Das Stundenbuch der Herzogin Philippa von Geldern: Jean Coene IV. und die Buchmalerei in Paris um 1500 9783422800106, 9783422986954

A richly illustrated book of hours was produced in the surroundings of the Parisian court at the beginning of the sixtee

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Das Stundenbuch der Herzogin Philippa von Geldern: Jean Coene IV. und die Buchmalerei in Paris um 1500
 9783422800106, 9783422986954

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Dank
Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien
Beschreibung der Handschrift
Jean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs – sein Stil, seine Werke und die Kollaboration mit anderen Pariser Künstlern
Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern im Kontext der Pariser Buchkunst am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts
Anhang

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Das Stundenbuch der Herzogin Philippa von Geldern

Ina Nettekoven

Das Stundenbuch der Herzogin Philippa von Geldern Jean Coene IV. und die Buchmalerei in Paris um 1500

Für Caroline

Inhalt

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Eine Prinzessin aus Geldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Zwischen Burgund und der französischen Krone – Philippas Abschied von Geldern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Herzogin von Lothringen und Königin von Sizilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Herzoginwitwe und zeitweilige Regentin von Lothringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Armer Erdenwurm – Schwester Philippa in Pont-à-Mousson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Philippas kulturelles Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Beschreibung der Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift . . . . . . . Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hierarchie des Buchschmucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Initialen und Zeilenfüller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bordüren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs – sein Stil, seine Werke und die Kollaboration mit anderen Pariser Künstlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Das künstlerische Umfeld des Malers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Die namentliche Identifikation des Künstlers . . . . . . . . 98 Der Stil Jean Coenes IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Übersicht der Werke Jean Coenes IV. und seiner Werkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Gedruckte Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Miniaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern im Kontext der Pariser Buchkunst am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts . . . . . . 111 Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Buchmaler als Entwerfer von Druckgraphik . . . . . . . . . 112 Buchmaler als Illuminatoren von gedruckten Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Kurzbeschreibung des Stundenbuchs . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Eintrag von Ernest Quentin-Bauchart, Band II, S. 371–372  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Summary The Book of Hours of the Duchess of Lorraine, Philippa of Guelders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Sommaire Le livre d‘heures de la duchesse de Lorraine, Philippa de Gueldre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Bild- und Publikationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6. Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 8. Index. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .134

Einleitung

Ein Buch über ein Buch In dieser Monographie geht es um ein Stundenbuch, ein Begriff, der vielen Lesern durch die wachsende Popularität von Handschriftenfaksimiles vielleicht ge­ läufig ist. Für diejenigen, die mit diesem Terminus wenig oder nichts anfangen können, sei kurz erklärt: Ein Stundenbuch ist ein Gebetbuch. Und zwar eine ganz besondere Form, die nicht in unseren Breiten­ graden, sondern in Frankreich und Flandern gedieh, sich aber recht bald zum Exportschlager in fast alle europäischen Regionen entwickelte. Seine Bezeichnung verdankt diese Buchform ihrem Hauptbestandteil, dem Offizium der Jungfrau Maria (Officium Beate Marie Virginis), das in acht Partien eingeteilt ist, die Stunden (lat. Horae oder frz. Heures) genannt wurden. Diese Gebetsstunden entsprechen im Wesentlichen denjenigen, die von Nonnen und Mönchen, deren liturgischer Tag in Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet eingeteilt ist, heute noch gesungen und gebetet werden. Doch waren diese Stundenbücher nicht für Klöster und auch nicht speziell für Kleriker gedacht. Sie waren Andachtsbücher für Laien und entsprachen dem Wunsch der mittelalter­ lichen und frühneuzeitlichen Menschen nach kon­ stanter religiöser Praxis auch im Alltag. In der Zeit, um die es in diesem Buch vorrangig geht, der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, war es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch, egal welchen Standes, sich regelmäßigen Gebeten widmete. Frömmigkeit war keine freie Wahl, sondern

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die selbstverständliche Pflicht jedes Christenmenschen, und ihre Vernachlässigung hatte Ächtung und Strafe nicht nur im Jenseits, sondern auch im Dies­ seits zur Folge.

Ein Andachtsbuch für eine hohe Dame Aus verschiedenen Hinweisen im Codex und Zeugnissen aus vergangenen Jahrhunderten lässt sich die Identität der Besitzerin dieser Stundenbuchhandschrift sicher bestimmen. Es handelt sich um Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen, Gemahlin des Herzogs René II. von Lothringen. Nicht allein ihre außerordentlich lange Lebenszeit, sondern auch ihr Schicksal und ihr Wirken erheben sie in den Rang einer bemerkenswerten Renaissancefürstin. Geboren wurde sie, wie man aus ihrem Beinamen schließen kann, im Herzogtum Geldern, als Tochter des Herzogs Adolf von Egmond und seiner Frau Katharina von Bourbon. Eine fürstliche Kindheit war Philippa zunächst nicht beschieden. Ganz im Gegenteil. Früh war ihre Mutter gestorben und da weder ihr Vater noch ihr Großvater miteinander und mit dem großen mächtigen Nachbarn Burgund Frieden halten konnten, gerieten sie zwischen die Mühlsteine der Macht und verloren die ihre, zusammen mit dem Herzogtum Geldern am Niederrhein, das sich aus heutiger Warte auf niederländischem und deutschem Gebiet befand. Philippa

Einleitung

wurde zur Geisel der Burgunder und zunächst dort am Hofe erzogen. Später kam sie nach Frankreich, wo sie als eine der schönsten und klügsten heiratsfähigen Prinzessinnen trotz fehlender Mitgift hoch im Kurs stand und von der Regentin Frankreichs gegen ihren Willen dem Herzog von Lothringen anvertraut wurde. All das wird für die junge Frau, die eigentlich ein Leben hinter Klostermauern bevorzugt hätte, nicht leicht gewesen sein. Dennoch kannte sie ihren Platz als Fürstentochter und tat, was von adeligen Frauen dieser Epoche erwartet wurde: Sie gehorchte. Offenbar meinte es das Schicksal in der Folgezeit dann endlich gut mit ihr und aus der anfänglich zwangsweisen Verbindung mit dem lothringischen Herzog wurde eine innige und für damalige Verhältnisse fast gleichberechtigte Ehe, die 1508 durch den Tod Renés endete. Das Stundenbuch, um das es hier gehen wird, entstand etwa zu jener Zeit. Einige Besonderheiten in der Gestaltung der Bilder lassen den Schluss zu, dass Philippa es als Totengedenkbuch für ihren Gemahl intendiert hatte und mit diesem Codex für sein ewiges Seelenheil und für seine Auferstehung am Jüngsten Tag zu beten gedachte. Die letzten Jahrzehnte ihres Lebens, von 1519 bis 1547, erfüllte sie sich ihren lang gehegten Wunsch und zog sich in das Klarissenkloster Pont-à-Mousson in Lothringen zurück. Ihre Bibliothek, und damit auch dieses Stundenbuch, nahm sie mit ins Kloster und wird es, wie auch alle anderen Stücke aus ihrer exklusiven Büchersammlung, ihren Mitschwestern vererbt haben. Mit der Französischen Revolution wurde dieses Buch aus dem Kloster entfernt und schließlich wurden Philippas Bände in alle Windrichtungen verstreut. Das Buch erhielt einen neuen Einband und damit wurden vermutlich alle dort festgehaltenen Be­ sitzervermerke getilgt. Doch eine Notiz aus dem 19. Jahrhundert belegt, dass das Gebetbuch ihr gehörte. Auch die Besonderheiten des Buchschmucks, allen voran eine Miniatur mit ihrem und ihres Mannes Porträt sowie die Cordelières-Knotenschnüre, die sich auf jeder Buchseite befinden, belegen, dass dies einst ihr persönliches Gebetbuch war.

Zwischen Handschriftenkunst und Buchdruck Als diese Handschrift gefertigt wurde, war der Buchdruck bereits seit fast einem halben Jahrhundert eta-

bliert. In Frankreich war die sogenannte Schwarze Kunst, der bewegliche Letterndruck, um 1470 ein­ge­ führt worden und ein Jahrzehnt später konnte man in Paris gedruckte Bücher zu fast allen zentralen Themen kaufen. Besonders Stundenbücher wurden in einer schier unübersehbaren Fülle in der Hauptstadt gedruckt und je nach Geschmack und finanziellen Möglichkeiten der Käufer für diese individualisiert. Da es noch keinen Farbdruck gab, waren Buchmaler damit beschäftigt, Drucke auszumalen und die Holzund Metallschnittillustrationen einer illuminierten Handschrift anzugleichen. Dennoch wählte Philippa von Geldern, deren Mann sich für die Technik des Buchdrucks sehr interessiert hatte, die konservativere Buchvariante: eine Handschrift. Das ist an sich nicht so verwunderlich, denn viele ihrer Zeitgenossen, unter anderem auch der französische König Ludwig XII., hatten den handgeschriebenen Büchern vor den Druckausgaben den Vorzug gegeben. Überraschend ist an diesem Stundenbuch jedoch vor allem, dass es in weiten Teilen motivisch von gedruckten Stundenbuchausgaben beeinflusst wurde. Insofern hat man hier ein erstklas­ siges Beispiel von gegenseitigem Einfluss von Druck und Handschrift: Der Druck stand Pate für viele Kompositionen in diesem Buch, doch entstand daraus keinesfalls eine simple Kopie, sondern ein eigenstän­ diges Kunstwerk mit einzigartigen Ideen und originellen Bildfindungen.

Ein Pariser Künstler aus Flandern: Jean Coene IV. Der Buchmaler, der dieses Stundenbuch, wohl unter Mitarbeit seiner Assistenten, herstellte, war Philippa durch andere Aufträge, die er für sie ausführte, bekannt. Er war jedoch nicht in Lothringen, sondern in Paris ansässig, wo die Herzogin offenbar die meisten Handschriften für ihre Bibliothek herstellen ließ. Es ist davon auszugehen, dass sie ihn mit Bedacht für ein Kunstwerk auswählte, das ihr besonders am Herzen gelegen haben mochte. Ein glücklicher Umstand will es, dass wir neben der Besitzerin des hier vorgestellten Manuskripts auch den Buchkünstler namentlich benennen können. Sein umfangreiches Œuvre und seine feste, vielfältige Verankerung im Pariser Buchwesen an der Schwelle vom 15. zum 16. Jahrhundert machen ihn zu einem wich­

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Dank

tigen Vertreter dieser Übergangszeit, in der sich viele in diesem Bereich Aktive sowohl bei der Herstellung von Handschriften als auch von Drucken engagieren mussten. Aus einer Miniatur in seinem idiosynkra­ tischen Stil, die er mit seinem Namen versah, wissen wir, dass er Jean Coene hieß und vermutlich aus einer

Dynastie von vielseitigen Künstlern stammte, die ursprünglich in Flandern ansässig war. In die Buchmalereiforschung ist Jean Coene noch nicht umfassend eingeführt worden und insofern bietet diese Monographie die Gelegenheit, ihn und sein reichhaltiges Œuvre vorzustellen.

Dank Die Person, der ich dieses Buch gewidmet habe, ist gleichzeitig diejenige, der ich am meisten für ihre Hilfe bei seiner Entstehung danken muss. Caroline Zöhl hat mir nicht nur Bild- und Forschungsmaterial großzügig zur Verfügung gestellt, das sie über viele Jahre während ihrer Forschungen zu Jean Pichore und verwandten Buchmalereithemen zusammengetragen hat, sondern sich auch meinen Überlegungen und Fragen geduldig gestellt sowie ihre Ideen und Denkanstöße mit mir geteilt. Seit Mitte der 1990er Jahre, als fast drei Jahrzehnte, forschen wir gemeinsam zu Stundenbuchdrucken und den daran beteiligten Künstlern. Aus dieser intensiven Beschäftigung entstanden vor Jahren neun ziemlich dicke Bände zu gedruckten Stundenbüchern der Sammlung Bibermühle, die seinerzeit 365 Einzelstücke umfasste, als wir beide 2015 die zweite Partie des Projekts abschlossen. Inzwischen gibt es, wie ich hörte, weit über 400 Stundenbücher in dieser einzigartigen Sammlung und die Veröffentlichung weiterer Bände steht bevor. In diesem Zusammenhang möchte ich auch dem Besitzer dieser Sammlung, Heribert Tenschert, danken, dass er mich über den Fortgang seiner Sammlung auf dem Laufenden hielt und mir großzügig gestattete, Fotos seiner Schätze in dieser

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Monographie abzubilden. Auch Jörn Günther gilt mein Dank für die freundliche Erlaubnis, einige seiner Handschriften, die mit dem Œuvre Jean Coenes im Zusammenhang stehen, abbilden zu dürfen. Außerdem sei natürlich all jenen vielen Kollegen und Freunden gedankt, die mir behilflich waren beim Zugang zu Privatsammlungen, Bibliotheken und bei der Beschaffung von Forschungsmaterial. Andrea und Toni Ott haben mich in der Schluss­ phase des Projektes freundlich bei sich aufgenommen und mir mit ihrer guten Laune und ihrer Gastfreundschaft das Leben versüßt. Toni ist für alle Fotografien von Philippas Stundenbuch verantwortlich. Auch mein lieber Stefan soll bei dieser Danksagung nicht unerwähnt bleiben. So manches Wochenende und viele Urlaubstage nahm er es klaglos hin, dass ich an diesem Buch arbeitete. Zu guter Letzt möchte ich mich an jenen privaten Sammler wenden, dem das Stundenbuch der Philippa von Geldern gehört, der den Anstoß zu diesem Buchprojekt gab, der es großzügig finanziell unterstützte und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Seinen Namen möchte er hier nicht lesen, dennoch sei ihm von Herzen gedankt!

Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

Eine Prinzessin aus Geldern Das 15. Jahrhundert, in das die Protagonistin dieses Buches hineingeboren wurde, war das große Jahrhundert der Entdeckungen und Umwälzungen. Als Phi­ lippa von Egmond im Jahr 1467 als Zwillingsschwester ihres Bruders Karl in Grave1 geboren wurde, war Europa in Sorge. Man befürchtete das baldige Ende der Welt. Schon seit Anbeginn der Christenheit hatte man die Wiederkehr des Erlösers erwartet, und je länger dieses Warten dauerte, desto überzeugter wurde man, dass er über die sündige Menschheit strenges Gericht halten würde. So hatte es das letzte Buch des Neuen Testamentes, die Offenbarung des Johannes, angekündigt und also erwartete die Menschheit das Endgericht um das Jahr 1500 nach Christi Geburt. Die düsteren Zeichen, dass dieses schreckliche Ereignis unmittelbar bevorstand, mehrten sich und seitdem Johannes Gu­ tenberg zu Mainz den beweglichen Letterndruck erfunden hatte, war es auch möglich, die Kunde von den unheilverkündenden Vorzeichen, den Beweisen für die Verderbtheit der Menschen, und vom Zorn Gottes schnell zu verbreiten. Die Mentalität der Menschen dürfte damals nicht viel anders als heute gewesen sein. Die Vorgänger der »Regenbogenpresse« verkauften sich gut. Flugblätter, die von unheilverkündenden Sternenkonstellationen berichteten, von Meteoriten, von der Mehrung von Geburten missgebildeter Kreaturen, stießen auf großes Interesse und fanden reißenden Absatz. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang beispiels-

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1  Albrecht Dürer, Die vier apokalyptischen Reiter, Nürnberg 1511 (Erstausgabe 1498)

weise ein Schwein mit einem Kopf, zwei Zungen, vier Ohren, zwei Leibern und acht Beinen, das im elsäs­ sischen Landser das Licht der Welt erblickte. Der Humanist und Dichter Sebastian Brant hatte das miss­ gebildete Tier vorgeblich mit eigenen Augen gesehen und brachte einen künstlerisch wenig überzeugenden

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

2  Apokalypse aus der neunten deutsche Bibel, A. Koberger, Nürnberg 1483

Holzschnitt dazu auf ein Flugblatt, das er 1496 zu diesem Thema drucken ließ.2 Zu unsterblicher Popula­ rität verhalf diesem »Wunder« jedoch Albrecht Dürer, der im gleichen Jahr noch die Sau von Landser in eindrücklicher Weise im Kupferstich3 darstellte. Doch nicht nur Himmelszeichen und verstörende irdische Phänomene verhießen ein baldiges Ende der Welt. Auch brachen neue, tödliche Krankheiten über die Menschheit herein, wie beispielsweise die Syphilis, welche die Soldaten Karls VIII. bei ihrem Italienfeldzug einschleppten, und die deswegen über lange Zeit von den Italienern abschätzig il mal francese (Franzosenkrankheit) genannt wurde. Auch dazu gab es ein Flugblatt, das 1496 Verbreitung fand und das einen ebenfalls Albrecht Dürer zugeschriebenen Holzschnitt eines mit Beulen übersäten Landsers zeigt, der ein wenig an den Hl. Rochus erinnert. 4 Auch für eine bahnbrechend neue Sicht auf die biblische Endzeitvision, auf die Apokalypse des Johan­ nes, ist Albrecht Dürer, Deutschlands wohl be­ rühm­ tester Renaissancekünstler, verantwortlich. Als er im Jahr 1498 fünfzehn Holzschnitte mit seiner ungewöhn­ lichen Interpretation der letzten Tage der Menschheit

bei seinem Paten Anton Koberger in Nürnberg drucken ließ, hätte der Erfolg dieser machtvollen Bilderzählung nicht größer sein können. (Abb. 1) Diese mitreißenden Szenen würden auf Jahrzehnte hinaus das Bild der Apokalypse prägen. Zwar war das Thema bereits in der Buchmalerei des 13. und 14. Jahrhunderts5 ausgiebig bildlich verarbeitet worden, doch kann man von diesen eher brav aufeinanderfolgenden Einzelsequenzen, die vermutlich auch die Apokalypse-­ Illus­ 6 trationen in Kobergers gedruckter Bibel beeinflussten (Abb. 2), keine als Vorbild für Dürers komplexen »Mahlstrom des Verderbens« reklamieren.7 Bereits wenige Jahre nach dem Erscheinen von Dürers Endzeitvisionen erschienen auch in Frankreich Adaptionen seiner Bildfindungen im Bordürenschmuck von gedruckten Stundenbüchern (Abb. 3). Als im Jahr 1485 eine Renovierung der Pariser Sainte-Chapelle8 nötig wurde, gab König Karl VIII. für das riesige runde Glasfenster in der Westfassade9 eine Apokalypse als Motiv in Auftrag.10 Doch nicht allein die Rückkehr des Heilands als schrecklichen, doch gerechten Richter erwartete man um das Jahr 1500, auch die Ankunft und das läster­

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Eine Prinzessin aus Geldern

4  Die Geburt des Antichristen, Stundenbuch für König Karl VIII., Paris um 1490

3  Zwei Bordüren mit Adaptionen nach Dürers Apokalypse, S. Vostre, Paris um 1505

liche Wirken des Antichristen war eine Realität im Gedankengut der spätmittelalterlichen Gesellschaften. Eine Stundenbuchhandschrift, die für oben erwähnten König Karl VIII. von Antoine Vérard in Auftrag gegeben worden war (Abb. 4), zeigt in einer Bildgeschichte in den Bordüren die Geburt und die üblen Taten des Antichristen, der von den Menschen fälschlich wie der Erlöser verehrt wird.11 Schauspiele, Hand-

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schriften und frühe Drucke dieser Zeit beschäftigen sich intensiv mit der Inkarnation von Christi Gegenspieler auf Erden. Für viele Kirchenreformer galten die Päpste mit ihrer demonstrativen Macht- und Prunkentfaltung ganz zweifellos als Inbegriff des Antichristen. Philippas langes Leben gewährte ihr die Kenntnis von nicht weniger als zehn – unterschiedlich beleumundeten – Päpsten. Alexander VI. aus der gefürchteten Familie der Borgia galt mit seinem offen zur Schau getragenen Liebesleben und Nepotismus und den bis heute kursierenden (allerdings unbewiesenen) Gerüchten von Inzest und Mord sicher nicht nur den strengen Verfechtern von Demut und Askese als Verkörperung des Bösen. Philippa von Geldern hat sich in der Ausübung ihrer eigenen Frömmigkeit stets von Enthaltsamkeit und Demut leiten lassen. Schon als Kind, so berichten frühe Biographen, erlegte sie sich einen wöchentlichen Fastentag auf und ertrug Krankheiten mit dem Hinweis auf das Leiden Christi tapfer,12 insofern kann kein Zweifel darüber bestehen,

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

5  Zeichen vor dem Jüngsten Gericht, Spiegel menschlicher Behaltnis, B. Richel, Basel 1476

wie ihre Einstellung gegenüber klerikaler Hybris und Machtstreben war. Dennoch geriet sie niemals in Versuchung, sich von der katholischen Kirche abzuwenden und einem reformatorischen Pfad zu folgen, sondern kämpfte im Gegenteil vehement gegen eine Lockerung der Ordensregeln in jenem Kloster, das sie bis zu ihrem Lebensende bewohnte. Wie sehr ihr persönliches Frömmigkeitsverständ­ nis von der Sorge um ein jenseitiges Leben bestimmt war, zeigen uns Einträge in auf uns gekommenen Büchern aus ihrem Besitz, die am Ende dieses Kapitels zitiert werden und in denen sie die Leser des Buches darum bittet, für ihr Seelenheil zu beten. Auch war ihr die ephemere Natur des irdischen Lebens natürlich bewusst, da sie sieben von ihren zwölf Kindern bei oder kurz nach der Geburt verlor. Abgesehen davon war der Tod in jenen Zeiten ohnehin über alle Gesellschaftsschichten hinweg omnipräsent. In zahlreichen gedruckten Werken, besonders in Stundenbüchern,13 aber auch im Spiegel menschlicher Behaltnis (Abb. 5)14 oder in der Kunst des guten Lebens und Sterbens15 tauchen Darstellungen von den Fünfzehn Vorzeichen

des Jüngsten Tags16 auf. Man beobachtete das Geschehen allerorts minutiös und argwöhnisch und deutete alle ungewöhnlichen Ereignisse, wie die oben beschrie­ benen Wunderzeichen, Seuchen, aber auch Wetterum­ schwünge und Naturkatastrophen, auf dieses bevorstehende Ende hin. Reiche wie Arme waren intensiv damit beschäftigt, sich auf den Tag des Gerichts vorzubereiten. Der sich rasant in ganz Europa verbreitete Letterndruck sorgte nicht nur für die Weiterleitung von schlechten Nachrichten, sondern förderte auch die Alphabetisierung von Gesellschaftsschichten, denen bis dahin das geschriebene Wort unerreichbar gewesen war, was nicht heißt, dass sich ein jeder ein gedrucktes Buch leisten konnte, aber die oben erwähnten Flugblätter und Einblattdrucke waren durchaus erschwinglich und wurden von Hand zu Hand weitergegeben. Auch aktuelle religiöse Strömungen, welche die Menschen zur Abkehr von Sünde und zu strengerer Gottesfurcht gemahnten, konnten über dieses neue Medium vermittelt werden. Die reformatorischen Gedanken, die Martin Luther Anfang des 16. Jahrhunderts mit Erfolg verbreitete, waren ja keineswegs ohne geistige Vorläufer: In England und Böhmen hatten John Wycliff und Jan Hus bereits mehr als hundert Jahre zuvor zu Reformen der Kirche aufgerufen und die Unfehlbarkeit des Papstes sowie des Klerus infrage gestellt. Beide Reformer geißelten den Prunk und die Verschwendungssucht der Kirche und predigten ein Leben der Bedürfnislosigkeit und Einfachheit. Ein dritter früher Reformer stammte aus den Niederlanden. Geert Groote aus Deventer begründete die einflusreiche Bewegung, die unter dem Namen Devotio Moderna (Neue Frömmigkeit) bekannt wurde. Auch Groote befürwortete ein Leben in Einfachheit und Armut, aus seiner Bewegung gingen die Laienbruderschaften der Brüder/Schwestern vom gemeinsamen Leben hervor, die das religiöse Leben im 15. Jahrhundert in den Niederlanden und in den niederrheinisch-­ westfälischen Gebieten, also genau jener Region, in der Philippa von Geldern zur Welt kam, entscheidend bestimmten. Und so scheint das Streben nach Demut und Mäßigung, das diese religiöse Bewegung propagierte, die Frömmigkeitsideale der jungen Philippa wesentlich beeinflusst zu haben. Auch wurde die Welt, in die Philippa hineinge­ boren wurde, von grandiosen Neuerungen und Ent­ deckungen bereichert. Der Buchdruck gehörte sicher zu den Wichtigsten, aber auch die Entdeckung neuer

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Zwischen Burgund und der fran­zösischen Krone – Philippas Abschied von Geldern

Erdteile durch Christopher Kolumbus und die damit verbundenen Berichte über die Existenz anderer Völker und Zivilisationen dürften die Gemüter heftig bewegt haben. Wie diese Faktoren eine ebenso kluge wie gebildete junge Adelige beeinflusst haben, dazu fehlen uns direkte Quellen, denn für die Forschung zu Geldern steht ihr Bruder Karl, der spätere Herzog, im Mittelpunkt,17 während wir zu ihrem Leben erst mehr erfahren, als sie bereits Herzogin von Lothringen geworden war. Ihre von geistlichen Autoren verfass­ ten Biographien sind eher dem Genre der Hagio­gra­ phie zuzuordnen und neigen dementsprechend zur religiösen Verklärung der frühen Jahre.18 Dennoch scheint die Vermutung nicht allzu vermessen, dass die kollektive Besorgnis um den geistigen und sitt­lichen Zustand der Welt und den mithin erzürnten Schöpfer in Philippa bereits in jungen Jahren ein tiefes Bedürfnis nach einem guten, frommen Leben erzeugte. Noch unmittelbarer geriet ihr Leben ins Wanken durch die Schicksalsschläge, denen ihre eigene Familie unterworfen war. Ihre Mutter, Katharina von Bourbon, starb im Jahr 1469, als die Zwillinge Karl und Philippa erst zwei Jahre alt waren. Daraufhin dürfte sich ihre Tante, Katharina von Egmond, vorübergehend um die Kinder gekümmert haben. Da aber Philippas Vater, Adolf von Egmond, in ständiger erbitterter Fehde mit seinem Vater, Arnold von Egmond, lebte, stürzte dieser Zwist das Herzogtum Geldern in tiefstes Unglück, das wohl nach dem Empfinden der damaligen Menschen wie ein Fluch auf der Familie zu lasten schien. Ob Vater oder Sohn die größere Schuld an diesem Zerwürfnis trug, ist aus heutiger Perspektive schwer zu entscheiden. Bezeichnend ist allerdings, dass Arnold nicht nur von seinem Sohn, sondern auch von seiner Frau, Katharina von Kleve, bekämpft wurde. Tatsächlich hatten unversöhnliche Rivalitäten zweier Anwärter auf die Führung im Land Geldern bereits in früheren Generationen begonnen. So erkannte um 1316 Graf Rainald II. von Jülich als Erster seinem Vater Rainald I. die Regierungsfähigkeit ab.19 Mit der Wahl Arnolds von Egmond durch die geldrischen Stände20 im Jahr 1423 war im Land ein Dynastiewechsel in der Landesführung vollzogen worden: Das Haus Jülich wurde durch das Haus Egmond ab­gelöst. Rückblickend gesehen eine unglückliche Entscheidung, denn Arnolds Hofführung, eine kostspielige kriegerische Auseinandersetzung mit dem benachbarten Herzog von Jülich, Adolf von Berg, welcher der andere Prätendent auf Geldern gewesen war, führten zu einer

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andauernden Finanzkrise, die zum Leitmotiv des Hauses Egmond werden sollte. Immer neue und höhere Steuerforderungen sowie vertragswidrige Verpfändungen gingen endlich den Landständen so über die Hut­ schnur, dass sie Arnold ab- und dessen Sohn Adolf als neuen Regenten einsetzten. Erschwerend zur Lage Gelderns kam hinzu, dass Grafen und Herzöge des Landes, gemeinsam mit den Herzögen von Burgund, Parteigänger der Engländer während des Hundertjährigen Kriegs waren. Somit waren Vater und Sohn den burgundischen Herzögen ebenfalls Loyalität schuldig. Arnold aber verriet die Burgunder, als er sich 1448 in einer militärischen Auseinandersetzung dem Lager des französischen Königs Karl VII. anschloss. Aus diesem Grund trachtete Phillip der Gute danach, Arnold abzusetzen und statt­ des­sen Adolf die Herzogswürde zuzusprechen, und so wurde im Jahr 1465 der alte Herzog von seinem eigenen Sohn gefangen gesetzt, was einige Empörung im Reich und auch im Vatikan hervorrief. Fatal für das geldrisch-burgundische Verhältnis war indes, dass auch Adolf sich mit der Zeit zum Gegner der Burgunder entwickelte und sich ebenfalls auf die Seite des französischen Königs schlug. Im Jahr 1471 setzte Karl der Kühne, der nun Herzog von Burgund war, den geldrischen Herzog Adolf gefangen und reinstallierte kurzfristig dessen Vater wieder im Amt. Aus moderner Sicht ein heilloses Durcheinander, was allerdings im Mittelalter keine Seltenheit darstellte, denn die politischen Fronten wurden ständig und überall gewechselt, je nach persönlichem Vorteil für den jeweiligen Herrscher. Nun allerdings verpfändete Arnold sein Herzogtum an den Burgunder und nach seinem Tod 1473 setzte Karl der Kühne sich endgültig selbst als rechtmäßigen Herzog von Geldern ein. Diese macht­ politische Entwicklung war angesichts von dessen unstillbarer Gier nach territorialer Expansion nicht überraschend, plante er doch, ein unabhängiges Königreich Burgund zu errichten. Befremdlich erscheint aus heutiger Warte allenfalls, dass die Häuser Burgund und Geldern trotz enger verwandtschaft­licher Verbindung einander nicht die Treue halten konnten. Herzog Philipp der Gute war Philippas Pate und Urgroßonkel, was auch den für ein Mädchen ungewöhnlichen Vornamen der jungen Herzogstochter erklärt. Ihr Vater Adolf war am Hof der Burgunderherzöge aufgezogen worden und hätte sich insofern dem Hause ebenfalls verbunden fühlen müssen. Allerdings befand er sich, was diese Form der Illoyalität anbe-

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

langt, in bester Gesellschaft, denn auch der franzö­ sische Dauphin, später König Ludwig XI., hatte während seiner vorübergehenden Flucht vor seinem Vater, Karl VII., von 1456 bis 1461 am Hof der Burgunder Schutz und Unterschlupf gefunden. Dennoch ent­ wickelte er sich nach seiner Krönung und erfolglosen Versuchen, sich Burgund einzuverleiben, zum erbittertsten Feind Karls des Kühnen. In jedem Fall begann im Jahr 1473 die Odyssee der jungen Philippa, die zunächst mit ihrem Bruder Karl als Geisel an den burgundischen Hof gebracht wurde.

Zwischen Burgund und der fran­zösischen Krone – Philippas Abschied von Geldern Und so wuchs sie unter der Obhut der Herzogin Margarete von York auf, gemeinsam mit deren Stieftochter Maria, die zehn Jahre älter als Philippa und ihre Cousine war. Denn wie bereits erwähnt, waren die Geschwis­ ter Egmond dem Hause Burgund verwandtschaftlich sowohl über die mütterliche als auch die väterliche Linie verbunden. Die Mutter war die Schwester von Karls zweiter Frau Isabella von Bourbon, und somit die Schwägerin des Herzogs. Philippas Großmutter väterlicherseits, Katharina von Kleve, stellte als Nichte von Philipp dem Guten die direkte verwandtschaftliche Linie von der Vaterseite her. Somit ist es gerechtfertigt, Philippa ebenso sehr als burgundische wie als geld­ rische Prinzessin anzusehen. Es ist davon auszugehen, dass die beiden jungen adeligen Damen von ihrer Erzieherin Margarete auf höfische und politische Führungsaufgaben vorbereitet wurden. Im Falle Marias war es zu jener Zeit ziemlich gewiss, dass sie die alleinige Erbin von ihrem Vater Karl dem Kühnen bleiben würde und die Geschicke des Herzogtums weit­ gehend in ihrer Hand liegen würden, sollte ihr Vater sterben. Dass Philippa und auch ihrem Bruder Karl bei Hof ein hoher Rang zugebilligt wurde, bezeugt die herausgehobene Position, die die Geschwister Egmond bei der Heirat von Maria von Burgund mit Ma­xi­mi­lian I. von Habsburg21 einnahmen, indem sie dem Brautpaar mit Kerzen voranschritten.22 Zur Zeit dieser umstrittenen Eheschließung23 war Karl der Kühne bereits in der Schlacht bei Nancy schmählich besiegt und gefallen, sein Leichnam verstümmelt und geschändet, dem allgemeinen Spott und der Verachtung preisgegeben.

An diesem Punkt hätte Geldern wieder an Adolf von Egmond zurückgelangen müssen, doch dieser fiel im August 1477 in der Schlacht vor Tournai. Hierauf übernahm Katharina von Egmond kommissarisch die Geschicke des Herzogtums Geldern, während ihr Neffe Karl noch nicht volljährig war und weiterhin von den Burgundern festgehalten wurde. Maximilian, der nun zwar nur de jure uxoris als Herzog von Burgund galt und an der Seite seiner Gemahlin Maria die Geschicke des Herzogtums leitete, hatte genau wie sein Schwiegervater, Karl der Kühne, ein Interesse daran, die beiden geldrischen Geiseln geschickt einzusetzen, um sich womöglich Geldern einzuverleiben. Dem setzte Katharina von Egmond allerdings heftigen Widerstand entgegen, da sie um jeden Preis das Erbe ihres Neffen erhalten wollte. 1477 hatte Johann von Kleve, der Großonkel von Philippa und Karl, um die Vormundschaft für die Zwillinge ersucht und eine Doppelhochzeit zwischen seinen Kindern und den beiden Nachkommen des Herzogs von Geldern vorgeschlagen, was allerdings durch den Wi­der­stand der Stadt Nimwegen vereitelt wurde. Im Jahr 1481 stimmte der französische König Ludwig XI. einem Vorschlag zu, Philippa mit dem Herzog Wilhelm von Jülich-Berg zu verheiraten. Im Gegenzug sollte ein Bündnis zwischen Jülich-Berg, dem Teil Gelderns, der von Katharina von Egmond regiert wurde, und der französischen Krone geschlossen werden, um den nieder­ ländischen Teil des burgun­ dischen Herzogtums zu schwächen. Philippa dürfte trotz komplett fehlender Mitgift eine begehrte Partie gewesen sein, denn ihre Zeitgenossen rühmten ihre Schönheit, Anmut und Klugheit. Überdies war sie in direkter Linie mit dem Haus Burgund verbunden und konnte enge verwandtschaftliche Beziehungen zu dem König von Schottland und dem Herzog von Bayern nachweisen. Doch als ihre Tutorin Maria von Burgund im März 1482 gänzlich unerwartet an den Folgen eines Reitunfalls stirbt, nimmt Philippas Leben eine neue Wendung. Sie verlässt den bur­gun­dischen Hof und reist im Gefolge der kleinen Margarete von Österreich, der Tochter von Maria und Maximilian, nach Frankreich. Die kleine habsburgisch-­burgundische Prinzessin war als Dreijährige dem 13-jährigen Dauphin Karl zur Ehefrau versprochen, eine Art fragiler »Waffenstillstand« zwischen den notorischen Widersachern Burgund und Frankreich. Margarete von Österreich und Philippa blieben zunächst in Schloss Amboise unter der Aufsicht der

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Königstochter Anne von Beaujeu, die bereits ein Jahr später nach dem Tod ihres Vaters Ludwig XI. zur Interimsregentin von Frankreich ernannt wurde. Höchst selbstbewusst und erfolgreich leitete sie diplomatisch die Geschicke ihres Landes und war auch nicht willens, nachdem ihr Bruder Karl VIII. die Volljährigkeit erlangt hatte, das Zepter aus der Hand zu geben. Von ihren Zeitgenossen wurde sie mit dem Ehrentitel »Anne, Roi de France« bedacht.24 Somit stand Philippa erneut einige Jahre lang unter dem Einfluss einer hochrangigen Dame, deren selbstverständliche Pflicht es war, sich der Regierungsgeschäfte ihres Landes mit Verstand und Kompetenz anzunehmen. Annes Gemahl, Pierre II. von Bourbon, war Philippas Onkel, der hoch in der Gunst des Königs Ludwig XI. stand und diesem, der zu seinem Lebensende hin stark gesundheitlich angegriffenen und paranoid war, als enger Vertrauter und Berater zur Seite stand. Im Jahr 1485 fand Anne von Beaujeu endlich den passenden Ehemann für ihren Schützling Philippa, nämlich René II. von Lothringen, den Helden von Nancy, der Karl den Kühnen so triumphal besiegt hatte.25 Offenbar war die junge Herzogstochter nicht sehr darauf erpicht, den Bund der Ehe einzugehen. Stattdessen hatte ihr ein Leben in einer klösterlichen Gemeinschaft vorgeschwebt, vermutlich inspiriert von ihren etwa gleichaltrigen Gefährtinnen am Hofe von Amboise, der jüngeren Prinzessin Jeanne von Valois, die von ihrem Vater dem Herzog Ludwig II. von Orléans26 förmlich als Ehefrau aufgezwungen worden war. Diese Heirat war von großer Lieblosigkeit geprägt und Jeanne hatte sich in eine tiefe Religiosität geflüchtet. Ihre Ehe sollte dann auch 1498 auf Betrei­ ben ihres Ehemannes annulliert werden, da er die Königin Anne von der Bretagne heiraten wollte.27 Eine weitere junge Frau, die am Hofe der Königin Charlotte von Savoyen weilte, war deren Nichte Louise,28 die ebenfalls ein schlichtes und gottesfürchtiges Leben bevorzugte und nach dem Tod ihres Mannes 1490 in das Klarissenkloster Orbe eintrat.29 Es scheint klar, dass Philippa am französischen Hof nicht nur die Führungsqualitäten der ältesten Königstochter erlebte, sondern auch im Umgang mit anderen Gefährtinnen die Geißel einer unglücklichen Ehe sowie einen sicher willkommenen Widerhall ihres eigenen, bereits in der Kindheit gelebten religiösen Empfindens erfuhr. Anne von Beaujeu befand sich indes in politischer Bedrängnis, denn einige hohe Adelige benachbarter Herzogtümer trachteten danach, sie als Regen-

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tin ab- und den schwachen und manipulierbaren Karl VIII. als König einzusetzen. Sie brauchte dringend einen durchsetzungsfähigen Verbündeten und diesen fand sie in René II. von Lothringen, dem sie die heiratsfähige und aus gutem Hause stammende Schutzbefohlene als Ehefrau anbieten und so eine tragfähige Allianz aushandeln konnte. Und da Philippa offenbar nicht nur fromm, sondern auch gehorsam war, folgte sie dem Willen der Regentin. Zu Philippas größtem Kummer galt es allerdings zunächst, eine René unliebsam gewordene, weil kinderlos gebliebene, Ehe mit Jeanne von Harcourt zu lösen, was ihr unter anderem angesichts des Schicksals ihrer Freundin Jeanne von Valois nicht den besten Eindruck von ihrem zukünftigen Gemahl verschafft haben dürfte. René reklamierte, dass seine Gemahlin nicht zum Vollzug der ehelichen Pflichten in der Lage sei, vermutlich eine vorgeschobene Behauptung, um der Bitte um päpstliche Annullierung des Sakraments Nachdruck zu verleihen. Das sollte sich allerdings als nicht ganz so einfach wie erhofft erweisen.

Herzogin von Lothringen und Königin von Sizilien Zum einen weigerte sich Jeanne von Harcourt entschieden, der Nichtigerklärung ihrer Ehe zuzustimmen. Zum anderen stand der mit dem Verfahren betraute Bischof von Toul, Antoine von Neufchâtel, Renés Ansinnen sehr skeptisch gegenüber, was wohl unter anderem daran gelegen haben mochte, dass er Burgunder war und dem Sieger über Karl den Kühnen nicht allzu große Sympathien entgegenbrachte. Und so delegierte Antoine von Neufchâtel die Entscheidung über die Auflösung von Renés und Jeannes Ehe nach Rom, was eine weitere zeitliche Verzögerung mit sich brachte.30 Zwar wurde die Verbindung schließlich am 9. August 1485 für nichtig erklärt, doch fehlte nach wie vor die offizielle päpstliche Bulle, die den Vorgang für rechtsgültig und abgeschlossen erklärte. Bevor diese im Januar 1489 eintraf, war Jeanne von Harcourt bereits am Ende des Vorjahres verstorben. Doch René hatte die schriftliche Bestätigung nicht abwarten wollen und so war die Ehe mit Philippa bereits am 1. September 1485 unter großen Feierlichkeiten in Orléans geschlossen worden. Als etwas mehr als drei Jahre später die offizielle Bestätigung vom Papst eintraf, hatte Philippa zwei Kinder geboren und ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, dem

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Herzog Nachkommen zu schenken. Allerdings waren diese beiden, Charles (1486) und François (1487), direkt nach der Geburt gestorben. Eine hohe Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit war in jener Zeit keineswegs ungewöhnlich. Anne von der Bretagne hatte ihrem ersten Gemahl, Karl VIII., sechs Kinder geboren, und nur eines davon erreichte sein drittes Lebensjahr, bevor es an Masern oder Röteln starb, so dass die Ehe letztlich ohne Thronfolger blieb. Insgesamt sollte Philippa zwölf Geburten durchmachen, doch nur fünf Söhne erreichten das Erwachsenenalter. Vermutlich war ihre offensichtliche Gebärfähigkeit für die Öffentlichkeit, die das Vorgehen des Herzogs gegen seine erste Frau heftig missbilligt haben mochte, Grund genug, um ihm Dispens für sein Fehlverhalten zu gewähren, denn Nachkommenschaft – zumal männ­liche – war für einen Herrscher unerlässlich.31 Die Tatsache, dass Philippa zwölf Schwangerschaf­ ten überlebte, spricht für eine robuste Gesundheit, denn in jener Zeit waren auch hochrangige Damen, die unter besseren hygienischen Bedingungen niederkamen und auf die Hilfe von Hebammen oder medi­ zinisch Geschulten zurückgreifen konnten, sehr gefährdet, an den Folgen einer Geburt zu sterben. Doch Philippa war bestrebt, nach bestem Vermögen ihr familiäres Leben zu gestalten, was ihr offenbar auch gelang. Nach anfänglichen Zweifeln, was von einem zukünftigen Ehemann zu halten sei, der sich umstandslos einer nicht »funktionierenden« Gemahlin entledigte, indem er sie öffentlich demütigte und denunzierte, schienen sich die Eheleute aneinander zu gewöhnen, sich wertzuschätzen und sogar zu lieben. Zweifellos wird es extrem schmerzlich für die junge Herzogin gewesen sein, sieben Kinder zu Grabe tragen zu müssen, aber fünf lebensfähig geborene Söhne waren eine enorme Leistung. Genau das dürfte sich der Herzog von seiner zweiten Gemahlin erhofft haben, denn einen Zuwachs an Territorien oder eine Mitgift hatte die Heirat letztlich nicht erbracht. Überdies mögen die Söhne der Herzogin als gutes Omen erschienen sein, gewissermaßen als Wink Gottes, dass der »Familienfluch der Egmonds«32 auf­gehoben war, denn neben der eingangs beschriebenen omnipräsenten Endzeitgewissheit dürfte es den Geschwistern Egmond explizit so vorgekommen sein, als stünde das Schicksal der Familie unter keinem guten Stern: Großvater und Vater hatten das Herzogtum praktisch verschleudert und vertan, die Mutter war früh verstorben, der Bruder immer noch als Geisel des Habs­

burgers handlungsunfähig, die beiden Zwillinge auf ungewisse Zeit getrennt, das nah verwandte Haus Burgund zerschlagen und dem Habsburger anheim­ gefallen. Insofern war ein positives Zeichen dem Herzogspaar sicher höchst willkommen. Für René war es außerdem von größter Bedeutung, Lothringen nach dem triumphalen Sieg über die Burgunder nach außen als starkes staatliches Gebilde zu repräsentieren, wofür er einiges an Propaganda aufbot, und eine reiche Nachkommenschaft war für dieses Projekt natürlich unabdingbar. Schließlich erbat Philippa von ihrem Mann, den Bund der Ehe ein zweites Mal, diesmal in aller Stille, zu bestätigen, nachdem die päpstliche Anerkennung der Annullierung in schriftlicher Form erfolgt war. Diese Erneuerung des Ehegelübdes fand am 11. Dezember 1488 in Nancy statt. Und so wurde aus der Herzogstochter aus Geldern die Herzogin von Lothringen und Bar sowie die Königin von Sizilien. Den Rang eines Königs von Sizilien und Jerusalem erbte René II. von seinem Großvater René von Anjou, was ihm allerdings keine Herrschaftsrechte sicherte, denn er war lediglich Titularkönig. In späteren Jahren wurde ihm überdies diese Ehrbezeichnung von König Karl VIII. aberkannt, der sich selbst als rechtmäßigen König von Sizilien und Jerusalem sah. Philippa aber blieb kurioserweise im Andenken ihres Volkes bis über den Tod hinaus Royne de Sicile.33 Obwohl der Diplomat und Chronist Philippe de Commynes keine guten Worte für René von Lothringen fand und ihn ein lächerliches Zerrbild Karls des Kühnen nennt,34 scheint der Herzog bei seinem Volk durchaus beliebt gewesen zu sein und den zweifel­ haften Eindruck, den er anlässlich der Verstoßung seiner ersten Ehefrau womöglich evozierte, hat sich in seinem weiteren Leben nicht verfestigt und bestätigt. Der Biograph François Henry beschreibt ihn als frommen, serenen und sozial eingestellten Herrscher.35 Analog zu Renés Großvater König René I. von Anjou, den sein Volk notre bon roi36 nannte, erhielt Philippa die liebevolle Ehrenbezeichnung notre bonne reine, die ihrem barmherzigen und fürsorglichen Wesen geschuldet war. Tatsächlich waren die karita­tiven Betätigungen ihre vorrangigen Aufgaben, und so kümmerte sie sich um die Nöte und Bedürfnisse der Menschen im Land, aber war sich offenbar auch nicht zu schade, bei der Speisung und Krankenpflege selbst aktiv zu werden, ganz nach dem Vorbild der heiligen Herrscherinnen Radegundis von Poitiers, Elisabeth

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von Thüringen oder Hedwig von Anjou. Einen sehr ähnlichen Weg wie Philippa beschritt übrigens ihre Schwägerin Margarete von Lothringen, die sich ebenfalls nach dem Tod ihres Gemahls René von Alençon und nach der Eheschließung ihres ältesten Sohnes in ein Klarissenkloster zurückzog und dort ihren Lebens­ abend verbrachte. Philippas offenbar sprichwörtlich gewordene Mildtätigkeit steht in einem rätselhaften Gegensatz zu dem von ihr gewählten Motto »Ne mi toques, il poinct!«37, begleitet von einer Distel und einer stacheligen Kastanienkapsel. Da sie dieses Devise offenbar direkt nach ihrer Heirat 1485 übernahm, könnte man sie als Replik auf den ersten Ehespruch ihres Gemahls verstehen, der zur Heirat mit Jeanne von Harcourt »ung pour jamais«38 verkündete, was sich bekann­ termaßen nicht bewahrheitete. Die Distel war nach Renés Sieg in Nancy zum Stadtsymbol geworden. Ob nun Philippa durch die Hinzufügung der stacheligen Kastanie eine Anspielung im Sinn hatte, dass mit ihr nicht ebenso wie mit Jeanne verfahren werden sollte, isteine (amüsante, aber nicht zu beweisende) Hypothese.39 An verschiedenen Indizien lässt sich jedoch ab­ lesen, dass das Zusammenleben von Philippa mit ihrem Gemahl anders ablief als die Koexistenz mit seiner ersten Frau Jeanne von Harcourt. Es scheint berechtigt, daran zu zweifeln, dass es allein die Kinder­ losigkeit war, die den Herzog dazu bewogen hatte, seine erste Ehe scheiden zu lassen. Zu Lebzeiten seiner Mutter, Yolande von Anjou, hatte René während seiner Abwesenheit vom Herzogtum die Verantwortung für das Land und die Entscheidungsgewalt in ihre Hände gelegt. Tatsächlich war Yolande die direkte Erbin des Herzogtums von Lothringen gewesen, nachdem ihr Neffe, Nicolas von Anjou, gestorben war, doch hatte sie diesen Titel direkt an ihren Sohn, der auch den Titel des Grafen von Vaudémont trug, weitergegeben. Yolandes einflussreiche Präsenz im Schloss von Nancy lässt sich vor allem an den Räumlichkeiten ablesen, die ihr vorbehalten waren. Tradi­tionell waren die Trakte, die der Herzog mit seinem Gefolge bewohnte, von denen der weiblichen Hof­bewohner getrennt. »Madame l’ancienne« bewohnte ihren eigenen Trakt mit diversen Räumen, die pri-vate und repräsentative Funktionen erfüllten. Auch Jeanne von Harcourt hatte diesen Frauentrakt bewohnt, allerdings besaß sie dort nur zwei Zimmer, was einerseits darauf hindeutet, dass sie im Rang deutlich unter der Herzoginmutter stand, ande-

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rerseits belegt, dass sie sich nur gelegentlich am Hof von Nancy aufhielt. Als Philippa in Renés Leben trat, war Yolande von Anjou bereits verstorben, und das Schloss, das die junge Herzogin bezog, war sehr renovierungs­ bedürftig, da es während der Burgunderkriege erhebliche Schäden erlitten hatte. Wie Tranié minutiös darlegt,40 wurde der Frauentrakt nach Philippas Bedürfnissen und Wünschen umgebaut, so dass »Madame la jeune« erstens wesentlich mehr Platz für ihre Be­ tätigungen und Aufgaben zur Verfügung hatte als die Mutter und die erste Frau des Herzogs zusammen. Zweitens ließ sie Verbindungsräume zu den Gemächern ihres Mannes einziehen und demonstrierte so auch dem Hof gegenüber eine größere Nähe und Verbundenheit zu ihrem Gemahl. Dass dieser das Selbstbewusstsein seiner jungen Frau durchaus schätzte, macht sich unter anderem daran deutlich, dass er dazu übergeht, die Landesgeschicke während seiner Abwesenheit in ihre Hände zu legen. Überdies besaß sie ein eigenes Budget, das ihr von René bewilligt wurde, mit dem sie ihre Hofdamen und ihre Reisen durch das Herzogtum finanzierte. Ihre Mitgift, die sie aus den oben angeführten Gründen nicht selbst mitbrachte, sondern die ihr vom Herzog mehrfach erhöht und angepasst wurde, betrug zuletzt ein beträcht­ liches Vermögen und Ländereien.41 Durch diese mehrfache Vergrößerung von Philippas Vermögen demons­ triert Herzog René seinen Ständen und Untertanen einmal mehr die Wertschätzung, die er seiner zweiten Frau entgegenbringt. Am 15. September 1493 schenkte er ihr die Stadt Pont-à-Mousson, in deren Schloss sie sich oft und gerne aufhielt und in deren Klarissenkloster sie ihre letzten Lebensjahrzehnte verbrachte. Auch trug René 1492 durch diplomatische Vermittlung und eine finanzielle Beteiligung von 33.000 oder 35.000 Gulden42 dazu bei, dass sein Schwager, Karl von Egmond, aus der französischen Kriegsgefangenschaft nach der Schlacht von Béthune freikam, an der er in Maximilians Auftrag 1487 teilgenommen hatte. Endlich konnte Philippas Bruder nach fast 20 Jahren Gefangenschaft in Burgund und Frankreich sein Herzogtum Geldern in Besitz nehmen. Dass die Herzogin nicht nur eine gottesfürchtige, sondern in jüngeren Jahren durchaus auch eine lebenslustige Frau war, die an höfischen Aktivitäten wie Jagden, Spielen, Triumphzügen etc. teilnahm, belegen einige Archivalien. Allerdings wird sie auch – bedingt durch die zwölf Schwangerschaften – viel Zeit zu-

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rückgezogen in ihren Gemächern verbracht haben.43 Von großem Prunk und Aufwand zeugen zeitgenössische Berichte der höfischen Feste, wie zum Beispiel die Taufen der Söhne. Beschrieben werden die Wandteppiche und andere kostbare Textilien, welche die Räume schmückten, die Kleidung, die Juwelen, das wertvolle Geschirr und Besteck. All diese Berichte deuten darauf hin, dass das Herzogspaar durchaus zu repräsentieren und seinen Wohlstand zur Schau zu stellen wusste. Andere Zeitzeugen sprechen von der Frömmigkeit und den Idealen der Mendikanten­ orden, denen René und Philippa nahestanden, was auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen scheint. Allerdings schließt die eine Haltung die andere nicht notwendigerweise aus: Das Herrscherpaar war zweifelsohne dazu verpflichtet, seinem Stand entsprechend zu repräsentieren, unter anderem auch, um den Menschen im Herzogtum Wohlstand und damit eine materielle Sicherheit zu suggerieren. Philippa scheint, wann immer es ihr möglich war, in ihrem Land gereist zu sein, 44 teils für alle sichtbar zu Pferd, teils in einer Sänfte, die ihre Erkennungszeichen Kastanie und Distel trug. Diese Reisen waren dazu angetan, Präsenz im Land zu zeigen, aber auf diese Weise konnte sie sich auch einen Überblick über die Stimmung und die Bedürfnisse der Menschen verschaffen und entsprechend handeln. Auch veranstaltete sie regelmäßig Pilgerfahrten, an denen sie und ihre Hofdamen teilnahmen. Eine Bittprozession im Jahr 1500 wird besonders erwähnt, die Philippa in Nancy ver­anstaltete, als Renés gesundheitlicher Zustand sich zusehends verschlechterte. Die Prozession startete an der Kirche St. Georges, die bis dahin die Grablege der lothringischen Herzöge gewesen war, und zog in einem Rundgang an allen Kirchen und religiösen Stätten der Stadt vorbei. Mitgeführt wurden alle heiligen Reliquien, die sich im Besitz des Herzogtums befanden, und der Klerus sowie die gesamte Bevölkerung beteten gemeinschaftlich für die Genesung des Herzogs. Philippa selbst folgte mit ihren Söhnen, alle Kerzen tragend, der Reliquie des Dorns aus der Dornenkrone Christi, der höchsten Reliquie des Herzogtums. Es wird berichtet, dass sie vor Verzweiflung während des Bittgottesdienstes zusammen­ brach, was, wenn man ihr keine Inszenierung unterstellen will, ein sicheres Zeichen dafür ist, dass die Beziehung zwischen ihr und René liebevoll und intakt war. Der Heilige, den sie selbst am häufigsten – und auch in diesem Fall – um Hilfe anflehte, war der Hei-

lige Claudius Abt von Condat und Erzbischof von Besançon, der Schutzheilige von Burgund und einer der meistverehrten Heiligen in Frankreich.45 Dass die Herzogin nicht allein aus Gründen der Repräsentation und der Wohltätigkeit das Land bereiste, belegt eine Mission im Mai 1494, wo sie nach Metz ging, um dort einen Friedensvertrag zwischen Lothringen und der Stadt zu ratifizieren.46 Kurze Zeit nach der oben geschilderten Prozession zur Genesung ihres Gemahls, im Jahr 1500, begab sich die Herzogin von Lothringen nach Lyon, wo sie den seit zwei Jahren amtierenden französischen König, Ludwig XII., und Anne von der Bretagne traf. Ludwig und Anne hatten bereits ein Jahr zuvor eine Einladung an die Herzogin von Lothringen ausgesprochen, der Philippa nicht nachgekommen war. Es steht zu vermuten, dass ihr der Sinn nicht danach stand, Ludwig wiederzu­sehen, der ihr noch aus ihrer Zeit in Amboise als Gemahl der oben erwähnten unglücklichen Jeanne von Valois bekannt war, die er zugunsten der Her­ zogin Anne von der Bretagne verstieß. Im Jahr 1500 ließ sich die königliche Einladung nicht mehr ignorieren, und ob ihr der Vorschlag Ludwigs willkommen war, ihren ältesten Sohn Antoine an seinen Hof nach Blois zu holen, um ihn dort zu erziehen, darf bezweifelt werden. Es wäre jedoch ein schwerer Affront gewesen, dieses Ansinnen abzu­ lehnen, und so erbat sie sich offensichtlich nur eine Bedenkzeit. Schließlich willigte sie ein, ihren Sohn in die Obhut des Königs und der Königin zu geben. Für Ludwig könnte unter anderem die Überlegung eine Rolle gespielt haben, sich auf diese Weise den zukünftigen Herzog von Lothringen und Bar als Verbündeten der Krone heranzuziehen. Für Antoine brachten die Jahre bei Hofe aber auch Vorteile, nämlich eine hervorragende staatsmännische und militärische Erziehung sowie beste internationale Beziehungen zu einflussreichen Angehörigen des Hochadels.

Herzoginwitwe und zeitweilige Regentin von Lothringen Im Jahr 1508 erlitt Herzog René II. von Lothringen einen Schlaganfall während der Jagd und starb kurz darauf. Zu jener Zeit zählte sein Sohn Antoine zwar erst 19 Jahre und war nach lothringischem Rechtsverständnis noch minderjährig, doch hatten Regenten anderer Geschlechter sehr viel jünger die Leitung ihrer Herr-

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schaftsgebiete übernommen.47 Gemäß der testamen­ tarischen Verfügung Herzogs René II. sollte seine Gemahlin bis zu Antoines Volljährigkeit die Regentschaft für das Land übernehmen. Doch die lothringischen Stände lehnten ab und erklärten den Nachfolger ihres verstorbenen Herzogs für regierungsfähig. Warum diese Entscheidung so dezidiert ausfiel, mag angesichts der Beliebtheit der Herzogin erstaunen. Vielleicht ist der Grund darin zu suchen, dass sich für den Geschmack der Ständevertreter in den vergan­ genen Jahrzehnten allzu viele Frauen aufschwangen, die Geschicke ihrer Länder mitzubestimmen. Da war die bereits genannte Interimsregentin von Frankreich, Anne von Beaujeu, die nicht freiwillig die Führerschaft ihrem Bruder Karl VIII. überlassen hatte. Margarete von York und ihre Stieftochter Maria von Burgund hatten nach dem Tod Karls des Kühnen das Herzogtum so gut es irgend ging vor den Begehrlichkeiten der französischen Krone zu schützen versucht. Anne von der Bretagne hatte es zwar nicht fertiggebracht, ihr Herzogtum dem König Frankreichs zu verweigern, aber durch ihre Heirat mit Karl VIII. und später Ludwig XII. behielt sie weiterhin den Einfluss und die Kontrolle über ihr Land. Margarete von Österreich war nach drei kinderlos gebliebenen Ehen als die Erzieherin der Kinder ihres Bruders Philipp des Schönen und als Statt­halterin der Niederlande eingesetzt worden und Louise von Savoyen, die Mutter des Königs Franz I., hatte einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf ihren Sohn und die französischen Regierungsgeschäfte. Wo man hinsah befanden sich Frauen zwar nicht de jure, aber de facto in einflussreichen Positionen und mischten sich in die Regierungsgeschäfte ein. Das mag den lothringischen Ständen durchaus missfallen haben, weswegen sie Antoine mit seinen 19 Jahren für voll­ jährig erklärten und ihn zum Herzog machten. Allerdings erhielt Philippa dann doch noch für etwa weitere sieben Jahre weitgehend die Verantwortung für ihr Land übertragen, denn Antoine folgte in dieser Hinsicht dem Vorbild seines Vaters und setzte seine Mutter während seiner häufigen Abwesenheit als stellver­ tretende Regentin ein. Ganz offensichtlich schätzte er ebenso wie dieser ihr politisches und diplomatisches Geschick und vertraute ihr, das Land in seinem Sinne zu leiten. Häufig unterlagen Schlichtung und Versöhnung ihrer Verantwortung, wie der oben bereits erwähnte Friedensvertrag von Metz oder ein sicher nicht unproblematisches Treffen zwischen den traditionellen Opponenten Ludwig XII. und Maximilian I. von

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Habsburg in ihrem Schloss in Mousson zu arrangieren, wobei ihr Biograph Henry betont, dass ihr der Wille zu herrschen abging, dass sie vielmehr wie eine gute Stellvertreterin ihre Aufgaben verwaltete.48

Schwester Philippa in Pont-à-Mousson Als Antoine im Jahr 1516 mit seiner Gemahlin Renée von Bourbon an den Hof von Nancy zurückkehrte, war Philippas Zeit als stellvertretende Regentin vorüber. Die neue Herzogin würde nun diese Aufgaben übernehmen. Die Herzoginwitwe widmete sich der Erziehung ihrer jüngeren Söhne und der Sorge um sie. Ihr Jüngster, François, war gerade zwei Jahre alt, als sein Vater starb, und somit testamentarisch gar nicht bedacht worden. Der Zweitälteste, Claude, war noch auf Betreiben seines Vaters gemeinsam mit seiner Mutter im Jahr 1507 von König Ludwig XII. eingebürgert worden, was bedeutete, dass beide damit auch Franzosen waren und Philippa im Kronland Besitztümer erwerben und weitervererben konnte. Ferner empfing Claude die väterlichen Gebiete in der Normandie, Picardie, in Flandern und im Hennegau. Jean und Louis waren bereits im zarten Kindesalter zu Titularbischöfen ernannt worden und auch François sollte eine klerikale Karriere einschlagen. Philippa präsentierte ihrem ältesten Sohn eine gewaltige Aufstellung dessen, was ihr nach ihrer Rechnung finanziell zustand. Dies stieß bei Antoine auf erheblichen Widerstand, aber Philippa blieb in diesem Punkt hart und nach zähen und unerfreulichen Verhandlungen erhielt sie schließlich das, was ihr vorgeschwebt hatte.49 Unmittelbar nach diesen Unterhandlungen pochte Philippa auf eine schriftliche Versöhnung zwischen Antoine und ihr‚ um der Mutterund der Sohnesliebe Willen (c’est sont les articles d’amour maternelle au fils, et de filiale à la mère …).50 Nachdem sie auf diese Weise drei Jahre lang ihre weltlichen Angelegenheiten in Ordnung gebracht hatte, zog sich Philippa im Jahr 1519 zurück und ging – für ihre Angehörigen offenbar komplett überraschend und unerwartet – in das Klarissenkloster in Pont-àMousson. Von dem Ansinnen der Herzogin, in ihr Kloster einzutreten, waren die Armen Klarissen, die noch nach der strengen Observanz lebten, nicht sehr erbaut, da sie befürchteten, dass mit der Aufnahme der hohen Dame, die überdies unter diversen Krankheiten litt, die von der Heiligen Colette wiedereingeführten strikten Regeln eine Lockerung erfahren würden. Die Äbtissin

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lehnte die Aufnahme Philippas tatsächlich ab. Darauf­ hin schickte Philippa, so berichtet es die Chronik der Armen Klarissen, eine Eildepesche an die Minoriten und bat um die Aufnahme einer »Dame von Rang« in das Klarissenkloster, da sie sich für jene besonders einsetze und bereit sei, für deren Mitgift aufzukommen. Wenig überraschend wurde dem Anliegen der Herzogin stattgegeben und so trat sie als »damoyselle de qualité« am 7. Dezember 1519, am Tage von Mariä Empfängnis, nun doch ins Kloster in Pont-à-Mousson ein. Ihre Söhne waren über diesen folgenschweren Schritt, der ihre Mutter für immer aus ihrer Welt reißen würde, schwer erschüttert. Besonders der Jüngste, François, der gerade zwölf Jahre zählte, war während der Aufnahmezeremonie kaum zu beruhigen und Philippa, die nach Berichten der Mitschwestern keine Miene verzog, gestand später, dass sie ebenfalls die Tränen kaum hatte zurückhalten können.51 François Henry berichtet, den Chroniken der from­ men Klarissen folgend, dass Philippa zu keiner Zeit nach Privilegien trachtete und das strenge und karge klösterliche Leben der strengen Observanz freudig auf sich nahm. Anders als anfänglich befürchtet, setzte sich Philippa sogar maßgeblich dafür ein, dass Lockerungen der Regeln, die in anderen Klöstern zu Beginn des 16. Jahrhunderts um sich griffen, in Pont-à-Mousson nicht eingeführt wurden. Am 8. Dezember 1520 fand ihr Profess statt; einige Monate zuvor hatte sie ihr Testament überarbeitet und gab alle noch verbliebenen weltlichen Gegenstände fort, vergaß dabei auch jene nicht, die ihr zu Zeiten, als sie noch Herzogin gewesen war, als Diener oder Angestellte nahegestanden hatten. Die einzigen Gegenstände, die sie ins Kloster mitnahm, außer ihrem Rosenkranz, ihrem Kruzifix und einem Brevier, waren einige weitere theologische Bücher, zumeist Handschriften. Wie umfangreich ihre private Bibliothek im Kloster war, ist nicht zu sagen, Quentin-Bauchard bezeichnet sie als »asketisch« und konnte im 19. Jahrhundert nur insgesamt elf Bände, davon acht Handschriften – auch das in dieser Monographie beschriebene Stundenbuch – rekonstruieren.52 Ihr Gehorsam, ihre Bescheidenheit und ihre strenge Askese werden von den frühen Biographen, besonders jenen, die aus geistlichen Kreisen stammten,53 stets betont. Dass diese Berichte, die schließlich nicht von Zeitgenossen, sondern etliche Jahre, wenn nicht Jahrhunderte nach dem Tod der Herzogin und Klarissin verfasst wurden, ein idealisiertes Bild der

hohen und frommen Dame transportierten, steht außer Zweifel. Diesen frühen Zeugnissen ist zu entnehmen, dass Philippa sich einen einzigen Akt des »Ungehorsams« leistete, als sie zur Äbtissin des Klosters avancieren sollte. In diesem Fall ließ sie nochmal ihre exzellenten Beziehungen spielen und bemühte Papst Leo X., der sie schriftlich von der Verpflichtung zur Klostervorsteherin befreien ließ. Ihre Begründung für diese strikte Weigerung lautete, sie habe in ihrem Leben genug geherrscht und sei ins Kloster gegangen, um fortan zu dienen. Ghislain Tranié, der im Zuge seiner weitreichenden Forschungen neue Quellen wie Rechnungsbücher und Korrespondenz der Herzogin erschlossen hat, liefert durchaus nuanciertere Informationen über das Klosterleben der Philippa von Geldern.54 Ihm zufolge kam Philippa schwer an Wassersucht leidend ins Kloster und erhielt aus diesem Grund sehr wohl einige Erleichterungen gegenüber den normalerweise geltenden Regeln der strengen Observanz, wie zum Beispiel ihre persönliche Bett­ wäsche. Sie hatte überdies zwei Bedienstete an ihrer Seite und es scheint auch nicht ganz den Tatsachen zu entsprechen, dass sie während ihrer Klosterzeit nach und nach von den chronischen Leiden genas. Tatsächlich mussten immer wieder Ärzte und Apotheker bestellt werden und offenbar gab es Zeiten, in denen sie das Bett gar nicht verlassen konnte. Erhaltene Briefe belegen, dass sie sich nicht gänzlich von der Welt zurückzog, sondern weiterhin mit ihrer Familie und ihrem Beichtvater in ständiger brieflicher Korrespondenz stand. Was angesichts des Insistierens früherer Biographen auf die strenge Observanz des Klosters und deren strikte Befolgung durch Schwester Philippa erstaunen mag, sind Berichte über – bisweilen recht luxuriöse und extravagante – Lebensmittel wie exotische Früchte, Zucker, Gewürze, Kuchen und an­ deres Gebäck, die nicht unbedingt den kargen Ordensregeln der Heiligen Colette entsprochen haben dürften. Auch fanden diverse Bankette statt, zu Ehren des Hl. Franziskus, der Hl. Klara, zur Unbefleckten Empfängnis Mariens und zum Fest des Apostels Philippus, dem Namenspatron der Spenderin. Zu jenen Festbanketten wurden Lebensmittel aufgetischt, deren Kosten beträchtlich waren; für das Philippsfest wurden Speisen für den Preis von umgerechnet 130 Arbeits­tagen eines lothringischen Steinmetzes verzehrt.55 Diese Politik des Spendens oder Schenkens,56 die Philippa sowohl vor ihrem Eintritt ins Kloster wie auch danach regelmäßig betrieb, sicherte ihr persön-

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Philippas kulturelles Vermächtnis

lich und ihrem Haus Lothringen ein Gedenken und ein Nachleben. Das dürfte ganz im Sinne eines Epitaphs gedacht gewesen sein, das zum Zweck hat, den Seelenfrieden des Stifters oder der Stifterin zu garantieren. Auch setzt sie ihren nach wie vor bestehenden diplomatischen Einfluss für die Verteidigung ihres Konvents ein, um eine drohende Reform und vor allen Dingen eine geplante Zusammenlegung der männ­ lichen und weiblichen Ordenszweige abzuwenden, die eine Unterordnung der Nonnenorden zur Folge gehabt hätte. Unter Berufung auf den französischen König und andere einflussreiche Freunde setzt sich die adelige Klarisse gegen die intendierten Ver­ände­r­ungen in ihrem Kloster zur Wehr, wobei sie sich besonders der Hilfe des damaligen Papstes Leo X. versichert. Auch gewährte der Papst jeder Person, die beim Profess der Novizin Philippa anwesend sein würde, vorausgesetzt sie habe gebeichtet, einen Ablass. Und so blieb Philippa von Geldern auch nach ihrem Eintritt ins Kloster und nach ihrem vorgeblichen Rückzug von der Welt eine politisch einflussreiche Figur von fast ikonischem Status. Dem Kloster gereichte ihre langjährige Anwesenheit, entgegen der anfäng­ lichen Befürchtungen, sicher nicht zum Nachteil. Nach verhältnismäßig qualvollen letzten Jahren, in denen sie nur noch eingeschränkt ihre klöster­lichen Pflichten verrichten konnte und sich schließlich ganz in ihre Zelle zurückziehen musste, starb Philippa von Geldern wohl an den Folgen eines Gallensteinleidens, das ihr erhebliche Schmerzen bereitet hatte. Ab etwa 1540 begann sich ihr gesundheit­licher Zustand immer mehr zu verschlechtern und zehn Tage vor ihrem Ableben, war sie so schwach geworden, dass sie das Bett nicht mehr verlassen konnte. Den Berichten nach starb sie bei den Klängen des Salve Regina am 28. Februar 1547. Bei ihrem Ab­leben hatte sie die Arme aus­ gebreitet und die Füße unlösbar gekreuzt, wie Christus am Kreuz. Um ihr Nachleben rankten sich manche Legenden von Wundertaten und Heilungen. Zu einer offiziellen Heiligsprechung dieser geliebten, klugen und fähigen Landesfürstin kam es indes nie. Die Welt war während Philippas langer Lebenszeit nicht untergegangen und das fromme, gottesfürchtige Leben der Herzogin und Nonne mag ihr den ersehnten Platz im Himmel gesichert haben. Die Welt, wie die junge Philippa sie gekannt hatte, war indes sehr wohl untergegangen, so sehr sie sich auch gegen Luthers Reformen und die neuen religiösen Lehren gewehrt hatte. Ihre Söhne hatte sie streng angewie-

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sen, diesen neuen aufrührerischen Gedanken keinen Raum zu geben und sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dennoch brach die Christenheit gegen Mitte des 16. Jahrhunderts in zwei Teile, die sich bisweilen bis aufs Blut bekämpften. Dürers eingangs erwähnte Apokalypse in leicht abgewandelter Form durch Lukas Cranach d. Ä. diente zur Illustrierung von Luthers Septembertestament.57 Fast 80 Jahre hatte Philippa auf Erden geweilt und ihr Herzogtum sowie die Ordnung ihres Klosters nach bestem Wissen und Willen gestaltet. Das Unaufhaltsame konnte sie dennoch nicht abwenden.

Philippas kulturelles Vermächtnis Philippas und Renés Mäzenatentum, ihre Bibliophilie und Liebe zur Kunst sind hinlänglich überliefert. René übernahm seinen Kunstsinn und seine Freude an Büchern und schönen Gegenständen vermutlich von seinem Großvater König René I. von Anjou, bei dem er aufwuchs und der berühmte Literaturzirkel abhielt, die besten Buch- und Tafelmaler förderte und sogar selbst dichtete. Georges Trubert,58 ein bedeutender Buch­ maler aus Troyes, der einst für König René I. tätig war, wechselte etwa 1491 an den Hof von dessen Enkel René II. Der Herzog war auch an Kartographie, an Naturwissenschaften und an der Druckkunst inter­essiert, die seit 1470 in Frankreich eingeführt worden war und die sich von Paris ausgehend schnell in an­deren französischen Regionen verbreitete. Obwohl uns dazu Zeugnisse und Belege fehlen, wird man wohl annehmen dürfen, dass Philippa bei ihrem langjährigen Aufenthalt am Hof von Burgund, an dem einige der schönsten bekannten Handschriften in Auftrag gegeben wurden, sowie am Hofe von Amboise, wo sie mit Anne von Beaujeu und Charlotte von Savoyen engen Kontakt zu zwei überaus kunst­ liebenden, bibliophilen Frauen hatte, sicher mit vielen hochrangigen Kunstwerken in Berührung kam. Ihre Biographen berichten übereinstimmend über ihre Freude an kostbaren Handarbeiten, was bei hochrangigen Damen des Mittelalters und der Renaissance durchaus nichts Ungewöhnliches war, doch scheint sie ein besonderes Talent für das Weben von Tapisserien und das Sticken mit Gold- und Silber­ fäden gehabt zu haben. Henry berichtet, dass ihr Webstuhl sie auf all ihren Reisen begleitete und dass sie sowohl für ihre eigenen Schlösser, als auch für Lo-

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

6  Grabskulptur der Philippa von Geldern (Gisant), L. Richier, 1548

thringer Gotteshäuser Wandbehänge und Paramente fertigte sowie die prächtigen Brokatkleider für ihre Söhne bestickte.59 Auch mag für Philippas Eifer bei den Nadelarbeiten eine Rolle gespielt haben, dass der Jungfrau Maria eine große Geschicklichkeit bei Handarbeiten zugeschrieben wurde. Zahlreiche Manuskripte des 15. Jahrhunderts zeigen die Gottesmutter als Tempeljungfrau am Webstuhl und das berühmte nahtlos gewebte Gewand Christi, um das die Schergen unter dem Kreuz würfelten, weil sie es nicht zerschneiden wollten, stammt der Legende nach von ihrer eigenen Hand. Einer der bevorzugten Bildhauer für das Herzogspaar war Mansuy Gauvain, bei dem René eine weithin berühmte, farbig gefasste Schutzmantelmadonna und Philippa das Grabmal ihres Gemahls für die Grablege der lothringischen Herrscher in Auftrag gab. Berühmt geworden ist Philippas eigene Grabskultur, ein sogenannter Gisant (liegende Figur), der von Ligier Richier in dreierlei Kalkstein erschaffen wurde (Abb. 6) und der überraschend lebenswahre Züge trägt, so als habe man nach einer Totenmaske der Klarisse gearbeitet. Dieser Gisant wurde von den Nachfahren Philippas, wohl von Kardinal Jean von Lothringen, in Auftrag gegeben, da ihm vermutlich die unscheinbare Grabstätte im Colettinenkloster unangemessen für seine berühmte Mutter erschien. In früheren Schriften, die sich mit dem Leben und den Devotionalien der Herzogin und Nonne befassen, ist auch die Rede von zwei lebensgroßen Skultpurengruppen, die in einer Kalvarien-Kapelle und einer Gethsemane-Kapelle

im Garten des Klosters aufgestellt waren. Beide Bildwerke sind heute nicht mehr dort, ob sie ganz ver­loren sind, oder ob man sie in anderem Kontext noch besichtigen kann, ist nicht gewiss. Eine Figurengruppe,60 die um 1530 datiert wird und in der man auch künstler­ ische Einflüsse Ligier Richiers erkennt, könnte mög­ licherweise aus der Ölberg- oder Gethesmane-Kapelle stammen. Allerdings ist die Ikonographie höchst ungewöhnlich, zeigt sie doch nicht wie üblich den be­ tenden Christus und die schlafenden Apostel, sondern stattdessen einen verzweifelten, vor dem Zusammenbruch stehenden Heiland, der von zwei seiner Gefährten gestützt werden muss. Diese einfühlsame Szene würde sehr gut zu Philippas Frömmigkeitsverständnis passen, das stark von der Iden­tifikation mit Christi Leiden, der Imitatio Christi, geprägt ist. Ein imposantes und repräsentatives, von Philippa von Geldern 1543 gestiftetes Werk ist der gemalte und geschnitzte monumentale Altar aus der zerstörten Colettinenkirche.61 Ihrer privaten Andacht diente ein bizarres Werk im flämischen Stil, ein auf Leinwand gemaltes und auf Holz appliziertes Kruzifix, das möglicherweise aus einem Kreuzigungsgemälde ausgeschnitten wurde.62 Uns interessieren im Rahmen der vorliegenden Monographie, die ein Stundenbuch der Philippa von Geldern zum Gegenstand hat, allerdings besonders ihre Bücher, vor allem natürlich die Handschriften. Es wurde bereits erwähnt, dass Philippa 1519 nur einige wenige Gegenstände zur persönlichen Andacht, nämlich ihr Brevier, ihr Kruzifix und ihren Rosenkranz,

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mit ins Kloster nahm, alle weltlichen Güter blieben in ihren Schlössern, bei den Mitgliedern ihrer Familie oder wurden an Bedienstete verschenkt. Eine Ausnahme bildeten allerdings eine Anzahl Handschriften, die sie ungeachtet ihres hohen Wertes in die Klausur mitnahm und damit ihre eigene kleine Bibliothek ausstattete. Das ist für eine »gewöhnliche Nonne« und einen »armen Erdenwurm«, als die sie sich stilisierte, absolut ungewöhnlich und dürfte im Kloster Pont-àMousson auch eher eine Ausnahme dargestellt haben. Dass die Bücher nicht von Beginn an in die Kloster­ bibliothek inkorporiert wurden, beweisen handschrift­ liche Einträge auf Vorsatzblättern etc., die entweder »Soeur Phelippe de Gheldre« – und eben nicht Duchesse Phelippe de Gheldre – als Besitzerin ausweisen oder ausführliche Einträge von anderer Hand, die besagen, dass jener Band von Schwester Philippa kurz vor ihrem Tod an diese oder jene Mitschwester bzw. die Oberin übereignet wurde. Somit haben sich die Bücher bis kurz vor Philippas Tod in ihren Räumen im Kloster befunden und wurden von ihr allein genutzt. Ernest Quentin-Bauchart beschreibt in seinem zweibändigen Werk über die bibliophilen Frauen Frankreichs,63 dass die private Bibliothek Philippas zunächst im Kloster verblieb. Er bezeichnet sie als une bibliothèque ascétique, vermutlich ausgehend von jenen wenigen Bänden, die er selbst noch ausfindig machen konnte. Bis zur Revolution 1789 blieben die Bücher in Pont-à-Mousson und wurden dann von der letzten Äbtissin des Klosters, Marie-Charlotte Barbel, vor der Zerstörungswut der Revolutionäre gerettet. Nach ihrem Tod bewiesen ihre Erben weniger Gespür und verkauften die Sammlung. Welchen Umfang diese Privatbibliothek einst hatte, weiß man nicht. Quentin-­ Bauchart machte elf Bände aus: 1. Le livre de la discipline d’amour divine, Paris, Regnault Chaudière, 151964 mit der handschriftlichen Notiz: Pour soeur Agnes de Mousson que Nre. Reverende Mere la Royne lui a donné. Später im Besitz von M. Gasson, Notar in Vigneuilles (Maas), Verbleib des Bandes unbekannt. 2. Le livre de vraye et parfaicte oraison, Paris, Jean Kerbriant für Chrétien Wechel, Paris, April 1530,65 mit handschriftlichem Vermerk: Soeur Phelippe Gheldres. Später im Besitz von M. Beaupré in Nancy, Verbleib des Bandes unbekannt. Das Vorhandensein dieses Büchleins in Philippas Bibliothek erstaunt sehr, ist es doch eine französische Adaption von Luthers Betbüchlein. Phil-

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ippas Abneigung gegen den Reformator und seine Ideen ist hinreichend belegt und somit fragt man sich, wieso sie ein von ihm ursprünglich verfasstes Werk besaß.66 3. François Le Roy, Le dialogue de consolation entre l’ame et la roison, Paris, François Regnault,67 mit handschriftlichem Vermerk: A Seur Phe. de Gheldres. Später im Besitz von M. Justin Lamoureux, M. Chartener (Metz), Edouard Meaume. Verbleib des Bandes unbekannt. 4. François Le Roy, Le dialogue de consolation entre l’ame et la roison, Handschrift auf Pergament, 240 × 160 mm68, 192 Blatt, mit handschriftlichem Vermerk: A Seur Phelippe de Gheldres. Später im Besitz von M. Le Blanc, Anwalt in Woël (Maas), tauchte 2015 wieder auf und wurde bei Sotheby’s ver­steigert (7. Juli 2015, lot 92). Interessant ist an dieser Handschrift, dass die einzige Miniatur, welche die Damen »Vernunft« und »Seele« zeigt, vom sogenannten Meister der Philippa von Geldern69 gemalt wurde, der seinen Notnamen nach dem ersten Band von Ludolph von Sachsens Vita Christi für das Herzogspaar erhielt (siehe unten Nr. 8). 5. Les dialogues de Saint-Grégoire le Grand, Handschrift auf Pergament, 190 × 130 mm, 209 Blatt, Miniaturen alle geraubt, ohne handschriftlichen Vermerk. Später im Besitz von M. Barthélemy, Billy-sous-lesCôtes. Verbleib des Bandes unbekannt. 6. Stundenbuch, Handschrift auf Pergament, 217 × 125 mm,70 91 Blatt, leicht inkomplett.71 Kein handschriftlicher Vermerk. Später in der Biblio­thèque publique von Saint-Dié, danach Marquis de Ville­ neuve-­Trans,72 heute Privatbesitz Deutschland; das im Zen­trum dieser Monographie stehende. 7. Missale/Temporale für das ganze Jahr, 320 × 240mm, 204 Blatt, mit handschriftlichen Vermerken Ex dono B. Principisse Philippe de Gheldres und Communitatis Sancte Marie majoris Liber pretiosus et con­ servandus und Liber quo ad horas sua devotionis or­ dinarie utebatur illustrissima principissa Philippa de Gheldres. Heute Bibliothèque publique Pont-àMousson. 8. Ludolph von Sachsen, Vita Christi, ins Franzö­ sische übersetzt von Guillaume Lemenand, Band  I. Handschrift auf Pergament mit Miniaturen des Meisters der Philippa von Geldern, Paris, c. 1506–1508, 360 × 245 mm. 334 Blatt. Mit einer ganzseitigen Widmungsminiatur der herzoglichen Familie und einem Widmungsgedicht für Philippa auf fol. 336r.

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

Im Jahr 1844 vom Pfarrer von Maidières in der Nähe von Pont-à-Mousson bei der Verwaltung seiner Diözese in Nancy hinterlegt; 1845 zugunsten der Restaurierung der Dorfkirche an Kardinal Bonald, Erzbischof von Lyon, verkauft, der es dem Kapitel der Saint-Jean-­ Kathedrale in Lyon vermachte.73 Bereits 1870 wurde es im Inventar des Domschatzes aufgeführt und wird seit 1911 in der Bibliothèque municipale von Lyon aufbewahrt.74 9. Ludolph von Sachsen, Vita Christi, Band II. des vorangehenden Titels, Handschrift auf Pergament mit Miniaturen des Meisters der Chronique Scandaleuse,75 Paris, c. 1506–1508. 355 × 250 mm. 333 Blatt. 1852 befand sich der vorliegende zweite Band in den Händen von M. Gasson, Notar in Vigneulles, dem auch weitere Handschriften aus der Bibliothek der Herzogin gehörten, danach Élise Gagnier aus Charey, Departement Meurthe et Moselle, bis Juni 1896; Henry Yates Thompson, Nr. 39 in seinem Katalog von 1898, Sotheby‘s  London, 3. Juni 1919, Los 10; Katalog der Librairie Théophile Belin Paris, 1926, o. Nr. Heute im Antiquariat Dr. Jörn Günther, Basel.76 10. La passion de Notre Seigneur selon les quatre Évan­ gelistes, Handschrift auf Pergament, Maße nicht vermerkt, 18 Blatt, mit handschriftlichen Einträgen: Je voy prie mes bonnes meres et seurs de ne jamais oublieie en voy devotes prieres sete pouer pescheres devant noter bon Dieu qui pour elle a soufert dure mort et passyon dont en ce liver et se mensyon lequel par obedience donne a la sant et devote commenaute la pouer et indine religieuse seur pe de Gheldres. Und darunter in einer anderen Handschrift: Nostre sainte Mere la bonne Reine de Cicile a ecris ce que desus des ces propre mains. Sa este elle qui a institue de dire la passion de Nre Seigneur tout les vendredy apres complie, car elle y estoy extremement devote. Später in der Bibliothek M. Gasson. Verbleib des Bandes unbekannt. 11. Horloge de la Passion de Jésus-Christ. Hand­schrift auf Pergament, in-16° (genaue Maße nicht vermerkt), 4 Blatt, mit handschriftlicher Notiz: L’an mil Ve xix fut receupie au couvent de saincte Claire du Pont à Mo(u)sson n(ot)re tres-revere(n)de mere seur Phelippe de Gheldres, jadis Royne de Cecille et de Jheruslae(m), duchesse de bar, de lorraynne et de calabre, et trespassa au dit couvent lan mil Ve xlvii, le xxvje iour de febvrier. Pries Dieu pour sa belle ame. Später im Besitz von M. Chartener aus Metz (Vente

Labitte, 1885, Nr. 66), verkauft an M. Édouard Meaume. Verbleib des Bandes unbekannt. Abgesehen von diesen elf bei Quentin-Bauchart und teilweise bei Henry und Tranié aufgeführten Werken gibt es noch weitere, die Philippa wohl ebenfalls mit in das Kloster nahm. Zu diesen sehr exklusiven Manuskripten gehören: 12. Stundenbuch, Angers, ca. 1470. Handschrift auf Pergament mit Miniaturen vom Meister des Genfer Boccaccio, 128 × 97 mm, 63  Blatt, dieses exquisite Stun­denbuch wurde bereits für Yolande von Anjou, Renés Mutter, angefertigt. Der Herzog machte es vermutlich seiner zweiten Frau anlässlich ihrer Hochzeit zum Geschenk. Heute in New York, Pierpont Morgan Library.77 13. Diurnale für René II., Lothringen, ca. 1492–1493. Handschrift auf Pergament mit Miniaturen von Georges Trubert, 247 × 165 mm, 227 Blatt. Auf fol. 226 dieser Handschrift befindet sich ein ausführ­ licher Eintrag aus dem 16. Jahrhundert, der besagt, dass dieses Diurnale am Tag von Mariä Empfängnis 1519 im Besitz der tres reverende et devote seur phe de gheldres, jadis Royne de cicille etc. ins Kla­ rissenkloster Pont-à-Mousson gelangte und dass diese Handschrift nach dem Tod der saincte dame et royne dort verblieb; dazu liefert die Schreiberin genaue Anweisungen, wie für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten sei. Heute in Paris, Bibliothèque nationale.78 14. Brevier für René II. Lothringen, ca. 1492–1493, Handschrift auf Pergament in zwei Bänden Band 1: 267 × 182 mm, 422 Blatt, Band 2: 263 × 182 mm, 427 Blatt. Heute in Paris, Bibliothèque de l’Arsenal und Petit Palais, Sammlung Dutuit.79 Eine Besonderheit stellt eine Gruppe von »Lehr­büch­ ern« dar, die Philippa in Auftrag gab, etwa zu jener Zeit, in der René verstarb. Diese sechs Bände waren für ihren 19-jährigen Sohn Antoine bestimmt, vermutlich als eine Art »Fürstenspiegel«, also als Anleitung für das gute, gerechte und verantwortungsvolle Ver­ halten eines Landessouveräns: 15. Plutarch, Leben des Romulus Catos des Jüngeren in der französischen Übersetzung von Simon Bourgouyn, Handschrift auf Pergament illuminiert von drei Pariser Künstlern, nämlich dem Meister der Philippa von Geldern, Jean Coene IV., und einem dritten Buchmaler aus dem Umkreis von Jean Pi-

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chore. Diese Handschrift, wie auch die meisten anderen zu dieser Gruppe gehörenden, wird eröffnet mit einem ganz­seitigen Wappen der Herzöge von Geldern. Paris, um 1508. An dieser Handschrift hat u. a. derselbe Künstler mitgearbeitet, der auch die gesamte Dekoration in unserem Stundenbuch gemalt hat. Bis vor wenigen Jahren war diese Handschrift unbekannt. Heute befindet sie sich in Privatbesitz.80 16. bis 18. Drei weitere Manuskripte, eines davon in zwei Bänden, die zu dieser Reihe von Lehr- und Erbauungsbüchern für den heranwachsenden Herzog gedacht waren, befinden sich in Wien.81 Es handelt sich um eine zweibändige Version der Petrarca-­ Triumphe. 19. bis 20. Zwei Bände der Lehrbücher für Antoine de Lorraine befanden sich einst in der Sammlung Phillipps ms. 3109 und 3110, erstes gehört nun der englischen Königin: Royal Inv. 1047552, bei dem zweiten ist der Verbleib heute unbekannt. Diese beeindruckende Reihe von teilweise überaus reich und verschwenderisch mit gemalter Dekoration ausgestatteten Manuskripten belegt anschaulich, welch hohen Stellenwert Theologie in Wort und Bild, aber ebenso sehr die Literatur und die Philosophie im Leben der Philippa von Geldern hatten. Über die Gesamtheit der Bibliothek haben wir keine Kenntnis, wir können uns nur an den oben aufgeführten, überlieferten Bänden orientieren, aber diese sprechen dafür, dass für Bücher ein beträchtliches Vermögen ausgegeben wurde.

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Es ist sehr bezeichnend, dass Philippa die aufwändig gestaltete Reihe von Handschriften für die Geistes- und Herzensbildung ihres Sohnes in Auftrag gab, besonders angesichts des Umstands, dass zu jener Zeit durchaus auch gedruckte Bücher zur Ver­fügung gestanden hätten. In Paris gab es mit Antoine Vérard einen Verleger und Buchhändler, der sich auf literarische Ausgaben mit illustrierenden Holzschnitten spezialisiert hatte. Auf Wunsch wurden einzelne Exemplare sogar von ihm auf Pergament gedruckt und durch handgefertigte Miniaturen ergänzt, so dass diese Luxusexemplare kaum mehr von Handschriften unterscheidbar waren.82 Dennoch bevorzugte die Herzogin Handschrif­ ten für ihren Sohn, für die sie die enormen Kosten nicht scheute. Obwohl die früheren geistlichen Biographen wie auch die heutige Forschung stets betonen, dass zentrale Leitmotive in Philippas und Renés Leben Demut, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit waren und hö­fischer Prunk nur aus repräsentativen Zwecken zur Anwendung kam, weil dies nun einmal von einem Herzogpaar so erwartet wurde, hatten Bücher, egal ob sie zur persönlichen Andacht dienten, zur Bildung oder zur Unterhaltung, einen besonders hohen Stellenwert in den Augen des Herzogpaares. Im folgenden Kapitel wird nun ein ganz besonderes Andachtsbuch, das persönliche Stundenbuch der Philippa von Geldern, das sie sich selbst nach ihrem eigenen Geschmack und ihren Wünschen hat anfertigen lassen, vorgestellt.

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

1 Über Philippas Geburtsjahr gibt es unterschiedliche Angaben. Bis vor wenigen Jahren wurde angenommen, dass sie das älteste Kind von Adolf von Egmond und Katharina von Bourbon sei, die Angaben über ihr Geburtsjahr divergierten zwischen 1463 und 1464. Der Historiker Ghislain Tranié geht jedoch davon aus, dass Philippa und Karl von Egmond als Zwillinge am 9. November 1467 zur Welt kamen. Diese These ist nachvollziehbar, da die Ehe von Adolf und Katharina erst im Dezember 1463 geschlossen wurde und Katharina nach der Hochzeit noch drei weitere Jahre in Brügge blieb, bis sie zu ihrem Mann nach Schloss Grave zog. Vgl. Tranié, S. 195, FN 2. 2  GW 05034, VE15, B-81. 3  Bartsch, Nr. 95; Meder, Nr. 82; Mende/Scherbaum/Schoch, Nr. 8. 4  Meder, Nr. 264. 5  Paris, BnF, fr. 403 von ca. 1245–55, Oxford, Bod., Auct. D. 4.17 von 1255–60, New York, PML, M 524 von c. 1255–60, um nur einige Beispiele zu nennen. 6  Die sogenannte neunte deutsche Bibel vom 17. Februar 1483 (GW 4303). 7  Lediglich eine niederländische Handschrift der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die sich heute in Paris befindet (BnF, néerl. 3) oder ein heute verschollenes Werk nach ähnlichem Vorbild könnte Dürer möglicherweise gekannt haben und ihn zu seinen phantas­ tischen kombinierten Bilderzählungen inspiriert haben. 8  Archives nationales, LL 621, fol. 121v; Nettekoven 2004, S. 25 und FN 67. 9  Von Westen wurde die Wiederkehr des Erlösers erwartet. 10  Nettekoven 2004, S. 7–24. 11  Nettekoven 2016, S. 132 ff. 12  Henry, S. 4. 13 Nettekoven 2004, S. 89, Abb. 236; Zöhl in: Horae B.M.V. 2015, S. 4154 ff. 14  Spiegel menschlicher Behaltnis, Basel, Bernhard Richel, 31. August 1476, GW M43016. 15 Art de bien vivre et de bien mourir, Antoine Vérard, 14. Febr. 1493/94, GW 2587. 16  Zu diesem Thema: Daniela Wagner, Die Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht. Spätmittelalterliche Bildkonzepte für das Seelenheil, Berlin 2017. 17 Johannes Stinner (Hg.)/Karl-Heinz Tekath, Gelre – Geldern – Gelderland. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern, 2 Bde. Aufsätze und Katalog, Ausst.-Kat. Geldern 2001. 18  Eine erschöpfende Auflistung dieser Schriften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert liefert Tranié, S. 591–592. 19  Janssen, S. 18 ff. 20  Das Recht, sich per Wahl unter den erbberechtigten Anwärtern für einen Landesfürsten zu entscheiden, hatten sich die geldrisch­ en Stände seit dem Jahr 1418 erkämpft. Janssen, S. 22. 21  Die Hochzeit fand am 19. August 1477 statt. 22  So berichtet Olivier de la Marche; vgl. Tranié, S. 196. 23 Viele hohe Amtsträger in Burgund waren strikt gegen diese Eheschließung. Von den Ränken und Intrigen, die man versuchte, gegen Maximilian zu spinnen, erzählt in übertragener Form Maximilians Buch »Theuerdank« »Die geverlicheiten und eins teils der geschichten des loblichen streytparen vnd hochberümbten helds und Ritters herr Tewrdanncks«. Schönsperger, Nürnberg 1517, (VD16 M 1649, USTC 633810). Hier wird von der fiktiven Brautfahrt zu Prinzessin Ernreich (Maria von Burgund) berichtet, bei der der Ritter Theuerdank (Maximilian) von den drei Schurken Unfallo, Neidelhard und Fürwittig immer wieder in Gefahr gebracht und an der Fortsetzung der Reise gehindert wird. 24  Jehanne D’Orliac hat ihrer Biographie der Regentin diesen Titel gegeben: Anne de Beaujeu. Roi de France, Paris 1926. 25 Interessanterweise hatte auch René anfänglich, ähnlich wie Philippas Großvater und Vater, zwischen der Loyalität zu Burgund und Frankreich geschwankt. Nachdem er einige Jahre mit Phillip

dem Guten und Karl dem Kühnen paktiert hatte, wechselte er die Seiten und kämpfte an der Seite der Krone und der Eidgenossen gegen Karl den Kühnen und besiegte ihn. 26  Später König Ludwig XII. von Frankreich und zweiter Gemahl Annes von der Bretagne. 27  Johanna gründete wenige Jahre vor ihrem Tod 1501 den kontemplativen Orden der Annuntiantinnen, dem sie 1504 selbst bei­ trat. Johanna von Valois wurde 1743 selig- und 1950 heiliggesprochen. 28  Gemahlin von Hugo II. von Chalon, nicht zu verwechseln mit jener Louise von Savoyen, die später die Königinmutter von Franz I. werden sollte. 29  Louise wurde 1839 von Papst Gregor XVI. seliggesprochen. 30  Henry, S. 14. 31  Missbilligend äußert sich z. B. der Chronist aus Metz, Jean d’Aubrion, dazu: ›man hat es nie gesehen, dass eine Ehe getrennt werden könne, damit sich eine der Parteien neu verheiraten kann ...‹, zitiert und paraphrasiert nach Tranié, S. 240. 32  Tranié, S. 198. 33  Königin von Sizilien. 34  Philippe de Commynes, Memoires, Bd. III, Buch 5. 35  Henry (S. 19, FN 8) verweist auf eine Aussage des Kardinals und Historiographen Mathieu, der schreibt: Famille adoré où jamais personne n’a été cruel ni fier, où jamais personne n’a refusé un secours à l’infortune et que tous les Lorrains considèrent comme la leur, tant ils en épousent les douleurs et les joies! (Eine geliebte Familie, in der niemand jemals grausam oder hochmütig war, in der niemand jemals einem Unglücklichen seine Hilfe verweigert hat, und die alle Lothringer als die ihre betrachteten, so sehr unterstützen sie ihre Schmerzen und Freuden!) 36  »Unseren guten König.« 37  Etwa: »Rühr mich nicht an, ich steche!« 38  In Abwandlung auch »Une pour toutes, à jamais”, also in etwa übersetzt »eine für alles, für immer«. 39 Ghislain Tranié (2018, S. 203–204) formuliert hier allerdings eine gegenteilige Auffassung und legt dar, dass die Distel nach dem Sieg von Nancy 1477 als Stadtsymbol fungierte und ebenfalls im Geschlecht der Anjou eine wichtige Rolle spielt, so zum Beispiel im Coeur d’amour épris, der Dichtung vom »Liebentbrannten Herz« des René von Anjou. Somit wäre die Distel, vereint mit der stacheligen Kastanie, eher eine Adaption des Lothringischen Familienwappens. 40  Tranié, S. 206 ff. 41  Tranié, S. 235 ff. 42  Die Zahlen divergieren bei den verschiedenen Biographen. 43  Tranié, S. 213 ff. 44  Allerdings scheint Philippa nie wieder ihre ursprüngliche Heimat Geldern besucht zu haben. 45  Ihr 1496 geborener Sohn trägt den Namen ihres bevorzugten Heiligen. Claude von Lothringen begründet das Geschlecht der Herzöge von Guise und wird erster Herzog von Aumale. 46  Tranié, S. 222. 47  In Lothringen wurden die Bürgerlichen erst mit 20 Jahren volljährig, für den Hochadel waren diese Regeln allerdings dehnbar und nach französischem Recht erlangen Herrscher bereits mit dem 14. Lebensjahr Großjährigkeit. 48  Henry, S. 27. 49  Sie beanspruchte unter anderem alle Einnahmen, die während ihrer Regentschaft vom 10. Dezember 1508 bis Februar 1509 angefallen waren. Zwölftausend Francs für den Unterhalt ihres jüngsten Sohnes François, zehntausend Livres tournois auf die von Ludwig XII. an René bewilligte und erst ab 1509 an Antoine zahlbare Rente. Mit einem auf den 23. August 1516 datierten Patentbrief gewährte Antoine seiner Mutter 10.000 Francs barrois aus der ersten Zahlung der Stände; außerdem würde er ihr für den Rest seines Lebens den Besitz der Ländereien von Clermont-en-Argonne abtre-

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Anmerkungen

ten, mit Ausnahme der beiden Propsteien von Varennes und Montignon. Zitiert nach Henry, S. 63. 50  Tranié, S. 243. 51  Si Dieu ne m’eût gardé, ce petit gars m’eût fait pleuré. (Wenn Gott mir nicht beigestanden hätte, hätte der kleine Kerl mich sicher zum Weinen gebracht). Henry, S. 70. 52  Philippe de Gueldre avait laissé une bibliothèque ascétique dont les volumes furent pieusement conservés par les soeurs de Sainte-Claire jusqu’au moment où éclata la Revolution. (Philippa von Geldern hinterließ eine asketische Bibliothek, deren Bände von den Klarissen bis zum Ausbruch der Revolution fromm aufbewahrt wurden.) Quentin-Bauchart, Bd. II, S. 368. 53  Vgl. Anm. 18. 54  Tranié, S. 324 ff. 55  Geneviève Bertrand-Didelon, Philippe de Gueldre, princesse et moniale, in: Études franciscaines, 51, 1939, Nr. 290–293, S. 396–397. 56  Tranié, S. 329 ff. 57  VD16, B 4318; USTC 627910. 58  Avril/Reynaud, S. 377–384; Reynaud. 59  Henry, S. 30. 60  Musée de Lorrain in Nancy, Brachmann, S. 370, Abb. 8. 61  Saint-Laurent, Pont-à-Mousson. 62  Vandœuvre-lès-Nancy, Privatbesitz. Abgebildet bei Brachmann, S. 363, Abb. 2. 63  Quentin-Bauchart, Bd. 2, S. 367–374. 64  USTC 26400; Brachmann, S. 366. 65  USTC 73315 verzeichnet ein einziges vorhandenes Exemplar in Paris, Bibl. de l‘École des Beaux Arts unter der Signatur: Les 414; Brachmann, S. 366. 66  Diese Frage wird auch diskutiert bei Tranié, S. 384 ff. 67 Lt. Brachmann gedruckt 1537, S. 366; USTC 65069 kennt von Regnault nur eine Ausgabe aus dem Jahr 1505, von der offenbar nur ein einziges Exemplar in der Lincoln College Library in Oxford bekannt ist. Die 1537er Ausgaben stammen von anderen Druckern. 68  Bei Quentin-Bauchart abweichende Maßangabe: 250 × 170 mm; auch beschreibt er den Einband als »velours noir«, all das deutet

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darauf hin, dass er die Bücher nicht unbedingt selbst in Augenschein genommen hat, sondern sie aus Beschreibungen kannte. 69  Avril/Reynaud, S. 278–281; Zöhl 2015a. 70 Den korrekten Maßen und der ungewöhnlich ausführlichen Beschreibung nach zu urteilen, kannte Quentin-Bauchart diese Handschrift offenbar aus eigener Anschauung. 71  SDBM, MS_8394; siehe ausführliche Beschreibung in Kapitel 2. 72  Lt. Henry, S. 94, FN 21 weiterhin im Besitz von Maurice Barres und später dessen Sohn Philippe Barres. 73  Guillaume 1852, S. 390–391. 74  Ms. 5125, Avril/Reynaud, S. 278, Nr. 152 mit weiteren Literaturhinweisen; Nettekoven 2007, S. 14; Zöhl 2015a. 75 Benannt nach einem Manuskript in Paris, BnF, Collection Clairambault, Nr. 481; Avril/Reynaud, S. 274 ff. Zum Künstler Zöhl 2015b; Nettekoven/Zöhl 2016. 76  Pagina Sacra, Bibles and Biblical Texts 1050–1511, Dr. Jörn Günther, Kat. 10, Stalden 2011, no. 21. 77  M. 263 (bei Tranié irrtümlich M. 163). 78  Lat. 10491, Avril/Reynaud, S. 378–380, Nr. 215. 79 Band 1: BA, Paris, Petit Palais, Ms. Dutuit 42. Avril/Reynaud, S. 380–382, Nr. 216. Trainé, S. 351, äußert die Vermutung, dass dieses Brevier zwar vom Herzog in Auftrag gegeben wurde, aber als Geschenk für die Herzogin gedacht war. Tatsächlich ist in den frühen Biographien die Rede davon, dass Philippa unter ihren wenigen Besitztümern ihr Brevier ins Kloster mitnahm, aber ob es sich tatsächlich um dieses überaus reiche und kostbar ausgestattete Manuskript handelte, ist fraglich. Diese Art von Luxus-Codices wurde eigentlich nicht für das tägliche Stundengebet verwendet. 80  Nettekoven in: Collecting Culture, Dr. J. Günther, Broschüre 19, Nr. 18 mit 6 Abbildungen. 81 ÖNB Cod. 2565 (Ovid), 2581, 2582 (Petrarca) und 2587 (Pseudo-­ Plutarch). 82  Mehr dazu in Kapitel 4.

Beschreibung der Handschrift

Unter einem Stundenbuch, wie das hier vorliegende der Herzogin von Lothringen, versteht man ein Gebetbuch mit charakteristischen, für diesen Buchtyp konstitutiven Textpassagen. Der namengebende und somit wichtigste Teil ist das Marienoffizium, das in acht Partien eingeteilt ist, die auch Stunden, auf Latein Horae (Französisch Heures) genannt werden. Der Aufbau dieser auch als Horarien bezeichneten Bücher beruht auf dem Vorbild des monastischen Breviers. Im späten Mittelalter manifestierte sich bei religiösen Laien das Bedürfnis, genau wie die Mönche und Nonnen den Tagesablauf von Gebeten gliedern und begleiten zu lassen. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass sowohl die Anschaffung eines handgeschriebenen und zudem meist mit Buchmalereien geschmückten Codex als auch die Angewohnheit, das alltägliche Tun alle drei Stunden für eine ausführliche Gebetssequenz zu un­ter­ brechen, nur bestimmten gesellschaftlichen Schichten vorbehalten sein konnte. Ob die Besitzer von solchen Stundenbüchern sich tatsächlich mehrmals täglich, wie Klosterbewohner, ihrer Gebetspraxis widmeten, wird von Fall zu Fall unterschiedlich gewesen sein. Zweifellos aber sind diese Werke nicht gleichzusetzen mit den Mess- oder Gesangsbüchern, die heute noch während des Gottesdienstes benutzt werden, denn Stundenbücher waren tatsächlich primär für die tägliche private Andacht und nicht für die offizielle Zelebrierung der Messe gedacht. 33

Ein weiterer Zweck, den diese Bücher erfüllten, ist ein ästhetischer. Obwohl es Stundenbücher auch als reine Texthandschriften ohne Miniaturen gibt, waren die meisten illustriert, einige sogar unglaublich reich. Könige, Fürsten, Angehörige des Hochadels gefielen sich darin, die bedeutendsten Buchmaler ihrer Zeit zu beauftragen, um ihre privaten Andachtsbücher so reich und so originell wie möglich zu gestalten. Die besten Buchmaler waren bei Hofe hoch angesehen, erhielten nicht selten den Titel des Hofkünstlers und bisweilen auch noch andere hohe Ämter verliehen, zum Beispiel das des Kammerherrn. Einer der bedeutendsten bibliophilen Sammler des 15. Jahrhunderts, der auch heute noch häufig genannt wird, war der Herzog Jean von Berry, dem einige der atemberaubendsten Stundenbücher gehörten, unter anderem die Très riches heures 1 (also die »sehr reichen Stunden«), die von den aus Nimwegen stammenden Brüdern von Limburg ausgemalt wurden und zu dem Schönsten gehören, was die spätmittelalterliche franko-flämische Kunstlandschaft hervorgebracht hat. Unsere Erstbesitzerin oder Auftraggeberin Philippa von Geldern besaß als bibliophile und tief religiös praktizierende Frau zweifellos eine ganze Reihe von Gebetsbüchern.2 Das vorliegende wurde einst als ihr drittes Stundenbuch bezeichnet.3 Es wurde nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, von einem Künst­ler aus ihrem Stammland Lothringen gestaltet, sondern ist in Paris entstanden, von einem Maler, der uns

Beschreibung der Handschrift

durch seine eigene Signatur namentlich bekannt ist, sein Name ist Jan (oder Jean) Coene.4 Das Stundenbuch, das er für die Herzogin schuf, ist besonders prachtvoll und bilderreich gestaltet.

Aufbau der Handschrift 5 An einer mehr als fünfhundert Jahre alten Bilderhandschrift geht die Zeit natürlich nicht spurlos vorbei und der Umstand, dass dieses Stundenbuch mit seinen 91 Blatt nicht ganz komplett erhalten blieb, vermag nicht zu überraschen. Es fehlen nachweislich fünf Blatt, drei davon mit Miniaturen, eines, nämlich das letzte, ein Leerblatt. Der Einband wurde im 19. Jahrhundert erneuert, was der Grund dafür ist, dass einige der Bordüren vom Buchbindermesser leicht beschnitten wurden, um für die Schnittvergoldung wieder eine glatte Kante zu erhalten. Es ist auch durchaus möglich, dass während der Arbeiten am Einband die drei Miniaturblätter verloren gingen, denn für Bibliophile und Sammler des 18. und 19. Jahrhunderts galt es nicht als Sakrileg, Miniaturen aus Handschriften zu entfernen und sie sich gerahmt an die Wand zu hängen.6 Die Kollation unserer Handschrift ist nur mit Mühe zu ermitteln, da durch die enge Bindung die Bindefäden in den mittleren Doppelblättern der Lagen nicht zu sehen sind. Man kann allerdings davon ausgehen, dass sich der Lagenverbund einst aus regelmäßigen Quaternionen7 zusammensetzte. Mit Fragezeichen ergibt sich somit die folgende Formel für die Lagenordnung: I8-1, II8-1, III-VI8, VII8-1, VIII-XI8, XII8-2, wobei in Lage I das letzte, in Lage II das fünfte, in Lage VII das zweite und in Lage XII das letzte Blatt fehlen; zusätzlich wurde das letzte leere Blatt am Schluss des Bandes entfernt. Kalender Folia 1r-6v: Wie die meisten Stundenbücher beginnt auch dieses mit einem Kalender. Über das normale Maß hinaus ist dieser allerdings prächtig mit vielfäl­ tigen Dekorationselementen versehen. Anders als unsere modernen Kalender sind in den mittelalterlichen Kalendarien die Tage nicht durchnummeriert, sondern mit Heiligennamen besetzt. Vor diesen Namen finden sich römische Ziffern, die sogenannten goldenen Zahlen, die dazu dienten, bewegliche Feste zu errechnen, und daneben für jeden Wochentag Buchstaben von a bis g.

Bezeichnend ist, dass jeder Tag in diesem Ka­len­ der mit einem Ereignis besetzt ist, diese Form bezeich­ net man als Komposit-Kalender, denn sie weist nicht auf eine bestimmte Diözese, sondern bildet eine Art Übersicht zur französischen Heiligenverehrung. Freilich wird hauptsächlich, wie auch im vorliegenden Fall, der Pariser Heiligen gedacht. Die wichtigsten Stadt­heiligen, Genoveva, Dionysius, Ludwig der Heilige, Germanus, sind alle, bisweilen wiederholt, vertreten. Generell zeigt sich im Vergleich mit etwa zeit­ gleichen Stundenbuchhandschriften, dass wir es hier mit einem typischen Pariser Formular zu tun haben. Allerdings gibt es einige Besonderheiten, die von den gebräuchlichen Kalendarien abweichen, und die einer­seits willkürlich, sozusagen als Füllmaterial, eingefügt sein könnten, andererseits aber auch Hinweise auf religiöse Vorlieben der Besitzerin gestatten mögen. Sehr erstaunlich ist St. Adrien am 9. Januar, Abt von St. Peter in Canterbury, der hauptsächlich in England verehrt wurde. Am 19. Januar fällt St. Fourcy ins Auge, ebenfalls ein sehr selten vorkommender Heili­ ger: Furseus, ein Pilger, der im 7. Jahrhundert aus Irland nach Frankreich kam und dort das Kloster in Lagny-sur-Marne gründete. Ebenfalls aus Irland kam St. Columban, späterer Abt von Bobbio in Piacenza. Hier steht sein Name am 24. Januar, was irregulär ist, denn dieses Heiligen wird normalerweise im November oder späten Oktober gedacht, einzig in Gent verehrt man ihn am 15. Februar, was zu Philippas Verbundenheit mit Flandern passen würde. Am 30. Januar findet man Radegundis von Thüringen, Schutzheilige von Poitiers, die vermutlich einen Ehrenplatz erhielt, da sie von besonderem Interesse für Philippa von Geldern war. Die thüringische Prinzessin war vom Frankenkönig Clothar I. entführt und gewaltsam zur Frau genommen worden, doch widmete sie ihre ganze Hingabe der Versorgung von Armen und Kranken im Reich und gründete später ein Kloster bei Poitiers. König Karl VIII., an dessen Hof Philippa von Geldern in ihrer Jugend aufwuchs, hatte eine besondere Verehrung für Radegundis und ließ ihr Leben und ihre Legende eigens von dem französischen Dichter Jean Bouchet aus Poiters niederschreiben.8 Mit St. Pon (21. Februar, der am 6. Juni erneut als St. Ponce wieder auftaucht) könnte der Märtyrer Pontianus gemeint sein, dessen normalerweise am 20. Februar, allerdings primär in Compostella, gedacht wird. Er wird auch im Orden der Franziskaner sehr verehrt. St. Osenne oder Osonans (25. Februar und 5. August) 34

Aufbau der Handschrift

8 Stundenbuch der Philippa von Geldern, Januar, fol. 1r, Jean Coene IV., Paris um 1508

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

9  Februar bis März, fol. 1v–2r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

7  Heiligenfeste in Blattgold im Monat Mai, Detail von Abb. 10

war der erste Bischof von Angoulême, auch unter dem Namen Ausonius bekannt. Ebenfalls ein heiliger französischer Bischof war Omer, auch Audomar von Thérouanne, der hier am 28. Juli eingetragen ist, und schließlich St. Vaast oder Vedastus von Arras, der hier seinen flämischen Namen trägt und in Frankreich eigent­lich besser als Gaston bekannt ist. Er war im 5./6. Jahrhundert Bischof von Arras und Cambrai. Zur besseren Übersichtlichkeit sind die Namen abwechselnd in Rot und Blau aufgelistet, die besonders wichtigen Feste werden in Blattgold hervorgehoben (Abb. 7). Auf den meisten unserer Abbildungen ist das allerdings nicht zu erkennen, da wir beim Fotografieren die Entscheidung treffen mussten, auf die Ausleuchtung des Blattgoldes zugunsten der Lesbarkeit der Heiligennamen zu verzichten. Das Formular ist hier in französischer Sprache verfasst, was man im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert zwar häu­ figer findet, aber viele Kalenderformulare orientieren sich weiterhin am Lateinischen. Jeder Monat ist auf einer Seite untergebracht, die Heiligenfeste sind zweispaltig aufgelistet. Etwa das obere Drittel jeder Seite wird dominiert von einem großen zweigeteilten Bildfeld, das links eine monats­

typische Tätigkeit und rechts das jeweilige Stern­ zeichen zeigt. Im Außen- und Unterrand werden in schmalen, zu einer durchgehenden Bordüre zusammengefügten Bildern die Heiligen oder zentralen christlichen Ereignisse dargestellt, derer in dem betreffenden Monat gedacht wird. So zeigt der Januar (fol 1r, Abb. 8) ein tafelndes Paar, dem von einem Diener aufgetragen wird, und einen geflügelten Wassermann, der eine Amphore in einen Fluss leert. In der L-förmigen Bordüre9 finden die Beschneidung (1.1.), Genovefa (3.1.), die Epiphanie oder Drei Könige (6.1.) Platz, sowie zwei männliche Heilige, von denen derjenige mit dem Schwert Paulus (25.1.), der andere Vincent ist (22.1.). Der Februar (fol. 1v, Abb. 9) zeigt einen Mann, der sich die Hände am Feuer wärmt, und als Stern­ zeichen die Fische in einem Fluss. Die Feste in der Bordüre zeigen die Darbringung im Tempel (Mariä Lichtmess, 2.2.), Petrus (22.2.), Heiliger mit Kreuz und Buch (Matthias?, 24.2.), Desideratus, Bischof von Clermont (11.2.), Kaiserin Helena (7.2.), Susanna und die Alten (2.2.) und einen Soldaten mit Standarte und Schild, der nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Im März (fol. 2r, Abb. 9) werden Bauern beim Beschneiden der Weinreben gezeigt und der Widder schaut ihnen von der anderen Bildhälfte aus zu. In den Bordürenbildern sieht man die Heiligen Adrian (4.3.), zwei nicht eindeutig zuzuordnende Bischofs­ -­ hei­lige, Benedikt von Nursia (20.3.) und die Marienverkündigung (25.3.). Im April (fol. 2v, Abb. 10) winden zwei junge Frauen in einem umfriedeten Garten Blumenkränze, während der Stier offenbar mit gesenktem Haupt zum Angriff übergeht. Als Heilige in den Kleinbildern sehen wir Maria Ägyptiaca im dichten Haarkleid (2.4.), Hieronymus mit seinem Löwen (5.4.), Apollonia mit der Zahnzange (8.4.), drei nicht eindeutig zu­ zu­ ord­ nende Bischöfe, einen Abt (Robert?, 24.4.), Markus schreibend mit seinem Löwen (25.4.). Im Mai (fol. 3r, Abb. 10) reitet ein Paar gemeinsam auf einem Schimmel, der junge Mann sitzt vorne und trägt einen Falken auf der Faust. Jagdhunde begleiten die Reiter. Das Sternbild der Zwillinge ist recht kühn als unbekleidetes Paar gezeigt, dessen Scham und Beine von einem blauen Wappenschild bedeckt sind. Interessanterweise wurde hier die Chance vergeben, das Wappen der Herzogin einzumalen. In den Randbildern findet man Jakobus und Philippus (1.5.), das leere Kreuz Christi (3.5.), Johannes auf Patmos 38

Aufbau der Handschrift

(6.5.), bewacht von seinem hier übergroßen Attributtier, dem Adler. Schließlich Nikolaus (9.5.), der die drei Knaben im Pökelfass wiedererweckt. Für diesen Heiligen, den man eher im Dezember vermuten würde, wird am 9.5. die Reliquientranslation gefeiert, d.h. Übertragung seiner sterblichen Überreste, die im Mittelalter wie die Heiligen selbst verehrt wurden. Im Juni (fol. 3v, Abb. 11) steht ein weißgekleideter Bauer frontal zum Betrachter und mäht Heu mit einer beeindruckenden Sense. Der Zodiakus Krebs gleicht eher einem Hummer. Die Heiligen in den Bordüren sind wieder einmal schwer zu identifizieren. Oben steht ein Diakon mit Buch und Märtyrerpalme, Bar­ nabas (11.6.), Johannes der Täufer (24.6.), Petrus und Paulus (29.6.), Eleutherius, Bischof von Rom (25.6.). Der Juli (fol. 4r, Abb. 11) zeigt zwei Bauern bei der Kornmahd. Der vordere, dem wir offenbar bereits in der Juni-Miniatur begegnet sind, schneidet die Halme mit seiner Sichel, während sein Begleiter das Getreide zu Garben bindet. Der Löwe wirkt weder wild noch angriffslustig. Wiederum ist als erstes ein heiliger Bischof mit Buch gezeigt, mit dem Abt darunter könnte sowohl der heilige Benedikt von Nursia (11.7.) als auch der heilige Dominikus (5.7.) gemeint sein. Maria Magdalena mit dem Salbgefäß (22.7.), der Riese Christophorus mit dem Christusknaben (25.7.), Jakobus Major (auch 25.7.) und die heilige Anna, die der kleinen Maria das Lesen beibringt (26.7.). Im August (fol. 4v, Abb. 12) wird von zwei Männern das Korn in einer Scheune gedroschen. Die Jungfrau präsentiert sich passend inmitten von stehenden Garben, allerdings bildungsbeflissen mit einem Buch. Wieder einmal ist Petrus (1.8.) dargestellt, darunter der Erzmärtyrer Stephanus (2./3.8.) mit einem Stein auf dem Kopf, den man ebenfalls erst im Dezember, nämlich am zweiten Weihnachtstag, erwarten würde, aber hier wird der Translatio gedacht. Laurentius mit dem Marterrost (10.8.), Mariä Himmelfahrt (15.8.), Bar­ tholomäus (24.8.) gemeinsam mit Frankreichs heiligem König Ludwig IX. (25.8.) und schließlich die Enthauptung Johannes des Täufers (29.8.). Im September (fol. 5r, Abb. 12) wird neu ausgesät und geeggt. Die Waage wird von einer jungen Frau

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in einem Innenraum präsentiert. Ägidius als Ordensmann und Eremit mit der Hirschkuh, die von einem Pfeil getroffen ist, Lupus, Bischof von Sens (beide 1.9.). Dass Veronika mit dem Schweißtuch hier auftritt, ist verwunderlich, denn sie wird in diesem Monat nicht verehrt, aber vielleicht ist sie assoziiert mit der Darstellung des Kaisers Heraclius im Büßergewand, der die Kreuzreliquie zurück nach Jerusalem trägt (14.9.). Der Evangelist Matthäus mit seinem Engel (21.9.), Michael vernichtet den Dämon (29.9.). Im Oktober (fol. 5v, Abb. 13) werden Trauben gekeltert, daneben windet sich der Skorpion in einer hügeligen Landschaft. In diesem Monat werden wieder einige heilige Bischöfe verehrt. Der erste dürfte Remigius sein (1.10.). Dionysius (9./16.10.), erster Bischof von Paris, ist leicht zu erkennen, da er seinen abgeschlagenen Kopf trägt. Der dritte Bischof ist nicht eindeutig zu identifizieren, vielleicht ist Cerbonius gemeint (17.10.). Evangelist Lukas schreibend mit dem Ochsen (18.10.), Simon der Zelote und Judas Thaddäus, Letzterer sehr interessant vom Betrachter abgewandt als Rückenfigur gezeigt (beide 28.10.). Im November (fol. 6r, Abb. 13) schlägt ein Hirte Eicheln von den Bäumen, auf die sich die Schweine gierig stürzen. Der Schütze ist ein temperamentvoller Zentaur mit Pfeil und Bogen. Die Miniatur im Rahmen, die an das Pfingstwunder erinnert, wird zu Allerhei­ ligen (1.11.) stehen, die Seelen im Fegefeuer zum Totengedenken (2.11.). Bischof Marcellus von Paris (3.11.), Martin von Tours teilt seinen Mantel mit dem Bettler (12.11.), Katharina von Alexandrien mit Rad und Schwert (25.11.), Andreas mit seinem typischen X-Kreuz (30.11.). Im Dezember (fol. 6v, Abb. 14) wird als kleine Geschichte vom Erfolg der Schweinemast im No­vem­ber erzählt, denn hier wird nun das Schwein geschlach­tet. Der Steinbock ist ein interessantes Halbwesen, das aus einem Ammonshorn wächst, häufig ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts so dar­gestellt. Noch einmal sieht man Nikolaus mit den drei Knaben (6.12.), Maria mit dem Jesuskind (8.12. zur Empfängnis), Thomas (21.12.), Geburt Christi (25.12), Johannes mit dem Giftbecher (27.12), Kindermord zu Bethlehem (28.12.).

Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

10  April bis Mai, fol. 2v–3r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

11  Juni bis Juli, fol. 3v–4r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

12  August bis September, fol. 4v–5r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

13  Oktober bis November, fol. 5v–6r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

14  Dezember; Johannes auf der Insel Patmos, fol. 6v–7r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

15  Matthäus prüft seine Schreibfeder, fol. 8v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

16  Markus mit dem Löwen, fol. 10r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

17  Pietà: Beweinung Christi, fol. 12v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

18  Verkündigung Mariens, fol. 15r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

19 Heimsuchung, fol. 24v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

Perikopen Folia 7r-10v: Unter Perikopen (gelegentlich auch Sequenzen genannt) versteht man vier aneinander­ gereihte Auszüge aus den Evangelien, die hinterein­ ander gelesen die christliche Heilsgeschichte in chronologischer Abfolge erzählen, von der Fleischwerdung des Gotteswortes im Johannesevangelium bis zur Himmelfahrt Christi im 16. Kapitel des Markusevangeliums. Nicht selten ist diesen Evangelienpassagen auch noch die Passion des Johannes angefügt, was in unserem Manuskript jedoch entfällt. Den Auftakt der Bebilderung bildet hier eine Miniatur des Johannes, schreibend auf der Insel Patmos (fol. 7r, Abb. 14), wo er allerdings nicht den Evangelientext, sondern die Apoka­ lypse verfasste. Folglich sieht man am Himmel das apokalyptische Tier mit den sieben Häuptern erscheinen. Die Landschaftsszene ist umgeben von einem imposanten Renaissancerahmen mit Säulenwerk und Festons, wie man in der Folge noch einigen begegnen wird. Im Bas-de-page10 sieht man eine Szene, die man spontan in die Vita des Evangelisten einordnen möchte: Der Lieblingsjünger Christi wird von Kaiser Domitian vor den Toren Roms in siedendem Öl gefoltert. Aber kein junger Mann wird hier gequält, sondern eindeutig eine Frau. Was ist hier passiert? Es ist kaum anzunehmen, dass der Maler diese populäre und häufig dargestellte Legende nicht kannte und versehentlich eine Frau im Ölkessel platzierte. Ein Blick auf das Kalenderbild zum Februar (fol. 1v) könnte Licht ins Dunkel bringen, denn hier sieht man im Bas-de-page eine kompositorisch sehr ähnliche Szene: Eine junge Frau in einem Bottich versucht ihre Brüste zu ver­ decken und wird flankiert von zwei Männern. Laut Kalender handelt es sich um die junge Susanna, der im Bad von zwei lüsternen Greisen aufgelauert wird. Vielleicht hat der Maler hier zwei Szenen aus einer Vorlage gewonnen und war, was das Geschlecht des Prota­gonisten im Johannesbild angeht, unachtsam. Leider wurde irgendwann im Laufe der Jahrhunderte die Eingangsminiatur des Lukasevangeliums und mit ihr dessen Textbeginn entfernt. Vermutlich war Lukas in der Schreibstube dargestellt, wie auch Matthäus, der seine Schreibfeder kritisch prüft (fol. 8v, Abb. 15), während sein Attributwesen, der Engel, ihm das Lesepult ersetzt und einen Codex präsentiert, dessen Text der Evangelist offenbar auf die Schriftrolle in seinem Schoß überträgt. Im Bas-de-page reiten die Heiligen Drei Könige aus drei Richtungen herbei, was sich auf einen Passus im begleitenden Text 55

bezieht. Der Evangelist Markus ist ebenfalls in der Tradition spätantiker Autorenbilder (fol. 10r, Abb. 16) präsentiert. Er schreibt andächtig in sein Buch, während ihm sein Löwe treu und geduldig zusieht. Dies findet auf einer Art Patio oder Terrasse statt, wo sich hinter einer Balustrade durch zwei Säulen der Blick in eine weite Landschaft mit mächtigen Türmen am Horizont öffnet. Als kommentierendes Beiwerk im Bas-de-page ist dem Maler offenbar nichts Passendes eingefallen und so zeigt er einen halbfigurigen Putto, der aus einer Blüte wächst, als Komplement zu den zwei in Flüssiggold gemalten Knaben, die oben auf dem Gebälk des Rahmens Schabernack treiben. Mariengebete Folia 11r-10v: An die Evangelien schließen sich die Mariengebete an, die nahezu immer in Stunden­ büchern zu finden sind. Das erste ist das Obsecro te domina sancta mater dei pietate plenissima.11 Auch hier fehlt die Eingangsminiatur – vielleicht eine Maria mit dem Jesusknaben –, die einem Miniaturendieb zum Opfer gefallen ist. Das zweite Mariengebet beginnt mit den Worten O intemerata12 und wird von einer Miniatur eingeleitet, die die Beweinung des toten Christus (fol. 12v, Abb. 17) im Schoße seiner trauernden Mutter darstellt. Assistenzfiguren sind Johannes der Evan­ gelist, der den Kopf des Verstorbenen stützt, Maria Magdalena mit dem Salbgefäß und zwei weitere Anhänger Christi. In der Bordüre präsentieren Engel die Passionswerkzeuge, das Schweißtuch der Veronika mit dem wahren Antlitz Christi (Vera Icon) und dem ungenähten Rock, der noch heute in Fragmenten in Trier aufbewahrt und verehrt wird. Marienoffizium Folia 15r-53v: Dies ist nun das konstituierende Herzstück eines jeden Stundenbuchs, das Offizium der Jungfrau Maria, das in acht Segmente (Horae = Stunden) eingeteilt ist, denen dieser Buchtyp seinen Namen verdankt. Jede dieser Stunden ist eine Kombination von verschiedenen Gebeten, Psalmen, Hymnen und Anrufungen, die je nach Region, für die solch ein Gebetbuch gemacht war, durchaus stark variieren kann. Im vorliegenden Fall gestattet die Kombination der Psalmen, Gebete und Anrufungen den Rückschluss, dass das Marienoffizium auf den allgemeinen Standardgebrauch der römisch-katholischen Kirche aus­ gerichtet ist.

Beschreibung der Handschrift

20  Geburt Christi, fol. 30v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

21 Verkündigung an die Hirten, fol. 34r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

22  Anbetung der Könige, fol. 37v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

Grundsätzlich war das Konzept, dass man, genau wie Nonnen und Mönche in den Klöstern, alle drei Stunden seine weltliche Tätigkeit ruhen ließ, um sich ins Gebet zu versenken. Ob dies immer genau so in die Tat umgesetzt wurde, hing natürlich von den Gewohnheiten und den Lebensumständen der Beter ab. Höchstwahrscheinlich wird man die erste Stunde, die Matutin, die um Mitternacht gebetet werden musste, aus praktischen Erwägungen mit dem Morgenlob, den Laudes, zusammengelegt haben, für die man allerdings auch bereits im Morgengrauen aufstehen musste. Gegen sechs in der Frühe betete man die Prim, und so ging es idealerweise alle drei Stunden über den Tag weiter mit Terz, Sext und Non, bis man um 18 Uhr die Vesper beging, die man auch aus heu­tigem Sprachgebrauch, zumal in Süddeutschland, noch kennt. Um 21 Uhr wurde der Tag mit der Komplet beschlossen. Die Bildgelegenheiten zu diesen acht Gebetszyklen waren in aller Regel recht streng genormt. Anders als man das von modernen Büchern kennt waren die dort dargestellten Szenen nicht etwa Illustrationen des Textes, sondern Begebenheiten aus der Kindheit Jesu, die den Text gliederten, den Anfang einer neuen Stunde markierten und den Lesern anzeigten, an welcher Stelle im Text man sich befand. So wurde der Beginn des Offiziums fast immer durch die Verkündigung Mariens (fol. 15r, Abb. 18) eingeleitet und auch hier wurde von dieser Regel nicht abgewichen. Maria kniet vor einem steinernen Pult, auf dem sie ihr Gebetbuch abgelegt hat. Der Engel tritt von rechts an sie heran und die Geste ihrer erhobenen Linken deutet an, dass sie eher Abwehr als Freude angesichts der unerwarteten Wendung in ihrem Leben signalisiert. Durch das Fenster schwebt die Taube des Heiligen Geistes auf goldenen Strahlen auf sie zu. In dieser Komposition ist nicht allein das Bas-de-page mit einer ergänzenden Szene geschmückt, sondern wie in den Kalenderbildern und der Pietà der äußere und untere Bildrand ganz von kleinen Szenen besetzt. Erzählt wird hier die Kindheit und Jugend Mariens, oben rechts mit der Begegnung ihrer Eltern Joachim und Anna an der Goldenen Pforte eingeleitet, wo sich die betagten Eheleute freudig mitteilen, dass sie durch Gottes Gnade nun doch endlich Eltern werden sollen. Darunter ist die Geburt der Jungfrau gezeigt und ihr Empfang im Tempel, wo sie in ihrer Kammer fleißig webt. Bei dieser Miniatur sei nochmals an die Tatsache erinnert, dass Philippa dafür bekannt war, kundig und häufig zu weben und ihren Webstuhl 59

auch auf Reisen immer mit sich zu führen pflegte. In der letzten Miniatur wird Maria schließlich mit Joseph vermählt. Die Laudes zum Tagesanbruch werden traditionell begleitet von der Heimsuchung (fol. 24v, Abb. 19), die Maria bei der Begegnung mit ihrer Cou­ sine Elisabeth zeigt, die ihrerseits schwanger ist mit Johannes dem Täufer, dem zukünftigen Wegbereiter Jesu. Beide Frauen strecken einander ein­la­dend die Arme entgegen. Die Legende sagt, dass die beiden Ungeborenen einander erkennen und Johannes in Elisabeths Leib vor Freude hüpft. Von diesem Detail erzählt die Miniatur nicht, aber zwei Engel haben Maria auf ihrem Weg begleitet und stehen links hinter ihr, während am rechten Bildrand eine Art Magd das Treffen beobachtet. Interessant ist auch eine kleine Gewändefigur im äußeren gemalten Rahmen, ein (Franziskaner-)Mönch mit einer gut sicht­baren Geldbörse am Gürtel, was erstaunt, da sich dieser Orden der Armut und Bedürfnislosigkeit verschrieben hat. Oft ist barer Gürtelbörse in solch eine Figur mit gut sicht­ mittelalterlichen Gemälden ein dezenter Hinweis des Malers auf den Besteller des Werks. Dass diese Handschrift als Geschenk von einem dem Herzogpaar verbundenen Orden infrage kommt, halte ich für nicht sehr wahrscheinlich, aber es soll hier zumindest angesprochen werden. Das Stundenbuch ist sehr persönlich und vieles deutet darauf hin, dass Philippa hier selbst über einige Ikonographien entschied. Die Bedeutung dieser kleinen, fast ironisch wirkenden Figur kann ich leider nicht entschlüsseln. Zur Prim des Marienoffiziums ist die Geburt Christi oder Anbetung des Kindes (fol. 30v, Abb. 20) in einem halb verfallenen Gebäude gezeigt. Maria hat ihren Sohn auf einen Zipfel ihres Mantels gebettet und sowohl sie als auch der Ziehvater Joseph haben die Hände im Gebet erhoben, während der Esel und besonders der Ochse das Neugeborene, das goldene Strahlen aussendet, neugierig beäugen. Über der Szene schweben zwei Engel, die ein Notenblatt präsentieren und unten im Bas-de-page knien andächtig drei Hirten mit ihren houlettes13, ihnen dürfte das Gloria in excelsis der beiden Engel gelten. Geschickt hat der Maler somit zwei Szenen um die Geburt des Erlösers miteinander verbunden. Dennoch wird die Verkündigung an die Hirten (fol. 34r, Abb. 21) auch in einem großen Bild zum Beginn der Terz noch einmal thematisiert. Auf einem Feld, das sich zum Hintergrund tief in eine blaue Ferne erstreckt, wohnen drei Männer und eine Frau

Beschreibung der Handschrift

23  Darbringung im Tempel, fol. 40v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

24  Flucht nach Ägypten, fol. 44r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

den erstaunlichen Ereignissen bei, wobei zwei der Männer ihren Blick zum Himmel erhoben haben, wo zwei goldene Engel die Geburt des Messias mit einem Spruchband verkündigen. Der dritte Hirte im Vor­der­ grund hebt zwar überrascht die Hand, doch geht sein Blick nicht hinauf zu der heiligen Erscheinung. Die junge Frau scheint gänzlich unbeeindruckt von den himmlischen Boten. Sie ist damit beschäftigt, ein Lamm zu füttern und zu streicheln. Im Bas-de-page des Rahmens sind wiederum drei Hirten mit einigen Schafen und einem grauen Hund zu sehen. Hier scheint schon etwas mehr Bewegung in die Schäfer gekommen zu sein. Der mittlere hebt die Hand, um den anderen zu bedeuten, ihm zu folgen, und so verbinden die beiden Marginalszenen die großen Mini­ aturen erzählerisch, indem hier die Wanderung der Hirten zum Stall von Bethlehem vorbereitet wird. Dass diese Szene chronologisch eigentlich vor der vor­ an­gegangenen zu lesen ist, hat weder dem Buch­maler noch den Betrachtern etwas ausgemacht, denn die Bebilderung des Stundenbuchs folgt einem bestimmten Kanon und nicht der Chronologie der Ereignisse. Zur Sext steht die hier zu erwartende Anbetung der Heiligen Drei Könige (fol. 37v, Abb. 22). Während der älteste von ihnen vor Mutter und Kind in die Knie gesunken ist und seine Hände in Anbetung faltet, stehen seine Begleiter mit ihren wertvollen Gaben für den neuen König der Welt im Hintergrund. Joseph steht demütig hinter seiner Familie und hat angesichts des hohen Besuchs seinen Hut abgenommen. Weniger Scheu zeigt der Angebetete selbst, der – obschon noch ein Säugling – recht selbstbewusst die Hand wie zum Gruß hebt, während seine Mutter schüchtern die Augen­lider gesenkt hält. Im unteren Bereich des Rahmens sieht man alle drei Weisen aus dem Morgenland zu Pferd anreisen, wobei hier angesichts des mittleren Reiters sehr deutlich wird, dass es gar nicht so einfach ist, ein Pferd frontal zu malen, der Maler aber trotzdem entschlossen war, die Herausforderung anzunehmen. Erinnern wir uns an die Miniatur zur Matthäusperikope: Dort findet man im Bas-de-page eine fast identische Komposition. An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Buchmaler immer wieder auf die gleichen Vorlagen zurückgriff und diese nur leicht abwandelte. Somit scheint auch die oben geäußerte Vermutung, dass die Susanna-­Szene aus dem Kalender (Abb. 9) und der überraschend hermaphroditische Johannes im Ölkessel (Abb. 14) auf dasselbe Modell zurückgehen, untermauert.

Die Darbringung im Tempel (fol. 40v, Abb. 23) ist ein großes Fest, zu dem die Mutter des neugeborenen Knaben, die nach biblischem Gesetz nach der Niederkunft mit einem Sohn für 40 Tage als unrein gilt, erstmals wieder in den Tempel darf. Aus diesem Grund wird das Fest auf Latein auch bisweilen Purificatio Mariae14 genannt. Diese Einsegnung des Kindes bedarf auch Opfergaben und deswegen steht hinter der knienden Maria eine junge Frau mit einer langen Kerze und einem Körbchen mit Tauben. Der Priester, von dem die Bibel erzählt,15 dass er Simeon heißt und durch Blindheit geschlagen war, hält das Kind in einem weißen Tuch, da er es dem Brauch gemäß mit bloßen Händen nicht berühren darf. Das Lukasevangelium berichtet aber noch von einer besonderen Begebenheit im Tempel, dass nämlich der Priester Simeon mit der Prophezeiung lebte, dass er erst sterben dürfe, wenn er dem Erlöser begegnet sei. Und so spricht er bei seiner Begegnung mit dem Christkind: »Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland ge­ sehen.«16 Dem Betrachter fallen in dieser Miniatur aller­lei Inschriften im Rundbogen der Mini­atur, dem Bal­dachin und dem Ehrentuch über dem Altar auf. Der Versuch, sie zu entziffern und daraus eine weiterführende Erkenntnis zu den Herstellern des Buches zu finden, scheitert jedoch leider, da sie reine Dekoration sind und keinerlei Sinn ergeben. Zur Vesper steht traditionsgemäß die Flucht nach Ägypten (fol. 44r, Abb. 24), manchmal auch der Kindermord zu Bethlehem, der hier mit drei meuchelnden Soldaten im unteren Gebälk des Rahmens thematisiert wird. Besonders die früheren bildlichen Realisierungen der Flucht sind oft streng auf die drei Prota­ gonisten und das Reittier in karger Landschaft beschränkt. In der vorliegenden Version passiert indes sehr viel. Im Zentrum steht die Heilige Familie, Maria reitend auf dem Esel, das Kind in ihren Armen. Joseph führt die Gruppe an und weist sogar in die Richtung, die er zu nehmen gedenkt, nach links aus dem Bild hinaus. Die beiden Engel mit den verschränkten Armen wirken hier seltsam zögerlich. Sie sind, wie so einiges, was wir noch sehen werden, Anleihen aus Kompositionen anderer Künstler. Im Hintergrund nähern sich die Soldaten des Herodes einem reifen Kornfeld, auf dem ein Bauer die Ähren schneidet. Diese Hintergrundszene spielt auf das sogenannte Kornwunder an, denn der Bauer war noch bei der Aussaat, als die Heilige Familie ihn passierte. Als die Soldaten wenig 62

Aufbau der Handschrift

25  Bathseba im Bade, fol. 54r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

26  David büßend fol. 55r–55v, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

später nahen, ist das Getreide durch ein Wunder gereift und wahrheitsgemäß antwortet der Bauer den Soldaten, dass die Flüchtenden vorbeikamen, als er noch säte. Die letzte Miniatur zur Komplet des Marienoffiziums ist leider ebenfalls einem Miniaturensammler zum Opfer gefallen und fehlt in diesem Exemplar. Vermutlich war hier entweder der Tod Mariens oder die Marienkrönung zu sehen. Bußpsalmen Der nun folgende Textabschnitt, die Bußpsalmen, gehen zurück auf König David als Autor, wobei nach jüngerer Forschung nicht alle diese Verse dem biblischen König zugeschrieben werden.17 Davids bewegtes politisches, kriegerisches und amouröses Leben ist nur in der Eingangsminiatur thematisiert, das die Verführung der schönen Bathseba, Gemahlin des Feldherrn Uriah, zeigt. Auf der Miniatur ist Bathseba im Bade (fol. 54r, Abb. 25)18 dargestellt, umgeben von Dienerinnen, die ihr Kämme, Spiegel, Speisen und Getränke anreichen. In der Hand hält Bathseba, deren Nacktheit nur unzulänglich und pro forma von einem langen weißen Schleier verhüllt ist, eine Frucht, sicher in Anspielung an Eva, die als Helferin der Schlange die Menschheit ins Verderben stürzte. Wer die Geschichte Davids kennt, weiß, dass auch dem Volke Israel das Verderben drohen wird, herbeigeführt unter anderem durch des Königs diverse moralische Verirrungen. Oben links schaut er aus dem Fenster seines Palastes dem kosmetischen Treiben in Bathsebas Garten zu. Später wird der König die Schönheit in seinen Palast bestellen und als Folge dieser Liebesbegegnung muss der betrogene Ehemann Uriah auf des Königs Befehl an vorderster Front kämpfen, wo er ums Leben kommt, so dass David dessen Witwe ehelichen kann. Im Base-de-page sieht man eine ruhmreichere Begebenheit aus Davids Jugend, wo er, mit einer Steinschleuder bewaffnet, den riesenhaften Philister Goliath tötet. In den beiden Bordüren­ bildern, die wie kleine Einlegearbeiten in den gemalten Goldrahmen integriert sind, sieht man David, der Goliaths aufgespießten Kopf triumphal zur Schau stellt. Die folgenden sechs Psalmen werden von je einem Kleinbild eingeleitet, das Davids Reue und Buße thematisiert (Abb. 26–29). Neun Zeilen sind diese Bilder hoch und in den Schriftspiegel gesetzt. Auf fol. 55r 19 debattiert der greise König, deutlich gealtert im Vergleich zum Eingangsbild, in einer Landschaft kniend mit Gott; seinen Hut hat er demütig auf dem Boden vor

sich abgelegt. Auf der Rückseite (fol. 55v)20 liegt ebendieser Hut auf einem Altar, an den der betende Büßer seine Harfe, die auch sein ikonographisches Erkennungszeichen ist, gelehnt hat. Auch in dieser Miniatur erscheint ihm Gott, diesmal in einem Fenster des Sakralraums. Die folgenden Sujets auf den Folia 57r, 58r, 59v, 60r21 variieren das Eingangsthema der Buße in einer Landschaft mit dem knienden barhäuptigen Monarchen mit Harfe, wobei auf Folio 59v der Psalmen­ beginn »Aus der Tiefe rufe ich zu dir« durch einen in einem Felsloch sitzenden David illustriert wird. Stundenbücher, in denen jeder einzelne Buß­psalm illustriert ist, sind eher selten. Ein berühmtes Beispiel, wo dies auch der Fall ist, sind die Très Riches Heures des Herzogs von Berry, von denen oben bereits die Rede war.22 Auch ist eine ganzseitige Miniatur zur Heiligenlitanei eine eher ungewöhnliche Hinzu­ fügung. In den Très Riches Heures erfährt diese Text­partie eben­ falls eine besondere Hervorhebung, indem um die Textspalten mit den Heiligenanrufungen eine doppelseitige Komposition gemalt wurde, die die Prozession des Hl. Papstes Gregor des Großen darstellt. Es ist recht wahrscheinlich, dass Philippa von Geldern dieses außergewöhnliche Stundenbuch des Herzogs von Berry aus eigener Anschauung kannte, da es sich vermutlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts im Besitz der Charlotte von Savoyen befand, an deren Hof die junge Philippa für einige Jahre erzogen wurde. In unserem Buch hingegen ist ein naheliegendes Bild­thema gewählt, eine Allerheiligenminiatur mit Trinität (f. 61r, Abb. 30), die den Auftakt zur Litanei bildet. Die Heilige Dreifaltigkeit thront im oberen Bilddrittel in einer Goldaureole, gesäumt von Cherubim und Seraphim, darunter die Scharen der Heiligen, von denen einige auch Platz in den Kompartimenten des gemalten Rahmens und im Bas-de-page gefunden haben. Totenoffizium Anders als das Marienoffizium beginnt das Totenoffiz nicht mit der Matutin, sondern mit dem Abendgebet zur Vesper. Der Schreiber unseres Gebetbuches war sich darüber entweder nicht bewusst oder er kündigt den Beginn dieser Textpassage aus Unkonzentriertheit auf fol. 64v mit Ad matutinas mortuorum an. Tatsächlich beginnt das Totenoffiz ganz regelkonform mit der Vesper. Diese Passagen, die für das Seelenheil der Verstorbenen gebetet wurden, las man nicht täglich, sondern zu Totenwachen und zu Totenmessen. Als Einstimmung auf das Thema steht eine Miniatur, deren 66

Aufbau der Handschrift

27  David büßend fol. 57r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

Beziehung zum Sterben sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Dargestellt ist der arme Bettler Lazarus im Haus des reichen Prassers (fol. 65r, Abb. 31). In der dichten Komposition ist der Protagonist zunächst kaum auszumachen; der Aussätzige ist von Schwären gezeichnet und betritt von rechts den Raum, in der einen Hand seine Bettelschale, in der anderen die Klapper, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Hunde des Reichen, so erzählt das Lukasevangelium,23 ver­ bellen ihn und lecken seine Wunden. Ein Diener eilt herbei, um den Leprösen zu verjagen, ohne ihm Brosamen vom Tisch des Reichen abzugeben. Dieser lässt sich, ungerührt von Lazarus’ Schicksal, auftischen und einschenken. Die Fortsetzung der erschütternden Geschichte wird durch das offene Fenster im hinteren Teil des Raumes erzählt: Dort hat sich Lazarus entkräftet zum Sterben niedergelegt. Die Moral von der Geschichte wird hier allerdings unterschlagen, denn während Lazarus nach seinem Ableben in den Himmel kommt und getröstet im Schoße Abrahams sitzen darf, kommt der geizige Reiche ohne Umwege ins ewige Feuer der Hölle (Abb. 47), wo Durst ihn peinigt und Dämonen ihn foltern. Interessanterweise bringt der Maler diese Wendung der Geschichte nicht unter, sondern besetzt das Bas-de-page mit der Legende von den Drei Lebenden und den drei Toten: drei junge Edelmänner, die beim Jagen mit ihrer Zukunft in Gestalt von drei Leichnamen konfrontiert werden und sich so ihrer eigenen Endlichkeit bewusst werden. Den Rahmen seitlich besetzt er mit einem Eremiten, der wie ein Geschichten­ erzähler auf die Haupthandlung deutet und dessen Anwesenheit rätselhaft ist. Allerdings könnte mit ihm der Heilige Antonius gemeint sein, nach dem eine furchterregende Krankheit benannt ist, die im Mittelalter fast immer zum Tode führte und auch – ähnlich wie der Aussatz – mit Geschwüren einherging. Hier könnte also die inhaltliche Verbindung zur Haupt­ miniatur zu suchen sein. Man sieht die Auswirkungen des Antoniusfeuers – einer Mutterkornvergiftung – sehr eindrucksvoll im Isenheimer Altar des Mathias Grünewald dargestellt.24 Das memento mori25 war ein entscheidender Topos in der mittelalterlichen Frömmigkeit und einer der Hauptgründe, warum Laiengebetbücher, wie Stundenbücher, so beliebt waren. Alle Menschen hatten Angst vor dem unbußfertigen Tod, denn starb man mit Sünden auf dem seelischen Schuldenkonto, war die Folge eine lange qualvolle Reinigung im Fegefeuer oder im schlimmsten Fall die ewige Verdammnis im Höllen-

feuer. Somit versuchte man, so oft wie möglich zu beten und Buße zu tun, denn wie der Tod, so lauerte natürlich auch die Sünde überall. Insofern passen Haupt- und Ergänzungsteil der Miniatur sehr gut zusammen, denn hätte sich der geizige Reiche bewusst gemacht, wie bald ihn selbst das Schicksal ereilen würde, hätte er sich vielleicht barmherziger gezeigt. Auch zur zweiten Stunde des Totenoffiziums macht der Schreiber den bereits oben erwähnten Feh­ler und kündigt diese auf fol. 68v mit Ad vesperas mortuorum an, obwohl hier nun die Nachtgebete mit der Matutin einsetzen. Anhand der folgenden Textpas­ sage ist es auch möglich, den liturgischen Gebrauch des Totenoffiziums zu bestimmen. Hierfür ist die Auswahl der Responsorien während der drei Nokturnen entscheidend. Doch auch hier bringt die Untersuchung keine Überraschung, denn das Textfor­mular folgt dem normalen römischen Gebrauch. Verblüffung löst allerdings die Miniatur an dieser Stelle aus. Dargestellt ist die Scheidung der Seelen (fol. 69r, Abb. 32): Man sieht im Hauptbild eine große Schar von Menschen, die meist, bis auf ihre Kopf­ bedeckungen, unbekleidet sind, und identifiziert vor allem hohe kirchliche Würdenträger mit Mitra und Kardinalshut. Zwischen diesen Unbekleideten, die fromm die Hände im Gebet erhoben haben, stehen Engel, und im oberen Bereich der Miniatur helfen Himmelsboten den Seelen der Gottesfürchtigen hinauf in das Himmelreich. Im gemalten Rahmen be­obachten zwei in Tücher gehüllte Leichname das Geschehen, während im unteren Teil des Rahmens die Verdammten in einen aufgerissenen Höllenrachen gestopft werden. Besonders interessant sind hier zwei ikonographisch deutlich abgesetzte Figuren, die sich in den unteren Ecken des Hauptbildes befinden. Links steht eine nackte Frau mit schwarzer Witwenhaube, deren wohlgeformter, jugendlicher Körper ab der Scham verdeckt ist, und rechts ein etwas kleiner dargestellter Mann mit goldenem Helm. Die beiden scheinen sich anzuschauen und während sie die Hände vor der Brust verschränkt hält, als suche sie vergeblich ihre Blöße zu bedecken, hat er wie alle anderen die Hände zum Gebet gefaltet. Die Individualisierung dieser beiden Figuren legt nahe, in ihnen die Auftraggeberin der Handschrift, Philippa von Geldern, und ihren Gemahl, René von Lothringen, zu vermuten. Vermutlich war René zum Entstehungszeitpunkt der Handschrift verstorben, was einerseits die ungewöhn­ 68

Aufbau der Handschrift

28  David büßend fol. 58r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

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Aufbau der Handschrift

29  David büßend fol. 59v–60r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

liche Wahl des Motivs erklärt und andererseits die Entstehung des Buches auf die Zeit nach 1508 eingrenzt. Es ist nämlich anzunehmen, dass Philippa dieses reiche Stundenbuch ihrem Gemahl zum Andenken bestellte und mit dieser Miniatur ein Wiedersehen der Eheleute am Jüngsten Tag heraufbeschwören wollte. Man findet in der Buchmalereiforschung immer wieder Gebetbücher, die zum Andenken an ein nahestehendes Familienmitglied in Auftrag gegeben wurden, um für die Auferstehung der Seele und die gnädige Aufnahme des Verstorbenen im Paradies zu beten. Auch die Tatsache, dass das Totenoffzium außergewöhnlich komplex und anspielungsreich bebildert ist, untermauert die These, dass wir es hier mit einem Totengedenkbuch zu tun haben. Fortgesetzt wird der Bilderreigen zum Totenoffiz mit Szenen aus dem Leben Hiobs.26 Hiob ist als Figur stets eng mit diesen Textpassagen verknüpft gewesen, weniger, weil es in seinem bestürzenden Schicksal häufig um den Tod geht, denn seine zehn Kindern werden ihm bei einem Brand genommen, als vielmehr, weil die neun Lesungen zu den Nokturnen, die in das Offizium integriert sind, aus dem Buche Hiob stammen. Die Geschichte des wohlhabenden Mannes ist besonders tragisch, da die Katastrophe gänzlich unverschuldet über ihn kommt. Obwohl er wohl­ habend und vom Glück gesegnet ist, hat Hiob – anders als der geizige Prasser aus der Lazarus-Geschichte – seine Gottesfurcht und Nächstenliebe nicht verloren. Das provoziert den Teufel so sehr, dass er Gott eine Wette vorschlägt. Denn, so der Satan, es ist leicht, fromm und mildtätig zu sein, wenn es einem gut geht, aber was, wenn einem alles genommen wird? Wie stark werden der Glaube und die Treue zu Gott dann noch sein? Also erfährt Hiob einen Schicksalsschlag nach dem anderen. Zunächst sieht man Hiob im Glück (fol. 72v, Abb. 33) mit seiner Frau und reicher Kinderschar, kniend in einer Landschaft. Sie beten zu Gott, der sich mit einer Sphaira in einer wolkenumsäumten Aureole zeigt. Im Bas-de-page ist der Patriarch bereits als betender Büßer auf dem Dunghaufen gezeigt. Die zweite Miniatur in dieser Folge zeigt zwei Szenen parallel: Die Wette mit dem Teufel und der gepeinigte Hiob (fol. 73v, Abb. 34). Oben ist Gott­ vater wie auf der vorangegangenen Miniatur dargestellt und diskutiert mit dem geflügelten Teufel, der einen zweizackigen Feuerhaken hält, mit dem er sich vermutlich Hiobs Seele angeln will. Unten liegt Hiob

von Schwären bedeckt auf dem Misthaufen und der Teufel schlägt mit einem Knüppel auf ihn ein. Diese Marter ist bildlich zu verstehen, denn in der nächsten Miniatur sieht man, womit Hiob tatsächlich gegeißelt wird: zunächst mit dem Verlust seiner Herden (fol. 74v, Abb. 35), die von feindlichen Soldaten geraubt werden. Auf fol. 78r gerät Hiobs Haus in Brand (Abb. 36), während die Familie bei Tisch sitzt. Alle seine Kinder kommen im Feuer ums Leben. Die nachfolgende Mini­ atur zeigt eine Szene, die noch aus Hiobs unbeschwerten Tagen stammt, was daran liegt, dass die Bebilderungen dem Inhalt der Lesungen und nicht der Chronologie der Ereignisse folgen: Hiob unterweist seine Kinder (fol. 79r, Abb. 37), die alle gehorsam und andächtig vor ihm knien. Seine Botschaft, vermutlich geht es um Demut und Gottesfurcht, sym­bolisiert das Schriftband, das allerdings leer geblieben ist. Ein immer wiederkehrendes Thema der Geschichte ist Hiobs Diskussion mit seinen Freunden (fol. 80r, Abb. 38), die nicht verstehen können, dass der einst so vom Glück Begünstigte, dem alles geraubt wurde, unbeirrt an seinem Glauben festhält. Eine Variation dieses Sujets ist die Szene, in der die Freunde für Hiob musizieren (fol. 83v, Abb. 39), während seine Frau, die sein Verhalten ebenso missbilligt, oben an der Pforte des Hauses steht. Erneut wird Hiob vom Teufel gepeinigt (fol. 84v, Abb. 40), diesmal mit einer Peitsche, während Gott wieder oben in seiner Himmelsöffnung erscheint und den Unbeirrbaren segnet. Sozusagen »als letztes Geschütz« fährt der Teufel nun Hiobs Frau (fol. 85v, Abb. 41) auf, die ihren büßenden Mann davon zu überzeugen versucht, sich von Gott, der ihn so ungerecht gestraft hat, abzuwenden. Hinter ihrem Rücken steht der Satan und lauscht dem Gespräch. Überraschend an dieser Interpretation des Themas ist, dass die Frau einen schmalen Heiligenschein um ihr Haupt trägt, was in dem Zusammenhang völlig unpassend ist, da sie ihn ja von seinem festen Glauben abzubringen sucht. Dieses Detail weist ziemlich sicher wieder auf eine missverstandene Vorlage für diese Miniatur hin. Mit dieser Szene endet der Hiobszyklus etwas unvermittelt, denn eigentlich geht die Geschichte gut aus, da der Teufel sich angesichts von Hiobs Glaubenstreue schließlich geschlagen geben muss. Am Ende gibt Gott dem unerschütterlichen Frommen mehr als das, was ihm einst genommen wurde, zurück.

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Aufbau der Handschrift

30 Allerheiligenminiatur mit Trinität, fol. 61r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

31  Lazarus im Haus des reichen Prassers, fol. 65r, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

32  Scheidung der Seelen mit Philippa und René II. von Lothringen, fol. 69r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

33  Hiob im Glück, fol. 72v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

34  Wette mit dem Teufel; der gepeinigte Hiob, fol. 73v, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

35  Verlust von Hiobs Herden, fol. 74v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

36  Hiobs Haus in Brand, fol. 78r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

37  Hiob unterweist seine Kinder, fol. 79r, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

38  Hiob diskutiert mit seinen Freunden, fol. 80r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

39  Hiobs Freunde musizieren, fol 83v, wie Abb. 8

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Aufbau der Handschrift

40  Hiob wird erneut vom Teufel gequält, fol. 84v, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

41  Hiob mit seiner Frau, fol. 85v, wie Abb. 8

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Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift

Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift Schrift Die Schrift in der vorliegenden Handschrift hat sich bereits recht weit von der kantigen und oft schwer zu lesenden Textura des früheren 15. Jahrhunderts entfernt. (Abb. 42–46) Diese dekorative, rundliche Buchschrift gehört zu der Gruppe der Bastardaschriften, welche gotische Charakteristika, wie zum Beispiel das langgezogene »s« im Wortinneren, das dem »f« sehr ähnlich sieht, mit Anmutungen der humanistischen Antiquaschriften verbindet. Verschwunden sind die Strenge der dicht aneinandergesetzten Buchstaben­ elemente der Texturaschrift, die gebrochenen Buch­ stabenrundungen wie auch die spitz auslaufenden Haarstriche an den Wortenden. Insgesamt ergibt sich ein weiches, flüssiges Schriftbild, das wesentlich besser zu entziffern ist. Dieser Schrifttyp ist in Frankreich um 1500 sehr weit verbreitet und man findet ihn nicht nur in der Hauptstadt, sondern unter anderem in Rouen, Tours, Angers und anderen Buchmalereizentren des Loiretals. Hierarchie des Buchschmucks Auch der Buchschmuck, also die nach einer bestimmten Rangfolge gesetzten Zierinitialen und die Zeilen­ füller, sind nicht zwingend charakteristisch für Pariser Werkstätten, sondern kommen in vergleichbarer Form ebenfalls in Handschriften aus anderen Regionen vor. Das hierarchische Prinzip des Sekundärdekors folgte dabei nicht nur ästhetischen, sondern auch pragmatischen Ansprüchen. Als die vorliegende Handschrift entstand, war der Buchdruck bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert etabliert und die Verbreitung des gedruckten Wortes war so sehr auf dem Vormarsch, dass Schriften auch weniger vermögenden Gesellschaftsschichten zugänglicher wurden. Und so taten sich die Menschen im späten Mittelalter nicht so schwer mit dem Lesen, wie viel zu oft behauptet wird. Besonders diejenigen, die als Käufer solcher Handschriften infrage kamen, hatten natürlich zumeist eine gute bis sehr gute Bildung genossen. Dennoch half eine übersichtliche Gliederung den Lesern, sich in den Texten schneller zurechtzufinden und war deshalb Standard für ein gutes Layout. Inhaltsverzeichnisse gab es so gut wie nie und auch Seitenzahlen und Foliierungen wurden nur ausnahmsweise eingefügt. Insofern war die hierarchische Buchstruktur, zu der Bilder, Initialen 85

und Bordüren gehörten, eine wertvolle Findehilfe. Die oberste Stufe der Hierarchie bildeten natürlich die großen und kleinen Miniaturen. Wurde ein Text mit einem Bild eingeleitet, konnte man sicher sein, dass man sich am Anfang eines wichtigen Abschnitts befand. Initialen und Zeilenfüller Zu den Incipits unter den Miniaturen stehen aufwändig gestaltete, meist dreizeilige Schmuckbuchstaben. Hier kann man zwei Typen unterscheiden: Anfangsbuchstaben in Gold, gestaltet nach Art der Kandelaberornamente auf blauem Grund, die wiederum mit weißen, vegetabilen Formen filigran gehöht sind, findet man bei allen Kalenderinitialen KL,27 der Johannesund Markusperikope und vier Stationen der Hiobs­ geschichte. Ferner steht dieser Buchstabentyp zwei­ zeilig auch zu allen Psalmen. Zu den übrigen großen Textanfängen stehen Blumeninitialen, deren Buchstabenkörper in Blau oder Hellgrau mit weißen Mustern gegliedert, auf rote oder goldene Gründe gesetzt und im Buchstabeninneren mit kleinen Blüten und Knospen verziert sind. Die größte Zierinitiale im Buch steht zur Seelenscheidung, in der sich die beiden Stifterbilder befinden (Abb. 32), was die Exponiertheit dieses Bildes zusätzlich betont. Die zahlreichen einzeiligen Zierbuchstaben zu den Versen, Antiphonen und Responsorien sind in Flüssiggold abwechselnd auf rost­ rote und blaue Hintergründe gesetzt, ebenso wie die Zeilenfüller, die bisweilen noch durch goldene Knotenstöcke ergänzt sind. Bordüren Jede große illuminierte Seite in diesem Buch besteht aus einem Ensemble von Bild und gemaltem Rahmen. Bei den Kalenderseiten beherbergt ein mittig geteilter architektonischer Bogen, der gotische Maßwerkornamente mit Edelsteinen kombiniert, die beiden Monatsmotive. Die äußere und untere Bordüre, die den Schriftspiegel einfasst, ist wie oben beschrieben mit kleinen Heiligenbildern besetzt. Ähnlich ist auch die Rahmung der Beweinung Christi (Abb. 17) und die Verkündigung an Maria (Abb. 18) gestaltet, die in L-förmigen Bordüren ergänzende Beiszenen zum Hauptbild zeigen. Die übrigen großen Miniaturen sind mit massiv wirkenden Renaissance-Architekturen in Flüssiggold gefasst. Reich verzierte Kapitelle und prachtvoll ornamentiertes Gebälk, von dem reiche Festons herabhängen oder in dem Putti toben, bestimmen die Rahmen. Viele sind mit farbigen Marmorsäulen, Pilastern und

Beschreibung der Handschrift

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Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift

42  Litanei mit Knotenschnüren, fol. 61v–62r, wie Abb. 8

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Beschreibung der Handschrift

43  Textseite mit Rosenkranz, fol. 35r

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Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift

44 Textseite mit Knotenschnur, fol. 48v

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Beschreibung der Handschrift

45 Textseite mit Pilgerschnur, fol. 74v

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Schrift und sekundärer Dekor der Handschrift

Füllungen ausgestattet, manche mit Camaïeu-Figuren. Wieder andere sind mit kleinen Bildmotiven als Basde-page- und Gewändefiguren bestückt oder als separate Szenen in die seitlichen Pilaster integriert. Einen beeindruckenden Kunstgriff wendet der Maler bei der Bathseba-Miniatur (Abb. 25) an, wo er den Brunnen­ auf­satz im Zentrum der Komposition mit der Architektur des Rahmens verbindet. Diese Einfassungen der Hauptbilder sind von einem solchen Variantenreichtum, dass man den Eindruck gewinnt, der Maler oder seine Werkstattmitarbeiter haben einen besonderen Ehrgeiz entwickelt, jede Komposition individuell zu gestalten und wenn möglich auf den Inhalt der Miniatur Bezug nehmen zu lassen. Die Bordüren um die Textseiten sind meist von einer goldenen Kordel geziert (Abb. 26–29, 42, 44), die von mehrfachen Überhandknoten unterbrochen ist. In Ausnahmefällen findet man auch einen Rosenkranz, eine Pilgerschnur mit Jakobsmuscheln oder Astwerk (Abb. 43, 45, 46). Die Kordel nimmt Bezug auf das Habit der Franziskaner, das mit einem Zingulum, also einer Kordel, gegürtet wird, an deren Ende sich solche dekorativen Knoten befinden. Abgesehen von dem praktischen Nutzen des Gürtels wohnt der Kordel auch eine religiöse Symbolik inne, die sich zum Beispiel in Psalm 18:33 ausdrückt: »Gott hat mich mit Kraft umgürtet, er führte mich auf den Weg ohne Hindernis.«28 Überdies verweist der dreifache Überhandknoten auf das ebenfalls dreifache Gelübde der Armut, Keuschheit und Demut hin, wobei der weibliche Zweig, die Klarissen, dem Knoten noch eine vierte Schlaufe für die Ortsgebundenheit hinzufügen. Herzog René und seine Gemahlin Philippa fühlten sich den Armutsidealen des Ordens überaus verbunden. Auch ist von René bekannt, dass er sich in regelmäßigen Intervallen ins Kloster zurückzog und die Franziskanerkirche zur Begräbniskirche der lothringischen Herzöge bestimmte. Diese eng geknüpften Bande des Herzogpaares mit dem Franziskanerorden werden in den immer wiederkehrenden und leicht variierten Knotenschnüren um die Textseiten sehr schön veranschaulicht. Abgesehen von dem religiösen Stellenwert, den die cordelière für die Herzogin und ihren Gemahl hat-

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ten, hatte dieses Motiv generell eine weit zurückreichende symbolische Tradition in französischen Adelshäusern. Im Herzogtum Bretagne stand sie seit Generationen für Tugendhaftigkeit, Selbstzügelung und Treue. Anne von der Bretagne, die eines ihrer Schiffe Cordelière genannt hatte, hatte den Ordre des Cordelières ins Leben gerufen. Dieser Gemeinschaft durften nur von ihr ausgewählte, tugendsame, kluge und anmutige Damen ihres engeren höfischen Kreises beitreten. Als Auszeichnung wurde ihnen ein Schmuckstück verliehen, das die Gestalt einer mit Juwelen verzierten Knotenschnur hatte. Auch für das Haus Savoyen spielte die Kordel seit dem 14. Jahrhundert eine besondere Rolle – hier mit einem zur Acht geschlungenem Knoten. Dieser geht zurück auf Amédée VI. von Savoyen. Dieses Wahrzeichen der Savoyarden findet man in zahlreichen Kunstwerken, Tapisserien, Manuskripten, Gemälden, die für Angehörige der Familie gefertigt wurden (besonders häufig in den Artefakten für Louise von Savoyen, die Mutter von König Franz I.). Die Popularität der Knotenschnur verdankt sich, neben der bereits mehrfach erwähnten Assoziation mit dem Gürtel des Franziskaner-Habits, auch einem etymologischen Irrtum, der offenbar im Mittelalter weit verbreitet war und der den Begriff concordia, also Eintracht, nicht, wie es korrekt wäre, von cor (Herz) ableitete, sondern von corda (Schnur).29 Somit steht die geknotete Schnur in den meisten adeligen Wappen eher noch für Einigkeit und familiären Zusammen­halt als für Selbstentsagung und Askese. Im hier beschriebenen Stundenbuch der Philippa von Geldern dürfte die Doppelbedeutung, die der Knotenschnur zu jener Zeit innewohnte, absolut willkommen gewesen sein. Sicher hatte Philippa zu jener Zeit, als sie das Buch bestellte oder erhielt, bereits entschieden, dass sie über kurz oder lang dem Orden der Klarissen beitreten würde, denn das Klosterleben war seit frühester Jugend ihr Wunsch gewesen. Gleichzeitig sollte das vorliegende Gebetbuch als Andenken an ihren geliebten Mann auch Zeichen ihrer ewigen Verbundenheit sein und den Einklang der Eheleute auf jeder Seite lebendig halten.

Beschreibung der Handschrift

46 Textseite mit Knotenstock, fol. 87v

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Anmerkungen

1  Chantilly, Institut de France, Bibliothèque du Château. 2  Über die Rekonstruktion ihrer persönlichen Bibliothek gibt das vorangegangene Kapitel Aufschluss. 3 In seiner Beschreibung des Codex aus dem Jahr 1993 führt E. König zwei weitere Stundenbücher aus dem Besitz der Herzogin an, die allerdings eindeutig vor ihrer Zeit angefertigt wurden und wohl per Erbschaft oder Geschenk an sie gingen (New York, PML M. 263 sowie ein Fragment im Musée Historique Lorrain in Nancy). Quentin-Bauchart (Bd. 2, S. 367–374) führt das vorliegende Stundenbuch in seinem Inventar als Philippas einziges an. 4  Das dritte Kapitel dieser Monographie wird diesem Künstler und seinem Œuvre gewidmet sein. 5  Eine Kurzbeschreibung der Handschrift findet sich im Anhang. 6 So ist zum Beispiel der venezianische Abt und Kunsthändler Luigi Celotti (1759–1843) zu nennen, bekannt dafür, dass er einige geraubte Bände aus der Vatikanischen Bibliothek erwarb und diese buchstäblich in Streifen schnitt, um daraus Collagen zu fertigen, die sich heute in bedeutenden öffentlichen Sammlungen wie der British Library, dem Fitzwilliam Museum in Cambridge und dem Pariser Musée Marmottan befinden. Ein anderer berühmter eifriger Zerstörer von Handschriften war der britische Schriftsteller und Philosoph John Ruskin (1819–1900), dessen Tagebucheinträge diese Tätigkeit belegen: »[c]ut missal up this evening; hard work.« 7  Lagen zu vier Doppelblatt. 8  Diese von König Karl VIII. in Auftrag gegebene Handschrift befindet sich heute in Schweizer Privatbesitz: J. Günther Rare Books, Basel, Katalog 14, 2018, Nr. 46, S. 268–270 mit 6 Farbabbildungen. 9  Von oben nach unten betrachtet, so auch alle folgenden Monate. 10 Als Bas-de-page bezeichnet man die Darstellungen, die sich am Fuß der Buchseite, meist im Kontext einer Bordürendekoration, befinden. 11  Obsecro te domina sancta mater dei … (Ich bitte dich, o heilige Maria, Mutter Gottes …).

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12  O intemerata, et in aeternum benedicta …(Oh Unberührbare und in Ewigkeit Gesegnete …). 13  Langer Hirtenstab, der in einer kleinen Schaufel endet. 14  Mariä Reinigung. 15  Lk, 2:22-38. 16  Lk, 2:29-30. 17  Die Psalmen 102 und 130 nach moderner Zählung (d. h. 101 und 129 nach griechischer Zählung) werden nicht als seine Texte angesehen. 18  Ps. 6 Domine ne in furore tuo arguas me (Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn); hier in der griechischen Psalmenzählung, der auch die Vulgata folgt. 19  Ps. 31 Beatus cui (quorum) dimissa est iniquitas (Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind). 20  Ps. 37 Domine ne in ira tua arguas me (Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn). 21  Ps. 50 Miserere mei Deus secundum misericordiam tuam (Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte), 101 Domine audi orationem meam (Herr, höre mein Gebet), 129 De profundis clamavi (Aus der Tiefe rufe ich zu dir), 142 Domine exaudi orationem meam (Herr, erhöre mein Gebet). 22  Vgl. Anm. 1 in diesem Kapitel. 23  Lk, 16:19-31. 24  Colmar, Unterlindenmuseum. 25  Bedenke, dass du sterblich bist. 26  Aus dem alttestamentarischen Buch Hiob bzw. Ijob. 27 Eine Abkürzung für die lateinische Bezeichnung »Kalendae«, nämlich die ersten Tage des Monates, die zusammen mit den Nonen und den Iden die römische Kalenderzählung ausmachten, und auf die in mittelalterlichen Kalendern immer noch rekurriert wird. 28  Deus qui accingit me fortitudine et posuit inmaculatam viam meam. 29  Lecoq, S. 416–421.

Jean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs – sein Stil, seine Werke und die Kollaboration mit anderen Pariser Künstlern

Nachdem im vorangegangenen Kapitel das Stundenbuch der Philippa von Geldern hinsichtlich seines Aufbaus, seines Dekors und des vermutlichen Zwecks analysiert wurde, stellt sich natürlich im Anschluss die Frage, welchem Künstler dieses vielschichtige Werk zu verdanken ist. Dem charakteristischen Stil, der sich in dieser Handschrift offenbart, begegnet man in der Pariser Buchkunst um 1500 recht häufig. Dem ver­ant­ wortlichen Maler ist in der Buchforschung bislang eher oberflächliche Aufmerksamkeit geschenkt worden. Studien zu angrenzenden Forschungsgebieten erwähnen ihn,1 jedoch meist in der Zusammenschau mit anderen Buchmalern und eher knapp. Eine umfängliche Vorstellung seines Stils und seines Œuvres steht indes noch aus, was hier nun geliefert werden soll. Wie die meisten Buchmaler trug auch dieser zunächst nur einen Notnamen: Meister der Pariser En­ trées,2 gelegentlich auch detaillierter Meister der En­ trées der Claude de France, nach Handschriften, welche die feierlichen Festumzüge der Monarchinnen Marie Tudor3 und Claude de France illustrierten. Die erste wurde als dritte Frau König Ludwigs XII. 1514 in Frankreich willkommen geheißen, 4 der Festumzug für die Königin Claude de France, der Tochter Ludwigs XII. und Gemahlin von Franz I., lässt sich auf 1517 datieren.5 Die typische und leicht wiedererkennbare künstlerische Diktion dieses Meisters findet sich in zahlrei-

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chen Handschriften, deren Qualität allerdings stark schwankt. Die Werke, die er verantwortete, reichen von komplex illustrierten Werken der klassischen Literatur bis hin zum einfachen, bisweilen stereotyp ausgestatteten Stundenbuch. In einigen Handschriften arbeitet der Künstler alleine, andere größere Projekte, wie zum Beispiel die Lehrbücher Antoines von Lothringen, die Philippa von Geldern für die Erziehung ihres Sohnes in Auftrag gegeben hatte, und ähnlich konzipierte umfangreiche Handschriften sind Gemeinschaftsproduktionen verschiedener Künstler. Ausgerechnet die Festumzüge für die beiden Königinnen gehören nicht zu den Glanzleistungen unseres Illuminators. Noch nachlässiger arbeitet er in den illustrierten Manuskripten zum Begräbniszug der Königin Anne von der Bretagne.6 Dies mag verwundern angesichts der Erwartung, dass diese erhabenen, feierlichen und politisch relevanten Ereignisse in angemessener Weise dokumentiert wurden. Tatsächlich mussten aber zahlreiche solcher Exemplare in kür­ zester Zeit angefertigt werden,7 wofür natürlich viele Künstlerhände nötig waren, auch die der Lehrlinge und weniger begabter Gesellen, denen sonst unter­ geordnete Aufgaben zugeteilt wurden. Auch die Kosten für die Bände mussten sich im Rahmen halten, da sie vom Königshaus an ranghohe Höflinge eher verschenkt als verkauft wurden. Insofern mutet es unangemessen an, diesen Künstler nach einer Handschriftengruppe zu benennen, die nicht zu seinen eigen-

Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

händigen und auch nicht zu seinen besten Werken gehört.

Das künstlerische Umfeld des Malers Eine zentrale Figur innerhalb der Künstlergruppe, mit der unser Meister regelmäßig zusammenarbeitete, ist Jean Pichore.8 Er ist einer der wenigen Buchkünstler, der urkundlich belegt ist und dem ein umfangreiches Œuvre zugeschrieben ist, das in einer Werkmonographie umfassend vorstellt wurde.9 Pichore ist ein Paradebeispiel für einen Künstler, der im Pariser Buch­ wesen höchst erfolgreich sowohl malerische als auch druckgraphische Aufgaben erfüllte. Er wurde sogar mit zwei Stundenbuchprojekten verlegerisch aktiv, was er allerdings schnell wieder aufgab. Doch war er mit seiner Werkstatt als Entwerfer von Buchgraphik sehr aktiv und bestimmte das Aussehen von unzähligen Drucken der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Für seine umfangreichen Projekte brauchte er Mitarbeiter und einige davon werden als Familienmitglieder, nämlich als seine Töchter, erwähnt.10 Andere, unabhängig arbeitende Künstler wird er sich je nach Auftragslage dazugeholt haben. Zu diesen regelmäßigen Mitarbeitern gehörten unser Meister der Entrées, ferner der Meister der Philippa von Geldern, benannt nach der Handschrift der Vita-Christi für Philippa und René II.,11 ein dritter in dieser Künstlerrunde regelmäßig Aktiver gestaltete den zweiten Band desselben Werkes12 und erhielt seinen Notnamen nach der sogenannten Chronique Scandaleuse,13 überdies eine ganze Reihe weiterer anonymer Buchmaler. Einst wurde diese Gruppe als »Schule von Rouen«14 bezeichnet, da Jean Pichore einige prestigeträchtige Aufträge für den Kardinal und Kanzler Georges d’Amboise in Rouen gestaltete. Auch lässt sich in einigen von ihm verantworteten Handschriften eine Zusammenarbeit mit dem für Rouen belegten Dekormaler Jean Serpin nachweisen. Die Handschriftenforscher François Avril und Nicole Reynaud ordneten anlässlich einer großen Ausstellung zur französischen Buchmalerei15 einige Malerschulen neu und gelangten zu der Erkenntnis, dass alle diese Buchmaler, die einst als in Rouen tätig angenommen wurden, in Wirk­ lichkeit ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt in der Hauptstadt hatten. Von besonderer Überzeugungs­ kraft war dabei der Nachweis, dass alle diese Künstler

für Pariser Buchhändler und Verleger als Entwerfer oder Illuminatoren tätig waren.16 Unser Maler hatte, das belegen viele seiner Arbeiten, Zugang zu Pichores Bildvorlagen und auch stilistisch orientierte er sich an ihm. Von herausragender Bedeutung für die Erforschung seines Œuvres ebenso wie für Erkenntnisse über seinen künstlerischen Rang in der Hauptstadt ist ein Manuskript, das ebenfalls einen Triumphzug zum Thema hat, allerdings einen weniger politisch als literarisch bedeutenden. Es handelt sich dabei um Francesco Petrarcas Trionfi in einer bemerkenswerten zweisprachigen Textversion,17 die französische Übersetzung in Versen des Simon Bourgouyn, jenes Schriftstellers, der auch Kammerherr Ludwigs XII. war und für die Plutarchübertragung für Antoine von Lothringen verantwortlich war.18 Diese Version der Triumphe Petrarcas war für die Hofdame Anne de Polignac19 gemacht und der Buchmalereiforschung nur als Notiz in deren Bibliotheks-Inventar bekannt, bis sie 1997 auf dem Kunstmarkt auftauchte (Abb. 48). Das Manuskript galt gemeinhin als Nachfolgeprojekt von jenem berühmten Petrarca-Codex français 594, der ein Geschenk des Kardinals Georges d’Amboise an den französischen König Ludwig XII. gewesen war und der als fulminanter Auftakt für eine Reihe von ähnlichen Triumph-­ Handschriften aus dem Kreis Pichores angesehen wurde.20 Als der damalige Besitzer21 den Polignac-Co­ dex untersuchen ließ, kristallisierte sich überraschend heraus, dass dieser nach aller Wahrscheinlichkeit vor 1505 und somit auch vor dem Exemplar des Königs entstanden war. Da diesem eine andere Textversion zugrunde liegt als den anderen Pariser Petrarca-Triumphen,22 können diese ohnehin keine direkten Kopien sein. Aber auch der Bildzyklus von fr. 594, den man als den überlegenen und folglich als Vorlage für die anderen Handschriften sah, erwies sich bei genau­ erem Hinschauen eher als Nachahmung. Denn während der Polignac-Petrarca Details aus italienischer Buchgraphik23 folgerichtig in seine Kompositionen integrierte, sind dieselben motivischen Details in der Triumph-Handschrift für Ludwig XII. missverstanden und in falschem Kontext verwendet. Damit dreht sich das bislang immer vorausgesetzte Verhältnis von Ideengeber und -nehmer um, immer vorausgesetzt natürlich, dass es nicht einen heute verlorenen Triumphzug aus dieser Stilgruppe gibt, auf den sich alle noch erhaltenen Exemplare kompositorisch beziehen.

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Das künstlerische Umfeld des Malers

48  Triumphzug des Petrarca: Triumph der Keuschheit, fol. 26v, Jean Coene IV., Paris um 1500

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Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

Die namentliche Identifikation des Künstlers In der zitierten Publikation zu dem Polignac-Triumphzug gelang es nun zusätzlich, das Geheimnis um die Identität des Malers zu lüften. Auf einem stilistisch passenden Einzelblatt, ebenfalls im Besitz desselben Schweizer Antiquars, das eine Kreuzigung (Abb. 49) zeigt und vermutlich einem Missale entstammt, hat der Meister der Pariser Entrées im Rahmen der Miniatur seinen Namen hinterlassen: »De Ios Coene«.24 Damit gibt sich der bis dahin anonyme Künstler als Mitglied einer seit dem späten 14. Jahrhundert urkundlich belegten Künstlerfamilie aus Flandern zu erkennen. Was wir von den Vorfahren dieses Illuminators wissen, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Bereits 1388 wird ein gewisser Jacques Coene auf Bitten von Juan I. von Aragon durch die Vermittlung des Vicomtes von Rodez von Paris nach Aragon geschickt, um dort für den König künstlerisch zu arbeiten. Zehn Jahre später findet man seine Spur in Paris, wo er einen Mailänder Kollegen in der Handhabung von Buchmalerfarben und Blattgold instruiert und bereits ein Jahr später arbeitet er selbst in Mailand an den Plänen für den dortigen Dom mit. 1404 ist Jacques Coene am Hof der Burgunderherzöge, und es wird vermutet, dass die Familie ursprünglich aus Flandern stammen könnte.25 Für Philipp den Kühnen arbeitet er an der Ausgestaltung einer Bibel, jedenfalls wird er in dem Zusammenhang in den Rechnungsbüchern erwähnt. Abgesehen von der augenscheinlich lebhaften Reisetätigkeit dieses Künstlers ist seine bewegte Vita auch ein hervorragendes Beispiel für die Vielseitigkeit der damaligen Künstler, die sehr häufig bei Hofe universell eingesetzt wurden und sich an den unterschiedlichsten Projekten beteiligten. Die Versuche, den Namen Jacques Coene verlässlich mit einem Œuvre zu verbinden, waren leider bis in die heutigen Tage vergeblich. Ein früher Versuch, in ihm den Boucicaut-Meister sehen zu wollen, ist inzwischen von der Forschung verworfen. Albert Châtelet schlägt vor, in ihm den Meister der Marienkrönung zu sehen, benannt nach einem Tondo in der Berliner Gemäldegalerie, dem die Beteiligung an verschiedenen Buchprojekten26 zugesprochen wird. Ob und in welchem Grad dieser mehrfach urkundlich erwähnte Jacques Coene verwandt war mit Jan Coene I., bleibt ungeklärt. Ein zweiter Jan Coene ist dokumentiert bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in Brügge,

49a  Detail aus Kreuzigung

wo er das Amt des Dekans in der Malerzunft bekleidete und als Illuminator für den burgundischen Hof tätig war, ebenso wie Jan Coene III., der um 1448 geboren wurde und ebendort um 1492 sein Leben beschloss. Dieser erhielt 1472 seinen Meisterbrief, war ein höherrangiges Mitglied der Malerzunft und arbeitete wie sein Namensvetter am Hof des Herzogs. Über den hier eine Rolle spielenden Jan oder Jean Coene, den wir den Vierten nennen wollen, ist urkundlich bislang nichts bekannt geworden. Aus seinen Werken können wir jedoch sicher schließen, dass er kurz vor 1500 bis in die 1520er Jahre in Paris aktiv war. Es ist unklar, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis er zu den oben erwähnten Mitgliedern des Brügger Familienzweigs stand. Denkbar wäre, dass er bereits in Frankreich geboren wurde. Es ist auch möglich, dass er in Brügge seine ersten Jahre verbrachte und sich erst nach dem Tod Karls des Kühnen 1477 entschloss, nach Frankreich zu gehen. Zu jener Zeit war die Zukunft des Herzogtums Burgund ungewiss, der Gemahl der Herzogin, Maximilian I. von Habsburg, war unbeliebt und man traute ihm nicht, das Wohl des Landes im Auge zu haben.27 In Paris hingegen entstand durch das Erstarken des Buchdrucks ein neuer Markt für Kunsthandwerker und das wird eine verlockende Vorstellung für einen jungen Maler gewesen sein, dessen Vorfahren reisefreudig und in der französischen Hauptstadt tätig gewesen waren. Trotz des erfreulichen Umstands, dass wir somit einem weit verbreiteten Buchmalerstil einen Künstlernamen zuordnen können, halten einige Kollegen an dem alten Notnamen fest.28 Meiner Meinung nach sollte man einen Künstlernamen, wenn man ihn nachvollziehbar einem Œuvre zuordnen kann, verwenden. Es erleichtert die wissenschaftliche Verstän-

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Die namentliche Identifikation des Künstlers

49  Kreuzigung, Einzelblatt mit Signatur des Jean Coene IV., Paris um 1500

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Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

digung. Und sollten eines Tages gewichtige Gründe auftauchen, warum man diese Attribuierung aufheben muss, wäre dies auch nicht das erste Mal in der Geschichte der Buchmalereiforschung. Es sind die groß angelegten Projekte zu historischen, klassischen und humanistischen Autoren, zu denen auch der bereits vorgestellte Petrarca-Triumph der Anne de Polignac gehört, die zu den besten Leistungen von Jean Coene IV. zählen. Ein Grund dafür wird sicher sein, dass diese Bücher vom solventen Hochadel in Auftrag gegeben und angemessen bezahlt wurden. Schaut man sich die Empfänger an, die in einigen Bänden durch Wappen und andere Hinweise ermittelt werden können, wird der Zweck der Werke offenbar: Es waren luxuriöse Lese- und Lehrbücher, zum Beispiel für den zukünftigen Herzog von Lothringen29 oder für den zukünftigen König von Frankreich, Franz I.30 An einigen dieser reich ausgestatteten Geschichtsbüchern arbeitete Jean Coene gemeinsam mit Jean Pichore, mit dem Meister der Philippa von Geldern und einigen anderen Malern, denen noch keine Notnamen verliehen wurden und die sich dem Stil Pichores in unterschiedlicher Weise anpassten. Dieses Teamwork ist wohl auch der Grund dafür, dass Jean Coene Bestleistungen erbringt. Erstens wird man sich den Auftraggebern gegenüber verpflichtet haben, keine großen qualitativen Schwankungen innerhalb der Werke zuzulassen. Zweitens beflügelt eine solche Konkurrenzsituation natürlich den künstlerischen Ehr­ geiz und schafft zudem die Möglichkeit, sich in der Zusammenarbeit Anregungen zu holen und seine eigene Technik zu verbessern. Jean Pichore, das steht außer Frage, ist die künstlerische Leitfigur, an der sich die anderen Beteiligten orientieren und messen. Diese Lesebücher, die oft von Abenteuer, Schlachten, Kriegen, Verrat, Mord und Totschlag künden, also etwas, was den angehenden Herrscher interessieren musste, sind zunächst am gemeinsamen Layout zu erkennen: mittlere Foliobände, stattlich, aber nicht zu unhandlich, um darin zu lesen. (Abb. 50, 51) Die Schrift ist der Antiqua angeglichen, die in Italien durch den Buchdruck in Mode gekommenen war. Sie weist zwar noch Anklänge an gotische Schriften auf, ist aber sehr viel leichter zu lesen. Besonders attraktiv werden diese Werke durch die seitenfüllenden, eingängigen Miniaturen in anziehenden leuchtenden Farben, umgeben von prachtvollen Renaissancerahmen in unterschiedlichen Designs. Obwohl es sich bei

diesen Büchern ganz zweifelsohne um kostspielige Unikate handelt, können diese Arbeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Buchmalerei hier in ein neues Stadium, nämlich das der Serienherstellung, übergegangen war. Die Handschriftenproduktion muss­te preislich mit den Inkunabeln, die in höheren Auflagenzahlen hergestellt werden konnten, mithalten. Selbst wenn ein Druck nachträglich von Buchmalern professionell illuminiert und im Aussehen einer Handschrift angeglichen wurde, war diese Art der Buchherstellung natürlich rationeller und kostengünstiger, da man den Text nicht schreiben musste und keine Vorzeichnungen für die Illustrationen brauchte, sondern Holz- oder Metallschnitte als Grundlage hatte. Die veränderte – vielleicht sogar angespannte – Lage auf dem Handschriftenmarkt ist vielen Buchmalereien des frühen 16. Jahrhunderts anzusehen: Oft wird sehr viel summarischer gearbeitet, als in den Manuskripten des frühen und mittleren 15. Jahrhunderts. Und doch erfreuten sich diese Handschriften ganz augenscheinlich großer Beliebtheit, besonders bei wohlhabenden Käufern, die Geschmack und Kultur beweisen wollten. Offenbar galt es doch als Pres­ tigefrage, ob man dem angehenden König oder Herzog ein Konvolut klassischer Autoren in Handschrift oder als Druckausgabe übereignete. In dieser Zeit kamen auch besonders reich illustrierte Handschriften in Mode, die mit unzähligen Bordürenbildern oder mehr als der üblichen Zahl von Miniaturen auftrumpften.31 Als ein solch abwechslungsreiches Werk, gewissermaßen eine »trotzige« Replik auf den Bilderreichtum des Buchdrucks, kann auch das Stundenbuch der Philippa von Geldern gelten. Wer es sich leisten konnte, hielt der Handschrift die Treue, und erst gegen Mitte bis Ende des 16. Jahrhunderts verlor das handgefertigte Buch mehr und mehr an Bedeutung und wurde schließlich zu einem Sammlerstück, das eher in die Sparte der Kunst- und Wunderkammer-Objekte einzuordnen war. All dies sollte in Erwägung gezogen werden, bevor man sich den stilistischen Eigenarten von Jean Coene IV. widmet. Wir befinden uns an der Schwelle vom 15. zum 16. Jahrhundert, einer Umbruchzeit nicht nur was die Herstellung des geschriebenen Wortes, sondern auch was das künstlerische Selbstverständnis anbelangt. Ausgehend von Italien hatte sich auch nördlich der Alpen ein neues Selbstbewusstsein der Kunstschaffenden entwickelt. Albrecht Dürer ist ein eindrucksvolles Beispiel eines Künstlers und Univer-

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Die namentliche Identifikation des Künstlers

50  Plutarch, Sabinerinnen halten die Schlacht auf, fol. 59r, Paris um 1510

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Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

51  Triumphzug des Petrarca: Tod des Karneades von Kyrene, fol. 216v, Paris um 1510

salgelehrten, also eines pictor doctus, ähnlich wie Leonardo da Vinci, der sich über den Stand eines Handwerkers erhob. Aus Frankreich gibt es Dokumente und Belege, dass die Hofkünstler zwar hochangesehen waren und meist noch ein weiteres Amt, zum Beispiel das des königlichen Kammerherrn, bekleideten, doch war es absolut die Regel, dass sie nicht nur hehre Kunst, sondern auch Gebrauchsgegenstände verzierten wie Wappenschilde, Standarten, und bisweilen oblagen ihnen gar die Organisation und Gestaltung von Mysterienspielen und Festumzügen.32

Der Stil Jean Coenes IV. Wie gesagt wissen wir über Jean Coenes Rang in der Pariser Künstlergemeinschaft nichts. Urkundlich ist er nicht in Erscheinung getreten, aber der Umfang seines

Œuvres spricht dafür, dass er ein sehr gefragter Künstler war. Und das, obwohl ihm nach heutigen Maßstäben die große künstlerische Raffinesse abgeht. Myra Orth fällt ein vernichtendes Urteil über seine Arbeiten: »One of the busiest artists of his generation but not one of his best.”33 Dem könnte man entgegnen: Es gab in dieser Zeit durchaus noch schlechtere, die offenbar auch genug Arbeit hatten. Das ist recht interessant und wirft Fragen nach dem ästhetischen Empfinden in jener Zeit auf, über die hier verhandelt wird. Anscheinend hatten die Menschen im Spätmittealter und in der beginnenden Neuzeit eine etwas andere Sicht auf die Kunstwerke, die sie rezipierten, als wir heutzutage. Natürlich herrschte damals, ebenso wie heute, Einigkeit über die unbestreitbar herausragenden Qualitäten eines Jan van Eyck, Jean Fouquet oder Albrecht Dürer. Aber für illustrierte Bücher legte man offenbar andere Maßstäbe an und achtete womöglich mehr auf inhaltliche Kriterien, also auf das, was dargestellt wurde, und interessierte sich erst in zweiter Linie dafür, wie schöpferisch es umgesetzt wurde. Auch für die Mitte des 15. Jahrhunderts findet man Beispiele von Buchkünstlern, die sehr gefragt waren und sogar im Rang von Hofkünstlern standen, die man heute eher hölzern, repetitiv und uninspiriert findet.34 Bei Coene, wie bei den meisten seiner Zeitgenossen, kann man feststellen, wie sich die Qualität seiner Malereien dem Prestige des Auftrags und sicher auch der Höhe des Honorars anpasste. Dabei wird auch eine Rolle gespielt haben, ob er Gehilfen beteiligte oder die Arbeiten eigenhändig ausführte. Dennoch ist es erstaunlich, dass auch in den eher nachlässig ausgeführten Arbeiten sein Stil wiedererkennbar bleibt. Das Œuvre, das wir hier auszugsweise vorstellen, umfasst mehr als 50 Werke (ohne die Gruppe der Begräbnishandschriften für Anne von der Bretagne), dazu zählen sowohl Handschriften als auch illuminierte Drucke. Dass sich die Reihe seiner Werke in Zukunft noch um weitere Stücke vermehren wird, ist sehr wahrscheinlich, ebenso steht zu vermuten, dass in öffentlichen Sammlungen von ihm illuminierte Werke noch unerkannt blieben. Doch um diese zu finden, müssten Jahre von Forschungs- und Reisetätigkeit aufgewendet werden, was nicht dem Anspruch dieser Monographie entspricht, zumal der bekannte Bestand seiner Arbeiten durchaus ein umfassendes Bild seiner künstlerischen Bandbreite liefert. Um Jean Coenes Stil zu beschreiben, wirft man am besten zunächst einen Blick auf seine charakteris-

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Der Stil Jean Coenes IV.

tischen Figuren, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und die sich stärker als die Landschaften und die Architekturen von anderen Künstlern aus seinem Umfeld abheben. Er stellt Gesichter, deren Form einem gleichmäßigen Oval entspricht, gerne im Halbprofil dar, wobei die dem Betrachter abgewandte Seite meist ein wenig nach unten verschoben ist. Die Augen sitzen oft zu weit oben, was die Stirn niedrig wirken lässt. Nasen sind groß mit geradem Rücken. Das Oberlid ist prominent gewölbt, an der Unterkante von einem dunklen Strich betont und ein wenig niedergeschlagen, woraus sich ein verschlafener Blick ergibt. Männerköpfe, besonders die von Greisen, haben oft sehr ausgeprägte, mit rötlichen Schatten betonte Wangenknochen, was ihnen gegenüber Jünglingsgesichtern ein markanteres Aussehen und ein dunkleres Inkarnat verleiht. Besonders typisch sind die aufgewor­ fenen Lippen, die mit zwei roten Strichen angelegt und von einer geschwungenen dunklen Linie separiert werden. Eine ähnliche, jedoch kürzere Linie grenzt die Unterlippe zum eher kurzen Kinn ab. Ausdrucksvolle Mimik der Akteure wird in Coenes Repertoire nur sehr ausnahmsweise angestrebt. In der Regel sind Mundwinkel entweder nach unten oder nach oben gebogen, was die Figuren verdrießlich oder heiter dreinschauen lässt, letzteres selbst dann, wenn ihnen übel mitgespielt wird. Den Mangel an mimischer Ausdruckskraft sucht der Maler durch Gesten seiner Figuren zu kompensieren, doch auch diese wirken etwas hölzern und wenig spontan, und noch im größten Schlachtengetümmel bewegen sich die Akteure gesetzt und bedächtig. In einigen dieser Luxusaufträge im Folioformat jedoch zeigt er größere Kraft, gruppiert monumental angelegte Figuren kühn im Raum und verknüpft unterschiedliche Zeit- und Realitätsebenen durch die Erschaffung von verschiedenen Bildräumen. Zudem lässt er dort seine Akteure über die Bildbegrenzung hinauswachsen, das heißt von den Bildrändern so beschneiden, dass ein Teil der Handlung dem Betrachterblick verborgen bleibt. Diese Tendenz, den Bildrahmen »zu sprengen« und sich die Welt jenseits des Sichtbaren zu erobern, ist eine Errungenschaft der Renaissance. In diesen besonders dynamischen und gelungenen Miniaturen gewinnt man den Eindruck, dass er sie gemeinsam mit Jean Pichore gestaltete, der die Vorzeichnung und vermutlich die Figuren beitrug, während Coene nur einige Gesichter einmalte (Abb. 51).35 Im Triumphzug der Anne de Polignac scheint er indes fähig, solch kompo-

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sitorische Finesse alleine und ohne Pichores Hilfe umzusetzen. Grundsätzlich konturiert der Maler seine Figuren mit kräftigen dunklen Linien. Je nachlässiger er arbeitet, desto stärker werden seine Umrisse. Der Faltenwurf von Gewändern oder Vorhängen wird mit wenigen helleren oder dunkleren Strichen der Grundfarbe charakterisiert, er hält sich nicht mit feinen Schat­ tierungen und Übergängen auf. Sehr gerne legt er ein Netz von Flüssiggold-Schraffuren über die Draperien und verleiht so den Malereien ein kostbares Gepräge. Was sein Farbspektrum anbelangt, ist er flexibel und passt sich dem grundsätzlichen Tenor der Handschrift, an der er mitarbeitet, an. Im Petrarca-Triumph der Anne de Polignac, der vielleicht zu seinen besten eigenhändigen Arbeiten gehört, brilliert er in einigen Miniaturen durch eine elegante, antikisierende Grisaillemalerei, während er in anderen Werken von kräftigem Rot, Blau, Grün und Gelb über Gold als Flächenfarbe – besonders für Gewänder – bis zu Erdtönen alles ausschöpft, um seinen Miniaturen Lebendigkeit zu verleihen. Landschaften und Architekturprospekte konstruiert er ähnlich wie die gesamte Pichore-Gruppe mit einigen effektiven Versatzstücken: begrünte Hügel, manchmal mit rissigen Felspartien, Bäume und Büsche, deren Kronen aus kleinen ovalen Tupfen in verschiedenen Grüntönen bestehen und denen Lichter mit Flüssiggold aufgesetzt sind. Die Gebäude wirken flach, kaum schattiert, fast wie aufgeklebt und weit in den Hintergrund ziehen sich blaue, diesige Landschaften, in denen sich auf fernen Hügeln mächtige Städte mit Festungen und Burgen erheben. Die lockigen Wolken sind ebenfalls mit Gold oder mit (meist schwarz oxidiertem) Silber gehöht. Ein Sonderfall im Œuvre des Jean Coene IV. ist ein großformatiges Graduale aus Saint-Dié-des-­ Vosges,36 nordwestlich von Colmar, das für die dortige Stiftskirche in mehreren, zeitlich recht weit auseinanderliegenden Kampagnen ab 1480–90 begonnen und um 1515 von Jean Coene IV. vollendet wurde. Besonders interessant ist in dem Zusammenhang die Frage, warum neben zwei Miniaturmalern aus der Gegend von Saint-Dié im 16. Jahrhundert ein Pariser Maler für die Vollendung der Handschrift hinzugezogen wurde. Er hat nicht nur das Graduale mit eigenen Kompotionen bereichert, sondern auch zwei Miniaturen, si­ die bereits von seinen Vorgängern vorhanden waren, überarbeitet. Bei dieser erstaunlichen Auftragsver-

Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

gabe könnte die Vermittlung durch die Herzogin von Lothringen oder einen Angehörigen ihres Hauses eine Rolle gespielt haben. Das Kapitel von Saint-Dié hatte stets beste Beziehungen zu Herzog René II. gepflegt. Vermutlich hatten Domherrn ihm als Sekretäre zur Seite gestanden und vielleicht hatten Angehörige des Domkapitels sich an den Lothringischen Herzogshof gewandt, als die Vollendung des Graduales anstand. Schließlich dürfte sich unser Maler durch seine Beiträge für ein Graduale des Königs Ludwig XII. und Anne von der Bretagne, das uns heute leider nur noch in einigen versprengten Einzelminiaturen37 bekannt ist, qualifiziert haben. Innerhalb der Gruppe von ihm gestalteter Stundenbücher findet man die in seinem Œuvre üblichen Qualitätsschwankungen, was dem Rang des Auftraggebers, der vereinbarten Bezahlung und natürlich auch der Beteiligung von Mitarbeitern geschuldet sein dürfte. Ein Stundenbuch der Bibliothèque Saint-Geneviève38 präsentiert sich als wenig beeindruckendes, nachlässig illuminiertes Stück, für das ein zweiter Maler einige unbeholfene Miniaturen beiträgt. Wie im Stundenbuch der Philippa von Geldern standen auch hier (wie an späterer Stelle noch ausführlich zu erläutern sein wird) Metallschnitte aus gedruckten Stundenbüchern Pate für die Kompositionen. Jean Coene (oder einer seiner Gehilfen) arbeitet hier rasch und stark konturierend, die Gesichtszüge seiner Figuren reduziert er so, dass sie wie Karikaturen wirken, aber immer noch die Erkennbarkeit seines Stils behalten. Auch das Stundenbuch im Getty Museum in Los Angeles39 gehört zu jenen offenbar in Reihe hergestellten Stücken. Es ist jedoch mit 15 großen und etlichen kleinen Miniaturen sowie abwechslungsreichen Kom­par­ timentbordüren gehaltvoll ausgestattet, was darauf schließen lässt, dass die Herstellung in größerer Serie nicht automatisch nur auf preisgünstige Bücher abzielte. Einige Stundenbücher in Privatbesitz40 mit opulenten, raffiniert gestalteten Goldrahmen und als Diptychen konzipierten Textanfängen dürfen als Luxusaufträge für gehobene Käufer gelten. Zu dieser Gruppe gehört auch das Stundenbuch der Philippa von Geldern, das aufgrund seiner Komplexität und seines Einfallsreichtums zu den besseren Arbeiten des Künstlers gezählt werden kann, auch wenn man davon ausgehen muss, dass der reiche Bordürendekor von Mitarbeitern stammt. In wenigen gedruckten Büchern von verschiedenen Verlegern findet sich Coenes Stil ebenfalls in un-

52  Lancelot du Lac: Ankunft in Camelot, Bd. 3, f. 43v, A. Vérard, Paris 1494

terschiedlicher Güte und Variation. Einer der frühesten datierten Drucke mit seinen Miniaturen ist ein Stundenbuch aus der Offizin Vérards, das im Kolophon auf den 22. Oktober  1498 datiert ist und das in der Zierlichkeit der Malerei u. a. dem Stundenbuch aus dem Getty Museum verwandt ist. Hier illuminiert der Künstler keine Druckgraphik, sondern hat eigenständige Miniaturen in dafür gedachte Leerstellen gesetzt. Coenes Stil ist in diesem Werk traditioneller, die Figuren sind zierlich-rundlich mit puppenhaften Gesichtern, aber doch schon deutlich als seine Arbeit erkennbar. An den großen Inkunabelprojekten der mittleren 1490er Jahre des Antoine Vérard für König Karl VIII. ist Coene noch nicht direkt beteiligt, allerdings ein sehr verwandter Maler, zum Beispiel im Lancelot du Lac von 1494 (Abb. 52),41 dessen Figuren sorgfältiger modelliert sind als bei Coene, aber die Vegetationen und Gebäude in den Hintergründen entsprechen Coenes Arbei­ten recht genau. Wir haben diesen Künstler 2003

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Der Stil Jean Coenes IV.

53  Robert Gaguin, La Mer des Croniques: Taufe Chlodwigs I., f. 6r, Paris, N. de la Barre, 1518

Meister der Dedikationsminiaturen getauft.42 In einigen von Antoine Vérards Stundenbüchern hat er die Porträts von hochadeligen Empfängern eingemalt43 und man findet seine Hand insgesamt häufig in Vérards Prachtdrucken für den König und den Hochadel. Manuskripte von seiner Hand kennen wir nicht, er scheint sich in erster Linie als Illuminator von Drucken betätigt zu haben. Ein zweiter Maler, der ebenfalls eng mit dem Verleger Vérard verbunden war, der allerdings umgekehrt nie als Illuminator von Drucken, sondern ausschließlich als Produzent von Handschrif-

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ten in Erscheinung trat, ist dem Dedikationsmeister stilistisch sehr eng verbunden. Nach einer Stundenbuchhandschrift für den französischen König erhielt er den Notnamen Meister Karls VIII. (Abb. 4) und wir haben uns schon manches Mal die Frage gestellt, ob sich nicht hinter diesen beiden zum Verwechseln ähnlichen Händen ein Maler verbirgt, dessen Handschriften einfach etwas anders aussehen als seine illu­ minierten Drucke. Die karikierende Manier, die dem Meister Karls VIII. wie auch dem Dedikationsmeister zu eigen ist und die uns an moderne Comics erinnert, kann für die Arbeiten von Jean Coene ebenfalls re­ klamiert werden. Dies lässt die Frage aufkommen, ob er womöglich bei einem dieser beiden gelernt hat. Während unseres umfangreichen Forschungprojekts zu den Graphiken gedruckter Stundenbücher haben Caroline Zöhl und ich uns oft gefragt, ob nicht einige der Illustrationsserien für Stundenbuchdrucke auf Jean Coene zurückgehen könnten. Da er mit Pichore kooperierte, dessen Werkstatt mit der Herstellung zahlreicher Druckillustrationen betraut war, liegt die Überlegung auf der Hand. Es gibt tatsächlich eine Bildfolge, die um 1509 für den Drucker Jean Barbier nach Entwürfen der Pichore-Werkstatt hergestellt wurde, die an Coenes Stil erinnert,44 und auch ein Holzschnitt für die Mer des Croniques (Abb. 53) sieht ihm ähnlich. Überdies hat er ein Exemplar der Ausgabe dieser Mer des Croniques von 1518 für König Franz I. illuminiert.45 Die Frage nach Coene als Druckentwerfer ist nicht abschließend zu beantworten. Der Weg von der ursprünglichen Entwurfszeichnung bis zum fertigen Druckabzug unterliegt zu vielen Arbeitsschritten, die von zahlreichen Händen ausgeführt werden. Coenes malerisches Œuvre ist so umfangreich, dass dieses im Prinzip für eine Malerkarriere ausreichen würde. Da wir aber von der Beteiligung von Werkstattmitarbeitern ausgehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass er sich als geschäftstüchtiger Unter­nehmer auch in diesem Bereich engagierte.

Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

Übersicht der Werke Jean Coenes IV. und seiner Werkstatt

Handschriften Ort

Sammlung

Signatur

Titel

HS1

Amiens

BM

ms. 2540

Stundenbuch für den Gebrauch von Amiens

HS2

Angers

BM

ms. 2320

Nicolas de Houssemaine, Geste des Comtes de Dammartin46

HS3

Cologny

FB

Ms 149

Prison d’Amour

ca. 1525

HS4

Den Haag

KB

MS 134

Pseudo Plutarch

ca. 1510

HS5

London

BL

Cotton Vespasian BII

Festumzüge zum Empfang der Königin Maria Tudor

nach 1514

HS6

London

BL

Stowe 582

Krönung der Claude de France

ca. 1517

HS7

Los Angeles

GM

Ms. Ludwig IX, 15

Stundenbuch

ca. 1500–1505

HS8

New York

PML

M. 42

Les abus du monde48

HS9

Oxford

Bod

Canon liturg. 178

Stundenbuch49

HS10

Oxford

Bod

Douce 276

Stundenbuch50

HS11

Paris

BA

Ms. 5065

Petrarca Triumphe

HS12

Paris

BA

Ms. 5103

Guillaume Budé, L’institution du Prince51

ca. 1519

HS13

Paris

BA

Ms. 1191

Stundenbuch des Louis Roncherolles

ca. 1500

HS14

Paris

BSG

Ms. 523

Chronologie ou tableau synoptique de l’histoire universelle

ca. 1500

HS15

Paris

BSG

Ms. 1275

Stundenbuch

HS16

Paris

BnF

fr. 1189

Myroer des dames nobles et illustres52

ca. 1528–1531

HS17

Paris

BnF

fr. 12424

Petrarca Triumphe53

ca. 1505–1510

HS18

Paris

BnF

fr. 138

Toison d’Or

HS19

Paris

BnF

fr. 14116

Krönung der Claude de France54

HS20

Paris

BnF

fr. 2227

Maffeo Vegio, Supplement à l’Enéide, frz. von Pierre Mouchault55

HS21

Paris

BnF

fr. 2817-2822

Guillaume Crétin, Chroniques françaises56

ca. 1510

HS22

Paris

BnF

fr. 4961

Nicolas de Houssemaine, Geste des Comtes de Dammartin57

ca. 1510

HS23

Paris

BnF

fr. 5750

Festlicher Einzug der Königin Claude de France

1517

HS24

Paris

BnF

NAF fr. 19738

[Catherine d‘Amboise], La Complainte de la Dame pâmée contre Fortune58

ca. 1525–1530

HS25

Paris

BnF

lat. 13284

Stundenbuch

ca. 1500–1525

HS26

Paris

BnF

lat. 13293

Stundenbuch

ca. 1500–1525

106

Datum

47

ca. 1510

1517

Übersicht der Werke Jean Coenes IV. und seiner Werkstatt

Ort

Sammlung

Signatur

Titel

Datum

HS27

Petersburg

NB

ms Fr.F.v.xii.4

Petrarca Triumphe

ca. 1505–1510

HS28

Privat

JG

Plutarch Leben des Romulus und Remus und Catos des jüngeren

ca. 1508–1510

HS29

Privat

Stundenbuch der Philippa von Geldern

nach 1508

HS30

Privat

JG

Feydeau Stundenbuch

ca. 1505–1510

HS31

Privat

Köln

Triumph des Petrarca für Anne de Polignac59

ca. 1505–1510

HS32

Privat

AB

Stundenbuch

ca. 1500–1505

HS33

Privat

AB

Stundenbuch von Marguerite de Coësmes und Charles d’Angennes61

ca. 1520

HS34

Privat

AB

Lignières-Stundenbuch62

ca. 1510–1515

HS35

Privat

AB

Giraud-de-Pranguey Stundenbuch63

ca. 1515–1520

HS36

Rouen

BM

Leber 140

Stundenbuch

HS37

San Marino (USA)

HL

HM 1088

Stundenbuch64

1518

HS38

St. Dié-desVosges

BM

Ms. 74

Graduale65

ca. 1515 (Coenes Part)

HS39

Ulm

MBK

Stundenbuch66

1518

HS40

Wien

ÖNB

cod 2581-82

Petrarca, Triumphe

ca. 1510

HS41

Wien

ÖNB

Cod. 2565

Plutarch, Viten Demosthenes, Cicero und Cato

ca. 1510

Paris, BnF, fr. 5094–5101, fr. 25158; BA, ms. 5224; Petit Palais, Dutuit 664 und 665; Lyon, BM, ms. 894; Rom, Bibl. Vat., Reg. Lat. 927; München, BSB, Cod. gall. 20.; Wien, ÖNB, Ser.n. 12733

60

Die Handschriften zu den Begräbnisprozessionen der Anne von der Bretagne sind um 1514 in recht stereotyper Serienproduktion entstanden. Heute sind noch 33 Exemplare erhalten, die meisten können online als Digitalisate konsultiert werden.67 Jean Coene IV. und seine Werkstatt waren maßgeblich an diesen Arbeiten beteiligt.

107

Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

Gedruckte Bücher Ort

Sammlung

Signatur

Titel

Datum

DR1

Paris

BA

4° T 934

Stundenbuch, A. Vérard

22. Oktober 1498

DR2

Paris

BA

8° T 2535

Stundenbuch, S. Vostre

ca. 1515

DR3

Paris

BnF

Vel 1128

Charles de Saint-Gelais, Les excellentes chroniques des faits du prince Judas Machabée, A. Bonnemère68

1514

DR4

Paris

BnF

Vel 2236

Hymnes en François69

ca. 1490–1492

DR5

Paris

BnF

Vel 2241

Vergier d’honneur70

nach 1504

DR6

Paris

BnF

Vel 518

Calendrier des Bergiers für Karl VIII.71

1504

DR7

Privat

AB

Nicolas de la Barre, La Mer des Croniques72

1518

DR8

Privat

AB

Stundenbuch für Toul, Verleger S. Vostre73

ca. 1515

DR9

Privat

AB

Stundenbuch, Verleger A. Vérard74

21. Juni 1510

DR10

Privat

AB

Stundenbuch, Verleger G. Hardouin75

ca. 1520

DR11

Privat

AB

Stundenbuch, Verleger S. Vostre76

ca. 1508

Miniaturen Ort

Sammlung

Signatur

Titel

MIN1

Paris

Louvre, CD7

MI1098

Ovid De arte amandi: Schauspiel und Spiele, die dem Raub der Sabinerinnen vorangehen.77

MIN2

Privat

AB

MIN3-7

Verschiedene Orte

Fünf historisierte Initialen aus einem großformatigen Graduale für Ludwig XII und Anne von der Bretagne: MIN3. T mit der Weihe einer Kirche (Sainte-Chapelle von Paris?), MIN4. G Ludwig XII. und Anne von der Bretagne beten die Dornenkrone an, MIN5. Maria Magdalena büßend in der Wildnis, MIN6. Noli me tangere, MIN7. Erschaffung Evas.

Kreuzigung aus dem Missale (mit Coenes Signatur)78

108

Datum

Anmerkungen

1 Bartz/König, S. 306–309; Zöhl 2004, S. 43, 45; Delaunay 2008, S. 52–61; Orth, S. 297–298; Nettekoven/Zöhl in: Horae B.M.V. 2003, Nrn. 79, 103 und 2015, Nrn. 96.1 110.1. 2  Frz. Maître des Entrées Parisiennes oder Engl. Master of the Parisian Entries. 3  Schwester Heinrichs VIII. von England. 4  London, BL, Cotton Vespasian B. II. 5  Paris, BnF, fr. 5750. 6 Paris, BnF, fr. 5094–5101, fr. 25158; BA, ms. 5224; Petit Palais, Dutuit 664 und 665; Lyon, BM, ms. 894; Rom, Bibl. Vat., Reg. Lat. 927; München, BSB, Cod. gall. 20. 7  Heute sind von Anne von der Bretagnes Begräbniszügen noch 33 Exemplare bekannt, vgl. u. a. die Werkliste. 8  Avril/Reynaud, S. 282–285. 9  Zöhl 2004. 10  Avril/Reynaud, S. 287; Zöhl 2004, S. 28, 43. 11  Lyon, BM, ms. 5125. 12  Heute in Schweizer Privatbesitz, Dr. Jörn Günther, Basel. 13  Paris, BnF, Collection Clairambault, Nr. 418. 14 Delisle Bd. I, S. 246, Anm. 4 und S. 254; Ritter/Lafond; Pächt/ Thoss. 15 Avril/Reynaud. 16  Die Verzahnung von Buchdruck und Buchmalerateliers sowie die gegenseitige Beeinflussung beider Medien sind Gegenstand des folgenden Kapitels. 17  Privatsammlung Rainer Speck, Köln, S. Speck/Neumann, S. 289– 290, Nr. VI; Jacobs, S. 134–135, Abb. S. 128. 18  Dr. Jörn Günther, Basel. 19 Ihre Büchersammlung beschreibt Quentin-Bauchart in Bd. 1, S. 41–53, das besagte Manuskript aufgeführt unter der Nr. 21. 20  Paris, BnF, fr. 594. Der Maler dieses Codex ist mit Jean Pichore so eng verbunden, dass er von Eberhard König (Bartz/König, S. 279–309) mit diesem gleichgesetzt wurde. François Avril (Avril/ Reynaud 1993, S. 287) und später auch Caroline Zöhl (2004) sehen in ihm eine eigenständige Malerpersönlichkeit, die innerhalb des Pichore-Kreises abgespalten wird. 21 Heribert Tenschert, Antiquariat Bibermühle bei Ramsen, Schweiz. 22  Bartz/König, S. 280. 23 GW M31717: Francesco Petrarca, Trionfi, Sonnetti e Canzone, Venedig, Giovanni Capcasa, c. 1492–93. 24  Schweizer Privatbesitz, Antiquariat Bibermühle, Heribert Tenschert, Bartz/König, Abb. S. 320. 25  Châtelet in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 20, 1998. 26  Paris, BnF, fr. 12420 und 159. 27  Vgl. Kap. 1, Anm. 23 28  Über die Gründe für diese Skepsis kann man spekulieren. Myra D. Orth, in ihrem großen Werk über die französische Buchmalerei des 16. Jahrhunderts, begründet ihre Vorsicht mit zu wenig Belegen für die Identität dieses Künstlers: Orth, S. 297–298. 29 Wien, ÖNB, cod. 2565, 2581–82, 2587; London, BL, Royal Inv. 1047552, ehemals Slg. Phillipps ms. 3110; Basel, Dr. J. Günther Rare­ books. 30  Paris, BnF, fr. 2817–2822. 31 Zu diesen bilderreichen Stundenbüchern und den Bordüren­ zyklen gibt es mehrere Studien: Delaunay 1993; Hofmann 1998; Nettekoven 2016; Zöhl in: Horae B.M.V. 2015, S. 4154–4218. 32  Belege dafür führt zum Beispiel Mara Hofmann (2004, S. 5–6) in ihrer Monographie zum Buchmaler Jean Poyer aus Tours an. Viel Material zu dem Thema liefern Richard und Mary Rouse, Manuscript and their makers. Commercial Book producers in Medieval Paris 1200–1500, Turnhout 2000. 33  Orth, S. 297. 34  Zu nennen wäre hier die normannische Malergruppe um die Schöffen von Rouen, in Flandern ist Loyset Liédet aus Brügge ein gutes Beispiel für dieses Phänomen.

109

35  Diese Art von Arbeitsteilung ist auch schon in früheren Jahrhunderten in der Buchmalerei gelegentlich zu beobachten. Besonders wenn eine große Anzahl von Miniaturen zu bewältigen war, gab es Maler, die sich auf Landschaften spezialisierten, andere malten die Figuren und meist war es dem Leiter der Werkstatt vorbehalten, die Gesichter einzumalen. 36  Saint-Dié, BM, Ms. 74, L’Art de l’Enluminure, no. 26, 2008; über die Miniaturen Coenes: Delaunay 2008, S. 52–61. 37  Werkliste MIN3-7. 38  Ms. 1275 online verfügbar über die Webseite des IRHT: https:// bvmm.irht.cnrs.fr/ (konsultiert 03/2022). 39  Ms. Ludwig IX 15, abgebildet bei Plotzek/van Euw, S. 225–234 mit Abb. 40  Werkliste HS31, 35 und 36. 41  Paris, BnF, Vélins 618. In den beiden anderen Bänden, die zu diesem Werk gehören (Vélins 617, 619), findet sich Coenes Hand nicht. Online verfügbar über die Seite der BnF: https://gallica.bnf.fr, Suchbegriff VELINS –617 etc., konsultiert 03/2022. 42  Nettekoven in: Horae BMV, 2003, Bd. 1, S. 34; Nettekoven 2004, S. 63; Horae BMV, 2015, S. 1379, 1416, 1532; Nettekoven nn, passim. 43  Hofmann 2009. 44  Horae B.M.V. 2015, Bd. 9, Nr. 28, S. 4030–4040. 45  Werkliste DR8. 46  Zusammenarbeit Meister der Chronique Scandaleuse und Jean Coene IV. 47  Plotzek/van Euw, Bd. 2, S. 225–234; Ms. Ludwig XI, 15, dort noch als Schule von Rouen verzeichnet. 48  Online http://ica.themorgan.org/manuscript/page/8/76877, konsultiert 03/2022. 49  Hier arbeitet Jean Coene IV. an einigen Miniaturen zusammen mit einem Künstler des Pichore-Kreises. 50  Sehr amüsante Bordüren mit Kinderspielen, aus dem Umkreis des Jean Coene IV. 51  Orth, Nr. 20. 52  Frontispiz von Jean Coene IV. Margarete von Navarra wird das Buch überreicht. Orth, Nr. 21. 53  Vermutlich von einem Mitarbeiter Jean Coenes IV. ausgeführt. 54  Orth, Nr. 19. 55  Zwei Miniaturen, eine vom Meister der Philippa von Geldern und eine von Jean Coene IV. 56  Für den jungen Franz I. mit seinem brennenden Salamander und der Devise Nutrisco et extinguo, Zusammenarbeit von Jean Pichore und Jean Coene IV. 57  Ganz von Jean Coene IV. illuminiert. 58  Orth, Nr. 22. 59  Katalog Leuchtendes Mittelalter, NF I, S. 279–309; Speck/Neumann, S. 289–290, Nr. VI. 60  Katalog Paris mon Amour, Nr. 52. Zusammenarbeit von Jean Coene IV., Meister der Philippa von Geldern, Jean Pichore. 61  Katalog Paris mon Amour, Nr. 55. 62  Katalog Paris mon Amour, Nr. 57. 63  Katalog Catena Aurea, Nr. 26, und Paris mon Amour, Nr. 56. 64  Consuelo W. Dutschke, A Guide to Medieval and Renaissance Manuscripts in the Huntington Library, San Marino (Cal.), Bd. II, S. 396–403, Abb. 30. Zusammenarbeit mit Jean Pichore, der alle großen Miniaturen malte, und Jean Coene IV. trug die Kleinbilder bei. 65  Von Jean Coene IV. vollendet. 66  Katalog Leuchtendes Mittelalter, NF III, Nr. 24, Zusammenarbeit von Jean Coene IV, Jean Pichore und Etienne Colaud. 67 Zu konsultieren auf der Plattform der BnF https://archivesetmanuscrits.bnf.fr unter der jeweiligen Sammlung, auch die Exemplare in Rom und München sind digitalisiert. 68  Exemplar für König Ludwig XII. 69  Illuminiert für Louise von Savoyen, Mutter von Franz I., vom Meister der Dedikationsminiaturen, vom Meister des Etienne Pon-

Jean Coene IV., der Maler des StundenbuchsJean Coene IV., der Maler des Stundenbuchs

cher, vom Meister des Gotha-Stundenbuchs, mit einer Miniatur aus dem Umrkreis von Jean Coene IV. 70  Frontispiz von Jean Coene IV. 71 Zusammenarbeit diverser Meister, u. a. Meister des Etienne Poncher, geringe Beteiligung von Jean Coene IV. 72  Illuminiert für Franz I., beschrieben in: Katalog Fünfzig Unica 1472–1949, Nr. 11. 73  Umkreis Jean Coene IV. Horae B.M.V. 2015, Bd. 2, Nr. 103. 74  Umkreis Jean Coene IV. Horae B.M.V. 2015, Bd. 2, Nr. 79.

75  Umkreis Jean Coene IV. Horae B.M.V. 2015, Bd. 7, Nr. 110.1. Illuminationen der Metallschnitte wohl von Coene oder einem Mitarbeiter, eigenständige Miniaturen von einem unbekannten anderen Maler. 76  Mit handgemaltem Frontispiz von Jean Coene IV. Horae B.M.V. 2015, Bd. 6, Nr. 96.1. 77  Les enluminures du Louvre, Paris 2011, Nr. 118, S. 222–223, mit Abb. 78  Katalog Leuchtendes Mittelalter, NF I, Abb. auf S. 320.

110

Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern im Kontext der Pariser Buchkunst am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts

Man mag sich fragen, warum die Herzogin von Lothrin­ gen eigentlich den Auftrag für ein luxuriöses und ihr gewiss sehr wichtiges Gebetbuch, das sie unter ande­ rem als Andenken an ihren verstorbenen Ehemann be­ griff, nach Paris und nicht im eigenen Land vergab. Die Antwort darauf gibt Nicole Reynaud in ihren nach wie vor grundlegenden Betrachtungen zur Pariser Buch­ma­ lerei: Lothringen selbst besaß keine erwähnens­werte und eigenständige Buchmalereiszene.1 Einer der herausragenden Künstler, der zur Zeit des Herzogpaares in Nancy tätig war, war Georges Trubert, ursprünglich aus Troyes, bis 1480 Hofmaler und Kammerherr von König René von Anjou in Avignon. René II. holte Trubert um 1490/91 an seinen Hof und gab ihm einige große Handschriften in Auftrag.2 Trubert hielt sich einige Jahre am Hof in Nancy auf, doch dann scheint es ihn in die Hauptstadt gezogen zu haben, denn schließlich findet man seine Hand in einem Stundenbuch gemeinsam mit zwei Pariser Buchmalern,3 von denen einer bereits im vorherigen Kapitel vorgestellt wurde, nämlich Jean Pichore. Der andere, genannt Meister der Apokalypsenrose der Sainte-Chapelle, wird in diesem Kapitel für die Vorlagen zu Philippas Stundenbuch eine wichtige Rolle spielen. Beide haben sich, ebenso wie Jean Coene IV., sowohl im Pariser Handschriftenals auch im Druckwesen rege betätigt und so soll in diesem abschließenden Kapitel das Verhältnis von Buchmalerei und Buchdruck in der französischen Hauptstadt sowie der künstlerische Austausch zwi-

111

schen den verschiedenen Offizinen und Ateliers näher beleuchtet werden.

Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510 Während der langen Phase des 100-jährigen Krieges, der – mit Unterbrechungen – von 1337 bis 1453 an­ dauerte, hatte sich die Handschriftenproduktion von Paris, wo diese Kunst während des ersten Viertels des 15. Jahrhunderts mit Künstlern wie dem Boucicaut-­ Meister und dem Bedford-Meister eine künstlerische Blütezeit feierte, mehr und mehr auch in andere Städte verlagert. Tours war mit Jean Fouquet, später mit Jean Bourdichon4 und Jean Poyer5 zu einem wichtigen Zentrum der Buchkunst geworden. Jean de Valois, besser bekannt als der Herzog von Berry, einer der berühmtesten Bibliophilen des Spätmittelalters, hatte bereits um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert die besten Buchmaler nach Bourges geholt. Jean Colombe,6 ebenfalls aus Bourges, der mit seiner produktiven Werkstatt dort bis zum Ende des 15. Jahrhunderts tätig war, sorgte für Ruhm und Ansehen dieser Region als Handschriftenmetropole. Von der Rolle George Truberts in Lothringen war verschiedentlich die Rede. Er gestaltete einige seiner schönsten und berühmtesten Handschriften für den Herzog, die später in den Besitz von dessen Witwe Philippa gelangten.

Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern

Buchmaler als Entwerfer von Druckgraphik Es war indes keineswegs so, dass die Buchkunst während der Besetzung von Paris ganz aus der Hauptstadt verdrängt wurde, und bereits um die Mitte des Jahrhunderts, nachdem Karl VII. triumphal als Sieger des 100-jährigen Krieges in die Hauptstadt eingezogen war, hatten sich dort wieder wichtige und produktive Buchmaler niedergelassen und betrieben mit großem Erfolg ihr Gewerbe. Anhand der überlieferten illuminierten Handschriften können wir Rückschlüsse darauf ziehen, wie die verschiedenen Werkstätten mitein­ ander arbeiteten und in Beziehung standen. Da um 1470 Professoren der Sorbonne erstmals deutsche Buchdrucker nach Paris holten, die dort die neue »schwarze Kunst« einführen und französische Drucker und Setzer anlernen sollten, schlug das Buchwesen auch in dieser Hinsicht eine neue Richtung ein. Zunächst wurden für die Gelehrten der Universität und die Geistlichkeit zwar ausschließlich Textbücher gedruckt, denn der illustrierte Buchdruck befand sich – auch in Deutschland – noch in den Kinderschuhen. Erst in den 1460er Jahren hatte Albrecht Pfister in Bamberg begonnen, bewegliche Holzschnitte in den Satzspiegel gedruckter Bücher zu integrieren,7 während gleichzeitig in Deutschland und den Niederlanden illustrierte Druckwerke als sogenannte Blockbücher hergestellt wurden, bei denen Texte und Bilder spiegelverkehrt in Holzstöcke geschnitzt, mit Tinte eingestrichen und dann mit einem lederbezogenen Reiber auf Papier abgerieben wurden.8 Es gab auch andere Experimente mit dem gedruckten Wort und dem gemalten Bild, bei denen im Satzspiegel Platz für Bilder gelassen wurde. Hierfür ist der oben erwähnte Stundenbuchdruck aus der Bibliothèque de l’Arsenal für Antoine Vérard ein gutes Beispiel,9 in den Jean Coene IV. eigenständige Miniaturen eingemalt hatte. In anderen gedruckten Werken findet man Miniaturen oder Graphiken eingeklebt. In jedem Fall lässt sich an all diesen kreativen Experimenten mit Wort und Bild ablesen, wie groß das Bedürfnis der mittelalterlichen Leser nach Verbild­ lichung der Inhalte oder ganz einfach nach Anregung der Phantasie durch Illustrationen war. In Frankreich sollte es bis in die 1480er Jahre dauern, bis gedruckte Illustrationen in den beweglichen Letterndruck integriert wurden. Da viele dieser Exemplare über die Jahrhunderte verloren gingen und die ersten Probedrucke nur in geringen Auflagen produziert wurden, kann man heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, wann das erste illustrierte Buch in

Frankreich verlegt wurde. Als Schlüsseljahr ist in der Vergangenheit immer 1481 genannt worden, auf das zwei Missalien von Jean Dupré datiert sind. Jedoch ist dieses Datum inzwischen widerlegt, denn das Missale für den Pariser Gebrauch10 hat nur ein einseitig bedrucktes, textloses Doppelblatt mit zwei Holzschnitten eingebunden, kann also nicht im landläufigen Sinne als illustriertes Buch bezeichnet werden. Das Missale von Verdun,11 das ebenfalls im Kolophon auf 1481 datiert ist, wurde vermutlich erst zehn Jahre später produziert.12 Verlässliche Zeugnisse von gedruckten Ausgaben mit in den Text gesetzten Holzschnitten gibt es in Paris ab ca. 1483, in Lyon sogar noch ein wenig früher, nämlich ab ca. 1480.13 Anhand von stilistischen Vergleichen von Buch­ malereien und Druckgraphik gelang es in den vergangenen Jahrzehnten, einigen Buchmalern auch ein graphisches Œuvre zuzuschreiben und somit die Theorie zu erhärten, dass diese Kunsthandwerker nach Etablierung des Buchdrucks eifrig bemüht waren, sich auch dieses neue Medium zu erschließen. Allerdings ist die stilistische Engführung zwischen gemalten und graphischen Arbeiten nicht immer zweifelsfrei möglich, denn verschiedene künstlerische Techniken führen natürlich zu abweichenden stilistischen Ergebnissen. Zwischen einer Vorzeichnung und der fertigen Miniatur liegt nur ein Arbeitsschritt, der zudem meist vom gleichen Künstler ausgeführt wird. Wenn dieselbe Vorlage nun für den Riss auf einen Holz- oder Metallschnitt verwendet wurde, sind theoretisch diverse Hände an der Fertigstellung beteiligt: Der Künstler, der die Zeichnung anfertigte, ist nicht notwendigerweise mit dem Reißer identisch, der die Zeichnung auf die Druckplatte überträgt. Als drittes kommt meist ein unabhängiger Formschneider ins Spiel, der endlich die Zeichnung ins Holz oder ins Metall schneidet, und so ist es ziemlich klar, dass eine Graphik,auch wenn sie vom selben Künstler entworfen wurde, am Ende ganz anders aussehen kann, als dessen Buchmalereien. Identische Kompositionen in Handschriften und gedruckten Werken sind keinesfalls zuverlässige Indikatoren, um sie demselben Künstler zuzuschreiben. Ein reicher Vorrat an Vorlagen, Kompositions- und Detailskizzen war das Geschäftskapital für einen mittelalterlichen Künstler. Kluge und ehrgeizige Maler kopierten Vorlagen anderer, bereits etablierter und erfolgreicher Kollegen, wo immer sie die Gelegenheit dazu hatten, zum Beispiel während ihrer Gesellen-

112

Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510

jahre. So wanderten die Modellzeichnungen als Bildvorlagen von einem Atelier, unter Umständen sogar von einem Land ins andere, wenn Maler sich anderswo niederließen oder für einen anderen Meister zu arbeiten begannen. Diese Praxis, die heutzutage bisweilen Befremden und den Gedanken an Plagiate hervorruft, war in der damaligen Zeit absolut üblich und anerkannt. Sich in seinen eigenen Kunsterzeugnissen kopierend oder zitierend auf andere Werke zu beziehen, wäre niemals als ehrenrührig oder einfallslos angesehen worden. Im Gegenteil waren diese Bildzitate eher als Verneigung und Ehrbezeigung für den Urheber dieser Werke gemeint und wurden auch so verstanden. Nicht selten waren Bezugnahmen auf andere Kunstwerke speziell auf Wünsche von Auftraggebern zurückzuführen. Mit der Etablierung des illustrierten Buchdrucks wurden beliebte Vorlagen noch unkomplizierter in Umlauf gebracht, denn man konnte sie einfach aus einem bereits vorhandenen Druckwerk kopieren und mit diesen Kopien neue, vom Original kaum zu unterscheidende Druckplatten herstellen. In Paris ist diese Praxis speziell an den Stundenbuchdrucken sehr gut ablesbar, die in mannigfachen Varianten von zahlreichen Druckern und Verlegern der Hauptstadt hergestellt wurden, denn sie gehörten zu der beliebtesten Buchkategorie überhaupt.14 Einigen wenigen Pariser Buchmalern können nach aktuellem Forschungsstand ganze Serien von Druckentwürfen zugeschrieben werden.15 Auch begegnet man häufig, so wie im Stundenbuch der Philippa von Geldern, dem Umstand, dass Druckgraphik wiederum als Vorbild für Buchmalerei verwendet wurde. Mit diesem Faktum lässt sich auch der Trend erklären, dass besonders verschwenderisch mit Miniaturen und narrativen Bordürenelementen ausgestattete Handschriften auf die Bilderflut der gedruckten Bücher reagierten.16 Zwei breiter angelegte Studien zum Verhältnis von Pariser Buchmalerei und Buchdruck unternehmen den Versuch der stilistischen Einsortierung und Zuweisung von Graphiken an Illuminatoren-Ateliers für das ausgehende 15. und beginnende 16. Jahrhundert, doch wird hier häufig mit der Ähnlichkeit von Bildvor­lagen argumentiert, was – wie oben erläutert – trügerisch sein und in die Irre leiten kann.17 Die Quellenlage zu den infrage kommenden Künstlern ist spärlich, denn viele von ihnen sind namentlich überhaupt nicht bekannt. Buchmaler signierten ihre Werke nur selten und wenn ein Künstlername durch Rechnungen oder

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andere Dokumente archivalisch belegt ist, ist es oft ein mühsames, wenn nicht aussichtsloses Unterfangen, diesem Namen auch ein Werk zuzuordnen. Buchmaler jener Zeit haben in der Forschung häufig einen Notnamen verliehen bekommen, damit man überhaupt eine Möglichkeit hat, sie zu bezeichnen. Oft werden sie nach ihrem wichtigsten Werk oder dem bedeutendsten Auftraggeber benannt. Als Beispiele für diese Praxis seien hier stellvertretend nur der Meister der Philippa von Geldern oder der Meister der Chronique Scandaleuse genannt, die im vorangegan­genen Kapitel bereits vorgestellt wurden. Gelegentlich werden im Buchdruck namentlich genannte Personen, wie beispielsweise die Drucker und Verleger, deren Namen in den Druckführeranzeigen und Kolo­phonen auftauchen, in Archivalien auch als Buchmaler und Schreiber geführt. Doch ist damit keinesfalls gewährleistet, dass ein ehemaliger Maler, der eine Offizin leitete, auch seine Druckentwürfe selbst verantwortete. Im 19. Jahrhundert veröffentlichte der Bibliothekar Henri Monceaux eine umfangeiche Studie zur Druckerdynastie der Le Rouge aus Chablis.18 Ein Mitglied dieser Familie, Pierre Le Rouge, ist als Kalligraph und Buchmaler urkundlich belegt und wird auch als graveur bezeichnet. Er kommt 1487 von Chablis nach Paris, lässt sich als Drucker nieder und erhält als Erster von König Karl VIII. das Privileg des königlichen Druckers. Für Monceaux galt es als unzweifelhaft, dass Pierre Le Rouge auch seine Holzschnitt-Illustrationen selbst verantwortete. Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist das Rudimentum novitiorum in franzö­ sischer Übersetzung, die Mer des Hystoires also,19 die mit zahllosen stilistisch homogenen Holzschnitten aus­gestattet ist. Dieser typische Stil findet sich auch in anderen Druckwerken, zum Beispiel in früheren Stundenbucheditionen von unterschiedlichen Verlegern wie Antoine Vérard, Simon Vostre mit Philippe Pigouchet, die Brüder Marnef und Thielman Kerver. Dass dieser lineare und auf nachträgliche Kolorierung gera­dezu angewiesene Stil in der ersten Hälfte der 1490er Jahre von neuen, dichteren und auf malerische Wirkung der Schraffuren angelegte Illustrationsserien20 abgelöst wird, deckt sich mit Le Rouges Todeszeitpunkt um 1493. Dennoch besteht in der Forschung erheblicher Zweifel daran, ob man diese Koinzidenz als Indiz dafür werten darf, dass Le Rouge der Entwerfer von Druckgraphik der 1490er Jahre war.21 Kurz nach 1500 ändert sich der Illustrationsstil der Pariser Drucke noch einmal grundlegend. Die Metall-

Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern

schnitte werden stärker und vielfältiger schraffiert, was die malerische Wirkung der Graphik betont. Die Kompositionen dieser späten Buchschnitte sind teilweise oder ganz der deutschen Druckgraphik entlehnt. Zum Beispiel findet man eindeutige Anleihen an Dürers Holzschnitte und Schongauers Kupferstiche.22 Das bestätigt wiederum das bereits oben Erläuterte zur Wanderung von Vorlagen und zur üblichen Praxis der Kopie von beliebten und kommerziell erfolgreichen Werken. Im beginnenden 16. Jahrhundert wurden gedruckte Bücher von Händlern über die Grenzen getragen. Bereits Johann Fust und später Albrecht Dürers Pate, Anton Koberger, hatten sich während der ersten Jahre ihrer Drucker- und Verlegeraktivität zu Buchmessen über die Grenze unter anderem nach Frankreich begeben, um dort für ihre neuartige Vervielfältigungsmethode zu werben. Ein Rechtsstreit zwischen Marcantonio Raimondi und Albrecht Dürer,23 der als das erste Verfahren zu Copyright-Streitigkeiten in die Geschichte einging, fügt dem regen Plagiatstreiben jener Zeit eine weitere Farbe hinzu. In diesem Fall ging es nicht etwa darum, Raimondi zu verbieten, Dürers Holzschnitte fast wörtlich zu kopieren und in Italien zu vertreiben. Wogegen sich Dürer verwahrte war das Anbringen seines Monogramms AD auf den »Fälschungen«.24 Die späteren Illustrations­ serien, die neben den Entlehnungen aus deutscher Graphik auch sehr von italianisierender Ornamentik bestimmt sind, gehen im Wesentlichen auf ein Buch­ maleratelier in Paris zurück, nämlich auf Jean Pichore, der für zwei Projekte sogar als Verleger von Stunden­ büchern auftritt.25 Dieser Stil dominiert fortan die Pariser Drucke und auch in den etwa zeitgleichen Handschriften finden sich zahlreiche Beispiele aus diesem künstlerischen Umkreis. Buchmaler als Illuminatoren von gedruckten Ausgaben Neben ihrer Tätigkeit als Entwerfer von Druckgraphik waren Pariser Buchmaler aber auch damit betraut, die gedruckten Ausgaben nachträglich zu kolorieren, zu illuminieren oder sogar eigenständige und motivisch unabhängige Miniaturen über die zugrundeliegenden Holz- und Metallschnitte zu malen. Besonders der Verleger Antoine Vérard machte sich in den ersten Jahren seiner Tätigkeit einen Namen durch die Herstellung von kostspieligen Drucken auf Pergament, die er von Buchmalern so ausgestalten ließ, dass sich der Druck kaum mehr von einer Handschrift unterschied. Tat-

sächlich fertigte Vérard viele dieser Prachtdrucke als Dedikationsbücher für den Hochadel an. Sein bevorzugter Adressat war dabei der König selbst. Karl VIII. war entgegen aller spöttischen und abfälligen Beurteilungen, die einige seiner Zeitgenossen und manche Nachgeborenen über ihn zu äußern wussten,26 den Fakten nach zu urteilen ein durchaus wissbegieriger und literaturinteressierter Monarch. Er unterstützte das Buchwesen in Frankreich erheblich und förderte neben Buchmalern, Schreibern, Druckern und Verlegern auch Schriftsteller und Übersetzer, bei denen er Übertragungen oder Adaptionen von Texten aus dem Lateinischen ins Französische in Auftrag gab, da er Latein kaum bis gar nicht lesen und verstehen konnte. Vor allem Vérard machte dem König häufig Buch­ geschenke, nämlich jene Prachtcodices auf Pergament mit Buchmalereien. Auch kennt man zumindest zwei Stundenbuchhandschriften, die Vérards Hausmarke tragen und die beide für Karl VIII. personalisiert wurden (Abb. 4).27 Als Gegenleistung für diese kost­ baren Geschenke – so vermutet die Vérard-Biographin Mary Beth Winn28 – dürfte der König seinem bevor­ zugten Verleger manche Auflage komplett finanziert haben, indem er ihm ein finanzielles »Gegengeschenk« machte. Vérard beschäftigt eine ganze Reihe von Pariser Buchmalern, die ihm regelmäßig seine Druckaus­ gaben mit Gold und Farben ausgestalteten. Besonders verbunden war ihm dabei der Meister des Jacques de Besançon, der ähnlich wie Jean Coene IV. zu einer – vermutlich einst aus Flandern eingewanderten – Malerdynastie gehörte und der vor einigen Jahren als François Le Barbier junior identifiziert wurde.29 Diesem Künstler vertraute Vérard auch die Fertigung der reich illuminierten Stundenbuchhandschrift für Karl VIII. an, die heute in der Nationalbibliothek in Madrid aufbewahrt wird.30 Im Vorlagenfundus dieses Ateliers befinden sich zahlreiche Kompositionen, die auch in Vérards gedruckten Ausgaben Verwendung finden, jedoch lässt sich der eher liebliche Figurenstil dieses Künstlers nicht mit den kantigen und expressiven Holzschnitten übereinbringen. Nach heutiger Forschungsauffassung gehörte François Le Barbier junior, ebenso wie andere an Druckprojekten beteiligte Buch­ maler, zu den nur als Illuminatoren aktiven Künstlern. In der Tat scheint es so zu sein, dass man innerhalb der Pariser Buchkünstler grob zwei Präferenzen ausmachen kann. Die eine Gruppe hat sich primär auf das farbige Ausgestalten von Drucken spezialisiert, da

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Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510

sich der Farbdruck noch lange nicht etabliert hatte.31 Besonders die vermögende französische Klientel gab Manuskripten meist den Vorzug vor Drucken, wes­ wegen größter Wert darauf gelegt wurde, letztere möglichst wie Handschrift zu gestalten. Bis sich Buchliebhaber an den Reiz von Schwarzweißillustrationen gewöhnen würden, sollte es noch eine Weile dauern. Die andere Gruppe verlegte sich hauptsächlich auf den Entwurf von graphischer Buchillustration. In deutschsprachigen Landen hatten natürlich bereits Ende des 15. Jahrhunderts die herausragenden Holzschnitte und Kupferstiche von Schongauer, Dürer, dem Meister E. S. und vielen anderen für die un­be­ streitbare Ästhetik von Graphiken geworben. Für die Pariser Druckgraphik war es der Meister der Apokalypsenrose der Sainte-Chapelle, der erstmalig seine Metallschnittserien so gestaltete, dass sie auch ohne nachträgliche Illustration vollkommen wirkten und nicht mehr nach Illuminierung verlangten. Während allerdings die Metallschnitte des Meisters der Apokalypsenrose noch ganz der gotischen Formensprache verpflichtet waren, trat die Pariser Buchillustration in eine neue Phase mit den Werken des Jean Pichore. Sein Stil war sehr eng an deutscher Graphik orientiert und setzte die verschieden abgetönten Grauwerte von schraffierten Flächen wie Farbwerte ein. Auch hegte er eine Vorliebe für überbordenden Dekor und prachtvolle bildinterne Rahmungen aus italianisieren­ den Architekturelementen der Renaissance. Ab 1505 dominiert dieser Stil die Pariser Druckwerke und je dichter die Holz- und Metallschnitte schraffiert waren, desto mühsamer und aufwändiger wurde es für Buch­ maler, diese nachträglich zu kolorieren, denn auf den mit Druckerschwärze gesättigten Kompositionen haftete die Buchmalerfarbe nicht gut. Wir haben gesehen, dass Jean Coene IV. als Buch­ maler von Handschriften in den engeren Umkreis von Jean Pichore gehörte. Immer wieder findet man seine Hand in Werken, an denen auch Pichore oder ihm stilistisch nahestehende Künstler beteiligt waren. Ob er – zumindest vorübergehend – Mitarbeiter in Pichores Werkstatt war, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Sein Œuvre ist so umfangreich, dass man eher an einen freien Künstler denken mag, der sich dieser oder jener Werkstatt für bestimmte Aufträge anschloss. Auch kann sein Stil gelegentlich in Illuminationen von Buchgraphik nachgewiesen werden.32 Offenbar hatte er Zugang zu Pichores Vorlagenmaterial, vielleicht beruhte der Austausch von Vorzeich-

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nungen auch auf Gegenseitigkeit. Für Landschaften und Architekturhintergründe orientierte sich Coene stilistisch an den Vorgaben der Pichorewerkstatt. In der Hauptsache war er aber als Handschriftenilluminator tätig. Für das Stundenbuch der Philippa von Geldern ließ er sich allerdings von Metallschnitten aus gedruckten Stundenbüchern inspirieren, die zu einem ganz anderen Stilkreis gehörten. Manche dieser Vorbildkompositionen zitiert er sogar fast wörtlich. Nicht die ab 1505 immer stärker in Umlauf geratenden Metallschnitte in Pichores Stil, sondern die Buchgraphiken des Meisters der Apokalypsenrose der Sainte-­Chapelle, die der Verleger Simon Vostre zwischen ca. 1495 und 1498 verwendete, standen hier Modell. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in Philippas Stundenbuch die auffällige Miniatur zur Scheidung der Seelen mit den Porträts der Herzogin und ihres Gemahls René auf eine Datierung um das Jahr 1508 schließen lassen. Somit hätte Coene durchaus auf die »modernen« Metallschnitte im Stil Pichores als Vorbilder zurückgreifen können. Dennoch wählte er die konservativeren, gotisierenden Kompositionen des Meisters der Apokalypsenrose. Allerdings wird der folgende Vergleich der Miniaturen des her­ zoglichen Gebetbuchs mit den gedruckten Vorlagen erweisen, dass Jean Coene es versteht, den überbordenden Renaissancestil, den der Pichore-Stilkreis bevorzugte, mit der gotischen Formensprache des Apokalypsenmeisters zu verbinden und etwas Neues und Individuelles zu erschaffen. Schon die Kalenderbilder, die in Philippas Handschrift ein recht imposantes Format aufweisen und fast die Hälfte der Buchseite einnehmen, sind unschwer als Anlehnungen an Pigouchets und Vostres kleine Metallschnittvignetten (Abb. 54) aus der Werkstatt des Apokalypsenmeisters zu erkennen. Doch verfährt Coene mit seinem Vorlagenmaterial flexibel, fügt Bildelemente hinzu und lässt anderswo Details wegfallen, um zu einer klareren Bildaufteilung zu kommen. Das Januarbild mit der Tafel am Kaminfeuer wurde um eine Frauenfigur erweitert, die entweder als Hausfrau an der Mahlzeit teilnimmt oder auch als Bedienstete gedeutet werden kann. Den Wassermann in der linken Bildhälfte wandelt der Maler etwas ab, indem er ihn seitenverkehrt und Wasser aus einem Gefäß in den Fluss zurückgießend darstellt, während sein Pendant im Druck zwei Krüge entleert. Die Stadtkulisse im Hintergrund des Wassermanns

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

54  Kalenderbilder, Meister der Apokalypsenrose, Stundenbuchdruck für S. Vostre, Paris um 1498

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lässt der Maler weg und betont stattdessen eine weite Landschaft. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, die gesamte Buchseite mit dem entsprech­ en­den Stundenbuchdruck zu vergleichen: Genau wie dort werden in der Handschrift rahmende Bor­düren aus kleinen Einzelbildern zusammengesetzt. Zwar weichen diese im Detail von der gedruckten Vorlage ab, aber das Layoutprinzip wurde übernommen, so zum Beispiel einige L-förmig ausgebildete Eckmotive. Für fast alle Monate lassen sich vergleichbare Gemeinsamkeiten finden. Allerdings gibt es auch dezidierte Eigenständigkeiten, wie im April, wo dem Sternbild des Stiers zwei Kränze windende junge Frauen in einem umfriedeten Garten beigesellt werden, während der Druck hier einen jungen Falkner zeigt. Den Monat Mai nutzt Coene, um das Sternbild der Zwillinge als un­bekleidetes Liebespaar darzustellen, das die un­ teren Körperhälften unter einem Wappenschild verbirgt, abweichend vom Metallschnitt, der zwei ringende Knaben als Zwillinge ausgibt. Ob diese erotische Komponente dem Wunsch der Auftraggeberin geschuldet ist? Es würde uns bei Philippas sprich­ wörtlicher Demut und Tugendhaftigkeit erstaunen. Vielleicht ist es eine Anspielung auf ihren Kinder­segen? Ein solcher Deutungsversuch ist zwar amüsant, würde aber doch zu weit gehen, denn in Kalendern des 15. Jahrhunderts kommen die Zwillinge als nacktes Paar häufiger vor. Außerdem spricht gegen einen direkten Hinweis auf das Herzogpaar, dass darauf verzichtet wird, ein identifizierbares Wappen in den Schild ein­ zumalen. Besonders deutlich wird das Vorbildverhältnis von Metallschnitt und Miniatur in der Verkündigung an Maria (fol. 15r, Abb. 18, 55). Hier sind sowohl Interaktion als auch Gestik von Maria und dem Erzengel Gabriel nahezu identisch: Der Engel tritt von links an die lesende Jungfrau heran. Maria dreht sich halb zu ihm herum und erhebt ihre Rechte, in einer ambivalenten Geste, die Abwehr oder Gruß bedeuten könnte. Dass die Miniatur keine einfache Kopie, sondern eine Adaption des Metallschnitts ist, belegen die abweichenden Details. Das Baldachinbett, das in der Graphik in die Tiefe des Raums gerückt ist und erst bei näherem Hinschauen wahrgenommen wird, ist in der gemalten Szene direkt hinter Maria gerückt und auch eigentlich kein Bett mehr, sondern ein Stoffhimmel, dessen roter Vorhang die Jungfrau wie eine Art Ehrentuch hinterfängt und ihre Gestalt in dem blauen Gewand hervorhebt.

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55  Verkündigung an Maria, wie Abb. 54

Das Fenster oben rechts, durch das die Taube des Heiligen Geistes auf Goldstrahlen hereingeschwebt kommt, ist in der Miniatur leer, während im Metallschnitt Gottvater dort erscheint und die Szene segnet. Auch die architektonische Rahmung wird in der Miniatur nicht wörtlich kopiert, aber der zweigeteilte Bogen mit den gotisierenden Ornamenten erinnert an das Arrangement im Druck, ebenso wie die Anordnung der Beiszenen in den Bordüren. Ähnliche Parallelen lassen sich für die Heimsuchung (fol. 24v, Abb. 19, 56) konstatieren, wobei hier die eigentümliche Gewän­ defigur, die einen Franziskaner mit prominenter Geldbörse am Gürtel zeigt, eine genuine Erfindung unseres Malers zu sein scheint. Zwar gibt es auch in den Drucken ähnliche Gewändefiguren, doch sind diese viel beiläufiger und eher als Staffage zu begreifen, während unser Mendikant gewiss mit Intention in seiner Nische platziert ist und mehr als bloßes Ornament zu sein scheint. Auffällig ist bei all den Kompositionen, die Coene aus den gedruckten Stundenbüchern übernimmt, dass

Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

56  Heimsuchung, wie Abb. 54

er die Szenen oft vereinfacht und reduziert. Warum das geschieht, bleibt unserer Deutung überlassen. Womöglich waren ihm die Kompositionen in den Metallschnitten zu dicht und zu unübersichtlich. Dafür spräche zum Beispiel seine Maßnahme, dass er die Hirten, die im Metallschnitt zur Geburt hinter einem Flechtzaun stehen und das heilige Kind bewundern, in der entsprechenden Miniatur (fol. 30v, Abb. 20, 57) in das Bas-de-page des Rahmens verbannt und die heilige Familie von dort aus anbeten lässt. Bei der Verkündigung an die Hirten (fol. 34r, Abb. 21, 58) übernimmt Coene alle im Metallschnitt vorhandenen Figuren, einschließlich der selten vorkommenden Hirtin, die mit einem Lämmchen spielt. Auch hier wirkt die Miniatur übersichtlicher, weil die Schafe zu zwei kompakten Herden zusammengefasst sind und die Stadtkulisse der Graphik durch eine weite, in blauer Ferne auslaufende Landschaft ersetzt ist. Die beiden Verkündigungsengel mit dem Spruchband sind in Goldcamaieu gestaltet und werden so optisch

57  Geburt Christi, wie Abb. 54

zum Teil der gemalten Rahmung. Ähnlich »aufgeräumt« sind die Miniaturen mit der Anbetung der Könige (fol. 37v, Abb. 22, 59), in der das dicht gedrängte Gefolge der drei Weisen aus dem Morgenland entfällt wie auch die Darbringung im Tempel (Abb. 23, 60), bei der sämtliche Besucher der Zeremonie in der Miniatur auf die gegenüberliegende Seite des Altars positioniert werden. Auch fällt beim Vergleich der gedruckten Vorlagen mit den gemalten Interpretationen auf, dass der Illuminator offenbar Wert darauf legt, die im Druck eindeutig gotischen Rahmen in die Formensprache der Renaissance zu überführen, mit spielenden Putti und prachtvollen Festongirlanden, was auch dem Geschmack der Buchgraphik nach 1505, also den vom Atelier Pichore geprägten Graphiken, näherkommt. Ein anschauliches Beispiel dafür findet sich in der Flucht nach Ägypten (fol. 44r, Abb. 24, 61), die zudem noch besonders interessant ist, als hier mit den beiden, von der üblichen Ikonographie abweichenden, Engeln mit verschränkten Armen ein Ele-

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Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510

58  Verkündigung an die Hirten, wie Abb. 54

59  Anbetung der Könige, wie Abb. 54

ment ins Spiel kommt, das man so ebenfalls aus dem Vorlagenfundus von Jean Pichore kennt (Abb. 65).33 In fast wörtlichem Zitatverhältnis stehen die beiden Interpretationen von Bathseba im Bade (fol. 54r, Abb. 25, 62) zueinander, während die Allerheiligen­ miniatur von fol. 61r (Abb. 30), welche die Litanei der Bußpsalmen einleitet, ein Adaptionsverhältnis ganz besonderer Art demonstriert. Man findet eine vergleichbare Komposition wiederum in den gedruckten Stundenbüchern von Simon Vostre (Abb. 64). Ein Metallschnitt, der in der Regel die Heiligensuffragien34 einleitet, zeigt im oberen Drittel ebenfalls die thronende Trinität: Christus und Gottvater, die gemeinsam ein geöffnetes Buch präsentieren; zwischen ihren Köpfen schwebt die Taube des Heiligen Geistes. In genau derselben Weise präsentiert Jean Coene die Trinität, hier wie auch im Metallschnitt ist die Dreigottheit von einem Engelkranz umgeben und die Heiligen huldigen ihr im oberen Bildregister. Der Meister der Apokalypsenrose separiert in seinem Metallschnitt

die Komposition durch ein doppeltes Spruchband hälftig und versammelt im unteren Bereich die welt­ lichen und geistlichen Stände rechts und links von einem gotischen Kirchengebäude, gibt also eine visuelle Repräsentation von den Mächtigen der Welt, die der Kirche ebenso unterstellt sind wie die Heiligen des Himmels der Dreifaltigkeit. Jean Coenes Miniatur transportiert eine solche Botschaft nicht. In seiner Komposition besetzt die dicht gedrängte Schar der Heiligen auch den unteren Teil und sogar in den Bordürenrahmen finden sie Platz. Ein sehr ungewöhnliches Sujet ist das Gastmahl des Reichen zum Totenoffizium (fol. 65r Abb. 31, 63). Man findet es sowohl in unserer Handschrift als auch in den Stundenbuchdrucken aus Vostres Offizin. Zwar gibt es eine Illustration dieses Gleichnisses, das aus dem Lukasevangelium35 stammt, in französischen Stundenbuchhandschriften des ausgehenden 15. Jahrhunderts hin und wieder, doch wird fast ausschließlich die »Moral der Geschichte« dargestellt, nämlich

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Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

60  Darbringung im Tempel, wie Abb. 54

61 Flucht nach Ägypten, wie Abb. 54

La­zarus getröstet in Abrahams Schoß und der Reiche darbend und dürstend in der Hölle, von Teufeln und Monstern gepeinigt (Abb. 47). In beiden hier zu vergleichenden Versionen betritt Lazarus mit seiner Bettelschale und seiner Aussätzigenklapper von rechts den Saal, in dem der reiche Prasser an der gedeckten Tafel sitzt. Von links eilt ein Bediensteter herbei, der den Bettler vertreiben will, die Hunde lecken seine Schwären, Leute im Mittelgrund reden und Diener gießen Getränke aus Krügen in Trinkschalen. Im Hintergrund sieht man durch das geöffnete Fenster den armen Lazarus völlig entkräftet dahinsiechen. Man schließt aus dieser wörtlichen Übernahme, dass Jean Coene offenbar keine andere Vorlage für diese Szene besaß und auch nicht willens war, das Thema ab­ zuwandeln und eigene Bildfindungen einzubringen. Hier wird alleine der Rahmen zur Projektionsfläche von Coenes künstlerischer Freiheit, wenn er der Laza-

russzene noch die Drei Lebenden und die Drei Toten hinzufügt und den Heiligen Antonius als Eremiten mit dem Buch, dessen Anwesenheit im zweiten Kapitel bereits gedeutet wurde.36 Für alle weiteren Miniaturen des Totenoffiziums zum Leben und Schicksal Hiobs konnte sich Coene auf keine Druckvorlagen beziehen. Hier war seine eigene Erfindungsgabe gefragt und man sieht an den phantasievollen und lebhaften Kompositionen, dass er dazu absolut in der Lage war. Dass der Künstler entschied, sich für einen Großteil seiner Miniaturen auf Metallschnitte zu beziehen, die bereits seit etwa einem Jahrzehnt in Paris und über die Grenzen der Hauptstadt hinaus ein Erfolg geworden waren, mag durchaus von der Bestellerin der Handschrift initiiert gewesen zu sein. Die Stundenbücher Pigouchets und Vostres, denen diese Metallschnitte entstammten, waren ganz augenscheinlich ein außergewöhnlicher Best-

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Handschriften und Buchdruck in Frankreich zwischen ca. 1480 und 1510

62  Bathseba im Bade, wie Abb. 54

63  Lazarus beim Reichen, wie Abb. 54

seller. Für die Ausgaben von August und September 1498 kann man heute etwa 70 Exemplare nachweisen, was darauf schließen lässt, dass die Bücher, einer enormen Nachfrage folgend, in extrem hohen Auflagen gedruckt wurden. König Ludwig XII. besaß einen solchen Stundenbuchdruck, in reichstem Kolorit unter anderem vom Meister der Philippa von Geldern illuminiert.37 Köni­ gin Anne von der Bretagne war die Besitzerin einer winzigen, aufsehenerregenden Handschrift, 38 die mit Miniaturen des Apokalypsenmeisters illuminiert war. Philippa könnte diese beiden Stundenbücher bei dem Königspaar gesehen haben und somit ist es nicht nur denkbar, sondern sogar wahrscheinlich, dass sie dieser allgemeinen Begeisterung folgend auch eine Handschrift in dieser Manier besitzen wollte. Der Meister der Apokalpsenrose selbst dürfte zu jener Zeit, als Philippa ihr Stundenbuch zum Anden-

ken an Herzog René bestellte, wohl nicht mehr gelebt haben, denn aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sind keine Werke mehr von ihm überliefert. Da die Lothringische Herzogin durch etwa zeitgleiche Handschriftenaufträge bereits mit Jean Coene in Kontakt getreten war, lag es nahe, ihm diesen Auftrag zu geben. Sicher hatte sie bei den Lehrbüchern klas­ sischer Autoren, die sie für ihren Sohn Antoine bestellte, die Erfahrung gemacht, dass Coene ein erfindungsreicher Kopf war, der auch für weniger geläufige Bildsujets eine interessante, spannungsreiche Lösung fand. Für eine außergewöhnliche Stundenbuch­ handschrift mit einer so nicht gekannten Miniatur zur Seelenscheidung und einem vollständigen Hiobszyklus zum Totenoffizium war er eindeutig die richtige Wahl.

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Philippa von Geldern Herzogin von Lothringen, Königin von Sizilien

64  Trinität und Kirche, wie Abb. 54

65  Verkündigung an Maria, Jean Pichore, Stundenbuchdruck für S. Vostre, Paris um 1505

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Anmerkungen

1  Avril/Reynaud, S. 375 ff. 2 Reynaud. 3  Waddesdon Manor, Ms. 21. 4  Avril/Reynaud, S. 293 ff. 5  Avril/Reynaud, S. 306 ff.; Hofmann 2004. 6 Avril/Reynaud, S. 326 ff.; Christine Seidel, Zwischen Tradition und Innovation. Die Anfänge des Buchmalers Jean Colombe und die Kunst in Bourges zur Zeit Karls VII. von Frankreich, Simbach am Inn 2017. 7  Sabine Häußermann, Die Bamberger Pfisterdrucke, Berlin 2008. 8 Blockbücher des Mittelalters, Bilderfolgen als Lektüre, Ausst.-­ Kat. Mainz 1991; Vom ABC bis zur Apokalypse: Leben, Glauben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern, Ausst.-Kat. Luzern 2012. 9  4°T934, Werkliste DR1. 10  GW M24596. 11  GW M24836. 12 Ursula Baurmeister, 1481: a false landmark in the history of French illustration? The Paris and Verdun Missals of Jean Du Pré, in Incunabula. Studies in Fifteenth-Century Printed Books presented to Lotte Hellinga, London 1999, S. 469–491. 13  Claudin, Band 3: Lyon. 14  Siehe zu diesem Thema die Aufsätze und Beschreibungen in der aktuell ausführlichsten Studie zum Thema Stundenbuchdruck von Ina Nettekoven und Caroline Zöhl unter der Herausgeberschaft von Heribert Tenschert: Horae B.M.V. 2003 und 2015. 15  Avril/Reynaud, S. 269, 285; Nettekoven 2004; Souchal; Zöhl 2004. 16 Um nur einige Beispiele zu nennen: zwei Stundenbücher für König Karl VIII, Madrid, BN, Vitr. 24-1 und Liechtenstein Privat­ besitz. Stundenbuch für Karl V, Madrid, BN, Vitr. 24-3, Panisse Stundenbuch, Schweiz Privatbesitz. Vergleiche zu der Thematik auch: Delaunay 1993; Hofmann 1998; Nettekoven 2016. 17  Delaunay 2000; Bonicoli. 18 Monceaux. 19  Mer des Hystoires 1488: GW M39081. 20  Es handelt sich bei diesem neuen Stil ab 1495 um Arbeiten des sogenannten Meister der Apokalypsenrose der Sainte-Chapelle (Nettekoven in: Horae B.M.V. 2003, 2015; Nettekoven 2004) auch bisweilen Meister der Très petites Heures d’Anne de Bretagne genannt (Avril/Reynaud, S. 265–270). 21 Einige Forscher reklamieren einen Künstler, der Meister des Kardinals von Bourbon genannt wird, als Entwerfer (Delaunay; Bonicoli). Andere (Nettekoven/Zöhl) fragen sich, ob dieser Künstler vielleicht kaum Handschriften erschuf, sondern sich auf die Illus­ tration von gedruckten Ausgaben konzentrierte. 22  Zöhl in: Horae B.M.V. 2003, S. 336–342; Zöhl 2004, S. 99 ff. 23  Dieser Streit wurde von Giorgio Vasari in seiner zweiten Auf­ lage der Künstlerviten 1568 überliefert. Siehe dazu auch: Grischka Petri, Der Fall Dürer vs. Raimondi. Vasaris Erfindung, in: Birgit Ul­rike Münch/Andreas Tacke et. al. (Hg.), Fälschung – Plagiat – Ko-

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pie: künstlerische Praktiken in der Vormoderne, Petersberg 2014, S. 52–69. 24 Als interessante Randnotiz sei hier angemerkt, dass Dürer seinem Nürnberger Kollegen und Freund, dem Buchmaler Nikolaus Glockendon, gestattete, seine Komposition in Buchmalerei zu übersetzen und mit dem Monogramm AD zu versehen, so zum Beispiel im Passionstraktat des Heinrich von Sankt Gallen, München, BSB Cgm 9600. 25  Zöhl in: Horae B.M.V. 2003, S. 336 ff.; Zöhl 2004. 26 Vor allem italienische Zeitzeugen zeichnen ein geradezu groteskes Bild von Karl VIII., indem sie ihn als zitternden und sabbernden Kretin darstellen, der sich kaum auf dem Rücken eines Pferdes halten, geschweige denn kompetent an staatsmännischen Erörterungen teilnehmen konnte. Diese vernichtenden Zeugnisse resultieren wohl zumeist aus einer profunden Ablehnung desjenigen, der 1494 mit seinen Truppen durch Italien zog, vor allem um die Herzogtümer Mailand, Neapel und Sizilien in seinen Besitz zu bringen. Tatsächlich richtet Karls Italienfeldzug enormen Schaden an, und während er auf dem Heimweg nach Frankreich ist, werden alle eroberten Gebiete wieder der französischen Herrschaft ent­ rissen. Außer Zerstörung, einem Berg von Schulden für Frankreich und dem Ausbruch der tödlichen Syphilis hatte dieser Feldzug nichts eingetragen. Die kritische und herablassende Sicht wird auch in späteren Zeiten vor allem von Verfassern historischer Romane kolportiert. 27  Siehe Anm. 16 in diesem Kapitel 28 Winn. 29 Deldicque. 30  Siehe Anm. 16 in diesem Kapitel. (Madrid, BN, Vitr. 24-1). 31  Tatsächlich hatten sowohl Gutenberg als auch dessen Nach­folger Fust und Schöffer mit dem Eindrucken von farbigen Metall-­ schnittinitialen experimentiert und auch Jean Dupré hatte einige wenige Exemplare seiner Stundenbuchausgaben in vier Farben gedruckt, was aber offensichtlich so aufwändig war und nicht den gewünschten ästhetischen Effekt brachte, so dass man diese Verfahren relativ schnell wieder aufgab, da die nachträgliche Kolorierung günstiger und schöner war. 32  Vgl. in Werkliste in Kapitel 3. 33  Das Motiv der Engel mit den verschränkten oder untergeschlagenen Armen geht ursprünglich auf den Buchmaler Jean Poyer aus Tours zurück und wird von Jean Pichore vielfach zitiert. 34  Eine geläufige Textpartie, die im Stundenbuch der Philippa von Geldern weggelassen wurde. 35  Lk, 16:19-31. 36  Siehe Seite 68. 37  Horae B.M.V. 2015, Bd. V, Nr. 71.1 38 Die sogenannten »Très Petites Heures d’Anne de Bretagne«, Paris, Bnf, NAL 3120. Nach dieser Handschrift wird der Künstler auch bisweilen benannt. Siehe Anm. 20 in diesem Kapitel.

Anhang

1. Kurzbeschreibung des Stundenbuchs Stundenbuch für den Gebrauch von Rom. Handschrift auf Pergament in Latein und Französisch (Kalender). Paris, nach 1508, illuminiert von Jean Coene IV., auch genannt Meister der Pariser Entrées, für Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen.

Knospen im Buchstabeninneren. Unzählige einzeilige Zierbuchstaben zu den Versen, Antiphonen und Responsorien in Flüssiggold abwechselnd auf rostrote und blaue Gründe, Zeilenfüller in gleicher Farbigkeit, bisweilen noch durch goldene Knotenstöcke ergänzt.

Format: Oktav: 217 × 125 mm, Textspiegel: 158 × 78 mm.

Miniaturen: 12 große Kalenderbilder in zweiseitigen Bordüren mit Heiligendarstellungen, 24 ganzseitige Miniaturen in gemalten Renaissancerahmen, teilweise mit kleinen Szenen, Figuren oder Putti oder zweiseitigen Bordüren mit separaten kleinen Szenen, 6 kleine Miniaturen zu den Bußpsalmen. Jede Textseite ein­gefasst mit den Knotenschnüren der Klarissen (cordelières), gelegentlich auch ein Rosenkranz oder knorriges Astwerk, alle einheitlich in Flüssiggold gemalt.

Blattzahl: 91, von einst vermutlich 96 Blatt, drei der fehlenden Blätter mit Miniaturen. Kollation durch die sehr enge Bindung nicht ganz verlässlich zu ermitteln: I8-1 (Folia 1-7)1, II8-1 (8-14)2, III-VI8 (15-46), VII8-1 (47-53)3, VIII-XI8 (54-85), XII8-2 (86-91).4 Schrift und Schriftdekor: Geschrieben in einer der Antiquaschrift angenäherten gotischen Bastarda in Braun, Rot und Blau, im Kalender die wichtigsten Feste in Blattgold hervor­ gehoben. Einspaltig regliert in roter Tinte, zu 30 Zeilen, im Kalender zweispaltig zu 16 Zeilen. Dreizeilige Schmuckbuchstaben mit Kandelaberornamenten in Flüssiggold auf blauem, weiß ornamentiertem Grund, Blumeninitialen auf roten oder goldenen Gründen mit Buchstabenkörpern in Blau oder Hell­ grau, weiß ornamentiert; mit kleinen Blüten und

125

Einband: Schwarzer Maroquinband des frühen 19. Jahrhunderts von Ducastin (signiert auf dem Buchrücken),5 mit umlaufender Goldfilet und Palmettenmuster in Blindprägung auf Deckeln, Steh- und Innenkantenvergoldung, Rücken auf fünf Bünde gebunden, mit reichen Goldfileten oben und unten, sowie fünf Kreuzen in den Kompartimenten. Titel ebenfalls in Goldprägung: Heures // de Philippe // de Gueldres //

Anhang

Duchesse // de Lorraine. Ganzgoldschnitt, hellblaues Lesebändchen. Provenienz: 1. Philippa von Geldern, Herzogin von Lothringen, vermutlich hergestellt als Totengedenkbuch für ihren Gemahl René II. von Lothringen nach dessen Tod 1508. – 2. Pont-à-Mousson, Klarissenkloster, wohin das Manuskript vermutlich von Philippa an die Schwestern vererbt wurde und bis zum Beginn der Französischen Revolution blieb. – 3. Im 18. Jahrhundert (?) in der Stadtbibliothek Saint-Dié-de-Vosges, etwa 60 km nordwestlich von Colmar. Bibliotheksstempel auf Folio 91 verso. – 4. Vicomte Louis François de Villeneuve Bargemont, Marquis de Trans (1784–1850) mit seinem Wappenexlibris in Kupferstich und seiner Devise per haec regnum et imperium auf vorderem Innendeckel. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Vicomte eine dreibän­ dige Biographie zu René I. von Anjou, also dem Großvater von René II. von Lothringen, verfasste.6 Zur Zeit, als Quentin-Bauchart seine Femmes Bibliophiles7 veröffentlichte, gehört das Manuskript noch dem Vicomte. – 5. Carlo de Poortere, belgischer Industrieller und Bibliophiler, sein rotes Lederexlibris auf vorderem Innendeckel. – 6. Heribert Tenschert, Antiquariat Bibermühle, Schweiz. – 7. Heute in deutschem Privatbesitz. Textfolge: fol. 1r–6v fol. 7r–10v fol. 11r–14v fol. 15r–53v

fol. 54r–64v fol. 65r–91v

Kalender Perikopen: Johannes (7r), Lukas (8r) Anfang fehlt, Matthäus (8r), Markus (10r) Mariengebete: Obsecro te (11r) – Anfang fehlt, O intemerata (12v) Marienoffizium für den liturgischen Gebrauch von Rom: Matutin (15r), Laudes (24v), Prim (30v), Terz (34r), Sext (37v), Non (40v), Vesper (44r), Komplet (48r) – Anfang fehlt, Adventsoffizium (50v). Bußpsalmen mit Litanei (61r) Totenoffizium für den Gebrauch von Rom

Bildfolge:

fol. 2r März – Beschneiden der Reben, Widder April – Winden von Blumenkränzen, Stier fol. 2v Mai – Ausritt im Wald, Zwillinge fol. 3r Juni – Heumahd, Krebs fol. 3v fol. 4r Juli – Kornmahd, Löwe August – Dreschen des Korns, Jungfrau fol. 4v September – Aussaat und Eggen, Waage fol. 5r Oktober – Weinkelter, Skorpion fol. 5v fol. 6r November – Schweinemast, Schütze fol. 6v Dezember – Schweineschlachten, Steinbock Johannes auf der Insel Patmos fol. 7r Matthäus prüft seine Schreibfeder fol. 8v fol. 10r Markus mit dem Löwen fol. 12v Pietà – Beweinung Christi Verkündigung an Maria fol. 15r Heimsuchung fol. 24v fol. 30v Geburt Christi Verkündigung an die Hirten fol. 34r fol. 37v Anbetung der Könige Darbringung im Tempel fol. 40v fol. 44r Flucht nach Ägypten Bathseba im Bade fol. 54r fol. 55r, 55v, Sechs Kleinbilder im Text: David 57r, 58r, 59v, büßend in Landschaft und 60r Innenräumen Allerheiligenminiatur mit Trinität fol. 61r fol. 65r Lazarus im Haus des reichen Prassers Scheidung der Seelen mit Philippa und René fol. 69r II. von Lothringen Hiob im Glück fol. 72v fol. 73v Wette mit dem Teufel; der gepeinigte Hiob Verlust von Hiobs Herden fol. 74v Hiobs Haus in Brand fol. 78r Hiob unterweist seine Kinder fol. 79r fol. 80r Hiob diskutiert mit seinen Freunden Hiobs Freunde musizieren fol. 83v fol. 84v Hiob wird erneut vom Teufel gequält Hiob mit seiner Frau fol. 85v

Zum Stil der Buchmalerei: Der Stil der Illuminationen stammt aus Paris, von einem Künstler, den man sowohl in zahlreichen Handschriften als auch in illuminierten Druckaus­ gaben nachweisen kann. Er trug über viele Jahre den Notnamen Meister der Pariser Entrées und konnte aufgrund einer signierten Einzelminiatur als Jean Coene, Angehöriger einer ursprünglich aus Flandern stammenden Künstlerdynastie, identifiziert werden.

fol. 1r Januar – Mahlzeit in der Stube, Wassermann fol. 1v Februar – Mann wärmt sich am Kamin, Fische

126

Anhang

2. Eintrag von Ernest Quentin-Bauchart, Band II, S. 371–372 8. HEURES. In-8, maroq. noir. (Reliure moderne). Manuscrit sur vélin de 90 ff. portant 217 mill. de hauteur sur 125 de largeur. Il se compose d’un calendrier, d’un passage de chacun des quatres Evangélistes, de deux prières à la bienheureuse Marie, de l’Office de la Sainte Vierge, des Psaumes de la Pénitence, des Litanies des Saints et de l’Offfice des Morts. Le calendrier de chaque mois est orné d’une magnifique vignette divisée en deux compartiments sous forme de double portique. Dans l’un est peint le signe du Zodiaque correspondant; dans l’autre, sont représentés les travaux de la campagne pendant le mois. Le reste de l’encadrement est formé de niches juxtaposées et ornées de l’efigie des Saints les plus remarquables dont la fête se célèbre dans le courant de ce même mois. Chacun des passages de l’Evangile est précédé d’une jolie peinture, qui remplit la presque totalité de la page et représentant l’écrivain sacré dont le texte va suivre, et l’animal symbolique par lequel il est ordinairement désigné. La seconde prière a, pour frontispice, la Vierge soutenant, dans ses bras, son fils descendu de la croix. Chacune des principales parties de l’office de la Sainte-­ Vierge est ornée de mimatures: l’Annonciation, la Visitation, la Naissance de J.-C., l’Adoration des Mages, etc. En avant des Psaumes de la Pénitence, l’artiste en­ lumineur a peint Davide contemplant Bethsabée, et le Meurtre d’Urie. Les litanies des saints commencent par une image du ciel, où l’on voit le trône de Dieu entouré par les Élus. L’Office des morts est orné de sujets tirés de la Bible. Toutes ces peintures sont aussi remarquables par la richesse des ornements, l’expression des figures, l’attitude des personnages, que par la variété, la vivacité et la solidité des couleurs. Les pages de ces Heures sont encadrées, quelques-unes d’un rosaire; d’autres de branches effeuillées et desséchées; le plus grand nombre, d’une cordelière dont les extrémités entrelacées forment des nœuds artistement variés.

127

Ce beau manuscrit a perdu: 1° le feuillet sur lequel se trouvait le frontispice du passage de l’Evangile Saint-Luc, dont il ne reste que la fin; 2° le feuillet sur lequel devaient être la vignette et le commencement de la première prière à la Vierge; 3° un feuillet ou deux à la fin de l’Office des Morts; 4° sa reliure primitive, qui a du être remplacée; mais il n’en reste pas moins précieux tant sous le rapport de a calligraphie et de la peinture, que pour son illustre provenance. Il a, pendant un certain temps, fait partie de la Bibliothèque publique de Saint-Dié, dont il porte le sceau, et appartient aujourd’hui à M. le Marquis de Villeneuve-­ Trans. Der Ausführlichkeit seiner Schilderung nach zu urteilen, kannte der Autor diese Handschrift aus eigener Anschauung, hatte sie somit offenbar in der Bibliothek des Vicomte von Villeneuve konsultieren dürfen. Zu dieser Zeit fehlten also offenbar bereits die Miniaturen, wobei Quentin-Bauchart nicht bemerkt hat, dass auch zur Komplet des Marienoffiziums eine Miniatur entfernt wurde. Rätselhaft bleibt auch, worauf er im Zusammenhang mit der Eingangsminiatur der Bußpsalmen anspielt, wenn er auf den »Tod des Uriah« hinweist, den es tatsächlich als Metallschnitt in den vorbildhaften Graphiken des Meisters der Apokalypsenrose gibt, der hier in der Handschrift allerdings nicht vorkommt. Vielleicht hielt er die kleine Vignette im Rahmen, wo David den Goliath tötet, irrtümlich für den Tod von Bathsebas Gemahl? Sehr wahrscheinlich ist diese Annahme jedoch nicht. Ebenfalls interessant ist sein ausführlicher Hinweis darauf, dass die Handschrift ihres ursprünglichen Einbands beraubt ist, wobei er offenbar nicht davon ausgeht, dass der Vicomte von Villeneuve für die Neubindung verantwortlich war. Somit muss die Handschrift zwischen der Stadtbibliothek von SaintDié und dem Vicomte noch bei einem weiteren Besitzer gewesen sein.

Anhang

3. Summary The Book of Hours of the Duchess of Lorraine, Philippa of Guelders From various hints in the book and testimonies from past centuries, the identity of the owner of this book of hours can be clearly determined. It belonged to Philippa of Guelders, Duchess of Lorraine, wife of Duke René II of Lorraine. Her unusually long life span, but most of all her vicissitudinous fate and her conduct and deeds elevate her to the rank of a remark­able Renaissance princess. She was born in the Duchy of Guelders, as can be concluded from her epi­thet. She was the daughter of Duke Adolf of Egmond and his wife Catherine of Bourbon.  After a time as a valuable hostage at the Duchy of Burgundy and later at the French royal court, she was finally married to Duke René II of Lorraine. The book of hours, which is discussed here, was probably manufactured shortly after René’s death around 1508. Some peculiarities in its design lead us to conclude that it was intended as a book for his commemora­ tion. During the last decades of Philippa’s life, from 1519 to 1547, she fulfilled a long-cherished wish and retired to the convent of the Poor Clares at Pont-à-Mousson in Lorraine. She took her library and with it this book of hours with her. When the French Revolution brought about turbulences and destruction, the manuscript was removed from

the convent and ended up in private collections. When this manuscript was produced, movable type printing had already been established for almost half a century. Books of hours in particular were printed in unbelievable abundance in Paris. Many were additionally illuminated and individualised according to the taste and financial possibilities of the presumptive owners. Nevertheless, Philippa of Guelders chose a manuscript and not a printed book for her personal prayer book. What is surprising about this artwork, however, is that many of its miniatures were strongly influenced by graphic book illustrations. Hence, we face an excellent example of the mutual influence of printed editions and manuscripts that was so pervasive at the turn of the 15th century and created the first influential media shift. The illuminator who produced this book of hours was known to Philippa through other commissions he carried out for her. He was not based in Lorraine but in Paris, where the Duchess apparently had most of her manuscripts made. For some years now, it has been possible to name this illuminator: Jean Coene IV, originally from a Flemish dynasty of artists. His vast œvre as well as his complex involvement in the Parisian book trade make him an important representative of a truly transitional epoch.

128

Anhang

4. Sommaire Le livre d’heures de la duchesse de Lorraine, Philippe de Gueldre Diverses indications dans le livre et des témoignages des siècles passés permettent de déterminer clairement l’identité de la propriétaire de ce livre d’heures. Il appartenait à Philippe de Gueldre, duchesse de Lorraine, épouse du duc René II de Lorraine. Sa durée de vie inhabituellement longue, mais surtout son destin capricieux ainsi que son comportement et ses actes l’élèvent au rang de remarquable princesse de la Renaissance. Elle est née dans le duché de Gueldre, comme l’indique son sobriquet. Elle était la fille du duc Adolphe d’Egmond et de son épouse Catherine de Bourbon. Après avoir été un otage précieux dans le duché de Bourgogne et plus tard à la cour royale française, elle fut finalement mariée au duc René II de Lorraine. Le livre d’heures, dont on discute ici, a probablement été réalisé peu après la mort de René, après 1508. Certaines particularités permettent de conclure qu’il a été conçu comme un livre commémoratif pour le feu duc. Dans les dernières décennies de sa vie, de 1519 à 1547, Philippe réalisa son grand désir et se retira dans le couvent des clarisses de Pont-à-Mousson en Lorraine. Elle emporta sa bibliothèque personnelle et donc aussi ce livre d’heures. Lorsque la Révolution française entraîna des troubles

129

et des destructions, le manuscrit fut retiré du couvent et se retrouva dans des collections privées. Quand ce manuscrit a été réalisé, la typographie était déjà solidement établie en France. Des livres d’heures, en particulier, étaient imprimés à Paris en quantité et variété incroyable. Beaucoup furent en outre enluminés et individualisés selon les goûts et les moyens financiers des clients. Toutefois, Philippe de Gueldre a préféré un manuscrit au lieu d’un imprimé. Mais ce qui est surprenant dans cette contexte, c’est que plusieurs des miniatures ont été considérablement influencées par des gravures. Il s’agit donc d’un excellent exemple de l’influence réciproque des éditions imprimées et des manuscrits, qui s’est accrue au tournant du 15e siècle. L’enlumineur qui a réalisé ce livre d’heures était connu de Philippe par d’autres commandes qu’il a exécutées pour elle. Il n’était pas établi en Lorraine, mais à Paris, où la duchesse faisait réaliser la plupart de ses manuscrits. Depuis quelques années, on a réussi à identifier cet enlumineur: il s‘agit de Jean Coene IV, d’une dynastie d’artistes flamands. Son œuvre abondante, ainsi que son implication complexe dans le commerce du livre parisien font de lui un représentant important d‘une époque décisive de transition.

Anhang

5. Bild- und Publikationsrechte Abb. 1, 2, 5, 50: Dr. Jörn Günther Rare Books, Basel Abb. 3, 49, 54–65: Dr. Heribert Tenschert, Bibermühle, Ramsen (CH) Abb. 4: Privatsammlung Liechtenstein Abb. 6: Musée Lorrain, Nancy, Palais der Herzöge von Lothringen, Foto: Michel Bourguet (Inv. D.2006.0. 1080) Abb. 7–46: Privatsammlung Deutschland, Fotos: Toni Ott, Landshut

Abb. 47: Sammlung Renate König, KOLUMBA, Köln Abb. 48: Sammlung Dr. Reiner Speck, Köln Abb. 51: Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Cod. 2582, fol. 216v Abb. 52: Bibliothèque nationale de France, Paris, Vel. 618, fol. 43v Abb. 53 Bibliothèque nationale de France, Paris, Res Fol L35–17, fol. 6r

130

Anhang

6. Abkürzungen AB BA Bibl. Vat. BL BM BN BnF Bod. BSB BSG CD FB FN GM GW

HL JG KB MKB NB ÖNB PML SDBM USTC VD 16 VE15

Antiquariat Bibermühle, Schweiz Bibliothèque de l’Arsenal, Paris Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom British Library, London Bibliothèque municipale Biblioteca nacional, Madrid Bibliothèque nationale de France, Paris Bodleian Library, Oxford Bayerische Staatsbibliothek, München Bibliothèque Saint-Geneviève, Paris Cabinet des dessins, Louvre, Paris Fondation Bodmer, Genf Fußnote Getty Museum, Los Angeles Gesamtkatalog der Wiegendrucke (vgl. Literatur)

131

Huntington Library, San Marino (CA) Dr. Jörn Günther Rarebooks, Basel Koninglijke Bibliotheek, Den Haag Museum für Brot und Kunst, Ulm Nationalbibliothek, St. Petersburg Österreichische Nationalbibliothek, Wien Pierpont Morgan Library, New York Schönberg Database of Manuscripts (vgl. Literatur) Universal Short Title Catalogue (vgl. Literatur) Das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jh. (vgl. Literatur) Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke (vgl. Literatur)

Anhang

7. Literaturverzeichnis AKL Avril/Reynaud

Bartsch Bartz/König

Bonicoli

Brachmann

Catena Aurea

Claudin

Commynes

Delaunay 1993

Delaunay 2000

Delaunay 2008

Deldicque

Allgemeines Künstlerlexikon, München u. a. 1992 ff. Françoise Avril/Nicole Reynaud, Les manuscrits à peintures en France, Ausst.-Kat. Bibliothèque nationale de France, Paris 1993 The Illustrated Bartsch. German Book Illustration Through 1500, Amsterdam 1978 ff. Gabriele Bartz/Eberhard König, Boccaccio und Petrarca in Paris, in: Kat. Leuchtendes Mittelalter, NF I, Ramsen, Rotthalmünster 1997 Louis-Gabriel Bonicoli, La production du libraire-éditeur parisien Antoine Vérard (1485–1512): nature, fonctions et circulation des images dans les premiers livres imprimés illustrés, Diss. Université de Paris, 2015 Christoph Brachmann, Der Nachlass der Herzogin und Nonne Philippa von Geldern. Eine persönliche Sammlung von Gegen­ ständen zum devotionalen Gebrauch, in: Maria Deiters/Ruth Slenczka (Hg.), Häuslich – persönlich – innerlich: Bild und Frömmigkeitspraxis im Umfeld der Reformation, Berlin, Boston 2020, S. 359–378 Heribert Tenschert, Catena Aurea, 50 illu­ minierte und illustrierte Handschriften …, Katalog, Ramsen, Rotthalmünster 1988 Anatole Claudin, L’Histoire de l’Imprimerie en France au XVe et au XVIe siècle, Paris 1901–1914 Philippe de Commynes: Les Memoires, in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen, auch online verfügbar Isabelle Delaunay, Les Heures d’Écouen du Musée National de la Renaissance. Échanges entre manuscrits et imprimés autour de 1500, in: Revue du Louvre et des musées de France, 43, Nr. 4, 1993, S. 11–24 Isabelle Delaunay, Échanges artistiques entre livres d’heures manuscrits et imprimés produits à Paris vers 1480–1500, Diss. Paris 2000 (unveröffentlicht) Isabelle Delaunay, Le Maître des entrées parisiennes, in: Art de l‘enluminure, 2008, S. 52–61 Mathieu Deldicque, L’enluminure à Paris à la fin du XVe siècle: Maître François, le Maître de Jacques de Besançon et Jacques de Besançon identifiés?, in: Revue de l’art, 2014, S. 9–18

Delisle

Fünfzig Unica GW

Henry

Hofmann 1998

Hofmann 2004 Hofmann 2009

Horae B.M.V. 2003 Horae B.M.V. 2015

Jacobs

Jacotey

Janssen

König 1993

Lecoq

Leuchtendes Mittelalter

132

Léopold Delisle, Le Cabinet des Manuscrits de la Bibliothèque Impériale, 3 Bde., Paris 1868–1881 Heribert Tenschert, Fünfzig Unica 1472–1949, Katalog, Ramsen 1998 Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Leipzig 1925–[2020], Online: www.gesamtkatalogderwiegendrucke Jean François Henry, Philippe de Gueldre. Reine-Duchesse et Pauvre Dame. 1547–1947, Nancy 1947 Mara Hofmann, Studie zum Panisse-­ Stundenbuch, Magisterarbeit Berlin 1998 (unveröffentlicht) Mara Hofmann, Jean Poyer – das Gesamtwerk, Turnhout 2004 Mara Hofmann, Gemalte Miniaturen in gedruckten Inkunabeln: Die Grandes Heures des Pariser Verlegers Anthoine Vérard, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Wien 2009, S. 183–203 Ina Nettekoven/Heribert Tenschert/Caroline Zöhl, Horae B.M.V. 365 Drucke der Sammlung Bibermühle, 3 Bde., Ramsen 2003 Ina Nettekoven/Heribert Tenschert/Caroline Zöhl, Horae B.M.V., 365 gedruckte Stundenbücher der Sammlung Bibermühle 1487–1586, 6 Bde., Ramsen 2015 Hanna Christine Jacobs, Eingangsbilder. Petrarca-Portraits in Miniaturen der Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck, in: Klug und von hehrer Gestalt. Petrarca-Bildnisse aus sieben Jahrhunderten, Köln 2018, S. 128–169 Marie-Louise Jacotey, Philippe de Gueldre: Princesse à la cour, souveraine, épouse et mère puis religieuse 1464–1547, Langres 2004 Wilhelm Janssen, Die Geschichte Gelderns bis zum Traktat von Venlo (1543), in: Gelre – Geldern – Gelderland. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern, Bd. 1 Aufsätze, Geldern 2001 Eberhard König, Das dritte Stundenbuch der Philippa von Geldern, in: Kat. Leuchtendes Mittelalter, V, Heribert Tenschert (Hg.), Ramsen, Rotthalmünster 1993 Anne Marie Lecoq, François Ier Imaginaire – Symbolique et Politique á l‘Aube de Renaissance Française, Paris 1987 Heribert Tenschert (Hg.), Leuchtendes Mittelalter, Ramsen, Rotthalmünster 1989 ff.

Anhang

Joseph Meder, Dürer-Katalog. Ein Handbuch über Albrecht Dürers Stiche, Radierungen, Holzschnitte, Wien 1932 Mende/Scher- Matthias Mende/Rainer Schoch/Anna baum/Schoch Scherbaum, Albrecht Dürer: Das druck grafische Werk, München 2001 Henri Monceaux, Les Le Rouge de Chablis, Monceaux 2 Bde., Paris 1896 Ina Nettekoven, Die Apokalypsenrose der Nettekoven 2004 Sainte-Chapelle und die Pariser Buchkunst um 1500, Turnhout 2004 Nettekoven Ina Nettekoven, Das Gothaer Stundenbuch. 2007 Ein bilderreiches Pariser Stundenbuch um 1500, in: Patrimonia 2007, 312, S. 7–32 Ina Nettekoven, J’aime tant fort une. Das Nettekoven 2016 Stundenbuch von Charles VIII., München 2016 Nettekoven/ Ina Nettekoven/Caroline Zöhl, Das Hearst Stundenbuch, Sammlung Renate König, Zöhl 2016 VIII, Köln, Kolumba 2016 Nettekoven nn Ina Nettekoven, Schwarze Kunst – farbig gehöht. Arbeitsabläufe und Organisation in Pariser Offizinen um 1480–90, in: Tagungsband zur Wiener Tagung Experiment Buch, Wien 2019 – in Vorbereitung Orth Myra D. Orth, Renaissance Manuscripts: The Sixteenth Century (A Survey of Manuscripts Illuminated in France), Turnhout 2015 Pächt/Thoss Otto Pächt, Dagmar Thoss, Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek, Franzö­ sische Schule II, Wien 1977 Paris mon Heribert Tenschert (Hg.), Paris mon Amour, 5 Bde., Ramsen 2018 Amour Plotzek/ Joachim M. Plotzek, Anton van Euw, Die Handschriften der Sammlung Ludwig, van Euw 4 Bde., Köln 1979–1985 Ernest Quentin-Bauchart, Les Femmes Quentin- Meder

133

Bauchart Reynaud

Ritter/Lafond

Souchal

Speck/ Neumann

Tranié

USTC VD16

VE15

Winn

Zöhl 2004

Zöhl 2015a

Zöhl 2015b

bibliophiles de France, XVIe, XVIIe & XVIIIe siècles, Paris 1886 Nicole Reynaud, Georges Trubert, enlumineur du Roi René et de René II de Lorraine, in: Revue de l’art, 1977, Nr. 35, S. 41–63 Georges Ritter, Jean Lafond, Manuscrits à Peintures de l’École de Rouen – Livres d’Heures Normands, Rouen, Paris 1913 Geneviève Souchal, Un grand peintre français de la fin du XVe siècle: le Maître de la chasse à la licorne, in: Revue de l‘art, 1973, Nr. 22, S. 22–49 Reiner Speck/Florian Neumann (Hg.), Francesco Petrarca 1304–1374. Werk und Wirkung im Spiegel der Biblioteca Petrachesca, Reiner Speck, Köln 2004 Ghislain Tranié, Philippe de Gueldre (1467–1547). »Royne de Sicile« et »povre ver de terre«, Paris 2018 Universal Short Title Catalogue, http://ustc. ac.uk/ Verzeichnis der im deutschen Sprach­ bereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, www.gateway-bayern.de/index_ vd16.html Falk Eisermann, Verzeichnis der typo­ graphischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, 3 Bde., Wiesbaden 2004 Mary Beth Winn, Anthoine Vérard. Parisian Publisher, 1485–1512. Prologues, Poems and Presentations, Genf 1997 Caroline Zöhl, Jean Pichore, Buchmaler, Graphiker und Verleger in Paris um 1500, Turnhout 2004 Caroline Zöhl, Der Meister der Philippa von Geldern, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 80, München u. a. 2015 Caroline Zöhl, Der Meister der Chronique Scandaleuse, in: Allgemeines Künstler­ lexikon, Bd. 80, München u. a. 2015

Anhang

8. Index Index Personen

Name

Rang/Funktion

Lebensdaten

S.

Alexander VI.

Papst aus der Familie Borgia (Rodrigo Borgia)

1431–1503

15

Amboise, Georges d‘

Kardinal und Minister unter König Ludwig XII.

1460–1510

96

Anjou, Nicolas von

Renés II. Großonkel

1448–1473

21

Anjou, René I. von

Herzog von Anjou, Renés II. Großvater

1409–1480

20, 25, 30 (39), 111, 126

Anjou, Yolande von

Renés II. Mutter

1428–1483

21, 28

Aragón, Juan I. gen. der Jäger

König von Aragón

1350–1395

98

Barbel, Marie-Charlotte

Letzte Äbtissin in Pont-à-Mousson

Ende 18. Jh.

27

Barbier, François le junior

Buchmaler in Paris

aktiv 2. Hälfte 15. Jh.

114

Barbier, Jean

Drucker in Paris

aktiv Beginn 16. Jh.

105

Beaujeu, Anne von

Tochter Ludwigs XI., Interims­ regentin von Frankreich

1461–1522

19, 23, 25, 30 (24)

Berg, Adolf VII. von

Herzog von Jülich-Berg

gest. 1437

17

Berry, Jean von

Herzog von Berry

1340–1416

33, 66, 111

Bourbon, Isabella von

Herzogin von Burgund

1434–1465

18

Bourbon, Katharina von

Philippas Mutter

1440–1469

17, 30 (1)

Bourbon, Pierre II. von

Gemahl von Anne von Beaujeu, Philippas Onkel

1438–1503

19

Bourbon, Renée von

Gemahlin Antoines von Lothringen

1494–1539

23

Bourdichon, Jean

französischer Buchmaler

1457/59–1520/21

111

Bourgouyn od. Bourgouin, Simon

Schriftsteller, Kammerherr von König Ludwig XII.

aktiv 1503–1532

28, 96

Brant, Sebastian

Humanist, Schriftsteller, Publizist

1457/58–1521

13

Bretagne, Anne von der

Herzogin der Bretagne, zweimal Königin Frankreichs

1477–1514

19–23, 30 (26), 91, 95, 102–104, 109 (7), 121

Burgund, Maria von

Herzogin von Burgund, Tochter Karls des Kühnen

1457–1482

18, 23, 30 (23)

Coene, Jacques

Künstler in Paris und Mailand

aktiv Ende 14./ Anfang 15. Jh.

98

Coene, Jan II.

Buchmaler in Brügge

Unbekannt 15. Jh.?

98

Coene, Jan III.

Buchmaler in Brügge

um 1448–1492

98

134

Anhang

Colombe, Jean

französischer Buchmaler

um 1440–1498

111

Commynes, Philippe von

Diplomat am Hofe Karls des Kühnen und Ludwigs XI., Chronist

um 1447–1511

20

Da Vinci, Leonardo

italienischer Renaissancekünstler

1452–1519

102

Dupré, Jean; auch genannt: Larcher

Buchdrucker aus Paris

aktiv um 1481-1504

112, 123 (31)

Dürer, Albrecht

Nürnberger Renaissancekünstler

1471–1528

13f., 25, 30 (7), 100, 102, 114f., 123 (23, 24), Abb. 1

Egmond, Adolf von

Philippas Vater, Herzog von Geldern

1438–1477

17, 30 (1)

Egmond, Arnold von

Phlippas Großvater, Herzog von Geldern

1410–1473

17

Egmond, Karl von

Philippas Zwillingsbruder, Herzog von Geldern

1467–1538

13, 17f., 21, 30 (1)

Egmond, Katharina von

Philippas Tante und Interims­ regentin von Geldern

1439–1497

17f.

Elisabeth von Thüringen

Landgräfin von Thüringen, als Heilige verehrt

1207–1231

20f.

Eyck, Jan van

flämischer Maler

um 1390– 1441

102

Fouquet, Jean

französischer Buchmaler

um 1420–1478 od. 1481

102, 111

France, Claude de

Gemahlin von Franz I.

1499-1524

95

Franz I.

König von Frankreich

1494-1547

23, 30 (28), 91, 95, 100, 105, 109f. (56, 72)

Fust, Johann

Mainzer Verleger, Geldgeber und Teilhaber Gutenbergs

um 1400–1466

114, 123 (31)

Gauvain, Mansuy

Bildhauer in Lothringen

aktiv 1506/07–1542

26

Glockendon, Nikolaus

Nürnberger Buchmaler

um 1490/95–1533/34

123 (24)

Groote, Geert

Niederländischer Bußprediger und Kirchenreformer

1340–1384

16

Grünewald, Matthias

deutscher Renaissancemaler

um 1480–um 1530

68

Gutenberg, Johannes

Buchdrucker, Erfinder des beweg­ liche Letterndrucks

zw. 1397 u. 1400–1468

13, 123 (31)

Habsburg, Maximilian I. von

Römischer König und seit 1508 Kaiser

1459–1519

18, 23, 30 (23), 98

Harcourt, Jeanne von

erste Gemahlin Renés von Lothringen

gest. 1488

19, 21

Hedwig von Anjou

Königin von Polen, als Heilige verehrt

1373–1399

21

135

Anhang

Hus, Jan

böhmischer Theologe und Reformator

1370?–1415

16

Jülich, Rainald I. von

Herzog von Geldern und Jülich

1255–1326

17

Jülich, Rainald II. von

Herzog von Geldern und Jülich

1295–1343

17

Jülich-Berg, Wilhelm von

Herzog von Jülich und Berg

1455–1511

18

Karl der Kühne

Herzog von Burgund

1433–1477

17–23, 30 (25), 98

Karl VII.

König von Frankreich

1403–1461

17f., 112

Karl VIII.

König von Frankreich

1470–1498

14f., 19–23, 34, 93 (8), 104, 113f., 123 (16, 26)

Kerver, Thielman

deutscher Drucker und Verleger in Paris

aktiv 1495–1521

113

Kleve, Johann von

Philippas Großonkel

1419-1481

18

Kleve, Katharina von

Philippas Großmutter

1417–1476

17f.

Koberger, Anton

Nürnberger Buchdrucker, Dürers Pate

um 1440–1513

14, 114

Kolumbus, Christopher

genuesischer Seefahrer in spanischen Diensten, Entdecker Amerikas

1451–1506

17

Le Rouge, Pierre

Pariser Buchdrucker

aktiv um 1479-1493

113

Liédet, Loyset

französisch-flämischer Schreiber, Maler und Buchmaler

um 1420–nach 1484

109 (34)

Limburg, Hermann, Jean, Paul

drei Buchmaler aus Nimwegen, tätig am Hof des Herzogs von Berry

um 1385–1416

33

Lothringen, Antoine II. von

Philippas Sohn, Herzog von Lothringen

1489–1544

22f., 28f., 30 (49), 96.,121

Lothringen, Claude von

Philippas Sohn, Herzog von Guise und Aumale

1496–1550

23, 30 (45)

Lothringen, François von

Philippas Sohn, Graf von Lambesc

1506–1525

23f., 30 (49)

Lothringen, Jean von

Philippas Sohn, Erzbischof von Reims, Lyon, Narbonne, Kardinal

1498–1550

26

Lothringen, René II. von

Philippas Gemahl, Herzog von Lothringen

1451–1508

19-28, 96, 104, 111, 126, Abb. 32

Ludwig XI.

König von Frankreich

1423–1483

18f.

Ludwig XII.

Herzog von Orléans und König von Frankreich

1462–1515

19, 22f., 30 (26, 49), 95f., 104, 109 (68), 121

Luther, Martin

deutscher Theologe und Reformator

1483–1546

16, 25, 27

Marnef, Geoffroy, Jean, Enguilbert

Pariser Buchdrucker

aktiv Ende 15./­ Anfang 16. Jh.

113

Meister der Apokalypsen­ rose der Sainte-Chapelle

französischer Buchmaler und Graphiker

aktiv 1490– ca. 1508

111, 115, 119, 123 (20), 127, Abb. 54–64

Meister der Chronique Scandaleuse

französischer Buchmaler

aktiv Ende 15./ Anfang 16. Jh.

28, 96, 109 (46), 113

Meister der Dedikations­ miniaturen

französischer Buchmaler

aktiv Ende 15. Jh.

105, 109 (69), Abb. 52

136

Anhang

Meister der Marienkrönung

französischer Buch- und Tafelmaler

nachweisb. 1402–1405

98

Meister der Pariser Entrées

Notname von Jean Coene IV.

Meister der Philippa von Geldern

französischer Buchmaler

aktiv Ende 15./ Anfang 16. Jh.

27f., 96, 100, 109 (55, 60), 113, 121

Meister des Jacques de Besançon

siehe Barbier, François le

Meister E. S. 

Deutscher Kupferstecher und Goldschmied

um 1420 – um 1468

115

Meister Karls VIII.

französischer Buchmaler

aktiv Ende 15. Jh

105, Abb. 4

Meister, Bedford

französischer Buchmaler

aktiv um 1403–1435

111

Meister, Boucicaut

französischer Buchmaler

aktiv um 1400–1425

98, 111

Neufchâtel, Antoine I. von

Bischof von Toul

um 1449–1495

19

Orléans, Ludwig II.

siehe Ludwig XII.

Österreich, Margarete von

Tochter Maximilians I. von Habsburg

1480–1530

18, 23

Pfister, Albrecht

Bamberger Buchdrucker und Verleger

um 1420–1466

112

Philipp der Gute

Herzog von Burgund, Philippas Großonkel

1396–1467

17, 30 (25)

Pichore, Jean

Pariser Buchmaler und Verleger

aktiv um 1490 – nach 1520

96, 100–105, 109 (20, 56, 60, 64, 66), 111, 114–19, Abb. 51, 65

Pigouchet, Philipp

Pariser Buchdrucker

aktiv Ende 15. Jh.

113, 115, 120

Polignac, Anne de

Hofdame Annes von der Bretagne

1495–1554

96ff., 100, 103

Poyer, Jean

französischer Renaissance Künstler

aktiv um 1465 –1503

109 (32), 111, 123 (33)

Radegundis von Poitiers

Königin Frankreichs, als Heilige verehrt

um 520 – 587

20, 34

Raimondi, Marcantonio

italienischer Kupferstecher

um 1475 – um 1534

114, 123 (23)

Richier, Ligier

Lothringischer Bildhauer

1500 – 1566/67

26, Abb. 6

Ruskin, John

britischer Maler, Sozialphilosoph und Schriftsteller

1819 – 1900

93 (6)

Savoyen, Charlotte von

Gemahlin Ludwigs XI.

1441–1483

19, 25, 66

Savoyen, Louise von

Herzogin von Angoulême, Mutter von Franz I.

1476–1531

23, 30 (28), 91, 109 (69)

Savoyen, Louise von

Nichte Charlottes von Savoyen

1462–1503

19, 30 (29)

Schöffer, Peter

deutscher Buchdrucker aus Mainz

1430–1503

123 (31)

Schongauer, Martin

deutscher Maler und Graphiker

zw. 1435 u. 1450– 1491

114f.

Serpin, Jean

Buchmaler aus Rouen

aktiv Ende 15./ Anfang 16. Jh.

96

Trubert, Georges

Buchmaler im Dienst von René I. von Anjou und René II. von Loth­ ringen

aktiv um 1469–1508

25, 28, 111

137

Anhang

Tudor, Marie

Gemahlin Ludwigs XII.

1496–1533

95

Valois, Jeanne von

Tochter Ludwigs XI.

1464–1505

19, 22

Vérard, Antoine

Pariser Verleger und Buchhändler

aktiv um 1485–1512

15, 29, 30 (15), 104f., 112ff. Abb. 4, 52

Vostre, Simon

Pariser Verleger und Buchhändler

aktiv um 1491– 1520/21

113–115, 119, Abb. 3, 54–64

Wycliff, John

britischer Theologe und Kirchen­ kritiker

1330–1384

16

York, Margarete von

Gemahlin Karls des Kühnen

1446–1503

18, 23

Kunstwerke8 Gedruckte Bücher und Druckgraphik Apokalypse Holzschnittfolge, Albrecht Dürer

14, Abb. 1

Art de bien vivre et de bien mourir

30 (15)

Bibel, Neunte Deutsche

14, 30 (6), Abb. 2

Le livre de la discipline d’amour divine

27

Le livre de vraye et parfaicte oraison

27

Mer des Hystoires

113, 123 (19)

Sau von Landser, Flugblatt

13

Sau von Landser, Kupferstich

14

Septembertestament: »Das Newe Testament« von Martin Luther

25, 31 (57)

Spiegel menschlicher Behaltnis

16, 30 (14), Abb. 5

Syphilis, Flugblatt, Dürer

14, 30 (4)

Theuerdank

30 (23)

138

Anhang

Handschriften Apokalypsehandschriften

14, 30 (5, 7)

Brevier für René II.

28

Chronique Scandaleuse

96, 109 (13)

Diurnale für René II.,

28

Horloge de la Passion de Jésus-Christ

28

La passion de Notre Seigneur selon les quatre Évangelistes

28

Le dialogue de consolation entre l’ame et la roison

27

Les dialogues de Saint-Grégoire le Grand

27

Missale/Temporale Pont-à-Mousson

27

Panisse Stundenbuch

123 (16)

Passionstraktat des Heinrich von Sankt Gallen

123 (24)

Petrarca Triumphe fr. 594

96, 109 (20)

Stundenbuch für Karl V.

123 (16)

Stundenbuch für Karl VIII. in Madrid

123 (16)

Stundenbuch Karls VIII. in Liechtenstein

15, 123 (16), Abb. 4

Stundenbuch für Yolande von Anjou

28

Très Riches Heures des Herzogs von Berry

33, 66

Vita Christi des Ludolph von Sachsen

27f.

Malerei, Glasmalerei Apokalypse Westrose der Sainte-Chapelle

14

Isenheimer Altar, Colmar

68

Kruzifix der Philippa von Geldern

26

Skulpturen Grabmal für René II. von Lothringen

26

Grabskulptur der Philippa von Geldern

26, Abb. 6

Kalvarienberg, Skupturengruppe

26

Schnitzaltar Colettinenkirche Pont-à-Mousson

26

Schutzmantelmadonna

26

139

Anhang

1  Letztes Blatt der Lage, nach Folio 7 mit Hl. Lukas, entfernt. 2  Fünftes Blatt der Lage, zw. Folio 12 und 13, vermutlich mit Maria und Kind, entfernt. 3  Zweites Blatt der Lage, zw. Folio 47 und 48, vermutlich mit Ma­ rien­tod oder Marienkrönung, entfernt. 4  Letzte zwei Blatt der Lage entfernt, eines davon wohl leer. 5 Zur Buchbinder- und Buchhändlerdynastie der Ducastin: Fré­ déric Barbier/Sabine Juratic/Annick Mellerio/Marie-Cécile Anfray,

Dictionnaire des imprimeurs, libraires et gens du livre à Paris: 1701–1789, Genf 2007; Charles Ramsden, French bookbinders, 1789–1848, London 1950. 6  Louis Fr. Villeneuve Bargemont, Histoire de René d'Anjou, roi de Naples, duc de Lorraine et Cte de Provence, Paris 1825. 7  Quentin-Bauchart, Bd. II, S. 371–372, siehe auch unsere Transkription des Textes auf Seite 127. 8  Ohne die in der Werkliste auf S. 106–108 aufgeführten.

140

Lektorat: Andrea Nabert, Leipzig Layout und Satz: hawemannundmosch, Berlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98695-4 e-ISBN (PDF) 978-3-422-80010-6