitsurteil zurückverwiesen. Ein den Folgen der Handlung entnommener und daher objektiver Tatmaßstab steht zur Bestimmung des Unrechts nicht mehr bereit; und darum muß ein dem Urheber der Handlung entnommener und daher subjektiver Tätermaßstab angelegt werden. Einer solchen subjektiven Unrechtsauffassung ließe sich nun nicht etwa m i t dem Einwand begegnen, daß stets nur die konkrete Tat den Anlaß für die Bestrafung abgebe, nicht die allgemeine Korruption der Täterpersönlichkeit — kurz daß w i r ein Tat- und nicht ein Täterstrafrecht hätten. Denn dem ließe sich wiederum entgegenhalten, daß ja auch für das subjektive Unrechtsurteil der Täter nur insoweit der Bewertung unterliege, als die konkrete Tat symptomatisch auf seine K o r ruption hinweise. Und daß die Strafe nicht die Tat, sondern den Täter wegen seiner Tat treffe, sei schlechthin nicht zu bestreiten. Dies alles rechtfertige durchaus eine Täterbewertung aus Anlaß der Tat. — M i t dem genannten Einwand wäre die Problematik des subjektiven Unrechts aber auch gar nicht richtig getroffen. Die Frage kann von vornherein nicht sein, ob die Täterpersönlichkeit i n die Unrechtsbetrachtung einzubeziehen ist, sondern inwieweit hierzu eine Möglichkeit besteht. Die bisherigen Erörterungen haben lediglich gezeigt, daß ein Unrechtsurteil auch über die Täterpersönlichkeit insoweit möglich erscheint, als das Maß des Unrechts letzthin i n dem Unwert der herbeigeführten oder angestrebten Rechtsgüterverletzung begründet liegt. Darüber hinaus scheinen nunmehr die subjektiven Unrechtselemente — oder wenigstens ein Teil von ihnen — uns zu zwingen, auch außerhalb der Rechtsgüterordnung, nämlich allein i n der Subjektivität der Täterpersönlichkeit, den Maßstab für unser Unrechtsurteil zu suchen. Die Folge wäre, daß der Täter durch ein solches Unrechtsurteil nicht mehr objektiviert und das Urteil selbst seines objektiven Bezuges auf eine außerhalb des Täters bestehende rechtliche Wertordnung beraubt wird. M i r scheint, daß 14 Lampe

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hierin die wahre und bisher wohl auch von den Anhängern der personalen Unrechtslehre nicht i n aller Schärfe gesehene Problematik einer Subjektivierung des Unrechtsbegriffes liegt. Die radikalste Lösung der soeben aufgezeigten Schwierigkeiten liegt darin, die Vereinbarkeit von objektiver Unrechtslehre und selbständigen subjektiven Unrechtselementen überhaupt zu leugnen. Krauß hat dies beispielsweise getan, w e i l nach seiner Meinung ein objektiver Ausgangspunkt „weder m i t den echten noch m i t den unechten subjektiven Elementen" der Tatbestandserfüllung zusammenkommen könne — „deshalb nicht, w e i l die Unterscheidung von Erfolgssachverhalt und Täterpersönlichkeit die Trennung objektiv-subjektiv verabsolutiert und zu einem sachlichen Prinzip erhebt, das eine »Ausnahme4 nicht zuläßt" 6 . Damit w i r d die Frage indessen unter einem schiefen Blickwinkel gesehen. Nicht darauf kommt es an, „die Rechtsgutsverletzung i n ihrer äußeren Wirklichkeit und Wirkung" und „die Person i n ihren subjektiven Bezügen" zu vereinen 7 — denn dies wäre i n der Tat ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen; wesentlich ist vielmehr allein, Erfolgsuntuert und Handlungsuntuert unter einen einheitlichen Wertgesichtspunkt zu fassen und damit einerseits der Objektivität des Unrechts und andererseits der (teilweisen) Subjektivität der Bewertungsgrundlage Rechnung zu tragen. W i r haben bereits gesehen, daß dies unmöglich ist, wenn w i r als Maß des Unrechts allein den Wert des verletzten Rechtsgutes wählen, w e i l das Maß des personalen Unrechts nicht allein hiervon abhängen kann. Jetzt müssen w i r zusätzlich fragen, ob daraus — wie Krauß meint — folgt, daß es einen solchen Gesichtspunkt, der Handlungs- und Erfolgsunwert vereint, nicht gibt, ja nicht geben kann, oder ob eine solche Folgerung als voreilig erscheint? A n dieser Stelle besinnen w i r uns darauf, daß w i r i m Rahmen unserer kritischen Untersuchung der heute maßgeblich vertretenen Unrechtslehren mehrfach auf einen Gesichtspunkt gestoßen sind, der sowohl für den Handlungs- als auch für den Erfolgsunwert von Bedeutung erschien: die Verletzung des Rechts friedens. W i r sahen, daß die Lehren von der objektiv-impersonalen Natur des Unrechts die Verletzung des Rechtsfriedens als Grundlage des Unrechtsurteils keineswegs leugnen. Sie gehen lediglich über diesen Gesichtspunkt hinaus, indem sie zusätzlich die Verletzung oder Gefährdung individueller Rechtsgüter des Einzelnen oder der Gemeinschaft für die Unrechtsbegründung fordern — und sie bringen sich gerade dadurch i n erhebliche dogmatische Schwierigkeiten 8 . W i r sahen ferner, daß die Lehren von der subjektiv-personalen Natur des Unrechts umgekehrt zwar 6

Krauß i n ZStW 76, 19 (30). Krauß, a.a.O., s Siehe oben S. 56 ff. 7

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grundsätzlich sich von der Rücksicht auf objektive Verletzungserfolge freizuhalten suchen9, daß sie gleichwohl immer wieder, etwa bei der Begründung der Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs, auf diesen Gesichtspunkt zurückverwiesen werden — und daß eben die Nichtbeachtung dieses Gesichtspunktes es ist, welche ihnen i n der Interpretation des gegenwärtigen Rechtszustandes so erhebliche Schwierigkeiten bereitet 1 0 . Sollte nicht daher die Verletzung des Rechtsfriedens jener zentrale Gesichtspunkt sein, der imstande ist, sämtliche strafrechtlich relevanten Handlungs- und Erfolgsunwerte zum einen i n sich aufzunehmen und zum anderen auf einer übergreifenden Ebene zu vereinen? — W i r glauben, diese Frage bejahen zu dürfen. Die erste Aufgabe, Handlungs- und Erfolgsunwert i n sich aufzunehmen, kann ein i m Bruch des Rechtsfriedens liegender Unwert dann erfüllen, wenn er selbst weder Subjekt-(= Handlungs-) noch Objekt( = Erfolgs-)Unwert ist. Es stellt sich uns daher das Problem, ob es einen zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert, zwischen Subjekt- und Objektunwert liegenden Unwert überhaupt gibt, oder ob der Gegensatz dieser Unwerte — wie bisher allerseits behauptet w i r d — Ausschließlichkeit besitzt. Scheler bemerkt hierzu: „Träger von Werten sind innerhalb aller Verbindungen von Personen einmal die Personen selbst, sodann die Form, i n der sie verbunden sind, drittens die Beziehung, die ihnen außerhalb dieser Form als erlebt gegeben ist. So haben w i r z. B. bei einer Freundschaft oder der Ehe einmal die Personen als ,Fundamente' dieses Ganzen, zweitens die ,Form' der Verbindung, endlich die (erlebte) Beziehung' der Personen innerhalb dieser Form zu unterscheiden; so ist etwa der Wert der Eheform, die historisch ganz unabhängig von den besonderen Beziehungserlebnissen und ihrem Werte wechselt (also von ,guten' und »schlechten' Ehen, die i n allen ,Formen' möglich sind), zu scheiden von dem Wert der Beziehung, die innerhalb dieser Form zwischen den Personen besteht. Aber auch die Beziehung selbst ist ein besonderer Wertträger, dessen Wert nicht i n den Werten der Fundamente und der Form aufgeht" 1 1 . Personen, Form und konkrete Beziehung kommen also nach Schelers Auffassung als Wertträger i n Betracht; es gibt innerhalb der Verbindungen von Personen nicht nur Subjekt- und Objektwerte; vielmehr hat die Verbindung selbst ihren Wert, den man i n abstracto als Formwert, i n concreto aber als Beziehungswert bezeichnen kann. Überträgt man diese Erkenntnis aufs Strafrecht, so hat man nicht auf den Wert bestimmter Verbindungen zwischen Personen, sondern auf deren Unwert abzustellen. Unwert haben können alsdann aber nicht 9

M i t Ausnahme etwa der Ansicht Stratenwerths i° Siehe oben S. 94 ff. 11 Scheler, Formalismus, S. 122. 14*

— siehe oben S. 96 f.

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nur Personen, sondern auch deren Verbindungen miteinander, und zwar i n abstracto als Formunwerte, i n concreto als Beziehungsunwerte. Bei den Personenverbindungen hat Scheler nun offenbar nur an feste Verbindungen gedacht, für die i m Strafrecht etwa die Diebesbande oder die Zusammenrottung beim Landfriedensbruch genannt werden könnten. Dies erscheint aber zu eng. Sowohl i m Positiven wie i m Negativen gibt es vielmehr Verbindungen ohne Dauer, die dennoch Träger von Werten oder Unwerten sein können. Man denke an die einmalige rettende Hilfe aus einer bedrängenden Gefahrsituation, bei der nicht nur der Retter als Wertträger erscheint, sondern auch die erlebte Beziehung der Rettung als Wertträger i n Betracht kommt. Man kann dies daran erkennen, daß der Retter um seines Personwertes die Bewunderung des Geretteten, u m des Beziehungswertes aber seine Dankbarkeit verdienen wird. Und man denke nun umgekehrt an eine vorsätzliche körperliche Verletzung, welche sowohl i n der Person des Täters als auch i n seiner Beziehung zum Verletzten einen Unwert hervorbringt. Subjektunwert und Beziehungsunwert stehen hier nebeneinander, beide als Träger sittlicher Gehalte, zu denen noch der (sittlich irrelevante) Objektunwert, die Verletzung des Opfers tritt. Daraus ergibt sich für uns als strafrechtlich wesentliche Anzahl der Unwerte: 1. der Subjektunwert, 2. der Objektunwert und 3. der Beziehungsunwert. M i t dieser Dreiteilung der Unwerte i n Subjekt-, Objekt- und Beziehungsunwerte haben w i r einen Standpunkt gewonnen, der sowohl von dem der Subjektivisten (Finalisten) als auch von dem der Objektivisten deutlich abweicht. Beide Gruppen kennen nämlich nur den Gegensatz von Subjekt- und Objektunwerten und legen für das Straf recht entweder auf die Subjekt- oder auf die Objektunwerte einseitig das Gewicht. I n welche Schwierigkeiten sie dabei gelangen, haben w i r an früherer Stelle bereits gesehen: Indem Welzel einseitig auf den Subjekt(Akt-)Unwert abstellt und allein i h m Bedeutung für das Strafrecht beimißt, vermag er der Bedeutung des Erfolges für die Strafbarkeit vorsätzlicher und fahrlässiger Delikte nicht Rechnung zu tragen. Warum der abergläubische Versuch straflos bleibt, warum die Vollendung grundsätzlich schärfer bestraft w i r d als der Versuch und warum die gleiche Fahrlässigkeit je nach dem Erfolg, den sie zeitigt, unterschiedliche Strafe nach sich zieht — all das kann Welzel befriedigend nicht erklären. Umgekehrt die Objektivisten: Ihnen gibt der herbeigeführte Erfolg, sei er Verletzung oder Gefährdung, den einzigen Maßstab für die strafrechtliche Sanktion. Der untaugliche Versuch, die Absichtsdelikte und darüber hinaus alle subjektiven Unrechtselemente bleiben Fremdkörper i n ihrem System oder veranlassen so unhaltbare Konstruktionen wie die Annahme einer strafrechtlichen Schuld ohne strafrechtliches Unrecht.

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Vermag nun der B e z i e h u n g s u n w e r t den Subjektunwert wie den Objektunwert i n sich aufzunehmen? Schwinden i m Beziehungsunwert die Schwierigkeiten sowohl einer einseitig subjektiven als auch einer einseitig objektiven Unrechtslehre? — Der Objektunwert, der Unwert des Erfolges, ist für die Beziehung, die zwischen Subjekt und Objekt der Straftat besteht, sicher nicht ohne Bedeutung; denn von i h m i n erster Linie ausgehend w i r d die Frage nach der Zurechnung der Tat an den Täter zu stellen sein, jene Frage also, die für die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt der Tat das entscheidende Gewicht hat. Andererseits bedeutet aber auch der Subjektunwert für die Beziehung zum Objekt der Tat etwas; denn was beispielsweise der Täter wollte, was er bezweckte oder zu vermeiden suchte, w i r d die Beziehung zum Objekt der Tat vielfältig beeinflussen. Nehmen w i r ein einfaches Beispiel: Es verletzt jemand einen anderen vorsätzlich so erheblich, daß dieser die Sehfähigkeit auf einem Auge verliert. Der Unwert der Beziehung zwischen Täter und Verletztem w i r d hier i n erster Linie durch die schwere Verletzung, also den Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge, bestimmt. Weiterhin spielt für diese Beziehung aber auch eine Rolle, was der Täter m i t seiner Tat erreichen wollte. Wollte er dem anderen zwar eine Verletzung beibringen, nicht aber dessen Sehfähigkeit herabmindern, so ist die Beziehung zwischen i h m und dem anderen weniger unwertbehaftet, als wenn er den Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge beabsichtigt hätte. Er ist demnach i m ersten Falle auch weniger scharf zu bestrafen als i m zweiten (vgl. § 224 StGB gegenüber § 225 StGB). W i r sehen i n diesem Beispiel, daß subjektive und objektive Momente i m Rahmen des Beziehungsunwertes berücksichtigt werden können, daß sie — i n Anlehnung an die Worte Schelers — „Fundamente" für den Beziehungsunwert sind. Seine erste Aufgabe, Handlungs- und Erfolgsunwert i n sich aufzunehmen, erfüllt daher der Beziehungsunwert. Bevor w i r untersuchen, ob der Beziehungsunwert der Straftat i m Bruch des Rechtsfriedens liegt, wollen w i r zu klären versuchen, ob der Beziehungsunwert auch der zweiten Aufgabe gerecht werden kann: Handlungs- und Erfolgsunwert auf einer übergreifenden Ebene zu vereinen. Erst dann erscheint er uns als theoretische Grundlage des Unrechtsurteils wahrhaft brauchbar. Was ist m i t jener übergreifenden Ebene, auf der Handlungs- und Erfolgsunwert vereint werden müssen, gemeint? Wieso bedarf es überhaupt eines übergreifenden Gesichtspunktes? Genügt nicht die schlichte Addition von Handlungs- und Erfolgsunwert, u m die Unrechtsstärke einer Straftat ablesen zu können? Bedenken w i r hierzu folgendes: Wie w i r schon sahen, läßt sich offenbar nicht jeder Subjektunwert zur Un-

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rechtsbegründung heranziehen, weil man sonst auf eine objektive Unrechtsbegründung vollends verzichten muß. Andererseits kann, wie sogleich gezeigt wird, auch nicht jeder Objektunwert das Unrecht begründen, sondern nur ein Unwert, dessen Entstehung unmittelbar oder m i t telbar auf einen Menschen zurückzuführen ist. Es bedarf also i n der Tat eines übergeordneten Gesichtspunktes, u m aus der Fülle der Subjektund Objektunwerte diejenigen auszusondern, welche für das Unrecht relevant sind. Ist dieser Gesichtspunkt alsdann bei der Auswahl der Subjekt- und der Objektunwerte derselbe, so stellt allein er den wahren Grund für die Beurteilung eines Geschehens als Unrecht dar, während die vorgelagerten Gesichtspunkte des Subjekt- und Objektunwertes nur Indizien („Fundamente") für das Unrechtsurteil liefern. Bezüglich der Auswahl der Objektunwerte läßt sich der Beziehungsunwert als der übergeordnete Gesichtspunkt zur Begründung des Unrechts nachweisen: Nur wenn der verletzende Erfolg seine Beziehung zu einem Menschen hat, kann er Unrecht sein; andernfalls ist er allenfalls Unwert. Hierin liegt die Auflösung so vieler Schwierigkeiten, m i t denen die Unrechtslehre bis heute gerungen hat und die w i r uns nochmals kurz vergegenwärtigen wollen. W i r erinnern uns, daß zunächst Adolf Merkel seine Ansicht, Unrecht als Rechtsverletzung könne nur durch verantwortlich ( = schuldhaft) handelnde Menschen begangen werden, mit dem Hinweis begründet hatte, daß der Wahnsinnige infolge seiner inneren Determination den Naturgewalten gleichstehe; er sei „Urheber i n keinem anderen Sinne wie der Regen, der eine Überschwemmung stiftet, Urheber der von dieser angerichteten Verwüstung ist" 1 2 . Denn wer allein um des Kausalzusammenhanges, der zwischen der Tätigkeit eines Wahnsinnigen und der Verletzung eines Rechtsobjektes besteht, den Vorgang unter den Begriff des Unrechts ziehe, werde sich auch der Konsequenz nicht erwehren können, Wind und Wetter als Subjekte des Unrechts gelten zu lassen. „ U n d w e i l das Recht sich seiner Verneinung gegenüber nicht gleichgültig verhalten kann, so w i r d er nicht i n der Lage sein, m i t wissenschaftlichen Gründen gegen die Neigung des Mittelalters zu polemisieren, auch Maschinen, Schweine, Heuschrecken u.s.f. wegen unbefugter Verletzung unter rechtliche Garantie gestellter Güter vor die Schranken des Gerichts zu fordern 1 3 ." Diese Argumentation Merkels überzeugt darum nicht, w e i l ihr der Glaube zugrunde liegt, es könne je ein Unrecht geben, das sich allein auf die Verletzung von Gütern („Rechtsobjekten") gründet, und ein solcher Unrechtsbegriff sei die Konsequenz, wenn man nicht einen verantwortlich handelnden Urheber der Verletzung voraussetze. Das Recht regelt jedoch niemals den Schutz 12 Merkel, K r i m i n a l . Abh. Bd. I, S. 46; siehe auch oben S. 16. Merkel, a.a.O., S. 47.

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von Rechtsgütern schlechthin, sondern allein den Schutz von zwischenmenschlichen Beziehungen auf diese Güter. Schon aus diesem Grunde können Wind und Wetter nicht Subjekte des Unrechts sein, und m i t h i n entfallen von vornherein alle Schrecknisse, die diese Vorstellung bei Merkel und späteren Autoren hervorgerufen hat. Von den späteren Autoren, welche sich von den Argumenten Merkels beeindrucken ließen, nennen w i r hier nur noch einmal Mezger, und zwar u m der Begründung willen, m i t der sich Mezger den von Merkel aufgezeigten Konsequenzen zu entziehen suchte. Mezger verneinte nämlich die Bedeutung eines handelnden Subjektes für das Unrecht überhaupt und vollständig. Naturereignisse kämen eben deshalb nicht als Subjekte des Unrechts i n Betracht, weil das Unrecht keines Subjekts bedürfe; es sei objektiver Natur 1 4 . Konsequenz dieser Lehre war nun aber, daß wenigstens die Folgen einer Uberschwemmung oder eines Hagelschlages Unrecht waren, obwohl sie offenbar nur ein Unglück für die Betroffenen darstellten. Und so war das K i n d m i t dem Bade ausgeschüttet — w i l l sagen: das Subjekt m i t der Handlung aus der Unrechtsbetrachtung verbannt worden. Denn insoweit freilich hatte Mezger recht: Unrecht bedarf keines handelnden Subjektes. Der Erbe, welcher i n die rechtswidrige Besitzstellung des Erblassers einrückt, handelt nicht und befindet sich dennoch dem Eigentümer gegenüber i m Unrecht. Aber damit ist nicht gleichzeitig ausgeschlossen, daß das Unrecht nicht wenigstens eines Subjekts bedürfe, auf das die Gutsverletzung bezogen werden kann: daß m. a. W. Objektunwerte überhaupt nur dann unrechtsrelevant werden können, wenn sie Beziehungsunwerte sind. Die Tötung durch einen Blitzstrahl und die Tötung durch einen Wahnsinnigen unterscheiden sich eben dadurch grundsätzlich, daß an diese das Recht Folgen anknüpfen kann, an jene aber nicht — und zwar darum nicht, weil ihr kein Subjekt als Urheber des Unrechts zur Verfügung steht, w e i l i n der Beziehung des Blitzes zum Getöteten kein Unwert gefunden werden kann. Vorgänge der Natur sind nicht rechtswidrig; es gibt gegen sie kein Notwehrrecht und es schließen sich an sie u m ihrer selbst w i l l e n 1 5 keine Schadensfolgen an — eben w e i l hier ein Bereich besteht, den das Recht nicht zu ordnen fähig ist. Handlungen Unzurechnungsfähiger hingegen können rechtswidrig sein; es gibt gegen sie ein Notwehrrecht und 14 Siehe oben S. 52. Anders ist es natürlich, w e n n es den Polizeibehörden aufgegeben ist, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, u m von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d (vgl. § 14 Abs. 1 PVG). H i e r k a n n aüs einem N a t u r ereignis, etwa einer Überschwemmung, die Pflicht der Polizeibehörden z u m Eingreifen folgen. Grundlage dieser Pflicht ist aber nicht die Rechtswidrigkeit des herbeigeführten Zustandes, sondern die dem Staate obliegende A u f gabe der Wohlfahrtspflege (so zutreffend Nagler, Rechtswidrigkeit S. 328). 15

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es können an sie um ihrer selbst willen Schadensfolgen angeknüpft werden — eben w e i l hier Beziehungen zwischen Menschen vorhanden sind, welche rechtlicher Ordnung unterliegen 16 . Was für die Objektunwerte gilt — daß sie nur als Beziehungsunwerte rechtlich relevant werden — gilt auch für die Subjektunwerte. Wie das Hecht seine Regelungen nicht allein an äußere Naturvorgänge anschließen kann, sondern darauf angewiesen ist, eine Beziehung dieser Vorgänge zur menschlichen Subjektivität aufzudecken, so kann es auch nicht allein an psychische Vorgänge i m Innern des Menschen anknüpfen, sondern muß darauf warten, daß diese Vorgänge ihre Beziehung zur Objektivität des sozialen Miteinanders finden. Denn das Recht ist, wie immer man es sonst begreift, soziale Ordnung und hat als solche zur Intimsphäre reiner Subjektivität keinen Zutritt. Die „ureigenste Intimsphäre" bleibt jeder juristischen Erforschung und Bewertung unzugänglich. Das Recht hat sie gleichsam als etwas Heiliges zu achten und zu schützen, ohne nach ihrem wie immer gearteten Nutzen sei es für die Gesellschaft, ja sei es auch nur für den Einzelnen selbst, zu fragen, ohne auch nur sie als ein Rechtsgut relativierend neben andere Rechtsgüter stellen zu können oder sie gar der Güterabwägung zugänglich zu machen. Verfassungsmäßige Anerkennung hat diese I n t i m sphäre am deutlichsten i n A r t . 4 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit) und Art. 6 (ehelicher Lebensraum), außerdem ganz allgemein i n A r t . 1 Abs. 1 GG gefunden. Gegenüber dem Strafrecht äußert sich die I n t i m sphäre i n der Geltung des Satzes: Cogitationis poenam nemo patitur — niemand braucht Strafe zu leiden für etwas, das er nur gedacht, nicht aber zu verwirklichen versucht hat. Positiv gewendet: der Mensch kann nur i n der Objektivation Gegenstand des Unrechtsurteils werden. Dazu muß er aber seine Beziehung zur Objektivität finden, so daß sein Subjektunwert zum Beziehungsunwert w i r d und sich ergibt, was zu beweisen w i r uns vorgesetzt hatten: daß Subjektunwerte nur als Beziehungsunwerte rechtliche Relevanz erlangen. Objekt- und Subjektunwerte sind also nur als Beziehungsunwerte bedeutsam. Unmittelbare rechtliche Relevanz besitzt nur der Beziehungsunwert, der damit allein den wahren Grund für die Beurteilung eines Geschehens als Unrecht abgibt. Damit erfüllt der Beziehungsunwert auch die zweite Aufgabe: Handlungsunwert und Erfolgsunwert auf einer übergreifenden Ebene zu vereinen. Beide — Handlungs- und Erfolgsunwert — besitzen Indizfunktion für das Unrecht; aber nur soweit sie Beziehungsunwerte sind, soweit sie Beziehung haben auf Objektivität bzw. Subjektivität bzw. das, was beide i m Bereich des Rechts vereinigt, konstituieren sie das 18 Als Maßnahme k o m m t die Unterbringung (auf G r u n d landesrechtlicher Vorschriften) i n Betracht. F ü r das Zivilrecht vgl. § 829 BGB.

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Unrecht wahrhaft. Und hier sind w i r an dem Punkt angelangt, an dem w i r zu fragen haben, ob das Objektivität und Subjektivität Vereinigende nicht der R e c h t s f r i e d e n sei, welcher über allen menschlichen Beziehungen i m Rechtsbereiche liegt. Dieser Auffassung war einst Jhering, als er dem Kampf ums Recht den Frieden als Ziel voranstellte 1 7 . Dieser Auffassung ist heute Coing, wenn er lehrt, daß das Recht den Frieden bringe, daß das Recht also eine Friedensordnung sei 18 . Und dieser Auffassung ist auch Henkel, wenn er für das Strafrecht ausdrücklich betont, daß sein Ziel die Erhaltung des Friedens i m Gemeinwesen sei: „Das Verbrechen als Störung der Sozialordnung w i r d durch den Einsatz der Rechtsmacht der Allgemeinheit bekämpft, indem diese dem überführten Rechtsbrecher die Pflicht der Wiedergutmachung auferlegt, einerseits der Sozietät gegenüber durch die Strafleistung, andererseits dem Verletzten gegenüber durch Genugtuung und Entschädigung. Hauptziel der Strafsanktion des Freiheitsentzuges bildet die Resozialisierung des noch besserungsfähigen Rechtsbrechers, die Unschädlichmachung des nicht Resozialisierbaren; i n beidem aber w i r d die künftige Ausschaltung eines Störungsfaktors und damit der Friedenszustand der Sozietät erstrebt" 1 9 . A l l diesen Äußerungen, denen sich leicht noch viele gleichen Sinnes hinzufügen ließen, schließen w i r uns an, indem w i r i n einem geordneten Gemeinwesen sämtliche menschlichen Handlungen und sämtliche Güter i n eine allgemeine Ordnung eingebettet sehen, welche die Wahrung des rechtlichen Friedens zum Ziele hat. Die Ordnung der Güter w i r d i n erster Linie durch die Regelung des Besitzes durchgesetzt. Dabei erweist sich die „Bewahrung des äußeren Friedens" 2 0 als die Hauptaufgabe des Rechtes, hinter der die Forderung nach einer materiell richtigen Güterordnung zurückzutreten hat. Der Rechtsfrieden hat Vorrang vor dem Schutz aller obligatorischen und dinglichen Rechte. Er verlangt, daß zunächst einmal der tatsächlich bestehende Zustand gegen Eingriffe geschützt werde, selbst wenn dieser Zustand nicht der materiellen Rechtslage entspricht. Dementsprechend läßt er den Schutz der materiell richtigen Güterordnung nur dort zu, wo die Güterordnung zu seinem Bestand beiträgt. — Widerrechtlich handelt infolgedessen, „wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder i h n i m Besitze stört" (§ 858 Abs. 1 BGB). Gleichgültig 17 Jhering, K a m p f ums Recht, S. 1: „Das Ziel des Rechts ist der Friede, das M i t t e l dazu ist der Kampf." Ä h n l i c h Nagier, Rechtswidrigkeit S. 313 f.: „ V o n jeher ist die Rechtsordnung eine Friedensordnung gewesen u n d hat so f ü r die Mechanik des sozialen Lebens den Raum u n d die Funktionsmöglichkeit geschaffen." 18 Coing, Rechtsphilosophie, S. 19. 19 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 112. 20 Lent/Schwab, Sachenrecht, S. 9; Westermann, Sachenrecht, S. 95; vgl. auch Baur, Sachenrecht, S. 65.

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ist dabei, ob der Störer etwa ein Recht zum Besitz hat; denn die Herstellung selbst des rechtmäßigen Besitzstandes kann leicht zu Streitigkeiten führen und sogar die Gefahr von Tätlichkeiten heraufbeschwören, welche dem Bestand des Rechtsfriedens abträglich wären. Die eigenmächtige Schaffung eines Erfolgswertes, die Herstellung der rechtmäßigen Besitzlage, muß vom Recht als widerrechtlich angesehen werden, wenn sie mit einer Störung des Rechtsfriedens, also m i t einem Beziehungsunwert verbunden ist. Der so entstandene Besitz ist fehlerhaft (§ 858 Abs. 2 S. 1 BGB), d. h. der Rechtsfriedensordnung zuwider 2 1 , und w i r d durch die zwangsweise Wiederherstellung des unrechtmäßigen Besitzes, also durch Schaffung eines Erfolgsunwertes, aufgehoben, wenn der frühere Besitzer darauf vor Gericht anträgt (§§ 862 Abs. 1 S. 1, 863 BGB). Die übergeordnete Bedeutung des Rechtsfriedensschutzes ist hier offensichtlich. Die Ordnung der Handlungen ist i m wesentlichen eine Aufgabe des Strafrechts. Auch hier steht die Wahrung des Rechtsfriedens an erster Stelle. Alle Schwierigkeiten, welche die Subjektivisten und die Objektivisten m i t der Unrechtsbegründung haben, schwinden, wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt. Daß der abergläubische Versuch straflos bleibt, obwohl der Subjektunwert vollständig vorhanden ist, läßt sich zwanglos dadurch erklären, daß infolge der absoluten Harmlosigkeit des Deliktsversuchs der Rechtsfrieden nicht gestört wurde. Die Berücksichtigung des Erfolgsunwertes beim fahrlässigen Delikt erscheint anders als i n der Lehre der Subjektivisten gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß es einen viel schwereren Bruch des Rechtsfriedens darstellt, wenn ein Mensch durch das leichtsinnige Verhalten eines Verkehrsteilnehmers getötet wird, als wenn das verwerfliche Verhalten folgenlos bleibt. Ähnlich läßt sich für die Minderbestrafung des Versuchs gegenüber der Vollendung argumentieren: Daß der Versuch einer Straftat nicht immer und wenn, dann i n der Regel schwächer bestraft w i r d als die vollendete Tat, liegt i n dem schwereren Bruch des Rechtsfriedens begründet, den die erfolgreiche Tat zeitigt. Umgekehrt ist es aber auch durchaus möglich, i m untauglichen Versuch einen Bruch des Rechtsfriedens zu sehen, obwohl ein konkretes Rechtsgut weder verletzt noch gefährdet wurde, ein Erfolgsunwert also nicht besteht und die Objektivisten daher eine Erklärung für die gleichwohl gegebene Strafwürdigkeit und Strafbarkeit schuldig bleiben müssen. Und auch die subjektiven Unrechtselemente erhalten ihre systematische Stellung und Begründung dadurch, daß der Rechtsfrieden durch sie i n erhöhtem Maße beeinträchtigt wird. Das gilt für die allgemeinen subjektiven Elemente wie Vorsatz und Fahrlässigkeit genauso wie für die besonderen Absichten und Beweg21 M a n beachte, daß dem Gesetz ein Begriff fehlt, u m das Widerrechtliche des Besitzstandes zum Ausdruck zu bringen.

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gründe des Täters. Die vorsätzliche Tötung beeinträchtigt den Rechtsfrieden mehr als die fahrlässige und diese wiederum mehr als die unvermeidbare. Und auch für das Merkmal der Zueignungsabsicht, welches uns vorhin i n so große dogmatische Schwierigkeiten stürzte, daß w i r an seiner objektiven Begründbarkeit ernstlich zweifeln zu müssen glaubten, ergibt sich nunmehr aus dem Gedanken des Rechtsfriedensbruches eine befriedigende Erklärung, die seine Unrechtseigenschaft rechtfertigt: die Abeignung i n Zueignungsabsicht beeinträchtigt den Rechtsfrieden stärker als die ohne Zueignungsabsicht vorgenommene Sachentziehung, denn sie negiert nicht nur die bestehende Güterordnung, sondern sucht darüber hinaus eine neue an ihre Stelle zu setzen. So erweist sich der Rechtsfrieden als derjenige Wert, welcher Subjektives und Objektives vereint; sein Bruch aber erscheint als derjenige Unwert, welcher Subjektives und Objektives entzweit, indem er die soziale Beziehung der Subjektivität zur Objektivität (als der umgebenden sozialen Welt) zerstört. Der Bruch des Rechtsfriedens ist m i t h i n Beziehungsunwert. Sowohl i n der Güterordnung als auch i n der Handlungsordnung steht das Verbot, den Rechtsfrieden zu brechen, an erster Stelle, ja es ist keine rechtliche Sanktion zu denken auch nur möglich, welche nicht auf einem Bruch des Rechtsfriedens beruht. Machen w i r auch hierauf noch einmal die Probe. Die eigenmächtige Änderung der Besitzlage dürfte demnach nicht rechtswidrig sein, wenn mit i h r nicht ein Bruch oder eine Störung des Rechtsfriedens einhergeht. Einen solchen Fall finden w i r i n der Tat i n § 859 Abs. 2 BGB geregelt: „ W i r d eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter m i t Gewalt wiederabnehmen." Hier bedeutet die „Besitzkehr" — gleichgültig ob sie rechtmäßigen oder rechtswidrigen Besitz begründet — keine erneute Störung des Rechtsfriedens, weil die durch den widerrechtlichen Besitzentzug entstandene Störung ihrerseits noch nicht beendet ist. Ist aber schließlich die erste Störung abgeschlossen und der äußere Frieden wiederhergestellt, endet das Recht zur Besitzkehr: jede eigenmächtige Änderung des Besitzstandes ist hinfort widerrechtlich 22 . Unsere These ist damit insoweit bewiesen. Ferner müßte die m i t einem Unwert belastete Handlung, welche einen m i t einem Unwert belasteten Erfolg herbeiführt, nicht rechtswidrig sein, wenn sie keine Störung des Rechtsfriedens darstellt. Hierzu betrachten w i r eine i n letzter Zeit viel erörterte Entscheidung des Bundesgerichtshofes: Ein Lastzugfahrer hatte einen infolge erheblichen A l koholgenusses absolut fahruntüchtigen Radfahrer überholt und hierbei einen zu geringen Seitenabstand von 75 cm eingehalten. Der Radfahrer 22

Vgl. hierzu Westermann,

a.a.O., S. 100.

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hatte wahrscheinlich i n seiner Trunkenheit den Lastzug zu spät bemerkt und war heftig erschrocken; jedenfalls hatte er — i n einem für stark angetrunkene Radfahrer typischen Verhalten — „völlig ungeordnet und unvernünftig" sein Fahrrad nach links gezogen und war so unter den Hinterreifen des Anhängers geraten und getötet worden. Nach Auffassung der Großen Strafkammer als letzter Tatsacheninstanz hätte der tödliche Unfall sich wegen der unerkennbaren Fahruntüchtigkeit des Radfahrers „ m i t hoher Wahrscheinlichkeit" auch dann ereignet, wenn der Lastzugfahrer beim Überholen einen genügenden Zwischenraum von 1 bis 1,50 m eingehalten hätte. Diese letzte Feststellung veranlaßte den Bundesgerichtshof, den Lastzugfahrer von dem Vorwurf fahrlässiger Tötung freizusprechen. Er begründete seine Entscheidung 23 mit dem Fehlen eines strafrechtlich erheblichen Kausalzusammenhanges — weil nämlich „ f ü r eine das menschliche Verhalten wertende Betrachtungsweise" die Kausalität stets dann zu verneinen sei, wenn der gleiche Erfolg auch bei rechtlich einwandfreiem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist stark kritisiert worden — nicht so sehr wegen ihres Ergebnisses, das i m wesentlichen Zustimmung fand 2 4 , als vielmehr wegen ihrer Begründung. Man hat nämlich gemeint, daß gerade der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Lastzugfahrers und dem Tode des Radfahrers sich nicht gut leugnen lasse und daß demnach die Gründe für den Freispruch i m Fehlen eines anderen Verbrechensmerkmals als dem der Kausalität zu suchen seien. Das Fehlen welchen Merkmales aber für die Entscheidung den Ausschlag geben sollte, ist streitig geblieben. Baumann sieht den Handlungsunwert als nicht gegeben an. Er führt aus: „Vorgeworfen w i r d dem Täter, daß er nicht vermieden habe, obwohl er hätte vermeiden können. Voraussetzung, daß überhaupt die Frage des Vorwurfs auftaucht, ist, daß allgemein eine Möglichkeit zur Vermeidung bestanden hätte. Ohne diese kann schon ein Unwert des Verhaltens nicht behauptet werden" 2 5 . — Anders argumentiert A r t h u r Kaufmann: Treffe die einen deliktischen Erfolg verursachende Handlung des Täters ein Tatobjekt, bei dem i n diesem Zeitpunkt eine zu demselben Erfolg führende Entwicklung („hypothetische Erfolgsursache") bereits ein solches Maß erreicht hat, daß der Erfolgseintritt unabhängig von dem rechtswidrigen Täterverhalten nach menschlichem Ermessen zu erwarten war, so mangle der Erfolgsunwert der Tat, nicht ihr Verhaltensunwert. A l l e i n aus diesem Grunde habe das verkehrswi23

BGHSt 11, 1 ff. V ö l l i g ablehnend Spendel i n Eb. Schmidt-Festschrift S. 183 ff. u n d i n JuS 1964, 14 ff. 25 Baumann, A l l g . T., S. 253 ff.. 429. 24

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drige Verhalten des Fahrers keinen rechtswidrigen Erfolg herbeigeführt; „denn der getötete Radfahrer war nach den getroffenen Feststellungen infolge des Alkoholgenusses dermaßen fahruntüchtig und seine Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit waren so stark herabgemindert, daß sein Leben praktisch so oder so v e r w i r k t war, ob ihn nun der Lastzugführer richtig oder falsch überholte" 2 6 . Weder die eine noch die andere Begründung für die Straflosigkeit des Fahrers erscheint überzeugend. Der Aktunwert fehlt darum nicht, weil der Fahrer i n jedem Falle pflichtwidrig gehandelt hat, als er den gebotenen Mindestabstand von 1 bis 1,50 m nicht einhielt; daß diese Pflichtwidrigkeit keine conditio sine qua non für den eingetretenen Erfolg war, ändert nichts an ihrem Vorliegen, sondern allenfalls an ihrer strafrechtlichen Relevanz. Denn „ob irgendeine konkrete Handlung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nicht nach dem Umstand, ob auch bei Vornahme einer sorgfaltsmäßigen Handlung der gleiche Erfolg eingetreten wäre" 2 7 . Aber auch ein Erfolgsunwert der Tat läßt sich nicht übersehen. Daß ein Rechtsgut, welches i n einer Gefahr schwebt, weniger wert sein soll als ein ungefährdetes, t r i f f t nicht zu. Wäre beispielsweise ein Ertrinkender tatsächlich weniger wert als der am Ufer Stehende, so müßte es unverständlich erscheinen, warum das Recht diesen verpflichtet, jenem zu Hilfe zu kommen und sogar gewisse Gefahren auf sich zu nehmen. Darüber hinaus würde gar auch der Rettende durch seine Rettungshandlung sich i m Werte herabmindern, bloß weil er die Gefahr der Rettung auf sich genommen hat — obwohl doch seine Rettungshandlung höchst verdienstlich ist. Die Ansicht Kaufmanns kann daher nicht richtig sein. M i t Recht sagt Ulsenheimer: „Der strafrechtliche Schutz des Lebens ist absolut und darf unter keinen Umständen irgendeiner Relativierung oder Einschränkung unterfallen" 2 8 . Und zutreffend betont auch Roxin, an ein anderes Beispiel Kaufmanns 2 9 anknüpfend: „ E i n Menschenleben ist doch nicht deshalb wertlos, weil jemandem die Gefahr droht, ,von der SS auf bestialische Weise zu Tode' gefoltert zu werden. Wenn Kaufmann denjenigen, der seinen Freund vorsätzlich tötet, um i h n vor diesem Schicksal zu bewahren, milder bestrafen w i l l , so hat er ganz recht; aber der Grund dafür liegt doch nicht i n der Wertlosigkeit des vernichteten Lebens, sondern i n der Unverächtlichkeit des Tötungsmotives" 8 0 ! So läßt sich auch nicht sagen, daß die Tötung des Radfahrers keinen Erfolgsunwert geschaffen hat, daß das Leben des 26

A r t h u r Kaufmann i n Eb. Schmidt-Festschrift, S. 200 (229). Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit u n d Erfolg bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 122. 28 Ulsenheimer, a.a.O., S. 129. 29 Vgl. A r t h u r Kaufmann, a.a.O., S. 226. 30 Roxin i n Z S t W 74, 411 (429). 27

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Radfahrers „praktisch v e r w i r k t " und daher wertlos war. Die Frage kann vielmehr nur sein, ob Handlungs- und Erfolgsunwert i m vorliegenden Falle ausreichen, u m das strafrechtliche Unrechtsurteil zu begründen. Roxin möchte diese Frage unter der Bedingung verneinen, daß das Risiko des Erfolgseintritts durch das pflichtwidrige Verhalten des Lastzugführers nicht erhöht wurde. Sein „Prinzip der Risikoerhöhung" lautet: „Man prüfe, welches Verhalten nach den Grundsätzen des erlaubten Risikos dem Täter nicht als Pflichtverstoß hätte zugerechnet werden dürfen. Damit vergleiche man die Handlungsweise des Angeklagten. Und nun stelle man fest, ob bei der konkreten, zur Beurteilung stehenden Sachgestaltung die Chance des Erfolgseintritts durch das unkorrekte Täterverhalten gegenüber dem erlaubten Risiko erhöht worden ist. Ist das der Fall, so liegt eine tatbestandserfüllende Pflichtverletzung vor, und es ist eine Bestrafung der Tat geboten. Fehlt eine Risikosteigerung, so kann dem Handelnden der Erfolg nicht zur Last gelegt werden, und er muß insoweit freigesprochen werden" 8 1 . A n diesem heuristischen „Prinzip der Risikoerhöhung" ist lediglich zu bemängeln, daß es dogmatisch unbegründet bleibt. Wenn Roxin annimmt, daß Handlungs- und Erfolgsunwert vorliegen können, ohne daß deshalb das Unrecht der Tat voll begründet wäre, so muß er angeben, welcher Unwert i h m zu mangeln scheint, damit das Geschehen seine strafrechtliche Relevanz gewinnt. Besteht denn Unrecht nicht nur aus einer Summe von Handlungs- und Erfolgsunwerten? Und wenn nicht — was wäre sonst noch erforderlich? Des Rätsels Lösung liegt auch diesmal darin, daß erst i n der Verletzung des Rechtsfriedens der wahre Grund der Strafbarkeit offenbar w i r d : nur wo durch die Pflichtwidrigkeit des Täters eine Störung des Rechtsfriedens entsteht, darf der Täter zur Verantwortung gezogen werden! Z u einer Störung des Rechtsfriedens kommt es aber nicht, wenn der Erfolg, den der Täter pflichtwidrig herbeigeführt hat, auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Denn wenn das Strafrecht die Verletzung von Rechtsgütern dort i n Kauf nimmt, wo sie nicht pflichtwidrig herbeigeführt wurde, und hierin — völlig zutreffend — keine Verletzung des Rechtsfriedens, welche strafrechtliche Ahndung erforderte, sieht, dann kann es die für sich folgenlose Pflichtwidrigkeit allenfalls um ihrer selbst, niemals aber um des Erfolges w i l l e n mit Strafe belegen, der sich an das pflichtwidrige Verhalten anschließt, ohne auf dessen Pflichtwidrigkeit zu beruhen. Anders gewendet: Hat die Pflichtwidrigkeit keinen Erfolg gezeitigt, muß sich das Strafrecht m i t einem auf ihr nicht beruhenden Erfolg genauso abfinden, wie wenn aus dem Verhalten des Täters überhaupt kein Erfolg hervorgegangen wäre. 31

Roxin, a.a.O., S. 431 f.

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Z u r Feststellung der strafrechtlichen Relevanz der Pflichtwidrigkeit f ü r den Erfolg ist, w i e ich schon an früherer Stelle ausgeführt habe 3 2 , die conditiosine-qua-non-Formel anzuwenden: der Beziehungsunwert fehlt, w e n n sich die Fahrlässigkeit wegdenken läßt, ohne daß der Erfolg entfiele. Wegdenken läßt sich die Fahrlässigkeit, ohne daß der Erfolg entfiele, w e n n jeglicher Einfluß der Fahrlässigkeit auf den Erfolg „undenkbar" erscheint, w e n n also nicht n u r die W i r k l i c h k e i t des Einflusses, sondern auch seine Möglichkeit ausgeschlossen ist. Jede Möglichkeit aber ist ausgeschlossen, w e n n die Pflichtwidrigkeit nicht einmal eine Gefahr Steigerung f ü r das verletzte Rechtsgut m i t sich gebracht hat. Insoweit hat R o x i n m i t seinem „Prinzip der Risikoerhöhung" durchaus recht. Allerdings läßt sich gegen i h n noch einwenden, daß an sich jede Sorgfaltsverletzung eine „Risikoerhöhung" zur Folge habe; denn die Sorgfalt ist j a den Menschen zur Pflicht gemacht, u m von den Rechtsgütern die Gefahr einer Verletzung fernzuhalten, d . h . u m das „Risiko", welches sie tragen müssen, auf e i n Mindestmaß zu begrenzen. Dieser E i n w a n d entfällt jedoch dann, w e n n unabhängig v o m sorgfaltswidrigen Verhalten des Täters »hypothetische Erfolgsursachen" zur Verfügung stehen, die (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) denselben Erfolg herbeigeführt hätten; alsdann k a n n dem U n w e r t der Fahrlässigkeit die Beziehung auf den Erfolg fehlen. D a r i n hat bereits A r t h u r K a u f m a n n bei seiner K r i t i k der Entscheidung des Bundesgerichtshofs den entscheidenden Gesichtspunkt richtig getroffen. I n d e m v o m Bundesgerichtshof zu entscheidenden F a l l w a r demnach zunächst die Frage zu stellen, ob sich die Pflichtwidrigkeit des Lastzugfahrers — der zu geringe Abstand beim Überholen — wegdenken läßt, ohne daß der Erfolg — die Tötung des Radfahrers — entfiele (conditio-sine-qua-non-Formel). Diese Frage w a r zu bejahen, wenn der Radfahrer keiner höheren Gefährdung ausgesetzt war, als er sie ohnehin seitens des Täters i n K a u f zu nehmen hatte (Prinzip der Gefahrerhöhung). Ob diese Voraussetzung vorlag, konnte v o m Tatsachengericht nicht festgestellt werden; vielmehr w a r es der Auffassung, daß der U n f a l l sich „ m i t hoher Wahrscheinlichkeit" ebenso ereignet hätte, wenn der Lastzugfahrer pflichtgemäß gefahren wäre (hypothetische Erfolgsursache). Der Beweis, daß das Verhalten des Täters zu einer Gefahrerhöhung geführt habe, oblag dem Gericht 3 3 . Es sah sich außerstande, i h n zu führen. Deshalb mußte es freisprechen. D e m Ergebnis des Bundesgerichtshofes i s t d a h e r v o l l a u f z u z u s t i m m e n : A u c h d i e m i t e i n e m U n w e r t belastete H a n d l u n g , w e l c h e e i n e n m i t e i n e m U n w e r t belasteten E r f o l g h e r b e i f ü h r t , i s t n i c h t r e c h t s w i d r i g , w e n n sie k e i n e S t ö r u n g des Rechtsfriedens d a r s t e l l t . D e r Bruch des Rechtsfriedens i s t d e r zentrale Gesichtspunkt, v o n d e m aus jedes U n recht b e g r ü n d e t w e r d e n m u ß . H a n d l u n g s - u n d E r f o l g s u n w e r t e h a b e n d e m g e g e n ü b e r n u r eine m i t t e l b a r e B e d e u t u n g . — W i r fassen das E r g e b n i s u n s e r e r b i s h e r i g e n U n t e r s u c h u n g z u s a m m e n : Es s i n d i m Recht (zumindest) d r e i W e r t a r t e n z u u n t e r s c h e i d e n : S u b j e k t werte, O b j e k t w e r t e u n d Beziehungswerte. S u b j e k t w e r t ist der W e r t desjenigen, d e r sich p e r s o n a l v e r h ä l t u n d dessen V e r h a l t e n e i n e r B e w e r t u n g u n t e r l i e g t oder u n t e r l i e g e n k a n n . O b j e k t w e r t i s t d e r W e r t 32

Lampe i n ZStW 71, 571 (594). a. A . Roxin i n Z S t W 74, 411 (434); gegen i h n zutreffend a.a.O., S. 138 f. 33

Ulsenheimer.

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Das Unrecht der Person

desjenigen, auf den oder auf das sich ein Verhalten bezieht oder beziehen kann. Beziehungswert schließlich ist derjenige Wert, welcher der Beziehung des Subjekts zum Objekt anhaftet. Subjektiven Wert besitzt beispielsweise der Arzt, der den Schwerkranken nach den Regeln seiner Kunst operiert, gleichgültig, ob der Kranke durch die Operation gerettet w i r d oder nicht. Objektwert kommt dem Leben des Schwerkranken zu, gleichgültig, ob dieser ein Wohltäter oder ein Mörder ist. Der Beziehungswert schließlich liegt i n der Operation des Schwerkranken — er liegt i n der Bedeutung, welche die Operation für die Gemeinschaft hat, der sowohl der Arzt als auch der Kranke angehören. Subjekt- und Objektwert sind Grundlagen des Beziehungswertes; der Beziehungswert ist beiden Werten gegenüber selbständig. Er kann fehlen, obwohl Subjekt- und Objektwert als Grundlagen des Beziehungswertes gegeben sind: etwa bei der Operation des zum Tode verurteilten Mörders. Entsprechendes wie für die Werte gilt auch für die strafrechtlich bedeutsamen Unwerte. Z u unterscheiden sind Subjektunwerte, Objektunwerte und Beziehungsunwerte. Subjektunwert besitzt derjenige, welcher vorsätzlich tötet, Objektunwert besitzt der Tod des anderen; der Beziehungsunwert liegt i n der Bedeutung, welche der Tötung für den Rechtsfrieden der Gemeinschaft zukommt. Der Beziehungsunwert kann fehlen, obgleich sowohl der Subjekt- als auch der Objektunwert vorliegen, etwa i n dem bekannten Hinrichtungsfall Engischs 84 : Zur Hinrichtung des Mörders ist der Vater des ermordeten Kindes zugelassen; er bringt es fertig, sich i n die Nähe des Schafotts zu schleichen, und drückt i m entscheidenden Augenblick an Stelle des von i h m uno actu zurückgestoßenen Scharfrichters auf den Knopf, u m selbst sein K i n d zu rächen. Für das Unrecht bedeutsam ist nur der Beziehungsunwert. Fehlt er, so erstarken Subjekt- und Objektunwert nicht zum Unrecht. Konsequenz ist, daß i n Engischs Beispiel der Vater keine rechtswidrige Tötung begeht und daher insoweit nicht bestraft werden kann. Der Bundesgerichtshof steht solcher Auffassung nahe i n der bekannten E n t scheidung über den Rechtfertigungsgrund des „verkehrsrichtigen Verhaltens 3 5 ". Allerdings gibt er seiner Meinung nicht m i t der K l a r h e i t Ausdruck, welche erforderlich gewesen wäre, u m Mißverständnisse auszuschließen. Zunächst spricht er davon, es sei m i t der neueren Rechtsentwicklung „eine Auffassung nicht mehr vereinbar, die i m Deliktsrecht auch die unvermeidbaren Schädigungen des Straßen- u n d Eisenbahnverkehrs als rechtswidrige K ö r p e r - u n d Eigentumsverletzungen ansieht u n d n u r unter dem Gesichtspunkt fehlender Schuld die Schadenshaftung verneint". Begründet w i r d die Rechtfertigung der Schädigungen aber gleich darauf m i t der fehlenden Rechtswidrigkeit des Verhaltens; denn es heißt: „Es geht nicht an, ein V e r k e h r s t erhalten, das den Ge- u n d Verboten der Verkehrsordnung v o l l Rechnung trägt, trotzdem m i t dem negativen W e r t u r t e i l der Rechts34 35

Engisch, Kausalität, S. 15 f. B G H Z 24, 21 ff.

Das Wesen des personalen Unrechts

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Widrigkeit zu versehen". U n d weiterhin: „ H i e r f ü r gibt der eingetretene E r folg keinen ausreichenden G r u n d her, da das U r t e i l der Rechtswidrigkeit im Sinne der Bestimmungen des BGB über unerlaubte Handlungen die zum Erfolg führende Handlung nicht unberücksichtigt lassen d a r f 3 8 " . M a n spürt hier das Ringen des Bundesgerichtshofes u m eine Differenzierung des Rechtswidrigkeitsbegriffes, aber erst i m letztzitierten Satz ist die dreifache Unterscheidung des Unwertes des Erfolges (Objektunwert), des Unwertes der Handlung (Subjektunwert) u n d des beide Unwerte berücksichtigenden Unwertes „ i m Sinne der Bestimmungen des B G B über unerlaubte Handlungen" (Beziehungsunwert) wenigstens i m Ansatz enthalten. I n der Tat — nicht f ü r das zivile u n d noch v i e l weniger f ü r das strafrechtliche D e l i k t k a n n allein der U n w e r t des Erfolges (Objektunwert) das Unrecht begründen, w e i l der U n w e r t der Handlung (Subjektunwert) f ü r die deliktische Beziehung zwischen Subjekt u n d Objekt der Tat (Beziehungsunwert) nicht unberücksichtigt bleiben darf. Vielmehr begründen beide, Handlungs- und Erfolgsunwert, den Beziehungsunwert der Tat, auf den sich dann sowohl das „ U r t e i l der Rechtswidrigkeit i m Sinne der Bestimmungen des B G B über unerlaubte Handlungen" als auch das U r t e i l der Rechtswidrigkeit i m Sinne des Strafrechts gründen kann 3 7 .

Unsere erste Frage: welcher A r t das Unrecht sei, i n das sich die Person setzt, indem sie die ihr immanenten rechtlichen Bindungen überschreitet, ist damit beantwortet: es handelt sich u m den rechtlich relevanten Beziehungsunwert, welcher auf Subjekt- und Objektunwerten beruht, ihnen gegenüber jedoch unabhängig ist. Die Grenze der freien Entfaltung der Persönlichkeit bildet daher die Störung des Rechtsfriedens. Nunmehr wenden w i r uns der zweiten eingangs aufgestellten Frage zu: welcher A r t die Personalität des Verstoßes gegen das Recht, genauer: gegen den rechtlich relevanten Beziehungswert, ist. Die Frage ist nach den vorangegangenen Überlegungen verhältnismäßig schnell und einfach zu beantworten. W i r sahen, daß der für das Recht allein maßgebliche Beziehungsunwert zwar auf Subjekt- und Objektunwerten beruht, daß er ihnen gegenüber jedoch selbständig ist. W i r haben diese Selbständigkeit ferner bisher insoweit betrachtet, als sich aus dem Vorliegen von Subjekt- und Objektunwert noch nicht zwangsläufig auf das Vorliegen eines Beziehungsunwertes schließen läßt. Darüber hinaus läßt sich nunmehr auch leicht erkennen, daß umgekehrt ein Beziehungsunwert gegeben sein kann, obwohl es entweder an einem Subjekt- oder an einem Objektunwert fehlt. A n einem Subjektunwert fehlt es beispielsweise i n dem von Jhering i n die Unrechtsdiskussion eingeführten Fall des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache 38 . Der Besitz ist hier unrechtmäßig, weil der Besitzer in Beziehung auf den Eigentümer kein Recht zum Besitz hat. Der Beziehungsunwert ist also gegeben, obwohl den Besitzer selbst deshalb 36

B G H Z 24, 21 (26). Vgl. Lampe i n Z S t W 71, 579 (581 f.). 38 Siehe dazu oben S. 17.

37

15 Lampe

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Das Unrecht der Person

kein Unwerturteil trifft, weil sein Verhalten sittlich zumindest indifferent ist und daher zur Unrechtsbegründung nichts beiträgt. Es liegt ein Beziehungsunwert ohne Subjektunwert vor. M i t einem Beziehungsunwert ohne Objektunwert haben w i r hingegen beim versuchten Verbrechen zu tun. Mag man beim tauglichen Versuch den Objektunwert noch i n der Gefährdung eines Rechtsgutes erkennen können, so versagt dieser Gesichtspunkt völlig beim untauglichen Versuch. Hier fehlt es an jeder Beeinträchtigung der Unversehrtheit konkreter Güter, und darum kann sich der Beziehungsunwert einer solchen Tat nur auf den Unwert des tätig gewordenen Subjekts gründen. Die Besonderheit des personalen Moments i m Unrecht liegt nun darin, daß es nicht jeden Beziehungsunwert zur Unrechtsbegründung genügen läßt, sondern stets nur denjenigen, der sich auf einen Subjektunwert gründet, der also ethische Relevanz besitzt und damit Grundlage eines strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsurteils sein kann. Fehlt der Subjektunwert, so entfällt das personale Unrecht der Tat, mag der Beziehungsunwert auch vorhanden sein — etwa wegen des Erfolges, den die Tat herbeigeführt hat. P e r s o n a l e s Unrecht ist stets auf einem Subjektunwert beruhendes Unrecht.

Ein ganz einfaches Beispiel soll dies erläutern: A schießt auf B und tötet ihn. Bei diesem Beispiel ist der Objektunwert leicht feststellbar; er liegt i m Tode des B. Auch der Beziehungsunwert läßt sich noch einwandfrei aufweisen; für ihn genügt es ja schon, daß sich der eingetretene Erfolg auf einen Menschen zurückführen läßt, daß eine Beziehung zwischen dem Tode des B und dem Schießen des A bestand. Damit ist das Unrecht der Tat begründet — aber, und dies ist hier entscheidend, nur soweit es auf einem Objektunwert beruht, soweit es also objektives Unrecht ist. Unbegründet und aus den bisherigen tatsächlichen Angaben unbegründbar ist das personale Unrecht, für das ein Subjektunwert Voraussetzung ist. Dieser Unwert des Subjekts muß durch ein Unwerturteil über das Verhalten des A festgestellt werden: es muß den A wegen seines Verhaltens ein Vorwurf treffen (können). Die Tatsache, daß A auf B geschossen hat, begründet diesen Vorwurf noch nicht; hinzutreten muß, daß A i n seinem Verhalten von seinen Mitteln zur Lebensplanung oder Lebensgestaltung Gebrauch gemacht hat oder hätte Gebrauch machen sollen. Ist dies der Fall, konnte A sich anders verhalten, so ist die Voraussetzung für ein personales Rechtswidrigkeitsurteil geschaffen. Die endgültige Entscheidung, ob personales Unrecht vorliegt, fällt freilich erst i m Rahmen der Prüfung des Beziehungsunwertes. Besitzt nämlich der Subjektunwert keine Beziehung zum Erfolg der Tat, kann er, wie schon oben dargelegt, für die Un-

Die systematische Stellung des personalen Unrechts u n d seiner Elemente

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rechtsbegründung nicht herangezogen werden: er ist beziehungsloser, allein ethischer Subjektunwert und damit für ein auf dem Beziehungsunwert beruhendes Unrechtsurteil unerheblich. Die hier aufgewiesene Methode zur Feststellung des personalen Unrechtsgehaltes einer Tat mag zunächst umständlich erscheinen. Sie w i r d diesen Charakter jedoch i n den meisten Fällen dadurch verlieren, daß es über den Beziehungsunwert eines Subjektunwertes keine Zweifel geben wird. I n zweifelhaften Fällen freilich w i r d man eine gewisse Schwierigkeit und Schwerfälligkeit der Methode i n Kauf nehmen müssen u m des Vorteils willen, zu exakt begründeten und nachprüfbaren Ergebnissen zu gelangen. Die Mühe, nicht nur den Subjektunwert, sondern auch die Bedeutung des Subjektunwertes i m Rahmen eines Beziehungsunwertes prüfen zu müssen, w i r d alsdann entgolten durch eine saubere Scheidung der einzelnen Unrechtselemente und eine klare A b grenzung des personalen Unrechts gegenüber der Schuld, durch eine klare Stellungnahme zu Problemen also, die i n der bisherigen Unrechtsdiskussion über Jahrzehnte hinweg die Wissenschaft bewegt und eigentlich bis heute noch keine befriedigende Lösung gefunden haben. So schwierig die Methode zur Feststellung des personalen Unrechts demnach sein mag, so einfach ist indessen die Definition des personalen Unrechts, woraus folgt, daß letzthin auch das Wesen des personalen Unrechts nicht schwer zu fassen ist: nämlich als p f l i c h t w i d r i g e S t ö r u n g d e s R e c h t s f r i e d e n s der Gemeinschaft. Welche Elemente i m einzelnen hierher zu zählen sind, w i r d nun i m folgenden noch zu erörtern sein.

I I . Die systematische Stellung des personalen Unrechts und seiner Elemente Das personale Unrecht ist i n seiner systematischen Stellung nach zwei Seiten abzugrenzen: zum einen gegenüber dem impersonalen Unrecht, zum anderen gegenüber der Schuld. Mehr terminologische Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen personalem Unrecht und personaler Rechtswidrigkeit. 1. Die Abgrenzung des personalen Unrechts vom impersonalen Unrecht

Jedes Unrecht, so sahen w i r , hat einen Beziehungsunwert zur Grundlage. Die Abgrenzung von personalem und impersonalem Unrecht kann daher nur innerhalb des einheitlichen Beziehungsunrechts eine Rolle spielen, als dessen Teile personales und impersonales Unrecht sodann erscheinen. 1 *

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Das Unrecht der Person

M i t dieser Klarstellung erledigen sich Bedenken, welche vor allem von Bindokat 1 gegen die Annahme von „mehrerlei Unrecht" i n Z i v i l - u n d Strafrecht erhoben worden sind. Es gibt i n der Tat nicht mehrerlei Unrecht, sondern das Unrecht ist als rechtlich relevanter Beziehungsunwert eines Vorgangs oder Zustandes einheitlich. Die Begriffe des personalen u n d des impersonalen Unrechts stellen jedoch analytisch klar, ob das einheitliche Unrecht auf einem Subjektunwert bzw. auf einem O b j e k t u n w e r t beruht. Beide Begriffe sind also zergliedernder, nicht konstitutiver Natur.

Impersonales Unrecht ist derjenige (nur theoretisch zu trennende) Teil des Beziehungsunrechts, welcher von dem Subjektunwert absieht, auf dem der Beziehungsunwert möglicherweise mitberuht, jenes Unrecht also, das als Wirkung übrig bleibt, wenn man die personalen U r sachen seiner Entstehung beiseitesetzt. Es kann zum einen Erfolgsunrecht sein, also Unrecht, das als rechtlich mißbilligtes Ergebnis einer auf einen Menschen zurückzuführenden Beziehung selbständige Existenz erlangt hat. Es kann aber auch Handlungsunrecht sein, sofern die Handlung nur i n ihrer Wirkung, nicht i n ihren personalen Ursachen betrachtet wird. So ist etwa die Wirkung des Meineides, was als Ergebnis des inneren Vorsatzes, falsch zu schwören, sich äußert und wahrgenommen bzw. begriffen und verstanden werden kann. Bei der B l u t schande ist Wirkung der Beischlaf etwa zwischen Vater und Tochter, während ihre Ursachen i n dem Entschluß der den Beischlaf ausübenden Personen zu finden sind. Personales Unrecht darf daher auch i m Rahmen des Beziehungsunrechts nicht ohne weiteres m i t dem Unrecht sog. „schlichter Tätigkeitsdelikte", impersonales Unrecht nicht mit dem besonderen Unrecht der sog. „Erfolgsdelikte" gleichgesetzt werden; denn auch Delikte, welche keinen gesonderten Erfolg, sondern lediglich eine bestimmte Tätigkeit pönalisieren, haben einen impersonalen Unrechtsgehalt, wie etwa der Meineid (§ 154 StGB) die Verletzung der Rechtspflege und die Blutschande (§ 173 StGB) die Verletzung der Reinheit der Familie. Das freilich ist wiederum nicht so zu verstehen, als würden bei den schlichten Tätigkeitsdelikten durch den verwerflichen A k t ideelle Werte verletzt, als ruhe die Unrechtsbeziehung also i m metaphysischen Räume. Vielmehr verletzt der Meineid die Rechtspflege als konkrete, i m Einzelfall tätig werdende Institution, die Blutschande zerstört die Reinheit der Familie als einer konkreten Beziehung i m Rahmen einer sozial anerkannten Form, die zwischen den einzelnen Familienmitgliedern besteht und i n ihnen ihre Grundlage findet 2. 1 Bindokat i n JZ 58, 553 (besonders 556). Siehe auch Kohlrausch/Lange, StGB Systematische Vorbem. I I I 1 (S. 14): die Unterscheidung zwischen einem objektiven u n d einem personalen Unrecht gefährde die Einheit der Rechtsordnung. 2 Hierzu siehe schon oben S. 100 und S. 27 f.

Die systematische Stellung des personalen Unrechts und seiner Elemente

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Sind demnach impersonales Unrecht die vom Täter ausgehenden Wirkungen, so sind personales Unrecht die Ursachen dieser Wirkungen, wofern sie, dem Selbst des Täters angehörend, am Unrechtsgehalt der Beziehung teilhaben. Als solche Ursachen kommen gemäß unseren Untersuchungen i m 1. Abschnitt dieses Teiles i n Betracht: zunächst die Gefühle, Triebfedern und Strebungen, sodann die Vorstellungen, Beweggründe und Absichten, weiterhin die Grundsetzungen, Einsetzungen und Vorsetzungen des Täters sowie schließlich die von uns sog. Intentionalitätsmerkmale. Sie alle haben nicht am impersonalen Unrecht teil, können aber den personalen Unrechtsgehalt der Tat maßgeblich beeinflussen, sobald sie den Charakter von Beziehungsunwerten angenommen haben, d.h. für die Gemeinschaft dadurch relevant geworden sind, daß sie den i n ihr herrschenden Hechtsfrieden stören. M i t dieser Einbeziehung der personalen Ursachen und ihres Unwertes i n den Unrechtsbegriff der zwischenmenschlichen Beziehungen ist ein „Bekenntnis zur Lehre vom ,personalen Unrecht' ausgesprochen" 3 . Fraglich bleibt allerdings noch, „ w i e das innere Zuordnungsverhältnis innerhalb des Unrechtsurteils zu bestimmen ist. A u f keinen Fall dürfen", wie Würtenberger m i t Recht bemerkt hat, „zum Bereich der Unrechtsbetrachtung solche personalen Elemente geschlagen werden, die wie die Gesinnung zum Inhalt [allein!] der Schuld zu rechnen sind" 4 . Damit kommen w i r zum schwierigsten und umstrittensten Problem des personalen Unrechts: der Abgrenzung zwischen personalem Unrecht und Schuld. 2. Die Abgrenzung des personalen Unrechts von der Schuld

Die Abgrenzung des personalen Unrechts von der Schuld kann für jedes rechtlich relevante Merkmal zu drei Ergebnissen führen: 1. das Element gehört zum Unrecht: es ist Unrechtselement; 2. das Element gehört zur Schuld: es ist Schuldelement; 3. das Element gehört sowohl zum Unrecht als auch zur Schuld: es ist Unrechts- und Schuldelement, und zwar a) w e i l entweder i n i h m Unrechts- und Schuldelemente als Teilelemente enthalten sind, b) oder es seinem Wesen nach eine Z w i schenstellung zwischen Unrecht und Schuld einnimmt. a) Subjektive

Unrechtselemente

Zum personalen Unrecht gehören diejenigen einen Subjektunwert konstituierenden Merkmale, welche eine Störung des Rechtsfriedens bewirken, also gleichzeitig einen Beziehungsunwert verkörpern. Dieser Grundsatz ergibt sich bereits aus dem Wesen des personalen Unrechts. 3 4

Anders aber Würtenberger, Würtenberger, a.a.O.,

Geistige Situation, S. 52.

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Das Unrecht der Person

Es gilt lediglich, i h n noch zu verdeutlichen und an Einzelbeispielen zu belegen. I n der geschichtlichen Entwicklung finden w i r insbesondere an drei Stellen Ansätze zu der von uns vertretenen Auffassung: bei Hegel, bei Binding und bei Max Ernst Mayer. A u f die von ihnen vertretenen Lehren kommen w i r daher zunächst noch einmal kurz zurück. Nach Hegels Ansicht 5 ist das Unrecht eine Erscheinungsform des abstrakten Rechts, die Schuld aber eine Seite der Moralität; das Unrecht beschreibe, so meint er, die äußere Seite der Willensfreiheit, die Schuld die innere. Alle Besonderheiten des Willens, seine Einsicht und seine Absicht, gehörten nicht der äußeren, sondern der inneren Seite des Willens an und seien damit Elemente der Schuld. Eine solche Auffassung finden w i r heute noch bei H e l l m u t h Mayer, welcher die rechtswidrige Handlung als „objektivierten W i l l e n " ansieht 6 u n d demgemäß die subjektiven Unrechtselemente der Schuld zurechnet 7 . Eine teilweise Umformung hat Hegels Lehre hingegen bei Maihofer erfahren, der als U n rechtspersönlichkeit die abstrakte Sozialperson, als Schuldpersönlichkeit aber die konkrete Individualperson auffaßt 8 .

Die Lehre Hegels kommt unserer eigenen Meinung insofern entgegen, als sie das Willenselement bereits für das Unrecht berücksichtigt — und zwar nicht nur i n der Form der traditionellen sog. „ W i l l k ü r lichkeit", sondern als echte Objektivation der Subjektivität, als „finale Objektivität" oder „objektive Finalität" 9 . Sie bezeichnet damit zutreffend jenes Mindestmaß, das nicht unterschritten werden darf, ohne daß vom Unrecht einer Person (Subjektunwert) nicht mehr die Rede sein kann. Zu eng ist sie jedoch, w e i l sie jede Besonderheit des Täterwillens als für das konkrete verbrecherische Unrecht unerheblich erklärt und i h m nur für die Schuld Bedeutung einräumen w i l l 1 0 . Eine mit Hegels Lehre i n gewissem Maße verwandte, wenngleich i m wesentlichen eigenständige Auffassung finden w i r sodann i n Bindings Normentheorie 11 . Wie Hegel zwischen innerem und äußerem Dasein 5

Siehe hierzu i m einzelnen oben S. 14. H. Mayer, Allg. T., S. 103. H. Mayer, a.a.O., S. 104. 8 Siehe dazu oben S. 15 u n d S. 73 ff. 9 Vgl. hierzu etwa H. Mayer, a.a.O., S. 42: „Die v o m W i l l e n beherrschbaren Wirkungen unseres Tuns werden von der Rechtsordnung unserem W i l l e n zugerechnet. Dieses Zurechnungsurteil ist also o b j e k t i v - f i n a l u n d schließt Kausalurteile i n sich ein." Ferner Maihofer i n Schmidt-Festschrift, S. 178: Handlung ist „jedes objektiv beherrschbare Verhalten m i t Richtung auf einen o b j e k t i v voraussehbaren sozialen Erfolg". 10 Siehe zur K r i t i k i m einzelnen oben S. 74 ff. 11 Z u m folgenden vgl. auch Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 19 ff.; Schweikert, Tatbestandslehre, S. 31 f. Als Vorläufer einer personalen U n rechtslehre w i r d B i n d i n g gewürdigt v o n H. Lampe, Personaler Unrechtsbegriff, S. 14 ff. Siehe dazu auch Maurach, Schuld u n d Verantwortung, S. 11 f. 6

7

Die systematische Stellung des personalen Unrechts u n d seiner Elemente

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der Willensfreiheit, so trennte Binding zwischen Handlungen und Taten 1 2 . Und wie Hegel das innere Dasein der Willensfreiheit für die Schuld wesentlich erklärte, das äußere aber für das verbrecherische Unrecht, so ordnete Binding die Handlung (auch) i n die Kategorie der Schuld, die Taten aber allein i n die Kategorie des objektiven Verbrechens ein 1 3 . — Indessen sind die Ubereinstimmungen doch nicht sehr tiefgehend, und für die Abgrenzung des personalen Unrechts von der Schuld führen Bindings Ausführungen nicht notwendig zu denselben Konsequenzen, wie sie Hegel zog, so daß w i r schon aus diesem Grunde Bindings Lehre mit besonderem Interesse begegnen müssen. Handlungen und Taten ist nach Bindings Terminologie eines gemeinsam: daß sie „verwirklichter menschlicher Wille" sind 1 4 . Aber „Tat i m weiteren Sinne — und bei der A r m u t unserer Sprache für Willensverwirklichungen müssen w i r notgedrungen das Wort auch i m weiteren Sinne gebrauchen — schließt die ,Handlung' ein" 1 5 ; denn der die Handlung tragende Wille ist stets (und i m Unterschied zum Tatwillen i. e. S.) zurechenbarer Wille 1 6 . Taten können daher i. e. („technischen") S. definiert werden als „Willensbetätigungen eines Menschen, die nicht Handlungen sind" 1 7 , oder, positiv gewendet, als Willensbetätigungen eines Unzurechnungsfähigen. — Für den objektiven Verbrechenstatbestand ist nun nach Bindings Ansicht nur die Begehung einer Tat, nicht auch einer Handlung, wesentlich; der Wille gehört daher als nicht-schuldhafter zum objektiven und nur als schuldhafter zum subjektiven Tatbestand. „Was als objektiver Deliktstatbestand allein bezeichnet werden kann, ist immer Willensverwirklichung, nicht allein äußeres Geschehnis. Und zwar muß der Wille des tätig Gewordenen stets i n ganz analoger Weise auf die rechtswidrige Tat gerichtet gewesen sein, wie wenn sie schuldhaft verübt worden wäre. . . . Der objektive Tatbestand ist ein gewolltes Ganzes, genau wie es das Delikt ist. Die Grenzlinie zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand verläuft also ganz innerhalb der Willensseite der rechtswidrigen Tat, zwischen schuldhaftem und nicht schuldhaftem Wollen derselben, und nicht zwischen dem Innern des Menschen und der Außenwelt 1 8 ." I n dieser Lehre von der Tat als gewollter Verwirklichung des objektiven Deliktstatbestandes scheint Binding die sog. finale Handlungslehre und mit ihr die subjektive Unrechtslehre der Finalisten vorweggenommen zu haben. Zutreffend bemerkt der Finalist A r m i n Kauf12 13 14 15 16 17 18

Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding, Binding

Normen Bd. I I , S. 83. a.a.O., S. 85. a.a.O., S. 88. a.a.O., S. 85 A n m . a.a.O., S. 95. a.a.O., S. 85 A n m . i n GS 76, 1 (10 f.).

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Das Unrecht der Person

mann: „Setzt man i n der Binding'schen ,Tatlehre* den Willensbegriff m i t dem üblichen psychologischen Willensbegriff gleich, so müßte man überhaupt sagen, daß es sich bei der ,Tatlehre 4 u m eine finale Handlungslehre handelt; die dann noch bleibenden Differenzen würden diese Kennzeichnung nicht zu einer falschen machen 10 ." Die Abweichung zur finalen Handlungslehre sieht Kaufmann alsdann m i t Recht jedoch darin, daß Bindings Willensbegriff kein psychologischer Begriff ist, sondern ein ethisch-juristischer. Diese Abweichung ist auch für die Unrechtslehre bedeutsam. Das Nicht-Psychologische i n Bindings Willensbegriff zeigt sich vor allem darin, daß der Wille auch das Nicht-Vorgestellte umfaßt. Binding betont zunächst 20 die Unabhängigkeit des Willens vom Wunsche, den er i m Anschluß an Lipps 2 1 als nacktes Streben kennzeichnet. Solche Wesensbestimmung des Wunsches erscheint als nicht ganz zutreffend, weil dem Wunsche gerade das „zielhafte Streben nach Realisierung" mangelt 2 2 . Jedoch gilt unabhängig von dieser Diskrepanz Bindings Folgerung: man könne das Unmögliche sehr wohl wünschen, aber es gebe kein Wollen des Unmöglichen 2 3 ; Wunsch und Wille seien voneinander unabhängig: „Der Bandit, der durch heiligen Schwur sich verpflichtet, einem bestimmten Fremden eine wohlgezielte Kugel zuzusenden, kann während er zielt, u m nicht meineidig zu werden, während er also töten will, sehr wohl wünschen, daß seine Kugel fehl gehen möge. Er begeht einen i h m unerwünschten Mord. Und wenn jemand etwas durchaus Erfreuliches tut m i t dem Wunsche, daß es zum ungedeihlichen Ende führe — der Chirurg operiert durchaus sachgemäß, wünscht aber, der Patient stürbe bei der Operation —, so ist der Tod gewünscht, aber nicht i m landläufigen Sinne ,gewollt 424 . 44 Aus dieser Unterscheidung folgert Binding sodann, daß die für den Wunsch wesentliche Vorstellung des Erfolges für den Willen keine essentielle Bedeutung haben könne; die Behauptung: was nicht vorgestellt sei, sei nicht gewollt, dürfe nicht gelten. Für Binding ist der unrechtsrelevante Wille demnach der von allen subjektiven Vorstellungen freie, gleichsam „formale 44 — und das heißt inhaltsleere — Wille. Alle subjektiven Vorstellungen erlangen für i h n i m Unrecht keine Bedeutung, da Unrecht auch ohne ihr Vorliegen verwirklicht werden könne. — Wiederum fühlen w i r uns hier an Hegels Lehre von der abstrakten Person i m Recht erinnert. Aber i m Gegensatz zur Auffassung Hegels, daß alle Besonderheiten des Willens zur Schuld gehörten, er19 20 21 22 28 24

A r m i n Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 111. Binding, Normen Bd. I I , S. 301 ff. Lipps, Psychologie, S. 23. Helwig, i n Psyche Bd. 6, S. 10. Binding, Normen Bd. I I , S. 302. Binding, a.a.O., S. 302 f.

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scheint uns eine solche Folgerung bei Binding keineswegs notwendig; denn Bindings „wollender" Täter ist ja nicht eine abstrakte, sondern die konkret-handelnde Person. Und so wundert es uns nicht, wenn Binding später selbst einmal schreibt: „Steht fest, daß jemand ohne alle Berechtigung eine fremde bewegliche Sache aus fremdem Besitz weggenommen hat, kann aber nicht festgestellt werden, ob m i t dem Willen, sie sich anzueignen oder mit dem ganz anderen, sie zu Pfand zu haben, so liegt der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung (hier des Diebstahls) nicht nachweislich vor 2 5 ." Hier hat letzthin doch der konkrete Willensinhalt des Täters das Unrecht der Tat bestimmt. Und wenn man auch diese gelegentliche Äußerung Bindings sicher nicht ins Grundsätzliche verallgemeinern darf, so erscheint uns doch Maurachs Feststellung zutreffend, daß Binding „gerade als überzeugter Anhänger des objektiv zu fassenden Unrechts es sich erlauben [konnte], der subjektiven Beseelung des Tatbestandes nachzuspüren", und es erscheint darüber hinaus berechtigt, i n dieser Willensfüllung des Tatbestandes „die eigentliche Entdeckung der subjektiven Unrechts-(Tatbestands-) Elemente" zu erblicken 26 . Während Hegel den abstrakten Willen der abstrakten Person, während Binding bereits den formalen (unpsychologischen) Willen der konkreten Person zum Unrecht rechnet, füllt Max Ernst Mayer schließlich den unrechtsbegründenden Willen der konkreten Person auch noch inhaltlich auf, und er benutzt hierfür als einziger Vertreter (auch) subjektiver Unrechtsbegründung bis zum heutigen Tage 27 einen zentralen Gesichtspunkt, der nicht einem vorausgesetzten Zwecke des Rechts entstammt 2 8 , sondern dem jeweiligen Zwecke des Täters selbst. Er schreibt: „Eine Handlung w i r d zur Schuld zugerechnet, wenn sie aus tadelnswerten Motiven entstanden ist, die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ergreift die Handlung hingegen als M i t t e l für Zwecke 29." Was der Täter sich als Zweck seiner Handlung vorgestellt hat, was ihn bewegte und was er beabsichtigte, all das bildet nach Mayers Ansicht den Gegenstand des Unrechtsurteils. 25

Binding i n GS 76, 1 (23). Maurach, Schuld u n d Verantwortung, S. 11 f. 27 Gewisse Anklänge an Mayers Auffassung sind bei Dohna zu erkennen (vgl. oben S. 24 ff.). 28 So etwa Mezger i n GS 89, 207 (248 f.) (vgl. oben S.). 29 M. E. Mayer, Allg. T., S. 185 f. Ä h n l i c h — w e n n auch i n anderer Terminologie — früher schon Hälschner, Gem. dt. Strafr. Bd. I (1881), S. 509 f. Nahe k o m m t dieser Unterscheidung heute i m m e r h i n Brauneck i n G A 59, 261 (272) : „Was das Recht inhaltlich v e r w i r f t u n d verbietet — das Unrecht —, w i r d dem Täter als Verbrechen ( = Schuld) vorgeworfen, w e n n — persönliche Zurechnung — seine innere Steuerung formal i n t a k t war, er sich also zu anderem Verhalten hätte bestimmen können." 29

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Das Unrecht der Person

W i r haben Mayers Unterscheidung zwischen teleologischer und kausaler Betrachtungsweise, welche seiner Abgrenzung zwischen Unrecht und Schuld zugrundeliegt, bereits an früherer Stelle 3 0 als einen i n seiner methodischen Fruchtbarkeit bis heute kaum erkannten Gedanken bezeichnet. Die Gründe für diese positive Einschätzung lassen sich nach unseren Untersuchungen über das Wesen des personalen Unrechts leicht angeben: Erstens t r i t t der Mensch als Person i n eine unrechtsrelevante Beziehung zur sozialen Umwelt stets nur dadurch, daß er bestimmte Zwecke verfolgt; soweit daher das Unrecht als Beziehungsunwert auf dem Willensinhalt des Täters beruht, beruht es notwendig auf dessen verwerflichen Zwecken. Zweitens aber ist jeder strafrechtlich bedeutsame Subjektunwert, welcher nicht gleichzeitig Beziehungsunwert und damit nicht Unrecht ist, einerseits ein Unwert das Handlungsgrundes, also des Motiv es, andererseits aber der Schuld zugehörig. Denn weil es ein drittes zwischen Grund und Zweck nicht gibt, muß ein subjektives Merkmal, das nicht Zweck ist, notwendig den Grund der Handlung bezeichnen, und weil es i m Strafrecht ein drittes zwischen Unrecht und Schuld, worauf die Strafe beruhen könnte, nicht gibt 3 1 , muß weiterhin der Handlungsgrund (Motiv) der Schuld zugehören. Daher kann der Bruch des Rechtsfriedens als Kernstück des Unrechts i n seiner personalen Bedeutung nur unter dem Gesichtswinkel der vom Täter verfolgten Zwecke, die Schuld aber als Summe verbleibender rechtlich relevanter Subjektunwerte nur unter dem verbleibenden Gesichtswinkel der den Täter bestimmenden Motive gesehen v/erden. M i t anderen Worten läßt sich die Abgrenzung zwischen Unrecht und Schuld alsdann so bestimmen: Z u r S c h u l d g e h ö r t , w o d u r c h d e r W i l l e b e s t i m m t w i r d ; U n r e c h t i s t , w o z u er s i c h b e s t i m m t . — Versuchen w i r nunmehr, diese grundsätzliche Erkenntnis auf die einzelnen Elemente des Seelenlebens, die w i r bereits i m 1. Abschnitt dieses Teiles erschöpfend rubriziert haben, zu bewähren. Zwei große Gruppen bezeichneten uns die Grundlagen von Lebensplanung und Lebensgestaltung: die psycho-mtalen und die psycho-noetischen Elemente. Die erste Gruppe stellte die den Menschen treibende Kraft (Triebfedern!) dar, durch die sein Wille bestimmt w i r d ; die zweite Gruppe hingegen bezeichnete das den Menschen bewegende Element (Beweggründe!), dasjenige, was seinem Handeln die inhaltliche Ausrichtung gibt, wozu also sein Wille sich bestimmt. Der Gegensatz zwischen kausaler und teleologischer Betrachtungsweise, den Max Ernst Mayer als Abgrenzungskriterium zwischen Schuld und Unrecht angegeben hatte, wiederholt sich hier. W i r sehen uns daher veranlaßt, die 30 Siehe oben S. 32. Maurach, Allg. T., S. 316 ff., kennt zusätzlich noch die Tatverantwortung, worunter er diejenigen Elemente begreift, die m. E. größtenteils dem objektiven Schuldtatbestand angehören. 31

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psycho-vitalen Elemente grundsätzlich der Schuld, die psycho-noetischen Elemente grundsätzlich dem Unrecht zuzuordnen. Erproben w i r unsere Unterscheidung i m einzelnen! Subjektive Unrechtsmerkmale sind die Vorstellungen, Beweggründe und Absichten der Person. Aus der Unrechtsbetrachtung auszuscheiden haben hingegen die der Schuld zugehörigen Gefühle, Triebfedern und Strebungen. Die V o r s t e l l u n g e n sind Unrechtselemente. W i r sahen, daß sie planend die Zukunft vorwegnehmen und daß das Gewollte „ i m ersten Stadium als Vorstellung" besteht 32 . Ein Beispiel ist die Vorstellung einer Nebenfolge. Stellt der Täter sich vor, daß eine Nebenfolge bei seinem Handeln eintreten könne und nimmt er sie i n seinen Willen auf, so ist allein diese Vorstellung, ohne daß sie Beweggrund oder Absicht geworden sein müßte, subjektives Unrechtsmerkmal, und der Täter wird, wenn sie eintritt, schärfer, nämlich wegen vorsätzlicher Tat, bestraft — während er nur wegen fahrlässiger Tat bestraft werden könnte, wenn er die Vorstellung nicht i n seinen Willen aufgenommen hätte. Das Ergebnis entspricht der allgemeinen Meinung, w i r d von ihr jedoch meistens unnötigerweise i n die Fiktion gekleidet, der Täter habe die Nebenfolge „verwirklichen wollen" 3 3 oder „zustimmend i n Kauf genommen" 3 4 . Beides t r i f f t i n der Regel nicht zu. „Verwirklichen" w i l l man nicht schon einen Umstand, dessen Möglichkeit man sich bloß vorstellt, sondern dessen Wirklichkeit man herbeizuführen beabsichtigt. Der Verwirklichungswille hat m. a. W. stets eine auf die Wirklichkeit gerichtete Absicht oder wenigstens einen auf die Wirklichkeit gerichteten Beweggrund zum Inhalt. Die bloße Vorstellung einer Möglichkeit reicht für ihn nicht aus. Beispiel: Stellt sich der Täter vor, daß i n dem Hause, welches er i n Brand steckt, Menschen sein könnten, die i n den Flammen umkommen würden, so w i l l er nicht als Nebenfolge seines Tuns den Tod der Menschen „ v e r w i r k lichen"; denn er stellt sich die Nebenfolge lediglich als m i t seiner Tat möglicherweise verbunden vor u n d setzt sich auch n u r für diese Möglichkeit — nicht aber für deren W i r k l i c h k e i t — ein.

Daraus folgt dann bereits auch, daß der Täter einer Nebenfolge nicht unbedingt „zustimmen" muß. „Zustimmung" bedeutet (ebenso wie „Billigung", „Einwilligung" u. ä.) eine positive Stellungnahme der Emotionalität. Bei einer Vorstellung, welche dem Täter ein Unlustgefühl hervorruft, kann sie nicht vorliegen. N i m m t der Täter daher eine Unlustvorstellung i n Kauf um des Lustgewinns, den er sich mit der Errei32 Z u m folgenden siehe oben S. 138 ff. 33 Welzel, Dtsch. Strafr. S. 61 f. 34 Mezger/Blei, Allg. T., S. 171 ff. (174).

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Das Unrecht der Person

chung seiner Beweggründe und Absichten verspricht, so will er die Vorstellung und die m i t ihr verbundene Unlust, ohne daß er beidem zuzustimmen i n der Lage wäre. Meint man, den Begriff des Wollens hier durch einen anderen Terminus ersetzen zu sollen, so kann man davon sprechen, der Täter habe es vorgezogen, auch auf die Gefahr hin zu handeln, daß dasjenige, was i h m zunächst nur i n der Vorstellung gegeben ist, Wirklichkeit sei 35 . Besser erscheint es jedoch, die Vorstellung als ein subjektives Unrechtselement zu begreifen, welches vom Willen umfaßt und alsdann dem Täter zugerechnet werden kann. Zum personalen Unrecht gehören ferner die B e w e g g r ü n d e des Täters. W i r haben sie — i m Anschluß an Schröder — als diejenigen Vorstellungen gekennzeichnet, die i m konkreten Fall eine zum Verbrechen führende Willensbetätigung des Täters entscheidend beeinflußt haben 36 . Ein Beispiel für sie ist die — vom Gesetz allerdings als „ A b sicht" bezeichnete — bewegende Vorstellung des Täters beim Betrüge, sich aus dem geschädigten Vermögen widerrechtlich zu bereichern 37 . Dieser Beweggrund ist nicht nur Subjektunwert; er ist als ein auf rechtswidrige Veränderung der Vermögensverteilung bezogener Zweck auch Beziehungsunwert und damit für das Unrecht relevant. Obwohl er kein Rechtsgut gefährdet oder verletzt, stört er den Rechtsfrieden, weil unsere Rechtsordnung an der Aufrechterhaltung einer einmal begründeten Vermögensverteilung interessiert ist und eine Veränderung der Vermögenslage grundsätzlich dem freien Willen des Vermögensträgers überläßt. Die „Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen", bedroht also zwar nicht — wie der Vorsatz der Vermögensbeschädigung — die Rechtsposition des Vermögensinhabers, wohl aber den tatsächlichen Bestand der rechtlich geregelten Vermögensordnung und damit bereits den auf dieser gesetzlichen Regelung beruhenden Rechtsfrieden der Gemeinschaft. Sie ist aus diesem Grunde personales Unrechtsmerkmal. Dieses Ergebnis entspricht wiederum der herrschenden Auffassung, welche gerade die Absichtsdelikte wie z. B. den Betrug als „klassische" Fälle der Verbindung objektiver und subjektiver Unrechtsmerkmale ansieht 38 . Jedoch zeigt die Begründung der h. A., wie schon früher gelegentlich gezeigt, bei vielen ihrer Vertreter Schwächen. Lassen w i r beispielhaft noch einmal Baumann hier zu Wort kommen; er schreibt: „Bei Delikten, . . . bei denen die Verschiebung eines Vermögenswertes aus dem Vermögen des Verletzten i n das Vermögen des Täters bestraft werden s o l l . . . , gehören zur Unrechtsbeschreibung beide Akte. Wenn 35 „Gefahr der W i r k l i c h k e i t " ist hier sinngleich m i t der oben genannten „Möglichkeit". 30 Siehe oben S. 140 ff. 37 Siehe oben S. 147 f. 38 Vgl. Mezger/Blei, Allg. T. S. 90.

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das Gesetz sich m i t dem objektiven Vorliegen des ersten Aktes begnügt und den zweiten A k t ins Subjektive verflüchtigen läßt (den zweiten A k t nur noch als den ersten A k t überlagernde Absicht erfordert), so ändert eine derartige Konstruktion, die auf eine Vorverlegung der Strafbarkeit hinausläuft, doch nichts daran, daß auch das jetzt subjektive Erfordernis zur Verbrechensbeschreibung gehört. . . . Die Coupierung des zweiten Erfolges, des Vermögenszuwachses beim Täter, ist ja nicht vollständig erfolgt, sondern nur i n der Weise, daß das Gesetz das objektive Vorliegen dieses zweiten Erfolges nicht mehr abwartet 3 9 ." W i r sehen, daß diesen Ausführungen die Meinung zugrunde liegt, für die volle Strafwürdigkeit des Betruges müsse an sich auch die Vollendung eines „zweiten Aktes", der Bereicherung des Täters, gefordert werden; nur die „Ungeduld des Gesetzgebers", die „gar nicht rasch genug zur Vollendungsannahme gelangen" kann — wie Binding es einmal ausgedrückt h a t 4 0 —, lasse schon mit Vollendung des ersten Aktes, der Vermögensbeschädigung, die volle Strafe für das an sich erst versuchte Delikt eintreten. Diese Meinung ist jedoch unzutreffend; denn das erste Rechtsgut des Betruges, das Vermögen, w i r d bereits durch das Verbot der Vermögensbeschädigung vollständig geschützt. Das Verbot der Bereicherung sichert daher nicht mehr das Vermögen, sondern ein zweites, zusätzliches Rechtsgut: den sich i n der Vermögensordnung dokumentierenden Rechts frieden 41. Dieser Rechtsfrieden w i r d aber gleichermaßen durch die Absicht der Bereicherung wie durch die Bereicherung selbst gestört. Denn nicht die Bereicherung selbst w i l l das Recht verhindern, sondern nur, daß diese sich vollzieht als Folge der Mißachtung seiner Ordnungsprinzipien; diese Mißachtung aber w i r d nicht durch den Erfolg, sondern durch „den wirklichen Abfall von den rechtlichen Gesinnungswerten" 42 , genauer: von den rechtlichen Beziehungswerten, zum Ausdruck gebracht, so daß der Erfolg des Abfalls für das Strafrecht schon wieder unerheblich ist. Schließlich gehören zum personalen Unrecht die A b s i c h t e n des Täters. Absichten sind die sachgebundenen, geistigen Motivationen eines Wollensaktes 43 . W i r sahen, i n wie vielfältiger Bedeutung der Begriff der Absicht i m Strafgesetzbuch gebraucht w i r d — daß mit i h m 39 Baumann, Allg. T., S. 265 f. Siehe auch S. 270, w o davor gewarnt w i r d , die besondere Ausformung des Rechtsgüterschutzes durch die Verwendung subj e k t i v e r Unrechtselemente als'Verzicht auf den Rechtsgüterschutz zu begreifen oder zu meinen, daß der Gedanke des Rechtsgüterschutzes hinter den Gedanken des bösen Täterwillens zurücktrete. 40 Binding, Bes. T. Bd. I, S. 11. 41 Dahingestellt bleibt hier, ob der „sich i n der Vermögensordnung d o k u mentierende Rechtsfrieden" nicht überhaupt das einzig wahre Rechtsgut des Betruges ist, welches das Vermögen als individuales Recht i n seinen Schutz einschließt. 42 Welzel, Dtsch. Strafr., S. 2. 43 Siehe oben S. 144 ff.

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Das Unrecht der Person

nicht nur noetische, sondern sogar auch vitale Funktionen unseres Seelenlebens belegt werden. Eine echte Absicht i m Sinne der angegebenen Definition stellt immerhin die „Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen", bei der Urkundenunterdrückung dar. Nehmen w i r deshalb gerade sie als Beispiel für einen Subjektunwert, welcher den Rechtsfrieden stört und infolgedessen rechtliche Relevanz besitzt. Den Subjektunwert des Täters bei der Urkundenunterdrückung kann man ganz allgemein als Böswilligkeit bezeichnen. Aus diesem Subjektunwert gliedert das Gesetz diejenigen Bestandteile aus, die i h m als Beziehungswerte bedeutsam erscheinen: den Vorsatz der Urkundenunterdrückung und die Absicht, hiermit einem anderen Nachteil zuzufügen. Warum begnügt sich nun das Gesetz bei der Nachteilszufügung mit der Absicht, während es i m übrigen die Erfüllung nicht nur des subjektiven, sondern auch des objektiven Tatbestandes fordert? Der Grund kann nur darin liegen, daß das Gesetz als primäres Schutzgut den Rechtsfrieden des Einzelnen, hier i n der speziellen Ausgestaltung der Möglichkeit, sein Recht durch Urkunden zu beweisen, ansieht. Niemand soll auch nur von dieser Möglichkeit ausgeschlossen werden. Gegen den Willen des Gesetzes verstößt daher nicht erst, wer einem anderen tatsächlich Beweisnachteile zufügt, sondern schon, wer dem anderen durch die Vernichtung einer Urkunde den Urkundenbeweis unmöglich macht oder wesentlich erschwert und subjektiv den Vorsatz hierzu hat. W i l l man demnach den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 274 Nr. 1 StGB i n völlige Übereinstimmung bringen, so muß man objektiv als Erfolg des Deliktes die Störung jenes Rechtsfriedens, der i n der konkreten Möglichkeit eines Urkundenbeweises beruht, und als Mittel die Unterdrückung einer Urkunde, subjektiv aber den auf Störung des Rechtsfriedens mittels Unterdrückung einer Urkunde gerichteten Willen des Täters fordern. Daß das Gesetz diese Übereinstimmung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand verbirgt, bedeutet keine Änderung dieses Schutzes oder etwa eine „Vorverlegung der Strafbarkeit" 4 4 , sondern eine gesetzestechnische Besonderheit, deren Wert w i r hier dahingestellt lassen. M i t dem Nachweis, daß auch die Absicht ein personales Unrechtselement darstellt, haben w i r die Zahl der personalen Unrechtselemente zunächst erschöpft. W i r wenden uns daher nunmehr den Schuldelementen zu. i b) Schuldelemente Nicht zum Unrecht, sondern zur Schuld gehören diejenigen einen Subjektunwert konstituierenden Elemente, welche keinen Beziehungs44

Eine „Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes" liegt hingegen allenfalls dann vor, wenn man als Rechtsgut nicht die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit des Urkundenbeweises ansieht.

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unwert verkörpern und damit auch keine Störung des Rechtsfriedens bewirken, vielmehr gegeben sein müssen, damit es überhaupt zu einem unrechtsbezogenen Willensentscheid kommt 4 5 . Zusammengefaßt haben w i r das vorhin so ausgedrückt: Zur Schuld gehört, wodurch der Wille bestimmt wird. Die Redeweise von Schuldelementen, wie sie hier gebraucht wird, ist allerdings sinnlos, wenn man i n der Schuld entsprechend einer streng normativen Lehre 4 6 nichts anderes als die Vorwerfbarkeit der Willensbildung erblickt. Aber gegen diese Lehre haben i n jüngster Zeit vor allem Schmidhäuser 47 und A r t h u r Kaufmann 4 8 m i t Recht Stellung bezogen. Denn sinnvoll kann der Begriff „Vorwerfbarkeit" nur i n dem Sinne verwendet werden, „daß ein bestimmter wertwidriger Sachverhalt uns i m Rahmen der Gesetze berechtige, dem Täter einen ,Vorwurf 4 zu machen. . . . Mittelbar kennzeichnet so die ,Vorwerfbarkeit 4 auch den vorausgesetzten Unwert. . . . Aber dieser weitere Unwertsachverhalt ist nun eben m i t Vorwerfbarkeit 4 nicht sachgerecht begriffen und benannt, sondern kann n u r . . . für diese Vorwerfbarkeit selbst wieder vorausgesetzt sein 4449 . Schuld ist eben nicht nur Vorwerfbarkeit, sondern das vorwerfbare Verhalten selbst; sie ist nicht nur Tatbestandsschuld, sondern gleichzeitig Schuldtatsbestand. „Wie das Unrecht nur als Unrechtstatbestand (Unrechtssachverhalt) auftritt, so ist auch die Schuld unlösbar m i t dem Schuldtatbestand (Schuldsachverhalt) verkettet. Dieser Schuldtatbestand . . . enthält nicht anders als der Unrechtstatbestand . . . objektive und subjektive, deskriptive und normative, positive und negative Merkmale. I m Schuldtatbestand ist alles enthalten, was material und real die Schuld ausmacht. Die Vorwerfbarkeit fügt zur Schuld nichts hinzu, was nicht schon i m Schuldtatbestand steckt, sie besagt vielmehr nur etwas über die rechtliche Eigenschaft des Schuldtatbestandes, eben daß das darin zum Ausdruck kommende Verhalten vorwerfbar sei 50 ." Innerhalb des Schuldtatbestandes sind als subjektive Elemente Kräfte zu erkennen, die auf das Ich einwirken, die veranlassen, daß das Ich schuldig w i r d 5 1 . Diese Kräfte brauchen sich nicht als dumpfe Dränge 45

Vgl. Gallas i n ZStW 67, 29 ff.; Engisch, Unrechtstatbestand, S. 413 ff. Diese w i r d heute i n der L i t e r a t u r i m wesentlichen vertreten von Maurach, Allg. T., S. 187 f., 307 ff.; Niese i n D R i Z 52, 21; Welzel, a.a.O., S. 124 ff. (zu Welzel vgl. Nowakowski i n JZ 58, 388 (392)). 47 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 153 ff. 48 Kaufmann, Schuldprinzip, S. 174 ff., sowie i n JZ 63, 425 (431). 49 Schmidhäuser, a.a.O., S. 153. 50 Kaufmann, Schuldprinzip, S. 182. — Grundsätzlich a. A. Hardwig in M o K r i m 61, 194 (203), der Schuld lediglich als wertwidrige Einstellung begreift. 51 So läßt Goethe den Harfner von den „himmlischen Mächten" sagen: 46

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zu äußern, Dränge, die w i r i n unserem Innern verspüren, ohne ihrer recht bewußt zu werden und ohne uns mit ihnen auseinandersetzen zu können; sie können uns als Triebfeder bewußt werden oder m i t der Klarheit einer Strebung an uns herantreten. Jede Triebfeder, jede Strebung stellt eine Versuchung dar, der w i r uns zu stellen haben m i t dem Risiko, zu unterliegen und schuldig zu werden. Das Gesetz berücksichtigt selbst einige dieser psycho-vitalen Gegebenheiten; es objektiviert sie und knüpft an sie qualifizierende oder privilegierende 5 2 Straffolgen 53 . Da sind zunächst die G e f ü h l e , von denen das Gesetz i n § 211 StGB die Mordlust nennt 5 4 . Sie sind ausnahmslos Schuldmerkmale, welche nicht das Unrecht der Tat beeinflussen, sondern nur für die Strafzumessung an den konkreten Täter Bedeutung gewinnen. — Für die Mordlust entspricht eine solche Auffassung i m Ergebnis der i m Schrifttum herrschenden Meinung. Diese unterscheidet innerhalb der Mordmerkmale zwischen überwiegend tatbezogenen und überwiegend täterbezogenen Elementen. Zu den letzteren rechnet sie dann die Mordlust und bestimmt, daß diese nur für denjenigen Täter oder Teilnehmer ins Gewicht fallen soll, bei dem sie tatsächlich vorliegt 5 5 . I m Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung erreicht sie allerdings die persönliche Beschränkung der Qualifikation über § 50 Abs. 2 StGB, während w i r aus Gründen einer klaren Systematik f ü r die Schuldmerkmale § 50 Abs. 1 StGB heranziehen u n d den Anwendungsbereich des § 50 Abs. 2 auf subjektive Unrechtselemente beschränken möchten. Jedoch ist dieser U n t e r schied i n der Begründung ohne praktische Bedeutung.

Weiter sind die T r i e b f e d e r n zu nennen 56 , für die ein gesetzliches Beispiel die Habgier i m eben genannten § 211 StGB ist. Auch sie sind insgesamt Schuldmerkmale — was für den speziellen Fall der Habgier i m gleichen Umfang und m i t derselben Begründung wie für die Mordlust auch anerkannt ist. „ I h r f ü h r t ins Leben uns hinein, I h r laßt den A r m e n schuldig werden, Dann überlaßt i h r i h n der Pein, Denn alle Schuld rächt sich auf Erden." (Wilhelm Meisters L e h r j a h r e I I 13). 52 Vgl. §217 StGB (Kindestötung) sowie §54 StGB (Notstand; dazu Heinitz i n ZStW 63, 57 [69]). 53 Z u den „objektiven Schuldelementen" zusammenfassend jetzt Maihof er i n H. Mayer-Festschrift, S. 185 ff. 54 Siehe dazu oben S. 118 ff., 128. 55 Mezger ¡Blei, Bes. T., S. 21; Maurach, Bes. T., S. 35 f.; Schaefer i n L K § 211 Anm. I V 2; Welzel, Dtsch. Strafr. S. 256 u n d i n JZ 52, 75; — a. A . Hardwig i n M o K r i m 61, 194 (203). se Z u ihnen siehe oben S. 123 ff.

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Freilich w i r d die Habgier v o m Gesetz u n d i h m folgend von Rechtsprechung u n d Lehre als Beweggrund klassifiziert. Daß dies nicht zutreffend ist u n d vielfach Anlaß zu Mißverständnissen gibt, haben w i r oben 5 7 schon dargelegt.

A n letzter Stelle stehen die S t r e b u n g e n 5 8 , deren gesetzlich festgelegte Bedeutung w i r bei der Nötigung kennenlernten 59 . Die i m Gesetz genannten Schuldmerkmale sind nicht die einzigen, die der Richter bei der Beurteilung des "Verschuldens an einer Straftat zu berücksichtigen hat. Die ganze Fülle der auf den Täter einstürmenden Motive vielmehr ist es, die den Tatentschluß verursacht hat und nun ihre Beachtung heischt 60 . Die allgemeine Meinung berücksichtigt die Motivationslage, aus welcher heraus der Täter gehandelt hat, erst bei der Strafzumessung. Das ist verständlich, da die Schuld als Vorwerfbarkeit, durch jene Merkmale mitbegründet, schwer quantifizierbar ist, ja ihr Maß kaum je anders ausgedrückt werden kann als durch die Höhe der Strafe, die an sie anknüpft. Dogmatisch befriedigend kann diese Zuordnung jedoch nicht sein. Denn „Grundlage für die Zumessung der Strafe ist die Schuld des Täters" (§ 60 Abs. 1 Entw. 62); was aber Grundlage ist, kann nicht vollgültig durch das zum Ausdruck gebracht werden, wofür es Grundlage ist 6 1 . Sämtliche Strafzumessungsgründe gehören daher ihrer Materie nach bereits zur Schuldfeststellung, sie sind echte Schuldmerkmale 62 . c) Elemente, die sowohl dem Unrecht als auch der Schuld angehören Wie alle Unterscheidungen i m Rahmen des Ganzheitsgefüges der Persönlichkeit ist auch die Unterscheidung zwischen personalen Unrechtselementen und Schuldelementen nur theoretisch rein durchzuführen. Die Realität der Persönlichkeit kennt Strukturen, die sowohl i m Rahmen des Unrechts als auch i m Rahmen der Schuld Bedeutung besitzen, sei es daß es sich u m komplexe Elemente handelt, sei es daß ein Ele57 Vgl. oben S. 129, 141 ff. 58 Z u ihnen siehe oben S. 133 ff. 59 Siehe oben S. 149 ff. 60 Auch Welzel betonte, Dtsch. Strafr. (8. Aufl.) S. 140, zutreffend, daß „die gesamten äußeren u n d inneren Umstände, die den konkreten Entschluß zu dem konkreten Zeitpunkt ausgelöst haben", für die Schuld von Bedeutung sind. I r r t ü m l i c h w a r aber seine weitere Annahme, daß n u r die Erkenntnis, „daß nicht der Vorsatz als solcher, sondern die Vorwerfbarkeit des Vorsatzes das entscheidende Schuldproblem" stelle. Welzel verkannte hier, daß die m o t i vierenden Umstände n u r insoweit beachtlich sind, als sie sich auf den T a t entschluß beziehen, u n d daß der Tatentschluß als Selektionsfaktor daher m i t zur Schuld gerechnet werden muß. 61 Vgl. auch Nowakowski i n ZStrR 65, 301 (322 ff.). 62 Vgl. auch Frank, A u f b a u des Schuldbegriffs, S. 4 f.; Maihof er i n H. Mayer-Festschrift, S. 192 ff. 16 Lampe

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ment seinem Wesen nach i m Grenzbereich von Unrecht und Schuld seine Heimat hat. Das ist neuerdings für die sog. Gesinnungsmerkmale wie „roh", „grausam", „gewissenlos" von Stratenwerth m i t Recht hervorgehoben worden, weil etwa von der Roheit einer Tat sowohl die Schwere des Rechtsbruchs, also das Unrecht, als auch die Schwere des Vorwurfs, also die Schuld des Täters abhänge. Erläuternd schreibt Stratenwerth: „Damit ist nicht gemeint, daß die Gesinnungsmerkmale selbst i n irgendeinem unklaren Sinne Bestandteil sowohl des Unrechts wie der Schuld seien. Eine solche Formel würde die Konfusion nur vergrößern. Gemeint ist vielmehr einzig und allein, daß die Gesinnungsmerkmale eine zusammenfassende, abschließende Wertung von Sachverhalten aussprechen, die ihrerseits den Charakter teilweise von Unrechts- und teilweise von Schuldmerkmalen aufweisen. . . . Der Streit u m die dogmatische Einordnung der Gesinnungsmerkmale beruht, so gesehen, auf einer falschen Voraussetzung; der Voraussetzung nämlich, daß sich alle vom Gesetz zur Kennzeichnung strafbaren Verhaltens genannten Erfordernisse säuberlich entweder dem Unrecht oder der Schuld zuschlagen lassen. Es ist nicht einzusehen, warum das Gesetz nicht soll sozialethische Wertungen rezipieren können, die sich jenem Schema entziehen 63 ." I m Unterschied zu Stratenwerth glauben w i r allerdings, daß das Gesetz eine solche schematisch nicht faßbare Rezeption nicht nur „jedenfalls bei den Gesinnungsmerkmalen" vorgenommen hat, sondern daß es darüber hinaus i m Strafrecht Elemente gibt und geben muß, die kraft ihrer besonderen Natur auf der Grenze zwischen Unrecht und Schuld stehen. W i r teilen zu diesem Zwecke jene Elemente, die sowohl dem Unrecht als auch der Schuld angehören, ein i n aa) komplexe Elemente und bb) Grenzelemente. aa) Komplexe Elemente Komplexe Elemente sind uns i m Laufe unserer bisherigen Untersuchungen schon wiederholt begegnet. W i r sahen, daß der Begriff der Absicht vom Gesetz nicht immer nur i n einem psycho-noetischen Sinne gebraucht wird, sondern daß bisweilen auch affektive Vorgänge mit i h m erfaßt werden sollen 64 . Ein Beispiel ist die „gewinnsüchtige Absicht" i n § 133 Abs. 2 StGB, bei der es nicht nur auf die Absicht, Gew i n n zu erzielen, sondern auch auf eine affektive Steigerung des Erwerbssinnes (Triebfeder) auf ein sittlich anstößiges Maß 6 5 ankommt. 63 Stratenwerth i n Weber-Festschrift, Welzel, a.a.O., (9. Aufl.) S. 13. 04 Siehe dazu oben S. 144 ff. 65 RGSt 60, 307, 390; B G H S t 3, 31.

S. 171 (187 f.);

übereinstimmend

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W i r lernten ferner gewisse die Intentionalität des Handelns betreffende Merkmale kennen, die sowohl durch ihre Herkunft aus dem psycho-vitalen Bereich als auch i n ihrer psycho-noetischen Abzielung auf die Verwirklichung objektiven Unrechts charakterisiert sind 6 6 . A u f sie bezieht sich die oben zitierte Äußerung Stratenwerths, welche diese scheinbaren „Gesinnungsmerkmale" nicht nur zur Schuld rechnet, wie es ihnen zukäme, wenn sie tatsächlich nur die Gesinnung des Täters bezeichneten, sondern auch zum Unrecht, weil es etwa „ f ü r die Merkmale ,grausam' und ,roh' unter anderem auf das Handlungsziel des Täters ankommt und darin eine deutliche Parallele zu den subjektiven Unrechtselementen liegt" 6 7 . W i r haben es hier insgesamt also mit Merkmalen zu tun, die sich i n unsere Unterscheidung von Unrecht und Schuld nicht einfügen, sondern beiden Bereichen — dem Unrecht und der Schuld — zugerechnet werden müssen. bb) Grenzelemente Grenzelement zwischen subjektivem Unrecht und Schuld ist der Wille.

W i r hatten zur Abgrenzung der Schuld vom Unrecht folgendes K r i terium gefunden: Zur Schuld gehört, wodurch der Wille bestimmt w i r d ; Unrecht ist, wozu er sich bestimmt. Daraus folgt nunmehr für den W i l len zweierlei: Einmal, daß sowohl ein Schuldtatbestand i h m vorgelagert ist, der allerdings nur darum Schuldtatbestand ist, weil er einen schuldhaften Willensentschluß zur Folge hat; als auch daß ein Unrechtstatbestand i h m nachfolgt, der allerdings nur darum personales Unrecht ist, weil er auf einem unrechtmäßigen Willensentschluß beruht. Zum anderen, daß die Willensentscheidung selbst auf der Grenze zwischen Schuld und Unrecht liegt, ja daß sie eigentlich überhaupt erst diese Grenze bildet — denn fehlt es an einer Willensentscheidung, so fehlt es i m Ablauf des inneren und äußeren Geschehens an jenem personalen „Hiatus", der das kausale Geschehen aus dem naturhaft determinierten Prozeß ausklammert und überhaupt erst eine Zurechnung an den Täter, sei es unter dem Gesichtspunkt der Schuld, sei es unter dem Gesichtspunkt des Unrechts eröffnet. Was dies i m einzelnen bedeutet, wollen w i r uns zunächst am Beispiel des Vorsatzes und sodann am Beispiel der Fahrlässigkeit klarmachen. Dem V o r s a t z als Willensentscheidung (Sich-Einsetzen) für ein bestimmtes Unrecht ist ein Schuldtatbestand vorgelagert. Dieser besteht, wie w i r schon sahen, aus den Gefühlen, Triebfedern und Strebungen. es Siehe dazu oben S. 153 ff. 67 Stratenwerth, a.a.O.. S. 179. 16*

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Ihnen gegenüber besitzt die Person Freiheit, und zwar zum einen negat i v durch einen formalen Abstand, der sie befähigt, Stellung zu nehmen und Haltung zu bewahren, zum andern positiv durch die Fähigkeit, sich für einen bestimmten Antrieb einzusetzen und i h m vor anderen Antrieben den Vorrang zu verschaffen. Fehlt es ausnahmsweise an der Fähigkeit zu Haltung und Einsatz, so ist die Schuld des Täters ausgeschlossen. Der Täter erweist sich i n solchen Ausnahmefällen als „Spielball" seiner Triebe: er bleibt ihnen haltlos überlassen und vollbringt ohne eigene Stellungnahme und ohne Einsatz der eigenen Persönlichkeit lediglich das, wozu es ihn treibt. Der Täter ist schuldunfähig 08 . Die Gefühle, Triebfedern und Strebungen des Täters werden, wie w i r ebenfalls schon sahen, von bestimmten Vorstellungen, Beweggründen und Absichten begleitet. I n ihnen plant der Täter die Lösung seiner Antriebsspannung durch ein bestimmtes Verhalten i n der Außenwelt. Auch diesen Vorstellungen, Beweggründen und Absichten steht der Täter frei gegenüber, und zwar zum einen, indem er imstande ist, ihnen gegenüber Haltung zu bewahren, und zum anderen, indem er sich für ihre Verwirklichung oder NichtVerwirklichung einzusetzen vermag. Fehlt es ausnahmsweise hieran, etwa bei völliger Kritiklosigkeit des Täters gegenüber seinen Wahnvorstellungen, so ist das personale Unrecht seines Verhaltens ausgeschlossen69. Nehmen w i r nunmehr an, daß der Täter sowohl schuld- als auch unrechtsfähig ist. Alsdann liegt i n seinem Vorsatz zweierlei: Erstens liegt i n i h m die Willensentscheidung für einen bestimmten Antrieb (Triebfeder, Strebung), dem der Täter vor anderen konkurrierenden Antrieben den Vorrang verschafft und zu dessen Befriedigung er durch die vorsätzliche Tat schreitet. Zweitens liegt i n i h m die Willensentscheidung für die m i t dem Antrieb verbundenen Gründe (Beweggründe, Absichten), die dem Täter den Weg zur Befriedigung seines Antriebes weisen. — Antrieb ist für den Täter beispielsweise der Besitztrieb; seine Befriedigung erscheint i h m möglich durch die Wegnahme und Aneignung einer fremden Sache. Indem er daher den Vorsatz faßt, diese Sache wegzunehmen und sie sich zuzueignen, entscheidet er sich erstens für seinen Antrieb und zweitens sowohl für seinen Beweggrund, diesen Antrieb durch die Aneignung der fremden Sache zu befriedigen, als auch für seine Absicht, die Sache zu diesem Zweck wegzunehmen. Dabei gehört die Entscheidung für den Antrieb i n den Schuldbereich, die Entscheidung für den Beweggrund (Aneignung) und die Absicht (Wegnahme) i n den Unrechtsbereich. Deutlicher noch als i n diesem Beispiel w i r d uns die Grenzziehung und ihre Bedeutung für das Strafrecht i m Falle des § 248 a StGB. Nach es Siehe dazu oben S. 168 ff. 60 Siehe dazu oben S. 168 ff.

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dieser Vorschrift t r i f f t eine gegenüber dem einfachen Diebstahl gemilderte Strafe denjenigen Täter, der „aus Not geringwertige Gegenstände entwendet". Hier bezeichnet das Tatbestandsmerkmal „aus Not" die privilegierende Triebfeder, welche zur Wegnahme von Gegenständen führte („Not kennt kein Gebot"). Der Vorsatz, der sich zu ihrer Befriedigung einsetzte, ist daher i n seiner Schuld gemildert, gleichgültig ob der Täter schweres oder leichtes Unrecht beging. Für das Unrecht hingegen spielt eine Rolle, ob der Täter sich wertvolle oder „geringwertige Gegenstände" aneignete; ein auf die Wegnahme geringwertiger Gegenstände gerichteter Vorsatz ist nämlich stets weniger unrechtbehaftet als ein Vorsatz, der sich die Erlangung wertvollen Gutes zum Ziele setzte, gleichgültig aus welchen Motiven auch immer der Täter zur Tat schritt. Treffen nun i m Vorsatz des Täters geringer personaler Unrechtsgehalt und geringer Schuldgehalt zusammen, so sieht das Gesetz sich i n der Lage, die Tat grundsätzlich milder zu bewerten als den Normalfall des Diebstahls. I m Falle des § 248 a StGB bringt es dies durch eine privilegierende Strafdrohung zum Ausdruck. Die hier aufgezeigte Doppelfunktion des Vorsatzes kommt i n der Literatur vielfach, oft freilich nur unklar, zum Ausdruck — und zwar sowohl i n den Schriften der Finalisten, die sich der doppelten Bedeutung des Willens besonders angenommen haben, als auch anderen Ortes. So nennt der Finalist Welzel einerseits den Willen „das Rückgrat der finalen Handlung" und zieht ihn damit zum tatbestandlichen Unrecht 7 0 ; andererseits ist der Wille für i h n „primärer Gegenstand der Vorwerfbarkeitalso der Schuld zugehörig 71 . Aber auch für den NichtFinalisten Schröder hat der für das Unrecht wesentliche Handlungsbegriff „die Aufgabe, solche Körperbewegungen als Nicht-Handlungen auszuscheiden, die durch keinen Willensentschluß vermittelt sind" 7 2 ; andererseits gilt auch für ihn: „Der Schuldvorwurf richtet sich gegen die i m Handlungsentschluß und seiner Betätigung sich aktualisierende wertwidrige Entscheidung 73." Insoweit besteht also weitgehende Einigkeit 7 4 . Die Einigkeit endet jedoch dort, wo es u m die Frage geht, inwieweit der Wille für das Unrecht Bedeutung hat. Die sog. kausale Handlungslehre zieht den Kreis derjenigen Gegebenheiten, für die der Wille Grund ihrer Unrechtszugehörigkeit ist, sehr weit. Sie führt auf den 70

Welzel, a.a.O., S. 30. Welzel, a.a.O., S. 125. Schönke/Schröder, StGB § 1 Vorbem. 16. 73 Schönke/Schröder, StBG § 51 Vorbem. 70. 74 A l l e i n Maihof er, Schmidt-Festschrift S. 156 (163 ff.) u. ö., w i l l f ü r den Handlungsbegriff auf das M e r k m a l der W i l l k ü r l i c h k e i t vollends verzichten. Gegen i h n zutreffend Gallas i n ZStW 67, 1 (15) u n d A r m i n Kaufmann, U n t e r lassungsdelikte, S. 23 ff. 71

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Willen alle Vorgänge zurück, die kausal mit der Willensbetätigung zusammenhängen. So schreibt Mezger: „Die strafrechtliche Handlungslehre fragt allein danach, was durch das Wollen des Handelnden verursacht, als ,Wirkung' des Wollens erzeugt worden ist. Alle diese W i r kungen sind Bestandteile der Handlung 7 5 ." Diese Lehre übersieht, daß Geschehnisse, die vom Täter nicht vorhergesehen werden konnten, niemals Wirkung des Willens sein können, sofern man den Willen als Ausdruck der Freiheit begreift. Zu eng interpretiert hingegen die finale Handlungslehre die Funktion des Willens, indem sie i h n auf den „finalen Verwirklichungswillen" beschränkt 76 . Der Wille umfaßt, wie w i r sahen 77 , nicht nur das, was er von seinen Folgen weiß, sondern — als ein sittliches Phänomen — auch dasjenige, was er zwar nicht weiß, aber wissen soll 7 8 ! Welzel erkannte dies bei den Fahrlässigkeitsdelikten einstmals an, als er seinem finalen Handlungsbegriff hier einen Leistungsbegriff der Handlung gegenüberstellte 79 ; für die vorsätzlichen Delikte zog er aus dieser Erkenntnis jedoch noch nie die erforderlichen Konsequenzen. Dennoch ist Wille — entgegen Welzels Ansicht — bei Vorsatz und Fahrlässigkeit kein ontisches Sein, sondern Leistung, und es ist für ihn daher auch nicht der wissende Bezug auf bestimmte Folgen wesentlich, sondern allein der binnenhafte Bezug auf sich selbst. A m klarsten erkannte dies einst Nowakowski, als er schrieb: „Willkürlichkeit ist Finalität unter Abstraktion von ihrem konkreten Inhalt. Der Finalität ist der Bezug auf bestimmte gewollte Folgen wesentlich. Ohne ihn bleibt die Willkürlichkeit übrig. Der ,Willkürakt' stößt die Körperbewegung also keineswegs nur an. . . . Auch m i t dem Hinweis auf die Willkürlichkeit ist vielmehr gesagt, daß die Handlung vom Willen geleitet und gelenkt wird. Es w i r d lediglich von den Zielvorstellungen dieser Leitung abgesehen 80 ." Berücksichtigt man dazu noch, daß die von Nowakowski sog. Willkürlichkeit nicht nur das tatsächliche Wollen, sondern auch das Wollen-Sollen umfassen muß 8 1 , so war hier der Willensfunktion des Vorsatzes genauer Ausdruck gegeben: Vorsatz ist immer nur das SichEinsetzen für etwas; wofür der Täter sich einsetzt, die Besonderheiten seiner Triebfedern und Strebungen einerseits, seiner Vorstellungen, Be75

Mezger, Lehrbuch, S. 108 f. Welzel, a.a.O., S. 29 ff.; Maurach, Allg. T., S. 135 ff. Siehe oben S. 188 ff. 7 ® Siehe dazu auch oben S. 204. ™ Siehe dazu schon oben S. 87 ff. 80 Nowakowski i n J Z 58, 388 (391). Den Sinn von Nowakowskis E i n w a n d verfehlt die an i h m geübte K r i t i k Welzels, Dtsch.Strafr. (8. Aufl.), S. 37, welche dahingeht: eine L e n k u n g der Handlung sei n u r von bestimmten Z i e l vorstellungen her möglich; das ist an sich zwar richtig, betrifft aber doch wiederum n u r die besondere Handlung, nicht die Handlung an sich, welcher die Vorstellung eines konkreten Zieles gerade fehlt. w Siehe oben S. 189. 76

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weggründe und Absichten andererseits, all dies ist nur die reale Grundlage des Willens, die der Wille zwar für sich erwählen und dadurch zu seinem Inhalt machen, ebenso aber auch wieder aufgeben kann, ohne daß er damit sich selbst aufgäbe. Daraus folgt, daß insbesondere die Vorstellungen und die auf ihnen beruhenden Beweggründe und Absichten, umgekehrt aber auch die Antriebe, d. h. die Triebfedern und Strebungen, aus dem Begriffe des Vorsatzes als eines reinen Willensbegriffes auszuscheiden haben, und, gemäß den obigen Ausführungen, allein dem Unrecht bzw. der Schuld zuzurechnen sind, während der Vorsatz selbst ein Element darstellt, das weder allein dem Unrecht noch allein der Schuld angehört, sondern das zwischen Schuld und Unrecht vermittelt und ihnen ihren personalen Charakter verleiht: er ist ein personales Unrechts- und Schuldelement. — W i r betrachten den Vorsatz nunmehr nur noch insoweit, als er Unrechtselement ist. Hierzu wählen w i r drei Aspekte, die zwar i m bisherigen Gang der Untersuchung bereits aufgetaucht waren, jedoch keine abschließende Behandlung erfahren hatten: die Binnenhaftigkeit des Vorsatzes, seine Beziehung zum psycho-noetischen Bereich und seine Verbindung m i t dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. 1. W i r sahen, daß der Vorsatz etwas der Person Binnenhaftes, etwas von der Objektivität, der realen (Ent-)Gegenständlichkeit eines Schutzobjekts Getrenntes ist, daß er geradeso wie auch das Schutzobjekt für sich (d. h. ohne äußere Beziehung) besteht und für sich festgestellt werden kann 8 2 . Sofern w i r auf den i n solcher Binnenhaftigkeit bestehenden Vorsatz unsere Einteilung der Unwerte anwenden, müssen w i r ihn als einen Subjektunwert kennzeichnen, der von sich aus strafrechtliche Relevanz nicht besitzt und darum nicht besitzen kann, weil er zuvor seine Beziehung zur Objektivität gefunden haben, Beziehungsunwert geworden sein müßte. Anders gewendet: ein für sich bestehender Vorsatz stört den Rechtsfrieden nicht, und seine Existenz muß von der Gemeinschaft hingenommen werden; erst wenn der Vorsatz seine Beziehung zur Objektivität findet, wenn er aus seiner Binnenhaftigkeit heraustritt — erst dann w i r d er Beziehungsunwert, erst dann w i r d er für den Rechtsfrieden unerträglich. W i r sind zu dieser Erkenntnis bereits an zwei Stellen unserer Untersuchung gelangt. W i r bemerkten, daß nicht das Unrecht i n den Täter, sondern der Täter ins Unrecht gerät 8 3 . Daraus ergab sich, daß sich der Täter qua Unrechtspersönlichkeit stets i n eine rechtliche Ordnung hinein objektiviert, daß er stets eine unwert-behaftete Beziehung zur Rechtsgüterordnung (nicht notwendig zu bestimmten Rechtsgütern!) gefunden hat. Derjenige Täter also, und nur er, der die Binnenhaftigkeit 82 Siehe oben S. 179 f. 83 Siehe oben S. 206 f.

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des Gesinnungsmäßigen verlassen hat, untersteht dem Unrechtsurteil 84 . A n späterer Stelle kamen w i r dann noch einmal vom Phänomen des Rechts her zur gleichen Überzeugung: Das Recht als soziale Ordnung hat zur Intimsphäre reiner Subjektivität keinen Z u t r i t t 8 5 ; es kann daher den Täter nicht i n der Binnenhaftigkeit seines subjektiven Seins, sondern nur i n seiner Beziehung zur Umwelt ergreifen. — Wenn nun aber der Vorsatz lediglich binnenhaft, wenn er nur Subjektunwert ohne Beziehung zur Umwelt ist — wie vermag der Täter sich dann durch ihn zu objektivieren? Und falls er sich durch i h n etwa nicht zu objektivieren vermag, wie kann der Vorsatz dann als Unrechtsmerkmal begriffen werden? I n der Literatur, insbesondere i n der Lehre der Finalisten, finden sich auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten. Anerkannt ist, daß das „Verbrechen . . . nicht lediglich böser Wille" ist 8 6 . Völlig zutreffend heißt es bei Welzel sogar: „Reale Grundlage jedes Verbrechens ist die Objektivation des Willens i n einer äußeren Tat" 8 7 . Daraus sollte eigentlich folgen, daß nicht der Wille selbst, sondern nur seine Objektivation zum Unrecht gehört! Gerade dies w i r d aber wiederum nicht anerkannt; vielmehr w i r d der Wille als tragendes Moment des subjektiven Unrechtstatbestandes angesehen. Freilich betont Welzel auch i n diesem Zusammenhang wieder, daß der „Vorsatz als bloße Tatentschlossenheit strafrechtlich irrelevant" sei 88 . Doch soll der Vorsatz „da, wo er zur wirklichen Tat führt und sie beherrscht", „strafrechtlich erheblich" i. S. eines Unrechtsmerkmals werden 8 9 . Näher liegt hier aber wiederum die Behauptung, daß allein die wirkliche Tat das strafrechtlich Erhebliche sei, daß der Vorsatz selbst hingegen i m Vorfeld des Unrechts stehen bleibe, weil er zwar Voraussetzung der Tat, nicht aber schon die Tat selber ist, — so wie ja auch Welzel ganz richtig bemerkt: „Die objektive Handlung ist die zweckhafte Durchführung des Vorsatzes" 90 . Eine Lösung dieser Schwierigkeiten könnte man i n Welzels Bemerkung zu den zwei Dimensionen des Vorsatzes zu finden wähnen: „Vorsatz ist Verwirklichungswille, und zwar nicht nur i. S. des auf die Verwirklichung abzielenden, sondern auch i. S. des der Verwirklichung mächtigen Willens. Der ohnmächtige Wille ist kein strafrechtlich relevanter Vorsatz" 9 1 . Hier scheint der tatmächtige Wille die Binnenhaftigkeit des Vorsatzes zu durchbrechen und infolge seiner Macht über die 84 Siehe oben S. 206 f. es Siehe oben S. 216. 86 Welzel, a.a.O., S. 57. 87 Welzel, a.a.O., S. 57. 88 Welzel, a.a.O., S. 59. 89 Welzel, a.a.O., S. 59. 90 Welzel, a.a.O., S. 59. 91 Welzel, a.a.O., S. 168.

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Realität den Rechtsfrieden unmittelbar zu stören. Indessen sagt Welzel an anderer Stelle bereits selbst, daß er unter der Macht zur V e r w i r k lichung gar nicht nur — die Macht zur Verwirklichung versteht, sondern auch den (binnenhaften!) Wahn, zur Einwirkung auf das reale Geschehen mächtig zu sein 92 . A l l das reicht zur Begründung, daß der Vorsatz einen Beziehungsunwert darstelle, nicht aus. Noch eine letzte, sehr formale Begründung für die Unrechtszugehörigkeit des Vorsatzes findet sich bei Welzel: Beim Versuch, so sagt er, sei der Vorsatz eindeutig ein Element des Tatbestandes, weil ohne i h n die Tatbestandsmäßigkeit des äußeren Geschehens gar nicht ermittelt werden könne. „Wenn jemand an einem anderen vorbeischießt, so kann dieser äußerliche Vorgang ein Mordversuch, ein Versuch der Körperverletzung oder ein Schießen an unerlaubten Orten (§ 368 Nr. 7) sein, je nach dem Vorsatz, den der Täter hatte" 9 3 . Gehöre aber beim Versuch der Vorsatz zum Tatbestand, so müsse „die logische Konsequenz aus dieser Einsicht" zu der Erkenntnis führen, daß dem Vorsatz bei der Vollendung dieser Platz nicht streitig gemacht werden darf 9 4 . W i r haben gegen diese Argumentation schon früher eingewandt, daß sie keineswegs logische Stringenz für sich i n Anspruch nehmen kann 9 5 . Aber selbst wenn man einmal davon absieht — wo ist denn bewiesen, daß der Vorsatz wenigstens beim Versuch das Unrecht der Tat begründet? Fast alles, was man bisher dafür vorgebracht hat, ist doch: daß man die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs nicht objektiv erklären könne und daß man daher i n diesem besonderen Falle auf die Annahme eines subjektiven Unrechtselementes angewiesen sei. Die Fälle des tauglichen Versuches lassen sich aus dem Gefährdungsgedanken heraus deuten 96 , erlauben es also ohne weiteres, den Vorsatz als außerhalb des Unrechts stehend anzusehen. Und daß schließlich die Teilnahmelehre kein Beweisstück für die systematische Stellung des Vorsatzes ist, habe ich andernorts bereits dargetan 97 . Abgesehen nun davon, daß man nicht von einer — i n ihrer Bedeutung überaus bestrittenen — Randerscheinung wie dem untauglichen Versuch ausgehen sollte, um die Stellung des Vorsatzes i m Unrecht zu begründen 98 , erscheint es m i r von vornherein mißlich, wenn man aus den Schwierigkeiten der objektiven Unrechtslehre, welche gewiß nicht zu leugnen sind, nicht nur auf die Unrichtigkeit dieser Lehre, sondern auch auf die Richtigkeit der eigenen Lehre, 92 Welzel, a.a.O., S. 60: „ A l s Verwirklichungswille setzt der Vorsatz voraus, daß der Täter sich eine Einwirkungsmöglichkeit auf das reale Geschehen zuschreibt." 93 Welzel, a.a.O., S. 55. 94 Welzel, a.a.O., S. 55. 05 Siehe oben S. 63 f. 06 Siehe oben S. 58. 97 Lampe i n ZStW 77, 262 ff. 98 Vgl. auch Lange i n ZStW 63, 458.

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die gerade beim untauglichen Versuch die Schwierigkeiten aufs glücklichste überwinde, schließt. Die Stellung des Vorsatzes i m Unrecht bedarf positiver Begründung aus dem Wesen des Unrechts heraus; nach unseren bisherigen Überlegungen kann aber diese Begründung nur dadurch gegeben werden, daß man den Vorsatz als einen Beziehungsunwert erweist, welcher den Bestand des Rechtsfriedens stört. Einem solchen Nachweis steht aber bisher noch die Binnenhaftigkeit des Vorsatzes entgegen. W i r verlassen jetzt diesen Aspekt des Unrechtscharakters des Vorsatzes und wenden uns dem zweiten zu. 2. Wie verhält sich der Vorsatz zu den anderen Unrechtselementen: zu den Vorstellungen, Beweggründen und Absichten? W i r sahen bereits, daß Vorstellungen, Beweggründe und Absichten zwar Grundlage des Willens sind und, vom Willen erwählt, auch Willensinhalt werden können, daß sie selbst aber niemals unmittelbar zum Willen gehören. Das erscheint uns — als Juristen — zwar selbstverständlich, wo es sich um entferntere Handlungsziele handelt, wie etwa bei der Absicht, i m Rechtsverkehr zu täuschen, als „überschießender Innentendenz" einer Urkundenfälschung. Das gleiche gilt jedoch auch für sämtliche auf unmittelbare Handlungsziele gerichteten Absichten, Beweggründe und Vorstellungen. Wenn A den B vorsätzlich niedersticht, so hat er dies i. d. R. absichtlich getan: er ist durch die Voraussicht vom Erfolge seines Verhaltens zu eben diesem Verhalten bestimmt worden. Die Absicht ist hier Inhalt des Vorsatzes, ohne gleichzeitig dessen Bestandteil zu sein. Vielmehr besteht der Vorsatz allein i n der Willensentscheidung für die Absicht, während die Absicht der Freiheit des Willens erst die Richtung auf die Umwelt verleiht. — Weiterhin: Wenn A ein Haus anzündet, i n dem er den B vermutet, und die Tat nur darum begeht, daß B verbrennen möge, so hat ihn die Vorstellung vom Tode des B zu der Brandstiftung bewogen. Treffen A's Hoffnungen zu, so hat A den B vorsätzlich getötet. Der Beweggrund ist hier Inhalt des Vorsatzes, ohne dessen Bestandteil zu sein. Denn der Vorsatz als reiner Willensbegriff besteht wiederum nicht aus den Gründen, die erst dadurch zu seinem Inhalt werden, daß er sich für sie einsetzt. — Schließlich: Wenn A das nämliche Haus anzündet, i n dem er B vermutet, ohne daß der Tod des B für i h n der mindeste Beweggrund für seine Tat ist, er vielmehr nur danach trachtet, die Versicherungssumme für das Haus zu erhalten, so hat er i n der Vorstellung vom Tode des B gehandelt. Entspricht dieser Vorstellung die Wirklichkeit, so hat A den B vorsätzlich getötet. Die Vorstellung ist hier Inhalt des Vorsatzes, ohne dessen Bestandteil zu sein. Sie ist das psychisch unmittelbar Gegebene, das — durch die Kontrollinstanz des Willens hindurchgegangen — Willensinhalt wird, ohne die Eigenexistenz zu verlieren, ohne also i m Vor-

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satz aufzugehen. Noch einmal also: Vorstellungen, Beweggründe und Absichten sind zwar Inhalt, niemals aber Bestandteile des Vorsatzes. A n dieser Stelle vermögen w i r wiederum, an unsere Fragestellung nach der Unrechtsnatur des Vorsatzes anzuknüpfen. W i r können nämlich nunmehr das Problem präziser dahingehend formulieren: Wenn jeweils Vorstellungen, Beweggründe und Absichten den Inhalt des Vorsatzes ausmachen, diese Merkmale aber subjektive Unrechtselemente sind — dann muß der Unrechtscharakter des Vorsatzes darin zum Ausdruck kommen, was er unabhängig von den m i t i h m verbundenen Vorstellungen, Beweggründen und Absichten zur Erhöhung des Unrechtsgehaltes der Tat beiträgt. Freilich scheint uns dieser neue Ansatz zur Lösung unseres Problems nicht viel weiter zu führen. Denn das Wesen des Vorsatzes liegt i m Sich-Einsetzen für etwas, und die Tatsache, daß der Täter sich für bestimmte Vorstellungen, Beweggründe und Absichten einsetzt, begründet, wie w i r gerade sahen, lediglich den Subjektunwert des Vorsatzes, nicht seinen Beziehungsunwert. Indessen bestehen doch offensichtliche Parallelen zwischen den subjektiven Unrechtselementen und dem Vorsatze des Täters, die i n gleicher Weise die Unrechtseigenschaft beider begründen. Denn nicht als Inhalt eines binnenhaften Vorsatzes vermögen Vorstellungen, Beweggründe und Absichten Unrechtsrelevanz zu erlangen, sondern indem sie — wie w i r es an früherer Stelle nannten — verfolgt werden. W i r wiederholen also noch einmal, was w i r für die subjektiven Unrechtselemente, den Willensinhalt, gesagt haben: Der Mensch als Person t r i t t i n die für das Unrecht allein bedeutsame Beziehung zur Objektivität der sozialen Umwelt nur durch die Verfolgung von Zwecken; soweit daher das Unrecht als Beziehungsunwert auf einem Subjektunwert beruht, beruht es, wenigstens soweit der Willensinhalt dafür von Bedeutung ist, auf der Verfolgung von verwerflichen Zwecken. Gleiches wie für den Willensinhalt könen w i r nunmehr auch für den Willen selbst, für den Vorsatz, angeben: Der Mensch als Person t r i t t i n die für das Unrecht allein bedeutsame Beziehung zur Objektivität der sozialen Umwelt nur durch die Verfolgung seines Willens; soweit daher das Unrecht als Beziehungsunwert auf einem Subjektunwert beruht, beruht es, wenigstens soweit der Wille selbst als Vorsatz für es von Bedeutung ist, auf der Verfolgung dieses Willens, auf seiner Verwirklichung. Sofort erhebt sich hier indessen ein neues Bedenken: Sieht man i n der Willensverwirklichung das tragende Unrechtselement, so hat man nicht mehr den Vorsatz, sondern die Finalität zum Unrechtsbestandteil erhoben. Denn w i r erkannten bereits früher", daß Vorsatz und Finalität streng zu scheiden seien: daß der Vorsatz die Zwecksetzung, die Finali90 Siehe oben S. 180 ff.

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tät aber die Zweckverwirklichung bilde. Zwar war uns der Vorsatz als Zwecksetzung die Voraussetzung für die Finalität als Zweckverwirklichung; doch kann er jetzt uns deshalb eben auch nur Voraussetzung für Unrecht, nicht aber schon selbst Unrechtsbestandteil sein — er ist nur Subjektunwert, der zwar Voraussetzung für den Beziehungsunwert, nicht aber selbst schon Beziehungsunwert ist. Abermals scheinen w i r u m keinen Schritt i n der Erkenntnis des Vorsatzes als Unrechtsmerkmal weitergekommen zu sein. 3. Die Lösung bringt jedoch der dritte Aspekt, unter dem w i r den Unrechtsvorsatz betrachten: seine Verbindung m i t dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. I n der Lehre der Finalisten sind Vorsatz und Bewußtsein der Rechtswidrigkeit streng getrennt: der Vorsatz gehört dem Tatbestand, das Unrechtsbewußtsein der Schuld zu 1 0 0 . Welzel begründet diese Trennung so: Der Vorsatz sei Gegenstand des Schuldvorwurfs, sei etwas, was dem Täter vorgeworfen werde. Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hingegen sei nur ein Bestandteil des Schuldvorwurfs, also etwas, weshalb dem Täter der Vorsatz vorgeworfen werde. „Weil der Täter die Rechtswidrigkeit erkennen und demgemäß seinen rechtswidrigen Handlungsentschluß unterlassen konnte, w i r d i h m dieser zum V o r w u r f gemacht" 1 0 1 . Daß Welzels Begründung nicht stichhaltig ist, ergibt sich bereits daraus, daß sie sich, wie A r t h u r Kaufmann nachgewiesen hat 1 0 2 , beliebig umkehren läßt. Auch der Vorsatz ist etwas, weshalb dem Täter ein Vorwurf gemacht wird, und andererseits kann das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit genauso etwas sein, was dem Täter vorgeworfen wird. Darin zeigt sich bereits, daß das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit dogmatisch dieselbe Behandlung verdient wie der Vorsatz. Aber nicht nur die Begründung für die Zerreißung von Tatbestandsund Unrechtsvorsatz ist fehlerhaft, auch die Zerreißung selbst ist es! Es ist hier nicht der Ort, zu dem umfänglichen Streitstand zwischen Vorsatz- und Schuldtheorie i n extenso Stellung zu beziehen. Die Argumente, welche für und wider die Vorsatztheorie sprechen, sind i n letzter Zeit wiederholt zusammenfassend dargestellt worden 1 0 3 . Hier soll nur noch einmal darauf hingewiesen werden, daß das personale Unrecht die Freiheit i n der Erkenntnis derjenigen rechtlichen Bindungen voraussetzt, welchen die Person von Natur aus unterliegt: Freiheit also gegenüber dem Unrechtsgehalt des bindungswidrigen Verhaltens 1 0 4 . Für loa v g l . welzel, a.a.O., S. 148 ff.; Maurach, Allg. T., S. 385 ff.; Niese, Finalität, S. 33 ff. 101 Welzel, a.a.O., S. 146. 102 A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip, S. 185. 103 Zuletzt von Lang-Hinrichsen, K r i m i n a l p o l i t . Aufgaben, S. 90 ff. m i t Literaturangaben. 104 siehe dazu oben S. 205.

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ein Überschreiten der rechtlichen Bindungen setzt sich daher nur der Täter ein, dem die Rechtswidrigkeit seines Tuns bewußt ist — wobei das inaktuelle Bewußtsein dem aktuellen Bewußtsein dann gleichsteht, wenn es, wie beim sozial-ethischen Unrechtsbewußtsein stets, bewußt sein soll 105. Die finale Handlungslehre macht i m Gegensatz zu dieser Auffassung das Unrechtbewußtsein n u r darum nicht zum Gegenstand des Schuldvorwurfs, w e i l für sie Gegenstand des Strafrechts überhaupt n u r das soziale Phänomen der Handlung ist, obwohl doch alles auf das Phänomen des Verbrechens a n k o m m t 1 0 6 u n d erst i m Zuge der Analyse der Begriff der Handlung als eines VerbrechensmerJcmals herausgelöst werden k a n n 1 0 7 . Indessen scheint m i r auch i n der finalen Handlungslehre der Weg zur richtigen Einordnung des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit schon vorgezeichnet zu sein: i n Nieses Bestimmung des Vorsatzes als „strafrechtlich-relevante F i n a l i t ä t 1 0 8 " . N u r erlangt die „ F i n a l i t ä t " nicht schon, w i e Niese es annahm, ihre strafrechtliche Relevanz dadurch, daß sie „auf die V e r w i r k l i c h u n g eines Tatbestandes gerichtet" i s t 1 0 9 , sondern daß sie auf die Verbrechensverwirklichung abzielt. Das eben k a n n sie nur, indem sie das Bewußtsein v o m Verbrecherischen ihres Tuns, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit i n sich aufnimmt.

Für unser eigentliches Problem, für den Unrechtscharakter des Vorsatzes, ergibt sich hieraus: Gehört das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Vorsatz und ist der Vorsatz selbst ein Unrechtselement, so muß sich der Vorsatz, welcher das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit enthält, auf den Vorsatz, welcher Unrechtselement ist, beziehen; beide Vorsätze müssen aber zur gleichen Zeit beim Täter gegeben sein, w e i l letzten Endes die einheitliche Betrachtung des Vorsatzbegriffes gewahrt bleiben muß. Nehmen w i r nun unsere früheren Erkenntnisse über die Unrechtsnatur des Vorsatzes hinzu, so ergibt sich als Lösung des gesamten Problems: Unrechtscharakter besitzt der Verwirklichungswille. Auf diesen muß sich der Vorsatz, muß sich das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit beziehen. Dies geschieht dadurch, daß der Vorsatz als Zwecksetzung die Zweckverwirklichung w i l l . Das Wollen der Zweckverwirklichung muß aber selbst Teil der Zweckverwirklichung sein; denn nur dann geht ja die Zwecksetzung i n den Verwirklichungswillen völlig ein. Dies geschieht dadurch, daß der Wille, indem er sich verwirklicht, sich setzt, daß Setzung und Verwirklichung i n einem A k t zusammenfallen, ein Wille sind. Dieser eine Wille ist als setzender alsdann Vorsatz, und los v g l . dazu oben über die „Freiheit als Aufgabe" S. 188 ff. — Es handelt sich hier also u m keine Fahrlässigkeitsproblematik (wie die Vertreter der sog. strengen Vorsatztheorie annehmen), sondern u m eine Frage des rechtswidrigen Unterlassens i m subjektiven Tatbestand (eingeschränkte Vorsatztheorie). Sachlich richtig Schönke/Schröder, StGB § 59 A n m . 113, doch sollte m. E. der Begriff „Verbotsfahrlässigkeit" vermieden werden. 106 Nowakowski i n Z S t W 63, 287 (297). 107 Radbruch i n Frank-Festgabe Bd. I, S. 162. 108 Niese, a.a.O., S. 56. 109 Niese, a.a.O., S. 56.

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diesem Vorsatz kommt kraft seines Beziehungsunwertes alsdann Unrechtseigenschaft zu. Dieses durch abstrakte Überlegung gewonnene Ergebnis soll an einem praktischen Beispiel noch verdeutlicht werden. Nehmen w i r an, daß A den B töten w i l l . Hier ist der Vorsatz des A, den B zu töten, zunächst bloße Tatentschlossenheit, bloßer Subjektunwert und damit strafrechtlich irrelevant. Zum Beziehungsunwert und zum Unrechtsmerkmal w i r d er jedoch dadurch, daß er sich verwirklichen will, und zwar während er sich verwirklicht. Der A muß also m i t der Verwirklichung seines Vorsatzes begonnen haben, damit sein Vorsatz Unrechtselement wird. Unrechtselement w i r d allerdings auch i n diesem Falle nicht das ursprüngliche Vorhaben (Vorsetzen), sondern jener Wille, der an dem einmal erwählten Zielt festhält, während er es verwirklicht. A m deutlichsten zeigt sich das i m negativen Falle, w o ein Wille, der das einmal erwähnte Ziel festhält, nicht mehr besteht. Nehmen w i r darum >an, daß i m obigen Beispiel sich der A m i t festem Tötungsvorsatz i n das Zimmer des B geschlichen hat. E r entsichert die mitgebrachte Pistole u n d legt auf B an. Genau i n diesem Augenblick w i r d er durch ein plötzliches Geräusch gestört. E r erschrickt u n d drückt hierbei (vermeidbar) auf den Abzugshebel seiner Pistole, den er i m Augenblick darauf ohnehin betätigen wollte. Der Schuß geht los u n d B w i r d getötet. Hier hat A seinen Vorsatz, den B zu töten, nicht i n dem Augenblick verwirklichen wollen, i n dem er i h n verwirklichte. Sein Vorsatz ist darum nicht Unrechtselement der vollendeten Tat geworden. Die Folge ist, daß A nicht wegen vorsätzlicher Tötung bestraft werden kann.

Solches Ergebnis erscheint durchaus befriedigend, und zwar sowohl für das Rechtsgefühl als auch dogmatisch-systematisch. Dem Täter muß bis zum letzten Augenblick die Möglichkeit bleiben, von seinem strafbaren Vorhaben zurückzutreten, ohne Strafe befürchten zu müssen wegen einer Tat, die er, als er sie vollbrachte, nicht vollbringen wollte. Erst wo der Täter den weiteren Ablauf des Geschehens vorsätzlich seinen Händen entgleiten läßt, haftet er vollauf für die Folgen, auf die sich seine Vorstellungen, Beweggründe und Absichten erstreckten. Fehlt es hingegen am Vorsatz, während der Verwirklichungswille kraft der i h m früher gegebenen Zielrichtung am Werke ist, so liegt eine vorsätzliche Verwirklichung nicht vor. Der Täter kann hier nur wegen Fahrlässigkeit bestraft werden. Dogmatisch-systematisch schließlich zeigt sich i n dem Unrechtsvorsatz, der sich selbst Realität gibt und geben w i l l , ein deutlicher Gegenpol zu jenem Gut, das er vorzüglich verletzt: zum Rechtsfrieden. Wie der Rechtsfrieden die durch den Willen des Rechts geschaffene Realität des Rechts ist und als solche Geltung und Achtung beansprucht, so ist die Verletzung dieses Rechtsfriedens die durch den entgegengesetzten Willen des Verbrechers geschaffene Realität des Unrechts, welche Mißbilligung und Ahndung herausfordert. Und wie sich i m Rechtsfrieden

Die systematische Stellung des personalen Unrechts und seiner Elemente

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das Bewußtsein vom Recht Gestalt gibt, so gibt sich i n seiner Verletzung das Bewußtsein vom Unrecht Gestalt. Allgemeiner Rechtswille und vereinzelter Unrechtswille stehen einander gegenüber und stoßen auf einer Ebene zusammen, die beiden gemeinsam ist: der des (realen) Friedens der Gemeinschaft. Die Verletzung, welche der Rechtsfrieden hierbei erleidet, zeigt das Straf recht an; die Tilgung dieser Verletzung, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens, ist alsdann Aufgabe des Strafprozesses und des Strafvollzuges. — Gilt dies auch für den Bereich der F a h r l ä s s i g k e i t ? Ebenso wie der Vorsatz nimmt die Fahrlässigkeit eine Zwischenstellung zwischen Schuld und Unrecht ein. Vorgelagert ist ihr ein Mangel an Gefühl oder Interesse gegenüber der Bewahrung des Rechtsfriedens 110 . I h r Unrechtsgehalt liegt i n der unkritischen Haltung gegenüber den Vorstellungsbildern von der Außenwelt 1 1 1 sowie von der eigenen Einwirkung auf die Außenwelt 1 1 2 . Hierbei steht das Bewahren-Sollen der Haltung dem Bewahren grundsätzlich gleich 113 . Wiederum schafft nicht die Haltung als Fehlhaltung vor der Tat, sondern ihre Beibehaltung in der Tat das strafrechtliche Unrecht. Das Gebot, welches der fahrlässige Täter übertritt, lautet nicht: du sollst vorsichtig sein, sondern viel spezieller: du sollst i n deinem Verhalten vorsichtig sein. Und nur wer dieses letzte Gebot übertritt, begeht personales Unrecht und kann deswegen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Probleme bei Vorsatz und Fahrlässigkeit liegen demnach genau parallel. Als wesentlich bleibt nur noch hervorzuheben, daß unterhalb der Fahrlässigkeit kein Raum mehr für personales Unrecht besteht. Wer einen Erfolg herbeiführt, den er nicht voraussehen und daher auch nicht vermeiden konnte, wer z. B. einen Menschen überfährt, der kurz vor seinem Wagen plötzlich auf die Fahrbahn gelaufen ist, der hat kein Unrecht auf sich geladen, weil ihn persönlich kein Unwerturteil treffen kann. „Wer die i m Gesetz anbefohlene Sorgfalt beachtet, ist loszusprechen" 1 1 4 . Würde man dennoch sagen, er „habe rechtswidrig gehandelt, so müßte man i h m auch sagen können, wie er sich von Rechts wegen hätte verhalten sollen. Die A n t w o r t müßte lauten: D u durftest nicht Auto fahren. Dies eben verlangt die Rechtsordnung aber nicht. Sie erlaubt den gefährlichen Verkehr und nimmt dabei Schäden i n Kauf, die auch bei aller Sorgfalt unvermeidbar sind" 1 1 5 . Daß hierdurch das objektive Unrecht der Tat nicht berührt wird, ist nach dem früher Gesagten selbstverständlich. 110 V g l .Engisch, Vorsatz u n d Fahrlässigkeit, S. 470; Exner, Fahrlässigkeit, S. 173. Dazu auch oben S. 122 f. m Siehe oben S. 168,190. ii2 siehe oben S. 194 ff. na Siehe oben S. 188 ff. 114 Fichte, Grundlagen des Naturrechts, 1. Teil, S. 106. 115 Niese, Einfluß von Erfahrungstatsachen, S. 15.

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Das Unrecht der Person 3. Die Abgrenzung des personalen Unrechts von der personalen Rechtswidrigkeit

Schon sprachlich w i r d der Unterschied zwischen Unrecht und Rechtswidrigkeit deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß man zwar sagen kann: ich habe Unrecht, oder: ich b i n i m Unrecht; nicht aber: ich habe Rechtswidrigkeit, oder: ich bin i n der Rechtswidrigkeit. Unrecht ist etwas Substantielles, Rechtswidrigkeit etwas Prädikatives 1 1 6 . Personales Unrecht ist demnach etwas sich i n der Person des Täters V e r w i r k lichendes; personale Rechtswidrigkeit hingegen verwirklicht sich nicht, sie drückt lediglich die Negativität des sich Verwirklichenden vom Standpunkt des Rechts aus. Personales Unrecht und personale Rechtswidrigkeit verhalten sich demnach zueinander wie Beurteiltes und U r teil. Indem die Rechtsordnung über den Täter das Urteil der strafrechtlichen Rechtswidrigkeit abgibt, spricht sie i h m die Mißbilligung wegen seiner Verwirklichung personalen Unrechts aus. Da der Straf richter nicht über die verbrecherische Tat, sondern über den Täter zu Gericht sitzt, hat diesen Mißbilligungscharakter nicht schon das Urteil der objektiven, sachverhalts-(erfolgs-)bezogenen Rechtswidrigkeit, sondern nur das U r teil der personalen, täterbezogenen Rechtswidrigkeit. Dem personalen Unrecht t r i t t daher ein personales Rechtswidrigkeitsurteil zur Seite, das die besondere Funktion des strafrechtlichen Unrechts, nämlich personales Unrecht zu sein, zum Ausdruck bringt. I I I . Personales Unrecht und Strafe Personales Unrecht und Strafe stehen zueinander i n enger wechselseitiger Beziehung. Das personale Unrecht ist ein persönlicher Verstoß des Täters gegen den Rechtsfrieden der Gemeinschaft. Diesen Verstoß ahndet eine persönliche Sanktion, die Strafe, welche die Aufgabe hat, den Rechtsfrieden der Gemeinschaft wiederherzustellen. Die Formen, i n denen sie dies vollbringt, sind Strafprozeß und Strafvollzug, deren Gestaltung damit ebenfalls dem Ziel, den Rechtsfrieden wiederherzustellen, untergeordnet ist 1 : beide haben die Aufgabe, „Rechtsfrieden und nicht Tugend zu gewährleisten" 2 . Jede weitere staatliche Tätig116 Welzel, a.a.O., S. 49; Engisch, Unrechtstatbestand, S. 402. Nicht glücklich ist Welzeis weitere Unterscheidung (a.a.O.): Unrecht sei ein Substantivum, Rechtswidrigkeit ein Prädikat. Auch „Rechtswidrigkeit" ist natürlich ein Substantivum; gemeint ist vielmehr: Unrecht sei das (logische) Subjekt, Rechtswidrigkeit das (logische) Prädikat dieses Subjekts. 1 Siehe oben S. 255. — Z u m T e i l übereinstimmend Schmidhäuser in Schmidt-Festschrift, S. 511 ff. 2 Vgl. Claß i n Schmidt-Festschrift, S. 133, unter Hinweis auf eine Bemerkung des Reichskanzlers Fürst Hohenlohe: „Es ist ein krankhafter Zug

Personales Unrecht u n d Strafe

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keit ist ein Schritt auf dem Wege zur Rechtswillkür. Rechtswillkür ist sie nämlich dann, wenn sie Verhaltensweisen, welche den Rechtsfrieden nicht stören, unter Strafe stellt, oder die Strafe weiter ausdehnt, als zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens erforderlich ist. Da jede Störung des Rechtsfriedens Unrecht ist, kann nach dem Gesagten nur Unrecht die Strafe begründen; die Schuld als Subjektunwert ohne Beziehungsunwert, also ohne Störung des Rechtsfriedens, ist zur Begründung von Strafen untauglich. Sie betrifft die „Vorwerfbarkeit" des Unrechts und ist daher von der A r t und Höhe des Unrechts abhängig. Es g i l t der Satz: Es gibt keine Schuld

ohne

Unrecht 3.

Dieser Satz w i r d heute insoweit anerkannt, als die Schuld, die „üble Gesinnung", für sich allein die Strafe i n keinem Falle zu begründen vermag. Hat jedoch der Täter ein auch noch so geringes Unrecht begangen, so steht der Berücksichtigung reiner Gesinnungsmomente für die Strafzumessung kein anderes Hindernis als der, meist sehr weit gespannte, Strafrahmen des Gesetzes entgegen. Die Willkürjustiz kann sich also nahezu ungehindert entfalten. Sie darf sich dabei sogar auf das Gesetz selbst berufen, das ihr i n verschiedenen Vorschriften den Weg weist, Schuld ohne Unrecht zu berücksichtigen — Schuld nämlich, die allein die Entstehung des verbrecherischen Entschlusses, nicht aber seine Ausführung bestimmte. Man denke hier vor allem an die reinen „Gesinnungsmerkmale " des Gesetzes, etwa an das Merkmal „gewissenlos" i n §§ 170 c und d, an die Merkmale „aus Mordlust" und „aus Habgier" i n § 211 Abs. 2 oder an das Merkmal „böswillig" i n § 223 b StGB. Sie alle setzen, nimmt man sie beim Wort, nicht am Unrecht, sondern an einer nicht unrechtsbezogenen Schuld die erhöhte Bestrafung des Täters an. — Betrachten w i r die Merkmale i m einzelnen: Gegen § 223 StGB verstößt, wer einen anderen an der Gesundheit beschädigt; das Vergehen kann auch durch Unterlassen begangen werden, wenn eine Rechtspflicht, für die Gesundheit zu sorgen, bestand. § 223 b StGB knüpft nun eine erhöhte Strafe an die böswillige Vernachlässigung der Sorgepflicht an. Hier ist es offensichtlich, daß etwas Gesinnungsmäßiges, nämlich die „Böswilligkeit", zum Grund schärferer Sanktion gemacht wird. — Dagegen ließe sich einwenden, daß § 223 b als Opfer der Gesundheitsbeschädigung „Kinder, Jugendliche oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit Wehrlose" nennt, daß die Bestimmung also auch einen gesteigerten Unrechtsgehalt hervorhebt. I m Prinzip ändert dieser Einwand jedoch nichts an unserem Ergebnis. Denn entweder liegt alsdann die Böswilligkeit bereits darin, daß eine der genannten Personen Opfer der Pflichtwidrigkeit war — dann ist das unserer Zeit, die Menschen durch Strafgesetze tugendhaft machen zu wollen." Vgl. auch Sax, Grundsätze, S. 918 f. 3 Vgl. Noll i n ZStrR 64, 160 (169). 17 Lampe

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Das Unrecht der Person

Merkmal „böswillig" überflüssig und muß gestrichen werden; oder der genannte besondere Unrechtsgehalt des Delikts reicht zu einer Straferhöhung für sich allein nicht aus — dann liegt eben doch ein Fall von Rechts-(Gesetzes-)Willkür vor. Ganz ähnlich verhält es sich i n § 170 c StGB. Dort w i r d die Strafbarkeit u. a. dadurch begründet, daß der Täter einer von i h m geschwängerten Frau gewissenlos seine Hilfe versagt. Wiederum ist es nicht die grobe Pflichtwidrigkeit, sondern der „grobe Mangel an Pflichtgefühl" 4 , welcher zur Begründung der Straf barkeit dient: Das Gesetz sieht es nicht schon als strafwürdig an, wenn der Täter der Schwangeren die Hilfe versagt, sondern erst, wenn er diese Hilfe „gewissenlos" versagt. Wiederum läßt sich gegen diesen Standpunkt des Gesetzes einwenden, daß es entweder stets gewissenlos ist, einer Schwangeren die Hilfe zu versagen — dann ist das Merkmal „gewissenlos" überflüssig und kann gestrichen werden; oder aber daß der Unrechtsgehalt dieser Unterlassung für sich allein zur Strafbegründung nicht ausreicht — dann führt die Einbeziehung eines reinen Schuldelements i n die Strafvoraussetzungen zur Gesinnungsstraferei. Dasselbe gilt für § 170 d StGB. Recht drastisch hat Hellmuth Mayer diese Vorschrift einen „Anwendungsfall des Schurkenparagraphen" genannt 5 . Und i n der Tat w i r d nirgendwo anders die Tendenz des Gesetzgebers so deutlich, die gesamte Strafbarkeit willkürlich i n den Bereich grober Sittenwidrigkeit zu verlagern. W i r haben uns an dieser Stelle nur m i t dem Merkmal „gewissenlos" des § 170 d zu befassen und lassen aus diesem Grunde alle Bedenken, welche gegen die Rechtsgültigkeit der Vorschrift insgesamt bestehen 6 , beiseite. Alsdann ergibt sich wiederum: entweder ist es schon an sich „gewissenlos", wenn der Täter „das körperliche oder sittliche Wohl eines Kindes dadurch gefährdet, daß er seine Fürsorge- oder Erziehungspflichten gröblich vernachlässigt" — i n diesem Falle ist das Merkmal „gewissenlos" überflüssig und sollte gestrichen werden; oder aber der Unrechtsgehalt der Tat reicht für sich allein nicht aus, u m die Strafbarkeit zu begründen — dann führt das Abstellen auf eine besondere „Gewissenlosigkeit" des Täters zur Gesinnungsstraferei. Schließlich noch einige Worte zu den Mordmerkmalen „aus Mordlust" und „aus Habgier": Gewiß ist es höchst verwerflich, wenn jemand einen Menschen vorsätzlich tötet, und gewiß w i r d diese Verwerflichkeit noch gesteigert, wenn er die Tat allein u m des Gefühls der Lust willen, also „aus Mordlust", ausführt. Aber dieses Lustgefühl, welches der Täter bei sich hervorruft, schädigt weder das Opfer noch stört es den Rechts4 5 6

RGSt 77, 216; B G H S t 2, 350. H. Mayer, MatStRRef. I, S. 269. Welzel, Dtsch.Strafr., S. 385; Kohlrausch/Lange,

StGB §170d Anm. I I .

Personales Unrecht und Strafe

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frieden: Es schädigt das Opfer nicht, w e i l es i h m — anders als u. U. die Grausamkeit des Täters — keine besonderen Schmerzen bereitet; es stört die Rechtsordnung nicht, w e i l i n i h m allenfalls ein Subjektunwert ersteht, also ein Unwert, der nicht die Beziehung des Täters zur sozialen Ordnung betrifft. Das M e r k m a l „aus Mordlust" ist also ein reines Gesinnungsmerkmal. Dasselbe Prädikat gebührt, wenngleich nicht so offensichtlich, dem M e r k m a l „aus HabgierAls Strafverschärfungsgrund allenfalls berecht i g t wäre ein auf den Besitz materieller Güter hinzielender Beweggrund. Ließe also das Gesetz das schlichte Haben-Wollen zur M o r d qualifikation genügen, so wäre dagegen aus dem Grundsatz „Keine Schuld ohne Unrecht" nichts einzuwenden. Sämtliche Einwendungen müßten aus einer Diskrepanz zwischen Strafdrohung u n d Rechtsgefühl hergeleitet werden, w e i l man das bloße Besitzverlangen bei der Tötung nämlich nicht als hinreichenden G r u n d f ü r eine lebenslängliche Zuchthausstrafe w i r d ansehen können. M a n denke etwa an den Fall, daß der durch ungerechtes U r t e i l u m sein Gut Gebrachte dieses durch die Töt u n g des Begünstigten wieder an sich zu bringen sucht. So schlimm diese Tat auch sein mag, es w i r d doch die soziale Verwerflichkeit der Tötung hier nicht aufs äußerste gesteigert. Die materielle Berechtigung seiner Forderung muß dem Täter zugute gehalten werden; sie läßt ein milderes Licht auf seinen Beweggrund fallen. — Indessen ist das Gesetz über diesen E i n w a n d aus dem Rechtsgefühl ohnehin erhaben; denn es macht j a nicht das bloße Haben-Wollen zum Strafschärfungsgrund, sondern eine Triebübersteigerung: die Habgier. Hiergegen aber ist n u n dasselbe einzuwenden, das w i r schon gegen die Gesinnungsmerkmale des Gesetzes eingewandt haben: Was geht ein Defekt, der lediglich den Täter selbst betrifft, die Rechtsordnung an? I h r kann doch allein daran gelegen sein, daß niemand fremdes Gut erlangen w i l l . Sie kann aus diesem Grunde das fremde Eigentum zum Schutzgut erheben und jeden, der das Gut antastet oder anzutasten versucht, m i t Strafe belegen. Gegen die Gesinnung, aus der heraus jemand zum Rechtsbrecher w i r d , ist sie machtlos. Denn sie ist allein aufgerufen, die Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander zu ordnen, nicht aber jemanden u m persönlicher charakterlicher Mängel zu verfolgen, n u r w e i l diese möglicherweise die Immoralität seiner Straftat steigerten. So sicher derjenige, der u m des Besitzes w i l l e n zum Totschläger w i r d , nicht m i t Nachsicht w i r d rechnen können, so sicher kann i h n allein darum, daß er aus triebhafter Veranlagung die Tat beging, kein schärferer V o r w u r f treffen. Diese Erkenntnis leitet über zur Behandlung der Intentionalitäts merkmale, welche an einigen (früher aufgewiesenen) Stellen i n unserem Straf recht eine Rolle spielen. Auch auf sie bezogen lautet die Frage: 17*

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Das Unrecht der Person

Können außer ihren Unrechtselementen auch ihre Schuldelemente zur Strafbegründung oder Strafschärfung herangezogen werden? Stratenwerth, der diese Frage erkannte, hat für das Merkmal „grausam" an einem konkreten Beispiel die Problematik zu verdeutlichen versucht: A gibt seinem Opfer ein Gift, von dem er annimmt, es wirke langsam und führe zu einem qualvollen Tode, während es i n Wirklichkeit schnell und schmerzlos den Tod herbeiführt. Stratenwerth glaubt, hier unterscheiden zu müssen: „Die Tat stellt sich als Mord dar, wenn es letztlich allein um die Gesinnung geht; kommt es dagegen auf den die Gesinnung reflektierenden Sachverhalt selbst an, so scheidet (vollendeter) Mord aus" 7 . Unterscheidet man so, setzt man sich nun allerdings dem Einwand aus, das Wesen der Intentionalitätsmerkmale zu verkennen und das Problem der Gesinnungsstraferei bei den Intentionalitätsmerkmalen von vornherein zu verzeichnen. Der die Gesinnung reflektierende Sachverhalt braucht kein objektives Unrecht zu sein; es ist nicht erforderlich, daß der grausam Getötete besondere Schmerzen empfunden hat. Wohl kann man dies zusätzlich fordern, aber man braucht es nicht, um das Merkmal „grausam" als Unrechtsmerkmal gelten zu lassen8. Als Intentionalitätsmerkmal ist die „Grausamkeit" ihrem Wesen nach nur subjektives, nicht auch objektives Unrechtselement, so daß schon eine auf Schmerzzufügung gerichtete, nicht also nur eine Schmerzen zufügende, Handlung ausreicht, um den Unrechtsgehalt der „Grausamkeit" zu erfüllen. I n Stratenwerths Beispiel liegt also selbst dann, wenn man die Gesinnung des Täters unberücksichtigt läßt, ein vollendeter Mord vor — wenn man eben die Grausamkeit als Intentionalitätsmerkmal, also als subjektives, personales Unrechtselement (gleichbedeutend mit „grausamer Absicht") gelten läßt. Wandeln w i r nun Stratenwerths Beispiel ab: A gibt seinem Opfer ein Gift, von dem er weiß, daß es langsam w i r k t und zu einem qualvollen Tode führt, und zwar w e i l er a) entweder einen qualvollen Tod seines Opfers wünscht, b) oder trotz schwerer Bedenken keine andere Möglichkeit sieht, den Tod herbeizuführen, ohne daß er ernstlich seine Entdeckung als Täter fürchten müßte. Das Opfer stirbt unter schrecklichen Schmerzen. — I n diesem abgewandelten Beispiel ist das subjektive Unrechtselement der Grausamkeit, die Absicht der Schmerzzufügung, i n jeder der Alternativen gegeben, das Schuldelement der Grausamkeit, die Gemütlosigkeit des Täters, w i r d jedoch nur i n der ersten Alternative sichtbar. Verlangt man nun vom Täter einer „grausamen" Tötung eine „besonders unbarmherzige und gefühllose Gesinnung", wie es die herrschende Lehre tut 9 , kann man nur i n der ersten 7

Stratenwerth i n : Weber-Festschrift S. 171 (178). Richtig daher RGSt 49, 389, 62, 160; OGHSt 1, 99 f., 1, 371; Schönkef Schröder, StGB § 211 A n m . 17, welche eine objektive Schmerzzufügung nicht fordern. 8

Personales Unrecht u n d Strafe

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Alternative wegen Mordes strafen. Grund für die erhöhte Strafbarkeit gegenüber der zweiten Alternative ist alsdann lediglich die üble Gesinnung des Täters; es liegt wiederum ein Fall der Gesinnungsstraferei vor. Sieht man hingegen von der Gesinnung ab, aus der heraus der Täter seine Tat begangen hat, so ist es möglich, beide Alternativen gleich zu behandeln, weil i n beiden Alternativen die Unrechtselemente der Grausamkeit vollständig gegeben und vom Willen des Täters umfaßt sind. Freilich w i r d dann zweifelhaft, ob sich für jeden Fall „grausamer" Tötung die Mordstrafe tatsächlich rechtfertigen läßt. Der Entw u r f 62 kennt ein generelles Strafschärfungsmoment der „Grausamkeit" beim Totschlag nicht, und das wohl m i t Recht. Denn der Grausamkeit liegt fast immer eine Abnormität des Trieblebens zugrunde, welche m. E. nur dann zur Strafschärfung ausreichen sollte, wenn sie sich auf besonders „grauenerregende A r t " äußert — also etwa bei einer langwährenden Marterung vor der Tötung. Insoweit aber sind ihre Wirkungen als Unrechtsmerkmale faßbar; sie können der Bestrafung zugrunde gelegt werden, ohne daß eine Durchbrechung des Satzes „Keine Schuld ohne Unrecht" notwendig wäre. Wie i m Gesetz, so zeigt sich auch i n der Rechtsprechung die Tendenz, Schuldmerkmale zur Straferhöhung heranzuziehen. Beispielsweise sehen die Gerichte kein Hindernis, anläßlich der Strafzumessung für eine bestimmte Tat frühere, wenn nicht strafbare, so doch den sittlichen A n schauungen der Allgemeinheit widersprechende Vorkommnisse derselben oder einer ähnlichen A r t strafschärfend i n Betracht zu ziehen 10 . Den gesamten Umfang und die Tendenz solcher Rechtsprechung hat kürzlich Schmidhäuser treffend umrissen und gleichzeitig zu rechtfertigen gesucht. Er schreibt: „Wenn man vor einiger Zeit noch bemängelt hat, daß i n der Strafzumessungspraxis der Gerichte Verbrechen, die aus verächtlicher Gesinnung oder verwerflichen Beweggründen entsprangen, strenger beurteilt würden als andere, und wenn man dies als m o ralisierend i m Sinne der Ethik des täglichen Lebens' (Exner) verwarf, so hat inzwischen das Strafgesetz selbst sich deutlicher als zuvor diesen Maßstab einer ,Ethik des täglichen Lebens' zu eigen gemacht, der nicht mit falschem Moralisieren gleichgesetzt werden darf. Es ist derjenige Maßstab, den unser heutiges Strafrecht i n erster Linie an die Tat des zu Bestrafenden anlegt, — mögen darüber hinaus für die Strafwürdigkeit der Tat auch noch weitere Momente als deren sittlicher Unwert vorausgesetzt werden 1 1 ." W i r halten diese Begründung nicht für überzeugend. Denn das Strafrecht baut, wie jedes Recht, nicht schlechthin auf der Ethik und schon 9 10 11

BGHSt 3, 264 f.; Schänke/Schröder, StGB § 211 A n m . 17 m i t Zitaten. Vgl. BGHSt 6, 245, BGHSt i n N J W 51, 769, B a y O b L G i n HESt 3, 65. Schmidhäuser , Gesinnungsmerkmale, S. 268 f.

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Das Unrecht der Person

gar nicht der des täglichen (und täglich wechselnden!) Lebens auf, wie Schmidhäuser meint, sondern lediglich auf den ethisch relevanten Beziehungswerten, Werten also, deren Bedeutung sich allein i n der Interdependenz der Staatsbürger erweist. Nicht das i n der Moralität des Täters wurzelnde Schuldprinzip ist daher, wie beispielsweise Arthur Kaufmann meint, „die eigentliche und tiefste Rechtfertigung des Strafrechts" 12 , sondern das auf der Sozialethik erwachsende Prinzip des personalen Unrechts; und nicht die Schuld fordert demgemäß eine Schuld( = Gesinnungs-JStrafe, sondern das personale Unrecht erfordert eine i h m angemessene Ahndung. Aus diesem Grunde aber dürfen „allgemein-sittliche Eigenschaften" auch nicht „ i m Bereich der strafbaren Handlung" gegen den Täter berücksichtigt werden 1 3 . I n letzter Zeit mehren sich die Stimmen, welche sich gegen eine Berücksichtigung des Gesinnungsmäßigen — sei es i m Gesetz selbst, sei es i n der Rechtspraxis — wenden. Welzel nennt die Gesinnungsmerkmale des Straf rechts „die entscheidende Gefahrenstelle für die Einsickerung eines Gesinnungsstrafrechts" 14 . Maurach meint, daß der Gesetzgeber bei ihnen seiner subjektivierenden Tendenz allzu freien Lauf gelassen habe 15 . Und vor allem hat Stratenwerth das Bedenkliche einer allzu sehr ins Gesinnungsmäßige ausweichenden Strafgesetzgebung gekennzeichnet: es stelle eine schwer erträgliche Subjektivierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen dar 1 6 , da „der Nachweis einer eindeutigen Korrelation von Gesinnung und Strafwürdigkeit f e h l t " 1 7 und — wie w i r hinzufügen möchten — auch nicht zu liefern ist. Die hier vertretene Auffassung, daß Strafe allein auf Unrecht zu gründen sei, setzt allerdings eines voraus, was bisher noch nicht deutlich zur Sprache gekommen ist: daß eine Gradabstufung des Unrechts besteht. Denn nur hierdurch läßt sich eine Gradabstufung auch der Strafe rechtfertigen. Als erster hat eine Gradabstufung des Unrechts Kern vertreten 1 8 ; andere haben sich wenigstens gelegentlich zu dieser Auffassung bekannt, so Gallas 19 , Baumann 2 0 , Hardwig 2 1 , Welzel 22 , Lange 2 3 , Otto 2 4 und — besonders nachdrücklich — Noll 25. Zutreffend 12

A r t h u r Kaufmann, Schuldprinzip, S. 115. a. A . Jagusch i n LeipzKomm., § 13 Vorbem. B I V 1 c). 14 Welzel, a.a.O., S. 73. 15 Maurach, A l l g . T., S. 230. 16 Stratenwerth, a.a.O., S. 189. 17 Stratenwerth, a.a.O., S. 190. 18 Kern i n ZStW 64, 255 ff. 19 Gallas i n ZStW 67, 30. 20 Baumann, A l l g . T., S. 239 f., 662 f. 21 Hardwig i n ZStW 68, 28. 22 Welzel, a.a.O., S. 71 f. 23 Lange, Gutachten (1954) S. 77. 24 Otto, Pflichtenkollision, S. 21. » Noll i n ZStW 68, 181 ff. 13

Personales Unrecht u n d Strafe

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führt Noll die unterschiedlichen Strafdrohungen der einzelnen gesetzlichen Tatbestände nicht auf das Maß der Schuld zurück, welches der Täter beim Verstoß gegen die Strafgesetze erfüllt, sondern auf die unterschiedliche Schwere des Unrechts. Bis auf wenige Ausnahmefälle, i n denen das Gesetz ganz eindeutig Strafrahmen für eine verminderte Schuld zur Verfügung stellt (wie z. B. i n §§ 245 a und 264 a StGB für den Schuldminderungsgrund der Not), gibt nämlich allein die Störung des Rechtsfriedens das Maß des Unrechts und damit das Maß der Strafe an. Die Störung des Rechtsfriedens aber ist unterschiedlich, je nachdem welche Höhenmarke jener Beziehungsunwert hat, welchen die Tat verletzt. Die Tötung eines Menschen etwa bedeutet eine größere Störung des Rechtsfriedens als die bloße Verletzung seines Körpers, die schwere Verletzung des Körpers wiederum eine größere als die leichte, die vorsätzliche Verletzung eine größere als die nur fahrlässige usf. Es treten die mannigfachsten Subjekt- und Objektunwerte i m Beziehungsunwert zusammen und steigern das Unrecht, das auf dem Beziehungsunwert beruht und auf das die Strafe dann die notwendige A n t w o r t gibt. Abzulehnen ist demgegenüber die Ansicht Schmidhäusers, ein bestimmtes Verhalten könne nur entweder verboten sein oder nicht, es gebe kein mehr oder weniger starkes Verbot 2 6 und deshalb fehle dem Unrecht jede Steigerungsfähigkeit 27 . Diese Auffassung muß schon darum unrichtig erscheinen, weil Unrecht, und gerade strafrechtliches Unrecht, stets U n wert ist, das Kennzeichen eines Wertes bzw. eines Unwertes gegenüber einem wertfreien Sein aber gerade i n der Steigerungsfähigkeit liegt. So gibt es außer dem Guten stets das Bessere, außer dem Schönen das noch Schönere, außer dem Bösen das noch Bösere und außer dem Unrechtmäßigen eben das noch Unrechtmäßigere. I m Rahmen des übergesetzlichen Notstandes w i r d solche Steigerungsfähigkeit sogar zur unabdingbaren Notwendigkeit: wer eine leichte Körperverletzung begeht, u m eine schwere zu verhindern, handelt offenbar darum nicht rechtswidrig, weil die Rangordnung der Güter bereits für das Unrecht, nicht erst die Schuld bedeutsam ist. Alsdann muß aber der Rangordnung der Unwerte eine Rangordnung des Unrechts entsprechen! — Knüpft die Strafe an die Personalität des Unrechts an, läßt sie die Schuld des Täters außer acht, so kann sie i m vollen Umfang die i h r eigentümliche Funktion entfalten: Ahndung begangenen Unrechts zu sein. Hierin allein liegt ihre absolute Begründung, welche sie als Institut eines i m Absoluten verankerten Rechts legitimiert. I n der Relativität ihrer Anwendung ist sie freilich von einer realen Zweckhaftigkeit nicht frei; jedoch ist ihr Zweck nicht der realistische Eindruck ihrer 26 27

Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 193. Schmidhäuser , a.a.O., S. 206 f.

Das Unrecht der Person

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Verhängung oder ihres Vollzuges, sei es auf den Einzelnen (Spezialprävention), sei es auf die Allgemeinheit (Generalprävention), sondern wiederum das Recht selbst i n seiner realen Geltung, i n seinem realen Bestände als Rechtsfrieden. Verfehlt ist es hingegen, die Strafe an die Schuld des Täters anzuknüpfen und sie als Schuldvergeltung zu bezeichnen 28 , deren realer Zweck die Sühne sei 29 . Z u m einen w i r d damit die Strafe von ihrer unmittelbaren Bindung an das Recht gelöst und dem Absolutheitsanspruch der Moralität unterstellt. Zum anderen w i r d ihr ein Zweck unterschoben, den sie i n der Hand des Staates nicht erreichen kann; denn Sühne ereignet sich genau wie Schuld i m Innersten des Täters, das jeder staatlichen Einflußnahme entzogen ist 3 0 . Wie daher das Schuldigwerden vom Staate nicht verhindert werden kann (sondern allenfalls die auf dem schuldhaften Entschluß erwachsende Handlung), so kann auch die Sühne vom Staat nicht herbeigeführt werden. Ob Schuld, ob Sühne sich ereignet, liegt allein i m Gewissen des Einzelnen beschlossen. Wer gleichwohl die Strafe unmittelbar auf die Schuld des Täters gründet, übersieht den Unterschied, der zwischen Strafbemessung und Strafzumessung besteht. Nur die Strafbemessung findet i n der Personalität des Unrechts ihre Grundlage; die Strafzumessung hingegen knüpft an die Schuld des Täters an. Jede das Unrecht ahnende Strafe kann nämlich dem Täter nur insoweit auferlegt werden, als dies seine Schuld an der Tat zuläßt. Ist die Schuld des Täters gegenüber dem Normalfall voller Verschuldung gemindert, kann jene Strafe, welche die gerechte Ahndung des Unrechts darstellt, dem Täter nur zu einem entsprechenden Teil auferlegt werden. Ist hingegen die Schuld infolge besonderer Verwerflichkeit der Gesinnung gegenüber dem Normalfall erhöht, kann sich die ahndende Kraft der Strafe voll entfalten, — indessen darf allein aus Gründen der Schuld keine höhere Strafe verhängt werden, als sie dem Zweck der Strafe, Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu sein, entspricht. M i t anderen Worten: Das Maß der Strafe ergibt sich aus dem personalen Unrecht der Tat (Grundsatz der Strafbemessung); die Schuld ist allein für die davon verschiedene Frage der Auferlegung der einmal bemessenen Strafe an den Täter bedeutsam (Grundsatz der Strafzumessung).

Die selbständige Bedeutung der Strafzumessung gegenüber der Strafbemessung hat eine wichtige praktische Folgerung: Die für die Strafzumessung wesentliche Schuld des Täters muß i n dem Umfang, i n dem sie die Auferlegung der Strafe an den Täter rechtfertigen soll, selber strafrechtliche Relevanz besitzen. Hierin liegt eine Parallele zum 28 29 30

So aber etwa Welzel, a.a.O., S. 220. So aber etwa Baumann, A l l g . T., S. 16 f. u. ö. Vgl. Eb. Schmidt i n ZStW 67, 186 f.; Noll Strafe, S. 8 f.

Personales Unrecht und Strafe

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strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsurteil, welches die spezifisch strafrechtliche Relevanz des Unrechts zum Ausdruck bringt. Die Schuld des Täters ist nun keineswegs schon darum strafrechtlich relevant, weil sie sich auf strafrechtlich relevantes Unrecht bezieht. Andernfalls würde letzthin doch wieder allein das Unrecht die Strafzumessung bestimmen und sie dem Gedanken der Ahndung oder gar der Sühne unterstellen. Vielmehr t r i t t als weitere Voraussetzung der Bestrafung die Auferlegbarkeit der Strafe an den Täter hinzu. Ist rechtswidrig i m strafrechtlichen Sinne ein Verhalten, auf Grund dessen eine Strafe ausgeworfen (bemessen) werden kann, so ist schuldhaft i m strafrechtlichen Sinne eine Tat, auf Grund deren eine Strafe auferlegt (zugemessen) werden kann. Und somit lautet die entscheidende Frage für die Schuld nicht nur: war dem Täter sein Unrecht vorzuwerfen, konnte i h m ein anderes Verhalten zugemutet werden?, sondern auch: ist dem Täter sein Verhalten in strafbarer Weise vorzuwerfen, ist i h m zuzumuten, für sein Verhalten nunmehr eine Strafe auf sich zu nehmen? Läßt sich diese letzte Frage nicht bejahen, dann fehlt es an der strafrechtlichen Relevanz der Schuld. A n dieser Stelle erhalten dann auch die relativen Straftheorien ihre Bedeutung 3 1 . Daß dem Täter eine Strafe auferlegt u n d daß sie vollzogen w i r d , k a n n nämlich allein aus dem Interesse der Gesellschaft e r k l ä r t werden, weitere Verbrechen durch Abschreckung (Generalprävention) u n d durch E i n w i r k u n g auf den Sträfling (Spezialprävention) zu verhüten. Nicht Unrecht u n d Prävention, sondern Schuld u n d Prävention stehen somit i n Korrelation 3 2 .

Die unterschiedliche Bedeutung von Unrecht und Schuld für die Strafe w i r k t auf die Dogmatik des Verbrechens zurück. Und damit schließt sich der Kreis unserer Betrachtungen. Knüpft nämlich die Strafe nicht an die Schuld des Täters, sondern an das personale Unrecht seiner Tat an, so kann die Schuld nicht Voraussetzung für die Verbrechensbegehung und also auch nicht Bestandteil des Verbrechensbegriffes sein. Folgerichtig erscheint vielmehr ein dualistischer Straftatbegriff, wie er früher besonders von Kantorowicz 3 3 vertreten wurde, allerdings seinerzeit nur wenig Anklang fand 3 4 . I n der Tat konnte er so lange nicht befriedigen, als das der Schuld vorgelagerte Unrecht nicht personal verstanden und damit der Täter vollends aus dem Verbrechensbegriff eliminiert wurde 3 5 . Kantorowicz definierte so: „Die Handlung ist strafbar, wenn sie tatbestandsmäßig ist, es sei denn, daß sie unter einen Rechtfertigungsgrund fiele; der Handelnde ist strafbar, 81 Vgl. Welzel, a.a.O., S. 219. 32 Vgl. Noll i n H. Mayer-Festschrift S. 219 ff. 33 Kantorowicz , Tat u n d Schuld (1933). 34 I m m e r h i n stimmte Radbruch i n seiner Besprechung des Werks (in ZStrR 51, 249 ff.) dem systematischen Dualismus Kantorowicz ' rückhaltslos zu (S. 253). Vgl. i m übrigen Schönke/Schröder, StGB § 1 Vorbem. 12. 35 Schönke!Schröder, StGB § 1 Vorbem. 12.

266

Das Unrecht der Person

wenn er die Handlung schuldhaft vorgenommen hat, es sei denn, daß er unter einen Strafausschließungsgrund fiele. Zusammengenommen ergibt sich ein dualistisch gestalteter Begriff der Straftat als des Inbegriffs der Straf Voraussetzungen: die tatbestandsmäßige, nicht gerechtfertigte Handlung dessen, der sie schuldhaft vorgenommen hat, ohne durch einen persönlichen Strafausschließungsgrund gedeckt zu sein 30 ." Carl Stooß hat m i t Recht gegen solchen Dualismus eingewandt, daß der Täter nicht nur den Vorsatz habe, einen Menschen zu töten, sondern ihn auch ausführe; daß er nicht nur intellektueller, sondern auch physischer Urheber des Verbrechens sei 37 . Indessen treffen alle gegen einen dualistischen Straftatbegriff vorgebrachten Argumente nicht mehr zu, sobald man m i t der Lehre vom personalen Unrecht auf der Verbrechensseite nicht nur den verbrecherischen Erfolg, sondern auch und vor allem jene i m Täter wurzelnden teleologischen Vorgänge berücksichtigt, die zu dem Erfolge geführt haben. Die Lehre vom personalen Unrecht schließt den Verbrecher nur i n seinen (motivierenden) Ursachen, nicht aber i n seinen Wirkungen aus dem Verbrechensbegriff aus; oder anders, von der Handlung her, gesehen: sie rechnet zum Verbrechen nicht nur die Wirkungen der verbrecherischen Handlung, sondern auch ihre i n der Personalität des Verbrechers wurzelnden Ursachen. Und so ergibt sich folgende, von der Definition Kantorowicz' abweichende, Bestimmung: Die Tat ist strafbar, wenn sie personales Unrecht für ihn personale Schuld ist

ist;

der Täter

ist strafbar,

wenn

die

Tat

M i t dieser Bestimmung haben w i r gleichzeitig die A n t w o r t auf jene Frage der Imperativentheorie gefunden, die sich unseren Untersuchungen von Anfang an stellte und deren Beantwortung aus dem Wesen des Rechts uns unmöglich erschien: die Frage nach dem Normadressaten. Bei Kantorowicz lautete die Antwort noch so: „Die tatbestandsmäßige, nicht gerechtfertigte Handlung also ist es, auf die sich das Verbot der Strafgesetze bezieht, sie ist das Unrecht i m Sinne des Strafrechts, ist die bei Strafe verbotene, die strafbare Handlung. Das Verbot geht also dahin, die Handlung, nicht dahin, sie schuldhaft zu begehen 38 ." I m Sinne der personalen Unrechtslehre aber müssen w i r jetzt formulieren: Es ist das personale Unrecht, auf das sich der verbietende Imperativ des Strafrechts richtet. Das Verbot geht dahin, Unrecht, nicht Schuld auf sich zu laden. Der Imperativ wendet sich also an die Rechtspersönlichkeit, welche das Unrecht zu erkennen, nicht unbedingt aber nach ihrer Erkenntnis zu handeln (sich zu entschließen) i n der Lage ist. Er warnt davor, die jeder Rechtspersönlichkeit immanenten Grenzen zu überschreiten; er warnt davor, s i c h i n s U n r e c h t z u s e t z e n . 38 37 38

Kantorowicz, a.a.O., S. 23. Stooß i n ZStrR 44, 156 (158). Kantorowicz, a.a.O., S. 22 f.

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