Gerard Horenbout und der Meister Jakobs IV. von Schottland: Stilkritische Überlegungen zur flämischen Buchmalerei 9783205792086, 9783205787266

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Gerard Horenbout und der Meister Jakobs IV. von Schottland: Stilkritische Überlegungen zur flämischen Buchmalerei
 9783205792086, 9783205787266

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Michaela Krieger

Gerard Horenbout und der Meister Jakobs IV. von Schottland Stilkritische Überlegungen zur flämischen Buchmalerei

BÖHL AU V ER L AG W IEN . KÖLN . W EIM A R

Gedruckt mit der Unterstützung durch  :

Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät Kunsthistorische Gesellschaft Wien sowie Wilhelm und Maria Hutter Reinhard Simon

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78726-6 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­ nsbesondere die der ­Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ä­ hnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http   ://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Umschlaggestaltung  : Michael Haderer Umschlagabbildung  : Verkündigung an die Hirten. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, fol. 69v Druck   : Balto Print, Vilnius

Inhalt Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7

Methoden und Ziele

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   33

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  39

Gerard Horenbout 41 • Der Jakobsmeister 48

i Die frühe Gruppe

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   73

Drei ungleiche Schwestern  : Das Wiener Stundenbuch Cod. Vind. ���������������������������� Ser. n. 2625, das Londoner Brevier Add. Ms. 18851 und das vatikanische Stundenbuch Cod. Vat. Lat. 3770–68 73 • Das Stundenbuch Isabellas von Kastilien in Cleveland 162 • Das Brevier der Eleonore von Portugal in New York 169 • Das Breviarium Inv. Nr. 946 in Antwerpen 208 • Zusammenfassung 227

ii Die Handschriften des frühen 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . .  229

Das Spinola-Stundenbuch 229 • Und noch zwei ungleiche Schwestern  : Das RothschildGebetbuch, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, und das Rothschild-Stundenbuch, Ms. Add. 35313 260 • Das Spinola-Stundenbuch und die Werke des ersten und zweiten Jahrzehnts  : das Stundenbuch in Wien und Poitiers (Cod. Vind 1887/Médiathèque François M ­ itterrand Ms. 57/269), das Stundenbuch in Cambridge, Fitzwilliam Museum 1058–1975, das CroyGebetbuch Cod. Vind. 1858 und das Breviarium Grimani 340 • Zusammenfassung 380

6

Inhalt

iii Die späte Gruppe

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Das Breviarium Grimani 383 • Die Blätter im Metropolitan Museum of Art 415 • Das Grimani-Brevier und die Jakobsminiatur 430 • Das Sforza-Stundenbuch 439 • Die Stundenbücher in Lissabon 458

iv Die Arbeiten in England

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

Die Lydgate-Miniaturen 487 • Andere Werke 496

Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout . Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

. . 503

. . . . . . 517

Die Handschrift in Manchester 517 • Das Brevier in Berlin 525

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register

555

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589

Abkürzungen  589 • Objektregister 590 • Personenregister 593

Abbildungsnachweis .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

Vorwort

Michaela Krieger (1956–2007) hat sich mit dem vorliegenden Werk 2004 an der Universität Wien im Fach Kunstgeschichte habilitiert. Daß wir die Schrift nun im Druck vorlegen, löst einerseits Vorgaben des Universitätsgesetzes ein, andererseits und vor allem entspricht es dem großen wissenschaftlichen Wert des Werks und dem darin ausgedrückten Ethos : nicht nur eine Qualifikationsschrift, sondern eine an die Grenzen gehende Studie über die Möglichkeiten und Perspektiven stilkritischen Arbeitens auf einem Feld, das zu den schwierigsten und gleichzeitig attraktivsten in der Buchmalereiforschung gehört. Wie ihre Dissertation, die sie 1995 unter dem Titel „Grisaille als Metapher“ erscheinen ließ und die heute ein Standardwerk ist, wollte die Verfasserin auch ihre Habilitationsschrift erst nach einer tiefgreifenden Bearbeitung für die Veröffentlichung freigeben. Solches war Michaela Krieger nicht mehr vergönnt. Aber auch in der nun vorgelegten Form vermag das Buch als ein abgeschlossenes Werk zu bestehen. Seine Ergebnisse werden dem kunsthistorischen Diskurs wichtige Impulse geben. Dies wird denen ein Trost sein, die gerne noch länger mit Michaela Krieger als einer so kenntnisreichen wie kreativen Kollegin zusammengearbeitet hätten. Ganz herzlich gedankt sei jenen, die sich dafür engagierten, daß die Arbeit die ihr zukommende Bekanntheit erlangen kann, und ebenso jenen, die Zeit und Arbeit in die Endredaktion gesteckt haben: Gerhard Schmidt, Andreas Fingernagel, Evelyn Kubina, Michaela Schuller-Juckes, Friedrich Prašek und Christine Beier. Wien im November 2011

Michael Viktor Schwarz

Taf. I: König Jakob IV. von Schottland im Gebet; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1897, Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland, fol. 24v.

Taf. II: Flucht nach Ägypten; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1897, Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland, fol. 104v.

Taf. III: Madonnenvision der Margaret Tudor, Königin von Schottland; Wien, Österreichische ­Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1897, Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland, fol. 243v.

Taf. IV: Evangelist Matthäus; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 33v.

Taf. V: Marienkrönung; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 88v.

Taf. VI: Anna Selbdritt; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 163v.

Taf. VII: Darbringung Jesu im Tempel; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 77v.

Taf. VIII: Verkündigung an die Hirten: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 69v.

Taf. IX: Flucht nach Ägypten; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 81v.

Taf. X: Anbetung der Heiligen Drei Könige; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 73v.

Taf. XI: Beato Alfonso; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 152v.

Taf. XII: Das Jüngste Gericht; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 102v.

Taf. XIII: Totenwache; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 118v.

Taf. XIV: Pfingsten; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 21v.

Taf. XV: Heiliger Christophorus; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 156v.

Taf. XVI: Stigmatisation des heiligen Franziskus von Assisi; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 158r.

Taf. XVII: Maria lactans; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 26v.

Taf. XVIII: Kreuztragung; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1857, Stundenbuch der Maria von Burgund, fol. 94v.

Taf. XIX: Pfingsten; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1858, Croy-Gebetbuch, fol. 23v.

Taf. XX: Kreuzigung; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1887, Stundenbuch, fol. 89r.

Taf. XXI: Gregorsmesse; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1887, Stundenbuch, fol. 140r.

Taf. XXII: Evangelist Lukas; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, ­Stundenbuch, fol. 32v.

Taf. XXIII: Kreuzigung; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1858, Croy-Gebetbuch, fol. 17v.

Taf. XXIV: Himmelfahrt Mariae; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch, fol. 93v.

Methoden und Ziele

Der Weg ist das Ziel. Diese möglicherweise banal klingende zen-buddhistische Weisheit, die in vieler Hinsicht für alle wissenschaftlichen Arbeiten Gültigkeit hat, soll doch mit besonderem Nachdruck auf einige grundsätzliche Merkmale der vorliegenden Studie verweisen. Als Gegenstand meiner Untersuchung können nicht nur Gerard Horenbout und der Meister Jakobs IV. von Schottland bezeichnet werden, sondern ebenso die stilkritischen Überlegungen, die zu diesen beiden Künstlern angestellt werden. Daher gilt es eingangs, jenen Stil zu definieren, der hier einer Kritik unterzogen werden soll1. Es handelt sich um einen in dieser Arbeit durch Induktion gewonnenen Begriff, dessen Gültigkeit grundsätzlich auf das behandelte Material beschränkt bleibt. Zwar scheint eine Anwendbarkeit auch auf andere Bereiche gegeben, allerdings stets mit entsprechenden Modifikationen, die sich aus den Interessen der Künstler, aber auch der Klientel erklären. Stil kann in der Kunst des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts als die Summe jener Mittel bezeichnet werden, die der Projektion der dreidimensional(erlebt)en Wirklichkeit (und aller höheren und niedrigeren Wirklichkeiten, die sich darauf beziehen) im zweidimensionalen Bild dienen. Das sind alle Gestaltungsprinzipien, die bei der Herstellung von Kunstwerken (im vorliegenden Fall von Miniaturen einer bestimmten Zeit) zum Einsatz kommen  : Aspekte der Formensprache, wie ein bestimmtes Motiv- und Typenrepertoire, einerseits, deren jeweilige Umsetzung auf einer breiten Skala zwischen zeichenhafter und mimetischer Auffassung andererseits. Zu dieser Umsetzung zählt nicht nur die jeweilige Wiedergabe der um 1500 als wesentlich erachteten Komponenten sinnlich wahrnehmbarer Wirklichkeit wie Dreidimensionalität (des Raumes und der darin befindlichen raumverdrängenden Formen) und Lichterfülltheit (bestimmter Oberflächenqualitäten und Lichtsituationen, letzteres in nur sehr eingeschränktem Maße), sondern auch die Gewichtung der Formen und Farben auf der Bildfläche (die sogenannte Bildkomposition)  ; letztere entscheidet über Ausgewogenheit oder Spannung in einer Bildstruktur und beeinflußt zudem nachdrücklich die Art der Bilderzählung. Technik und Farbwahl (primär in künstlerischer, aber auch in materieller Hinsicht) sind ebenfalls zu den Gestaltungsprinzipien zu rechnen – zu dem also, was hier als Stil bezeichnet wird. Jener Stil, um den es in der vorliegenden Untersuchung geht, ist ein genuin individueller, also Individualstil. Er mag von zeitgenössischen Vorstellungen geprägt sein, doch ist 1 Zur Auseinandersetzung mit dem Begriff und seiner Bedeutung vgl. Elkins 1995 (mit ausführlichen Angaben zur älteren Literatur) sowie Lang 1979, Gumprecht-Pfeiffer 1986, Heinz 1986.

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Methoden und Ziele

zumeist nur die Formensprache (also Motiv- und Typenrepertoire) davon betroffen. Genuin künstlerische Überlegungen, wie beispielsweise die Konstruktion des Raumes, die Harmonie der Formen und Farben oder auch die Art zu erzählen bzw. einen Bildinhalt zu vermitteln, können zwar der Beeinflussung durch Werke von Kollegen ausgesetzt sein, die Arbeit mit dem vorliegenden Material hat jedoch gezeigt, daß sich dies umgekehrt proportional zum jeweiligen Kaliber des Malers oder der Malerin zu verhalten scheint. Zudem dürften manche Aspekte der Wirklichkeitsumsetzung (vielleicht de facto der Wirklichkeitswahrnehmung) schlicht nicht beeinflußbar sein  ; doch sind gerade sie im Œuvre eines Künstlers oft großen Veränderungen ausgesetzt. Zweiteres scheint eine Frage davon zu sein, wie sehr ein Künstler um die Bewältigung bestimmter Probleme ringt. Ersteres ist ein bekanntes Phänomen, das bei schwächeren Malern oft mit deren präsumptiver Unfähigkeit abgetan, bei besseren als künstlerische Individualität bewundert wird. Diese vielleicht unanschaulichen Erläuterungen werden im Zuge der vorliegenden Arbeit vielfach verifiziert. Grundlage meiner Vorgangsweise waren Bildanalyse und Bildvergleich  ; dabei schien eine Studie wie diese den geeigneten Rahmen dafür zu bieten, sich mit den einzelnen Kunstwerken intensiv auseinanderzusetzen, nicht anders, als wären sie großformatige Bilder (anhand derer dies in unserer Wissenschaft üblicher ist als in der Buchmalerei). Zweck war die Konkretisierung angestellter Beobachtungen und damit die Benennbarkeit von Phänomenen. Eine kennerschaftliche Vorgangsweise, die andernorts ihre Berechtigung mit Sicherheit behaupten kann und darin besteht, gewonnene Eindrücke und Erkenntnisse kurz und apodiktisch festzuhalten, lag schon aus dem Grund nicht in meiner Absicht, weil sie meinem Hauptanliegen, die Möglichkeiten und Grenzen stilkritischen Arbeitens zu ergründen, geradezu diametral widersprochen hätte. Diesem Hauptanliegen entspricht auch meine Vorgangsweise, die nur bedingt chronologisch ist (auch deshalb, weil es eine Chronologie erst zu gewinnen galt), mit vielen Querverweisen arbeitet und erst am Ende der Untersuchung jene Art von Ergebnissen bringt, wie sie die Auseinandersetzung mit zwei Künstlern erwarten läßt. Dabei verstehen sich diese Erkenntnisse als (größtmögliche) Annäherung an eine historische Wahrheit, die zu erfassen auf Grund fehlender schriftlicher wie bildnerischer Zeugnisse m. E. nicht mehr möglich ist. Die hier gewonnenen Resultate liegen daher auch darin, was die stilkritischen Überlegungen über die Arbeitsweise und die Vorstellungen der gegenständlichen Künstler offenbaren. Daß die Auseinandersetzung mit den Gestaltungsprinzipien auch Antworten auf solche Fragen ermöglicht hat, wie, was von wem wann und warum gemalt wurde, ist ein erfreuliches, aber nicht das einzige diese Methode rechtfertigende Ergebnis. Einige Resultate seien meinen Untersuchungen vorangestellt, da ihre Formulierung das Verständnis für meine Arbeitsweise erleichtern mag. Ein Ergebnis wurde bereits genannt  : die Tatsache, daß bestimmte Aspekte der Gestaltung des Dreidimensionalen anscheinend von äußeren Faktoren (wie zum Beispiel von einem scheinbar exakt kopierten Vorbild) unbeeinflußt bleiben, sich aber – zumindest im Falle des hier untersuchten Œuvres – im Laufe der

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Zeit verändern. Was diese Veränderung hervorruft, ist schwer zu beurteilen  ; äußere Umstände (von so allgemeinen Phänomenen wie weltanschaulichen angefangen bis hin zu so konkreten wie ganz bestimmten Auftraggeberwünschen) mögen eine Rolle spielen, jedoch wohl nur indirekt. Die unmittelbare Reaktion auf solche Faktoren ist meist eine oberflächliche, betrifft die äußere Erscheinung, nicht aber die innere Struktur der Kunstwerke. Einzige Ausnahme ist die Bildkomposition, mit der ein Künstler oder eine Künstlerin, je mehr er oder sie diese Bezeichnung verdient, konkret auf eine individuell (von wem auch immer gestellte) Aufgabe reagiert. Die flämische Buchmalerei des behandelten Zeitraums, mit ständig wiederholten Bildvorlagen und geradezu monotonen Aufgabenstellungen (der Wiedergabe immer der gleichen Inhalte an immer den gleichen Stellen innerhalb religiöser Andachtsbücher) belastet, erwies sich diesbezüglich als besonders geeignetes Versuchsobjekt. Auch wenn viele der hier behandelten Miniaturen nicht en serie vorgefertigt wurden, sondern sich der jeweiligen Textgestaltung anzupassen hatten, ist man im wesentlichen mit vorgegebenen Bedingungen konfrontiert, auf die ein Künstler kreativ reagieren konnte, aber nicht mußte. Zu groß war die Fülle der Vorlagen, die noch dazu in den meisten Fällen ganz offensichtlich nicht von den Auftraggebern ausgesucht wurden – höchstens indirekt, indem man einer bestimmten Werkstatt eine bestimmte Aufgabe übertrug. Somit kann anschaulich gezeigt werden, daß ein hier so genanntes Bildverständnis (die Summe aller in einem Kunstwerk manifesten Gestaltungsprinzipien) zumindest im Falle hochqualitativer Künstler, wie es die hier behandelten sind, den Intentionen der Maler entsprang. Diese unmoderne Behauptung gründet auf der Auseinandersetzung mit dem hier behandelten Material, ist induktiv gewonnen und wurde nicht vorausgesetzt. Sie kann daher auch nur im Bezug auf dieses Material Gültigkeit beanspruchen. Die Analyse hat in vielen Fällen ergeben, daß unabhängig von übernommenen Bildkompositionen eine bestimmte Auffassung zu einer bestimmten Zeit bei einem bestimmten Künstler (und interessanterweise auch bei seinen engsten Mitarbeitern) durchgehend nachweisbar ist – daß also die Miniaturen einer Handschrift diesbezüglich nicht beliebig divergieren. Umgekehrt ließ sich aber auch feststellen, daß im Zuge einer Handschriftenausstattung, vor allem wenn dabei ein größerer Beitrag geleistet werden mußte, Veränderungen in der Auffassung eintraten. Dies resultiert m. E. daraus, daß die Auseinandersetzung mit künstlerischen Problemen bei der Arbeit vor sich ging, also keine (oder kaum) Studien angefertigt wurden2. Daß diese Veränderungen meistens konsequent in eine Richtung gehen, zeigt an, daß es sich dabei tatsächlich um künstlerische Prozesse handelt. Allerdings sind diese Prozesse nicht mit einer linearen Entwicklung gleichzusetzen. Es ist (zumindest im Fall des vorliegenden Materials) eindeutig nicht so, daß die Veränderungen simple Verbesserungen sind, daß also, um bei der Umsetzung des Dreidimensionalen zu bleiben, zuerst Raum weniger gut und dann besser dargestellt werden konnte. Umgekehrt heißt 2 Vgl. dazu zuletzt F. Koreny und G. Zeman in Antwerpen 2002, S. 10–20, bes. S. 16 f., sowie Ainsworth 2003 und König 2003.

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das nicht, daß keine Entwicklung im Sinne einer Steigerung der Fähigkeiten bei den hier untersuchten Künstlern zu erkennen ist. Sie manifestiert sich aber eher in der zunehmenden Homogenität aller Bildelemente, auch in einer gewissen technischen Meisterschaft, die dem jeweiligen Künstler ermöglicht, seine Intentionen optimal zu verwirklichen. Die Interpretation der Wirklichkeit im Bild bleibt demgegenüber Auffassungssache und unterwirft sich selten einem naturalistischen Credo, auf das konsequent und mit zunehmendem Erfolg hingesteuert würde. Ein eigenartiges Phänomen (das aber, betrachtet im Lichte der weit besser dokumentierten Malerei späterer Jahrhunderte, viel von seiner Erstaunlichkeit verliert) ist das des künstlerischen Alter Ego oder Doppelgängers eines Meisters. Es zeigt an, daß unter Vertrag genommene Mitarbeiter bzw. Werkstattmitglieder dazu angehalten waren, den Stil der führenden Persönlichkeit zu imitieren, geradezu zu assimilieren. Vereinzelt gibt es auch Beweise für solche Gepflogenheiten. So ist Ambrosius Benson, so lange er bei seinem nachweislichen Meister Gerard David arbeitete, nur mit Mühe als eigene Künstlerpersönlichkeit zu greifen. Darüber hinaus belegt auch das Œuvre Simon Benings einen solchen Fall. 1483 oder 1484 geboren, ist er doch erst im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, also mit nahezu dreißig Jahren, künstlerisch faßbar, und es sollte weitere zehn Jahre dauern, ehe er seine charakteristische Ausdrucksweise voll entwickelt hatte. Da aber gesichert ist, daß er schon früh als Illuminator arbeitete, bleibt nur die unwahrscheinliche Möglichkeit, daß alle seine Werke vor dem 1511 datierten Imhoff-Gebetbuch verloren sind, oder aber die (viel plausiblere) Option, daß er davor gleichsam als Doppelgänger eines anderen Künstlers tätig war. Und das, obwohl er schon 1500 als eigenständiger Maler in Brügge (und nicht in Gent, wo er geboren war und wohl auch seine Ausbildung genossen haben wird) auftrat und dort bereits 1508 in die Gilde aufgenommen wurde, also spätestens zu diesem Zeitpunkt zum Meister avancierte3. Der einheitliche Werkstattstil führte zuweilen auch zu eigenartigen Phänomenen wie der Zusammenarbeit zweier Maler in einer Miniatur. In der Tafelmalerei ist ein solches procedere verständlich und auch sinnvoll, in der vergleichsweise weit weniger aufwendigen Buchmalerei nicht. Obgleich diese Vorgangsweise, gemessen an der Gesamtproduktion, denn auch eher selten zu bemerken ist, läßt sie sich doch immer wieder nachweisen (so beispielsweise an zwei Miniaturen des Breviers Inv. 946 im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen 4) – freilich nur dann, wenn die Diskrepanzen in der Ausführung über die Einheitlichkeit des Werkstattstils hinausgehen. Da letzterer aber ein dominierender Faktor in der Buchproduktion um 1500 war, ist durchaus möglich, daß dieser Modus der Kooperation häufiger angewandt wurde als angenommen.

3 Zur Biographie Benings zuletzt Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 447 f. sowie S. 413, Anm. 1  : „Bening was already twenty-six or twenty-seven years old by 1510, but no work by him from before this time has been securely identified.“ 4 Vgl. hier Kap. III. 4.

Methoden und Ziele

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Entsprechend den oben skizzierten Anliegen ging es in meiner Arbeit primär um die stilkritische Auseinandersetzung mit einem Œuvre, das in der Forschung zwischen einem Ano­ nymus (dem Meister Jakobs IV. von Schottland) und einer gut dokumentierten Künstlerpersönlichkeit (Gerard Horenbout) hin- und hergeschoben oder aufgeteilt wurde, mit der unterschiedlichen Absicht, entweder die Eigenständigkeit der beiden oder aber ihre Identität zu postulieren. Im Hinblick darauf hat sich meine Untersuchung auf jene Werke beschränkt, die m. E. zum unmittelbaren Kernstock dieses Œuvres zu zählen sind. Es wurden alle jene Handschriftenausstattungen ausgeklammert, die mit den behandelten Künstlern zwar in einen Zusammenhang zu bringen sind, ohne daß aber einer von ihnen darin Hand angelegt hätte. In diesem Sinne wird hier kein umfassender Werkkatalog geboten. Die behandelten Arbeiten wurden nach ihrer stilistischen Relevanz ausgewählt und analysiert. Zahlreiche Aspekte, die in der Forschung bereits Gegenstand von Erörterungen waren oder aber von der hier aktuellen Fragestellung abgelenkt hätten, wurden nicht weiter untersucht. Daß sich die vorliegende Studie dennoch nicht schlanker präsentiert, als es der Fall ist, liegt daran, daß die gründliche Auseinandersetzung mit den ausgewählten Kunstwerken erst recht nach jenem Platz verlangte, den nur eine Arbeit wie diese zu bieten vermag. Eine Arbeit wie diese basiert aber auch zu einem großen Teil auf den Leistungen der älteren (sowie der neueren und neuesten) Literatur. Es liegt gleichsam in ihrem Wesen, auf der Forschung anderer Wissenschafter und Wissenschaftlerinnen aufzubauen. Und es liegt auch in ihrem Wesen, dabei oft abweichende Ergebnisse hervorzubringen. Es ist mir bewußt, daß ich mitunter jenen Kollegen und Kolleginnen massiv widerspreche, deren Werke das meine überhaupt erst möglich gemacht haben. Letzteres trifft bis zu einem gewissen Grad auf die gesamte hier zitierte Literatur zu. Dennoch möchte ich besonders drei Personen nennen, auf deren Arbeiten ich wesentlich aufgebaut habe, um dann teils ganz andere Wege einzuschlagen  : Thomas Kren, Dagmar Thoss und Bodo Brinkmann. Sie mögen stellvertretend für die vielen Kolleginnen und Kollegen stehen, für die das Gesagte in ähnlichem oder gar gleichem Maße zutrifft. Ihnen allen gebührt mein aufrichtiger Dank.

Einleitung Eines der umstrittensten Probleme in der Literatur zur flämischen Buchmalerei des Spätmittelalters und der Renaissance ist die Identifizierung des flämischen Malers Gerard Horenbout (1460/65–1530/40) mit dem sogenannten Meister Jakobs IV. von Schottland 5. Die Gleichsetzung des in den zeitgenössischen Quellen relativ oft erwähnten Künstlers6, von dessen dokumentarisch belegten Werken heute indes nur ein einziges nachzuweisen ist, mit dem mutmaßlichen Schöpfer eines großen, allerdings sehr inhomogenen und zudem nur bedingt mit der einen überlieferten Arbeit Horenbouts in Verbindung zu bringenden Œuvres stößt auf ebenso viel Widerstand wie Zustimmung. Daran haben auch die neuesten Publikationen wenig geändert7. Eine der größten Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Sachverhalts scheint das Fehlen einer umfassenden Auseinandersetzung mit der künstlerischen Leistung des anonymen Jakobsmeisters zu sein. Die Beschäftigung mit den diesem Illuminator zugeschriebenen Handschriftenausstattungen erfolgt meist punktuell8, wobei sich im Überblick eine m. E. unhaltbare Situation ergibt  : Die einzelnen Werke können anhand der für sie vorgeschlagenen Datierungen (und zwar auf Grund ihrer de facto oft ganz unterschiedlichen Stilqualitäten und anderer formaler Aspekte) nicht in eine plausible chronologische Abfolge gebracht werden – und dies, obwohl gerade der Jakobsmeister einer der wenigen Buchmaler der sogenannten Gent-Brügger-Schule ist, dessen Niveau es erlaubt, von einer Entwicklung bzw. einem künstlerischen Prozeß auszugehen. Die vorliegende Studie hat sich u. a. daher zum Ziel gesetzt, den Wandel im Œuvre des Jakobsmeisters und seiner teils sehr qualitätvollen Mitarbeiter nachzuvollziehen (deren Identifizierung ein weiteres bislang ungelöstes, ja kaum in Angriff genommenes Problem der Forschung darstellt). Dabei wurde (unter Berücksichtigung der Quellenlage) vom formalen Tatbestand ausgegangen, der ja stets das Resultat zahlreicher Faktoren ist – wobei den außerkünstlerischen im gegenständlichen Fall ein relativ enger Rahmen gesetzt ist. Bekanntlich arbeiteten die Miniatoren der Gent-Brügger-Schule mit einem umfangreichen Vorlagenmaterial, das neuesten Forschungen zufolge eher in den siebziger als in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts von einer ersten Generation der „neuen“ flämischen Buchmaler kreiert worden

5 Für eine anschauliche Zusammenfassung der Forschungslage vgl. den Beitrag Bodo Brinkmanns in  : Evans – Brinkmann 1995, S. 98–116, sowie zuletzt London – Los Angeles 2003, S. 366 f., 427 f. (Beiträge von Thomas Kren). 6 Vgl. Campbell – Foister 1986. 7 Vgl. etwa Calkins 1998, Wisse 2002. 8 Vgl. die im Zusammenhang mit den einzelnen Werken angeführte Literatur.

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Einleitung

war9 und das im fraglichen Zeitraum (von etwa 1490 bis 1520/30) fast durchgehend für die Ausstattung immer derselben Buchtypen (privater Andachtsbücher) verwendet wurde. Dabei reicht die Spannweite von der stereotypen Wiederholung einmal etablierter Bildmuster bis zu deren geistreicher Variation und Neuinterpretation. Die eigenhändigen Arbeiten des Jakobsmeisters (und die seiner besten Mitarbeiter) zeigen stets die beiden letzten Vorgangsweisen. Daher sind der jeweilige Bildgegenstand und seine inhaltliche und erzählerische Durchdringung von allergrößter Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit unserem Illuminator und seinem Kreis. Zudem spielt in manchen seiner Arbeiten das ehemals höchst brisante, zu seiner Schaffenszeit aber weitgehend genormte und in einem nachgerade seriellen Herstellungsprozeß gelöste Problem der Verbindung von gerahmten Miniaturen und beschriebener Buchseite (i. e. der Vermittlung zwischen der dreidimensionalen Bildwelt und der Betrachterrealität) eine wichtige Rolle. Als dritter und ganz wesentlicher Aspekt sind die Stilqualitäten im engeren und eigentlichen Sinne Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung, worunter, wie eingangs erwähnt, nicht nur ein bestimmtes Motivrepertoire (Figurentypen, Landschaftsund Architekturversatzstücke, Gewand- und Drapierungsmodi) und die jeweiligen maltechnischen Charakteristika, sondern vor allem die Umsetzung des Dargestellten im Sinne der Wirklichkeitssuggestion und ihrer beiden wesentlichen Kriterien (ihrer Dreidimensionalität einerseits, ihrer Oberflächen- resp. atmosphärischen Qualitäten andererseits) verstanden. Die Bewältigung von Körper-, Raum- und Lichtwerten ist im Œuvre des Jakobsmeisters steten Veränderungen unterworfen. Verlaufen diese geradlinig, so war es naheliegend, eine künstlerische Entwicklung und damit eine chronologische Abfolge der entsprechenden Werke anzunehmen. Die mitunter feststellbaren Diskrepanzen zwischen verschiedenen Arbeiten verlangten eine andere Deutung. Es sei vorweggenommen, daß nach der umfassenden Auseinandersetzung mit dem Schaffen unseres Künstlers aus dem Jakobsmeister die Jakobsmeister geworden sind. Dies mag nun kein überraschendes Resultat scheinen, da eine wenn auch meist vage formulierte Werkstattbeteiligung bei zahlreichen diesem Maler zugeschriebenen Handschriftenausstattungen angenommen wurde und wird10. Im Hinblick auf eine Identifizierung des Jakobsmeisters mit Gerard Horenbout und auf die im Zusammenhang mit zweiterem betriebene Quellenforschung erwies es sich als ein nicht unwichtiges Ergebnis. Wie eingangs erwähnt waren die materiellen Ergebnisse jedoch nicht das einzige Ziel dieser Arbeit. Ebenso wichtig wie der Versuch, das Œuvre eines Künstlers zu sichten, es gleichsam für eine historische Deutung aufzubereiten, war das Experiment, ob und wie weit die angewandte Methode der Stilanalyse es erlaubt, Schlüsse historischer Art zu ziehen. In gewisser Weise war die Methode selbst Gegenstand der Untersuchung  : die Stilkritik auf dem Prüfstein. Ihre eventuelle Bewährung, wie noch zu zeigen sein wird, ist streng genommen auf den vorliegenden Fall beschränkt. Es ist aber meine Überzeugung, daß sich in anderen Fällen ähnliche sinnvolle Ergebnisse damit erzielen lassen.  9 Vgl. Thomas Kren et. al., Revolution and Transformation  : Painting in Devotional Manuscripts, circa 1467–1485, in  : London – Los Angeles 2003, S. 121–221. 10 Vgl. zuletzt London – Los Angeles 2003, S. 369 ff., besonders S. 371, Anm. 5.

Gerard Horenbout

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Gerard Horenbout Der Maler Gerard Horenbout ist dokumentarisch relativ gut faßbar, dank umfangreicher Archivarbeiten zahlreicher Autoren und Autorinnen, zuletzt von Lorne Campbell und Susan Foister11. Am 27. August 1487 tritt er zum ersten Mal in Erscheinung  ; an diesem Tag wurde er Meister der Malergilde in Gent12. Das Ereignis überliefert zugleich den Namen seines Vaters  : Willem. Nichts weiteres ist über seine Herkunft bekannt, doch leistet ein Wappen auf dem Grab seiner Frau Margareta Svanders/de Vandere in Fulham13 der Annahme Vorschub, daß er einer adeligen Familie entstammte. Nur ein einziger seiner Bürgen beim Gildeneintritt war Maler, Mitglied einer etablierten Genter Künstlerfamilie  : Lieven de Stoevere. Über den Status der anderen ist nichts bekannt. Obwohl man annehmen muß, daß Gerard als Meister schon bald mehrere Gehilfen beschäftigte, gibt es erst aus den Jahren 1498 und 1502 Beweise dafür, daß er einen Gesellen (Hannekin van den Dijcke) resp. einen Schüler (Heinric Heinricxzone) aufnahm, beide offenbar als Buchmaler14. Die Dokumente, die Gerards eigene Arbeiten in dieser Zeit belegen, weisen ihn allerdings nicht als Illuminator aus. 1503 erwarb er ein Haus in der Genter Drabstraat, dessen Fassade späteren Quellen zufolge figürliche Darstellungen zeigte, vermutlich von Gerard selbst gemalt15. 1508 und 1509 fertigte er im Auftrag der Barbarabruderschaft Vorlagen für Tapisserien an, die für die Kirche der heiligen Pharahildis bestimmt waren16. 1510/11 bezahlte ihn die Stadtverwaltung für eine „Beschreibung“ Gents und der umliegenden Dörfer17. Was immer man sich darunter vorstellen mag, um Buchmalerei wird es sich auch dabei nicht gehandelt haben. Selbst die Dokumente anläßlich seiner Installierung als Hofmaler der Margarete von Österreich am 1. April 1515 sprechen ihn in einer allgemein gehaltenen Formulierung als „maistre Gerard peinctre“18 an, und desgleichen wird er im September 1516 wenig spezifisch für „certaines painctures et ouvraiges de son mestier“19 bezahlt. Erst im Januar 1517 erhält er siebenunddreißig „livres“ ausdrücklich für die Ausstattung eines Stundenbuchs20, im Juni 1520, wiederum ganz allgemein formuliert, dreißig „livres“ für „ouvrages de son mestier“21.

11 Campbell – Foister 1986, mit umfassenden Hinweisen auf die ältere Literatur. 12 Van der Haeghen 1899, S. 89. 13 Abb. bei Campbell – Foister 1986, S. 719, fig. 14. 14 Van der Haeghen 1914a, S. 29. 15 Ebenda. Hulin de Loo 1939, S. 6. 16 Van der Haeghen 1914b. 17 De Busscher 1866, S. 23. 18 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Lille, Archives départementales du Nord, série B, 19021, no. 39786. ���������������������������� Abgedruckt in Evans – Brinkmann 1995, S. 406 ff. 19 Pinchart 1862–65, S. ccciii. 20 Dehaisnes 1881, S. 357. 21 Brüssel, Archives du Royaume, Papiers d’état et d’audience no. 1474, Ordonnances sur l’année 1520. Duverger 1930, S. 90. Abgedruckt in Evans – Brinkmann 1995, S. 409.

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Aus dem Jahr 1520 stammt aber nun auch jene von Horenbout an Margarete gesandte Rechnung, die seinen kunsthistorischen Ruf als einer der bedeutendsten flämischen Buchmaler der Renaissance begründete22. In diesem Schriftstück wird Entgelt für bislang nur zum Teil bezahlte Arbeiten gefordert  : für sechzehn „belles ystoires, bien enlumynées“ in einem reichgeschmückten Pergamentstundenbuch  ; für siebenhundert vergoldete Buchstaben in derselben Handschrift  ; für die bereits vorgenommene Entlohnung eines Schreibers in Brüssel, der einige Blätter für das besagte Stundenbuch neu geschrieben habe –, zumal er, Gerard, keine Zeit (?„loisir“) dafür gehabt habe – und schließlich für zwei „vignettes“ in selbigem Werk. Bei dem hier angeführten Stundenbuch handelt es sich zweifellos um jenes der Bona Sforza, das heute in der British Library unter der Signatur Add. Ms. 34294 verwahrt wird – das einzige nachweislich mit Horenbout in Verbindung zu bringende heute noch erhaltene Werk23. Margarete hatte es in unvollendetem, ungebundenem Zustand von der ursprünglichen Eigentümerin, einer Tante ihres 1504 verstorbenen Gatten Philibert von Savoyen, erhalten. Diese hatte es während ihres Aufenthalts in Mailand als Gattin (später Witwe) des Herzogs Galeazzo Sforza um 1490 von dem dort ansässigen Illuminator Giovan Pietro Birago und seinen Mitarbeitern ausstatten lassen24. Doch war ein Teil der Miniaturen von einem gewissen Fra Gian Jacopo gestohlen und an Juan Maria Sforzino, einen Halbbruder von Bonas verstorbenem Gemahl, veräußert worden, der offenbar nicht willens war, das Diebsgut seiner Schwägerin zurückzugeben, sodaß das kostspielige Projekt schließlich zum Erliegen kam 25. Erst Margarete beauftragte den Schreiber Etienne de Lale, den Text neu zu ordnen und zu vervollständigen, wofür dieser im Juli 1517 bezahlt wurde26. Anschließend dürfte Horenbout die Vollendung des Bildschmucks übertragen worden sein. Die Tatsache, daß sich am unteren Rand der noch in Italien illuminierten Textseite fol. 213r ein offensichtlich schon in Flandern gemaltes Münzporträt des jugendlichen Karl V. mit der Jahreszahl 1520 befindet, sowie der späte Zeitpunkt, zu dem Margarete die Wiederherstellung des Stundenbuchs in Angriff nahm (nach 1515, als sie die Regentschaft in den Niederlanden ihrem Neffen abgetreten hatte), legen nahe, daß die Handschrift als Geschenk für Karl gedacht war – wofür auch die spätere spanische Provenienz der Handschrift spricht27.

22 Brüssel, Archives du Royaume, Acquits de Lille, 524. II. A. Duverger 1930, S. 87. Abgedruckt bei Evans – Brinkmann 1995, S. 409 ff. 23 Evans – Brinkmann 1995  ; London – Los Angeles 2003, S. 428–431 (Nr. 129) und S. 530 (ausführliche Literaturangaben). 24 Mark Evans, Die Geschichte des Sforza-Stundenbuchs, in  : Evans – Brinkmann 1995, S. 17–29, bes. 23–28. 25 G. Mongeri, L’arte del minio nel ducato di Milano, in  : Archivio Storico Lombardo 12, 1885, S. 541. Abgedruckt bei Evans – Brinkmann 1995, S. 405 f. 26 Lille, Archives départementales du Nord, série B 19617, no. 44063–64. Abgedruckt bei Evans – Brinkmann 1995, S. 408 f. 27 Sir John Charles Robinson erwarb die Handschrift 1870 in Madrid. Evans – Brinkmann 1995, S. 17–21.

Gerard Horenbout

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Die Rechnung, in der Gerard 1520 den Lohn für die Fertigstellung der Sforza-Hours forderte, enthält aber auch eine Liste anderer geleisteter und noch nicht abgegoltener Tätigkeiten  : den Entwurf eines Glasfensters für die Galiläerkirche in Gent. Eine Fahrt nach Brügge, um dort den Text (!) eines weiteren Stundenbuchs für Margarete zu vollenden. Reisekosten für einen seiner Söhne, der zwei Mal je drei Tage nach Brügge gefahren war, um Fehler in den Rubriken (!) eben jenes Stundenbuchs zu korrigieren. Vier Arbeitstage, an denen Gerard persönlich Ausbesserungen an der besagten Handschrift vornahm. Zwanzig Arbeitstage bei den Nonnen des Galiläerklosters in Gent an einem „jardinet“ und der Transport eben jenes „jardinets“ in einem Behälter nach Mecheln (das „jardinet“ wird in einem Inventar der Sammlungen Margaretes von 1524 als ein Gärtlein mit gestickten Seidenblumen, diversen Bäumen und Figuren beschrieben, in dessen Mitte sich die Heilige Familie unter einem Baum auf einem von einer Hecke eingezäunten Rasenstück befand)28. Am 17. Januar 1521 genehmigte Margarete die geforderten Zahlungen29. Aus all dem wird ersichtlich, daß dieses wichtige Dokument es nicht nur erlaubt, die spannende Geschichte einer der bedeutendesten Renaissancehandschriften nachzuvollziehen und die Identität der an der zweiten Ausstattungskampagne beteiligten Personen sicherzustellen, sondern daß es bezüglich der Funktion Gerard Horenbouts auch zahlreiche nach wie vor ungelöste Fragen aufwirft. Gerard, der Maler, der offensichtlich schon vor 1520 in mannigfaltiste Unternehmungen involviert war – wobei die Buchmalerei nur durch zwei für dieses Metier engagierte Mitarbeiter und eine einzige Rechnung als ein von ihm ausgeübtes Handwerk belegt wird –, ist auch in diesem Schriftstück nicht unbedingt als Illuminator zu erkennen. Er fordert Geld für Miniaturen, die vielleicht er, vielleicht aber auch jemand anderer gemacht hat (zumal es wenig wahrscheinlich ist, daß er auch jene „sept cent lettres d’or“ anfertigte, die er mit derselben Formulierung wie die Vollbilder verrechnet „pour avoir fait“30). Nicht nur, daß er offensichtlich Arbeiten delegierte, darüber hinaus ist die einzige Tätigkeit, für die er sich ausdrücklich selbst verantwortlich bezeichnet, das Schreiben31. Isoliert betrachtet könnte man die Bemerkung, daß die Fertigstellung des Textes einer auswärtigen Arbeitskraft überlassen werden mußte, weil ihm selbst die Zeit dazu fehlte32, als etwas prätentiöse Umschreibung einer üblichen Vorgangsweise auffassen. Sie beweist aber in jedem Fall, daß Horenbout auch im Rahmen der Buchproduktion mehr war als bloß ein für den künstlerischen Teil zuständiger Illuminator und auch organisatorische Aufgaben übernahm. Die Tatsache aber, daß jemand, für den Gerard die Bezahlung einfordert, nach Brügge fährt, um einen Text zu vollenden (was man nur isoliert vom übrigen Sachverhalt eventuell als eine 28 Michelant 1871, S. 111. 29 Die vollständige Rechnung abgedruckt bei Pinchart 1860, S. 17 f. 30 Evans – Brinkmann 1995, S. 410. 31 Ebenda  ; Pinchart 1860, S. 18. 32 „Item, a payet ledict Maistre Girard pour l’escriture d’aucuns feuilletz d’icelles Heures, pour ce qu’il n’avoit loisir les escripre, ainsi luy a convenu icelles appourter et faire escripre à Bruxelles.“ Evans – Brinkmann 1995, S. 410.

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bildliche oder zumindest kalligraphische Ausstattung von Schriftseiten verstehen könnte) und daß ein Sohn danach eine Reise unternimmt, um Rubriken zu korrigieren (die nun mit Sicherheit auch keine Kalligraphie inkludieren), spricht massiv dafür, daß Horenbout Schreiber in einem unmittelbaren Arbeitsverhältnis beschäftigte, also einen größeren Betrieb mit mehreren in verschiedenen Sparten spezialisierten Mitarbeitern unterhielt. Und obwohl die Tatsache, daß er Maler war, nahelegt, daß die angeführte Wiederherstellung diverser beschädigter Teile der in Brügge befindlichen Handschrift durch ihn persönlich sich auf deren Bildschmuck bezieht, ist in Anbetracht der aufgezeigten Evidenz nicht auszuschließen, daß die einzige in dieser Rechnung als eigenhändig ausgewiesene Tätigkeit auch Schreibarbeit inkludierte. In Margaretes Belegen wird Gerard nur noch einmal erwähnt  : Im Januar 1522 erwarb sie ein Porträt des zuvor kurzzeitig am Brüsseler Hof weilenden dänischen Königs Christian II., des Gatten ihrer Nichte Isabella, von ihm33, vielleicht einmal mehr ein Tafelbild, das auch im Inventar von 1524 aufscheint34. Es ist möglich, daß Horenbout schon bald danach nach England ging. Bereits 1517 hatten Gerard und seine Frau ihre Beteiligung an einer Liegenschaft in Gent verkauft35. Dies ist vielleicht ein Hinweis auf eine Übersiedlung nach Antwerpen, obwohl Campbell/Foister erwägen, daß Horenbout sich unter Dürers Gastgebern bei dessen Gent­ Aufenthalt im April 1520 befunden hätte36. Im Mai 1521 traf Dürer „maister Gerhart, jlluminist“ allerdings in Antwerpen, zusammen mit dessen von Dürer als etwa achtzehnjährig eingeschätzter Tochter Susanna37. Ihr kaufte er ein „plätlein“ mit der Darstellung des Salvators für einen Gulden ab. Dazu vermerkte er in seinem Tagebuch „Jst ein grosz wunder, das ein weibs bild also viel machen soll“38 – was sich wohl weniger darauf bezieht, daß eine Frau als Künstlerin tätig war (was öfter vorgekommen sein dürfte39), sondern die hohe Qualität des Werkes ansprechen muß. Dürer selbst verkaufte im August 1520 ein kleines Leinwandbild der Madonna um denselben Preis, und für Porträtzeichnungen verlangte er anscheinend nur die Hälfte40. All dies wird später noch einmal zur Sprache kommen. 33 Pinchart 1860, S. 18. 34 Michelant 1871, S. 66 ff. 35 De Busscher 1866, S. 327, Anm. 1. 36 Campbell – Foister 1986, S. 720. 37 Rupprich 1956, S. 168, 172. 38 Ebenda, S. 172. 39 So sind in der Pariser Buchproduktion des 14. und 15. Jahrhunderts zahlreiche Frauen, wohl auch als Iluminatorinnen, tätig gewesen. Vgl. Rouse-Rouse 2000, Bd. 2, S. 11–142. Auch die Tatsache, daß Simon Benings Tochter Lievina und Pieter Coecke van Aelsts Gattin Mayken Verhulst Malerinnen waren, scheint zu belegen, daß auch die Familienmitglieder weiblichen Geschlechts mitunter in den Werkstätten der Väter ausgebildet wurden und später auch selbständig arbeiteten. Marlier 1966, 21 f.; Saur Allgemeines Künstlerlexikon Bd. 9, 1994, S. 67  ; Dictionnary of Art 1995, Bd. 30, S. 411 f. 40 Campbell – Foister 1986, S. 725, Anm. 69.

Gerard Horenbout

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Erst im Oktober 1528 taucht Gerard Horenbout, bezeichnet als „paynter“, wieder in den Dokumenten auf, diesmal im Dienst Heinrichs VIII. von England. Bis April 1531 sind monatliche Zahlungen in der Höhe von 33s., 4 d. durch den Schatzmeister Heinrichs belegt41. Da dessen Rechnungsbücher nur zum Teil erhalten sind, in jenem vom September 1525 Gerard aber noch nicht aufscheint, ist anzunehmen, daß dieser irgendwann zwischen 1525 und 1528 seine Anstellung antrat42  ; die Tatsache, daß sein Sohn Lucas im September 1525 bereits ein Gehalt empfing43, könnte allerdings bedeuten, daß auch der Vater schon zu diesem Zeitpunkt in England war. Trotz seines regelmäßigen Einkommens haben sich keinerlei Hinweise darauf erhalten, welcher Art die Arbeiten waren, die er für Heinrich (oder auch für andere Auftraggeber) ausführte. In den Aufzeichnungen von Februar 1538 ist er nicht mehr erwähnt, muß also in der Zeitspanne zwischen 1531 und 1538, über die entsprechende Unterlagen fehlen, wieder aus dem königlichen Dienst ausgeschieden sein44. 1529 war sein Haus in Gent auf drei Jahre vermietet worden45, vielleicht infolge des Todes von Margareta Svanders bzw. de Vandere, seiner Gattin, im selben Jahr, deren Grabmal allerdings in Fulham (heute London) überliefert ist46. 1540/41 schließlich bezahlten Gerards Erben die Steuer für seinen Besitz in Gent, was bedeutet, daß er spätestens zu diesem Zeitpunkt verstorben war47. Wann und wo ihn der Tod ereilte, kann jedoch nicht mehr eruiert werden. In jedem Fall muß er ein hohes Alter erreicht haben und bezog offensichtlich auch als Greis noch ein Einkommen, muß also in irgendeiner Form auch dann noch tätig gewesen sein. Neben den achtzehn illuminierten Seiten in den Sforza Hours (sechzehn Vollbilder und zwei Vignetten, also gemalte Bordüren) wird eine weitere heute noch erhaltene Handschrift, allerdings auf einer zweifelhaften Grundlage, mit Horenbout in Verbindung gebracht  : das

41 Collier 1857, S. 139, 146, 147, 303. 42 Campbell – Foister 1986, S.720, halten es für möglich, daß Horenbout 1514 Kontakte mit dem englischen Hof angeknüpft hatte, da in diesem Jahr ein „paynter of Gaunt“ Porträts von Heinrich VIII. herstellte, die offenbar als Vorlage für ein Fenster in Saint-Nicolas in Calais dienten  ; Auerbach 1954b, S. 22. 43 London, British Library, Egerton Ms. 2604, fol. 1v. Paget 1959, S. 399. 44 Campbell – Foister 1986, S. 720. 45 Hulin de Loo 1939a, S. 6. 46 Das auf dem Grabmal ersichtliche Wappen der Margareta Svanders legt nahe, daß Horenbout möglicherweise adeliger Herkunft war. Campbell – Foister 1986, S. 719 und Anm.1. Interessant ist auch, daß Susanna als das einzige Kind der Verstorbenen in der dort befindlichen Inschrift aufscheint, obwohl ihr Bruder Lucas sich ebenfalls am englischen Hof in angesehener Position befand (während andere Geschwister in Flandern geblieben waren). Dieser Sachverhalt läßt einige Deutungen zu  ; so wäre etwa möglich, daß Margareta Svanders Gerards zweite Gattin oder aber Lucas ein außerehelicher Sohn war. 47 De Busscher 1866, S. 23. Ein Sohn namens Eloy wird von Van der Haeghen 1906, S. 6, Anm. 4, als Sohn von Gerard bezeichnet, der 1519/20 der Genter Malergilde beigetreten sei und dessen Frau Jossine van Allennes am 12. Oktober 1551 als Witwe aufscheint.

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Breviarium Grimani (Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99)48. Marcantonio Michiel bezeichnete 1521 das bereits damals im Besitz der venezianischen Adelsfamilie befindliche Werk als von „Zuan Memelin“, „Girardo da Guant“ und „Livieno da Anversa“ ausgeführt 49. Hans Memling war zur mutmaßlichen Ausstattungszeit des Breviers aber bereits tot  ; zudem ist er auch aus stilistischen Gründen mit Sicherheit aus dem Kreis der darin tätigen Illuminatoren auszuschließen. Wer mit „Livieno da Anversa“ gemeint war, ist weder klar noch gibt es einen Identifizierungsvorschlag innerhalb des Buchschmucks für ihn. Folglich ist es wenig wahrscheinlich, daß die Erwähnung des „Girardo da Guant“ auf einer solideren Wissensgrundlage basierte als die der beiden anderen Namen. Allerdings wäre die Richtigkeit dieser Angabe von großer Bedeutung für die Identifizierung Horenbouts mit dem Jakobsmeister. Denn im Breviarium Grimani findet sich eine Gruppe von Miniaturen, die im unmittelbaren Kreis des Jakobsmeisters entstanden sein muß, also das „missing link“ zwischen dem großen Œuvre des anonymen Illuminators und der für Horenbout scheinbar gesicherten Ausstattung der Sforza-Hours wäre. Ein Teil der Problematik einer solchen Konstruktion wurde freilich schon angesprochen  ; dem wird noch viel hinzuzufügen sein. Eine Signatur Horenbouts wurde überdies in einem Monogramm „HB“ geltend gemacht, das sich auf mehreren illuminierten Seiten im sogenannten Gebetbuch des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg in der Landesbibliothek und Murhardschen Bibliothek in Kassel (Mss. math. et art. 50) befindet50. Alfons Biermann hat es als Fälschung entlarvt, da ihm die dazugehörigen Miniaturen als Arbeiten Simon Benings erscheinen, dessen Stil sie zweifellos nahe stehen51. Desgleichen ist die von H. Paget52 gesichtete Signatur „Gherart“ in der Darstellung der Geburt Christi in einem für Kardinal Wolsey in den Jahren 1528/29 gefertigten Epistolar (Oxford, Christ Church, Ms. 101)53 bislang nicht aufgefunden worden54  ; auch die Identifizierung Horenbouts mit einem in den Rechnungsbüchern des Kardinals aus der selben Zeit erwähnten „Gerarde“ bzw. „Garard“55 wird in der neueren Forschung deshalb abgelehnt, weil besagter Gerarde offensichtlich für Schreibarbeiten herangezogen wurde und daher mit dem um diese Zeit nachweisbaren Schreiber William Gerard bzw. Garrard gleichgesetzt

48 London – Los Angeles 2003, S. 420–424 (Nr. 126), S. 529 (ausführliche Literaturangaben). 49 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. It. XI, 67, fol. 61v  : „Notizie d’opere del disegno“ des „Anonimo Morelliano“ (Marcantonio Michiel). Abgedruckt bei Evans – Brinkmann 1995, S. 411  ; auch  : Frimmel 1888, S. 104. 50 W. Hopf – G. Struck, Die Landesbibliothek Kassel 1580–1930, Marburg 1938, S. 64–76. 51 Biermann 1975, S. 136. 52 Paget 1959, S. 401, glaubte diese Signatur in der Miniatur der Geburt Christi ausmachen zu können. 53 London – Los Angeles 2003, S. 504 ff. (Nr. 169), S. 531 (mit ausführlichen Literaturangaben). 54 Elizabeth Morrison weist darauf hin, daß nicht einmal eine Untersuchung mit dem Mikroskop, die Nancy Bell, Konservatorin für Handschriften in Oxford, vorgenommen hat, zu einem positiven Ergebnis führte. Ebenda, S. 506, Anm. 2. 55 Auerbach 1954b, S. 42–45.

Gerard Horenbout

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wird56. Ohne dies bezweifeln zu können, sei doch daran erinnert, daß Horenbout zumindest in Flandern auch die Fertigstellung von Texten als abzugeltende Leistung für sich in Anspruch nahm. Joachim Plotzek verwies bei seiner Katalogbearbeitung des Spinola-Stundenbuchs, damals noch in der Sammlung Ludwig und heute als Ms. Ludwig IX 18 im Getty Museum in Los Angeles57, auf den am unteren Rand mehrerer Seiten teils angeschnittenen, mitunter aber auch deutlich erkennbaren Schriftzug „Gh“58. Plotzek interpretierte diese Lettern als eine Art Künstlerzeichen, das als Grundlage für die Entlohnung der Illuminatoren gedient haben könnte. Diese Entdeckung scheint deshalb wichtig, weil die Miniaturen des SpinolaStundenbuchs zu den Hauptwerken des Jakobsmeisters zählen. Allerdings befinden sich die Buchstaben „Gh“ auch auf Seiten, die gar nicht vom Jakobsmeister und seinen Mitarbeitern, sondern von anderen Künstlern ausgemalt wurden. Dies entkräftet die mögliche Bedeutung des Schriftzugs nicht unbedingt, da Horenbout ja nachweislich auch andere, sozusagen „auswärtige“, Künstler beschäftigte, wenn er (und seine Mannschaft) nicht genug Zeit für das entsprechende Vorhaben aufbringen konnten59, und daher wohl auch deren Bezahlung regelte  ; doch sind die Buchstaben damit auch kein untrüglicher Hinweis auf eine Identität des Jakobsmeisters mit Gerard. Neben einigen Tafelbildern, die von Karel van Mander erwähnt werden60, sich aber nicht erhalten haben, existiert ein im Museum für Schöne Künste in Gent verwahrtes Triptychon, das die heilige Sippe zeigt und den Namenszug GERARDVS im Gewandsaum eines der Dargestellten aufweist61. Obwohl Campbell und Foister zu recht darauf hinweisen, daß weder gesichert ist, ob es sich bei der Inschrift um eine Signatur handelt, noch ob das Werk tatsächlich in Gent ausgeführt wurde62, erscheinen beide Aspekte zumindest naheliegend. Darüber hinaus gibt es einen losen stilistischen Zusammenhang dieser Tafel mit anderen Arbeiten der Jakobsmeister-Gruppe, wie er auch in einigen anderen der Gerard-Horenbout-Tafeln zu erkennen ist63. 56 Campbell – Foister 1986, S. 721. 57 London – Los Angeles 2003, S. 414–417 (Nr. 124), S. 529 (ausführliche Literaturangaben). 58 Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, S. 256–285, bes. S. 267. 59 Das jedenfalls legt der Subkontrakt mit dem 1720 genannten Brüsseler Schreiber nahe. Vgl. hier Anm. 32. 60 Van Mander 1604, fol. 204v. 61 Hulin de Loo 1939a, S. 20  ; Gent 1957, S. 154–156. Robert Hoozee, Musée des Beaux-Arts à Gand, Brüssel 1988, Abb. S. 14. Auf ��������������������������������������������������������������� die bislang unterschätzte Bedeutung dieses Triptychons verwies zuletzt nachdrücklich Th. Kren, in London – Los Angeles 2003, S. 375 f. 62 Campbell – Foister 1986, S. 721. 63 Dazu gehören eine kleine Ecce-Homo-Darstellung in der Nationalgalerie in Prag, die mitunter auch Juan de Flandes – m. E. mit größerer Berechtigung – zugeschrieben wird (Lieftinck 1969, Bd. 1, S. 59, Nr. 14  ; Chefs d’oeuvre de Prague 1450–1750  : Trois siècles de peinture flamande et hollandaise, Ausst. Kat. Brügge 1974, S. 21, Nr. 5  ; Malibu 1983, S. 120 ff., fig. 15m), eine Tafel mit dem heiligen Lievinus im Suermondt-Museum, Aachen (Wescher 1959, S. 134 f., Abb. 14  ;

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Die einleitende Vorstellung Gerard Horenbouts anhand der auf ihn bezogenen Dokumente hat ein Problem offenbart, zu dem sich im Laufe dieser Arbeit noch viele weitere gesellen werden, das aber nichtsdestotrotz grundlegend sein dürfte. Es ist in keiner Weise gesichert, welcher Art der Tätigkeitsbereich Horenbouts wirklich war. Wie Campbell und Foister ausdrücklich betonen, ist er meist als Maler und nur in Ausnahmefällen auch als Buchmaler bezeichnet64. Und gerade die Sforza-Hours, an deren künstlerischer Vollendung er maßgeblich beteiligt gewesen sein muß (gesichert jedoch nur in der Position eines Projektleiters), sind ganz offensichtlich zu einem Zeitpunkt entstanden, als er ein gut organisiertes Unternehmen führte, das offenbar auf weit mehr als nur auf (allerdings hochqualitative) Buchmalerei spezialisiert war und in dessen Aufgabenbereiche das Abschreiben von Texten ebenso fiel wie der Kunsttransport. All dies schließt nicht aus, daß Horenbout auch ein Buchmaler von überragendem Rang mit einer im Verlauf seines Lebens beachtlichen Produktion war, mit anderen Worten  : der Jakobsmeister. Das größte Problem bei einer solchen Deutung des Sachverhalts ist, daß die Sforza-Hours sich nur in einer tour de force in das Œuvre des Jakobsmeisters integrieren lassen. Hat Horenbout die Miniaturen der zweiten Ausstattungskampagne in den Sforza-Hours geschaffen, so ist es höchst unwahrscheinlich, daß er jener Illuminator war, dem, ausgehend von einer Miniatur im Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland, eine große Anzahl an Werken zugeschrieben werden kann. Quod erit demonstrandum.

Der Jakobsmeister Bevor das Œuvre des Jakobsmeisters in einer chronologischen Abfolge untersucht wird, soll dieses eine, grundlegende Problem – die weitgehende formale Unvereinbarkeit der flämischen Miniaturen in den Sforza-Hours mit den Arbeiten unseres Anonymus – gleichsam zum Auftakt dargelegt werden. Anhand dieses praktischen Beispiels möchte ich zugleich meine Vorgangsweise noch etwas näher erläutern. Der Jakobsmeister ist benannt nach einer der spektakulärsten, aber auch isoliertesten Miniaturen innerhalb seines mutmaßlichen Œuvres. Es handelt sich um die Darstellung Jakobs IV. von Schottland auf fol. 24v eines in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrten Gebetbuchs (Cod. Vind. 1897)65 (Taf. I). Als Eckdaten für die Entstehung der Handschrift gelten 1503 (als Jakob Margaret Tudor ehelichte) und 1513 (als der König im Köln 2001, S. 426 f., Farbabb. S. 427), oder das Diptychon des Lieven van Pottelsberghe und seiner Frau Livina de Steelant in Gent, Museum voor Schone Kunsten (Hulin de Loo 1939, S. 19 ff.; Martens 2000, S. 52–56). Das letztgenannte Werk weist die größten Ähnlichkeiten mit anderen Arbeiten des Jakobsmeisters auf, das erstgenannte m. E. die geringsten. Zuletzt besonders in den Blickpunkt gerückt wurde das Poortakker-Triptychon im Genter Museum, vgl. London – Los Angeles 2003, S. 375 f., fig.70. 64 Campbell – Foister 1986, S. 721. 65 London – Los Angeles 2003, S. 371 ff. (Nr. 110), S. 528 f. (mit umfassenden Literaturangaben).

Der Jakobsmeister

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Kampf gegen das Heer seines Schwagers Heinrich VIII. fiel) 66. Doch haben Leslie Macfarlane, Franz Unterkircher und neuerdings Elizabeth Morrison mit dem Argument, daß das Gebetbuch anläßlich der Hochzeit fertiggestellt sein sollte, eine Datierung um 1502/03 vorgeschlagen67. Obwohl die ganzseitige Miniatur auf fol. 24v viele im Œuvre des Jakobsmeisters charakteristische Züge, besonders hinsichtlich des Motivrepertoires und der hier besonders subtilen Malweise, offenbart, ist sie paradoxerweise doch eine Ausnahmearbeit. Dies beginnt damit, daß sie in ein Gebetbuch integriert ist, in dem sich m. E. keine einzige weitere Darstellung von der Hand unseres Illuminators befindet und in dem nur ein zweites Vollbild (die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, fol. 104v) (Taf. II) und eine kleinformatige Miniatur (auf fol. 41r) stilistisch in seine Nähe zu rücken sind68. Sie stammen von Malern, die zwar nicht in den engsten Mitarbeiterkreis des Jakobsmeisters gehörten69, jedoch offensichtlich von seiner Kunst beeinflußt waren  ; im Falle der Ruhe auf der Flucht ist sogar zu erwägen, ob hier nicht ein eigenhändiger Entwurf des Jakobsmeisters durch eine andere Kraft ausgeführt wurde70. Für den Rest des Bildprogramms in Cod. Vind. 1897 scheinen anderswo geschulte Illuminatoren verantwortlich gewesen zu sein, wenngleich auch sie vereinzelte Genter Wurzeln verraten71. Insgesamt kann man nicht umhin, sich zu fragen, wie zufrieden der schottische König wohl mit den nicht durchwegs zu den Glanzleistungen der Gent-Brügger-Schule zählenden Bildern in seiner Handschrift war. Dabei handelte es sich offensichtlich um ein gut geplantes Unternehmen, zumindest von Auftraggeberseite. Die Darstellungen Jakobs IV. auf fol. 24v und Margaret Tudors auf fol. 243v72 (Taf. III) folgen jenen Jakobs III. von Schottland und Margaretes von Dänemark auf den Flügeln des von Edward Bonkil gestifteten und von Hugo van der Goes vermutlich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts ausgeführten Retabels, die sich heute 66 Macfarlane 1960, S. 3 ff. 67 Ebenda  ; Unterkircher 1967, S. 246, London – Los Angeles 2003, S. 373. Dagmar Thoss blieb 1987 bei einer vorsichtigeren Erwägung der Datierung (in Wien 1987, S. 113), desgleichen Smeyers 1998, S. 467. 68 Auch in der neuesten Literatur (London – Los Angeles 2003, S. 373, Anm. 4) wird die Darstellung der Ruhe auf der Flucht dem Jakobsmeister zugeschrieben. Siehe dazu die Ausführungen unten Kap. IV 1. Für die kleine Miniatur auf fol. 41r vgl. Unterkircher 1987 (Faksimile). 69 Unter dem „engsten Mitarbeiterkreis“ werden in dieser Untersuchung nur jene Künstler verstanden, die die Formensprache des Jakobsmeisters vollkommen absorbiert haben und daher nur mit Mühe zu identifizieren sind. Die für die Darstellungen auf fol. 104v resp. 41r verantwortlichen Maler gehören nicht dazu. 70 Siehe unten Kap. IV 1. 71 Unterkircher 1987  ; London – Los Angeles 2003, S. 272 f. 72 Diese Miniatur scheint von einem Maler aus jenem Milieu zu kommen, das mit dem Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilians I. assoziiert wird (vgl. dazu auch Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 372). Doch scheint er im vorliegenden Fall nicht nur das gleiche Vorlagenmaterial wie der Jakobsmeister benutzt, sondern sich auch mit unserem Künstler abgesprochen zu haben. Vgl. dazu unten. Kap II 2.

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in der National Gallery of Scotland in Edinburgh befindet73 (Abb. 1a, 1b). Da Hugos Werk bereits gute zwanzig Jahre vor der Ausstattung von Cod. Vind. 1897 Gent verlassen haben dürfte, nimmt Elizabeth Morrison an, daß von Auftraggeberseite Vorlagen für die beiden königlichen Porträts bereitgestellt wurden74. Dies erscheint plausibel, doch wirft es die Frage auf, wer solche Vorlagen ausgeführt und wie sie ausgesehen haben könnten75. Ebenso gut wäre möglich, daß in Gent nach wie vor Zeichnungen, vielleicht sogar Repliken der Goesschen Tafeln verfügbar waren und daß diese aus naheliegenden Gründen als Vorbilder für die nicht alltägliche Aufgabe gewählt wurden, ja vielleicht sogar mit ein Grund waren, weshalb das, abgesehen vom Jakobsmeister nur bedingt qualifizierte Team den prestigeträchtigen Auftrag an sich ziehen konnte76. Daß das renommierte Vorbild noch erhalten ist, ermöglicht jedenfalls eine bessere Beurteilung der Leistung unseres Illuminators. Dies beginnt damit, daß die Entscheidung zu der für ihn untypischen großfigurigen Darstellung, bei der einige wenige monumental aufgefaßte, in hieratischer Regunslosigkeit verharrende Protagonisten das gesamte Bildfeld in Größe und Erscheinung dominieren, auf die Vorlage zurückzuführen ist. Offensichtlich wollte der Jakobsmeister ein regelrechtes Pendant zu Hugos Lösung schaffen, oder er wurde dazu aufgefordert. Jedenfalls gelang es ihm ungleich besser als dem Miniator der ebenfalls in Anlehnung an Hugos Lösung ausgeführten Darstellung der Margaret Tudor auf fol. 243v von Cod. Vind. 1897, und zwar in vielerlei Hinsicht. Der Jakobsmeister zeigt den König in der linken Hälfte seiner hochrechteckigen, nur von einem schmalen fingierten Holzleistenrahmen eingefaßten Miniatur, deren bogenförmiger Auszug einer nachträglichen Beschneidung zum Opfer gefallen ist. Jakob IV. kniet unter einem grünen Baldachin auf einem grünen Teppich unmittelbar vor einem rechts befindlichen Altar. Er trägt ein pelzverbrämtes Untergewand aus Goldbrokat und einen roten hermelinbesetzten Mantel. Hinter ihm steht sein Namenspatron Jakobus maior und präsentiert ihn der Büste des Salvators in der Mitteltafel eines Altarretabels, dessen linker Flügel Andreas, den Schutzherrn Schottlands, zeigt, während der rechte glatt vom Bildrand abgeschnitten ist. Durch diesen Kunstgriff wird gewährleistet, daß Jakob neben dem Heiland auch und zugleich nur noch dem Nationalheiligen huldigt. Als Antependium fungiert das offenbar als Wirkarbeit aufzufassende Wappenbild des Königs, wobei zwei weiße Einhörner vor blauem Grund den von der Kette des Andreasordens umgebenen Schild und den Helm mit dem schottischen 73 Thompson – Campbell 1974  ; Sander 1992, S. 232–258  ; Belting – Kruse 1994, S. 240 f.; Dhanens 1998, S. 302–325. 74 London – Los Angeles 2003, S. 371. 75 Macfarlane 1960, S. 5, erwähnt den für Jakob tätigen Sir Thomas Galbraith, der vielleicht dafür in Frage käme. 76 Ein weiterer Hinweis auf die unmittelbare Kenntnis des goesschen Werkes durch den Jakobsmeister ist die Form des Thrones der Dreifaltigkeit in den Edinburgher Flügeln, die in den Arbeiten des Jakobsmeisters öfter wiederkehrt, auch in solchen, die offenbar vor Cod. Vind. 1897 entstanden, wie Cod. Vind. Ser. n. 2625 oder Add. Ms. 18851 der British Library.

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Abb. 1a+b: a) König Jakob III. von Schottland im Gebet; b) Königin Margarete von Dänemark im Gebet; Hugo van der Goes, Innenflügel eines Triptychons, Edinburgh, National Gallery of Scotland.

Löwen im Helmzier präsentieren. Darüber erscheint in goldenen Lettern Jakobs Devise  : In my defens. Im Hintergrund, zwischen den Stäben des Kapellenschrankens in einem lichten, mehrgeschoßigen Kirchenschiff, sind die Köpfe zweier Gefolgsleute zu sehen. Die hinter ihnen aufragende Lanze erweckt den Eindruck einer weit größeren Menschenmenge als tatsächlich dargestellt. Mit dem Motiv der Gefolgschaft als Zeuge schließt der Jakobsmeister an eine Reihe von Eigentümerbildnissen in der Buchmalerei an, in die sich die Darstellung der Margarete Tudor in Cod. Vind. 1897 ebenso einfügt wie jene der Dame auf fol. 14v in Cod. Vind. 1857, dem

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Stundenbuch der Maria von Burgund77. Wie eine zweite Stimme wird damit der offizielle Charakter des Ereignisses in die an sich private Atmosphäre der Darstellung eingewoben  ; ähnliches leistet ja auch die Hinzunahme des nur klein und in untergeordneter Position (auf dem Altarflügel) wiedergegebenen Landespatrons Andreas in das vom König, seinem persönlichen Schutzheiligen und dem Salvator dominierte Bildgeschehen. Die linke Hälfte der Miniatur gleicht dem linken Flügel des Edinburgher Altarwerks Hugos in frappanter Weise (Taf. I, Abb. 1a). Jakob IV. kniet wie sein Vater unter einem Baldachin, unter dem auch noch der jeweilige Heilige und im Tafelbild zudem jener Knabe Platz gefunden hat, der im Gebetbuch selbst zum König geworden ist. Als Ausgleich zur schmächtigen Figur des Kindes hat Hugo im oberen linken Bildteil das Wappen Schottlands angebracht – bestehend aus Schild, Helm und Helmzier, die trotz des angedeuteten Schlagschattens nicht als reale Gegenstände innerhalb der Bildwirklichkeit gedeutet werden können, da ihre Anbringung an der hinteren Baldachinplane fast ebenso unwahrscheinlich wäre wie die Kollision des Löwen im Helmzier mit dem Baldachinhimmel 78. Sowohl Andreas als auch Jakobus stehen dicht hinter den Königen, und obwohl ihre Hände Unterschiedliches vollbringen – Andreas hält in seiner Linken ein Buch, während er mit seiner Rechten Jakob III. krönt, Jakobus umfaßt mit der Linken den Pilgerstab und weist mit der Rechten, die zugleich den Mantel zusammenhält, nachgerade vertraulich auf Jakob IV. –, ist die Position der Arme beinahe gleich. Noch größer sind die Parallelen bei den beiden Königen, die fast identisch vor ihrem jeweiligen Betpult auf Kissen knien und deren Mäntel teils sogar in Fall und Fältelung übereinstimmen. Die Ähnlichkeit in Farbigkeit und Kostümierung wird demgegenüber eher auf höfische Kleidungsvorschriften und künstlerische Überlegungen als auf die unmittelbare Abhängigkeit der Miniatur vom Tafelbild zurückzuführen sein. Der Rot-Grün-Akkord, im Flügel durch den roten Baldachin und das grüne Gewand des Apostels, in Cod. Vind. 1897 durch den grünen Baldachin und den roten Mantel des Königs bestimmt, ist in der Miniatur noch durch Blau-Gold und Gelb ergänzt und um subtile Altrosa- und Grauviolettnuancen erweitert. Diesen reichen Chromatismus bleibt Hugos Tafel schuldig. Die Unterrepräsentation der Blautöne (auch auf dem Flügel mit Margarete von Dänemark) ist mit ein Argument für die in der Literatur vorgebrachte These einer Mariendarstellung auf der verlorenen Mitteltafel des Edinburgher Retabels79, die in der Madonnenvision der Margaret Tudor auf fol. 243v von Cod. Vind. 1897 auch überliefert sein könnte80. Wie dem auch sei, in einem Punkt entspre77 London – Los Angeles 2003, 137–141 (Nr. 19), S. 524 (mit umfassenden Literaturangaben), Abb. S. 229, Fig. 65. Das Gefolge der vor der Madonna knienden Herzogin blickt auch dort durch die Stäbe der seitlichen (linken) Chorschranken. 78 Der öffentliche Charakter des Tafelbildes findet nicht nur in der Wahl des Nationalheiligen Andreas als Schutzpatron des Königs seinen Ausdruck, sondern auch in der Tatsache, daß bei der Wiedergabe des Wappens alle persönlichen Attribute fehlen, etwa Ordenskette und Devise. 79 Thompson – Campbell 1974, S. 47  ; Sander 1992, S. 253 f., Anm. 50. 80 Sander, ebenda. Der in der letztgenannten Miniatur anzutreffende, zurückgeschlagene Vorhang, eine klassische goessche Thematisierung der fiktiven Grenze zwischen Bild- und Betrachterrealität,

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chen einander Jakobsminiatur und -flügel auch farblich exakt  : Der Knabe scheint inklusive seiner roten hermelinverbrämten Robe aus dem Tafelbild in seine Rolle als König in der Miniatur geschlüpft zu sein und hat von seinem Vater lediglich das brokatene Untergewand als Zeichen seiner neuen Würde übernommen. Gerne hätte man gewußt, ob nur farbkompositionelle Erwägungen für diese amüsante Übereinstimmung verantwortlich sind, oder ob Jakob IV. bezüglich seiner Wiedererkennbarkeit einfach kein Risiko eingehen wollte und diese Art der Kostümierung einforderte. Vielleicht bedingt durch ihre andere Funktion, erweist sich die Miniatur auch inhaltlich nuancenreicher als das Tafelbild. Wie Hugos Protagonisten sind Jakobus maior und sein Schützling ganz auf das Ziel ihrer Anbetung konzentriert. Dabei verrät der bei van der Goes nur an-, beim Jakobsmeister jedoch explizit auszunehmende direkte Blick des Heiligen auf sein Gegenüber im Gegensatz zur visionären Schau der Könige (sowie des Prinzen) eine feine psychologische Differenzierung. Obwohl der Illuminator auch hierin von der Lösung im Tafelbild angeregt worden sein könnte, ist die Interpretation der Konstellation seine ureigenste, vielleicht in dieser Miniatur auch interessanteste Leistung – und dies, obwohl die Darstellung Margarets auf fol. 243v ähnliche Intentionen, also vielleicht eine Absprache der beiden Buchmaler, verrät. Im Bild des Jakobsmeisters ist eindeutig ein gemaltes Altarretabel der Adressat der frommen Wünsche, was in der verlorenen Edinburgher Mitteltafel keinesfalls zugetroffen haben kann. Dabei findet eine frappante, in dieser Form singuläre Animation der grundsätzlich als leblos, weil gemalt (oder auch gestickt) zu denkenden Bilder statt. Der Erlöser, obwohl den Rahmen des Retables nirgendwo überschneidend, scheint real wie die übrigen Figuren und mit beiden Händen in den Existenzraum des Königs vorzustoßen. Ein eindeutig als Gemälde, also als Artefakt, ausgewiesenes Gebilde erhält hier den höchsten Stellenwert innerhalb der Szene, wird in der Vision des Beters zu dem, was es abbildet. Man könnte diese Affassung des Jakobsmeisters als eine grundsätzlich realistische deuten – ein Andächtiger erlebt zugleich mit der äußeren die innere Schau der Heilsperson – zugleich aber als ein nachdrückliches Statement zur Funktion und Macht von Kunstwerken. Der Illuminator der künstlerisch anspruchsloseren Miniatur auf fol. 243v gibt diesbezüglich eine einfachere Situation wieder. Margaret betrachtet die auf der Altarmensa plazierten Statuetten Gabriels und der Jungfrau – abermals Kunstgegenstände –, während die Madonna über ihr als Vision erscheint. Selbst wenn sich auch hier ein spitzfindiges kausales Gefüge konstruieren läßt – die jugendliche Braut betrachtet eine Darstellung der Verkündigung, die vor ihrem geistigen Auge zu einem Bild von Mutter und Kind wird –, erreicht der dargestellte Sachverhalt doch nicht die inhaltliche Dichte der Jakobsminiatur, in der die Trennung von irdischer und göttlicher Sphäre von einer Durchdringung derselben mittels der im Bild zugegenen Kunstwerke aufgehoben wird. Auch das subtile Verwobensein von privater und öffentlicher Aussage – dem persönlichen Andachtsbuch immerhin eines Königs angemessen – wird ja über die Wirkmacht der Bilder ist hier allerdings eher auf einen Irrtum – positiv formuliert auf eine Umdeutung – des Illuminators zurückzuführen, der die Vorderfront des Baldachins im Edinburgher Margaretenflügel übernimmt, das Gebilde insgesamt jedoch schuldig bleibt.

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inszeniert. Während der Namenspatron Jakobs persönlich anwesend ist, ist der Nationalheilige Schottlands als Gemälde präsent. Und mehr als das  : Andreas ist nicht dem Heiland (wie im Realfall aus kompositionellen Gründen unbedingt erforderlich), sondern dem König zugewandt, womit auch er – trotz seiner geringen Größe – innerhalb des Darstellungskontextes lebendig wirkt. Jakob betet nicht nur für sein persönliches Heil, sondern auch für das seines Landes, dessen Schirmherr – dank eines Gemäldes  ! – im Bild ebenso zugegen ist wie alle anderen Akteure. In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, daß selbst die Einhörner im Wappenbild Jakobs in einem fiktiven Raum agieren, der ihren Charakter als bloße Stickerei verunklärt. Ganz offensichtlich sind hier nicht nur die Anliegen Jakobs – seine Darstellung als Privatperson, die zugleich König von Gottes Gnaden ist –, sondern auch die des Jakobsmeisters verwirklicht  : in einer Reflexion über die Macht der Bilder, die hier als Gemälde und Wirkarbeit (also nach gemalten Vorlagen gefertigte Textilien) die gesamte rechte Hälfte der Miniatur für sich in Anspruch nehmen. Die Tatsache, daß es sich hier um eine Thematisierung von speziellen Kunstgattungen handelt, ist vor allem im Vergleich mit der oft sehr allgemein in einen künstlerischen Kontext eingebetteten Präsentation adorierter Personen in Eigentümerbildnissen der Buchmalerei offensichtlich. Meist erscheinen die jeweiligen Heiligen (in Größe und Farbigkeit in der Regel mit den übrigen Protagonisten identisch) nicht nur vor, sondern auch auf Altären, mitunter sogar in Retabeln81. Doch auch dann sind sie nur in Einzelfällen als Statuen zu interpretieren, wie etwa auf fol. 3v von Cod. Vind. Ser. n. 2619, wo Ludwig XI. von Frankreich und seine Gemahlin Charlotte von Savoyen vor einem vergoldeten geschnitzten Altaraufsatz knien, der die polychrome Figur des heiligen Adrian (dessen Leben die Handschrift wiedergibt) und zwei kleinere, monochrome resp. teilpolychromierte Statuetten der beiden Heiligen Ludwig und Johannes Baptista enthält82. Hierbei handelt es sich allerdings um eine topographische Darstellung, da das abgebildete Retabel jenes in der Abtei von Grammont wiedergibt, die von Ludwig mit Geldzuwendungen bedacht worden war83. Selbst wenn man davon ausgeht, daß den illuminierten Darstellungen der Anzubetenden in Situationen, die im Realfall von (überwiegend plastischen) Kunstwerken besetzt waren, eine durchaus zeitgemäße Wortmeldung zur Macht der Kunst zugrunde gelegen haben mag, so ist diese in den meisten Miniaturen doch viel zu unspezifisch und schematisch angelegt, als daß sie als Verbildlichung persönlicher Anliegen der Illuminatoren aufgefaßt werden könnte (deren Verbindung mit Bildschnitzern und -hauern meist äußerst lose war)84. Verglichen mit solch allgemeinen Formulierungen ist 81 So etwa auf fol. 1v im Brevier der Eleonore von Portugal (New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52)  ; London – Los Angeles 2003, S. 321–324 (Nr. 91), S. 527 f. (umfassende Literaturangaben), Abb. S. 323. 82 London – Los Angeles 2003, S. 194 ff. (Nr. 42), S. 525 (ausführliche Literaturangaben), Abb. S. 195. 83 Ebenda, S. 194. 84 Zur Problematik der Darstellung von Bildwerken in Bildern vgl. Grams-Thieme 1988, Täube 1991, Preimesberger 1991, Belting – Kruse 1994, S. 60 ff. sowie Krieger 1996a.

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die Situation in der Jakobsminiatur höchst konkret und daher in ihrer Eindringlichkeit wesentlich gesteigert. Daß Kunst als Mittel zur Andacht ein brisantes, in Cod. Vind. 1897 öfter angeschnittenes Thema war, zeigt ja auch die kleinformatige plastische Verkündigungsgruppe in der Darstellung Margaret Tudors auf fol. 243v, und man kann nicht umhin, die Anregung hierfür ebenfalls dem Jakobsmeister zuzutrauen, auch wenn seine eigene Stellungnahme die seines Kollegen bei weitem an Gedankenschärfe übertrifft und zudem tatsächlich ein persönliches Anliegen des Künstlers formulieren könnte, der unabhängig von seiner Identifizierung mit Gerard Horenbout enge Verbindungen zu Tafelmalern und zur Tafelmalerei unterhalten haben dürfte85 und in dessen Aufgabenbereich durchaus auch die dekorativ anspruchsvolle Herstellung von Kartons für diverse Textilarbeiten gefallen sein könnte86. Wie immer man den Anteil von Auftraggeber und Künstler im Hinblick auf die Vorlage und ihre inhaltliche Neuinterpretation auch gewichten möchte, in einem war der Illuminator gewiß unabhängig vom König  : in der Wahl seiner Stilqualitäten. Diese fällt gerade im Vergleich zum Vorbild besonders überraschend aus  : Die Jakobsminiatur in Cod. Vind. 1897 weist einen ausgeprägten Flächencharakter auf, Raum- und Köperwerte sind weitgehend herabgespielt. Die Bildgegenstände haben zwar ein gewisses plastisches Relief, doch fehlt es ihnen an Volumen ebenso wie an einer glaubwürdigen Positionierung im Raum. Dies ist ein großer Unterschied gegenüber der Edinburgher Tafel. Obwohl auch dort das Knien Jakobs III. durch den unbestimmten Faltenfall verunklärt wird, ist seine Körperlichkeit doch klar nachzuvollziehen  : Der König erscheint schräg im Raum gedreht, beide Schultern sind zu sehen, die hintere jedoch verkürzt und abschattiert, wobei der über dem linken Arm aufklaffende Mantel die Figur wie eine Schale umschreibt. Demgegenüber ist Jakob IV. trotz seines ins Dreiviertelprofil gewandten Kopfes ganz auf Flächenwirkung konzipiert. Zu diesem Eindruck trägt die strenge Profilansicht des Körpers ohne Artikulation der Schultern ebenso bei wie das unvermittelte Hervorragen der Hände aus dem scheinbar gerade herabfallenden Gewand. Und während Andreas in der Edinburgher Tafel nicht nur nach rechts, sondern zugleich nach vorne, schräg zum König hin geneigt ist, wobei seine Körperfülle durch sein opulentes Gewand, dessen Falten ihn teils zu umrunden scheinen, anschaulich gemacht wird, steht Jakobus in der Wiener Miniatur aufrecht, wird trotz seiner Drehung im Raum durch seinen nahezu symmetrisch aufklaffenden Mantel frontalisiert und erfährt über das seichte Binnenrelief seines Gewandes hinaus keinerlei Definition seines Volumens. Damit konform geht in der Wiener Miniatur ein Verstellen des Blickes durch frontale, bildparallel positionierte Objekte. Die Schrägen des Altars verlieren ihre Wirksamkeit dadurch, daß sie hin zu einer frontalen Barriere, dem Gesims des Kapellenschrankens, führen und daß die hintere waagrechte Kante der Mensa sich genau unter dessen Profilstäben einfügt. Sogar der Baldachin, an sich ein dreidimensional konstruiertes Gebilde, trägt zur Verunklärung der räumlichen Situation bei. Denn der am vorderen Rand des Himmels angebrachte Vorhang setzt mit seinen senkrechten Falten optisch das Dienstbündel am Pfeiler 85 Vgl.Van der Haeghen 1914b. 86 Dies im Analogieschluß im Hinblick auf die Tätigkeit Horenbouts, vgl. ebenda.

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dahinter fort, erscheint also auf einer Ebene mit diesem und befindet sich auch eindeutig hinter den beiden ihn überschneidenden Protagonisten, die sich somit gar nicht unter, sondern vor dem Baldachin aufzuhalten scheinen87. Die gesamte Vordergrundzone wird somit nur im unteren und oberen Randbereich räumlich artikuliert, während in der breiten horizontalen Mittelpartie der Miniatur ein explizit flächiges Nebeneinander von räumlich eigentlich in verschiedenen Ebenen zu denkenden Bildgegenständen herrscht. Daran ändert auch der durch die wesentlich kleineren Köpfe der beiden Gefolgsleute angedeutete Raumsprung nichts, zumal sich die beiden ebenfalls frontal in den Ablauf des Flächenmusters einfügen und zudem immer noch größer sind als der des freilich nur als gemalt zu denkenden Andreas davor. Insgesamt bilden die vielen parallelen vertikalen und horizontalen Elemente ein Raster, um das sich das durch Farbverschränkungen noch vorangetriebene Bildmuster webt. Räumliche Verkürzungen wie die Unterkante des Retabels entpuppen sich als glatte Horizontalen, räumlich winkelig einander zugeordnete Elemente wie das Mittelbild und der Flügel desselben liegen auf einer geraden Linie. Beinahe scheint der Illuminator ein Spiel mit den Betrachtenden zu treiben  : Dort, wo eigentlich Raum sein sollte, ergibt sich ein flächenhaftes Gefüge aus Formen und Farben. Dort, wo planer Stoff mit Wirkarbeit oder eine flache Tafel mit aufgemalter Figur gemeint ist, bricht unerwartet Raum auf – ein Raum, der nicht durch perspektivische Konstruktion, sondern durch die mittels Lichtspiel suggerierte freie Beweglichkeit der Figuren zustande kommt. Dies führt die mit ihrer raumorientierten Geste und einer meisterhaften Lichtführung plastisch ungemein präsent inszenierte Salvatorbüste oder das vollrund modellierte, räumlich agierende Einhornpaar eindrucksvoll vor Augen. In all dem weicht der Jakobsmeister deutlich von seinem Vorbild ab. Auch wenn selbst bei Hugo der repräsentative Charakter der Darstellung Tribut in Form einer flächendekorativen Bildlösung forderte, geht dies bei dem Tafelmaler doch nicht auf Kosten räumlicher Klarheit. Die Tiefe des Vordergrundes, d. h. der Aktionsbühne der Figuren, ist im Edinburgher Flügel durch den Baldachin (der am vorderen Bildrand ansetzt) und den Teppich (der vom Rahmen überschnitten wird und so das Fragmentarische des Einblicks wiederherstellt) einwandfrei nachvollziehbar, auch wenn das exakte Zueinander aller Teile offenbleibt. Die Verbindung von Vorder- und Hintergrund wird durch ein einfaches Kachelmuster auf dem Kirchenboden erzielt, die schräge Wand rechts im Hintergrund verläuft im rechten Winkel zu der entgegengesetzt vorgenommenen Anordnung und Ausrichtung der Figuren, die nicht mit der des Baldachins identisch ist. Weit klarer als beim Jakobsmeister wenden sich die Prota­ gonisten einem Objekt zu, das vor ihnen positioniert sein muß (nämlich auf gleicher Höhe wie die imaginäre vordere Bildebene, also de facto die verlorene Mitteltafel), und sind somit 87 Grundsätzlich ist möglich, daß die links der vertikalen Mittelachse herabfallende Vorhangbahn als an der hinteren Kante des Baldachins angebracht zu denken ist und die vordere zu einem Knäuel hoch gebunden am linken Bildrand erscheint. Doch ändert dies wenig am flächenhaften Zueinander aller Bildteile, zumal sich auch der Stoffballen neben und nicht vor dem Haupt des Jakobus zu befinden scheint. Die Räumlichkeit des Gebildes bleibt in jedem Fall ohne Auswirkung auf die Figuren.

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von links hinten nach rechts vorne gestaffelt. Auch die Stellung des Betpultes mit dem Buch darauf trägt dieser Orientierung Rechnung bzw. unterstreicht sie noch. In der Jakobsminiatur ist Jakob aus dem Bild heraus gewandt, während das prie dieu auf den Altar hin orientiert ist, auf dem das Antlitz des Erlösers erscheint. Wenn sich diese Diskrepanz inhaltlich auch damit rechtfertigen läßt, daß der König in einen von Äußerlichkeiten abgehobenen inneren Dialog mit dem Heiland involviert ist, wird der szenische Zusammenhang von den Betrachtenden nur über eine flächenhafte Wahrnehmung der unterschiedlichen räumlichen Akzente erfahrbar. Die Flächigkeit des Bildmusters auf fol. 24v des Jakobsgebetbuches ist also weder auf das Vorbild (das ja vielleicht auch nicht im Original gekannt, sondern nur über eine Nachzeichnung von unbestimmter Qualität rezipiert wurde88) noch auf die spezielle, vom Tafelbild bezüglich der Formgelegenheit doch stark abweichende Aufgabe zurückzuführen. Dies beweist gerade die Miniatur Margarets auf fol. 243v (Taf. III), für die ja dieselben Voraussetzungen wie für die Jakobsminiatur gelten. Trotz bescheidenerem künstlerischem Niveau ist dem Schöpfer dieser Darstellung an der Suggestion eines Tiefenraumes viel gelegen. Die Schrägen von Betpult und Altar laufen zwar wie in der Jakobsminiatur aufeinander zu, weisen jedoch ungeachtet dessen in den Raum, der über einen leeren Mittelgrund und den erst weit hinten situierten Chorschranken (was durch einen beträchtlichen Maßstabssprung angezeigt ist) wesentlich tiefer als auf fol. 24v wirkt. Auch die schräge Positionierung Margarets – jener ihrer Schwiegermutter auf dem rechten Edinburgher Flügel exakt entsprechend und konform mit der Stellung ihres Betpults – ist raumorientierter als Jakobs IV. bildparallel angelegte Haltung. Dem antwortet das durch gestaffelte Dienste verräumlichte Kirchenschiff im Hintergrund, das den durch den Altar eingeleiteten Tiefenzug aufgreift. Man mag den mäßigen Erfolg der Bemühungen des auf fol. 243v tätigen Illuminators konstatieren, zu leugnen sind sie nicht89. Aus all dem scheint sich zu ergeben, daß die sich in Cod. Vind. 1897 manifestierende, weder durch das Vorbild noch durch das Thema allein erklärliche ausgeprägte Flächenhaftigkeit 88 Dabei ist auszuschließen, daß der Jakobsmeister die flächendekorativen Qualitäten von einer (vielleicht die räumlichen Gestaltungsprinzipien Hugos mangelhaft wiedergebenden) Zeichnung übernahm  ; dies lehrt sein Umgang mit den wenigen nachweisbaren Vorbildern, die er (wie die Künstler seines unmittelbaren Kreises) stets den eigenen Vorstellungen anpaßte (vgl. unten Kap. III 1 c und IV 2). Es ist bestenfalls möglich, daß eine eventuell flächig angelegte Zeichnung ihn zu seiner eigenen Lösung inspirierte  ; doch ist eine solche Annahme dermaßen spekulativ, daß es nicht lohnt, diesen Gedanken weiterzuspinnen. 89 Ein anderes Beispiel für eine auf derselben Bildvorlage beruhende Komposition ist die Miniatur auf fol. 17v von Ms. 10270 der National Library of Scotland in Edinburgh. Der Dekan von Aberdeen, James Brown, wird von einem heiligen Bischof der Madonna präsentiert, wobei die Gottesmutter als Statue auf einem Altarretabel erscheint. Das Bild muß während des Dekanats von Brown (1498–1505) entstanden sein und ist entweder von der Tafel Hugos oder der Jakobsminiatur abgeleitet. Dabei ist es trotz geringer künstlerischer Qualität ungleich räumlicher angelegt als letztere und beweist, wie wenig die Gestaltungsprinzipien davon beeinflußt wurden, welche gegenständliche Vorlage gewählt wurde. Abb. in Smeyers 1998, S. 467, Abb. 71.

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ein primäres künstlerisches Anliegen des Jakobsmeisters war. Doch belehrt der Vergleich mit einer weiteren Eigentümerdarstellung von seiner Hand eines Besseren. Ein dreibändiges Stundenbuch (Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768–70), dessen Ausstattung in der neueren Literatur übereinstimmend unserem Künstler zugeschrieben und nahezu gleichzeitig mit der Jakobsminiatur um ca. 1500 datiert wird90, enthält im zweiten Band (Cod. Vat. Lat. 3769) auf fol. 66v ein Vollbild, das einen vor einem Altar knienden Mann zeigt (Abb. 2). Dieser ist durch das beigefügte, bislang nicht identifizierte Wappen als Besitzer der Handschrift ausgewiesen91. Obwohl die Miniatur durch das Fehlen eines Schutzpatrons und eines persönlichen Adressaten des Gebets sowie bezüglich des Repräsentationsanspruchs von jener des schottischen Königs abweicht, ist der Bildaufbau grundsätzlich identisch. Links kniet der Erstbesitzer der Handschrift mit gefalteten Händen vor einem Betpult, rechts steht ein vom Miniaturrand angeschnittener, schräg in die Tiefe fluchtender Altar. Die Szene findet in einem Sakralraum statt, in dessen Rück- (bzw. linker Seiten-)wand sich ein schmales Portal hin zu einer Loggia öffnet, deren beträchtliche Distanz zum Vordergrund durch zwei dort verweilende, klein wiedergegebene Figuren eindeutig nachvollziehbar ist. Die relative Größe des Interieurs und das Weihwasserbecken im Mittelgrund suggerieren einen öffentlichen Kirchenraum, der Zugang über die seitliche Vorhalle hingegen eine Privatkapelle (von beträchtlicher Größe). Gemeint ist somit vielleicht die Kapelle einer Bruderschaft oder einer sonstigen Institution. Eigentümlich ist die Wahl des Sujets im Retabel (eine Ecce-Homo-Szene) als Gegenstand der Verehrung92. Ob hier tatsächlich ein reales, vom Eigentümer der Handschrift eingefordertes Umfeld dargestellt ist oder ob der Illuminator einfach einen beliebigen, ihm adäquat erscheinenden Rahmen für diese wichtige Miniatur wählte, läßt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht beurteilen. Für unsere Argumentation bedeutsam ist, daß hier teils ganz andere Gestaltungsprinzipien wirksam werden als in der Darstellung Jakobs IV. von Schottland auf fol. 24v von Cod. 90 London – Los Angeles 2003, S. 374 ff. (Nr. 111), S. 529 (mit ausführlichen Literaturangaben). Die Handschrift ist streng genommen ein Psalter-Stundenbuch mit zahlreichen zusätzlichen Gebeten und insgesamt 53 Suffragien. Ebenda, S. 374. 91 Vgl. Brinkmann in Köln 1992, S. 287, der die verschiedenen Identifizierungsvorschläge der älteren Literatur referiert. Da einige der Heiligen in den Suffragien auf einen rheinischen Auftrag verweisen, wurde zuletzt Herzog René II. de Lorraine als Erstbesitzer erwogen  ; vgl. London – Los Angeles 2003, S. 375, Anm. 4. 92 Solange die Identifizierung der dargestellten Person nicht gelingt, wird es kaum möglich sein, den Grund für diese Wahl zu erkennen. Die Miniatur befindet sich zwischen dem Offizium von der Erbarmung Gottes (dem Wochentags-Offizium für Mittwoch, beginnend auf fol. 57r) und dem Gebet „Profestacio pectoris coram Christo utilissimo“ auf fol. 67v. Obwohl sich die Szene auf dem Altarbild nahtlos in die dem Leiden Christi gewidmeten Miniaturen in diesem Abschnitt der Handschrift einfügt (so befindet sich auf fol. 56v die ganzseitige Darstellung des Schmerzensmannes), ist doch bemerkenswert, daß der Auftraggeber an dieser Stelle gleichsam mit dabei sein wollte. Zudem ist einmal mehr auffallend, welch hohen erzählerischen Stellenwert der Jakobsmeister den Bildern in den Bildern einräumt.

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Abb. 2: Eigentümerbildnis; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 66v.

Vind. 1897 (Taf. I). Die auffallendsten Gemeinsamkeiten wären eine gewisse physiognomische Übereinstimmung bei den zwei Betern und eine ähnlich souveräne, optische Phänomene erfassende Malweise in beiden Miniaturen, die allerdings im vatikanischen Stundenbuch lockerer (weniger dicht und sorgfältig) wirkt. Über diese grundsätzlichen Erkennungsmerkmale hinaus, die eine Zuschreibung an denselben Künstler unmittelbar nahelegen, bestehen hauptsächlich Diskrepanzen zwischen den beiden Bildern. In Cod. Vat. Lat. 3769 ist das zentrale, grundsätzlich wie in Cod. Vind. 1897 bildparallel inszenierte Hauptmotiv – die Ausrichtung des Beters auf den Altar – von der unteren Rahmenleiste abgerückt und schon dadurch weit mehr als das gleiche Szenario in der Jakobsminiatur in ein Interieur geschoben, dessen Tiefenerstreckung sowohl durch Raumvektoren (wie durch die zahlreichen verkürzten Objekte und durch den Fliesenboden) als auch durch adäquate Größenunterschiede klar nachvollzogen werden kann. Durch die suggerierte Distanz zwischen Vordergrund und Loggia wird

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zudem der Eindruck eines leeren Mittelgrundes erweckt – eine an die Miniatur auf fol. 243v des Jakobsgebetbuches (Taf. III) erinnernde, wenn auch im Vergleich dazu wesentlich überzeugendere Lösung. Figuren und Gegenstände sind in Cod. Vat. Lat. 3769 durch Schlagschatten nicht nur im Raum verankert, sondern explizit darin positioniert, wodurch trotz Fehlens einer exakten Perspektivkonstruktion die Dreidimensionalität des Ambientes überzeugend vermittelt wird. Konform damit geht die voluminöse Konzeption des Eigentümers mit deutlich sichtbaren, schräg gestellten und durch den Verlauf der Kette noch betonten Schultern sowie mit räumlich abgewinkelten Unterarmen, die trotz ähnlichem Gewandarrangement einen denkbar großen Auffassungsunterschied zur flächenhaft angelegten Figur Jakobs IV. offenbart. Umgekehrt fällt die Miniatur in Cod. Vat. Lat. 3769 bezüglich der Oberflächenschilderung hinter jene in Cod. Vind. 1897 zurück. Obwohl auch in der vatikanischen Darstellung die stoffliche Differenzierung der einzelnen Bildgegenstände in einer malerischen, mit losen Pinselstrichen gehandhabten Technik überzeugend erfolgte und abgesehen von der Charakterisierung verschiedener Materialien wie Samt (Gewand des Stifters) oder Brokat (Antependium) auch Metall, Holz und Stein in ihrer materiellen Beschaffenheit erfaßt wurden, fehlt doch jene Subtilität bei der Gestaltung optischer Phänomene, wie sie auf fol. 24v in Cod. 1897 festzustellen ist. Die Feinheit der Ausführung in der Jakobsminiatur, die auf Abbildungen meist verlorengeht und eine Meisterschaft verrät, die sich nicht in wenigen Jahren erwerben läßt, suggeriert nicht nur eine Vielzahl von verschiedenen Textilien und Werkstoffen, sondern gibt auch Inkarnate und Haare differenziert und mit einer Sensibilität wieder, deren atmosphärisches Potential den Mangel an Tiefenraum mehr als aufwiegt. Durch die souveräne Evokation verschiedener Lichtphänomene in Cod. Vind. 1897 wird die Einbindung aller Bildgegenstände in einen Raum erzielt, der weniger dreidimensional als vielmehr grenzenlos wirkt. Die fein ausgeleuchtete Rechte des Heilands und die transparente und doch unergründliche Weltenkugel in seiner Linken sind nur die augenfälligsten Beispiele für eine Qualität, der die Ausführung der vatikanischen Miniatur trotz all ihres Charmes nichts Adäquates entgegenzusetzen hat. Ehe wir uns durch diesen Vergleich aber mitten in das eingangs geschilderte Problem – die gleichzeitige Datierung von doch sehr unterschiedlich gestalteten, dem Jakobsmeister zugeschriebenen Werken – begeben, soll eine Gegenüberstellung der Jakobsminiatur und eines der flämischen Bilder der Sforza-Hours jene Problematik aufzeigen, die in der Literatur als die zentrale Frage im Zusammenhang mit dem Jakobsmeister und Gerard Horenbout erachtet wird und die darin besteht, daß die für Horenbout gesicherten Arbeiten mit den dem Jakobsmeister zugeschriebenen in vielerlei Hinsicht schlichtweg inkompatibel wirken. Ein geeignetes Vergleichsbeispiel zur Jakobsminiatur unter den Bildern von Add. Ms. 34294 der British Library zu finden, ist auf Grund des Größenunterschiedes der beiden Handschriften und daraus resultierend ihrer Vollbilder93 sowie auf Grund der durchwegs 93 Die Jakobsminiatur mißt ca. 12 x 18/18,5 cm, die ganzseitigen Darstellungen der Sforza-Hours ca.

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nicht nur inhaltlich, sondern auch kompositionell abweichenden Sujets relativ schwierig. Die Wahl fiel deshalb auf die Wiedergabe des heiligen Markus auf fol. 10v der Sforza-Hours (Abb.  3), weil es sich dabei um eine Interieurdarstellung mit einer einzigen (menschlichen) Figur handelt. Nur die Verkündigung auf fol. 41r des in London befindlichen Stundenbuchs hat ähnliches zu bieten, zeigt aber themenbedingt ganz andere Figurentypen, so daß dem Bild des ernsthaften Evangelisten fortgeschrittenen Alters der Vorzug gegeben wurde. Markus sitzt nach links gewandt im linken Teil sowohl der Miniatur wie des sichtbaren Interieurs, bei dem es sich um die Vierung einer in renaissancehaftem Formenrepertoire gestalteten Kirche handeln dürfte. Das im rechten Bildteil befindliche, Abb. 3: Evangelist Markus; London, British nach rechts hinten fluchtende Mittelschiff Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, sowie die rechte (im Bild linke) Reihe der fol. 10v. drei seitlichen Kapellen, die den linken Bildteil dominieren, sind zu sehen. Links, gleich unter der oberen Rahmenleiste (im Gebälk der vordersten Seitenkapelle, das diese von der Vierung trennt), ist eine rätselhafte Inschrift (NRVAS  :  FNOARVIMI  :1519) zu lesen94. Rechts vorne liegt, den Körper verkürzt nach links gestreckt und frontal aus dem Bild blickend der Löwe auf einem blauen Tuch, das über den breiten, schräg nach rechts projizierten Schreibtisch herabfällt und die gesamte Bildbreite einnimmt  ; auch das Faldistorium des Evangelisten findet darauf Platz. Im unmittelbaren Vordergrund werden zwei Streifen bunter, nur der Vierung vorbehaltener Fliesen sichtbar  ; das Mittelschiff ist mit farblich zurückgenommenen, einfacher gehaltenen Kacheln ausgelegt. Rechts im Hintergrund öffnet sich ein Ausblick ins Freie, wobei zuerst der obere Treppenansatz des Portals, sodann ein leerer Platz und schließlich eine Gebäudefront sichtbar wird, die mit einem einstöckigen Haus links, einem überdachten, durch Säulenstellungen im oberen Teil geöffneten Bogengang und einem mächtigen Palais rechts sowie einem Donjon hinter einigen Bäumen den Eindruck einer fürstlichen Residenz erweckt. Nur das linke Haus scheint 9 x 11,5 cm (kleinere Abweichungen, die sich aus der unregelmäßigen Form der Bilder ergeben, wurden nicht berücksichtigt). 94 Dies wurde in der Literatur als Verschlüsselung des Künstlernamens gedeutet, wobei die Länge der beiden Wörter auf Lucas, nicht Gerard, Horenbout schließen läßt. Warner 1894, S.38 f.; Evans – Brinkmann 1995, S.167 f.

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jene Renaissanceformen aufzuweisen, die das Kircheninterieur so nachhaltig bestimmen. Besonders die mächtigen Säulen (mit ihren blauen Schäften, die mit goldenen Vasen, Girlanden und Medaillons in Reliefform übersät sind, und mit plastisch gearbeiteten goldfarbenen Basen und Kapitellen) stellen einen Blickfang dar, der durch die zwischen ihnen gespannten roten Vorhänge noch gesteigert wird und gegen den sich Markus erst durchzusetzen hat. Am Ausgangspunkt sowohl der Leserichtung von links nach rechts als auch des dominierenden Raumvektors von links vorne nach rechts hinten befindet er sich dafür allerdings in einer äußerst günstigen Position. Schon die bloße Beschreibung der Markusminiatur offenbart, welch grundlegender Auffassungsunterschied zwischen ihr und der Jakobsminiatur besteht. Was ins Auge sticht und grundlegende Schwierigkeiten bei der Zuschreibung an dieselbe Hand bereitet, ist zuerst einmal das völlig andere Motivrepertoire in den beiden Bildern. Dies beginnt mit den Gesichts­ typen und endet mit der dekorativen Formensprache in Architektur und Bildern  : Obwohl Markus als Profilfigur kein exaktes Pendant in der Jakobsminiatur hat, ist offensichtlich, daß seine eher kantige Physiognomie nicht den vom Jakobsmeister überwiegend mit runden Details ausgestatteten Gesichtern entspricht, die sich durch große Augen, knollige Nasen und meist vollippige, schön geschwungene Mundpartien auszeichnen. Das durchgehend Renaissancehafte in allen dekorativen Bereichen sowie in der Kostümierung könnte man als eine Folge des vielleicht beträchtlichen Zeitunterschiedes zwischen der Sforza- und der ausschließlich mit spätgotischem Formenrepertoire operierenden Jakobsminiatur ansehen. Die Unterschiede in der Malweise jedoch sind so gewiß nicht zu erklären. Das Markusbild zeigt einen dichten, in tüpfelnder Manier gesetzten Farbauftrag, was zwar den Gepflogenheiten der zeitgenössischen Buchmalerei, nicht aber der Technik des Jakobsmeisters entspricht, dessen Erkennungsmerkmal eine oft lockere, den einzelnen Pinselstrich (oft regelrechte Schraffuren) in die optische Wirkung des Bildes souverän miteinbeziehende Malweise ist. Selbst eine in ihrer Dichte für ihn ungewöhnliche Miniatur wie die auf fol. 24v des Jakobsgebetbuchs läßt diese Eigenart in zahlreichen Partien (besonders in den Textilien) erkennen. Als Folge dieser anderen Ausführung bleibt die Markusminiatur bezüglich der Wiedergabe von Oberflächenwerten weit hinter den Arbeiten des Jakobsmeisters zurück, worüber auch das leuchtende Kolorit, das durch die großflächige Verwendung reiner Primärfarben kombiniert mit kaum gebrochenen Goldtönen zustande kommt, nicht hinwegtäuschen kann. Dafür hat die Markusminiatur eines zu bieten, was zumindest in den beiden bislang besprochenen Werken des Jakobsmeisters nicht konstatiert werden konnte  : den Einsatz eines gewissen atmosphärischen Halbdunkels. Voraussetzung dafür ist jene souveräne Raumwiedergabe mit aggressiven Raumvektoren, die großteils von Gegenständen (wie der rechteckigen Vertiefung des Bodens im Mittelschiff, den gestaffelten Säulen mit den Vorhängen dazwischen oder den Fliesen) markiert werden und daher eine enorme Dynamik aufweisen. Verglichen mit dieser Thematisierung von Raum als einer licht- und luftdurchfluteten Größe nimmt sich selbst die im Vergleich zur Jakobsminiatur dreidimensional konzipierte Eigentümerdarstellung auf fol. 66v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 2) bescheiden aus, bzw. von einer wesentlich flächendekorativeren Auffassung bestimmt aus. Verglichen mit der Inszenie-

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rung der Tiefenflucht in der Markusminiatur, der dort eine ganze Bildhälfte vorbehalten ist, scheint auch das Bild im vatikanischen Stundenbuch von einem regelrechten Horror Vacui beherrscht, dessen enorme Steigerung in der Jakobsminiatur schließlich zu einer flächenhaften Umdeutung der Bildgegenstände führt. Auch Markus und sein Löwe sind dreidimensional gestaltet – der Löwe liegt schräg im Raum, und die Profilfigur des Evangelisten findet immerhin auf einem im rechten Winkel zur imaginären vorderen Bildebene plazierten Faldistorium Platz, wobei der über seine bildeinwärts gedrehte Schulter fallende Mantel eine gewisse Rückenansicht nahelegt. Die vergleichsweise zurückhaltende Modellierung erfaßt nicht nur Einzelformen, sondern den gesamten Figurenzylinder, und durch den Gewandfall werden Form und Position des sichtbaren Beines nachvollziehbar. All dies soll aber nicht darüber hinweg täuschen, daß die Gestaltung der Figurengruppe, ja der gesamten Vordergrundzone grundsätzlich nach flächendekorativen Gesichtspunkten erfolgte, und daß die Einbindung von Mensch und Tier in den hinter ihnen sich entfaltenden Raum nicht stattfindet. Markus und der Löwe bewohnen eine in ihrer Tiefe zwar ebenfalls klar nachvollziehbare, aber begrenzte und durch das blaue Tuch in ihrer Bildparallelität bestätigte Bühne, deren sichtbare Verbindung mit der Tiefenflucht dahinter entfällt. Selbst die Figuren zeigen ein enormes Flächenpotential  : der nahezu rechtwinkelig horizontal und vertikal organisierte Mantel des Evangelisten ebenso wie das letztlich auf eine frontale Kopf-Mähnenpartie und waagrecht nach links weg gestreckte Hinterläufe reduzierte Symbolwesen, dessen verkürzte Vorderläufe zwar seine räumliche Position erläutern, dessen in dekorativer S-Form drapierter Schwanz jedoch ein hübsches Ornament auf der Bildfläche ergibt, das sich elegant mit dem Zierrat am Sockel des Faldistoriums verbindet. Nachdem sich offensichtliche Unterschiede in der Raumauffassung auch zwischen der Jakobsminiatur und dem Eigentümerbildnis im Vaticanus feststellen ließen, die eine gewisse stilistische (m. E. allerdings entwicklungsbedingte) Spannweite im Œuvre des Jakobsmeisters belegen (und zudem gegenüber den Sforza-Hours teils zu Gemeinsamkeiten mutieren), ist es naheliegend, die formalen Divergenzen zwischen der Markusminiatur und den beiden anderen Bildern auf die große Zeitspanne zwischen ihrer Entstehung zurückzuführen (die allerdings auf weniger als zehn Jahre schrumpfen würde, wenn man den vollen Datierungsspielraum für das Jakobsgebetbuch, i. e. 1503–13, ausschöpft und die bislang gebräuchliche zeitliche Ansetzung des Vaticanus berücksichtigt 95). Für gewisse Merkmale der flämischen Miniaturen in den Sforza-Hours wurde darüber hinaus immer wieder der Einfluß der italienischen Ausstattung dieser Handschrift geltend gemacht96. Zwei weitere Vergleiche sollen hier Klarheit schaffen. 95 So etwa D. Thoss in Wien 1987, S. 113  ; Smeyers 1998, S. 466 f., bzw. J. Plotzek in Euw – Plotzek 1979–85, II., S.256 ff.; B. Brinkmann in Köln 1992, S. 286 ff. 96 Vgl. etwa Hulin de Loo 1939a, S. 18  ; Winkler 1943, S. 55, 63  ; Kren in Malibu 1983, S. 116 ff.; Brinkmann in Evans – Brinkmann 1995, S. 116–125  ; Kren in London – Los Angeles 2003, S. 428. Kren verweist ebenda, 429 ff., darüber hinaus auf eine Beeinflussung durch die Kunst Joos van Cleves und der Antwerpener Manieristen.

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Im Museum Calouste Gulbenkian befindet sich unter der Signatur Ms. LA 210 ein Stundenbuch nach römischem Usus (die nach einem späteren Besitzer so benannten Holford-Hours), das durch eine Inschrift (acetum decima juni anno XXVI) auf fol. 2r 1526 datiert ist97. Die Kalenderbilder, zwei Darstellungen eines nicht identifizierten Eigentümers98, zwei Kalkulationstabellen und vielleicht das Wappenbild wurden jüngst als Arbeiten des Jakobsmeisters erkannt99, während die gesamte Ausstattung zuvor dem für den Rest des Bildschmucks zuständigen Simon Bening zugeschrieben worden war100. In dem Vollbild auf fol. 15v, anschließend an den Kalender, ist der Besitzer in einem Kircheninterieur vor einem Altar im Gebet gezeigt (Abb. 4). Der bereits betagte edle Herr kniet ein wenig links der vertikalen Mittelachse auf dem hölzernen Altarpodest, Abb. 4: Eigentümerbildnis; Lissabon, Museu auf dem zwischen ihn und die mit einem roCalouste Gulbenkian, Ms. LA 210, Holfordten Antependium versehene Mensa noch ein Stundenbuch, fol. 15v. Betschemel geschoben ist  ; auf diesem liegen Kappe und Handschuhe des Mannes. Über dem Altar, das Retabel bis auf die untere Leiste verdeckend, erscheint die Dreifaltigkeit in Form des Gnadenstuhls in einer Wolkengloriole, flankiert von drei die Leidenswerkzeuge Christi haltenden Engeln. Das linke Bilddrittel zeigt das nach links hinten auf eine Pforte (mit Ausblick auf eine blaß in einiger Distanz erscheinende Hausfassade) zu fluchtende Interieur. Dabei scheint es sich um eine ausgeschiedene Vierung mit einem Querhausarm zu handeln, der zugleich die Position des im Vordergrund abgebildeten Altars, der durch einen seitlichen Vorhang von seiner unmittelbaren Umgebung abgeschirmt ist, am vorderen Vierungspfeiler oder im anderen Querhausarm bestimmbar macht. Abgesehen von einigen am hinteren Vierungspfeiler angebrachten Holzbänken ist nur ein freistehendes Weihwasserbecken zu sehen, dessen Plazierung zwischen Vordergrund und Fernblick zwar bildwirksam, im architektonischen Kontext aber unmotiviert erscheint.  97 London – Los Angeles 2003, S. 424 f. (Nr. 127), S. 529 f. (mit ausführlichen Literaturangaben).  98 Kren in London – Los Angeles 2003, S. 425 und Anm. 7, 8, verweist auf Ähnlichkeiten des auf fol. 1r dargestellten Wappens mit jenen der schwäbischen Familie Rein und der Brügger Familie Kokelaere.  99 Ebenda. 100 So noch in Lissabon 2000, S. 159 f., 418 (Nr. 113).

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Abb. 5: Beichte; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 51v.

Es bedarf keiner eingehenden Bildanalysen, um zu erkennen, daß die Holford-Miniatur bezüglich des Bildaufbaus (der freilich themenbedingt ist) und des (nun wieder mit Ausnahme der Kostümierung des Eigentümers spätgotischen) Formenrepertoires der Darstellung des jungen Mannes auf fol. 66v des vatikanischen Stundenbuchs (Abb. 2) am nächsten steht. Allerdings gibt es gewisse Faktoren, die das Holford-Bild auch wieder in die Nähe der Markusminiatur in den Sforza-Hours (Abb. 3) rücken – allen voran eine gewisse freie Inszenierung der Tiefenflucht in einem eigens dafür vorgesehenen Bildkompartiment –, wobei die Sforza-Lösung mit dem gänzlich unverstellten und geradlinig nach hinten zu verlaufenden Mittelschiff weit radikaler wirkt als die in den Holford-Hours, wo waagrechte Elemente wie Grabplatten, aber auch Sockel und Becken des Weihwasserbehältnisses den im wesentlichen durch den Fliesenboden gewährleisteten Tiefenzug immer wieder bremsen. Der Kirchenraum in den Holford-Hours schließt bezüglich seiner perspektivischen Konstruktion und seines Er-

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Abb. 6: Heiliggeistmesse; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 37v.

scheinungsbildes an zahlreiche Pendants im früheren Œuvre des Jakobsmeisters an. Radikale Tiefenfluchten, die jene in den Holford-Hours noch übertreffen, gibt es sogar im vatikanischen Stundenbuch, so auf fol. 51v mit der Darstellung einer Beichte (Abb. 5), um eines der eindrucksvollsten Beispiele zu nennen. Doch findet sich die exakteste heute noch erhaltene Entsprechung zur Holford-Miniatur auf fol. 37v des Rothschild-Gebetbuchs, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 6)101. Unschwer ist zu erkennen, daß sich die gesamte Vierungssituation auf fol. 15v von LA 210 von dorther ableitet. Auch die Organisation des Tiefenzuges im linken Bildteil, mit dem Altarpodest und seinen Parallelen beginnend und entlang des Kachelbodens bis zum Ausblick links hinten führend, ist in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 noch dynamischer vorgebildet. Allerdings zeigen die beiden zuletzt genannten Miniaturen 101 Wien 1987, S. 121–125 (mit Literaturangaben).

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des Jakobsmeisters (fol. 51v in Cod. Vat. Lat. 3769 und fol. 37v im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844) den schon in der Jakobsminiatur und im Eigentümerbildnis auf fol. 66v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 2) festgestellten Horror vacui, der Freiraum eher suggeriert als durch das Zugeständnis von Platz veranschaulicht und eine dichte Füllung der Bildfläche mit (räumlich projizierten bzw. situierten) Gegenständen und Personen anstrebt. Verglichen damit gibt die Holford-Miniatur eine andere Haltung zu erkennen  : Der Zauber eines dicht gewebten, wenn auch in den meisten Fällen räumlich umgedeuteten Bildmusters ist in dieser Miniatur nicht mehr aktuell. Und dennoch diente ihr diese Auffassung immer noch als Basis, wie gegenüber der Markusdarstellung der Sforza-Hours mit ihrer doch ganz anderen Bildgestaltung zu erkennen ist. Dies bedarf zweifellos einer ErAbb. 7: Eigentümerbildnis; Lissabon, Museu klärung. Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, HolfordDas Eigentümerbildnis der HolfordStundenbuch, fol. Iv. Hours, 1526 zu datieren, schließt insgesamt viel enger an die früheren Werke des Jakobsmeisters an als die Sforza-Hours. Dies gilt für das gesamte Motivrepertoire, zu dem auch die Figuren zu zählen sind. Der edle Herr auf fol. 15v ist der einzige, in dem sich nicht einmal eine entfernte Ähnlichkeit zu der Figurentypik des Jakobsmeisters ausmachen läßt, und dies ist wohl auf den Porträtcharakter der Darstellung zurückzuführen. Gottvater, Christus und die Engel erweisen sich den bereits vorgestellten Protagonisten des Jakobsmeisters (und mehr noch jenen in späteren Arbeiten des Künstlers) lose verwandt, und die sehr lockere Malweise schließt an jene im früheren Werk des Jakobsmeisters an (die allerdings ungleich qualitätvoller ist und mit einem gepflegteren und regelmäßigeren Duktus operiert). Das, was die Technik in den Holford-Hours von jener des Jakobsmeisters unterscheidet – der Mangel an Oberflächenschilderung, an charakteristischen Schraffen, an einer grundlegenden Sicherheit bei der Wahl der Mittel für die Evokation haptischer wie optischer Phänomene –, verbindet sie allerdings noch nicht mit jener in den Sforza-Hours, deren flämische Miniaturen ihrerseits eine viel dichtere, sorgfältigere Ausführung aufweisen und auch dort, wo der Pinselstrich lose wird (nicht in der Markusminiatur, aber beispielsweise in der Darstellung des Einzugs nach Jerusalem auf fol. 136v oder des Andreasmartyriums auf fol. 189v102) nie jene Sorglosigkeit 102 Vgl. Abb. 194, 189.

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oder Stumpfheit des Farbauftrags erreicht, die in den Holford-Miniaturen, so auch auf fol. 15v, charakteristisch ist. Der dünne Farbauftrag läßt im Lissabonner Stundenbuch zudem mitunter eine Vorzeichnung durchscheinen, die unglücklicherweise in der polychromen Ausführung oft korrigiert wurde, so im Gesicht des Eigentümers auf fol. 15v, dessen rechte, in den Raum hinein geschobene Gesichtskontur nach außen zu übermalt wurde, was der Physiognomie nicht nur von ihrer im ganzseitigen Büstenbildnis derselben Person auf fol. Iv (Abb. 7) eindrucksvoll inszenierten Markanz nimmt, sondern auch anzeigt, daß die gesamte Figur (so auch bezüglich ihrer Stellung im Raum, die durch den schwarzen, nicht modellierten Pelzbesatz weitgehend verunklärt ist) in der Vorzeichnung qualitätvoller konzipiert war, als die farbige Ausführung glauben lassen würde. All dies weist die Miniatur auf fol. 15v (sowie die anderen ihrem Künstler zugeschriebenen Darstellungen) der Holford-Hours in einige Distanz zum früheren Œuvre des Jakobsmeisters, zeigt aber ungeachtet dessen ihre Abhängigkeit davon an. Das trifft für die flämischen Miniaturen der Sforza-Hours nicht oder nur in einem ungleich geringeren Maße zu. Zwar wurde eine physiognomische Ähnlichkeit der göttlichen Personen in der Marienkrönungsdarstellung auf fol. 124v von Add. 34294 mit jenen des Jakobsmeisters geltend gemacht103, und zweifellos gibt es ikonographische Übereinstimmungen zwischen dem Londoner Stundenbuch und anderen Werken unseres Künstlers. Doch wiegen diese die aufgezeigten Unterschiede nicht auf. Daher behalf man sich in der Literatur teils mit dem Erklärungsmodell, Horenbout habe sich von der Formensprache der italienischen Ausstattung der Sforza-Hours beeinflussen lassen bzw. habe versucht, seinen Stil dem Erscheinungsbild der älteren Miniaturen anzupassen104. Da drei Evangelistendarstellungen und eine Miniatur mit der Inspiration des heiligen Gregor dem im Mailand hergestellten Buchschmuck der Sforza-Hours zuzurechnen sind, fehlt es nicht an Vergleichsbeispielen für das Markusbild in Add. 34294 (Abb. 3). Die Wiedergabe des Johannes auf Patmos auf fol. 1r entfällt allerdings aus naheliegenden Gründen, obwohl gerade diese Miniatur eine auch im Œuvre des Jakobsmeisters verwendete Komposition zeigt und damit einiges über die Aussagekraft ikonographisch verwandter Lösungen verrät105. Dabei dürfte die von Mark Evans dem Muzio Attendolo-Meister zugeschriebene Darstellung des heiligen Matthäus auf fol. 7r106 (Abb. 8) als Anregung für das Konzept der Markusminiatur gedient haben107. Matthäus sitzt von der vertikalen Mittelachse nur mit seinem nach 103 London – Los Angeles 2003, S. 428. 104 Vgl. Anm. 96. 105 So ist die Darstellung des Evangelisten auf Patmos auf fol. 111v von Cod. Vat. Lat. 3769 ganz ähnlich wie jene auf fol. 1r in Add. 34294 komponiert, indem beide Male eine kreisförmige Scholle das Eiland wiedergibt, das sich in einem beiderseits durch Uferregionen begrenzten Gewässer befindet. Stilistisch sind die beiden Miniaturen aber grundverschieden, so daß ausgeschlossen werden kann, daß zwischen ihnen irgendeine Beziehung existiert. Abb. bei Evans 1992, S. 7, und Köln 1992, S. 299. 106 Evans – Brinkmann 1995, S. 90–94, 166. 107 Ebenda, S. 167.

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rechts geneigten Oberkörper abgerückt frontal im Bild und blättert mit seiner Rechten in einem Buch, das ihm ein im linken Bildteil kniender Engel (sein Symbolwesen, der Mensch) aufgeschlagen entgegen hält. Die beiden Figuren befinden sich in einer zweijochigen offenen Loggia, deren doppelte, rechts sichtbare Wandpfeiler zwei Kapellen ausbilden, wovon die vordere den Schreibtisch des Evangelisten aufgenommen hat und sich auch durch eine nischenartige Wandöffnung, in der einige Utensilien auszunehmen sind, als Schreibstube zu erkennen gibt. Die steinerne Bank, auf der Matthäus sitzt, grenzt das vordere Joch vom hinteren ab und etabliert damit die Bühne des Geschehens, deren rot-grün alternierende Kacheln ihre Tiefe bestimmbar machen. An das zweite Joch schließt ein Landschaftsausblick von besonderem Zauber an, wobei ein noch nahe Abb. 8: Evangelist Matthäus; London, British am Gebäude stehender schmaler Baum den Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, fol. 7r. Willen des Künstlers anzeigt, den Tiefenzug, der durch die Architektur systematisch aufgebaut wurde, auch in der Vegetation nicht durch einen Raumsprung zu unterbrechen, sondern ein gemächliches in die Ferne Gleiten des Blickes zu ermöglichen. Dem entsprechen der in einer Linie mit den Doppelpfeilern an der rechten Seite der Öffnung aufragende Felsen, der durch die geringe Dimension der ihn umgebenden Bäume bereits in einige Distanz gerückt erscheint, und der am Horizont sichtbare zuckerhutartige schneebedeckte Berg, der durch eine diagonale, bereits (durch die Entfernung) verblaute Baumgruppe mit dem vorderen Felsen verbunden und daher ebenfalls noch auf dem die Miniatur dominierenden Raumvektor befindlich erscheint. Ganz offensichtlich hat der flämische vom italienischen Maler die Situierung des Geschehens in einem farbenprächtigen architektonischen, aus Renaissanceformen bestehenden Ambiente übernommen, dessen Längsverlauf an einer Seite durch eine Kapellenreihe ergänzt ist und das sich nach hinten zu in einem Ausblick öffnet. Der obere Miniaturrahmen beschneidet in beiden Fällen die einzelnen, durch Gurtbögen voneinander abgesetzten Kreuzgratgewölbe so, daß stets nur ein sehr fragmentarischer Einblick in diese möglich ist. Auch die Markierung des Vordergrundes durch komplementärfarbige Kacheln ist in beiden Darstellungen ähnlich  ; und der profilierte Goldleistenrahmen des Markusbildes hat ein dezentes Muster, das von den Eierstabreliefs der Matthäusminiatur angeregt worden sein könnte. Andere Übereinstimmungen gibt es nicht, außer solchen allgemeinster Art. Die Wahl des Ambientes mag auf das italienische Pendant zurückgehen, doch hat der flämische Illuminator

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ihm eine genuin eigene Lösung – gleichsam als Gegenvorschlag – entgegengehalten. Dies beginnt damit, daß alle architektonischen Einzelformen (die blauen, im einen Fall allerdings sternenübersäten Kreuzgratgewölbe ausgenommen) in der Markusdarstellung moderner sind und der lokalen zeitgenössischen Vorstellung von Renaissance entsprechen. Zudem hat der Flame sich offenbar die Mühe gemacht, die architektonischen Gegebenheiten in seinem Sinne zu klären, indem er sie realen Kirchenbauten anglich. Selbst die Buntfarbigkeit der Architektur ist bei ihm eine andere, was sich auf die gesamte Bildbalance auswirkt. Die Primärfarben Rot und Blau sowie das durch Gold vollkommen ersetzte Gelb finden sich überwiegend in den Bauformen, an die der Evangelist durch Gleichklang (seine rote Kappe) und Komplementärkontrast (seinen grünen Mantel) regelrecht angebunden ist. Farbverschränkungen stellen auch in der Matthäusminiatur komplexe Beziehungen zwischen den einzelnen Bildteilen her, doch bleibt das dominante Rot dort großflächig nur dem Evangelisten vorbehalten. Der Italiener bringt durch ein in verschiedenen Abstufungen und Übergängen zu Rot vorhandenes Violett und explizite Gelbtöne (rein in den Haaren des Engels, gebrochen durch Grün in der Landschaft) einen reicheren Chromatismus in sein Bild ein. Ein ähnlich klares, von großflächigen Primär- und Sekundärfarben dominiertes Kolorit wie die Markusdarstellung zeigen in den Sforza-Hours nur die Giovan Pietro Birago zuschreibbaren Miniaturen, deren oft extreme Flächenhaftigkeit gepaart mit einem geradezu penetranten Detailrelief, nun aber mit Sicherheit weder im Markus- noch in irgendeinem anderen der flämischen Vollbilder imitiert wurde108. Man könnte sich allerdings vorstellen, daß Biragos mitunter etwas naiv anmutende bunte Lokalfarbigkeit der Auftraggeberin Margarete von Österreich zusagte und diese einen dahingehenden Wunsch auch gegenüber Horenbout bzw. den für sie tätigen Malern äußerte (was auch im Rahmen der durch Auftraggeber artikulierbaren Vorschläge bezüglich der künstlerischen Umsetzung bliebe)109. Auch die vergleichsweise überzeugende Dreidimensionalität in den Miniaturen des Muzio Attendolo-Meisters hat einen anderen Charakter als die der Lukasminiatur. Dabei ist es faszinierend festzustellen, daß der Flame dem italienischen Konzept offenbar bewußt ein anderes entgegensetzte. Hier wie dort gibt es eine Abgrenzung der Vordergrundbühne, doch erfolgt sie jeweils mit anderen Mitteln, die zugleich anderes bewirken. In der italienischen Miniatur übernimmt die Steinbank diese Funktion, die eine ebenso unauffällige wie wirksame Zäsur der in den Fliesen angelegten Raumvektoren darstellt. Die Tatsache, daß Matthäus frontal darauf sitzt, eigentlich noch seinem Schreibpult rechts vorne zugeneigt, jedoch zugleich dem zwar bildparallel, aber auch räumlich versetzt links vor ihm knienden Engel zugewandt, schafft eine zusätzliche, durch das nur dort befindliche Rot des Evangelistengewandes noch gesteigerte Konzentration auf den Vordergrund. Dieser, somit auch durch das Geschehen 108 Vgl. die Abb. in Evans 1992 sowie Evans – Brinkmann 1995 (Faksimile). 109 In Anbetracht der Schwierigkeit, Stilphänomene verbal zu beschreiben, halte ich für ausgeschlossen, daß Auftraggeberinnen und Auftraggeber sich zu mehr als ikonographischen Lösungen oder einem bestimmten Formenrepertoire äußern konnten. Vgl. dazu die Überlegungen bei Richards 2000, S. 195 f.

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verräumlicht, ist doch nur bedingt (durch den eigentlich schon im Pfeilerkapitell rechts vorne beginnenden, allerdings vom Schreibtisch und dem gegenläufig lehnenden Matthäus gebremsten Raumvektor) mit dem Tiefenraum dahinter verbunden. In der Markusminiatur erfolgt die Absetzung der Vordergrundszene von der dynamischen Raumentwicklung dahinter demgegenüber ausschließlich über die bildparallele Anordnung der Protagonisten, die von dem blauen Tuch mit getragen wird. Jede der beiden Figuren widersetzt sich auf ihre Art dem Tiefensog – der Evangelist, indem er sich nach links wendet, wobei diese Ausrichtung durch den bildparallel gehängten Vorhang und das Gebälk mit der Inschrift bestärkt wird, der Löwe, indem er aus dem Bild blickt. Und doch sind beide, mehr als ihre italienischen Pendants, diesem Raum zugeordnet – Markus, indem er am Ausgangspunkt und letztlich auf einer Linie mit dem zentralen Raumvektor plaziert ist (wie seine im Winkel dem Säulenverlauf entsprechende Rückenansicht verrät), der Löwe durch ein sowohl farblich als auch räumlich erzieltes sich Einfügen in die im rechten Bildteil in voller Wucht inszenierte Tiefenerstreckung, der die italienische Miniatur nichts Adäquates gegenüberzusetzen hat. So wurde im Markusbild eine ganze Bildhälfte ausschließlich der Thematisierung des Raumes vorbehalten, während der linke Bildteil in der Matthäusminiatur, der einen zauberhaften Fernblick bietet, doch zugleich das zentrale Ereignis der Darstellung, die durch das Blättern im Buch veranschaulichte Inspiration des Evangelisten, beherbergt110. Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß die im Werk des Jakobsmeisters fremde Technik der flämischen Sforza-Miniaturen nicht ohne weiteres von den italienischen Bildern dieser Handschrift abgeleitet werden kann. Sowohl die Arbeiten Biragos als auch die des Muzio Attendolo-Meisters zeigen zwar einen dichten Farbauftrag, der jedoch entweder durch starke Modellierung oder durch graphische Akzente nie so homogen erscheint wie jener in den flämischen Miniaturen. Wenn auch Schwankungen bezüglich der Sorgfalt in beiden Ausstattungskampagnen festzustellen sind, zeichnet sich die flämische doch durch eine insgesamt viel gepflegtere Malweise aus, die eine gewisse Glätte mit einer dennoch lebhaften Oberflächengestaltung zu vereinen versteht. Somit lassen sich am Ende dieser Vergleichsreihe folgende Tatsachen festhalten  : Die flämischen Miniaturen in den Sforza-Hours (wenngleich bislang nur an einem Beispiel untersucht) lassen sich weder mit dem Kernstock des Jakobsmeister-Œuvres noch mit später entstandenen, unserem Illuminator zugeschriebenen Werken in eine engere Verbindung bringen. Die offensichtlichsten Gründe dafür sind das jeweils unterschiedliche Formenrepertoire (Figurentypen, Bauformen) und die maltechnischen Diskrepanzen. 110 Der Zauber der Darstellung mag in dieser engen Verbindung von Landschaftsausblick und eigentlichem Bildthema (der Inspiration) begründet sein. Das vom Engel empor gehaltene Buch hat nicht nur die gleichen Farben wie die Vegetation dahinter, sondern ist zudem bildeinwärts gedreht, als könne es die dort befindliche Natur widerspiegeln. In diesem Motiv mag eine sehr neuzeitliche Vorstellung von der Grundlage aller Erkenntnis (nämlich der Naturbeobachtung) mitschwingen, die den Evangelisten zu einem (dem renaissancehaften Ambiente durchaus adäquaten) Philosophen umdeutet.

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Hinzu kommen große Unterschiede in der stilistischen Umsetzung, allen voran in der Gestaltung der Bildfläche und der räumlichen Projektion der Bildgegenstände, aber auch in der Wiedergabe von Körper- und Oberflächenwerten. Umgekehrt haben schon die wenigen Beispiele gezeigt, daß gerade diese Gestaltungsprinzipien auch bei den dem Jakobsmeister zuschreibbaren Arbeiten beträchtlichen Veränderungen ausgesetzt waren. Es scheint daher für die Ausscheidung (oder Integration) der Sforza-Hours aus dem (bzw. in das) Schaffen des Jakobsmeisters (die beim derzeitigen Stand der Forschung einer Anerkennung oder Ablehnung seiner Identifizierung mit Horenbout gleichkommt) unerläßlich, das Œuvre unseres Anonymus einer systematischen Untersuchung zu unterziehen, um so die Spannbreite seiner Ausdrucksmöglichkeiten und Anliegen besser begreifen und folglich abschätzen zu können, ob die flämischen Miniaturen der Sforza-Hours sich damit vereinbaren lassen oder nicht.

I

Die frühe Gruppe

Sieht man von den problematischen „Frühwerken“ ab111, so beginnt die nachvollziehbare künstlerische Aktivität des Jakobsmeisters in den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Von den heute noch erhaltenen Handschriften lassen sich sechs der hier so bezeichneten frühen Gruppe zuordnen. Eine einzige, das Brevier Isabellas von Kastilien in London (British Library, Add. Ms. 18851)112 ist mit weitgehender Sicherheit vor 1496 anzusetzen, für eine zweite, das Stundenbuch derselben Königin in Cleveland (The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr., Fund 1963.256)113 ist der Entstehungszeitraum auf zwölf Jahre (1492–1504) einzugrenzen. Die übrigen vier Werke sind ausschließlich auf Grund formaler Kriterien zu datieren, wobei als Bezugspunkt in allen Fällen das Londoner Brevier dient.

Drei ungleiche Schwestern: Das Wiener Stundenbuch Cod. Vind. Ser. n. 2625, das Londoner Brevier Add. Ms. 18851 und das vatikanische Stundenbuch Cod. Vat. Lat. 3770–68 Das Londoner Brevier Add. 18851 ist ein Brevier nach dominikanischem Usus, das in mehreren Kampagnen illuminiert wurde und das auch heute noch unvollendet ist. Zwei große Ausstattungszyklen, lange Zeit von der Forschung als ein einziger angesehen114, stammen aus dem späten 15. Jahrhundert und bestimmten das Aussehen der Handschrift schon zu dem Zeitpunkt, als sie ihrer ersten nachweisbaren Besitzerin, der spanischen Königin Isabella von Kastilien (1451–1504), übergeben wurde. Kurz danach und viel später, um 1500 bzw. im 19. Jahrhundert, wurden noch einige Nachträge geringeren Ausmaßes vorgenommen  ; ein paar für Miniaturen vorgesehene Stellen sind auch heute noch leer. Wie Bodo Brinkmann überzeugend darlegte, wurde der Buchschmuck von Add. 18851 in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts vom Meister des Dresdener Gebetbuchs begon111 112 113 114

Vgl. unten, Exkurs. London – Los Angeles 2003, S. 347–351 (Nr. 100), S. 528 (ausführliche Literaturangaben). Ebenda, S. 358–361 (Nr. 105), S. 528 (ausführliche Literaturangaben). So noch von Kren in Malibu 1983, S. 40–48  ; Backhouse 1993, S. 32–48.

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nen115 (was sich auch anhand der drei von Gerard David beigesteuerten Miniaturen nachweisen läßt)116 und wohl noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts wieder abgebrochen – vielleicht auf Grund der damaligen Turbulenzen in Brügge, vielleicht sogar, weil die darin verwickelte Hauptperson, Maximilian I. von Österreich, der damals handlungsunfähig gewordene Auftraggeber des Projekts war117. In den neunziger Jahren scheint Francisco de Rojas, der spanische Generalgesandte in Flandern, sich der liegengebliebenen Arbeit angenommen zu haben und ließ sie für Königin Isabella von Kastilien vom Meister Jakobs IV. von Schottland fertigstellen. Die Ehewappen der Kinder Isabellas unter dem der Königin auf fol. 436v 118 legen nahe, daß das Brevier von de Rojas als ein Geschenk anläßlich der Heirat des Infanten Juan und der Infantin Juana mit den Kindern Maximilians I. gedacht war119, zumal ja auch er, de Rojas, die Eheverträge ausgehandelt und am 20. Januar 1495 unterzeichnet hatte120. Juana heiratete Philip den Schönen, Herzog von Burgund, am 20. Oktober 1496 in Mecheln, Margarete von Österreich den Kronprinzen Juan am 3. April 1497 in Burgos  ; nur bei letzterem Ereignis war Isabella persönlich anwesend121. Da Juan bereits am 3. Oktober desselben Jahres verstarb, kann das für seine Mutter bestimmte Brevier ihr nur vor diesem Zeitpunkt überreicht worden sein. Auf Grund des offensichtlichen Zeitdrucks, der durch den unfertigen Zustand der Handschrift nahegelegt wird, sind allerdings zwei andere, konkrete Termine für deren Präsentation (und somit als Terminus ante quem) am wahrscheinlichsten  : Entweder de Rojas schenkte der Königin das Brevier anläßlich der in Spanien gefeierten Hochzeit 1497 (das üblicherweise für seine Entstehung als relevant erachtete Datum) oder aber schon 115 Brinkmann 1997, S. 131–142. 116 Krieger 2000, S. 225–8  ; die Miniaturen Davids wurden noch in den beiden letzten David-Monographien von Ainsworth 1998, S. 107, 109, und Miegroet 1998, S. 79 ff., 327, Nr.85, mit dem zuvor als gültig erachteten Datum 1497 assoziiert. Brinkmann nimmt zu Davids Arbeit nicht ausdrücklich Stellung  ; seinem Text ist jedoch indirekt zu entnehmen, daß er alle vier von ihm dem Tafelmaler zugeschriebenen Bilder (auch Johannes auf Patmos, fol. 390r) zusammen mit jenen des Dresdener Gebetbuchmeisters entstanden denkt (Brinkmann 1997, S. 139.). Erst in London – Los Angeles 2003, S. 350, wurde die Datierung der drei Miniaturen Davids auf fol. 29v, 41v und fol. 297r in zwei verschiedene Schaffensphasen des Künstlers übernommen. 117 So der m. E. überzeugende Vorschlag bei Brinkmann 1997, S. 141. 118 Farbabb. bei Backhouse 1993, S. 6, fig. 1. 119 Dies wird durch die Inschrift auf fol. 437r (Abb. 18) bestätigt, die de Rojas in der rechten unteren Ecke der Bordüre anbringen hatte lassen  ; obwohl ihre Authentizität mitunter angezweifelt wird, wird sie vom Gros der Forschung ernst genommen. Vgl dazu London – Los Angeles 2003, S. 350 f. und Anm. 20. 120 De Rojas stand auch bei der Eheschließung per procuram am 5. November 1495 als Stellvertreter für die beiden spanischen Königskinder. Tamussino 1995, S. 51  ; ein Exemplar des Ehevertrags befindet sich im Archivo General de Simancas, ebenfalls von einem flämischen Illuminator (wohl aus dem Kreis des sogenannten Maximiliansmeisters) mit einer aufwendigen Bordüre ausgestattet. Abb. bei Backhouse 1993, S. 9., fig. 4. 121 Tamussino 1995, S. 63.

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anläßlich der Aushandlung der Verträge 1495. Der frühere Anlaß erscheint m. E. historisch plausibler, ist jedoch nicht beweisbar. In jedem Fall wird man annehmen können, daß der Jakobsmeister seinen Beitrag zum Buchschmuck von Add. 18851 um 1495 ausführte, vielleicht sogar früher und sicher nicht später als 1496, da das Brevier ja auch noch nach Spanien gebracht werden mußte und Margarete (die verspätet abgereist war und auf dem Seeweg mehrere Monate von Flandern auf die iberische Halbinsel benötigt hatte) eigentlich noch vor Weihnachten 1496 erwartet worden und auch ihre Hochzeit früher geplant gewesen war122. Ganz abgesehen davon ist zudem möglich, daß der Jakobsmeister seine Arbeit am Brevier unabhängig von einem Auftrag de Rojas’ begann, da dieser sein Wappen und seine Dedikationsinschrift auf fol. 437r über eine bereits fertige Bordüre des Jakobsmeister-Teams malen ließ123. Dies deutet eher auf einen nachträglichen Entschluß denn auf eine von Anfang an eingeplante Lösung. Auch ist das ganzseitige Wappenbild Isabellas auf fol. 436v nicht von der Hand unseres Illuminators, wie an der tüpfelnden, für ihn untypischen Malweise unschwer zu erkennen ist124, was ebenso für eine nachträgliche Ausführung sprechen könnte. Im Grunde wäre es ja naheliegend, daß ein so prächtiges Brevier mit nur zur Hälfte fertiggestelltem Buchschmuck – in wessen Hände es auch immer gelangt war – nicht ohne weiteres jahrelang liegengelassen wurde, sondern daß man sich nach Stabilisierung der politischen Lage Anfang der neunziger Jahre rasch um einen neuen Abnehmer bemühte. Es wäre sogar möglich, daß Maximilian selbst die Weiterführung seines Projektes betrieb und daß der vermögende de Rojas es dem stets an Geldmangel leidenden römischen König einfach abkaufte, als er rasch und dringend ein Geschenk für Isabella zu benötigen glaubte. Natürlich kann hierüber nur spekuliert werden. Dennoch erscheinen solche Überlegungen insofern wichtig, als sie das in der Literatur im Zusammenhang mit der Ausstattung von Add. 18851 stets wiederkehrende Datum 1497 bezüglich seiner Verbindlichkeit relativieren. Nimmt man die gesamte historische Evidenz, dann ist selbst für die in einer zweiten Kampagne geschaffenen Miniaturen des Breviers eine Entstehung in der Zeit vor 1495 plausibler als danach125. Wie noch zu zeigen sein wird, wird dies auch durch die Formensprache bestätigt. Die halbseitige Miniatur der Marienkrönung auf fol. 437r (Abb. 17), in deren Bordüre Inschrift und Wappen de Rojas’ Platz gefunden haben, ist eine von insgesamt drei Darstellungen dieses Formats von der Hand des Jakobsmeisters  ; die anderen beiden sind die Dreifaltigkeit im Beisein aller Heiligen auf fol. 477v (Abb. 91) und die Erweckung des Lazarus auf fol. 481r (Abb. 57). Sein übriger Beitrag, im hinteren Teil der 523 Blatt umfassenden Handschrift, dem Sanctorale, situiert, besteht aus zumeist einspaltigen, zwischen 12 und 15 Zeilen 122 Ebenda, S. 51–55, bes. S. 53. 123 Vgl. Backhouse 1993, S. 7, fig. 2, sowie hier Abb. 18. 124 Vgl. ebenda, fig. 1 und 2. 125 Ähnlich zurückhaltend äußert sich auch Kren in London – Los Angeles 2003, S. 350  : „It may well belong to the 1490s and would have been completed no later than 1497, when the book was likely in the hands of Queen Isabella herself“.

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hohen, in den Text eingefügten Bildern126. Sie zeigen einen oder mehrere Heilige halb- oder ganzfigurig, die sich stehend oder sitzend in mehr oder minder kontemplativer, mitunter auch appellierender Pose präsentieren. Nur selten ist ein szenischer Zusammenhang hergestellt, etwa im Falle Martins auf fol. 485v (Abb. 70) oder bei der Illustration entsprechender Feste, so der Mariengeburt auf fol. 451v oder der Transfiguration auf fol. 427r (Abb. 221). Die insgesamt eher monotone Aufgabe hat der Jakobsmeister mit erstaunlicher Bravour gelöst. Im Rahmen des möglichen sind die Kompositionen abwechslungsreich und zeichnen sich durch eine bis zu einem gewissen Grad realistische Charakterisierung der Dargestellten aus, die geschickt den jeweiligen Idealtypen unterschoben ist. So zeigt Jakobus maior auf fol. 412v (Abb. 9) die gleiche ein wenig melancholische Ernsthaftigkeit, die man auch seinem Gesicht in der Jakobsminiatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I) ablesen zu können glaubt. Die trotz ihrer unterschiedlichen Formgelegenheit (Voll- vs. Textminiatur) realiter nahezu gleich großen Figuren der beiden Apostelpilger bieten die Gelegenheit, durch einen Vergleich die Formensprache des Jakobsmeisters in Add. 18851 näher zu definieren. Grundsätzlich wird Jakobus in beiden Miniaturen als der gleiche Typ geschildert  : Ein Mann fortgeschrittenen Alters mit schulterlangem welligem Haupthaar, das in Cod. Vind. 1897 bereits leicht angegraut erscheint, und mit einem bis auf die Brust herabfallenden gekräuselten Bart, der in zwei Spitzen endet. Der Hut mit der Muschel und der Stab weisen den Apostel in beiden Bildern als Pilger aus  ; obwohl in Cod. Vind. 1897 der vor dem Körper schürzenartig geraffte Mantel die möglicherweise an dem quer über die Brust verlaufenden Lederriemen angebrachten Utensilien verdeckt, gibt zumindest ein auf der rechten Schulter getragener Kürbis als Wasserbehältnis noch einen Teil der Pilgerausrüstung preis. In Add. 18851 bietet der um die Taille sichtbare Gürtel Platz für auf einer Reise benötigte Dinge. Obwohl die beiden Heiligen Unterschiedliches vollbringen – in Add. 18851 liest Jakobus, in Cod. Vind. 1897 scheint er in einen wortlosen Dialog mit dem Heiland zugunsten seines Schützlings getreten – ist ihre Ausrichtung nach rechts doch ähnlich  ; im Jakobsgebetbuch ist der Apostel etwas mehr zur Seite gewandt. Um so erstaunlicher ist, wie unterschiedlich die Umsetzung der beiden Figuren letztlich erfolgte. Die für den Jakobsmeister ungewöhnlich dichte, subtile Malweise im Jakobsgebetbuch als Eigenart dort wurde bereits betont, so daß es nicht verwundert, daß im Londoner Bild ein gröberer, deutlich sichtbarer Pinselstrich auszunehmen ist, mit dem sowohl strukturierende Linien als auch plastische Höhungen gesetzt werden. Durch die so erzielten Helligkeitskontraste entsteht der Eindruck einer kräftigen Modellierung, die nicht nur kleinere Formen wie Falten, Finger oder Wangenknochen, sondern auch ganze Körperpartien wie den rechten Oberarm und Oberschenkel erfaßt. Diese letzte Beobachtung führt über technische Unterschiede hinaus. Zweifellos ist richtig (und im Kontext der jeweiligen Handschrift auch verständlich) daß die Wiener Miniatur weit sorgfältiger als die Londoner ausgeführt wurde. Doch beschränken sich die technischen Unterschiede nicht auf den Grad des Aufwandes, es manifestieren sich in ihnen auch abwei126 Vgl. die Aufzählung derselben bei Backhouse 1993, S. 61, 64, sowie (ergänzend) die Abb. auf S. 54–59, 62 f.

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chende stilistische Intentionen. Im Brevier wurde versucht, die Körper- und Raumwerte der Figur – ihr plastisches Volumen und ihre Schrägstellung – möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ein Indiz für diese Absicht, die kontrastreiche Helldunkelsetzung bei der Wiedergabe der Details wie der Gesamtfigur, wurde bereits betont. Die räumliche Drehung Jacobi in London wird aber auch durch den – im Gegensatz zum frontal präsentierten Wiener Pendant – in Seitenansicht wiedergegebenen Hut und sogar durch den beidseitig aufklaffenden, über die linke Schulter des Heiligen geworfenen Mantel veranschaulicht, der den durch Modellierung schräg gestellten Körper wie eine Schale umspielt, also eine eigene Raumhülle für ihn schafft. Mit anderen Worten  : Dreidimensionalität wird in Add. 18851 bereits im zeichnerischen Entwurf, also im disegno, konzipiert. Doch sind die Absichten des im Brevier Abb. 9: Heiliger Jakobus; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von tätigen Malers eine Sache, ihre geglückte UmKastilien, fol. 412v. setzung eine andere. Obwohl die Pinselschrift locker ist und große Sicherheit, also Übung, verrät, hat der Illuminator doch seine liebe Mühe mit der offensichtlich intendierten Verräumlichung des Figurenmotivs. Der Mantelbausch, der sich von der nach hinten geschobenen linken Schulter zu dem ans linke Handgelenk gelehnten Stab erstreckt, ist schon von vorne herein kein dem Vorhaben zuträgliches (vom Jakobsmeister in dieser Handschrift aber etliche Male verwendetes) Motiv. Die Modellierung desselben verrät zudem, daß der Künstler hier regelrecht den Faden verloren hat  : Er versucht zwar, den grundsätzlich dunkler gehaltenen, weil tiefer ins Bild hinein geschobenen Faltenüberschuß mit Höhungen über den Verlauf des linken (im Bild rechten) Armes optisch wieder nach vorn zu ziehen – vergebens. Es gelingt nicht, den gewünschten Effekt zu erzielen, da die gesetzten Hell-Dunkel-Partien keine überzeugende Formation zu suggerieren vermögen. Und das, obwohl der Illuminator geschickt den Landschaftsausblick in die von der Körperdrehung vorgegebene Achse plaziert und so die räumliche Schrägstellung des Apostels zum Ausgangspunkt des einzigen Raumvektors im Bild gemacht hat. In der Wiener Jakobsminiatur zeigen die einzelnen Gewandmotive wie die am Körperkontur umbrechenden Falten des Mantels oder die den Nacken umspielende Kapuze ebenso wie die überzeugende räumliche Projektion der Hände des Apostels, daß von einem fundierten Verständnis für die Gestaltung von Körper- und Raumwerten ausgegangen, dieses jedoch zugunsten flächendekorativer Prinzipien, aber auch zugunsten der nicht plakativen, sondern subtilen

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Schilderung optischer Phänomene zurückgenommen wurde. Welchen Wert der Illuminator in der Wiener Miniatur auf ein schönes Flächenmuster legt, zeigt der Vergleich eines Details, nämlich der Pilgermuschel in den beiden Bildern  : In London ist sie – durchaus souverän hingepinselt – halb vom Kopf verdeckt, was vielleicht dem Eindruck Vorschub leisten soll, der Hut (ein in seiner Verkürzung auch nicht vollkommen geglücktes Exemplar) sei soeben nach hinten gerutscht, was zusammen mit dem möglicherweise eine Schrittstellung andeutenden vorgeschobenen rechten Bein auf eine Dynamisierung des grundsätzlich statischen Bildmotivs abzielt. In Wien erscheint sie auf dem gleichsam für sie maßgeschneiderten Kreissegment der frontal sichtbaren Krempe als ein in seiner Struktur und Wölbung klar erfaßtes, aber nicht betontes Gebilde von nahezu ebenso makellosem Rund wie das des sie umgebenden Hutes und Heiligenscheins. Bei äußerst ähnlichem Motivrepertoire erweist sich die Londoner Miniatur somit wie ein Versuch in eine Richtung, die im Jakobsgebetbuch wieder verlassen wurde, nicht ohne sie mit tiefem Verständnis durchdrungen zu haben. Freilich läßt ein einziger Vergleich noch keine definitiven Schlüsse zu. Zunächst gilt es festzustellen, ob sich die beim Londoner Jakobus gemachten Beobachtungen auch in anderen Miniaturen des Breviers bestätigen lassen, oder ob auf fol. 412v von Add. 18851 einfach einige kleinere „Mißgeschicke“ passierten, die der Illuminator üblicherweise zu vermeiden wußte. Katharina, eine blonde Schönheit mit üppiger Haarpracht, wird ganzfigurig in einer Textminiatur auf fol. 495v gezeigt (Abb. 10). Die Prinzessin aus Alexandria steht auf der vertikalen Mittelachse im Dreiviertelprofil nach links gewandt und schaut unter halb gesenkten Lidern aus dem Bild. Der Blick verfehlt seine Wirkung nicht, es kommen Zweifel auf, ob hier die einer heiligen Jungfrau geziemende Bescheidenheit oder nicht eher ein kaum verhohlener Triumph zum Ausdruck gebracht wird – letzterer in Anbetracht des sich in der linken unteren Bildecke um das ehemals auf seinen Befehl gegen die Märtyrerin erhobene Schwert windenden, nun überwundenen Königs nicht weiter verwunderlich. Auch das links oben, auf einem in einige Distanz gerückten Hügel sichtbare geborstene Rad ist ein durchaus ambivalentes Zeichen, das weniger das Leid als den Sieg der Heiligen über ihre Peiniger veranschaulicht. Dem solcherart gestalteten inhaltlichen Schwerpunkt links hat der Jakobsmeister rechts den Fernblick gegenübergesetzt – durchaus optimistisch darin, daß seine Tiefenraumgestaltung dermaßen den Blick auf sich ziehe, daß so viel kompositioneller Ausgleich links erforderlich sei. Und tatsächlich zeigen insgesamt vier auch farblich voneinander abgesetzte, hintereinander gestaffelte Terrainplateaus an, daß die Landschaft sich kontinuierlich in die Tiefe entwickelt. Diagonale Raumvektoren, die die einzelnen Ebenen miteinander verbinden und so den Vorstoß nach hinten dynamisieren würden, fehlen jedoch. Auch der Baum am rechten Bildrand dient nicht nur als Gegengewicht zum Handlungsschwerpunkt links, sondern schafft zusätzlich eine Barriere gegen ein Abgleiten des Blicks in die Ferne. Neben diesem offensichtlichen Versuch, die Miniatur zu verräumlichen, finden sich auch Belege für ein intensives Interesse an der Suggestion von Körperwerten. Die Drapierung von Katharinas Kleidung zeigt die Tendenz, die Figur zu umschreiben, da die Faltenwülste im unteren Bereiche des roten Mantels um sie herumzuführen scheinen. Auch im Rock aus Goldbrokat weisen große Schüsselfaltenformationen in jene Richtung, in die die Hei-

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lige gedreht ist. All dies zielt darauf ab, ihr Volumen zu demonstrieren. Daneben gibt es jedoch Aspekte, die die hier angedeutete Wirkung weitgehend zunichtemachen. Da der Künstler ein Beleuchtungslicht von links suggeriert, die Heilige aber schräg nach links hinten in den Raum gedreht ist, kollidieren Ausrichtung und Modellierung  : Katharinas nach vorn gewandte Körperseite erscheint abgedunkelt, die nach hinten geschobene ist beleuchtet. Dies wäre an sich noch kein Problem, doch bewältigt der Jakobsmeister im wahrsten Sinne des Wortes die Gratwanderung entlang der Licht-Schatten-Grenze an der vorn befindlichen Körperhälfte nicht. Hell und Dunkel werden fast ausschließlich zur Modellierung des Faltenreliefs eingesetzt, so daß die Figur letztlich ganz frontal wirkt, was durch den waagrecht und bildparallel vor den Körper geschobenen linken (im Bild rechten) Arm noch gesteigert wird. Abb. 10: Heilige Katharina; London, British Nun ist die Kollision von Raumrichtung Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von und Beleuchtungslicht ein nicht unübliches Kastilien, fol. 495v. Problem, dem sich der Jakobsmeister auch später öfter gestellt hat. Ein Beispiel soll hier für viele stehen  : die halbfigurige Darstellung der heiligen Agnes in einer zehn Zeilen hohen (und in einem geringfügig kleineren Figurenmaßstab als das Londoner Katharinenbild ausgeführten127) Textminiatur auf fol. 152r von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 11), dem dritten Band des bereits in der Einleitung kurz vorgestellten vatikanischen Stundenbuchs, das früher circa zwei Jahrzehnte und zuletzt etwa ein Jahrfünft nach dem Brevier Isabellas datiert wurde128. 127 Dieser ergibt sich bei diesen beiden Textminiaturen aus der unterschiedlichen Größe der Handschriften (Add. 18851  : 23,2 x 15,9 cm, mit einer bemalten Fläche von 13,4 x 9,6 cm  ; Cod. Vat. Lat. 3770–68  : 20,2 x 14,4 cm, mit einer bemalten Fläche von 11,2 x 8,4 cm) sowie der Miniaturen (Add. 18851  : 15 Zeilen, Cod. Vat. Lat. 3768  : 10 Zeilen) bei einmal halb- und einmal ganzfiguriger Darstellung. 128 Für die früher allgemein akzeptierte Datierung in das zweite Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts vgl. Köln 1992, S. 286 ff., de Winter 1981, S. 424 („ca. 1510“) oder Calkins 1998, S. 54. Hingegen scheint J. Plotzek schon 1982 eine frühere Datierung („nach 1500“) des Stundenbuchs erwogen zu haben  ; vgl. Euw – Plotzek 1979–1985, Bd. 2, S. 269  ; zuletzt Kren in London – Los Angeles 2003, S. 374 f. („ca. 1500“).

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Agnes, nur bis etwa in Hüfthöhe zu sehen, steht wie die Londoner Katharina auf der vertikalen Mittelachse nach links gewandt im Bild, wobei sie ihren Kopf etwas mehr als jene aus der Körperachse nach vorne zu gedreht und zugleich geneigt hat, um aus dem Bild zu blicken. In ihrer Rechten hält sie nach oben gerichtet das Schwert, mit dem ihr ehemals die immer noch blutende Halswunde zugefügt wurde. Zwischen den linken Daumen und Zeigefinger hat sie eine farblich und formal stark zurückgenommene Märtyrerpalme geklemmt, und über ihrem rechten, waagrecht gehaltenen Unterarm und ihrer linken Hand lagert ein kleines Lamm, dessen verkürzte Wiedergabe die Schrägstellung der Heiligen nachvollzieht. Der offene Blick und die aktive Art, das Schwert zu halten, verleihen Agnes eine gewisse Lebhaftigkeit, die Abb. 11: Heilige Agnes; Rom, Biblioteca zweifellos als Ausgleich zu dem zwar durchApostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, aus würdigen, aber wenig abwechslungsreich Stundenbuch, fol. 152r. gestalteten Ambiente gedacht ist. Das hinter ihr und über sie gespannte rote Ehrentuch mit einem goldenen Muster und einer sie ausweisenden Inschriftenborte scheint sich in einer konisch gewölbten Apsis zu befinden, wie die entsprechende Abdunkelung der Wand zu beiden Seiten des Stoffes und die Gestaltung vor allem des rechten der beiderseits des Tuches sichtbar werdenden Fenster verrät. Durch die schmalen Schlitze sieht man Andeutungen eines Terrains in blassem Blau ohne jegliche Vegetation. Auch in dieser Miniatur kollidieren die räumliche Schrägstellung der Heiligen und suggerierte Beleuchtung von links. Agnes’ rechte hintere Körperpartie ist hell, ihre linke (im Bild rechts befindliche) Seite hingegen dunkel gehalten. Dies führt unweigerlich, nicht anders als bei der Londoner Katharina, zu einer Frontalisierung der Figur. Mit einem ganz großen Unterschied  : Die formale Gestaltung selbst zeigt eine Tendenz zur Frontalisierung, die die räumliche Position der Heiligen zwar überzeugend anklingen läßt, jedoch kompositionell in die Fläche zurückführt und damit keinerlei Konflikt zwischen der Form und der farbigen Hell-DunkelModulation heraufbeschwört. Der Mantel der Agnes fällt auf beiden Seiten in geraden Linien entlang des Körpers herab, der sich somit als eine geschlossene Form von dem Ehrentuch dahinter abhebt. Keine einzige der Falten scheint um ihn herumzuführen, sie fallen vielmehr so, daß ein schönes Flächenmuster entsteht. Folglich irritiert es wenig, daß die im Bild linke Seite der Heiligen heller ist als ihre rechte, wobei die überzeugende Integration des Faltenreliefs in die Modellierung des Figurenzylinders auffällt. Ebenso überzeugend – und gegenüber der Londoner Katharina erstaunlich – ist, daß die Drehung des Körpers innerhalb der durch das

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bauschige Gewand installierten Flächenform konsequent nachvollzogen werden kann. Zwar fällt die Modellierung – etwa der Brüste, der Stirn und der einzelnen Gesichtsteile – wesentlich zurückhaltender als in London aus, vielleicht um die Frontalität des Figurenmotivs nicht aufzubrechen. Dort aber, wo es wirklich darauf ankommt, ist das Können des Illuminators plötzlich voll präsent und schafft mit kleinen Details große Wirkung  : der verletzte Hals der Heiligen erhält eine perfekt zylindrische Form, die auch die Rundung des Ausschnitts noch dreidimensional umdeutet, und ihre linke, im Bild rechte Wange ist durch das darüber fallende, aber nicht aufliegende Haar so abgedunkelt, daß hier tatsächlich der durch die Drehung bedingte Licht-Schatten-Grat spürbar wird. Umgekehrt ist der Hals selbst links im Bild durch das Haar beschattet, und der Künstler deutet eine entsprechende Situation auch unterhalb der rechten (im Bild linken) Brust durch den Einblick auf das dunkle Mantelfutter an. Genau an diesen entscheidenden Stellen „versagt“ der Illuminator in der Londoner Katharinenminiatur. Der Hals ist durch waagrechte Pinselstriche und unbestimmte Lichtakzente geradezu abgeplattet. Das Haar liegt rechts im Bild direkt auf der Wange auf, so daß die dunklen Linien dort eher wie einzelne Strähnen denn wie ein Schlagschatten (und Raumdunkel) gelesen werden, während die Locken links im Bild entlang des Halskonturs in voller Pracht schimmern, womit sie nahtlos und scheinbar auf gleicher Höhe die Helligkeit des Inkarnats fortsetzen. Schließlich ist die nach innen gewandte Seite des links im Bild befindlichen Ärmels einheitlich abschattiert, doch das daran in einer scharfen Linie angrenzende und eben an diesen Stellen (oberhalb und unterhalb des Buches) leuchtend weiße Hermelinwams macht jeglichen Eindruck einer nach hinten geschobenen, ins Raumdunkel gewandten Körperpartie auch dort zunichte. Als letztes Detail wäre auf die Gestaltung der Kronen in den beiden Miniaturen hinzuweisen. Jene der Agnes bringt schon in ihrer gezeichneten Verkürzung die Rundung des Hauptes weit besser zum Ausdruck als der steil über dem Hinterkopf befestigte Reif Katharinas (was freilich auf deren sonstigen Kopfputz zurückzuführen sein könnte). Darüber hinaus ist die Krone im vatikanischen Stundenbuch auch so modelliert, daß die im Bild linke Partie zwar hell, die gleißende Höhung aber genau auf der höchsten Stelle und über der im Bild rechten, also vordersten Gesichtspartie erscheint, um dann von dort weg relativ abrupt nach rechts hinten abschattiert zu werden. Katharinas Krönchen zeigt demgegenüber nicht nur insgesamt eine geringere Hell-Dunkel-Spanne, sondern auch die stärkste Ausleuchtung links, über jener Gesichtshälfte, die eigentlich in den Raum hinein geschoben ist. Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Beobachtungen Aspekte betreffen, die dem Künstler kaum mehr bewußt gewesen können und die durch intuitives Handeln zustande kamen. Nicht selten aber liegt solcher Intuition nicht nur Veranlagung, sondern auch Erfahrung zugrunde. Und eben die scheint dem Illuminator bei der Arbeit im Londoner Brevier noch gefehlt zu haben. Offensichtlich werden im vatikanischen Stundenbuch Gestaltungsprinzipien souverän gehandhabt, an denen im Londoner Brevier soeben erst das Interesse erwacht zu sein scheint. Dies spricht dafür, daß der Jakobsmeister bei der Ausstattung des Londoner Breviers noch vergleichsweise unerfahrener war als bei jener des vatikanischen Stundenbuchs, daß die aufgezeigten Unterschiede also einen zeitlichen Abstand nahelegen, über dessen Ausmaß derzeit noch keine konkreten Aussagen getroffen werden können. Doch besteht auch

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die Möglichkeit, daß in den beiden verglichenen Miniaturen vielleicht – trotz großer Übereinstimmung des Formenrepertoires und der Maltechnik – gar nicht derselbe Illuminator am Werk war. Dies mag an dieser Stelle der Untersuchung eine nachgerade absurde Überlegung erscheinen  ; daß jedoch mit einer solchen Möglichkeit im Œuvre des Jakobsmeisters stets zu rechnen ist, wird im Folgenden noch gezeigt werden. Schon die Ausführung der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im Londoner Brevier ist nicht gerade einheitlich. Hält man beispielsweise die halbfirgurige Textminiatur der Maria Magdalena auf fol. 408r von Add. 18851 (Abb. 12) dem soeben besprochenen Katharinenbild (Abb. 10) entgegen, so kann man nicht umhin, die Magdalenendarstellung als eine insgesamt Abb. 12: Heilige Maria Magdalena; London, glücklichere Lösung wahrzunehmen. Die British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Ausdrucksstärke des Gesichts auf fol. 408r Isabella von Kastilien, fol. 408r. mag auf seine relative Größe zurückzuführen sein  ; vielleicht geht damit auch der sorgfältigere Umgang des Künstlers mit Details einher, so in der nun differenzierter (wenngleich noch immer nicht so ausgeprägt wie bei der vatikanischen Agnes) modellierten Rundung des Halses. Der Künstler griff zudem im Londoner Magdalenenbild zum gleichen Gewandmotiv wie in der vatikanischen Agnesminiatur und nahm so den Ausgleich von teils flächen-, teils raumkonstituierenden Elementen gezielt in Angriff. Dabei fällt auch die Licht-Schattensetzung überzeugender aus als im Katharinenbild. Der rechteckige Ausschnitt von Magdalenas Kleid mag für die Suggestion des gewölbten Halses zwar hinderlich sein (weshalb der Illuminator auch zusätzlich eine schön gerundete Kette einführt), doch glückt die (vorsichtige) Modellierung des mit einem eng anliegenden Wams bekleideten Oberkörpers hier weit besser als auf fol. 495v. Gewandmotive wie der scheinbar um den Hals führende, zurückgeschlagene Mantelsaum zeigen an, daß es dem Illuminator trotz des frontalisierenden Mantelmotivs um die Suggestion des Figurenvolumens ging. Details wie das unter der im Bild linken Achselhöhle Magdalenas aufleuchtende Grün, das eine diametral andere Wirkung als das an dieser Stelle suggerierte Raumdunkel in der vatikanischen Agnesminiatur erzielt, beweisen jedoch auch in diesem Bild, daß das oben genannte Anliegen des Künstlers noch mit viel Unerfahrenheit einher ging und vielleicht mit früheren (etwa auf eine flächendekorative Farbgebung abzielenden) Interessen erst in Einklang gebracht werden mußte.

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Abb. 13: Heiliger Bartholomäus; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 442v.

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Abb. 14: Heiliger Theodor; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 485r.

Zur Qualitätsspanne, die sich an den beiden weiblichen Heiligen auf fol. 495v und 408r des Londoner Breviers aufzeigen ließ, kommt ein gewisser Rahmen, in dem sich die Wiedergabe von Raum- und Körperwerten in dieser Handschrift bewegt. Die Heiligen Bartholomäus auf fol. 442v (Abb. 13) und Theodor auf fol. 485r (Abb. 14) stehen beide mehr oder weniger direkt auf der senkrechten Mittelachse des Bildes vor einer weiten Landschaft. Obwohl beide die gleiche Schrittstellung mit ihrem rechten Fuß ausführen, ist Bartholomäus leicht nach rechts, Theodor eher nach links orientiert, wobei dies im zweiten Fall mit einer Neigung des Kopfes und einem nach links unten gerichteten Blick gezeigt, im ersten Fall durch Andeutung einer räumlichen Schrägstellung und durch kompositionelle Mittel erzielt wird. Das Bewegungsmotiv wirkt bei Theodor überzeugender, da die eingeschlagene Richtung mit der Ausrichtung identisch ist. Dabei steht der Heilige auf einem Weg, der einen durch eine halbhohe Mauer von der Landschaft dahinter abgegrenzten Wiesenstreifen in einer leichten Schräge hin zum rechten unteren Bildrand durchquert und den er soeben zu verlassen scheint. Dieses physische Abschweifen findet seine psychische Entsprechung darin, daß Theodor seine Lektüre unterbrochen zu haben und über sie nachzusinnen scheint. Der Ausblick hinter ihm wirkt wie eine weitere Variation auf dieses Thema, setzt er sich doch aus in unterschiedlichen Blautönen gehaltenen, bildparallel hintereinander gestaffelten, langgezogenen Hügelrücken zusammen, über die der Blick eher zur Seite als in die Tiefe gleitet.

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Im Bartholomäusbild (Abb. 13) findet die etwas unbestimmte Haltung des Apostels in der Gestaltung der Landschaft ihre Erklärung. Wie Theodor steht der Heilige auf einem den Vordergrund (hier fast bildparallel) durchquerenden Weg, der im rechten Bildteil glatt abgeschnitten ist und so eine Hügelkante als vorderste Terrainzone suggeriert. Links erblickt man den Pfad noch einmal. Er führt auf einem farblich heller als der Vordergrund gehaltenen Hügel empor. Seine Ausrichtung entspricht ziemlich genau der des Apostels und suggeriert, daß Bartholomäus auf ihm gekommen ist. Der Heilige scheint am gegenwärtigen Standort zu einer Richtungsänderung gezwungen und diese ein wenig geistesabwesend zu kontemplieren. Trotz der inhaltlich geglückten und auch formal suggerierten Einbindung Bartholomäi in sein Umfeld ist die Figur des Heiligen ein gutes Beispiel für ein gewisses Auseinanderklaffen von Können und Wollen. Die Schrägstellung des Apostels im Raum ist nicht nur an den Beinen, sondern auch an der Abdunkelung der bildeinwärts gewandten Körperhälfte abzulesen. Die mißglückte Umsetzung des grundsätzlich stets frontalisierenden, also hier denkbar ungünstigen Mantelbausches, der über den nach vor gestreckten linken Arm auf gleiche Höhe wie die vorgeschobene Körperhälfte gleitet, verunklärt diese Ausrichtung jedoch völlig. Besonders die Schüsselfalte über dem linken (im Bild rechten) Oberarm ist ein den Intentionen des Künstlers abträgliches, den Fall des Gewandes ebenso wie die Position des Heiligen verwässerndes Motiv. Daran ändert wenig, daß die rechte (im Bild linke) Körperpartie von großangelegten Faltenzügen umfangen erscheint und durch Goldschraffen eine intensive Höhung erfährt  ; der linke (im Bild rechte) Teil der Figur hinkt den hier glaubwürdig umgesetzten Vorgaben weitgehend hinterher. Dies alles weckt Zweifel, ob Ausführung und Konzeption von derselben Person stammen. Die durch den Schlagschatten in ihrem Winkel festgelegte Schrägstellung des Heiligen leitet einen Tiefenzug ein, der den Blick bis zur Kirche am Horizont zwar durch farblich und formal voneinander abgesetzte, aber in einer kontinuierlichen Abfolge lesbare Hügel führt. Das offenbart eine bislang im Brevier noch nicht beobachtete Verräumlichung des Dargestellten, bei der die Figur selbst eine zentrale (weil scharnierartige) Rolle spielen sollte. Sie versagt aber nicht nur in dieser Funktion, sondern widersetzt sich durch ihre massige Flächenhaftigkeit einer Einbindung in die dreidimensionale Welt um sie herum so sehr, daß sie – nicht anders als der durch eine Mauer von der Landschaft im Hintergrund getrennte Theodor – in einer weitgehend autonomen Ebene zu verweilen scheint. Allerdings läßt sich auch bei Theodor (Abb. 14) feststellen, daß trotz etlicher überzeugender Motive (wie des zwar asymmetrisch aufklaffenden, den Körper aber zu beiden Seiten umspielenden Mantels oder des in großen Röhrenfalten einen Halbkreis nach vorne zu beschreibenden Untergewandes) gewisse Partien eine ähnliche Unsicherheit verraten wie einzelne Elemente auf fol. 442v (Abb. 13). So ist die linke (im Bild rechte) Körperpartie Theodors für ihre frontale Stellung zu sehr abgeschattet, was durch den mittels Schlagschatten eruierbaren Lichteinfall nicht erklärt werden kann. Und obgleich der im Bild rechte Körperkontur von einer um die Figur herumführenden Falte aufgebrochen, der Hut links im Bild in seinem Verlauf nach hinten zu gezeigt, der gelbe Kragen beiderseits, aber deutlicher rechts mit einem Rosaton abschattiert, durch rote Schraffen rechts zusätzlich abgedunkelt und das Gesicht durch

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den gehöhten Nasenrücken eindrucksvoll modelliert ist (etwas, das in dem ebenso flächig wie sein Körper erscheinenden Gesicht Bartholomäi nicht festgestellt werden kann), wirken auch die Unterschiede in der Ausführung eher graduell als grundsätzlich. Mit Vorbehalt wird man also annehmen müssen, daß die beiden männlichen Heiligen nicht nur im Entwurf, sondern auch in der Ausführung doch von einer Hand stammen. Es ist, als hätte sich der Jakobsmeister in seinem Bartholomäusbild – vielleicht mit Hilfe einer Vorlage – auf ein Konzept eingelassen, das er selbst noch nicht zu bewältigen imstande war, während Theodor mit seiner vom Hintergrund abgesetzten, durch das eigene Volumen mitdefinierten Vordergrundbühne ein dem Illuminator zum aktuellen Zeitpunkt kongeniales Schema variiert, das im Londoner Brevier tatsächlich des öfteren Anwendung findet. Wenn damit auch nicht alle Zweifel an einer durchgehend eigenhändigen Ausführung aller dem Jakobsmeister in Add. 18851 zugeschriebenen Miniaturen ausgeräumt sind – und diese auch nicht ganz logisch erscheint, wenn man den offensichtlichen Zeitdruck bedenkt, unter dem die Handschrift fertiggestellt werden sollte und der eben dies letztlich verhindert haben dürfte –, möchte ich mich vorläufig mit der Feststellung begnügen, daß der mit dem Jakobsmeister identifizierte Illuminator im Londoner Brevier bereits als ein äußerst qualitätvoller, wenn auch noch unfertiger Künstler in Erscheinung tritt. Er verfügte offenbar bereits um die Mitte der neunziger Jahre über eine sicher gehandhabte, auf optische Effekte abzielende Technik und eine große Ausdrucksbreite, verrät aber im Vergleich mit anderen ihm zugeschriebenen Werken gewisse Unsicherheiten in der Wiedergabe der dreidimensionalen Wirklichkeit. Besonders die auch in seinem späteren Œuvre charakteristische kleinteilige Farbigkeit, die mit einem formalen Detailreichtum und einer gewissen Erzählfreudigkeit auch in einfigurigen Darstellungen einhergeht, und die durch die lockere Pinselführung lebhafte Oberfläche seiner Miniaturen sind bereits hier sein Markenzeichen – dem sich, so möchte man hinzufügen, eventuelle Mitarbeiter engst anzupassen hatten.

Das Stundenbuch in Wien Nun ist natürlich von größtem Interesse, wie sich die anderen fünf Handschriftenausstattungen, die auch in der Literatur teils vor oder um 1500 datiert werden, gegenüber den Miniaturen des Londoner Breviers ausnehmen. Zwei dieser Werke bieten sich besonders zum Vergleich an, der bereits mehrfach erwähnte vatikanische Codex Vat. Lat. 3770–68 und ein in der Österreichischen Nationalbibliothek unter der Signatur Cod. Ser. n. 2625 verwahrtes Stundenbuch129. Beide Handschriften wurden bis vor kurzem ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, das vatikanische Stundenbuch jüngst jedoch um 1500 datiert130. Wie im Londoner Brevier (und anders als in den drei weiteren Handschriften der hier als früh bezeichneten Gruppe) kann dem Jakobsmeister in den beiden Stundenbüchern eine 129 D. Thoss in  : Wien 1987, S. 114 ff., mit Angaben zur älteren Literatur. 130 Ebenda bzw. wie Anm. 128.

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große Zahl an Miniaturen zugeschrieben werden  ; im Wiener Stundenbuch teilte er sich die Arbeit mit einer anderen Werkstatt131, im vatikanischen Stundenbuch scheint eindeutig er den Auftrag übernommen und dann vereinzelte Aufgaben sozusagen „außer Haus“ gegeben zu haben132. Anders als in Add. 18851 finden sich in den beiden Stundenbüchern auch Vollbilder von seiner Hand, im vatikanischen eine große, im Wiener Stundenbuch doch eine beträchtliche Anzahl133. Und anders als in den meisten anderen ihm zuschreibbaren Werken gibt es in Wien und im Vatikan auch eigenhändig von ihm ausgeführte Textminiaturen. Diese zeigen sowohl ikonographisch als auch kompositionell eine enge Abhängigkeit untereinander, was grundsätzlich untypisch im Œuvre des Jakobsmeisters ist, der das sonst übliche Kopieren von Bildvorlagen mit nur geringfügigen Veränderungen als unter seiner Würde betrachtet zu haben scheint und dessen Bildlösungen meist Variationen über ein Thema, nicht aber bloße Wiederholungen einmal gefundener Formeln sind. Letzteres kann man freilich auch den Textminiaturen in den drei zur Diskussion stehenden Handschriften nicht vorwerfen. Immerhin ermöglichen ihre großen motivischen Übereinstimmungen aber einen im wesentlichen auf die Gestaltungsprinzipien abzielenden Vergleich, und primär solche Vergleiche sind es, die Schlüsse bezüglich der Chronologie und Eigenhändigkeit zulassen. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen.

131 D. Thoss, ebenda, identifizierte den zweiten in Cod. Vind. Ser. n. 2625 tätigen Illuminator als Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilians I  ; sie verwies auch darauf, daß jeder der beiden Meister mit Gehilfen zusammenarbeitete. Es scheint sogar, als hätte der Jakobsmeister zudem einen nicht bei ihm ausgebildeten und auch nicht seinen Werkstattstil imitierenden Maler beschäftigt, der die beiden Vollbilder auf fol. 102v und 118v ausführte. Repliken eben dieser beiden Miniaturen finden sich in Cod. Vat. Lat. 3770, fol 222v bzw. Cod. Vat. Lat. 3768, fol. 3v, beide ganz im Werkstattstil des Jakobsmeisters. Auf diese aus mehreren Gründen verwirrende Tatsache wird weiter unten (Kap.) noch zurückzukommen sein. 132 Neben der ganzseitigen Darstellung der Epiphanie auf fol. 151v in Cod. Vat. Lat 3770 und den Kalenderillustrationen sind einige Textminiaturen einem nicht im Umkreis des Jakobsmeisters ausgebildeten Illuminator zuzuschreiben. Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 375, erwähnt fols. 77r und 92r in Cod. Vat. Lat 3769. Hinzuzufügen wären beispielsweise die kleinformatigen Bilder auf fol. 189r des ersten Bandes und fol. 33r des zweiten Bandes  ; darüber hinaus zeigen einige figürliche Darstellungen in den Bordüren (etwa auf fol. 58v des ersten und fol. 158r des dritten Bandes) eine weitere Hand, die öfter mit dem Jakobsmeister kollaboriert haben dürfte, so auch im Brevier der Eleonore von Portugal in der Pierpont Morgan Library. Vielleicht ist dies jene, die Brinkmann in Köln 1992, 286 ff. als die des (dann noch jungen) Simon Bening identifizierte  ; in den Textminiaturen der Heiligensuffragien des vatikanischen Stundenbuchs ist eine Mitarbeit Benings jedenfalls nicht gegeben, außer er wäre dort zu einem Alter Ego des Jakobsmeisters mutiert. 133 Für eine Auflistung der ganzseitigen Miniaturen im vatikanischen Stundenbuch vgl. Köln 1992, S. 288 f.

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Abb. 15: Evangelist Matthäus; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 459r.

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Abb. 16: Evangelist Matthäus; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 131r.

Bei den Darstellungen des Evangelisten Matthäus auf fol. 33v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. IV), fol. 459r in Add. Ms. 18851 (Abb. 15) und fol. 131r in Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 16) handelt es sich um drei (wenn auch unterschiedlich große) Textminiaturen. Die des Wiener Stundenbuchs ist kleiner als die beiden anderen und gibt das Thema daher als Kniestück (im Gegensatz zu den zwei ganzfigurigen Versionen) wieder134. Davon abgesehen ist der Bildaufbau in allen drei Fällen der gleiche. Links sitzt Matthäus schreibend an seinem Pult, das im Wiener und im vatikanischen Stundenbuch auf dem Boden steht, während es im Brevier Isabellas auf einem mit einem grünen Tuch bedeckten Tisch Platz findet. Die Sitzgelegenheit im vatikanischen Stundenbuch ist durch eine mächtige Rückenlehne ausgezeichnet, während in den beiden anderen Handschriften ein Ehrentuch hinter (und im Brevier auch über) einer offenbar schmalen Bank aufgespannt ist. Rechts, an der Flanke des jeweiligen Pultes tiefer in den Raum versetzt, steht jeweils das Symbol des Matthäus, der geflügelte Mensch, und gibt dem Evangelisten Anweisungen. In allen drei Bildern ist die Schreibstube nach hinten zu durch eine Wand abgeschlossen, in der sich je ein rautenförmig vergittertes Glasfenster 134 Die Miniatur im Wiener Stundenbuch (mit 19,3 x 13,2 cm auch die kleinste der drei Handschriften) hat eine Höhe von sieben Zeilen, jene im vatikanischen Stundenbuch ist elf Zeilen hoch, die im Londoner Brevier vierzehn Zeilen.

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befindet, im Brevier zudem eine vom rechten Bildrand angeschnittene Tür, die in eine rudimentär angedeutete Landschaft führt. Im vatikanischen Stundenbuch erscheint eine rundbogige Pforte in einer rechts zusätzlich sichtbaren Seitenwand  ; im Wiener Stundenbuch entfiel eine entsprechende Öffnung wohl aus Platzmangel. Obwohl im Brevier der Fliesenboden in Richtung Tür fluchtet und zudem der Engelsflügel in die Öffnung hineinragt, wird geschickt verhindert, daß der Blick allzu rasch ins Freie gleitet  : Der Schatten des Evangelistensymbols verdunkelt die gesamte vor dem Türstock sichtbare Bodenzone so, daß die suggestive Wirkung der Fluchtlinien just an dieser Stelle nicht zum Tragen kommt, sondern sich im rechten Bildrand verliert. Auch der vor der Pforte plazierte Flügel scheint sich nach vorne zu wölben und somit eher eine sanfte Barriere zur Außenwelt als einen Einstieg in dieselbe zu bilden. Auf etwas andere Weise wird in der vatikanischen Miniatur ein zu frühes Abgleiten des Blickes in die durch zwei bildparallele Streifen in ein Wiesen- und ein Wegstück geteilte Landschaft unterbunden. Zwar erhalten die grundsätzlich auf die Rückwand zulaufenden Bodenbretter durch waagrechte Nagelreihen auch hier eine Ausrichtung auf das in dieser Darstellung rechts befindliche Portal, und die Spitze des Engelsflügels taucht einmal mehr in dessen Öffnung. Doch wirken die gesamte Organisation des Interieurs (vor allem die im rechten Bildteil schräg nach links fluchtenden Dielen) sowie die in voller Größe sichtbare Gestalt des nach links gewandten Engels einem Sog nach rechts entgegen. Auch die Diagonale der zur Tür hin auf dem Boden drapierten Engelsrobe findet an der durch mehrere gegenläufige Schrägen markierten Schwelle ein abruptes Ende  ; die Geschlossenheit der Figurenkomposition wird daher auch an dieser Stelle nicht aufgebrochen. Die sich hierbei abzeichnenden Unterschiede in der Raumauffassung zwischen dem Londoner und dem vatikanischen Bild lassen sich auch noch an anderen Faktoren ablesen. In Cod. Vat. Lat. 3770 steht der Engel zwar schräg in den Raum gedreht und zudem räumlich versetzt hinter dem Schreibpult, dessen rechte hintere Ecke er mit nach vorn gestreckter Hand berührt. Seine Positionierung in einer Ebene hinter Matthäus ist auch durch die waagrecht zwischen ihnen verlaufende Nagelreihe angezeigt. Dennoch wird dadurch, daß jedem Protagonisten eine vertikale Bildhälfte zugeordnet ist, der Eindruck einer im wesentlichen bildparallelen Anordnung erweckt. Und tatsächlich befindet sich der Thron ja auf gleicher Höhe mit dem Engel, nur die Beine des Evangelisten sind schräg aus der Sitzachse heraus nach vorne gestreckt. Der Engel berührt zwar die hintere Kante des Pultes, ist aber eigentlich auf gleicher Höhe damit plaziert, worüber einmal mehr das Bodenmuster Auskunft gibt  ; und sein nach links gewandter Körper wird durch die ausgebreiteten Flügel nachdrücklich frontalisiert. Insgesamt wird die räumliche Anordnung der Figuren somit in eine bildwirksame, den eigentlichen Inhalt der Darstellung maximal veranschaulichende Symmetrie überführt, ohne daß die einzelnen dreidimensionalen Aspekte unglaubwürdig wirken. Dies erinnert an die in der Agnesminiatur im dritten Band desselben Stundenbuchs (Abb. 11) angewandten Gestaltungsprinzipien, obwohl das Matthäusbild schon auf Grund des Bildausschnitts räumlicher wirkt. Wie zwischen den Figuren zu sehen ist, stoßen die Dielenbretter noch weiter in die Tiefe vor, über den durch die Tür eingelassenen Lichtstreifen hinein in ein Raumdunkel, das doch deutlich erkennen läßt, wo der Boden an die Rückwand grenzt. Bemerkenswert ist, daß

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diese explizite Räumlichkeit, die mit einem ausgeprägten Verständnis für die Körperwerte der Figuren einhergeht, die Protagonisten dennoch nicht dominiert, sondern daß diese sich mit einer der Erzählung zuträglichen Klarheit über die Bildfläche hinweg entfalten135. Die Matthäusbilder in den beiden anderen Handschriften unterscheiden sich bezüglich ihres Raumkonzeptes mehr von ihrem vatikanischen Pendant als untereinander  ; doch ist das Interieur in der Londoner Miniatur wesentlich tiefer als in der Wiener. Offenbar aus Platzgründen wurde beide Male der Engel gegenüber dem Evangelisten in eine untergeordnete Position gebracht. Im Brevier wird er vom Tisch teils verdeckt, im Wiener Stundenbuch ist er ins rechte Bilddrittel abgedrängt. Beide Male wird dies durch andere Mittel wieder aufgewogen, in der Wiener Miniatur durch die gegenüber den gedämpften Farben des Mat­ thäusgewandes weit größere Helligkeit des Engelskleides, in der Londoner Version durch die ausgebreiteten Flügel und deren Buntfarbigkeit, während das ins Graue changierende Gelb der Engelsrobe zum kräftigen Rot-Blau-Akkord des Evangelistenkostüms dort bestenfalls ein Gegen-, nicht aber ein Übergewicht darstellt. Eindeutig anders als in Cod. Vat. Lat. 3770 ist die räumliche Stellung der beiden Engel, die sich hinter den Schreibpulten befinden und von diesen überschnitten werden. Dabei bietet der längliche, verkürzt dargestellte und mit massiven Flanken ausgestattete Tisch in Add. 18851, dessen Position auf dem Fliesenboden klar ersichtlich ist, ein ungleich wirkungsvolleres Mittel zur räumlichen Distanzierung des Engels als das leicht untersichtig gegebene Schreibpult in Cod. Vind. Ser. n. 2625. Doch ermöglicht letzteres dem Illuminator, die schräge Haltung des Evangelisten auch anhand seiner räumlich versetzten Beine zu veranschaulichen. Dies ändert nichts daran, daß die Wiener Miniatur insgesamt weit flächiger wirkt als die beiden anderen  : Raum wird darin ausschließlich durch die Präsenz der Figuren und ihre versetzten Posen suggeriert. Daß dies nicht nur an der fehlenden Bodenzone liegt, beweist der Vergleich mit dem oberen Teil des Bildes im Isabellabrevier. Dort ist das Ehrentuch weit radikaler verkürzt als in Wien und zudem mit einem Baldachin ausgestattet, der den Existenzraum Matthäi, an dem auch der Engel mit seinem nach vorne gewölbten Flügel partizipiert, ausdrücklich definiert. Zudem läßt die Öffnung rechts im Freien den Ansatz eines gekrümmten Weges erkennen, der weiter in die Tiefe zu führen scheint. All diese raumschaffenden Bildelemente bleiben auch bei einer Reduktion der Londoner Miniatur um das untere Viertel erhalten. Ja selbst wenn man – entsprechend dem Ausschnitt der Wiener Matthäusdarstellung – den oberen Streifen der Londoner Version mit dem Baldachin wegdächte, wären immer 135 Sowohl in der räumlichen Verwinkelung des letztlich in einer Ebene angeordneten Vordergrundmotivs als auch in der Kombination mit einem dreidimensional durchgestalteten Interieur plus seitlichem Ausblick ist eine besondere Nähe zur Geburtsminiatur auf fol. 145v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 21) zu konstatieren. Allerdings erscheint dort – durch Miteinbezug der oberen Raumgrenze in Form eines offenen Dachstuhls sowie durch den Einblick in die rechte hintere Stallecke (der durch den Ochsen davor allerdings weniger dynamisiert als vielmehr entschärft wird) – der Raum um einiges tiefer als in der freilich auch viel kleineren Matthäusminiatur wenige Seiten davor.

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noch der verkürzte Tisch, das verkürzte Ehrentuch und die Türöffnung mit dem Terrain dahinter raumkonstituierende Faktoren, für die es auf fol. 33v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 kein Pendant gibt. Dennoch scheinen die Diskrepanzen bezüglich der Raumauffassung zwischen der Wiener und der Matthäusminiatur letztlich nur graduell. Anders als im vatikanischen Bild mit seiner die Protagonisten hinterfangenden, dabei schon von vorne weg wirksamen Tiefenflucht wird das wiedergegebene Interieur in London und Wien primär über die darin befindlichen Figuren und Gegenstände erlebt. Nur die Emphase, mit der diese durchgehende Definition der Handlungsbühne durch Akteure und Objekte in Add. 18851 betrieben wird, markiert einen entscheidenden Unterschied zur Bildgestaltung in der Wiener Matthäusdarstellung. Dies könnte ein Hinweis auf eine Stellung der Londoner zwischen der vatikanischen und der Wiener Miniatur sein, die auch in der jeweiligen Wiedergabe plastischer Qualitäten und in der Figurentypik bestätigt scheint. Die monumentaleren Proportionen im Matthäusbild von Cod. Vat. Lat. 3770 gehen mit einem ausgeprägten Verständnis für die Entfaltung der Figuren im Raum Hand in Hand, das sich eher in der Konzeption der Form als in der plastischen Modellierung manifestiert. Nur im vatikanischen Bild ist der Engel nachvollziehbar schräg gestellt, ein Faktum, dem allerdings nur minimal durch die Abdunkelung des Figurenzylinders an der Rückenpartie nachgeholfen wird. In der Londoner Miniatur wird diesbezüglich weit mehr geleistet. Die linke (im Bild rechte) Seite des Engels und die Zone unterhalb des Gürtels sind mit grauvioletter Farbe abschattiert, man spürt das Bemühen des Künstlers, die durch das vorgeschobene Knie angedeutete Schrägstellung sowie das Lehnen über den Tisch zum Ausdruck zu bringen. Es genügt jedoch, die beiden Matthäusfiguren im Vatikan und in London zu vergleichen, um die Distanz zwischen den beiden Bildern abschätzen zu können. Die Art, wie der linke Arm in einem Bogen von hinten auf das Schreibpult gelegt wird, zusammen mit der klaren Artikulation der rechten Schulter, verleihen dem vatikanischen Evangelisten eine Präsenz im Raum, die der ebenso kräftig modellierte, zugleich aber mit einem viel kleinteiligeren, die Gesamtform verunklärenden Faltenrelief ausgestattete und mit einer ganz eng geführten Geste nach dem Pergamentblatt greifende Matthäus in Add. 18851 vermissen läßt. Dabei wurde der Evangelist im Londoner Brevier sogar mit einem Turban bedacht, zweifellos, um die Rundung seines Hauptes zu unterstreichen. Die Wirkung des Gebildes ist jedoch ambivalent, zumal sein Stoffüberschuss in Röhrenfalten gerade nach unten fällt, zugleich aber auf der vorderen Schulter des Evangelisten aufzuliegen scheint, die dadurch trotz Modellierung mittels Goldschraffen flach abfallend wirkt und so den schon durch die Geste des hinteren Armes hervorgerufenen Eindruck einer schmalen, in ihre Umgebung eher eingezwängten als frei sich darin entfaltenden Gestalt noch um ein Vielfaches steigert. Die Wiener Miniatur wirkt wie von Fragen der Raum- so auch von jenen der plastischen Gestaltung relativ unbelastet. Die Modellierung des wulstigen Faltenreliefs und vereinzelter darunter hervorkragender Körperpartien erfolgt kräftig, wenn auch (wohl auf Grund der geringen Bildgröße) relativ übergangslos. Die hintere Schulter des Evangelisten wie auch sein hinteres Bein werden zwar abgedunkelt, doch dürfte die kohärente Wirkung der einzelnen plastischen Motive dem Künstler kein Kopfzerbrechen bereitet haben. Eher scheint es, als

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sei die Abschattung der in den Raum geschobenen Körperpartie Matthäi im Gegensatz zu seiner helleren rechten Seite in erster Linie auf Grund eines starken Interesses an Lichteffekten zustande gekommen. Dies legt auch der mit gleißenden Höhungen im Gesicht und Gewand gestaltete Engel nahe, dessen Oberschenkel gegenüber seinen abgewinkelten Unterschenkeln großflächig hervorgehoben werden und so eine gewisse Lichtsituation suggerieren, die weniger der Formung der Objekte dient als vielmehr ihre Oberflächen erfaßt. Besonders offensichtlich wird dies an dem weniger als in London verkürzten, dafür aber durch seine differenzierten Bugstege und den (offenbar je nach Lichteinfall) unterschiedlichen Glanz des Brokatmusters in seiner Stofflichkeit klar erfaßten Vorhang. Zusammen mit dem exquisiten Kolorit, in dem das in vielen Miniaturen der Wiener Handschrift bevorzugte Violett zu einem raffiniert eingesetzten Widerpart der fein gebrochenen Primärfarben wird, verleiht dieses zwar keiner konsequenten Regie unterzogene, aber mit einem feinen Sinn für die Bildbalance eingesetzte Licht dem Matthäusbild von Cod. Vind. Ser. n. 2625 einen malerischen Zauber, der die darin fehlende Artikulation dreidimensionaler Werte durchaus kompensiert. All dies untermauert den Eindruck, die Londoner Miniatur stehe zwischen den beiden anderen Versionen des Themas. In Anlehnung an die im Wiener Stundenbuch aktuellen Gestaltungsprinzipien zeigt auch das changierende Helldunkel des Engelsgewandes in Add. 18851 eine große Sensibilität für Farb- und Lichteffekte, die dort indes dem Bestreben unterworfen werden, die Gestalt zu formen und im – auch in seiner Konstruktion gegenüber dem Wiener Bild forcierten – Raum zu positionieren. In der vatikanischen Miniatur schließlich erscheinen Licht- und Oberflächeneffekte, nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Bildgestaltung, nicht anders als Raum- und Körperwerte einem neuen Bildverständnis integriert, in dem die klare Lesbarkeit des jeweiligen Bildinhalts dem Flächencharakter der Buchseite kongenial inszeniert wird. Der hier gewonnene Eindruck wird auch durch die Gegenüberstellung der drei ganz- bzw. halbseitigen Marienkrönungsminiaturen auf fol. 88v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. V), fol. 437r von Add. 18851 (Abb. 17) und fol. 162v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 18) bestätigt – der einzigen (prinzipiell) themengleichen großformatigen Bilder in den drei Handschriften. Schon auf Grund der gänzlich anderen Aufgabe im vatikanischen Stundenbuch (die Kombination der Marienkrönung mit einem Allerheiligenbild) stehen einander die halbseitige Miniatur im Londoner Brevier und das Vollbild im Wiener Stundenbuch näher. Obwohl es sich einmal um eine halb- und einmal um eine ganzseitige Darstellung handelt, sind die Figuren auf Grund der unterschiedlichen Größe der Handschriften nahezu gleich groß. Freilich forderte das Format der Miniaturen – in London querrechteckig, in Wien ein steiles Hochrechteck (und damit dem gängigen Schema in Andachtsbüchern entsprechend – gewisse Konzessionen, die sich am deutlichsten in den gelängten Proportionen der göttlichen Personen und der dichteren Figurengruppierung im Wiener Stundenbuch äußern. Die dort streng aufrecht und fast frontal sitzenden Gottheiten bilden mit dem in einer Aureole zwischen ihnen schwebenden Heiligen Geist ein homogenes Flächenmuster, das durch ihre symmetrische Darstellung (die kaum von der unterschiedlichen Aktion ihrer Hände aufgebrochen wird) und die

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Abb. 17: Marienkrönung; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 437r.

rhythmische Gliederung der dreiteiligen Rückenlehne des Thrones noch unterstrichen wird. Die ebenfalls frontal zwischen ihnen kniende Gottesmutter vollendet das ornamentale Bildgefüge, das zusätzlich durch ein mittels Gewandführung erzeugtes Raster von Senkrechten und Waagrechten im Lot gehalten wird. Bei grundsätzlich ähnlicher Disposition zeigt die Londoner Miniatur das Bestreben, der Dreidimensionalität des Dargestellten eine größere Bedeutung einzuräumen. Schon durch ihre Gedrungenheit und die lockere Gruppierung scheinen die beiden göttlichen Personen mehr Raum zu beanspruchen als ihre Pendants in Wien. Ihrer deutlichen Einwärtswendung entspricht die räumliche Haltung der Madonna, die hier ihrem eindeutig erkennbaren Sohn zugewandt ist. Obwohl die grundsätzliche Anordnung der Figuren in beiden Miniaturen sehr ähnlich ist, erscheint die halbrunde Plattform, auf der Maria kniet, im Wiener Codex flächig nach unten geklappt – nicht zuletzt bedingt durch das einheitliche (und flächenhaft verein-

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Abb. 18: Marienkrönung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 162v.

heitlichende  !) Grün, mit dem sowohl die waagrechten als auch die senkrechten Thronelemente hinterlegt sind – was zu einer gewissen Spannung zwischen den von vorne gesehenen Figuren und der aufsichtigen Sockelzone führt. Im Unterschied dazu ist der Londoner Thron ein durchaus überzeugend konstruiertes Gebilde, wozu neben der nun viel flacher geschwungenen und somit eine Verkürzung suggerierenden Plattform auch die deutlich gezeigten Thronwangen beitragen. Links ist ein Teil der radikal verkürzten Thronbank zu erkennen, die zusammen mit den räumlich projizierten Oberschenkeln Christi und Gottvaters die einheitliche Ansicht aller Bildteile indiziert. Auch werden in Add. 18851 nicht nur (ähnlich wie in Cod. Vind. Ser. n. 2625) herabhängende und aufliegende Gewandteile durch die Artikulation der Knickstellen klar unterschieden, sondern es kommt darüber hinaus durch die radiale Dra-

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pierung des Madonnenmantels auf dem Boden zu einer Umschreibung des Figurenzylinders, wobei dessen Abdunkelung (sowie die des Stoffüberschusses) bildeinwärts die Illusion der Rundung noch vorantreibt. In der Wiener Miniatur zeigen die undifferenzierter gebauschten Gewandenden, die zudem ausschließlich vor und seitlich der Figuren zu liegen kommen, eine dekorative Verselbständigung an, die in den regelmäßigen Faltenkonfigurationen im unteren Teil der Miniatur gipfelt. Grundsätzlich gilt, daß trotz annähernd gleicher plastischer Artikulation der Einzelformen, etwa der Gesichter oder Falten, allein auf Grund der nachvollziehbaren Räumlichkeit auch das Volumen der Figuren in London deutlicher zur Geltung kommt als in Wien, wo die Tendenz zur Kreation eines gefälligen Flächenmusters auch vor der Körperlichkeit der Akteure mit ihren flächenwirksamen Gewandformationen nicht halt gemacht hat136. Die sowohl innerhalb des Bildgeschehens als auch realiter weit kleiner wiedergegebene Marienkrönung auf fol. 162v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 18) kann nur mit Vorbehalten in diesen Vergleich mit einbezogen werden. Bei flüchtiger Betrachtung scheint sie bezüglich der Figurenkonstellation (die sich geradezu emblematisch in eine von camaieufarbig angedeuteten Engeln umgebene Aureole einfügt, der Wiener Miniatur weit näher verwandt als der Londoner). Doch zeigt sich rasch, daß diese Ähnlichkeit nur eine superfizielle ist. Trotz der schönen Flächenform (gebildet aus den im Dreieck angeordneten Protagonisten und den seitlichen Maßwerkverzierungen des Thrones) ging der Illuminator hier von einem klaren räumlichen Gefüge aus  : die göttlichen Personen sind nachdrücklich einwärts gewandt, was durch den Verlauf ihrer zweifarbigen Gewänder gleichsam auch auf diese Entfernung nicht zu übersehen ist. Dem entspricht die dreidimensional konstruierte Form des Thrones, bei dem alle frontalen Elemente unterdrückt bzw. durch räumliche ersetzt wurden. Die rechteckige Plattform ist stark verkürzt wiedergegeben, die Rückenlehne entfällt, und die Seitenteile sind demonstrativ nach vorn gezogen, so daß auch die auf ihnen angebrachten Maßwerkaufbauten 136 Demgegenüber ist die Madonna in der Pfingstminiatur auf fol. 21v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XIV) bezüglich ihrer (primär mittels des Gewandfalls erzielten) räumlichen Stellung der Muttergottes in der Marienkrönung auf fol. 437r von Add. 18851 sehr ähnlich. Zwar bricht das Gewand wie in der Krönungsminiatur des Wiener Stundenbuches in bauschigen Falten auf dem Boden um. Doch werden vertikal herabfallende und horizontal aufliegende Stoffmassen deutlich unterschieden. Durch die radiale Anordnung letzterer wird das Volumen der Figur zumindest ansatzweise umschrieben, allerdings nicht durch Modellierung des Figurenkerns (wie in der Londoner Madonna durch die dunklere Rückenpartie) oder Hervorhebung einzelner Körperteile (wie der Oberschenkel der Londoner Jungfrau) zusätzlich veranschaulicht. Auch ist der aufliegende Gewandüberschuß in der Wiener Pfingstszene an entscheidender Stelle (nämlich genau hinter dem Rücken Mariens) durch eine Säule verdeckt, seine Funktion damit verunklärt. Selbst die schräge Position der Gottesmutter ist durch die bauschig über ihren Kopf geführte, dabei aber nicht modellierte und somit flächige Darstellung ihres Mantels bis zu einem gewissen Grad zurückgenommen. Zu diesen Unterschieden gesellt sich die in den beiden Bildern merklich abweichende Figurentypik, die über die soeben geschilderte Nähe hinaus doch eine ernstzunehmende Distanz anzeigt.

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sich als verkürzt entpuppen. Maria sitzt nicht nur tiefer, sondern auch weit vor den göttlichen Personen auf einem Faldistorium, wobei ihre ungeachtet der Frontalität raumverdrängende Pose durch eine verkürzte Oberschenkel- und eine plastisch gehöhte Kniepartie veranschaulicht wird. Im Vergleich damit scheint die Verflächigung in Cod. Vind. Ser. n. 2625 auf ganz anderen, weit dekorativeren Grundsätzen zu basieren und einmal mehr eher eine Vorstufe zu jenem soliden Körper- und Raumverständnis zu markieren, um das in Add. 18851 mit wechselndem Erfolg gerungen und das in Cod. Vat. Lat. 3770–68 in eine neue, in anderer (kompositioneller) Hinsicht flächenkonforme Bildauffassung integriert wurde. Allerdings präsentieren sich die dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen des Wiener Stundenbuchs noch uneinheitlicher als seine (ebenfalls starken Schwankungen unterworfenen) Lösungen im Londoner Brevier. Dabei scheint dies in Cod. Vind. Ser. n 2625 über die Frage der künstlerischen Auffassung hinaus auch eine Frage der Qualität zu sein, falls diese beiden Aspekte überhaupt getrennt werden können (was bis zu einem gewissen Grad durchaus der Fall zu sein scheint). Es ist daher nötig, den Wiener Bildern unter diesem Gesichtspunkt etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Schon eine Gegenüberstellung der Marienkrönungsminiatur auf fol. 88v (Taf. V) mit der Darstellung der heiligen Anna Selbdritt auf fol. 163v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. VI) ist diesbezüglich aufschlußreich, obwohl damit bei weitem nicht die volle Spannweite an stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten in diesem Stundenbuch abgesteckt ist. Der Vergleich bietet sich vor allem auf Grund gewisser kompositioneller Übereinstimmungen an. Beide Male dient ein Thron mit vorkragender Plattform als Schauplatz des Geschehens, und beide Male haben zwei nach innen gewandte Personen darauf Platz genommen. Freilich befindet sich der Thron im Selbdrittbild nicht in einer himmlischen Sphäre, sondern auf einer Wiese. Doch halten immerhin zwei Engel den an ein Rundzelt erinnernden Baldachin, in dessen Mitte ein blaues Ehrentuch herabfällt, das die Rücklehne des Thrones verdeckt und eine Folie für die davor befindlichen Figuren abgibt. Anna sitzt links, Maria rechts, und beide wenden sich dem Christkind zu, das von seiner Mutter mit ausgestreckten Armen der Großmutter entgegengehalten wird und in deren aufgeschlagenem Buch zu blättern scheint, was durch die nachdenklichen Blicke der Frauen von einem kindlichen Spiel in eine wenn auch wortlose Auslegung der Heiligen Schrift umgedeutet scheint. Entsprechend seinem Standort hat der Thron eine gemauerte Basis und zudem seitlich vorschwingende Lehnen, die ähnlich jenen im Londoner Marienkrönungsbild in reliefierten Säulen enden. Im Gegensatz zu den motivischen Übereinstimmungen beschränken sich die stilistischen erstaunlicher Weise nur auf Details. So läßt sich in beiden Miniaturen feststellen, daß die Tendenz besteht, die Sockelfläche mit dem Gewand zu bedecken und so die Integration der Figuren in ihr Umfeld voranzutreiben. Dabei fällt auf, daß auch diesbezüglich in der Miniatur auf fol. 163v schon ein Schritt weiter in Richtung der Londoner Marienkrönung gegangen wurde, zumal hier die auf dem Boden befindlichen Faltenbäusche flacher und langgestreckter werden, was ihr Aufliegen besser veranschaulicht. Auch ist die Einwärtsdrehung der beiden Frauen wesentlich stärker als die der göttlichen Personen auf fol. 88v, was vor allem bei Anna

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zu einer sogar die Londoner Lösung überbietenden räumlichen Artikulation der Figur führt. Annas Mantel umfängt die Figur in einer großen Form und verdeutlicht zugleich ihre schräge Ausrichtung  ; dies gilt für das Arrangement des gesamten Kleidungsstücks und wird durch überzeugende Details wie die um den Hals herumführende Wulstfalte oder den Mantelüberschuß auf dem Boden, der parallel zur Sockelform, aber auch zur Position Annas gelegt ist, noch verdeutlicht. Hinzukommt, daß sich unter dem Gewand die Knie beider Protagonistinnen abzeichnen und zudem die Falten dort keinen Zweifel an dem Verlauf der Gliedmaßen darunter lassen. All dies fehlt bei den göttlichen Personen der Wiener Marienkrönungsminiatur. Zwar zeichnet sich bei der rechts im Bild befindlichen Gottheit ihr linker (im Bild rechter) Unterschenkel ab, und auch das rechte (im Bild linke) Knie der Figur links kann man durch den von dort ausgehenden Faltenfall erahnen  ; doch bleibt der Figurenkern im Grunde verborgen, flächig vom Gewand verhängt, das sich in lebhaftem Relief im Bildfeld ausbreitet. Besonders groß ist der Unterschied zu Anna und Maria im Bereich der Oberschenkel. Bei den weiblichen Figuren liegt das Gewand auf jeweils andere Weise und doch beide Male explizit auf den Beinen auf und gibt damit deren Position einwandfrei zu erkennen. Bei den beiden Gottheiten verunklären bildparallel und waagrecht geführte Faltenkonfigurationen das Sitzmotiv, bilden vielmehr ganz im Sinne des Flächenmusters eine dekorative, im wesentlichen horizontale Zäsur zwischen vertikal organisierter Oberkörper- und trapezförmig ausgebreiteter Unterschenkelpartie. Schließlich sind auch noch gewisse Unterschiede in der Figurentypik zu nennen. Daß Maria in den beiden Miniaturen jeweils anders aussieht, mag nicht nur auf die unterschiedliche Figurengröße, sondern auch auf den anderen Winkel, in dem das Gesicht jeweils präsentiert ist, zurückzuführen sein. Die gerade, scharf modellierte Nase und das kompakte Oval der Physiognomie finden sich auf fol. 88v jedoch nicht nur in der frontal dargestellten Jungfrau, sondern auch bei dem noch im Dreiviertelprofil erscheinenden Engel darunter. Und die rundlichen, weich gestalteten Züge der beiden den Baldachin haltenden Engel auf fol. 163v kehren in etwas markanterer Form in der Gottesmutter darunter wieder. Hinzu kommt, daß auch die Flügel der Engel in den beiden Miniaturen den in den Gesichtern manifesten Prinzipien entsprechend gestaltet sind  : die auf fol 88v als kompakte konische Formen, die auf fol. 163v als (durch Goldtupfer) in Licht getauchte, in Struktur und Farbe reich differenzierte Gebilde. Dem widerspricht nun aber, daß sich maltechnisch keine Unterschiede zwischen den beiden besprochenen Vollbildern erkennen lassen. In beiden Miniaturen ist der gleiche großflächige Farbauftrag festzustellen, der mit feinen Pinselstrichen strukturiert wird, welche vor allem in den Übergängen von Hell- und Dunkelzonen einer Farbe für den Aufbau von Formen wie für den Eindruck von Lichteffekten herangezogen werden. Diese Handhabung des Pinsels verrät eine große, man möchte sagen, intuitive Sicherheit. Hierin und in dem exquisiten Farbempfinden manifestiert sich ein hohes künstlerisches Niveau, und trotz der unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien in den beiden Miniaturen zögert man, sie als Produkte zweier verschiedener Personen anzusehen. Es fällt schwer zu glauben, daß zwei Maler sich nicht nur

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die gleiche höchst individuell wirkende Technik aneignen, sondern auch den gleichen unverkennbaren Farbensinn entwickeln. Andererseits lehrt die Erfahrung, daß Gehilfenarbeit oft eher an der mangelnden Umsetzung gewisser Gestaltungsprinzipien als an Unterschieden in der Technik zu erkennen ist, geringere Sorgfalt ausgenommen. Dies wäre ja auch logisch, zumal Technik gelehrt werden kann, nur ihr meisterhafter Einsatz nicht. Freilich scheint eben auch letzterer in den beiden besprochenen Miniaturen vorzuliegen. Dies ist nicht in allen dem Jakobsmeister zuordenbaren Bildern von Cod. Ser. n. 2625 der Fall. Die Wiedergabe der Darbringung Jesu im Tempel auf fol. 77v (Taf. VII) zeigt zwar einen ähnlichen Farbauftrag wie die beiden bereits besprochenen Miniaturen. Doch werden die dort charakteristischen modellierenden Strichlagen kaum eingesetzt, und wenn, dann nicht mit der sich in den beiden anderen Bildern mitteilenden Sicherheit. Auch bleiben die Gesichter der Figuren auf fol. 77v zwar im Rahmen des nun schon bekannten Typenrepertoires, doch wirken besonders jene der weiblichen Heiligen schematisiert, was auch für den zwischen den Köpfen der Mägde hervorblickenden Mann, vermutlich Josef, gilt. Umgekehrt zeigt gerade die Darbringungsminiatur auch Motive wie die um den Nacken Simeons gelegte Stola oder den in einem Bausch um Marias Hinterkopf geführten Mantel, welche das Volumen und die räumliche Stellung der Figuren anzeigen sollen und darin dem noch um einiges wirkungsvoller inszenierten Mantel Annas auf fol. 163v entsprechen. Auch im übrigen kommen in der Darbringungsminiatur Gestaltungsprinzipien zur Anwendung, die schon in der Selbdrittdarstellung auszumachen waren und eine gewisse Annäherung an das Londoner Brevier zu verraten scheinen. Dabei wäre etwa der Versuch zu nennen, den beanspruchten Raum als rund zu definieren, was sowohl durch die apsisartige Architektur mit dem Einblick in den Gewölbeschluß als auch durch den Baldachin, den Tisch, das zweistufige Podest und das Muster des Fliesenbodens zum Ausdruck kommt. Selbst die Figuren scheinen sich dem unterzuordnen. Zwar gelingt ihre Gruppierung um den Altar nicht ganz überzeugend, doch allein der Versuch, die Kreisform durch die Aktion des Mannes zu schließen, der von rechts aus die brennenden Kerzen an die links befindlichen Mägde verteilt, belegt die diesbezüglich konsequente Vorgangsweise des Malers. Um so irritierender ist, wie weit das Niveau der Ausführung hier hinter jenem der beiden besprochenen Miniaturen zurückbleibt – nicht nur in der malerischen Dichte, sondern auch in der Umsetzung der so engagiert angestrebten Dreidimensionalität. Das Christkind (ein wenig kleiner als jenes in der Selbdrittminiatur) wirkt unverhältnismäßig schematisch gezeichnet und einer Hell-Dunkel-Behandlung unterzogen, die schwerlich Modellierung genannt werden kann, da deren Resultat, die Suggestion plastischer Werte, ausbleibt – von der stellenweise auf fol. 163v angedeuteten Stofflichkeit des schimmernden Kinderinkarnates ganz zu schweigen. Man wird sich hier also entweder die Ausführung eines Entwurfes des Jakobsmeisters durch einen Gehilfen oder aber einen „schlechten Tag“ unseres Illuminators bei der Fertigstellung des Bildes vorstellen müssen. Beide Vorschläge befriedigen nicht wirklich – das Bild wäre dem Jakobsmeister auf eine sonderbare Weise konsequent mißglückt, der Gehilfe wiederum in vieler Hinsicht fast ein Alter Ego des Meisters. Eben letzteres scheint aber auch durch andere Miniaturen in Cod. Vind. Ser. n. 2625 nahegelegt.

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Insbesondere zwei Vollbilder des Wiener Stundenbuchs brillieren durch eine Landschaftswiedergabe, wie sie im Londoner Brevier allein auf Grund der anderen Thematik und Größe seiner Miniaturen nicht vorkommt. Es handelt sich um die Darstellung der Verkündigung an die Hirten auf fol. 69v (Taf. VIII) und um die Wiedergabe der Flucht nach Ägypten auf fol. 81v (Taf. IX) von Cod. Vind. Ser. n. 2625. In beiden Bildern wird hinter dem Vordergrundgeschehen ein Fernblick geboten, der besonders bei der Hirtenverkündigung nicht nur eine beträchtliche Tiefe, sondern auch eine kontinuierliche Entwicklung derselben von vorne weg aufweist. Allein der eigentliche Vordergrund ist in dieser Miniatur eine Bühne von erstaunlicher räumlicher Ausdehnung. Diese wird zwar von den Protagonisten nur bedingt genutzt, zumal sich drei der Hirten nahe am unteren Bildrand befinden und durch ihre Größe als der imaginären vorderen Bildebene am nächsten zu begreifen sind. Der in der linken unteren Ecke kauernde Mann hat sogar eine eigene, vom Terrainstück dahinter durch einen geringen Farbunterschied abgesetzte Bodenschwelle okkupiert. Dessen ungeachtet und obwohl der Schäfer schräg nach vorne zu orientiert ist (sich zum hinter ihm erscheinenden Engel also erst umzuwenden hat), gleitet von ihm weg der Blick über die auf einer Diagonale nach hinten zu gestaffelten, durchgehend verkürzt wiedergegebenen Schafe bis hin zu jenem Baum, über dem der Engel schwebt und der (zusammen mit dem mächtigen Felsen links) das Ende der Vordergrundbühne markiert, deren gesamte Tiefe hiermit gleichsam in einem Zug durchmessen werden kann. Sie wird durch eine Hügelkante, die durch einen mit seinem Oberkörper über sie herausragenden Hirten und mehrere zum Teil sichtbare Schafe als sanft nach hinten zu abfallend charakterisiert ist, von der nächsten Bildebene abgesetzt bzw. durch die eben beschriebenen Elemente (die graduell noch sichtbaren Figuren) auch mit ihr verbunden. Aber mehr als das. Die beiden rechts vorne plazierten Hirten – besonders der links stehende bildeinwärts gewandte Protagonist mit der Ausrichtung seines gesamten Körpers – markieren ihrerseits den Ausgangspunkt einer Schräge, die nicht auf dem vordersten Landschaftsplateau, aber auf den Terrainwellen dahinter durch diverse Bildelemente (die Haltung des halbverdeckten Mannes im Mittelgrund, eine in diese Richtung verlaufende Hügelkante und schließlich einen sich bis zu einer Gruppe ebenso angeordneter Bäume schlängelnden Weg) bis nach links hinten fortgesetzt wird. An diesem Punkt ist man bereits in einer ziemlichen Distanz angelangt, ja, unmittelbar neben den Bäumen wird die Horizontlinie sichtbar, ein blauer Streifen, vor dem sich (offenbar wieder ein Stück tiefer im Bild, weil von der linken Baumgruppe durch einen hier waagrechten Flußverlauf abgesetzt) eine Stadtsilhouette befindet. Rechts davon beschreibt der Wasserlauf einen Bogen um sie herum und verliert sich dann in der Bildtiefe, nicht ohne einem dritten Raumvektor Vorschub geleistet zu haben, der von den beiden entlang der Mittelachse aufgereihten Schafen initiiert wird und an dem eingangs beschriebenen, unterhalb des Engels befindlichen Baum vorbei gleichsam senkrecht in die Tiefe stößt. Ganz offensichtlich eignet dieser Miniatur also ein besonders komplexer Raumaufbau, der deshalb so frappant ist, weil er einerseits das Bildganze erfaßt, also alle möglichen Raumrichtungen umschließt, und dies dabei nicht über Raumsprünge, also voneinander abgesetzte Ebenen, und auch nicht über einzelne Richtungselemente wie einen Weg, eine Allee oder

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dergleichen leistet, sondern daß ein kontinuierliches Vortasten in die Tiefe ermöglicht wird, ja fast alle Bildelemente sich diesem Gestaltungsprinzip unterwerfen. Und dies, ohne die Bildhandlung – die ihrerseits durch die Positionierung des Engels im Mittelgrund, aber auch durch die Reaktion weit hinten und ganz klein dargestellter Figuren auf ihn (so links hinten auf dem Weg) verräumlicht ist – im mindesten zu beeinträchtigen. Die Rückenfigur des rechts vorne befindlichen Hirten mag bezüglich der Modellierung des Figurenzylinders zu wünschen übrig lassen, wie auch das Faltenrelief insgesamt keine besondere Betonung durch Hell-Dunkel-Werte erfährt – insgesamt erscheint die Miniatur jedoch als ein Meisterwurf, zumal ihr eine Dichte und Vielfalt eignet, die durch die souveräne Bildkomposition in eine buchstäblich auf einen Blick erfahrbare Einheit zusammengeführt wird. Die Darstellung der Flucht nach Ägypten auf fol. 81v (Taf. IX) folgt oberflächlich betrachtet einem ähnlichen Bildaufbau. Rechts befindet sich ein Felsen, der auch hier den Mittelgrund markiert, sich aber von vorne weg aufzubauen scheint, links öffnet sich ein Fernblick über graduell verblauende Wiesen bis zu einem Horizont, der – wohl um seine große Distanz anzuzeigen – ähnlich unspezifisch gehalten ist wie in der Hirtenverkündigung. Der Einstieg in diesen Ausblick erfolgt über einen Raumsprung, der zwar durch den links in einer sanften Krümmung schräg nach hinten hin verlaufenden Weg gemildert, aber nicht verhindert wird, zumal der Pfad vom linken Bildrand abgeschnitten wird, ehe er einen Übergang zum Geschehen in der Ferne bilden kann. Rechts wird das gleiche Mittel eingesetzt. Der Weg, auf dem die heilige Familie flieht, läuft in einer leichten Kurve in den rechten Bildrand – wobei eine Gabelung just davor in einen waagrechten und einen nach hinten zu verlaufenden Ast in einer entsprechend unterschiedlichen Ausrichtung von Josef und dem Esel resultiert, wobei Josefs ins Profil gewandter Kopf eine Erwägung des vom Esel eingebrachten Vorschlags auszudrücken scheint. Doch wird der nach hinten zu verlaufende Pfad gleich wieder unter Josefs rechtem Ellenbogen und dann entlang des rechten Bildrands immer wieder bis hin zur Hügelspitze sichtbar, die durch vergleichsweise kleine Bäume in etwa jene Entfernung gerückt ist, in der sich auch der bethlehemitische Kindermord im linken Ausblick abspielt. Bevor der Weg die Hügelkuppe erreicht, stößt er an ein Gatter, vor dem er sich erneut verzweigt und einen Ausläufer hin zu einem offenen Tempelchen ausbildet, wo goldene Götzenstatuen, das baldige Vorbeiziehen des wahren Gottes wohl vorausahnend, in grimmigen Verrenkungen von ihren Podesten stürzen. Strenggenommen zeigt die Miniatur auf fol. 81v also ein bildparalleles, im unmittelbaren Vordergrund situiertes Hauptmotiv, das links auf suggestive Weise, rechts durch die räumliche Ausrichtung zumindest eines Akteurs sowie ein mehr oder minder glaubhaft inszeniertes Terrainkontinuum an die Bildtiefe gebunden wird. Bis zu einem gewissen Grad muß jedoch auch hier von einem verräumlichten Geschehen gesprochen werden, da zum Einen klar ist, daß die heilige Familie aus dem linken (fernen) Bildteil kommt und sich (trotz gegenteiliger Bemühungen des Esels) in die rechte Ferne weiterbewegen wird. Zudem sind Landschaftskompartimente mit Nebenhandlungen besetzt, die mit der Flucht in einem unmittelbaren, weil kausalen Zusammenhang stehen und gemeinsam mit ihr betrachtet werden wollen. Somit hat man zwar zwei unterschiedliche Modi der Raumkonstruktion vor sich, jedoch ist beide Male ein hoher Grad an kompositioneller Durchdringung auch der Bildtiefe ge-

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geben. Die wirklich gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Miniaturen liegen in der ganz unterschiedlichen dekorativen Wirkung. Die Hirtenverkündigung ist eine in jeder Beziehung kleinteilige Bildlösung mit einer dicht gewebten Textur aus Formen, Farben und Inhalten, letztere insofern, als das Bild bis in Details und bis in die Ferne Interessantes birgt. Hinzukommt ein malerischer Schmelz, wobei das differenzierte Hell-Dunkel-Spiel primär ein vom Engel ausgehendes Beleuchtungslicht, darüber hinaus aber auch einen atmosphärischen Glanz suggeriert, zumal nicht nur die Bäume im Mittel-, sondern auch im Hintergrund gelb überstrahlt sind, die grau gehaltene Stadt rosa aufzuglimmen scheint und der Flußlauf, in dem sich die Bäume spiegeln, in strahlendem Weiß auch die Wolken reflektiert, die dem graduell sich zum Horizont hin aufhellenden Firmament eine der Landschaft darunter adäquate lebhafte Struktur verleihen. Im Rahmen der gemeinsamen Formensprache zeigt die Flucht nach Ägypten in den genannten Punkten größtmögliche Unterschiede. Daß die Farbigkeit sich im Wesentlichen auf Rot, Blau und ein freilich vielfach abgestuftes Grün beschränkt, mag teils themenbedingt sein. Daß jedoch alle Formen kompakter nicht nur in ihrem Umriß, sondern vor allem in ihrer realen wie suggerierten Oberfläche wirken, ist nicht so leicht zu erklären. Dabei fehlt es auch dieser Miniatur nicht an einer gewissen Lebhaftigkeit der Oberfläche, und sogar Lichtphänomene sind in Details wie der partienweise hellviolett aufleuchtenden Kapuze Josefs, im grauvioletten Kleid Marias oder auch an dem rosa Schimmer an der kleinen Kirchenarchitektur im linken Hintergrund zu erkennen. Das Irritierende ist, daß alle diese Effekte mit den gleichen technischen Mitteln, nur eben viel sparsamer eingesetzt werden, was für ein grundlegend anderes Form- und Farbgefühl in den beiden Bildern sprechen würde, die aber anscheinend von qualitativ relativ ebenbürtigen, sich derselben Malweise bedienenden Künstlern ausgeführt wären. Man gewöhnt sich nur schwer an diesen Gedanken. Doch sei hier ein Detail aufgeführt, das m. E. anschaulich, in einer Art „Nebenrolle“, die Auffassungsunterschiede in den beiden Bildern darzulegen vermag  : Es handelt sich um die Form der Bäume, die in der Hirtenverkündigung entweder mit hohen knorrigen Stämmen und ebenso knorrigen Kronen oder als duftige Laubkugeln wiedergegeben sind, wobei letztere selbst in größter Distanz durch tüpfelnde Malweise ihre differenzierte Struktur beibehalten. In der Darstellung der Flucht wird die hohe Variante bevorzugt, allerdings weist diese hier lange gerade Stämme und wenig verzweigte Kronen auf. Daß ihre Blätter farblich nicht so vielfältig ausgefallen sind wie die auf fol. 69v mag an der Abwesenheit eines für die nötige Lichtquelle verantwortlichen Engels liegen. Daß sie aber in größerer Entfernung durch halbkreisförmige Lavierungen mit relativ wenigen Tupfen ersetzt werden (ein Schicksal, das auch den mitunter buschigeren Laubkronen der wenigen gedrungenen Bäume im Hintergrund widerfährt), zeigt doch ihre insgesamt eher schematische Behandlung an. Aufschlußreich ist der Vergleich mit dem einzigen Exemplar dieser ein wenig langweilig wirkenden, schmalen und hochstämmigen Gattung in der Hirtenverkündigung, dessen Krone in die Lichtaureole des Engels ragt. Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zu den beiden Bäumen neben dem Götzentempel in der Fluchtminiatur gering. Eine ähnlich aufrecht verzweigte Struktur mit einer ähnlich spärlichen, in Büscheln angesetzten Belaubung scheint gegeben. Bei genauerer

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Betrachtung stellt man jedoch fest, daß die einzelnen Subkrönchen in der Hirtenverkündigung durch unterschiedlich helle Tupfer geradezu plastisch modelliert sind, die Baumkrone insgesamt also ein gewisses Volumen erhält, und die räumliche Verästelung der Zweige auch an der differenzierten Dicke der das Geäst markierenden Striche abzulesen ist  ; all dies entfällt in der Flucht nach Ägypten ersatzlos. Dieser Vergleich eines Vegetationsdetails mag unnötig spitzfindig wirken. Doch gibt es nur ein einziges weiteres Vollbild in Cod. Vind. Ser. n. 2625, das durchgehend die gleichen Gestaltungsprinzipien wie die Hirtenverkündigung auf fol. 69v aufweist, und eben dort finden sich auch die gleichen Baumtypen. Es handelt sich um die Epiphaniedarstellung auf fol. 73v (Taf. X). Der Bildaufbau ähnelt entfernt einer Komposition, die in einem Tafelbild eines Nachfolgers des Hugo van der Goes in der Sammlung H. Kisters in Kreuzlingen überliefert ist und in der die Anordnung und die Aktionen der Protagonisten jenen in der Wiener Miniatur entsprechen137. Doch ist die Art der räumlichen Erschließung auf fol. 73v eine genuine Leistung des Jakobsmeisters. Sie ähnelt jener der Hirtenverkündigung auf fol. 69v außerordentlich, trotz der anderen Ikonographie und daraus resultierend des gänzlich anderen Bildaufbaus. Auch in der Epiphanie fällt die explizite Verräumlichung des Vordergrundes mittels der Gruppierung der Figuren auf, wobei hier die schräg von links vorne weg in den Raum weisende Sitzgelegenheit Marias sowie das ebenfalls nach rechts hinten fluchtende Stalldach sich in diesem Vorhaben hilfreich erweisen. Allerdings wird der aggressive Tiefenzug der stereometrischen Gebilde nicht nur durch die bildparallele ruinöse Mauer, an der das Pultdach angebracht erscheint, sondern auch durch die entsprechend diesem Raumvektor schräg nach vorne gewandte Figur des mittleren Königs gebremst, der im Ausschreiten seinen Hut vor der links vorne das Christkind dem ältesten, knienden König präsentierenden Madonna zieht. Da auch diese Kerngruppe des Bildes räumlich versetzt angeordnet ist – das Gesicht des ältlichen Weisen ist zwar im Profil, sein Körper jedoch schon in leichter Rückenansicht gezeigt, und Maria ist parallel zur Verkürzung der Stallfront positioniert – ergeben sich zwei einander kreuzende Diagonalen, die (wenn auch über Barrieren, die eine gewisse Konzentration auf das Vordergrundgeschehen gebieten) in unterschiedliche Raumrichtungen führen. Der eigentliche Landschaftsausblick ist hier rechts im Bild  ; auf ihn weisen nicht nur die Fluchtlinien der Stallarchitektur, die in den hintereinander gestaffelten Bäumen im Anschluß an die Stallmauer eine Fortsetzung bis mitten ins Grüne erfahren, sondern (rein kompositionell) auch die aufrechte Gestalt des Mohrenkönigs am rechten Bildrand, dem sein Diener soeben erst das für das Christkind vorgesehene Geschenk reicht. Dabei zeigt die starke und unmotivierte Beschneidung des schwarzen Knaben durch den oberen wie den seitlichen Miniaturrahmen an, daß zumindest in diesem Detail ein Vorbild relativ exakt kopiert worden sein muß138, das 137 Friedländer 24–37, Bd. 4, Taf. 32. 138 Es könnte sich hierbei tatsächlich um eine Tafel wie jene in Kreuzlingen (und nicht um eine andere Miniatur) gehandelt haben, zumal gerade die beiden Pagenfiguren zahlreiche Ähnlichkeiten aufweisen  ; der Vergleich dieser beiden Werke zeigt aber auch, wie konsequent der Jakobsmeister seine eigenen Gestaltungsprinzipien verwirklichte.

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im vorliegenden Format nicht unterzubringen war. Weshalb der Künstler sich in dieser qualitativ bestechenden Miniatur nicht die Mühe machte, den Diener anders zu positionieren, ist nicht ganz verständlich. Vielleicht wollte er dem von rechts her ins Bild eindringenden Knaben eine Dynamik verleihen, die er bei einer exakten Einpassung in die rechte untere Ecke nicht gehabt hätte. Die Erklärung leuchtet nicht ganz ein, und man wird diese willkürliche Beschneidung des Motivs als eine der vielen ungelösten Fragen bezüglich der Ausstattung von Cod. Vind. Ser. n. 2625 akzeptieren müssen. Der Landschaftsausblick, der sich hinter dem Kopf des Mohrenkönigs auftut, wird ähnlich wie in der Hirtenverkündigung über eine Hügelkante erschlossen. Auch kommt es nicht zu einem Raumsprung, da durch den verkürzten Stall und die Abfolge der Bäume dahinter die beträchtliche Tiefe der vorderen Terrainzone angezeigt ist und somit die über der Hügelkante sichtbaren Figuren adäquat verkleinert erscheinen. Zudem wird der Eindruck eines abrupten Wechsels von der Nähe in die Ferne dadurch unterbunden, daß die versetzten Kronen der beiden hinteren schlanken Bäume in der an die Stallmauer anschließenden Baumgruppe ebenfalls einen sanft nach hinten zu abfallenden Hügel suggerieren. Die beiden Reiter auf diesem mutmaßlichen Hang erweisen sich als zum Gefolgszug der Magier gehörig, der in der Ebene dahinter sichtbar wird. Der eigentliche Hintergrund beginnt erst danach, in einer bereits verblauenden Zone graduell wieder ansteigender Hügel. Durch unverhältnismäßig große Bäume am Horizont wird der Eindruck der unendlichen Ferne, wie er in der Hirtenverkündigung evoziert ist, weitgehend unterbunden. Neben diesem eigentlichen Landschaftsausblick rechts gibt es auch links einen Zug in die Bildtiefe. Über dem Kopf Marias, durch eine hintere Öffnung des Stalles, die mit einem Gatter vom Freiraum abgegrenzt ist, entfaltet sich ein weiterer Raumvektor in Form eines sich auf ein Tal zuwindenden Weges, auf dem eine einzelne Figur ganz klein und doch so markant inszeniert einher schreitet, daß man nicht umhin kann zu überlegen, ob hier nicht der im eigentlichen Bildgeschehen abwesende Josef gemeint sei. In jedem Fall zieht diese auch farblich hervorgehobene Gestalt den Blick auf sich, also auch an dieser Stelle in die Tiefe. Dadurch wird letztlich, nicht anders als in der Hirtenverkündigung, die Allgegenwärtigkeit des Raumes thematisiert  : Während man ihn auf fol. 69v regelrecht durchschweifen kann und so die Qualität der Weite erfahrbar wird, erlebt man ihn auf fol. 73v als ein den Stall von allen Seiten umschließendes Fluidum. Dies auch deshalb, weil noch ein weiteres Fenster in der bildparallelen Mauer den Ausblick auf zwei beleuchtete Baumkronen und eine ansteigende Hügelkante freigibt, welch letztere anzeigt, daß sich die Bergformationen von rechts bis zu dem Tal links fortsetzen, und so zur Vereinheitlichung des Raumeindrucks beiträgt. Wenngleich also der Bildaufbau in Epiphanie und Hirtenverkündigung unterschiedlich erfolgte, bleibt doch das grundsätzliche Schema der Raumerschließung durch einander kreuzende Diagonalen das gleiche. Hinzukommen eine mit vergleichbaren Mitteln vorangetriebene Verräumlichung des Vordergrundes und eine Ausdehnung des Geschehens nach hinten zu, die sich in der Epiphanie freilich auf Nebenhandlungen (ähnlich wie in der Flucht auf fol. 81v) beschränken muß. Übereinstimmend ist auch die Figurenauffassung auf fol. 69v und auf fol. 73v, mit lebhaft im Raum agierenden, durchaus voluminösen Protagoni-

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sten. Am deutlichsten aber erscheint die Ähnlichkeit im Bildmuster selbst  : ein dichtes Gefüge aus Formen und Farben, welch letztere nicht nur mit einem exquisiten Gespür für Harmonien nebeneinander gesetzt sind, sondern auch eine große stoffliche Brillanz vermitteln. Auf andere Weise als in der Hirtenverkündigung entsteht auch in der Epiphanie der Eindruck einer lichtdurchfluteten Atmosphäre, die in den hellen, geradezu durchlichtet erscheinenden Formen am Horizont ihren kongenialen Ausdruck findet. Unter den ganzseitigen Miniaturen von Cod. Vind. Ser. n. 2625, die eine ähnliche Bildgestaltung wie die Flucht nach Ägypten aufweisen, befindet sich nur eine einzige mit einer Landschaft im Hintergrund. Es handelt sich um die Darstellung des Beato Alfonso auf fol. 152v (Taf. XI), die einzige großformatige Miniatur zu den Heiligensuffragien im Wiener Stundenbuch, die dem Jakobsmeister zugeschrieben wird139. Alfons, Bischof von Ciudad Rodrigo und Oviedo, steht auf der vertikalen Mittelachse des Bildes in einer Art Vorhalle, die durch zwei Öffnungen links und rechts den Blick in eine Landschaft freigibt. Seine Frontalität wird durch eine leichte Wendung nach rechts aufgebrochen, die durch das vorgeschobene rechte (im Bild linke) Bein ebenso angezeigt wird wie durch die asymetrische Aktion der Hände und die Drehung des Kopfes. Hinter dem Heiligen ist ein rotes Ehrentuch mit golden/blau alternierendem Muster gespannt, rechts von ihm befindet sich eine steinerne Bank mit einem Rundbogenfenster darüber, die beide durch den Bildrand überschnitten werden. Links öffnet sich ein ebenso rundbogiges Portal, von dem weg eine Treppe nach links hinab ins Freie führt, wie an einem bildparallelen Geländer ersichtlich wird. Obwohl der Landschaftsausblick gleich über der Treppe einsetzt, sind die ersten erkennbaren Motive, zwei an einem Fluß grasende Rehe, durch ihre geringe Größe bereits in weite Ferne gerückt. Hinter dem bildparallelen Wasserlauf, an dessen Ufer einige Bäume wachsen, führen verblauende Wiesen hin zu einer von Bäumen umgebenen Kirche und dann weiter zu dem unspezifisch gestalteten Horizont. All dies ist in dem schmalen Streifen der Portalöffnung untergebracht. Der Ausblick durch das rechte Fenster zeigt den oberen Teil eines schmalen schlanken Baumes, der folglich in dem sonst durch nichts angezeigten Mittelgrund situiert sein muß. Die gerade noch ersichtliche Kuppe eines weiteren Baumes lokalisiert diesen in etwa auf Höhe des Flusses, eine weitere Baumgruppe knapp darüber scheint dieselbe Ebene wie die Kirche links einzunehmen, und auch die Horizontlinie, obwohl etwas höher gezogen als im linken Ausblick, wirkt doch als glaubwürdige Fortsetzung der fernen Hügel links, wodurch im Hintergrundpanorama Einheit gestiftet wird. Vor allem die etwas schematische Ausführung der durchaus stimmungsvollen Landschaft, deren ungestörte Ruhe sich in dem einheitlich blauen, graduell zum Horizont hin aufgehellten Firmament wiederholt, erinnert an jene in der Darstellung der Flucht nach Ägypten (Taf. IX). Auch daß der Fernblick über einen Raumsprung erlebt wird, zu dem zwar auf suggestive Weise (hier durch die Treppe, dort durch den Fluchtweg der heiligen Familie) vermittelt, nicht aber durch Raumvektoren übergeleitet wird, ist in den beiden Bildern identisch. Selbst der Versuch, in der Darstellung des Heiligen rechts einen Mittelgrund einzubringen 139 D. Thoss in Wien 1987, S. 155.

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(gleichsam als Pendant zum kontinuierlich erschlossenen Felsen auf fol. 81v) könnte auf eine ähnliche Raumauffassung wie auf fol. 81v deuten  ; allerdings ist der einzelne Baum ein unzureichender Ersatz für den in seiner Tiefe nachvollziehbaren Hügel, den die Heilige Familie zu erklimmen gedenkt. Dafür ist der Vordergrund auf fol. 152v weit stärker verräumlicht als auf fol. 81v, zumindest im unteren Teil der Miniatur, wo ein alternierend gemusterter Kachelboden, zusammen mit der in der rechten unteren Ecke ansetzenden Steinbank, für eine klare Definition der Raumbühne sorgt. Der tiefste Fernblick wird ebenfalls im unteren Bilddrittel geboten. Mit einem gewissen Erstaunen stellt man fest, wie sich das Bild kontinuierlich nach oben zu verflächigt. Schon über der Fensterbank rechts bzw. einer kleinen, in der Türöffnung sichtbar werdenden Brüstung links, noch unterhalb der horizontalen Mittelachse, werden nur mehr der vor dem Ehrentuch scharf konturierte Heilige und eine unspezifische Ferne wahrgenommen, im oberen Bildteil bietet dann lediglich die duftige Krone des schlanken Baumes einen räumlichen Anhaltspunkt neben dem von rotem Stoff und Himmelsblau flächig hinterfangenen Haupt. Zu diesem Eindruck trägt ganz wesentlich ein bedeutsames Mißverständnis bei  : das in der bildparallelen Rückwand eingelassene Fenster schließt mit einem genau den gleichen Platz beanspruchenden Rundbogen ab wie das Portal links. Letzteres öffnet sich aber nicht in der Rückwand, sondern in einer unmittelbar neben dem Ehrentuch ansetzenden Seitenwand. Der linke Rundbogen ist also, obwohl praktisch identisch mit dem rechten gestaltet, räumlich verkürzt zu denken, was nicht nur das Können des Künstlers, sondern offenbar auch seine Vorstellungskraft überfordert hat, da er nicht die geringste Anstrengung unternahm, die zugegebenermaßen schwierige Aufgabe (etwa durch einen abweichenden Radius des Bogensegments, der dieses vom rechten unterschieden und zumindest den dekorativen Gleichklang aufgebrochen hätte) zu bewältigen. Hier kommt es, ähnlich wie in der Marienkrönung auf fol. 88v (Taf. V), zu einer Spannung zwischen Flächenmuster und Raumprojektion, wobei man sich offenbar im Zweifelsfall zugunsten des ersteren entschied. Und doch scheint die Ausführung des Heiligen unsere bisherigen Beobachtungen Lügen zu strafen. Zwar scheint Alfons derselben Familie wie Josef auf fol. 81v zu entspringen und eher ein entfernter Verwandter des ältesten Magiers auf fol. 73v zu sein, sofern die unterschiedliche Größe und Präsentation der Genannten eine solche Beurteilung überhaupt zuläßt. Doch ist die gesamte Figur auf fol. 152v mit großem Verständnis für Oberflächenwerte gestaltet, der suggerierten wie der tatsächlichen. Das bedeutet, daß die dichte Struktur der Malerei an sich ein ästhetisches Erlebnis zuläßt, das dem in der Hirtenverkündigung und der Epiphanie gebotenen gleichkommt, und daß auch die vielfältige stoffliche Beschaffenheit durch die unterschiedliche Reaktion der diversen Materialien auf das von links vorne einfallende Bildlicht veranschaulicht wird (also in verschiedenen Bereichen mit unterschiedlicher Helldunkel- oder Farbspanne modelliert wird). Darüber hinaus ist zwar das Gesicht des Heiligen weitgehend flächenhaft, sogar graphisch gestaltet, und die klaren Konturen zum (gegenüber dem Mantel komplementärfarbigen, also auf größte Kontrastwirkung angelegten) Vorhang binden die Figur an die Fläche  ; doch zeigt der Fall der Mantelborte an, daß Alfons von seinem Umhang räumlich umfangen wird, aus dem er sich gerade mit einem Schritt nach vorne hin zu lösen scheint. Wiederum muß man feststellen, daß die unterste Partie die raumhaltigste ist  ; die um den Hals gelegte Stola so-

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wie die Goldbordüre des Mantels ebenda führen zwar um das Haupt herum, de facto enden die beiden verschiedenfarbigen Streifen jedoch an der jeweiligen Gesichtskontur, ohne durch eine entsprechende raumgreifende Form ein Umspielen des Nackens anzuzeigen. Somit bleibt es letztlich die auf brillante Oberflächenschilderung abzielende Malweise, welche die Darstellung auf fol. 152v mit jenen auf fol. 69v und 73v verbindet. Demgegenüber wirkt das Volumen des seligen Alfons im Vergleich zu jenem des bärtigen und des Mohrenkönigs in der Epiphanie trotz allem gering, wozu nicht nur die lebhafte Beweglichkeit der beiden Weisen im Raum, sondern auch die Artikulation ihres Umfanges durch Modellierung wie Gewandführung beiträgt. Darüberhinaus scheint auch das blaue golddurchwirkte Wams des schwarzen Magiers differenzierter auf das Licht zu reagieren als die entsprechende Kasel des Bischofs. Überhaupt zeigt gerade die Gegenüberstellung der beiden Miniaturen im Hinblick auf Farb- und Oberflächengestaltung, um wie viel subtiler das Thema in der Epiphanie durchgespielt wurde  : Man beachte, wie der bärtige, der Mohrenkönig und sein Diener jeweils zwei blaue Kleidungsstücke tragen, die alle sechs durchwegs von einer anderen stofflichen Beschaffenheit zeugen, was durch feine Unterschiede in den Farbausmischungen (im Grundton oder in der Modellierung) und unterschiedliche Hell-Dunkel-Spannen souverän umgesetzt wird. Mit diesem verfeinerten Chromatismus kann die Miniatur des Beato Alfonso nicht mithalten, auch wenn die Figur des Heiligen in ihrer malerischen Ausführung durchaus besticht. Das Resultat der bislang angestellten Beobachtungen ist, daß es innerhalb der dem Jakobsmeister zuzuordnenden Ausstattung von Cod. Vind. Ser. n. 2625 Auffassungs- wie Ausführungsunterschiede gibt  ; hinzu kommt mitunter (so in der Darbringungsminiatur) ein deutlicher Qualitätsabfall, ohne daß ein gewisses Niveau und der Rahmen einer bestimmten Formensprache verlassen würden. Dies gilt selbst für die ganzseitigen Miniaturen  ; die kleinen Textbilder wurden noch gar nicht mit berücksichtigt. Darüber hinaus existieren zwei Darstellungen, die insofern in engem Konnex mit dem Jakobsmeister entstanden sein müssen, als sie zwei im vatikanischen Stundenbuch befindliche Miniaturen des Künstlers bis ins Detail wiederholen  : die Vollbilder des Jüngsten Gerichts auf fol. 102v (Taf. XII) und einer Totenwache auf fol. 118v (Taf. XIII) von Cod. Vind. Ser. n. 2625. Doch sind just sie sowohl technisch als auch bezüglich des Motivrepertoires nicht mit den übrigen Miniaturen unseres Künstlers im Wiener Stundenbuch in Einklang zu bringen. In Anbetracht dessen, daß der Jakobsmeister hier mit Gehilfen zusammenarbeitete, die seine Technik und sein Formgefühl bis zum Verwechseln imitierten, scheint es unzulässig, auch das Jüngste Gericht und die Totenmesse als Werkstattarbeiten zu bezeichnen, da der sie ausführende Maler über ein eigenes Typenrepertoire und eine der raffinierten Pinselschrift des engsten Jakobsmeister-Kreises kraß hinterherhinkende, vergleichsweise simple Malweise verfügte. Tatsache ist jedoch, daß anscheinend beide Kooperationsformen nebeneinander existierten  : Kräfte, die sich die Formensprache des Meisters bis in Details aneignen konnten, wollten oder mußten, arbeiteten neben solchen, die dazu nicht imstande, motiviert oder verpflichtet waren. Anders läßt sich der große formale wie Qualitätsunterschied zwischen diesen beiden und den anderen dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen (inklusive der Darbringung auf fol. 77v) nicht erklären.

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Doch offenbaren die beiden letztgenannten Miniaturen noch ein anderes Problem  : Sie gehören zu jenen seltenen Exemplaren im Œuvre des Jakobsmeisters, die als exakte Kopien nachweisbar sind. Wenn auch ein Großteil der damaligen Handschriftenproduktion heute verloren ist und sich daher ein verzerrtes, ja falsches Bild vom diesbezüglichen Verhalten unseres Künstlers ergeben könnte, spricht doch viel dafür, daß er zu den wenigen Buchmalern seiner Zeit gehörte, der weder seine eigenen Arbeiten noch die anderer wiederholte, sondern Vorlagen stets in einer kreativen Auseinandersetzung, der man das Bemühen um künstlerische Weiterentwicklung ansieht, variierte. Ungern würde man also die beiden qualitativ höherwertigen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs als Kopien bezeichnen – was sie aber sein müssen, wenn das vatikanische Stundenbuch nach dem Wiener entstanden sein sollte, selbst dann, wenn nicht die Wiener Bilder, sondern eine gemeinsame Vorlage als Vorbild gedient haben sollte. Sind sie es nicht, so müßten die Wiener Bilder nach den vatikanischen entstanden sein, also diese kopiert haben, da keine andere Vorlage verfügbar gewesen wäre. Folglich wäre Cod. Vind. Ser. n. 2625 nach Cod. Vat. Lat. 3770–68 entstanden. Die herkömmliche Datierung beider Handschriften ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts schließt dies nicht aus, und die jüngste Datierung des vatikanischen Stundenbuchs um 1500 ohne gleichzeitige Festlegung einer Entstehungszeit des Wiener Codex ebenfalls nicht140. Ganz anders der stilistische Befund. Ehe jedoch die Wiener mit der vatikanischen Handschrift systematisch verglichen werden kann, wird es vonnöten sein, weitere, zweifellos ein Hauptwerk unseres Malers, einer ausführlichen Untersuchung zu unterziehen.

Das vatikanische Stundenbuch Der heute dreibändige Codex Vat. Lat. 3770–68, eine Kombination von vorangestelltem Psalterium und Stundenbuch nach römischem Usus, weist einen äußerst reichen Buchschmuck auf, der fast zur Gänze dem Jakobsmeister zugeschrieben wird141. Mit Ausnahme der ganzseitigen Darstellung der Epiphanie auf fol. 151v des ersten Bandes (Vat. Lat. 3770), einiger weniger Textbilder in den Offizien, der Kalenderillustrationen und des (allerdings spärlichen) figürlichen Bordürendekors142 zeigen alle Minia­turen seine Formensprache, eine in seinem erhaltenen Œuvre äußerst seltene Konstellation, die um so glücklicher erscheint, als das vatikanische Stundenbuch einen (ersten) Höhepunkt im Schaffen unseres Künstlers markiert. Betrachtet man diese Konstellation genauer, so erscheint sie höchst erstaunlich. Die überaus umfangreiche Ausstattung, die ja eine enorme Arbeitszeit beansprucht haben muß, würde eigentlich eine Zusammenarbeit mehrerer Künstler nahelegen, wie sie in vielen auch weniger bilderreichen Handschriften ja durchwegs praktiziert wurde. Dies um so mehr deshalb, als das 140 Vgl. dazu die verständlicherweise vorsichtige Stellungnahme Krens in London – Los Angeles 2003, S. 367, Anm. 5. 141 London – Los Angeles 2003, S. 374 ff. (Nr. 111.)  ; S. 529 (Literaturangaben). 142 Vgl. hier Anm. 132.

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vatikanische Stundenbuch offenbar auch in einer Zeit entstand, da der Jakobsmeister sehr beschäftigt gewesen sein muß. Vier der sechs hier als frühe Gruppe zusammengefaßten Arbeiten scheinen in einem relativ geringen Zeitabstand von wenigen Jahren entstanden zu sein  ; überdies sind die erhaltenen Werke vermutlich nur ein geringer Teil der tatsächlichen, heute verlorenen Produktion143. Und schließlich hat der Jakobsmeister ja in jedem Fall auch im vatikanischen Stundenbuch auf andere Arbeitskräfte zurückgegriffen, nämlich auf jene, deren Formenvokabular und Technik sich auf den ersten Blick mühelos von jenen unseres Künstlers unterscheiden lassen und deren Anteil einleitend aufgezählt wurde. Die Willkürlichkeit, mit der ihre Beiträge Abb. 19: Verkündigung; Rom, Biblioteca innerhalb des Miniaturenzyklus verstreut Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, sind144, erstaunt dabei besonders  : Nach wel- Stundenbuch, fol. 133v. chen Gesichtspunkten vergibt ein einzelner Maler, der eine ungewöhnlich große Anzahl von Miniaturen schafft, ausgerechnet einige wenige an Gehilfen  ? Plausibler wäre die Streuung schon, wenn auch die übrigen Miniaturen von mehreren Illuminatoren ausgeführt worden wären, sich auch das Gros des (homogenen) Buchschmucks also auf eine größere Anzahl von Meistern aufteilen ließe. Und tatsächlich sprechen auch einige stilistische Faktoren dafür, daß dies durchaus der Fall gewesen sein könnte. Denn ungeachtet ihres homogenen äußeren Erscheinungsbildes lassen die dem Jakobsmeister zugeschriebenen ganzseitigen wie kleinformatigen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs bei einer genaueren Analyse mannigfache Unterschiede erkennen, die zugegebenermaßen nicht leicht zu deuten sind und wenig Grundlage für eine simple Händescheidung 143 Vgl. die von Gerhard Schmidt in G. Brucher (Hrsg.), Gotik (Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich II, München u. a. 2000, S. 466–489), auf S. 466 geäußerte Vermutung, daß in Österreich etwa 10–15% der spätmittelalterlichen Handschriften erhalten seien, und die noch pessimistischere Einschätzung des verbliebenen Bestandes aus derselben Zeit für Deutschland, konkret die Oberpfalz, durch Robert Suckale in Gullath-Hamburger-Schneider-Suckale 2002, S.165. Ähnlich wird sich der Sachverhalt auch bezüglich der flämischen Handschriften des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts darstellen  ; die ungleich größere Zahl erhaltener Exemplare ist mit Sicherheit proportional zur ungleich höheren Buchproduktion in diesem Kunstzentrum als in den genannten Regionen. 144 Sowohl die Textminiaturen als auch das Vollbild befinden sich innerhalb mehr oder minder geschlossener Illustrationszyklen (im Falle der Epiphanieminiatur in der Bilderfolge des Marienoffiziums) im Jakobsmeister-Stil.

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Abb. 20: Heimsuchung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 139v.

bieten. Andererseits sind sie unübersehbar und konsequent verwirklicht, so daß man sie nicht von vornherein als bloße Schwankungen in der Tagesverfassung des Künstlers abtun sollte. Zu unterscheiden sind zwei deutlich divergierende Stiltendenzen  : Zum einen gibt es Miniaturen mit im Verhältnis zur Bildfläche relativ kleinen Figuren und einem deutlichen Hang zur Verräumlichung des Bildgeschehens. Zum anderen existiert eine Gruppe halb- (oder zumindest groß-)figuriger Bilder mit einer davon deutlich abweichenden Auffassung  : Zwar sind auch sie mit einem klar nachvollziehbaren Raumgefüge ausgestattet, doch entwickelt sich dieses erst in einer zweiten Bildebene, während der unmittelbare Vordergrund von frontal konzipierten Protagonisten sowie durch bildparallele Handlungen verstellt ist. Eine Erklärung für die genannten Unterschiede scheint rasch gegeben  : der gänzlich andere Bildtypus, mit dem ein völlig anderer Figurenmaßstab einhergeht und der folglich auch andere Methoden der Bilderzählung erfordert. Dies ist tatsächlich unbedingt zu berücksichtigen. Allerdings erscheinen in einigen zur zweiten, großfigurigen Bildkategorie gehörigen

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Abb. 21: Geburt Christi; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 145v.

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Abb. 22: Verkündigung an die Hirten; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 148v.

Miniaturen die Akteure auch ganzfigurig und dementsprechend kleiner, ohne daß die Frontalisierung der vorderen Bildebene aufgegeben würde. Und schließlich gibt es auch Darstellungen innerhalb der Handschrift, in der die Gestaltungsprinzipien beider Gruppen einander überlappen  : kleinfigurige, verräumlichte Bilder, die dennoch eine deutliche Tendenz zur Frontalisierung der vorderen Bildebene erkennen lassen, und einige großfigurige Miniaturen, die eine Einbettung der Akteure in den Bildraum offensichtlich anstreben. Am reinsten ist die nicht immer halb- und großfigurige, aber immer frontal konzipierte Bildvariante in den Miniaturen zur Kindheitsgeschichte Jesu im ersten Band des Stundenbuchs (Cod. Vat. Lat. 3770) vertreten  : in der Verkündigung auf fol. 133v (Abb. 19), in der Heimsuchung auf fol. 139v (Abb. 20), in der Geburt Christi auf fol. 145r (Abb. 21), in der Hirtenverkündigung auf fol. 148v (Abb. 22), in der Darbringung auf fol. 154v (Abb. 23), in der Flucht nach Ägypten auf fol. 157v (Abb. 24) und im bethlehemitischen Kindermord auf fol. 161v (Abb. 25). Abgesehen von gewissen Qualitätsunterschieden in der Malweise (besonders die Heimsuchung und der Kindermord zeigen eine härtere, weniger subtile Ausführung) deutet alles darauf hin, daß sämtliche dieser Vollbilder von einem Individuum gemacht wurden, das die oben beschriebenen Gestaltungsprinzipien konsequent verwirklichte. In der Ver-

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Abb. 23: Darbringung Jesu im Tempel; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 154v.

kündigung auf fol. 133v (Abb. 19) beispielsweise wird ein beträchtlicher Teil der Bildfläche von den beiden halbfigurig dargestellten Protagonisten eingenommen. Maria ist von der Lektüre ihres Buches, das sich auf einem rechts von der Rahmenleiste überschnittenen Betpult befindet, aufgeschreckt und verharrt in ihrer Drehung hin zu dem von links her eintretenden Engel frontal im Bild. Der Kontur ihres blauen Mantels hebt sich klar von dem sie hinterfangenden roten Himmelbett ab, was ihrem ohnehin äußerst geschlossenen Erscheinungsbild zusätzliche Stabilität verleiht. Obwohl ihre linke, in den Raum hineingeschobene Schulter ein wenig abgedunkelt und die rechte mit kurzen Goldschraffuren gehöht ist, bleibt ihre Gestalt insgesamt durch den Umriß bestimmt, umso mehr deshalb, als mit dem Himmelbett hinter ihr ein prinzipiell aggressiv räumliches, durch seine einheitliche Farbe bis zu einem gewissen Grad aber auch flächendekoratives Element für einen nicht zu überwindenden Kontrast zu ihrer ganz nach vorne geschobenen Figur sorgt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Gabriel, der zwar schräg in den Raum gedreht ist, indes durch mangelnde Modellierung des Figurenzy-

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Abb. 24: Flucht nach Ägypten; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 157v.

linders keine Bestätigung dieser Disposition erfährt. Seine Flächenhaftigkeit steht in einem (allerdings nur verzögert, durch den Fliesenverlauf auf dem Boden und die verkürzte Bettkante zwischen den Figuren wahrnehmbaren) Gegensatz zu dem hinter ihm sich öffnenden dreidimensionalen Interieur. Durch das buntfarbige Kolorit seiner Erscheinung sowie durch ausschließlich bildparallele Kompositionslinien bezieht er sich einzig auf die Madonna und wird in der vorderen Bildebene verspannt  : Sein rechter Kontur schwingt im Gleichklang mit der linken Umrißlinie Marias und setzt sich in einem über den Flügel gebildeten Bogen zum Kopf der Jungfrau fort. Zugleich mündet seine weisende Rechte in den Verlauf dieses Flügels und vollendet das kompositionelle Liniengefüge des Vordergrundes, dem jede Anbindung an den tiefenräumlich konstruierten Hintergrund fehlt. Nun folgen aber auch jene drei Szenen des Marienzyklus, die vergleichsweise kleinere Figuren aufweisen, den gleichen Gesetzen. In der Flucht nach Ägypten auf fol. 157v (Abb. 24) etwa geleitet Josef im unmittelbaren Vordergrund einer sich links in die Tiefe erstreckenden

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Abb. 25: Bethlehemitischer Kindermord; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 161v.

Landschaft den Esel mit der Gottesmutter und dem Kind auf einem Weg, der eigentlich in einer Krümmung von links hinten kommend und weiter nach rechts hinten verlaufend gedacht wäre. Doch kommt dies in Anbetracht der bildparallelen Bewegung der Akteure (vor allem Josefs, der sich, ersichtlich an seinem ein wenig aus der Achse gedrehten rechten Fuß, nachgerade schräg nach vorne zu bewegen scheint) nicht zur Wirkung. Mit einem in seiner Kompromißlosigkeit bemerkenswerten Rot-Blau-Akkord sind die beiden Protagonisten vor die in zarten Blau- und Grüntönen gehaltene Landschaft gestellt. Besonders die ganz in ihren Mantel gehüllte Jungfrau wird ausschließlich vom Kontur her erlebt. Ungeachtet des anderen Bildtyps (Interieur vs. Landschaft, große, statische vs. kleine, in Bewegung begriffene Figuren) ist die Wirkung dieser Miniatur jener auf fol. 133v unmittelbar vergleichbar, und es kann kein Zweifel bestehen, daß dieselben Intentionen hinter den jeweiligen Bildlösungen stehen.

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Wie sehr das Gesagte zutrifft, offenbart der Vergleich der soeben besprochenen Flucht nach Ägypten auf fol. 157v von Cod. Vat. Lat. 3770 mit der bereits bekannten Miniatur selben Inhalts auf fol. 81v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. IX). Die Unterschiede in der Raum- (und als Folge davon auch in der Figuren-)Auffassung zwischen diesen beiden Bildern sind beträchtlich, und das trotz denkbar großer motivischer Übereinstimmungen. Beide Male reitet Maria auf einem von Josef geführten, bildparallel einherschreitenden Esel im Damensitz. In ihren Armen hält sie ihr in Windeln gewickeltes Kind, dem sie in der vatikanischen Miniatur überdies gerade die Brust reicht. Die psychologische Verdichtung im vatikanischen Stundenbuch erstreckt sich auch auf Josef, der sich mit besorgtem Blick nach Mutter und Kind umwendet, während er sich eiligen Schritts auf den rechten Bildrand zubewegt. Aber nicht nur diesbezüglich ist die Lösung in Cod. Vat. Lat. 3770 die glücklichere. Auch die Verteilung der Figuren auf der Bildfläche wirkt um einiges besser ausbalanciert. In Cod. Vind. Ser. n. 2625 entsteht durch die Verschiebung der Gruppe nach rechts der Eindruck, als würde der Esel demnächst mit dem rechten Bildrand kollidieren, abgesehen davon, daß die Rechtslastigkeit der Komposition die Wirkung der Darstellung insgesamt beeinträchtigt. Freilich hat das kompositorische Ungleichgewicht in Cod. Vind. Ser. n. 2625 seinen Grund (obschon dieser nicht zu kompositorischem Ungleichgewicht führen müßte). Durch die Verschiebung der Figuren nach rechts wird links ein unverstellter Ausblick in die Bildtiefe und auf das dort stattfindende Geschehen gewährt. Doch waren offensichtlich Aspekte der Raumauffassung, nicht erzähltechnische Erwägungen, das entscheidende Movens für diesen Kunstgriff, zumal hinter dem Körper Mariens in der vatikanischen Miniatur ebensoviel Platz für die Schilderung des bethlehemitischen Kindermordes geblieben wäre wie neben dem ansteigenden Felsen auf fol. 81v von Cod. Ser. n. 2625. Der Illuminator benötigte dort die linke untere Bildecke für den in einer Kurve vom linken Bildrand (und über die dort suggerierte Terrainschwelle hinweg aus dem Hintergrund) kommenden Weg, der ein de facto nicht gegebenes Raumkontinuum suggerieren soll. Hier manifestiert sich ein durchaus anderes Raumgefühl als in der vatikanischen Miniatur, wo die Frontalisierung, aber auch die Suggestion von Tiefenraum durch Maßstabsprünge bzw. die Hintereinanderstaffelung bildparalleler, zugleich aber größen- und farbmäßig distanzierter Elemente maximal vorangetrieben ist. Obwohl der Fernblick nicht weniger, sondern eher noch mehr Überzeugungskraft als in der Wiener Miniatur besitzt, da die prägnante Schilderung der fernen Gebirgskette, der Hügel und der Stadt davor sowie des vom Kopf Mariens partiell verdeckten, schräg verkürzten Flusses enorme Tiefe suggerieren, wird jegliche Verbindung mit dem Vordergrund unterlassen  ; die Ebene zwischen Fern- und Nahsicht ist mit wahllos verstreuten Objekten nahezu musterartig gefüllt, es entstehen nicht einmal jene bildparallelen Sequenzen, deren Staffelung in der Wiener Miniatur ein Fortschreiten in die Tiefe ermöglicht. Ganz anders ist jeweils auch der rechte Bildteil gelöst. Der mächtige Felsen in Cod. Vat. Lat. 3770, durch die darauf befindlichen Figuren sowohl in seiner Größe als auch in seiner Distanz klar definiert, ist ein riesiges bildparalleles Gebilde, das dem Blick eher Einhalt gebietet als ihn weiterführt, ganz im Gegensatz zu dem an dieser Stelle in der Wiener Miniatur gezeigten Hügel mit dem daran emporführenden Weg und dem prominent in einiger Entfernung inszenierten Götzensturz.

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Verglichen mit der vatikanischen hat in der Wiener Miniatur die räumliche Gestaltung auch die Figuren erfaßt. Josef hat sich dem Weg folgend bereits wieder in den Raum hinein gewendet und seinen Aufstieg auf den Hügel begonnen. Freilich hat dies zur Folge, daß die Figuren eigenartig beziehungslos wirken  : Maria präsentiert ihr Kind dem Betrachter, der Esel ist bildparallel dargestellt, während Josef von hinten zu sehen ist und nur den Kopf ins Profil dreht. Letzteres wirkt sich besonders ungünstig auf Aktion, Präsentation und inneren Zusammenhalt der Gruppe aus, zumal der Nährvater damit erst recht den Eindruck erweckt, in den rechten Miniaturrand zu laufen, obwohl seine übrige Ausrichtung eines Besseren belehren sollte. Hinzu kommt, daß seine Schrittstellung offensichtlich von einer bildparallel bewegten Figur übernommen und durch das Drehen der Füße nach hinten zu einer raumorientierten gemacht wurde. Dadurch wirkt das, was bildparallel als passabler Schritt ausgesehen hätte (zu überprüfen in der vatikanischen Miniatur), nun ausgesprochen zeppelnd, weil für eine Bewegung im Raum zu kurz. Offensichtlich manifestiert sich hier einmal mehr eine gewisse Unerfahrenheit, und man kann nur staunen, wie wenig davon dem Illuminator der vatikanischen Fluchtdarstellung angelastet werden kann. Einem Ungleichgewicht seiner Komposition wirkt er trotz entschiedenen Ausschreitens Josefs und des Esels nach rechts dadurch entgegen, daß der Nährvater sich zu Maria umwendet und das Grautier (wie an seinem ganz schwach noch sichtbaren linken Auge deutlich wird) nachgerade mit einem freundlichen Lächeln soeben noch Maria zugewandt war, nun aber auf die Betrachtenden blickt  ; man vergleiche demgegenüber den griesgrämigen Ausdruck des Esels in Cod. Vind. Ser. n. 2625, was durch seine leicht zurückgelegten Ohren noch gesteigert wird. Dies ist auch für die psychologische Wirkung der Gruppe in Cod. Vat. Lat. 3770 von großer Bedeutung, die somit durch ein liebevolles, umsichtiges Aufeinanderbezogensein aller (inklusive des Tieres) gekennzeichnet ist und dadurch – mehr noch als die kompositionelle Ausgewogenheit – der Miniatur eine der Erzählung adäquate Harmonie verleiht. Die beiden (annähernd gleich hohen, dabei aber unterschiedlich breiten145) Hirtenverkündigungen auf fol. 69v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. VIII) und auf fol. 148v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 22) zeigen teils ähnliche Unterschiede wie die Darstellungen der Flucht. Im vatikanischen Stundenbuch wird die unmittelbare, durch eine Terrainschwelle von der nächsten Raumebene getrennte Vordergrundbühne von zwei Hirten fast zur Gänze okkupiert, die mit ausladenden Gesten und Gewändern die nun schon bekannte Verstellung und Frontalisierung des Vordergrundes gewährleisten  ; ein schlafendes Hündchen in der linken unteren Bildecke unterstützt sie dabei. Hinter ihnen steigt kontinuierlich ein Hügel nach rechts zu an, der weiter unten einer Schafherde, dann dem nach oben weisenden, mit ausgebreiteten Flügeln seine eigene räumliche Schrägstellung in die Fläche verspannenden Verkündigungsengel und schließlich noch zwei stehenden Hirten mit einer weiteren Gruppe von Tieren Platz bietet, ehe er in einer sanften bewaldeten Kuppe endet. Links wird ein Ausblick auf eine Stadt und ein fernes Gebirge mit schneebedeckten Felsen geboten. 145 Cod. Vat. Lat. 3770  : Schriftspiegel (also inneres Bildfeld) 11,2 x 8,4 cm, Cod. Vind. Ser. n. 2625  : Schriftspiegel (also inneres Bildfeld) 10,7 x 6,7 cm.

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Im Gegensatz zu anderen Miniaturen von Cod. Vat. Lat. 3768–70 ist hier das Prinzip des frontalisierten Vordergrundes nicht (durchgehend) mit einem abrupten Raumsprung, sondern mit einer graduellen Tiefenentwicklung kombiniert. Die vordere Raumebene ist durch die ausladenden Figuren und das hier aufgeklappt wirkende Terrain nahsichtig und flächendekorativ organisiert. Erst in der Ebene dahinter, die nach einer Schwelle einsetzt, wird mit dem ersten, stark verkürzten Schaf ein Raumvektor eingeleitet, dessen Verlauf exakt jenem des gesamten Hügels entspricht. Allerdings wird dieser Tiefenzug anschließend nur mehr durch Hintereinanderstaffelung bildparallel dargestellter Tiere und Landschaftselemente fortgesetzt, also seiner Dynamik beraubt um nicht zu sagen  : ständig gebremst. Die Ausrichtung aller fünf, sogar der beiden im Vordergrund plazierten Akteure nach vorne tut das ihre, um die zahlreichen raumschaffenden Elemente in eine grundsätzlich flächenkonforme Komposition zurückzuführen. Die Wiener Hirtenverkündigung scheint bezüglich der Raumgestaltung das genaue Gegenteil. Zwar gibt es auch in Cod. Vind. Ser. n. 2625 im unmittelbarsten Vordergrund eine (jedoch nur schwach ausgebildete) Terrainschwelle, auf der ähnlich frontal wie sein Pendant in Cod. Vat. Lat. 3770 ein Hirte kauert. Allein die geringere Größe der Figur sowie ihr um den Dudelsack herum geführter linker Arm wirken einer ähnlichen Frontalisierung wie in der vatikanischen Miniatur entgegen  ; abgesehen davon okkupiert statt eines zweiten Schäfers ein aufrecht sitzender, aber recht unscheinbarer Hund die rechte untere Bildecke, während zumindest einer der beiden bereits vom unteren Bildrand ab- und in die Tiefe gerückten Hirten rechts sich explizit nach hinten wendet  ; nur sein Kopf ist nicht im verlorenen, sondern im reinen Profil gegeben. Diese Tiefenausrichtung kann als das entscheidende Merkmal der Wiener im Gegensatz zur vatikanischen Miniatur gedeutet werden. Denn nicht nur, daß auch der zweite nach vorne gewandte, am rechten Bildrand befindliche Hirte, von seinem Kollegen ohnehin weitgehend verdeckt, seinen Kopf so drastisch nach oben reckt, daß von einer frontalen Darstellung nicht mehr gesprochen werden kann, auch der am Abhang zum Mittelgrund befindliche Schäfer ist ins Bild hinein gewandt und dreht nur seinen Kopf, um über seine Schulter zum Engel zu blicken, der sich verglichen mit ihm offenbar etwas weiter im Vordergrund befindet. Geradezu amüsant ist es, wenn man die Tiere in den beiden Bildern mit ins Kalkül zieht. Im Wiener Stundenbuch steht kein einziges der fünf Schafe auf der vorderen Raumbühne bildparallel, und drei davon wenden sich darüber hinaus in die Tiefe  ; auch die Lämmer in der Ferne, obwohl für die Raumwirkung nicht mehr von Bedeutung, agieren kunterbunt in alle Richtungen. In der vatikanischen Handschrift ist nur ein einziges von fünf nahsichtig gezeigten Schafen nicht bildparallel, und dieses richtet sich aus dem Bild heraus. Von all den vielen Tieren in dieser Miniatur drehen überhaupt nur zwei – bildparallel gezeigte – ihren Kopf nach hinten, und ein kugeliges Hinterteil ohne jeden Ansatz von Verkürzung erscheint unterhalb des Engels  ; es führt im wahrsten Sinne des Wortes zu nichts. Der Rest der Herde begnügt sich damit, entweder als waagrechte Zäsur zu fungieren oder artgemäß nach vorne zu drängeln. Und während der semmelbraune Hund in Cod. Vat. Lat. 3770 nach vorne zu eingerollt in tierischem Unverstand das freudige Ereignis verschläft, ist sein grauer Artgenosse

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in Cod. Vind. Ser. n. 2625 – obwohl ebenfalls wie ein Füllsel zwischen unteren und rechten Bildrand gedrängt und sogar leicht aus dem Profil nach vorn gedreht – durch seine Haltung der Ausgangspunkt gleich mehrerer Raumschrägen. Die für die Bildhandlung wichtigste ist jene, die über seinen Rückenkontur und den stehenden Hirten im Profil bis hinauf zum Engel führt. Daneben weist eine zweite Diagonale von ihm weg zwischen den vorderen Schäfern hindurch über die drei nahsichtig gezeigten Schafe und den am Abhang befindlichen Hirten kontinuierlich bis an den linken Bildrand, in eine bereits beträchtliche Distanz. Sowohl von dort als auch vom Mittelgrund aus wird der Blick durch den Fluß in eine scheinbar grenzenlose Weite gelenkt. Bezeichnenderweise schwebt über dem tiefsten Fernblick (wenn auch viel näher) der Engel, der den Hirten die Frohe Botschaft übermittelt. Dies bewirkt, daß der abschweifende Blick schließlich (zuerst über den Himmelsboten an sich, dann auch über seine Ausrichtung und Aktion) wieder zurück nach vorne geleitet wird. Nun ist zwar die Raumauffassung zwischen den beiden soeben besprochenen Miniaturen gleichsam diametral entgegengesetzt, insgesamt besteht jedoch eine größere künstlerische Verwandtschaft zwischen diesen beiden Bildern als zwischen der Wiener und der vatikanischen Darstellung der Flucht nach Ägypten. Auch wenn das Hündchen im vatikanischen Stundenbuch von einer vertieften Naturbeobachtung zeugt, die der etwas steif hockende Artgenosse in der Wiener Miniatur nicht erkennen läßt, offenbart doch auch letzteres Bild bereits jene Freude an der Schilderung der Tierwelt, die über das individuelle Œuvre des Jakobsmeisters hinaus geradezu ein Markenzeichen seines Werkstattstils wurde und jedenfalls die seiner Zeitgenossen um ein Vielfaches übertrifft. Auch der Esel auf fol. 157v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 24) ist ein ebenso herziges wie ausdrucksstarkes Tier  ; nur jener auf fol. 81v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 bleibt bezeichnenderweise eine ziemlich nichtssagende Kreatur. Auch andere Gemeinsamkeiten zwischen der Wiener und der vatikanischen Hirtenverkündigung geben zu denken. So weisen die schlanken Bäume in Cod. Vat. Lat. 3770 zwar wesentlich dichtere (und zugleich plastischer durchgestaltete) Kronen als jene in der Wiener Hirtenverkündigung auf, doch wirkt dies eher wie eine Steigerung der in Wien bereits vorgebildeten Merkmale, was auch durch die relative Knorrigkeit der Stämme in beiden Bildern angezeigt wird. Eine ähnliche Entwicklung lassen die Wolken erkennen, die im vatikanischen Stundenbuch nun noch überzeugender als in Wien gebauscht und durchlichtet wirken. Vergleicht man schließlich die Hirtenphysiognomien, so lassen sich in der kleinteiligen und kontrastreichen Modellierung weitere Übereinstimmungen finden. Zugleich trifft aber in diesem Detail zu, was für die Hirtenverkündigung allgemein gilt, nämlich der stärkere Einsatz von Farb- und Lichthöhungen in Wien, die der Wiener Miniatur insgesamt eine malerische Komponente verleihen. Im vatikanischen Bild scheint die Wiedergabe von optischen Phänomenen – obgleich offenbar besser beherrscht als in der Wiener Miniatur, wie die duftigen Wolken beweisen – einer allgemeinen Klarheit der Bilderzählung untergeordnet, die hier beinahe schon plakative Züge angenommen hat. Es wäre also denkbar, daß der Maler der Wiener Hirtenverkündigung – mit entsprechender Zeit dazwischen – auch die Miniatur gleichen Themas im vatikanischen Stundenbuch ausführte, eine Überlegung, die sich im Falle der beiden Darstellungen der Flucht nach

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Ägypten nicht unbedingt aufdrängt. Daß aber auch die Konzeption der Miniatur auf fol. 81v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 von jenem Künstler stammen könnte, der wohl die anderen drei hier zur Diskussion stehenden Bilder entworfen hat, zeigt eine amüsante Tatsache  : Der Landschaftsaufbau erfolgte in der Wiener Flucht nach Ägypten mit dem gleichen Motivrepertoire und sogar nach den gleichen Prinzipien wie in der vatikanischen Hirtenverkündigung (Taf. IX, Abb. 22), und die Wiener Hirtenverkündigung zeigt in diesem Punkt gewisse Übereinstimmungen mit der vatikanischen Flucht (Taf. VIII, Abb. 24). Man gewinnt beinahe den Eindruck, als hätte der Künstler in Cod. Vat. Lat. 3770 die jeweiligen Ereignisse in seiner Imagination in bereits vorgegebene Kulissen gesetzt, nicht ohne diese in der Ausführung seinen aktuellen Vorstellungen anzupassen. So erscheint zwar der Bildaufbau insgesamt in der Wiener Hirtenverkündigung und der vatikanischen Flucht nach Ägypten höchst unterschiedlich – aber nur, bis man die Figuren aus der Landschaftskulisse wegdenkt. Dann nämlich sieht man, daß zwar gewisse verflächigende Veränderungen in der vatikanischen Miniatur vorgenommen wurden, jedoch unter Verwendung der gleichen Requisiten. So wurde die Vordergrundbühne der Wiener Hirtenverkündigung in der vatikanischen Flucht übernommen, ihre Tiefe eher noch ausgebaut, ihre (dem Prinzip der bildparallelen Frontalisierung abträgliche) Schräge jedoch herabgespielt, zumal Maria die Hügelkante links weitgehend verdeckt. Auch der diagonale Verlauf des Terrainstücks im Mittelgrund wurde in der vatikanischen Miniatur durch eine Ebene ohne Ausrichtung umgedeutet. Erst das Hintergrundmotiv erhält in Cod. Vat. Lat. 3770 ein größeres Raumpotential als in Cod. Ser. n. 2625. Nicht nur, daß es durch seine geringe Größe weiter entfernt wirkt. Es sind auch die fernen Hügel hinter der Stadt und das an sie anschließende Gebirge in ihrer räumlichen Abfolge und plastischen Qualität weit klarer artikuliert als die unspezifische Zone unterhalb des Horizonts im Wiener Bild. Dies ändert jedoch nichts daran, daß in der Wiener Hirtenverkündigung dem Landschaftsausblick insgesamt viel mehr Platz zugestanden wird, er also seine Wirkung ungleich besser entfalten kann. Zudem eignet ihm eine Breite und Weite, die der ureigensten Raumauffassung des Illuminators in Wien entsprochen haben, jener des Malers der vatikanischen Miniatur aber diametral entgegengesetzt gewesen sein dürfte, da der Fernblick in der nahsichtig und einfühlsam gestalteten Komposition dort letztendlich nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielt. Die vatikanische Hirtenverkündigung und die Wiener Flucht nach Ägypten (Abb. 22, Taf. IX) weisen in ihrer Landschaftskulisse noch größere Ähnlichkeiten auf. Dabei hat der Illuminator der vatikanischen Miniatur das Motiv ebenso drastisch umgedeutet wie in der Darstellung der Flucht. Zuerst einmal, so möchte man annehmen, wurde dem wenigstens potentiell kontinuierlichen Landschaftsausblick links ein Riegel in Form einer zum Rand hin hochgezogenen Bodenwelle vorgeschoben. Wenn auch in den Abhängen vor der Stadt das Motiv der Hintereinanderstaffelung anklingt, wirkt doch die Silhouette der Türme und Dächer frontal aufgefaßt  ; die dahinter aufragenden Berge scheinen sich in der lichtdurchfluteten Ferne überhaupt aufzulösen. Von einer kontinuierlichen Abfolge zusammengehöriger Landschaftskompartimente wie in der Wiener Miniatur ist nichts mehr zu bemerken, auch wenn ihre Aneinanderreihung dort ein wenig monoton wirkt. Noch deutlicher sind die Auffassungsunterschiede

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in dem motivisch ähnlichsten Teil der beiden Miniaturen, im ansteigenden Hügel rechts. Dieser entfaltet sich in der vatikanischen Miniatur noch kontinuierlicher als in der Wiener, was sich in der stetigen Verkleinerung der zahlreichen auf ihm befindlichen Motive ebenso äußert wie in der eleganten Kurve seiner linken Kante  ; in beidem bleibt sein Wiener Pendant viel schuldig. Doch ist in Cod. Vat. Lat. 3770 alles auf Bremsung des Tiefenzuges angelegt  : die vielen bildparallelen Zäsuren in den Terrainschwellen, in dem die Sicht behindernden Buschwerk und in den quer gestellten Tierleibern sowie die Ausrichtung sämtlicher Figuren nach vorne zu. In der Wiener Flucht ist demgegenüber die Bildeinwärtsbewegung forciert  : der Weg läuft nahezu senkrecht in die Tiefe, auf die sich die Heilige Familie im Augenblick noch verhalten, letztendlich aber definitiv zubewegt. Nähe und Abstand zwischen den vatikanischen und den Wiener Miniaturen läßt sich hier also ebenso aufzeigen wie einmal mehr Abb. 26: Beweinung Christi; Rom, Biblioteca die Nähe und der Abstand zwischen den beiApostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 179v. den Wiener Bildern. Freilich ist eben dieses Thema, die enge Zusammengehörigkeit, dabei aber auch Unterschiedlichkeit der zum selben Ausstattungszyklus gehörigen Miniaturen, gerade im vatikanischen Stundenbuch besonders aktuell. Neben den Szenen des Marienoffiziums läßt eine einzige weitere Miniatur die soeben dargelegten frontalisierenden Gestaltungsprinzipien erkennen, die ganzfigurige Beweinung Christi, die sich bezeichnenderweise ebenfalls im ersten Band, also Cod. Vat. Lat. 3770 befindet, und zwar auf fol. 179v (Abb. 26). Exemplarisch sind hier die grundlegenden Prinzipien des Bildaufbaus dieser Gruppe verwirklicht, indem das Geschehen den gesamten Vordergrund okkupiert und dadurch sowie durch die plastische Präsenz der Figuren eine enorme psychologische Dichte und Eindringlichkeit erhält. Dabei fällt auf, wie sehr der Künstler die Schilderung von Figurenvolumen beherrscht (etwa an dem den Kopf Marias in einem Bogen umfangenden Mantelbausch), sie aber zugunsten einer klaren, die Akteure gegen den Hintergrund zu abgrenzenden und sie in einer Ebene verspannenden Konturierung herabspielt und nur die plastische Artikulation von Einzelformen vorantreibt. Ganz ähnlich verfährt er ja bekanntermaßen mit der Konstruktion des Raumes, der den dekorativen Gesetzen der Bildfläche untergeordnet wird. So erstreckt sich Golgotha – ein mächtiger Felsen, der fast die gesamte Bild-

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Abb. 27: Heilige Dreifaltigkeit; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 6v.

breite im Mittelgrund beansprucht – genau betrachtet in einer Schräge von links vorne nach rechts hinten. Diese kommt aber weder in der Raumwirkung noch im Bildaufbau zur Geltung. Die Schädelstätte wird als bildparalleles Gebilde erlebt, das durch einen Raumsprung von der Beweinungsgruppe abgesetzt ist und durch die darauf befindlichen, nach vorne gewandten Akteure (darunter wohl die vornehm gekleideten Herren Nikodemus und Josef von Arimathia) nachdrücklich auf die Haupthandlung bezogen wird, mit der ohnehin (durch die drei Kreuze) schon ein kausaler Zusammenhang besteht. Läßt man sich auf eine eingehende Betrachtung ein, so entdeckt man sehr wohl, daß der beschriebenen Ausrichtung Golgothas eine andere antwortet, nämlich der Terrainzwickel links oben, der, wie durch die hier sichtbaren Bäume angezeigt, sich räumlich nach links hinten erstreckt. Die beiden Reiter, die radikal verkürzt, ja fast frontal dort zu sehen sind, bewegen sich allerdings einmal mehr nach vorne zu, so daß der Blick wieder zurück, genau zum leiderfüllten Antlitz Marias, geführt wird.

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Abb. 28: Engelschor; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 27v.

Die übrigen ganz- (und meist klein-)figurigen Vollbilder des vatikanischen Stundenbuchs entsprechen entweder jenem Typ der verräumlichten Darstellung, der mit der Miniatur des Eigentümers der Handschrift auf fol. 66v des zweiten Bandes (Abb. 2) bereits vorgestellt wurde, oder aber sie vereinen Elemente beider Stilvarianten. Letzteres scheint auch auf die drei großfigurigen Vollbilder in Cod. Vat. Lat. 3769 zuzutreffen, die auf Grund ihrer gänzlich anderen Thematik und der daraus resultierenden anderen gegenständlichen Vorgaben nur schwer mit den übrigen Miniaturen zu vergleichen sind  : die Darstellung der Dreifaltigkeit auf fol. 6v (Abb. 27), die Wiedergabe eines Engelschores auf fol. 27v (Abb. 28) und die formatfüllende Büste des Salvators auf fol. 179a v (Abb. 29). Immerhin sind die in ihnen auszumachenden Abweichungen von den bislang in der großfigurigen Gruppe aufgezeigten Gestaltungsprinzipien deshalb so interessant, weil eingangs erwogen wurde, ob nicht der Figurenmaßstab die Wahl der stilistischen Mittel beeinflußt haben

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Abb. 29: Salvator; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 179a v.

könnte. Bis zu einem gewissen Grad konnte dies bereits durch die Vollbilder mit der Flucht nach Ägypten und der Hirtenverkündigung in Cod. Vat. Lat. 3770 widerlegt werden. Nun werden umgekehrt in den drei genannten Miniaturen in Cod. Vat. Lat. 3769 mehr oder minder große Figuren frontal präsentiert, die sich von den Akteuren in den Marienszenen aber durch eine gewisse Zurücknahme der plastischen Artikulation der Einzelformen, vor allem in den Physiognomien, bei gleichzeitiger Steigerung der optischen Qualitäten auszeichnen. So ist das Gesicht des Salvators auf fol. 179a v nur sparsam modelliert, was auch dadurch, daß seine Büste noch größer als die halbfigurigen Protagonisten des Marienzyklus und zudem völlig frontal gegeben ist, nicht wirklich erklärt werden kann. Und obwohl die strengen Profilköpfe der beiden göttlichen Personen in der Dreifaltigkeitsdarstellung auf fol. 6v eine äußerst seltene Variante im Œuvre des Jakobsmeisters und seines Umfeldes vertreten, leuchtet auch dies nicht als Begründung für die weiche, unartikulierte Wiedergabe der Gesichter ein. Die Engel auf

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Abb. 30: Einkleidung Davids; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 25v.

fol. 27v schließlich sind den Figuren des Marienzyklus motivisch und physiognomisch sogar unmittelbar vergleichbar, weisen dabei aber weder deren graphische noch plastische Durchgestaltung auf146. Dabei sind alle drei Bildlösungen extrem flächenhafte Kompositionen ohne jeglichen Tiefenraum, was freilich bis zu einem gewissen Grad auf die Lokalisierung aller drei Darstellungen in einer überirdischen Sphäre zurückzuführen ist  ; und diesem Umstand verdanken sie vielleicht auch ihren unverhältnismäßig hohen Grad an Lichterfülltheit. 146 Ähnliche Divergenzen lassen sich auch in den zahlreichen Textbildern im dritten Band (Cod. Vat. Lat. 3768) – in dem das zwar kleinformatige, aber doch halbfigurige Bild zur Standardausstattung der Heiligensuffragien gehört – feststellen, wo die beiden Auffassungen, eine betont plastische und eine weich verschleifende, einander immer wieder ablösen und eine gleichsam friedliche Koexistenz innerhalb der Handschrift belegen.

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Abb. 31: Zurschaustellung der Rüstung Goliaths; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 47v.

Doch ist diese Tendenz zu einer eher zurückhaltenden Artikulation plastischer Detailformen (die nicht auf Kosten einer grundsätzlichen, die gesamte Figur definierenden Körperhaftigkeit geht, wie anhand der voluminösen Wiedergabe des Auftraggebers auf fol. 66v von Cod. Vat. Lat 3769 bereits gezeigt wurde) auch ein grundsätzliches Merkmal der Kategorie der eindeutig raumorientierten Miniaturen im vatikanischen Stundenbuch. Dazu gehören ein Teil der Davidsszenen in Cod. Vat. Lat 3770 (die Einkleidung Davids auf fol. 25v, Abb. 30  ; die Zurschaustellung der Rüstung Goliaths auf fol. 47v, Abb. 31  ; der Einzug Davids in Jerusalem auf fol. 58v, Abb. 32) und folgende ganzseitige Miniaturen in den anderen beiden Bänden  : in Cod. Vat. Lat. 3769 die Darstellungen Abrahams vor den drei Engeln auf fol. 3v (Abb. 33), des Pfingstfests auf fol. 45v (Abb. 34), des Eigentümers im Gebet auf fol. 66v (Abb. 2), einer Fronleichnamsprozession auf fol. 68v (Abb. 35), der Gregorsmesse auf fol. 137v (Abb. 36) und der Kreuzauffindung auf fol. 164a v (Abb. 37)  ; in Cod. Vat. Lat.

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Abb. 32: Einzug Davids in Jerusalem; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 58v.

3768 die Totenwache auf fol. 3v (Abb. 38), die Bilder einer Begräbnisprozession auf fol. 7v (Abb. 39) und eines Totenamts auf fol. 18v (Abb. 40), eine Beichtdarstellung auf fol. 51v (Abb. 5) sowie die Wiedergabe der Marienkrönung im Beisein aller Heiligen auf fol. 162v (Abb. 18). Die übrigen kleinfigurigen Miniaturen innerhalb der drei Bände hängen eng mit dieser Gruppe zusammen, doch zeigen sie – in unterschiedlichem Maße – eine Tendenz zur flächendekorativen Stabilisierung der im Vordergrund befindlichen Szenen, die (trotz mangelnder plastischer Detailartikulation, was freilich auch mit der geringen Größe der Figuren zusammenhängen mag) an die oben beschriebenen Gestaltungsprinzipien im Marienzyklus erinnert. Es handelt sich dabei in Cod. Vat. Lat. 3770 um den Kampf Davids mit dem Löwen auf fol. 8v (Abb. 41), die Enthauptung Goliaths auf fol. 36v (Abb. 42), David im Zelt des Saul auf fol. 71v (Abb. 43), die Hochzeit Davids auf fol. 83v (Abb. 44), die Krönung Davids auf fol. 95v (Abb. 45), die Wurzel Jesse auf fol. 171v (Abb. 46) und das Jüngste Gericht auf

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Abb. 33: Abraham vor den drei Engeln; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 3v.

fol. 222v (Abb. 47) sowie in Cod. Vat. Lat. 3769 um die Verklärung Christi auf fol. 37v (Abb. 48), Johannes auf Patmos auf fol. 111v (Abb. 49), die Kreuzigung auf fol. 166v (Abb. 50) und die Auferstehung Christi auf fol. 178v (Abb 51). Auch die Vollbilder des Schmerzensmannes auf fol. 56v (Abb. 52) und der Gefangennahme Christi auf fol. 119v (Abb. 53) des zweiten Bandes sind im weitesten Sinne dieser dritten Gruppe zuzuordnen, auch wenn ihre Eingliederung besondere Schwierigkeiten bereitet. Daß der Typus des Christuskopfes auf fol. 56v von den in der Handschrift sonst gebräuchlichen Physiognomien abweicht, mag auf die Ikonographie der Schmerzensmanndarstellung zurückzuführen sein. Weshalb sie in der Gefangennahme auf fol. 119v wiederkehrt und mit anderen Besonderheiten einhergeht, ist schon schwieriger zu erklären. Die relativ großen, plumpen, grimassierenden Figuren passen nicht wirklich zu den Akteuren der übrigen Darstellungen, und das, obwohl das Motivrepertoire (angefangen von der Kleidung bis hin zu den landschaftlichen Versatzstücken) sich

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Abb. 34: Pfingsten; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 45v.

nahtlos in den Kontext des Stundenbuchs fügt. Zu nennen ist schließlich noch die kleine, von sieben Goldgrisailleszenen umgebene Mater dolorosa auf fol. 145v (Abb. 54) desselben Bandes, deren Bildtyp ihre sinnvolle Zuordnung zu einer der hier charakterisierten Gruppen unmöglich macht. Die überzeugende Trennung der beiden diametralen Gruppen, der zumeist großfigurigen, immer frontalisierenden Vollbilder von den kleinfigurigen, raumorientierten Miniaturen, gestaltet sich relativ einfach. So kann kein Zweifel darüber bestehen, daß zwischen einer Darstellung wie der Hirtenverkündigung auf fol. 148v von Cod. Vat. Lat 3770 (Abb. 22) und jener mit Abraham vor den drei Engeln auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 33) grundlegende Auffassungsunterschiede vorliegen, trotz annähernd gleicher Größe der Prota­ gonisten und einer Landschaft, die sich im jeweils linken Bildteil zu beträchtlicher Tiefe entfaltet. Wie bereits gezeigt wurde, erscheinen die beiden Hirten in Cod. Vat. Lat. 3770 trotz

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Abb. 35: Fronleichnamsprozession Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 68v.

schräger Positionierung im Raum durch das ansteigende Terrain in die Fläche geklappt, und die Organisation der Landschaft in hintereinanderliegende, wenn auch graduell ansteigende Terrainstreifen ist trotz kontinuierlichen Tiefenzugs durch eine flächenhafte Bezugnahme auf die vordertse Bildebene gekennzeichnet. Sogar der mächtige, frontal sich entfaltende Engel mit seinen ausgebreiteten Flügeln verunklärt sowohl durch seine Größe als auch durch seine plakative Haltung die Raumsituation, die sich erst im Hintergrund – auf dem Hügel rechts wie im Fernblick links – wirklich zu entfalten beginnt. Ganz anders verhält es sich auf fol. 3v in Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 33). Abraham kniet etwas vom unteren Bildrand abgerückt schräg im Raum und schafft mit den ebenfalls schräg von links weg in einer gegenläufigen Diagonale gestaffelten drei Engeln eine klar artikulierte Vordergrundbühne. Obwohl auch hier die Landschaft in hintereinander befindlichen Terrainwellen aufgebaut ist, werden die einzelnen Schichten dadurch verbunden, daß links im

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Abb. 36: Gregorsmesse; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 137v.

Vordergrund ein Weg seinen Ausgang nimmt, der rechts um Abraham herumführt und den hinter ihm liegenden Erdwall umkreist, sich dann verliert, um auf dem Hügel rechts im Hintergrund wiederzukehren, wodurch ein Kontinuum suggeriert, wenn auch nicht dargestellt wird. Noch deutlicher zeigt sich die raumorientierte Auffassung in dieser Miniatur in der Gestaltung des Ausblicks links  : Wo in der Hirtenverkündigung anschließend an den unmittelbaren Vordergrund mehrere offenbar bereits weit entfernte, zunehmend verblauende Hügelstreifen und Bergketten hintereinander gereiht und durch eine im Wesentlichen ebenfalls bildparallele Stadtsilhouette belebt werden, erscheint in der Abrahamsminiatur ein sorgfältig inszeniertes Panorama. Zwischen den Engeln und dem Patriarchen wird der Blick auf eine Ebene freigegeben, die sich auf gleicher Höhe mit dem Felsen rechts, also im Mittelgrund, befindet und diesen so in das Gesamtgefüge einbindet. Die Senke ändert ihre Farbe mit fortschreitender Tiefe zu jenem Blau, das auch die zu einem mächtigen Berg ansteigenden Hügel

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Abb. 37: Kreuzauffindung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 164a v.

links kennzeichnet, welche durch teils räumlich angeordnete Baumgruppen in ihrer Dreidimensionalität klar nachvollziehbar sind. Rechts davon, in der Bildmitte, windet sich ein breiter Fluß senkrecht ins Bild hinein, der genau auf der Mittelachse hinter der linken Bergkette nochmals einen Ausblick freigibt – und zugleich jenen Raumvektor bis in die Ferne fortsetzt, der durch die Staffelung der drei Engel im linken Vordergrund seinen Ausgang nimmt. Im Grunde sind in der Abrahamsminiatur einmal mehr die Landschaftsbausteine der Flucht nach Ägypten auf fol. 157v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 24) eingesetzt, mit ganz entscheidenden Unterschieden. Auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3769 ist die Schräge der Vordergrundbühne nicht nur belassen, sondern durch die parallel dazu aufgereihten Engel nachgerade zum Leitmotiv gemacht, in das auch gleich noch der rechte Felsen – weit entfernt von einer Funktion als frontale Barriere, die sein Gegenstück in der Fluchtdarstellung kennzeichnet – durch seine über Einzelblöcke entwickelte Erstreckung nach hinten zu mit eingebunden

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Abb. 38: Totenwache; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 3v.

wird. Ebenso wirkt der Landschaftsausblick links im Abrahamsbild wie eine vergrößerte Version der Fluchtdarstellung, mit dem entscheidenden Unterschied, daß die den Blick auffangende Stadtsilhouette dort hier weggelassen, die streifige, räumlich lesbare Struktur der Hügel forciert und der schräge Flußverlauf in die Bildmitte verlegt wurde, so daß er (nicht anders als in der Hirtenverkündigung im Wiener Stundenbuch, Taf. VIII) die Bildtiefe zum im wahrsten Sinne des Wortes zentralen Bildthema macht. Auch in der Figurenauffassung zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen der Miniatur auf fol. 3v im zweiten Band und den frontalisierenden Vollbildern im ersten Band der vatikanischen Handschrift. So sind die markanten Gesichter der Hirten (Abb. 22), aber auch das Josefs (Abb. 24) kräftig modelliert und darüber hinaus mit Linien strukturiert, während die Physiognomie Abrahams zwar weniger plastisch, dafür aber ohne graphische Akzente und folglich mit weichen Übergängen geformt ist. Auch fällt die Tendenz zur Silhouettierung

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Abb. 39: Begräbnisprozession; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 7v.

in der Abrahamsminiatur weg, und die Figuren nehmen nicht nur den um sie herum konstruierten Raum durch Position und Bewegung an, sondern leisten seiner Suggestion noch Vorschub  : So leitet Abrahams schräges Kniemotiv eine Diagonale ein, die sich über seine Haltung (und die ebenso schräg erscheinenden Felsabhänge hinter ihm) hinweg bis in den tiefsten Fernblick fortsetzt. Die motivisch durchaus ähnliche Konzeption der händeringenden Magdalena in der bereits besprochenen Beweinung Christi auf fol. 179v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 26) hat demgegenüber eine geradezu diametral entgegengesetzte Wirkung  : Nicht nur, daß das räumliche Knien der Figur durch unspezifische Gewandführung im Beinbereich maximal verunklärt ist (was eventuell auf den geringen Platz in der von ihr okkupierten rechten unteren Bildecke zurückzuführen ist) und daß auch das Volumen des Körpers deutlich herabgespielt erscheint (was ebenfalls durch Platzmangel und überdies dadurch bedingt sein könnte, daß Magdalena mit einer schmaleren Statur gesegnet ist als Abraham). Doch neigt

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Abb. 40: Totenamt; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 18v.

die Heilige zudem ihr Haupt in einem Bogen nach links, der von der Graskuppe weit hinter ihr mit musterartiger Genauigkeit wiederholt wird, und macht damit jegliche Möglichkeit, ihre Körperachse als Raumvektor zu nutzen, zunichte. Überdies verdeckt ihr mit einem Turban umwickelter Kopf die Wiese im Mittelgrund und trägt so dazu bei, die gesamte Figurengruppe nach hinten zu als geschlossene Form abzugrenzen. Bezeichnenderweise ist nur über die gerundete linke (im Bild rechte) Schulter Magdalenas und die ihre Konturlinie wiederholende Graskuppe ein Fernblick möglich, gleichsam über zwei waagrechte Barrieren, die jeweils einen Raumsprung einleiten, so daß der Blick dort nur über ein (einem Dreisprung vergleichbares) Stakkato nach hinten entlassen wird. Hält man den besprochenen, in vieler Hinsicht gegensätzlichen Miniaturen ein Vollbild wie jenes der Kreuzigung auf fol. 166v von Cod. Vat. Lat 3769 (Abb. 50) entgegen, so wird rasch offenbar, daß diese Darstellung keiner der beiden soeben aufgezeigten Kategorien ohne

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Abb. 41: Davids Kampf mit dem Löwen; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 8v.

weiteres zugezählt werden kann. Bezüglich der Figurentypik (vor allem von Maria, Johannes, und Christus) der markanten Modellierung und der zeichnerischen Artikulation der Physiognomien sowie nicht zuletzt auch bezüglich der bildparallelen Anordnung und der flächendekorativen Präsentation der Protagonisten ist diese Miniatur eher einer Bildlösung wie jener der Beweinung Christi auf fol. 179v von Cod. Vat. Lat 3770 als der Darstellung Abrahams auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3769 vergleichbar. Umgekehrt sorgen die weichen Übergänge zwischen den einzelnen Landschaftselementen vorne sowie die durch farbliche Angleichung erzielte Verbindung von Vorder- und Hintergrund für eine weit überzeugendere Integration der Figuren in ihr Ambiente, als dies in der Hirtenverkündigung auf fol. 148v, der Flucht auf fol. 157v oder der Beweinung auf fol. 179v von Cod. Vat. Lat. 3770 der Fall ist. Diese Beobachtungen lassen sich – mit immer neuen Vorzeichen – bei fast allen Miniaturen der dritten, „ambivalenten“ Gruppe wiederholen. Und dennoch gibt es in jeder einzelnen

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Abb. 42: Enthauptung Goliaths; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 36v.

von ihnen auch wiederum überwiegende Tendenzen. So wie die Kreuzigung auf fol. 166v von Cod. Vat. Lat 3769 trotz der zuletzt angeführten Aspekte insgesamt mehr Elemente zeigt, die an die frontalisierende Bildgruppe gemahnen, so tendiert die Auferstehung Christi auf fol. 178v (Abb. 51) eher zu den verräumlichten Miniaturen. Zwar erscheinen die schlafenden Wächter im Vordergrund trotz ihrer teils raumgreifenden Positionen als ein flächendekoratives Konglomerat an Leibern, wobei die raumschaffende Wirkung der einzelnen Posen nicht zuletzt auf Grund der kleinteiligen, klaren Buntfarbigkeit nicht zur Geltung kommt. Zudem schwebt über ihnen streng frontal die Figur des Heilands. Um so auffallender ist, daß die Modellierung weich bleibt, auch bei den derben Visagen der Soldaten, und daß die Landschaft sich sowohl farblich als auch motivisch mit nur minimalen Zäsuren von vorne nach hinten entwickelt, wofür das Herannahen der Marien allein keinen ausreichenden Grund bietet  ;

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auch in der Beweinung Christi im ersten Band (Abb. 26) ist eine inhaltliche Subebene im Mittelgrund plaziert, ohne das auf Frontalität ausgerichtete Bildkonzept im geringsten aufzubrechen. In der Darstellung des Evangelisten Johannes auf Patmos auf fol. 11v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 49) füllt der Visionär mit seiner kleinen Insel, mit der er auf Grund formaler Übereinstimmung beinahe verwachsen erscheint, die vordere Bildzone und zeichnet sich durch markant modellierte (allerdings kaum durch Linien strukturierte) Gesichtszüge aus. Diese der frontalisierenden, großfigurigen Gruppe zugehörigen Merkmale werden durch eine souveräne Einbindung des Vordergrundmotives in die weite Landschaft relativiert, was nicht zuletzt durch das räumlich klar artikulierte Sitzmotiv der Figur und die damit suggerierte Verräumlichung des Eilands überzeugend gelingt. Freilich geht der Tiefenschub auch Abb. 43: David im Zelt des Saul; Rom, Biblioteca in dieser Miniatur nicht so weit, die flächen- Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, dekorative Einheit der Komposition auszu- Stundenbuch, fol. 71v. höhlen  : Die rechte Kontur des Evangelisten wird von den rechts befindlichen Landschaftselementen nachvollzogen, wodurch es zu einer (wenn auch nicht vordergründigen) Spannung zwischen nach hinten zu fluchtendem Ufer und aufrechtem Sitzmotiv kommt. Gemildert wird diese Diskrepanz durch einen Raumsprung, der zwischen dem Felsen im rechten Mittelgrund und der Stadt dahinter angezeigt ist und der Parallelität der beiden Diagonalen, der verkürzten und der unverkürzten, durch die aufbrechende Distanz eine andere Lesemöglichkeit entgegenhält. Der Fernblick setzt auf beiden Seiten etwa auf gleicher Höhe ein und wird, nicht anders als die leere Fläche des Mittelgrundes, durch einen auf Patmos emporragenden Baum auf ornamentale Weise doch wieder in das Bildmuster eingebunden. Das Ergebnis all dieser Beobachtungen ist, daß die prägnanten Unterschiede zwischen den beiden deutlich divergierenden Miniaturengruppen durch jene Vollbilder, die in ihrer Zugehörigkeit ambivalent erscheinen, in ihrer Aussagekraft relativiert werden. Obwohl die Gegensätze zweifellos bestehen und gerade durch die kompakte Lokalisierung der frontalisierenden Gruppe im hinteren Teil von Cod. Vat. Lat. 3770 noch unterstrichen werden, ist es nicht ohne weiteres möglich, aus ihnen mit Sicherheit auf zwei Künstlerpersönlichkeiten zu schließen. Erschwert wird die Situation dadurch, daß eine in allen drei Stilvarianten

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Abb. 44: Hochzeit Davids; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 83v.

auszumachende härtere, in der Pinselschrift weniger subtile Ausführung mancher Miniaturen die Beteiligung mindestens eines Gehilfen nahelegt, der allerdings den Stil des oder der technisch souveränen Maler perfekt imitiert. Eine mögliche Erklärung wäre, von zwei gleichberechtigt, aber engst, in einer regelrechten Stilsymbiose kooperierenden Individuen (mit einem oder mehreren Gehilfen) auszugehen. Diese beiden könnten für jeweils eine der beiden gegensätzlichen Gruppen verantwortlich gewesen sein, während die bezüglich ihrer Gestaltungsprinzipien ambivalente Gruppe entweder die Umsetzung der jeweils vom anderen Maler stammenden Konzepte oder eine materielle Zusammenarbeit gar an denselben Bildern oder – vielleicht am wahrscheinlichsten – eine zunehmende gegenseitige Beeinflussung verrät. Schließlich besteht auch noch die (eher unwahrscheinliche) Möglichkeit, daß ein dritter Hauptmeister in dieser letzten Miniaturengruppe greifbar wird, der von den beiden anderen beeinflußt wurde. Daß die Halbfigurendarstellungen für den Künstler eine solche Herausfor-

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Abb. 45: Krönung Davids; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 95v.

derung waren, daß er zu anderen Gestaltungsprinzipien als in den kleinfigurigen Miniaturen griff, entfällt jedenfalls auf Grund der kleinfigurigen Szenen der ersten Gruppe, welche die gleichen Stilmerkmale wie die Halbfigurenbilder aufweisen, und gerade auch auf Grund der ambivalenten Gruppe, wo die verschiedenen Gestaltungsweisen ebenfalls völlig unabhängig von Größe und Darstellungsgegenstand verwirklicht sind. Die andere, in Anbetracht der homogenen Technik einleuchtende, grundsätzlich aber ebenso problematische Erklärung wäre, einen einzelnen, einen oder mehrere Gehilfen beschäftigenden Meister anzunehmen, der während der Ausstattung der Handschrift einen tiefgreifenden Stilwandel durchmachte. Die Möglichkeit, daß ein einzelner Künstler einfach eine dermaßen breite Ausdrucksspanne hatte, die er völlig grundlos, gleichsam nach Lust und Laune, ausschöpfte (denn weder die Ikonographie noch der Zweck, dem die verschiedenen Miniaturen in Cod. Vat. Lat. 3770–68 dienen, begründen die unterschiedlichen Stilvarian-

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Abb. 46: Wurzel Jesse; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 171v.

ten), kann ausgeschlossen werden – sollte es dafür tatsächlich des Beweises bedürfen, wird er an anderen Stellen noch mehrfach erbracht werden. Jedes der beiden Denkmodelle lädt jedenfalls zu einem erneuten Vergleich der vatikanischen Miniaturen mit dem Vollbild auf fol. 24v des Jakobsgebetbuchs (Taf. I) ein  ; diesmal freilich sollen die zumindest in einigen Aspekten ähnlich angelegten Szenen aus dem Marienoffizium von Cod. Vat. Lat. 3770 der Darstellung des schottischen Königs gegenübergestellt werden. Sowohl die halb- (also groß-) als auch die ganz- (also klein-)figurigen Vollbilder des vatikanischen Marienzyklus zeigen im Vergleich zur Jakobsminiatur nicht nur eine kräftigere Modellierung der Inkarnatpartien, sondern auch eine Gewandführung, die die Substanz und raumverdrängende Präsenz der Protagonisten trotz der Betonung ihrer Umrisse deutlicher erkennen läßt. Dazu gesellt sich die bereits hinlänglich betonte Verräumlichung der Mi-

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niaturen im Hintergrund, die in Cod. Vind. 1897 weitgehend entfällt. Motive wie das Mobiliar der Verkündigung auf fol. 133v (Abb. 19), der Einblick in den Tempel und der verkürzte Altar in der Darbringung auf fol. 154v (Abb. 23) oder der Stall mit den beiden schräg in die Tiefe gelagerten Tieren in der Geburt Christi auf fol. 145v (Abb. 21) sind der Jakobsminiatur, in der alle potentiellen Raumvektoren in die Fläche zurückgeführt werden, fremd. Dafür zeigt die Miniatur auf fol. 24v von Cod. 1897 eine malerische Subtilität, nach der auch in den Marienszenen des vatikanischen Stundenbuchs noch gesucht wird. Zwischen dem schematischen Goldglanz auf den Locken der Madonna und des Engels auf fol. 133v in Cod. Vat. Lat. 3770 und der differenzierten Suggestion des feinen, welligen Haars des Schottenkönigs oder der graudurchzogenen, ein wenig spröden Haartracht seines heiligen Namenspatrons besteht ein be- Abb. 47: Das Jüngste Gericht: Rom, Biblioteca trächtlicher Unterschied. Am deutlichsten Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, wird der diesbezügliche Abstand, wenn man Stundenbuch, fol. 222v. die Salvatorsbüste im Retabel der Jakobsminiatur der Darstellung des Erlösers auf fol. 179a v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 29), also einer Miniatur der „ambivalenten“ Gruppe, gegenüberstellt. Wenn auch die Größenunterschiede zwischen den beiden Bildern bedacht werden müssen, erklären sie weder die im römischen Stundenbuch weit kraftvollere Artikulierung aller plastischen Details noch die Diskrepanzen in der Suggestion verschiedener Lichtphänomene  : Sowohl die segnende Rechte als auch die die Weltenkugel präsentierende Linke des Salvators in Cod. Vat. Lat. 3769 offenbaren eine gewisse Unbeholfenheit bei der Wiedergabe der Lichtstellen (was durch nachträgliche Farbveränderungen heute überbetont ist). Details wie die einzelnen Knöchel sind zwar durch Höhungen herausgearbeitet, doch die souveräne Einbettung der Figur mittels des auf sie auftreffenden Lichts, wie sie im Jakobsgebetbuch verwirklicht ist, unterbleibt – man möchte hinzufügen  : trotz größter Bemühungen des Illuminators, mit den in dieser Miniatur reichlich vorhandenen Glanzeffekten zu brillieren. Dieser Vergleich offenbart zweierlei  : Zum einen, daß das Jakobsbild auch mit den flächenorientierter konzipierten Miniaturen des römischen Stundenbuchs nicht gleichgesetzt werden kann. Zum anderen, daß Cod. Vind. 1897 nichtsdestotrotz eine Entwicklungsstufe vertreten könnte, die in Cod. Vat. Lat. 3770–68 entweder vorbereitet oder ausklingend ist. Glaubt man

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Abb. 48: Verklärung Christi; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 37v.

den in der älteren Literatur vorgeschlagenen Datierungen, wird man sich zweifellos für ein Ausklingen entscheiden müssen  : Das Jakobsgebetbuch ist mit einiger Sicherheit zwischen 1503 und 1513 zu datieren, während für das vatikanische Stundenbuch meist eine Entstehung im zweiten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts vorgeschlagen wurde. Die neueste Literatur sieht die zeitliche Relation bereits umgekehrt, indem Cod. Vat. Lat. 3770–68 um 1500, Cod. Vind. 1897 um 1502/3 datiert wird. Eben diese zeitliche Abfolge (jedoch nicht notwendigerweise einen dermaßen geringen Zeitabstand) legt auch der soeben angestellte Vergleich nahe. Die Wiedergabe der dritten Dimension war für den Illuminator von Cod. Vat. Lat. 3770–68 offensichtlich kein Problem, die Suggestion stofflicher Phänomene in dem Ausmaß und in der Qualität, wie sie auf fol 24v von Cod. Vind. 1897 zu finden ist, hingegen sehr wohl. Daß die Jakobsminiatur auf der grundsätzlichen Beherrschung aller dieser Faktoren basierte, dabei die räumliche und plastische Darstellung von Figuren und Objekten aber aus künstlerischen Erwägungen unterdrückt bzw. einer neuen Bildauffassung geopfert wurde,

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Abb. 49: Johannes auf Patmos; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 111v.

konnte ja bereits an anderer Stelle vorgeführt werden (bei einem Vergleich mit der Darstellung des heiligen Jacobus im Isabella-Brevier). Dies legt nahe, die Diskrepanzen im vatikanischen Stundenbuch zumindest teilweise doch als Ausdruck eines Stilwandels zu deuten, an dessen Ausgangspunkt ein ausgeprägtes Raumverständnis anzunehmen ist, das der (leitende) Illuminator im Laufe der Ausstattung anderen (für ihn damit nicht vereinbaren) Interessen opferte. Dabei ist der Schritt von den großfigurigen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs zur Darstellung Jakobs IV. ein größerer als der in Cod. Vat. Lat. 3770–68 durch zahlreiche Übergangslösungen veranschaulichte werkinterne Entwicklungssprung. Die Frage ist, ob damit die beiden in vieler Hinsicht gegensätzlichen Miniaturengruppen des vatikanischen Stundenbuchs tatsächlich einem Illuminator zugeschrieben werden müssen. Allein aus dem Vergleich mit der Jakobsminiatur in Cod. Vind. 1897 ergibt sich dies nicht zwingend. Zudem wäre zu klären, ob in einigen der Miniaturen von Cod. Vind. Ser. n. 2625

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Abb. 50: Kreuzigung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 166v.

(in denen die Suggestion eines weiten, umfassenden Raumes offenbar ein zentrales künstlerisches Anliegen war, wie auf fol. 69v oder 73v) der gleiche Illuminator wie im Marienzyklus des vatikanischen Stundenbuchs arbeitete, was einige der bisher getätigten Vergleiche nahelegen. Wäre dies der Fall, so wäre der Wiener zweifellos ein Vorläufer des vatikanischen Codex. Dabei ist die primäre Frage, ob zwischen den verräumlichten, kleinfigurigen Darstellungen des vatikanischen und den Miniaturen des Wiener Stundenbuchs eine Verbindung hergestellt werden kann bzw. ob diese bisher noch nicht mit den Wiener Bildern verglichene Gruppe im vatikanischen Codex eine Zwischenposition zwischen den Darstellungen in Cod. Vind. Ser. n. 2625 und den frontalisierenden Bildern in Cod. Vat. Lat. 3770 einnehmen kann. In diesem Zusammenhang wird auch die dem Jakobsmeister zugeschriebene Ausstattung des Isabella-Breviers in die Überlegungen mit einzubeziehen sein, die den bislang angestellten Vergleichen zufolge früher als der Buchschmuck des vatikanischen Stundenbuchs erschien.

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Abb. 51: Auferstehung Christi; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 178v.

Ein unmittelbarer Anschluß der verräumlichten Miniaturengruppe in Cod. Vat. Lat. 377068 an die diesbezüglich eindrucksvollste Miniatur in Cod. Vind. Ser. n. 2625, die Hirtenverkündigung auf fol. 69v (Taf. VIII), läßt sich in der Darstellung der Einkleidung Davids durch Saul auf fol. 25v im ersten Band des vatikanischen Stundenbuchs (Abb. 30) ablesen. Mehrere Figuren, darunter der Knabe David und der durch einen bekrönten Hut ausgewiesene Saul, stehen rechts im Vordergrund von der unteren Rahmenleiste durch einen Wiesenstreifen abgerückt auf einem Weg, der links aus der Bildtiefe kommt und dessen weiterer Verlauf nach rechts hinten von einer Anzahl dichtgedrängter Soldaten verdeckt wird, von denen zum Großteil nur die Helme sichtbar sind. David ist auf der vertikalen Mittelachse des Bildes plaziert, was ihn trotz seiner geringen Größe hervorhebt. Ihm wird von zwei Höflingen der Brustpanzer Sauls angelegt, den er sich mit ausladender Gebärde zurechtrückt. Hinter der Versammlung steigt das Terrain kontinuierlich an, bis es durch einen Felsen rechts hinten begrenzt wird. Einige Bäume an dessen Abhang und Kuppe zeigen an, daß dieser Block eine

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Abb. 52: Schmerzensmann; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 56v.

Abb. 53: Gefangennahme Christi; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 119v.

beträchtliche Raumausdehnung hat  : Er fungiert somit nur bedingt als bildparallele Barriere, dehnt vielmehr das Szenario rechts weit in die Tiefe hinein aus und vermittelt so den Eindruck, daß ein Vorstoß in die Ferne auch auf dieser Seite möglich wäre. Der durch den kleinen Baum am rechten Bildrand markierte tiefste Punkt in diesem Bildteil ist noch nahe verglichen mit dem, was im linken Teil der Miniatur an Landschaftspanorama geboten wird  ; auch hierbei wird auf eine fortlaufende, nachvollziehbare Tiefen­ erstreckung Wert gelegt. So bricht zwar das Vordergrundplateau links abrupt ab, jedoch nicht ohne daß (wie in der Wiener Hirtenverkündigung) durch eine erst ab dem Schulterbereich sichtbare Figur das graduelle Absinken des Terrains angezeigt und so dem Eindruck eines Raumsprungs, also des unvermittelten Ausblicks in eine weite Ferne, entgegengewirkt wird. Dort, wo in der Wiener Hirtenverkündigung ein intensiv grüner Wiesenstreifen eine erste, noch nahe Schicht des Mittelgrundes angibt (deren Entfernung durch zwei Schafe bestimmbar ist), erblickt man in der vatikanischen Miniatur die Fortsetzung des vorne prominent fungierenden Weges, der sich in einem eleganten Bogen nach hinten windet  : Das im Wiener Bild angewandte Schema wurde also auch in diesem Detail perfektioniert. Eine Ebene tiefer (sowohl im fingierten Raum als auch in der dargestellten Landschaft) ist schließlich das Ziel

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Abb. 54: Mater dolorosa; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 145v.

des Pfades zu sehen  : Dort bringt ein Bote Sauls die Herausforderung Davids ins Lager der Philister, das über die gesamte in diesem Bildbereich erkennbare Tiefebene verstreut ist. An diese Zone schließt ein Flußlauf an, der sich nach hinten auf eine Stadt am Fuße einer Hügelkette zu windet. Am Horizont schließlich lassen sich die gleichen langgezogenen, unspezifisch ausgeführten Landschaftsformationen ausnehmen, die auch im Wiener Stundenbuch zu finden sind. Bei oberflächlicher Betrachtung wirkt das Grundkonzept der Davidsminiatur jenem in der Wiener Hirtenverkündigung eng verwandt. Zwar ist der Vordergrund in Cod. Vat. Lat. 3770 von einer dichten Figurengruppe okkupiert, die ungleich mehr den Blick fesselt als die locker verstreuten und zudem entsprechend der verräumlichten Bildhandlung nach hinten ausgerichteten Protagonisten in Cod. Vind. Ser. n. 2625. Doch sind im vatikanischen Bild die gleichen Landschaftsbausteine eingesetzt wie in Wien. Allerdings strahlt die Davidsmi-

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niatur eine Perfektion bei der Handhabung dieser Elemente aus, die ihr Wiener Pendant bei all seinem Charme schuldig bleibt. Der rechte Bildteil in Cod. Vat. Lat. 3770 ist konsequent verräumlicht, was in Cod. Vind. Ser. n. 2625 nur in Ansätzen anklingt. Man mag ins Treffen führen, daß dies nur im vatikanischen Bild mit solchem Nachdruck erforderlich war, da dort ein Ausgleich für die dicht gedrängte Figurengruppe benötigt wurde. Allerdings ist diese – wie an den Helmen ablesbar – ebenfalls nach rechts hinten zu gestaffelt. Und der Ausblick links öffnet sich noch weiter in die Tiefe, bietet noch mehr Einzelmotive, deren exakte Wahrnehmung den Blick dorthin zieht und fixiert. Zudem suggeriert das Kontinuum das Durchmessen einer weit größeren Distanz als in Wien, da es über den Weg, die räumlich gruppierten Zelte und den Verlauf des Flusses bis zur Stadt in der Ferne reicht. Doch klingt hier zugleich der erste gravierende Unterschied zwischen dem Landschaftskonzept der beiden Miniaturen an. Ungeachtet der größeren Tiefe im vatikanischen Bild fehlt ihm jene Komponente der Wiener Miniatur, die deren Raumeindruck wesentlich mitbestimmt  : die Suggestion von Weite und einer nicht fokussierten Ausdehnung, die in der unverstellten, durch Raumvektoren dynamisierten vertikalen Mittelachse des Bildes (von der weg ein Abgleiten des Blickes in mehrere Richtungen möglich ist) ihren reinsten Ausdruck findet. Demgegenüber zeigt die Davidsminiatur die Tendenz, den Blick gezielt zu führen. Theoretisch (d. h. bei einer nachdrücklichen Erwägung des visuellen Sachverhalts) besteht zwar die Möglichkeit, auch am rechten Bildrand in die Ferne zu schweifen, doch insgesamt ist der Raum von der links sich entwickelnden Tiefe dominiert. Er ist gleichsam primär ein tiefer, dem die in Wien fingierte Weite fehlt. Während in der Hirtenverkündigung von Cod. Vind. Ser. n. 2625 mehrere Raumvektoren kontinuierlich entwickelt werden, ist es im vatikanischen Davidsbild im wesentlichen nur einer. Hier klingt an, was in anderen verräumlichten Miniaturen von Cod. Vat. Lat. 3770–68, darunter auch in einigen der anderen Davidsszenen, perfektioniert wird  : eine Geschlossenheit der Raumkonstruktion, deren Struktur sich mit einem schräg im Raum liegenden Rechteck oder Oval vergleichen läßt. Auf fol. 25v von Cod. Vat. Lat. 3770 sind nur drei Seiten dieser Formation ausgebildet  : die Gruppe um David vorne, der kontinuierliche Raumvektor von links weg in die Bildtiefe und die ihm Einhalt gebietende, bildparallel ausgedehnte Stadt im Hintergrund. Die vierte Seite ist bloß vage angedeutet, in der Rechtsausrichtung des rechten Bildteils, die hier nicht parallel zum dominierenden Tiefenzug verläuft und daher auch keine visuelle Verbindung damit erfährt. Welches Gestaltungsprinzip hier angesprochen wird, zeigt die Darstellung des triumphalen Einzug Davids in Jerusalem nach seinem Sieg über Goliath auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 32). Die Schräge der Stadtmauer Jerusalems, zugleich der dominierende Raumvektor im Bild, erhält links eine Parallele im Gefolgszug Sauls, der hinter dem den Vordergrund für sich allein beanspruchenden Jüngling schräg aus der Bildtiefe kommt, dabei aber vom linken Bildrand überschnitten wird. Obwohl fast ausschließlich aus hintereinander gestaffelten Helmen zusammengesetzt, die nichtsdestotrotz eine Ausrichtung nach links erkennen lassen, reicht die Verkürzung des königlichen Schimmels aus, um die gesamte Reiterei (und folglich den Weg, auf dem sie sich bewegt und der über eine ansteigende Schwelle in

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den Vordergrund mündet) als ein Pendant zur Stadtmauer wahrzunehmen. Auch der weitere Verlauf der Strecke, die der im Augenblick noch bildparallel einherschreitende David in den Raum hinein einschlagen wird, ist bereits vorgezeichnet  : Der Pfad bricht am rechten Bildrand um und führt fast senkrecht auf das Stadttor zu, das, bereits in einige Distanz gerückt, die kleinen Figuren Michals und ihres Gefolges freigibt, die dem erfolgreichen Helden musizierend entgegenziehen. Diese Formation – einem schräg im Raum liegenden Rechteck entsprechend – findet im Hintergrund ihren Abschluß, wo die Stadtmauer einen Bogen macht und in einem bildparallelen Teilstück in den linken Seitenrand mündet, das dem von David beschrittenen Wegstück als fernes Pendant gegenübersteht. Somit lassen, trotz oberflächlicher Ähnlichkeit, die verräumlichten Miniaturen in Cod. Vat. Lat. 3770 eine viel systematischere, gleichsam kompaktere Raumorganisation erkennen als das Hirtenverkündigungsbild des Wiener Stundenbuchs. Dies legt eine größere zeitliche Distanz zwischen den beiden Handschriften nahe, die sich auch in der künstlerischen Qualität der Werke spiegeln dürfte. Denn zweifellos ist der geschilderte Bildaufbau der vatikanischen Miniaturen der Verdeutlichung der Bilderzählung in höchstem Maße zuträglich, da die geschlossene Form dazu einlädt, immer wieder zum Kerngeschehen zurückzukehren und (durch seine prominente Inszenierung auf der Bildfläche) auch bei ihm zu verweilen. Hinzukommt eine ungleich höher entwickelte Figurendarstellung in Cod. Vat. Lat. 3770  : Volumen und Aktion der Protagonisten im Raum sind mit einer Selbstverständlichkeit glaubwürdig wiedergegeben, die in der Wiener Hirtenverkündigung (und in der Epiphanie ebenda, Taf. X) fehlt  ; man beachte als beliebiges Detail das Fehlen von Schlagschatten in Wien, welche im Davidsbild die Figuren überzeugend mit ihrem Umfeld verbinden. Hinzukommt eine pointierte psychologische Durchdringung des Geschehens durch Blicke, Gesten und die sprechenden Physiognomien der Akteure in Cod. Vat. Lat. 3770  ; von all dem ist man im Wiener Stundenbuch noch ein Stück entfernt. Den verräumlichten Interieurdarstellungen im vatikanischen hat der Wiener Codex überhaupt nichts annähernd Adäquates entgegenzuhalten. Immerhin existiert eine Pfingstdarstellung auf fol. 21v des Wiener Stundenbuchs (Taf. XIV), die sich allein auf Grund desselben Inhalts für einen Vergleich mit der Miniatur auf fol. 45v im zweiten Band der vatikanischen Handschrift (Abb. 34) anbietet. Das Pfingstereignis findet auf fol. 21v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 in einem Sakralraum statt, der indes durch einen schmalen Wiesenstreifen am unteren Bildrand an Glaubwürdigkeit verliert. Durch eine Arkade, über der man den oberen Teil einer Langhauswand (mit einer vierteiligen Laufgangzone und Skulpturen auf den Diensten über den Arkadenpfeilern) erkennt, blickt man in das Joch eines Seitenschiffes, in das ein Gang mit links drei Fensteröffnungen mündet  ; von hier aus nehmen drei frontal kniende Jünger am Geschehen im Architekturkompartiment vor ihnen teil. Rechts, an der Langhauswand, ist ein Fenster in einen Nebenraum, aus dem eine einzelne Figur lugt, vom rechten Bildrand angeschnitten, links führt ein zweiteiliges Portal, dessen rechte Hälfte halbhoch vermauert ist, ins Freie. Im zentralen Joch kniet, umgeben von Aposteln, die Madonna schräg nach links vorne gewandt und blickt soeben mit erhobenen Händen von einem Betpult auf, auf dem ein aufgeschlagenes

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Buch liegt  ; schräg über ihr kommt in einer leuchtenden Aureole der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auf die Versammlung herab. Maria gegenüber kniet links im Vordergrund, noch innerhalb des durch die Pfeiler abgesteckten Joches, ein Jünger mit dem Rücken frontal zum Betrachter. Er ist Ausgangspunkt für zwei Blick- (und damit auch Raum-)Richtungen  : Die eine führt entsprechend der Orientierung seines fast frontalen Körpers direkt nach hinten zur räumlich gestaffelten Apostelgruppe im Gang. Die andere folgt der Wendung seines Kopfes hin zur Madonna und weiter zu dem unmittelbar hinter ihr knienden, von der rechten vorderen Säule überschnittenen Heiligen. In dem rechts ausgeschiedenen schmalen Randstreifen befinden sich drei halbkreisförmig angeordnete Apostel in einer Raumschicht hinter Maria. Links zwischen den beiden Säulen erscheint ebenfalls ein Jünger, und wiederum über ihm, nur ganz fragmentarisch zu sehen, blickt ein Mann durch die abgemauerte Portalöffnung. Ganz am linken Bildrand, abgesondert durch die linke Säule, schließt der zwölfte Apostel den Kreis rund um die Gottesmutter. Auch auf fol. 45v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 34) erinnert das tonnengewölbte Inte­ rieur, von dem nur die linke Seiten- und die Rückwand zu sehen sind, durch die lanzettförmigen Maßwerkfenster und die entlang der Fensterwand aufgestellte chorgestühlartige Bank an einen Sakralraum, der allerdings im rechten Hintergrund durch einen Kamin und andere Stubenutensilien wie Kanne und Handtuch wohnliche Züge annimmt. Links im Vordergrund ist die Madonna in ähnlicher Haltung und Ausrichtung wie im Wiener Stundenbuch zu sehen. Jedoch ist die Achse, auf der sie und ihr Betpult sich befinden, vergleichsweise stärker in den Raum orientiert – eine Ausrichtung, der auch ihr radial umbrechendes, dabei aber in die Tiefe ausgebreitetes Gewand Folge leistet. Maria selbst ist in einer räumlichen Drehung begriffen  : Eben noch auf ihr links befindliches Buch konzentriert, blickt sie sich nun mit erhobenen Händen nach dem rechts hinter und über ihr erscheinenden Heiligen Geist um. Durch diesen Kunstgriff ist sie nach vorne gewandt, ohne frontal dargestellt zu sein. Zugleich scheint ihre eigene Drehung die kreisförmige Anordnung der insgesamt fünf Apostel um sie herum zu dynamisieren, wobei auf suggestive Weise an der imaginären vorderen Bildebene gleichsam Platz für die Betrachtenden freigelassen wurde. Dabei fällt auf, wie sehr ein dem Arrangement im Wiener Stundenbuch nicht unähnliches Konzept im Sinne der Raumwirkung verbessert wurde. Die beiden links vorne Maria zugewandten Apostel, hier eindeutig als Johannes und Petrus zu identifizieren, knien räumlich versetzt parallel zur linken Seitenwand, die zusammen mit dem durchgehend sichtbaren Bretterboden die räumliche Ausrichtung der gesamten Darstellung bedingt. Auch Maria scheint durch ihr nach hinten gebreitetes Gewand und ihre soeben vollzogene Abwendung von dem quer stehenden Betpult in diese Achse integriert. Der hinter ihr, leicht versetzt auf derselben Linie kniende Jünger ist etwas nach hinten gerückt, und auch die am rechten Bildrand sichtbare Rückenfigur hält Distanz zur Gottesmutter. Dadurch wird Raum hier auch als Platz, also Freiraum, erfahrbar. Der rechte Apostel ist ein besonders gelungener Wurf des Künstlers. Wie an der Stellung der Füße unschwer ersichtlich, ist er als eben noch dem dominierenden Raumvektor folgend in die Bildtiefe orientiert zu denken. Die durch das Aufschrecken hervorgerufene Wendung des Kopfes nach links, der der Körper in einer Drehbewegung folgt,

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bindet die Figur aber nicht nur in die Formation rund um die Madonna ein, sondern verstärkt auch den Eindruck des dynamischen Kreisens, das im Bewegungsmotiv Marias angelegt ist. In gewisser Weise steigert dieser rechte Jünger das, was in der Rückenfigur auf fol. 21v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 vorgebildet ist, nämlich die Initiierung zweier Raumrichtungen. In Cod. Vat. Lat 3769 sind es drei, entsprechend der stärkeren Drehung des rechten Apostels. Seiner ehemaligen Ausrichtung antwortet der Jünger, der im Mittelgrund ganz an den rechten Bildrand gerückt ist und so den Raumsprung herunterspielt, der zwischen der vorderen und der hinteren Apostelgruppe allein auf Grund des enormen Größenunterschiedes der Figuren entsteht  ; dadurch, daß sich auch die drei vor dem Kamin situierten Apostel noch auf dieser Linie befinden, wird der Raum hier von vorne bis an die Rückwand durchmessen. Dies trifft auch bezüglich der Ausrichtung des Oberkörpers zu, der folgend man über den Jünger hinter Maria bis zu dem unter der Nische mit dem Wassergefäß an der linken Seitenwand knienden Heiligen gelangt. Durch die Drehung des Kopfes schließlich wird eine fast schon bildparallele Verbindung zur Gottesmutter hergestellt und zugleich ein entscheidendes Handlungsmoment geschaffen, die suggerierte Kreisbewegung im Vordergrund, welche de facto gar nicht von den Figuren, sondern vom Blick des Betrachters vollführt wird. Gemeinsam ist den beiden Pfingstminiaturen also die grundsätzliche Figurendisposition, die aus einer schräg nach links vorne orientierten Gottesmutter, mehreren um sie herum angeordneten Aposteln und einer lose gestreuten Jüngergruppe im Hintergrund besteht. Ähnlich ist auch, daß die primäre Raumrichtung von links vorne nach rechts hinten verläuft und daß dies neben der jeweiligen Architektur auch die Staffelung zweier links befindlicher Apostel zeigt. Schließlich tritt in beiden Miniaturen eine „Scharnierfigur“ auf, die in Rückenansicht und damit auch als Repoussoirmotiv verschiedene räumliche und inhaltliche Beziehungen auf einen Blick faßbar macht. Schon die Aufzählung der Gemeinsamkeiten impliziert Unterschiede. So zerfällt die Figurenanordnung im vatikanischen Stundenbuch in eine vordere und eine davon durch den Maßstab, aber auch die Tiefe des Interieurs abgesetzte hintere Gruppe, die trotz ihrer einheitlichen Ausrichtung auf das Geschehen und die durch die Repoussoirfigur bewirkte kompositionelle Anbindung nicht wirklich als Einheit gesehen wird. Im Wiener Stundenbuch gelingt dies schon durch die Nähe der hinteren Akteure viel besser, aber auch dadurch, daß zumindest die drei im Gang befindlichen Jünger niemanden vor sich haben als Maria selbst. Umgekehrt wird die Geschlossenheit der Gruppe in der Wiener Miniatur zur Seite hin durch die Säulen gestört, so daß der Zusammenhalt insgesamt nicht so intensiv, dafür aber alle Figuren umfassend ist. Natürlich ist dafür auch der Einsatz der Architektur entscheidend. Obwohl es in Wien einen quer gelagerten vorderen Teil gibt, ist grundsätzlich dieselbe schräge Ausrichtung nach rechts hinten wie im vatikanischen Stundenbuch durch den hinteren Gang und darüber hinaus durch den stellenweise sichtbaren Fliesenverlauf gewährleistet. Die Position der drei Säulen unterstützt den Eindruck eines von links nach rechts fluchtenden Raumes. Bemerkenswerterweise bietet die zentrale Arkadenöffnung auch eine alternative Wahrnehmung an, nämlich drei voneinander unabhängige Raumachsen. Freilich können die beiden äußeren

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nicht mit der mittleren konkurrieren. Nichtsdestotrotz wird dem Blick die Möglichkeit geboten, Tiefe auch anderswo als in dem durch den Gang eröffneten hinteren Raumkompartiment zu erleben, nämlich im rudimentär, aber sehr hell angedeuteten Landschaftsausblick links und in dem durch den Apostelkopf betonten Fenstereinblick rechts. Dies läßt sich nicht mit der Raumauffassung im vatikanischen Stundenbuch in Einklang bringen. Dort suggeriert der Künstler Tiefe einerseits durch die kontinuierlich fluchtende Seitenwand und den Bretterboden, andererseits durch die Verkleinerung von Figuren und Gegenständen im hinteren Raumteil. Der in diesen Maßstabsunterschieden anklingende Raumsprung steht in einem gewissen Gegensatz zu dem durch die Architektur erzeugten Kontinuum. Darüberhinaus kommt es zu perspektivischen Unstimmigkeiten. Die an der Mauer aufgestellte Bank, die Maria, Petrus und Johannes hinterfängt und somit eine wichtige kompositionelle Funktion innehat, ist anders verkürzt als die Wand dahinter, und auch die Bretter des Fußbodens geraten zu beiden Elementen in ungelöste Spannung. Dennoch wirkt der Raum insgesamt ebenso geschlossen wie tief – als eine die Figuren dominierende, übergeordnete Größe. Die Architektur hat sich hier offensichtlich vom bloßen Versatzstück emanzipiert, während ihr Kulissencharakter im Wiener Stundenbuch durch den Wiesenstreifen dort, wo eigentlich der Boden eines Mittelschiffs zu erwarten wäre, besonders, nachgerade unnötig, betont ist. Immerhin klingt ungeachtet der Vereinheitlichung des Bildraumes auf fol. 45v von Cod. Vat. Lat 3769 in der Teilung der Figuren in zwei Gruppen etwas an, das möglicherweise in gesteigerter Form schließlich zum frontalisierenden Bildschema der großfigurigen Miniaturen im vatikanischen Stundenbuch geführt haben könnte  : Im Wesentlichen spielt sich das Geschehen im Vordergrund ab, und die Figuren im Hintergrund sind eher Komparsen als Akteure. Dies trifft im Wiener Stundenbuch aus mehreren Gründen nicht zu  : Einerseits deshalb, weil auch die hinteren Apostel so weit vorne erscheinen, daß sie in das Ereignis miteinbezogen sind, andererseits deshalb, weil ihre prominente Position auf der Bildfläche, unmittelbar neben der Madonna, ihre Wahrnehmung zusammen mit der Hauptperson garantiert. Das Resümee des Vergleichs ist eine beträchtliche Distanz zwischen den beiden Miniaturen, trotz ihres in mancher Hinsicht ähnlichen Grundschemas. Man kann auch nicht umhin, die vatikanische als eine weiterentwickelte Lösung anzusehen. Dafür ist nicht nur das Mehr an Raum, sondern auch, ja vor allem, die überzeugendere Figurengestaltung ausschlaggebend. Mit Ausnahme Marias und der beiden Apostel links innerhalb des zentralen Joches sind die Figuren im Wiener Bild bei weitgehender Mißachtung eines darunter befindlichen Körperkerns mit einem dichten, aber strukturlosen Faltenrelief überzogen. Ihre Gesichter wirken rasch hingepinselt (auch wenn in manchen Physiognomien eine Charakterisierung anklingt). Selbst die drei sorgfältiger ausgeführten Protagonisten unterscheiden sich diesbezüglich von jenen im Vordergrund der vatikanischen Pfingstdarstellung. Dort wird das Kniemotiv Marias durch ihren unter dem Mantel sich abzeichnenden Oberschenkel anatomisch nachvollziehbar. Desgleichen sind Gesäß und Oberarm des bildeinwärts gerichteten Apostels in Cod. Vat. Lat. 3769 unter dem Gewand herausgearbeitet, etwas, das in der Wiener Miniatur zur Gänze fehlt. Auch die aufgerissenen Augen des rechten Apostels oder die andächtigen Mienen von Petrus und Johannes liegen weit über der Ausdrucksskala des in Wien tätigen Illuminators.

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Tatsächlich fällt es schwer, in diesem Maler denselben zu sehen, der auch die Hirtenverkündigung (Taf. VIII) und die Epiphanie (Taf. X) in Cod. Vind. Ser. n. 2625 schuf. Nicht einmal die drei sorgfältiger ausgeführten Figuren der Pfingstdarstellung möchte man letzterem zuschreiben  : mit ihren geraden Nasen, den kleinen, kaum verschwollenen Augen und ihrer unspezifischen Haartracht haben sie wenig mit den Protagonisten auf fol. 69v und 73v zu tun. Auch die Technik (obwohl grundsätzlich die durchgehend im Wiener Stundenbuch angewandte Malweise mit aquarellhaftem, durch farbige Schraffuren zusätzlich gegliedertem Farbauftrag) erreicht nicht die Feinheit und Sicherheit, die in einigen anderen Miniaturen der Wiener Handschrift zu finden ist. Ähnliches gilt für die Polychromie, die trotz einer abwechslungsreichen Palette weit hinter dem delikaten Kolorit etwa der Epiphanie zurückbleibt. Dies alles scheint zu bestätigen, daß im Wiener Stundenbuch zwei einander überaus ähnliche, qualitativ nicht kraß voneinander abweichende Maler (mit möglicherweise einem Gehilfen oder aber starken Schwankungen beim schwächeren der beiden Künstler) tätig waren, wobei die Gestaltungsprinzipien beider (einander ohnehin sehr ähnlich, was eine gemeinsame Erarbeitung derselben nahelegt) wie Vorstufen für die Bildlösungen im vatikanischen Stundenbuch wirken. Dabei sind die Darstellungen der Epiphanie und der Hirtenverkündigung in Cod. Vind. Ser. n. 2625 den Lösungen im vatikanischen Stundenbuch bezüglich ihrer künstlerischen Reife näher als die übrigen Miniaturen der Wiener Handschrift. Auch wirkt die Qualität vor allem dieser beiden Vollbilder jenen in Cod. Vat. Lat. 3770–68 in manchen Aspekten ebenbürtig. Es liegt also nahe, in dem Schöpfer der Wiener Epiphanie einen der Künstler zu sehen, die auch im vatikanischen Stundenbuch tätig waren. Ein letzter Vergleich, diesmal von zwei Textminiaturen, soll dies bestätigen. Auf fol. 130v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 55) und auf fol. 156v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XV) ist der heilige Christophorus auf seinem Weg durch das Wasser mit dem Christkind auf den Schultern gezeigt. Dabei sind motivisch allergrößte Übereinstimmungen festzustellen, so daß anzunehmen ist, daß die beiden Miniaturen nach derselben Vorlage geschaffen wurden. Der Riese stapft beide Male mehr oder minder formatfüllend durch die ihm bis an die Waden reichende Flut auf einen links im Bild befindlichen Felsen zu, wo er von einem Mann mit Laterne erwartet wird. Rechts ist in beiden Fällen eine in weiter Ferne gelegene Uferzone zu sehen. Die Posen sowohl des Christkindes als auch des Heiligen gleichen einander bis in Details  ; auffallendster Unterschied ist, daß in der vatikanischen Miniatur auch der Knabe einen nach rechts weg flatternden Mantel hat, was jenen des Riesen veranlaßt, sich nach unten und nicht wie im Wiener Stundenbuch nach oben hin zu bauschen. Aus dieser divergierenden Gewandführung ergibt sich auch eine unterschiedliche Farbverteilung, die nichtsdestotrotz beide Male auf einem Rot-Grün-Kontrast aufgebaut ist. Geschickt hat der Illuminator des Wiener Bildes den in der vatikanischen Miniatur überwiegend im Umfeld der Akteure vertretenen Blau-Gelb-Akkord in die Figurengruppe selbst eingebracht, indem die gelbe Futterfarbe der Tunika des Heiligen als Gegensatz zum ausschließlich blauen Ambiente fungiert. All das läßt auf ein sehr ähnliches künstlerisches Temperament schließen, wenn auch die Farbkontraste in der Wiener Miniatur plakativer, in der vatikanischen – entsprechend der

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Abb. 55: Heiliger Christophorus; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 130v.

atmosphärisch wiedergegebenen Landschaft mit ihrer bezaubernden Dämmerstimmung – differenzierter erscheinen. Bezeichnende Unterschiede manifestieren sich allerdings (trotz identischer Komposition) in der Raumauffassung. So ist der Heilige in der Wiener Miniatur nicht nur weiter vom unteren Bildrand abgerückt (womit er per se schon tiefer im Raum erscheint), sondern auch durch eine spezielle Ufersituation in eine nur schwer meßbare Distanz gebracht. Rechts befindet sich ein kleiner Geländezwickel, und über einem schmalen Wasserstreifen erscheint links abermals ein durch Begrünung ausgewiesenes Ufer, dessen räumliche Position jedoch drastisch verunklärt ist  : Einerseits scheint es sich noch vor dem rechten (im Bild linken) Knie des Riesen zu befinden, andererseits steigt unmittelbar daran anschließend der Felsen hoch, der durch die kleine, nur schemenhaft wiedergegebene Figur an seinem Fuß und zwei unscheinbare Bäume auf seinem Gipfel sehr weit entfernt wirkt. In der vatikanischen Miniatur sind die gleichen Motive weit glaubwürdiger inszeniert. Links unten kündigt ein schmaler, durch seine Dunkelheit unauffälliger Wiesenstreifen eine

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kleine Bucht an, deren hinteres Ufer durch den Felsen gebildet wird. Dieser wirkt durch den hier etwas größeren Laternenmann sowie durch den mittels spärlicher Verästelung als kleinwüchsig ausgewiesenen Baum um einiges näher als in der Wiener Miniatur. Die topographischen Umstände sind dadurch zwar nicht vollends überzeugend, aber einigermaßen nachvollziehbar dargelegt. Doch zeigt all dies nicht nur die glücklichere Lösung, sondern auch ein spezielles, von dem in der Wiener Miniatur abweichendes Raumverständnis im vatikanischen Stundenbuch an. Zweifellos dient der hier bildparallel im Vordergrund agierende Riese ebenso wie die waagrecht verlaufende Bucht einer Frontalisierung der Miniatur. Umgekehrt ist in der Wiener Darstellung die unmotivierte und nicht überzeugende Distanzierung des Felsens auf den Versuch zurückzuführen, mehr Raum ins Bild zu bringen. Dafür sprechen auch andere Faktoren  : So scheint sich – bei völlig identischer Schrittstellung – der Riese in Cod. Vind. Ser. n. 2625 deutlicher als jener in Cod. Vat. Lat. 3768 nach vorne zu bewegen, was durch den näher am Köper geführten Stab und den weiter nach hinten gezogenen und in die Hüfte gestützten linken (im Bild rechten) Arm suggeriert wird. Daß Christophorus sich damit vom Eremiten eher weg- als auf ihn zuzubewegen scheint, dürfte den Illuminator der Wiener Miniatur ebensowenig gestört haben wie der haarsträubende Maßstabssprung. Immerhin bricht zwischen dem Stab und dem Felsen noch ein Durchblick in die Ferne auf, wodurch wenigstens ansatzweise ein de facto nicht vorhandener Abstand angedeutet wird. Im vatikanischen Stundenbuch grenzt der Stock direkt an den untersten Felsblock, was nicht nur den Anschein einer räumlichen Distanz zwischen den beiden so ungleichen Objekten zunichte, sondern auch einen Fernblick an dieser Stelle unmöglich macht. Der Fernblick wird in der vatikanischen Miniatur rechts hinter Christophorus eingebracht. Dabei verdeckt der wegflatternde Mantel des Heiligen das Gros der (mit zahlreichen bildparallelen Wellen versehenen) Wasserfläche zwischen ihm und der Stadt im Hintergrund, was einen kontinuierlichen Tiefenzug (der auch durch sonst nichts vorgegeben ist) verhindert. Distanz wird einmal mehr über einen gewaltigen Raumsprung erlebt, und wohl nicht zufällig sind alle Objekte am Horizont primär in Waagrechten organisiert  : Das Ufer, die Wolkenstreifen darüber sowie ihre Spiegelung auf jenem Teil der Wasserfläche, die auf Grund der Entfernung keine horizontalen Wellenbänder mehr erkennen läßt und damit dringend einer anderen Art bildparalleler Struktur bedurfte. In der Wiener Miniatur offenbart sich im Vergleich damit der Sinn nicht nur des rechten vorderen, sondern auch des linken, so vage positionierten Uferstreifens. Durch vom Riesen und vom Felsen geworfene Schatten auf der Wasserfläche wird schon von der linken unteren Bildecke weg eine Schräge initiiert, die sich kontinuierlich von links vorne nach rechts hinten zieht und dort in großer Entfernung aus dem Bild zu gleiten scheint. Der rote Mantel des Heiligen versperrt hier nicht den Tiefenzug, sondern unterstützt ihn, indem er wie ein hochgezogener Vorhang – gleichsam im Augenblick – die Sicht auf eine von vorne bis hinten durchmeßbare Distanz freigibt und sich zudem in einer Schräge bauscht, die nicht nur ihre Entsprechung in dem rechten Uferstreifen findet, sondern selbst explizit räumlich und damit richtungsweisend gelesen wird.

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Das gemeinsame Vorbild beider Miniaturen dürfte ein um 1475 datierbarer Stich Martin Schongauers147 (Abb. 56) gewesen sein, der vielleicht schon dem Illuminator der entsprechenden Darstellung auf fol. 117r von Cod. Vind. 1857, dem sogenannten Stundenbuch der Maria von Burgund, bekannt war, dort allerdings seitenverkehrt und doch sehr frei rezipiert wurde148. Die beiden Versionen in Cod. Vat. Lat 3768 und in Cod. Vin. Ser. n. 2625 folgen der Lösung Schongauers weit genauer, wobei aber jede der Miniaturen andere Analogien und Abweichungen aufweist und zudem die (zwischen ihnen größer als mit dem Vorbild wirkenden) motivischen Übereinstimmungen nahelegen, daß beide Miniaturen entweder in unmittelbarer Kenntnis voneinander oder aber in direkter Anlehnung an eine Vorlage, die den Stich bereits entsprechend adaptiert Abb. 56: Heiliger Christophorus; Martin hatte, entstanden sind. In groben Zügen ist Schongauer, Der Heilige Chistophorus (Lehrs bei Schongauer die Komposition zur Gänze Nr. 63), Coburg, Kunstsammlung der Veste (Inv. K 601) vorgebildet  : das felsige Ufer links mit dem Eremiten, die Schrittstellung des Riesen, der mit der Rechten seinen Stock hält, während er seinen linken Arm in Hüfthöhe abgewinkelt hat, seine Kostümierung (anders drapiert) mit Leibrock, Mantel und Haarband, Position und Aktion des Christkindes, das mit der linken Hand die Weltkugel umfaßt, während es mit der Rechten einen Segensgestus vollführt, und schließlich der Fernblick rechts, der bei Schongauer einen befestigten Berg zeigt. Übereinstimmend mit der vatikanischen Miniatur weht der Mantel des Heiligen nach unten, und auch das Christkind trägt wie dort ein Übergewand, das sich nach oben bauscht. Übereinstimmend mit dem Wiener Christophorusbild ist vorne rechts ein Uferstreifen ausgebildet, und das linke Ufer gleitet in räumlicher Verkürzung nach hinten, wobei der in die Tiefe führende Weg, auf dem Schongauers Eremit mit seiner Laterne einherschreitet, in der Wiener Miniatur seine Entsprechung in dem winzig kleinen, ebenfalls schräg gelagerten Gatter findet, hinter dem der Laternenmann steht – wie überhaupt die sonderbare linke Ufer­ situation des Wiener Bildes eine verunklärte Abkürzung des räumlich gestalteten Terrains im Stich als Grundlage haben dürfte. 147 Lehrs 56  ; München 1991, S. 142 f. (Nr. 56). 148 Vgl. Unterkircher – de Schryver 1969, Faksimile.

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Bezüglich der Gestaltungsprinzipien steht die Schongauer-Vorlage zwischen den beiden Miniaturen. Das Hauptmotiv, der Heilige mit Christus auf seinen Schultern, ist frontal konzipiert, zumal der Riese sich eindeutig bildparallel bewegt und das Kind sich gerade aus dem Bild herauswendet. Die beiden nach rechts weg (und im Vergleich zu den beiden Miniaturen mit unvergleichlicher Schönlinigkeit) gebauschten Mantelenden, vor allem jenes des Christophorus, beeinträchtigen – gemeinsam mit der Schwertlilie rechts vorne – die kontinuierliche Raumentwicklung nach hinten. Andererseits ist vor allem der ferne Teil der Wasserfläche nicht so gründlich abgedeckt wie in der vatikanischen Miniatur. Auch das Mantelende des schongauerschen Heiligen erscheint nicht in einer waagrechten Formation wie in Cod. Vat. Lat. 3768, sondern in Keilform und darüber hinaus nicht ganz so weit nach rechts gezogen, so daß letztlich genug von der Wasserfläche sichtbar bleibt, um sie am rechten Miniaturrand doch noch als Kontinuum zu erleben. Wie im Wiener Bild ist Christophorus vom unteren Bildrand abgerückt, was von vorne herein eine räumlichere Disposition mit sich bringt und eine Raumentwicklung von links unten weg suggeriert, die in Form einer trichterartigen Erweiterung sowohl nach links hinten als auch nach rechts zu stattfindet. Es ist interessant zu beobachten, wie sehr der Illuminator in der vatikanischen Miniatur versuchte, genau diese trichterartige Verräumlichung – gleichsam um jeden Preis – zu verhindern. Er zog nicht rechts, sondern links vorne einen (sich noch dazu nach rechts hin verlierenden) Terrainstreifen ein, der sicherstellt, daß sich der Trichter nicht in den Raum hinein, sondern bildparallel öffnet. Der in Cod. Vind. Ser. n. 2625 tätige Maler beschritt wiederum den umgekehrten Weg  : Er schuf weniger einen Trichter als einen regelrechten Schlauch, der rechts vorbei an Christophorus unaufhaltsam in die Tiefe führt  ; daß diese Interpretation des Sachverhalts nicht übertrieben ist, zeigt ein in diesem Zusammenhang bedeutsames Detail  : Der Uferstreifen am Horizont der Wiener Miniatur beginnt schon links hinter dem Heiligen (dort, wo im vatikanischen Bild nur Wasser zu sein scheint) in einer durch die Größe der Berge angezeigten Entfernung und steigt in einer feinen Schräge weiter nach rechts zu an, so daß dem Raumvektor auch in der Bildtiefe nicht Einhalt geboten wird, sondern bis an den Miniaturrand und damit in die Unendlichkeit weitergeführt wird. Somit stehen sowohl die Gestaltungsprinzipien in der Wiener als auch in der vatikanischen Miniatur mit den stilistischen Qualitäten in Einklang, die die Ausstattung des jeweiligen Stundenbuchs insgesamt charakterisieren. Das Wiener Bild scheint mit seiner forcierten Raumdarstellung besonders eng an Epiphanie und Hirtenverkündigung in Cod. Vind. Ser. n. 2625 anzuschließen. Selbst die polyfokale Struktur des Fernblicks scheint in diesem klein­formatigen Werk angedacht, zumal die Bergkette links hinter Christophorus eine ganze leichte Krümmung nach links oben erkennen läßt und so die Möglichkeit andeutet, daß auch in diese Richtung ein perspektivischer Ausblick gegeben wird  ; in diesem Zusammenhang gewinnt selbst der unproportional verkleinerte Felsen links eine neue Bedeutung, da die beiden Bäumchen auf ihm durchaus auch als nach links unten/hinten räumlich gestaffelt zu lesen sind und somit der Raum nicht nur auf einer, sondern explizit auf mehreren Achsen entwickelt wird. In der vatikanischen Miniatur bleibt selbst der Raumsprung auf einen Ausblick beschränkt, konform mit dem in den verräumlichten Vollbildern dieser Handschrift ersicht-

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Die frühe Gruppe

lichen Gestaltungsprinzip, dem Raum eine in sich geschlossene oder zumindest monofokale Konstruktion zu Grunde zu legen. Rückt dies das kleine Christophorusbild des Wiener Stundenbuchs in die Nähe von Epiphanie und Hirtenverkündigung, so fällt umgekehrt die geradezu achtlose Disintegration der Figuren in den Umraum auf, die mit einer mangelnden plastischen Artikulation der großen Form einhergeht. Nun ist zwar die Wiener Christophorusdarstellung um einiges kleiner als die vatikanische Textminiatur, doch kann sich dies nicht auf die soeben angesprochene Eigenheit des Wiener Bildes ausgewirkt haben. Plastische Modellierung ist im Überfluß vorhanden, in Form eines kleinteiligen Faltenreliefs. Diesbezüglich ist es besonders anschaulich, die vatikanische der Wiener Miniatur gegenüberzustellen. Während in Cod. Vat. Lat. 3768 Einzelformen wie beispielsweise die Röhrenfalten der Tunika oder die Fältelung der wehenden Umhänge technisch relativ einfach gehalten ist (in der Tunika geben einfach Streifen aus dunklerem Rot auf der helleren Grundfarbe den gewünschten Effekt), wird in der gelben Futterfarbe desselben Kleidungsstücks im Wiener Bild durch starke Farbkontraste, aber auch unregelmäßige Pinselstriche selbst in diesem kleinen Format eine stoffliche Wirkung angestrebt. Umgekehrt erfolgt die Gestaltung größerer Formen, etwa der Beine des Riesen oder des wegflatternden Mantels, mit ungleich mehr Verständnis (und daher einem weit besseren Ergebnis) in Bezug auf Körper und Raumwerte. Der Figurenzylinder des Riesen ist an seiner linken, den Betrachtenden zugewandten Schmalseite großflächig abgedunkelt und wird so als voluminöse Form erfahrbar. In Wien bleibt dies Partie vom gleichen lebhaften Hell-Dunkel, das ein kleinteiliges Relief suggeriert, überzogen wie der Rest der Kleidung. Und während sich der Mantel in Wien als eine plane Form mit lebhaftem Binnenrelief bauscht, vollführt das Gebilde in der vatikanischen Miniatur eine Drehung im Raum, wie an der goldenen Borte, aber auch an der Art des Faltenbausches ersichtlich ist. Die weit klarer artikulierte Physiognomie des Riesen mag zwar tatsächlich auf ihre relative Größe gegenüber dem Wiener Pendant zurückzuführen sein. Jedoch die Art, wie die Rechte des Heiligen in Cod. Vat. Lat. 3768 den Stock tatsächlich umfaßt, während Christophorus in Wien den Stab nur zwischen Daumen und Mittelfinger geklemmt zu haben scheint, zeugt von einem vertieften Verständnis von Körper- und Raumwerten im vatikanischen Bild. Hier klingen Unterschiede an, wie sie bei dem eingangs angestellten Vergleich der Mat­ thäusbilder in den beiden Stundenbüchern sowie im Isabella-Brevier zutage traten. Klar wird jetzt, daß die Unräumlichkeit der Matthäusminiatur in Wien auf ihre geringe Größe zurückzuführen ist, die den Künstler veranlaßte, sein bei diesem Thema in diesem Format nicht verwirklichbares Raumkonzept gleich fallenzulassen. Klar wird aber auch, daß die Sorglosigkeit bei der Schilderung von Volumen und räumlicher Position der Figuren bei gleichzeitiger Steigerung stofflicher, gar atmosphärischer Qualitäten im Wiener Bild eine Grundhaltung des hier tätigen Illuminators ist. Da dies in den beiden Vollbildern der Epiphanie und der Hirtenverkündigung nicht so sehr ins Auge fällt, da die Figuren dort der Konstruktion eines weiten und umfassenden Raumes unterstellt werden und ihre Integration in denselben sich damit bis zu einem gewissen Grad von selbst ergibt, könnte man mit dem Gedanken spielen, die weit weniger sorgfältig ausgeführten Textminiaturen als Arbeit eines Gehilfen anzusehen. Allein

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die zielsichere Art, mit der der Illuminator im Christophorusbild seine Raumvorstellungen gegenüber seinem mutmaßlichen Vorbild umsetzte, und auch die Betonung stofflicher Qualitäten selbst in einem kleinen Format wie diesem sprechen m. E. jedoch dagegen. Damit ist aber auch der erste Schritt dahin getan, das Wiener Stundenbuch – trotz einer in den Miniaturen des Isabella-Breviers nicht anzutreffenden erstaunlichen Räumlichkeit mancher seiner Bilder – vor Add. 18851 zu setzen. Dies freilich unter der Prämisse, daß der in Wien prominent fungierende Illuminator auch jener ist, der in der Londoner Handschrift arbeitete. Jedoch gibt es nicht viele Vergleichsmöglichkeiten zwischen dem Londoner und dem Wiener Codex, vor allem nicht hinsichtlich der beiden qualitätvollsten Miniaturen des Wiener Stundenbuchs auf fol. 69v und 73v. Unter den drei halbseitigen Miniaturen in Add. 18851 ist nur eine, die Erweckung des Lazarus auf fol. 481r (Abb. 57), vor einer Landschaft angesiedelt. Trotz thematisch und damit motivisch großer Unterschiede zur Epiphaniedarstellung in Cod. Ser. n. 2625 (Taf. X), sollen einander doch, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, diese beiden Bilder gegenübergestellt werden. Tatsächlich scheinen sich wenig Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu ergeben. Schon das Format ist grundsätzlich anders, die Figurengröße aber annähernd identisch (worauf schon beim Vergleich der Marienkrönungsminiaturen in den beiden Handschriften hingewiesen wurde149). Sowohl in der Lazaruserweckung als auch in der Epiphanie befindet sich links im Bild eine Architektur. Form und vor allem Funktion der beiden Bauwerke sind jedoch extrem unterschiedlich. In der Londoner Miniatur begrenzt das mächtige Stadttor die Vordergrundbühne, die von einer daraus hervorquellenden Figurengruppe bevölkert wird. Obwohl das Gebilde perspektivisch verkürzt ist, hat das weder für die Bild- noch für die Raumwirkung Folgen. Auf Grund der einheitlichen Farbigkeit und wohl auch deshalb, weil nur ein Ein-, aber kein Durchblick dargestellt ist, wirkt das wuchtige Gemäuer nahezu bildparallel. Die Landschaft, die sich rechts davon erstreckt, nimmt formal keinerlei Bezug darauf. Nicht einmal der Weg, der in einer Kurve den Mittelgrund durchmißt, scheint zum Tor zu führen, was neben seiner stilistischen und kompositionellen auch noch eine inhaltliche Funktionslosigkeit des Gemäuers suggeriert. Immerhin dient das rechts außen sichtbare Strebewerk, das als einziges Element der Architektur eine auch bei oberflächlicher Betrachtung unübersehbare Dreidimensionalität aufweist, als Hintergrundfolie für Christus, Johannes und eine der beiden Schwestern Lazari (auf Grund der prächtigeren Kleidung wohl Maria), welche zusammen die Spitze des sich aus dem Stadttor bis zum Grab erstreckenden Figurenzuges bilden. Die zweite Schwester, Martha, kniet nach rechts gerückt vor der Landschaft, die auch das im rechten Vordergrund bildparallel dargestellte und von der unteren Rahmenleiste überschnitte Grab hinterfängt, welchem Lazarus mit gefalteten Händen entsteigt. Neben der zur Seite geschobenen Deckplatte stehen am rechten Bildrand drei Totengräber, die das Geschehen staunend kommentieren. Die Landschaft setzt sich aus einem Wiesenstück, das vor dem Stadttor beginnt und durch sukzessive Aufhellung nach hinten zu von einer planen zu einer räumlich 149 Vgl. hier Kap. III 1 b.

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gelagerten Ebene umgedeutet ist, und dahinter anschließenden Terrainwellen im Mittelgrund zusammen. Dort windet sich ein Weg um einen einzelnen, noch relativ nahsichtig gezeigten Baum und läuft dann waagrecht in Richtung Architektur. Auch die übrige Landschaftsorganisation erfolgt im wesentlichen durch bildparallele, hintereinander angeordnete Terrainsilhouetten, wenn auch durch die Plazierung der Bäume darauf versucht wurde, eine Tiefenerstreckung mittels Raumvektoren zumindest zu suggerieren. Betrachtet man den Bildaufbau der Wiener Epiphanieminiatur (Taf. X), so überwiegen die Unterschiede zur Londoner Darstellung bei weitem. Der Stall auf fol. 73v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 dient als das wesentliche Mittel zur Raumkonstruktion  : Durch ihn wird nicht nur die (im Vergleich zum Londoner Bild beträchtliche) Tiefe der Vordergrundbühne bestimmt, sondern (mit Hilfe der seine Ausrichtung fortführenden Bäume) auch der Bildraum insgesamt erschlossen. Die Figurengruppe in Add. 18851, die durch die Schrägstellung Christi und Marias eine der Architektur im Wiener Bild vergleichbare Aufgabe, nämlich die räumliche Bestimmung des Vordergrundes, übernimmt, kann nicht einmal ansatzweise Vergleichbares leisten. Dies auch deshalb, weil die Fortsetzung des in den Protagonisten anklingenden Raumvektors über den Vordergrund hinaus durch die Kurve bzw. waagrechte Ausrichtung des Weges dahinter unterbunden wird. Noch dazu wird gerade jenes Wegstück, das unmittelbar in die Tiefe weisen würde, von dem gestikulierenden rechten Totengräber verdeckt. Dadurch, daß der Pfad über dem Arm noch einmal angedeutet wird (erneut beinahe waagrecht nach links führend), wird es möglich, seine Kontinuität bis in die Talsenke im bereits fernen Teil der Landschaft anzunehmen. Der Effekt für die Bildwirkung insgesamt bleibt gering. Der eben beschriebene Bildaufbau erinnert an jenen in der Matthäusminiatur von Add. 18851 (Abb. 15), wo ebenfalls Raum durch die darin befindlichen Figuren und Objekte definiert wird, eine Anbindung an den in der Landschaft nur anklingenden Tiefenzug jedoch nicht erfolgt. Der sich in durch hintereinander geschobene Hügel suggerierte Talsenken verlierende Weg ist zudem ganz ähnlich in der bereits besprochenen Bartholomäusminiatur des Londoner Breviers anzutreffen (Abb. 13). Dabei zeigt das Bartholomäusbild mit dem von links hinten kommenden und sich nach rechts hinten entfernenden Pfad sogar etwas wie die polyfokale Ausrichtung in den beiden diesbezüglich eindrucksvollsten Wiener Miniaturen. Allerdings kündigt sich sogar in der Bartholomäusdarstellung und mehr noch im Bild der Lazaruserweckung die vereinheitlichte Raumkonstruktion an, die zum Merkmal der vatikanischen Miniaturen wird  : In der Textminiatur (Abb. 13) dadurch, daß auch die vorderste, prominenteste Staffelung der Hügel rechts einen Talverlauf nach links zu nahe legt, parallel also zur Richtung, woher der Weg ursprünglich im linken Bildteil gekommen ist, in der halbseitigen Lazarusdarstellung (Abb. 57) dadurch, daß sowohl die Figurengruppe als auch der Fernblick hinter ihr – wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln – von links vorne nach rechts hinten verlaufend organisiert sind. Ein wie in den beiden Wiener Miniaturen zweiter dominierender Raumvektor ist in Add. 18851 nicht zu finden. Dafür ist in der Figurenwiedergabe ein gewisser Anschluß der Londoner Lazaruserweckung (Abb. 57) an die Wiener Epiphanie (Taf. X) festzustellen. Abgesehen von dem erwartungsgemäß übereinstimmenden Typenrepertoire hat auch die stämmige Statur etwa der Totengräber

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Abb. 57: Erweckung des Lazarus; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 481r.

in Add. 18851 eine Entsprechung in der kompakten Erscheinung der beiden jüngeren Könige in der Wiener Epiphanie. Insgesamt kommen von der Londoner Lazaruserweckung aber sehr unterschiedliche Signale bezüglich der Figurenauffassung. So wirken etwa die Körper Marias und Marthas substanzlos, was durch einen den Körperkern verhängenden Fall und unspezifische (nur auf Lichteffekte abzielende) Modellierung der Gewänder hervorgerufen wird. Andererseits sind die Köpfe der beiden Frauen plastisch geformt, weit mehr, als das bei Maria in der Wiener Epiphanie der Fall ist. Während der Turban in Wien das Gesicht eher rahmt als das Volumen des Hauptes anzeigt, sind die Tücher in London zu wulstigen Gebilden gewickelt, was auf die Wahrnehmung der ohnehin kräftig modellierten Physiognomien eine Rückwirkung hat. Desgleichen zeichnen sich unter Christi faltenreichem Gewand die Schulterpartie und der Oberschenkel ab, was in der Wiener Miniatur, außer bei enganliegender Beinkleidung, nirgendwo der Fall ist  ; Marias Kleid bildet zwar rund um ihr rechtes (im Bild linkes) Knie Faltenformationen aus, die das Sitzmotiv der Gottesmutter veranschaulichen  ; ein explizites Aufliegen des Stoffes auf in ihrer Form erkennbaren Gliedmaßen wurde jedoch in Cod. Vind. Ser. n. 2625 nicht angestrebt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Gegenüberstellung der Lazaruserweckung auf fol. 481r des Londoner Breviers mit der bezüglich des Motivrepertoires nicht unähnlichen Auffindung des Wahren Kreuzes auf fol. 164av in Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 37). Wie nicht anders zu erwarten, ist die vatikanische Miniatur weit tiefenräumlicher konzipiert als die Londoner  : Im Vordergrund wird eine erste Raumschicht durch den mit Hilfe des Kreuzes Christi zum Leben erweckten Leichnam, durch das Wahre Kreuz, den Sarg und die beiden Schächerkreuze gebildet. Dahinter stehen Helena und der Levit Judas sowie die Arbei-

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Die frühe Gruppe

ter und das Gefolge der Königin bis in den Mittelgrund gestaffelt, der sich links in einer ansteigenden Hügelkette fortsetzt. Rechts wird ein Ausblick auf die Stadt Jerusalem vor verblauenden Hügeln und fernen Bergen geboten. Dabei achtete der Künstler darauf, die einzelnen Schichten durch Raumvektoren zu verbinden und zu vertiefen. Im Vordergrund verraten zwei verkürzte Kreuzbalken die Tiefe des Terrainstücks, und die durch sie gebildete Fluchtlinie von links vorne nach rechts hinten wird in der Staffelung des Gefolges zum rechten Bildrand hin fortgesetzt. Auch der in mehreren Wellen nach links zu ansteigende Hügel mit mehreren räumlich versetzten Figurenpaaren verläuft parallel zur Anordnung der beiden Arbeiter am linken Bildrand und belegt so den Willen des Illuminators, ein die gesamte Bildtiefe durchmessendes Kontinuum zu suggerieren. Dergleichen hat die Londoner Miniatur natürlich nicht zu bieten. Lazarus entsteigt der bildparallel zur unteren Rahmenleiste verlaufenden Gruft, die von den übrigen Figuren umgeben ist. Die massige Torarchitektur zwingt zwar durch ihren schrägen Linksverlauf dem ungegliederten Konglomerat hintereinander gestaffelter Köpfe davor zumindest theoretisch (also nach Kontemplation des visuellen Sachverhalts) eine räumliche Ausrichtung auf, wird durch ihre einheitliche Farbe jedoch de facto primär als flächenkonstituierender Mauer- hinter einem undifferenzierten Figurenblock wahrgenommen. Auch die hügelige Landschaft mit dem im Mittelgrund in einer Kurve ausschwingenden Weg, der allerdings bildparallel umbricht, ehe er den Vordergrund erreicht, wirkt sich weder auf die Figurengruppe vorne noch auf das Bild insgesamt als ein stark verräumlichender Faktor aus. Insgesamt scheint es, als sei im vatikanischen Stundenbuch zur vollen Reife gelangt, worum man sich im Londoner Brevier eben erst zu bemühen begann  ; dies betrifft auch die organische Beweglichkeit und die monumentaleren Proportionen der Figuren in der Kreuz­ auffindung. Dennoch ist die Ausstattung des Londoner Breviers nicht bloß als unvollkommene Vorstufe des Miniaturschmucks in Cod. Vat. Lat. 3770–68 abzutun. Die Vordergrundbühne in der Lazaruserweckung von Add. Ms. 18851 ist besonders durch die um das offene Grab gruppierten Figuren klar definiert, was einen gewissen Auffassungsunterschied zur (trotz größerer Tiefe und aggressiver Raumvektoren) im Wesentlichen bildparallelen Organisation des unteren Miniaturteils und zur weitgehenden Frontalität des Protagonistenpaares in der Kreuzauffindung von Cod. Vat. Lat. 3769 anzeigt. Es dürfte auch kein Zufall sein, daß im Londoner Brevier in der Bildmitte ein Ausblick in die Ferne möglich ist – wie wenig er auch immer an den Vordergrund angebunden oder energisch verräumlicht sein mag –, während er im vatikanischen Stundenbuch durch auf den Betrachter ausgerichtete Figuren verstellt ist und erst über deren Köpfen einsetzt. Die Modellierung der Detailformen im Brevier erscheint vor allem im Totenlaken weit kräftiger als in der Kreuzauffindung, wo bei annähernd gleicher Figurengröße die Hell-Dunkel-Effekte eher zurückgenommen wurden. Die Kehrseite davon ist einmal mehr das weit größere, geradezu selbstverständliche Verständnis für Volumen und räumliche Aktionen der Figuren, das sich in der vatikanischen Miniatur manifestiert, selbst an einer so schmächtigen und bildparallel organisierten Figur wie dem Geheilten, wo das Totenlaken in einem großen Schwung um die waagrecht ausgestreckten Beine geführt wird und so ihr Volumen veranschaulicht – von Masse und Raumausrichtung der beiden Arbeiter

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links im Vergleich etwa zu den drei Totengräbern in der Londoner Miniatur einmal ganz zu schweigen. Im Londoner Brevier wird also versucht, Raum vor allem im Vordergrund und dort wiederum mittels der raumverdrängenden Qualitäten plastischer Figuren und verkürzter Objekte zu suggerieren. Dieser Vordergrundbühne wird ein Fernblick angefügt, zu dem eine mittlere Zone überleitet, ohne jedoch eine kontinuierliche Verbindung herzustellen. Im vatikanischen Stundenbuch ist demgegenüber einmal mehr eine souveräne Verräumlichung der gesamten Miniaturen zu erkennen – Tiefe wird durch ineinander übergreifende, mittels Raumvektoren verbundene Zonen suggeriert, die von den Figuren durchgehend bevölkert werden. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß selbst in der Kreuzauffindung auf fol. 164a v von Cod. Vat. Lat. 3769 Ansätze zu einer gewissen Frontalisierung zu erkennen sind, etwa in der bildparallelen Organisation des Hauptgeschehens und im Verstellen des Fernblicks in der Bildmitte, zu dem nichtsdestotrotz ein Raumvektor führt, der schon im unmittelbaren Vordergrund ansetzt. Offenbar hatte der Illuminator bei der Ausstattung des vatikanischen Stundenbuches die im Londoner Brevier erst vorbereitete bzw. nur teils verwirklichte künstlerische Auffassung einem anderen Bildverständnis geopfert, das der Flächigkeit der Buchseite wie der Eindringlichkeit der Erzählung einen neuen Respekt zollt. Daß die Miniaturen im Londoner Brevier tatsächlich jenen Höhepunkt künstlerischer Leistung ankündigen, der im vatikanischen Stundenbuch verwirklicht wurde, beweist die Miniatur auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 33), die Abraham vor den drei Engeln zeigt und kompositionell ebenfalls große Ähnlichkeiten mit der Lazaruserweckung in Ms. Add. 18851 aufweist. Hier ist – einmal ohne jeden Ansatz zur Verflächigung – souverän umgesetzt, wonach in London noch gestrebt wurde. Die (vom unteren Bildrand durch eine Terrainzone abgerückte) schräge Position Abrahams wird ebenso wie sein Volumen durch eine große Schüsselfalte veranschaulicht, die um seinen Körper herumführt und gegen die jene im Leichentuch des Londoner Lazarusbildes klein und ineffektiv wirkt. Desgleichen sind die dem Patriarchen gegenüberstehenden Engel weit überzeugender in ihrer räumlichen Position und Staffelung erfaßt als die ähnlich angeordneten Figuren Christi und der beiden Frauen im Londoner Brevier. Der ganze Fortschritt, aber auch die ganze Dimension der Veränderung, wird am Vergleich dieser beiden Figurengruppen deutlich. Proportionen und Organik der Körper wie der Bewegungen erscheinen im Stundenbuch weit lebensnäher erfaßt als im Brevier. In beiden Miniaturen wird die Bildmitte durch den größten Fernblick bestimmt, wobei die Kontinuität des Tiefenraumes im Stundenbuch explizit dargelegt ist, indem der in die weiteste Ferne führende Raumvektor bereits im Vordergrund, in der Anordnung der drei Engel, seinen Anfang nimmt. Verglichen damit wirkt die Londoner Lösung wie eine ungelenke Vorstufe zu diesen Errungenschaften. Nur in einem Punkt ist nicht ein gradueller, sondern ein Auffassungsunterschied zu konstatieren  : Während im Brevier Falten, aber auch Köpfe und Gliedmaßen kräftigt modelliert werden, rückt der Illuminator im Stundenbuch von diesem Gestaltungsprinzip ab. Im Abrahamsbild (wie in den anderen kleinfigurigen Darstellungen von Cod. Vat. Lat. 3770–68) ist die plastische Gestaltung mittels Hell-Dunkel-Abstufungen stark zurückgenommen  ; die Figuren entfalten ihre überzeugende Präsenz im Raum allein

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durch die Art, wie sie konzipiert sind, ohne daß dies noch einer Forcierung durch eine besonders kontrastreiche Modellierung bedürfe. Faßt man die Ergebnisse der bisherigen Überlegungen zusammen, so stellt sich der Sachverhalt folgendermaßen dar  : Die mit einiger Sicherheit um 1495 datierbaren Miniaturen des Isabella-Breviers (British Library, Add. Ms. 18851) scheinen eine Zwischenstellung zwischen dem Wiener Stundenbuch Cod. Vind. Ser. n. 2625 und dem vatikanischen Stundenbuch Cod. Vat. Lat. 3770–68 einzunehmen. Nicht anders als die Wiener weisen auch die Londoner Miniaturen eine gewisse Uneinheitlichkeit in den Gestaltungsprinzipien auf, was als Suche eines jungen Künstlers (und seines Teams  ?) nach einer adäquaten Ausdrucksweise interpretiert werden kann. Darüber hinaus liegt im Wiener Stundenbuch das Hauptaugenmerk auf farblichen und stofflichen Effekten, Qualitäten, die in Add. 18851 bereits souverän beherrscht wurden. Letzteres spricht für eine frühere Entstehungszeit der Wiener Handschrift, um so mehr deshalb, als auch das Typen- und Motivrepertoire in Cod. Vind. Ser. n. 2625 (mitunter die Physiognomien, aber etwa die farbige und formale Gestaltung der für die Landschaftskomposition nicht unentbehrlichen Felsen) vom grundsätzlich einheitlichen Formenschatz des Jakobsmeisters abweichen. Hinzu kommt als weiteres Argument für die Vordatierung des Wiener Stundenbuchs, daß die Miniaturen des Londoner Breviers eine Ausrichtung auf ein künstlerisches Ziel erkennen lassen, das im vatikanischen Stundenbuch verwirklicht wurde, was im Wiener Codex in dieser Form nicht zutrifft. Offensichtlich ist aber auch, daß diese Umsetzung der im Brevier angestrebten Stilqualitäten in Cod. Vat. Lat. 3770–68 auf eine gleichsam unerwartete Weise erfolgte, nämlich unter einer neuen Berücksichtigung des Flächencharakters der Buchseite. Ihr wird zwar die Dreidimensionalität der Darstellungen nicht geopfert, aber doch untergeordnet. Dabei ist schwer abzuschätzen, in welcher Zeitspanne ein solches Umdenken stattfand. Glücklicherweise sind noch drei weitere Handschriftenausstattungen erhalten, die der hier sogenannten frühen Gruppe anzugehören scheinen. Die Auseinandersetzung mit ihnen ermöglicht es, auch die jeweilige Stellung der bereits besprochenen drei Codices weiter zu klären.

Das Stundenbuch Isabellas von Kastilien in Cleveland Wie Add. Ms. 18851 ist auch das unter der Signatur CMA 63. 256, Leonard C. Hanna, Jr. Bequest im Cleveland Museum of Art verwahrte Stundenbuch durch Wappen und Embleme als Eigentum Isabellas von Kastilien, Königin von Spanien von 1479 bis 1504, ausgewiesen150. Der Granatapfel im Wappen sichert wie schon im Londoner Brevier 1492 als den Terminus post quem, das Jahr, in dem Granada in die Hände der Spanier fiel. Als Terminus ante gilt in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte der Tod Isabellas 1504  ; in der Literatur finden

150 London – Los Angeles 2003, S. 359 ff. (Nr. 105), S. 528 (mit ausführlichen Literaturangaben).

Das Stundenbuch Isabellas von Kastilien in Cleveland

Abb. 58: Marienmesse; Cleveland, The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr., Fund, Inv. 63.256, Stundenbuch der Isabella von Kastilien, fol. 87v.

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Abb. 59: Heiliger Rochus; Cleveland, The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr., Fund, Inv. 63.256, Stundenbuch der Isabella von Kastilien, fol. 181v.

sich dementsprechend Datierungen von den frühen neunziger Jahren (Patrick de Winter)151 bis ins erste Jahrfünft des 16. Jahrhunderts (Kren und Ainsworth)152. Zwei Darstellungen in diesem ausschließlich mit Vollbildern ausgestatteten Codex153 sind dem Jakobsmeister zuschreibbar, eine Miniatur zur Messe der heiligen Jungfrau auf fol. 87v (Abb. 58) und die Wiedergabe des heiligen Rochus auf fol. 181v (Abb. 59). Für letztere Darstellung gibt es motivisch im Londoner Brevier und im vatikanischen Stundenbuch bloß in den kleinformatigen Textminiaturen Entsprechungen. Im Wiener Stundenbuch jedoch bietet sich die ganzseitige Wiedergabe des heiligen Alfons (Taf. XI) zu einer Gegenüberstellung an, mit der die Überlegungen auch begonnen werden sollen. 151 De Winter 1981. 152 London – Los Angeles 2003, 361  : „The only artist whose work provides a strong basis for dating within Isabella’s hours is the well-documented Gerard David, whose Saint Elizabeth is datable to around 1500–1505 on stylistic grounds“ (letztere werden jedoch nicht preisgegeben). Vgl. dazu die abweichende Einschätzung der Miniatur Davids bei Krieger 2002. 153 Abb. aller ganzseitigen Miniaturen bei De Winter 1981.

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Die frühe Gruppe

Obwohl die beiden Miniaturen nahezu die gleichen Ausmaße haben (die Clevelander ist etwas breiter)154, ist Alfons um einiges größer dargestellt als Rochus. Man mag damit argumentieren, daß einerseits neben Rochus noch ein Engel Platz finden mußte und daß andererseits die beiden Figuren in eine weite Landschaft gestellt sind. Nur zweiteres ist für die Wahl der Figurengröße ausschlaggebend und ist zudem natürlich der erste entscheidende Unterschied zwischen dem Clevelander und dem Wiener Bild  : denn auch die Entscheidung für ein bestimmtes Umfeld ist eine künstlerische, und im konkreten Fall besonders aussagekräftig. Rochus steht nicht anders als Alfons weitgehend frontal zum Betrachter auf der vertikalen Mittelachse des Bildes und wendet sich dem links im Dreiviertelprofil dargestellten Engel zu, der die soeben vom Heiligen freigemachte Pestbeule auf dessen rechtem (im Bild linken) Oberschenkel segnet. Rochus ist durch Stab und Hut als Pilger ausgewiesen  ; begleitet wird er von einem weißen Hund, der, fast senkrecht verkürzt, rechts neben dem Heiligen mit einem kleinen Laib Brot im Maul einherschreitet. Seitlich der Figuren hin zu den Bildrändern findet sich dichtes Buschwerk, und rechts, nicht weit hinter Rochus, ragt ein Baum auf. Rechts daneben öffnet sich ein erster Ausblick über eine Wiesenzone hin zu einem Haus auf einer Lichtung, vor dem undeutlich eine Figur zu erkennen ist. Es ist umgeben von Bäumen, so daß insgesamt der ganze rechte Bildstreifen fast bis zur oberen Rahmenleiste mit Laubwerk in unterschiedlicher Entfernung gefüllt ist. Obwohl sich dieser Urwald zur Mitte hin lichtet und über Rochus das Firmament einen Teil der Bildfläche beansprucht, ist der Heilige selbst noch von der dort blaugrünen, weil die größte Entfernung im Bild markierenden Landschaft hinterfangen. Gleichsam unmittelbar neben seinem leicht nach links geneigten Kopf (richtiger sogar  : Hut) ist der tiefste Ausblick gegeben  : Die undeutlichen Formen dort lassen sich als eine Hochebene mit einer turmartigen Architektur darauf und einer Bergkette am Horizont deuten. Der linke Bildteil wird zur Gänze von einem auf seiner Kuppe zuerst grasbewachsenen, dann sogar bewaldeten Felsen eingenommen, wobei der schmale darüber noch freibleibende Himmelsstreifen durch die Krone des bereits vor dem Felsen, unmittelbar hinter dem Engel befindlichen Baumes abgedeckt ist. Nichts dergleichen ist in der Darstellung des Beato Alfonso auf fol. 152v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XI) zu finden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß im Wiener Bild ein räumlich mehr oder minder klar definierter Vordergrund von einer in bildparallelen Streifen aufgebauten Landschaft durch einen Raumsprung getrennt ist, während im Rochusbild der Eindruck einer kontinuierlichen Tiefenentwicklung angestrebt wird  : So markiert die räumlich versetzte Anordnung der beiden Figuren mit dem Engel schräg links vor dem Heiligen den Beginn eines Raumvektors, der sich bis zum Haus im Mittelgrund fortsetzt. Dieses Gebäude weist nun aber, da es in einer gegenläufigen Schräge zu der zu ihm hin führenden Diagonale verkürzt ist, nach rechts weiter, in welcher Richtung man (nicht ohne einen steilen Aufstieg zu absolvieren) in die am weitesten entfernten, höher gelegenen Landschaftskompartimente gelangt. Die einheitliche motivische Gestaltung des gesamten Bildes mit dicht 154 CMA 63.256  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 10,7 x 7,1 cm  ; Cod. Vind. Ser. n. 2625  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 10,7 x 6,7 cm.

Das Stundenbuch Isabellas von Kastilien in Cleveland

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belaubter Vegetation trägt das Ihre dazu bei, Verbindungen herzustellen, auch dort, wo keine Schrägen zwischen Vordergrund und hinteren Bildzonen vermitteln, wie etwa im linken Teil der Miniatur. Es lohnt sich, der Raumkonstruktion im Rochusbild noch etwas Zeit zu widmen. Bemerkenswert und aus den bisher analysierten Miniaturen noch nicht bekannt ist der gleichsam symmetrische, fast schachtelartige Aufbau  : Im Vordergrund, wenn auch entsprechend der Figurenanordnung und auf Grund der Pfütze rechts unten leicht versetzt, rahmt rechts und links halbhohes Buschwerk das Hauptmotiv. Hinzugesellt sich je ein schlanker Baum mit schmaler Krone, links nahe beim Bildrand (aber ebenso unmittelbar anschließend an die Figur wie rechts), rechts mehr zur Mitte hin gerückt (um dem Ausblick Platz zu machen). Dahinter setzt, den Raumsprung dazwischen elegant herunterspielend, der Mittelgrund ein. Links wird der Eindruck eines abrupten Distanzwechsels durch die frontale Felswand weitgehend unterbunden, die bei dem Wenigen, das von ihr zwischen dem Baum vorne und dem Engel sichtbar wird, eine unbestimmte Größe bleibt. Dort, wo der Wald auf ihrer Kuppe einsetzt, ist durch das in seiner Tiefenerstreckung unbestimmte Wiesenstück zumindest ansatzweise in die nun doch beträchtliche Entfernung übergeleitet worden. Rechts leistet dies ein bruchstückhaft sichtbarer Weg, der in dem unmittelbar hinter Rochus bildparallel verlaufenden Pfad seinen Ausgang zu nehmen und hinter dem Engel eine Kurve zu beschreiben scheint (wie der kleine auf des Engels Gesäßhöhe mögliche Durchblick anzunehmen erlaubt). Er führt rechts hinter Rochus in einer (absolut betrachtet kurzen, nichtsdestotrotz wirkungsvollen) Schräge auf das Haus rechts zu und beschreibt dort, entsprechend der gegenläufigen Verkürzung des Gebäudes, eine weitere Kurve nach links und in die Tiefe. Auf dem fernen Hochplateau, das gleichsam die beiden seitlichen Mittelgrundzonen miteinander verbindet, ist allerdings dann nichts mehr von ihm zu sehen  ; er ist tatsächlich ersatzlos gestrichen, denn es gibt dort auch keine anderen Objekte, die eine weitere Tiefenausrichtung suggerieren würden. Damit erweist sich das Raumkonzept der Rochus- aber nicht nur jenem der Alfonsminiatur fremd, sondern auch jenem Schema, das allen anderen Landschaftsdarstellungen in Cod. Vind. Ser. n. 2625 zugrundeliegt, dem Hirtenverkündigungs- und dem Epiphaniebild (Taf. VIII, X) ebenso wie der Darstellung der Flucht nach Ägypten (Taf. IX). Die sorgfältige, ja nachgerade geschlossene Konstruktion der Tiefe in der Rochusminiatur erinnert an das, was in der Ausstattung des vatikanischen Stundenbuchs begegnet ist. Im Clevelander Rochusbild führt, wie in den Darstellungen Abrahams und der drei Engel auf fol. 3v (Abb. 33) und der Kreuzauffindung auf fol. 164a v (Abb. 37) von Cod. Vat. Lat. 3769, von vorne weg ein diagonaler Raumvektor in die Bildtiefe – im Abrahamsbild über die Anordnung der drei Engel zum Fernblick in der Bildmitte, in der Kreuzauffindung über den Gefolgszug der Königin hin zum rechten Bildrand und von dort über die verblauenden Hügel zum Gebirge am Horizont, in der Rochusminiatur über die räumlich schräg positionierten Protagonisten hin zu dem unter dichten Bäumen befindlichen Haus im rechten Bildgrund. Jedoch bildet in der Rochusdarstellung jene Terrainschräge, die zu diesem Gebäude führt, eher eine Parallele zu der durch die Figuren initiierten Diagonale als deren Fortsetzung. Zwar kommt es trotzdem

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zur Suggestion eines kontinuierlichen Tiefenzugs von der Gruppe vorne zur Hütte hinten, nicht zuletzt unterstützt durch den stark verkürzten Hund rechts neben Rochus. Doch wird der eigentliche Fernblick, der sich erst hinter der Hütte in der höher gelegenen, farblich wie formal isolierten Zone entwickelt, weit mehr noch als in der Kreuzauffindung von der Hauptfigur verstellt. Hinzukommen Motive wie der rechts an Rochus anschließende Baum oder die dichten Büsche an den seitlichen Bildrändern, die durchwegs als Barriere zwischen der Vordergrundgruppe und der Landschaft dahinter fungieren – der Baum als vertikale Unterbrechung des diagonalen Tiefenzugs, die Büsche als konsequente Behinderung der Sicht auf die Entwicklung des Raumes dahinter. Somit finden sich in der Rochusminiatur doch offensichtlich andere Gestaltungsprinzipien als in den beiden vatikanischen Bildern  : Im Clevelander Stundenbuch wird an eine zwar nicht tiefe, aber klar nachvollziehbare räumliche Figurengruppierung im Vordergrund eine weite Landschaft angefügt, ohne daß eine durchgehende Verbindung dieser Bildelemente zustandekäme. Dies erinnert an die im Londoner Isabella-Brevier manifeste Auffassung des Jakobsmeisters, so in der Miniatur der Lazaruserweckung auf fol. 481r (Abb. 57) oder in kleinformatigen Heiligenbildern wie dem des heiligen Bartholomäus auf fol. 442v (Abb. 13), wo ein Weg aus dem linken Mittelgrund von einem Hügelrücken herab fast ganz nach vorne führt, nur um knapp hinter der vordersten Terrainschwelle zu verschwinden und so die optische Anbindung der durch einen bildparallelen Pfad definierten Vordergrundbühne an den Raum dahinter zu erschweren. Im Unterschied zu diesem Londoner Beispiel sind die Figuren in der Rochusdarstellung durchaus durch parallele Raumschrägen mit der Landschaft dahinter in Beziehung gesetzt, was wiederum eine gewisse Annäherung an die Lösungen im vatikanischen Stundenbuch bedeutet. Doch kommt es in Cleveland nicht zu einer durchgehenden, alle Bildteile erfassenden räumlichen Verbindung wie in Rom. Die in Cod. Vat. Lat. 3769 verwirklichte Vereinheitlichung des Raumes scheint im Rochusbild vorbereitet, aber noch nicht erreicht, wie ein Vergleich der Illustration zur Marienmesse auf fol. 87v von CMA 1963.256 (Abb. 58) mit der Wiedergabe der Gregorsmesse auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 36) lehrt. Diese Gegenüberstellung ist deshalb so aufschlußreich, weil in beiden Handschriften praktisch identische Aufgaben vorliegen, ungeachtet dessen, daß im vatikanischen Stundenbuch eine historisch konkrete, im Clevelander Stundenbuch eine exemplarische Messe dargestellt ist. Mehr noch als das bereits besprochene Interieurbild mit dem Eigentümer auf fol. 66v in Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 2) ist die Gregorsmesse auf fol. 137v desselben Bandes eine überzeugende tiefenräumliche Komposition. Der beherrschende Raumvektor hat seinen Ausgangspunkt in der linken vorderen Bildecke, und zwar im Repoussoirmotiv der in das Bild gewandten Rückenfigur eines Kardinals. Der durch ihn eingeleitete Tiefenzug wird sowohl von den Schrägen des Mobiliars (Altar, Podest) als auch von der Anordnung der um die Mensa gruppierten Kleriker aufgegriffen und mündet in einer (immer noch in derselben Schräge gestaffelten) Flucht von Raumteilen, die durch das Raster des Fliesenbodens sowie durch einzelne, entlang der Diagonale verkürzte Objekte (wie die mächtige Orgelempore im Mittelgrund) in ihrer jeweiligen Tiefe klar nachvollziehbar sind.

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Bei grundsätzlich ähnlicher Bildaufteilung und einem ebenfalls energischen Vorstoß in die Bildtiefe zeigt die Clevelander Miniatur doch einige markante Unterschiede. Ein auffallendes, schon in der Rochusdarstellung derselben Handschrift konstatiertes Gestaltungsprinzip ist die Parallelisierung der Raumvektoren – nicht eine, sondern zwei Diagonalen teilen sich die Aufgabe der Tiefenerschließung. Parallel zur Kante des Teppichs vor dem Altarpodest leitet die Lettneröffnung im Mittelgrund schräg versetzt den Blick ins Freie. Über die drei diagonal vor dem Altar angeordneten Kleriker läßt sich dieser hintere Tiefenzug sogar bis nach vorne fortsetzen, wobei die konsequente Schrägstaffelung der Priester das Fehlen einer Repoussoirfigur aufwiegt. Eine deutliche Zäsur im Raumkontinuum wird dennoch durch die quer über den Ausblick gespannte, bildparallele Orgelempore geschaffen, die ihre Fortsetzung am rechten Bildrand in dem von zwei Klerikern besetzten Chorgestühl erfährt. Der davor kniende, nach vorne gewandte Ministrant zeigt durch seine relativ geringe Größe die große Tiefe des Vordergrundes an. Er erfüllt aber noch eine andere wichtige Funktion. Wie am Fliesenboden ersichtlich, befindet er sich genau auf dem durch die Priester gebildeten Raumvektor. Dabei vermittelt sein in einer gegenläufigen Schräge dazu in den Raum gedrehter Körper als regelrechtes Scharnier hin zur zweiten räumlichen Diagonale, die unterhalb der Orgelempore einsetzt und durch das Kirchenschiff bis hinaus ins Freie führt  ; der Jüngling erfüllt damit eine dem Haus im Mittelgrund der Rochusminiatur nicht unähnliche Funktion, auch wenn im Hintergrund des Rochusbildes kein vergleichbarer zweiter Tiefenzug entsteht. In der Meßdarstellung ist trotz der durch die Säulen unterhalb der Empore gewährleisteten bildparallelen Zäsur nicht nur die Tiefe des Vordergrundes (bzw. der Übergang von Vordergrund zu Mittelgrund) ungehindert zu durchmessen, sondern auch durch den (wenn auch schmalen) Ausblick ins Freie ein Kontinuum bis in den Hintergrund gewährleistet. Deutlicher als die Gegenüberstellung von Miniaturen, die Szenen in der freien Landschaft wiedergeben, zeigt somit der Vergleich der Innenraumdarstellungen die verschiedenen Gestaltungsprinzipien im vatikanischen und im Clevelander Stundenbuch auf. Die weniger aggressive Räumlichkeit in Cleveland ist nicht mit jener Frontalisierung des Vordergrundes bei gleichzeitig gewahrter Tiefenerstreckung gleichzusetzen, die in der großfigurigen Bildgruppe des vatikanischen Stundenbuchs ihre reinste Ausprägung erfährt, jedoch auch in einigen Elementen der Gregorsmesse von Cod. Vat. Lat. 3769 bereits anklingt  : etwa in der Tatsache, daß am rechten Bildrand noch ein Kardinal mit der Tiara Gregors kniet, so daß der gesamte unmittelbare Vordergrund durch nebeneinander angeordnete Figuren okkupiert wird, oder daß der hintere der beiden assistierenden Priester nahezu frontal zum Betrachter kniet und somit die vordere Figurengruppe nach hinten zu abgrenzt (was freilich durch die hinter ihm in selber Pose auf dem zentralen Raumvektor räumlich versetzt angeordneten beiden Beter wieder entschärft bzw. tiefendynamisch umgedeutet wird). Somit kommt im Vaticanus zu dem kontinuierlich von vorne nach hinten entwickelten Tiefenzug eine gewisse bildparallele Geschlossenheit des Vordergrundes, in dem zwar Raumvektoren wirksam werden und der per se eine gewisse Tiefe hat, jedoch im Keim bereits jenes Gestaltungsprinzip vorbereitet, das in den großfigurigen Miniaturen von Cod. Vat. Lat. 3770 und einigen kleinfigurigen „Ablegern“ dieser Gruppe seine unmittelbare Konkretisierung erfährt.

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Die Meßdarstellung im Clevelander Stundenbuch zeigt zwar ein weniger konsequent verwirklichtes Raumkontinuum, dafür aber einen auffallend verräumlichten und tiefen Vordergrund. In Anbetracht dessen kann die anhand von Beobachtungen an der Rochusminiatur aufgestellte These weiter differenziert werden. Zwar erreichen die Miniaturen im Clevelander Stundenbuch nicht die Raumwirkung der kleinfigurigen Miniaturen von Cod. Vat. Lat. 3770–68. Doch dürfte es sich eher um eine Vorstufe als um eine Folge der in der vatikanischen Handschrift manifesten Errungenschaften handeln. Dies deshalb, weil die im Londoner Brevier festzustellende Tendenz, einen (durch plastische Figuren und dreidimensionale Gegenstände) räumlich artikulierten Vordergrund mit einem Landschaftsausblick zu kombinieren, im Clevelander Stundenbuch perfektioniert und in Richtung der durchgehenden Verräumlichung im vatikanischen Stundenbuch vorangetrieben wurde. Freilich hat man damit immer noch keine gesicherte Grundlage für eine präzisere Datierung der besprochenen Werke, weder der Clevelander noch der vatikanischen Handschrift. Es kann lediglich angenommen werden, daß beide Stundenbücher nach dem Londoner Brevier, also nach 1495/7, entstanden sein dürften, was für das Clevelander eine Entstehung zwischen 1495/7 und 1504 (dem Tod Isabellas, deren Wappen die Handschrift trägt) bedeuten würde. Das heißt allerdings noch nicht, daß Cod. Vat. Lat. 3770–68 nach 1504 illuminiert wurde  ; denn nach wie vor gibt es nur wenige Anhaltspunkte für das Tempo, in dem die aufgezeigte Entwicklung des Jakobsmeisters vor sich ging, und diese sprechen darüber hinaus eher für einen kürzeren Zeitraum. Wie ich andernorts anhand der im Clevelander Stundenbuch Gerard David zuschreibbaren Miniatur der heiligen Elisabeth von Ungarn auf fol. 197v und ihrer Positionierung im Œuvre dieses Künstlers zu zeigen versuchte, scheint eine Entstehung des Isabella-Stundenbuchs knapp vor oder um 1500 am plausibelsten, auch wenn dies in der jüngsten Literatur nicht berücksichtigt, allerdings auch nicht stichhaltig widerlegt wurde155. Danach ergäbe sich für die vatikanische Handschrift ein zeitlicher Rahmen zwischen 1500 und etwa 1510, da sie eine andere, wohl um einiges frühere Stilstufe als die Miniatur auf fol. 24v des Jakobsgebetbuchs (Taf. I) vertritt, welches mit höchster Wahrscheinlichkeit vor 1513, dem Todesjahr Jakobs IV. von Schottland, fertiggestellt wurde und das sich in keiner Weise zwischen die drei zuletzt analysierten Handschriften einordnen läßt. Nimmt man an, daß das Jakobsgebetbuch anläßlich der Hochzeit des Königs 1503 illuminiert wurde, wäre der zeitliche Rahmen nach oben hin noch viel enger. Da auch die neueste Literatur eine Datierung des vatikanischen Stundenbuchs um 1500 proklamiert, wäre es einfach, dies hier als gegeben zu akzeptieren und das Clevelander Stundenbuch an das Ende des Jahrhunderts, das vatikanische um die Jahrhundertwende anzusetzen. Doch gilt es noch zwei weitere Arbeiten des Jakobsmeisters zu berücksichtigen, deren enge Verbindungen mit den zuletzt besprochenen Werken erst konkretisiert werden müssen, ehe eine (soweit beim gegenwärtigen Stand der Forschung bzw. in Anbetracht des erhaltenen Materials mögliche) endgültige Reihung der in dieser Gruppe zusammengefaßten sechs Handschriften erstellt werden kann. 155 Krieger 2000  ; vgl. oben.

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Das Brevier der Eleonore von Portugal in New York Eine andere Handschrift, die zur hier sogenannten frühen Gruppe gezählt werden muß, ist das unter der Signatur Ms. M. 52 in der Pierpont Morgan Library in New York verwahrte Brevier der Eleonore von Portugal (1458–1525), der Gattin König Joaos II156. Da der zeitliche Rahmen für die Entstehung der Handschrift durch die Lebensspanne der auf fol. 1v dargestellten Eigentümerin sehr groß ist, variieren die Datierungen in der Literatur beträchtlich157. Zuletzt wurde M. 52 aus kostümkundlichen Erwägungen ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts eingeordnet158. Doch sprechen die Stilmerkmale zumindest der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen für eine frühere Herstellung. Historische Argumente gibt es wenig. Daß Eleonore 1503 den Franziskanertertiären beitrat, jedoch nicht in entsprechender Kleidung dargestellt ist, ist ein nur bedingt zuverlässiger Anhaltspunkt für einen Terminus ante quem159. Die Tatsache, daß ihr Gesicht und das auf der Flanke des Betpults angebrachte Wappen auf fol. 1v übermalt sind, spricht dafür, daß die Handschrift ursprünglich für jemand anderen bestimmt war160  ; falls sich das Doppelwappen Joaos und Eleonores an dieser Stelle befunden hatte und nach dem Tod des Königs 1495 ersetzt wurde, müßte die Handschrift vor diesem Zeitpunkt zumindest begonnen worden sein. Doch ist der unter Eleonores Wappen stellenweise sichtbare frühere Schild lanzettförmig, was eine weibliche Erstbesitzerin nahelegt161. Das auf der Front des Betpults angebrachte Emblem, ein stilisiertes Fischernetz, wurde von der Königin seit 1491 geführt (als Erinnerung daran, daß man ihren Sohn mit einem Netz tot aus dem Meer geborgen hatte)162. Eine Datierung in die frühen neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts scheint jedoch auch im Hinblick auf die Miniaturen des Jakobsmeisters problematisch. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß das Brevier so früh begonnen wurde, wie noch zu zeigen sein wird. Der Beitrag des Jakobsmeisters zum Buchschmuck von M. 52 umfaßt die Illustrationen des Kalenders (Abb. 69, 71, 73, 74, 78, 83, 85, 225), die szenisch bebilderten Bordüren von vier Textseiten (fol. 33r, 141r, 258r, 412r)163 (Abb. 60) und acht durchwegs szenische Text156 London – Los Angeles 2003, S. 321–324 (Nr. 91), S. 527 f. (mit umfassenden Literaturangaben). 157 Der Rahmen wird abgesteckt durch Markl 1983, S. 25–28 (1491–95), und Beck 1933, S. 266 (1515–1520)  ; Gaspar 1932, S. 23 (frühes 16. Jahrhundert)  ; Winkler 1964, S. 175 (um 1500)  ; Kessler 1977, S. 276 (nach 1495)  ; De Coo 1978, S. 168 (um 1500)  ; de Winter 1981, S. 424 (ca. 1497)  ; Calkins 1998, S. 54 (1500–1510)  ; Lissabon 2000, S. 288, Nr. 70 (c. 1500). 158 Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 323 f. 159 De Figueiredo 1931, S. 63. 160 London – Los Angeles 2003, S. 321 und Anm. 2 f.. 161 Ebenda, S. 324, Anm. 15. 162 Lissabon 2000, S. 288. 163 Durch die Umbauarbeiten in der Pierpont Morgan Library war es mir nicht möglich, Photographien von den Textbordüren auf fol. 33r, 141r, 412r und der Textminiatur auf fol. 501r zu erwerben. Die minderwertigen Mikrofilmabzüge (daher mit einer Ausnahme nicht in den Abbildungsteil inkludiert) erlauben nicht einmal eine entfernte Vorstellung von der hohen Qualität jener

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miniaturen (sieben zu den Psalmenanfängen sowie eine zur Kreuzerhebung  : fol. 276v, 284v, 291r, 297v, 307r, 314v, 329r, 501r) (Abb. 61–67)164. Auf Grund thematischer Übereinstimmungen sollen zuerst die Bilder des Davidszyklus (fol. 258r bis 329r, Abb. 60–66) jenen in Cod. Vat. Lat. 3770 gegenübergestellt werden, auch wenn es sich in M. 52 um Text-, im Vaticanus um ganzseitige Miniaturen handelt. Da die beiden Handschriften in der neueren Literatur annähernd gleichzeitig, M. 52 sogar nach dem vatikanischen Stundenbuch datiert werden, gilt es zuerst, die Relation dieser beiden Werke einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Obwohl Davidszyklen nicht allzu häufig in der Buchmalerei dieser Zeit sind165 und auch der vermutlich geringe Zeitabstand zwischen den in derselben Werkstatt produzierten Miniaturen große ÜbereinstimmunAbb. 60: Zurschaustellung der Rüstung Goliaths, gen erwarten lassen würde, ist dies nicht der Hochzeit Davids, David im Zelt des Saul; New Fall. Abgesehen von der Textminiatur mit York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, der Krönung Davids auf fol. 314v (Abb. 66) Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 285r. zeigt nur noch die szenische Bordüre auf fol. 258r (Abb. 60) von M. 52 drei Ereignisse der Davidsvita, die auch in Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 31, 44, 43) dargestellt wurden  : die Zurschaustellung der Rüstung Goliaths, die Hochzeit Davids mit Michal und die Entwendung Miniaturen, die Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 321 möglicherweise für Werkstatt­ arbeiten hält („The Master of James IV of Scotland or his workshop painted all the miniatures in the calendar and four historiated borders and ten one column-miniatures…“). Roger S. Wieck, der mir bei der Beschaffung der Photographien sehr geholfen hat, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. 164 Th. Kren, ebenda, schreibt dem Jakobsmeister oder seiner Werkstatt auch die Vollendung zweier durch den Maximiliansmeister begonnener Textminiaturen auf fol. 394v und 351r zu  ; doch scheint die abweichende Oberflächengestaltung dieser ganz im Formenrepertoire des Maximilansmeisters geschaffenen Halbfigurenbilder eher auf die Ausführung eines Illuminators zurückzuführen sein, der auch einige hochqualitative Textminiaturen im vorderen Teil des Gebetbuchs Jakobs IV. (Cod. Vind. 1897) schuf. 165 Wobei sie in Brevieren (entsprechend der Textzusammensetzung dieses Buchtyps) natürlich häufiger anzutreffen sind als in Stundenbüchern  ; vgl. dazu die Bemerkung Th. Krens in London – Los Angeles 2003, S. 374.

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eines Gefäßes aus Sauls Zelt. Die übrigen sechs Psalterminiaturen des Eleonorenbreviers haben keine Pendants im vatikanischen Stundenbuch, dessen weitere vier Davidsminiaturen andere Ereignisse aus dem Leben des Helden illustrieren. Darüberhinaus entzieht sich auch die Szene der Entwendung des Bechers in M. 52 einem Vergleich mit dem Vollbild auf fol. 71v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 43), zumal sie im Brevier in die rechte obere Ecke der Bordüre gerückt und, da weit entfernt, entsprechend klein und kürzelhaft konzipiert ist. Die Aufhängung der Rüstung Goliaths und die Hochzeit Davids nehmen demgegenüber wenigstens je eine Hälfte des Bas de page-Streifens dieser Seite sowie der dort dargestellten Architektur Abb. 61: Abigail vor David; New York, Pierpont in Anspruch und sind trotz des beachtlichen Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore Größenunterschieds zumindest kompositio- von Portugal, fol. 276v. nell mit den entsprechenden vatikanischen Bildlösungen eng verwandt. In den beiden Miniaturen, die die Präsentation der Rüstung Goliaths zum Thema haben (Abb. 31, 60), ist links (im Brevier zur Mitte hin verschoben) ein Mann auf eine Leiter geklettert und nimmt von einem zweiten den Brustpanzer des besiegten Riesen in Empfang, um ihn an einem (im Brevier von der Textkolumne verdeckten) Gestänge aufzuhängen. Am linken Miniaturrand wird jeweils ein Altar sichtbar, der sich in der vatikanischen Miniatur in einem hinteren Raumteil, im Brevier dagegen im Vordergrund befindet (und dort zudem Bundeslade und Gesetzestafeln aufweist, also auch ein größeres inhaltliches Gewicht erhält). Rechts steht in beiden Bildern David, im vatikanischen Stundenbuch zusammen mit Saul und einem vielköpfigen Gefolge, im Brevier mit zwei Getreuen, wovon einer das mächtige Schwert Goliaths hält, das in der vatikanischen Version David selbst trägt. Rechts setzt sich in beiden Fällen die Architektur nach hinten fort, in Cod. Vat. Lat. 3770 bis hin zu einer Eingangswand, wo durch das Portal noch ein Stück neutralen Himmels sichtbar wird, in M. 52 in ein weiteres, helleres Raumkompartiment, dessen stark verkleinerte Formen Distanz und damit die Größe des puppenhausartig nach vorne zu offenen Tempels anzeigen. Auch links oben, über dem Altar, öffnet sich ein kleiner Einblick in einen dahinter liegenden Raum, der wohl als Pendant zu der in der vatikanischen Miniatur den Altar beherbergenden Apsis zu verstehen, jedoch für die Bildwirkung ohne Bedeutung ist. Die Gestaltungsprinzipien der beiden Darstellungen weisen nun aber viel größere Unterschiede auf, als die motivischen Gemeinsamkeiten meinen lassen würden. Trotz der geringen Größe der Darstellung sowie der sichtbaren Architektur wurde auch im Eleonoren-Brevier

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Abb. 62: Vertreibung Davids; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 284v.

versucht, einen glaubwürdigen dreidimensionalen Raum zu konstruieren, jedoch mit anderen Mitteln als im vatikanischen Stundenbuch. Zwar spielt sich wie in Cod. Vat. Lat. 3770 das Geschehen im Vordergrund ab, und überdies bieten die dort befindlichen Figuren und Gegenstände dem Blick nicht viel Möglichkeit, in die Tiefe zu gleiten. Im Gegensatz zum hellen Boden in der vatikanischen Miniatur, der die Wahrnehmung auch noch weiter hinten befindlicher Raumteile (wie der Apsis links) erleichtert, erfordern die dunklen Fliesen im Brevier eine bewußte diesbezügliche Anstrengung. Doch fluchten die Kacheln in M. 52 suggestiv von beiden Seiten weg nach hinten, während jene im vatikanischen Stundenbuch durchgehend diagonal nach rechts verlegt sind – wohl hin zu jenem Portal, das von der Figurengruppe zur Gänze verstellt ist. Zudem sind alle in den Raum weisenden Schrägen in der vatikanischen Miniatur nur bruchstückhaft gegeben und führen eben gerade nicht auf die in der Bildtiefe sichtbaren Objekte, etwa den Altar in der Apsis links hinten, zu. Somit gilt auch für

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Abb. 63: Schlacht Davids; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 291r.

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Abb. 64: Der Amalekiter mit Sauls Krone vor David; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 297v.

diese wie für viele andere Miniaturen des Stundenbuchs, daß Tiefe nur über Raumsprünge erlebt wird, obgleich die hier auf gegenläufigen Ausrichtungen beruhende Struktur des Bildaufbaus komplizierter ist als in vielen anderen Darstellungen von Cod. Vat. Lat. 3768–70. Auf fol. 258r von M. 52 führen alle schräg verkürzten Objekte, etwa der Altarsockel und die Mensa, von vorne weg in den Raum und machen ihn damit als Kontinuum erlebbar, während das einzig vergleichbare Element in Cod. Vat. Lat. 3770 – die beiden Treppen hin zum Altarraum – durch den um den Helm bemühten Jüngling vom Vordergrund abgeschnitten wird. Damit in Einklang steht, daß im vatikanischen Stundenbuch auch die Lanze Goliaths parallel zum unteren Bildrand im Vordergrund liegt, während im Brevier neben waagrecht arrangierten auch räumlich verkürzte Utensilien auf dem Boden verstreut sind. Freilich heißt dies nicht, daß die Brevierdarstellung insgesamt die räumlichere der beiden Miniaturen ist. Denn allein die lichte Höhe des Interieurs und die teils in ziemlicher Distanz sichtbaren Objekte und Bauteile im vatikanischen Bild zeigen eine Tiefe und Geräumigkeit an, mit der die Brevierminiatur nicht konkurrieren kann. Der Unterschied in der Raumdarstellung liegt in der Art der Raumkonstruktion, nur sekundär in ihrer überzeugenden Wirkung. Letztere ist eindeutig der vatikanischen Miniatur zuzusprechen, was einmal mehr den

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Eindruck bestätigt, daß sich unser Illuminator zum Zeitpunkt der Ausstattung von Cod. Vat. Lat. 3768–70 auf einem Höhepunkt seiner künstlerischen Entwicklung befand, von dem die Miniaturen in M. 52 ein Stück entfernt sind. Dies legt auch der Vergleich der Vermählung Davids und Michals im rechten Teil des Bas de page auf fol. 258r von M. 52 mit der Darstellung gleichen Inhalts auf fol. 83v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 44) nahe. In beiden Bildern haben sich David, Michal, Saul und ein Hohepriester mit weiblichen und männlichen Gefolgsleuten vor einem Portal eingefunden, wobei der Hohepriester soeben seine Hand auf die der Eheleute legt. Kompositionell unterscheiden sich die Bilder durch die weit größere Symmetrie (und somit Frontalität) der vatikanischen Miniatur. Diese ergibt sich nicht nur aus dem in der Bildmitte befindlichen, die Szene mit einem mächtigen Abb. 65: David im Gebet; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore Rundbogen überhöhenden Portal, sondern von Portugal, fol. 307r. auch aus der zwar räumlich versetzten, aber isokephalen Position der Eheleute zu Seiten des frontal im Tempeleingang stehenden Priesters. Die Meisterschaft des Illuminators in Cod. Vat. Lat. 3770 zeigt sich in der feinen Balance aus Regelmaß und Abweichung  : Der Priester steht nicht genau vor dem Trumeau, sondern im vom Betrachter aus rechten Kompartiment des Portals, so daß David vor der linken Öffnung Platz findet und so gegenüber (der weiter nach vor gerückten und am hellsten von allen gekleideten) Michal hervorgehoben wird. Symmetrie und Variation halten sich auch in der Farbgebung das Gleichgewicht, und dies gilt selbst bezüglich der Frontalität der Figuren einerseits, ihrer räumlichen Gruppierung andererseits  ; beides wird verwirklicht, ohne daß auch nur die leiseste Spannung entstünde. Es lohnt sich, letzterem Punkt noch etwas Aufmerksamkeit zu schenken  : Am Terrain im Vordergrund der vatikanischen Miniatur wird offensichtlich, daß Saul und Michal als Spitzen zweier zum jeweiligen Miniaturrand hin räumlich hintereinander gestaffelter Figurenzüge fungieren. Zwischen und gleichsam einen Schritt hinter ihnen befindet sich David und wiederum dahinter der Priester. Auf der Höhe Davids setzt rechts der aus zwei Hofdamen und einem Pagen bestehende Gefolgszug an, wobei die Position des Jünglings am rechten Miniaturrand die Architektur in eine Entfernung rückt, die ihr in Zusammenschau mit den davor befindlichen Protagonisten nicht anzusehen ist. Überhaupt wird die räumliche Anordnung der Figuren im oberen Teil der Miniatur nicht mehr wirklich nachvollziehbar. Die Eheleute strecken ihre

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Hände waagrecht aufeinander zu, und auch Sauls rechter Unterarm bildet eine unverkürzte Horizontale, die auf der gegenüberliegenden Seite vom Saum der emporgehaltenen Schleppe Michals aufgegriffen wird. Zugleich wird die schräg plazierte Figur des Königs durch Gewandmotive wie den schürzenartig vor den Körper gezogenen Mantel und den parallel dazu gehaltenen Stab frontalisiert. All dies verleiht der grundsätzlich räumlichen Figurendisposition eine flächendekorative Wirkung, die der Feierlichkeit des Ereignisses kongenial entspricht. Im Eleonorenbrevier weist die Darstellung – wohl auch auf Grund ihrer Position im rechten Teil einer rechten Buchseite – ihren Handlungsschwerpunkt links auf. Vor einem in unbestimmtes Raumdunkel führenden Portal, dessen oberer Teil vom unteren Ende der rechten Textkolumne verdeckt wird, stehen vom linken vorderen Bildrand weg bogenförmig in die Tiefe angeordnet Saul, der Hohepriester und schließlich David. Zwischen ihren Köpfen ragen die Häupter zweier Gefolgsleute hervor. Michal allein in ihrem ausladenden Gewand vollendet den Halbkreis auf der Gegenseite. Hinter ihr, im rechten Bereich der gefliesten Terrasse, von wo der Blick über die Treppen hinab in eine Landschaft mit einem sich am rechten Bildrand nach oben (und hinten) zu schlängelnden Weg führt, stehen ebenso bogenförmig in den Raum hinein gestaffelt drei Hofdamen, von denen die vorderste Michals Schleppe hält. Somit ist auch in dieser Darstellung eine gewisse Symmetrie gegeben, so in der aus Saul, den Eheleuten und dem Priester bestehenden Protagonistengruppe. Räumlich führt die Anordnung dieser Figuren auf David zu  ; bezüglich des Kolorits und vor allem hinsichtlich der Gestik ist der Priester hervorgehoben, so daß er und der Bräutigam die Kernzelle, (die farblich miteinander korrespondierenden) Vater und Tochter die Rahmung der Formation bilden. Andererseits ist eine gewisse Zäsur zwischen der durchgehend (auch in der Figur Davids noch angelegten) nach rechts gerichteten Männer- und der konsequent nach links gerichteten Frauengruppe gegeben, so daß auch in der gesamten Bildbreite eine feine Balance gewahrt wird. Anders als in der vatikanischen Miniatur selben Inhalts ist jedoch die räumliche Anordnung und Stellung der Figuren. Vergleicht man Saul in den beiden Bildern, der doch jeweils links schräg im Raum positioniert ist und nach rechts blickt, so wird ersichtlich, um wieviel mehr der Illuminator im Eleonorenbrevier seiner räumlichen Position (durch den auf den Kacheln nachvollziehbaren Verlauf des Gewandsaums und die deutliche Verschränkung der Arme vor dem schräg gestellten Körper) Ausdruck verleihen wollte. Auch die auf den Fliesen ablesbare halbkreisförmige Anordnung der Kerngruppe und die dieser Formation entsprechenden Körperhaltungen demonstrieren dieses Bedürfnis. Der bedeutendste Unterschied zur entsprechenden Miniatur im Vaticanus ist jedoch, daß die den eigentlichen Bildinhalt veranschaulichende Dreiergruppe des Priesters und der Eheleute gegenüber dem Stundenbuch um 90 Grad gedreht und daher aus einer frontalen, flächendekorativen Formation in eine räumliche übergeleitet wurde. Die Geste des Priesters erfolgt über den von den Figuren ausgesparten Platz, also Leerraum, hinweg. Trotz eines scheinbar ähnlichen Arrangements, bei dem im Prinzip nur die Position von zwei Akteuren ausgewechselt wurde, ist die Bilderzählung in der vatikanischen Handschrift auf den ersten Blick faßbar, während sie im Eleonorenbrevier nur über ein Kreisen des Blickes in der halbrunden Figurenformation zu begreifen ist. Dabei

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sind einmal mehr auf fol. 83v von Cod. Vat. Lat. 3770 zahlreichere und subtilere räumliche Akzente gesetzt als im Eleonorenbrevier, die jedoch (nicht anders als beim letzten Vergleich) einem anderen, flächenästhetischen Prinzip gehorchen. Die unterschiedlichen künstlerischen Absichten in den dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen beider Handschriften werden auch bei einer Gegenüberstellung der beiden Bilder mit der Krönung Davids in M. 52 und Cod. Vat. Lat. 3770 offensichtlich (Abb. 66, 45). Obwohl es sich auf fol. 95v des vatikanischen Stundenbuchs um ein Vollbild, auf fol. 314v des Eleonorenbreviers um eine zwölf Zeilen hohe und nur die linke Spalte des Schriftspiegels einnehmende Abb. 66: Krönung Davids; New York, Pierpont Textminiatur handelt, ist die Mise en scène Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 314v. in beiden Fällen sehr ähnlich. Der von seiner Gefolgschaft flankierte David thront leicht erhöht unter einem Baldachin. Zwei rechts und links neben ihm stehende Männer setzen ihm die Krone aufs Haupt, während ein dritter, schräg links vor ihm kniender Würdenträger ihm das Zepter überreicht. Unmittelbar hinter dem Thron setzt die Rückwand des Raumes an, dessen Seitenwände in beiden Miniaturen angedeutet sind, wobei die jeweils linke durch eine Tür geöffnet ist, die im vatikanischen Stundenbuch in einen Nebenraum, im Eleonorenbrevier ins (mittels blauem Firmamentstreifen angedeutete) Freie führt, und durch die jeweils einige Männer den Raum betreten. Die Miniatur in Cod. Vat. Lat. 3770 bietet den im Verhältnis zur Bildfläche kleineren Figuren nicht nur mehr Platz, sondern auch eindeutig mehr Raum. Dies wird vor allem an der Bodenzone ersichtlich, die vom unteren Bildrand weg zuerst zwei Fliesenstreifen und dann die ebenso breite rote Bordüre des Brokattuches zeigt, auf dem nicht nur der Thron Davids steht, sondern das hinter ihm emporsteigt, um im Baldachinhimmel wieder nach vorne zu kragen. Die Figuren nehmen den solcherart konstruierten Raum auch an. Nur die Fliesen vorne bleiben frei, während auf dem roten Tuch links der Mann mit dem Zepter und rechts ein Hohepriester mit einem Salbgefäß Position bezogen haben. Wieder eine Ebene dahinter, schon auf dem Thronpodest, befinden sich David und die beiden Krönenden sowie ein dritter Würdenträger. Links und noch weiter hinten (was bedeuten würde, daß der Thron von der Rückwand abgesetzt ist) betreten zwei Männer räumlich gestaffelt das Zimmer, dessen rechte Seitenwand durch ein verkürzt wiedergegebenes Möbelstück definiert wird. Dem hat die Textminiatur auf fol. 314v von M. 52 wenig entgegenzuhalten. Der mit einem runden, zwei Stufen hohen Podest versehene Thron ist nur zwei Fliesenstreifen vom

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unteren Bildrand abgerückt, und entsprechend weniger raumgreifend wirkt die Figur des links das Zepter überreichenden Mannes. Dafür nimmt der rechte Krönende eine ebenfalls schräge Schrittstellung über zwei Fliesen hinweg ein, und die links hinten eintretenden Gefolgsleute sind zwar nicht räumlich, sondern eher bildparallel, dabei aber in der dritten und am tiefsten gelegenen, durch die Figuren definierten Raum­ ebene angeordnet. Dies wiegt wenig im Vergleich zur klaren Definition und Abfolge der Raumschichten in der vatikanischen Miniatur. Was wirklich zählt und das andere, doch betont raumorientierte Kunstwollen im Eleonorenbrevier anzeigt, ist die abweichende Disposition der Gruppe sowohl in kompositioneller wie auch in räumlicher Hinsicht sowie etliche Details, die für eine geradezu zentralräumliche Gesinnung dieses Malers stehen. Abb. 67: Heiliger Heraklius; New York, Pierpont So ist die Komposition in Cod. Vat. Lat. Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore 3770 symmetrischer und frontaler angelegt von Portugal, fol. 501r. als jene in M. 52. Zwar erscheint David auch in der vatikanischen Miniatur leicht nach rechts gerückt und dabei nach links vorne gewandt, von woher er das Zepter erhält  ; zudem entsprechen einander weder die Anzahl noch die Haltung der Personen zu Seiten des Thrones. Dennoch ist der König nahezu mittig positioniert und das Zentrum eines sich beiderseits annähernd gleichgewichtig aufbauenden Geschehens. Im Eleonorenbrevier sitzt David demgegenüber ganz im rechten Bildteil, und nur eine einzige Person steht links von ihm (also am rechten Bildrand), während im linken Bildteil sechs Männer Platz finden. Dieses vom vatikanischen Schema abweichende kompositionelle hat auch ein anderes räumliches Arrangement zur Folge. David ist deutlich nach links gewandt, so daß der hinter ihm stehende Mann de facto auf gleicher Ebene mit ihm positioniert, dabei aber ebenso in den Raum hinein gedreht erscheint wie der König selbst. Eine ähnliche Situation ergibt sich im linken Bildteil bei dem Knienden und den beiden Gefolgsleuten hinter bzw. neben ihm. Die dadurch bewirkte Verräumlichung der Handlung kommt einer Verräumlichung der Komposition gleich, und dies, obwohl de facto eine weniger tiefe Aktionsbühne als in der vatikanischen Miniatur gegeben ist. Die jeweilige Position der Figuren in M. 52 läßt sich an den in fast allen Fällen sichtbaren Füßen ablesen. Bei dem Knienden im vatikanischen Stundenbuch sind die Beine zur Gänze verdeckt und somit die Ausrichtung und (wegen des unklaren Faltenfalls an der Knickstelle

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Die frühe Gruppe

zwischen herabhängenden und aufliegenden Gewandteilen) die konkrete Position der Figur weitgehend verunklärt. Im Eleonorenbrevier ist an den Füßen des hier gerade niederknienden Mannes seine Stellung deutlich abzulesen, desgleichen an der rechts befindlichen Person. Schließlich wäre auch noch die (durch Fliesenzeilen, Tuch und Bordüre erzielte) streifenweise Abfolge der einzelnen Raumebenen in Cod. Vat. Lat. 3770 im Gegensatz zur durchgehenden Musterung des Bodens und der Kreisform des Podests in M. 52 zu nennen, welch letztere den Eindruck eines einheitlichen und zentral organisierten Raumes fördern. Da es sich bei den bislang besprochenen Miniaturen in M. 52 durchwegs um Interieurbilder bzw. solche in einem per se schon begrenzten Raum handelt, wird als nächstes die Raumauffassung des Illuminators anhand von Miniaturen mit Landschaft zu überprüfen sein. Obwohl inhaltlich geradezu konträr und in der Bildorganisation spiegelverkehrt angelegt, folgen die Darstellung des triumphalen Einzugs Davids mit dem Haupt Goliaths auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 32) und jene der Vertreibung desselben Helden durch das aufgebrachte Volk auf fol. 284v von M. 52 (Abb. 62) den gleichen Prinzipien. Sogar die Raumauffassung wirkt hier ähnlich, wohl auch deshalb, weil diese vatikanische eine jener Miniaturen ist, die eine relativ unverstellte Tiefenräumlichkeit mit frei darin agierenden Figuren aufweisen. So wird in beiden Miniaturen durch die mächtige, nach hinten zu fluchtende Stadtmauer ein aggressiver, die gesamte Darstellung dominierender Raumvektor geschaffen. Entsprechend dem Bildinhalt, der einmal Aufbruch, einmal Ankunft veranschaulicht, befindet sich die Stadt einmal im linken, einmal im rechten Bildteil und fluchtet im Brevier von links nach rechts, im Stundenbuch von rechts nach links. Das Stadttor ist beide Male frontal gegeben, und heraus kommt in beiden Bildern eine Anzahl von Leuten – das weibliche Empfangskomitee mit Michal an der Spitze im vatikanischen Stundenbuch, die aufgebrachte Soldatenschar im Eleonorenbrevier. Wichtig ist, daß beide Figurengruppen den jeweils durch die Stadtmauer gegebenen dominierenden Raumvektor konterkarieren, indem sie sich vom äußeren Bildrand weg nach vorne zur Mitte hin wenden. Dabei sind einmal mehr die Distanzen in der (freilich auch um einiges größeren) vatikanischen Miniatur gegenüber jener in M. 52 beträchtlich gesteigert. Dies gilt sowohl für die Länge der Stadtmauer als auch für den Weg mit den entgegenkommenden Damen, die zudem mehr (und räumlicher angeordnet) sind als die drei hinter dem aufgebrachten Hebräer einherschreitenden Soldaten in M. 52. Immerhin bleibt das Prinzip in beiden Fällen das Gleiche, wobei sich die Gruppe auf einem in einer Kurve nach vorne und auf die Mitte zukommenden Weg bewegt. Der Bogen, der durch die jeweils in die entgegengesetzte Richtung fluchtende Stadtmauer und den nach vorn führenden Pfad beschrieben wird (der am unteren Bildrand bildparallel verläuft und dort dem Helden Platz bietet), findet nun jeweils seine Fortsetzung auf der anderen, der Stadtmauer gegenüberliegenden Seite. Dort fluchtet er beide Male wieder in die Tiefe. In der vatikanischen Miniatur reiten auf ihm Saul und sein Gefolge einher und zeigen damit die Richtung an, aus der er kommt – nämlich ebenfalls von links hinten. Diese räumliche Disposition kehrt andeutungsweise auch in M. 52 wieder. Der dort im Vordergrund bildparallel in den rechten Miniaturrand mündende Weg erscheint im Mittelgrund noch einmal. Dort windet er sich in einer Kurve in die Tiefe und suggeriert da-

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mit einen Verlauf, der ebenfalls parallel zu der hier nach rechts hinten verkürzten Stadtmauer zu denken ist. In beiden Miniaturen begrenzen in der Ferne bildparallele Motive diese somit (mehr oder minder) allseits geschlossene Form, die selbst in M. 52 und weit mehr noch in Cod. Vat. Lat. 3770 eine beträchtliche Raumausdehnung aufweist166. Die Nähe, die dieser letzte Vergleich zwischen dem Eleonorenbrevier und dem vatikanischen Stundenbuch zutage gebracht hat, aber auch die bei den anderen Gegenüberstellungen für M. 52 erarbeiteten Gestaltungsprinzipien, müssen auch in Relation zu den Stilqualitäten der Jakobsmeister-Miniaturen im Isabella-Brevier sowie im Wiener und im Clevelander Stundenbuch gebracht werden. Auf fol. 455r des Isabella-Breviers befindet sich eine zweispaltige Textminiatur, deren linker Teil von drei männlichen Heiligen (Gorgonius, Prothus und Hyacinthus) eingenommen wird, während rechts Heraklius das Wahre Kreuz zu Fuß in die Stadt Jerusalem trägt (Abb. 68). Obwohl ein Medaillon mit eben diesem Inhalt den Randbereich der Septemberseite (fol. 6r) in M. 52 (Abb. 69) ziert und auch die einzige nicht im Psalterteil situierte Textminiatur in dieser Handschrift eben diese Szene zeigt (als Illustration zur Kreuzerhebung auf fol. 501r, Abb. 67), soll eingangs die soeben besprochene Vertreibung Davids auf fol. 284v des Eleonorenbreviers (Abb. 62) dem Herakliusbild in Add. 18851 (Abb. 68) gegenübergestellt und dabei auch dem eingangs damit verglichenen Davidsbild auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 32) Rechnung getragen werden. In den beiden Davidsminiaturen (Abb. 62, 32) wie auch im Herakliusbild des IsabellaBreviers (Abb. 68) dient ein mehr oder minder bildparalleles Wegstück als Aktionsraum für die Protagonisten  ; dieses knickt in Add. 18851 am rechten Bildrand um und führt dort in Kurven, aber letztlich senkrecht auf ein Stadttor zu, das im Mittelgrund am rechten Bildrand erscheint und aus dem sich ein Zug von drei Klerikern auf Heraklius zubewegt. Dabei war der Künstler außerordentlich bemüht, den Weg im Vordergrund als gekrümmt auszuweisen, zumal er in die beiden vorderen Bildecken unterschiedlich große Graskuppen setzte, die den Pfad nachgerade zu einer Spitzkehre formen. Obwohl der linke Teil des Weges nicht mehr sichtbar ist, zeigen die drei dort anschließend an das Pferd des Kaisers angeordneten Reiter den Verlauf der Straße in die Bildtiefe an. Dies geschieht freilich eher mit einzelnen Indizien – wie einem offenbar frontal gemeinten, zwischen rahmender Säule und erstem Reiter kaum sichtbaren weißen Pferdekopf oder den teils vom Vordermann verdeckten Gesichtern der bei166 Dabei scheint der nach links zu emporsteigende Felsen auf fol. 284v von M. 52, der sich als bildparalleles Motiv auf der Bildfläche in die unmittelbare Nähe der Stadtmauer schiebt, einem Nachgedanken entsprungen zu sein, zumal sich unter ihm der ursprüngliche Horizont (i. e. ein zum rechten Miniaturrand hin aufragender Berg) noch deutlich sichtbar abzeichnet. Für die Raumwirkung ist diese nachträglich vorgenommene Änderung von entscheidender Bedeutung, da mit ihr dem ursprünglich gleichsam unendlichen Fernblick ein Riegel vorgeschoben wurde. Daß erst im Nachhinein ein im vatikanischen Codex regelmäßig verwendetes Prinzip berücksichtigt wurde, ist auch für die Datierung bzw. Stellung der beiden Handschriften zueinander nicht unwichtig, da es eine sukzessive Erarbeitung der im vatikanischen Stundenbuch vollkommen beherrschten Gestaltungsmittel belegt.

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Abb. 68: Die Heiligen Gorgonius, Prothus, Hyacinthus und Heraklius; London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 455r.

den hinteren Gefolgsleute – als durch eine (und wenn auch noch so geringfügig angedeutete) Raumschräge. Motivisch begegnet man hier einem Pendant zum Davidsbild auf fol. 58v im ersten Band des vatikanischen Stundenbuchs (Abb. 32). Dieses weist allerdings neben einer weit größeren räumlichen Durchdringung aller Bildelemente einen ausschlaggebenden Unterschied zur Darstellung in Add. 18851 auf, nämlich daß der wesentliche Aspekt der Raumgestaltung erst dort beginnt, wo er im Isabella-Brevier schon wieder endet  : am Stadttor. Daraus ergibt sich, daß die Davidsvertreibung im Eleonorenbrevier (Abb. 62) kaum Gemeinsamkeiten mit dem Herakliusbild in Add. 18851 aufweist, zumal in M. 52 der kurvige Verlauf des Wegs relativ am wenigsten sichtbar und in erster Linie auf jene Art der Raumkonstruktion gebaut wird, die den größten Unterschied zwischen dem Heraklius- und dem vatikanischen Davidsbild ausmacht  : auf einen einzigen, in einem steilen Winkel in die Tiefe fluchtenden Raumvektor, mit dem sich der in Add. 18851 senkrecht nach hinten schlängelnde, von einer Bodenwelle

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Abb. 69: Kalenderseite September; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 6r.

(de facto einem horizontalen Streifen) unterbrochene Pfad als Mittel zur Tiefensuggestion nicht messen kann. Andere Miniaturen in M. 52 bestätigen die hier angesprochenen Unterschiede. So kniet David in der Textminiatur auf fol. 307r des Eleonorenbreviers (Abb. 65) auf einem wiederum bildparallel gegebenen Wegstück, das durch einen kleinen Felsblock rechts, einen Busch links und einen Wiesenstreifen in der Mitte vom Mittelgrund getrennt ist. Der links von einer Hügelkuppe herabkommende Weg und der am rechten Bildrand parallel dazu in einer sanften Kurve sich hinziehende Fluß leisten ungeachtet der statischen Pose des Königs dem Eindruck Vorschub, als sei David aus der Bildtiefe gekommen und würde sich nach seinem Gebet weiter in sie hineinbewegen. Die größte Diskrepanz gegenüber dem Herakliusbild des IsabellaBreviers ist auch hier, daß es zwei (mehr oder minder voll ausgebildete) Raumvektoren, den Weg und den Fluß, gibt, die sich annähernd parallel und zudem in einer leichten Schräge in die Bildtiefe richten, was eine größere Dynamik als die senkrechte Verkürzung in Add. Ms.

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18851 bewirkt. Dabei weist der Vordergrund in M. 52 jedoch nur eine suggestive, aber nicht anschauliche Verbindung zu den beiden in die Tiefe führenden Diagonalen auf. Dies scheint tatsächlich eine Eigenheit des Raumkonzeptes in den dem Jakobsmeister zuschreibbaren Textminiaturen des Eleonorenbreviers zu sein. Sie findet sich auch in der Darstellung auf fol. 297v von M. 52, die einen vor David knienden und im Hintergrund mißhandelten Mann zeigt. Das im linken Bildteil nicht mit diesem Vordergrundmotiv verbundene, schräg in den Raum geführte Wegstück wird zweifellos dennoch als Fortsetzung des Pfades vorne gelesen, auf dem die Protagonisten agieren, und dasselbe gilt für das rechts hinter den davidschen Gefolgsleuten sichtbare Wegstück. Ebenfalls ähnlich verhält es sich in der Textminiatur mit Abigail vor David auf fol. 276v des Eleonorenbreviers (Abb. 61), wo nun tatsächlich der Weg vorne eine sanfte Kurve beschreibt und die hintereinander gestaffelte Reiterei Davids links wie der verkürzt wiedergegebene Esel Abigails rechts ein räumliches Kontiuum von vorne weg initiieren, das dennoch im Mittelgrund abgebrochen wird und nur mehr über zwei Ausblicke (auf eine Felsformation links und eine weite Landschaft mit zwei von Abigails Kamelen und eine ferne Stadt rechts) seine Fortsetzung erfährt. Insgesamt scheint es eindeutig, daß diese gleichsam u-förmige Raumorganisation ein entscheidendes Merkmal der Davidsbilder in M. 52 ist, und daß sie in Add. 18851 nur zum Teil vorgebildet ist (wie auch anhand anderer Miniaturen im Isabella-Brevier, so des Bartholomäusbildes ebenda, gezeigt werden konnte). Dabei haftet den Londoner Miniaturen, so auch dem Herakliusbild, ein gewisser Experimentcharakter an  : In letzterem wird versucht, eine Verbindung zwischen Vordergrund und (nicht sehr tiefem) Hintergrund mittels einer senkrechten Linie herzustellen, was de facto einer einseitigen Ausdehnung der Vordergrundbühne bis zum Stadttor gleichkommt. Das Bartholomäusbild ebenda (Abb. 13) wartet demgegenüber schon mit einer Parallelisierung zweier vom Vordergrund (bzw. unmittelbar dahinter) ausgehender Raumvektoren auf, verglichen mit den Darstellungen des Eleonorenbreviers aber mit äußerst mäßigem Erfolg, was die Umsetzung oder auch nur Suggestion der zweiten räumlichen Schräge anlangt. Schließlich mag als eine Gemeinsamkeit zwischen den Miniaturen des Jakobsmeisters in Add. 18851 und M. 52 gelten, daß in keiner von ihnen jene Frontalisierung mit Raumsprung zu finden ist, die die meisten Bilder des vatikanischen Stundenbuchs kennzeichnet. Dies legt den Schluß nahe, daß die beiden Brevierhandschriften vor Cod. Vat. Lat. 3770–68 entstanden, wobei die größere Nähe der Gestaltungsprinzipien in M. 52 zu jenen im Vaticanus darauf hindeutet, daß das Eleonoren- zwischen dem Isabella-Brevier und dem Stundenbuch entstand. Die Nähe wie die Distanz der Jakobsmeister-Miniaturen in M. 52 zu Add. 18851 wie zu Cod. Vat. Lat. 3770–68 zeigen exemplarisch die beiden Herakliusbilder auf fol. 6v und 501r des New Yorker Breviers. So ist im Kalendermedaillon auf fol. 6r (Abb. 69) trotz der weit geringeren Größe mittels eines von links weg schräg in die Tiefe führendes Weges, auf dem in einiger Entfernung eine Nachhut zu sehen ist, ein tieferer Bildraum als in der Herakliusdarstellung des Isabella-Breviers gegeben. Zugleich bleibt aber die Suggestion einer zweiten Raumschräge aus  : Heraklius bewegt sich gerade nach links auf das nur wenig räumlich ver-

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setzte Stadttor zu. Wie in Add. 18851 ist das im wesentlichen bildparallele Geschehen im Vordergrund nur durch einen einzigen Raumvektor mit der Bildtiefe verbunden. Noch dazu kann die Bildgestaltung in Add. 18851 damit punkten, daß Heraklius sich gleichsam im nächsten Moment in den Raum hineinwenden wird (was der dreidimensionalen Wirkung der Darstellung insgesamt zugutekommt, da der Blick des Betrachters die vorgegebene Route in die Tiefe so auf jeden Fall durchmißt). In M. 52 kommt er aus diesem heraus und beendet seinen Weg in einer Waagrechten. Dennoch ist nicht nur die Schräge des Pfades sogar in diesem reduzierten Format noch ein ungleich dynamischeres Element als der vertikal nach oben weisende Weg im Isabella-Brevier. Der Künstler verstand es zudem, die Form des Medaillons für seine Zwecke zu nutzen  : Die Kurve, die der von links hinten kommende Pfad beschreiben muß, um zum rechten Bildrand zu gelangen, ist der Kreisform des Bildfeldes entsprechend langgezogen und bietet dem Illuminator ausreichend Platz, die zwei Pferde im Gefolge des Königs nach links hinten hin zu verkürzen  ; so entstehen zwei gegenläufige, jedoch einander ergänzende Raumschrägen. Mit eben diesem Mittel operiert der Künstler auch auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 32), um die Distanzen in seinem Bild maximal zu steigern. Das Herakliusmedaillon in M. 52 zeigt somit zwar ein grundsätzlich dem Schema in der Londoner Heraklius­ darstellung verwandtes Prinzip der Raumgestaltung, treibt dieses jedoch mit Mitteln voran, die schon auf die Errungenschaften im vatikanischen Stundenbuch vorausweisen – womit zugleich der Beweis angetreten wäre, daß die verschiedenen Modi der Tiefensuggestion ganz und gar unabhängig von der jeweiligen Miniaturengröße sind. Bestenfalls das jeweils dargestellte Ausmaß des Raumes mag davon beeinflußt sein, wie viel Platz die Bildfläche zur Verfügung stellt – die Art und Weise, wie die Illusion erzielt wird, ist dadurch nicht betroffen. Beinahe noch größer scheint vorweg die Ähnlichkeit der beiden Textminiaturen zum Herakliusthema in den beiden Brevieren (Abb. 67, 68), was sich freilich rasch als eine Folge motivischer Übereinstimmungen bei den Haupthandlungsträgern entpuppt. Sowohl auf fol. 455r in Add. 18851 (Abb. 68) als auch auf fol. 501r in M. 52 (Abb. 67) schreitet der Kaiser auf einem annähernd bildparallelen Wegstück mehr oder minder bildparallel einher, gefolgt von seinen Leuten im linken Bildteil, und sein Ziel, das Stadttor, befindet sich in beiden Fällen rechts nach hinten gerückt – in Add. 18851 allerdings weit, in M. 52 nur so weit, daß das vordere Wegstück als gekrümmt wahrgenommen werden kann, was sein waagrechter Verlauf entlang des unteren Bildrands nicht unbedingt nahelegen würde. Der links mit dem Schimmel und der Robe des Kaisers befaßte Diener übernimmt die Aufgabe, den linken Teil der Wegkrümmung zu veranschaulichen, zumal er zwar mit seinem Oberkörper schon nach rechts, der Bewegung seines Herrn entsprechend ausgerichtet ist, seine Beine aber noch nach vorne zu ausschreiten, sozusagen erst in die Kurve einlenken. Überzeugender als in London vermittelt auch der zweite Reiter den Eindruck, aus der Bildtiefe zu kommen, was vor allem dadurch so gut gelingt, daß diese just hinter ihm in einem Fernblick gipfelt. Hinzukommt als der größte Unterschied zum Herakliusbild im Londoner Brevier und als eine starke Annäherung an die Darstellung des Triumphzugs Davids auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 32), daß auf fol. 501r in M. 52 anschließend an das Stadttor die Mauer Jerusalems in einer Schräge von rechts weg nach hinten zu verkürzt ist, womit das Komposi­

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tionsschema der vatikanischen Davidsminiatur zur Gänze vorgebildet ist. Freilich sind die Distanzen im Davidsbild gesteigert, und zwar so beträchtlich, daß dies schon wieder nicht nur an der Bildgröße liegen kann, sondern auf einen kompromißlosen Willen zur Verräumlichung zurückgeführt werden muß. Nicht nur das, sondern auch ein unscheinbares Detail im vatikanischen Bild zeigt an, daß das Eleonorenbrevier trotz allem eine andere (und wohl frühere) Stilstufe vertritt  : Während auf fol. 58v von Cod. Vat. Lat. 3770 die enorme Tiefenflucht der Stadtmauer in dem waagrechten hinteren Kompartiment endet und damit letztlich eine geschlossene Raumformation entsteht, bleibt in M. 52 hinter dem am tiefsten positionierten Turm der Mauer ein Ausblick frei. Und die Berge, die hinter dem Kopf des Gefolgsmannes am linken BildAbb. 70: Heiliger Martin; London, British rand aufragen, scheinen ihrerseits ebenfalls in Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Richtung dieser leeren Stelle zu fluchten. Eine Kastilien, fol. 485v. nachgerade tektonische Raumkonstruktion, wie sie sich im vatikanischen Stundenbuch findet, war im Herakliusbild des Eleonorenbreviers offenbar (noch) nicht erwünscht. Auch die Gegenüberstellung der drei Martinsminiaturen auf fol. 485v von Add. Ms. 18851 (Abb. 70), auf fol. 7r – der Novemberseite – von M. 52 (Abb. 71) und auf fol. 142r von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 72) bringt ähnliche Ergebnisse, wenngleich hier neben den unterschiedlichen Größenverhältnissen (kleines Randmedaillon im Eleonorenbrevier vs. zehn- bzw. sogar fünfzehnzeiliger Textminiaturen im Isabella-Brevier bzw. im vatikanischen Stundenbuch) auch die unterschiedlichen Bildausschnitte (Ganzfigurendarstellung in den beiden Brevieren, Halbfigurenbild im Stundenbuch) mit berücksichtigt werden müssen. Ungeachtet dessen und der Tatsache, daß Martin sich in den beiden Brevieren auf das links befindliche Stadttor zubewegt, während er im Stundenbuch von rechts weg daraus hervorreitet, ist die motivische und die dadurch eingeleitete stilistische Übereinstimmung zwischen Cod. Vat. Lat. 3768 und M. 52 größer als die zwischen Add. 18851 und einer der beiden anderen Handschriften. Im Isabella-Brevier befindet sich der Bettler im Gegensatz zu den beiden anderen Versionen hinter der Krupp des Pferdes und nicht davor, und nur im Isabella-Brevier ist die an sich durchaus tiefe und zudem einmal mehr mit einer Wegkrümmung zwischen gleich zwei Stadttoren ausgestattete Vordergrundbühne nach hinten zu mit einer bildparallelen Mauer abgeschlossen, hinter der nur vage zwei Hügelkuppen und eine schüttere Baumkrone sichtbar werden. Im Eleonorenbrevier und im vatikanischen Stundenbuch ist keine solche Zäsur gegeben, wo-

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Abb. 71: Kalenderseite November; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 7r.

bei in beiden Fällen mehr und ferner gelegene Bereiche der Landschaft sichtbar werden und somit nicht nur ein Raumkontinuum, sondern zugleich auch dessen Tiefe suggeriert wird. Dabei deutet sowohl der am linken Bildrand bruchstückhaft erkennbare Weg in der vatikanischen Miniatur als auch das Stadttor am linken Medaillonrand im Eleonorenbrevier einen Raumvektor an, der der Vorstellung eines sich kontinuierlich entwickelnden Tiefenraumes Vorschub leistet, während dasselbe Motiv im Isabella-Brevier durch die bildparallele Stadtmauer bloß zu einer von insgesamt drei Begrenzungen der solcherart vom Landschaftshintergrund abgesetzten Vordergrundbühne wird. Die drei Martinsminiaturen geben zugleich die Gelegenheit, auf ein Argument einzugehen, das in der neuesten Literatur zur Datierung von M. 52 vorgebracht wurde. Margaret Scott und Thomas Kren haben den ausladenden Hut und die weiten Ärmel des Edelmannes im Märzbild auf fol. 3r des Eleonorenbreviers (Abb. 73) als Beweis dafür angesehen, daß die Handschrift im frühen 16. Jahrhundert entstand bzw. eventuell in zwei Etappen gemacht wurde, da die (nicht

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Abb. 72: Heiliger Martin; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, Stundenbuch, fol. 142r.

vom Jakobsmeister ausgeführten) Figuren im Bas de page von fol. 291r (das in der Textminiatur von der Hand unseres Künstlers darüber eine Schlacht Davids zeigt) (Abb. 63) noch dem späten 15. Jahrhundert entsprechend mit engeren Ärmeln und einem kleineren Hut dargestellt seien167. Die Beobachtungen sind ungemein aufschlußreich, ergeben sie m. E. doch, zusammen mit den übermalten Wappen auf fol. 1v, eine solide Basis für die Annahme einer sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden Ausstattung. Allerdings bieten sie keine ausreichende Grundlage, die Miniaturen des Jakobsmeisters ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu datieren – besonders dann nicht, wenn man zugleich das vatikanische Stundenbuch um 1500 datiert. Denn wie unschwer zu erkennen ist, trägt Martin auf fol. 142r in Cod. Vat. Lat. 3768 einen Hut (Abb. 72), dessen Fellkrempe ebenso breit ist wie jene des Edelmannes auf fol. 3r 167 London – Los Angeles 2003, S. 323.

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Abb. 73: Kalenderseite März; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 3r.

von M. 52 (Abb. 73). Der Mantel des letzteren mit seinen weiten Ärmeln hat seine exakte Entsprechung in dem des Jünglings, der in der Fronleichnamsprozession auf fol. 68v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 35) eine der Baldachinstangen trägt. Daß sich daraus aber nicht auch noch die Datierung des vatikanischen Stundenbuchs in 16. Jahrhundert ableitet, beweist der Hut Martins auf fol. 485v des Isabella-Breviers (Abb. 70), das spätestens 1497 (wahrscheinlich sogar früher) entstanden ist  ; die Krempe ist hier nur minimal kleiner als im Märzbild des Eleonorenbreviers. Auch in den von verschiedenen Künstlern ausgeführten Miniaturen auf fol. 368r (Abb. 219) und fol. 517r des Carondelet-Breviers in der Berliner Staatsbibliothek (Ms. theol. fol. 285), dessen Text 1488/89 datiert ist168, sind die gleichen Kopfbedeckungen (und 168 Vgl. ebenda, S. 378 f. (Nr. 112), S. 529 (mit Literaturangaben) sowie hier den Exkurs am Ende der Arbeit.

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ähnliche Mäntel) zu sehen, die selbst jene auf fol. 3r von M. 52 in ihrer Opulenz noch überbieten. Wäre das Berliner Brevier die einzige Handschrift, die neben M. 52 diese Kostümierung aufweist, könnte man sich auf die problematische Datierung dieses Werkes berufen und seine Ausstattung ebenfalls im 16. Jahrhundert ansetzen169. Da aber auch das Londoner Brevier nur wenig gemäßigtere Formen dieser Kleidung bereithält, kann das kostümkundliche (als das einzige vorgebrachte) Argument für die Spätdatierung von M. 52 m. E. ignoriert werden. Nun gilt es, die sich abzeichnende zeitliche Stellung des Eleonorenbreviers zwischen Add. 18851 und Cod. Vat. Lat. 3770–68 anhand der beiden anderen bislang behandelten Werke der frühen Gruppe zu überprüfen – vor allem im Hinblick auf das Clevelander Stundenbuch, für das ja bereits eine entsprechende Zwischenposition postuliert wurde. Doch erschwert der gänzlich andere Inhalt und Charakter der beiden Clevelander Darstellungen ein solches Vorhaben. Am ehesten sind Parallelen zwischen der Miniatur des heiligen Rochus auf fol.181v in CMA 1963.256 (Abb. 59) und der Wiedergabe des Amalekiters mit Sauls Krone vor David auf fol. 297v in M. 52 (Abb. 64) auszumachen. Beide Male wird ein (räumliches und inhaltliches) Zueinander zweier Protagonisten im unmittelbaren Vordergrund einer weiten Landschaft geschildert, wobei freilich im Clevelander Vollbild die Natur vielfältiger und ausgedehnter in Erscheinung tritt als in der New Yorker Textminiatur und auch die Proportionen der Figuren im Stundenbuch entsprechend der Größe des Bildfeldes monumentaler ausgefallen sind als in dem (überdies durch weitere Figuren und eine Hintergrundszene bereicherten) kleinformatigen Brevierbild. Ungeachtet dessen lassen sich bezüglich des Raumaufbaus einige grundsätzliche Unterschiede feststellen. Obwohl die Akteure im Eleonorenbrevier von einem Felsen hinterfangen sind und sich ein konsequenter Tiefenzug erst hinter ihnen vom linken Bildrand weg entwickelt, zeigt auch diese Miniatur das nun schon bekannte, im vatikanischen Stundenbuch perfektionierte ­System der parallelen Raumschrägen. Denn die grasbewachsene Kuppe des Felsens suggeriert eine räumliche Erstreckung parallel zum linken Wegverlauf, und in der hellen Stelle über dem Gesäß des ganz am rechten Bildrand befindlichen Kriegers ist noch ein Teilstück jenes Pfades angedeutet, auf dem die Figuren stehen und der schon vom unteren Bildrand weg nach rechts ausschwingt. Damit ist auch hier die im Eleonorenbrevier charakteristische Raumkonstruktion verwirklicht. Demgegenüber zeigt die Rochusminiatur jene räumliche Erweiterung des Vordergrundes, die schon im Isabella-Brevier konstatiert und die in CMA 1963.256 durch einen diagonal verlaufenden Vektor perfektioniert wurde. Freilich wirkt das Rochusbild viel tiefer als die Davidsminiatur. Dies scheint aber eher eine Folge der unterschiedlichen Größe der beiden Bilder zu sein. Die Raumauffassungen in den beiden Miniaturen unterscheiden sich nicht durch graduelle, sondern durch grundsätzliche, die Erzeugung der Raumillusion betreffende Diskrepanzen, wobei die in M. 52 angewandten Mittel eine deutliche Annäherung an die im vatikanischen Stundenbuch verwendete Methode zeigen. Mit gebührender Vorsicht würde man daher für eine zeitliche Einordnung der Clevelander vor den New Yorker Miniaturen plädieren, mit dem Isabella-Brevier am Anfang und dem 169 So Brinkmann 1987/88, S. 151, Anm. 75  ; Berlin 1987, S. 114 f.

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vatikanischen Stundenbuch am Ende dieser Reihe. Dies untermauert auch der folgende Vergleich. Der Kalender des Eleonorenbreviers gehört zu einer Gruppe illuminierter Kalendarien, von denen sechs bzw. sieben noch erhalten sind170. Gemeinsame Merkmale sind ein übereinstimmendes Seitenlayout (fingierte Holzrahmen rund um den auf einer Seite plazierten Monatskalender mit Heiligendarstellungen in den Medaillons des seitlichen Marginalbereichs und der Wiedergabe der jeweiligen Monatstätigkeit im Bas de page), eine identische Ikonographie der Monats- und teils auch der Heiligenbilder sowie große kompositionelle und motivische Übereinstimmungen in den einzelnen Darstellungen. Da die erhaltenen Versionen durchwegs in Handschriften zu finden sind, die dem Jakobsmeister zugeschriebene Miniaturen enthalten, wird angenommen, daß Vorlagen davon zu seinem Werkstattgut gehörten171. Aber nur der Kalender des Eleonorenbreviers ist eigenhändig ausgeführt (bzw. im Rahmen jener Künstlerkooperation entstanden, die hier als Jakobsmeister bezeichnet wird), und auch der einzige andere Kalender innerhalb der frühen Gruppe mit den oben genannten Merkmalen wurde nur zum Teil von einem Maler ausgestattet, der in einer engeren Verbindung mit dem Jakobsmeister gestanden haben dürfte  : es handelt sich um das Kalendarium des bislang noch nicht besprochenen Breviers Inv. Nr. 946 im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen, der die Ikonographie der Monatsbilder in M. 52 deutlich variiert172. Alle anderen erhal170 Zu der Gruppe gehören neben dem Kalender des Eleonorenbreviers auch jener im Antwerpener Brevier (Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946), jener im sogenannten Rothschild-Stundenbuch (London, British Library, Add. Ms. 35313), jener im Spinola-Stundenbuch (Los Angeles, Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18), jener im Soane-Stundenbuch (London, Sir John Soane’s Museum, Ms. 4) und jener im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch (Privatbesitz). Die Hinzunahme des siebenten Kalenders in diese Gruppe, dem des Jakobsgebetbuchs Cod. Vind. 1897, ist insofern problematisch, als sich darin keine Monatsdarstellungen befinden, was nicht nur zu einem abweichenden Erscheinungsbild, sondern auch zu einer deutlich anderen Aussage dieses Bilderzyklus führt. 171 In Anbetracht dessen, daß sich zwar alle aufgezählten Kalendarien in Handschriften befinden, in denen auch der Jakobsmeister tätig war, aber vier davon von Malern ausgeführt wurden, die eindeutig aus anderen Kreisen als dem unseres Künstlers stammen, würde ich eine Formulierung wie „..it is clear that a popular set of calendar miniature patterns was available in the workshop of the Master of James IV“ (London – Los Angeles 2003, S. 324, Anm. 10.) für irreführend halten. Nicht einmal die beiden dem Jakobsmeister nahestehenden Illuminatoren (im Antwerpener Brevier und in den Soane-Hours) können zur Zeit der Herstellung des jeweiligen Kalenders eng mit unserem Künstler zusammengearbeitet haben. 172 Zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S. 324–329 (Nr. 92), S. 528 (mit ausführlichen Literaturangaben), ferner Dekeyzer 2002b, S. 182–188  ; Dekeyzers Zuschreibung des Kalenders an zwei Maler ist überzeugend, doch würde ich teils eine andere Verteilung zwischen den Händen vorschlagen als sie. Als Bilder jenes Illuminators, der stilistisch lose an den Jakobsmeister anschließt, scheinen mir jene auf fol. 1v, 2r, 3r, 5r, 6v und 7r. Die Schwierigkeit einer Händescheidung zeigt sich jedoch darin, daß auch die beiden Miniaturen auf fol. 4r und 4v gewisse Züge dieses Malers erkennen lassen und doch in mancher Hinsicht auch an die übrigen vier,

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Abb. 74: Kalenderseite Juni; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 4v.

tenen Exemplare sind zweitklassige Kopien der Version des Eleonorenbreviers und stammen von Illuminatoren, die keinerlei stilistische Affinität mit der Jakobsmeister-Gruppe, sondern Formmerkmale jenes „mainstream“ flämischer Buchmalerei um 1500 aufweisen, der in einem Bereich zwischen der unter dem Namen des Maximiliansmeisters zusammengefaßten Buchproduktion und jener mit dem Gebetbuchmeister um 1500 assozierten anzusiedeln ist. Alle diese Kalendarien scheinen später entstanden zu sein als die entsprechenden Bilder im New Yorker und im Antwerpener Brevier und können auch qualitativ nicht damit konkurrieren. Ohne an dieser Stelle auf die Relationen zwischen den einzelnen Zyklen, auf ihre Ausführenden und auf Probleme, die ihr Vorkommen in den einzelnen Handschriften (und ihr von einem einer anderen Richtung angehörendem Illuminator ausgeführt, anschließen. Offenbar liegt einmal mehr allerengste Zusammenarbeit vor. Vollständige Farbabb. des Kalenders bei Nieuwdorp-Dekeyzer 1997.

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Abb. 75: Kalenderseite Juni; Los Angeles, The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 4r.

Fehlen in anderen wie dem vatikanischen Stundenbuch) mit sich bringt, näher eingehen zu können, soll anhand der Analyse einiger Kalenderbilder des Eleonorenbreviers die zeitliche Stellung dieser Handschrift weiter eingegrenzt werden. So befindet sich im bas de page des fol. 4v in M. 52 (Abb. 74) eine Darstellung der Schafschur, die – um nur zwei Beispiele zu nennen – auf fol. 4r des Spinola-Stundenbuchs in Los Angeles (The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Abb. 75) und auf fol. 4r des Rothschild-Gebetbuchs (ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, Abb. 76) mehr oder minder getreu kopiert ist  ; eine relativ selbständige Variante davon findet sich auf fol. 4r des Mayer van den Bergh-Breviers (Abb. 77). Die beiden Kopien zeigen deutlich, daß die jeweilige Raumauffassung trotz großer motivischer Übereinstimmungen die des jeweiligen Illuminators ist – und im übrigen auch eine Folge des jeweils geringen Könnens. Letzteres muß sich der Illuminator von fol. 4v in M. 52 (Abb. 74) nicht vorwerfen lassen. Die hohe Qualität seiner Bildlösung zeigt sich am augenfälligsten in dem erzählerischen Reichtum, an den die beiden Kopisten nicht entfernt herankommen, höchstens der Illuminator der entsprechenden Darstellung im

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Abb. 76: Kalenderseite Juni; Wien, Öster­reichische Nationalbibliothek, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, Rothschild-Gebetbuch, fol. 4r.

Antwerpener Brevier (der aber eine abweichende Vorlage oder aber eigenständige Ideen hatte und insgesamt eine andere Bildlösung als in M. 52 bei grundsätzlich gleicher Bilderzählung kreierte). Gerade die relative Selbständigkeit der vergleichsweise qualitätvollen Antwerpener Kalenderminiaturen spricht dafür, daß auch die noch viel überzeugenderen künstlerischen Lösungen in M. 52 keine bloßen Kopien sein können (wie durch die exakten Repliken davon vermeintlich nahegelegt wird). Dies würde auch gar nicht dem Niveau und dem Usus des ausführenden Illuminators entsprechen. Daß gerade die Lösungen des Eleonorenbreviers in mehreren exakten Kopien wiederholt wurden, ist wohl eher darauf zurückzuführen, daß es sich bei den Bildern in M. 52 tatsächlich um die Vorlagen für die gesamte Reihe handelt und daß nach ihnen jene Zeichnungen angefertigt wurden, die von den jeweils mit dieser Aufgabe betrauten Malern dann weiter benutzt wurden.

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Abb. 77: Kalenderseite Juni; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 4r

Daß die Kalenderminiaturen in M. 52 tatsächlich Erstentwürfe sind, beweist ein Detail auf fol. 4v (Abb. 74)  : Dort ist, wie auf allen Seiten in der unteren, falzabgewandten Ecke (hier also links), das Tierkreiszeichen abgebildet. Die Darstellung dieses Krebses erlaubt es, gleich mehrere Schlüsse zu ziehen. Zum einen sind neben den acht ausgeführten Laufwerkzeugen des Krustentieres auf der blauen Bildfolie (dem Element des Sternzeichens wie der realen Spezies) die Umrißzeichnungen von einigen alternativen Beinchen zu sehen. Das heißt, daß der Krebs auf dem Pergament entworfen und im Malvorgang noch einmal geändert wurde, was die These vom Prototypcharakter der Morgan-Serie gewichtig untermauert. Zum anderen ist dieser Krebs ungleich mehr als alles, was mir aus der zeitgenössischen Buchmalerei bekannt ist, eine Naturstudie. Es genügt, ihn mit den stilisierten (in den beiden Kopien nachgerade skurilen) Pendants in den drei anderen angeführten Handschriften zu vergleichen, um zu

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erkennen, daß der Maler des Exemplars in M. 52 einen echten Krebs darstellen wollte. Die anatomische Richtigkeit im Detail mag zu wünschen übriglassen, das Krustentier erscheint dennoch wie eine naturgetreue Wiedergabe eines realen Exemplars. Nun zeichnet den Jakobsmeister (und seine engsten Mitarbeiter), wie an anderer Stelle bereits angedeutet wurde, ein besonders Interesse an der Tierwelt aus, die in mannigfaltigster und oft liebevoll geschilderter Form in die ihm zugeschriebenen Miniaturen Eingang findet. Würde es eines Beweises bedürfen, daß es sich bei den Kalenderbildern in M. 52 um eigenhändige Schöpfungen des Meisters handelt (und Zweifel wurden immerhin geäußert173), so wäre mit diesem ungleich naturalistischer als üblich dargestellten Krebs ein gewichtiges Argument dafür schon erbracht. Auch in der Darstellung der Schafschur selbst, die unterhalb des Textspiegels in einem querrechteckigen Feld Platz findet, ist die Fauna mit einer den übrigen Bildern gleichen Inhalts weit überlegenen Varietät und Lebensnähe wiedergegeben. Gerade die beiden Kopien zeigen die große Kluft, die sie vom Original trennt  : Die Gänse im Teich des Jakobsmeisters haben nicht etwa irgendwelche Phantasiefarben (und -formen) wie in den beiden Repliken, sondern lassen sich als eine Graugans mit Küken und ein Entenerpel identifizieren. Zwei weiße Hausgänse am Ufer zählen ebenfalls zum Federvieh des Bauernhofes, in dessen linkem Teilbereich die Schafschur vollzogen wird. Zwei junge Männer entledigen zwei Tiere ihrer Wolle, ein dritter hievt ein noch ungeschorenes Exemplar aus dem links im Vordergrund befindlichen Stall ins Freie. Das völlig verständnislos sein eigenes (deutlich sichtbares  !) Spiegelbild im Wasser des Weilers beglotzende, bereits geschorene Schaf scheint ebenfalls eine originelle Idee des Jakobsmeisters zu sein  ; sowohl in den beiden Kopien als auch im Antwerpener Brevier ist es in ein grasendes Tier umgedeutet bzw. durch ein solches ersetzt. Einige Schwalben auf dem Dach des Geräteschuppens in M. 52 vervollständigen die Tiergemeinschaft  ; nur im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 nahm sich der Maler die Mühe, durch zwei stilisierte (um nicht zu sagen  : verunglimpfte) Silhouetten auf dem Scheunendach das Motiv wenigstens annähernd nachzuempfinden. Die ihre Bahnen im Firmament beschreibenden Vögel, die Boten des Sommers, bleiben eine Spezialität des Junibildes in M. 52. Bei unseren Überlegungen geht es jedoch nicht um den Reichtum der Bilderzählung, der bis zu einem gewissen Grad alle Miniaturen des Jakobsmeisters gegenüber jenen seiner Berufskollegen auszeichnet, sondern um die sich in den Kalenderbildern von M. 52 abzeichnende Raumauffassung. Wie im Eleonorenbrevier üblich, spielt sich das Vordergrundgeschehen (hier links im Bild) am Rande eines leicht gekrümmten Weges ab, der im rechten Teil des Bildes in die Tiefe schwenkt und in einer langgezogenen Schräge auf das Wohnhaus des Hofes zuhält, das durch einen Wimpel mit dem weißen Löwen Flanderns in die Heimat des Illuminators lokalisiert wird. Dieses Gebäude ist in einer gegenläufigen Diagonale zu dem zu ihm vorstoßenden Weg verkürzt  ; an ihm vorbei führt der Pfad weiter und beinahe senkrecht in die Bildtiefe, konkret bis zu einem kleinen Gatter, über das das Gehöft mit der umliegenden (flämisch flachen) Landschaft verbunden ist. Daß dieser Tiefenzug dennoch kaum zum Tragen kommt, liegt an der massigen Regentonne, die anschließend an die hintere Hauskante 173 Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 321.

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Abb. 78: Kalenderseite Mai; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 4r.

den Blick auf den senkrecht verkürzten Weg fast ganz blockiert. Und die Ferne präsentiert sich als bildparallele Abfolge zunehmend verblauender Wiesenstreifen, die eher die Weite als die Tiefe der Landschaft evozieren. Zwei Dinge fallen auf  : Zum einen wird Raum primär in der mittels eines Raumvektors erzielten Ausdehnung der Vordergrundbühne nach hinten zu erlebt (wie dies auch in einigen Miniaturen des Isabella-Breviers der Fall ist, dort jedoch mit weit weniger überzeugender Wirkung). Zum anderen ist die im Mittelgrund umbrechende, aber nicht wirklich weiter nachvollziehbare Diagonale ein Gestaltungsmittel, das bereits in CMA 1963.256, vor allem in der Rochusminiatur ebenda (Abb. 59), konstatiert wurde. Drittens bleiben die Figuren – wie Rochus und der Engel – im Vordergrund, ja, werden nach hinten zu sogar von einem Wiesenzaun abgeschirmt. Und viertens erhält der dominierende Raumvektor Unterstützung durch parallele „Seitenstränge“, so in der unregelmäßigen Uferzone und in der Anordnung der Fi-

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Abb. 79: Kalenderseite Mai; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 3v.

guren und Gebäude im Vordergrund. Auch dies ist im Clevelander Stundenbuch schon vorgebildet, in der Parallelisierung der Diagonalen in der Marienmesse (Abb. 58). Ein Blick auf das Junibild im Spinola-Stundenbuch (Abb. 75), das den Bildaufbau von fol. 4v des Eleonorenbreviers übernommen hat, beweist zudem, daß das beschriebene Raumschema in M. 52 unmöglich von einem Vorbild kopiert worden sein kann, da selbst die einfallslose Replik davon schon eine ganz andere Art der Räumlichkeit aufweist. Anhand solcher Überlegungen wird klar, daß die Suggestion von Dreidimensionalität als „der“ Indikator für die jeweilige künstlerische Grundhaltung gelten muß, zumal sie offensichtlich nicht kopiert werden kann  : So wird auf fol. 4r von Ms. Ludwig IX 18 durch die platzartige Verbreiterung des Weges, die weit vor dem Gatter endet, ein ganz anderer Raumeindruck als in der grundsätzlich genau wiederholten Vorlage erzeugt  ; die Figuren nach hinten zu abzuschirmen erwies sich (wohl auf Grund des ohnehin fehlenden Fernblicks, der hier dem Dach des Geräteschuppens zum Opfer fällt) als ebenso überflüssig wie die Blockierung des Blicks vom Haus weg (da der Weg

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Abb. 80: Kalenderseite Mai; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, Rothschild-Gebetbuch, fol. 3v.

sogleich in einer Rechtskurve hinter dem Gebäude entschwindet und das Gatter funktionslos in der Wiese beläßt)  ; dementsprechend (fast lächerlich) klein ist auch die Regentonne in Ms. Ludwig IX 18 ausgefallen. Die Raumauffassung im Junibild von M. 52 zeigt also einen engen Anschluß an IsabellaBrevier und -Stundenbuch, während kaum Anklänge an Cod. Vat. Lat. 3770–68 festzustellen sind. Es gibt unter den zwölf Kalenderbildern im Eleonorenbrevier aber auch solche, die eine andere Art des Raumaufbaus erkennen lassen und somit eine graduelle Entwicklung suggerieren, die dann in den – im hinteren Teil der Handschrift situierten, also vielleicht erst nach den Kalenderillustrationen gemachten174 – Textminiaturen des Psalters zu einer 174 Daß Handschriften von vorne nach hinten zu illuminiert wurden, belegen zahlreiche unvollen-

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größtmöglichen Annäherung an die im Vaticanus anzutreffenden Gestaltungsprinzipien führte. Eine Miniatur in M. 52, die die Evokation von Tiefenraum über einen nach hinten zu (hier maximal) erweiterten Vordergrund erzielt, ist das auf der Vorderseite von fol. 4 situierte Maibild (Abb. 78). Es zeigt im Vordergrund und mittig im querrechteckigen Bildfeld einen Kahn mit vier jungen Edelleuten auf einem Teich dahintreibend, der als Wassergraben für das rechts abgebildete Schloß dient. Links im Bild überspannt eine schräg nach rechts zu verkürzte steinerne Brücke das Gewässer, auf der zwei Reiter und ein Laufbursche zur Falkenjagd aufbrechen  ; ganz am linken Bildrand, in die schmale fingierte Holzleiste zwischen Textspiegel und Falz gedrängt, erscheint auf einer Anhöhe eine Windmühle. Im Zentrum des Mittelgrundes, dort die Aussicht in die Ferne blockierend, steht ein Gehöft, von dem ein Weg auf jene Straße zuhält, die vom Schloß rechts ihren Ausgang nimmt und sich vor der Brücke gabelt, um einerseits über das Wasser und andererseits in den linken Bildrand zu führen. Das Schloß ist über eine nur rudimentär angedeutete und entsprechend fragil wirkende Zugbrücke mit ihr verbunden, auf der zwei (nur ganz klein wiedergegebene) Edelleute mit dem Rücken zum Betrachter über das Geländer hinweg in die Ferne blicken. Diese Ferne übertrifft in ihrer Suggestivkraft alles, was bislang im Œuvre des Jakobsmeisters geboten wurde, und das, obwohl nur ein ganz kleiner Teil der Bildfläche für die Evokation des hier unendlich erscheinenden Raumes durch den sich in ihm verlierenden Flußlauf zur Verfügung steht175. Abgesehen von diesem einen sensationellen Fernblick ist die Raumwirkung des Maibildes jedoch ganz auf die Definition einer an drei Seiten eingefaßten, enorm tiefen Bühne ausgerichtet, die Vorder- und Mittelgrund zusammenschließt und damit an die zweite raumkonstituierende Komponente der Rochusminiatur (neben der umbrechenden Diagonale), i. e. das symmetrische Arrangement der Landschaftselemente, erinnert. Die ungleich freiere, geräumigere Wirkung im Maibild mag auf das Thema zurückzuführen sein  : So oder so steht fest, daß hier perfektioniert entgegentritt, was in der Clevelander Rochusminiatur (Abb. 59) der Raumgestaltung zwar zugrunde liegt, aber nicht einmal annähernd ähnlich entfaltet wurde – zumal die beidseitig in die Tiefe fluchtenden Raumvektoren im Eleonorenbrevier, die Brücke und das Schloß, in CMA 1963.256 kein Pendant haben. Dafür erinnert die Art der Tiefensuggestion im Maibild an die Interieurbilder des Davidszyklus von M. 52, wo eine ähnlich zentralräumliche Bildauffassung festzustellen war. Darüberhinaus klingt im Maibild des Eleonorenbreviers ein erstes, noch ganz vorsichtig eingesetztes Element der Raumkonstruktion an, das auf das vatikanische Stundenbuch voraus­weist. Es handelt sich um die drei nach rechts zu hintereinander gestaffelten Bäume an dete Beispiele, last, not least das in zwei wesentlichen Etappen illuminierte Isabella-Brevier mit den Miniaturen der späteren Ausstattungsphase im hinteren Teil der Handschrift. 175 Natürlich drängt sich die Frage auf, ob der Jakobsmeister hier Jan van Eyck (die Tafel mit der Madonna des Kanzlers Rolin im Louvre) zitiert. In Anbetracht des unglaublichen Panoramas en miniature sowie im Hinblick auf einige später zu besprechende Werke – und nicht zuletzt schlicht wegen des Kalibers und der Ambitionen – unseres Künstlers würde ich dies bejahen.

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dem nach rechts zu ausschwingenden Ufer des Teiches im rechten Vodergrund, die einen zur Brücke parallelen Raumvektor bilden und hier ein erstes Mal jene u-förmige Strukturierung der Landschaft anklingen lassen, die in den Textminiaturen von M. 52 mit Vorliebe und in Cod. Vat. Lat. mit großer Bravour eingesetzt wurde. Es ist bezeichnend, wie sehr selbst der bezüglich der meisten Bildlösungen überaus getreue Kopist in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 79) diese Komposition verändern mußte, um sie für sein Raumgefühl zu adaptieren. Der Ausblick in die Ferne rechts wurde offensichtlich von ihm wie auch vom Illuminator des Maibildes im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 80) als etwas Besonderes rezipiert, wenn auch mit bescheidener Wirkung. Der Maler des Spinola-Stundenbuchs übernahm zwar mit dem nach links hinten Abb. 81: Kalenderseite Mai; Rom, Biblioteca zu verkürzten Schloß jenen Raumvektor, der Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, in M. 52 den Ferblick einleitet, verpatzte Stundenbuch, fol. 2v. aber dessen Wirkung durch einen unsinniger Weise in die andere Richtung verkürzten Wassergraben  ; auch sind die überwiegend bildparallelen Wiesenstreifen und Baumreihen dahinter wenig geeignet, den in M. 52 erzielten Eindruck auch nur entfernt nachzuempfinden. Der Maler im Rothschild-Gebetbuch setzte wenigstens ein paar schräg angeordnete Bäume ein, um in die Tiefe zu leiten. Da seine Miniatur aber insgesamt von waagrechten Elementen geprägt ist (sogar die beiden vom Vorbild angeregten Silhouetten vor dem Ausblick indizieren eine Bewegung nach links), kommt dem prinzipiell durchaus überzeugenden, aber ähnlich klein wie in M. 52 gehaltenen Tiefenvorstoß in der Gesamtkomposition kaum Bedeutung zu. Dafür existiert innerhalb des ikonographisch und bezüglich seines Layouts ganz anders aufgebauten Kalenders in Cod. Vat. Lat. 3770 (dessen Monatsdarstellungen jene des Eleonorenbreviers ebenfalls, allerdings motivisch in der Regel sehr reduziert, rezipieren) auf fol 2v ein Maibild (Abb. 81), das im Versuch, einen zu beiden Seiten durch Raumvektoren eingeleiteten Fernblick zu kreieren, sowie in den Versatzstücken des rechten Bildteils eng an die Version im Eleonorenbrevier anknüpft. Dabei zeigt die unverständige Art, wie dies alles im Detail umgesetzt wird, m. E. klar an, daß das originäre Werk jenes des Jakobsmeisters sein muß, an das der in Vaticanus tätige Maler sich – wohl auf Grund großer zeitlicher Nähe – in manchen Aspekten besonders genau hielt. Im Hinblick auf die Datierung der beiden Hand-

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schriften ist dies nicht zu unterschätzen und untermauert den bereits mehrfach gewonnenen Eindruck, daß das New Yorker das frühere, das vatikanische das spätere der beiden Werke ist. Das Maibild im Antwerpener Brevier (Abb. 82) folgt offensichtlich einer anderen, später von Simon Bening und seinem Kreis oftmals verwendeten und variierten Vorlage176. Auch ist die Qualität der Ausführung geringer, so daß man den Entwurf dieser Bildlösung keinesfalls dem hier tätigen Maler zutrauen möchte. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht auch in diesem Fall eine Komposition des Jakobsmeisters rezipiert wurde, da der Kalender des Antwerpener Breviers ja insgesamt seine Züge trägt und die detailreiche Bilderfindung der Maiminiatur seinem bislang sich abzeichnenden künstlerischen Profil entsprechen würde. Abb. 82: Kalenderseite Mai; Antwerpen, Wir werden uns mit dieser Frage später noch Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, befassen. fol. 3v. Perfektioniert wurde die u-förmige Landschaftskonstruktion schließlich im Februarbild auf fol. 2v von M. 52 (Abb. 83). Das Terrainstück im Vordergrund, das mehrere Arbeiter in einen Weingarten umgestalten, wird von einem von links hinten kommenden und am unteren Bildrand an ihm vorbeiziehenden Weg gesäumt, der auf ein tiefer gelegenes Plateau rechts hinabzuführen scheint und sich dort in einem soeben gepflügten Acker verliert. Er taucht auf der rechts im Mittelgrund anschließenden gewaltigen Felsformation wieder auf, wo er von mehreren Männern beschritten wird, die sich in unterschiedlichen Phasen des Aufstiegs zu der auf dem Gipfel sichtbaren, offenbar riesigen Burganlage befinden. Dieser die gesamte Bildbreite in einem räumlichen Bogen durchmessende Weg ist aber nicht der einzige und auch nicht der primäre Faktor für die Raumwirkung. Seine Bedeutung im linken Bildteil ist zwar unbestreitbar. Rechts aber übernehmen die schräg von vorne nach links hinten ausgerichtete, de facto aber immer noch in die Bildtiefe rechts hinein weisende Hügelkante und anschließend ein breiter Fluß (vielleicht auch eine Meeresbucht) die Funktion eines bilddominierenden diagonalen Tiefenzuges. 176 So beispielsweise noch in den späten Blättern im Victoria & Albert Museum, London (Salting Ms. 2538v). Malibu 1983, S. 85, Abb. 10c  ; London – Los Angeles 2003, S. 483 f. (Nr. 159), S. 531 (mit Literaturangaben).

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Die beiden Repliken modifizieren dieses Landschaftsschema bis zur Unkenntlichkeit  ; im Rothschild-Gebetbuch177 wirkt es in den Motiven, im Spinola-Stundenbuch178 in der Verräumlichung der linken Bildhälfte nach. Ansonsten sind nur die Akteure mehr oder minder genaue Kopien der Figuren in M. 52. Umso interessanter ist, daß das Februarbild des Breviers Inv. Nr. 946 in Antwerpen (Abb. 84) – bezeichnenderweise eine jener Miniaturen, deren Ausführung man einem auch stilistisch vom Jakobsmeister (entfernt) abhängigen Maler zuschreiben möchte179 – die Komposition aus dem Eleonorenbrevier seitenverkehrt und bloß in den radikalsten Sequenzen entschärft übernimmt  : Für den weiten Fernblick wie für die eindrucksvolle Burg in M. 52 gibt es in Inv. Nr. 946 nur mittelmäßigen Ersatz. Der durch die Landschaft kurvende Weg bzw. die Substituierung seines hier linken (im Original rechten) Ar- Abb. 83: Kalenderseite Februar; New York, mes durch die Hügelkante und das Gewässer Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der ist jedoch als entscheidendes Gestaltungs- Eleonore von Portugal, fol. 2v. mittel eingesetzt, auch wenn durch die Andersfarbigkeit des linken Bildteils und einen nur bedingt kohärenten Tiefenzug eine Modifikation gegenüber der Lösung im Eleonorenbrevier festzustellen ist. Nun wird man vielleicht einwenden wollen, daß die durch die materielle Reihenfolge der Kalenderbilder in M. 52 nahegelegte zeitliche Abfolge ihrer Entstehung der bislang sich abzeichnenden Veränderung innerhalb der Gestaltungsprinzipien des Jakobsmeisters widerspricht, zumal das „fortschrittlichste“, nämlich das Februarbild (Abb. 83), mehrere Seiten vor der „altertümlichsten“ Lösung, dem Junibild (Abb. 74), plaziert ist. Dem sind zwei Argumente entgegenzuhalten, wobei das zweite m. E. noch gewichtiger ist als das erste. Erstens gilt, daß der Zusammenfall von materieller und zeitlicher Abfolge einer Buchausstattung wohl weder immer zwingend ist noch sich auf einzelne Lagen erstrecken lassen wird  ; und Kalendarien, so auch jenes in M. 52, okkupieren meistens eben diese. Zweitens scheint es höchst plausibel, daß ein innovativer Künstler wie der Jakobsmeister (der offensichtlich nicht nur produzierte, um eine Klientel zu befriedigen, sondern eindeutig auch an seinen 177 Abb. in Unterkircher 1974 (Faksimile). 178 Abb. bei Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, Abb. 388. 179 Vgl. hier Anm. 172.

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Fähigkeiten arbeitete) mit verschiedenen Möglichkeiten experimentierte, um neue Lösungen zu finden. Aber obwohl nicht auszuschließen ist, daß auch zu Studienzwecken gezeichnet wurde, haben sich im Metier der Buchmalerei keinerlei und selbst im Bereich der Tafelmalerei nur wenige Entwürfe erhalten, müssen also eine äußerst untergeordnete Rolle gespielt haben180. Dies legt nahe, was auch andere bislang besprochene Buchausstattungen des Jakobsmeisters, allen voran jene im Isabella-Brevier und im vatikanischen Stundenbuch, zu beweisen scheinen  : daß eine künstlerische Entwicklung sich während der Arbeit an den Miniaturen selbst vollzog. Somit könnte der Jakobsmeister auch im Eleonorenbrevier neben bereits erprobten neue Gestaltungsprinzipien eingesetzt, dann vielleicht wieder auf bewährtere Muster zurückgegriffen – nicht ohne diese zu Abb. 84: Kalenderseite Februar; Antwerpen, verbessern – und so sein künstlerisches Profil Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, geschärft haben. Nur in Cod. Vind. Ser. n. fol. 2r. 2625 legt die Vielfalt der Gestaltungsprinzipien (jedoch nur, weil sie mit starken Ausführungsschwankungen gepaart ist) die Tätigkeit zweier eng voneinander abhängiger Maler nachdrücklich nahe (von der Mitarbeit untergeordneter Gehilfen einmal abgesehen). Dies konnte bislang nicht einmal im Hinblick auf den vatikanischen Codex mit Sicherheit behauptet werden. Gerade die Wiener Handschrift muß aber dem Eleonorenbrevier noch gegenübergestellt werden, und zwar aus einem ganz besonderen Grund. Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. IV, XV) und M. 52 sind ganz offensichtlich Werke desselben Schreibers. Abgesehen von der Identität des Schriftbildes und der Buchstabengestaltung stimmen auch Feinheiten wie der Strichansatz oder die jeweilige Strichbreite in Schäften und Bügen überein, ungleich mehr als in allen anderen hier behandelten Handschriften mit Miniaturen des Jakobsmeisters. Hinzukommen große Ähnlichkeiten in der Deckfarben-Initialgestaltung (die trotz einer größeren Feinheit der Ausführung in M. 52 die gleichen, aus flächigen Blatt- und Fleuronnéeformen gebildeten Zierbuchstaben zeigt). Nur die Parallelen bei den Streublumenbordüren sind nicht größer als insgesamt in der frühen Gruppe und 180 Vgl. zuletzt den Beitrag von F. Koreny und G. Zeman in Antwerpen 2002, S. 10–20, bes. 16. Ainsworth 1998, S. 7–55, sowie Ainsworth 2003  ; zur Problematik mittelaterlicher Zeichnungen zwischen Kopie und Entwurf vgl. auch Jenni 1976.

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erlauben daher keinen spezifischeren Schluß als die annähernd gleichzeitige Entstehung in demselben künstlerischen Milieu. Die große Nähe der Schrift ist da schon aussagekräftiger, zumal sie nicht nur auf einen einzelnen Schreiber, sondern vielleicht auch auf eine relativ geringe Zeitspanne zwischen der Herstellung der beiden Codices hinweist. Freilich entspräche diese große zeitliche Nähe nicht dem, was bislang durch die Gestaltungsprinzipien der Miniaturen des Jakobsmeisters in M. 52 und Cod. Vind. Ser. n. 2625 nahegelegt wurde. Es wird daher nötig sein, die beiden Ausstattungen unmittelbar miteinander zu vergleichen, um so zu einem präziseren Ergebnis zu gelangen. Hierfür bieten die Heiligendarstellungen im Kalender des Eleonorenbreviers und im Wiener Stundenbuch einen guten Einstieg, auch wenn es sich im Brevier um ganzfigurige, im Stundenbuch meist um halbfigurige Miniaturen handelt (die aber immer noch größer und durch den anderen Bildausschnitt auch anders konzipiert sind als die Heiligenmedaillons in M. 52). Die Franziskusstigmatisation auf fol. 158r des Wiener Stundenbuchs (Taf. XVI) ist aber ebenso ganzfigurig komponiert wie das Medaillon auf fol. 6r des Eleonorenbreviers (Abb. 69). Dabei gibt jedoch das kleinere Medaillon einen größeren und deutlich verräumlichten Bildausschnitt wieder. Anders als im Wiener Stundenbuch befindet sich Franziskus in M. 52 nicht unmittelbar am unteren Bildrand, sondern ist von diesem abgerückt, wobei durch den kontinuierlichen Grasbelag auf dem Terrain und sukzessive Verkleinerung der Flora darauf deutlich gemacht wird, daß dies Distanz und nicht nur einen erhöhten Standpunkt bedeutet. Die überaus ähnliche Konzeption der Franziskusfigur in den beiden Bildern kann nicht über die wesentlich monumentalere Auffassung in M. 52 hinwegtäuschen. Zum einen ist das Kniemotiv im Medaillon besser gelöst, vor allem hinsichtlich der Füße, die beide in einer in Relation zum übrigen Körper glaubwürdigen Position unter der Kutte herausragen (der hintere nur als ein inkarnatfarbener Tupfen über dem grauen Stoff)  ; in der Wiener Miniatur ist die Stellung des Fußes in kein nachvollziehbares Verhältnis zu dem sich unter dem Gewand abzeichnenden Oberschenkel zu bringen. Auch der abgewinkelte Oberkörper in Cod. Vind. Ser. n. 2625 nimmt der Figur viel von der emphatischen Bewegung, die ihr in M. 52 eignet. Dort wird im Zusammenspiel der linken (im Bild rechten), geraden Kontur des Heiligen mit der Kordel, die die Kutte zusammenhält und dabei in einem Bogen den Körper umschreibt, ein vollrunder Figurenzylinder suggeriert, so daß trotz der geringen Größe der Darstellung der Eindruck einer voluminösen, raumverdrängenden Figur auf einer durchaus tiefen Raumbühne entsteht. In der Wiener Miniatur war – nach den bisherigen Beobachtungen in dieser Handschrift wenig verwunderlich – eher ein schönes Flächenmuster angestrebt, wobei die Haltung des Heiligen auf die Aureole mit dem Kruzifixus antwortet und der goldfarbene Himmel die beiden wie eine feierliche Folie hinterfängt. Dennoch zeigt dieses Firmament auch durch Lichtstege eingezeichnete Wolkenstrukturen und eine Aufhellung zu jenem Turm hin, der hinter und neben dem Felsen gerade noch am rechten Bildrand zu sehen ist. Dadurch wird das Gold in eine atmosphärische Erscheinung umgedeutet, die mit der in zahlreichen Miniaturen von Cod. Vind. Ser. n. 2625 beobachteten malerischen Auffassung zusammenstimmt. Auch die im Wiener Christophorusbild nachgewiesene Tendenz, das Bild durch eine schräge Kompositionslinie zu verräumlichen, klingt hier zumindest an, indem die Graskuppe sich nach rechts hinten zu verjüngt und über den Felsab-

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hang bis zur Architektur am rechten Bildrand fortgesetzt werden kann. Freilich bleibt auch der Ausblick in die Tiefe hinter jenem im Franziskusmedaillon von M. 52 zurück, wo hinter der durchgehend definierten, durch Pflanzen abgesteckten Handlungsbühne eine blaue, rudimentär angedeutete Landschaft große Distanz suggeriert. Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den beiden Franziskusbildern legen schlichtweg eine größere künstlerische Reife des Illuminators im Eleonorenbrevier nahe, also eine frühere Entstehung des Wiener Stundenbuchs. Dies bestätigen auch Vergleiche zwischen den Vollbildern in Cod. Vind. Ser. n. 2625 und den Text- und Bas de page-Miniaturen in M. 52. Die tiefen Landschaftsprospekte in der Hirtenverkündigung auf fol. 69v (Taf. VIII) und in der Epiphanie auf fol. 73v (Taf. X) der Wiener Handschrift können in ihrer Fernwirkung durchaus mit jenen im Eleonorenbrevier konkurrieren. Doch selbst so scheinbar ähnlich aufgebaute Kompositionen wie die Flucht nach Ägypten auf fol. 82v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. IX) und die Darstellung des vor Gott knienden David auf fol. 307r von M. 52 (Abb. 65) zeigen markante Unterschiede und den ungleich aggressiveren Tiefenvorstoß des Illuminators im New Yorker Brevier. In beiden Miniaturen wird der Raum bogenförmig von links hinten über den unmittelbaren Vordergrund, in dem die ganz verschiedenen Ereignisse dargestellt sind, wieder nach rechts hinten hin entwickelt, wobei spiegelverkehrt ein sukzessive ansteigender Hügel mit Weg und ein Ausblick in ein weites Tal seine Dimensionen veranschaulichen. Dabei sind nun aber in der New Yorker Miniatur der Weg wie der das Tal durchziehende Fluß als kontinuierlich sichtbare und somit nachvollziehbare, schräg in die gleiche Richtung weisende Raumvektoren gezeigt, die den Blick in langen Linien in die Landschaft ziehen. In der Wiener Darstellung überschneidet der rechte Bildrand den gerade den Hügel empor führenden Pfad mehrfach, der zudem auf halber Höhe waagrecht zu dem heidnischen Heiligtum abzweigt, und das Tal ist durch bildparallele Terrainzonen, ebenso ausgeführte Greueltaten und schließlich durch undifferenzierte Hügel in seiner Tiefenerstreckung immer wieder gebremst. Ein nicht unwesentliches Detail am Rande ist, daß der Leserichtung, aber auch der Bilderzählung entsprechend der Weg in der Wiener Miniatur gleichsam mühsam zu erklimmen ist, während er in M. 52 aus dem Hintergrund herabkommt, was ein ganz anderes Tempo hinsichtlich der Bewältigung der Strecke nahelegt  ; auf diese Weise wird die Raumentwicklung im Eleonorenbrevier dynamisiert, im Wiener Codex auch rechts noch zusätzlich verlangsamt. Dehnt man den Vergleich auf die Wiener Epiphanie (Taf. X) und das Junibild des New Yorker Breviers (Abb. 74) aus, so ergibt sich vorweg ein anderer Eindruck. Der aggressive Raumvektor des Maria und das Christkind beherbergenden Stalles, der durch die Bäume auf derselben Linie fortgesetzt wird, hat in der Darstellung der Schafschur trotz des links vorne ähnlich schräg gestellten Gebäudes keine Entsprechung. Auch ist der durch Figuren und Objekte definierte Vordergrund in M. 52 nicht so geräumig. Erst durch den Weg und den Weiher im rechten Bildteil gewinnt er an Tiefe, die darüberhinaus gleichsam zur Gänze „begangen“ werden kann, also in ihrer gesamten Erstreckung lückenlos vorgestellt wird  ; dazu gibt es im Wiener Bild nichts Vergleichbares. Dafür überbieten die Ebene und die Hügelkette der Epiphanieminiatur den Ausblick in der New Yorker Miniatur, was auf das andere und weit größere Format des Vollbildes zurückzuführen sein wird  ; dies in Rechnung gestellt, er-

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weist sich der dem Querformat abgetrotzte Fernblick in M. 52 als um so spektakulärer. Ein entscheidender Unterschied zum Bildaufbau in der Juniminiatur von M. 52 ist die zweite bedeutende Kompositionslinie der Wiener Epiphanie, welche die erste von vorne weg kreuzt. Sie markiert nicht nur das Zentrum des Geschehens, sondern auch einen zweiten Tiefenvorstoß und ist entscheidend für den Eindruck der Breite und Weite des Raumes, die die Epiphanieminiatur kennzeichnet. Zwar stellt sich eine ähnliche Raumwirkung auch im Querformat des Junibildes ein, ohne jedoch explizit evoziert zu werden und dementsprechend zurückhaltender. Letztlich läßt sich die Art der Raumkonstruktion in der Wiener Epiphanie in keiner anderen Miniatur der frühen Gruppe nachweisen (außer in der dazugehörigen Hirtenverkündigung auf fol. 69v von Cod. Vind. Ser. n. 2625), und auch das Kalenderbild auf Abb. 85: Kalenderseite April; New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore fol. 4v bildet hiervon keine Ausnahme. Ungeachtet dessen ist es lohnend, der zu- von Portugal, fol. 3v. letzt genannten Hirtenverkündigung (Taf. VIII) ein weiteres Kalenderbild des Eleonorenbreviers gegenüberzustellen, den im Bas de page von fol. 3v (Abb. 85) dargestellten Vieh­ austrieb als Monatstätigkeit im April, zumal sich hier über das Raumverständnis hinaus auch andere Aspekte der Bildgestaltung besonders gut vergleichen lassen. Der Bildaufbau erscheint einmal mehr – trotz der großen thematischen Diskrepanz – nicht unähnlich, mit einer durch ein bildparalleles Objekt in einiger Distanz begrenzten Vordergrundbühne im rechten Bildteil und einem von dort weg nach links hinten zu vorstoßenden Raumvektor, der in beiden Fällen beim Übergang vom Vorder- zum Mittelgrund eine gegenläufig diagonale Barriere – einmal die Hügelkante, einmal den Lattenzaun des Gehöftes – zu überwinden hat. Dabei entsteht aber schon durch das Gefälle des Terrains in der Hirtenverkündigung eine ganz andere Dynamik, die wesentlich dadurch gesteigert wird, daß der Vektor sich an dieser Stelle gabelt und in mehrere Raumrichtungen mit Nachdruck weitergeführt wird. Im Aprilbild läuft er in einer aufsteigenden (wenn auch im Bildkontext eben gemeinten) Linie – dem Zug der Schafe und Ziegen – auf den Zaun zu, wird auch noch durch das nach außen geöffnete, radikal verkürzte Gatter und eine Rückenfigur darin darüber hinweggeführt und – endet dann, ohne irgendeine Fortsetzung in der Landschaft zu finden, von vagen Spuren eines nicht mehr richtungskonformen Wegverlaufs in der Ferne einmal abgesehen. Die durchaus überzeugende

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Tiefe der Landschaft in M. 52 wird ausschließlich über Maßstabssprünge und eine gleichsam atmosphärische Malweise bei den entfernten Objekten suggeriert. Somit ist diese Darstellung eines jener Bilder, die einen maximal verräumlichten Vordergrund mit daran anschließender Landschaft zeigen – ein Gestaltungsprinzip, das im Isabella-Brevier auch anzutreffen, hier aber ungleich perfekter inszeniert ist. Der scheinbar ähnlich wie in der Wiener Hirtenverkündigung konstruierte Bildaufbau erweist sich also als etwas ganz und gar anderes. Zu diesem grundsätzlichen Unterschied gesellt sich ein gradueller in der motivischen Umsetzung des jeweiligen Bildthemas, der Aussagen über die zeitliche Stellung der beiden Handschriften zueinander erlaubt. Schäfer und Tiere spielen in beiden Miniaturen eine wesentliche Rolle, wobei die Bilderzählung themenbedingt in M. 52 viel reicher ausfällt als in der Hirtenverkündigung des Cod. Vind. Ser. n. 2625. Die Vielzahl an verschiedenen Tiergattungen und verschiedenen Exemplaren derselben Spezies erreicht im Eleonorenbrevier einen Höhepunkt, dem keine der Kopien dieses Bildes nahekommt181. Die realistische Darstellung der Fauna, die eine sorgfältige Beobachtung erkennen läßt und weit über das in der Buchmalerei übliche Maß der Naturstudie hinausgeht, zeigt sich in der Form und Farbe der Tiere ebenso wie in ihren Verhaltensweisen  : Ziegen, Schafe und Kühe sind bis in die stoffliche Suggestion ihres unterschiedlichen Fellkleids überzeugend wiedergegeben  ; die Lämmer, noch blendend weiß im Vergleich zu den ausgewachsenen Schafen, stutzen dort, wo ihre Mütter weiterziehen. Die Kühe, von denen eine trächtig ist, sind in ihrem wenig ansprechenden Körperbau naturgetreu erfaßt und in ihrer Fellzeichnung nach Familienzusammengehörigkeit geordnet. Auch die Hühner verhalten sich nach Hühnerart, wobei einer der drei Hähne vom Dach des Schafstalls aus in der für seine Spezies typischen Aufgeblasenheit den Abzug des Viehs überwacht. Die offensichtlich mit auf die Weide ziehende Kuh, die in der linken unteren Bildecke noch rasch einmal gemolken wird, ist mit einer Glocke als Leittier ausgezeichnet  ; unmittelbar neben (im Bildkontext hinter) ihr, in einem eigenen Bildfeld, das durch die einheitliche Hintergrundgestaltung dennoch mit dem Hauptbild verbunden ist, steht das Tierkreiszeichen des Monats, ein mächtiger Stier, und verbindet vordergründige und symbolische Bildaussage auf ebenso unauffällige wie geniale Weise. Verglichen mit dieser differenzierten Schilderung der Fauna im Aprilbild bleiben die Tiere in der Hirtenverkündigung des Wiener Stundenbuchs stilisiert und mit stereotypen Verhaltensweisen bedacht. Obgleich eine allzu große Vielfalt dem eigentlichen Bildthema dort abträglich gewesen wäre, kann man doch nicht umhin, bezüglich der Tierdarstellung einen beträchtlichen Fortschritt von der Wiener zur New Yorker Handschrift zu konstatieren – etwas, das sich beim Vergleich der Raumauffassung der beiden zuletzt besprochenen Bilder nicht ohne weiteres behaupten läßt. Tatsächlich bleiben die Hirtenverkündigung und die Epiphanie des Wiener Codex Ausnahmeleistungen, und wären sie die beiden einzigen Miniaturen dieser Handschrift, wäre es sicher schwieriger, Cod. Vind. Ser. n. 2625 so früh anzusetzen, wie es nach allen unseren Überlegungen angebracht erscheint, nämlich als die älteste Arbeit des Jakobsmeisters in der hier als früh bezeichneten Gruppe. 181 Vgl. Unterkircher 1974 sowie Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, Abb. 390.

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Die teils graduellen, teils grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Miniaturen unseres Künstlers im Eleonorenbrevier und den ihm zugeschriebenen Bildern in Cod. Ser. n. 2625 rechtfertigen auch die durch unsere bisherigen Überlegungen nahegelegte spätere Entstehung der Darstellungen in M. 52. Dieser Eindruck wird nur dann modifiziert, wenn man das Breviers als Ganzes in Erwägung zieht. Wie eingangs erwähnt, erwog Thomas Kren jüngst eine sich über einen längeren Zeitraum hinziehende Ausstattung von M. 52, nicht nur auf Grund der Übermalungen auf fol. 1v, die einen Besitzer(innen)wechsel anzeigen, sondern auch auf Grund kostümkundlicher Argumente, da Margaret Scott die Kleidung des Liebespaars auf fol. 291r (Abb. 63) mit der Tracht der Edelleute im Märzbild des Kalenders auf fol. 3r (Abb. 73) für unvereinbar hielt182. Erstere verweise auf die neunziger Jahre des 15., letztere auf das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Zur Kostümierung der Herrschaften auf fol. 3r wurde hier bereits Stellung genommen183  ; sie scheint durchaus schon in den neunziger Jahren üblich gewesen zu sein, was sich durch zahlreiche Beispiele belegen läßt, gibt also keinen Anhaltspunkt für eine Datierung der entsprechenden Miniatur(en) nach 1500. Nichtsdestotrotz ist richtig, daß die Gewänder der beiden Bas de page-Figuren auf fol. 291v altertümlicher wirken. Just dieses Liebespaar, in fast demselben Aufzug, ist nun aber auch auf fol. 153r von Cod. Vind. Ser. n. 2625 zu finden – jener Textseite, die der Darstellung des Beato Alfonso gegenübersteht, womit eine Zugehörigkeit zur Jakobsmeister-Werkstatt indiziert ist, auch wenn dies in den Stilqualitäten des Bildes keine Bestätigung erfährt (was freilich auch für die ähnliche Situation in M. 52 gilt, wo die Textminiatur die Hand des Jakobsmeisters, die Bas de page-Szene aber die eines stilistisch von ihm gänzlich unabhängigen Illuminators verrät). Damit nicht genug – im Aprilbild von Cod. Vind. Ser. n. 2625 ist ein weiteres Liebespaar in beinahe gleicher Pose und Kleidung wie auf fol. 291r in M. 52 (und auf fol. 153r des Vindobonensis) gezeigt, wieder von einem anderen Maler, jenem der insgesamt recht altertümlichen Wiener Kalenderbilder184. Obwohl dieser Umstand schwer zu deuten ist – zumal sich zumindest zwei der Darstellungen in einem gewissen Zusammenhang mit den Miniaturen des Jakobsmeisters finden und diese im New Yorker Brevier m. E. nicht in die frühen, sondern in die späten neunziger Jahre zu datieren sind – ist er im Hinblick auf die ähnliche Schrift im Wiener und New Yorker Codex doch bemerkenswert. Vielleicht läßt sich daraus tatsächlich ableiten, daß das Eleonorenbrevier für jemand anderen, vielleicht sogar für den 1495 verstorbenen Joao II. und Eleonore gemeinsam, begonnen (also einmal geschrieben) und dann als erstes der Randleistenschmuck mit seinen figürlichen Drolerien in Angriff genommen wurde. Besonders zwingend scheint allerdings gerade das kostümkundliche Argument nicht zu sein, da offensichtlich ist, daß das Motiv des Liebespaares insgesamt stereotyp wiederholt wurde und das bescheidenere Niveau der (drei) Ausführenden auch eine kritiklose Kopie der Kleidung nicht ausschließt. Darüber hinaus scheint es, als habe wenigstens einer der für die figürlichen Randleistendarstellungen 182 Vgl. hier Anm. 158. 183 Siehe oben. 184 Vgl. Hansen 1984, S. 104.

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verantwortlichen Maler in M. 52 noch in Cod. Vat. Lat. 3770–68 mit dem Jakobsmeister zusammengearbeitet und auch dort nur sehr zögerlich die Kostümierung auf den neuesten Stand gebracht, wie etwa die beiden Damen im Bas de page von fol. 58v185 im ersten Band des Vaticanus beweisen. Mit gebührender Vorsicht, die das geringe Wissen um die Entwicklungsfähigkeit von Schreibern gebietet, kann also nur die Schrift in ihrer großen Ähnlichkeit als Hinweis auf eine zeitliche Nähe des Wiener Stundenbuchs und des New Yorker Breviers geltend gemacht und – zusammen mit dem mutmaßlichen Besitzerwechsel – als Argument für einen frühen Beginn, aber eine spätere Fertigstellung von M. 52 herangezogen werden. Um über die Entstehungszeit der Miniaturen des Jakobsmeisters im Eleonorenbrevier definitive Aussagen treffen zu können, ist schließlich noch die sechste Miniaturenfolge innerhalb der hier so genannten frühen Gruppe in die Überlegungen miteinzubeziehen. Es handelt sich um die Miniaturen des Antwerpener Breviers, einige wenige, aber äußerst qualitätvoll Vollbilder. Mit ihrer Einordnung läßt sich das Bild von der frühen Entwicklungsphase des Jakobsmeisters vervollständigen.

Das Breviarium Inv. Nr. 946 in Antwerpen Das im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen unter der Inventarnummer 946 befindliche Brevier, in der älteren Literatur meist ins erste oder zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datiert, wurde jüngst von Brigitte Dekeyzer in einer umfassenden Studie um 1500 angesetzt186. Offensichtlich in zwei Arbeitsgängen geschrieben, die vielleicht einen Auftraggeberwechsel anzeigen, war es vermutlich für ein portugiesisches Mitglied der Franziskanertertiäre bestimmt187. Wie noch zu zeigen sein wird, bestätigt sich die von Dekeyzer vorgeschlagene Entstehungszeit auch hinsichtlich der Miniaturen des Jakobsmeisters, bedarf aber einer Spezifizierung bezüglich ihrer Stellung zu den übrigen fünf Handschriftenausstattungen, die hier als frühe Werkgruppe unseres Künstlers zusammengefaßt sind. 185 Es wäre möglich, daß der in M. 52 für das Liebespaar am Brunnen verantwortliche Illuminator mit entsprechender zeitlicher Verzögerung auch die Bas de page-Szenen auf fol. 58v im ersten und fol. 158r im dritten Band des vatikanischen Stundenbuchs schuf. Zwingender scheint jedoch die Verbindung der beiden letztgenannten Marginalbilder mit der nackten, einen Löwen reitenden und von zwei Kindern begleiteten Frau auf fol. 284v von M. 52 (Abb. 32, 62, 63). 186 Dekeyzer 2002b  ; die Ergebnisse zusammengefaßt in der von ihr verfaßten Katalognummer in London – Los Angeles 2003, S. 324–329 (Nr. 92), S. 528 (mit ausführlichen Literaturangaben). 187 Auf Grund eines Suffragiums (mit Miniatur) zu Ehren des heiligen Felix, der besonders in Florenz verehrt wurde, könnte das Brevier für einen italienischen Auftraggeber begonnen worden sein, ein eher seltener Umstand. Die in Landessprache geschriebenen Tabellen für das Osterfest weisen den zweiten Auftraggeber als Portugiesen aus. Auf Grund der deutlich franziskanischen Ausrichtung vor allem des Kalenders und einiger speziell von den Tertiären dieses Ordens verehrter Heiliger scheint die Annahme berechtigt, daß der zweite Eigentümer der Handschrift aus diesem Milieu kam. Vgl. Dekeyzer 2002, S. 329–370.

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Abb. 86: Heiliger Benedikt; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 424v.

Der Beitrag des Jakobsmeisters im Antwerpener Brevier beschränkt sich auf fünf Vollbilder im hinteren Teil der Handschrift  : die Darstellung zum Fest des heiligen Benedikt auf fol. 424v (Abb. 86), zu Maria Schnee auf fol. 501v (Abb. 87), zu Allerheiligen auf fol. 562v (Abb. 88), zu den tausend Märtyrern auf fol. 596v (Abb. 89) und zu Mariae Tempelgang auf fol. 687v (Abb. 90)188. Darüberhinaus scheint der Kalender nicht nur einen Prototyp unseres 188 Dekeyzer 2002b, S. 202–211, sowie in London – Los Angeles 2003, S. 325, schreibt dem Jakobsmeister auch das Hostienwunder des heiligen Antonius von Padua auf fol. 651v zu  ; dies halte ich schon deshalb für ausgeschlossenen, weil alle anderen Versionen dieser stets exakt kopierten Komposition in einem ganz anderen künstlerischen Milieu anzusiedeln sind. Der Hauptgrund freilich ist, daß die Stilqualitäten dieser Miniatur nicht mit jenen des Jakobsmeisters kompatibel sind  ; ähnliche Zweifel äußert Dekeyzer selbst, so in London – Los Angeles 2003, S. 328, Anm. 8. Für eine Auflistung der übrigen Versionen dieser Bildlösung vgl. de Winter 1981, S. 418 und Anm. 64.

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Abb. 87: Maria Schnee; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 501v.

Künstlers zu variieren, sondern wurde m. E. teils von einem auch stilistisch vom Jakobsmeister beeinflußten Maler ausgeführt189. Und schließlich zeigt die Bas de page-Darstellung des wunderbaren Fischzugs auf der dem Vollbild der Auferstehung Christi gegenüberliegenden Textseite fol. 285r die Hand eines Illuminators, der in seiner Figurenauffassung Anklänge an die Formensprache des Jakobsmeisters erkennen läßt, ohne daß sich diese Verwandtschaft auf sein gesamtes Formenrepertoire (so etwa die Landschaftsgestaltung) ausdehnen ließe190. 189 Siehe oben Kap. III 3. 190 Abb. bei Nieuwdorp-Dekeyzer 1997, S. 45  ; vielleicht ist dieser Illuminator einer jener, die das Lissabonner Stundenbuch im Museu Nacional de Arte Antiga (Ms. 13) etwa zwanzig Jahre nach dem Antwerpener Brevier ausgestattet haben (vgl. hier Kap. V 5). Die etwas spröde Figurentypik scheint sich dort ebenfalls vor allem in bas-de-page-Szenen zu finden. Doch macht der große Zeitabstand definitive Aussagen unmöglich.

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Abb. 88: Allerheiligen; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 562v.

Da kein einziges der im Antwerpener Brevier vom Jakobsmeister verbildlichten Themen in einer der übrigen fünf Handschriften Darstellungsgegenstand ist – mit Ausnahme des Allerheiligenbildes, das im Londoner und im vatikanischen Codex auf gänzlich andere Weise umgesetzt wurde – fällt die Auswahl von Vergleichsbeispielen zur näheren Bestimmung der in den Antwerpener Miniaturen wirksamen Gestaltungsprinzipien schwer. Die genannten Allerheiligenminiaturen sollen daher den Anfang machen, unter einer ganzen Reihe von Vorbehalten, die eine Analyse der beiden Bilder vor Augen führt. Im Londoner Brevier ist inhaltlich auf zwei Bilder (fol. 437r und fol. 477v) (Abb. 17, 91) aufgeteilt, was in Cod. Vat. Lat. 3768 in einer einzigen Miniatur auf fol. 162v (Abb. 18) Platz findet  : die Marienkrönung einerseits, die Versammlung der Auserwählten zu Füßen der Dreifaltigkeit andererseits. Sowohl im Allerheiligenbild auf fol. 477v in Add. 18851 (Abb. 91) als auch in der vatikanischen Darstellung drängt eine große Schar von Menschen um die erhöht

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Abb. 89: Der Tod der zehntausend Märtyrer;: Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 596v.

thronenden göttlichen Personen und die Gottesmutter, wobei bedingt durch die thematische Erweiterung im vatikanischen Stundenbuch die Dreifaltigkeit mit der Madonna in einer eigenen, dem Ereignis angemessenen Sphäre hoch über der Versammlung in einer gelben, nach außen hin orangeroten und von blaurosa Wolkenformationen eingefaßten Lichtgloriole schwebt. Im Londoner Brevier sitzen Gottvater und -sohn im oberen Geschoß einer zweistöckigen Thronarchitektur, die unmittelbar aus der Menge emporragt. Maria hat mit zwei Jungfrauen auf einer vorgelagerten Plattform darunter Platz genommen und wird von weiteren weiblichen und männlichen Heiligen umringt. Der gelbe Bildgrund ist zum Rahmen hin von einer Aureole aus violetten (durch wenige Striche als substanzlos charakterisierten) Engeln umschlossen. An diese grenzen außen noch dunkelblaue Wolken, wobei einige von ihnen bis in den gelben Bildgrund ragen, während umgekehrt der Heilige Geist, mit einer eigenen ovalen Gloriole ausgestattet, seinerseits die rahmenden Kreise überschneidet und damit unmittelbar die vordere imaginäre Bildebene zu berühren, ja geradezu aus dem Bild herauszufliegen scheint.

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Abb. 90: Tempelgang Mariae; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 687v.

Nicht ganz logisch im Londoner Brevier erscheint die Anordnung der Heiligen  ; sie drängen sich in zwei räumlichen Schrägen, die durch die Hintereinanderstaffelung der Köpfe angezeigt werden, in den Vordergrund, wo die offenbar runde Thronarchitektur frontal zum Betrachter hin ausgerichtet steht. Nur vergleichsweise wenige Figuren finden zwischen dem Gebilde und der vorderen Bildgrenze Platz. Nimmt man dieses Arrangement wörtlich, würde nur ein kleiner Teil der Versammelten die göttlichen Personen von vorne schauen können  ; dem Rest bliebe der Blick auf die Rückseite des Thrones. Der Künstler war sich dieser unbefriedigenden Lösung wohl bewußt und bediente sich eines Mittels, das zwar die räumlich ohnehin nicht stringente Situation weiter verunklärt, jedoch auf suggestive Weise dennoch zielführend ist  : die beiden göttlichen Personen sind von erstaunlich geringer Größe, so als säßen sie nicht nur eine Stufe hinter und über der Jungfrau, sondern wesentlich weiter entfernt. Ihre Köpfe sind so klein wie die der am tiefsten in den Bildgrund gerückten Heiligen, was dem Eindruck Vorschub leistet, als befände sich die Dreifaltigkeit mit jenen auf einer

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Ebene und würde also auch von ihnen noch gesehen. In vieler Hinsicht wirkt die Miniatur im vatikanischen Stundenbuch (Abb. 18) wie eine Korrektur der Londoner Bilderfindung. Der Vordergrund wird von einer großen (in drei bis vier Reihen stehenden) Anzahl weltlicher und geistlicher Herren eingenommen  ; sie sind durch ein paar lachsfarbene Wolkenpuffer von der unteren Rahmenleiste abgerückt. Eben solche Wolken dienen offenbar der gesamten Heiligenschar als Standfläche, wie in der mittleren Zone sichtbar wird, die sich als Leerraum (und bei näherer Betrachtung der seitlichen Bildränder, wo eine kontinuierliche Staffelung der Figuren bis in den Hintergrund angedeutet ist, als Zentrum der offensichtlich kreisförmig angeordneten Figurenansammlung) zu erkennen gibt. Nur zwei privilegierte Jungfrauen und Abb. 91: Allerheiligen; London, British Library, Johannes der Täufer sind in die leere Mitte Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von eingedrungen und knien direkt unter der in Kastilien, fol. 477v. eine höhere Sphäre entrückten Marienkrönungsgruppe. Trotz der nun plausibleren Verteilung der Figuren – die Heiligen vorne wenden sich hier dem Geschehen zu und damit bis auf eine Ausnahme vom Betrachter ab – ist auch in diesem Fall nicht an der Tatsache zu rütteln, daß das Gros der sichtbaren Versammlung (eine im Vergleich zum Londoner Brevier vervielfachte Menge) die göttlichen Personen nur von hinten wahrnehmen kann. Und auch hier hat der Künstler den Balanceakt versucht, durch einen etwas kleineren Figurenmaßstab die Dreifaltigkeit optisch weiter in die Bildtiefe zu rücken. Dabei schuf er jedoch durch den halbrunden Thron einerseits, die Positionierung der Jungfrau zwischen und zugleich vor Vater und Sohn andererseits eine Kreisformation, die der von den Figuren ausgesparten Mittelzone auf den Wolken entspricht und folglich mit dieser zusammen (also letztlich wiederum nahe) gesehen wird. Insgesamt ist die vatikanische Miniatur – durch die Personen im Vordergrund, den Leerraum im Mittelgrund und nicht zuletzt durch die Vielzahl der hintereinander gestaffelten, im Hintergrund nur mehr stecknadelgroßen Köpfe – ungleich mehr verräumlicht als die Londoner Bildlösung. Hinzu kommt, daß in Cod. Vat. Lat. 3768 schon die dem Betrachter nächste Gruppe ein vielfältiges Raumpotential aufweist. Es finden sich richtiggehende Repoussoirmotive wie die genau entlang der Mittelachse in die Tiefe gestaffelten Rückenfiguren sowie eine breite Palette von Ausrichtungen vom verlorenen bis zum Dreiviertelprofil. Am eindrucks-

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vollsten aber ist jener Eremit, dessen Körper in den Raum hinein, dessen Kopf aber aus dem Bild herausgedreht ist. Auch wenn der Blick des Asketen nicht den Betrachtenden gilt, wird er doch zur Identifikationsfigur für diese, eine Aufforderung an sie, selbst an dem (und wenn auch noch so klein gegebenen) Geschehen teilzuhaben. Dadurch wird der unendliche Raum des Bildes zur Betrachtersphäre hin geöffnet und werden die beiden ideell wie materiell so unterschiedlichen Welten auf suggestive Weise miteinander verschmolzen. Aber auch die Londoner Miniatur zeigt ein durchaus räumliches Konzept. Sowohl die Thronarchitektur, die offensichtlich aus zwei runden, über- und hintereinander angebrachten Plattformen besteht, als auch die Gruppierung der Figuren wirkt überzeugend konstruiert. Trotz der eingangs beschriebenen Inkongruenzen wird ein zwar nicht sehr tiefes, jedoch kohärentes Raumgefüge geschildert. Die Nachvollziehbarkeit der runden, umgehbaren Form ist in der Londoner Miniatur durch die weit vorkragende Plattform, die von den vorderen Heiligen explizit umringt wird, sogar nachdrücklicher gewährleistet als in der vatikanischen. Denn trotz des konsequent entwickelten Tiefenraumes läßt sich in Cod. Vat. Lat. 3768 die bereits bekannte Tendenz zu einer bildparallelen Staffelung der einzelnen Raumschichten ausmachen, selbst des eigentlich kreisförmig gedachten, de facto aber als ein horizontales Wolkenband wahrgenommenen leeren Mittelgrundes. Einmal mehr ist festzustellen, daß selbst die extrem verräumlichten, kleinfigurigen Miniaturen im vatikanischen Stundenbuch bereits Anklänge an jene Gestaltungsprinzipien zeigen, die in den großfigurigen Kompositionen von Cod. Vat. Lat. 3770 zu einer Frontalisierung des Vordergrundgeschehens und damit zu einer Verflächigung der wesentlichen Miniaturkomponenten umschlagen. Eben dies versucht nun auch der Illuminator in der Allerheiligenminiatur auf fol. 562v des Antwerpener Breviers Inv. Nr. 946 (Abb. 88) nachdrücklich zu verhindern, obwohl die großfigurige Präsentation der knienden Akteure in einer nicht näher bestimmten, grasbewachsenen Raumbühne ein frontales Bildkonzept in hohem Maße favorisieren würde. Und tatsächlich sind die durchwegs männlichen Heiligen nach vorne und nicht zu Gott hingewandt, der in zweierlei Gestalt in dem gelborangen, von blauen Wolken gerahmten Himmelsgrund erscheint  ; dabei wird durch Tiara und Kreuz auf die beiden göttlichen Personen in der einen Figur Gottes angespielt. Zwei Vertreter des Papsttums befinden sich auch in der seligen Schar, in der sich ein einzelner König gleichsam unauffällig (und entsprechend stark von seinen Mitbrüdern verdeckt) eingefunden hat. Der Rest der Auserwählten sind Kleriker jeden Standes, wobei die großen Ordenspatrone Dominikus, Franziskus, Benedikt und m. E. Bernhard von Clairvaux191 seitlich der Päpste eine prominente Position einnehmen. Dominikus am linken 191 Nieuwdorp-Dekeyzer 1997, S. 83, identifizieren letzteren offensichtlich als den Karthäuserheiligen Bruno. Allerdings entspricht der Typus des stämmigen weißgekleideten Abtes den Darstellungen des heiligen Bernhard, etwa auf fol. 441r im Londoner Isabella-Brevier Add. 18851 (Backhouse 1993, S. 56, fig. 51)  ; auch der Teufel läßt sich eher ihm als dem Karthäuser zuordnen  ; zudem wurde Bruno erst 1514 selig- und 1623 heiliggesprochen, auch wenn dies nicht überbewertet werden dar f. M. E. könnte Bruno in der Antwerpener Miniatur am ehesten im ausdrucksstarken Kopf des hinter Dominikus sichtbaren Mannes verbildlicht sein.

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Seitenrand hat zu seinen Füßen den Hund des Herrn mit der Fackel, die das Licht in die Welt bringt, und unter ihnen einen Dämon, der mit verzweifelter Miene aus der Kutte hervorlugt. Noch bedauernswerter ist das Monster unter Bernhard am rechten Seitenrand, zumal es das volle Gewicht des rosig aufgedunsenen Abtes zu tragen hat  ; der Künstler gibt denn auch unmißverständlich zu verstehen, daß dieses Höllengeschöpf bereits plattgemacht ist, wie seine von sich gestreckten Gliedmaßen anzeigen. Nicht nur in solchen amüsanten Details, sondern auch in der Charakterisierung der einzelnen Personen zeigt sich die große Erzählkunst des Illuminators. Obwohl Bernhard nicht der einzige ist, der über eine hochgradig individuelle Physiognomie verfügt, eignet ihm mit Abstand der auffallendste (nämlich ein weißlich-rosiger) Teint, der sofort Assoziationen mit realen Personen ähnlichen Aussehens hervorruft und in keiner Reproduktion in der originalen Intensität und lebensnahen Stofflichkeit wiederzugeben ist. Zusammen mit den eher weltlichen Gesichtszügen ergibt dies eine dermaßen ausgeprägte Charakterisierung, daß erwogen werden muß, ob es sich hierbei nicht um ein Kryptoporträt handeln könnte. Dies läßt sich freilich nicht mit dem mutmaßlich franziskanisch orientierten Auftraggeber vereinen, von dem in dieser Miniatur allerdings ohnehin kaum etwas zu spüren ist, zumal er ja auch Portugiese gewesen sein soll und die bedeutendeste Figur in diesem Konnex, der in Lissabon geborene Franziskanermönch Antonius von Padua, in der Gemeinschaft aller Heiligen fehlt. Denkt man diesen Gedankengang zu Ende, so müßte die Miniatur des Jakobsmeisters noch für den ersten Auftraggeber gemacht worden sein – einen Vollblutkleriker, wie das Allerheiligenbild bekundet, und vielleicht verewigt in der Darstellung Bernhards mit seiner vordergründig nicht unbedingt Heiligkeit ausstrahlenden Physiognomie. Die übrigen Kirchenmänner sind zwar ebenfalls in hohem Maße individuell differenziert, zeigen aber doch allesamt die Spuren des idealen Lebenswandels ihres Standes. Dominikus wirkt jugendlich, freundlich und ernsthaft, Franziskus hager und ein wenig streng, Bruno (?) hinter ihnen zeugt mit den roten Ringen unter seinen Augen von im Gebet durchwachten Nächten. Sein jugendlicher Ordensbruder neben ihm wirkt von solchen Anstrengungen noch unberührt und blickt lebhaft in Richtung der beiden Päpste, die offenbar das Meßopfer zelebrieren und somit die Gegenwart der dritten göttlichen Person auch in dieser Handlung sicherstellen. Der linke der beiden Päpste ist zwar ein wenig beleibt, hat aber regelmäßige Gesichtszüge und dadurch ein edles Aussehen, das alle geistlichen Würdenträger um ihn herum kennzeichnet, auch den prominent plazierten heiligen Benedikt im schwarzen Habit mit seiner ein wenig herben Physiognomie. Hinter diesem scheint sich ein weiterer Franziskaner zu befinden, den man vielleicht als Antonius deuten könnte, was jedoch durch keinerlei Attribute unterstützt wird, und auch die Position des Heiligen ist untergeordnet. Antonius Abbas am rechten Seitenrand vervollständigt mit seinem gütigen Gesicht den illustren Kreis vorbildlicher Männer. Die Miniatur offenbart mit ihrem subtilen Inhalt und der ebenso subtilen Schilderung verschiedener Charaktere ein eindrucksvolles künstlerisches Niveau. Dem schließen sich die Komposition mit ihrer feinen Balance zwischen grundsätzlicher Symmetrie und größtmöglicher Varietät darin sowie die Raumkonstruktion an. Der Illuminator ordnet die Figuren

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in einem großen, in den Raum gezogenen Halbkreis an. Das Wiesenstück, das dadurch im Vordergrund frei bleiben sollte, wird allerdings von dem opulenten Gewandüberschuß der Kutte Bernhards weitgehend okkupiert  ; zudem ragen der Kreuzstab des linken Papstes, der Bischofsstab Bernhards und der Krähenfuß des jämmerlichen Höllenmonsters in die grüne Fläche. Am wichtigsten in diesem Rahmen ist jedoch die Fackel, die der domini canis im Maul hält  ; sie grenzt das Wiesenstück nach links zu ab und weist schräg in den Raum hinein in jene Richtung, in die auch die Heiligen arrangiert sind. Durch dieses subtile Mittel wird der eher stabilen Halbkreisform ein Raumvektor untergeschoben und somit die Tiefe der Formation mit einem dynamischen Richtungsmotiv betont. Versucht man, diese Darstellung in die Nähe der beiden zuvor besprochenen Allerheiligenbilder in Add. 18851 (Abb. 17) und Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 18) zu rücken, so mag dieses Unterfangen vorweg einmal hoffnungslos wirken, zumal die kleinfigurigen, auch thematisch (durch die Hinzunahme der Dreifaltigkeit und Marias, einmal sogar im Krönungsakt) abweichenden Miniaturen gänzlich andere Anforderungen an den Künstler stellten. Rasch wird jedoch klar, daß dennoch Aussagen möglich sind. Die Antwerpener steht zweifellos der vatikanischen Bildlösung um ein vielfaches näher als der Londoner. Als primäres Argument wäre ein gegenständliches zu nennen  : Die individuelle Charakterisierung der nur wenig größer als im Londoner Bild wiedergegebenen Figuren ist in Cod. Vat. Lat. 3768 weit mehr voran­getrieben als in Add. 18851. Zwar werden auch im Londoner Brevier nicht stereotype, sondern verschiedenartige Gesichter gezeigt, doch die gleichförmige Haltung aller Personen macht diese Differenzierung weitgehend zunichte. In der vatikanischen Miniatur finden sich demgegenüber nicht nur die verschiedensten Physiognomien, sondern auch eine große Skala an psychischen Regungen und physischen Bewegungen, besonders in der Gruppe der männlichen Heiligen im Vordergrund. Dies ist der Personenschilderung im Allerheiligenbild des Antwerpener Breviers unmittelbar vergleichbar. Hinzukommt, daß Dreidimensionalität im Londoner Bild in erster Linie über die raumverdrängenden Qualitäten von Figuren und Objekten erlebt wird, während in der vatikanischen Darstellung dem Raum als leerem Platz große Bedeutung beigemessen wird. Dies offenbart sich nicht nur in der Wolkenzone im Mittelgrund, sondern auch in der Heiligenansammlung davor, wo nicht nur die vier Rückenfiguren am unteren Bildrand (durch zwei Wolkenstreifen von diesem getrennt und dadurch raumumspielt), sondern auch die näher beim Handlungszentrum verweilenden Auserwählten halbfigurig gezeigt werden, was Platz um sie herum suggeriert. Leerraum ist auch das Thema im Antwerpener Bild, obwohl durch die Raumschräge im Wiesenstück (die sich im übrigen auch in der Anordnung der Heiligen im rechten Bildteil wiederholt) ein Tiefenzug initiiert ist, der in der bildparallelen Abfolge einzelner Raumschichten und selbst in der senkrechten Staffelung der Figuren auf der vertikalen Mittelachse in der vatikanischen Miniatur nicht zu konstatieren ist. Freilich findet dieser Tiefenzug in Inv. Nr. 946 durch die undurchdringliche Masse der Auserwählten ein baldiges Ende  ; auch hier siegt die dekorative Gestaltung der Bildfläche über eventuelle naturalistische Intentionen. Aus dem Gesagten geht nicht nur hervor, daß die Antwerpener der vatikanischen Handschrift nahestehen muß, sondern auch, daß gewisse Gestaltungsprinzipien auf eine etwas frühere Ent-

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stehung von Inv. Nr. 946 hinweisen. Stellt man dem Antwerpener Allerheiligenbild die Wiedergabe der Engelschöre auf fol. 27v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 28) gegenüber, so wird klar, daß im vatikanischen Stundenbuch die Konzessionen an die Bildfläche noch gesteigert sind. Die beiden Miniaturen, in Größe und Format ähnlich192, bieten auch ähnlich großen (und gleich vielen) Figuren Platz, auch wenn diese einmal knien, einmal stehen. Dabei nehmen die Engel jedoch eine weitgehend frontale Anordnung und Haltung ein, die sich nicht wirklich dadurch erklären läßt, daß sie durch ihr Stehen größer sind und ein halbkreisförmiges Arrangement zu viel Platz im oberen Teil der Bildfläche beansprucht hätte. Das Gegenteil ist wahr  : In der vatikanischen Miniatur muß der Künstler, um das Format zu füllen, die Engel in einer dichten Masse nach hinten staffeln, wodurch sie letztlich doch noch in Kreisform zu stehen kommen, was für den Raumeindruck des Bildes aber belanglos ist. Und in der Antwerpener Darstellung gibt der Künstler seiner Figurengruppe nach oben hin einen nahezu geraden Abschluß, ohne die im Vordergrund evozierte Raumwirkung damit im geringsten zu beeinträchtigen. Freilich sind auch die Engel vom vorderen Bildrand ab- und damit in den Raum gerückt, doch erfolgt dies durch einen bildparallelen Wolkenstreifen, der ebensogut auch als flächiges Band gelesen werden kann wie jener, der die himmlischen Heerscharen vom oberen Bildrand absetzt. Auch in den anderen Miniaturen des Antwerpener Breviers ergeben sich Anknüpfungspunkte zu den übrigen Werken der frühen Gruppe. Die Darstellung der Maria Schnee auf fol. 501v (Abb. 87) erinnert in manchen Details an einige Miniaturen des Wiener Stundenbuchs, so an das Anna-Selbdritt-Bild auf fol. 163v (Taf. VI) oder an die halbfigurige Darstellung der Gottesmutter auf fol. 26v (Taf. XVII). Doch sind die Übereinstimmungen wohl großteils ikonographisch. Im Rahmen des vom Jakobsmeister und seiner Werkstatt verwendeten Typenrepertoires zeigt die Wiener Madonna auf fol. 26v deutliche Abweichungen von der Antwerpener, und dasselbe gilt für die Technik, die in Wien nicht nur loser als in Antwerpen wirkt, sondern auch härtere Übergänge in der Modellierung aufweist und damit doch eine ganz andere plastische wie Oberflächenqualität hervorruft. Einmal mehr muß man auch den Fortschritt feststellen, der zwischen diesen Bildern gemacht wurde. Der Jesusknabe in Wien wirkt hager und ein wenig ausdruckslos, der in ganz ähnlicher Position gehaltene Bambino in Antwerpen hingegen rundlich, mit Pausbacken und Bäuchlein. Auch seine Bewegung dünkt lebhafter. Bis zu einem gewissen Grad relativieren sich diese Unterschiede, wenn man das Wiener Anna-Selbdritt-Bild (Taf. VI) in den Vergleich mit einbezieht. Doch gehört letzteres zu den „Ausnahmeminiaturen“ in Cod. Vind. Ser. n. 2625193. Als deutliche Parallele zum MariaSchnee-Bild ist nicht nur die kräftige Modellierung auch der großen Form zu nennen, sondern darüber hinaus der Versuch, mittels eines von Engeln gehaltenen Baldachins den Existenzraum 192 Antwerpen Inv. 946  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 13,3 x 9,2 cm, Cod. Vat. Lat. 3770–68  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 11,2 x 8,4 cm. 193 Vgl. oben Kap. III 1 b  ; die Selbdrittminiatur ist in Cod. Vind. Ser. n. 2625 neben Hirtenverkündigung und Epiphanie das dritte Vollbild, das sich von den übrigen ganzseitigen Miniaturen abhebt. Doch erschwert der Bildtyp eine vorbehaltlose Anbindung an die Darstellungen auf fol. 69v und 73v.

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der Figuren zu definieren. Diesbezüglich können auch das Podest im Wiener Stundenbuch und der Hügel, auf dem die Madonna im Antwerpener Brevier steht, miteinander verglichen werden. Damit ist aber auch das Ende der Gemeinsamkeiten erreicht. In Antwerpen ist der Baldachin durch den Einblick von unten in seiner gesamten Rundung beschrieben, während in Wien diese Möglichkeit durch das blaue Ehrentuch genommen ist, sich der Künstler also damit des Problems der Verkürzung einer Kreisform entledigt hat. Auch die Art, wie der Engel im Brevier das Gebilde mit beiden Händen festhält, zeigt ein wesentlich besseres Verständnis für Bewegung und Anatomie der Figuren, als es die zwar formschönen, aber wenig effizienten Gesten der beiden im Stundenbuch mit dem Baldachin befaßten Himmelswesen verraten. Gleichgültig, ob man in diesen Miniaturen denselben Ausführenden annimmt oder nicht, in jedem Fall zeigt die Antwerpener Miniatur eine größere künstlerische Reife als die Wiener. Motivisch gibt es aber auch Übereinstimmungen zwischen dem Maria-Schnee-Bild und einigen Darstellungen des vatikanischen Stundenbuchs. So zeigt die Darbringungsminiatur auf fol. 154v von Cod. Vat. Lat 3770 (Abb. 23), eines der Halbfigurenbilder dieses Bandes, ein ganz ähnliches Typenrepertoire, besonders im Falle von Gottesmutter und Sohn. In beiden Darstellungen zeichnet sich das Christkind durch große Augen, Pausbacken und ein rundliches Bäuchlein aus, und auch die beiden Marien offenbaren eine große Annäherung in ihren Physiognomien. Freilich ist im vatikanischen Bild der Knabe stärker nach vorne gedreht und läßt insgesamt eine leichte (und in diesem Stundenbuch überraschende) Unsicherheit in der Zeichnung erkennen, was aber auf die relative Größe gegenüber der Darstellung im Antwerpener Brevier zurückzuführen sein könnte. Auch die starke Frontalisierung der Figurengruppe im Vaticanus, hinter der unvermittelt der Einblick in die Kapitellzone eines Kirchenschiffes geboten wird, läßt sich in keiner Weise mit der durchgehenden Räumlichkeit der MariaSchnee-Miniatur vergleichen, was auf den anderen Bildausschnitt zurückzuführen sein mag, jedoch auch auf ein anderes Raumgefühl. Innerhalb der halbfigurigen Bilder des vatikanischen Marienzyklus gibt es drei, deren vergleichsweise härtere Ausführung einen Gehilfen als Urheber nahelegt. Zwei von ihnen zeigen auch kontinuierlicher entwickelte Räume hinter den Figuren und vermitteln so mehr als in den anderen Marienszenen dieser Handschrift den Eindruck, als befänden sich die Akteure in ihrem Ambiente. Es handelt sich um die Heimsuchung auf fol. 139v (Abb. 20) und die Geburt Christi auf fol. 145v (Abb. 21) von Cod. Vat. Lat. 3770194. Obwohl gerade technisch die allergrößten Unterschiede zu den überaus fein gemalten Bildern des Jakobsmeisters im Antwerpener Brevier bestehen, ist doch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Raumaufbau der Maria-Schnee-Darstellung zu konstatieren. Interessanterweise folgen die beiden vatikanischen Miniaturen dem Schema des verräumlichten Vordergrundes, das besonders in der Heimsuchungsszene glaubwürdig umgesetzt ist. Der geräumige Innenhof, in dem die beiden Frauen aufeinandertreffen, wird durch ein großes, verkürztes Wohnhaus im rechten Bildteil, einen steil in die Tiefe führenden Weg links und eine bildparallel abschließende Mauer in be194 Die dritte in diese Kategorie fallende Miniatur ist die Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes auf fol. 161v in Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 25).

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trächtlicher Distanz (die durch zwei kleine Figuren angezeigt wird) räumlich definiert. Daran schließt im oberen Bildteil noch ein Landschaftsausblick an, der durch den Tordurchgang links, den von dort seinen Ausgang nehmenden, sich in der Ferne verlierenden Weg und die beiden ihn in Richtung Bildtiefe beschreitenden Figuren suggestiv mit dem Hof davor verbunden wird. Zwar sind Maria und Elisabeth in keinen unmittelbaren Kontakt zu diesem Bildraum gebracht. Allerdings nimmt die Schrägstellung der älteren Frau eindeutig auf die Verkürzung des Hauses hinter ihr Bezug und stellt so den de facto nicht abgebildeten Zusammenhang auf suggestive Weise her. Somit ist in dieser Miniatur ein gewisser Anknüpfungspunkt an das Raumschema der Maria-Schnee-Darstellung (Abb. 87) gegeben  : Dort findet sich ebenfalls das System des erweiterten Vordergrundes, allerdings zu einem die gesamte Darstellung durchmessenden Kontinuum gesteigert. Die rahmenden Gebäude im Antwerpener Bild tauchen nur links auf  ; rechts grenzt die Kante des kontinuierlich nach hinten aufgebauten Hügels unmittelbar an das Firmament. Im Gegensatz zur Darbringungsminiatur des Vaticanus erscheint hier der gesamte Tiefenzug eine einzige lange Schräge  ; sie gabelt sich lediglich im Vordergrund, um dem Felsen Platz zu machen, auf dem Maria steht. Zweifellos ist dieses bereits in mehreren Handschriften beobachtete Prinzip des Raumaufbaus hier in einer bislang unbekannten Weise perfektioniert – und trägt doch schon jenen Keim in sich, der dann für eine weit flächenkonformere Bildauffassung im vatikanischen Stundenbuch genutzt wurde. Dies zeigt die Gegenüberstellung des Maria-Schnee-Bildes mit der Hirtenverkündigung in Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 22). Oberflächlich betrachtet scheinen die beiden auch thematisch ganz verschiedenen Miniaturen wenig gemeinsam zu haben. Gewiß, beide Male befinden sich im Vordergrund groß wiedergegebene Protagonisten und hinter ihnen ein nach rechts zu kontinuierlich ansteigender Hügel. Doch während dies im Antwerpener Brevier themenbedingt sein dürfte, ist diese Art des Bildaufbaus im vatikanischen Stundenbuch nur mit allergrößten Einschränkungen auf den Darstellungsgegenstand zurückzuführen, wie der Vergleich mit der Hirtenverkündigung auf fol. 72v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. VIII) gelehrt hat. Eher ließe sich da schon durch den jeweils aktuellen Bildinhalt begründen, daß das Geschehen in Inv. Nr. 946 ohne jegliche Bezugnahme auf die Gottesmutter in alle Raumrichtungen abläuft, in Cod. Vat. Lat. 3770 jedoch auch die im Hintergrund befindlichen Figuren nach vorne ausgerichtet sind. Stellt man all dies in Rechnung, scheinen sich im Rahmen des ähnlichen Bildaufbaus doch große Unterschiede auch bezüglich der Raumauffassung zu manifestieren  : Während die erste Raumschicht im Vaticanus durch eine Terrainkante deutlich vom Hügel dahinter abgesetzt ist, wird im Brevier der Esquilin bis in die untere rechte Bildecke gezogen. Dort mühen sich Mensch und Tier die Steigung hinauf und werden so in den materiellen wie inhaltlichen Kontext des hinten dargestellten Geschehens einbezogen  : Es kommt zu einer Vereinheitlichung von Vorder- und Hintergrund. Und während der Hügel im Stundenbuch zahlreiche waagrechte Barrieren enthält, ist jener in der Antwerpener Handschrift durch fast ausschließlich verkürzte Objekte und die raumorientierten Bewegungen (oder Anordnungen) beinahe aller Akteure in seiner Tiefenerstreckung über den ganzen Verlauf hinweg gleichsam dynamisiert. Schließlich ist im linken Bildteil der Hirtenverkündigung ein unvermittelter

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Raumsprung zu einem weiten Fernblick eingefügt, während die ebenso für einen Ausblick freigelassene linke Zone in der Maria-Schnee-Miniatur ein Kontinuum auch in diesem Bereich erkennen läßt. Dieses erstreckt sich von dem vom linken Bildrand überschnittenen, radikal verkürzten Haus des römischen Patriziers (dem die Madonna soeben im Traum – im Bild an der Schwelle seines Schlafgemachs – erscheint) über einen Innenhof und eine ebenfalls perspektivisch projizierte Torarchitektur hinweg bis zu den im Hintergrund sichtbaren Gebäuden, die zugleich einen planen Abschluß dieses Raumkompartiments bilden. Insgesamt ist also eindeutig, daß in der vatikanischen Miniatur die hinlänglich bekannte Frontalisierung des Bildgeschehens kombiniert mit einem abrupten Raumsprung verwirklicht ist, während im Antwerpener Bild eine größtmögliche Verräumlichung des Terrains von vorne weg mit einem bildparallelen Abschluß hinten, also ein allseitig umschlossener, kontinuierlich entwickelter Raum geboten wird. Und doch ist die Madonna (über)deutlich von ihrer Umgebung abgesetzt, und die Organisation des gesamten Hintergrundes nimmt letztlich eine Zwischenstellung zwischen dem Typus des „verräumlichten Vordergrundes“ und jenem uförmigen Aufbau ein, der bereits in den Jakobsmeister-Miniaturen des Eleonorenbreviers zu finden war und der im vatikanischen Stundenbuch perfektioniert (und überwunden) wurde. Zudem führt der rechte Raumvektor im Maria-Schnee-Bild hin zu jener kleinen Madonnen­ erscheinung, die von der rechten oberen Bildecke aus Schnee auf jene Stelle am Gipfel des Esquilin fallen läßt, wo der Papst bereits den ersten Spatenstich für die Kirche Santa Maria Maggiore tätigt (an deren Bau weiter unten schon gearbeitet wird). Der Blick der Betrachtenden gleitet somit (gleichsam in einer Parallele zum Tiefenzug rechts) vom Kopf der Madonna im Vordergrund direkt zur Marienerscheinung in der Ferne  : größte Nähe und größte Distanz sind in eine unmittelbare Beziehung gesetzt, die durchaus an das Schema in manchen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs erinnert, wo ein großfigurig verstellter Vordergrund mittels eines radikalen Fernblicks konterkariert wird. Schließlich wird im Maria-Schnee-Bild noch ein anderes Raumschema ein erstes Mal greifbar – gleich einem Gedankenblitz, der vorläufig nicht weiterverfolgt wird. Seine Zeit sollte offenbar erst kommen, nachdem die Möglichkeiten, die die im vatikanischen Stundenbuch verwendeten Gestaltungsmittel boten, ausgeschöpft waren. Es handelt sich um ein Element des Raumaufbaus, das vermutlich durch die podestähnliche felsige Standfläche der Madonna auf fol. 501v angeregt wurde. Die Bildorganisation zeigt eine gewisse Verschlungenheit, die ein Kreisen und Schweifen der Protagonisten im Raum nahelegt. Zu beiden Seiten des Vordergrund-Felsens befinden sich jeweils bevölkerte Wegstücke, die im rechten Bildteil zusammenstoßen, sich aber unmittelbar danach wieder gabeln und so insgesamt wie ein zwischen dem Felsen vorne und dem Hügel hinten eingefügtes X wirken. Letztlich liegt hier, neben dem Keim zur konsequenten Verräumlichung mit einem dominierenden Tiefenzug, wie sie im Vaticanus verwirklicht wurde, auch der Ansatz zu einer Bildgestaltung, in der das Auge den Raum wandernd durchmißt – ein Prinzip, das erst in einer späteren Handschrift, dem Spinola-Stundenbuch in Los Angeles, aufgegriffen und perfektioniert werden sollte195. 195 Vgl. hier Kap. IV 1.

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Insgesamt spricht dennoch alles dafür, daß das Antwerpener Brevier noch kurz vor dem vatikanischen Stundenbuch entstand. Die unerfreuliche Marterszene auf fol. 596v von Inv. Nr. 946 (Abb. 89) gleicht bezüglich ihres Raumaufbaus der Heimsuchungsminiatur auf fol. 139v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 20). Der geräumige Hof mit dem stattlichen, schräg in den Raum gestellten Herrschaftshaus rechts, dem geraden Abschluß durch Wirtschaftsgebäude und eine Torarchitektur und die daran angefügte Landschaft in der Ferne ist in beiden Bildern zu finden. Dabei wirkt das Antwerpener im ersten Moment sogar wesentlich tiefer. Abgesehen davon, daß man den Hof von vorne weg mit dem Blick durchstreifen kann (also nicht durch zwei heilige Frauen fast zur Gänze daran gehindert wird), ist dieser im linken Bildteil zusätzlich nach hinten ausgebuchtet und endet erst in großer Distanz, so daß der Berg im Hintergrund, auf dem weitere Massaker stattfinden, unmittelbar daran anschließt. Dennoch ist klar, daß im Antwerpener Bild einmal mehr das Schema des „verräumlichten Vordergrundes“ (der ja de facto ein Kontinuum vom Vorder- bis in den Hintergrund ist), hier bis ins Extrem gesteigert, Anwendung erfährt, während im vatikanischen Stundenbuch der verstellte Vordergrund mit einem Tiefenzug kombiniert ist, der in dem im Hof beginnenden und in die Landschaft fortgesetzten Weg links mit einem Raumsprung unmittelbar hinter den Figuren eingeleitet wird und nur im rechten Bildteil noch Merkmale des „verräumlichten Vordergrundes“ aufweist. Abgesehen davon, daß in den beiden Bildern selbst eine gewisse Entwicklung der Gestaltungsprinzipien nachvollziehbar ist, bestätigen auch die bisher analysierten Handschriften der frühen Gruppe auf der einen Seite und die Jakobsminiatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 auf der anderen Seite, daß die zeitliche Abfolge im geschilderten und nicht im Gegensinn verlief  ; eine Anbindung der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Bilder im Antwerpener Brevier an die namensgebende Wiener Miniatur wäre undenkbar. Die in der neueren Literatur vorgeschlagene Datierung beider Handschriften um 1500 ist durchaus zu akzeptieren, bedarf allerdings einer Präzisierung dahingehend, daß man zumindest den Beitrag des Jakobsmeisters in Inv. Nr. 946 vor seinem groß angelegten Austattungsprojekt im Vaticanus ansetzen wird müssen. Die beiden übrigen eigenhändigen (oder zumindest im unmittelbaren Kreis unseres Künstlers geschaffenen) Vollbilder im Antwerpener Brevier, die Darstellung des heiligen Benedikt auf fol. 424v (Abb. 86) und die Mariä-Tempelgang-Szene auf fol. 687v (Abb. 90), bringen bezüglich der Datierung keine neuen Erkenntnisse  ; im Rahmen ihrer (im bislang behandelten Œuvre des Jakobsmeisters noch nicht vorgefundenen) ikonographischen Lösungen liegen ihnen ähnliche Vorstellungen wie den anderen drei Miniaturen unseres Illuminators in Inv. Nr. 946 zugrunde. Hinsichtlich seiner Werkstattpraxis aber sind sie ganz besonders aufschlußreich. So finden sich im Benediktbild auf fol. 424v (Abb. 86) hinter dem mächtigen, die gesamte Komposition dominierenden Felsen, an dessen Fuß der Heilige sein Einsiedlerleben führt und an dessen rechter Flanke er Besuche empfängt, zwei Hintergrundkompartimente, die nicht vom Jakobsmeister gemalt sind und auch nicht von seiner Werkstatt (sofern man diese als stilistisch einheitlich definiert, wie ich den Begriff hier tatsächlich verwenden möchte).

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Dies ist auch auf guten Reproduktionen schwer zu sehen und wird dadurch noch schwerer nachvollziehbar, daß wenig Vergleichsmöglichkeiten in den übrigen Vollbildern des Jakobsmeisters in Inv. Nr. 946 geboten werden. Daß die Landschaft in der vorhin besprochenen Marterszene anders aussieht, könnte man mit ihrer anderen motivischen Zusammensetzung und ihrer anderen Funktion erklären. Doch finden sich tatsächlich nirgendwo im eigenhändigen (und im unmittelbaren Kreis des Künstlers geschaffenen) Œuvre ähnlich gemalte Hintergrundfiguren, Bäume, Felsen, Wiesen und Architekturen wie im Benediktbild. Dies wird zwar dadurch verunklärt, daß die Bäume im linken Hintergrundkompartiment der Benediktminiatur die gleichen mit Tupfen differenzierten Laubkronen aufweisen wie jene im Vordergrund. Doch stellt sich bei exakter Beobachtung heraus, daß die Punkte hinten viel schematischer und in einem harten Blau gesetzt sind, das weder im vorderen Teil der Benediktdarstellung noch in den Hintergrundzonen anderer Miniaturen des Jakobsmeisters zu finden ist, gleich, ob es sich dabei um jene in der Marterszene auf fol. 596v von Inv. Nr. 946 (Abb. 89) oder um die im vorhin besprochenen Hirtenverkündigungsbild auf fol. 148v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 22) handelt. Das gleiche gilt für die sowohl in ihrem Aufbau als auch in ihrer dünnen, kantigen und bläßlichen Ausführung ganz untypische Landschaft im rechten Hintergrundkompartiment des Benediktbildes. Es ist wohl kein Zufall, daß eine ähnliche Wiedergabe der verschiedenen Landschaftselemente gerade in solchen Miniaturen des Antwerpener Breviers anzutreffen ist, die offensichtlich von anderen Künstlern geschaffen wurden. Technisch ähnlich gemalt präsentiert sich beispielsweise der Hintergrund in der Enthauptung eines Märtyrers auf fol. 590v196, die von Brigitte Dekeyzer bezeichnenderweise einem Gehilfen des von ihr sogenannten Maximiliansmeisters und einem Anonymus zugeschrieben, also ebenfalls als die Arbeit zweier Maler erkannt wurde197. Zwar unterscheidet sich die Struktur der Landschaft in dieser Miniatur von jener im Benediktbild, die Umsetzung der Details ist jedoch in beiden Darstellungen ähnlich. Dabei geht es weniger darum, einen geeigneten Kandidaten für die Ausführung des Hintergrundes auf fol.424v zu finden, als darum aufzuzeigen, daß es offenbar öfter vorkam, daß man sich die Aufgaben bei der Herstellung von Miniaturen teilte. Unüblich ist lediglich, daß im Benediktbild die subordinierte Kraft nicht das Stilidiom des Jakobsmeisters imitierte und daher trotz des Versuchs, sich seinen Gestaltungsprinzipien und seiner Technik anzupassen, relativ leicht zu erkennen ist. An eine Beobachtung wie diese knüpfen sich zahlreiche Fragen. Wie eng haben die für die Herstellung von Inv. Nr. 946 verantwortlichen Illuminatoren, derer Brigitte Dekeyzer eine ganze Anzahl überzeugend unterscheidet198, auch in materieller Hinsicht zusammengearbeitet  ? Wenn die Landschaft auf fol. 424v nicht eine nachträgliche Übermalung war, was zu überprüfen mir bei der Konsultation des Originals nicht gelang, legt der geschilderte Sachver196 Abb. bei Nieuwdorp-Dekeyzer 1997, S. 88. 197 London – Los Angeles 2003, S. 327, Anm. 5. 198 Dekeyzer 2002b, S. 117–219  ; in kompakter Form in London – Los Angeles 2003, S. 326 ff., Anm. 5–8.

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halt nahe, daß auch die Mitglieder ganz verschiedener Werkstätten in derselben Umgebung tätig waren. Dies bestätigt die Gerard David zugeschriebene 199 Heimsuchungsminiatur auf fol. 473v von Inv. Nr. 946 (Abb. 92). Der mäßig begabte Illuminator dieser Miniatur (oder ein damit nicht zufriedener Verantwortlicher) scheint den wesentlich besseren Tafelmaler, wer immer es gewesen sein mag200, gebeten zu haben, der bescheidenen Komposition durch die Gestaltung zweier Köpfe und zweier Hände ein überdurchschnittliches Niveau zu verleihen. Daß das umgekehrte Vorgehen ausgeschlossen werden kann, liegt in diesem Fall auf der Hand  : Es ist undenkbar, daß der qualitätvollere der beiden Maler die von ihm entworfene Komposition nur so fragmentarisch ausführte, daß er sogar die zweite Hand Mariä einem anderen überließ. Eher schon würden sich die (hier äußerst schematisch gemalten) Gewänder und der (in dieser Miniatur in keinerlei räumliches Verhältnis zum Vordergrund gebrachte) Hintergrund für eine Gehilfenbeteiligung anbieten. Doch spricht die versatzstückartige Architekturkulisse mit ihren völlig verunklärten räumlichen Verhältnissen grundsätzlich auch gegen einen Entwurf durch den qualitätvolleren Meister. Der Gegensatz zwischen den in ihren Verkürzungen verzeichneten, schablonenhaften Gebäuden in der Antwerpener Heimsuchung und dem in den großfigurigen Miniaturen von Cod. Vat. Lat. 3770 (etwa in der Heimsuchungsminiatur ebenda) (Abb. 20) hinter den Figuren abrupt einsetzenden, jedoch stets überzeugend konstruierten Tiefenraum ist beachtlich und schließt den Entwurf des Antwerpener Bildes durch einen Könner aus  ; dieser wurde offenbar erst nachträglich hinzugezogen, um eine bereits begonnene Miniatur in ihren wesentlichen Teilen fertigzustellen. Warum aber ein Illuminator, der stilistisch einer anderen Strömung angehörte (also vermutlich zusammen mit der sogenannten Maximiliansmeister-Werkstatt im Brevier tätig war), das im Wesentlichen fertige Benediktbild vollendete, ist nur schwer zu erklären – umso mehr deshalb, weil es scheint, daß der Jakobsmeister bei der Ausstattung von Inv. Nr. 946 sehr wohl mit einem Gehilfen zusammenarbeitete, der seine Formensprache und Technik fast perfekt imitierte. Dieser Gehilfe, richtiger wohl als (bereits des öfteren vermutetes) Alter Ego des Jakobsmeisters bezeichnet, scheint für die Darstellung des Tempelgangs Mariä auf fol. 687v des Antwerpener Breviers (Abb. 90) verantwortlich gewesen zu sein, das letzte der fünf dem Jakobsmeister zuschreibbaren Vollbilder. Die Widersprüchlichkeit dieser Formulierung ist beabsichtigt. Tatsache ist, daß in den Werken der frühen Gruppe – mit größter Wahrscheinlichkeit in Cod. Vind. Ser. n. 2625, vielleicht auch in Add. 18851 und in Cod. Vat. Lat. 3770–68 – mehr als 199 Dekeyzer 2002b, S. 195–202  ; London – Los Angeles 2003, S. 325 und Anm. 7. 200 Die Zuschreibung der Visitatiominiatur an Gerard David erscheint nicht unplausibel, aber deshalb problematisch, weil die dem gleichen Maler in der gleichen Handschrift zugewiesene Darstellung der heiligen Katharina auf fol. 611v ganz andere Stilmerkmale aufweist, beginnend mit einer anderen Typik von Gesicht und Händen bis hin zu einer abweichenden plastischen Auffassung. Noch schwerer fällt es, die Zuschreibung einzelner Elemente in den Darstellungen der Dreifaltigkeit (fol. 326v) und des Letzten Abendmahls (fol. 331v) an Gerard David zu glauben. Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 327, Anm. 7, sowie Abb. 92a-c  ; Nieuwdorp-Dekeyzer 1997, S. 49.

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Abb. 92: Heimsuchung; Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier, fol. 473v.

nur ein Maler am Werk gewesen sein muß. Dabei stimmen die Miniaturen dieser Handschriften bezüglich ihrer Maltechnik, des Formen- und des Typenrepertoires so sehr überein, daß man immer wieder versucht ist, sie doch nur einem einzigen Illuminator zuzuschreiben, dem man allerdings große Schwankungen in qualitativer wie in gestalterischer Hinsicht konzidieren müßte. Die eindeutigsten Hinweise dafür, daß es sich doch um mehrere Ausführende handeln dürfte, die dasselbe Stilidiom bis zum Verwechseln ähnlich beherrschten (ein Phänomen, das auch in der Tafelmalerei hinlänglich bekannt ist)201, enthält Cod. Vind. Ser. n. 2625 – und das Antwerpener Brevier mit der soeben erwähnten Miniatur auf fol. 687v. 201 Hier sei nur auf das Verhältnis von Gerard David und Ambrosius Benson verwiesen. Solange Benson bei David tätig war, verfügte er offenbar über keinen „Individualstil“  ; alle Zuschreibungsversuche an ihn basieren auf Qualitätskriterien. Die Reihe ließe sich beliebig erweitern. Van Miegroet 1989, S. 27 ff., 345 f., Dok. 44, 45.

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Der Entwurf für die Darstellung des Tempelgangs der Jungfrau könnte vom Jakobsmeister selbst stammen – ein u-förmig angelegtes Raumkonzept in einem Bild, in dem an einen verräumlichten Vordergrund hinter einem Tordurchgang noch ein zweites abgeschlossenes Raumkompartiment anstelle eines Fernblicks angefügt ist. Bezüglich der Pinselfaktur ist die Miniatur durchaus bestechend, so daß die ausführende Hand nicht bloß als die eines untergeordneten Gehilfen abgetan werden kann – vielleicht zugleich ein Hinweis darauf, weshalb sie für die Fertigstellung des Benediktbildes nicht zur Verfügung stand. Was die Darstellung des Tempelganges von den anderen vier Vollbildern des Jakobsmeisters im Antwerpener Brevier unterscheidet, ist vor allem die Figurendarstellung. Alle drei Hauptpersonen – Joachim, Anna und ein Hohepriester – lassen im Rahmen des für den Jakobsmeister charakteristischen Typenrepertoires eine gewisse Schematisierung der Physiognomien erkennen  ; die Pupillen sind stechend dunkle Punkte, die von kreisförmigen Lidern umgeben sind, so daß die Figuren mit weit aufgerissenen Augen zu kommunizieren scheinen. Auch die plastische Gestaltung der Gesichter, etwa das Profil des Hohepriesters, läßt abrupt voneinander abgesetzte erhöhte und vertiefte Partien erkennen. All dies hat beispielsweise im Allerheiligenbild auf fol. 562v (Abb. 88) keine Entsprechung. Dort erfolgt die Modellierung der oft durchaus markanten Physiognomien subtil, und die vielfältig differenzierten Augenpartien der Kirchenmänner sind weit vom stechenden Einheitsblick der drei Akteure auf fol. 687v entfernt. Die Schematisierung betrifft auch Details wie das Ohr des Hohepriesters im Tempelgang, das um einiges einfacher ausgefallen ist als die entsprechenden Körperteile im Allerheiligenbild. Am irritierendsten ist jedoch eine gewisse Inhomogenität der Figurengestaltung  : Nicht nur, daß die Hände – im Vergleich zu jenen im Allerheiligen- oder im Benediktbild – unproportional klein ausgefallen sind, Zacharias wirkt auch insgesamt wie aus zwei verschiedenen Teilen zusammengesetzt  : Das Gewicht seines Oberkörpers scheint nur bedingt von seinen Beinen getragen, und obwohl der Künstler diesen Eindruck mit dem groß angelegten Mantelbausch zu verschleiern suchte, ist das Unbefriedigende der Lösung deutlich zu spüren. Möglicherweise lassen sich alle diese Diskrepanzen durch einen schlechten Tag des Illuminators, eine ungeeignete Vorlage oder eine geringere Sorgfalt aus welchen Gründen immer erklären. Hat man jedoch einmal die einheitliche und durchgehend überzeugende technische wie gestalterische Ausführung der halbfigurigen Heiligenbilder in Cod. Vat. Lat. 3768 gesehen, die nicht nur von großem Können, sondern auch von einer beachtlichen Konstanz zeugt, kann man sich mit obiger Begründung nicht wirklich anfreunden. Viel spricht dafür, daß der Jakobsmeister sogar für die wenigen Bilder, die er im Antwerpener Brevier beisteuerte, ein Alter Ego als Hilfe heranzog202.

202 Zum Phänomen des „Doppelgängers“ vgl. zuletzt Gullath-Hamburger-Schneider-Suckale 2002, S. 146.

Zusammenfassung

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Zusammenfassung Die im vorangegangenen Abschnitt angestellten Überlegungen zu jenen Arbeiten des Jakobsmeisters, die hier als frühe Gruppe bezeichnet werden, haben folgende Ergebnisse gebracht  : Die große formale Nähe der Miniaturen in den behandelten sechs Handschriften legt einen relativ kurzen Entstehungszeitraum für diese Werke nahe. Auf Grund der wenigen historischen Anhaltspunkte ist jedoch schwer zu entscheiden, wie viele Jahre dieser umfaßt haben könnte. Dabei ließ sich folgende Reihung aufstellen  : Noch in der ersten Hälfte der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts wurden die Miniaturen für Cod. Vind. Ser. n. 2625 geschaffen, nicht lange vor dem um 1495 datierbaren Ausstattungsanteil des Jakobsmeisters im Brevier Isabellas von Kastilien (Add. 18851). Die übrigen vier Handschriften erhielten in der darauf folgenden Zeitspanne bis zur Jahrhundertwende Beiträge von seiner Hand  : zuerst die beiden Miniaturen für das Isabella-Stundenbuch in Cleveland (CMA 1963.256), dann das etwas umfangreichere Bildprogramm für das Brevier der Eleonore von Portugal (M. 52), bald darauf die fünf Vollbilder für das Brevier in Antwerpen (Inv. Nr. 946) und schließlich die umfassende Ausstattung des vatikanischen Stundenbuchs Cod. Vat. Lat. 3770–68. Diese relativ kurze Zeitspanne, die eine enorme Produktivität des Meisters und seiner (gerade dadurch nahegelegten) Gehilfen anzeigt, wird durch den Umstand festgelegt, daß die Miniatur auf fol. 24v in Cod. Vind. 1897, dem Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland, um oder knapp vor 1503 anzusetzen sein dürfte und die in ihr manifesten Gestaltungsprinzipien eine Datierung nach dem vatikanischen Stundenbuch erforderlich machen. Für eine Entstehung der Jakobsminiatur schon bald nach 1500 (und nicht erst knapp vor 1513, dem Tod Jakobs) spricht auch die große Anzahl an Werken des Jakobsmeisters in der folgenden Zeit, die sowohl gegenüber dem Cod. Vind. 1897 als auch untereinander dermaßen große stilistische Unterschiede aufweisen, daß eine Zeitspanne von maximal fünf bis sechs Jahren dafür nicht ausreichen würde (wie sie sich bei einer Spätdatierung des Jakobsgebetbuchs gegenüber der Entstehung des 1520 in Venedig nachweisbaren Grimani-Breviers ergibt). Hier werden allerdings schon Probleme angesprochen, die Gegenstand der folgenden Untersuchungen sind.

II

Die Handschriften des frühen 16. Jahrhunderts Das Spinola-Stundenbuch Das im J.-Paul-Getty-Museum in Los Angeles unter der Signatur Ms. Ludwig IX 18 aufbewahrte, vergleichsweise kleinformatige Spinola-Stundenbuch203 wird in der Literatur meist in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datiert204 – in ein Jahrzehnt also, in dessen zweiter Hälfte auch das Grimani-Brevier und die von Gerard Horenbout gelieferten Miniaturen für das Sforza-Stundenbuch entstanden sind205. Konkrete historische Anhaltspunkte für eine präzise zeitliche Einordnung der Handschrift gibt es allerdings nicht. In seiner maßgeblichen Auseinandersetzung mit dieser Handschrift hat Joachim M. Plotzek Margarete von Österreich als Auftraggeberin erwogen206, was eine Entstehung der Handschrift nach 1506 (das Jahr, in dem Margarete als Statthalterin in die Niederlande kam) bedeuten würde. Gegen Margarete als Auftraggeberin spricht vordergründig wenig  ; es spricht aber auch nichts zwingend dafür. Plotzek interpretierte den am unteren Seitenrand einiger Blätter angeschnittenen Schriftzug Gh als Hinweis darauf, daß Gerard Horenbout der für die Ausstattung des Stundenbuchs Hauptverantwortliche war und somit mit dem Jakobsmeister identifiziert werden könne, der die meisten und wichtigsten Miniaturen in dieser Handschrift schuf207. Doch soll uns diese Frage vorläufig nicht tangieren. Hier gilt es, sich über die Stellung der Handschrift im Œuvre unseres Künstlers klar zu werden  ; alle anderen Überlegungen müssen dem hintangestellt werden. Eingangs liegt es nahe, das Verhältnis der Miniaturen von Ms. Ludwig IX 18 zu den Werken der frühen Gruppe zu überprüfen. Nicht nur befinden sich in letzterer einige bis vor kurzem in unmittelbare zeitliche Nähe zum Spinola-Stundebuch gerückte Arbeiten208  ; auch wurden deren Gestaltungsprinzipien bereits ausführlich dargelegt und können somit als solide Basis für unsere weiteren Überlegungen dienen. Da sich einige Miniaturen ähnlichen oder gleichen Inhalts sowohl in Cod. Vat. Lat. 3770–68 als auch in Ms. Ludwig IX 18 finden, bieten sich 203 London – Los Angeles 2003, S. 414–417 (Nr. 124), S. 529 (ausführliche Literaturangaben). 204 Siehe die Literaturangaben ebenda. Eine der Ausnahmen wäre de Winter 1981, S. 424 („ca. 1500“). 205 Vgl. hier Einleitung. 206 Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, S. 280 f.; auch Brinkmann 1992, S. 328 f. 207 Ebenda, S. 267 f. 208 So das vatikanische Stundenbuch, das Antwerpener Brevier oder auch Cod. Vind. Ser. n. 2625.

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vorrangig diese beiden Handschriften zu einer Gegenüberstellung an, noch dazu, da sie ja auch bis vor kurzem annähernd gleichzeitig datiert wurden209. Zu den sowohl thematisch als auch bezüglich der Bildlösung engst verwandten Darstellungen gehören jene der Totenwache auf fol. 184v in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 93) und auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 38). Beide Male wird innerhalb des eigentlichen Bildfeldes, in der hier so genannten Kernminiatur, der gleiche Interieureinblick gezeigt  : Am linken Rand betreten durch einen hölzernen Verbau einige Personen das Zimmer, das von einem rechts senkrecht zur Bildfläche und damit schräg verkürzt im Raum stehenden roten Himmelbett dominiert wird. Darauf liegt in Cod. Vat. Lat. 3768 bis auf ein Lendentuch nackt, in Ms. Ludwig IX 18 in einen blauen Mantel gehüllt der Verstorbene. Er ist in beiden Fällen von Klerikern bzw. Mönchen verschiedener Kongregationen und zwei trauernden Anverwandten umgeben, welch letztere wie die Kirchenmänner schwarze Kutten tragen. Im Spinola-Stundenbuch hat sich zudem eine größere Menge weltlicher Personen im Zimmer eingefunden, die sich bis auf zwei Ausnahmen taktvoll im linken Raumteil aufhalten  : Lediglich ein schwarz gekleideter, vornehmer Mann hat sich ans Bett vorgewagt, um sich mit betroffener Geste abzuwenden, und ein mit einem Schwert gegürteter Junker richtet soeben das Wort an einen am Fußende des Bettes knienden Mann, der zur Gänze in eine schwarze Kutte gehüllt ist. Dies dürfte kein Mönch, sondern der vom Tod des Protagonisten Hauptbetroffene sein, der sich als sogenannter „pleurant“ in die Anonymität der traditionell zu diesem Anlaß getragenen Tracht zurückgezogen hat  ; offensichtlich irritiert, wendet er sich von seiner Lektüre ab – und dem Kondolenten zu. Diesem im Vergleich zur vatikanischen Miniatur größeren Bildpersonal im Spinola-Stundenbuch entspricht die etwas kompliziertere Struktur des Raumes, der im Gegensatz zum flach gedeckten, hinten durch eine Wand mit Fenster und spärlichem Mobiliar abgeschlossenen Zimmer in Cod. Vat. Lat. 3768 eine Tonnenwölbung und eine Türöffnung an der Rückwand aufweist, durch die hindurch man in eine weitere Kammer mit Ausblick auf den grauen Himmel sieht. Auf einem Hausaltar an der linken Wand brennt eine einzelne Kerze vor einem Kruzifix. Korrespondierend mit dem reicheren und vielfältigeren Eindruck dieses Interieurs, wenn auch nicht als notwendige Folge davon, ist in Ms. Ludwig IX 18 eine größere Buntfarbigkeit als im vatikanischen Codex festzustellen, dessen Darstellung der Totenwache neben dem dominierenden Rot des Bettes nur noch eine kleine intensiv blaue Fläche in Form eines Kissens aufweist und ansonsten vom Schwarz-Weiß-Kontrast der Kutten und dem Grau-Braun der Raumausstattung bestimmt ist. Im Spinola-Stundenbuch sind demgegenüber nicht nur Grün und Gelb in den Farbenkanon aufgenommen, sondern neben dem reinen Rot des Himmelbettes auch mehrere anderer Rottöne hinzugezogen. Der detaillierteren Erzählung entspricht somit die abwechslungsreichere Palette, und dies, obwohl die Miniatur des Getty-Stundenbuchs um einige Zentimeter kleiner ist als ihr Gegenstück in Rom, mit der geringeren Größe also nicht eine Reduktion, sondern eine zusätzliche Differenzierung der Darstellung einhergeht. 209 Köln 1992, S. 286 ff.

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Abb. 93: Totenwache; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 184v.

Freilich dürfte das Spinola-Stundenbuch auch ein besonders aufwendiger, gut bezahlter Auftrag gewesen sein, wie der Vergleich des Randleistenbereiches der beiden aktuellen Miniaturen nahelegt. Während im vatikanischen Codex eine gängige (wenn auch besonders qualitätvoll ausgeführte) Blumenbordüre das Bild umgibt, findet in Ms. Ludwig IX 18 die gerahmte Darstellung im Marginalbereich ihre Fortsetzung210  : Am linken Seitenrand er210 Der höchst interessante Umgang des Jakobsmeisters mit dem Problem der gemalten Bordüre bzw. ihrer Integration in die Bilderzählung wurde in dieser Untersuchung weitgehend ausgeklammert. Dies deshalb, weil das höchst interessante Thema der illusionistischen und narrativen Randbereichdarstellungen in der flämischen Buchmalerei des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, für deren (Weiter-)Entwicklung die Lösungen des Jakobsmeisters (nicht nur im Spinola-Stundenbuch) eine wesentliche Rolle spielten, einer vertieften Untersuchung in einem

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Die Handschriften des frühen 16. Jahrhunderts

scheint die Außenansicht jenes Gebäudes, dessen Interieur die Kernminiatur zeigt, sowie über die Mauer des Vorgartens hinweg ein städtisches Ambiente. Nach vorne (also unten) zu grenzt die Gartenmauer eine Landschaft aus, die das Bas de page und den rechten Seitenrand einnimmt und zum Schauplatz eines unheimlichen Jagdunfalls wird, der einem der drei involvierten Reiter das Leben kostet  : Der Tod in Form eines halbverwesten, mit einem Leichentuch umwickelten Gerippes zielt mit seinem Speer auf einen mitsamt seinem Roß gestürzten Edelmann, dessen Gefährten auf scheuenden Pferden zu fliehen versuchen. Wie sehr diese Szene, abgeleitet von der traditionellen Darstellung der drei Lebenden und der drei Toten, einem althergebrachten und in der flämischen Buchmalerei der Zeit häufig verbildlichten Thema, sich inhaltlich auf das in der Kernminiatur dargestellte Geschehen bezieht, wird an einem Detail klar  : Der mit seinem Tod konfrontierte Jäger trägt die gleiche aus schwarzen und goldenen Gliedern zusammengesetzte Halskette wie die Figur auf dem Totenbett, inzwischen ihres Reitkostüms entledigt und mit dem Beistand der zahlreichen Gottesmänner offenbar friedlich verschieden. Auch der das Gebet des Pleurants störende Junker, der eine prominente Position in der Bilderzählung einnimmt, könnte einer der Akteure im Bas de page sein. Er trägt bis auf den roten Mantel und die gelben Stiefel die gleiche Kleidung wie der links unten davonsprengende Reiter, inclusive dem großen Schwert, das er bei seiner Flucht noch rasch aus der Scheide zu ziehen versucht. Nur die auffällige, aber undeutbare Verzierung auf seiner Kappe ist auf jener, die der Junker in der Hand trägt, nicht zu erkennen. Der gesamte Randbereich wurde offensichtlich von derselben Hand gemalt wie die Kernminiatur. Es versteht sich von selbst, daß eine solche Seitengestaltung zeitaufwendiger und damit sicherlich auch teurer war als die in den meisten Andachtsbüchern dieser Zeit übliche Ausstattung des Marginalbereichs mit Blumenbordüren durch entsprechende Spezialisten. Es stellt sich also die Frage, ob nicht auch die größere erzählerische Dichte (vielleicht sogar die differenziertere Buntfarbigkeit) der Totenwache im Spinola- gegenüber jener im vatikanischen Stundenbuch eine Folge der besseren Bezahlung war. Ganz auszuschließen ist das nicht. Allerdings ist schwer vorstellbar, wie ein/e Auftraggeber/in dahingehende Wünsche geäußert haben sollte. Selbst eine ausdrückliche Bestellung des Layouts scheint ohne Beratung durch den Maler nicht denkbar, zumal dem Klientel die visuelle Erfahrung für solche Vorschläge wohl gefehlt haben dürfte. Gerade die sukzessive Annäherung an eine befriedigende Seitenkomposition, wie sie in den Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18 ablesbar ist, spricht für einen hohen Eigenanteil des Illuminators bei der Wahl und Umsetzung seines anspruchsvollen Mise en page. Noch weniger plausibel scheint eine Einflußnahme der Besteller/innen auf die Gestaltungsprinzipien. Den besten Beweis hierfür erbringen die von den anderen in Ms. Ludwig IX 18 tätigen Illuminatoren ausgeführten Miniaturen, die hinsichtlich der formalen Umsetzung deutlich von jener des Jakobsmeisters abweichen  : Es scheint also, daß, was immer von unserem Künstler geboten wurde, seine ganz individuelle Leistung war, die durch die größeren Rahmen bedürfte. Grundlegend dazu Pächt 1948  ; vgl. auch Brinkmann 1992a  ; Brinkmann 1997, S. 325–329.

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eingeforderte Aufgabe (und damit auch entsprechende Entlohnung) vielleicht gefördert, aber gewiß nicht ausschließlich bestimmt wurde. Vergleicht man die Gestaltungsprinzipien in Cod. Vat. Lat. 3768 und in Ms. Ludwig IX 18, so zeigen sich bei allen Gemeinsamkeiten doch beträchtliche Unterschiede, die einmal mehr – in Ermangelung anderer überzeugender Erklärungen, wie soeben erörtert wurde – als Entwicklungsfaktoren gelesen werden müssen. Grundsätzlich scheint die Konstruktion von Tiefenraum in den beiden Totenwachen auf dem gleichen Prinzip zu beruhen. Beide Male bestimmt das schräg verkürzte Bett den Raumeindruck, und beide Male bilden die (im Fall des vatikanischen Stundenbuchs stärkeren) Inkongruenzen zwischen der Position des Verstorbenen und der Verkürzung der Liegestatt Abb. 94: Pfingsten; Los Angeles, The J. Paul einen gewissen Störfaktor. Die Anordnung Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinolader Figuren an den Bettflanken, aber auch Stundenbuch, fol. 31v. am Fußende der Liegestatt unterstreicht in beiden Fällen die räumliche Stellung des Möbels, desgleichen der Verlauf des Schilfmattenbodens, der in Cod. Vat. Lat. 3768 ebenfalls einige Ungereimtheiten (so im Bereich bei der Tür links) erkennen läßt, die in Ms. Ludwig IX 18 überzeugend beseitigt werden konnten. Dort sind perspektivische Unstimmigkeiten auf ein Minimum reduziert, während sie im vatikanischen Stundenbuch auch am rechten Miniaturrand auftreten, wo durch den Verlauf des Bettes und Bodens unvorbereitet im oberen Bildteil die rechte Seitenwand des Zimmers mit einer weiteren Türöffnung auftaucht, deren Existenz den von den wesentlichen Bildelementen getragenen Raumeindruck empfindlich stört. Abgesehen von diesen kleinen Unterschieden bezüglich der überzeugenden Tiefensuggestion gibt es eine große (wenn auch nur in scheinbaren Details ablesbare) Diskrepanz in der Raumauffassung der beiden Sterbeszenen. Wie in vielen anderen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs kommt es auch auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3768 zu einer singulären, durch diagonale Raumvektoren bestimmten Tiefenflucht mit der Tendenz, einen bildparallelen Vordergrund als Ausgangspunkt zu schaffen. Demgegenüber wirkt der Raum im Spinola-Stundenbuch geräumiger im Sinne eines auch in der Breite wirksamen Kontinuums, in dem sich die Akteure gleichsam kreisend bewegen. Das niedrigere und engere Zimmer in Cod. Vat. Lat. 3768 mit dadurch steiler aufeinander zuhaltenden Diagonalen verschärft den Tiefensog  : Dies zeigt sich im Verhältnis der Liegestatt zum Baldachin, deren beider Projek-

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tion einen spitzen Winkel ergibt. Auch die unverstellte Seitenwand des Holzverschlags am Eingang (der sich im Gegensatz zu jenem im Spinola-Stundenbuch nach hinten zu öffnet und somit zusätzlich Tiefe schafft) trägt zusammen mit der rechts oben sichtbaren Seitenwand zu einer Trichterform des Zimmers bei, die freilich mit dem Bettverlauf kollidiert. Auch die Staffelung dreier Kleriker an der linken und zweier an der rechten Bettflanke unterstreicht den Tiefenzug der Liegestatt und damit den räumlich aggressiven Aspekt der Miniatur. Am Fußende des Bettes ist ein Bodenstreifen hin zum unteren Seitenrand frei gelassen. Dadurch wird das Bett mitsamt den Figuren in den Raum hineingerückt, was durch das Repoussoirmotiv des Schemels mit dem Kerzenständer und der liegenden Kerze sowie durch den dort hockenden Mönch noch unterstrichen wird. Doch etablieren der leere Vordergrundstreifen und die bildparallel darauf aufgereihten Figuren und Gegenstände auch eine erste, eigentlich nur bedingt in die Tiefenflucht einbezogene Raumschicht. Sie kann ambivalent, also auch wie ein bildparalleler Streifen gelesen werden und wäre damit ein vorsichtiger Ansatz zu jener Frontalisierung, die in anderen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs so deutlich zu Tage tritt. Die Orientierung der drei ganz rechts befindlichen, energisch zur Mittelachse hin gewandten Figuren auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3768 bietet dem starken Rechtszug Einhalt, der durch die Positionierung des Bettes und den nach rechts hinten verlaufenden Tiefenzug zustandekommt und dem die rechte Seitenwand wohl ebenso entgegenwirken soll wie die zweite Raumflucht links oben. Darüber hinaus wird durch die übereinander gestaffelten, teils aufrechten Figuren am rechten Seitenrand wie durch den herabhängenden Vorhang ebenda ein vertikales Element eingebracht, das offenbar als Gegensatz zur bildparallelen horizontalen Vordergrundzone gedacht ist. Damit wird ein orthogonaler Raster von Horizontalen und Vertikalen einerseits, bildparallelen und raumorientierten Elementen andererseits geschaffen, das dem Bildganzen eine gewisse wohlgeordnete Strenge verleiht. Die Spinola-Totenwache läßt nichts von diesen Gestaltungsprinzipien erkennen. Das höhere und offenbar auch breitere Zimmer auf fol. 184v in Ms. Ludwig IX 18 (dessen rechte Seitenwand nicht sichtbar ist) sowie das imposantere Himmelbett, dessen beide Vorhangteile hochgebunden sind, vermitteln von vornherein einen weiten und geräumigen Eindruck, der von der Anordnung und Bewegung der Figuren wesentlich mitbestimmt wird. Die Trauernden scheinen im Raum und um das Bett zu kreisen. Die links (und nicht etwa von hinten) eintretenden Männer wirken nicht so, als würden sie sich unmittelbar zur Liegestatt rechts wenden – abzusehen ist, daß sie sich jener Gruppe anschließen, die parallel zur linken Wand und dann in einem Bogen auf das Bett zu angeordnet ist. Diese quasi nach hinten ausund dann zurückschwingende Bewegung wird von dem sich soeben vom Sterbenden abwendenden Laien an der linken Bettflanke aufgegriffen und nach vorne weitergeleitet. Dort, am Fußende des Bettes, bricht der Bewegungszug erneut um und schwenkt (über das ausladend auf dem Boden drapierte Gewand des in seinem Gebet unterbrochenen Trauernden) in einen Halbkreis um die Liegestatt ein, der von den beiden radial ausgerichtet auf dem Podest sitzenden Mönchen zu den beiden am rechten Bildrand knienden Ordensbrüdern weitergeführt wird.

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Obwohl also eine weit konsequenter arrangierte Bildtiefe als auf fol. 3v in Cod. Vat. Lat. 3768 an zahlreichen Elementen der Spinola-Miniatur sichtbar wird, ist der Raumeindruck dieser Szene doch keinesfalls von einem Tiefensog geprägt. Zudem wurde die vordere Raumschicht durch die unterschiedliche Positionierung und Ausrichtung der Protagonisten gegenüber jener im vatikanischen Bild völlig umgedeutet. Dies wird bei einem Vergleich der jeweils ganz anders auf den Raum reagierenden Figuren der beiden Mönche am Fußende des Bettes ersichtlich, die im einen Fall ins Bild hinein bzw. im Gleichklang mit dem dominierenden Raumvektor positioniert sind, im anderen aus der Raumdiagonale sowie aus dem Bild herausdrehen. Auch die Gegenüberstellung vertikaler und horizontaler Elemente entfällt in Ms. Ludwig IX 18. Es mag kein Zufall sein, daß am Kopfende des Bettes im vatikanischen Stundenbuch ein Kreuz, an derselben Stelle im Spinola-Stundenbuch ein Bildmedaillon angebracht ist (das überdies, wie die hier deutlich sichtbare Vorzeichnung erkennen läßt, ursprünglich größer und somit auffälliger geplant war als letztlich ausgeführt)  ; die dort auszunehmende Fältelung des hinteren Bettvorhangs in horizontale und vertikale Linien ist demgegenüber zu kleinteilig und damit rasterartig, um den Bildeindruck insgesamt in irgend­ einer Weise zu beeinflussen. Wie schon aus dem bisher Gesagten hervorging, zeichnen sich auch die Figuren im Spinola-Stundenbuch durch eine freiere Beweglichkeit im Raum aus. Sie sind nicht nur räumlicher angeordnet, sondern auch in verschiedenen raumorientierten Stellungen und Gebärden gezeigt. Freilich ist die Vergleichsmöglichkeit mit dem vatikanischen Stundenbuch diesbezüglich beschränkt, zumal dort weit weniger (und weniger aktive) Akteure erscheinen  ; doch ist auch dies kein Zufall. Die vatikanischen Figuren wirken schärfer konturiert  ; die durchaus plastischen Einzelformen (etwa die Falten) verleihen eher der Oberfläche Relief als dem Körper Volumen  ; einzige Ausnahme bildet die Sitzfigur des Karmeliters vorne, die schräg in den Raum orientiert ist und deren Kapuze in einer Rundung den Kopf hinterfängt. Doch werden gerade im Vergleich zu dem weit frontaler kauernden Karmeliter im Spinola-Stundenbuch markante Unterschiede deutlich. Dieser ist ein untersetzter Mensch, ein physisches Merkmal, das er mit den meisten Protagonisten seiner Miniatur teilt und das eine Leibesfülle abseits jeder plastischen Modellierung suggeriert. Seine Modellierung unterscheidet sich darüber hi­ naus in zwei Punkten von der seines Pendants in der vatikanischen Miniatur. Die plastischen Einzelformen sind in Ms. Ludwig IX 18 nicht so scharf herausgearbeitet wie in Cod. Vat. Lat. 3768  ; dafür ist die gesamte vom Betrachter aus gesehen rechte Seite der Figur abgedunkelt, was ihr Volumen verleiht und zudem ein geradezu atmosphärisches Verschmelzen mit dem benachbarten Franziskaner bewirkt. Auch ist im Spinola-Stundenbuch das Umknicken des Mantels auf der Brüstung des Bettpodests klar nachvollziehbar, während im vatikanischen Stundenbuch ein undifferenziertes Faltengeknitter den Übergang von aufliegenden und herabfallenden Stoffpartien überspielt. Dadurch wird das Sitzmotiv (und damit das Gewicht der Figur) im Spinola-Stundenbuch verdeutlicht, im vatikanischen Stundenbuch verunklärt. Die mangelnde Detailplastizität in Ms. Ludwig IX 18 ist freilich auch eine Folge der gegenüber jener im vatikanischen Stundenbuch weit differenzierteren Pinselführung. Die Farben (oder auch nur deren verschiedene Helligkeitswerte) werden im Spinola-Stundenbuch

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weder abrupt nebeneinandergesetzt noch mit schraffurartigen Pinselstrichen modelliert – die Faktur ist feiner und bewirkt einen optisch vielschichtigeren und weicheren Aufbau der modellierten Farbflächen. Bis zu einem gewissen Grad ähnelt diese Malweise dem Farbauftrag in der namensgebenden Miniatur auf fol. 24v des Jakobsgebetbuches (Cod. Vind. 1897) (Taf. I). Ehe wir uns aber einem Vergleich mit diesem Werk zuwenden, soll die Gegenüberstellung mit dem vatikanischen Stundenbuch noch vertieft werden. Dies um so mehr deshalb, weil es möglich ist, daß gerade die Totenwache im vatikanischen Stundenbuch nicht nur durch einen Mitarbeiter des Jakobsmeisters ausgeführt, sondern dabei auch eine ältere, vielleicht nicht einmal von unserem Künstler stammende Vorlage umgesetzt wurde. Eine praktisch identische Komposition befindet sich auf fol. 118v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XIII). Sie wurde von einem Illuminator gemalt, der in dieser Handschrift nur noch eine weitere Miniatur schuf  : die Darstellung des Weltgerichts auf fol. 102v (Taf. XII). Wohl nicht zufällig findet sich eine exakte Replik auch dieser Bildvorlage auf fol. 222v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 47). Die Miniaturen des Weltgerichts und der Totenwache sind die beiden einzigen des vatikanischen Stundenbuchs, von denen es eine bis ins Detail übereinstimmende Zweitversion (eben jene im Vindobonensis) gibt, und dasselbe gilt für die beiden Bilder in Cod. Vind. Ser. n. 2625. Da der Maler dieser Szenen im Wiener Stundenbuch ein vergleichsweise schwacher ist, dessen eventuelle Zusammengehörigkeit mit dem Jakobsmeister ausschließlich durch die Wiederverwendung seiner Kompositionen im Vaticanus nahegelegt wird, wäre die einleuchtendste Erklärung dieses Sachverhalts, daß der im Vindobonensis tätige Illuminator die Miniaturen des Vaticanus kopiert hat. Da aber die Arbeiten des Jakobsmeisters in Cod. Vind. Ser. n. 2625 vor jenen im vatikanischen Stundenbuch anzusetzen sind211, könnte dies nur dann zutreffen, wenn Cod. Vind. Ser. n. 2625 unvollendet liegengeblieben und erst um oder nach 1500 durch den Maler der beiden gegenständlichen Miniaturen fertiggestellt worden wäre. Dies ist insofern nicht ausgeschlossen, als der Illuminator des Weltgerichts und der Totenwache im Vindobonensis nicht zu den engeren Mitarbeitern des Jakobsmeisters gehörte und somit auch zu einem späteren Datum gearbeitet haben könnte. Unser Künstler jedenfalls zeigt so gut wie keine exakten Repliken in seinem Œuvre, sondern stets Variationen einmal entwickelter Bildlösungen  ; dies ist geradezu sein Markenzeichen. Finden sich doch einmal Kopien (wie in einem weiter unten zu erörternden Fall)212, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die entsprechenden Miniaturen nicht eigenhändig, sondern von Mitarbeitern gemacht sind. Dies wäre zugleich die zweite Erklärungsmöglichkeit für die geschilderte Konstellation im Wiener und im vatikanischen Stundenbuch  : die beiden hochqualitativen und ganz im Stil des Jakobsmeisters gemalten Miniaturen auf fol. 222v des ersten (Abb. 47) und auf fol. 3v des dritten Bandes (Abb. 38) des Vaticanus könnten das Werk eines jener hervorragenden Ma211 Die einzige andere Erklärung wäre, daß die ausführenden Künstler – also die jeweils in den beiden Handschriften tätigen Jakobsmeister – nicht identisch sind, was m. E. nicht zutrifft. Vgl. oben Kap. III 1 b, c. 212 Vgl. unten Kap. IV 2, 3.

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ler sein, die im unmittelbaren Kreis des Jakobsmeisters arbeiteten. Im Falle des Weltgerichts würde es sich um einen regelrechten „Doppelgänger“ des Meisters handeln, da das technische und motivische Erscheinungsbild dem des Gros der anderen Miniaturen in dieser Handschrift entspricht. Im Falle der Totenwache weist jedoch die etwas härtere Ausführung mit teils stark betonten Umrissen auf einen Maler, dem u. a. vielleicht auch die Heimsuchungsminiatur auf fol. 139v (Abb. 20) von Cod. Vat. Lat. 3770 zuzuschreiben ist. Daß auch dieser Künstler Korrekturen an seiner Vorlage vornahm, die den im vatikanischen Stundenbuch angewandten Gestaltungsprinzipien des Jakobsmeisters entsprechen, kann anhand einiger Details gezeigt werden. So ist in der Wiener Totenwache (Taf. XIII) die Kerze auf dem Betschemel im Vordergrund im selben Winkel wie das Bett verkürzt, während sie im vatikanischen Stundenbuch leicht quer dazu gelegt wurde und damit die Unabhängigkeit der vorderen Raumschicht von dem Tiefenzug dahinter andeutet. Daß aber die Sogwirkung der unmittelbar dahinter einsetzenden räumlichen Konstruktion im Vaticanus stärker als im Vindobonensis ist, zeigt die Tatsache, daß in ersterem auch eine rechte, sich ebenfalls zur Mitte hin verkürzende Seitenwand eingeführt wurde  : der damit intendierte Raumtrichter wurde bereits angesprochen. Schließlich erklärt sich auch noch das in der vatikanischen Miniatur ein wenig irritierende Detail der zweiten Tiefenflucht im Türverschlag links. Denn im Wiener Bild wird durch die Staffelung der links neben dem Bett plazierten Dominikaner exakt bis zum Türverschlag hin eine zweite (den durch das Bett vorgegebenen primären Raumvektor kreuzende) Diagonale von rechts vorne nach links hinten angedeutet, die schon vom ausführenden Maler nicht optimal umgesetzt, vom Illuminator der vatikanischen Miniatur aber ganz unterbunden wurde. Im Vaticanus sind die Mönche so weit vom Türverschlag abgerückt, daß dessen verkürzte Seitenwand (zugleich die linke des Raumtrichters) voll sichtbar ist  ; sie wird als vertikales und damit die beiden Figurengruppen (die in der Tür und die am Bett) trennendes Element wahrgenommen. Die Vertikalität wird zusätzlich noch dadurch unterstrichen, daß der nach oben gebundene Bettvorhang links exakt den Kopf des Dominikaners darunter zu berühren scheint, wodurch eine durchgehende Senkrechte entsteht, die von der brennenden Kerze davor (auf der Bildfläche darunter) aufgegriffen wird. Man mag über die Qualität dieser Lösung streiten, fest steht, daß sie einer Intention entspringt, die in Cod. Vind. Ser. n. 2625 nicht vorhanden war, wie die größeren Abstände zwischen der Kerze, dem Mönch und dem Knäuel beweisen. Überhaupt wird nach dem Gesagten offensichtlich, daß die Wiener Miniatur nach einer Vorlage jenes Künstlers gemacht worden sein könnte, der in derselben Handschrift die Hirtenverkündigung und die Epiphanie schuf. Vor allem letztere Miniatur (Taf. X) zeigt einen ganz ähnlichen Bildaufbau mit einem dominierenden Tiefenzug von links vorne nach rechts hinten und einer ihn kreuzenden (dort allerdings handlungsmäßig betonten) Diagonale, die zu einem zweiten Ausblick führt. Wenn man bedenkt, daß der für die Wiener Totenwache verantwortliche Maler sein Vorbild wohl nicht zur Gänze verstanden und daher auch nicht vollkommen umgesetzt hat, kann man mit weitgehender Sicherheit darauf schließen, daß dieses nach eben jenen Gestaltungsprinzipien aufgebaut war, die auch die beiden anderen genannten Miniaturen von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. VIII, X) kennzeichnen.

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Es scheint also wichtig, die Gegenüberstellung des vatikanischen und des Spinola-Stundenbuchs noch um andere Beispiele zu erweitern und zu überprüfen, ob die anhand der beiden Darstellungen der Totenwache gemachten Beobachtungen sich auch durch andere Vergleiche bestätigen lassen. Die Pfingstminiaturen der beiden Stundenbücher (Cod. Vat. Lat. 3769, fol. 45v, und Ms. Ludwig IX 18, fol. 31v) (Abb. 34, 94) bieten sich hierfür an. Sie zeigen beide ein tonnengewölbtes Interieur, das im vatikanischen Stundenbuch eine Mischung aus Sakralraum und Wohnstube ist. Der Einblick in diese Kammer, die an der Rückwand eine Tür in einen (mit Fenster ins Freie ausgestatteten) Vorraum und eine Luke im oberen Bereich aufweist, erinnert überraschenderweise an jenen ins Sterbezimmer auf fol. 184v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 93). Das Interieur des Pfingstwunders auf fol. 31v des Spinola-Stundenbuchs ist demgegenüber anders organisiert. Es präsentiert sich als genuiner, wenn auch nobler Wohnraum, von dem – im Gegensatz zur vatikanischen Miniatur gleichen Inhalts (wo nur die linke Seiten- und die Rückwand zu sehen sind) – beide Seitenwände gezeigt werden. Die rechte ist drastisch angeschnitten und steil verkürzt, die linke etwas flacher, aber immer noch steiler als im vatikanischen Stundenbuch in die Tiefe führend. Drei wesentliche Unterschiede der Raumgestaltung fallen sofort ins Auge  : Zum einen erscheint der Raum im vatikanischen Stundenbuch um einiges tiefer als jener in Ms. Ludwig IX 18. Da der Künstler diese Tiefe aber nur mittels Raumsprung suggerieren kann, was die gegenständliche Ausformung des Zimmers mit einer kontinuierlich nach hinten fluchtenden Seitenwand nicht erlaubt, kommt es zweitens im Gegensatz zum Bild im Spinola-Stundenbuch zu starken perspektivischen Unstimmigkeiten. Was diesen Raumsprung schließlich dennoch verdeutlicht und damit die Tiefe des Interieurs erst erfahrbar macht, sind die Figuren, die drittens anders als in der Spinola-Miniatur in zwei Gruppen, eine vordere, vergleichsweise nahsichtige, und eine hintere auseinanderfallen. Im Spinola-Stundenbuch erscheint demgegenüber eine einzige homogene Gruppe den Raum vollständig in Besitz zu nehmen. Ebenfalls überraschend ist, daß auch im vatikanischen Stundenbuch an der vorderen Gruppe, die Maria und fünf Apostel umfaßt, der Versuch einer nicht nur räumlichen, sondern sogar kreisenden Anordnung spürbar wird. Während Maria und zwei Apostel im linken Vordergrund eine eng zusammengeschlossene, entlang des primären Raumvektors von links vorne nach rechts hinten gestaffelte resp. ausgerichtete Subgruppe bilden, wenden sich die beiden rechts knienden Jünger der Gottesmutter solcherart zu, daß sie zusammen mit den beiden linken Heiligen eine Art Halbkreis beschreiben. Dem schließt sich auch der weiter hinten am rechten Bildrand kniende Apostel an  ; zudem vermittelt er zwischen den beiden Figurengruppen, zumal er in seiner Ausrichtung eindeutig zur vorderen gehört, in seiner Größe und Haltung jedoch deutliche Affinitäten zur hinteren entwickelt. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der geradlinige, einen aggressiven Tiefensog suggerierende Raumvektor, der Raumsprung und die daraus resultierenden Unstimmigkeiten sowie die damit konforme Figurenanordnung wesentliche Unterschiede gegenüber der Spinola-Pfingstminiatur darstellen. Das klar organisierte und von den Figuren zur Gänze beanspruchte Zimmer in Ms. Ludwig IX 18 offenbart ein grundsätzlich anderes Raumverständnis. Bezeichnend ist, daß trotz der Verkürzung der Seitenwände und des daran aufge-

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stellten Mobiliars kein Tiefensog zustande kommt – dieser wird durch die Figuren verhindert, aber nicht, indem sie ihn verstellen, sondern indem sie der perspektivischen Konstruktion eine kreisähnliche Anordnung und freie Beweglichkeit in verschiedenste Raumrichtungen entgegenhalten. Interessant ist ein Vergleich der Polychromie der beiden Pfingstbilder unter Einbeziehung der beiden besprochenen Totenbettminiaturen (Abb. 38, 93). Die Pfingstminiatur des vatikanischen Stundenbuchs zeichnet sich nämlich durch eine besonders kräftige Buntfarbigkeit aus, während jene der Spinola-Handschrift als Semigrisaille ausgeführt wurde. Damit ergibt sich bei oberflächlicher Betrachtung genau der umgekehrte Sachverhalt wie bei den Totenbettminiaturen, was die aus diesem Vergleich resultierenden Ergebnisse in Frage zu stellen scheint. Wie in Abb. 95: Fronleichnamsprozession; Los Angeles, der Totenwache des Spinola-Stundenbuchs The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, ist auch in der Pfingstszene von Cod. Vat. Spinola-Stundenbuch, fol. 48v. Lat. 3769 eine besondere Vorliebe des Illuminators für verschiedene Rot-(hier ergänzt durch verschiedene Blau-)töne zu bemerken, die unmittelbar nebeneinandergesetzt werden. Dabei zeigt die vatikanische Miniatur trotz großer Farbenvielfalt eine Tendenz zu plakativen Kontrasten (sowie die Bevorzugung von Primär- und Sekundärfarben), was der Farbgebung der Totenbettminiatur in Cod. Vat. Lat. 3768 mit dem roten Himmelbett, dem blauen Kissen und den schwarz-weißen Mönchskutten durchaus entspricht. Die Darstellung der Totenwache auf fol. 184v in Ms. Ludwig wirkt demgegenüber differenzierter koloriert, und diese delikate Farbästhetik manifestiert sich auch in der Wahl des Altrosa, des hellen Grün und des tiefen Nachtblau als Pendants zur extrem hellen Grisaille im Pfingstbild ebenda. Auch wenn man andere, teils auffallend buntfarbige Bilder des Spinola-Stundenbuchs in die Überlegungen miteinbezieht, bleiben die Vielfalt an differenzierten Farbausmischungen und das besondere Raffinement bei der Zusammen- und Gegenüberstellung von Farbtönen und -werten ein besonderes Merkmal dieser Handschrift. Das geht so weit, daß des öfteren verschiedene Goldtöne nebeneinandergesetzt werden. Was im vatikanischen Stundenbuch noch durch verschiedene Musterung auf einem einheitlichen Goldton erzielt wurde, nämlich der Eindruck verschiedenfarbiger Goldbrokatstoffe (beispielsweise in der Miniatur der Krönung Davids auf fol. 95v von Cod. Vat. Lat. 3770, Abb. 45), wird im Spinola-Stundenbuch zu einer optischen Differenzierung der Goldfarbe vorangetrieben, etwa in der Fronleichnamsminiatur auf fol. 48v (Abb. 95), wo der Goldbrokatmantel

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des Papstes eklatant von dem rötlichen Goldbrokat seiner Thronbespannung abweicht  ; und ebenso unterscheiden sich die Meßgewänder der kerzentragenden Kleriker in dieser Miniatur von der Schabracke jenes Pferdes, das die Monstranz mit der Hostie auf dem Rücken trägt. Die eben erwähnte Fronleichnamsminiatur des Spinola-Stundenbuchs hat ihr Pendant auf fol. 68v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 35), und einmal mehr erweist sich die Gegenüberstellung als aufschlußreich. Allerdings muß vorweggenommen werden, daß die GettyMiniatur hier eine ganz besondere Lösung ist, zumal es sich um eines der wenigen Bilder der Handschrift handelt, in dem die Szene inner- und außerhalb der Kernminiatur vollkommen vereinheitlicht ist – nicht nur bezüglich des Ortes, wie es in zahlreichen Spinola-Miniaturen suggeriert wird, sondern auch bezüglich der Zeit. Der Vergleich der vatikanischen und der Spinola-Miniatur wird also einerseits ein ausschließlich den Miniaturrahmen besetzendes Bild und andererseits eine den Miniatur- und den Bordürengrund gleichermaßen beanspruchende Darstellung behandeln müssen. Dennoch sollen einander zuerst die beiden durch den Miniatur- (und nicht durch den Bordüren-)rahmen begrenzten Szenen gegenübergestellt werden. Beide Male befindet sich dort die Hostie in der Monstranz unter einem Baldachin, im vatikanischen Stundenbuch in den Händen eines Priesters, im Spinola-Stundenbuch auf einem Pferd. Die Träger des Baldachins sind im ersteren Fall Laien, im zweiteren Fall Kleriker, und aus den jeweiligen Kreisen rekrutieren sich auch die Kerzenträger in den beiden Bildern. Daß im Spinola-Stundenbuch eine wesentlich aufwendigere Prozession als in Cod. Vat. Lat. 3769 dargestellt ist, läßt schon der Bildausschnitt innerhalb der Kernminiatur erkennen  : Das kirchliche Personal ist in der Überzahl, und bei den Laien dürfte es sich um Angehörige von Bruderschaften handeln, wofür die uniforme Kleidung und die eindeutig zugeordneten Tätigkeiten sprechen. Ungeachtet dessen, daß sich die Prozession in Cod. Vat. Lat. 3769 nach links, in Ms. Ludwig IX 18 nach rechts bewegt, ähneln einander die Kompositionen sehr. Beide Male kommt der Menschenzug in einer leichten Schräge aus der Tiefe, was im Spinola-Stundenbuch durch einen Kunstgriff veranschaulicht wird. Die Figuren haben eigentlich schon im linken Marginalbereich die Kirche verlassen und sind im inneren Bildfeld bereits in eine bildparallele Bewegung eingeschwenkt  ; doch wurde am linken Rand der Kernminiatur eine Gruppe von Personen offenbar nach hinten zu abgedrängt und kommt nun in einer Parallelbewegung mit dem in der Randleistenzone sichtbaren Papstthron nach vorne. Dadurch entsteht ein ähnlicher Eindruck wie im vatikanischen Stundenbuch, wo auch zwischen äußerem Bildrand und Baldachingestänge der von hinten kommende Teil des Zuges erscheint. In beiden Miniaturen ist zudem der Baldachin leicht in den Raum gedreht  : in der vatikanischen Miniatur nach links vorne, im Spinola-Stundenbuch nach rechts hinten. Diese jeweils andere Orientierung zeitigt große Wirkung. Im Vaticanus kulminiert die bereits bekannte Gegenüberstellung einer bildparallelen Vordergrundschicht mit einer enormen Tiefenflucht dadurch, daß die im rechten Hintergrund begonnene Vorwärtsbewegung vor den beiden vorderen Baldachinträgern abrupt und nahezu vertikal in die Tiefe umbricht. Durch den plötzlichen Richtungswechsel, der sich gleichsam in einem spitzen Winkel vollzieht, wird der Gegensatz zwischen waagrechter (flächenkonformer) und senkrechter (räumli-

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cher) Orientierung besonders betont. Demgegenüber bewegt sich der Baldachin im SpinolaStundenbuch bereits in jene Richtung, in die die Figuren nach hinten schreiten. Sachte wird ein Tiefenzug eingeleitet, der in der Folge noch durch viele andere Elemente seiner aggressiv räumlichen Wirkung beraubt ist. Innerhalb der Kernminiatur ist es die halbhohe, am Strebewerk des nach rechts orientierten Chores ansetzende Mauer, die die Prozession wieder zurück nach links ausrichtet und zugleich den Blick darauf so verstellt, daß der Raumvektor entscheidend an Wirkung einbüßt. Die Figuren werden nicht wie im vatikanischen Stundenbuch räumlich gestaffelt, sondern als Masse wahrgenommen, und die perspektivisch verkürzte Mauer windet sich unter mehrfachem Richtungswechsel nach hinten. Somit wird schon im inneren Bildfeld jenes Raumprinzip verwirklich, das auch die Gesamtszene kennzeichnet  : Der Raum wird als ein Kontinuum aufgefaßt, in dem sich die Figuren in verschiedene Richtungen bewegen. Innerhalb der Kernszene wird ähnlich einem Interieur ein abgegrenzter, mäßig tiefer (durch die auf den Chorschluß zulaufende Mauer rechts definierter) Bereich geschildert, den die Figuren in einer sich nach vorne zu wölbenden Kurve durchziehen, um in einem Halbkreis wieder in jene Richtung zurückzukehren, aus der sie gekommen sind. Noch deutlicher wird dies, wenn man die Gesamtdarstellung, also das bis zum Rahmen des Marginalbereichs ausgeführte Bild, in die Betrachtung mit einbezieht. Am linken Bildrand ist der auf einer Sänfte aus der Kirche kommende Papst schräg nach vorne gewandt, während sich die Träger seines Stuhles nahezu bildparallel bewegen. Dadurch entsteht der Eindruck eines sanften Schwunges nach vorne, der von der Anordnung des im Bas de page knienden Volkes sowie der Herolde ebenda wiederholt wird. Im schmalen rechten Marginalstreifen ist die Erweiterung der in die Tiefe ziehenden Prozession zu sehen. Obwohl das von den beiden Rahmenleisten ausgegrenzte Stück durchwegs in den Raum gestaffelte Rückenfiguren zeigt, offenbart sich im Vergleich mit dem im vatikanischen Stundenbuch in die Bildtiefe orientierten Kleriker- und Ministrantenzug (der ähnlich durch die beiden vorderen Baldachinstangen ausgegrenzt ist), wie sehr in Ms. Ludwig IX 18 vermieden wurde, das Raumpotential des Motivs zu nutzen. Während in Cod. Vat. Lat. 3769 die Figuren in Zweierreihen deutlich nachvollziehbar nach hinten, aus dem Kirchhof hinaus auf einen noch leeren Platz schreiten (auf dem in einiger Distanz schließlich ein Gebäude das Ende des Raumvektors markiert), sind die Akteure im Spinola-Stundenbuch zu dichten Gruppen zusammengeschlossen  : Die Anordnung der Kardinalshüte in zwei bildparallelen Reihen sowie die Parallelsetzung des rechten, weit entfernten Klerikerzuges mit der Unterkante des den Platz frontal abschließenden Gebäudes bewirken eine Bremsung des Tiefenschubs, ohne Barrieren zu bilden  : Die Bewegung der Prozession wird lediglich sachte nach links umgeleitet. Auch in der Kernminiatur ist auszunehmen, daß sie auf dem Platz horizontal nach links zieht und so die Kirche, die sie durch das südliche Querhausportal verlassen hat, umkreist. Somit erweisen sich die motivisch durchaus ähnlichen Miniaturen in Cod. Vat. Lat. 3769 und Ms. Ludwig IX 18 bezüglich ihrer Bildauffassung als grundverschieden. Diese Verschiedenheit manifestiert sich auch im Figurenverständnis. Die Akteure in der Spinola-Miniatur verfügen über mehr Substanz als jene im vatikanischen Bild. Dies liegt zum Teil an den gewählten Kostümen  : Die parallel gefältelten, gegürteten Leibröcke der päpstli-

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Abb. 96: Alle männlichen Heiligen; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 39v.

chen Herolde und Sänftenträger suggerieren durchwegs einen zylindrischen Figurenkern. Obwohl auch im vatikanischen Stundenbuch der Eindruck von Volumen durch das oft bauschig fallende Gewand hervorgerufen wird, läßt die Kleidung nur hin und wieder einzelne Gliedmaßen erkennen, nicht jedoch einen vollrund definierten Körperkern. Dies ist dort am deutlichsten, wo die gleiche Kostümierung vorliegt, so an den Alben der Kleriker. Zur Illustration des Gesagten ist es zielführend, eine weitere Miniatur des vatikanischen Stundenbuchs in den Vergleich miteinzubeziehen, in der dieses Gewand von fast allen Priestern getragen wird  : In der Darstellung einer Begräbnisprozession auf fol. 7v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 39) fallen die Alben in geraden, deutlich modellierten Parallelfalten zu Boden und verhängen den Figurenkern zur Gänze. Im Fronleichnamsbild des Spinola-Stundenbuchs wird dasselbe Kleidungsstück gegürtet getragen, was eine Unterbrechung der vertikalen Falten zur Folge hat  ; zudem liegt das Gewand dadurch am Körper an und definiert diesen als voluminöse, massive Form, was durch die damit einhergehende Abdunkelung der Schattseite des Figurenzylinders noch unterstrichen wird.

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Abb. 97: Alle weiblichen Heiligen; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 40r.

Zuletzt wäre darauf hinzuweisen, daß beiden soeben besprochenen vatikanischen Miniaturen eine orthogonale Kompositionsweise eignet, mit dominierenden Senkrechten als Widerpart zur waagrechten Anordnung wiederum primär vertikal gegliederter Figuren im Vordergrund, während in Ms. Ludwig IX 18 die Bevorzugung der runden Form sich in der Komposition der Fronleichnamsminiatur ebenso manifestiert wie in Einzelelementen (etwa in den Leibröcken der Herolde ebenda). Aus all dem geht hervor, daß die Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18 eine ganz und gar andere Stilstufe zu vertreten scheinen als jene in Cod. Vat. Lat. 3769, daß aber eine gewisse Nähe durch große motivische Übereinstimmungen in Miniaturen ähnlichen Themas doch bestehen dürfte. Wie dies zu deuten ist, wird unter Einbeziehung der anderen Handschriften der frühen Gruppe zu erörtern sein. Dabei ist besonders das Antwerpener Brevier zu berücksichtigen, da in der Maria Schneedarstellung auf fol. 501v (Abb. 87) ein Prinzip der Raumkonstruktion ausgemacht wurde, das über die Gestaltungsprinzipien der frühen Gruppe hinauszuweisen schien. Allerdings

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läßt sich für diese Miniatur schwer ein Vergleichsbeispiel unter jenen des SpinolaStundenbuchs finden. Es soll daher mit der Gegenüberstellung des Allerheiligenbildes auf fol. 562v von Inv. Nr. 946 (Abb. 88) mit den themengleichen Szenen in Ms. Ludwig IX 18 begonnen werden. Für diesen Zweck bieten sich im SpinolaStundenbuch gleich mehrere Miniaturen an, zuvorderst die auf einer Doppelseite Platz findende, in Goldgrisaille gemalte Versammlung aller Heiligen rund um den Altar des Mystischen Lammes, wobei den mänlichen Heiligen auf fol. 39v (Abb. 96) die Dreifaltigkeit, den weiblichen Heiligen auf fol. 40r (Abb. 97) die Madonna in einem Engelschor in der jeweiligen Himmelszone beigegeben ist. Diese klein- und vielfigurigen Darstellungen knüpfen ikonographisch an das Allerheiligenbild (mit eingefügter Marienkrönung) auf fol. 162v von Cod. Vat. Lat. 3768 Abb. 98: Alle Märtyrer; Los Angeles, The J.Paul (Abb. 18) an. Anders verhält es sich mit den Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaMiniaturen zu allen Märtyrern auf fol. 257v Stundenbuch, fol. 257v. (Abb. 98) und allen Bekennern auf fol. 262v (Abb. 99) von Ms. Ludwig IX 18. Obwohl erstere einen ebenfalls wesentlich kleineren Figurenmaßstab als das Antwerpener Allerheiligenbild213 (Abb. 88) und zweitere die Kirchenmänner nur halbfigurig zeigt, ist die frontale Präsentation der Protagonisten doch vergleichbar. Dabei ist die Wiedergabe der Figuren im Spinola-Stundenbuch wirklich frontal, während in Inv. Nr. 946 eine halbkreisförmige Anordnung der Kleriker festgestellt werden konnte. Ungemein aufschlußreich ist diesbezüglich das Märtyrerbild des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 98). Es zeigt ein ähnliches Ambiente wie jenes, in dem die Auserwählten im Brevier niedergekniet sind, nämlich eine Wiese im Vordergrund, die nur von einem Himmel überfangen wird. Die Märtyrer, nur scheinbar eine auf den Betrachter hin ausgerichtete Einheit bildend, sind realiter in drei Grüppchen zusammengefaßt  : Am linken Bildrand befinden sich die Kleriker mit Petrus Martyr und dem Diakon Laurentius in der ersten Reihe, die 213 Gesteigert durch die unterschiedliche Größe der Miniaturen. Antwerpen Inv. 946  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 13,3 x 9,2 cm, Ms. Ludwig IX 18  : Schriftspiegel (inneres Bildfeld) 10,9 x 7,4 cm  ; diesen Platz müssen sich die beiden genannten Spinola-Miniaturen zudem mit je sechs Schriftzeilen teilen.

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mittlere Zone wird von weltlichen Herren in ritterlichem Aufzug beansprucht, und ganz rechts, sittsam im Abseits und von den geistlichen Herren durch deren weltliche Brüder getrennt, stehen die schönen jungen Märtyrerinnen. Nur Katharina ist durch ihre Halskette mit dem zerbrochenen Rad daran kenntlich gemacht, die übrigen Damen verbleiben in bescheidener Anonymität  ; daß Barbara unter ihnen weilen muß, wird durch den Turm am rechten Bildrand über dem Kopf des dort erscheinenden Mägdleins angedeutet, das demnach vielleicht mit dieser Heiligen zu identifizieren ist. Diese Gliederung in drei Gruppen spiegelt sich auch im räumlichen Arrangement der Figuren wider. Die Kleriker sind von links weg schräg räumlich gestaffelt, was an den beiden Leitfiguren sichtbar und in der Anordnung der Köpfe eines jugendlichen Papstes und zweier Bischöfe hinter ihnen wiederholt wird. Dem antwortet die rechte (im Bild linke) Abb. 99: Alle Bekenner; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaFlanke der keilförmig entlang der vertikalen Stundenbuch, fol. 262v. Mittelachse gruppierten Märtyrer weltlichen Standes. Selbst Georg an ihrer Spitze dreht seinen Oberkörper in Richtung der Kirchenmänner, wobei jedoch seine Beine einen zögerlichen Schritt hin zu den Damen tätigen, auf die auch sein Blick aus den Augenwinkeln abzielt. Während die meisten Angehörigen seines Standes seine (etwas halbherzige) Ausrichtung nach links nachvollziehen und mit verklärter Miene eine innere Schau erleben, sind die beiden Ritterheiligen an der linken (im Bild rechten) Flanke der Gruppierung höflich genug, den schönen Jungfrauen nicht auch noch den Rücken zuzuwenden. Der Gesichtsausdruck der beiden Herren gibt jedoch zu erkennen, daß der Anblick vor ihrem geistigen Auge den realen noch überbietet. Teilen sich bereits in diesem Arrangement verschiedene Raumrichtungen mit, so wird dem durch die Gruppe der Märtyrerinnen noch ein besonderer Akzent verliehen. Die Jungfrauen umfangen in einem Bogen die männlichen Figuren. Dies wird nicht nur durch die vergleichsweise wenigen Maiden und ihre (einen Halbkreis nach hinten zu suggerierende) Anordnung angezeigt, sondern schon von der Terrainwelle eingeleitet, die links vorne parallel zur Standfläche von Petrus Martyr und Laurentius verlaufend beginnt und an den Füßen Georgs vorbei nach rechts hinten ausschwingt, worauf auch der Mantel Katharinas reagiert. Insgesamt ist hier eine Kreisformation angedeutet, die von vorne über die Jungfrauen am rechten Seiten-

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rand hinweg nach hinten und in der Orientierung der links befindlichen Kleriker, die nach innen gewandt sind, wieder nach vorne und zur Mitte zurückgeführt wird. Diese Beschreibung führt mehrere Aspekte vor Augen. Zum einen ist klar, daß auch in der kleinen und kleinfigurigen Spinola-Miniatur nicht auf eine individuelle Charakterisierung der Physiognomien sowie der (mit einem Anflug von Heiterkeit geschilderten) Verhaltensweisen verzichtet wurde. Zum anderen unterscheidet sich das Raumkonzept auch in diesem scheinbar flächenhaften Bild nachgerade extrem von der strikt halbkreisförmigen und durch einen schrägen Tiefenzug zusätzlich verräumlichten Anordnung aller Heiligen im Brevier. In Ms. Ludwig IX 18 schafft es der Illuminator, sein nun bereits bekanntes Konzept eines weiten und breiten, durchschweifbaren Abb. 100: Zwölf Apostel; Rom, Biblioteca (nicht aber unbedingt tiefen) Raumes in Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, einer mit Personen vollgestellten Miniatur Stundenbuch, fol. 124v. zu verwirklichen, indem er ein mehrfaches, gegenläufiges Kreisen im Arrangement der ja eigentlich regungslos verharrenden Protagonisten andeutet. Im Halbfigurenbild der Bekenner auf fol. 262v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 99) kapituliert der Künstler ein wenig vor den eingeschränkten Möglichkeiten, die mit der Wahl dieses Bildmusters einhergehen. Doch genügt ein Vergleich mit der in ähnlichen Pastelltönen gemalten Textminiatur mit den halbfigurig gezeigten Aposteln auf fol. 124v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 100), um bewußt zu machen, um wieviel räumlicher die Anordnung der Heiligen im Spinola-Stundenbuch ausfiel, wo die flächige Gloriole, die die Gruppe zusammenfaßt, zugleich in einer räumlichen Projektion das kreisförmige Arrangement der Figuren umschreibt. Im Vaticanus hingegen machen sich Petrus und Paulus in der vorderen Bildebene im wahrsten Sinne des Wortes breit, Paulus sogar mit �������������������������� einer weit ausholenden Geste, da seine schmale Gestalt allein nicht ausgereicht hätte, das Format zu füllen. Wie so oft in diesem Stundenbuch suggerieren auch hier die in mehreren Reihen hintereinander gestaffelten Figuren, von welchen mitunter nur die Schädelkalotte oder ein wuscheliger Haarschopf zu sehen ist, eine beträchtliche Ausdehnung des Bildes nach hinten zu, ohne daß die flächendekorative Frontalität der Komposition aufgebrochen würde. Umso bemerkenswerter ist, wie eng die doppelseitige Allerheiligendarstellung auf fol. 39v und 40r des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 96, 97) an das entsprechende, freilich nur in ei-

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ner einzelnen Miniatur untergebrachte Allerheiligenbild auf fol. 162v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 18) anschließt. Trotz des größeren Platzangebotes in Ms. Ludwig IX 18, das aus der Verschmelzung von Kernminiatur und Randleistenbereich zu einem einzigen gerahmten Bild (mit einer eingeschobenen, von zwei Engeln gehaltenen Texttafel) einerseits und der Ausdehnung des Bildinhalts auf eine Doppelseite andererseits resultiert, ist das grundsätzliche Arrangement der beiden Miniaturen überaus ähnlich (und jeweils merklich anders als im ebenfalls klein- und vielfigurigen Allerheiligenbild des Londoner Breviers, Abb. 91, das sowohl thematisch als auch in der motivischen Umsetzung des Bildinhalts, nicht aber in Raum- und Figurenauffassung den beiden Stundenbuch-Miniaturen entspricht). In der Spinola- wie in der vatikanischen Handschrift erfolgt die kreisförmige Anordnung der Figuren um ein in den Mittelgrund der Darstellung gerücktes Zentrum. Dabei wird im SpinolaStundenbuch der Halbkreis in jeder der beiden Miniaturen am jeweiligen äußeren Rand durch eine ganze Anzahl von Profildarstellungen geschlossen, etwas, das in der vatikanischen Lösung mit Ausnahme einer einzigen Profilfigur am linken Bildrand unterbleibt. Auch ist die vordere Gruppe in den beiden Spinola-Miniaturen konsequent auf das Zentrum hin orientiert, mit Ausnahme einiger schwatzhafter Frauen am unteren Rand von fol. 40v, die sich aber immerhin über das Geschehen auf dem Altar zu unterhalten scheinen. Die Ausrichtung der Heiligen im vatikanischen Bild bleibt vor allem im Vordergrund einerseits von einem radikalen Tiefenvorstoß durch die entlang der senkrechten Mittelachse gestaffelten Rückenfiguren und andererseits von einer bildparallelen, eher aus dem Bild heraus orientierten Gruppierung der Figuren zu ihren beiden Seiten geprägt – was gewisse Probleme des Künstlers bei der zumindest gegenüber jener im Londoner Brevier neuen Komposition anzeigt. Diese sind im Spinola-Stundenbuch bewältigt – die aus den Figuren gebildeten Halbkreise sind auf beiden Bildseiten überzeugend veranschaulicht. Dafür bleibt der suggerierte Raum seichter als in der vatikanischen Miniatur, was auf die Reduzierung des Bildpersonals im Hintergrund zurückzuführen ist. Vergleichbar sind einander die beiden Allerheiligenversionen auch bezüglich der Charakterisierung von Personen und Verhaltensweisen, wenngleich gerade letzteres in Ms. Ludwig IX 18 noch gesteigert erscheint. Die männlichen Heiligen auf fol. 39v agieren relativ zurückhaltend, bis auf einen der in Rückenansicht gezeigten Protagonisten, der seinen Kopf um mehr als 90 Grad ins Profil dreht, offenbar um einem seiner Gefährten etwas mitzuteilen, wie auch sein Sprechgestus anzeigt. Der von hinten gezeigte Mönch am unteren Bildrand, der ebenfalls den Kopf (wenn auch nicht so weit) nach links dreht, bleibt auf Grund seiner in sich geschlossenen Haltung vergleichsweise unauffällig und hat wohl eher eine kompositionelle Funktion als eine erzählerische – nämlich, die Verbindung zu den Figuren links herzustellen, was durch das bogenförmig gebauschte Gewand des über ihm die Tafel haltenden Engels unterstützt wird. Wirklich aktionsreich geht es auf fol. 40v zu, wo zwar das Gros der weiblichen Heiligen sich intensiv der Andacht hingibt (angeführt von den Elitejungfrauen Katharina, Agnes und ihren Gefährtinnen bis hin zu sehr hausbacken wirkenden Individuen wie der gedankenversunken vor sich hin starrenden Profilfigur mit Turban am rechten Seitenrand). Die Subgruppe der Frauen am unteren Seitenrand scheint jedoch in einen agitierten Disput

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verstrickt zu sein, der selbst dem linken der beiden hier die Schrifttafel haltenden Engel (immerhin offensichtlich wohlwollende) Aufmerksamkeit abringt. Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß die vatikanische die späteste der sechs Handschriften der frühen Gruppe ist, so scheint er in diesem engen Anschluß der beiden soeben besprochenen Allerheiligenbilder erbracht. Dennoch wäre immer noch die Maria-SchneeDarstellung des Antwerpener Breviers (Abb. 87) einer Miniatur des Spinola-Stundenbuches gegenüberzustellen, da ja in dem Brevierbild eine Durchschweifbarkeit des Raumes angedeutet schien, die auf andere Weise auch schon in Ms. Ludwig IX 18 proklamiert wurde. Es mag kein Zufall sein, daß sich kein geeignetes Vergleichsbeispiel finden lassen will  ; nach allen bisherigen Erfahrungen kann das nicht nur eine Folge dessen sein, daß der auf fol. 501v von Inv. Nr. 946 dargestellte Inhalt im Spinola-Stundenbuch keine Entsprechung hat. Umgekehrt sind jene Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18, die ein entfernt ähnliches Raumkonzept wie das Maria-Schnee-Bild aufweisen, thematisch so weit von der Ikonographie der Antwerpener Darstellung entfernt, daß dies mit großer Wahrscheinlichkeit Rückwirkungen auf den Bildaufbau haben muß. Mit allen diesen Vorbehalten soll doch wenigstens eine Miniatur des Spinola-Stundenbuchs dem Antwerpener Bild gegenübergestellt werden. Es handelt sich um die Kombination zweier Darstellungen auf fol. 93r von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 101), die als Typos der Verkündigung an Maria auf fol. 92v (Abb. 135) fungieren. In der Kernminiatur ist Gideon zu sehen, wie ihm von einem Engel das vom Tau benetzte Vlies gezeigt wird  ; darunter erscheint er nochmals mit seinem Heer. Daß hierbei eine Furt gesucht wird, zeigt sich erst im rechten Randleistenbereich, wo zwei Männer die Tiefe jenes Flusses zu ergründen suchen, an dessen anderem Ufer im Hintergrund bereits jener Kampf stattfindet, den Gideon gewinnen wird. Im Bas de page, durch einen schmalen Bach und eine Hecke von der Truppe des israelitischen Heerführers getrennt, kniet Moses inmitten seiner Schafherde vor dem brennenden Dornbusch, der nicht verzehrt wird und in dessen üppiger Laubkrone der Herr in Gestalt des Salvators im schmalen Streifen des linken Marginalbereichs erscheint. Moses hat seine Schuhe ausgezogen und auf seinen Hirtenstab gelegt  ; auch sein Hut liegt vor ihm auf dem Boden. Er ist umgeben von seinen Schafen und Ziegen, von denen einige die Gegenwart Gottes verständnislos zur Kenntnis nehmen, während das Gros grast oder vor sich hin blickt  ; nur außerhalb des Gatters am rechten Seitenrand, am Ufer des Baches, sorgen zwei junge Böcke für Abwechslung, indem sie ihre Schädel aneinanderrammen. Es liegt auf der Hand, daß sich wenig motivische Gemeinsamkeiten zwischen dieser Darstellung und dem Maria-Schnee-Bild auf fol. 501v von Inv. Nr. 946 (Abb. 87) finden lassen. Auch der Bildaufbau ist notwendigerweise grundverschieden. Während Maria im Antwerpener Brevier formatfüllend in den Vordergrund gestellt ist und das übrige Bildgeschehen attributhaft klein die Geschichte des Schneewunders erläutert, gibt es in dem Marginalbereich und Kernminiatur durch die einheitliche Landschaftsdarstellung zusammenfassenden Bild des Spinola-Stundenbuchs keinen bilddominierenden Faktor. Nicht einmal der Maßstab ändert sich von vorne weg nach hinten zu, sodaß Moses im Bas de page ebenso klein ist wie Gideon im oberen Teil der Kernminiatur  ; nur im Hintergrund setzen plötzlich andere Grö-

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Abb. 101: Gideon; Moses vor dem brennenden Dornbusch; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 93r.

ßenverhältnisse ein, und auch das Kolorit schlägt dort abrupt von einer starken Buntfarbigkeit in eine gedämpfte Oligochromie um. All dies in Rechnung gestellt, zeigt der Aufbau der Landschaft einige grundsätzliche Ähnlichkeiten, die diesen Vergleich überhaupt erst rechtfertigen. Jeweils in der Mitte des unteren Bildrandes, jedoch schon in der linken Ecke ansetzend, ist ein Terrainplateau zu sehen, das halbkreisförmig ausschwingt und rechts gerade noch so viel Platz läßt, daß dort ein (wenn auch in beiden Bildern unterschiedlich verlaufender) Weg gezeigt werden kann. Eine weitere Gemeinsamkeit wäre, daß am rechten Bildrand in beiden Fällen ein kontinuierlicher Blick in die größte Bildtiefe ermöglicht wird und daß dieser Hintergrund in einer Schräge von links vorne nach rechts hinten organisiert ist. Auch zieht sich diese Schräge in beiden Miniaturen über entsprechende Bildelemente bis in den linken Mittelgrund nach vor  ; und in beiden Fällen wird dort über einen Bogen ein weiterer, ganz am linken Bildrand initiierter Zug in die Tiefe sichtbar. Nicht nur darin, auch in der Orientierung der Akteure in verschiedene Bild-

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richtungen wird eine gewisse Komplexität des nicht nur auf einem geradlinigen Tiefenzug aufbauenden Raumkonzepts deutlich. Damit aber enden die (ohnehin im Detail auch höchst unterschiedlich umgesetzten) grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der beiden Miniaturen. Der größte Gegensatz dieser beiden Bildkonzepte liegt in der Tatsache, daß in Ms. Ludwig IX 18 der gesamte Raum mit Figuren und Objekten vollgestellt (aber nicht verstellt  !) ist und daß der Übergang zwischen nahsichtigen und fernsichtigen Bildelementen trotz suggerierten Kontinuums am rechten Seitenrand nur über einen Raumsprung erfolgt. Zu diesem wird allerdings kompositionell durch eine langgezogene Diagonale übergeleitet, von deren Sorte mehrere den Bildaufbau bestimmen. In dieser Miniatur entsteht kein Tiefensog. Der Blick schweift vielmehr über ansteigende Schrägen von links nach rechts und rechts nach links und wiederum zurück, wobei die dazwischen liegenden massiven Terrainkuppen regelrecht umgangen werden, ja den Blick zusätzlich zum Kreisen anregen. In der Antwerpener Miniatur wird demgegenüber das Prinzip des verräumlichten Vordergrundes überdeutlich  ; in dem sich dadurch ergebenden Freiraum bewegen sich die Akteure in mehrere Richtungen, was auch durch solcherart verlaufende Wege nahegelegt wird. Doch zeigt dieser Vergleich mit überraschender Deutlichkeit, daß zwischen dem Antwerpener und dem Spinola-Bild die Miniaturen des Vaticanus stehen müssen. Schon in der Antwerpener Miniatur wurde die bis in den Hintergrund gezogene Vordergrundbühne als ein bereits in anderen Handschriften der frühen Gruppe vorbereitetes Element, der einheitliche Tiefenzug darin als ein auf die Raumauffassung in den vatikanischen Miniaturen vorausweisendes Gestaltungsmittel erkannt. Man könnte letzterem auch das Verstellen des Bildgeschehens durch die frontale große Figur der Madonna hinzufügen, was erst bei einem Vergleich mit der in Ms. Ludwig IX 18 wirksamen Raumauffassung offensichtlich wird. Hinzu kam in der Maria-Schnee-Darstellung jene „Durchkreuzung“ des Bildes mittels gegenläufiger Diagonalen, die in dieser Form neu war und auf Zukünftiges vorauszuweisen schien. Die Spinola-Miniatur auf fol. 93r zeigt nun tatsächlich wie die meisten Bilder dieser Handschrift einen sachteren, von sanften, gegenläufigen Schrägen bestimmten Raumaufbau. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß sich die Diagonalen nur wenig aus einer bildparallelen Ausrichtung lösen. Es stellt sich also die Frage, ob nicht das gesamte Kreisen und Schweifen des Blickes, das zweifellos überaus überzeugend suggeriert wird, sich aus jener frontalisierenden Figuren- und Geschehenspräsentation entwickelt haben könnte, die im vatikanischen Stundenbuch perfektioniert worden war. Auch die Überleitung zum Fernblick durch einen Raumsprung scheint für die Herkunft des Bildaufbaus aus einem Miniaturenfundus wie dem vatikanischen zu sprechen. Wie in anderen Darstellungen der Spinola-Handschrift, so im Allerheiligenbild auf fol. 39v und 40r (Abb. 96, 97) oder in der Wiedergabe (einer Auswahl) aller Märtyrer auf fol. 257v (Abb. 98), könnte die Figurendichte der Kompositionen eine Folge des Verstellens der Bilder sein, wie es im vatikanischen Stundenbuch anzutreffen ist. Dennoch wird auch klar, daß der Künstler einen großen Schritt gegenüber der Auffassung im vatikanischen Stundenbuch getätigt haben muß. Den Zeitraum dieser Entwicklung näher zu bestimmen wird nur dann möglich sein, wenn auch andere, vielleicht später entstandene, Handschriften zum Vergleich mit Ms. Ludwig IX 18 herangezogen werden.

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Jene, die sich vordringlich anbieten würde, ist das Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland in Wien (Cod. Vind. 1897). Das Problem damit liegt auf der Hand. Außer der bereits ausführlich behandelten Darstellung des Königs auf fol. 24v (Taf. I) ist keine einzige Miniatur in dieser Handschrift eine eigenhändige Arbeit des Jakobsmeisters. Nur ein kleineres Bild im vorderen Teil des Buches214 und die ganzseitige Wiedergabe der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten auf fol. 104v (Taf. II) gehören aber seinem Umkreis an. Doch ist hier eindeutig kein „Doppelgänger“ des Meisters am Werk  : Vor allem in der technischen Ausführung bestehen große Unterschiede zwischen der trockenen Malweise auf fol. 104v und der ebenso lockeren wie subtilen Faktur, die die eigenhändigen Arbeiten des Jakobsmeisters und seiner engsten Mitarbeiter etwa im Vaticanus kennzeichnet. Dies spricht dafür, daß der Maler der Ruhe auf der Flucht seine Ausbildung nicht im Kreis des Jakobsmeisters genossen hat  ; umso mehr ist die von den Bildvorstellungen unseres Künstlers entschieden geprägte Komposition auf fol. 104v ein Beweis dafür, daß hier eine Vorlage des Meisters umgesetzt wurde, auch wenn mit gewissen Freiheiten zu rechnen ist, die sich der durchaus qualitätvolle Illuminator dieser Miniatur genommen haben mag. Auf fol. 140v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 102) begegnet man dem gleichen Thema wie auf fol. 104v des Jakobsgebetbuchs (Taf. II), jedoch mit einem anderen Schwerpunkt. Während im Wiener Bild die auf einer Terrainkuppe im Vordergrund ihr Kind stillende Madonna humilitas den Kern der Darstellung ausmacht, dem nicht nur Josef unmittelbar hinter ihr, sondern auch der bethlehemitische Kindermord im Hintergrund untergeordnet sind, okkupiert das Massaker an den Unschuldigen im Spinola-Stundenbuch die Kernminiatur, während die Ruhe auf der Flucht sich mit der für den Jakobsmeister charakteristischen Gleichberechtigung von Mensch und Tier über den gesamten unteren Seitenrand ausbreitet und die seitlichen Marginalzonen weiteren Episoden im Zusammenhang mit dem Hauptgeschehen vorbehalten sind. Trotz großer motivischer Ähnlichkeiten im Bildaufbau wie in der Umsetzung des Themas könnte die Bilderzählung nicht unterschiedlicher ausgefallen sein. Dies mag zum Teil an den unterschiedlichen Entwürfen des Meisters liegen, sicher aber auch an der Umsetzung durch den Gehilfen. Im Jakobsgebetbuch ist die idyllische Szene im Vordergrund durch ihr kompositionelles Gleichgewicht, aber auch durch Bäume und Felsen vom gar nicht idyllischen Hintergrundgeschehen abgesetzt. Maria und ihr Kind sind zur Gänze aufeinander bezogen, was nicht nur durch formale Mittel wie die balancierte Drapierung der Gewandenden auf der Graskuppe 214 Es handelt sich um die Textminiatur auf fol. 41r, die die Gottesmutter mit dem Christkind in einem Interieur zeigt. Einige weitere qualitätvolle kleinformatige Darstellungen im vorderen Teil des Buches zeigen eine gewisse Annäherung an die Formensprache des Jakobsmeisters, ohne in eine nähere Verbindung mit ihm gebracht werden zu können (so etwa das Christkind als Rex Mundi auf fol. 19r). Damit ergibt sich m. E. ein Parallelfall zu jenem im Eleonorenbrevier, wo zwei Textminiaturen auf fol. 349v und 351r eine ähnliche Anlehnung an die Kunst des Jakobsmeisters bei grundsätzlich andersartigen Stilmerkmalen zeigen, so daß Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 321, sie sogar der Werkstatt unseres Künstlers zuschrieb.

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Abb. 102: Bethlehemitischer Kindermord; Ruhe auf der Flucht nach Ägypten; Los Angeles, The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 140v.

oder die den Kopf der Madonna wie ein zweiter Nimbus hinterfangende Krone des Baumes in Mittelgrund, sondern auch durch die psychologische Bedeutung der Handlung veranschaulicht wird. Josef hat nicht viel Aufregenderes zu tun – er schöpft mit einem Krug Wasser aus einem Bach am rechten Bildrand, der an dieser Stelle von einer kleinen, im Uferfelsen entspringenden Quelle gespeist wird. Auch die im unmittelbaren Vordergrund plazierten spärlichen Speisen und der Lebensmittelkorb deuten an, daß die Heilige Familie hier in Sicherheit ihr Mahl wird beenden können. Der links grasende Esel vervollständigt dieses Bild der Geborgenheit, das freilich in einem haarsträubenden Kontrast zu den Ereignissen dahinter steht. Es mag kein Zufall sein, daß die einzige kompositionelle Verbindung des vorderen und des hinteren Bildteils über das links befindliche Tier erfolgt, das man als letztes Element der Vordergrundgruppe wahrnimmt. Fraglos fällt der Blick zuerst auf die Madonna mit dem Kind und dann, der Leserichtung wie der kompositionellen Anbindung durch den Gleichklang

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der Umrisse und die kräftigen Primärfarben folgend auf Josef. Dort besteht dann die Möglichkeit, entweder über einen gleichsam gestaffelten Raumsprung das Geschehen rechts im Hintergrund wahrzunehmen oder zum Esel zurückzukehren und – bezüglich des formalen wie des psychologischen Überganges sachter – von dort aus das gräßliche Geschehen links in Augenschein zu nehmen. Das psychologische Drama an der linken Übergangsstelle ist allerdings auch groß genug – wenngleich harmlos inszeniert im Vergleich zu dem, was dann im Spinola-Stundenbuch geboten wird. Zwei Frauen haben sich in Cod. Vind. 1897 mit ihren Kindern in einer Höhle jenes Felsabhangs versteckt, auf dessen Kuppe soeben ein Soldat erscheint und die beiden entdeckt. Der linken der beiden Mütter dürfte dies entweder bereits bewußt sein, weil sie (was trotz der geringen Größe der Darstellung deutlich sichtbar wird) offenbar schreit und die Hände ringt. Oder aber die Tatsache, daß ihr (folglich schon totes) Kind wie ein Bündel Stoff auf ihren Oberschenkeln liegt, ist ein Hinweis darauf, daß sie mit ihrer lauten Klage den Schergen gar erst angelockt hat, der nun wohl die zweite Frau mit dem eindeutig noch lebenden, weil fürsorglich in den Mantel gehüllten Knaben entdecken und töten wird. So klein das Gesicht dieser zweiten Mutter auch ist, der Künstler hat es nicht verabsäumt, durch zwei klar gesetzte, kreisrunde Punkte ihre vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen vorzuführen, was, ist man als Betrachter/in einmal zu dieser Stelle vorgedrungen (eine Mühe, die sich die Eigentümer der Handschrift mit Sicherheit gemacht haben werden), seine erschütternde Wirkung nicht verfehlt. Verglichen damit geht es im Rest des Hintergrundes relativ banal weiter. Links hinter der eben geschilderten Szene sieht man zwei Häuser mit einer dazwischen dahinschreitenden Person, deren Zusammenhang mit dem Kindermord nicht ersichtlich ist. Auf der Kuppe des Berges dahinter, über den mehrere Reiter kommen, scheint sich das Getreidewunder zu vollziehen. Ein einzelner Berittener führt einen Dialog mit zwei Figuren, die offenbar in einem Kornfeld stehen, das der Legende zufolge bereits reife Ähren trägt, obwohl das Getreide erst gesät wurde, als die Heilige Familie vorüberzog und die Bauern diesen ersten Teil der Geschichte auch wahrheitsgetreu den dadurch irregeführten Schergen erzählen. Die Darstellungen sind hier freilich so klein, daß die Geschichte eher angedeutet als verbildlicht wird. Auch die im rechten Bildteil in der Stadt Bethlehem stattfindenden Massaker sind zu klein, um mehr als die allerheftigsten Reaktionen der Betroffenen zu schildern. Die inhaltliche Verwandtschaft der Miniatur auf fol. 140v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 102) mit der soeben beschriebenen ist groß  ; auch manche Details der Erzählung stimmen überein. Der Tenor der hier wiedergegebenen Geschichte ist jedoch ein gänzlich anderer als in Cod. Vind. 1897. Im Mittelpunkt steht der grausige Mord an den unschuldigen Kindern, der ein wenig hölzern im linken unteren Teil der Kernminiatur erzählt wird. Dort erstechen bzw. erschlagen zwei Soldaten soeben zwei Knaben in den Armen ihrer Mütter. Doch wird auch hier nicht nur das offensichtliche, sondern auch das psychologische Drama inszeniert  : rechts des eigentlichen Massakers kauert eine einzelne Frau und scheint ihr offensichtlich noch lebendes Kind gleichsam ein letztes Mal zu betrachten  ; von rechts hinten eilt bereits ein dritter Scherge herbei, um sich ihres Sohnes zu bemächtigen.

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Eine höhere Oktav des psychologischen Terrors ist in den rechten schmalen Marginalstreifen verbannt. Immer noch auf derselben Felsformation, die auch dem Hauptgeschehen Platz bietet, aber erhöht positioniert, neigt sich ein weiterer Soldat, nicht ohne sich an dem neben ihm wachsenden Bäumchen festzuhalten, über einen steilen Abhang. Dort hat in einer Felsspalte eine einzelne Frau Zuflucht gefunden, die ihr in Windeln gewickeltes Kind liebevoll an ihr Gesicht drückt. Sie hat den Peiniger noch nicht entdeckt – er aber sie. Machtlos malt der oder die Betrachter/in sich die Folgen dieser Nebenhandlung aus und wird dadurch mit Nachdruck dazu angehalten, das Bildgeschehen mental weiter zu gestalten, weit über die tatsächliche Darstellung hinaus. Diesen Kunstgriff beherrscht der Illuminator auch im linken, breiteren Marginalstreifen, der der Verfolgung der Heiligen Familie mit vorprogrammiertem Mißerfolg gewidmet ist. Während (in etwa auf Höhe des Massakers in der Kernminiatur) die kleinen Figuren der Fliehenden – vom linken äußeren Rahmen und einem Felsen überschnitten und ganz an den linken Seitenrand gedrängt – gleichsam im Bild vorbeihuschen, wodurch die Hast und Heimlichkeit ihres Aufbruchs nicht besser hätte verbildlicht werden können, ist im oberen Bereich der linken Randleistenzone ein Bauer gezeigt, der seinen Hut lüftet und sich hiermit von jener Soldatentruppe verabschiedet (der er soeben wahrheitsgemäß Auskunft gegeben hat), um sich dem reifen Korn zuzuwenden, das er mit einer Sichel zu schneiden gedenkt. Die Reiterei wendet sich prompt in die Bildtiefe und erstürmt den Gipfel jenes Felsens, auf dessen tiefer gelegenem Plateau das Hauptgeschehen stattfindet und auf dessen rechter Erhebung der einzelne Scherge die sich verbergende Frau entdeckt hat. Der Tyrann Herodes ist höchstpersönlich in der Truppe, die die falsche Richtung einschlägt, und die Betrachtenden sind dazu angehalten, sich das gar nicht dargestellte Gespräch auszumalen, das zwischen dem Bauern und dem König oder seinen Leuten stattgefunden und diese erfreuliche Wende herbeigeführt hat. Als großer Erzähler weiß der Jakobsmeister das Bild links mit einer Episode zu beginnen, deren Vorspann die Betrachtenden dazudenken müssen, und läßt es rechts mit einer Szene enden, deren Nachspiel mit unerbittlicher Nachdrücklichkeit der Vorstellung der Zuschauer überlassen wird. Beinahe mit Erleichterung stellt man fest, daß auch die Heilige Familie am unteren Seitenrand nicht der Inbegriff idyllischen Wohlgefallens ist, sondern daß die schon durch die bildparallele Anordnung der Figuren von links nach rechts suggerierte Bewegung in einer gleichsam dynamischen Schilderung der Rast ihre Entsprechung findet. Es wird offenbar nur ein kurzes Verweilen gezeigt  ; die Madonna schickt sich nicht an, ihr Kind zu stillen, sondern ist lediglich höflich genug, dem sich zu ihr herabbeugenden Feigenbaum einige Früchte abzunehmen. Ansonsten bleiben alle Speisen in jenem Sack verstaut, der über den Sattel des Esels geworfen ist. Auch das Tier vermittelt die Hast, die diesen Aufenthalt charakterisiert. Die Zügel sind ihm über den Hals gerutscht, und es trinkt mit weit aufgerissenem Maul, somit gierig, aus jenem Gewässer, über das sich Josef mit seinem Krug beugt, um aus einer (dem gegenüberliegenden Uferfelsen entspringenden) Quelle Wasser aufzufangen. Mensch und Tier zeigen gerade dadurch, daß sie ihr Gewicht in die entgegengesetzte Richtung (also zurück) verlagern müssen, die Heftigkeit und somit Eile ihrer Bewegungen an. In gewisser Weise suggeriert die hier vermittelte Hast zumindest, daß sich die Heilige Familie der großen Gefahr

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bewußt ist – und somit tröstlicher Weise wohl auch dessen, was den unglücklichen Hinterbliebenen widerfährt. Dieses auf so subtile, unterschwellige Weise angezeigte Mitgefühl der Protagonisten steht der Szene insgesamt um einiges besser an als die nahezu paradiesische Idylle der Heiligen Familie im Angesicht des über andere hereinbrechenden Desasters, wie sie auf fol. 104v des Jakobsgebetbuchs inszeniert ist – auch wenn durch das Humilitasmotiv sowie durch die kärgliche Mahlzeit selbst hier ausreichend angedeutet ist, wie sehr sich der Menschensohn erniedrigen lassen muß, um sein Erlösungswerk zu vollbringen, und somit der theologische Gehalt der Szene auch in dieser Miniatur gewahrt bleibt. Wie schon die bisherigen Analysen gezeigt haben, befand sich der Jakobsmeister bei der Ausstattung von Ms. Ludwig IX 18 auf einem Höhepunkt seiner erzählerischen Fähigkeiten. Ich bin der Überzeugung, daß selbst die Stilqualitäten seiner Miniaturen in dieser Handschrift dies widerspiegeln. Schon im vatikanischen Stundenbuch zielte die flächenkonforme Gestaltung vieler Bilder auf eine klarere Lesbarkeit und damit eindringlichere Erzählung ab. Offenbar kam der Künstler in der folgenden Zeit zu dem Schluß, daß diese beiden zuletzt genannten Faktoren jedoch nicht immer konform gehen müssen. Vergleicht man die Raumauffassung der beiden zuletzt besprochenen Darstellungen in Cod. Vind. 1897 (Taf. II) und in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 102), so offenbaren sie – wiederum trotz motivischer Ähnlichkeiten – ganz bezeichnende Unterschiede. In der Miniatur auf fol. 104v des Jakobsgebetbuchs ist der Vordergrund – wenngleich rechts und links unterschiedlich tief – von Büschen und Bäumen, vor allem aber von jener halbhohen Felsfront begrenzt, die sich durch die gesamte Bildbreite zieht. Darüber setzt rechts ein Fernblick ein, auf den zwar durch den vom unteren Bildrand seinen Ausgang nehmenden Weg vorbereitet wird, der aber doch nur über einen Raumsprung (i. e. einen beträchtlichen Maßstabswechsel) erlebt wird. Im linken Vordergrund findet dieser Weg (der sich eindeutig an der vertikalen Mittelachse aus dem Bild verliert) durch das Tuch mit den Speisen in einer leichten Krümmung seine Fortsetzung, die an der hier scharf einschneidenden Terrainschwelle abrupt beendet wird. Doch führt der verkürzt wiedergegebene Leib des in die Tiefe gerichteten Esels den hier initiierten Vorstoß in den Raum fort. Auch dahinter entwickelt sich der Tiefenzug kontinuierlicher  : über die beiden Frauen und den Soldaten, wo das Auge auch auf Grund des Dramas verweilt, hin zu dem Berg im Hintergrund, wo ebenfalls ein gewisses Kontinuum durch den ganz schwach sichtbaren, an ihm emporführenden Weg angedeutet ist. Bei aller Vorsicht, die auf Grund der Ausführung dieser Miniatur nicht durch den Jakobsmeister selbst, sondern durch einen Mitarbeiter angebracht ist, läßt sich doch konstatieren, daß hier Gestaltungsprinzipien wirksam werden, die aus dem vatikanischen Stundenbuch bekannt, hier aber abgewandelt werden. Dem Bildaufbau mancher Miniaturen in Cod. Vat. Lat. 3770–68 entspricht, daß eine frontal konzipierte, nach hinten zu abgeschirmte Vordergrundzone in einen gewissen Kontrast zum Tiefenraum dahinter gesetzt wird, daß aber zwei Raumvektoren, die schon von einer Wegkrümmung im Vordergrund ihren Ausgangspunkt nehmen, parallel in die Tiefe weisen, wobei der rechte der beiden durch seine im Hintergrund einsetzende Ausrichtung nach links zugleich eine Geschlossenheit dieser Formation auf allen vier Seiten andeutet.

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Damit aber wäre man schon bei den Unterschieden zu den im vatikanischen Stundenbuch gültigen Gestaltungsprinzipien angelangt. Denn sowohl durch das Plateau im Vordergrund als auch durch die im rechten Hintergrund sich der Waagrechten annähernde, langgezogene Raumschräge wird eine Tendenz bemerkbar, den Blick auf eine Art zu bremsen, ihn zum Schweifen und Kreisen einzuladen, die in der vatikanischen Handschrift unbekannt ist. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der grundsätzlich flächenkonform konzipierte Vordergrund, nimmt man den Verlauf der breit gelagerten Felsformation wörtlich, als in der gleichen Schräge räumlich nach hinten zu erweitert, wie sie auch der Flußverlauf im rechten Hintergrund erkennen läßt. Der Blick wird hier wie an anderen Stellen dazu eingeladen, den Tiefenvorstoß zu unterbrechen und in die Breite zu gleiten. Gerade der Fluß im Hintergrund, der mit jenem rechts vorne unwillkürlich in Verbindung gebracht wird, suggeriert eine Breitenerstreckung des Raumes, wie sie bislang (abgesehen von den Miniaturen im SpinolaStundenbuch) in den Werken des Jakobsmeisters nicht anzutreffen war  : Das Gewässer fließt offenbar vor den breit gelagerten Felsen in einem Bogen von links nach rechts vorne  ; das suggerieren die weißen Streifen im hinteren Teil des vom Esel okkupierten Terrains, die den Eindruck hervorrufen, als stünden die dort abgebildeten Bäume an einem überschwemmten Flußufer. Dann verschwindet der Fluß aus dem Bild, kehrt aber hinter eben jener Felsformation im Hintergrund wieder. Somit wird suggeriert, daß die Felskuppe ganz rechts von dem Fluß umrundet wird – ganz ähnlich, wie das in der Miniatur auf fol. 140v des SpinolaStundenbuchs im linken Marginalbereich durch die fliehende Heilige Familie angedeutet ist, wobei der Weg, der um den Felsen herumführt, hier zu großen Teilen sichtbar bleibt. Insgesamt ist offensichtlich, daß sich die Miniatur im Jakobsgebetbuch bezüglich der Gestaltungsprinzipien bereits ein gutes Stück von den Bildern des vatikanischen Stundenbuchs entfernt hat, ohne schon alle Konstruktionsschemata abgelegt zu haben, die dort entwickelt wurden. In der Darstellung auf fol. 140v von Ms. Ludwig IX 18 scheint eben dies eingetreten zu sein. Grundsätzlich wirkt der Raumaufbau jenem in der Miniatur auf fol. 104v von Cod. Vind. 1897 nicht unähnlich  : Links steigt ein mächtiger Hügel an, der von Reiterei erklommen wird, rechts wird über eine Felskante ein Fernblick gezeigt, und die Heilige Familie befindet sich im Vordergrund. Freilich ist allein dadurch, daß im Spinola-Stundenbuch gleich zwei hintereinander liegende Ebenen im insgesamt dargestellten Raum die Bezeichnung Vordergrund verdienen, alles anders. Dies wäre es aber auch unabhängig vom letztgenannten Aspekt. Zwei mächtige Felsen bestimmen das Bild. Der Raum baut sich eher um sie herum als entlang ihres Verlaufs auf. Zwar ist der linke, hintere Felsen durch den daran emporführenden schrägen Weg auch verräumlicht. Doch befindet er sich bereits so weit im Hintergrund, daß dies für die Raumwirkung insgesamt keine große Rolle spielt. Diese beruht auf gegenläufigen, nur wenig steilen Schrägen. Noch dazu suggerieren manche von ihnen keinen Verlauf von vorne nach hinten, sondern von hinten nach vorne. Im Marginalbereich dominiert jener Pfad, auf dem die Heilige Familie flieht und dessen Verlauf erst im Mittelgrund nachvollziehbar und nur im Vordergrund tatsächlich sichtbar wird. Er scheint genau aus jenem Bereich zu kommen, wo das Massaker innerhalb der Kernminiatur stattfindet, muß aber in einer

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tiefer gelegenen, nicht sichtbaren Zone entlangführen. Sein unbestimmter Ursprung und die Tatsache, daß er von links hinten nach rechts vorne kommt und auch in dieser Richtung beschritten wird, macht jeglichen Versuch, von ihm weg ein Kontinuum nach hinten zu entdecken, unmöglich. Kompositionell schafft dieser Weg – oder richtiger, das, was man von der Ausrichtung der Fliehenden erkennen kann – dennoch eine Verbindung hin zur Kernminiatur und dort zu jener schmalen Schlucht, aus der empor der Pfad führt, auf dem der dritte Scherge gelaufen kommt. Die Stadt im Hintergrund, deren Silhouette dem Grat des rechten vorderen Felsens angepaßt ist, scheint das Ziel jenes Pfades zu sein, der parallel zu dieser Kante auf dem Grund der Schlucht entlangführen muß. Der Raumsprung, über den sie gesehen wird, ist offensichtlich das einzige Relikt der Bildauffassung, die in den Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs wirksam war. Allerdings entsteht allein durch die Tatsache, daß am linken Bildrand ein zweites Landschaftspanorama geboten wird (aus dem die Reiterei kommt, ehe sie auf der Höhe des Getreidefeldes in einem Bogen wieder nach rechts hinten abschwenkt), eine in Cod. Vat. Lat. 3770–68 nicht anzutreffende Bifokalität. Der Umstand, daß sich die langgezogenen Hügel im rechten Ausblick nach links fortzusetzen scheinen, verstärkt den Eindruck einer kontinuierlichen Breitenentfaltung der Landschaft. Der Eindruck einer kontinuierlichen Tiefenentfaltung bleibt demgegenüber aus. Somit erweist sich die Raumkonstruktion in der Miniatur auf fol. 140v in ganz besonderer Weise auf ein Kreisen des Blickes angelegt. Kontinuierliche Tiefenzüge entfallen  ; das einzige Substitut wäre die Zone im linken oberen Marginalbereich, wo über das Feld und die aus der Landschaft kommenden Reiter hinweg ein gewisses Kontinuum bis hin zu dem fernen Berg auszumachen ist. Auch diese hat nur den Charakter eines partiellen Raumvektors. Dennoch bleibt der Eindruck einer gewissen Tiefe nicht aus  ; das Sonderbare ist, daß er nicht durch Freiraum, sondern durch Objekte zustandekommt, jene mächtigen und weniger mächtigen Felsen, deren Form und Position meist Umgehbarkeit suggerieren. Der Blick schlängelt sich gleichsam um sie herum und an ihnen vorbei bis hin in die Ferne, und der dabei zurückgelegte Weg, eine beachtliche Strecke, trägt dazu bei, den Raum als weit, breit und letztlich auch tief zu erleben. Damit wird eine doch nicht unbeträchtliche Distanz zu den in der Miniatur auf fol. 104v von Cod. Vind. 1897 beschriebenen Gestaltungsprinzipien deutlich, auch wenn diese die im Spinola-Stundenbuch erkannte Raumauffassung bereits vorbereiten. Die offensichtliche Zwischenstellung der Wiener zwischen der vatikanischen und der Spinola-Miniatur ist überaus aufschlußreich, da sonst nicht ohne weiteres zu erkennen wäre, daß auch ein Bildkonzept wie das der Darstellung auf fol. 140v von Ms. Ludwig IX 18 seine Wurzeln in den Lösungen von Cod. Vat. Lat. 3770–68 hat. Damit stellt sich die Frage, ob dies auch für die Jakobsminiatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I) gilt, die ja im Gegensatz zur Ruhe auf der Flucht ebenda eigenhändig ist und strenggenommen daher für eine Beurteilung der Veränderungen, denen die Kunst des Jakobsmeisters offensichtlich unterworfen war, viel wichtiger ist als die nach einem Entwurf des Meisters ausgeführte Gehilfenarbeit auf fol. 104v. Die Jakobsminiatur allerdings ist, wie bereits hinlänglich betont, eine Ausnahmeleistung unseres Künstlers und hat mit den kleinteiligen, kleinfigurigen, gleichsam vor Energie vibrie-

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Abb. 103: Abraham und die drei Engel; Los Angeles, The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 11r.

renden Lösungen des Spinola-Stundenbuchs denkbar wenig zu tun. Es scheint schier unmöglich, unter den Bildern von Ms. Ludwig IX 18 etwas zu finden, das der Darstellung auf fol. 24v von Cod. 1897 auch nur annähernd entspricht. Dennoch lassen sich auch in diesem Fall Aussagen treffen – mit entsprechender Vorsicht und auf etwas andere Weise gewonnen als bisher. Die Jakobsminiatur hat in ihrer extremen Flächenhaftigkeit in Ms. Ludwig IX 18 kein Pendant. Es scheint sogar, daß in den wenigen großfigurigen Miniaturen dort, so in der Darstellung Abrahams und der drei Engel auf fol. 11r (Abb. 103), mehr als in dem kleinfigurigen und kleinteiligen Bild auf fol 140v, den Figuren ein Frei- als Existenzraum zur Verfügung gestellt wird. Wann immer das geschieht, wird jedoch offensichtlich, daß der Illuminator dabei auf Gestaltungsprinzipien zurückgriff, die im vatikanischen Stundenbuch ausgebildet wurden, und sie seiner neuen Bildauffassung entsprechend modifizierte. So sind Abraham und seine Gäste ganz ähnlich um einen radikal verkürzten Tisch angeordnet wie die Figuren

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in der Darbringungsminiatur auf fol. 154v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 23). Dabei vermied der Künstler jedoch den Eindruck einer die Bildtiefe verstellenden Figurenfront, ließ vielmehr über dem Tisch einen Ausblick frei, der dennoch den Raumvektor nicht fortführt, zumal die Schräge des Tisches in der neutralen Wiese darüber keine Fortsetzung erfährt. Insgesamt erschließt sich auch die Bildtiefe im Abrahamsbild über eine sachte, schweifende Bewegung, die über einen schon im Bas de page einsetzenden, sanft gekurvten Weg und an runden Graskuppen vorbei in eine auch nicht näher definierte Bildtiefe führt. Das Jakobsbild hat von all dem nichts. Es scheint tatsächlich so, als sei es in seiner kompromißlosen Flächenhaftigkeit die Perfektion einer in manchen der vatikanischen Halbfigurenbilder angedachten Bildauffassung. Offensichtlich bediente sich der Künstler in Anbetracht der besonderen Aufgabe, die wohl durch die vom Auftraggeber gewünschte Vorlage ihre Brisanz erhielt, dieser radikalen Lösung auf dem Höhepunkt ihrer Aktualität. Dies würde bedeuten, daß die Miniatur des Jakobsgebetbuchs nicht lange nach dem vatikanischen Stundenbuch entstanden sein kann. Immerhin gilt es festzuhalten, daß auch jeder Vorstoß in den Tiefenraum, wie er selbst bei den flächenhaftesten Bilder in Cod. Vat. Lat. 3770, etwa dem Interieurbild der Verkündigung auf fol. 133v (Abb. 19), an den bildparallel organisierten Vordergrund angehängt ist, im Jakobsbild ersatzlos gestrichen wurde. Das, was an Raum suggeriert wird, kommt durch Lichteffekte und Maßstabsverkleinerung zustande, nicht aber durch perspektivische Konstruktion, von nachvollziehbaren Raumschrägen ganz zu schweigen. Dieser Punkt ist nun aber wichtig, denn er markiert zweifellos das Ende einer Entwicklung. Ein Vorantreiben der im Jakobsbild aufgezeigten Gestaltungsprinzipien war im Rahmen des Zeitstils – in dem sich immerhin der Auftraggebergeschmack bewegte – nicht mehr möglich, und es liegt nahe, daß ein neues Raumverständnis erarbeitet werden mußte. In zwei Aspekten scheint es sogar, daß die Jakobsminiatur auch diesbezüglich die Bildauffassung im SpinolaStundenbuch vorbereitete – vermutlich über eine Reihe von Zwischengliedern, von denen heute viele, wenn auch nicht alle, verloren sind. Zum einen wird in der mit Flächenprojektionen räumlich positionierter Gegenstände und Figuren vollgefüllten Jakobsminiatur eine Tendenz spürbar, speziell den Eindruck von Freiraum zu eliminieren. Eben diesen Eindruck erwecken zahlreiche der kleinfigurigen Bilder im Spinola-Stundenbuch, so etwa die gerade behandelte Miniatur auf fol. 140v. Raum ist dort vollgestellt mit (im Unterschied zu jenen in der Jakobsminiatur) voluminösen Gebilden, zwischen denen freilich genug Platz bleibt, um ihre Umgehbarkeit zu suggerieren. Da sich eine ganz ähnliche Auffassung bei reinen Figurendarstellungen wie etwa dem Märtyrerbild auf fol. 257v (Abb. 98) ausmachen ließ, scheint diese Tendenz zu „vollgestellten“ Bildern charakteristisch für zahlreiche Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18 und vielleicht letztlich im Horror vacui des Jakobsbildes ihre Wurzel zu haben. Zum anderen könnte die subtile Aufwertung der gemalten Kunstwerke in der Jakobsminiatur der Auftakt zu jenem Spiel mit den Wahrnehmungsebenen sein, das im SpinolaStundenbuch nicht nur in bezug auf das Œuvre des Jakobsmeisters, sondern innerhalb der Buchmalerei der Zeit schlechthin ihren Höhepunkt erreicht hat. Es scheint, daß das große

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Interesse am Problem der Bildwirklichkeit und ihrer Relevanz für die Betrachterwirklichkeit, das in der einzelnen Jakobsminiatur schon so subtil angedacht wird, im Spinola-Stundenbuch weiterentwickelt und in – vielleicht von anderen Künstlern angeregten215 – spektakulären Bildlösungen seinen Ausdruck fand. Dennoch ist es nicht die Jakobsminiatur auf fol. 24v, sondern die Darstellung der Ruhe auf der Flucht auf fol. 104v von Cod. Vind. 1897, über die sich eine konkrete Relation zum Spinola-Stundenbuch herstellen läßt und die auch beweist, daß Ms. Ludwig IX 18 eine Weile nach dem Jakobsgebetbuch entstanden sein muß. Wie lange danach, wird sich erst dann abschätzen lassen, wenn auch andere vermutlich ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datierbare Werke des Jakobsmeisters in die Überlegungen mit einbezogen werden.

Und noch zwei ungleiche Schwestern  : Das Rothschild-Gebetbuch, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, und das Rothschild-Stundenbuch, Ms. Add. 35313 Das Rothschild-Gebetbuch, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 Nicht nur die Ausstattung des Spinola-Stundenbuchs, sondern auch die des sogenannten Rothschild-Gebetbuchs (ehemals Cod. Vind. Ser. n. 2844)216 wurde in der kunsthistorischen Literatur mitunter ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datiert217. Obwohl der Anteil des Jakobsmeisters darin in erster Linie Meßdarstellungen umfaßt und sich somit wenig ikonographische Übereinstimmungen mit dem Spinola-Stundenbuch ergeben, ist es an dieser Stelle unerläßlich, den ehemals Wiener Codex in die Argumentation miteinzubeziehen.

215 Es scheint tatsächlich so zu sein, daß die Idee zu einer Kernminiatur und Bordüre gleichermaßen okkupierenden Bilderzählung vom Meister des Dresdener Gebetbuchs stammt (wie in anderem Zusammenhang von Brinkmann 1992a bereits postuliert) und daß die m. E. ersten Miniaturen dieser Art aus dem Team des Jakobsmeisters, die Epiphanie auf fol. 130v (Abb. 164) und die Geißelung Christi auf fol. 131r (Abb. 230), unmittelbar an die in der szenischen Sequenz davor angesiedelten Bilder des Dresdener Meisters (fol. 109v und 119v) anschließen. Dabei ist faszinierend zu beobachten, welchen Quantensprung unser Künstler bei der Weiterentwicklung dieses Bildschemas noch innerhalb von Ms. Ludwig IX 18 absolvierte. Vgl. auch Brinkmann 1997, S. 326–328. 216 Wien 1987, S.121–125, Nr. 79 (mit Literaturangaben)  ; auch das Rothschild-Gebetbuch ist eigentlich ein Stundenbuch. James Marrow hat mir Dias von allen ganzseitigen Miniaturen und zahlreichen Textseiten der Handschrift zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt. Ohne seine Großzügigkeit wäre meine Arbeit in dieser Form gar nicht möglich gewesen. 217 Plotzek in Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, S. 269  : „2. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts“  ; Thoss in Wien 1987, S. 121  : „um 1510“  ; Calkins 1998, S. 145  : „1510–1520“  ; Smeyers 1998, S. 428  : „vers 1510“.

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Abb. 104: Dreifaltigkeitsmesse; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 16v.

Patrick de Winter, der das Rothschild-Gebetbuch in einer Anmerkung um 1505 datierte218, stellte das Bild der Marienmesse auf fol. 87v des Clevelander Stundenbuchs CMA 1963.256 (Abb. 58) jenem der Dreifaltigkeitsmesse auf fol. 16v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 104) gegenüber, um damit die Zuschreibung der Clevelander Miniatur an den Jakobsmeister (von ihm als Gerard Horenbout bezeichnet) zu belegen219. Tatsächlich haben die beiden Bildlösungen viel gemeinsam, und es ist sinnvoll, eine Auseinandersetzung mit dem ehemals Wiener Codex mit diesem Vergleich zu beginnen, um damit seine Position im Œuvre des Jakobsmeisters näher zu bestimmen. Besonders aufschlußreich wird diese Gegen218 De Winter 1981, S. 424, Anm. 21. 219 Ebenda, S. 418.

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überstellung dann, wenn man auch die Gregorsmesse von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 36) mit berücksichtigt. Auf den ersten Blick beeindrucken die Übereinstimmungen zwischen der Clevelander und der Rothschild-Miniatur (Abb. 58, 104). Die Organisation des Bildausschnitts ist äußerst ähnlich  : In beiden Fällen befinden sich drei Kleriker in prunkvollen Meßgewändern vor einem links schräg in den Raum gestellten Altar, auf dem sich Meßgeräte und in beiden Fällen ein Retabel befinden, das in Cleveland gemalt und vollständig zu sehen, im RothschildGebetbuch ein plastisches Gebilde und vom Miniaturrand überschnitten ist. Der in beiden Bildern bis in den Mittelgrund ausgedehnte Kapellenraum ist durch einen Lettner von einer Vierung abgegrenzt, in die man durch eine Öffnung rechts der Mittelachse gelangt. Von dort aus blickt man in ein steil verkürzt dargestelltes Kirchenschiff. Rechts davon, innerhalb des Lettners, schließt in beiden Bildern ein Chorgestühl an, von dem aus Geistliche mehr oder minder andächtig dem vorne zelebrierten Ritual beiwohnen. Eine genauere Überprüfung der beiden Bildlösungen fördert jedoch markante Unterschiede zutage. Zunächst ist festzustellen, daß der kontinuierliche Tiefenzug im RothschildGebetbuch mannigfach unterbrochen wird. Die beiden im Clevelander Bild zu Seiten des mittleren Priesters knienden Kleriker kehren im Rothschild-Gebetbuch in veränderter Haltung wieder, die an den bildeinwärts knienden Kardinal und den sein Weihrauchfaß schwingenden Priester auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 36) erinnert. Dabei ist jedoch die Repoussoirwirkung, die sich in der vatikanischen Handschrift dadurch ergibt, daß der Kardinal einen die gesamte Darstellung durchmessenden Tiefenzug einleitet, im RothschildGebetbuch fast zur Gänze verloren  : Denn der auf fol. 16v von ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 links vorne kniende Kleriker hat seinen Rücken frontal den Betrachtenden zugewandt und dreht seinen Kopf energisch nach rechts, um den Segen des sich ihm zu- und dadurch vom Altar wegneigenden Priesters zu empfangen, wodurch er zwar in mehrere Richtungen, aber eben nicht schräg in den Raum hinein orientiert ist. Der im ehemals Wiener Bild am oberen Ende des Altares kniende Kleriker wendet sich wie der Weihrauchfaßschwinger im Vaticanus der ausgeführten Zeremonie zu (wie an der unterschiedlichen Ausrichtung der Unterschenkel und des Oberkörpers zu sehen ist) und schließt damit den durch die Figuren dominierten Vordergrund nach hinten zu ab. Neben ihm bleibt genug Platz, um durch die Öffnung im Lettner hinaus in das (wie in Cleveland heller als der Vordergrund gehaltene) Kirchenschiff blicken zu können. In der rechten unteren Bildecke der Rothschild-Miniatur kniet an Stelle des die Tiara haltenden Kardinals im vatikanischen Stundenbuch ein Ministrant. Zwar ist er weiter in den Vordergrund gerückt als der Kardinal in Cod. Vat. Lat. 3769 und befindet sich damit auf einer Ebene mit dem links vorne knienden Kleriker, doch dadurch, daß er farblich nicht so prominent wie der Kardinal in der vatikanischen und kleiner als die drei geistlichen Protagonisten ihm zur Seite ist, trägt er bei weitem nicht so sehr zu einem Verstellen des Vordergrundes bei wie sein Pendant in Cod. Vat. Lat. 3769. Eine kontinuierliche Tiefenflucht von vorne nach hinten wird im Rothschild-Gebetbuch durch die schräg verkürzte Schmalseite der am unteren Bildrand in den Kirchenboden eingelassenen Grabplatte initiiert und führt über den

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mittleren stehenden und den hinteren knienden Geistlichen hinaus ins Kirchenschiff. Anders als im Clevelander und im vatikanischen Stundenbuch wird dieser Raumvektor aber nicht durch die Figuren gebildet (und auch nicht durch sie blockiert), sondern die einzelnen Personen agieren frei und unabhängig im dargestellten Raum. Dies ist neu gegenüber den beiden anderen Miniaturen und will interpretiert werden. Im Clevelander und im vatikanischen Stundenbuch sind die Figuren dem Raum untergeordnet und schließen sich auf Kosten ihrer Individualität zu (meist raumbildenden oder auch frontalisierenden) Gruppen zusammen, während die einzelnen Protagonisten im RothschildGebetbuch eine bemerkenswerte Eigenständigkeit und großes Gewicht besitzen. Schon dadurch entsteht der Eindruck, die auf fol. 16v des ehem. Cod. Ser. n. 2844 vorgetragene Auffassung markiere ein späteres Stadium der Entwicklung unseres Meisters. Doch führte der in Cod. Vat. Lat. 3770–68 eingeschlagene Weg vorerst in eine andere Richtung  : Zwischen den großfigurigen Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs mit ihrer extremen Tendenz zur Frontalisierung des Vordergrundgeschehens und der insgesamt explizit flächigen Darstellung Jakobs IV. von Schottland in seinem Gebetbuch Cod. Vind. 1897 läßt sich die soeben besprochene Rothschild-Miniatur wohl kaum einfügen. Dies bestätigen auch die meisten anderen Meßdarstellungen der Handschrift. So findet die Messe zum Heiligen Kreuz (das denn auch im Altarretabel zu sehen ist) auf fol. 65v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 105) in einem durch einen steinernen Schranken abgegrenzten Raumteil statt220. Durch sein Bogenportal fällt der Blick auf eine geöffnete (offenbar seitliche) Kirchtür, die indes nur grauen Himmel erkennen läßt  ; auch im Kirchenschiff selbst sind keine weiteren Angaben gemacht, so daß die Darstellung auf den vorderen Raumteil beschränkt bleibt, den man als einen „erweiterten Vordergrund“ (ähnlich jenem auf fol. 87v des Clevelander Stundenbuchs, Abb. 58, jedoch ohne angefügten Ausblick im Hintergrund) bezeichnen möchte. Umso exakter ist die Raumkonstruktion in diesem Bereich. Der Fliesenboden gibt den Tiefenschub vor, dem sich das aus Brettern genagelte Altarpodest, das Betpult davor sowie die Mensa einfügen. Die drei Protagonisten, Kleriker in roten Gewändern, sind alle nach links dem Altar zugewandt, ebenso ein ganz vorne an einem Pult betender Laie. Fast von ihm verdeckt kniet, dem Altar zugewandt, noch eine weitere Figur. Sie wirkt wie eine ihrer Funktion vollkommen beraubte Version jener Repoussoirfigur, die in der Gregorsmesse des vatikanischen Stundenbuchs so sehr überzeugt. Auch am oberen Ende des Altares knien zwei Personen, die zwar den Raum nach hinten zu abschließen, jedoch schon auf Grund ihrer Fragmenthaftigkeit keinerlei frontalisierende Wirkung haben. Obwohl sich die von220 Das Interieur dieser Miniatur wurde in der Darstellung des heiligen Markus auf fol. 216v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 wiederholt, die von einem stilistisch in keiner Weise mit dem Jakobsmeister assoziierbaren Maler gemacht wurde  ; vielleicht von derselben Hand stammen auch die Darstellungen der Apostel Thomas und Matthias auf fol. 211v und 212v. Auch sie plazieren die Heiligen in Kirchenräume, die Meßdarstellungen unseres Künstlers im selben Band entnommen wurden, nämlich der Allerheiligenmesse auf fol. 46v und der Heiliggeistmesse auf fol. 37v. Vgl. Trenkler 1979 (Faksimile).

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Abb. 105: Messe zum Heiligen Kreuz; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 65v.

einander gelösten Figuren hier weniger bewegen als auf fol. 16v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 104), ist ihre große Individualität auch dort zu sehen, wo Zeichnung und Farbe sie miteinander verbinden, etwa im Falle der drei rot gekleideten Priester am Altar. Jeder von ihnen ist nicht nur in einer anderen Haltung, sondern offenbar auch in einer anderen Tätigkeit und damit in einem anderen psychischen Zustand wiedergegeben. Während der zelebrierende Priester mit ausgebreiteten Armen (einer wirkungsvoll raumgreifenden Geste) in Orantenpose auf den Kelch blickt, ist der hinter ihm mit gekreuzten Händen stehende Geistliche anscheinend völlig in Gedanken versunken  ; der dritte Kleriker ist in ein Buch vertieft. Zur formalen gesellt sich also die psychologische Individualisierung der Figuren, die ja auch auf fol. 16v deutlich anklingt. Auffallend wenig davon ist in der Darstellung der Messe zum heiligen Sakrament auf fol. 55v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 106) zu bemerken. Der Meßwidmung ent-

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Abb. 106: Messe zum heiligen Sakrament; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 55v.

sprechend ist hier – analog zur Gregorsmesse im vatikanischen Stundenbuch (Abb. 36) – der Priester in jenem Augenblick dargestellt, da er die Hostie emporhält. Im Gegensatz zu allen bisher besprochenen Miniaturen ist hier eine Orientierung der Personen nach rechts gegeben. Dies verleiht der an sich schon weit pathetischeren Geste des stehenden, die Wandlung vollziehenden Priesters eine zusätzliche Dynamik und Energie, die diese Figur prominent aus der Gruppe der drei zelebrierenden Kleriker heraushebt und bis zu einem gewissen Grad isoliert. Ungeachtet dessen sind die drei Geistlichen hier deutlicher zu einer Einheit zusammengefaßt als in den bisher besprochenen Miniaturen des Rothschild-Gebetbuchs, was sich nur bedingt durch ihre Anordnung erklären läßt. Darüber hinaus erscheinen auch die beiden Kerzenträger durch Farbverschränkungen, gleiche Aktion sowie durch geschickte Einbindung in die in der emporgehaltenen Hostie kulminierende Diagonalkomposition zu dieser Gruppe gehörig. Ein Ministrant am rechten Bildrand sowie zwei prominente Laien – ein rotgewandeter Jüngling

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am linken Bildrand sowie ein älterer, schwarzgekleideter Mann, der zwischen den beiden Kerzen erscheint und einerseits die Priestergruppe nach hinten zu abschließt, andererseits in Haltung und Habitus eine Zugehörigkeit zum Kirchenvolk links hinter ihm signalisiert – vervollständigen den Personenkreis rund um den Altar. Im Gegensatz zur Gregorsmesse im vatikanischen Stundenbuch ist keine tiefe Raumflucht gegeben. Das mächtige frontale Gebilde, das die Gruppe der Geistlichen dekorativ hinterfängt, ist offenbar (dem Thema der Messe kongenial) ein Sakramentshaus, das in eine Arkadenöffnung eingebaut ist und durch dessen Stäbe Gläubige spähen. In Fortsetzung des durch die knienden Priester und die beiden Diakone initiierten Raumvektors von rechts vorne nach links hinten setzen Pfeiler und Arkaden ein, die offensichtlich eine Trennung zweier anei­ nandergrenzender Kirchenschiffe markieren. Ganz am linken Bildrand wird das rechte Ende einer Holzkonstruktion sichtbar, wobei es sich um einen Chorschranken handeln könnte, vielleicht mit Orgelempore darüber wie auf fol. 87v von CMA 1963.256. Auf einen Ausblick wird jedoch verzichtet. Ungeachtet einer der Gregorsmesse auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 vergleichbaren personellen Besetzung erinnert die Konstruktion und Definition des Raumes an die Meßdarstellung auf fol. 87v des Clevelander Stundenbuchs (Abb. 58). Zwar dominiert im Rothschild-Gebetbuch die mehrreihig bildparallele Figurenanordnung, was den Raumeindruck fürs Erste zu beeinträchtigen scheint, und der in Cleveland über den Figuren erscheinende Ausblick ist durch das prächtige Sakramentstabernakel ersetzt. Doch ist trotz der engen Gruppierung der Akteure immer wieder Freiraum (meist in Form des Bodens) zwischen ihnen sichtbar, was einerseits den Personen ein nur in dieser Handschrift bislang anzutreffendes Gewicht verleiht, andererseits aber auch den Raum auf suggestive Weise spürbar macht. Durch dessen Abschluß im Mittelgrund bzw. die Ausrichtung der hinteren Meßteilnehmer nach vorne – ein Motiv, das auch im Ausblick unter dem Chorschranken in Cleveland wiederkehrt – wird eine Verwandtschaft mit der im CMA 1963.256 vorgetragenen Auffassung deutlich. Aber weniger als in Cleveland – und noch weit weniger als im römischen Stundenbuch – wird der Raum als ein von vorne nach hinten fluchtendes Kontinuum aufgefaßt. Er erscheint vielmehr als eine Sphäre, in der die Figuren sich frei und individuell bewegen und die sie allseits umgibt. Darin manifestiert sich dann doch eine Gemeinsamkeit zwischen dieser und den beiden vorhin besprochenen Meßdarstellungen im Rothschild-Gebetbuch, die sie von den übrigen in diesem Zusammenhang erwähnten Bildern in den anderen Handschriften absetzt. Selbst die bezüglich des Zusammenschlusses der Figuren extreme Darstellung der Marien­ messe auf fol. 75v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 107) läßt diese spezielle Raumauffassung zumindest ansatzweise erkennen. Vom Vordergrund durch ein Stück Boden abgesetzt erscheint frontal wiedergegeben der Altar, an dem der zelebrierende Priester mit seinem Rücken zu den Betrachtenden steht  ; doch hat er soeben den Kopf gedreht, um eine Patene zu küssen, die ihm der rechts kniende Geistliche mit einer eigentümlichen Torsion entgegenhält. Ein zweiter Kleriker kniet links auf den Stufen zum Altar und ist dem Geschehen schräg zugewandt. Er findet seine gegengleiche Entsprechung in dem rechts noch vor dem Podest positionierten Ministranten. Der konsequenten, trichterartigen Ausrichtung dieser beiden

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Abb. 107: Marienmesse; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 75v.

Figuren auf das zentrale Geschehen, dem trotz des räumlichen Aufbaus eine starke Frontalisierung durch die Haltung der beiden Protagonisten und den doppelten Altaraufsatz nicht abzusprechen ist, wird an den Bildrändern eine gewisse Öffnung des Raumes nach hinten zu beigegeben, die durch an den Seiten und von hinten an der Feier teilnehmendes Volk suggeriert wird. Nirgendwo ist ein Ausblick in die Tiefe gegeben, vielmehr will es scheinen, daß der Raum sich hinter dem Altar fortsetzt, ihn gleichsam umgibt, was nicht zuletzt durch den türkisgrünen, den Altarbereich seitlich und hinten abgrenzenden Vorhang zum Ausdruck gebracht wird. Gerade im Hinblick auf die im letzten Beispiel manifeste Raumauffassung drängt sich noch ein weiterer Vergleich auf, nämlich jener zwischen den Totenamtsminiaturen im Rothschild-Gebetbuch und im vatikanischen Stundenbuch (Abb. 108, 40). Diese Bilder ähneln

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Abb. 108: Totenamt; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 28v.

einander insofern, als beide der geläufigen Lösung für dieses Thema entsprechend einen frontalen Raumeinblick zeigen. Die Darstellung auf fol. 18v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 40) folgt einem in der Buchmalerei der Zeit weit verbreiteten Schema besonders eng  : Man blickt in den Umgangschor einer Kirche, der durch einige unter dem Chorschluß befindliche, überraschend kleine Figuren (vielleicht Skulpturen) eine Größe offenbart, die allein durch die Proportionen der Architektur nicht zu erkennen wäre. Im Vordergrund, also im vorderen Bereich des Chores, befindet sich der aufgebahrte Sarg mit aufwendigem Kerzenschmuck, flankiert von Kerzenträgern in schwarzen Kapuzenmänteln und ähnlich vermummten Pleurants. Im Chorgestühl zu beiden Seiten sitzen drei Kleriker und ein weiterer Trauernder. Als Raumvektoren fungieren hier nicht nur die Diagonalen der Bänke, sondern auch der gerade in die Tiefe fluchtende Sarkophag, wobei der Künstler der Gefahr der bloß flächendekorativen Wirkung des Katafalks durch die ihn in zwei Reihen flankierenden Pleurants ausweicht, deren

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hintereinandergestaffelte Köpfe ebenso wie ihre Vermittlung von der Schräge der Bankreihen zur Geraden des Sargs keinen Zweifel an der Raumgerichtetheit des Dargestellten lassen. Auf fol. 28v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 108) wird ein viel seichterer (und offenbar auch viel engerer) Sakralraum mit geradem Chorabschluß in ebenfalls frontalem Einblick gezeigt. Dadurch wirkt diese Miniatur vorerst um vieles weniger räumlich als jene im vatikanischen Stundenbuch. Dies beginnt damit, daß der mit einem (durch vier Kerzenleuchter fixierten) Tuch abgedeckte Grabschacht hier unmittelbar am unteren Bildrand ansetzt, während auf fol. 18v von Cod. Vat. Lat. 3768 nicht nur der Katafalk, sondern auch die beiden in Rückenansicht vor ihm stehenden Pleurants (einmal mehr explizite Repoussoirfiguren) vom Rahmen bereits durch einen Fliesenstreifen abgerückt sind. Auch fehlen im Rothschild-Gebetbuch die aggressiven Raumvektoren der flankierenden Chorbänke, obgleich der Künstler durch Grabplatten rechts und links des offenen Schachtes und durch die sich verjüngenden Kacheln auch hier der bloß flächendekorativen Wirkung des Grabtuches entgegenzuarbeiten wußte. Ungeachtet dessen wird der so initiierte Tiefenzug am unmittelbar dahinter über zwei Stufen erreichbaren Altar gebremst, welcher nicht nur durch das grüne Brokatantependium, sondern mehr noch durch das deutlich erkennbare Altarbild, das als inhaltliches Pendant zum Thema dieser Miniatur eine Lazaruserweckung zeigt, den Blick auf sich zieht und bindet. Andererseits aber offenbart die Rothschild-Totenmesse eine Qualität, die bereits in den anderen Darstellungen dieser Handschrift hervorgehoben werden konnte. Die einzelnen Figuren sind in ihrer Körperlichkeit weit stärker individualisiert als im vatikanischen Stundenbuch – und dies, obwohl das Gros der Personen auch hier die schwarzen Kapuzenmäntel trägt und ein Teil von ihnen nur von hinten zu sehen ist. Doch gibt der Künstler die Figuren nicht nur in vielfältigere Handlungen involviert wieder, sondern höht vor allem bei der in Rückenansicht gegebenen Gruppe rechts jede einzelne Schulterpartie mit einem hellen Grauton, so daß die Pleurants nicht zu einer einheitlichen Masse verschmelzen wie im vatikanischen Stundenbuch, sondern individuell wahrgenommen werden. Hinzukommt, daß die Figuren, die rechts vorne Kerzen empfangen (welche sie nach dem Kuß der ihnen vom Priester entgegengehaltenen Patene wieder abgeben), offensichtlich den Altar umrunden und damit die Umgehbarkeit dieses Gebildes – und in der Folge das Umfassende des Raumes sowie die freie Beweglichkeit der Akteure darin – veranschaulichen. Im vatikanischen Stundenbuch ist zwar ebenfalls ein Umgangschor dargestellt, der jedoch allein auf Grund der Distanz nicht mehr als solcher erlebt wird. Im Rothschild-Gebetbuch wird durch den Zug der Personen, die für den Betrachter einzeln wahrnehmbar und deren Handlungen nachvollziehbar sind, ein Kreisen und eine Bewegung im Raum angedeutet, die offenbar einer ganz anderen Auffassung als die Gestaltungsprinzipien in den vatikanischen Miniaturen entspringen und den wesentlichen Unterschied zwischen den Bilderfindungen der beiden Handschriften ausmachen. Auch die Gegenüberstellung der raumhaltigsten Miniaturen in beiden Handschriften (die Messe zum Heiligen Geist auf fol. 37v des Rothschild-Gebetbuchs, Abb. 6, und die Wiedergabe einer Beichte auf fol. 51v von Cod. Vat. Lat. 3768, Abb. 5) führt zu ähnlichen Ergebnissen. Zudem markieren diese Bilder den engsten Berührungspunkt zwischen den in den beiden Werken manifesten Stiltendenzen.

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Der Raum auf fol. 51v im dritten Band des vatikanischen Stundenbuchs (Abb. 5) ist auf eine bereits aus der Totenamtminiatur dieser Handschrift bekannte Weise konstruiert  : Auf beiden Seiten führen Schrägen in die Bildtiefe, die hier durch den ab dem Mittelgrund gegebenen Einblick in drei gleich große, längsverlaufende Kirchenschiffe mittels einer regelrechten Trichterwirkung erschlossen wird. Daran ändert wenig, daß das linke und bis zu einem gewissen Grad auch das rechte Schiff weitgehend durch Objekte im Mittel- und Vordergrund verstellt sind. Der Blick durchs Mittelschiff wird von vorne bis nach hinten, ja noch aus der geöffneten Kirchentür hinaus in eine (nur mehr schemenhaft erkennbare) Landschaft geführt. Nur im unmittelbaren Vordergrund bricht eine kauernde, in Rückenansicht gegebene Frau diese Sogwirkung. Sie fungiert zwar auch als Repoussoirfigur, aber nicht in die alles dominierende Raumflucht (die ohnehin schon überaus prominent ist), sondern auf die am linken Bildrand plazierte, bereits in den Raum verschobene (da vom unteren Rahmen abgerückte) Beichtgruppe zu. Ungefähr auf gleicher Höhe wie diese (jedoch ein wenig kleiner gegeben und damit eine größere Entfernung zum Betrachter suggerierend) kniet am rechten Bildrand ein seine Bußgebete sprechender Mann vor einer Altarmensa, die den rechten Raumvektor markiert und kompositorisch nahtlos an die rechte Säulenstellung der Mittelschiffarkatur angrenzt. Vor der linken Säule (wie der Verlauf der Steinfliesen unschwer erkennen läßt, bereits auf halbem Weg nach vorne zu) steht ein weiterer, auf eine Beichtgelegenheit wartender Gläubiger. Unter der zentralen Arkade befindet sich ein Weihwasserbecken, in das eine winzig kleine Nonne ihre Finger taucht. Es ist erstaunlich, daß der Künstler sich nicht die Mühe machte, diesen offenbar in der Begeisterung für die zu suggerierende Tiefe unterlaufenenen Proportionsfehler zu korrigieren. Vielleicht nahm er die Inkongruenzen in den Größenverhältnissen von Becken und Nonne zugunsten der gesteigerten Raumwirkung in Kauf. Im hinteren Teil des Mittelschiffes strebt eine weitere Person in Schwarz dem Ausgang zu, durch den eine ebenfalls schwarz gekleidete Figur mit einem Kind die Kirche betritt. Zweifellos stellt diese Miniatur mit ihrem den Tiefensog nicht verstellenden Vordergrundbereich das Innenraum-Pendant zur Abrahamsminiatur auf fol. 3v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 33) dar und markiert somit einen Höhepunkt in der Wiedergabe von Räumlichkeit innerhalb der vatikanischen Handschrift. Dies kann – unter anderen Spielregeln – auch von der Heilig-Geist-Messe auf fol. 37v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 6) behauptet werden. Freilich zeugt schon die Architektur, die der Künstler hier als Schauplatz des Geschehens wählt, von einer ganz anderen Auffassung als im vatikanischen Stundenbuch. Der vordere Raumteil wird im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 durch eine ausgeschiedene Vierung gebildet, wobei zwei im rechten Winkel einander zugeordnete Arkadenbögen dieses Kompartiment nach rechts (dort durch einen Lettner mit Triumphkreuzgruppe verbaut) und nach links hinten (wo sich ein freier Durchblick durch ein geöffnetes Portal in eine Gasse bietet) erweitern. Der somit in der linken oberen Bildhälfte angesiedelte hintere Raumteil (offenbar ein mit polygonaler Apsis abgeschlossener Querhausarm) wird durch das Fliesenmuster mit der Vierung vorne verbunden. Ja, der entscheidende Raumvektor, der im rechten Vordergrund mit dem schräg verkürzten Podest des vom Bildrand überschnittenen Altares beginnt, setzt sich auf diese Weise bis zum Kirchenportal links hinten fort. Zudem steht der mittlere der drei die Messe zelebrierenden Priester auf eben dieser Fluchtli-

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nie in den Raum hinein gewandt, um dem Kirchenvolk aus der Heiligen Schrift vorzulesen, schafft also auch eine inhaltliche Verbindung in den hintereinander angeordneten Raumteilen. Freilich ist gerade an dieser Figur die Andersartigkeit des Raumkonzepts gegenüber der vatikanischen Miniatur besonders augenfällig. Denn obwohl in Rückenansicht gegeben, läßt sich der Kleriker auf fol. 37v des Rothschild-Gebetbuchs schwerlich als Repoussoirfigur bezeichnen. Seine durch sein Gewand noch untermauerte Frontalität und Symmetrie blockieren den dominanten Raumvektor eher, als daß sie ihn vorantreiben. Außerdem wird der Blick an dieser Stelle – über den vor dem Lektor stehenden, von ihm großteils überschnittenen Ministranten – auf eine weitere Raumachse umgeleitet, nämlich zu der aus vier Personen bestehenden Gruppe im rechten Mittelgrund vor dem Vierungspfeiler. Jeder der drei prominenten Geistlichen ist in einer anderen, in gewisser Weise introvertierten Tätigkeit gezeigt, und alle drei behaupten trotz farblichem Gleichklang und gegenseitiger Überschneidung ihre freie Beweglichkeit und aufrechte Individualität im Raum. Es ist bezeichnend, wie selbst die nach links gewandte Profilfigur des rechts plazierten Klerikers allein durch die gespreizten Beine, die mittels der Schuhspitzen angezeigt werden, ein raumverdrängendes Volumen wie auch ein raumorientiertes Bewegungspotential verrät. Am deutlichsten manifestiert sich dieses aber bei dem Priester links, der schräg im Raum steht und sich in einer Drehbewegung einem sein Weihrauchfaß füllenden Ministranten zuwendet, der parallel zu ihm kniet und ebenfalls eine Drehung vollführen muß, um seine Arbeit verrichten zu können. Diese Figuren initiieren zusammen mit dem mittleren, abgewandten Geistlichen einen Halbkreis, der durch den rechts stehenden Priester vollendet wird und den eigentlichen Aktionsraum der Vordergrundfiguren markiert. Zugleich gleitet der Blick vom Kopf des linken Geistlichen zu einer weiteren, vielfigurigen Laiengruppe, die vom Querhausarm – also vom Hintergrund aus – der Lesung zu lauschen scheint. Diese Gruppe befindet sich neben dem dominanten, von rechts vorne ausgehenden Raumvektor und wirkt einmal mehr nicht nur dem Tiefensog entgegen, sondern lenkt auch die Aufmerksamkeit nach vorne zurück. Eine ähnliche Funktion erfüllt die schwarz gekleidete Frau mit einem Kind an ihrer Seite, die im Mittelgrund am linken Bildrand erscheint, allerdings so weit an diesen gedrückt, daß der Blick ungehindert an ihr vorbei das Weite suchen kann. Somit ist offensichtlich, daß trotz der in dieser Miniatur bislang konkurrenzlosen Ausdehnung des Raumes, dessen Hohlmaß durch den breiten polygonalen Chorschluß noch unterstrichen wird, dieselben Stilmerkmale wie in den anderen Meßdarstellungen des Rothschild-Gebetbuchs vorherrschen. Dazu gehören die inhaltlich wie stilistisch (mit vollrundem Volumen ausgestatteten und plastisch überzeugend durchmodellierten) individualisierten Figuren, die sich in dem sie umgebenden Raum frei aufzurichten und zu bewegen scheinen. Gerade im Vergleich zum Tiefensog auf fol. 51v von Cod. Vat. Lat. 3768 wird das Allumgebende dieses Raumes nicht nur durch mehrfach den Blick auffangende und zum Kreisen einladende Elemente, sondern auch durch die Rundung der hinteren Raumgrenze suggeriert und durch einander überkreuzende Raumvektoren in seiner Komplexität spürbar gemacht. Es ist bezeichnend, daß der Illuminator im Rothschild-Gebetbuch dort, wo er die per se schon einen Tiefensog erzeugende Architekturform der Beichtdarstellung auf fol. 51v von Cod. Vat. Lat. 3768 erneut als Schauplatz für eine Darstellung wählt – in der Allerheiligen-

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Abb. 109: Allerheiligenmesse; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, Rothschild-Gebetbuch, fol. 46v.

messe auf fol. 46v von ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 109) –, eine massive Barriere zwischen Vorder- und Hintergrund in Form von Chorgestühl, Chorschranken und Beichtstuhl setzt und den durchaus auch im Vordergrund beginnenden und vom Architekturverlauf fortgesetzten Raumvektoren den bildparallelen Zug der drei Protagonisten entgegenhält. Neben den aus anderen Miniaturen bereits bekannten, den Blick zum Vordergrundgeschehen zurückleitenden Figuren wie den Chorgestühlinsassen und den Ministranten treten hier auch runde Formen wie der exzentrisch von der Decke herabhängende Leuchter oder der halbkreisförmig vorspringende Beichtstuhl links neben der (durch den mittleren Kleriker weitgehend verstellten) Schrankenöffnung auf, die allesamt dem spezifischen Raumgefühl dieses Illuminators, das nicht tiefenorientiert, sondern allumfassend ist, Ausdruck verleihen. Nun läßt aber, wie sich anhand der bislang besprochenen Meßdarstellungen bereits abgezeichnet haben dürfte, die Ausstattung des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 durch den Jakobs-

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Abb. 110: Heilige Veronika; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 8v.

meister – ähnlich wie jene im vatikanischen Stundenbuch – zwei stilistisch divergierende Tendenzen erkennen, die nur in einigen Fällen explizit geschieden werden können, während sich in anderen Miniaturen enge Berührungspunkte, ja Überlappungen ergeben. So zeigen das Veronikabild auf fol. 8v (Abb. 110), die Pfingstdarstellung am Beginn der HeiligGeist-Horen auf fol. 32v (Abb. 111), die Kreuzigung am Beginn der Kreuzhoren auf fol. 59v (Abb. 112) sowie die vier dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen des Marienzyklus (die Verkündigung, fol. 84v, die Heimsuchung, fol. 99v, der Marientod, fol. 130v, und die Krönung Mariae, fol. 134v) (Abb. 113–116) eine gegenüber den meisten Meßbildern (mit Ausnahme der Sakraments- und der Marienmesse, Abb. 106, 107) sowie gegenüber der Begräbnisdarstellung zu Beginn der Totenvigil auf fol. 164v (Abb. 117) deutlichere Tendenz zur Zusammenfassung der Figuren zu einheitlichen Gruppen und wohl auch eine gewisse Verflächigung. Teilweise geht damit auch ein merklicher Qualitätseinbruch einher, dem allerdings

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Abb. 111: Pfingsten; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 32v.

immer noch hochwertigere Miniaturen entwachsen, als sie von den übrigen an der Ausstattung beteiligten Illuminatoren geboten werden. Primäres Beispiel hierfür ist die Darstellung der Kreuzigung auf fol. 59v (Abb. 112), die eigentümlich spannungslos sowohl bezüglich der Komposition als auch bezüglich der Erzählung und sogar hinsichtlich der malerischen Textur ausgefallen ist. Schließlich sind zwei weitere Miniaturen von der Hand (oder dem Kreis) unseres Künstlers zu nennen, die offensichtlich (zusammen mit einigen anderen) den Heiligensuffragien angefügt wurden (wobei das abweichende Layout und die etwas andere Schrift eine etwas spätere Entstehung nahelegen). Es handelt sich um die Darstellungen des heiligen Vinzenz auf fol. 238v221 (Abb. 118) und des heiligen Benedikt auf fol. 242v (Abb. 119). Sie unterscheiden sich 221 Irritierenderweise stellt Vinzenz auf fol. 238v (Abb. 118) offenbar den (gegenüber dem hier so-

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Abb. 112: Kreuzigung; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 59v.

von beiden Gruppen des Kernstocks und stellen somit eine dritte Facette des JakobsmeisterStiles innerhalb des Rothschild-Gebetbuchs dar. eben geschilderten) umgekehrten Weg der Beeinflussung zwischen den im Rothschild-Gebetbuch tätigen Illuminatorenteams dar. Die Figur des heiligen Vinzenz folgt exakt der gleichen Vorlage wie die des heiligen Laurentius auf fol. 219v. Da die Laurentiusminiatur die schwächere der beiden ist, würde man annehmen wollen, daß der für sie verantwortliche Illuminator das Vinzenzbild kopierte. Auf Grund dessen, daß letzteres aber eindeutig zu dem wohl später hintangefügten Appendix gehört, wird man sich damit abfinden müssen, daß der Maler des besseren Werkes entweder das schwächere kopierte oder aber auf die gleiche Vorlage zurückgriff (was erstaunlich ist, weil die beiden Illuminatoren sicher nicht der gleichen Werkstatt angehörten). Vgl. Trenkler 1979, Faksimile.

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Abb. 113: Verkündigung; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 84v.

Vorweg sind es jedoch die Miniaturen des Kernstocks im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, die im Œuvre des Künstlers positioniert werden wollen. Stellt man die Pfingstminiatur auf fol. 32v (Abb. 111) der soeben besprochenen Darstellung der Heilig-Geist-Messe auf fol. 37v (Abb. 6) gegenüber, so sind bei aller Ähnlichkeit des angelegten Raumes – ein dominierender diagonaler Tiefenzug mit Öffnung nach hinten und ein weiterer potentieller Ausblick zur Seite in ein zweites Raumkompartiment – Unterschiede in der Art zu konstatieren, wie die Figuren auf diesen Raum reagieren. Die kreisende Zusammenfassung des Vorder- und Mittelgrundes ist auch in der Pfingstminiatur gegeben  : Maria kniet frontal vom Vordergrund abgerückt vor ihrem Betpult und fängt den in der linken unteren Ecke mit dem Verlauf des Dielenbodens beginnenden Tiefenzug (der allerdings hier durch keinerlei Repoussoirmotive

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Abb. 114: Heimsuchung; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 99v.

unterstützt wird) entschieden ab. Vor ihr haben zwei Apostel Platz gefunden, wobei der linke in einer durch sein ausladendes Gewand noch unterstrichenen Profilstellung kauert, während der rechte in einer (durch den Gewandverlauf allerdings verunklärten) schräg räumlichen Haltung kniet. Hinter Maria schließt sich die dichte Wand der übrigen Apostelansammlung, wobei sich wenig dadurch ändert, daß sich die einzelnen Figuren in verschiedenem Abstand und unterschiedlichen Aktionen hinter der Gottesmutter befinden und letztlich einen großen Kreis um sie ziehen – aus Mangel an Freiraum zwischen ihnen bleibt der Eindruck einer Front erhalten, der durch die gerade dort wenig abwechslungsreiche Farbigkeit noch gesteigert wird. Nun wäre es ein leichtes, diesen Unterschied auf das Thema – die Darstellung des Pfingstwunders – zurückzuführen. Doch genügt ein Blick auf die Pfingstminiatur auf fol. 45v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 34), um das Gegenteil zu beweisen.

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Abb. 115: Marientod; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 130v.

Grundsätzlich hat dieses Bild erstaunliche Ähnlichkeiten mit beiden soeben besprochenen Rothschild-Miniaturen, ja zeigt im Vergleich dazu sogar einen geringeren Tiefensog durch einen weniger steilen dominierenden Raumvektor von links vorne nach rechts hinten. Daneben gibt es jedoch Divergenzen, die charakteristisch für die unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien in beiden Handschriften sind und zudem darüber belehren, daß auch vielfigurige Darstellungen wie das Pfingstwunder ohne undurchdringliche Figurenmauer konzipiert werden können. Zu den insgesamt charakteristischen Unterschieden zwischen den beiden Handschriften zählt die gleichsam monofokale Ausrichtung in Cod. Vat. Lat. 3769, die sowohl durch Gegenstände (wie die überdimensionierte Bank entlang der linken Mauer) als auch durch Anordnung und Ausrichtung der Figuren massiv vorangetrieben wird. Zwar ist gerade in dieser Miniatur durch die annähernd elliptische Verteilung der fünf vorderen Apostel rund

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Abb. 116: Marienkrönung; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 134v.

um die Gottesmutter eine gewisse kreisförmige Definition des Vordergrundes erreicht, die dem wesentlichen Gestaltungsprinzip der Miniaturen des Jakobsmeisters im Rothschild-Gebetbuch nahezukommen scheint  ; doch folgt die Haltung Marias und des hinter ihr knienden Apostels im Vaticanus der dominierenden Raumschräge, die auch bei der Anordnung der in der Bildtiefe sichtbaren übrigen sieben Apostel als primärer Faktor wirksam bleibt. Wesentlich ist, daß zwar im Vordergrund ein gewisses Verstellen des Tiefenblicks zumindest ansatzweise zu bemerken, jedoch durch Repoussoirfiguren wie den rechts außen in Rückenansicht knieenden Apostel wiederum aufgehoben ist, und außerdem genügend Platz zwischen den Akteuren vorne und den Jüngern hinten bleibt, damit sich der Tiefenzug voll entwickeln kann. Die Wiedergabe von Freiraum hingegen, die der Jakobsmeister in der Heilig-Geist-Miniatur des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 6) optimal verwirklicht, ist in der Pfingstdarstellung ebenda

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Abb. 117: Begräbnis; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 164v.

durch die zwar räumlich versetzt gedachten, jedoch in einer durchgehenden Masse wiedergegebenen Jünger verbaut, ohne jegliche Notwendigkeit auf Grund des Bildinhalts. Noch auffallender ist ein zweites Unterscheidungsmerkmal, das die erste (den überwiegenden Teil der Meßminiaturen) von der zweiten Miniaturengruppe (zu der die Pfingstdarstellung gehört) in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 trennt. Der Individualitätsverlust der Figuren kommt nämlich nicht nur in ihrem Mangel an Aktionsraum zum Ausdruck, sondern auch an der Wiedergabe ihrer Körperlichkeit, vor allem der Gesichter. Die Protagonisten in den Meßbildern zeichnen sich durch markante wie markant modellierte Physiognomien – und, sofern dies die Kleidung zuläßt, durch eine ebenso markante, weil stämmige und in ihren Bewegungen klar artikulierte Physis – aus. Eben dies geht in der zweiten Miniaturengruppe des Jakobsmeisters im Rothschild-Gebetbuch verloren. Die Gesichter verlieren ihre knochige

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Abb. 118: Heiliger Vinzenz; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 238v.

Struktur und wirken seltsam unartikuliert. Zwar könnte dies darauf zurückzuführen sein, daß der Künstler zwischen biblischen und zeitgenössischen Akteuren unterschied. Doch sprechen zwei Argumente dagegen  : Zum einen zeigt gerade die Gottesmutter in der Pfingstdarstellung die aus den Meßdarstellungen bekannten herberen Züge mit den hohen Wangenknochen und den schmalen, verquollenen Augen, die alle übrigen Personen dieser Miniatur vermissen lassen. Dies findet seine Erklärung darin, daß der Madonnenkopf als einziger der Darstellung offenbar nachträglich übergangen wurde, zumal die wesentlichen Züge dieses Gesichtes mit dunklen Linien nachgezogen wurden und dabei offenbar auch eine ausdrucksstärkere Modellierung vorgenommen wurde. Zum anderen gibt es sogar in der viel kleinfigurigeren Pfingstdarstellung des vatikanischen Stundenbuchs (in der wie in allen kleinfigurigen Kompositionen dieser Handschrift auch noch sparsam modelliert wird) Apostelköpfe – etwa jene

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Abb. 119: Heiliger Benedikt; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2844, RothschildGebetbuch, fol. 242v.

von Petrus und Johannes links im Bild –, die eine viel prägnantere Struktur aufweisen als die männlichen Physiognomien in der Pfingstszene von ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Auch an dieser Stelle bleibt es schwierig, einen Schluß aus all den Beobachtungen zu ziehen. Eine Möglichkeit wäre, daß der Illuminator zu einem späteren Zeitpunkt, als sich sein Formgefühl deutlich gewandelt hatte, den Eingriff in der früher von ihm ausgeführten Pfingstminiatur des Rothschild-Gebetbuchs vornahm. Dies würde bedeuten, daß die Gruppe der Meßdarstellungen im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 später als jene um die Marienzyklusminiaturen entstand. Oder aber es arbeiteten zwei Künstler an der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Ausstattung dieser Handschrift, die engst miteinander kooperierten und sich nicht nur durch eine überaus ähnliche Pinselschrift, sondern auch durch eine gleichermaßen hohe Qualität ihrer Werke auszeichnen. Schon in anderen Werken der frühen Gruppe, allen voran im Wiener Stundenbuch Cod. Vind. Ser. n. 2625, im Antwerpener Brevier und im

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vatikanischen Stundenbuch ließen sich vergleichbare Konstellationen feststellen, die im Wiener Stundenbuch und im Antwerpener Brevier als die Zusammenarbeit zweier Künstler, im Vaticanus darüber hinaus als Entwicklung eines einzelnen Individuums gedeutet wurden. In Cod. Vat. Lat. 3770–68 gestaltet sich die klare Abgrenzung zweier Persönlichkeiten deshalb schwieriger, weil Qualitätsschwankungen in beiden Miniaturengruppen vorkommen und die erste Miniaturengruppe den Keim für die Gestaltungsprinzipien der zweiten in sich trägt222. Auch im Rothschild-Gebetbuch gibt es eine deutlich schwächere Miniatur, jene zur Kreuzigung auf fol. 59v (Abb. 112), die dennoch im Vergleich zur üblichen Produktion der GentBrügger-Schule ansprechend bleibt. Auch dies scheint darauf hinzudeuten, daß sich im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 hinter dem Notnamen Jakobsmeister wenigstens zwei kongeniale Illuminatoren verbergen, die gleichberechtigt nebeneinander arbeiteten und zudem noch Gehilfen beschäftigen. Daß diese Idee keinesfalls abwegig ist, wurde schon gezeigt223. Im Zusammenhang mit dem Rothschild-Gebetbuch erhält sie allerdings gleich eine mehrfache und über die werkinterne Problematik hinausgehende Brisanz. Diese wird offensichtlich, wenn man die ehemals Wiener Handschrift ihrem Pendant, dem als Vorläufer betrachteten RothschildStundenbuch Add. Ms. 35313 in der British Library, gegenüberstellt. Das Rothschild-Stundenbuch Add. Ms. 35313 Das in der British Library unter der Signatur Add. Ms. 35313 aufbewahrte Rothschild-Stundenbuch wird in der neueren Literatur um 1500 datiert224, damit also zuletzt gleichzeitig mit Cod. Vat. Lat. 3770–68. Anders als der Vaticanus, der diesbezüglich eine Ausnahme ist, und wie die meisten Handschriften der Zeit (darunter auch das ehemals Wiener RothschildGebetbuch) wurde das Londoner Stundenbuch von verschiedenen Illuminatorenteams ausgestattet. Dabei ist hier, wie bislang noch in keinem Werk des Jakobsmeisters, ein ganzer Mitarbeiterstab unseres Künstlers nachzuweisen. Zudem entsprechen einige der Miniaturen bis in Details den Darstellungen gleicher Thematik im Rothschild-Gebetbuch, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, wobei (was schon aus der in der Literatur gängigen Datierung hervorgeht) gemeinhin die Londoner Bildlösungen als die früheren (und implizit somit als die originalen) gelten225. Dies würde bedeuten, daß die Bilder des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs exakte Kopien sind, wenn nicht nach den Londoner Bildern, dann nach den gemeinsamen Vorlagen. Dieser in der flämischen Buchmalerei der Zeit durchaus übliche Modus der Bildfindung erstaunt jedoch im Fall des Jakobsmeisters außerordentlich. Unser Künstler verfügte zwar, 222 Vgl. hier Kap. III 1 c. 223 Ebenda. 224 Malibu 1983, S. 63–68, bes. S. 67  ; Calkins 1998, S. 54  ; Smeyers 1998, S. 440 f.; London – Los Angeles 2003, S. 369 ff. (Nr. 109), S. 528 (ausführliche Literaturangaben). 225 Eine abweichende Meinung vertrat de Winter 1981, S. 424, der beide Rothschild-Handschriften „ca. 1505“ datierte.

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wie alle seine Zeitgenossen, über ein Repertoire an Bildlösungen, das er immer wieder durchspielte – aber eben nur durchspielte  ! Seine Kompositionen sind zumindest in seinen heute noch erhaltenen Werken phantasievolle und originelle Variationen einmal entwickelter Ideen, und bestenfalls in den kleinformatigen Illustrationen verschiedener Heiligensuffragien finden sich manchmal fast identische Lösungen (wobei auch dann die feinen Unterschiede oft einen ganz erstaunlichen Ausdruckswandel bewirken). Miniaturen, die einander (mit nur minimalen Veränderungen) so sehr entsprechen wie jene in Add. 35313 und im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, sind in seinem unmittelbaren Kreis sonst nicht anzutreffen226. Dies macht stutzig, umso mehr deshalb, als auch andere Darstellungen im Londoner Stundenbuch mehr oder minder exakte Kopien älterer Vorbilder sind. Dieser Umstand läßt sich nur schwer mit jener Kreativität vereinen, die den oder auch die Jakobsmeister üblicherweise auszeichnet, und sollte bei jeder Auseinandersetzung mit Add. 35313 und dem ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 bedacht werden. Hinzu kommt, daß die Qualität der Miniaturen im Londoner Stundenbuch außerordentlich schwankt, so daß große Teile der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Ausstattung mit Sicherheit Gehilfenarbeit sind227. Anders läßt sich nicht erklären, weshalb die Leistung in vielen Fällen so kraß unter dem Niveau liegt, das unser Künstler in den Arbeiten der frühen Gruppe erreichte. Die verschiedenen Hände in Add. 35313 manifestieren sich auch in unterschiedlichen Bildauffassungen, die von den eventuellen Vorlagen vielleicht vage beeinflußt, aber sicher nicht abzuleiten sind. Genau dies aufzuzeigen eignet sich das Londoner Stundenbuch außerordentlich gut. Aus der Gruppe der eigenhändigen Arbeiten unseres Künstlers sollte es jedoch ausgegliedert werden. Dies trifft m. E. sogar für die besten Miniaturen darin zu, die ich nicht jenem Meister zuschreiben möchte, der das vatikanische oder auch das Spinola-Stundenbuch als Projektleiter und primärer Ausführender illuminierte  ; dies wird zu zeigen sein. Dabei ist Add. 35313 ein aufwendig ausgestattetes Buch. Es variiert ein zu seiner Entstehungszeit in seinem Kunstkreis vergleichsweise seltenes Illustrationsschema, das allerdings auch im Spinola-Stundenbuch zur Anwendung kam  : Dort setzt der Beginn der jeweiligen Stundengebete bereits auf der Verso-Seite unter dem Vollbild ein und findet auf der gegenüberliegenden, ebenfalls mit einer sogenannt ganzseitigen Miniatur ausgestatteten Recto-Seite in einem ebenso kurzen Textstück seine Fortsetzung. Damit kommt es zu einer Kombination gleichwertiger Miniaturenpaare. In Add. 35313 ist dies dahingehend abgewandelt, daß dem wie üblich auf der Verso-Seite plazierten Vollbild der nur zwei Zeilen umfassende Textbeginn auf der Recto-Seite gegenübergestellt und der verbleibende Platz dort mit einer ebenfalls nahezu ganzseitigen Miniatur gefüllt wurde. Somit stehen sich letztlich wiederum nahezu gleich große Bildpaare gegenüber. Dieser vergleichsweise unökonomische Modus bot geringere Möglichkeiten der Arbeitsteilung als üblich  : Die Miniaturen mußten auf Schriftseiten 226 Die wenigen Ausnahmen wurden bereits angeführt, vgl. oben III 1 b und c. 227 Ähnlich äußerte sich neuerdings auch Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 371, Anm. 5. Er glaubt nun bestenfalls zwei Miniaturen dem Jakobsmeister zuschreibbar, jene auf fol. 76v und 77r  ; Abb. bei Smeyers 1998, S. 441, Abb. 29 bzw. hier Abb. 121.

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untergebracht und daher Illuminatoren und Schreiber koordiniert werden, was bei den auf Einzelblättern gemalten und frei einzubindenden Standardillustrationen nicht der Fall ist. Allerdings dürfte man die Kosten für den größeren Arbeitsaufwand in Add. 35131 auf andere Art eingespart und die Ausführung der Bilder großteils Gehilfen überlassen haben  ; dies gilt nicht nur für die mit dem Jakobsmeister assoziierten Miniaturen, sondern auch für die von einem anderen Illuminatorenteam hergestellten Bilder in den Heiligensuffragien228. Der von der Werkstatt des ­Jakobsmeisters ausgeführte Buchschmuck des Londoner Roth­schild-Stundenbuchs umfaßt nicht nur einen geschlossenen Marienzyklus (mit einer ein wenig wahllos wirkenden Abfolge von einerseits typologischen, andererseits der Erzählsequenz entsprechenden Miniaturenpaaren), sondern auch einen gleichfalls Abb. 120: Verkündigung; London, British paarweise arrangierten Passionszyklus als IlLibrary, Add. Ms. 35313, Rothschildlustration des Kreuzoffiziums, eine in flämi- Stundenbuch, fol. 56v. schen Stundenbüchern der Zeit eher seltene Konstellation. Sie findet sich auch in einem dem Rothschild-Stundenbuch eng verwandten Werk, dem im Sir John Soane’s Museum, London, verwahrten Stundenbuch Ms. 4229, das möglicherweise in derselben Werkstatt wie Add. 35313 entstanden ist, die Hand des Jakobsmeisters oder auch nur seiner engen Mitarbeiter jedoch nicht erkennen läßt und uns daher nur am Rande beschäftigen wird230. Im vorliegenden Abschnitt soll versucht werden, die Relation der beiden Rothschild-Handschriften zueinander und ihre Stellung im Œuvre unseres Künstlers (und seiner engsten Mitarbeiter) näher zu beleuchten. Die vier im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 dem Jakobsmeister zugeschriebenen Marien­ zyklusminiaturen (Abb. 113–116) entsprechen exakt den vier Darstellungen selben Inhalts in 228 Vgl. Malibu 1983, S. 67  ; London – Los Angeles 2003, S. 370. 229 London – Los Angeles 2003, S. 444  ff. (Nr. 138), S. 530 (Literaturangaben)  ; die Handschrift muß nach 1512 entstanden sein, wie anhand der darin abgebildeten Pilgerabzeichen ersichtlich wird  : siehe Köster 1965, S. 472. 230 E. Morrison, ebenda, S. 443, benannte den für die Ausstattung von Soane Ms. 4 hauptverantwortlichen Illuminator „Master of the Soane Hours“.

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Abb. 121: Heimsuchung; London, British Library, Add. Ms. 35313, RothschildStundenbuch, fol. 76v.

Add. 35313 (Abb. 120, 121)231. Gerade letztere zeichnen sich gegenüber den meisten übrigen Vollbildern des Londoner Stundenbuchs, die verschiedene Varianten einer vergleichsweise gröberen Technik erkennen lassen, durch eine sehr qualitätvolle Ausführung aus. Im Gros der Miniaturen von Add. 35313 wird die charakteristische lose Faktur des Jakobsmeisters (die oft auf feine Übergänge verzichtet, stets aber eindrucksvolle haptische wie optische Effekte durch souverän gesetzte Farbschatten und Lichter suggeriert) auf eine ein wenig unbeholfene Weise imitiert. Statt einer überlegenen Reduktion der Mittel begegnet man einem eher pastosen, dabei aber fleckigen (und nicht wie in anderen Werkstätten getupfelten) Farbauftrag in mehreren Lagen, der nur bei oberflächlicher Betrachtung einen ähnlichen Eindruck wie die aquarellartigen Lavierungen und Schraffuren des Jakobsmeisters hervorruft und einem direkten 231 London – Los Angeles 2003, S. 370, ill. 109b.

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Vergleich damit nicht standhält. Zwar ist das Ergebnis, für sich allein betrachtet, durchaus ansprechend und immer noch anspruchsvoller als die technisch oft spannungslos gemalten Werke anderer Illuminatoren dieser Zeit. Dies gilt sowohl für jene Miniaturen in Add. 35313, die schon auf Grund des abweichenden Motiv- und Typenrepertoires eindeutig als Gehilfenarbeit zu erkennen sind (wie etwa die Hirtenverkündigung auf fol. 95v oder die Epiphanie auf fol.101v, Abb. 122), als auch für einige jener Bilder (beispielsweise im Passionszyklus), die den Gestaltungsprinzipien und dem Formenrepertoire des Jakobsmeisters relativ getreu folgen232. Technisch hochqualitative Arbeiten sind jedoch nur jene Miniaturen, in denen die Imitation der flinken, lockeren Manier des Meisters zugunsten einer kompakten, beinahe glatten Textur aufgegeben wurde. Die dadurch erzielte Dichte der Oberfläche Abb. 122: Anbetung der Heiligen Drei Könige; weicht deutlich von der losen Pinselschrift London, British Library, Add. Ms. 35313, unseres Illuminators ab. Somit sind gerade Rothschild-Stundenbuch, fol. 101v. die qualitätvollsten und formal der Kunst des Jakobsmeisters am deutlichsten verpflichteten Bilder von seiner bislang als charakteristisch erkannten Malweise relativ weit entfernt. Es soll versucht werden, zuerst jene Miniaturen zu positionieren, die in Add. 35313 und im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 übereinstimmen. Wie Thomas Kren 1983233 feststellte, finden sich auch in den exakt den ehemals Wiener Bildern entsprechenden Darstellungen des Londoner Stundenbuchs einige kleine, dafür aber bezeichnende Abweichungen. Kren wies darauf hin, daß der kleine Felshügel im linken Vordergrund der Londoner Heimsuchung (Add. 35313, fol. 76v) (Abb. 121) in der Version des Themas im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, fol. 99v (Abb. 114), flacher und niedriger und die Malweise in der letztgenannten Miniatur atmosphärischer bzw. konkret in der Physiognomie der Elisabeth weniger grob geworden sei. Kren deutete dies als Zeichen für eine Entwicklung des Jakobsmeisters, die ihn dazu veranlaßte, die Londoner Handschrift wesentlich früher („significantly earlier“) als die Wiener zu datieren. Obwohl der Autor neuerdings Zweifel an der Eigenhändigkeit der meisten Miniaturen in Add. 35313 äußerte, wobei er ausdrücklich nur die Heimsuchungsszene 232 Vgl. die Farbabb. von fol. 24v und 25r in Malibu 1983, S. 65, Taf. X. 233 Ebenda, S. 67.

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und die gegenüberliegende Darstellung von Sarah und Tobias bei Anna davon ausnahm, blieb er bei einer Datierung der Ausstattung um 1500234. Tatsächlich scheint der Vergleich der Visitatio-Miniaturen in den beiden Codices fürs erste einer solchen (oder nur wenig späteren) Datierung von Add. 35313 Vorschub zu leisten. Die Unterschiede in den beiden nahezu identischen Lösungen beginnen damit, daß die Proportionen der Bildgefüge voneinander abweichen. In der Londoner Miniatur sind die Figuren größer im Verhältnis sowohl zur Landschaft als auch zur Bildfläche. Und dies, obwohl die Landschaft ihrerseits im Londoner Bild mehr Platz beansprucht als in der ehemals Wiener Miniatur, wo der Horizont tiefergerückt und damit mehr Himmel zu sehen ist (der auch im Gegensatz zur Version in Add. 35313 nicht durch Wolken gegliedert wird). Schon in diesem weit gespannten Firmament zeichnet sich die im ehemals Wiener Gebetbuch so charakteristische Auffassung des Raumes als allumfassend ab, und auch alle übrigen Divergenzen zwischen den beiden Bildern lassen sich auf diesen einen Nenner bringen. So wird im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 der unmittelbare Vordergrund mit den Figuren durch das sanfte Ansteigen des Hügels links vorne in die Tiefe hin ausgedehnt. Im Londoner Bild ist demgegenüber an derselben Stelle durch den kleinen Felsen mit den beiden geraden Bäumen darauf eine vertikale Barriere geschaffen. Sie wird von den beiden Figuren, deren Blockhaftigkeit durch die (anders als im ehemals Wiener Bild) einfarbig blaue Kleidung Marias noch unterstrichen ist, fortgesetzt und über den Mantel Elisabeths bis an den rechten Bildrand geführt. Im ehemals Wiener Gebetbuch ist dieser Mantelzipfel kleiner gehalten, so daß darunter noch der Ausläufer des hier sanft ansteigenden Vordergrundhügels sichtbar wird. Der Effekt ist dadurch ein denkbar anderer als im Londoner Stundenbuch  : Der Blick hat an dieser Stelle die Möglichkeit, hinter den Figuren in einer Schräge nach links zurückzugleiten, was die Rundheit und Umgehbarkeit der Protagonistinnen suggeriert. Dieser Eindruck wird auch durch den Mantel Marias unterstrichen, durch dessen Helligkeit seine Drapierung rund um den durch das blaue Kleid definierten Körper nachvollziehbar wird. Selbst der einzelne, dafür aber schräg nach rechts geneigte Baum in der ehemals Wiener Miniatur scheint dem gleichen Formgefühl entsprungen, zumal er fächergleich seine fedrigen Äste nicht nur zur Seite, sondern auch nach vorne zu, über die durch den Hügel markierte Vordergrundbühne zu strecken scheint. Durch sein feines Geäst hindurch ist der Himmel zu sehen, dessen weißblaue Färbung mit jener der fernen Flußlandschaft verschmilzt. Auch die Ausführung der bis in Einzelheiten gleich aufgebauten Landschaft wirkt in beiden Bildern unterschiedlich. Wo in der ehemals Wiener Miniatur farblicher Gleichklang und damit atmosphärische Einheit angestrebt wurde, suchte man in Add. 35313 den Kontrast. Vielfältige Gliederung (in London) steht Vereinheitlichung (im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844) gegenüber. Schon der Himmel ist in der Londoner Visitatio in eine dunkelblaue obere Firmament- und eine weiße untere Wolkenzone geteilt. Dem weißlichen Berg am rechten Bildrand wird die kräftig blaue Hügelkette links im Hintergrund zur Seite gestellt. Desgleichen ist das links im Mittelgrund nach hinten ansteigende, mit Feldern und Wiesen durchzo234 London – Los Angeles 2003, S. 371, Anm.5.

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gene Terrain in der Londoner Miniatur mittels der deutlich voneinander abgesetzten grünen und braunen Streifen strukturiert, während im ehemals Wiener Bild nach möglichst fließenden Übergängen und, sofern möglich, nach tonaler Angleichung der beiden Bodentypen getrachtet wurde. Zudem fällt auf, daß in Add. 35313 die durch den Farb- und Helligkeitskontrast hervorgehobenen horizontalen Streifen des Hintergrundes in einen kontrapunktischen Dialog mit den (weit stärker als im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 ausgeprägten) Vertikalen treten. Am markantesten sind die Senkrechten der beiden Bäume am linken Bildrand, deren dichtes, vom Rahmen seitlich und oben beschnittenes Geäst mehr als im Rothschild-Gebetbuch wie eine Barriere wirkt. Ferner ist auch die Architektur im Mittelgrund, bei grundsätzlicher Übereinstimmung der Formen, etwas höher als in der ehemals Wiener Visitatio, so daß die Wimpel der Rauchfänge über die Horizontlinie hinausragen und mehr von der Landschaft verdeckt wird. Dieser Kontrast von Horizontalen und Vertikalen in der Londoner Heimsuchung findet seine Entsprechung in der Konfrontation des nahsichtigen, gleichsam verstellten Vordergrundes mit dem im rechten Bildteil wiedergegebenen Vorstoß in die Bildtiefe. Die Blickbarriere, die vom Felsen mit den beiden Bäumen, den großen, blockhaften und weit mehr als im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 frontalisierten Figuren sowie vom formatfüllend gebauschten Mantel Elisabeths gebildet wird, wurde – in bereits bekannter Manier – mit einem Raumsog rechts kombiniert. Dort, wo im Rothschild-Gebetbuch wenigstens die Option besteht, über den schrägen Wegverlauf unterhalb des Mantels den Blick zurück nach links kreisen zu lassen, bleibt im Londoner Stundenbuch nur der abrupte Terrainsprung von dem flatternden Gewand der Base zu dem steil in die Tiefe führenden Weg, der sich, an den Gebäuden vorbei, in dem in die Ferne weisenden Fluß fortsetzt. Auch in der Gestaltung dieser Ferne manifestiert sich die gegenüber der ehemals Wiener Visitatio andere Auffassung  : Im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 ist die Flußlandschaft hinter dem (hier breiter proportionierten) Gebäudekomplex in einer hellen Luftperspektive gehalten, wobei sich alle Farben einem blassen Blauton annähern und die Umrisse zu verschwimmen scheinen. Die – im Gegensatz zur Miniatur im Londoner Stundenbuch – zur Gänze über den Dächern sichtbare Uferlandschaft geht farblich wie formal in das Gewässer über, das dadurch viel von seinem Tiefensog verliert und optisch in die Breite expandiert. In der Londoner Visitatio wurde eben dies durch mehrere Kunstgriffe verhindert. Die Dächer, die ja bis zum Horizont emporreichen, unterbinden eine Ausdehnung des Flußlaufes nach links, der zu einem konsequent sich in die Tiefe schlängelnden, auch farblich klar von seiner Umgebung abgesetzten Band wird. Dem entspricht, daß der Weg in der Londoner Miniatur steiler auf diesen Fluß zuhält, während er in der ehemals Wiener Visitatio zum rechten Bildrand und von dort (in einem letzten Bogen) über die leicht nach oben gewölbte Brücke zu dem stattlichen Domizil Elisabeths führt. Bezeichnenderweise gewinnt man im Londoner Bild den Eindruck, die dort schnurgerade, horizontale Brücke hin zum Gebäude bilde eine letzte Barriere, über die der Blick gleichsam im Stakkato in die Bildtiefe entlassen wird. Letztlich wird damit ein Raumsprung suggeriert, wo gar keiner ist. Denn der kleine Felsen im linken

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Vordergrund verdankt seine Existenz nicht nur der Tatsache, daß er zur Frontalisierung der vorderen Bildschicht beiträgt. Dadurch, daß die beiden Protagonistinnen an seiner schräg zu denkenden Flanke stehen, initiiert er eine räumliche Diagonale, die den rechts im Hintergrund wirksamen Tiefenvektor bis in den Vordergrund verlängert. Es ist aufschlußreich, den beiden soeben besprochenen Visitatio-Miniaturen jene auf fol. 139v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 20) gegenüberzustellen. Obwohl letztere eine großund halbfigurige Komposition ist und die Vergleichsmöglichkeiten mit den anderen beiden Bildern daher gering erscheinen, wird sofort klar, daß die vatikanische Version der Londoner näher steht als der Wiener. Dies beginnt mit motivischen Parallelen wie der physiognomischen Ähnlichkeit Elizabeths und reicht bis hin zur vergleichbaren Blockhaftigkeit der Figuren, die durch die ähnliche plakative Farbverteilung und die beide Male verwirklichte Ebenbürtigkeit der beiden Frauen in Größe und Haltung zustandekommt. Allerdings wird den dreidimensionalen Komponenten in der vatikanischen Darstellung weit mehr Bedeutung beigemessen. Die beiden Basen werden von den um ihre Köpfe herumführenden Tüchern in großem Bausch hinterfangen, was ihr Volumen ungleich mehr betont als die vergleichsweise enganliegenden Gewandteile im Londoner Bild. Auch die Plastizität der Detailformen ist in der vatikanischen Miniatur weit größer. Hinzukommt der klar definierte Raum hinter den beiden Frauen in Cod. Vat. Lat. 3770, neben dessen kontinuierlichen Schrägen sich jene in Add. 35313 fragmentarisch ausnehmen. Allerdings ist die Landschaft im Londoner Stundenbuch insgesamt tiefer und weiter als im vatikanischen, was damit zusammenhängt, daß die Figuren in letzterem den Ausblick weitgehend verstellen, aber auch damit, daß der Horizont im Londoner Bild nicht so weit hochgezogen ist wie in Cod. Vat. Lat. 3770. Insgesamt ist offensichtlich, daß die Londoner Heimsuchung Gestaltungsprinzipien erkennen läßt, die ähnlich auch in einigen Darstellungen des vatikanischen Stundenbuchs zu beobachten waren. Dazu gehört die Kombination eines bildparallelen Vordergrundgeschehens und eines expliziten Tiefenzugs oder auch die primär auf vertikalen und horizontalen Bildelementen aufbauende Bildkomposition. Zugleich aber läßt sich feststellen, daß das Motivrepertoire, das in den vatikanischen Miniaturen verwendet wurde, dieser Bildauffassung besser entspricht als jenes in der Londoner Visitatio. In letzterer fehlen beispielsweise jene prominenten Felsen, die im Vaticanus (und anderen Handschriften der frühen Gruppe) als frontale, bilddominierende Objekte einen Teil des Vordergrundgeschehens nach hinten zu abschirmen und den Fernblick auf einen Bildausschnitt reduzieren, und deren Vertikalität der Konfrontation von Senkrechten und Waagrechten entgegenkommt. Dafür gibt es zwei Erklärungen  : Entweder, der Künstler in Add. 35313 wandelte ein ihm gar nicht kongeniales Bildschema mit erstaunlicher Bestimmtheit zu einer seinen Vorstellungen entsprechenden Komposition ab. Oder aber seine Bildauffassung hatte sich schon so weit gegenüber der im Vaticanus manifesten gewandelt, daß er selbst die motivischen Veränderungen vornahm, die zu einer Modifikation der in Cod. Vat. Lat. 3770–68 gültigen Gestaltungsprinzipien führten. Zahlreiche Miniaturen in Add. 35313 zeigen Bildmuster, die der Auffassung des in der Visitatio tätigen Illuminators weit mehr entgegengekommen sein müßten als jenes in der Heim-

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suchung selbst. So findet sich in der (der Visitatio gegenüberliegenden) Darstellung von Sarah und Tobias bei Anna auf fol. 77r (Abb. 123) ein (durch die bildparallel gestaffelten Figuren und den mächtigen Felsen links) frontalisierter Vordergrund, dem rechts ein – über einen in die Tiefe führenden Weg erschlossener – Landschaftsausblick beigegeben wird. Dieses Kompositionsschema ist aus den letzten Werken der frühen Gruppe hinlänglich bekannt. Die Londoner Heimsuchung zeigt demgegenüber eine viel freiere, weitere Landschaftskonzeption. Es ist kaum vorstellbar, wie ein Künstler diese beiden so unterschiedlichen Bildentwürfe auf fol. 76v und 77r von Add. 35313 geschaffen haben sollte. Eine Erklärung wäre, die beiden Miniaturen trotz größter technischer Ähnlichkeiten zwei verschiedenen Künstlern zuzuschreiben (wofür beispielsweise die stärkere Indikation von Volumen und Detailplastizität in der Heimsuchung spricht). Die andere Abb. 123: Sarah und Tobias bei Anna; London, British Library, Add. Ms. 35313, Rothschildwäre, daß der Illuminator der Visitatio eine Stundenbuch, fol. 77r. ihm fremde und von ihm geschickt adaptierte Komposition kopierte  ; dies gilt freilich auch dann, wenn er das Tobiasbild nicht malte. Auf eine dem Formempfinden des Illuminators nicht kongeniale Vorlage deutet ein bisher nur kurz erwähntes Element in der ehemals Wiener Miniatur hin, das in der Londoner Visitatio elegant entkräftet wurde. Es handelt sich um den Weg, der in der Heimsuchung des Rothschild-Gebetbuchs an mehreren Stellen sichtbar wird und der nicht nur den Blick zum Kreisen und zum Schweifen einlädt (adäquate Analogien für die in dieser Miniatur vorgetragene Raumauffassung), sondern zugleich dem Bildinhalt eine zusätzliche zeitliche Dimension verleiht. Wie in der Londoner Darstellung stehen Maria und Elisabeth auch im RothschildGebetbuch auf diesem Pfad  ; anders als in London jedoch wird sofort offensichtlich, woher er (auf dem Maria einhergeschritten ist) kommt und wohin er führt. Links, dort, wo im Londoner Bild der Blick durch den Felsen verstellt ist, sieht man über einen Rasenstreifen und ein Grasbüschel hinweg ein kleines Teilstück. Dahinter (und darüber) im Mittelgrund windet sich ein weiteres Kompartiment das kurvige Seeufer entlang. Und noch einmal dahinter und darüber – genau zwischen dem geneigten Stamm des Bäumchens und dem linken Miniaturrand – erscheint, ebenfalls im eleganten Bogen, ein dritter Abschnitt, der vom ansteigenden Terrain links herabführt. Auch der weitere Verlauf der Strecke, den die beiden Frauen von

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nun ab gemeinsam gehen werden, ist klar nachzuvollziehen. Der Weg bricht vorne am rechten Bildrand um und führt – parallel zum unteren Saum des gebauschten Mantels Elisabeths – nach links, um an nicht sichtbarer Stelle noch einmal umzuschwenken und im Mittelgrund über den rechten Miniaturrand hinauszuweisen, nicht ohne sich vorher zu gabeln und den bereits mehrfach beschriebenen Zugang zur Wohnstatt Elisabeths zu bilden. Dieser Weg existiert nun auch in der Londoner Miniatur. Man hat indes den Eindruck, als hätte der Künstler das für sein Raumgefühl ganz und gar unerwünschte Kreisen des Blickes um jeden Preis ausschalten wollen. So ersetzt der Felsen vorne das im Gebetbuch am linken Seitenrand kurz sichtbare Teilstück des Pfades zur Gänze. Das am Ufer entlang führende Kompartiment wird durch die beiden Baumstämme zu einem kleinen Bogen reduziert. Der in der Ferne links sichtbare Teil ist ebenfalls durch den Stamm und einen sich genau dort abzweigenden Ast überschnitten und heruntergespielt. Rechts übernimmt der Gewandbausch Elisabeths die weitgehende Abdeckung der Wegkurve, und erst vor dem Gatter des Anwesens manifestiert sich der Pfad plötzlich mit einer durch Farbe und Breite gegenüber der Rothschild-Version deutlich gesteigerten, in seiner Funktion als Raumvektor begründeten Prominenz, während das etwas schmalere, nach rechts wegführende Teilstück die rechte horizontale Fortsetzung der dominanten, durch Seeufer und Felskante gebildeten Geraden darstellt und somit dem orthogonalen Kompositionsschema ebenso Vorschub leistet wie dem sich über horizontale Barrieren profilierenden Tiefensog. Folglich scheint es naheliegend, daß der im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 tätige Miniator ein ihm kongeniales Bildmuster verwendete, der Illuminator des Londoner Stundenbuchs hingegen ein für seine Begriffe und Ziele adaptionsbedürftiges. Freilich muß dies nicht unbedingt heißen, daß das ehemals Wiener Gebetbuch vor Add. 35313 entstand  ; es könnten in beiden Handschriften dieselben älteren Vorlagen verwendet worden sein. Doch stellt sich dann die Frage, wer diese geschaffen haben könnte, zumal sie Gestaltungsprinzipien aufweisen, die in den Werken der frühen Gruppe nicht zu finden waren und somit keine frühen Arbeiten unseres Meisters sein können. Natürlich bleibt immer noch die Option, daß in der Londoner Heimsuchung Bildelemente auftauchen, die vom Künstler gleichsam angedacht, aber noch nicht genutzt wurden – zukunftsträchtiges Potential wie eben der zuletzt besprochene Wegverlauf. Es wird also nötig sein, von den ausgeführten Versionen zu abstrahieren und den Versuch zu unternehmen, den Bildentwurf der Rothschild-Visitatio näher zu ­datieren. Dafür bietet sich die Gegenüberstellung mit der Ruhe auf der Flucht auf fol. 104v im Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland (Cod. Vind. 1897) (Taf. II) an. Zwar ist die Wiener Miniatur nicht eigenhändig, worauf bereits hingewiesen wurde. Doch dürfte sie auf einen Entwurf des Meisters zurückgehen. Auch wenn der ausführende Illuminator Veränderungen vornahm, scheinen diese nicht die grundsätzlichen Gestaltungsprinzipien betroffen zu haben, wie bereits gezeigt werden konnte. Wenn überhaupt, wird man mit einer Art von Adaption rechnen müssen, wie sie auch im Fall der Londoner Visitatio erwogen wurde. Ganz abgesehen vom unterschiedlichen Thema erweisen sich die Heimsuchung in Add. 35313 und die Ruhe auf der Flucht in Cod. Vind. 1897 als sehr verschieden. Zwar gibt es

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in beiden Fällen nahsichtige Figuren, neben denen links und rechts noch ein Ausblick in die Landschaft frei bleibt, die Organisation des Arrangements unterscheidet sich jedoch grundlegend. Im Vindobonensis sind die beiden Protagonisten durch ein ihnen zugeteiltes Terrainplateau von ihrem Umfeld abgegrenzt  ; im Londoner Stundenbuch wirken sie verglichen damit nachgerade in die Landschaft integriert. Für diesen Eindruck ist entscheidend, daß sich in der Londoner Darstellung kein Pendant zu jener Felsfront findet, die in der Wiener Miniatur den Bildaufbau wesentlich mitbestimmt und eine regelrechte Wand bildet, vor, auf und hinter der die verschiedenen Sequenzen der Erzählung ablaufen. Die Weite der Londoner Landschaft mit ihren vergleichsweise niedrigen Elementen ist demgegenüber enorm und wird durch den Raumvektor rechts, der zumindest ansatzweise schon im Vordergrund beginnt, noch gesteigert. Es gilt, was schon im Zusammenhang mit dem vatikanischen Stundenbuch festgestellt wurde  : Die Londoner Visitatio verfügt vor allem im Hintergrund über ein Motivrepertoire, das gänzlich anders ist als in den Werken der frühen Gruppe und – so muß man nun hinzufügen – auch anders als im Jakobsgebetbuch. Irritierend ist jedoch die Tatsache, daß bei Mitberücksichtigung der ehemals Wiener Visitatio (Abb. 114), in der die Breite und Weite des Raumes gegenüber der Londoner Heimsuchung forciert wurden, sich mit einem Mal doch gewisse Gemeinsamkeiten zwischen dem fraglichen Bildentwurf und der Miniatur auf fol. 104v von Cod. Vind. 1897 zu ergeben scheinen. Hier wäre in erster Linie der Weg im Vordergrund zu nennen, der sich im ehemals Wiener Bild von links ausgehend um die Basen herum windet und nach links zurückkehrt, um dort in den Mittelgrund überzuleiten. Dem entspricht in der Darstellung des Jakobsgebetbuchs die Kombination aus Weg, Fluß und hinterer Terrainkante, die gleichermaßen, ja inhaltskonform noch mehr die Figuren umschreiben. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Miniaturen in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 und in Cod. 1897 wäre, daß der in London so aktuelle Kontrast zwischen Vertikalen und Horizontalen, bildparallelem Vordergrund und angehängtem Raumvektor weitgehend entfällt. Selbst das kompositionelle Detail der von rechts nach links ansteigenden Schräge hinter den Vordergrundfiguren, die in der Ferne noch einmal wiederholt wird, ist nur in der Wiener und der ehemals Wiener, nicht aber in der Londoner Darstellung zu finden. Das, was in der Wiener Miniatur der Fluß hinter dem halbhohen Felsen rechts und die parallel dazu ablaufende Kindermordszene leistet, wird in der ehemals Wiener Miniatur durch den in einer längeren Schräge als in der Londoner Visitatio bildeinwärts sich hinziehenden Fluß rechts hinten bewerkstelligt, dessen Verlauf noch dazu (nur hier, nicht im Londoner Bild) von der langgestreckten Hügelkante im linken Hintergrund aufgegriffen und bis weit nach links zu verlängert wird. Diesen scheinbar unscheinbaren Details kommt große Bedeutung zu. Sie zeigen an, daß schon in der Fluchtdarstellung des Jakobsgebetbuchs versucht wurde, das orthogonale Bildschema des vatikanischen Stundenbuchs aufzubrechen und ein Durchschweifen des Bildraumes zu ermöglichen. Im Hinblick auf die (zweifach erhaltene) Rothschild-Bildlösung erlaubt dies, folgenschwere Schlüsse zu ziehen. Denn die Miniatur des Jakobsgebetbuchs bedient sich noch des alten Motivrepertoires, offenbart dabei aber schon eine neue Bildgesinnung, die gleichsam dem älteren Bildmuster unterschoben wurde. Die Londoner Heimsuchung zeigt das

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Gegenteil  : ein völlig neues Motivrepertoire, das für eine ältere Bildauffassung adaptiert wurde. Und die ehemals Wiener Visitatio vereint das neue Aussehen der Landschaft mit einem deren Erscheinungsbild wesentlich mitbestimmenden Bildverständnis. Aus all dem ergibt sich, daß der Bildentwurf der (in zwei Versionen vorliegenden) Rothschild-Visitatio nach dem Jakobsgebetbuch entstanden sein muß, wobei im ehemals Wiener Gebetbuch eine harmonische Fusion von Bildgesinnung und -motiven festzustellen ist, die dafür spricht, daß die ausgeführte Miniatur den originalen Entwurf darstellt. Die Londoner Heimsuchung erscheint demgegenüber auch im Lichte dieser Deutung als eine Miniatur, in der ein ausgezeichneter Künstler einen ihm wesensfremden Bildentwurf seiner eigenen Auffassung anpaßte. Aus diesem Sachverhalt ergeben sich folgende Möglichkeiten  : Entweder, der Jakobsmeister griff zu einem späteren Zeitpunkt, bei der Ausstattung von Add. 35313, auf die alte Bildlösung zurück und paßte sie einem Bildverständnis an, wie er es früher schon einmal gehabt, jedoch zwischendurch zugunsten anderer Gestaltungsprinzipien aufgegeben hatte (es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, wie unwahrscheinlich diese Option ist, und nicht nur deshalb, weil dem Jakobsmeister detailgetreue Kopien schlicht nicht eignen). Oder aber der Maler der Londoner Visitatio war nicht der Jakobsmeister, sondern ein Doppelgänger, der sich zum Zeitpunkt der Herstellung des Londoner Stundenbuchs von seinem Lehrer  ? Meister  ? Senior Partner  ? endgültig emanzipiert hatte. Die Gegenüberstellung der beiden Versionen der Verkündigung auf fol. 56v der Londoner (Abb. 120) und fol. 84v der ehemals Wiener Handschrift (Abb. 113) ist diesbezüglich aufschlußreich. Als einziger markanter Unterschied zwischen den Darstellungen wären der nur im Gebetbuch vorhandene, in einem weiten Bausch zur Seite wegflatternde Brokatmantel Gabriels und (als Folge davon) die abweichende Stellung seiner Flügel zu nennen. Zudem sind die Protagonisten in der ehemals Wiener Verkündigung auch wieder etwas kleiner im Verhältnis zu ihrem Umfeld als jene im Londoner Stundenbuch  ; dies gilt ebenso für die beiden den Baldachinvorhang hinter Maria zur Seite schiebenden Engel. Dabei trägt jener über Gabriel ein weniger kurvig flatterndes Gewand als sein Pendant in der Londoner Handschrift. Ansonsten sind die Divergenzen minimal  : So hat im Rothschild-Gebetbuch die Fliese in der linken unteren Ecke zur Gänze Platz, das Baldachinzelt reicht fast bis an die obere Rahmenleiste, und der Polster, auf dem die Jungfrau kniet, verdeckt etwas mehr von der Sockelverzierung des Betpultes als in der Londoner Version. Gabriel hält im RothschildGebetbuch seinen Heroldsstab mit festem Griff, während er ihn in der Londoner Miniatur nur mit dem Daumen gegen den Handballen drückt  ; und der in Goldlettern auf die Darstellung geschriebene Englische Gruß wählt in den beiden Bildern jeweils einen etwas anderen Weg, um zur Gottesmutter zu gelangen. Das Gros der Motive entspricht einander jedoch bis ins Detail  : Jede Falte, jede Architekturform, jeder Gegenstand scheint wortgetreu wiederholt. Die durchaus unterschiedliche Wirkung verdanken die beiden Miniaturen ihrer jeweils andersartigen Farbigkeit und der anhand des Originals weit besser als auf Abbildungen erkennbaren verschiedenartigen Ausführung  : Die dichte und feine Malweise des Londoner Bildes steht der losen, dabei souverän gehandhabten Faktur des ehemals Wiener Bildes gegenüber.

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Gerade im Zusammenhang mit den Veränderungen in der Farbigkeit werden aber auch die formalen Divergenzen zwischen den beiden Miniaturen verständlich. In der Londoner Verkündigung stehen einander die plakativen Komplementärkontraste – gebildet durch das blaue Marien- und das goldorange Engelsgewand (dessen Farbton sich im Ehrentuch des Baldachins und in der goldfarbenen Gloriole des Heiligen Geistes wiederfindet) sowie durch den grünen Baldachinvorhang und den roten Betpultüberwurf und Beutel – einerseits und die gedämpften Farben des Umfeldes andererseits in einer Weise gegenüber, die den Blick zuerst auf den Vordergrund und dessen geschlossenes Farbsystem lenkt, um ihn schließlich durch den Raumsog im linken Bildteil aus dem Wohnraum Mariens zur Tür hinaus ins Freie zu entlassen. Im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch ist die Farbigkeit demgegenüber wesentlich differenzierter. Maria hat ihren bereits aus der Heimsuchungsszene bekannten hellen Umhang über ihr blaues Kleid geschlagen, das nur mehr zu kleinen Teilen sichtbar wird  ; auch die Komplementärfarbe dazu, der Goldorangeton im Brokatumhang Gabriels und im Gewand des über ihm flatternden Engels, ist in periphere Bereiche abgedrängt. Ähnliches gilt für den Rot-Grün-Akkord, wobei das Grün durch Ausweitung auf das Futter des Engelsmantels und den Überwurf des Betpultes eine deutliche Aufwertung und eine größere Differenziertheit durch verschiedene Helligkeitsnuancen erfährt. Letzteres gilt für das Rot, das nun in unterschiedlichen Tönen in der Robe des rechten oberen Engels und im Kissen zu Füßen der Jungfrau wiederkehrt. Die Kleider der Protagonisten sind demgegenüber farblich denkbar schlicht  : Das weißgraue Untergewand Gabriels paßt sich optimal der Steinfarbigkeit der Architektur an, während Marias Mantel nur um Nuancen vom Pergamentton entfernt ist und zudem mit dem Stadtausblick im Hintergrund korrespondiert. Somit zwingen schon die breit verstreuten Farbanalogien in der Rothschild-Miniatur den Blick der Betrachtenden zu kreisen. Darüber hinaus wird die vordere Zone durch grüne Flächen eingefaßt, die sowohl am rechten Bildrand zu Seiten Marias als auch links neben Gabriel positioniert sind. Zugleich schiebt sich der flatternde Engelsmantel auch formal vor die Raumflucht links, ohne allerdings den Ausblick zu verstellen  ; nur der Tiefensog wird unterbrochen. Die Hohlform des Mantelbausches schafft eine schwingende Raumgrenze für das vordere Bildgeschehen, wobei der Saum dem Verlauf jenes Kreises folgt, der durch die Fliesen rund um das Podest angedeutet ist. Der Mantel wird zu einer Schale, die den Kern des Engelskörpers in seiner räumlich schrägen Stellung ebenso hinterfängt wie die Kreisform der Vordergrundbühne. Die Frage, für welches der beiden vorhin skizzierten Raumempfinden die eben besprochene Bilderfindung kongenial ist, stellt sich auch hier. Einerseits könnte der Illuminator des Londoner Stundenbuchs die Komposition durch Weglassen des Mantels und damit durch Öffnung der Raumflucht für sein Formgefühl adaptiert, andererseits der im RothschildGebetbuch tätige Künstler den Tiefensog seines Vorbildes durch die Einführung des Mantelmotivs entschärft haben. Der Kreis im Vordergrund ist allerdings in beiden Bildern da. Und doch entspricht er nur der Auffassung des einen, nämlich der Verkündigung im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. In der Londoner Miniatur kollidiert er mit dem charakteristischen Raumgefühl dieses Illuminators, das offensichtlich in der Gegenüberstellung eines (hier auch durch die geschlossene Farbigkeit) frontalisierten Vordergrundes und einer sich dahinter ve-

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hement entwickelnden Tiefenflucht seinen adäquaten Ausdruck fand. Nicht umsonst kragt Gabriels linker Flügel in der Londoner Miniatur exakt in jenen Bereich zwischen Säule und Vorhang, der sich hin zu Marias Schlafgemach öffnet – so wird auch im rechten Bildteil der Blick auf das einzige tiefenräumliche Element dort gelenkt. Und nicht umsonst bleibt derselbe Flügel in der ehemals Wiener Verkündigung genau an der Kante vor dieser Öffnung stehen, wie um den geschmeidigen Fluß des Blickes entlang des englischen Grußes nicht durch den abrupten Raumsprung zu stören. Hinzu kommt als ein ganz gewichtiges Argument, daß sich noch andere Versionen dieser Komposition erhalten haben, die teils vor Add. Ms. 35313 (etwa ein Kölner Stundenbuch mit flämischen Miniaturen im J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 17)235, teils aber auch nach dem ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 datiert werden (so ein Simon Abb. 124: Geburt Christi; London, Bening zugeschriebenes und um 1520 angeBritish Library, Add. Ms. 35313, Rothschildsetztes Stundenbuch in der Sammlung des Stundenbuch, fol. 89v. Herzogs von Norfolk)236. Sie alle zeigen den Engel mit eben jenem Mantelbausch, den er im Rothschild-Gebetbuch aufweist237, sowie den oktogonalen Sockel, auf dem Maria kniet, weisen ansonsten aber teils größere Abweichungen voneinander auf, die verraten, daß keine der erhaltenen Miniaturen der Prototyp, sondern offenbar ein gemeinsames Vorbild wirksam war238. Nur die Verkündigungsszenen im Londoner Stundenbuch und im Rothschild-Gebetbuch müssen auf Grund ihrer eklatanten Ähnlichkei235 Euw – Plotzek 17’979–85, Bd. 2, S. 244–255, mit Farbabb. von fol. 17v auf S. 247. 236 London – Los Angeles 2003, S. 454 f. (Nr.143), S. 530 (Literaturangaben), Abb.144 (fol. 1 v) 237 Eine etwas abweichende Variante findet sich in der Verkündigungsminiatur auf fol. 19v von Cod. Chigi CVIII 234 der Biblioteca Apostolica Vaticana, einer Musikhandschrift des Philippe de Bouton, das 1498–1503 datierbar ist und entweder nach Gent oder nach Mecheln lokalisiert wird  ; auch dort entspricht das Gewand des Engels jenem im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Vgl. Köln 1992, S. 282–285  ; Smeyers 1998, S. 443, fig. 33. 238 Eine Vorstufe vertritt bzw. reflektiert möglicherweise das Verkündigungsdiptychon im Bode Museum, SMPK, Berlin, das dem Meister von 1499 zugeschrieben wird  ; Friedländer 1967–76, Bd. 4, Taf. 47  ; Sander 1992, S. 267–273.

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Abb. 125: Jagdunfall (Die drei Lebenden und die drei Toten); London, British Library, Add. Ms. 35313, Rothschild-Stundenbuch, fol. 158v.

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Abb. 126: Begräbnis; London, British Library, Add. Ms. 35313, Rothschild-Stundenbuch, fol. 159r.

ten miteinander in ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis gebracht werden. Dabei ist es aus zwei Gründen auch diesmal wenig wahrscheinlich, daß der in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 tätige Illuminator die Miniatur des im Londoner Stundenbuch beschäftigten Kollegen kopierte  ; denn weshalb sollte er bei der Adaption seines Vorbildes genau zu jenen Mitteln gegriffen haben, die offenbar dem „Urbild“ dieser Komposition schon eigen waren und die ausgerechnet und nur der Londoner Illuminator veränderte, nämlich den Mantel des Engels (inklusive der Farbigkeit der Engelskleidung)  ? Zum anderen verbietet die hohe Qualität der Arbeit des Illuminators im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 die Annahme, daß ausgerechnet er dort exakt kopiert haben sollte, wo andere, weniger gute Maler phantasievoll variierten. Im Londoner Stundenbuch hingegen gibt es zahlreiche nahezu exakte Kopien nach erfolgreichen Miniaturen, die verraten, daß das in dieser Handschrift tätige Illuminatorenteam gern auf bewährte Bilderfindungen zurückgriff, vielleicht sogar dazu angehalten wurde. All dies in Rechnung gestellt, ist schwer zu glauben, daß die ehemals Wiener Verkündigung eine Kopie der Londoner sei, ja, daß sie überhaupt eine exakte Kopie ist. Hingegen spricht wenig dagegen, in der Londoner Miniatur die exakte Wiederholung eines Vorbilds zu sehen (das dann logischerweise die ehemals Wiener Verkündigung sein müßte) – zumal der Londoner Meister

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auch sonst nachweislich ältere Vorlagen teils bis in Einzelheiten wiederholte. Neben den besagten Szenen der Verkündigung auf fol. 56v (Abb. 120), der Heimsuchung auf fol. 76v (Abb. 121), vielleicht dem Marientod auf fol. 119v und der Marienkrönung auf fol. 120v239 scheint der Londoner Illuminator – unser zweiter Jakobsmeister  ! – nur noch die Geburt Christi auf fol. 89v (Abb. 124) und vielleicht die Darstellung des Jagdunfalls auf fol. 158v (Abb. 125), weniger wahrscheinlich das dazugehörige Begräbnisbild auf fol. 159r (Abb. 126) und möglicherweise die Weltgerichtsszene auf fol. 134v (Abb. 127) gemalt zu haben. Zahlreiche andere, ebenso bedeutsame Marienszenen (oder deren typologische Pendants) sind demgegenüber nicht von ihm, darunter die Epiphanie auf fol. 101v (Abb. 122) und die Darbringung auf fol. 106v (Abb. 128), die beide ein und demselben Mitarbeiter zugeschrieben Abb. 127: Das Jüngste Gericht; London, werden können, oder die HirtenverkündiBritish Library, Add. Ms. 35313, Rothschildgung auf fol. 95v und der bethlehemitische Stundenbuch, fol. 134v. Kindermord auf fol. 111v (Abb. 129), die besonders hölzerne Figuren und eine nachgerade schrille Farbigkeit aufweisen und eine weitere Arbeitskraft verraten. Neben diesen evidenten Fällen von Werkstattproduktion gibt es auch subtilere  : die Tobiasszene auf fol. 77r (Abb. 123) etwa weist allergrößte Ähnlichkeiten mit den vier (eigentlich fünf ) Marienminiaturen auf, ohne daß man die Unterschiede, die sich beispielsweise in der plastischen Gestaltung der Figuren ergeben, auf unterschiedliche Vorlagen zurückführen könnte – zumal inzwischen klar sein dürfte, daß auch das exaktest kopierte Vorbild sich auf das Verständnis von Dreidimensionalität bestenfalls modifizierend, nicht aber grundlegend auswirkt. Auch im Passionszyklus erscheint neben einer vergleichsweise steifen Stilvariante240 eine andere, die unmittelbar an die Gestaltungsprinzipien der Marienszenen anschließt241. Insgesamt weist die dem Jakobsmeister in Add. 35313 zugeschriebene Ausstattung so große stilistische und qualitative Divergenzen auf, daß man wenigstens fünf Individuen dafür verantwortlich machen möchte. 239 Abb. in London – Los Angeles 2003, 109b. 240 Zu der (als bessere Varianten davon) etwa auch die Miniaturen auf fol. 24v und 25r gehören  ; Farbabb. in Malibu 1983, S. 65, Taf. X. 241 Ihr ist m. E. die qualitätvolle Miniatur auf fol. 20v zuzuzählen.

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Abb. 128: Darbringung Jesu im Tempel; London, British Library, Add. Ms. 35313, RothschildStundenbuch, fol. 106v.

Eine Spezialität von Add. 35313 ist nun, daß ältere Vorlagen von allen diesen Malern kopiert wurden – nicht immer exakt, aber doch so, daß nicht von geistvollen Variationen gesprochen werden kann, wie sie beim Jakobsmeister und seinen engsten Mitarbeitern sonst anzutreffen sind. So stimmen etliche Bildlösungen mit solchen des Meisters der Maria von Burgund und seines Umfelds überein  : Eine Version der Kreuztragung auf fol. 28v von Add. 35313 (Abb. 130) findet sich auf fol. 94v von Cod. Vind. 1857 (im sogenannten Stundenbuch der Maria von Burgund) (Taf. XVIII)  ; die Darstellung der drei Lebenden und der drei Toten auf fol. 158v des Londoner Stundenbuchs ist jener auf fol. 220v des Stundenbuchs Maximilians I. und Marias von Burgund in Berlin (Kupferstichkabinett, 78 B 12) (Abb. 131) nachempfunden, und das Weltgericht auf fol. 134v folgt nahezu exakt dem Bild gleichen Themas auf fol. 181v im Stundenbuch des Engelbert von Nassau (Oxford, Bodleian Library, Ms.

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Douce 219–220)242. Eine Replik des Passionszyklus findet sich in den oben erwähnten Soane Hours243, einige typologische Darstellungen sind in leicht abgewandelter Form in einem Speculum Humanae Salvationis in Chantilly (Ms. 139)244 anzutreffen (so Moses unter dem Brennenden Dornbusch auf fol. 57r in Add. 35313245 und auf fol. 8v in Ms. 139246), und neben den vier Szenen aus dem Marienzyklus entspricht auch die Pfingstdarstellung auf fol. 33v (Abb. 132) jener im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch, freilich weder stilistisch noch motivisch so exakt wie Verkündigung, Heimsuchung, Marientod und -krönung, was auf die Ausführung des Londoner Pfingstbildes durch einen anderen Illuminator als unseren zweiten Jakobsmeister zurückzuführen ist. Es liegt auf der Hand, daß damit das Vertrauen in die Originalität auch jener Miniaturen in Add. 35313 schwindet, für die sich Abb. 129: Bethlehemitischer Kindermord; keine exakten Vorlagen oder Repliken finden London, British Library, Add. Ms. 35313, lassen. Die drei Miniaturen nach den älteren Rothschild-Stundenbuch, fol. 111v. Genter Vorlagen aus dem Kreis des Meisters der Maria von Burgund könnte man euphemistisch als Zitate bezeichnen, und in einem Fall (über den noch zu sprechen sein wird) trifft dies sogar höchstwahrscheinlich zu. Indes zeigt die enge Abhängigkeit zahlreicher Bildlösungen von Vorlagen, die auch anderswo wiederholt wurden, daß die Zeit- und Arbeitsersparnis bei dieser Vorgangsweise in Add. 35313 eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte. Die Untersuchung dieser Repliken ist deshalb so interessant, weil sie m. E. zweifelsfrei belegt, daß ein grundsätzliches Bildverständnis – sofern der Kopist Künstler genug ist, um sich selbiges erarbeitet zu haben – auch bei scheinbar exakten Kopien durchschlägt. Der Meister der Marienszenen in Add. 35313 – unser zweiter Jakobsmeister – ist hierfür ein besonders illustres Beispiel. Und dies, obwohl er (oder sie) zur Entstehungszeit der Handschrift noch relativ jung gewesen sein muß, gleichsam erst auf dem Weg, sich aus einem Doppelgänger in 242 London – Los Angeles 2003, S. 135, Abb. 18b. 243 Vgl. Millar 1914–20, Bd. 4, S. 95–108. 244 Kessler 1977  ; Vergne 1995, S. 135, 210, 244 f. 245 Abb. bei Smeyers 1998, S. 421, fig. 5. 246 Kessler 1977, Abb. 16 (dort als Ms. franc. 1363, fol. 7v bezeichnet).

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Abb. 130: Kreuztragung; London, British Library, Add. Ms. 35313, RothschildStundenbuch, fol. 28v.

eine selbständige Künstlerpersönlichkeit zu entwickeln – wobei in der Folge auch zu überlegen sein wird, wann dies gewesen sein könnte. Die Darstellung der Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten auf fol. 158v (Abb. 125) ist insofern besonders interessant, weil sie einerseits das Kopierverhalten der Illuminatoren in Add. 35313 insgesamt erklären, andererseits Hinweise auf AuftraggeberIn und eventuell auch Datierung enthalten könnte. Als Vorbild fungierte eine der inhaltlich spektakulärsten Miniaturen der flämischen Buchmalerei des späten 15. Jahrhunderts, die sich auf fol. 220v im Stundenbuch der Maria von Burgund und Kaiser Maximilians (Berlin, Kupferstichkabinett, Hs. 78 B 12)247 (Abb. 131) befindet. Die tragische Verknüpfung mit der 247 Zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S. 183–186 (Nr. 38), S. 525 (ausführliche Literaturangaben), sowie zur Miniatur König 1998, S. 29–37.

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Biographie der ursprünglichen Eigentümerin dieser Handschrift, die im März 1482 bei einem Reitunfall starb, konfrontierte die Forschung seit jeher mit der Frage, ob die Wahl der Darstellung auf eine Ironie des Schicksals oder auf eine nachträgliche Aufarbeitung des fatalen Ereignisses zurückzuführen ist  ; die neuere Literatur entschied sich zugunsten ersterer These. Dies ist im Hinblick auf die Replik in Add. 35313 erneut zu überdenken, zumal es erstaunt, daß die ausgefallene, den Zeitgenossen doch sicherlich als schicksalhaft bekannte Bildlösung des Berliner Stundenbuchs im Londoner Codex trotz ihrer negativen Konnotation wiederholt wurde. Wie bezüglich der meisten anderen Repliken in Ms. 35313 besteht auch im Fall der Miniatur auf fol. 158v die Möglichkeit, daß im Atelier des Jakobsmeisters eine Zeichnung (in dem Fall nach der Berliner Miniatur) existierte, die gegebenenfalls und ungeachtet der Erstverwendung für jede geAbb. 131: Die drei Lebenden und die drei schlechtsspezifische Illustration der Legende Toten; Berlin, Kupferstichkabinett, 78 B 12, Stundenbuch der Maria von Burgund und Kaiser herangezogen wurde. Allerdings ist dies nur Maximilians I., fol. 220v. dann denkbar, wenn die Illuminatoren damit rechnen konnten, die jeweilige Auftraggeberin kenne die Lösung des Berliner Stundenbuchs nicht. Schwer vorstellbar ist nämlich, daß in Anbetracht der tragischen Geschichte die Einstellung zu dieser Komposition nicht konditioniert war. Man (richtiger  : frau) hätte vermutlich doch gezögert, eine so unheilschwangere Darstellung für das eigene Gebetbuch aufzugreifen. Eine andere Möglichkeit wäre, daß die Vorlage von einer Auftraggeberin (oder einem Auftraggeber) gewählt wurde, die (oder der) eine persönliche Beziehung dazu (bzw. zur dargestellten Person) hatte. In diesem Zusammenhang wäre an Margarete von Österreich, die Tochter Marias von Burgund, zu denken, die ja möglicherweise nach dem Tod der Mutter deren Stundenbuch geerbt hatte und für die die Wahl dieser schicksalhaften Bildvorlage in einem neu für sie gefertigten Andachtsbuch durchaus Sinn machen würde248. Freilich kämen auch andere Personen des burgundischen Hofes als Auftraggeber in Frage. In der Literatur wurde geltend gemacht, daß einige der in der Litanei aufgeführten Heiligen eine spanische Auftraggeberschaft nahelegen249, 248 Backhouse 1985, S. 18 ff. 249 Malibu 1983, S. 68.

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was trotz teils gegenteiliger Evidenz vorläufig noch nicht revidiert wurde250. Obwohl dies auch der ersten Option (einer Auftraggeberin, die das Vorbild nicht kannte) eine gewisse Wahrscheinlichkeit einräumen würde, kämen in Anbetracht dessen doch besonders zwei Personen als Adressaten der Handschrift in Frage. Thomas Kren schlug den Infanten Juan von Asturien (den Ehemann der Margarete von Österreich, der allerdings bereits 1497 verstarb) oder dessen Schwester Juana von Kastilien (die Gattin Philips des Schönen und damit Schwägerin Margaretes von Österreich) vor251. Juan von Asturien ist wohl schon deshalb auszuschließen, weil keine der beiden oben erwähnten Möglichkeiten auf ihn zutrifft. Sowohl sein Geschlecht als auch die letztlich nichtexistente Beziehung zu Maria von Burgund sprechen gegen ihn als Besitzer von Add. 35313  ; nicht einmal als Miteigentümer der Handschrift kommt er auf Grund Abb. 132: Pfingsten; London, British Library, Add. seines frühen Todes in Frage. Seine Schwester Ms. 35313, Rothschild-Stundenbuch, fol. 33v. Johanna von Kastilien wäre eine weit plausiblere Kandidatin  : Das Londoner Stundenbuch könnte entweder für sie und ihren Gemahl Philip den Schönen gefertigt worden sein, oder aber Philip könnte es für sie bestellt haben (wobei die Wahl der gegenständlichen Bildvorlage in Anbetracht der unheilschwangeren Konnotation allerdings keine sehr taktvolle Geste des jungen Ehemanns gewesen wäre). Wahrscheinlicher noch als Juana wäre Margarete von Österreich, die Tochter der Maria von Burgund, als Besitzerin von Add. 35313 – selbst unter Berücksichtigung der in Spanien verehrten Heiligen (die allerdings nur in der Litanei zu finden sind, während der Kalender ohnehin ein übliches niederländisches Repertoire der Zeit durchspielt). Da Margarete in Spanien gelebt hatte, könnte sie dort eine besondere Vorliebe für diese Heiligen entwickelt und deren Verehrung auch nach ihrer Rückkehr in die Niederlande 1499 aufrechterhalten haben252  ; diese Möglichkeit ist folglich im Auge zu behalten.

250 Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 370 f., Anm. 6  ; hier macht Th. Kren darauf aufmerksam, daß sich nur wenige in Spanien verehrte Heilige im Kalender fänden, hingegen etliche, die für Flandern bedeutsam waren. 251 Malibu 1983, S. 68. 252 Smeyers 1998, S. 420, erklärt das Stundenbuch als während der kurzen Ehe Margaretes mit Juan

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Der Illuminator der Miniatur auf fol. 158v von Add. 35313 (Abb. 125) hielt sich jedenfalls bis in Details an sein nicht nur äußerst vorbelastetes, sondern auch wesentlich älteres Vorbild (Abb. 131). Die Protagonistengruppe im Vordergrund – zwei Männer und eine Frau zu Pferd, die von drei mit verwestem Fleisch behafteten und in weiße Leichentücher gehüllten Gerippen mit Speeren angegriffen werden – ist motivisch bis in Einzelheiten von der Miniatur auf fol. 220v des Berliner Stundenbuchs übernommen  ; nur die Tracht der Jagdgesellschaft253 und das Wegkreuz links im Mittelgrund wurden zeitgenössischen Vorstellungen angepaßt. Größere Veränderungen sind ausschließlich in der Landschaftskulisse festzustellen. Im Berliner Bild werden Vorder- und Hintergrund durch einen bildparallelen Laubwald voneinander getrennt, wobei die Baumkronen rechts so hoch emporragen, daß darüber nur noch Platz für den Himmel bleibt und bloß im linken Bildteil ein Ausblick auf den weiteren Verlauf der Landschaft geboten wird. Zu sehen ist eine Hügelkuppe mit einer blaugrau und undeutlich gemalten Windmühle, einem ebenso undeutlichen, winzigen Mann sowie einer nach hinten sich verjüngenden Allee. In Add. 35313 wird die Baumzone im Mittelgrund weggelassen und stattdessen eine zweite Hügelkuppe der ersten hintangefügt. Zudem öffnet sich am rechten Bildrand ein Ausblick auf eine tiefer gelegene Stadt, zu der ein kurviger Weg hinab führt, der allerdings nur bruchstückhaft sichtbar ist. Auch auf dem vorderen Hügel links verläuft ein gewundener Pfad, findet allerdings auf der hinteren Erhebung keine Fortsetzung. Dort sind statt dessen zwei schemenhafte Figuren auszunehmen, die dem einzelnen Mann im Berliner Vorbild nachempfunden sind  ; Zitate aus der älteren Miniatur sind auch die über die Horizontlinie des hinteren Berges emporragenden Bäume, die deutlich jene räumliche Hintereinanderstaffelung erkennen lassen, die auch im Berliner Stundenbuch zu erahnen ist. Die innerhalb der Landschaft zahlreichen motivischen Veränderungen bewirken beträchtliche Unterschiede in der Raumauffassung. So kommt es auf fol. 158v von Add. 35313 anders als auf fol. 220v im Berliner Cod. 78 B 12 zu einer deutlichen Frontalisierung des Vordergrundes. Im Berliner Bild wird der Raum in zwei klar getrennte Zonen gegliedert  : in einen tiefen Vordergrund vor dem Waldstück und in einen suggestiv offenen Hintergrund. In der Londoner Miniatur wird der Vordergrund ausschließlich durch die Protagonistengruppe definiert und – trotz der Flucht der Verfolgten in den Bildraum hinein – auch begrenzt. Letzteres geschieht durch mehrere Faktoren. Zum einen werden die Figuren näher zum unteren Bildrand gerückt, wodurch das potentiell raumsuggerierende Motiv eines leeren Vordergrundstreifens weitgehend entfällt – um so mehr deshalb, als im Gegensatz zum Berliner Meister der in der Londoner Darstellung tätige Maler den geringfügigen Rest dieses leeren

von Asturien († 1497) entstanden  ; diese Datierung erscheint in jedem Fall als zu früh. Zu Margaretes Rolle als Auftraggeberin vgl. zuletzt Eichberger 2000  ; Eichberger 2002. 253 Die Kopfbedeckung der Dame entspricht jener in den Kalenderbildern zu Mai und Oktober im Breviarium Grimani, das in der Literatur 15–20 Jahre nach Add. 35313 datiert wird. Dieses Detail ist für die weiter unten (in Kap. V 1 und 2) angestellten Überlegungen nicht ohne Bedeutung.

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Terrainstücks auch noch mit mehreren bildparallelen Grasstreifen durchzieht. Dieses dichte Gefüge paralleler horizontaler Linien findet seine Entsprechung im Pferd der Hauptdarstellerin und seine Fortsetzung in der Kante des ersten Hintergrundhügels. Dabei ist interessant zu beobachten, welch subtile Veränderungen der Londoner Meister an dem formatfüllenden Schimmel der Protagonistin vorgenommen hat, um die von ihm gewünschte Wirkung zu erzielen. In der an sich schon breiteren Miniatur des Londoner Stundenbuchs wird das Tier so weit an den linken Bildrand gerückt, daß sein linkes Fesselgelenk von diesem überschnitten wird. Daraus ergibt sich nicht nur die Möglichkeit einer größeren Streckung des Rosses (also einer Annäherung an die Waagrechte), sondern auch die Tatsache, daß die Reiterin mit ihrem Oberkörper die vertikale Mittelachse der Miniatur besetzt – ein deutlicher Unterschied zur älteren Komposition, wo sie eindeutig nach rechts nicht nur gerückt, sondern auch geneigt ist. Das strenge Orthogonalsystem der jüngeren Bildlösung findet sich auch in der Landschaft wieder, wo der im Hintergrund unmittelbar links der Mittelachse aufragende Baum das Gegengewicht zur horizontalen Hügelkante bildet. Der Frontalisierung des Vordergrundes auf fol. 158v von Add. 35313 entspricht, daß ungleich mehr als im Berliner Bild versucht wird, einen konsequenten Tiefenzug zu organisieren. Was im Vorbild als Lichtung mit einem Wegkreuz und einem indifferenten (weil nach keinem bestimmten Prinzip in Erd- und Graskompartimente gegliederten) Terrain erscheint, wird in der Replik zu einer dem Motiv entsprechenden Weggabelung, wobei der bildparallele Pfad im Vordergrund am rechten Bildrand umbricht und (konform der Fluchtrichtung des Reiters rechts außen) offenbar hinter dem Wegkreuz verläuft. Dort teilt er sich, um einerseits nach links zu auf den vorderen der beiden Hügel, andererseits am rechten Bildrand entlang zur Stadt im Hintergrund zu führen. Dabei bilden die beiden in entgegengesetzte Richtungen verlaufenden Wege nicht nur wirkungsvolle Raumvektoren, um deren Konstruktion der Künstler sich allenthalben bemüht, so auch in den Treppen des orthogonalen (anstatt wie im Vorbild kreisförmigen) Podests des Wegkreuzes. Sie sind auch erzähltechnisch eine geradezu geniale Erfindung. Durch sie wird es dem Maler möglich, die Konfusion der Szene, die durch seine stabile Komposition aus horizontalen und vertikalen Linien gegenüber der Vorlage he­ runtergespielt wurde, auf andere Weise und umso effektvoller doch noch einzubringen. Denn so, wie der rechte Reiter nach links, in Richtung des den Hügel emporlaufenden Pfads, zu sprengen scheint, so scheint der linke Junker sein Heil in der Flucht auf dem zur Stadt führenden Weg rechts zu suchen, da sein Pferd genau auf diesen zuhält. Die Karambolage der beiden ist ebenso unvermeidlich wie die Todesstöße durch die Speere der Gerippe – zumal der Deutung der neueren Literatur, daß es sich bei dieser Bildlösung um die Darstellung eines geglückten Entrinnens aus der Todesgefahr handelt254, mehrere gewichtige Argumente entgegenzuhalten sind. Zum einen wäre die theologische Botschaft der Miniatur ad absurdum geführt – es geht nun einmal in einem Totenoffizium nicht darum, sich gegen den bevorstehenden Tod zu 254 Anzelewski – Brinkmann – König, Das berühmteste Bild  : Die Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten, in  : König 1998, S. 31–37.

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verwehren, schon gar nicht um eine Flucht vor dem Tod im Zuge einer Jagd. Zum zweiten wird diese Ikonographie im Umfeld des Jakobsmeisters nicht umsonst stets mit fatalem Ausgang durchgespielt. Und zum dritten würde gerade die Vorstellung, die Miniatur im Berliner Stundenbuch meine ein Entkommen vor dem Tod, die Wiederverwendung der Bildlösung im Londoner Stundenbuch zur Gänze unerklärlich machen  : Denn wenn man nicht annehmen will, daß weder Künstler noch Auftraggeberin von der Existenz des Vorbildes wußten (was in der Tat höchst unwahrscheinlich ist), so müßte die fatale Geschichte der Erstminiatur in diesem Fall doch das Negativvorbild schlechthin gewesen sein  : Maria von Burgund besaß ein Stundenbuch, in dem sie sich darstellen ließ, wie sie beim Ausritt auf die Jagd dem Tod entkommt (noch dazu einzig und allein mit Hilfe ihres flinken Pferdes, keinerlei Schutzengel o. Ä. stehen ihr bei), nur um kurz danach durch einen Reitunfall zu sterben. Wer hätte sich wohl noch so darstellen lassen wollen  ? Selbst die engsten verwandtschaftlichen Beziehungen hätten dies nicht gerechtfertigt. Ob Ironie des Schicksals oder nachträgliche Erinnerung an ein fatales Ereignis – die Berliner (und mit ihr auch die Londoner Miniatur) meint drei Menschen, die ihrem Tod begegnen. Und es mag kein Zufall sein, daß in beiden Versionen gerade die Dame bei aller herrschenden Konfusion diesem ihren Tod im allerwörtlichsten Sinne ruhig ins Angesicht schaut – wobei die feinen formalen Divergenzen zu einem markanten Ausdrucksunterschied beitragen. Im älteren Bild blickt Maria ihrem Tod explizit ins Antlitz, während die Reiterin im Londoner Stundenbuch in ihrer ruhigen, aufgerichteten und in das orthogaonale Liniensystem eingebetteten Haltung vor allem ihre Gelassenheit gegenüber den beiden in den Tumult verwickelten Männern demonstriert, während ihr Blick bereits der Wirklichkeit entrückt scheint. Hierin findet auch die strenge Komposition des Hauptmotives ihre erzählerische Begründung. Einmal mehr läßt sich das primäre Gestaltungsprinzip dieses Künstlers als Kontrast beschreiben – hier nicht nur zwischen Horizontalen und Vertikalen sowie zwischen frontalisiertem Vordergrund und mittels Raumsprüngen und -vektoren organisierter Tiefenflucht, sondern auch zwischen Ruhe (im stabilen Liniensystem) und Dynamik (in den sich kreuzenden und durch die Bewegung der Reiter zusätzlich forcierten, raumerzeugenden Schrägen). Und dies, obwohl nichts davon in dem motivisch detailgetreu nachgeahmten Prototyp vorgebildet ist. Zweifellos manifestiert sich in der Londoner Bildlösung ein beachtliches künstlerisches Kaliber. Dies wird offensichtlich, wenn man die nahezu wortgetreue Kopie einer weiteren Genter Miniatur im Londoner Stundenbuch, nämlich der Kreuztragung auf fol. 94v von Cod. Vind. 1857 (dem Stundenbuch der Maria von Burgund)255 (Taf. XVIII), betrachtet, die einem anderen Illuminator als dem Meister der Marienszenen – unserem zweiten Jakobsmeister – zuzuschreiben ist. Die Darstellung auf fol. 28v in Add. 35313 (Abb. 130) zeigt gegenüber dem Vorbild eine wesentliche Vergrößerung der Figuren, die nicht allein im Bildformat begründet liegt  ; vielmehr manifestiert sich gerade in der Londoner Kreuztragung die durch die Figurengröße wesentlich begünstigte (und sie daher bedingende) Tendenz zum bildparallelen Verstel255 Zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S. 137–141 (Nr. 19), S. 324 (ausführliche Literaturangaben).

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len des Vordergrundes mit Nachdruck. Die starke Aufsicht auf das Terrain der Vorlage wurde deutlich zurückgenommen, was dazu führt, vor allem die dichtgedrängte Figurenmenge links nicht als aus der Tiefe kommend, sondern wie eine bildparallele Wand aus Leibern bzw. Köpfen zu lesen. Sie läßt keine Kontinuität zu der links über die Hügelkuppe ziehenden Reiterschar erkennen, sondern bewirkt im Gegenteil einen abrupten Bruch zwischen nahsichtiger Vordergrundszene und Geschehen im Hintergrund. Noch deutlicher ist dies rechts, wo die Gruppe der Soldaten um so viele Köpfe aufgestockt wurde, daß der Zug vom rechten Bildrand überschnitten wird, noch ehe nachvollzogen werden kann, daß er sich in die Tiefe wendet. In der Wiener Miniatur ist dies durch einen entlang der rechten Rahmenleiste in Kurven nach hinten führenden Weg veranschaulicht, der zur Gruppe der um Christus weinenden Frauen im Mittelgrund führt. Die links und rechts im Wiener Bild erfolgte Erweiterung des Vordergrundes zum Mittelgrund hin entfällt in der Londoner Miniatur. Die im wesentlichen bildparallele, geschlossene Figurengruppe vorne wird durch einen einzelnen Hügel links und zwei hintereinander gestaffelte Kuppen rechts hinterfangen und vom eigentlichen Fernblick abgeschirmt, der sich (wie im Vorbild) nur in der Mitte auf Jerusalem zu öffnet. Die offene Weite, die in der Wiener Miniatur durch den mittels gestaffelter Wolkenbänke in seiner Tiefenerstreckung nachvollziehbaren Himmel noch vorangetrieben wird, ist dem Londoner Miniator offenbar zutiefst suspekt gewesen. Vor allem kompositionell arbeitet er entschieden und mit einer seine Vorlage weit überbietenden Systematik gegen ein solches Raumverständnis. Ganz im Gegensatz zu seinem Vorbild, in dem nur die rechte Diagonale (gebildet durch den Querbalken des Kreuzes, den Körper Christi und den rechts voran eilenden Schergen) flächenwirksam akzentuiert ist, während der ihr gegenläufige Kompositionszug im Raumvektor der Menschenmenge (der sich im Längsbalken des Kreuzes fortsetzt) seine Entsprechung findet, vereinigen sich in der Londoner Miniatur der Querbalken des Kreuzes und die Lanzenspitzen des links befindlichen Gefolges zu einem v-förmigen Flächenmuster, das von den Umrißlinien der dahinter befindlichen Berge aufgegriffen wird, als befänden sich alle diese Objekte auf einer Ebene. Die ursprüngliche Intention der Bilderfindung, nämlich durch die Diagonalen Raum zu schaffen, wurde in der Londoner Miniatur geradezu ins Gegenteil verkehrt  : ein stabiles flächendekoratives Gerüst wurde entworfen, dem sich alle, auch räumlich auf ganz verschiedenen Ebenen befindlichen Bildteile unterordnen. Tiefe erlebt man in der Londoner Kreuztragung lediglich über Raumsprünge. So gibt auch der auf dem rechten vorderen Hügel befindliche Baum nicht nur der Komposition zusätzlich Halt, sondern bremst zugleich den Blick – der ansonsten doch noch den schrägen Kontur dieser Kuppe als raumhaltiges, in die Tiefe führendes Motiv hätte lesen können, was vom Künstler offenbar ganz und gar nicht erwünscht war. Insgesamt arbeitet also auch dieser Illuminator mit einer Frontalisierung des Vordergrundes, während er Bildtiefe nur über hintereinander gestaffelte Hügel, also mittels (mehr oder weniger abrupter) Raumsprünge erschließt. Der größte Unterschied zwischen der Kreuztragungs- und der Totenvigilminiatur im Londoner Stundenbuch besteht darin, daß jegliche diagonale Perspektivkonstruktion auf fol. 28v ausgefallen ist, also keinerlei Tiefensog zustande kommt. Ein Argument ließe sich dafür ins Treffen führen – Raumvektoren sind zur Veran-

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schaulichung der Aktionen der Protagonisten in der Kreuztragung nicht so sehr vonnöten wie in der Miniatur auf fol. 158v (Abb. 125), wo die verschiedenen Raumrichtungen der Vergegenwärtigung der Konfusion angesichts des Todes dienten. Ob dies allerdings als Erklärung ausreicht, darf bezweifelt werden. Offensichtlich manifestiert sich in der unterschiedlichen Bildauffassung ebenso eine andere Hand wie in der minderen Qualität der Umsetzung und im abweichenden Figuren- und Landschaftsrepertoire. Immerhin fällt auf, daß selbst der Illuminator der Kreuztragungsminiatur des Londoner Stundenbuchs Gestaltungsprinzipien anwendet, die im vatikanischen Stundenbuch ausgebildet wurden. Darüber hinaus zeigen seine Felsformationen mit ihren eigentümlichen Spitzen eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen in der Darstellung auf fol. 104v von Cod. Vind. 1897 (Taf. II), ohne daß die beiden Miniaturen – beide vage als Werkstattproduktionen zu bezeichnen – vom selben Maler stammen dürften  ; dazu sind die technischen Unterschiede zu groß. Doch legen diese Fakten doch eine gewisse zeitliche Nähe auch des Londoner Stundenbuchs zum Jakobsgebetbuch nahe. Dies scheint auch durch den Randleistenschmuck bestätigt. Der Marginalschmuck der Miniaturen in Add. 35313 hängt bezüglich seines Motivrepertoires, besonders der einzelnen Bordürentypen, nicht nur mit jenem im Rothschild-Gebetbuch, sondern auch mit jenem im Jakobsgebetbuch Cod. Vind. 1897 zusammen. Die Ähnlichkeit geht über den grundsätzlichen Gleichklang damaliger Bordüren hinaus und legt nahe, daß die drei Handschriften im selben (zeitlichen) Kontext entstanden. Zwei Rahmentypen fallen als besonders charakteristisch auf  : Zum einen jene Bordüre, aus deren aus buntfarbigem Akanthuslaub gebildeten Füllhörnern Blumen- und Fruchtgirlanden quellen, zwischen die blau grundierte Medaillons mit weißen (Grisaille-)Figuren (im Jakobsgebetbuch mit Schriftzeichen) gehängt sind. Versionen davon finden sich auf fol. 28v und 29r in Add. 35313 (Abb. 130), auf fol. 65v und 66r im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 105) und auf fol. 87r in Cod. 1897256. Daneben zeigt das Weltgerichtsbild auf fol. 134v von Add. 35313 (Abb. 127) eine Rahmung, die auch auf fol. 50v von Cod. Vind. 1897 eine Textseite umgibt257 und die im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 im hinteren, offensichtlich nachgetragenen Teil auf fol. 242v und 243r (Abb. 119) zu finden ist. Verschiedenfarbige Felder mit buntfarbigen Blumen und goldenem Akanthusastwerk, in die sich ein einzelner Schmetterling verirrt hat, werden durch fingierte profilierte und mehrfach geschwungene Leisten gerahmt und voneinander abgesetzt. Obwohl, soweit sich dies beurteilen läßt, diese Bordüren offensichtlich nicht von denselben Malern stammen, könnten sie doch eine enge Zusammengehörigkeit der Handschriften über einen bloßen Werkstattzusammenhang hinaus belegen. Insgesamt bleiben die Informationen, die aus dem visuellen Sachverhalt in Add. 35313 zu gewinnen sind, allerdings widersprüchlich. Einerseits will es scheinen, daß die dort tätigen Illuminatoren von einer Bildauffassung geprägt sind, die in Cod. Vat. Lat. 3770–68 zur vollen Reife gelangt war. Andererseits legen manche Faktoren eine Entstehung des Lon256 Vgl. Unterkircher 1987 (Faksimile). 257 Ebenda. Zum Marginalschmuck in den zeitgenössischen Handschriften vgl. Challis 1998  ; Nus 2002.

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doner Stundenbuchs nach dem ehemals Wiener Gebetbuch Cod. Vind. Ser. n. 2844 nahe, dessen Miniaturen bereits ein anderes Bildverständnis offenbaren. Argumente für eine späte Entstehung wäre die große inhaltliche und stilistische Nähe zu den Soane Hours, die m. E. nicht unterschätzt werden sollte, auch wenn das letztgenannte Manuskript teils von anderen Künstlern illuminiert wurde, und ganz besonders die Tatsache, daß im Falle einer früheren Entstehung von Add. 35313 die entsprechenden Miniaturen im ehemals Wiener RothschildGebetbuch ebenfalls nur Kopien wären. In dem Augenblick, in dem man dies akzeptiert, wird man meiner Überzeugung nach auch von der Zuschreibung dieser Bilder an den Jakobsmeister absehen müssen. Obwohl sich alle Miniaturen des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs mit nur geringfügigen Schwankungen durch eine raffinierte Pinseltechnik und eine im großen und ganzen einheitliche Raumauffassung auszeichnen, gibt die Gegenüberstellung der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Bilder im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 mit jenen von Add. 35313 doch in einem Punkt zu denken. Unter den möglicherweise von unserem zweiten Jakobsmeister gemalten Miniaturen in der Londoner Handschrift befindet sich die Begräbnisszene auf fol. 159r (Abb. 126). Eine Darstellung gleichen Inhalts wird auch im ehemals Wiener RothschildGebetbuch dem Jakobsmeisters zugeschrieben, die Miniatur zur Totenvigil auf fol. 164v (Abb. 117)258. Innerhalb der beiden im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch divergierenden Bildgruppen gehört sie zur ersten, die alle Meßdarstellungen bis auf die Sakramentsund die Marienmesse umfaßt (während die beiden letztgenannten zusammen mit den vier Marienszenen, der Pfingst- und der Kreuzigungsminiatur sowie dem Veronikabild die zweite Gruppe bilden). Die Gegenüberstellung der beiden Begräbnisszenen in Add. 35313 und im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 bringt nun überraschenderweise einen neuen Aspekt nicht nur bezüglich der Unterteilung der ehemals Wiener Miniaturen, sondern in der Folge auch bezüglich der Stellung der beiden Handschriften und ihrer Illuminatoren zueinander ein. Die beiden Begräbnisdarstellungen folgen nicht demselben Bildentwurf. Zwar sind die Elemente der Erzählung durchaus vergleichbar und spielen ein ähnliches Motivrepertoire durch. Der Bildaufbau ist aber ganz unterschiedlich. In Add. 35313 wird links im Bild der Sarg von einer Gruppe von Trägern durch das Tor eines Kirchhofs gebracht, das sich hin auf einen Platz oder eine Gasse öffnet  ; die voranschreitende Gruppe von Klerikern macht soeben Halt vor einem Grab, aus dem ein Totengräber einen Totenschädel und einen Oberschenkelknochen zu Tage fördert. Weitere Gebeine liegen um die Grube verstreut auf dem Boden. Auf diese demonstrative Zurschaustellung der Vergänglichkeit allen Seins weist ein links vorne stehender Jüngling mit einer abwehrenden Gebärde hin, während er mit dem Totengräber spricht. Fast will es den Anschein haben, als sei der Gegenstand des Dialogs die Frage, ob die aufgefundenen Gebeine in dem neuen Grab belassen werden sollen oder nicht. Ihr üblicher Aufbewahrungsort ist in einer geraden Linie über dem Kopf des Gräbers zu sehen. Dort, hinter einer Vorhalle, durch die drei Ministranten mit einem Kreuz und zwei Fahnen die den gesamten 258 Zu Gestalt und Bedeutung der Begräbnisdarstellungen in den Andachtsbüchern der Zeit vgl. Bartz – König 1987 sowie Büttner 2002.

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rechten Bildteil dominierende Kirche betreten, liegen zwischen einfachen Holzkreuzen eine größere Anzahl von Schädeln und Knochen. Das gleiche Motiv findet sich in der den Marginalbereich einfassenden fingierten Holzleistenrahmung, wo mehrere große Schädel und Knochen als Memento mori in eine vermeintliche Öffnung im Bas de page-Bereich gelegt sind. Auch in der Miniatur in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 ist ein Begräbnis dargestellt, und auch dort ist im unteren Teil des fingierten Holzleistenrahmens eine Anzahl von Schädeln – hier sorgfältig geordnet – in eine vermeintliche Nische eingepaßt. In dem auf Grund des fehlenden zweizeiligen Schriftblocks etwas hochrechteckiger als im Londoner Stundenbuch ausgefallenen Bildfeld scheint die vorhin beschriebene Szene spiegelverkehrt und mit einigen markanten Unterschieden wiederholt. Hier befindet sich die Kirche links im Bild, und in ihrer Vorhalle kämpft ein Ministrant mit einer dafür zu großen Prozessionsfahne. Die anderen beiden Ministranten stehen mit einem Vortragskreuz hinter einem Priester, der an der Längsseite des rechts im Vordergrund befindlichen Grabes Aufstellung bezogen hat. Er spricht über die dort abgestellte Bahre hinweg seine Gebete für den Toten, der soeben von zwei Trägern in braunen Kutten und mit schwarzen, nun zurückgeschlagenen Kapuzen in einem Holzsarg in die Grube hinabgelassen wird. Links vorne gibt ein junger Mann dem Totengräber Anweisungen, der neben ihm steht und dies alles mit der Gelassenheit des Abgebrühten über sich ergehen läßt. Erschüttert wirkt nur jener Mann hinter den beiden, der offensichtlich eine kleinere Gruppe von Trauernden anführt, die fast vollständig vom Rahmen bzw. von den vor ihnen befindlichen Figuren überschnitten sind. Rechts, am Kopfende des Grabes, spricht ein weiterer Kleriker die begleitenden Worte zur dargestellten Handlung, während ein Kirchenmann hinter ihm Weihwasser auf den in der Erde versinkenden Sarg zu sprengen scheint. Ganz an den rechten Bildrand gerückt und fast zur Gänze von den beiden Klerikern verdeckt stehen dicht gedrängt jene Pleurants, die den Sarg wohl hierher begleitet haben. Durch den Kirchhof, der nur durch eine niedrige Mauer von der im rechten Hintergrund erscheinenden Stadt abgeschlossen ist, führt ein schmaler Weg auf den Ausgang zu  ; auf einem von ihm ausgesparten Wiesenstück befinden sich ein Holzkreuz und einige daneben gelegte Schädel. Schon außerhalb des Totenackers steht dicht an die Flanke der Kirche gedrängt eine Gruppe schwarz gekleideter Personen, die durch die weißen, gerade noch unter ihren schwarzen Umhängen sichtbaren Schleier wohl als Frauen zu deuten sind. Sie befinden sich bereits auf jener Straße, die in einem großen Bogen entlang einer Gracht in die Bildtiefe führt und auf ihrer vom Wasser abgewandten Seite eine Reihe städtischer Gebäude erkennen läßt. Auf halber Höhe ihres Verlaufs mündet eine Brücke vom jenseitigen, nicht sichtbaren Ufer des Kanals in sie ein  ; an dieser Stelle sind die Silhouetten zweier Personen auszumachen. Weitere Menschen befinden sich so weit in die Bildtiefe gerückt, daß sie nur noch als Striche wahrgenommen werden. Ikonographisch besteht der größte Unterschied zwischen den beiden Bildern in der wesentlich prägnanteren Verbildlichung des eigentlichen Themas im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Schon diesbezüglich ist es aufschlußreich, die Miniatur auf fol. 7v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 39) in den Vergleich mit einzubeziehen, welche dann auch hinsichtlich der Einschätzung der Gestaltungsprinzipien in den beiden Rothschild-Handschriften von größtem Interesse sein wird. Die vatikanische Miniatur, die bereits in anderem Zusammenhang kurz

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angesprochen wurde, zeigt links nahezu senkrecht verkürzt eine aus einem städtischen Ambiente in einen Kirchhof kommende Begräbnisprozession, der im Vordergrund bildparallel eine Gruppe von Klerikern voranschreitet. Sie folgen einigen Ministranten, die mit dem Vortragskreuz und zwei Fahnen die rechts in die Bildtiefe hinein ragende Kirche durch ein Seitenportal der Westfassade betreten. In Anbetracht dessen, daß in der folgenden Miniatur, auf fol. 18v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 40), die Aufbahrung des Sarges in der Kirche gezeigt wird, ist verständlich, daß hier noch keine Anspielung auf das eigentliche Begräbnis in Form eines offenen Grabschachts gemacht wurde. Dennoch ist die diesbezügliche erzählerische Steigerung in Add. 35313 offensichtlich. Abgesehen von den kompositionellen und motivischen Übereinstimmungen mit dem Vollbild der Vaticana – der den Kirchhof betretenden Prozession links, der Klerikergruppe vorne und den in die Kirche einziehenden Ministranten –, scheint auch die gleiche Handlung dargestellt  : Auch im Londoner Stundenbuch ist abzusehen, daß der Sarg nicht gleich verscharrt, sondern vorher noch in der Kirche aufgebahrt werden soll. Der Zug kommt eigentlich nur deshalb zu einem Halt, weil der Totengräber eine Frage zu stellen oder einer Anweisung zu bedürfen scheint – und natürlich deshalb, um die Betrachtenden daran zu erinnern, wo auch sie in absehbarer Zeit mit Sicherheit ihre letzte Ruhe finden werden. Die große Anzahl an Gebeinen innerhalb und außerhalb der Miniatur unterstreicht die vordringliche Intention des Bildes, die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz vor Augen zu führen. Der Schrecken des Todes wird dabei auf durchaus drastische Weise heraufbeschworen, viel drastischer als im vatikanischen Stundenbuch, wo mit Totenwache, Begräbnisprozession und Totenmesse auch ein anderer (gleichsam stärker institutionalisierter) Kontext geboten wird als mit der Darstellung des von gespenstischen Gerippen verursachten Jagdunfalls auf fol. 158v (Abb. 125) und der vom Totengräber ausgehobenen Gruft auf fol. 159r von Add. 35313. Im Begräbnisbild des Rothschild-Gebetbuchs, das in keinerlei Kontext in Form begleitender Miniaturen eingebettet ist, wird dennoch die Endgültigkeit des Todes in einer einzigen eindringlichen Handlung so sehr auf den Punkt gebracht wie in keinem der beiden anderen Bilder  : Die sterblichen Überreste versinken im Grab, Erde kehrt zu Erde zurück. Dies sind wohl auch die Worte, die der Priester soeben spricht  : Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Die Bilderzählung befindet sich auf dem absoluten Höhepunkt. Es ist die Quintessenz einer Bestattung, die hier veranschaulicht wird, einer christlichen (oder auch pessimistischen) Lebenseinstellung zufolge vielleicht auch die des menschlichen Daseins schlechthin. Es ist daher wohl kein Zufall, daß der Sarg wie ein Pfeil auf die im Register darunter aufgereihten Totenköpfe zeigt  ; die einzige Sicherheit, die Betrachter in dieser menschlichen Existenz überhaupt haben – nämlich die Tatsache, daß sie sterben werden –, wird mit gnadenloser Eindringlichkeit vor Augen geführt. Verglichen damit nehmen sich die beiden anderen Miniaturen – jede auf ihre Weise – beinahe als geschwätzig aus, wobei als markanter Unterschied zwischen den Bildlösungen in Cod. Vat. Lat. 3768 und in Add. 35313 anzuführen ist, daß diese Geschwätzigkeit sich in der letzteren Handschrift allein aus dem Bildgeschehen auf fol. 159r ergibt, während sie im dritten Band des Vaticanus eher in der Abfolge der drei den Tod thematisierenden Miniaturen auf fol. 3v, 7v und 18v (Abb. 38–40) besteht.

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Auch hinsichtlich der Gestaltungsprinzipien scheint das Begräbnisbild im Londoner Stundenbuch eine Position zwischen dem vatikanischen und dem ehemals Wiener Codex einzunehmen. Zweifellos wurde in den Miniaturen auf fol. 7v von Cod. Vat. Lat. 3768 und auf fol. 159r von Add. 35313 eine ähnliche Bildauffassung verwirklicht. In beiden Szenen kommt der Zug links mehr oder minder senkrecht aus der Bildtiefe und zieht in einem Bogen, der allerdings in beiden Fällen durch einen beinahe rechtwinkeligen Knick in der Bewegungsrichtung ersetzt ist, in die rechts wiedergegebene Kirche, die beide Male aus dem unmittelbaren Vordergrund etwas weiter nach hinten versetzt ist und so die räumliche Komponente auch dieser letzten Wegetappe betont. Nun fallen dabei allerdings markante Unterschiede in der Umsetzung dieser künstlerischen Vorgaben auf. Zum einen ist der Zug in der vatikanischen Miniatur aus der Senkrechten leicht schräg nach rechts gedreht, so daß sich beim Einschwenken in Richtung zur Kirche ein beinahe spitzer Winkel im Bewegungsablauf ergibt. Zum anderen ist durch die Aufsicht auf die Prozession (welche die Hintereinanderstaffelung der Figuren ebenso deutlich macht wie die Verkürzung des Sarges), dadurch, daß die Kerzenträger zu beiden Seiten der Bahre sichtbar und ihrerseits in einem spitzen Winkel nach hinten zu angeordnet sind, und dadurch, daß sich der durch die Prozession vorgegebene Richtungszug in der Platzanlage im Hintergrund als dominierender Raumvektor bis in die Tiefe hinein fortsetzt, eine ungleich stärkere Verräumlichung des Bildes in diesem Miniaturabschnitt gegeben als im vergleichbaren Bildkompartiment auf fol. 159v von Add. 35313. Und dies, obwohl die Prozession im Vaticanus offenbar von rechts hinter der Kirche hervorkommt, also diese Tiefenausrichtung selbst gar nicht zur Gänze trägt, was allerdings durch das Figurenarrangement in diesem Bereich stark heruntergespielt wird. Der Blick gleitet auf jener Schräge, die durch die Prozession und das (im gleichen Winkel verkürzte) Haus dahinter gebildet wird, in rasantem Zug in die Tiefe, ohne überhaupt wahrzunehmen, daß sich die Orientierung der Pleurants an der Kirchhofmauer nochmals ändert. Dazu trägt auch bei, daß die linke hintere Trauergruppe durch ihre zum Singen geöffneten Münder die Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit die Betrachtenden dazu anhält, an dieser Stelle zu verweilen und dann sogleich über den tiefen Platz links dahinter bis in den fernsten Punkt der Darstellung, die Häuserfront am hinteren Platzende, vorzudringen, um dann – gleichsam auf ein Neues – zur Priestergruppe vorne zurückzukehren und mit ihr die Bewegung nach rechts hin zu vollenden. Nichts von dem läßt sich im linken Bildteil von Add. 35313 bemerken. Die Figuren, obwohl in einer räumlichen Schräge nach rechts vorne (zur vertikalen Mittelachse) hin angeordnet, wirken doch wie ein undifferenzierter Block aus Köpfen und Leibern. Dazu trägt viel bei, daß ihr Aufzug recht ungeordnet erscheint, also nichts von der strammen Ausrichtung in der vatikanischen Miniatur zeigt, und daß die zweite, den Sarg rechts (im Bild links) flankierende Kerzenreihe vom Bildrand überschnitten wird. Zudem ist der Sarg so hoch gehalten, daß hinter dem (hier von einem Rundbogen überfangenen) Kirchhofportal nur Giebel und Dächer zu sehen sind und daher jede konkrete Tiefenangabe fehlt. Letzteres gilt für den gesamten linken Bildbereich, wo nur zwischen dem letzten Joch der Kirchenwand und dem schräg gestellten Sarg eine räumliche Diagonale suggeriert wird, die aber an den Figuren vorbei führt

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und durch sie verdeckt wird, so daß insgesamt der Tiefenzug ein ungleich zurückhaltenderer ist als in der vatikanischen Miniatur. Auch der Vordergrund und der rechte Bildteil weisen in den beiden Darstellungen unterschiedliche Elemente auf. Die grundsätzlich bildparallele Ausrichtung in Cod. Vat. Lat. 3768, die am rechten Rand noch einmal in einen senkrechten Vorstoß in den Raum umbricht, ist in der Londoner Miniatur in eine einheitliche, sämtliche Bildelemente vorne und rechts zusammenfassende Schräge umgedeutet. Sie besteht aus dem leicht verkürzten Grab und den Treppen in die Vorhalle, welch letztere durch die Ministranten in einem etwas steileren Winkel beschritten werden als ihr eigentlicher Verlauf nahelegt. Obwohl durch diese sachte Diagonale von links vorne in den Raum hinein ein ebenso winkeliger Übergang zwischen linkem und rechtem Bewegungszug gegeben scheint wie zwischen dem senkrecht aus dem Raum kommenden und dem bildparallelen Teilstück der Prozession im Vaticanus, wird insgesamt ein ganz anderer Eindruck gefördert  : Die eigentliche Begräbnisprozession mit den Klerikern an der Spitze hat vor dem offenen Grab haltgemacht, und die drei Ministranten ziehen davon losgelöst in die Kirche ein. Zwischen ihnen bleibt leerer Platz, dessen schräge Ausrichtung nach links hinten mit dem Verlauf der Architektur wie mit der Anordnung der Prozession konformgeht, jedoch zwischen den beiden hindurchführt und so Freiraum suggeriert, der allerdings ausschließlich auf die Zone innerhalb des Kirchhofs beschränkt bleibt und den Hintergrund nicht tangiert. Die Unterschiede zwischen der vatikanischen Miniatur und jener in Add. 35313 lassen sich folglich dahingehend auf den Punkt bringen, daß zwar ein ähnliches System des Raumaufbaus zur Anwendung kam, dieses im Londoner Stundenbuch jedoch offenbar modifiziert wurde. Auf fol. 159r kommt nicht das Schema mit frontalisiertem Vordergrund und dahinter anschließendem Tiefenzug zur Anwendung, sondern das vor allem im Davidszyklus von Cod. Vat. Lat. 3770 perfektionierte System des in zwei parallelen Schrägen aufgebauten Raumes. Diese werden im Londoner Begräbnisbild jedoch bis zur Unkenntlichkeit entschärft  : Der linke Vektor, gebildet aus der Prozession, bleibt eine letztlich ungerichtete Ansammlung von Leibern. Der rechte Vektor, der nach links hinten orientierte Kirchenbau, wird in seiner Richtung ebenfalls weitgehend verunklärt  : vorne durch die wohl im rechten Winkel zu ihm angeordnete Vorhalle (was nicht korrekt gezeigt ist), hinten durch die unterschiedlich verkürzten Strebepfeiler, die der Perspektivkonstruktion an dieser Stelle einen regelrechten Todesstoß versetzen. Umgekehrt ist nicht zu übersehen, daß der zwar nur geringe, aber doch gegebene Einblick in das Kircheninterieur dieses als lichte Weite charakterisiert  ; und daß auch im Vordergrund durch den Mangel an Ausrichtung das Gefühl hervorgerufen wird, als könnten sich die Figuren in dem vorhandenen Platz frei bewegen. Wie sehr der Künstler versucht hat, auch dort dominante Richtungsangaben zu vermeiden, ist am Grab zu sehen. Seine Schrägstellung ist zwar offensichtlich, wird aber dadurch heruntergespielt, daß die gesamte rechte Bildecke abgedunkelt ist, so daß die Verkürzung der Gruft optisch in der dunklen Fläche untergeht. Folglich scheint es, daß in der Londoner Bildlösung von Gestaltungsprinzipien ähnlich jenen im vatikanischen Stundenbuch ausgegangen wurde, daß diese jedoch in eine Richtung abgeändert wurden, die auf eine gewisse Breite des Raumes abzielt. Allerdings ist schwer ab-

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zuschätzen, wie sich in diesem Fall die Vorlage (falls es sie auch hier gegeben hat) ausgewirkt haben könnte. In der Totenvigilminiatur des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs wird die Weite des Raumes jedenfalls mit ganz anderen Mitteln suggeriert. Zwar ist der Bildaufbau auch dort durch gegenläufige Schrägen bestimmt, allerdings auf andere Weise als in der entsprechenden Darstellung auf fol. 159r von Add. 35313. Es gibt insgesamt fünf diagonale Achsen, zwei, deren Ausrichtung von links vorne nach rechts hinten verläuft, und drei, die von links hinten nach rechts vorne führen. Drei der fünf Schrägen definieren die Vordergrundbühne und gliedern zugleich das Bildgeschehen  : Die handlungskonstituierende Achse beginnt noch im linken Vordergrund mit dem linken und vorderen der beiden den Sarg hinablassenden Männer und verläuft über die (hier in einer viel steileren Schräge als der in Add. 35313 konzipierten) Graböffnung zu dem die Begräbnisfeier begleitenden Priester und der dahinter gedrängten Gruppe der Pleurants. Auf sie laufen zwei andere, kürzere, aber inhaltlich (ebenso wie für die Wahrnehmung des Raumes) bedeutsame Schrägen zu  : jene, die links im Vordergrund durch die Gruppe der Trauernden, den Junker und den Totengräber gebildet wird, und jene der Kirchenmänner, die aus der Vorhalle herausgekommen sind und nun in stiller Andacht beim Geschehen verharren. Hier freilich kann der Illuminator seinen Hang zur ausschweifenden Narratio nicht ganz unterdrücken  : Der in der Vorhalle mit seiner überlangen Fahnenstange kämpfende Ministrant bringt einen anekdotischen Unterton in das ernsthafte Ereignis, der nichtsdestotrotz seinerseits ebenfalls seinen Sinn haben kann. Die durchaus symbolisch auffaßbare kompositionelle Verbindung zwischen Sarg und Kirche erfährt an dieser Stelle nicht nur im dargestellten Kontinuum eine gewisse Zäsur, sondern auch in ihrer Bedeutung  : Der Ministrant hat seine eigenen Probleme und nimmt zumindest in diesem Augenblick mit Sicherheit nichts von der seelischen Erschütterung wahr, die manche der Anwesenden mit ihren Mienen bekunden und die auf alle Fälle bei den Betrachtenden hervorgerufen werden soll. Das Leben geht an dieser Stelle mit seinen banalen Alltagsschwierigkeiten weiter, ohne vom Hinscheiden eines einzelnen im mindesten betroffen zu werden. Beeindruckend ist, um wieviel mehr die raum- und die inhaltskonstituierende Funktion der Schrägen auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 zusammenfallen als auf fol. 159r in Add. 35313. Die in der ehemals Wiener Miniatur von links vorne nach rechts hinten verlaufende Diagonale bedarf diesbezüglich keines weiteren Kommentars, und auch die gegenläufige, über den Klerikerzug aus der Vorhalle sich ergebende Verbindung zwischen Sarg und Kirche wurde soeben besprochen. Auch die dritte, im linken Vordergrund befindliche Schräge hat eine immens wichtige inhaltliche Funktion. Hier befinden sich die Identifikationsfiguren für die Betrachtenden (die ja mit Sicherheit über jene allen Menschen eigene psychische Robustheit verfügt haben werden, sich nicht mit dem zu Grabe getragenen Individuum gleichzusetzen – auch wenn gerade diese Assoziation hervorzurufen der eigentliche Sinn einer solchen Darstellung gewesen wäre). Der frontal gezeigte Trauernde läßt ein angemessenes und doch zurückhaltend vorgetragenes Ausmaß an Schmerz erkennen, und Junker und Totengräber teilen sich die Funktion einer Repoussoirfigur  : Der Totengräber steht mit dem Rücken nach vorne gewandt in das Bild hineingerichtet da, und der Junker lenkt mit

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seiner Geste die Aufmerksamkeit auf das Haupthandlungsmotiv. Räumliche und inhaltliche Wirkung sind gleichermaßen gesichert. Auch die beiden anderen Schrägen, obwohl in erster Linie für den Raumeindruck der Darstellung verantwortlich, haben eine inhaltliche Funktion  : Jene, die von der Pleurantsgruppe am rechten Bildrand – gleichsam parallel zu den beiden zuletzt besprochenen – entlang des Kanals nach links hinten führt und so den Mittelgrund des Bildes räumlich erfahrbar macht, weist inhaltlich auf die in einiger Distanz versammelten Frauen, die zweifellos der Trauergemeinde angehören, ohne den Kirchhof betreten zu dürfen. Die letzte Diagonale, parallel zu der die Haupthandlung organisierenden Kompositionslinie rechts vorne, veranschaulicht die eigentliche Bildtiefe, indem sie vom Strebewerk des Kirchenchores mit einem Raumsprung, in Verlängerung der gerade beschriebenen gegenläufigen Mittelgrunddiagonale aber auch kontinuierlich, das städtische Ambiente im Hintergrund erschließt. Daß dies auch eine inhaltliche Wirkung hat, ist klar  : hier gleitet der Blick in Regionen, die von dem Begräbnis vorne nicht tangiert werden, und verliert sich in der Alltagswelt der Menschen. Daß dies nicht eine notwendige Folge jedes Stadtausblicks im Hintergrund eines Bildes sein muß, beweist die Begräbnisdarstellung auf fol. 7v von Cod. Vat. Lat. 3768, wo der Blick rasant in die Tiefe vordringt, um dort von der Häuserfront links hinten aufgefangen und gleichsam auf dem selben Weg – über die rechte der beiden Kerzenreihen entlang des Sarges – wieder nach vorne retour geschickt zu werden. Auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 hält nichts den Blick davon ab, sich in der Ferne zu verlieren, gleichsam aus dem Bild zu schweifen, was den Sehgewohnheiten (durch die Leserichtung von links nach rechts) entgegenkommt. Was jedoch leicht als kompositionelle Schwäche gedeutet werden könnte – der fehlende Bildabschluß rechts –, ist wohl inhaltlich bedingt und schlägt in die gleiche Bresche wie die Fahnenstangen-Anekdote  : Unberührt von dem Begräbnis präsentiert sich der städtische Alltag, und ungerührt davon, daß in Zukunft ein Bürger weniger an ihm teilhaben wird. Hier fallen eigentlicher Bildinhalt und Anekdote dann doch noch auf eine Bedeutung zusammen  : Das Leben ist nicht nur vergänglich, sondern auch in seiner offensichtlichen Kontinuität unerbittlich, da der Tod, für jeden einzelnen eine Gewißheit, von der Allgemeinheit doch nicht einmal registriert wird. Die hohe Qualität der Miniatur auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, die sich in einer souveränen Übereinstimmung von Form und Inhalt manifestiert, wird auf fol. 159r von Add. 35313 bei weitem nicht erreicht. Zudem erinnert die Option des Blickes, entlang klarer Bahnen nach links und rechts zu schweifen und sich gar in einer außerhalb des Bildes situierten Tiefe zu verlieren, eher an jenes Raumverständnis, wie es im Spinola-Stundenbuch anhand der bislang besprochenen Miniaturen festzustellen war. Dies scheint eher für eine Chronologie zu sprechen, in der das vatikanische Stundenbuch als Ausgangspunkt fungiert, in dessen Folge das Jakobsgebetbuch, dann das Londoner Rothschild-Stundenbuch und schließlich das ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch entstanden. Dies ist, worauf schon hingewiesen wurde, m. E. nur dann möglich, wenn man die eingangs aufgeführte Unterteilung der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2625 ernst nimmt und zwei Illuminatoren aus dem unmittelbaren Umfeld unse-

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res Künstlers unterscheidet. Der Maler, der unter anderem die fraglichen Marienszenen schuf, müßte in einem solchen Fall Kopien nach Vorlagen angefertigt haben, die nicht lange vor der Ausstattung des ehemals Wiener Codex gemacht worden sein können, zumal das Raumgefühl jenem der Miniaturen der ersten Gruppe, also der für den Jakobsmeister in Anspruch genommenen Arbeiten innerhalb des Rothschild-Gebetbuchs, weitgehend entspricht. In jedem Fall müßte es sich auch beim Meister der ehemals Wiener Marienszenen um einen Doppelgänger unseres Künstlers gehandelt haben, zumal Formverständnis und Malweise in höchstem Maße übereinstimmen. Ist man bei einer solchen Erklärung angelangt, so ist jedoch auch die Nachdatierung der Londoner Handschrift nicht ausgeschlossen, zumal es scheint, als seien die beiden Werke ohnehin in einem zeitlich nur geringen Abstand entstanden (wofür neben der großen Übereinstimmung der Randleistenornamentik ja auch die Identität des zweiten Illuminatorenteams in den beiden Codices spricht). Die vergleichsweise altertümliche Haltung der im Londoner Stundenbuch tätigen Illuminatoren wäre dann dadurch zu erklären, daß sie Maler waren, die ihre Eigenart in jener Phase entwickelt hatten, als der Jakobsmeister am vatikanischen Stundenbuch arbeitete, und daß sie nicht die Flexibilität besaßen, sich in der Folge selbständig zu wandeln. Für eine Datierung ins erste Jahrzehnt, vielleicht sogar Jahrfünft des 16. Jahrhunderts spricht zuletzt die Tatsache, daß Add. 35313 weitgehend, ja zur Gänze von anderen Malern als dem Jakobsmeister selbst ausgeführt wurde. Letztlich ergibt sich damit ein ähnlicher Sachverhalt wie im Jakobsgebetbuch. Freilich ist die Fremdbeteiligung in Cod. Vind. 1897 viel offensichtlicher, da von den Illuminatoren des Jakobsgebetbuchs nur ein einziger überhaupt dem engeren Kreis um unseren Künstler zuzurechnen ist. Im Rothschild-Stundenbuch hingegen wurden Arbeitskräfte engagiert, die beim Jakobsmeister gelernt hatten oder ihn zumindest imitierten. Daß diese später oder auch schon gleichzeitig vollkommen selbständig arbeiteten, wie die Soane Hours oder das Speculum in Chantilly259 beweisen, zeigt an, daß die Aufgabe in Add. 35313 eindeutig delegiert (also „außer Haus“ gegeben) worden war und nicht von den engsten, ständigen Mitarbeitern unseres Künstlers gemacht wurde – den hier sogenannten zweiten Jakobsmeister offenbar ausgenommen. Somit scheint eine Datierung der drei augenscheinlich zusammengehörigen Handschriften Cod. Vind. 1897, Add. 35313 und ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 in die Zeit zwischen 1502/3 und den unmittelbar folgenden Jahren plausibel.260. Letztlich sprächen vielleicht auch die historischen Umstände für eine Entstehung des Londoner Stundenbuchs in dieser Zeit. Unter den zahlreichen Kopien darin scheinen die drei 259 Es ist möglich, daß unser zweiter Jakobsmeister persönlich in Chantilly Ms. 139 mitarbeitete  : die Miniaturen am Beginn der Erzählsequenz, fols. 2, 3, scheinen sowohl bezüglich ihrer Qualität als auch hinsichtlich ihrer Stilmerkmale mit seinen Miniaturen in Add. 35313 kompatibel (Abb. 132). Der prächtige Engel auf fol. 46r, auf Grund seiner beachtlichen Größe schwer einzuschätzen, scheint ebenfalls von der Hand dieses Illuminators zu stammen, der hier eine Klasse offenbart, gegenüber der die meisten Miniaturen des Speculum kläglich abfallen (Abb. 201). 260 De Winter 1981, S. 424.

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nach den Arbeiten des Meisters der Maria von Burgund besonders aufschlußreich, da es möglich ist, daß sie von Auftraggeberseite gewünscht wurden. Bezüglich der Darstellung des Jagdunfalls auf fol. 158v (Abb. 125) wird sich dies mit hoher Wahrscheinlichkeit geltend machen lassen. Und auch die Miniaturen der Kreuztragung auf fol. 28v (Abb. 130) und des Jüngsten Gerichts auf fol. 134v (Abb. 127) folgen Vorlagen in Handschriften, die sich vermutlich im Besitz Philips des Schönen und/oder Margaretes von Österreich befunden haben  : Cod. Vind. 1857 war wohl mit dem Tod Marias auf (eines) ihre(r) Kinder übergegangen. Das Stundenbuch Douce 219–220 der Bodleian Library in Oxford, zwar für Engelbert von Nassau, einen wichtigen Mann am burgundischen Hof, gemacht, befand sich spätestens nach dessen Tod 1504, vielleicht schon früher, im Besitz Philips und ging vielleicht nach dessen Ermordung 1506 in den Margaretes über261. Die drei prominenten älteren Vorbilder hätten also sowohl für Philip als auch für Margarete zumindest den Wert gehabt, sich in Handschriften zu befinden, die einst ihnen lieben Menschen gehört hatten. All dies scheint dafür zu sprechen, daß Philip oder Margarete Add. 35313 in Auftrag gaben. Sollte die Handschrift von Philip (entweder für Gattin oder Schwester) bestellt worden sein, so müßte dies vor seinem Tod 1506 stattgefunden haben. War Margarete die Auftraggeberin, so scheinen sich entweder die Jahre 1500/1501, während ihres kurzen Aufenthalts in den Niederlanden vor ihrer Heirat mit Philibert von Savoyen, oder die Zeit ab 1507, nach ihrer Rückkehr in das Herzogtum ihrer Mutter, dafür anzubieten262. Eine weitere Möglichkeit wäre, daß die Bestellung von der Savoie aus erfolgte. Hierfür könnte m. E. die Tatsache sprechen, daß das Rothschild-Stundenbuch überwiegend Werkstattproduktion im wahrsten Sinne des Wortes ist  : ein Werk von guter, aber nicht überragender Qualität. Bedenkt man, womit Jakob IV. sich – vielleicht mehr oder minder gleichzeitig – im fernen Schottland zufrieden geben mußte (nämlich mit einem Gebetbuch mit teils zweitklassigen Miniaturen, aus dem nur die Darstellung der Ruhe auf der Flucht aus dem Umkreis des Jakobsmeisters heraussticht und in dem die qualitativ überragende Jakobsminiatur auf fol. 24v wie ein Fremdkörper wirkt), so ist durchaus denkbar, daß man auch der Herzogin von Savoyen (deren Rückkehr als Statthalterin der Niederlande ja nicht absehbar war) nicht eine der absoluten Höchstleistungen der eigenen Produktion zukommen ließ. Dies könnte selbst dann gelten, wenn Philip das Werk für Margarete in Auftrag gab, was insofern möglich ist, als er der mutmaßliche Besitzer der Stundenbücher seiner Mutter und mit Sicherheit der Eigentümer des Nassau-Stundenbuchs war. Freilich bleiben alle Überlegungen bezüglich der Auftraggeberschaft Hypothesen, für die es wenig Evidenz gibt. Die Vorlagen könnten ebensogut Werkstattgut (also Zeichnungen) gewesen und nur gewählt worden sein, weil man sich bei der Ausstattung von Add. 35313 für die billigere Variante mit von Gehilfen ausgeführten Kopien entschied. Ungeachtet dessen 261 Zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S. 134–137 (Nr. 18), S. 524 (umfangreiche Literaturangaben). 262 Zur Rolle Margaretes als Auftraggeberin und Förderin der Künste vgl. zuletzt Eichberger 2000 und Eichberger 2002.

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bedarf dieses grundsätzlich übliche, in der Kunst des Jakobsmeisters und seines Kreises aber unübliche Verfahren m. E. einer Erklärung, die eben darin bestehen könnte, daß angeregt durch den Wunsch des Auftraggebers oder auch der Auftraggeberin, einige für sie bedeutsame Miniaturen zu kopieren, die Idee aufgegriffen und konsequent weitergeführt wurde. Man wird das Londoner Stundenbuch vorläufig nur bedingt in die weiteren Überlegungen einbeziehen. Auf einige Aspekte, die die hier vorgeschlagene frühe Datierung zu widerlegen scheinen, wird später noch einzugehen sein263. Tatsächlich stellen die Miniaturen von Add. 35313 bezüglich ihrer zeitlichen Einordnung insofern ein Problem dar, als sie als Werkstattproduktionen nur bedingt in eine Chronologie der Arbeiten des Jakobsmeisters eingebunden werden können. Hier wird jedoch zu klären sein, wie sich die zeitliche Abfolge im Kernœuvre des Meisters weiter gestaltete, und somit primär, wie der ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 und Ms. Ludwig IX 18, das Spinola-Stundenbuch, zueinander stehen. Überraschenderweise zeigt der Vergleich der Totenvigilminiatur auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 117) mit der Darstellung der Fronleichnamsprozession auf fol. 48v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 95), daß der Anschluß der Rothschild- an die SpinolaHandschrift nicht so eng ist, wie man meinen sollte, wenn man von den Datierungen der Literatur einerseits, der Beschreibung der in beiden Werken manifesten „weiten“ Raumauffassung andererseits ausgeht. Der größte Unterschied zwischen den beiden Miniaturen ist das ungleich umfangreichere Bildpersonal im Spinola-Stundenbuch. Daß dies keine Frage des jeweiligen Themas ist, beweist ein Blick auf die Fronleichnamsminiatur auf fol. 68v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 35) mit ihrem vergleichsweise spärlichen Figurenaufgebot. Tatsächlich scheint in der SpinolaHandschrift eine vollgefüllte, im Rothschild-Gebetbuch eine durch Figurengruppen akzentuierte Bildfläche den jeweiligen künstlerischen Intentionen am besten entsprochen zu haben. Dabei ist interessant zu beobachten, wie sich die jeweilige Farbgebung zu den formalen Vorgaben verhält. In keiner der beiden Miniaturen herrscht eine exzessive Buntfarbigkeit vor  : Dies erstaunt in dem diesbezüglich eher zurückhaltend konzipierten Rothschild-Gebetbuch weniger als im Spinola-Stundenbuch, dessen Miniaturen im Regelfall eine große Palette an Mischfarben bieten  : Lila-, Rosa-, Orange- und Violett-Töne, zudem Gelb und Grau in zahlreichen Nuancen. Doch scheint die Beschränkung auf vergleichsweise weniger Farbtöne auf fol. 48v von Ms. Ludwig IX 18 darauf zurückzuführen zu sein, daß dies der Gliederung einer Menschenmenge diente. Der letztlich wohlgeordnete Zug ist durch die dichte Füllung der Bildfläche mit Figuren nicht ohne weiteres offensichtlich und wäre durch eine kunterbunte Farbigkeit mit Sicherheit nicht zu veranschaulichen gewesen. Dabei ist interessant, daß das Kolorit die Masse zwar gliedert, aber in erster Linie ihrer Breitenerstreckung Rechnung trägt. Zudem wird durch Farbverschränkungen die einzige weiter in Distanz gerückte, dabei noch buntfarbig wiedergegebene Klerikergruppe rechts mit der nahsichtig gezeigten Gruppe um die päpstliche Sänfte links verbunden. Somit wird durch die Polychromie nivelliert, was mit 263 Vgl. unten Kap. V 1 und 2.

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formalen Mitteln bis zu einem gewissen Grad erzeugt wurde  : Tiefe. Die Kardinäle rechts hinten weisen denselben hellen Violetton auf wie die Sänftenträger vorne, und deren Kappen sind in jenem Rotton gehalten, der in der Gruppe der relativ näher zum Vordergrund befindlichen Kardinäle getragen wird. Grundsätzlich sind die vorherrschenden Farben Rot, Blau, Weiß und Gold, hinterfangen von Grün, Grau und Brauntönen. Dabei werden die markanten Buntfarben in langen Zügen von links nach rechts eingesetzt, was der Menge eine Ausrichtung gibt und den Tiefenzug rechts herabspielt. In der Totenvigilminiatur des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 117) erfolgt die Farbverteilung demgegenüber erratisch, wobei eine gewisse Korrektur des formalen Bildaufbaus auch hier erfolgt  : Anstatt raumschaffender Diagonalen sind koloristisch drei Figurenblöcke rund um das Grab betont, die zwar auch eine räumliche Verteilung (letztlich entlang der dominierenden Bildschräge) erkennen lassen, jedoch in erster Linie als Blickfang für das inhaltskonform in Erdfarben gehaltene Hauptgeschehen fungieren. Rot- und Blau- sowie Grüntöne sind abgesehen von der Repoussoirgruppe links vorne eher in Randbereiche abgeschoben, es dominiert ein leuchtendes Weiß als Widerpart zu Grau und Braun. Die Helligkeit des Hintergrundes sorgt hier dafür, daß der Blick, nachdem er die beiden hellen Priestergruppen erfaßt hat, auch dorthin wandert  ; auf Grund des rasanten Raumvektors wird aber der Hinterweniger an den Vordergrund angebunden als vielmehr aus dem Vordergrund nahtlos in eine dynamisch interpretierte Bildtiefe übergeleitet. Die einzige Gemeinsamkeit, die sich bezüglich der Farbverteilung in den beiden Miniaturen ausmachen läßt, ist somit eine gewisse Korrektur der formalen durch die Farbkomposition. Dies freilich ist ein dermaßen allgemeines Phänomen, daß sich daraus kein Zusammenhang zwischen den beiden Bildern herstellen läßt. Im Gegenteil. Denn während im Spinola-Bild das Kolorit die Breitenwirkung des Aufbaus noch betont und die Tiefenwirkung zurücknimmt, wird im Rothschild-Gebetbuch durch die Farbe ein inhaltlicher Fokus geschaffen (also statt auf Breiten- auf konzentrierte Wirkung abgezielt) und die Räumlichkeit insgesamt nicht beeinträchtigt, sondern unterstrichen. Hinzukommt, daß das Phänomen des zum Schweifen angeregten statt des in die Tiefe geleiteten Blicks in den beiden Bildern doch sehr unterschiedlich umgesetzt wird. Im Spinola-Stundenbuch beschreibt die gesamte Prozession einen großen Halbkreis um die Kirche, aus der sie herauskommt. Dieser Halbkreis wird schon in der Kernminiatur angezeigt, denn auch die nahsichtige Gruppe mit der Monstranz durchzieht in einem Bogen das innere Kompartiment der Darstellung. Noch offensichtlicher wird dasselbe Prinzip aber in der aus Kernminiatur und Randleistendarstellung gebildeten Gesamtkomposition, wo der innere Bogen im bas de page wiederholt und der Halbkreis nach links durch den in dezenten Farben gehaltenen Priesterzug rechts außen in großem Schwung vorbereitet wird. Eine gewisse Wellenbewegung ergibt sich durch die Mauer im rechten Bildteil, die zusammen mit vielen (weiter oben beschriebenen) Faktoren verhindert, daß der Blick hier senkrecht in die Tiefe strebt. Grundsätzlich verläuft der Bewegungszug im Bild in einem sanften Bogen von links nach rechts und in einem großen Halbkreis über den rechten Hintergrund zurück nach links. Mit dem gegenläufigen Diagonalensystem der Rothschild-Miniatur hat dieser Bildaufbau wenig gemein, auch wenn es auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. 2844

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ebenfalls zu einem (Ab-)Schweifen des Blickes entlang teils auch bogenförmiger Bahnen (so im Hintergrund) kommt. Dabei ist bemerkenswert, wie unterschiedlich das ähnliche Motiv der im Zick-Zack nach hinten verlaufenden Mauer eingesetzt wird  : Im Spinola-Stundenbuch bremst es den Tiefenzug und leitet eine Halbkreisbewegung ins Bild hinein ein, im Rothschild-Gebetbuch zieht es den Blick – gleichsam mit zunehmender Geschwindigkeit – in eine Ferne jenseits alles Dargestellten, im wahrsten Sinne des Wortes. Es bleibt ein letzter markanter Unterschied zwischen den beiden Bildern zu nennen, die fokussierte Erzählung im Rothschild-Gebetbuch gegenüber einer breit angelegten Narratio im Spinola-Stundenbuch. Hierbei kann das Thema tatsächlich eine Rolle gespielt haben, zumal ein Begräbnis ein relativ privates Ereignis im Vergleich zu einer öffentlichen Zurschaustellung des Leibes Christi ist und gewiß auch eine dramatischere Komponente besitzt bzw. einen höheren emotionalen Einsatz einfordert. Man wird also gut daran tun, auch einige andere Darstellungen im Spinola-Stundenbuch und im Rothschild-Gebetbuch miteinander zu vergleichen. Zwei Miniaturen selben Inhalts und ähnlicher ikonographischer Lösung bieten sich an, beide mit derselben Funktion innerhalb der Handschrift, stehen sie doch unmittelbar nach dem Kalender dem gesamten Bild- und Textstock der beiden Andachtsbücher voran. Es handelt sich um zwei Darstellungen der Veronika, des Wahren Antlitzes Christi, die sich jeweils auf fol. 8v befinden – im Rothschild-Gebetbuch (Abb. 110) der Textseite mit dem Gebet zum Antlitz Christi gegenüber, im Spinola-Stundenbuch (Abb. 133) kombiniert mit einer Miniatur der Vera Icon auf der Gegenseite264 mit dem Beginn des gleichen Gebets im eingeschobenen Textblock. Es handelt sich in beiden Fällen um halbfigurige Darstellungen. Im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 steht Veronika im linken Bildteil der steil hochrechteckigen Miniatur und präsentiert mit beiden Händen das Schweißtuch mit dem Antlitz Christi, das den rechten Bildteil okkupiert265. Die Heilige ist durch eine Terrainwelle von den Soldaten getrennt, die hinter ihr in dichtem Haufen aus dem vom linken Bildrand fast zur Gänze überschnittenen Stadttor kommen und am rechten Bildrand in die Tiefe abschwenken. Dort, den Hügel Golgotha erklimmend, sieht man klein die Figur des Heilands mit dem Kreuz, der von einigen Soldaten umgeben ist. Ein Teil der Truppe, darunter etliche Reiter, befindet sich schon auf der Kuppe und nimmt die Vorbereitungen zur Hinrichtung in Angriff. Allerdings wird es wohl noch dauern, bis diese vollzogen werden kann, denn der Scherge mit den Nägeln verläßt soeben erst im linken Vordergrund das Stadttor, wobei er diese Leidenswerkzeuge demonstrativ in jener 264 Die Miniatur des segnenden Christus auf fol. 9r gehört zu jenem Ausstattungsteil, dem Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilians I. bzw. seiner Werkstatt zugeschrieben wird. Euw – Plotzek 1979–85, Bd. 2, S.274  ; London – Los Angeles 2003, S. 415 f. 265 Die Figur der Heiligen ist in der halbseitigen Miniatur auf fol. 14r im Stundenbuch des Engelbert von Nassau (Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 219–220) vorgebildet, besonders ihre Haltung und Kleidung  ; allerdings steht sie dort in einem nicht näher definierten Interieur. Zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S.134–137 (Nr. 18)  ; Abb. in Alexander 1970, Taf. 26.

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Faust hält, die gerade noch zwischen dem Körper der Veronika und dem linken Bildrand Platz findet. Sein brutales Gesicht hat ein Pendant in der stumpfsinnigen Visage des zwischen dem Schweißtuch und dem rechten Bildrand auftauchenden Soldaten, so daß Veronika und die Vera Icon von zwei gleichermaßen unerfreulichen Gegenbildern gerahmt werden. Jedoch nimmt niemand in dieser brutalen Bildwirklichkeit von der Heiligen Notiz – und vice versa  : Veronika ist auf die Betrachtenden hin orientiert, allerdings geht der Blick ihrer tränengeröteten Augen ins Leere. Und auch das heilige Antlitz selbst scheint nach rechts aus dem Bild zu blicken, so daß die Isoliertheit der Protagonisten auch nicht durch die Anteilnahme aus der Betrachterrealität überwunden werden kann. Das Spinola-Stundenbuch bietet trotz gewisser kompositioneller ÜbereinstimmunAbb. 133: Heilige Veronika; Los Angeles, The gen ein ganz und gar anderes Bild266. Dies J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, ist wohl kaum nur dadurch zu erklären, daß Spinola-Stundenbuch, fol. 8v. Kern- und Randleistenminiatur zu einer einzigen Darstellung verschmolzen sind, in der der dreizeilige Schriftblock mit der Zierinitiale auf einem an den Enden eingerollten Pergamentstück beziehungslos schwebt. Der Künstler hat die Unterscheidung der Kern- und der Randleistenzone zumindest im unteren Teil des Bildes gewahrt  : Die drei Schergen, die dort gleichsam im Laufschritt den (inneren und Randbereich okkupierenden) Zug überholen, sind im Maßstab um einiges kleiner gehalten als die Hauptdarsteller. Diese sind hier allesamt nahsichtig und halbfigurig gezeigt. Aus dem links schräg gestellten, de facto fast frontal erscheinenden Stadttor quillt eine große Menschenmenge nach vorne und wird durch eine bildparallele, aus mehreren niedrigen Felsen gebildete Terrainwelle im Vordergrund in eine waagrecht verlaufende Bewegung umgeleitet. Im unmittelbaren Vordergrund (sieht man vom Bas de page ab, das durch den Maßstabwechsel als eigene Zone deklariert und daher aus dem unmittelbaren Bildgeschehen ausgeklammert ist) befinden sich vier Figuren  : drei Protagonisten und ein Soldat in Rückenansicht, dessen ausschließliche Funktion darin besteht, den Zug zumindest theoretisch (also ausschließlich über den Intellekt erfahrbar) abermals, diesmal 266 Th. Kren in Malibu 1983, S. 63 und Anm. 6, verweist auf den Schongauer-Stich Lehrs Nr. 26, der speziell für die Präsentation des Schweißtuches durch Christus und Veronika, aber auch für die Idee des sich aus dem Stadttor ergießenden Zuges vorbildlich war  ; München 1991, S. 92 f.

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nach rechts hinten, umzuleiten. Gerahmt von ihm und der tränenüberströmten Gottesmutter am linken Bildrand erscheinen Veronika und Christus als Zentralmotiv. Sie halten gemeinsam das Sudarium, auf dem das Antlitz des hier auch in persona gegenwärtigen Heilands ein zweites Mal mit fast identischem Ausdruck erscheint. Hinter Maria werden die Köpfe Johannes’ des Evangelisten und zweier Frauen sichtbar, wobei von der zweiten nur ihr Turban, von der ersten aber so viel zu erkennen ist, daß ihre Zugehörigkeit klar wird  : Sie wischt sich mit der linken Hand die Tränen aus dem Gesicht. Die Partei Christi wirkt abgedrängt  : Von hinten schiebt eine Soldatenschar den Heiland vor sich her, wobei ein unmittelbar hinter dem Kreuz befindlicher sich bemüßigt fühlt, den Geschundenen an den Haaren zu reißen. Die übrigen, auch die im rechten Bildteil dargestellten, begnügen sich damit, ihre unerfreulichen Gesichter zur Schau zu stellen, auch wenn man der Geste des in Rückenansicht gezeigten Grobians nichts Gutes zutraut. Die drei Bas de page-Figuren eilen mit fröhlicher Unbefangenheit an dem Zug über ihnen vorbei. Ungeachtet ihrer heiteren Mienen sind sie offensichtlich üble Gesellen, da sie neben der Leiter auch noch ein Seil, Nägel, einen Hammer und einen Bohrer mit sich tragen und offenbar nicht schnell genug nach Golgotha gelangen können, um ihre Folter zu beginnen. Wie weit sie noch haben werden, erfährt man jedoch nicht  : der Hintergrund des rechten Bildteils besteht aus einer grünen, grasähnlich erscheinenden Fläche, die nach oben zu mit einem zackigen Grat abschließt und beim besten Willen weder gegenständlich noch bezogen auf ihre Distanz zum Vordergrund befriedigend gedeutet werden kann. Schon die Beschreibung offenbart viel  : Zum einen eine völlig andersartige Präsentation der gleichen Geschichte in den beiden Bildern. Im Rothschild-Gebetbuch ist Christus schon längst vorbei, nur eine Nachhut passiert soeben Veronika, die gleichsam in eine andere Sphäre entrückt das Schweißtuch präsentiert, ohne von den Personen innerhalb oder auch außerhalb des Bildes Notiz zu nehmen. Im Spinola-Stundenbuch ist ein eindeutig narrativer Schwerpunkt gesetzt  : Der Moment, unmittelbar nachdem Christus den Abdruck seines Antlitzes auf dem Schweißtuch hinterlassen hat, ist dargestellt  ; Veronika hat es noch nicht einmal ganz zurückbekommen. Obwohl wie im Rothschild-Gebetbuch darauf gesetzt wird, den Großteil des Soldatenzuges durch Verdeckung der Gesichter in der Anonymität zu belassen, sind doch viel mehr psychische Regungen als in der ehemals Wiener Handschrift auszunehmen. Alle drei Frauen weinen, Maria jedoch nimmt mit Betroffenheit, die durch ihre zum Mund geführte Hand zum Ausdruck kommt, die Gemeinheit wahr, die ihrem Sohn gerade von dem hinter ihm befindlichen Schergen angetan wird  ; auch Johannes schenkt der Untat einen bekümmerten Blick aus den Augenwinkeln267. Hinter dem Lieblingsjünger betrachtet ein weiterer Soldat, der sich aus diesem Grunde offenbar strecken muß, die unerfreuliche Episode. Sein klarer Gesichtsschnitt, seine für seine Berufsgruppe helle Haut und sein nachdenklicher Blick lassen ihn nicht unbedingt als negative Figur erscheinen  ; es könnte sein, daß hier der Gute 267 Viele dieser Motive sind im Schongauer-Stich der Kreuztragung vorgebildet, dort jedoch sowohl formal als auch psychologisch teils ganz anders umgesetzt.

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Hauptmann gemeint ist, der freilich in den Kreuzigungsszenen des Jakobsmeisters mit konsequenter Regelmäßigkeit weggelassen ist und dessen Auftreten hier somit erstaunen würde. Aber auch ohne den zusätzlichen erzählerischen (weil auf einen viel späteren Teil der Geschichte vorausweisenden) Akzent durch den Guten Hauptmann bleibt die SpinolaMiniatur um vieles narrativer als die des Rothschild-Gebetbuchs. Dort gibt es zwar auch eine äußerst turbulente Bildhandlung, die noch dazu so weit differenziert ist, daß am rechten Bildrand auf gleicher Höhe mit Christus eine winzig kleine, stehende, offenbar weibliche Figur erscheint, die als eine jener Frauen gedeutet werden kann, die über Christus weinen, obwohl dem Heiland zufolge eher Jerusalem ihrer Tränen bedarf. Doch spielt dies alles in so weiter Ferne, daß der erste Bildeindruck davon nicht betroffen Abb. 134: Kreuztragung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, ist. Stundenbuch, fol. 116r. Dennoch ist die Verlegung eines Teils der Handlung in die Bildtiefe für die Bildwirkung insgesamt von großer Bedeutung, sagt es doch Wesentliches über die unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien in den beiden Miniaturen aus. Während das Bild im Spinola-Stundenbuch exemplarisch jene Gestaltungsprinzipien vor Augen führt, die auch in der Fronleichnamsdarstellung als wesentlich erkannt wurden (und dies trotz völlig anderem Figurenmaßstab bzw. Bildausschnitt), nämlich eine sachte Halbkreisbewegung, der auch die nicht beweglichen Bildelemente untergeordnet werden und die vor allem die Breite des Raumes, weniger seine Tiefe betont, ist die Miniatur im Rothschild-Gebetbuch ganz offensichtlich eine unmittelbare Anverwandte der großfigurigen Darstellungen des vatikanischen Stundenbuchs. Die Nähe erscheint hier noch enger als bei den übrigen bislang analysierten Bildern im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, zumal dem bildparallelen Vordergrundgeschehen ein radikaler Tiefenvorstoß beigegeben ist. Insofern ist es aufschlußreich, eine ähnliche Bildlösung aus dem Vaticanus der Veronikaminiatur gegenüberzustellen. Da sich keine Darstellung gleicher Konzeption und gleichen Inhalts in Cod. Vat. Lat. 3770–68 findet, sollen zwei sehr unterschiedliche Bilder für unsere Zwecke herangezogen werden. Beim ersten handelt es sich um die Textminiatur zur Kreuztragung auf fol. 116r (Abb. 134) in Cod. Vat. Lat. 3769. Viel kleiner als das Veronikabild im Rothschild-Gebetbuch, eignet ihm doch ein ähnlicher Aufbau wie diesem  : Das bildparallele, halbfigurig ge-

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zeigte Vordergrundgeschehen, die Kreuztragung, wird von Golgotha im Hintergrund konterkariert, auf das sich einige Reiter einen gewundenen Pfad hinaufbewegen und auf dem winzige Figuren bereits die Vorbereitungen zur Kreuzigung in Angriff nehmen. Trotz dieses höchst ähnlichen Szenarios nicht im inhaltlichen, sondern im kompositionellen Sinne sind die Unterschiede im Bildaufbau beträchtlich. Zwar agiert der links sich an Christus vergreifende Scherge in einer Bewegung von links hinten aus dem Raum heraus, doch ist diese maximal flächenhaft umgedeutet. Auch der den Heiland an einem Seil hinter sich herziehende, seinem Opfer sich zuwendende Peiniger am rechten Bildrand schreitet so nach rechts aus, daß er – verstärkt durch den Kreuzesstamm, der ihn maximal in den Vordergrund drängt – bildparallel bleibt. Immerhin wird durch seine Kopfwendung wenigstens kompositionell eine Verbindung zum Berg im Hintergrund hergestellt, der sich dort – scheinbar parallel zur Neigung des Hauptes – in einen Hohlweg öffnet, von dem allerdings nur eine Flanke zu sehen und der ausschließlich durch den darüber sichtbar werdenden Pfad zu erahnen ist. Es sind in erster Linie ein waagrechtes Wegstück im oberen Bereich des Felsens und zwei als verkürzte Reiter wahrnehmbare Silhouetten, die den Tiefenverlauf des Hintergrundes suggerieren. Tatsächlich ist der Berg jedoch ein großer, grundsätzlich ebenfalls bildparalleler und auch in bildparallelen Schichten ansteigender Block. Es darf bezweifelt werden, daß die großen Unterschiede, die das Veronikabild des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 110) einem solchen Bildschema gegenüber aufweist, nur eine Folge des weit größeren Maßstabs im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 sind. Zwar ist der Vordergrund auch auf fol. 8v der ehemals Wiener Handschrift streng bildparallel organisiert  ; dennoch kündigt sich in der Haltung des Soldaten rechts eine Wendung in den Hintergrund an, die auch durch seine im Vergleich zum Schergen links geringere Größe angezeigt ist. Der Berg im Hintergrund ist kein massiver Block, sondern ein sich kontinuierlich nach hinten erstreckender Hügel, der nur dort, wo sich der Weg emporwindet, einige Felsstücke aufweist. Zwar setzt der Pfad erst in einiger Distanz ein, wodurch es wie im vatikanischen Stundenbuch zu einem beträchtlichen Raumsprung kommt. Dennoch wird auch eine gewisse Kontinuität gewahrt, und zwar durch den neben und über dem rechten Soldaten sichtbaren Terrainstreifen, der zuerst einen felsigen Abhang, den die Gruppe hinunterziehen muß, und dann Grünland erkennen läßt, ehe die für den Hügel charakteristische Bodenformation einsetzt. Der Zug hinauf auf Golgotha erklimmt den Berg, anders als die Soldaten in Cod. Vat. Lat. 3769, in einem großen Bogen. All dies kann nicht nur eine Frage der Größe des Dargestellten sein. Eher ist da schon die Entscheidung, die Stadtmauer als aggressiven Raumvektor von links in die Tiefe zu ziehen, auf das größere Platzangebot im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 zurückzuführen. Doch auch deren Funktion besteht nicht nur in einer Verräumlichung des Bildes, sondern auch darin, den Kreuztragungszug auf Golgotha in einer gegenläufigen Diagonale zu konterkarieren. Wäre dem Künstler im Veronikabild an dem in vielen vatikanischen Miniaturen eklatanten Tiefensog gelegen, so hätte er gewiß nicht zu dieser Bildlösung gegriffen, sondern den Zug entlang derselben Schräge wie die Stadtmauer organisiert. Textminiatur und Vollbild erweisen sich also, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Größe, auch in der Bildauffassung deutlich divergierend.

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Auch das zweite Vergleichsbeispiel belegt dies. Es ist das der Rothschild-Veronika ähnlichste Bild des vatikanischen Stundenbuchs, nicht bezüglich der Komposition, sondern bezüglich der Gestaltungsprinzipien. In der Heimsuchung auf fol. 139v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 20) erscheint Maria ungefähr gleich groß und in der gleichen Schrägstellung wie Veronika auf fol. 8v von ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Obwohl Ausdruck und Kleidung der Frauen sehr unterschiedlich sind, besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen, die vielleicht auch auf die relative Härte der Ausführung in beiden Miniaturen zurückgeht. Noch größer sind einige Übereinstimmungen in der Bildkomposition  : die Parallele von Veronikas schräger Haltung und der Stadtmauer hinter ihr findet ihre Entsprechung im Gleichklang der Ausrichtung Elisabeths und der Verkürzung der an sie anschließenden Architektur. Der Tiefenzug wird in beiden Bildern auf gleiche Weise von den Figuren verstellt, wobei im Vaticanus mehr Platz am linken (also dem Bauwerk gegenüberliegenden) Seitenrand frei bleibt, um einen kontinuierlichen Terrainverlauf anzuzeigen  ; das hat mit dem Miniaturformat nichts zu tun, sondern ist eine Entscheidung des Künstlers. Auch die Tatsache, daß der Mittelgrund in der Heimsuchung durch bildparallele Gebäude vom erst darüber emporragenden Hintergrund getrennt ist, vermag nichts daran zu ändern, daß in dieser Miniatur eine durchgehende Verbindung von vorne nach hinten suggeriert wird, der in der Veronika-Darstellung nichts Vergleichbares entgegengehalten wird. Der Weg durch das Tor des geräumigen Hofes, durch das zwei kleine Figuren in die Tiefe hineinschreiten, wirkt diesbezüglich viel stärker als das zwar grundsätzlich durchgehende, aber in seinem Verlauf gänzlich ungeklärte Terrain im Veronikabild. Auch fungiert der mächtige Stadtturm dort mehr als Zäsur als alle Bauteile in der vatikanischen Miniatur zusammen. Gemeinsam wäre den beiden Darstellungen, daß die Organisation des Hintergrundes auch in Cod. Vat. Lat. 3770 in sachte von links ansteigenden Schrägen erfolgt und damit dem dominierenden Raumvektor ebenso entgegensteht wie der Weg, auf dem Christus Golgotha erklimmt, der verkürzten Stadtmauer. Der feine Unterschied dabei ist, daß dieser Weg im letzten Teilstück nochmals umschwenkt und die Kuppe in jener Richtung erreicht, die die Mauer Jerusalems vorgibt. Freilich sind Figuren und Verlauf des Pfades dort schon so schwach und ungenau gegeben, daß diesem Faktor in der Bildwirkung keine Bedeutung mehr zukommt. Die Heimsuchung ist die dem Veronikabild ähnlichste Miniatur im vatikanischen Stundenbuch  ; alle anderen halbfigurigen Darstellungen sind Interieurbilder, und die übrigen groß- (aber ganz-)figurigen Miniaturen dieser Gruppe weisen einen zwar entfernt erscheinenden, aber ebenfalls frontal nach vorne ausgerichteten Hinter- (eigentlich Mittel-)Grund auf, dem klein auf einer Seite ein Fernblick beigegeben wird, der durch einen enormen Raumsprung von den Zonen davor abgesetzt ist. Dies gilt etwa für die bereits früher besprochene Beweinung Christi auf fol. 179v (Abb. 26), aber auch für den Bethlehemitischen Kindermord auf fol. 161v (Abb. 25) in Cod. Vat. Lat. 3770. Zudem agieren die im Hintergrund dieser Miniaturen befindlichen Figuren durchwegs nach vorne zu, etwas, das auch im Veronikabild nicht nur thematisch bedingt anders ist. Denn ein Blick auf fol. 8v in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 133), aber auch auf das unmittelbare ikonographische Vorbild der Rothschild-Miniatur, die Darstellung der Heiligen im Stundenbuch des Engelbert von Nassau in der Bodleian

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Library268, beweist, daß denkbar wenig durch das Thema vorgegeben ist, am wenigsten die Raumgestaltung auf fol. 8v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Es lohnt, noch einige Gedanken in die Ähnlichkeit der Rothschild-Veronika und der vatikanischen Heimsuchung zu investieren. Bezüglich der Figurengestaltung fällt auf, daß Veronika von dem um sie herumgeschlungenen Mantel als vollrund umschrieben wird, während in der Heimsuchung nur das Tuch um Elisabeths Kopf eine ähnliche Funktion übernimmt, die Gewänder aber grundsätzlich die Figuren eher verhängen. Alle großen Schüsselfalten sind bildparallel geführt  ; nichtsdestotrotz kündigt sich im Pelzbesatz am Ärmel Elisabeths oder in ihrem Gürtel eine ähnliche Auffassung wie in der Rothschild-Veronika an. Die differenzierte Stofflichkeit der letztgenannten Miniatur wird in der vatikanischen Darstellung aber bei weitem nicht erreicht. Hier sei nur auf ein aufschlußreiches Detail verwiesen  : während die durch feine Schraffuren gesetzten Glanzlichter in der Heimsuchung dazu dienen, die einzelnen Faltenstege, vor allem im tiefblauen Mantel Marias, zu definieren, was mit großer Regelmäßigkeit geschieht, sind die Lichter im Rothschild-Gebetbuch nur stellenweise und viel feiner aufgetragen. Dies geht zwar auf Kosten eines durchgehenden Faltenreliefs, kommt allerdings dem Oberflächenreiz der Darstellung sehr zugute. Was schon als großer Unterschied zwischen den Bildern des vatikanischen Stundenbuchs und der Jakobsminiatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I) konstatiert wurde269, nämlich eine wesentlich subtilere Wiedergabe von stofflichen Effekten im Jakobsgebetbuch, gilt auch beim Vergleich der vatikanischen und der Rothschild-Miniaturen  : Die Oberflächenqualitäten des Veronikabildes werden in der vatikanischen Heimsuchung nicht erreicht, und dies, obwohl sie vielleicht angestrebt wurden, wie das goldene Liniennetz auf dem Mantel der Jungfrau nahelegt. Insgesamt erscheint die große Nähe der Heimsuchungsdarstellung in Cod. Vat. Lat. 3770 zum Veronikabild im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 bemerkenswert, auch deshalb, weil viel dafür spricht, daß die Heimsuchung von einem Mitarbeiter ausgeführt wurde. Dies könnte in der komplizierten Frage nach den am Œuvre des Jakobsmeisters beteiligten Illuminatoren aufschlußreich sein, worauf noch zurückzukommen sein wird. Nicht unmittelbar einleuchtend ist, wie die beiden Veronikabilder im Spinola-Stundenbuch und im Rothschild-Gebetbuch von derselben Hand stammen sollen, außer man nimmt einen wirklich großen Zeitunterschied oder aber einen tiefgreifenden künstlerischen Wandel zwischen den beiden Miniaturen an. Die Diskrepanzen in der Erzählweise und in der Raumauffassung übertreffen sogar jene zwischen der Darstellung der Fronleichnamsprozession auf fol. 48v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 95) und der Totenvigilminiatur auf fol. 164v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 117). Auch bezüglich der Figurenauffassung sind Abweichungen zu konstatieren. Sowohl die Wiedergabe des Detailreliefs als auch der plastischen Gesamtform ist im Stundenbuch gegenüber dem Gebetbuch wesentlich gesteigert. Obwohl es Faltenmotive im Spinola-Stundenbuch gibt, die die Figuren verflächigen (wie die geraden 268 London – Los Angeles 2003, S. 134–137 (Nr. 18), S. 524 (Literaturangaben)  ; Alexander 1970, Taf. 26. 269 Vgl. hier Kap. III 1 c.

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Röhren im Schurz des rechten der drei bas de page-Schergen oder am Rock der Veronika) zeigt die in den Raum gerichtete Schulterpartie dieser Heiligen (aber auch jene des Heilands) eine generelle Abdunkelung, die eine Modellierung des Figurenzylinders anzeigt und in dieser Intensität im Rothschild-Gebetbuch nicht festzustellen ist. Am deutlichsten offenbart sich dies in der Gestaltung des in beiden Bildern ähnlich in den Raum gedrehten Gesichtes der Veronika, das im Spinola-Stundenbuch in seiner Gesamtform erfaßt und vollrund modelliert ist, während es im Rothschild-Gebetbuch vom Umriß her konzipiert wurde und die Einzelformen eher mit zeichnerischen als mit malerischen Mitteln hervorgehoben sind. Insgesamt ist klar, daß das Rothschild-Gebetbuch der vatikanischen Handschrift nähersteht als das Spinola-Stundenbuch, also wohl früher entstanden sein wird als Ms. Ludwig IX 18. Ob die Rothschild-Handschrift dem Cod. Vat. Lat. 3770–68 allerdings auch nähersteht als dem Spinola-Stundenbuch, also wie die zeitliche Distanz zwischen dem ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 und der Getty-Handschrift einzuschätzen ist, bedarf noch einiger Überlegungen. Aus naheliegenden Gründen bietet sich eine Gegenüberstellung der Pfingstminiaturen auf fol. 45v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 34), auf fol. 32v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 111) und auf fol. 31v im Spinola-Stundenbuch (Abb. 94) an, zumal schon vorbereitende Vergleiche zwischen ihnen durchgeführt wurden. Überraschenderweise findet das Pfingstwunder im Rothschild-Gebetbuch in einem dem Sterbegemach auf fol. 184v von Ms. Luwig IX 18 (Abb. 93) noch ähnlicheren Zimmer statt als im vatikanischen Stundenbuch  ; allerdings sind die beiden Durchblicke im RothschildGebetbuch ausführlicher geschildert als in der Spinola-Sterbeszene, zumal man links durch die geöffnete Tür eines spitzbogigen Durchgangs in eine offene Loggia und hinten durch eine rundbogige Pforte in ein Schlafzimmer mit Sitzbank, Himmelbett und rundbogigem Fenster blickt. Wie im Pfingstbild des Vaticanus und anders als in der Pfingstszene des Spinola-Stundenbuchs fehlt die rechte Seitenwand. Insgesamt nimmt die Pfingstminiatur des RothschildGebetbuchs eine Zwischenstellung zwischen dem vatikanischen und dem Spinola-Pfingstbild ein. Zwar ist der Raum ähnlich schräg wie im vatikanischen Beispiel organisiert, doch ist er nicht so tief, sondern von ähnlicher Ausdehnung wie im Spinola-Stundenbuch. Die Frontalität der Rückwand (also ein flächenkonstituierender, dem Tiefensog Einhalt gebietender Faktor) wird im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 im Vergleich zu Cod. Vat. Lat. 3769 durch die größere Breite und das bildparallele Betpult weit stärker betont. Auch die perspektivischen Inkongruenzen beschränken sich auf die kaum wahrnehmbaren Diskrepanzen im Verlauf der Seitenwand und des Bretterbodens, die nirgendwo aneinanderstoßen. Und obwohl die hinteren Apostel auch im Rothschild-Gebetbuch ein wenig klein geraten sind, bleiben sie doch eine einheitliche, sich wie im Spinola-Stundenbuch rings um die Madonna scharende Gruppe. Dadurch wird der Eindruck eines Raumsprungs vermieden. Das heißt aber auch, daß trotz ähnlicher Raumorganisation wie im vatikanischen Stundenbuch (mit einer dominierenden Schräge von links vorne nach rechts hinten) die Figurenanordnung des RothschildPfingstwunders eher jener im Pfingstbild des Spinola-Stundenbuchs gleicht (mit der in den Raum hinein verschobenen, von den knienden Aposteln gleichsam kreisförmig umgebenen

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Madonna). Wie im Spinola-Stundenbuch sind auch im Rothschild-Gebetbuch im Vordergrund zwei Jünger plaziert, von denen sich der jeweils rechte in einer die Raumdiagonale kreuzenden Schräge der Muttergottes zuwendet. Dennoch bleiben auch in der Figurenanordnung markante Unterschiede bestehen, die – ebenso wie die Divergenzen in der Raumauffassung – letztlich die Zwischenstellung von ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 zwischen Cod. Vat. Lat. 3768–70 und Ms. Ludwig IX 18 nahelegen. So ist beispielsweise der schräge Raumvektor von links vorne nach rechts hinten in der Rothschild-Miniatur auch durch die Figurenanordnung selbst getragen, zumal – geführt von den Bodenbrettern – der Blick von dem linken vorderen Apostel über die frontal kniende Madonna und die beiden stark verkleinerten Jünger hinter ihr unmittelbar bis ins Schlafgemach gleitet. Daß dennoch auch das Kreisen des Auges ein wesentliches Element der Komposition bleibt, wird durch die konsequente Ausrichtung fast aller Jünger auf den über Maria schwebenden Heiligen Geist gewährleistet – sowie durch Farbkorrespondenz, die den linken vorderen Apostel mit dem schräg rechts hinter der Gottesmutter und somit rechts vom eigentlichen Raumvektor knienden Jüngling und mit dem in Profilstellung am rechten Bildrand zur Jungfrau blickenden Mann über nahezu gleiche Rottöne verbindet. Doch ist das kreisende Element im Rothschild-Gebetbuch anders als im Spinola-Stundenbuch umgesetzt. Im Spinola-Stundenbuch wird der Raum in seiner vollen Dimension von den Figuren genützt, und nicht nur im Vordergrund bleibt immer wieder leerer Platz zwischen den Akteuren sichtbar. An beiden Seitenwänden wird mittels radikaler Verkürzung des dort befindlichen Mobiliars und der räumlichen Staffelung der Figuren in die Bildtiefe vorgestoßen, so daß insgesamt zwei Schrägen wirken. Jede wird abschließend von einem eigenen frontalen Element gebremst – der flachere Vektor links durch die frontale, jener im Rothschild-Gebetbuch vergleichbaren Kommode, der steilere rechts durch die in ein Raumdunkel führende Tür, aus der eine Figur nach vorne und damit dem Raumschub explizit entgegentritt. Die Frontalität der Rückwand wird durch eine parallel dazu angeordnete Figurengruppe betont, die allerdings ebenfalls räumlich (in Form eines nach hinten spitz zulaufenden Dreiecks) gestaffelt ist. Der hinterste dieser drei knienden Apostel markiert zugleich den Endpunkt der beiden Bewegungsstränge, die – von links vorne in einer diagonalen Geraden, von rechts vorne in einer großen Kurve – auf ihn zukommen. Im Rothschild-Gebetbuch ist die kreisende Bewegung nur im vorderen Teil der Figurengruppe augenfällig, während die Apostel hinter der Madonna (von dem seine eigene visionäre Schau erlebenden „Ausbrecher“ links hinten abgesehen) zwar alle mehr oder minder ihr zugewendet, dabei jedoch zu einer Masse zusammengeschlossen sind. Damit bilden sie – nicht anders als die streng frontale Haltung der Gottesmutter – eine Barriere, halten somit den Blick auf und führen ihn zu Maria zurück, welche die statische Mitte der vorne hieratisch ihr zugeordneten Jüngergruppe bildet. Überhaupt ist die jeweilige Position der Madonna besonders aufschlußreich. Während sie im Rothschild-Gebetbuch das Zentrum der Aufmerksamkeit (wenn nicht der Apostel, so doch der Betrachtenden) ist, was durch den ihre Frontalität wiederholenden, über ihr schwebenden Heiligen Geist noch unterstrichen wird, ist sie im Spinola-Stundenbuch trotz der Auszeichnung mit den sie umgebenden Farben und dem respektvollen Abstand der rechten

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Apostelreihe in die Kreisbewegung mit einbezogen, indem sie – noch weit stärker als im vatikanischen Stundenbuch – nach links gewendet und auch gerückt ist und zudem selbst (ganz im Gegensatz zur regungslos wirkenden Gottesmutter in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844) eine heftige Drehbewegung vollführt. Sie ist also hier nicht viel mehr als eine prima inter pares. Die Verwendung der Grisaille, ����������������������������������������������������������������������� die per se schon eine Vereinheitlichung aller Figuren begünstigt, verstärkt diesen Effekt noch, obgleich sie nicht als Ursache für ihn angesehen werden kann, da der Künstler ungezählte formale Möglichkeiten zur Betonung der Gottesmutter gehabt hätte. Auch ist Maria nicht so symmetrisch von den Jüngern flankiert wie im RothschildGebetbuch, wo neben den beiden in den vorderen Ecken befindlichen Aposteln die beiden im Profil gegebenen Jünger die Gottesmutter auf gleicher Höhe rahmen – wobei der linke vordere, den primären Raumvektor initiierende Heilige bezeichnenderweise nicht in den Raum hinein gewandt ist, was der zusätzlichen Hemmung eines allenfalls sich ergebenden Tiefensogs dient. Im Spinola-Stundenbuch ist das Figurenensemble rund um die Madonna kreisförmiger angeordnet, und es ergeben sich mannigfache Raumrichtungen und Bewegungen. Vier der Apostel befinden sich noch vor der Jungfrau, einen Halbkreis beschreibend, während ein fünfter rechts außen auf gleicher Höhe mit ihr dargestellt ist. Aus dieser Gruppierung ergibt sich ein nahezu perfektes Oval, da entlang der Seitenwände jeweils eine Gerade entsteht. Doch hat der Blick des Betrachters auch die Alternative – geleitet von den (anders als im RothschildGebetbuch) in verschiedenste Raumrichtungen gedrehten Aposteln und nicht zuletzt von der Marienfigur selbst – gleichsam in einer Schlinge durch den Bildraum zu schweifen, wobei ein vorderer und ein hinterer Kreis durch die ausladend auf dem Boden drapierten Mäntel der Gottesmutter und des gleichauf mit ihr rechts knienden Jüngers getrennt werden. All dies wird begünstigt dadurch, daß die Pfingstminiatur im Spinola-Stundenbuch breiter als jene im Rothschild-Gebetbuch ist – und zwar abweichend von den meisten anderen Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18, die konform mit dem Textspiegel stets einen mehr oder weniger schmalen Streifen zum Buchfalz hin freilassen. Zweifellos entspricht diese Verbreiterung den künstlerischen Intentionen des Illuminators, einen kontinuierlichen, gleichsam durchschweifbaren Raum im Gegensatz zu einer von Raumvektoren dominierten Tiefenkonstruktion zu schaffen, kongenial. Auffallend ist das deutliche Abweichen der Figurentypen im Rothschild-Gebetbuch von jenen des Spinola- wie auch des vatikanischen Stundenbuchs. Darüber hinaus läßt die Rothschild-Miniatur jene Definition des Körpers unter dem Gewand vermissen, wie sie sowohl in Cod. Vat. Lat. 3769 (so am Oberschenkel des Jüngers am linken Seitenrand oder am Gesäß des Apostels rechts vorne) als auch in Ms. Ludwig IX 18 (etwa an den Gesäßpartien der Figuren links außen und rechts vorne sowie am Oberschenkel des Apostels rechts außen) zu konstatieren ist. Dafür läßt sich sowohl im Rothschild-Gebetbuch als auch im SpinolaStundenbuch ein Umschreiben des Körpers mittels des darum herumgeführten Gewandes erkennen, das allerdings im Spinola-Stundenbuch mehrfach und gekonnter eingesetzt ist als in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, und das gleiche gilt für die Abschattung des Figurenzylinders, die in der Spinola-Pfingstszene allenthalben, in der besprochenen Rothschild-Miniatur jedoch nur an wenigen Akteuren und nur bedingt überzeugend anzutreffen ist. Eine weitere

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Besonderheit des Rothschild-Gebetbuchs ist die spezifische Malweise, deren exquisiter, aber mitunter eher die eigene als die suggerierte Oberflächenstruktur betonender Charakter bereits anhand anderer Beispiele konstatiert werden konnte. Auch auf fol. 33v von Ms. Add. 35313 der British Library befindet sich eine Pfingstminiatur (Abb. 132), die mit jener des Rothschild-Gebetbuchs engst verwandt ist, ohne ihr allerdings so exakt zu entsprechen, wie dies bei den vier Marienszenen in den beiden Handschriften der Fall ist. Die größeren Unterschiede zwischen den Pfingstbildern erklären sich zweifellos daraus, daß auf fol. 33v des Londoner Stundenbuchs ein anderer, mit dem Jakobsmeister nur lose liierter Maler am Werk war270. Sowohl seine Figurentypen als auch ihre stocksteifen Posen oder gar die (keinem einheitlichen Prinzip unterliegende) Raumauffassung sind mit den Gestaltungsprinzipien der drei anderen Pfingstminiaturen nicht in Einklang zu bringen. Die Protagonisten wirken relativ beliebig in einem Interieur verteilt, das keine konsequente Tiefenausrichtung erkennen läßt. Zwar wird eine Raumschräge von links vorne nach rechts hinten angedeutet, doch weder der Bretterboden (der wesentlich flacher verläuft als die durch die etwas holprige Figurenanordnung angedeutete Diagonale) noch irgendwelche Möbel unterstützen diesen Tiefenzug. Dem etwas unordentlichen Durcheinander der Akteure (kongenial ergänzt durch ein fröhliches Kunterbunt der Gewänder) entspricht die komplexe, aber etwas unlogische Verschachtelung der einzelnen Raumteile. Das Zimmer ist vorne von einer Quertonne und links von einer Längstonne überwölbt, während im rechten Raumteil eine Decke weder erkannt noch erahnt werden kann271. Nun scheint es aber, daß diese Miniatur, trotz Nähe zu jener im Rothschild-Gebetbuch, nicht ohne die Pfingstszene des Spinola-Stundenbuchs bzw. andere stilistisch ähnliche Werke denkbar ist. Allein die Tatsache, daß nicht zwei, sondern vier Apostel den Vordergrund vor der Madonna füllen, scheint auf eine Lösung wie die des Spinola-Stundenbuchs zurückzugehen, auch wenn in Add. 35313 nichts Brauchbares aus der Figurenanordnung des Vorbilds gemacht wurde. Auch einzelne Bewegungsmotive hat dieser (insgesamt doch von einer ganz anderen Vorstellung von Mobilität ausgehende) Illuminator aus Ms. Ludwig IX 18 entlehnt, allen voran die Pose des links hinten knienden Apostels, dessen Haltung und Gewandverlauf 270 Dieser Maler und die an ihn anschließenden Mitarbeiter dürften im ersten und zweiten Jahrzehnt primär auf die Illuminierung musikalischer Handschriften spezialisiert gewesen sein. So scheint er (offenbar zu einem früheren Zeitpunkt) die Darstellungen Philips des Schönen und Johannes von Kastilien im Graduale des 1506 verstorbenen Herzogs (Brüssel, Bibliothèque Royale) ausgeführt zu haben  ; Smeyers – Van der Stock 1996, Nr. 4. Auch in einigen Werken des zweiten Jahrzehnts ist seine charakteristische Formensprache weiterhin spürbar, so etwa in einem Liber Missarum im Stadsarchief Mecheln, das um 1515/16 datiert werden kann  ; Smeyers 1998, S. 437, Abb. 23. Zu den musikalischen Handschriften, die von Maria Kapp der Werkstatt Gerard Horenbouts zugeschrieben werden, vgl. Kapp 1987 sowie Kapp 1990. 271 Dieses Interieur wurde – mit Elementen des Croy-Pfingstbildes gemischt – vom Meister der Davidsszenen des Breviarium Grimani auf fol. 10v eines Stundenbuchs in der Bodleian Library, Oxford (Ms. Douce 112), übernommen, das E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 441 f. (Nr. 137), um 1515/20 datiert. Abb. ebenda 137a, Literaturangaben S. 530.

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jenen der Spinola-Madonna nachempfunden ist. Die Pfingstminiatur von Add. 35313 ist alles andere als eine originäre Lösung  ; sie ist aber auch keine exakte Kopie einer anderen (besseren) Miniatur, wie viele Unstimmigkeiten verraten. Der auf sich allein gestellte Illuminator sammelt verschiedene Anregungen aus verschiedenen Vorbildern – ohne daß ihm die für den Jakobsmeister charakteristische souveräne Synthese oder gar eine Neuschöpfung gelungen wäre. Damit könnte das Pfingstbild von Add. 35313 einer Nachdatierung der Handschrift Vorschub leisten272 – oder aber einer relativ frühen Datierung des Spinola-Stundenbuchs bald nach Entstehung des Rothschild-Gebetbuchs. Diesbezüglich ist es aufschlußreich, dieser Vergleichsreihe ein weiteres Beispiel hinzuzufügen, die Pfingstminiatur auf fol. 23v des Croy-Gebetbuchs (Cod. Vind. 1858) (Taf. XIX), das von Dagmar Thoss zuletzt plausibel in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datiert wurde273 (also annähernd gleichzeitig mit dem Spinola-Stundenbuch). Auf fol. 23v des Cod. Vind. 1858 sind nur die linke Seiten- und die Rückwand des dargestellten Interieurs sichtbar  ; dennoch ist klar, daß die rechte Wand bei der Konzeption des Raumes mit berücksichtigt wurde. Dies verrät die Gruppe der drei Apostel, die dort an einer nur zum Teil sichtbaren Wandbank knien. Auch sonst ist dieses Zimmer ein enger Verwandter der Räumlichkeit im Spinola-Stundenbuch  : Wie in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 94) befindet sich in Cod. Vind. 1858 links ein Kamin mit davorstehender Ofenbank  ; daneben hat hier noch jene Kommode Platz, die in Ms. Ludwig IX 18 frontal an der Rückwand steht. Auch letztere ist in den beiden Handschriften ähnlich strukturiert  : Rechts öffnet sich auch in Cod. Vind. 1858 der hölzerne Verschlag der Eingangstür, über dem (auf Grund der größeren Höhe der Miniatur) noch eine Empore zu sehen ist. Das hier ebenfalls mittig plazierte, jedoch größere Doppelfenster ist abgesehen von den Oberlichten mit Läden verschlossen. Ein von der Decke hängender Luster vollendet die motivischen Gemeinsamkeiten mit der Spinola-Miniatur. An die entsprechende Miniatur in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 111) gibt es wenig Anknüpfungspunkte, mit Ausnahme einer gewissen Betonung der Gottesmutter  ; ansonsten sind hauptsächlich Divergenzen festzustellen. Maria ist in Cod. Vind. 1858 so weit in die Bildtiefe gerückt, daß rechts zwei, links anscheinend sogar drei Apostel vor ihr Platz finden, welch letzteres durch den in die leere Mitte geschobenen Fuß des an der Ofenbank knienden Alten veranschaulicht wird. Allerdings ergibt sich allein daraus nicht schon dieselbe Raumauffassung wie im Spinola-Stundenbuch. Obwohl der ausgebreitete Mantel der Madonna und die Jünger um sie herum auch im Croy-Gebetbuch eine Kreisform beschreiben, besteht hier noch stärker als im Spinola-Stundenbuch die Tendenz, zwei an den Miniaturrändern nach hinten laufende Raumvektoren mittels Figurenstaffelung zu suggerieren. Diese werden nicht so souverän aufgefangen wie jene in Ms. Ludwig IX 18 durch die kniende Dreiergruppe. Vielmehr laufen beide Schrägen ausgehend von den frontal hinter der Madonna knienden 272 Für eine spätere Datierung spricht auch der soeben erwähnte Zusammenhang mit der Darstellung gleichen Inhalts auf fol. 10v von Ms. Douce 112  ; andere Argumente folgen in Kap. V 1. 273 D. Thoss in Mazal-Thoss 1993, S. 33–50. Für frühere Datierungen des Croy-Gebetbuchs vgl. Wien 1987, S. 117 („Anfang 16. Jahrhundert“) sowie Ainsworth 2003, S. 244 („1505–10“).

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Jüngern in einem (durch Türverschlag und Kommode) verschmälerten Raumteil bis an die Rückwand weiter, wo ein einzelner, in der Fensterbank kniender Visionär mit schrillen Farben auf sich aufmerksam macht. Von einem Kreis kann weder hinten noch vorne gesprochen werden. Zwar gleiten die Mäntel der beiden zuvorderst knienden Figuren auf dem Boden in Richtung Bildmitte, und der leere Platz zwischen ihnen ist durch einen Betschemel gefüllt. Gerade letzterer ist jedoch weniger ein die seitlichen Figuren verbindendes als vielmehr ein aggressiv in den Raum weisendes und somit einen Keil zwischen die beiden Figurenstaffeln treibendes Element. Dieser dreiteilige Raumvorstoß ist zwar im Spinola-Stundenbuch durch den mit erhobenen Armen an der Mittelachse knienden Jünger vorbereitet, aber nicht ausgeführt, da die Figur dort der Muttergottes zugewendet ist und so die Kreisform an dieser Stelle weiterführt, nicht unterbricht. Umgekehrt ist im Croy-Gebetbuch festzustellen, daß der isolierte Betschemel und die in die Tiefe fluchtenden Bodenbretter vor der Madonna die einzigen aggressiven Raumimpulse geben. Die seitlichen Vektoren werden letztlich ausschließlich durch hintereinander gestaffelte Figuren und kaum durch verkürzte Objekte gebildet, was ihre Wirkung stark beeinträchtigt. Noch dazu kommt es an der linken Seitenwand einmal mehr zu perspektivischen Unstimmigkeiten, was die Verkürzung der Kaminöffnung, der Ofenbank und der dahinter befindlichen Kommode betrifft. Auch rechts ist die Situation nicht völlig klar, da die im Vordergrund angedeutete Betbank nicht dem Verlauf der unsichtbaren Wand zu folgen scheint, sondern sich eher in Richtung der inneren Flanke des hölzernen Türverschlags verkürzt. Solche Schwierigkeiten treten im Spinola-Stundenbuch nicht auf. Obwohl keine korrekte Perspektivkonstruktion vorliegt, sind auch bei genauerer Betrachtung keine unangenehmen räumlichen Spannungen festzustellen. Allerdings ist anzunehmen, daß der Illuminator des Croy- Pfingstbildes den ihm unterlaufenen „Fehlern“ keinerlei Bedeutung beimaß. Denn ein Faktor unterscheidet diese Miniatur von allen bisher besprochenen, auch vom Pfingstbild des Spinola-Stundenbuchs  : Auf fol. 23v von Cod. Vind. 1858 fallen Raumkonstruktion und dominierende kompositionelle Diagonale nicht zusammen, ja ergänzen einander nicht einmal. Denn der primäre Bewegungszug – und der primäre Grund, weshalb die Gottesmutter explizit nach links, ohne leisesten Ansatz zur Drehung, gewendet ist – gleitet von der Figur links vorne über das schräg auf dem Boden liegende Gewand Marias und die beiden hinteren Jünger an der rechten Seitenwand hin zu jenen Akteuren, die aus der Türöffnung hervorlugen. Zugleich ziehen die entlang des Türverschlags kauernden Apostel den Blick nach hinten, der dort in einer ähnlichen Schlinge wie im Spinola-Pfingstbild wieder nach vorne geführt wird. Ein Durchmessen des Raumes von links vorne nach rechts hinten ist auch in Ms. Ludwig IX 18 angedeutet  ; nicht umsonst ähnelt die Pose der Figur links vorne jener im Croy-Gebetbuch. Doch wird diese Diagonale in der Spinola-Miniatur durch nichts hergestellt als durch den Blick des Apostels vorne und die Ausrichtung der beiden in bzw. vor der Türöffnung situierten Jünger, die diesen Bewegungsschub auffangen und zurückgeben – es sei denn, man wolle den Leerraum, der allerdings nicht explizit dargestellt, sondern zwischen Maria und der rechten Apostelreihe nur erahnbar ist, als adäquates Fluidum für solch eine Kompositionslinie ansehen. Jedenfalls wirkt letztere im

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Spinola-Stundenbuch weder dominierend, noch beeinträchtigt sie die eigentliche Bewegung der Figuren wie des Betrachterblicks, die da ist  : sich im Kreise zu drehen. Daß diese kreisförmige Raumorganisation im vatikanischen Stundenbuch (Abb. 34) nur angedeutet, im Rothschild-Gebetbuch (Abb. 111) explizit angekündigt und teils auch verwirklicht, im Spinola-Stundenbuch (Abb. 94) dann vollendet umgesetzt und im Croy-Gebetbuch (Taf. XIX) teils überwunden ist, legt nahe, eine Reihung in der Art zu erstellen, daß auf das vatikanische Stundenbuch das Rothschild-Gebetbuch, auf dieses das SpinolaStundenbuch und darauf das Croy-Gebetbuch folgt. Hier nun setzt die eigentliche Rolle des Croy-Gebetbuchs in dieser Argumentation ein. Wie im vatikanischen und im Spinola-Stundenbuch ist auch im Croy-Gebetbuch der Körper teils unter dem Gewand abgezeichnet, was im Rothschild-Gebetbuch fehlt und dieses ein wenig aus der Reihe drängt. Sodann aber gibt es im Croy-Gebetbuch Motive wie den um die Figur geschlungenen Mantel, die im Rothschild-Gebetbuch wie im Spinola-Stundenbuch anzutreffen sind. Dabei läßt das Croy-Gebetbuch aber ähnlich dem Rothschild-Gebetbuch und anders als das Spinola-Stundenbuch den Figurenzylinder weitgehend unmodelliert (vom Abdunkeln der lichtabgewandten Schulterpartien abgesehen), was sich am deutlichsten im Vergleich der beiden ähnlichen Figuren links vorne im Croy-Gebetbuch und im SpinolaStundenbuch zeigt  : Obwohl der Apostel im Croy-Gebetbuch stärker in den Raum gewandt ist (beide Fußunterseiten sind sichtbar), ist seine raumorientierte Seite weit weniger schattiert als jene seines Pendants en grisaille (was ja freilich nur logisch wäre, wenn man den zentral positionierten Heiligen Geist als Lichtquelle annimmt, was in beiden Miniaturen nicht konsequent verwirklicht wurde). Insgesamt ist im Croy-Gebetbuch eine gewisse Diskrepanz zwischen raumorientierten Bewegungsmotiven und deren überzeugender Ausführung (etwa am Apostel rechts vorne) einerseits und einer massiven Verflächigung durch das dichte Gedränge der in leuchtenden und kontrastierenden Farben gegebenen Figuren andererseits festzustellen. Diese Verflächigungstendenz trotz formaler Raumhaltigkeit läßt sich verstärkt auch im Rothschild-Gebetbuch konstatieren. Hinzu kommt, daß in beiden Gebetbüchern die Malweise dieses Gestaltungsprinzip noch weiter vorantreibt. Bezüglich der Malweise stehen einander Croy- und Rothschild-Gebetbuch näher als das Spinola-Stundenbuch jedem der beiden. Im Croy-Gebetbuch ist ein delikater, dabei aber loser Farbauftrag festzustellen, der eine Meisterschaft in der Pinselhandhabung verrät, die die ohnehin meisterhafte Technik der anderen unserem Künstler zugeschriebenen Miniaturen noch um einiges überbietet. Im Spinola-Stundenbuch ist die technische Fertigkeit nicht so eklatant inszeniert. Das Rothschild-Gebetbuch wiederum zeichnet sich durch eine ähnliche, wenn auch weniger bravouröse Malweise aus. Einmal mehr stellt sich die Frage, ob dies nicht die Folge der Tätigkeit verschiedener Künstler in den drei Handschriften ist. Da diese Faktoren so schwer abzuschätzen sind, erscheint es jedoch sinnvoll, erst nach der Vorstellung aller hier als mehr oder minder eigenständige Arbeiten des Jakobsmeisters anerkannter Handschriften das Problem umfassend zu erörtern. Im Augenblick gilt es jedoch, bezüglich des Verhältnisses zwischen Rothschild-Gebetbuch und Spinola-Stundenbuch zu einer Lösung zu gelangen. Bislang wollte es scheinen, daß die

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Zwischenstellung des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 zwischen vatikanischen und SpinolaStundenbuch eine glatte war – also eine ähnliche zeitliche Distanz zu beiden Stundenbüchern bestehen könnte. Einige weitere Vergleiche sollen es ermöglichen, die Datierung des SpinolaStundenbuchs noch zu präzisieren. Dabei bieten sich die Verkündigung auf fol. 92v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 135) und jene auf fol. 84v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 113) an  ; und dies, obwohl in Ms. Ludwig IX 18 einmal mehr die Miteinbeziehung des Randleistenbereichs in die Erzählung zu einer enormen Erweiterung des narrativen Aspektes, aber auch zur zusätzlichen Veranschaulichung des Raumempfindens des Künstlers beiträgt. Und einmal mehr spiegelt sich letzteres auch schon in der Kernminiatur. Da die entsprechende Miniatur in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 bereits analysiert wurde, genügt es, sich auf die Verkündigung in Ms. Ludwig IX 18 zu konzentrieren. Als grundsätzlicher Unterschied gegenüber der Rothschild-Lösung fällt das andere Ambiente auf. Zu sehen ist ein seiner Front beraubtes polygonales Gebilde, das noch innerhalb des Kernrahmens, und zwar links, auch einen Teil der Außenansicht erkennen läßt. Der polygonale Charakter der Räumlichkeit tritt trotz der wandlosen Front klar zutage, zumal die beiden schräg auf eine Pfeilerbasis zulaufenden Profilleisten, die den Fußboden einfassen, ebenso zu sehen sind wie die beiden konkav geschwungenen Gebälkkompartimente, die zwei durch eine Hängekonsole getrennte Arkaden überfangen (letztere freilich sind ein ambivalentes Motiv, dessen potentielle Flächenhaftigkeit der ansonsten souverän mit Verkürzungen arbeitende Illuminator nicht ganz ausschalten konnte). In dem somit eindeutig als Zentralraum definierten Interieur wendet sich die rechts vorne auf dem Boden sitzende Madonna mit vor der Brust gekreuzten Armen nach Gabriel um, der mit einem stattlichen Gefolge an Engeln – von denen mehrere seinen (wie im Rothschild-Gebetbuch) brokatfarbenen, grüngefütterten Umhang emporhalten – links im Bild erschienen ist. Rechts hinter der Madonna schafft eine Kommode mit häuslichen Utensilien eine wohnliche Atmosphäre, die durch den Einblick in das links davon, an Stelle der zentralen Rückwand des Polygons befindliche Schlafgemach vervollständigt wird. Grundsätzlich wäre also eine dem Verkündigungsbild im Rothschild-Gebetbuch entfernt verwandte Raumkonstruktion gegeben  : Vorne ergibt sich ein kreisförmiger Teilbereich rund um bzw. durch die Protagonisten, an den ein aggressiver Raumvektor nach hinten zu angehängt wird. Freilich wird diese prinzipielle Gemeinsamkeit durch die dabei anfallenden Unterschiede bei weitem überboten. In ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 sind sowohl die bildparallele Anordnung und die vertikale Haltung der Protagonisten als auch die senkrechten Seitenteile des Baldachins (ungeachtet des polygonalen Sockels und der kreisförmigen Verfliesung) deutlich frontalisierende Elemente, füllen also den Vordergrund so, daß ein Ausblick nach hinten nur mit Mühe gewonnen werden kann. Demgegenüber wird in Ms. Ludwig IX 18 der Tiefenzug (durch den sich konsequent verjüngenden Fliesenboden) schon von vorne weg eingeleitet (und durch die Neigung des Oberkörpers der Madonna zur Bildmitte hin noch betont). Darüber hinaus wird auch die Größe des Zentralraums durch diesen Fliesenboden veranschaulicht und durch das räumlich versetzte Figurenarrangement zusätzlich betont. Die Akteure (nicht zufällig weit mehr als im Rothschild-Gebetbuch) okkupieren den Zentral-

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Abb: 135: Verkündigung; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 92v.

raum zur Gänze  ; zugleich leitet die Staffelung der Engel den linken Seitenarm jenes Trichters ein, dessen andere Seite vom rechten Kontur der Madonna gebildet ist, während ihre linke Umrißlinie zusammen mit der des ganz rechten Engels einen bogenförmig von links unten zum Schlafgemach führenden Freiraum säumt und somit korrigierend in die geradlinige Verkürzung der Fliesen eingreift. Die Unterschiede lassen sich folgendermaßen auf den Punkt bringen. Zum einen ist der Raum in Ms. Ludwig IX 18 nicht nur durch eine weitgehend stimmige Perspektivkonstruktion, sondern auch durch die kompositionelle Verbindung von vorderem und hinterem Raumteil weit mehr vereinheitlicht als jener in ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844. Zugleich überwiegen im Spinola-Stundenbuch die runden gegenüber den geradlinigen Raumelementen  ; die Figuren sind weit mehr als im Rothschild-Gebetbuch (durch ihre Größe, Anordnung, aber auch Beweglichkeit) in den Raum integriert. Man könnte überspitzt formulieren  : Während im Rothschild-Gebetbuch die Gegensätze zwischen einem frontalisierten Vordergrund

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und einer Tiefenflucht im Hintergrund, zwischen horizontaler, bildparalleler Anordnung und vertikalen Bildelementen die Wirkung bestimmen, ist das Thema im Spinola-Stundenbuch  : Zentralität. Raum wie Komposition sind auf eine Mitte hin konzipiert. Und besonders das Umfassende, Durchschweifbare des Raumes ist auch Gegenstand der Darstellung im Randleistenbereich, wo das Haus der Gottesmutter als allseitig umkreisbar gezeigt wird. Prinzipiell führt also auch die Gegenüberstellung der Verkündigungen in den beiden Handschriften zu der Erkenntnis, daß im Spinola-Stundenbuch eine künstlerische Auffassung perfektioniert wurde, die im Rothschild-Gebetbuch nur anklingt. Ja, im Vergleich zur Verkündigung in Ms. Ludwig IX 18 fallen jene Elemente, die den im vatikanischen (aber auch im Rothschild-) Stundenbuch anzutreffenden Gestaltungsprinzipen nahestehen (also Frontalisierung des Vordergrundes vs. Tiefenflucht), besonders ins Auge. Nun ist aber die Verkündigung im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 ja insofern problematisch, als sie auf einer älteren, in zahlreichen Fassungen kursierenden Vorlage beruht, was die Gestaltungsprinzipien beeinflußt haben könnte, sie allerdings nicht beeinflußt haben muß. Um sicherzugehen, daß die aus den bislang gemachten Gegenüberstellungen zwischen dem Rothschild-Gebetbuch und dem Spinola-Stundenbuch auch Rückschlüsse auf eine zeitliche Stellung der beiden Handschriften erlauben, müssen jene Darstellungen im ehem. Cod. Ser. n. 2844 herangezogen werden, die ganz dezidiert eine Absage an die im vatikanischen Stundenbuch zu konstatierenden formalen Lösungen erteilen. Eine Meßdarstellung findet sich im Spinola-Stundenbuch nur ein einziges Mal, und zwar im Bild des Totenamts auf fol. 185r (Abb. 136), das als Pendant zur Totenwache auf fol. 184v fungiert. Vielleicht als Folge dieser Zusammengehörigkeit ist das Spinola-Meßbild als schräger Einblick in eine Kirche konzipiert, anders als die Miniatur gleichen Inhalts auf fol. 28v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 108), die sich frontal darbietet. Das gezeigte Interieur, innerhalb der Kernminiatur durchaus plausibel aufgebaut, offenbart sich bei Mitbeachtung des Randleistenbereichs (der hier im Bas de page die Krypta, links einen schmalen Streifen der ansonsten aufgebrochenen Vorderfront und rechts die rechte Seitenwand der Kirche von außen verkürzt zeigt) als ein architektonisches Unding. Die Außenansicht rechts verrät, daß rechts kein weiteres Schiff an jenes, das den Sarg birgt, anschließt, während in der Kernminiatur links ein Einblick in eine lichtdurchflutete Architektur (offenbar ein Chorumgang mit anschließendem Kapellenkranz) geboten wird. Diese Situation kollidiert auch mit der Außenansicht links, weil dort in der oberen Ecke des Marginalbereichs ein Stück Himmel gezeigt und somit klar wird, daß die Architektur auch auf dieser Seite außen keine Fortsetzung findet, ein Sachverhalt, der auch in der Darstellung der Krypta mit linkem Seitenfenster seine Bestätigung erfährt. Diese nach den bisherigen Erfahrungen mit den Miniaturen in Ms. Ludwig IX 18 erstaunliche Sorglosigkeit wird durch ein weiteres Detail im Interieur ergänzt  : Der Altar befindet sich zwar optisch, aber nicht räumlich in der Verlängerung des zwischen den beiden seitlichen Chorgestühlen freigelassenen Platzes. Er ist etwas nach links gerückt, was an der Position der vorderen den Altarraum ausgrenzenden Säulen unschwer ersichtlich wird. Freilich wird dies ebensowenig wie die unlogische architektonische Situation als störend empfunden, sondern

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Abb. 136: Totenamt; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 185r.

ist offenbar durch ästhetische und künstlerische Erwägungen zu rechtfertigen  : Nur so wird die Parallelsetzung der beiden Chorgestühle einerseits bei dennoch freiem Blick auf den Altar andererseits gewährleistet. Beides ist essentiell für das Raumempfinden des Illuminators. Die parallel ver- und nicht aufeinander zulaufenden Chorbänke benötigt er, um zwar Raum, dabei aber keinen Raumtrichter zu schaffen. Die volle Sicht auf den Altar ist deshalb erforderlich, weil dieser den seitlich von den Bänken definierten Raum auch nach hinten zu klar begrenzt und ihm damit Form verleiht  ; andererseits gibt optisch diese freie Sicht und faktisch die Rechtsverschiebung des Betpults diesem Raumkompartiment die nötige Breite, um auch eine Schlauch- und nicht nur die Trichterwirkung zu vermeiden. Der optischen Verbreiterung (sowie der Suggestion freier Umgehbarkeit) des gezeigten Interieurs dienen auch die lichtdurchfluteten Architekturteile links und hinter dem Altar. Es ist also weniger erklärungsbedürftig, weshalb sie in die Darstellung aufgenommen wurden, als vielmehr, weshalb die Au-

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ßenansicht links nicht einfach in eine geschlossene und damit diese Situation ermöglichende Front verwandelt wurde. Weshalb im rechten Randleistenbereich nicht noch ein Seitenschiff von außen gezeigt wurde, ist demgegenüber klar. Denn dies hätte den gesamten Bildstreifen mit einer primär ebenfalls frontal gegebenen Architekturansicht gefüllt und bestenfalls in einem Strebewerkbereich oben die Möglichkeit zur räumlichen Staffelung von Architektur­ elementen geboten, was nicht mit der hier gezeigten Ansicht konkurrieren hätte können. Denn obwohl der entlang der Außenmauer laufende Weg senkrecht in die Tiefe führt, sorgen diverse waagrechte Elemente wie der Querbalken des Wegkreuzes, die Schwelle wie der Bogen der Kirchhoftür und nicht zuletzt die Kurvigkeit des Pfades selbst dafür, daß weniger der Eindruck eines Tiefensogs als vielmehr jener von Platz rund um das Kirchengebäude entsteht, welch letzteres zweifellos der Bildauffassung des Illuminators kongenial entspricht. Durch alle diese Elemente, vor allem durch jene innerhalb der Kernminiatur, wird im Spinola-Stundenbuch ein (gegenüber der Darstellung des Totenamtes im Rothschild-Gebetbuch) größeres Platzangebot erreicht. Der Raum wird nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite erweitert, und seine Durchschweifbarkeit teilt sich nicht nur durch Andeutungen (wie im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 durch den sich notwendigerweise um den Altar herum bewegenden Pleurant-Zug), sondern durch die Weite des Schauplatzes mit. Wie im Rothschild-Gebetbuch läßt auch der Illuminator im Spinola-Stundenbuch seine Figuren gegen den Raumsog agieren. Im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 kommen die Pleurants links aus der Tiefe heraus und bewegen sich rechts in sie hinein, was auf Grund der üblichen Leserichtung abendländischer Betrachtender eine Kreisform per se ergibt. Dabei treten dem Zug in die Tiefe immer wieder Figuren entgegen  : Der Kerzenverteiler schon rechts vorne, der Priester rechts am Altar und (wichtig in seiner Funktion, die Prozession imaginär um den Altar zu leiten) der Kerzeneinsammler rechts hinten. Im Spinola-Stundenbuch ist das Problem von vornherein nicht gegeben, weil die Figuren keine geordneten Bewegungsabläufe vollziehen. Zwar knien die ersten beiden Pleurants entlang der Chorgestühlflanke in den Raum hinein gewendet und passen sich somit in ihrer Haltung der in die Tiefe führenden Schräge an. Doch schon der dritte hat sich der (hier nicht sichtbaren, doch offensichtlich ebenso wie rechts vorhandenen) Betbank zu und damit ausdrücklich nach links gewandt. Der vierte ist wieder nach rechts hinten orientiert, was allerdings nicht zur Wirkung kommt, weil der ihm eine Kerze in die Hand drückende Mann unmittelbar vor ihm steht und so auch dem durch das verkürzte Chorgestühl initiierten Raumschub ein erstes Mal wirkungsvoll entgegentritt, worin er Unterstützung in der linken vorderen Säule der Altarzone findet. Raum schaffen somit in dieser Miniatur letztlich nur Architektur und Versatzstücke, während sich die Figuren in alle Richtungen bewegen. Dies ist ein deutlicher Unterschied zum Rothschild-Gebetbuch, wo der durch die Objekte vorgegebene Raum trichterförmig und primär tiefenorientiert ist, während die Akteure ein kreisendes Element darin einbringen. So bilden die drei Kleriker vor dem Altar im Spinola-Stundenbuch die Fortsetzung des durch den Katafalk initiierten Raumvektors. Doch allein ihre verschiedenen und teils gegeneinander gewandten Positionen bringen den Tiefenzug hier zum Erliegen  ; er holpert quasi über drei verschieden hoch angeordnete Köpfe und wird von dem Oranten aufgefangen, noch

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ehe er die breite Altarfront erreicht. Die Akteure am rechten Bildrand (angefangen von den Pleurants über den Diakon im Chorgestühl bis hin zum Ministranten rechts vom Altar) sind überall hin (nach rechts, nach links, nach vorne), nur nicht entlang der Chorgestühlverkürzung in den Raum hinein gewandt. Der durch die Gegenstände konstruierte Raum wird von den Figuren nur genutzt. Besonders amüsant ist, daß eine der Rothschild-Miniatur vergleichbare Bewegung von rechts vorne nach rechts hinten im Spinola-Stundenbuch dem Betrachter überlassen wird, der im rechten Randleistenbereich jenen Weg vorfindet, auf dem es ihm scheinbar möglich gemacht wird, das gesamte vorgestellte Gebilde zu umkreisen. Hält man den beiden zuletzt besprochenen Bildern die Totenamtsminiatur auf fol.18v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 40) gegenüber, so offenbart sich nicht nur die volle Tragweite der Veränderung, sondern auch eine Art (wenn auch nicht linearer) Entwicklung. Obwohl einander motivisch die Lösungen in den beiden Stundenbüchern näher stehen – beide Male ist ein Katafalk in einer mehrschiffigen Architektur gezeigt –, könnten die Auffassungsunterschiede nicht größer sein. Der Architekturtrichter in Cod. Vat. Lat. 3768, der realiter seitlich durchlässig, optisch jedoch nur durch einen einzigen Tiefenzug geprägt ist, wird von der Staffelung der (alle gleich orientierten) Figuren wie von dem zentralen, verkürzten Sarg in seiner Wirkung wesentlich unterstützt, durch das potentiell auch flächendekorative Element der geschlossenen Figurengruppe und des dreiecksförmigen Katafalküberbaus zugleich jedoch konterkariert. Somit wird Tiefenraum auch mittels eines Raumsprungs (hin zu dem erst in einiger Entfernung positionierten Altar) suggeriert, woran die Figuren keinen Anteil mehr haben. Dieses der Bildauffassung im Spinola-Stundenbuch diametral entgegengesetzte Raumempfinden wird bereits in der kompositionell ähnlich aufgebauten Rothschild-Miniatur entscheidend verändert, indem dort die Tiefe zurückgenommen, zugleich aber von den Figuren erobert und von ihnen als begehbar geschildert wird. Im Spinola-Stundenbuch schließlich ist der Raum nach wie vor tief, aber zugleich auch explizit breit. Tiefenorientierte und seitlich expandierende Elemente halten einander die Waage und vermitteln den Eindruck der Weite, in der die Figuren sich beliebig bewegen können, ohne daß dies auf die Raumwirkung noch entscheidenden Einfluß ausüben würde. Es scheint beinahe, als hätte der Künstler eine im Rothschild-Gebetbuch noch gesuchte und nur mit Hilfe der Figurenanordnung umgesetzte Raumauffassung in Ms. Ludwig IX 18 zur Gänze verwirklicht. All dies spricht also dafür, daß das Rothschild-Gebetbuch zwischen den beiden Stundenbüchern im Vatikan und im Getty Museum entstand. Da das zuletzt in der Literatur und auch im Zuge unserer Untersuchungen mit einiger Plausibilität 1502/3 datierte Jakobs-Gebetbuch noch zwischen die vatikanische und die ehemals Wiener Handschrift zu setzen wäre, ergäbe sich eine zeitliche Einordnung um 1505 für das Rothschild-Gebetbuch. Nimmt man den zeitlichen Abstand des letzteren zu den beiden Stundenbüchern als etwa gleich an, so würde sich daraus eine Datierung des Spinola-Stundenbuchs um 1510 ergeben. Freilich beruht dieses rein rechnerische Ergebnis auf der (durch nichts beweisbaren) Annahme, daß Gestaltungsprinzipien sich kontinuierlich und sukzessive ändern. Obgleich dies nicht ausgeschlossen ist, ist ebenso gut möglich, daß der Künstler sich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht

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entwickelte (was allerdings für den Jakobsmeister, wie wir ihn bisher kennengelernt haben, höchst untypisch wäre) oder daß er sich im zweiten Jahrfünft des 16. Jahrhunderts rapide veränderte (was ihm – auch wegen der ihm im Spinola-Stundenbuch gestellten Aufgabe, die ihn offensichtlich nicht nur im stilistischen Bereich zu Höchstleistungen herausforderte274 – schon weit eher zuzutrauen wäre). Es wird daher für unsere weitere Argumentation vonnöten sein, andere dem Jakobsmeister zugeschriebene Handschriften in die Überlegungen mit einzubeziehen. Ein erster Schritt wurde bereits im Zusammenhang mit den Pfingstdarstellungen gemacht, als die entsprechende Miniatur des Croy-Gebetbuchs in die Argumentation aufgenommen (und bei aller Kontinuität ein gravierender Unterschied zum Spinola-Stundenbuch festgestellt) wurde. In der Folge soll ein weiterer Schritt gemacht und der Vergleich auf die wenigen Ausstattungen ausgedehnt werden, die dem Jakobsmeister zuschreibbar und vor den Sforza-Hours (also vor etwa 1520) entstanden sind. Es handelt sich um die Miniaturen in einem Stundenbuch, das heute offensichtlich zwischen Wien und Poitiers aufgeteilt ist und in der Bordüre einer Textseite die Jahreszahl 1510 zeigt (Cod. Vind. 1887 und Poitiers, Médiathèque François Mitterrand, Ms. 57/269), die Miniaturen in einem Stundenbuch in Cambridge (Fitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975), das in der neueren Literatur um 1515 datiert wurde, jene in dem etwa gleichzeitig angesetzten Croy-Gebetbuch Cod. Vind. 1858 und jene in dem wohl nicht viel später entstandenen Grimani-Brevier (Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99). Nur im Grimani-Brevier bietet der Künstler (mit den doppelseitigen Kalenderillustrationen, fünf Vollbildern und einigen Textminiaturen) ein wenn nicht relativ, so doch absolut gesehen umfangreicheres Programm. In den anderen drei Büchern beschränkt sich sein Anteil auf einige wenige Darstellungen, in den in Wien/Poitiers und in Cambridge verwahrten Stundenbüchern sogar in untergeordneten Bereichen  ; nur im Croy-Gebetbuch zählten seine Miniaturen offenbar zu hochgeschätzten Schmuckstücken, was sowohl an ihrer Position als auch an dem betriebenen Aufwand ersichtlich wird.

Das Spinola-Stundenbuch und die Werke des ersten und zweiten Jahrzehnts  : das Stundenbuch in Wien und Poitiers (Cod. Vind 1887/Médiathèque François ­M itterrand Ms. 57/269), das Stundenbuch in Cambridge, Fitzwilliam Museum 1058–1975, das Croy-Gebetbuch Cod. Vind. 1858 und das Breviarium Grimani Um zu einer konkreteren Datierung des Spinola-Stundenbuchs zu gelangen, soll in der Folge versucht werden, auch die wenigen verbleibenden, mit weitgehender Sicherheit mit dem Jakobsmeister in eine nähere Beziehung zu bringenden Arbeiten der ersten beiden Jahrzehnte in die Argumentation mit einzubeziehen. Da Ms. Ludwig IX 18 das Hauptwerk der Periode um 274 Sein grandioses Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen in Bild- und Seitengestaltung wäre hier zu nennen. Vgl. oben Kap. IV 1., bes. Anm. 210.

Das Spinola-Stundenbuch und die Werke des ersten und zweiten Jahrzehnts

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Abb. 137: Kreuzigung; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 56v.

1510 ist, geht es dabei primär um seine Positionierung und sein Verhältnis zu dem ebenfalls als ein bedeutendes Werk des Jakobsmeisters erachteten Grimani-Brevier. Der folgende Abschnitt ist indes nicht frei von überraschenden Ergebnissen. Zum Einstieg sollen die beiden Miniaturen der Kreuzigung Christi im Spinola-Stundenbuch anderen Versionen dieses Themas von der Hand bzw. aus dem unmittelbaren Umkreis unseres Künstlers gegenübergestellt werden. Das Thema des Kreuzestodes Christi ist in Ms. Ludwig IX 18 zweimal verbildlicht, auf fol. 56v (Abb. 137) als Antitypos zu der auf der rechten Seite thematisierten alttestamentarischen Erzählung der Errichtung der Ehernen Schlange durch Moses und auf fol. 149r (Abb. 138) innerhalb des Passionszyklus als Illustration zur Complet. Die Miniatur auf fol. 56v folgt dem Typus einer sogenannten Kreuzigung mit Gedräng. Diese Bildform ist nur noch ein einziges Mal im Œuvre des/r Jakobsmeister aufgegriffen

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Abb. 138: Kreuzigung, Beweinung Christi, Grablegung; Los Angeles, The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 149r.

worden, und zwar auf fol. 138v des Breviariums Grimani (Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I 99) (Abb. 139). Obwohl natürlich auch der zur Verfügung stehende Platz die jeweils ähnliche Bildlösung bedingt haben könnte (das ca. 28x19,5 cm große Breviarium bot nach Wegfall des als fingierter Holzrahmen gestalteten Randleistenbereichs eine ca. 18x13 cm messende Bildfläche, das ca. 23x16 große Spinola-Stundenbuch durch die charakteristische Miteinbeziehung der Randleistenzone in die Darstellung fast denselben Platz mit 18x12,5 cm275), 275 Diese Angaben beruhen auf eigenen Abmessungen  ; vgl. dazu die etwas abweichenden Angaben in London – Los Angeles 2003, S. 414, 420, die da lauten Ms. Ludwig IX 18  : 23,2 x 16,6 cm, Schriftspiegel (inneres Bildfeld, ohne Bordüre) 10,9 x 7,4 cm. Marciana Ms. lat. I 99  : 28 x 19,5 cm, Schriftspiegel 15,5 x 11,5 cm, doch schwankt die Größe der inneren Bildfelder im GrimaniBrevier (wie oft auch in anderen Handschriften) beträchtlich.

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sind alle wesentlichen Elemente der Bilderzählung auch im Spinola-Stundenbuch in der (hier freilich durch keinerlei Rahmen abgegrenzten) Kernminiatur, also auf einer wesentlich kleineren Fläche als im GrimaniBrevier, untergebracht. Man könnte die Randleistenzone ausblenden (abgesehen vom rechten Randstreifen, der aber auch in der Pfingstminiatur derselben Handschrift in die Kernminiatur einbezogen wurde, also auch andernorts zur Kernminiatur gehört), und die Kreuzigung mit Gedräng wäre immer noch als solche wahrzunehmen. Somit werden andere Gründe als das Bildformat für die Wahl derselben Lösung in den beiden Handschriften ausschlaggebend gewesen sein. Daß es sich ausdrücklich und ungeachtet der großen stilistischen Unterschiede um Variationen der gleichen Vorlage handelt, Abb. 139: Kreuzigung; Venedig, Biblioteca wird der nachstehende Vergleich beweisen. Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimani-Brevier, Im ersten Moment mag es erstaunen, fol. 138v. wenn man von den beiden Darstellungen als von denselben Bildlösungen spricht. Zwar handelt es sich zweifellos bei beiden um Kreuzigungen mit Gedräng, aber es gibt kein einziges Motiv, das in beiden Bildern wiederholt wird, von dem (recht unterschiedlich inszenierten) Dialog einiger Akteure abgesehen. Auf fol. 138v des Grimani-Breviers nimmt die Gruppe der drei Gekreuzigten die gesamte obere Bildhälfte (genau genommen den oberen Bereich der ungefähr im Verhältnis 2  :3 horizontal unterteilten Bildfläche) ein. Nur die vom Guten Hauptmann (?) getragene Fahne, die Lanze des Longinus, die sich soeben in die Seite Christi bohrt, und der Stab mit dem Essigschwamm ragen in diese Zone empor, die durch einen flächigen schwarzblauen Himmel und eine ähnlich dunkle Stadtsilhouette als Hintergrund definiert ist. Darunter ist, aufgereiht in einem Streifen von etwa derselben Breite wie der obere Bildteil, eine dichtgedrängte Gruppe von Reitern und Fußvolk zu sehen. Obwohl sie teils frontal, teils im Profil und teils von hinten zu sehen sind, ist die raumschaffende Wirkung dieser Akteure gering  ; zu dicht stehen sie beieinander und zuwenig manifest ist ihre (durch das gedämpfte Licht zusätzlich reduzierte) plastische Präsenz. Diese eklatante Flächenhaftigkeit wird nur im untersten Bildstreifen aufgebrochen, wo vier Pferde mit schwatzenden und gestikulierenden Reitern in fein differenzierten Verkürzungen zu sehen sind. In der konvexen Ausbuchtung am unteren Bildrand würfeln drei Schergen um den Mantel Christi. In dieser Zone hockt zudem ganz am rechten Bildrand ein zum Kreuz emporblickender Soldat  ; links ist der unmittelbare Vordergrund leer.

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Die Lösung im Spinola-Stundenbuch unterscheidet sich von dieser Version in vielen Punkten. Ikonographisch besteht der größte Unterschied darin, daß Maria und Johannes in die Darstellung aufgenommen sind. Sie stehen zu beiden Seiten unter und zugleich vor dem Kreuz im Zentrum der Komposition. Das „Gedräng“ ist eigentlich ein wohlgeordneter, großer Kreis, dessen hintere Hälfte von einer beachtlichen Anzahl offenbar größtenteils berittener Soldaten gebildet wird, während der Halbkreis vor den drei Kreuzen seitlich zur Gänze und vorne zum Teil von offenbar jüdischen (weil phantasievoll kostümierten) Reitern sowie einer kleinen Gruppe römischer (weil gerüsteter) Infanterie gebildet wird. Im Bereich außerhalb der Kernminiatur (als wäre diese mit dem Etikett „Jugendverbot“ belegt) sind einige Kinder zu sehen, die in Begleitung von Erwachsenen der Attraktion beiwohnen dürfen. Vom linken Seitenrand her, der – ganz als wäre die gerahmte Kernminiatur auch hier vorhanden – den üblicherweise außerhalb davon befindlichen Landschaftsausblick (hier mit der Stadt Jerusalem) zeigt, ziehen schwarze Wolken auf, neben der Seitenwunde ein untrügliches Indiz dafür, daß der Erlöser soeben verstorben ist  ; nach rechts zu wird der Himmel heller und zeigt verschiedene Formen von Bewölkung. Der Wind, der das Lendentuch Christi nach rechts flattern läßt, scheint auch an den Bäumen im Hintergrund sowie am Gewand der Gottesmutter und des Lieblingsjüngers zu zerren, während die Heerfahnen und die Bekleidung der übrigen Akteure nur zum Teil darauf zu reagieren scheinen. Daß ungeachtet all dessen dennoch von derselben Bildlösung gesprochen wurde, hat seinen Grund in dem Vorbild, auf das beide Bilder (m. E. explizit) rekurrieren. Im GrimaniBrevier, dessen Kalender jenen der hundert Jahre älteren Très Riches Heures des Duc de Berry ausdrücklich zitiert, verwundert es nicht sonderlich, daß die vom selben Künstler gemalte Kreuzigung ebenfalls auf ein Hauptwerk des frühen 15. Jahrhunderts zurückgreift, nämlich auf die Darstellung auf dem linken Flügel jenes kleinen Diptychons, das im Kreis oder eigenhändig von Jan van Eyck geschaffen wurde und sich heute im Metropolitan Museum in New York befindet (Abb. 140)276. Nicht nur die drei Gekreuzigten (vor allem die beiden Schächer, die hier wie dort nur an den Handgelenken aufgehängt sind, wobei uns der Illuminator das Motiv der im Vorbild vom Leichengift schwarzblauen, abgestorbenen Hände erspart hat), sondern auch die Art der Figurenanordnung sowie zahlreiche im Detail zwar stets abgewandelte, jedoch in ihrer Herkunft deutlich erkennbare Einzelmotive sind von dorther entlehnt. Die große untere Bildzone des Diptychons mit den um Christus Trauernden und zwei lässigen Gaffern hat der Illuminator durch die (seinem geringen Platz entsprechend kleine) Spielergruppe ersetzt. Doch hat er das von van Eyck eingeführte Motiv des sich nach der Vordergrundgruppe umwendenden Pferdes übernommen, bezeichnenderweise so, daß er die Rolle des im Diptychon anscheinend einzig zu diesem Zweck neben den Gaffern stehenden und vom rechten Bildrand weitgehend überschnittenen Rappen in seiner Miniatur von einem Schimmel spielen läßt, der einen der unmittelbar unter dem Kreuz diskutierenden Erzbösewichte trägt. Die Banalisierung des Motivs ist dabei nicht zu übersehen, ist doch das Pferd im eyckschen Werk die einzige Kreatur, die wenigstens irgendeine Notiz vom Leid 276 Belting – Kruse 1994, Taf. 12, S. 140 f.; New York 1998, S. 86–89.

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Abb. 140: Kreuzigung; Jan van Eyck, linker Flügel eines Diptychons, New York, The Metropolitan Museum of Art.

der um den geschundenen Herrn Trauernden nimmt, während jenes in der Miniatur bestenfalls heldenhaft zu überlegen scheint, welcher der drei würfelnden Rohlinge vorrangig zu treten sei. Die Miniatur im Spinola-Stundenbuch zeigt sich bei erstem Betrachten weit weniger von der eyckschen Vorlage abhängig als jene im Grimani-Brevier. Die kreisförmige Gruppierung der Soldaten erinnert eher an jene Bilderfindungen, die in Cod. Vind. 1857, dem Stundenbuch der Maria von Burgund, in den Miniaturen der Kreuzannagelung Christi auf fol. 43v277 und der Kreuzigung auf fol. 99v278, anzutreffen sind  ; in letzterer wären auch die seitlich des Kreuzes trauernden Maria und Johannes anwesend. Freilich enthalten auch diese beiden frühen Darstellungen Elemente, die zumindest die Kenntnis des eyckschen Diptychons durch den sogenannten Meister der Maria von Burgund und seine Mitarbeiter verraten  : So sind die beiden mit dem Rücken zum Betrachter gestellten Männerpaare in der Kreuzannagelung von Cod. 1857 gut als „Antworten“ des Meisters auf das eycksche Gafferpaar denkbar, und ähnliches gilt für die beiden links vorne (in signifikanter Schrittstellung gegebenen) Zuschauer der Kreuzigung. Wie dem auch sei, die sonst nur bei van Eyck anzutreffende orientalische Kostümierung der Akteure ist im Spinola-Stundenbuch gegenüber 277 Wien 1987, Abb. 7  ; Literatur zur Handschrift London – Los Angeles 2003, S. 524. 278 London – Los Angeles 2003, Abb. 19a.

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den Miniaturen in Cod. 1857, aber auch gegenüber gleichzeitigen (oder vorangehenden) Tafel(bzw. Leinwand-)Bildern wie dem Kreuzigungstriptychon in St. Bavo, Gent (das Joos van Wassenhove zugeschrieben wird)279 oder dem boutsschen Leinwandbild in den Musées Royaux des Beaux-Arts in Brüssel280 weit vorangetrieben. Auch die Vielfalt der Posen und Reaktionen in Ms. Ludwig IX 18 wird einzig mit dem eyckschen Diptychon geteilt. In zwei Figuren schließlich gibt sich die Miniatur auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 eindeutig als Zitat nach diesem Vorbild zu erkennen, und zwar in den beiden in Rückenansicht gezeigten Akteuren im Bas de page-Bereich. Abgesehen davon, daß sie andere und andersfarbige Kostüme tragen und daß ein Pferd und zwei Kinder zwischen sie geschoben wurden, erweisen sie sich als beinahe wörtliche Zitate nach dem eyckschen Gafferpaar  : Der Bogenschütze links läßt in seiner Ausrüstung und Schrittstellung keinen Zweifel über seinen Ursprung aufkommen, und auch der ein Kind umarmende und zur Schau auffordernde Krummsäbelträger rechts kann seinen Prototyp nicht verleugenen. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, daß der Künstler solche Motive übernahm, ohne auf seine Quelle hinweisen zu wollen. Und dies gilt wohl für beide Miniaturen. Ungeachtet ihres gemeinsamen Ursprungs sind die Unterschiede zwischen der Kreuzigung im Breviarium Grimani und jener im Spinola-Stundenbuch mannigfaltig. Dies beginnt damit, daß die Vorlage jeweils auf andere Weise zitiert bzw. als Anregung genutzt wurde  : Im Brevier dient der gesamte Bildaufbau der Tafel als Vorbild, im Stundenbuch werden primär einzelne Motive daraus zitiert. Hinzu kommen große Unterschiede in den Gestaltungsprinzipien  ; diese lassen sich in keiner der beiden Miniaturen auf das Vorbild zurückführen, sondern sind offenbar von anderen Faktoren, wie der Entwicklung des Künstlers oder auch der Ausführung durch verschiedene Künstler, bestimmt. Allerdings sind nicht nur die motivischen, sondern auch die stilistischen Übereinstimmungen zwischen der Grimani-Miniatur und dem eyckschen Diptychon größer als jene zwischen der Spinola-Version und derselben Vorlage. Schon im eyckschen Diptychon nimmt der dichte Zusammenschluß der Figurengruppe viel von der Raumhaltigkeit der einzelnen Motive. Dennoch bleibt der äußere Reiterkreis, der das Fußvolk umschließt, im Tafelbild deutlich kenntlich. Und sowohl die vorne differenzierter räumlich gestaffelte Reiterei als auch die über die Köpfe der Versammlung hinausgezogene Terrainkuppe, die offenbar der Schauplatz des Geschehens ist, verräumlichen die Darstellung ungleich mehr als der schmale Bodenstreifen im Vordergrund und die schroff aufragende Felsenspitze im Hintergrund der GrimaniMiniatur. Das Argument, daß dies auf das steile Hochformat der Tafel im Vergleich zum breiteren Format der Buchmalerei zurückzuführen ist, wird gegenstandslos, sobald man die Spinola-Miniatur mit berücksichtigt. Dort ist trotz annähernd gleich wie im Grimani-Brevier proportioniertem Bildfeld eine ungleich raumhaltigere Figurenkonstellation gegeben – ungleich raumhaltiger auch als im eyckschen Vorbild, es sei denn, man bezieht die Trauergruppe der Tafel in die Betrachtung mit ein, was ein vielsagender Hinweis auf die Art des SpinolaIlluminators ist, mit einem Vorbild umzugehen. 279 Belting – Kruse 1994, Taf. 160–161, S. 222 f. 280 Ebenda, Taf. 143, S. 208–211.

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Die Kreisform auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 ist konsequent von unten nach oben und von vorne nach hinten entwickelt – weit konsequenter selbst als jener Kreis, der sich im eyckschen Diptychon bei der Berücksichtigung aller Personen ergibt (zumal der Wechsel von starker Aufsicht bei der Mariengruppe zur Normalsicht bei der hinter dem Kreuz aufgereihten Reiterei sich zu rasant vollzieht, um die Einheit des Ensembles nicht zu stören, und selbst die Annahme eines von Golgotha wegführenden Abhangs diesbezüglich wenig hilfreich ist). Zwar wird auch in der Spinola-Kreuzigung passend zum Ort des Geschehens ein Ansteigen des Terrains suggeriert, jedoch kontinuierlich und ohne die Inkongruenzen, die sich im eyckschen Vorbild nicht vermeiden ließen bzw. aus kompositionellen Gründen in Kauf genommen wurden. Der strengen Kreisform wollte indes selbst der Miniator des Spinola-Stundenbuchs etwas entgegensetzen, was die Weite seines Raumes unterstreicht. Er wählte einen sich am linken Bildrand sowohl im Mittel- als auch im Hintergrund in Kurven auf Jerusalem zu windenden Weg, der auf Höhe des Texteinschubs vom Rahmen überschnitten wird und erst links unten, gleichsam von vorne, wieder auftaucht – also eine kurvige Bewegung außerhalb des Bildes beschreibt, die alle Protagonisten nichtsdestotrotz nachvollzogen haben müssen, ehe sie die geordnete Aufstellung rund um die Kreuze einnehmen konnten. Nicht zuletzt wird die Weite des Raumes auch durch die im Hintergrund links, in der Mitte und rechts über die Hügelküppe kommenden Reiter sowie durch den klaren Himmel rechts angezeigt, der auf suggestive Weise den Blick auch in diese Richtung lenkt. Auch hierin hat die Spinola-Miniatur weit mehr mit dem Vorbild gemeinsam als die Grimani-Version, wo der Hintergrund (durch seine stahlblaue Farbe, seine Unbelebtheit und durch den Mangel an räumlicher Gestaltung) zu einer kulissenhaften Folie für das vorne dargestellte, freilich dadurch geradezu ins Ikonische überhöhte Geschehen wird. Auch die Figurenauffassung in den beiden Miniaturen ist denkbar unterschiedlich  ; und dies betrifft nicht nur genuin stilistische Kriterien wie die Wiedergabe plastischer Werte, die räumliche Integration oder die Darstellung stofflicher Qualitäten, sondern beginnt schlicht damit, daß die Figurentypik im Grimani-Brevier jener im Spinola-Stundenbuch zwar verwandt, aber nicht wirklich entsprechend ist. Die großnasigen Protagonisten in Ms. Ludwig IX 18 mit ihren meist ein wenig einfältigen Mienen sind im Brevier durch einen weit herberen Menschenschlag ersetzt, dessen physiognomische Merkmale auch plastisch nicht so akzentuiert sind wie die der Akteure im Stundenbuch. Man mag argumentieren, daß dies eine Folge der weit stärkeren Orientierung an dem gemeinsamen eyckschen Vorbild durch den Illuminator der Grimani-Miniatur sei  ; dies ist nicht auszuschließen, zumal ganz offensichtlich versucht wurde, die Niedertracht und Häme der um das Kreuz versammelten Schar in einer dem Vorbild adäquaten Weise wiederzugeben. Auch für die mangelnde plastische Durchgestaltung und die geringe stoffliche Differenzierung des Dargestellten ließen sich miniaturimmanente Gründe anführen, zumal die Figuren in ein nächtliches Dunkel gehüllt sind und damit die Reaktion der verschiedenen Oberflächen auf das Licht zugunsten dieser Düsternis zurückgenommen worden sein könnte. Jedoch beweisen das schimmernde Fell des sich umwendenden Schimmels oder die glänzende Rüstung des mit dessen Reiter schwatzenden Kriegers, daß gewisse Stereotype stofflicher Wiedergabe ungeachtet dieser grundsätzlichen Beleuchtungssituation durchaus zum Einsatz kamen.

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Auch zeigt m. E. die Ausführung der Felsen im Hintergrund der Grimani-Miniatur, daß es sich vor allem bei dem Mangel an stofflicher Wiedergabe um einen grundsätzlichen Unterschied in der Malweise handelt. Verglichen mit der strichlierenden Umsetzung des Felsens im Brevier zeigen die Gesteinsformationen aller bislang behandelter, als eigenhändig erachteter Werke des Jakobsmeisters eine erstaunlich homogene, wenn auch unterschiedlich brilliante, aquarellhafte Ausführung als scharfkantige und oft wild geformte Gebilde, die auch formal wenig mit den sonderbaren Hügeln auf fol. 138v der Grimani-Handschrift zu tun haben. All dies erlaubt zwei Schlüsse  : Entweder die Kreuzigung des Grimani-Breviers (und somit wohl die gesamte dem Jakobsmeister in dieser Handschrift zugeschriebene Ausstattung) ist wesentlich später als die entsprechende (und die anderen) Miniatur(en) im Spinola-Stundenbuch entstanden, oder aber sie stammt von einem anderen Künstler. Ich bin davon überzeugt, daß beides zutrifft. Es bedeutet aber in jedem Fall, daß das Grimani-Brevier mit seinem Terminus ante quem von 1520 (als es im Testament des Kardinals aus diesem Jahr erwähnt wurde281) für eine präzisere Datierung des Spinola-Stundenbuchs von geringem Nutzen ist. Die übrigen Kreuzigungsdarstellungen im Œuvre des Jakobsmeisters und seiner Epigonen folgen anderen ikonographischen Mustern. Zunächst sind jene mit nur wenigen Protagonisten zu nennen, darunter aber stets Maria und Johannes als primäre Identifikationsfiguren für die Betrachtenden. Zu diesem Typus gehören das Vollbild auf fol. 166v (Abb. 50) und die Textminiatur auf fol. 117r von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 141) (die beide, wenn auch in einem anderen Winkel, zu Seiten des Kreuzes unterhalb des guten Schächers die Muttergottes, den Lieblingsjünger und zwei Frauen und unterhalb des bösen Schächers drei Schergen zeigen), die halbseitige Miniatur auf fol. 89r von Cod. Vind. 1887 (Taf. XX) (wo Maria mit dem auf ihre Brust gerichteten Schwert und Johannes links von der rechts vorne kauernden und händeringenden Magdalena begleitet werden), die Miniatur auf fol. 29r des RothschildStundenbuchs (Ms. Add. 35313), die Maria und Johannes vor dem nach links verschobenen Kruzifix zeigt, während rechts im Hintergrund unter beachtlichem Infanterieaufgebot die Kreuzannagelung stattfindet, und die Miniatur auf fol. 43v eines im Museu de Arte Antiga in Lissabon verwahrten Stundenbuchs (Ms. 13), wo Johannes und Maria (letztere wieder mit dem auf sie zielenden Schwert) groß und allein unter dem nach rechts gerückten, nichtsdesto­ trotz von den beiden Schächern (wovon der rechte vom rechten Miniaturrand fast zur Gänze überschnitten ist) flankierten Kreuz Christi stehen. Die beiden letztgenannten Bilder stammen nicht von der Hand (oder einem Doppelgänger) des Jakobsmeisters (was im Falle der letztgenannten, bedeutenden Handschrift noch zu zeigen sein wird)282 und sind damit für die Datierung des Spinola-Stundenbuchs wenig hilfreich. Darüber hinaus sind die kompositionellen Unterschiede für einen gewinnbringenden Vergleich mit der Darstellung auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 zu groß. Die Miniatur auf fol. 166v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 50) zeigt ähnliche prinzipielle Unterschiede gegenüber der Spinola-Kreuzigung (Abb. 137) wie alle übrigen Bilder des 281 Salmi-Mellini 1972, S. 263. 282 Vgl. unten Kap. V 3.

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Abb. 141: Kreuzigung; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 117r.

vatikanischen Stundenbuchs zu jenen von Ms. Ludwig IX 18, also einen frontal verstellten Vordergrund mit einem mittels abruptem Raumsprung erzielten Fernblick in der Bildmitte, ferner eine entspechend umrißbetonte Faltenführung bei den (die Figuren weitgehend verhängenden) Gewändern. Selbst die räumliche Gruppierung der Feinde Christi mit dem in die Bildtiefe, auf das Kreuz hin orientierten Mann vorne bricht dieses kompositionelle Schema nur dahingehend auf, daß mit ihm (also diesmal von rechts kommend und daher weniger wirkungsvoll als in anderen Miniaturen) ein Raumvektor eingeleitet wird, der rasant zu der in der Ferne sichtbaren Stadt führt. Dem steht die mehr oder weniger bildparallele Gruppe der Heiligen links gegenüber, die von einem ebensolchen Felsen wie von einer Folie hinterfangen wird. Daß dies keine Folge des von jenem in Ms. Ludwig IX 18 divergierenden Bildtyps ist, wurde durch die zahlreichen Vergleiche zwischen ikonographisch und kompositionell ähnlichen Darstellungen beider Handschriften bereits hinlänglich bewiesen.

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Die halbseitige Miniatur auf fol. 89r des Cod. Vind. 1887283 (Taf. XX) schließt formal und motivisch eng an die Lösung im Spinola-Stundenbuch an, obwohl der Bildtyp eher jenem der Kreuzigung auf fol. 166v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 50) entspricht. Dies ist deshalb so interessant, weil der Wiener Codex ein Fragment eines Stundenbuchs ist 284, dessen anderer Teil in der Médiathèque François Mitterrand in Poitiers unter der Signatur Ms. 57/269 verwahrt und auf der Bordüre der Textseite fol. 30v durch die Jahreszahl 1510 datiert ist285. Gelingt es, eine plausible zeitliche Relation zwischen der auf Wien und Poitiers verteilten Handschrift und dem Spinola-Stundenbuch herzustellen, so wäre viel für eine Datierung des letzteren gewonnen. Doch stellt der unterschiedliche Bildtyp der beiden Kreuzigungen ein gewisses Hindernis für eine Beurteilung der Gestaltungsprinzipien dar. Die halbseitige Illustration des populären Mariengebetes „Stabat Mater“, dessen erste Verse unter der Miniatur auf fol. 89r von Cod. Vind. 1887 Platz finden, zeigt ähnlich wie die Kreuzigung in Cod. Vat. Lat. 3769 drei auf so engem Raum zusammengepferchte Kreuze, daß die beiden schräg gestellten seitlichen Galgen mit ihren Querbalken unter jene des Kreuzes Christi ragen. Damit scheint von vornherein jede Möglichkeit zu entfallen, eine nicht bildparallele, sondern räumlich versetzte Stellung der Kreuze zu suggerieren, wie sie im Spinola-Stundenbuch wahrgenommen wurde. Allerdings widerspricht diesem Befund in Cod. Vind. 1887 die Position der Kreuzstämme des Heilands und des rechten (bösen) Schächers, die durchaus räumlich versetzt in den Boden gerammt zu sein scheinen (während sich ein solcher Widerspruch im vatikanischen Stundenbuch schon deshalb nicht ergeben kann, weil der untere Teil der seitlichen Kreuze von den beiden Figurengruppen verdeckt ist). Ungeachtet dessen sind die drei Protagonisten in der Wiener Miniatur ganz ähnlich in einer separaten Terrainzone vor den Kreuzen gruppiert wie im vatikanischen Bild. Diese grundsätzliche Ähnlichkeit des Bildaufbaus täuscht jedoch. Das wird klar, wenn man die Figuren einer näheren Untersuchung unterzieht. Zwar sind sie auch in Cod. Vind. 1887 annähernd bildparallel angeordnet (was durch die scharf aneinander grenzenden Konturen des Jüngers und der Gottesmutter noch betont wird), wobei Magdalena, in Einklang mit dem räumlichen Zueinander der beiden sichtbaren Kreuzstämme dahinter, etwas an den vorderen Bildrand herangerückt ist. Wirklich frappant sind jedoch die Aktionen der drei Trauernden. Johannes, der annähernd frontal am rechten Bildrand steht, trägt seinen nur wenig heller als sein Untergewand gefärbten Mantel so um sich geschlungen, daß der rechte, in Schüsselfalten nach hinten gezogene Teil den Figurenkern umschreibt und das Ende dabei nach rechts flattert. Auch Maria wird ähnlich einem Zylinder von den parallelen Schüsselfalten ihres Gewandes umfangen, dessen hinterer Teil noch unbändiger emporgetrieben wird als jener des Jüngers. Dadurch sowie durch das gebeugte Knie der Gottesmutter entsteht der Eindruck einer vehementen Drehbewegung auf das schräg hinter ihr befindliche Kruzifix zu, von dem aus das 283 Wien 1987, S. 109 ff. (Nr. 71), mit Literaturangaben. 284 London – Los Angeles 2003, S. 443, Anm. 2. 285 Brinkmann 1997, S. 207. Ein Schriftband in der Bordüre auf fol. 30v trägt die Jahreszahl 1510.

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Schwert herabkommt, um ihr Herz zu durchbohren. Trotz der bildparallelen Anordnung suggerieren diese Elemente nicht nur Rundung, sondern auch freie Beweglichkeit im Raum. Mit ganz ähnlichen, ja (betrachtet man das Johannesgewand im Vindobonensis und das der Maria im Spinola-Stundenbuch) teils identischen Mitteln sind auch die statischen Figuren der Gottesmutter und des Jüngers auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 137) als raumverdrängend rund und vielleicht auch emotional erregt beschrieben, so etwa durch den Mantelzipfel, der von hinten um Johannes herum und dann weiter nach rechts wegflattert. Wenn auch die Malweise (trotz der geringeren Größe der Figuren) im Spinola-Stundenbuch differenzierter als auf fol. 89r von Cod. Vind. 1887 ist und überdies das Ergebnis der beschriebenen Bemühungen in ersterer Miniatur überzeugender ausfällt als in zweiterer, erscheinen die Gestaltungsprinzipien doch erstaunlich ähnlich. Dies bestätigt auch die Position der rechts vorne kauernden Magdalena, deren Ausrichtung nach schräg rechts hinten (oder richtiger  : nach vorne hin zur Mittelachse) durch ihren um sie gebreiteten Mantel nachhaltig betont wird. Der linke Kontur dieses Kleidungsstücks initiiert durch seine Parallelführung mit dem flatternden Gewandsaum der Madonna einen Vorstoß in die Tiefe, der von ganz anderer Art ist als jener, der durch die Rückenfigur im Vollbild der Kreuzigung in Cod. Vat. Lat. 3769 eingeleitet wird. In Cod. Vind. 1887 wird der Blick in einem sanften Bogen nach rechts hinten geleitet, was in der rechten unteren Ecke durch den dort ausgebreiteten, kontinuierlich in die beschriebene Richtung gefältelten Mantel der Magdalena aufgegriffen und im Raumdunkel am rechten Bildrand weitergeführt wird  : Dort zieht eine Gruppe von Soldaten ab, die teils von einer Hügelkuppe verdeckt, durch deren Rundung aber auch gerichtet wird. So wird ersichtlich, daß die Bewegung zurück zur Mittelachse, zu der selbst im Tiefdunkel der Sterbestunde Christi noch erkennbaren Stadt Jerusalem, führen wird. Zwar ist der kontinuierliche Fluß dieser Kreisbewegung schon im rechten Vordergrund durch eine Terrainschwelle vor dem rechten Schächerkreuz gestört, und das suggestive atmosphärische Dunkel nimmt dem Richtungsmotiv seine Kraft, doch bestätigt die Hügelkette am Horizont, obwohl nur eine dunkle Kontur, diese Kreisbewegung  : Sie ist am rechten Bildrand höher, was (konform mit dem Soldatenzug und der Terrainkuppe im Mittelgrund) als eine Verkürzung nach links, also zur Mitte hin, gelesen wird  ; hier klingen Gestaltungsprinzipien an, die im Spinola-Stundenbuch perfektioniert zur Anwendung kamen. Auch in anderer Hinsicht wirkt die Kreuzigungsminiatur in Cod. Vind. 1887 dem Spinola-Stundenbuch weit ähnlicher als dem vatikanischen. Während Christus in allen drei Miniaturen in etwa den gleichen Typus vertritt, stimmen die Figuren der guten Schächer nur in Cod. Vind. 1887 und in Ms. Ludwig IX 18 überein. Der böse Schächer der Wiener Miniatur steht bezüglich seiner Befestigung auf dem Kreuz ebenfalls der Spinola-Version näher, scheint aber mit seinem zurückgeworfenen Kopf auch dem vatikanischen Pendant verwandt. Ähnliches gilt für die Wiedergabe der Körper der drei Gehenkten  : Obwohl die Figuren in der vatikanischen Miniatur am größten, jene in der Spinola-Miniatur am kleinsten sind, verhält sich ihre plastische Durchgestaltung umgekehrt proportional dazu. Dies betrifft nicht nur die Abschattung der Gesamtform, die dadurch explizit rund erscheint, sondern auch die Wiedergabe der Einzelformen  : Man vergleiche die pointierte Darstellung aller Hebungen

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und Senkungen auf Bauch, Brustkorb und Rippen in der Spinola-Miniatur (die im Wiener Bild etwas vereinfacht wiederkehrt) mit der summarischen, i. e. dezenten Wiedergabe dieser verunstaltenden Details in der vatikanischen Lösung. Und während in der vatikanischen Kreuzigung ein nur wenig dunklerer, prinzipiell in ähnlichen warmen Rot- und Gelbtönen zum Horizont hin aufgehellter Himmel erscheint als in anderen Miniaturen dieser Handschrift (etwa auf fol. 71v von Cod. Vat. Lat. 3770, Abb. 43), ist das Firmament in den beiden anderen Handschriften wirkungsvoll verdüstert. Auf fol. 89r in Cod. Vind. 1887 wird, trotz abendrotähnlicher Farben am Horizont, sogar der Mittelgrund in Dunkelheit getaucht, was in der Spinola-Miniatur entfällt. Doch weisen auch dort die über die Hügelkuppe kommenden Figuren erstaunliche Farbveränderungen als Folge der Lichtsituation auf, die da ist  : eine aufsteigende Schwärze am hellichten Tage. Trotz des unterschiedlichen Bildtyps erweist sich somit das Wiener dem Spinola-Stundenbuch eng verwandt, während die Parallelen zum Vaticanus auf der grundsätzlich ähnlichen Komposition der Wiener Kreuzigung mit jener auf fol. 166v von Cod. Vat. Lat. 3769 beruhen. Dies wird auch bestätigt, wenn man die Textminiatur der Kreuzigung auf fol. 117r von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 141) in den Vergleich mit einbezieht. Obwohl diese Darstellung viel kleiner als das Vollbild gleichen Themas im selben Band (Abb. 50) sowie die Kreuzigung auf fol. 89r von Cod. Vind. 1887 (Taf. XX) ist, kann seine Zugehörigkeit zu ersterem doch einwandfrei bestimmt werden. Zwar sind alle drei Kreuze auf fol. 117r von Cod. Vat. Lat. 3769 räumlich gedreht und offenbar auch angeordnet, doch wird durch die seitlichen, ähnlich wie im Vollbild desselben Bandes zusammengefügten und agierenden Figurengruppen, die dicht an den unteren Bildrand gedrängt sind, ein grundsätzlich bildparallel ausgelegter Vordergrund geschaffen. Doch verstellen die Figuren diesen weniger als im Vollbild, und dem Vorstoß in die Tiefe wird (durch den hinter dem Kruzifix über eine Hügelkuppe auf die Stadt am Horizont zulaufenden Weg) mehr Bedeutung beigemessen. Daß dieser Unterschied zwischen den beiden vatikanischen Miniaturen keine grundsätzliche Differenz schafft, sondern lediglich die in Cod. Vat. Lat. 3770–68 vollzogene Entwicklung des (oder auch der) Jakobsmeister(s) anzeigt, beweist jene Rückenfigur, die in beiden Miniaturen rechts im Vordergrund so nach hinten gewandt ist, daß der tiefste Ausblick sich genau auf der Verlängerung der durch ihren Körper vorgegebenen Richtung befindet. Dabei ist der Fernblick im Vollbild durch einen abrupten Raumsprung vom Vordergrund getrennt, und der durch die Repoussoirfigur initiierten Schräge tritt ein Soldat frontal entgegen. Diese Motive entfallen in der Textminiatur, wo der Weg die Ausrichtung der Rückenfigur (in einiger Entfernung) aufgreift und bis zur Hügelkante weiterführt, wo die Silhouetten zweier (ebenso wie der Mann bildeinwärts gewandter) Gestalten die Verbindung zur Stadt links herstellen. Die Diskrepanzen zwischen den beiden vatikanischen Miniaturen sind somit gradueller, nicht grundsätzlicher Natur. Im Gegensatz dazu kann die kreisende Eroberung der Bildtiefe auf fol. 89r in Cod. Vind. 1887 als Ausdruck einer prinzipiell anderen Bildauffassung gewertet werden. Auch die in der kleinformatigen vatikanischen und der halbseitigen Wiener Miniatur unterschiedliche Figuren- und Gewandauffassung belegt dies. Die Akteure im Vaticanus zeichnen sich durch eine aufrechte Haltung aus  ; die Gottesmutter ist gleichsam vor

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Schmerz erstarrt, anstatt wie im Wiener Bild überwältigt in die Knie zu sinken. Dabei erscheinen jene Schüsselfalten, die in Cod. Vind. 1887 den Figurenzylinder Mariä umschreiben, auf fol. 117r in Cod. Vat. Lat. 3769 als flächige V-Formationen. Einzig bei der weinenden Frau hinter der Gottesmutter im Vaticanus flattert der Mantelzipfel zur Seite (wie die ausschließlich auf ein Faltenrelief abzielende Modellierung verrät), aber auch ein wenig nach hinten zu (was durch den Schlagschatten auf dem Terrain ersichtlich wird)  ; die Wirkung ist freilich eine ganz andere als bei der in die Richtung des sich bauschenden Gewandes gedrehten Muttergottes im Wiener Bild  : Das vatikanische bleibt ein ornamentales Motiv, während sein Pendant in Cod. Vind. 1887 die wichtige Funktion erfüllt, die durch Haltung, Modellierung und Faltenführung suggerierte Drehung Marias im Raum optisch weiter voranzutreiben. Eine gewisse Nähe zwischen dem Spinola- und dem Wiener Stundenbuch 1887 ist also nicht zu leugnen. Dies bestätigt auch die zweite dem Jakobsmeister in Cod. Vind. 1887 zuschreibbare Miniatur, eine ebenfalls halbseitige Darstellung der Gregorsmesse auf fol. 140r (Taf. XXI), die motivisch zwar eng mit der entsprechenden Szene auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 36) verwandt ist, bezüglich mancher Gestaltungsaspekte jedoch der einzigen Meßdarstellung im Spinola-Stundenbuch, dem Totenamt auf fol. 185r (Abb. 136), nahekommt. Überraschend ist die Reduktion des Raumes auf fol. 140r von Cod. Vind. 1887. Zwar ist der wie im vatikanischen Stundenbuch links befindliche Altar schräg gestellt, allerdings in einem dermaßen flachen Winkel, daß man das Gebilde fast frontal zu sehen vermeint. Dennoch ging der Künstler kein Risiko ein und unternahm eine Reihe von Anstrengungen, um die raumschaffende Wirkung des ohnehin kaum verkürzten Objektes auf ein Minimum zu reduzieren. Statt des einzelnen, ein Weihrauchfaß schwingenden Klerikers in Cod. Vat. Lat. 3769 (an der in die Tiefe weisenden Flanke des Altares) ist in der Wiener Handschrift gleich ein Trupp von drei Assistenzfiguren aufgeboten, um die Verbindung zwischen dem liturgischen Möbel und dem dahinter im rechten Miniaturteil befindlichen Chorschranken zu unterbrechen. Hinter diesem knien zwei weitere Personen, beide teils von der hölzernen Struktur verdeckt, und lenken den Blick zurück zum Altar – nicht anders als der vom oberen Miniaturrand überschnittene Orgelspieler in der Empore über der Chorschrankenöffnung, der weit über die Brüstung hängt, um seinen Einsatz nicht zu verpassen. Ansonsten ist der Bereich außerhalb des Altarraums lediglich durch eine graue Mauer mit Blendnischen im unteren und durch zwei grau verglaste Fenster im oberen Teil definiert. Der Eindruck von Bildtiefe, in der vatikanischen Miniatur so bravourös inszeniert, kommt hier so gut wie gar nicht zustande. Auf den ersten Blick hat dieser Raumaufbau auch gar nichts mit dem geräumigen Interieur in der Spinola-Miniatur zu tun. Die einzige Analogie, die sich ad hoc dazu anbietet, ist jene zur Darstellung Jakobs IV. von Schottland auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I). Dennoch zeigt die Miniatur auf fol. 140r von Cod. Vind. 1887 bei genauerer Betrachtung den Keim zu jener zentralräumlichen Auffassung, wie sie auch in der Kreuzigungsminiatur auf fol. 89r ebenda festgestellt werden konnte. Der Altar, vor dem Gregor seine Vision hat, mag kaum verkürzt sein  ; er scheint dennoch im rechten Winkel zu der nicht frontal, sondern

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in einer ebensolchen flachen Schräge (hier von rechts vorne nach links hinten) gegebenen Chorschrankenfront. Und ein Blick auf die Fenster der Kirchenwand dahinter zeigt, daß auch diese leicht verkürzt, und zwar parallel zum Altar vorne, dargestellt sind. Somit ergibt sich eine durchaus logische räumliche Situation, die allerdings nicht mit der Tiefenflucht im vatikanischen Bild verglichen werden kann. Eher handelt es sich um ein über Eck gestelltes Raumsegment des Chores. Dies ist ja auch am Altar selbst genau zu erkennen, dessen Breitseiten nicht gerade, sondern in einer leichten Schräge (diese logischerweise parallel zu den Chorschranken) gezeigt werden. Vor allem dadurch, daß die drei Figuren am oberen Ende des Altares dessen Flanke säumen, entsteht der Eindruck, als wäre das Gebilde tatsächlich von Figuren umzingelt – ganz anders als in der vatikanischen Miniatur, wo der Weihrauchfaßschwinger zusammen mit den anderen Klerikern einen Kreis um Gregor beschreibt, zugleich aber auf jenem dominierenden Raumvektor kniet, der hinter seinem Rücken ungebremst in eine atemberaubende Tiefe fluchtet. Daß sich der Unterschied zwischen vatikanischer und Wiener Miniatur entgegen dem ersten Eindruck nicht mit dem Gegensatz von räumlicher und flächiger Auffassung beschreiben läßt, bestätigt der Vergleich der beiden Schmerzensmannvisionen. Auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 sitzt der Heiland auf einem leicht schräg gestellten, aber von vorne gesehenen Sarkophag, von dem nur die Front (mit den davor herab hängenden Beinen Christi) gezeigt wird. Auch die ans Kreuz gelehnte Leiter steigt von vorne nach hinten an. Die Abfolge der Raumschichten (mit dem Sarkophag in der Mitte, der Geißelsäule und dem Kreuz dahinter, der Leiter und den Beinen des Erlösers davor) wird durch ein aggressiv verkürztes, alle drei Ebenen durchmessendes Objekt (den quergelegten Sarkophagdeckel, der dem Heiland als Sitzgelegenheit dient) explizit verräumlicht. Auf fol. 140r von Cod. Vind. 1887 ist der Sarkophag demgegenüber in leichter Aufsicht gegeben, wodurch beide Flanken zu sehen sind. Diese per se schon wirkungsvolle Verräumlichung des Hochgrabes (nicht als in die Tiefe weisendes Mobiliar, sondern als raumverdrängende Hohlform) findet in der Position des Heilands ihre Entsprechung. Dieser sitzt auf der hinteren Längswand des Grabes und hat damit seine Beine noch innerhalb desselben – konsequenterweise sind seine Unterschenkel nicht sichtbar. Zudem wird vor dem Sarkophag der Nimbus, der die Vision birgt, räumlich umgedeutet, indem diverse Marterwerkzeuge parallel zum unteren Kreissegment verkürzt und versetzt auf dem fiktiven Boden angeordnet werden. Dem entspricht schließlich auch noch, daß die an das Kreuz hinter dem Sarkophag gelehnte Leiter von hinten emporragt. Insgesamt beruht die räumliche Organisation dieser Vision auf einer Anordnung aller Gegenstände um ein Zentrum herum, während jene auf fol. 173v von Cod. Vat. Lat. 3769 drei Ebenen zeigt, die durch ein aggressiv verkürztes Element Tiefe gewinnen. Wenn auch die Wirkung in der vatikanischen Miniatur überzeugender ausfällt, so klingt in der Wiener Handschrift doch etwas an, was im Spinola-Stundenbuch bravourös umgesetzt ist. Freilich bleibt der Unterschied der Wiener Gregorsmesse zum Totenamt im SpinolaStundenbuch sehr groß, was nur zum Teil auf den anderen Bildtyp zurückzuführen ist. Wie beim Vergleich der Kreuzigungen wären die Gemeinsamkeiten auch diesmal zum einen die im Wiener Bild nur im Ansatz, in der Spinola-Miniatur in Vollendung manifeste zentral-

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räumliche Auffassung, zum anderen gewisse Parallelen in der Figurengestaltung. Natürlich sind die Kleriker in beiden Miniaturen besonders klein, worin ein Grund für ihre Ähnlichkeit liegen könnte. Doch zeigt beispielsweise auch die schon behandelte Pfingstminiatur auf fol. 23v des Croy-Gebetbuchs (Taf. XIX) kleine, dabei aber gänzlich anders wirkende Akteure, sodaß schwerlich der Figurenmaßstab allein die Ähnlichkeiten in Cod. Vind. 1887 und in Ms. Ludwig IX 18 bedingt haben kann. Hier wie dort gibt es große Übereinstimmungen nicht nur in den Physiognomien und deren plastischer Durchgestaltung, sondern auch in der Art, wie die Meßgewänder gemustert und drapiert sind. De facto wirkt dies so stark, daß man rasch zur Überzeugung kommen könnte, die beiden Bilder stammten trotz unterschiedlicher Raumwiedergabe von derselben Hand. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die neuere und neueste Literatur die Wiener Miniaturen (wie die in Poitiers) dem Jakobsmeister ab- und einem Gehilfen zuschreibt286. Dies ist m. E. jedoch nur dann möglich, wenn man in diesem Gehilfen ein Alter Ego unseres Künstlers (nicht aber einen relativ selbständigen Mitarbeiter oder Schüler wie im Fall der meisten Illuminatoren in Add. 35313) annimmt. Die relative Flächigkeit der beiden Wiener Miniaturen (der einzigen beiden dem Jakobsmeister zugeschriebenen in Cod. Vind. 1887) ist jedenfalls ein unzulängliches Argument für eine Abschreibung, zumal diese Raumauffassung einer Entwicklung, wie sie sich ab 1505 bei unserem Künstler abzuzeichnen scheint, zumindest ansatzweise entspricht. Die Probleme beginnen erst dann, wenn man diese Gestaltungsprinzipien im Zusammenhang mit der Datierung betrachtet  : Denn nach allen unseren bisherigen Überlegungen müßte der Jakobsmeister um 1510 (zum Zeitpunkt unserer vorläufig rein rechnerischen Ansetzung des Spinola-Stundenbuchs) einer nicht nur zentralräumlichen, sondern nachgerade expansiven Raumwiedergabe viel mehr Bedeutung beigemessen haben, als dies in Cod. Vind. 1887 beobachtet werden kann. Anhand der Evangelistenbilder, die sich in Poitiers Ms. 57/269 auf fol. 15r, 16v, 18r und 19v befinden, soll diesem Problem noch weiter nachgegangen werden. Die Darstellung des Evangelisten Matthäus auf fol. 18r des Stundenbuchfragments in Poitiers (Abb. 142) bietet sich zum Vergleich mit zwei Miniaturen selben Inhalts an, die hier bereits Gegenstand einer ausführlichen Analyse waren  : jene auf fol. 495r von Add. 18851 (Abb. 15), dem um 1495 vom Jakobsmeister fertiggestellten Brevier Isabellas von Kastilien, und jene auf fol. 131r von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 16), dem um 1500 datierbaren vatikanischen Stundenbuch. Die im Zusammenhang mit den beiden letztgenannten Bildern ebenfalls behandelte Miniatur des Wiener Stundenbuchs Cod. Vind. Ser. n. 2625 kann an dieser Stelle aus mehreren Gründen außer acht gelassen werden, wobei die Halbfigurigkeit der Darstellung ein Grund, ihre vermutlich frühe Entstehung noch vor dem Londoner Brevier ein weiterer ist. 286 So D. Thoss in Wien 1987, S. 110 („zwei Miniaturen…die Horenbout sehr nahe stehen, ohne ihm zugeschrieben werden zu können“)  ; Brinkmann 1997, S. 207, glaubt die Miniaturen in Poitiers vom Meister der Davidsszenen des Breviarium Grimani gemalt, was nur auf einen Teil davon zutrifft  ; E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 443, bezeichnet den Illuminator als „follower of the Master of James IV“.

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Auch die Miteinbeziehung der Londoner Miniatur hat einzig den Zweck zu zeigen, daß der Illuminator in Poitiers 57/269 (wie auch nicht anders zu erwarten) stilistisch von der vatikanischen Lösung ausgeht. Der einzige motivische Anschluß an die Londoner Darstellung ist der Turban des Evangelisten, vielleicht auch noch die Tatsache, daß auch in Poitiers die Tür an der Rückwand und nicht an der Seitenwand des Zimmers eingesetzt ist. Ansonsten hat die Ernsthaftigkeit der Raumkonstruktion im Londoner Bild, mit den zahlreichen verkürzten Gegenständen und den in eine exakte Relation zu ihnen gebrachten, räumlich explizit versetzten Figuren, wenig mit der eleganten Lösung in Poitiers zu tun. Dort teilen sich die Figuren wie im Vaticanus die Bildfläche  : Jede beansprucht eine Hälfte, und ihre Haltung ist in vieler Hinsicht mit jener ihrer vatikanischen Pendants identisch. Abb. 142: Evangelist Matthäus; Poitiers, Form und Stellung des Sitzmöbels entMédiathèque François Mitterrand, Ms. 57/269, sprechen einander in den beiden Bildern, Stundenbuch-Fragment, fol. 18r. dennoch wirken die vatikanische und die Miniatur in Poitiers weitgehend verschieden – tatsächlich so verschieden, daß diese Diskrepanz größer erscheint als jene, die die Londoner von der vatikanischen Miniatur absetzt. Am deutlichsten manifestiert sich dies in der Organisation des Raumes und dem Verhalten der Figuren darin. In der Miniatur in Poitiers laufen die Bodenbretter in einem relativ flachen Winkel (und ohne jegliche waagrechte Zäsuren durch Nagelreihen) nach hinten – etwas, das den Tiefenschub mildert und bereits aus der Gregorsmesse in Cod. Vind. 1887 bekannt ist. Obwohl ein Ausblick durch die vom rechten Bildrand angeschnittene Tür gegeben ist, der am Horizont zwei kleine, also weit entfernte, Bäume erkennen läßt, bildet sich schon deshalb kein konsequenter Tiefenzug dorthin aus, weil die Bodenbretter im Interieur nicht hin zu den Bäumen weisen und in der Landschaft selbst keinerlei richtungsweisende Elemente zu finden sind. Umgekehrt ist sie deutlich genug ausgeführt, um doch als tief empfunden zu werden. M. E. liegt der Schlüssel zum Verständnis dieses Motivs im Blick aus der Kammer ins Freie. Durch die winzig kleine Baumkrone (also das fernste Element) im linken Teil des Türausschnitts wird ein Richtungswechsel erzwungen, der zurück nach links führt, somit den Blick gleichsam in einer Kurve nach hinten zieht. Diese Orientierung in mehrere Raumrichtungen entspricht nun eben dem, was auch die Figuren demonstrieren. Der geflügelte Mensch beschreibt eine geradezu tänzerische Dreh-

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bewegung, indem er sich dem Evangelisten zuwendet, obwohl sein Körper eigentlich nach rechts und zudem genau so schräg ausgerichtet ist wie der durch den Bretterverlauf auf dem Boden markierte primäre Raumvektor. Selbst der Schlagschatten der Figur ist exakt in diesen Diagonalverlauf eingepaßt. Die Schrägstellung des Oberkörpers, unterstrichen durch die (besonders den deutlich verkürzten rechten, im Bild linken) Flügel, entspricht demgegenüber in etwa jener Ausrichtung, die die Landschaft hinter dem Engel vorgibt. Es versteht sich von selbst, daß hier eine Dreh-, ja Kreisbewegung angedeutet ist, die in den früheren Beispielen zur Gänze entfällt. Auch die Figur des Evangelisten spiegelt diese Auffassung. Ebenso überzeugend wie im Vaticanus ist ihre raumverdrängende Qualität durch die ausladend zur Seite gespreizten Oberarme gegeben, hier noch stärker als in Cod. Vat. Lat. 3770 durch die Modellierung betont und durch Abschattierung und Drapierung des Turbans unterstrichen. Letzterer ist nicht nur überzeugender (durch Glanzlichter auf der zu den Betrachtenden gewandten Seite) modelliert als jener auf fol. 459r von Add. 18851 (Abb. 15), sondern fällt auch über die verkürzte Schulter des Evangelisten nach vorne, anders als der unbestimmt nach hinten sich bauschende, die räumliche Stellung Matthäi verunklärende Stoffüberschuß im Londoner Brevier. Zudem ist das räumliche Sitzmotiv des Evangelisten auch durch die Sichtbarmachung beider Füße angezeigt, und seine raumverdrängende (gleichsam Hohl-) Form wird dadurch nachvollziehbar, daß man durch den aufklaffenden Mantel gleichsam ins Innere der Gewandfigur blicken kann. Auch der erzählerische Reichtum ist gegenüber der vatikanischen Miniatur gesteigert  : Das simple Bücherbord dort wurde durch einen Wandkasten mit mehreren durch die geöffneten Türflügel sichtbaren Bänden darin ersetzt, und der Maßwerkfirst der Sitzgelegenheit wurde um zwei schildhaltende Löwen auf den seitlichen Pfosten ergänzt. Der Thron weist an seiner Flanke ein nach vorne kragendes Ablagebord mit einzelnen Blättern und mehreren Federkielen als Reserve für den unermüdlichen Schreiber unter himmlischer Anleitung auf, etwas, das in der Londoner Miniatur nur vage angedeutet, hier aber an prominenter Stelle inszeniert wurde. Selbst die Farbigkeit ist differenzierter als in den früheren Beispielen. Neben den Komplementärkontrasten Rot-Grün und Blau-Gold (letzteres als Lichtfarbe und -tupfer im Gewand des Engels) sind blasse Grau-, Violett-, Rosa- und Orangetöne umfangreich vertreten  ; schließlich ist die Verteilung der Farben anders, mit vielen buntfarbigen Flächen, die kleinteilig die gesamte Miniatur überziehen. Ähnliches wurde in der Verkündigung des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs festgestellt und dort als Mittel erkannt, den Blick im Bild kreisen zu lassen. Und eben dies ist zweifellos auch in der Miniatur in Poitiers intendiert. All dies zeigt, daß die Matthäusdarstellung in Poitiers weder in ihrer Qualität noch bezüglich der künstlerischen Entwicklung von den beiden zum Vergleich herangezogenen Miniaturen des Jakobsmeisters distanziert werden kann. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede  : Die Physiognomien des Evangelisten wie des Engels in Poitiers unterscheiden sich von jenen im Londoner Brevier und im Vaticanus, obwohl auch zwischen den beiden letztgenannten Werken diesbezüglich Diskrepanzen festzustellen sind. Zudem bekommt die strichlierende Pinselführung (ein typisches Merkmal unseres Illuminators) in Poitiers eine gewisse Fahrigkeit, die

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sich in teils querverlaufenden Linien äußert. Dies ist nicht ganz unüblich auch in den anderen Arbeiten des Jakobsmeisters, hier aber besonders auffallend. Zuletzt muß noch festgehalten werden, daß dem Maler ein Fehler bei der Gestaltung der Rückwand unterlaufen ist. Links neben der Tür zeigt die Mauer im oberen Bereich eine Schattenkante, die wie jene im linken Bildteil auf eine durch zwei Wände gebildete Ecke schließen lassen würde. Im unteren Bildteil ist jedoch nichts davon zu sehen  : Zwar ist die entsprechende Stelle durch den geflügelten Menschen verdeckt, doch sitzt die Tür ganz offensichtlich in der Rückwand der Kammer und nicht in einer Seitenwand, wie es im oberen Bereich angedeutet wäre. Auch solche Inkongruenzen sind im Œuvre des Jakobsmeisters hinlänglich bekannt  ; im Spinola-Stundenbuch aber erschienen sie unseren bisherigen Untersuchungen zufolge weitgehend ausgeschaltet. Abb. 143: Heiliger Dominikus; Los Angeles, Der Vergleich mit der Darstellung des heiThe J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, ligen Dominikus in seiner Schreibstube auf Spinola-Stundenbuch, fol. 260v. fol. 260v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 143) belehrt jedoch eines Besseren. Auch hierbei handelt es sich um eine halbseitige Miniatur mit rundbogigem oberem Abschluß, die allerdings ein wenig größer ist als jene in Poitiers Ms. 57/269. Auch ist der Bildaufbau trotz ähnlichem Motivrepertoire ein anderer  : Zwar sitzt der Heilige auf einem ebensolchen Thron wie Matthäus im Stundenbuchfragment, doch befindet sich dieser mit einem rechtwinkelig über Eck gestellten Schreibtisch auf einem Holzpodest, das die rechten beiden Bilddrittel einnimmt. So kommt der Gelehrte auf der Mittelachse der Darstellung zu sitzen. Seinen Abtstab hat er an das hintere, waagrecht verlaufende Kompartiment seines Schreibtisches gelehnt, während er in einem mächtigen Codex blättert, der vor ihm auf einem schräg verkürzten Pult auf dem rechten Tischarm liegt. Dieser massiven Rechtsausrichtung der Komposition wird dadurch entgegengewirkt, daß einerseits die Tür sich diesmal in der linken Seitenwand, also hinter dem Rücken des Heiligen, befindet, und daß zudem in diesem Bildteil die Attraktion der Darstellung zu finden ist. Dort auf dem Boden (offenbar unbemerkt oder ignoriert von Dominikus durch die hintere Tür in den Raum geschlüpft) liegt ein ausgewachsenes Monster, das sich verzweifelt bemüht, den domini canis zu erhaschen, welcher mit der Fackel im Maul unter dem Schreibpult seines Herrn Zuflucht gesucht hat und beschirmt vom theologischen Wissen in Form der über ihm befindlichen

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Schriften seinem Verfolger einen eher herausfordernden als ängstlichen Blick über die Schulter zuzuwerfen scheint. Das Monster ist sich der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens offenbar bewußt. Während es mit der Linken unter der Sitzgelegenheit des Heiligen hindurch nach seinem potentiellen Opfer angelt (was durch den rechten Fuß Dominici behindert wird), scheint es sich mit der Rechten ratlos am Kopf zu kratzen. Auch durch den dümmlichen Gesichtsausdruck wird die bekanntlich häufige Kombination von Unwissenheit und Boshaftigkeit (wobei das eine die Wurzel des anderen ist) heraufbeschworen und der Weisheit und Reinheit des Heiligen als Negativbild gegenübergehalten. Daß der Künstler dennoch mit der Faszination der Betrachtenden im linken Bildteil rechnen konnte (und ein „Umkippen“ seiner Komposition nach rechts nicht zu befürchten war), ist auf sein großes erzählerisches Können zurückzuführen. Ähnlich wie in einem modernen Kriminalfilm, wo das Opfer noch nichts von dem ihm auflauernden Täter ahnt, die informierten Zuschauer aber bereits der unvermeidlichen Konfrontation entgegenfiebern, so kann sich BetrachterIn nicht nur ausmalen, wie das Höllenwesen über die Stufen, die zur Tür emporführen, hereinkroch, sondern muß – anders als der Hauptdarsteller – auch mitansehen, wie es versucht, nach dem domini canis zu grapschen. Freilich scheint die Ruhe des Heiligen nicht auf mangelnder Aufmerksamkeit, sondern im Gegenteil auf Klarblick und Einsicht zu basieren, und auch der Verfolgte scheint eher nach Hundeart zu spielen als zu flüchten. Die Bildregie ist beeindruckend und geht über die sonst üblichen Formeln der Dominikusdarstellung (wo der hier dargestellte Konflikt von Gut und Böse meist nur angedeutet ist) weit hinaus287. Über die Steigerung des erzählerischen Reichtums gegenüber dem Matthäusbild in Poitiers muß folglich nichts mehr gesagt werden. Der Einwand, daß eine Evangelistendarstellung schwerlich Platz für solcherlei Anekdoten läßt, ist richtig  ; dennoch genügt ein Blick auf das geschilderte Ambiente, um ihn im Hinblick auf die beiden Miniaturen zu relativieren  : Im Spinola-Stundenbuch ist die Wiedergabe des Interieurs ungleich detailreicher als in dem Fragment in Poitiers, was nun gewiß nicht auf das geringfügig größere Format in ersterem zurückgeführt werden kann, eher schon auf seinen hohen repräsentativen Anspruch, der jenen des auf Poitiers und Wien verteilten Stundenbuchs auf alle Fälle überboten haben muß. Abgesehen davon gibt es aber überraschende Parallelen zwischen den beiden Bildern in Los Angeles und in Poitiers. Es mag unfair klingen, mit jener zu beginnen, die eine gemeinsame Schwäche ist  ; indes ist sie m. E. für die Frage der Zuschreibung des auf Wien und Poitiers verteilten Werkes essen­ tiell. Denn auch die Miniatur im Spinola-Stundenbuch weist perspektivische Inkongruenzen auf, und zwar reichlich und in einem Ausmaß irritierend, wie es in Poitiers gar nicht der Fall ist. Keine einzige Verkürzung am Mobiliar oder auch an den Bestandteilen des Interieurs stimmt mit einer zweiten überein. Zwischen Aufsicht und Normalsicht herrscht ein fließender Übergang, der nur mangelhaft durch das erhöhte Schreibpult auf dem Tisch vor dem 287 So etwa auf fol. 423v des Breviers Isabellas von Kastilien (Add. 18851 der British Library), Abb. bei Backhouse 1993, S. 56, fig. 60, wo der Hund mit der Fackel und ein kleiner Teufel den Heiligen flankieren.

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Heiligen erklärt werden kann  ; und über die Form der Schreibstube mag man nach den ersten Versuchen gar nicht weiter spekulieren. Besonders krass sind die Unstimmigkeiten im Türbereich. Was im oberen Bildteil wie ein räumliches Divergieren von rundbogiger Innen- und rechteckiger Außenpforte aussieht, entpuppt sich im unteren Bildteil als parallele Anordnung derselben. Im Vergleich dazu ist die Mauerkante in Poitiers, die keine ist, hochgradig harmlos, da sie erst spät entdeckt wird, während die geschilderten Diskrepanzen in der Raumkonstruktion der Spinola-Miniatur den Bildeindruck wesentlich bestimmen. Das Erstaunliche ist freilich, daß sie ihn kaum stören. Dominikus wird durch die auf der Bildfläche gleich großen Kompartimente der Thronlehne seitlich seines Kopfes dekorativ gerahmt, und die Kammer wird auf geniale Weise vollständiger gezeigt, als dies mit einer korrekten Perspektivkonstruktion möglich gewesen wäre. Eine gewisse ungelöste Spannung zwischen der Position der Sitzgelegenheit im Verhältnis zur linken Seitenwand ergibt sich ja auch in Poitiers und im Vaticanus und wurde nur in London penibel vermieden. Da gezeigt werden konnte, daß die diesbezügliche Änderung schon in Cod. Vat. Lat. 3770 zugunsten einer klaren Lesbarkeit und flächendekorativen Aufwertung der Komposition vorgenommen wurde, liegt auf der Hand, daß eben diese Aspekte auch für die Miniaturen in Poitiers und in Los Angeles ausschlaggebend waren. Und die Ergebnisse sind ja in beiden Bildern durchaus überzeugend. In unserem Zusammenhang bemerkenswert ist auch das Raumverständnis, das der Spinola-Miniatur zu Grunde liegt. Dadurch, daß der Künstler den Sessel des Heiligen von der Wand weggerückt hat, erscheint dieser allseitig von Raum umgeben und einmal mehr ein klassisches Motiv einer zentralräumlichen Auffassung. Umgekehrt wurde offenbar nicht viel Wert auf die Illusion von leerem Platz gelegt  : Der rechtwinkelig zusammengesetzte Tisch umschreibt die Sitzgelegenheit, füllt aber zugleich die Kammer aus. Es kommt zu einem Kreisen des Blicks über entsprechend angeordnete Objekte. Dies ist ein durchaus anderes Prinzip als das im Matthäusbild in Poitiers, auch wenn der dargestellte Raum in beiden Fällen nicht nur in seiner Tiefe, sondern auch in seiner Breite durchmessen werden soll. Damit erweist sich die Darstellung in Poitiers den beiden früheren Matthäusminiaturen auch prinzipiell verwandter als die Dominikusminiatur im Spinola-Stundenbuch. Dies ist m. E. nicht nur auf das Thema zurückzuführen, sondern auf eine gewisse entwicklungsbedingte Nähe zwischen den drei Evangelistenbildern. Schließlich präsentiert sich Dominikus, vielleicht bedingt durch seinen schwarz-weißen Habit, auch wesentlich flächenhafter als die Matthäusfiguren in Poitiers 57/269 und in Cod. Vat. Lat. 3770. Allerdings erweist er sich an drei Stellen doch als voluminös konzipiert  : dort, wo seine Kapuze den Kopf umfängt, dort, wo ihr unterer Teil über seine Schultern gelegt ist, und im Bereich der Füße, deren räumlich versetzte Anordnung die raumverdrängende Qualität des Körpers unterstreicht. Daß diese Elemente gegenüber Vergleichbarem in den anderen Bildern heruntergespielt sind, läßt sich dennoch nicht leugnen. Umso frappanter ist, daß der Gesichtsschnitt des Heiligen Ähnlichkeiten mit jenem des Evangelisten in Poitiers erkennen läßt, auch wenn letzterer ein wenig schematischer ausgeführt ist als jener im Spinola-Stundenbuch.

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All diese Beobachtungen geben wenig Anlaß dazu, das Handschriftenfragment in Wien und Poitiers aus dem Œuvre unseres Meisters auszugliedern. Vielleicht war ein Alter Ego in diesem Stundenbuch am Werk, was jedoch – zumindest im Rahmen einer Beteiligung – auf etliche der hier dennoch als eigenhändig akzeptierten Arbeiten unseres Künstlers zutreffen dürfte. Gerade die stimmige Einbettbarkeit in eine gewisse Entwicklung scheint dafür zu sprechen, daß es sich bei den Miniaturen in Poitiers 57/269 und in Cod. Vind. 1887 im weiteren Sinne um Werke des Jakobsmeisters handelt. Im Hinblick auf die Datierung, aber auch auf die Zuschreibung ist es sinnvoll, eine weitere Handschrift in die Diskussion mit einzubeziehen, in der einige Miniaturen dem Jakobsmeister bzw. seiner Werkstatt zugesprochen und zuletzt um 1515 angesetzt wurden 288. Es handelt sich um ein Stundenbuch im Fitzwilliam Museum, Cambridge mit der Signatur 1058– 1975289. Drei sogenannt halbseitige Miniaturen mit halbfigurigen Heiligendarstellungen und eine Textminiatur zum Beginn der Marienmesse, die den Evangelisten Lukas (beim Malen eines Madonnenbildes) zeigt, sind offensichtlich mit unserem Illuminator in Beziehung zu setzen. Aus naheliegenden Gründen bietet sich vorrangig das Lukasbild zu einer Gegenüberstellung mit jenem in Poitiers 57/269 an. Die Miniatur auf fol. 36r in CFM 1058–1975 (Abb. 144) zeigt den Evangelisten nach links gewandt im Vordergrund sitzend. Er dreht den Rücken den Betrachtenden zu, wendet den Kopf dabei aber so weit nach links, daß sein Gesicht im reinen Profil erscheint. Auch sein Gewand und seine übereinandergeschlagenen Beine vermitteln eher den Eindruck einer Linksausrichtung und überspielen seine Orientierung hinein in den Raum. Selbst die räumlich versetzte Position der Staffelei mit dem in Arbeit befindlichen Tafelbild darauf wird durch den vor ihr am unteren Bildrand situierten Schemel mit den Farbtöpfen, der sich formal nahtlos an sie anfügt, verunklärt. Links nimmt eine schräg in den Raum fluchtende Seitenwand mit zwei hochrechteckigen Fenstern ihren Ausgang, an der eine Bank mit Utensilien für die Präparierung der Farbpigmente steht. Dementsprechend wird man auch die verschiedenen Behältnisse auf dem (im Teilstück hinter den Fenstern) knapp unterhalb der tonnengewölbten Decke angebrachten Bord nicht als Küchengeräte, sondern verschiedene Gefäße für die Aufbewahrung von Farbstoffen, Bindemitteln etc. deuten. Desgleichen offenbart der Wandschrank an der Rückwand des Zimmers diverse Töpfe und Krüge, die diesem Zweck dienen dürften. In einer Nische darunter hängt eine Kanne und daneben ein Handtuch  ; hier treffen einander minutiöse Schilderung des Maleralltags und ein subtiles, auf den Bildinhalt abzielendes Zitat, gehören doch diese beiden häuslichen Utensilien zur Tradition flämischer Verkündigungsdarstellungen und somit zur zeitgenössischen Vorstellung von einem Ereignis, von dem Lukas als einziger zu berichten weiß. Der rechte Bildstreifen ist dem Stier im Vorder288 Brinkmann 1997, S. 318–321. 289 Wormald-Giles 1982, S. 590–595, Abb. 88–91  ; Brinkmann 1987/88, S.134  ; Brinkmann 1992b. Ich bin James Marrow zu Dank verpflichtet, der mir auch von dieser Handschrift einen Diasatz zur Verfügung gestellt hat.

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Abb. 144: Evangelist Lukas; Cambridge Fitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975, Stundenbuch, fol. 36r.

grund und einer geöffneten Tür im Hintergrund vorbehalten. Diese führt durch einen Holzverschlag hinaus auf einen Platz mit mehreren hohen Häusern, der ob seiner undeutlichen Ausführung kaum noch auszunehmen ist. Diese Miniatur macht Schluß mit allen Argumenten, die erzählerischen Reichtum oder Suggestion von Tiefenraum vom verfügbaren Platz abhängig machen wollen. Die kleinste aller erhaltenen ganzfigurigen, dem Jakobsmeister zugeschriebenen Darstellungen dieses Themas, ist sie zugleich jene mit dem tiefsten und am ausführlichsten geschilderten Interieur. Und sie ist auch die kompromißloseste. Nur in dem ebenso kleinen, dabei aber nur halbfigurigen und in der gegenständlichen wie räumlichen Schilderung enorm reduzierten Lukasbild auf fol. 32v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XXII) erscheint der Protagonist ebenfalls nur als Maler, und nichts außer dem Stier kennzeichnet ihn als Evangelisten. In den drei übrigen erhaltenen Lukasdarstellungen des Jakobsmeisters verweist mindestens ein Buch auf die ei-

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Abb. 145: Evangelist Lukas; Poitiers, Médiathèque François Mitterrand, Ms. 57/269, Stundenbuch-Fragment, fol. 16v.

gentliche Rolle des Heiligen. In der Miniatur in Cambridge ist der Verzicht darauf deshalb um so viel bemerkenswerter als im Wiener Bild, weil gerade in CFM 1958–1975 besonders umfassend erzählt wird  ; aber eben ganz bewußt vom Alltag des Malers, nicht von einer fiktiven Realität des Evangelisten, in die vereinzelte Versatzstücke aus der Welt des Künstlers mit einfließen. In der Miniatur auf fol. 16v in Poitiers 57/269 (Abb. 145) ist demgegenüber – anders als in jener in Cambridge – eine vollendete Synthese der beiden Betätigungsfelder des heiligen Lukas gegeben. Zugleich ist sie, nicht anders als das Matthäusbild in Poitiers 57/269 (Abb. 142), eindeutig die letzte Wortmeldung in einer Tradition, der auch die Darstellungen gleichen Inhalts auf fol. 473r von Add. 18851 (Abb. 146), fol. 130r von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 147) und fol. 32v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XXII) angehören. Obwohl das Arrangement

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von Mensch und Tier (mit dem nach rechts ausgerichteten Evangelisten auf der vertikalen Mittelachse des Bildes und seinem ebenfalls nach rechts gewandten Symbol links hinter ihm) jenem in Add. 18851 entspricht, ist die Nähe zur vatikanischen Miniatur auch in diesem Fall insofern größer, als der um die Figuren herum konstruierte Raum den Bildeindruck wesentlich bestimmt. In der Londoner Darstellung kommt der Eindruck von Bildtiefe ausschließlich durch den Verlauf der Bodenbretter nach rechts hinten und die räumlich versetzte Positionierung von Figuren und Gegenständen zustande, während sich die übrigen Interieurangaben auf eine bildparallel verlaufende Rückwand beschränken, deren Distanz zum Vordergrund ausschließlich durch die Größe der auf ihr angebrachten Gegenstände (einen vom Bildrand großteils überschnittenen Abb. 146: Evangelist Lukas; London, British Schrank mit Malerutensilien und ein BüLibrary, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 473r. cherbord) ersichtlich wird. Im Vaticanus wie im Fragment in Poitiers ist demgegenüber rechts hinter der Staffelei ein Ehrentuch gespannt (das in Poitiers zusätzlich von einem Baldachin überfangen wird), welches die rechte Seitenwand ersetzt und einen Raumvektor vorgibt. In Poitiers ist zudem ein schmales Stück der linken Seitenwand sichtbar, ehe diese von einer großen Öffnung unterbrochen wird. Immerhin läuft die Türschwelle noch ein Stück weiter und vollendet den Eindruck eines von drei Seiten begrenzten, also dreidimensional konstruierten Raumes. Während im Londoner Brevier und im vatikanischen Stundenbuch auf einen Ausblick verzichtet und nur in Cod. Vind. Ser. n. 2625 ein schmaler, oben blaßblau und unten blaßgrün gefärbter Streifen ohne jegliche gegenständliche Definition geboten wird, ist in Poitiers 57/269 durch die links sich öffnende Tür ein Platz zu sehen, der durch ein einzelnes städtisches Gebäude begrenzt wird. Nicht nur diesbezüglich erweist sich die Miniatur in Poitiers als ein mögliches Bindeglied zwischen den entsprechenden Darstellungen der frühen Gruppe und jener in CFM 1058– 1975. Auch die Schilderung der Alltagswelt hat zugenommen. Neben dem Schemel mit den Farbtöpfen und dem Bord mit den Pigmentbehältnissen zeugen wie in Cambridge auch die großen Doppelfenster von einem realen Maleratelier – anders als die rautenförmig verglasten Rundbogenfenster in den anderen beiden Bildern, die gleichsam die Standardausstattung einer Evangelistenschreibstube sind. Daß jedoch letztere auch in Poitiers gemeint ist, darüber gibt der prächtige grüne Baldachin mit dem Ehrentuch links Auskunft. Er scheint jenen Be-

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Abb. 147: Evangelist Lukas; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770, Stundenbuch, fol. 130r.

reich zu markieren, in dem das Evangelium verfaßt wird, liegt doch auf einem ganz an den Stoff herangerückten Schreibpult ein in Rot gebundenes, prachtvolles Buch. Daß es sich dabei nicht um eine jener mittelalterlichen Maleranweisungen handelt, die offenbar auch dem Jakobsmeister geläufig waren, beweist die vatikanische Lukasminiatur. Dort befindet sich auf dem Bord mit den Malerutensilien ein einfach gebundenes und bloß mit einer Lasche verschlossenes Buch, das als Malerhandbuch gedeutet werden könnte – um so mehr dann, wenn man das Ehrentuch hinter der Staffelei als Grenze hin zu einer nicht mehr dargestellten, aber offenbar wohl doch gemeinten Schreibstube auffaßt. Freilich wird die Verbindung der beiden Sphären in der Miniatur in Poitiers wesentlich stringenter inszeniert (stringenter auch als in London, wo nur einige Bücher auf dem Bord rechts hinten relativ unauffällig auf die Abfassung des Evangeliums anspielen), indem die Staffelei noch unter den Baldachinhimmel gerückt ist und somit auch die malerische Tätigkeit des Evangelisten eine Auszeichnung erfährt. Damit aber nicht genug  : Lukas malt in diesem Bild eben nicht die Madonna (wie eigentlich

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durch die Legende überliefert), sondern eine Verkündigung. Das heißt  : er schildert im Medium der Malerei eben das, was er auch mit Worten berichtet und was als Analogie zum Bild im Bild im Textblock darunter geschrieben steht  : „… missus est angelus gabriel … ad virginem …“. Es ist schwer vorstellbar, daß irgendein Mitarbeiter im üblichen Sinne des Wortes (also ein weitgehend auf den Errungenschaften eines Meisters aufbauender Gehilfe) eine solche Bildlösung schuf. Sollte es sich tatsächlich um ein Alter Ego des Jakobsmeisters handeln, so wird diese Person für unsere weiteren Überlegungen zweifellos im Auge zu behalten sein. Bezüglich der Raumauffassung knüpft das Lukasbild in Poitiers an jenes im Vaticanus an, zeigt aber einige entscheidende, wenngleich nach der Analyse der Matthäusminiaturen ebenda nicht mehr verwunderliche Veränderungen. Während in Cod. Vat. Lat. 3770 die Tiefe des Interieurs durch das linke hintere Raumkompartiment sowie durch die untere Kante des Ehrentuches und den über weite Teile sichtbaren Fliesenboden forciert wird, ist in Poitiers 57/269 trotz zahlreicher verkürzter Gegenstände die Breitenerstreckung der Miniatur forciert. Dabei wird die Staffelei von diversen Gegenständen regelrecht umrahmt, und der Blick, der alles erfassen will, umkreist sie wie erwünscht. Was gemeint ist, offenbart sich einmal mehr im Vergleich mit der Miniatur im vatikanischen Stundenbuch, wo eine andere Absicht verfolgt wurde. Dort steht vor der Staffelei der Schemel mit den Farben, dahinter das Bord mit den Töpfen und dem Buch, und der Blick gleitet (in jener Richtung, in die auch die Fliesen verlegt sind und das Madonnenbild verkürzt ist) unmittelbar von vorne nach hinten. Selbiges weiß der Illuminator der Miniatur in Poitiers zu verhindern, nicht nur mit den bereits beschriebenen Mitteln, sondern auch dadurch, daß die Fliesen, die unter der Staffelei noch schwach sichtbar sind, in eine andere Richtung verkürzt erscheinen als die Verkündigungstafel darauf. Ein geradezu drolliges Motiv aber findet sich in Poitiers im apokalyptischen Wesen, dem Stier. Ein besonders hübsches Exemplar seiner Gattung und darin seinen Vorgängern zweifellos überlegen, scheint er jene Funktion zu übernehmen, die den Evangelistensymbolen in dieser Handschrift nun einmal zuzukommen scheint  : Er dreht sich im Raum. Da er aber, nicht anders als seine Pendants in den anderen Lukasbildern, auf dem Boden liegt, muß er dies in dieser Position bewerkstelligen. Grundsätzlich fügt ihn der Künstler aus Bewegungsmotiven zusammen, die seine Artgenossen in Add. 18851 und in Cod. Vat. Lat. 3770 zeigen. Vom Londoner Stier hat er die Ausrichtung nach rechts und den zwischen den Flügeln sichtbar nach links hinten verkürzten Körper – wobei beide Faktoren in Poitiers 57/269 wesentlich pointierter vorgetragen werden als in Add. 18851, wo das Tier eher als unförmiger Klumpen erscheint, während im späteren Beispiel die beiden Raumrichtungen durch energische Drehung des Kopfes und eine markante Wirbelsäule explizit angezeigt sind. Vom vatikanischen Exemplar stammt die Stellung der Beine, womit schon im Vordergrund die zweifache Ausrichtung offensichtlich wird. Neu ist nun aber, daß auch ein Hinterbein zu sehen und damit klar ist, daß das Tier sich gleichsam verwirft  : Sein Kopf weist nach rechts, sein Körper aber nach links, wobei letzterer optisch zwar genau in die dahinter befindliche Raumecke eingepaßt ist, sowohl Flügel als auch Hinterhand aber die Aufmerksamkeit auf die Tür und den Ausblick links lenken.

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Hält man den eben besprochenen Lukasbildern die Miniatur von CFM 1058–1975 (Abb. 144) entgegen, so erlebt man im ersten Moment eine Überraschung. Einem in seiner gesamten Breite mit Gegenständen vollgestellten Vordergrund steht rechts ein in ziemlicher Distanz befindlicher Ausblick gegenüber, der einerseits durch den Verlauf des Bretterbodens (also durch einen Raumvektor) vorbereitet, andererseits auf Grund des abrupten Maßstabwechsels als Raumsprung erlebt wird. Dies sind Gestaltungsprinzipien, wie sie für den hier um 1500 datierten Cod. Vat. Lat. 3770–68 geltend gemacht, jedoch in der Lukasminiatur (und ähnlichen kleinformatigen Darstellungen) des Vaticanus bei weitem nicht so radikal durchgesetzt wurden. Dabei erweist sich die Komposition auf fol. 36r von CFM 1058–1975 als seitenverkehrte Variante des entsprechenden Evangelistenbildes auf fol. 130r in Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 147). In einem Fall weisen Staffelei und davor positionierter Schemel nach rechts, im anderen Fall nach links hinten, markieren jedoch beide Male einen entscheidenden Raumvektor. Und beide Male wird der Vordergrund durch die bildparallele Anordnung von Staffelei, Mensch und Tier diesem Tiefenzug entgegengehalten. Doch liegt bei näherer Betrachtung der Unterschied nicht nur darin, daß das Interieur in Cambridge sich weiter nach hinten erstreckt. De facto ist sowohl das Arrangement der Protagonisten vorne als auch ihr Verhältnis zu dem sie umgebenden Raum ein anderes. Ihrer geringeren plastischen Präsenz in CFM 1058–1975 steht ihre deutlich raumorientierte Anordnung gegenüber. Sowohl Gegenstände wie die Staffelei als auch Figuren wie Lukas und der Stier haben gegenüber jenen im Vaticanus an Dreidimensionalität verloren, sowohl bezüglich des disegno als auch bezüglich der Intensität der Modellierung  ; so knittert das Gewand des Evangelisten in einem flächenhaften Relief, während Lukas in Cod. Vat. Lat. 3770 von den wulstigen Schüsselfalten als voluminöse Figur definiert wird. Und die Pfosten der Staffelei im Vaticanus zeigen deutlich Schatt- und Lichtseite, was in Cambrigde nicht der Fall ist. Umgekehrt ist das räumliche Zueinander von Figuren und Gegenständen in CFM 1058–1975 komplexer als in der vatikanischen Miniatur. In Cambridge wird Lukas von den Objekten um ihn herum regelrecht umkreist, und auch er selbst scheint auf mehrfache Art gedreht – und dies bei fast identischem Arrangement wie im Vaticanus. Doch sind es im Stundenbuch in Cambridge neben Staffelei, Schemel und Stier auch noch die Wandbank, das Wandbord und nicht zuletzt der nach rechts vorne orientierte Türverschlag hinten, die einen Kreis implizieren, der last not least durch die Wendung des Stierkopfes nach links geschlossen wird. Die den Evangelisten in einem Bogen umfangende Rücklehne des Stuhles wäre gleichsam eine Analogie dazu. Hinzu kommt, daß Lukas selbst in den Raum hinein gewendet sitzt, sein Kopf aber ins Profil gedreht ist und seine über­ei­nandergeschlagenen Beine sogar eine Bewegung nach vorne zu suggerieren. All diese Elemente – scheinbare Kleinigkeiten von großer Wirkung – rücken die Raumauffassung in Cambridge von jener im Vaticanus ab und erinnern an Darstellungen wie die Marienverkündigung auf fol. 84v des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 113), mit der – oder noch mehr mit deren Pendant im Londoner Rothschild-Stundenbuch Add. 35313 (Abb. 120) – auch die Konstruktion des Raumes übereinzustimmen scheint. Freilich fällt es nicht leicht, in Anbetracht der detailierten Schilderung des Interieurs, der souveränen Raumkonstruktion und der kompromißlosen Darstellung des Malerateliers, das

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Lukasbild in Cambridge vor jenes in Poitiers zu datieren. Hierzu noch einige Gedanken. Stellt man das Interieur auf fol. 36r in CFM 1058–1975 jenem in der Miniatur zum Pfingstfest auf fol. 31v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 94) gegenüber, so wird rasch klar, daß es sich um enge Verwandte handelt. Die Innenraumdarstellungen in den beiden Pfingstbildern des ehemals Wiener Rothschild- und des Wiener Croy-Gebetbuchs (ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, fol. 32v, Abb. 111, und Cod. Vind. 1858, fol. 23v, Taf. XIX) unterscheiden sich demgegenüber graduell von der Lösung im Fitzwilliam Museum. Identisch in CFM 1058–1975 und Ms. Ludwig IX 18 ist sowohl die Konstruktion als auch die gegenständliche Umsetzung der Kammer  : Beide Male handelt es sich um einen mit einer hölzernen Tonne eingewölbten Raum, von dem nicht nur die linke, sondern auch die rechte Seitenwand und in dessen hinterer rechter Ecke ein hölzerner Türverschlag zu sehen ist. Dabei sind Abb. 148: Apostel Petrus und Paulus; Cambridge perspektivische Inkongruenzen ebenso verFitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975, mieden wie im Spinola-Stundenbuch (ein Stundenbuch, fol. 166r. wesentlicher Unterschied zum Croy-Gebetbuch, wo an der linken Seitenwand die Verkürzungen von Kamin und Kommode deutlich divergieren und zudem die rechte Seitenwand nicht gezeigt, sondern nur durch eine Bank ebenda zu vermuten ist). Die Weite des Raumes wird im Bild in Cambridge durch seine Leere offensichtlich, was ja auch eines der Merkmale des Spinola-Pfingstfestes (trotz des Überangebots an Figuren darin  !) ist und dort einen gewissen Widerspruch zu den Gestaltungsprinzipien anderer Miniaturen derselben Handschrift darstellt. Ganz im Anschluß an die „vollgefüllten“ Miniaturen (und nicht an die Darstellung des Pfingstfests) im Spinola-Stundenbuch ist auch im Croy-Pfingstbild die Kammer mit Akteuren so sehr angefüllt, daß der Effekt des weiten Raumes nicht mehr hervorgerufen wird. Als entscheidender Unterschied gegenüber der Pfingstminiatur im Spinola-Stundenbuch muß festgehalten werden, daß in der Lukasdarstellung in CFM 1058–1975 die Figuren den angebotenen Raum nur ganz bedingt annehmen. Daran ist nicht nur schuld, daß sie weit in den Vordergrund geschoben sind (was vielleicht noch thematisch erklärbar wäre), sondern auch ihre Gestaltung  : Das unspezifische Faltengeknitter verflächigt den Evangelisten, und ebenso flächenhaft verdecken die (Libellen-  !)Flügel des Stiers seinen Rumpf zur Gänze, sodaß

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die Projektion des Tierkörpers entfällt. Dies könnte vielleicht ein Hinweis darauf sein, daß das Stundenbuch in Cambridge nach jenem in Los Angeles entstand, da eine gewisse Annäherung an die beiden Miniaturen des Jakobsmeisters im Croy-Gebetbuch stattfindet, die ebenfalls flächenhafte, wenn auch anders umgesetzte Züge aufweisen. Ebenso könnte es bedeuten, daß wir hier einen weiteren von mehreren Jakobsmeistern vor uns haben, vielleicht jenen, der auch die Pfingstminiatur im Spinola-Stundenbuch (zu einem früheren Zeitpunkt  ?) schuf. Dabei erschwert die hohe Qualität der Darstellungen, von einem Meister und seinen Gehilfen zu sprechen, und auch die Bezeichnung Alter Ego trifft nicht ganz das, was hier vorzuliegen scheint  : eine allerengste Kooperation von Malern, deren Entwicklung sich annähernd gleich (wohl bedingt durch die enge Zusammenarbeit), aber in manchen Aspekten auch durchaus eigenständig vollzog und die einan- Abb. 149: Apostel Jakobus und Philippus; der an Erfindungsreichtum und Feinfühlig- Cambridge Fitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975, Stundenbuch, fol. 168v. keit in nichts nachstanden. Dabei sprechen die übrigen drei Miniaturen im Cambridger Stundenbuch, die halbfigurigen Vollbilder der Apostel Petrus und Paulus auf fol. 166r (Abb. 148), Philippus und Jakobus auf fol. 168v (Abb. 149) und der heiligen Katharina auf fol. 180r (Abb. 150), dafür, daß es sich bei dem hier tätigen Illuminator doch um einen hoch talentierten Mitarbeiter des Jakobsmeisters handeln könnte. Die drei Miniaturen sind jeweils in ein ganzseitiges, mit Sicherheit nicht von der Hand oder Werkstatt unseres Künstlers stammendes architektonisches Rahmensystem eingefügt, das auch auf etlichen anderen, von einem ganz anderen Atelier illuminierten Seiten zu finden ist. Daß die Bordüren (auch die architektonischen) nicht von denselben Arbeitskräften wie die eingeschriebenen Kernminiaturen ausgeführt wurden, ist zwar die Regel. Daß die Architekturrahmen sich indes nahtlos in den Vollbildern fortsetzen, zeigt eine äußerst enge Kooperation von Kernbild- und Bordürenmalern an, die hier insofern erstaunt, als die involvierten Personen verschiedenen Illuminatorenteams angehört haben müssen. Dabei ist in den drei genannten Bildern ein graduell unterschiedlicher Umgang mit der Situation festzustellen. Das Vollbild Katharinas, wie der dreizeilige Schriftspiegel mittels einer bloßen Linie umrahmt und so von der sie umgebenden Architektur abgesetzt, zeigt eine davon gänzlich unabhängige räumliche Situatution, nämlich einen exakt in die Form der Kernminiatur eingepaß-

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ten roten Baldachin mit grünem Ehrentuch. Jakobus und Philippus stehen ebenfalls vor einem die gesamte Kernminiatur hinterfangenden prachtvollen Brokatstoff, der indes die obere Rundung der Kernminiatur verdeckt, also über sie hinausragt und in der Wölbung des Architekturrahmens aufgehängt scheint. Die unter dem Textil durchschimmernde Farbe der Rahmung zeigt an, daß der Künstler dies nachträglich gemacht hat, und somit die grundsätzlich angenommene Abfolge der Ausstattungsetappen auch hier zugetroffen haben muß, also zuerst die Rahmung und dann das Vollbild gemacht wurde. In der Darstellung Petri und Pauli sind die Übergänge nun so weit verunklärt, daß mehr als bloß eine Absprache der beiden Illuminatoren angenommen werden muß. Wieder ist das die beiden Apostel hinterfangende Ehrentuch im architektonischen Rahmen aufgehängt, wobei hier die beiden Maler in den jeweils dem anderen Abb. 150: Heilige Katharina; Cambridge Fitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975, vorbehaltenen Bereichen Hand angelegt haStundenbuch, fol. 180r. ben müssen – besonders deutlich zu sehen im rechten oberen Teil des Vollbildes, wo eine blattförmige Krabbe über den Stoff ragt und dieser umgekehrt auf dem blauen Bildgrund einen dichten Schattenstreifen wirft. Auch setzt sich die Architektur in der Kernminiatur fort, indem die Apostelfürsten von einer halbhohen Wand hinterfangen werden, hinter der erst das Tuch im oberen Bereich des Bildes hervorragt. Allerdings ist zumindest entlang der linken vertikalen Grenze der Kernminiatur die Schnittstelle in der Ausführung deutlich zu sehen  : Der Maler der architektonischen Rahmung benützte umfangreiche Goldhöhungen, die unser Künstler viel sparsamer einsetzte. So ist trotz der gleichen Grundfarbe der Architektur der Illuminatorenwechsel an dieser Stelle nicht zu übersehen. Nun ist es weniger die Tatsache, daß die beiden Maler aus verschiedenen Werkstätten so eng kooperierten, als vielmehr der Umstand, daß unser Künstler ganz offensichtlich in einem anderen Team mitarbeitete, ein Argument dafür, ihn vielleicht nicht mit jenem souveränen Illuminator gleichzusetzen, der beispielsweise die Ausstattung des vatikanischen Stundenbuchs, aber auch des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs oder des Spinola-Stundenbuchs leitete. Freilich trifft ähnliches auch für die auf Wien und Poitiers aufgeteilte Handschrift zu, wo ebenfalls vergleichsweise untergeordnete Ausstattungselemente von unserem Illuminator ausgeführt wurden. Im Croy-Gebetbuch, in das auch nur zwei Miniaturen des Jakobsmeisters

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eingebunden sind, ist die Situation dennoch anders, weil sie prominent positioniert sind und wichtigen Textabschnitten vorstehen und zudem auch die architektonischen Rahmungen von Mitarbeitern unseres Künstlers geschaffen wurden. Hinzu kommt, daß auch die Formensprache der drei Heiligenbilder in CFM 1058–1975 nicht dem entspricht, was andere Werke unseres Künstlers in dieser Zeit (auch wenn diese einer konkreten Bestimmung noch harrt) offenbaren  : Die Figuren wirken ein wenig gedrungen, mit großen Köpfen auf eher schmächtigen Körpern. Man muß weit im Œuvre des Jakobsmeisters zurückgehen, um ähnliche Züge zu finden, bis in die Mitte der neunziger Jahre, etwa zum Brevier Isabellas von Kastilien in der British Library (Add. 18851). Doch offenbart selbst die um einiges kleinere Halbfigur der Magdalena in der Textminiatur auf fol. 408r von Add. 18851 (Abb. 12) eine deutlichere plastische Präsenz als die Katharina auf fol. 180r von CFM 1058–1975, was nicht nur durch die Modellierung der Brüste unter dem Brokatstoff, sondern auch durch den die Figur umschreibenden Mantel im Londoner Brevier angezeigt ist. Natürlich hat Katharina in Cambridge ihre Vorzüge – die schimmernde Stofflichkeit ihres Gewandes oder ihrer prachtvollen Haare wird in London nicht annähernd erreicht, und auch der delikate Farbauftrag bei dennoch charakteristisch loser Faktur (einem Markenzeichen des Jakobsmeister-Kreises) zeugt vom hohen Niveau des in der Cambridger Handschrift tätigen Künstlers. Man muß aber nur die Darstellung der Apostelfürsten auf fol. 166r von CFM 1058–1975 (Abb. 148) der Textminiatur mit den zwölf Aposteln auf fol. 124v von Cod. Vat. Lat. 3768 (Abb. 100) gegenüberstellen um zu begreifen, wie groß der Auffassungsunterschied schon zu einer um 1500 datierbaren Handschrift ist. Die Apostelfürsten, die im vatikanischen Bild die Jüngerschar anführen, zeigen wesentlich monumentalere Proportionen und eine höhere plastische Präsenz, und dies bei deutlich geringerer Größe. Man könnte freilich argumentieren, daß es für den Illuminator leichter war, im kleineren Format zu arbeiten  ; doch genügt ein Blick auf die ähnlich flächenhafte Umsetzung des ebenso kleinen Evangelisten auf fol. 36r des Stundenbuchs in Cambridge, um diesen Einwand zu entkräften. Besonders am Paulus in CFM 1058–1975 wird deutlich, um wieviel weniger Verständnis der Künstler für die Modellierung der Gesamtfigur aufbrachte als im vatikanischen Stundenbuch – bzw. wie wenig sie ihm hier bedeutete  : Die nach vorne geschobene Schulter des Heiligen ist abgedunkelt, die in den Raum gedrehte beleuchtet, was selbst bei einem angenommenen Lichteinfall von links keiner realen Beleuchtungssituation entspricht. Die kleine Paulusfigur im Vaticanus ist diesbezüglich viel überzeugender gestaltet, so daß ihre räumliche Drehung, ja freie Beweglichkeit im Raum viel glaubwürdiger suggeriert wird als in der Miniatur in Cambridge. Der visuelle Befund in CFM 1058–1975 ist also zwiespältig. Einerseits scheint der Illuminator Gestaltungsprinzipien zu bevorzugen, die bereits ab 1500 in den Werken des Jakobsmeisters nachzuweisen sind. Andererseits deutet das Motivrepertoire, vor allem im Lukasbild, auf eine spätere Entstehungszeit, vielleicht ungefähr gleichzeitig mit dem Spinola-Stundenbuch. Drittens erinnert die teilweise sehr flächenhafte Ausführung, die Probleme bei der Vorstellung dreidimensionaler Körperwerte offenbart, an manche Arbeiten aus den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Und viertens zeigt die hochqualitative, auf die Schilde-

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rung präziöser Oberflächen abzielende Malweise Züge der Miniaturen des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs, wo eine ähnlich delikate Technik zur Anwendung kam. Es gibt einen einzigen befriedigenden Schluß aus diesem Sachverhalt  : die Miniaturen in Cambridge stammen nicht vom Jakobsmeister selbst, sondern von einem (vielleicht noch relativ jungen) Mitarbeiter. Das Konzept der Lukasminiatur scheint auf einen Entwurf unseres Künstlers zurückzugehen, wobei es zu einer gewissen Diskrepanz zwischen der (wohl von der Vorlage übernommenen) Raumkonstruktion und der darin vorgetragenen Auffassung kommt. Die übrigen drei Miniaturen, obwohl ganz in der Tradition der Figurenmalerei des Jakobsmeisters stehend, sind offenbar zur Gänze Kompositionen dieses Alter Ego. Bezüglich der Datierung scheint das modernste Element das verbindliche  : das Aussehen des Interieurs auf fol. 36r. Damit ist man m. E. in jener Zeitspanne, in der auch das SpinolaStundenbuch anzusetzen ist. Zwar gibt es in CFM 1058–1975 einige Elemente, die eine Entstehung der Handschrift schon im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts nahelegen, so etwa die Initialornamentik, die eher um die Jahrhundertwende modern war und danach zunehmend von Astwerkinitialen abgelöst wurde. Aber es gibt auch andere später datierbare Codices, die eben diese Buchstabengestaltung aufweisen. Solange sich keine anderen Argumente finden lassen, wird also davon auszugehen sein, daß das Stundenbuch in Cambridge in den Umkreis des Spinola-Stundenbuchs gehört. Dies bringt uns zum eigentlichen Thema dieses Abschnittes zurück. Neben der Kreuzigungsminiatur auf fol. 56v (Abb. 137) existiert in Ms. Ludwig IX 18 noch eine zweite Version des Themas, jene auf fol. 149r (Abb. 138) als Illustration zur Complet. Sie entspricht entfernt jenem ikonographischen Typus, der im Œuvre des Jakobsmeisters erstmals in der Kreuzigungsminiatur auf fol. 59v des Rothschild-Gebetbuchs (Abb. 112) erhalten ist. Sowohl im Spinola-Stundenbuch als auch im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 wird eigentlich der Abzug der Schergen nach dem Tod Christi gezeigt, der in Ms. Ludwig IX 18 darüber hinaus mit der Beweinung des Heilands in der rechten und seiner Grablegung in der unteren Randleistenzone kombiniert ist. Wie stets ist es aufschlußreich, sich eingangs auf die Kernminiatur auf fol. 149r von Ms. Ludwig IX 18 zu konzentrieren, obwohl die volle Dimension der künstlerischen Leistung nur bei Berücksichtigung der (den Schauplatz kontinuierlich erweiternden, wenn auch andere Zeitpunkte des Erzählungsablaufs wiedergebenden) Randleistenzonen offensichtlich wird. Über eine vom unteren Rahmen der Kernminiatur überschnittene, schräg nach rechts hinten ansteigende, grasbewachsene Felskuppe trifft der Blick auf die großteils bildparallel nach rechts abziehende Reiterei, wobei mehrere reich gekleidete Männer, darunter ein Fürst in Goldbrokat auf einem Maultier (wie aus den anderen Passionsbildern hervorgeht  : Pilatus), besonders ins Auge stechen. Dieser Trupp befindet sich in einem Hohlweg, der zwischen der Kuppe vorne und einer hinter den Figuren frontal aufragenden Felswand verläuft. Sowohl links als auch rechts der Felsfront werden schluchtartige Einschnitte von der Truppe als Wege benutzt – links kommt die Reiterei herab, offenbar die Nachhut der berittenen Protagonisten vorne, rechts dient ein noch schmälerer Steig dem Fußvolk als Abstieg. Bereits eine Ebene hinter der

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Felswand (die offenbar zum Berg Golgotha gehört), im rechten oberen Teil der Kernminiatur, stehen auf einem nochmals leicht nach hinten zu ansteigenden Plateau die drei Kreuze sowie Maria, Johannes und zwei Soldaten. Zwei Reiter sprengen von hinten über den Rand der Kuppe, und rechts scheint auch noch ein einzelner Soldat herbeizueilen  ; seine Größe ist bereits so gering und die Atmosphäre so verdunkelt, daß er kaum noch auszunehmen ist. Vergegenwärtigt man sich die räumliche Situation, so kommt man nicht nur auf eine enorme Tiefe des Schauplatzes, der in der Kernminiatur ohne eigentlichen Hintergrund auskommt. Die Figuren durchqueren ihn überdies in einer kreisförmigen Bewegung, wenngleich konform mit der Erzählung alle von hinten nach vorne kommen und erst rechts außerhalb der Miniatur der Bogen in die Bildtiefe hinein und damit wohl auch um Golgotha herum vollzogen wird. Der Blick kreist vom Reiterzug links hinten über die Befehlshaber vorne und das absteigende Fußvolk zurück zu den Kreuzen nach rechts oben. Somit ist das, was sich auf den ersten Blick als frontaler Felsblock präsentiert, tatsächlich das mächtige Zentrum eines durch die Figuren allseitig erschlossenen Raumes. Zudem sind diesem gewaltigen zentralen Element des Bildes sowohl vorne (durch die bewachsene, immerhin eindeutig räumlich gelagerte Felskuppe im Vordergrund) als auch hinten (durch die auf dem Plateau angesiedelte Kreuzigungsgruppe) zwei weitere, geradezu autarke Raumkompartimente hinzugefügt. Beachtlich ist dabei die Verräumlichung der schon sehr klein und daher entsprechend undeutlich gegebenen Kreuzigungsgruppe. Auf dem Plateau rund um die drei (durchaus nicht ineinander verkeilten, sondern in einer klaren Raumformation aufgestellten) Kreuze ist mittels diverser Schattenschlieren eine annährend querovale Bodenformation sichtbar gemacht, die Maria und Johannes aufnimmt. Die beiden Soldaten rechts stehen offenbar schon davor, sind sie doch von der Kuppe der frontalen Felswand auf Unterschenkelhöhe überschnitten. Die von hinten quer auf die Kreuze zusprengenden Reiter erschließen den Raum auch noch hinter dem eigentlichen Hauptmotiv und führen damit die Tiefe dieser relativ weit entfernten Ebene klar vor Augen. Wie eine Potenzierung dieser Gestaltungsprinzipien mutet es an, wenn man den illuminierten Randleistenbereich in die Betrachtung einbezieht. Rechts wird Golgotha tatsächlich als runde Felsformation bestätigt, an der vorbei die Soldaten in das in der Ferne sichtbare Jerusalem abziehen  ; dabei führt der Maler sein Können an den überzeugend verkürzten Pferdeleibern ebenso vor wie an ihrer glaubwürdigen Integration in die Landschaft. Unterhalb der Reiterei, auf einer Wiesenkuppe, wird der tote Heiland von den Seinen beweint. Christus ist in einem nahezu senkrechten Winkel zur Bildfläche abgelegt, wobei Johannes seinen Oberkörper stützt. Maria sitzt links neben ihrem Sohn und greift nach seinem rechten Oberarm. Zwischen der Gottesmutter und dem Lieblingsjünger vollendet Nikodemus den Halbkreis um das Haupt des Heilands, während Josef von Arimathia sich an den Füßen Jesu zu schaffen macht. Durch seine Aktion wird die mehr oder minder kreisförmig um das Zentrum Christus herum angeordnete Formation optisch geschlossen. Gleich unterhalb Josefs führt ein Lattenzaun um jenen runden Felshügel herum, dessen Kuppe den unmittelbaren Vordergrund der Kernminiatur bildet und der die Grabhöhle Christi birgt. Wie der Reitertrupp oben die Form Golgothas, so veranschaulicht unten dieser Zaun die Form des Grabhügels. Der an

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ihm entlanglaufende Weg schwenkt in der rechten unteren Bildecke in einer Kurve durch das geöffnete Zauntor nach links und auf die Grabhöhle zu. Dort, auf dem bildparallelen unteren Wegstück, wird Christus von Josef von Arimathia und Nikodemus getragen. Johannes vorne, die Rechte Christi ergreifend, und eine Frau hinten flankieren den Leichnam. Ganz links öffnet sich die Höhle, die über zwei Treppen absteigend erreicht wird. Darin stehen Maria und die etwas aufwendiger gekleidete Maria Magdalena (letztere mit ihrem Salbgefäß) hinter dem leicht schräg gestellten Sarkophag, der der bildparallelen Bewegung des Zuges letzten Endes doch noch eine Ausrichtung in den Raum hinein abringt. Selbst wenn man nur die Kernminiatur auf fol.149r des Spinola-Stundenbuchs berücksichtigt, zeigt bereits der erste Augenschein, daß dort ein wesentlich raumhaltigeres Handlungszentrum gegeben ist als in der Darstellung der Kreuzigung auf fol. 59v des RothschildGebetbuchs (Abb. 112). Dennoch scheint in beiden Fällen ein ähnliches Konzept der Raumorganisation zur Anwendung gekommen zu sein. Zwar stehen im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 die drei (wiederum klar räumlich versetzten) Kreuze viel weiter im Vordergrund, und der vorne nach rechts abziehende Soldatenhaufen, dessen Nachhut links ebenso wie im Spinola-Stundenbuch aus der Tiefe kommt (was allerdings nur an der Hintereinanderstaffelung von frontal wiedergegebenen Köpfen ersichtlich wird), scheint sich soeben erst aus einer (halb)kreisförmigen Ansammlung um die Schädelstätte (ähnlich der auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 gezeigten) in Marschrichtung abzuwenden. Durch den vorne gekrümmten Weg und den nach rechts hinten zu verkürzten Schimmel des in roten Brokat gekleideten Anführers wird die einzuschlagende Route als nach rechts hinten führend ausgewiesen. Hierbei passiert dem Illuminator ein Mißgeschick, das ihn m. E. nicht nur als Gehilfen ausweist, sondern nachgerade rührend schrullig anmutet. Zum einen ist der zweite die Truppe anführenden Schimmel, betrachtet man seine Vorderhand und seine Kruppe, bildparallel ausgerichtet, sodaß seine Kollision mit dem verkürzt dargestellten und somit seinen Weg kreuzenden Tier abzusehen ist. Noch dazu sitzt sein Reiter nahezu frontal und viel zu weit vorne auf ihm, was daraus resultiert, daß dem bildparallelen Roß ein nur auf einem verkürzten Pferd denkbarer Mann aufgesetzt wurde. Vergleichsweise logisch wendet sich dieser frontale Reiter dem Zeigegestus des rot gekleideten Anführers folgend um. Dieses den Bewegungszug nachdrücklich bremsende Motiv lenkt den Blick zurück zu den Kreuzen, genau genommen zur Maria-Johannes-Gruppe. Auch daß unmittelbar hinter der Schulter des umgewandten Soldaten das rechte Schächerkreuz emporragt, schafft eine massive vertikale Zäsur schon vor dem rechten Bildrand mit seinem Ausblick auf eine Stadt an einem Gewässer, i. e. Jerusalem. Auf Grund ihrer Position rechts in der Ferne wäre zu erwarten, daß sich der Trupp in diese Richtung, also in die Tiefe weiterbewegt. Dies scheint jedoch dem Illuminator nicht geheuer gewesen zu sein, nicht ganz zu unrecht, zumal sich dann wohl ein rasanter Raumsog ergeben hätte, da eine graduelle Schrägführung des Zuges wie im Spinola-Stundenbuch aus Platzgründen nicht möglich gewesen wäre. Und so spiegelt sich die Ratlosigkeit des Malers in Anbetracht dieser prekären Situation in der Aktion der aus zwei Mann bestehenden Vorhut, die ganz unlogisch quer zum Wegverlauf nach rechts vorne gerichtet dasteht. Oder besser gesagt  : Der erste Mann ist stehen geblieben, der zweite steigt

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nach vorne über dessen Fuß, und beide lugen mit betretenen Mienen nach rechts vorne, als wäre dort etwas ganz Spannendes zu sehen. Die angedeutete Kreisbewegung findet hier ihr abruptes Ende. Noch dazu schiebt sich die sanft gerundete Kuppe des niedrigen Hügels Golgotha über den Köpfen der beiden bis an den rechten Bildrand vor und schließt mit scharfem Umriß eine damit letztlich mehr bildparallel als kreisförmig organisierte Vordergrundzone vom Hintergrund ab. Dem kann auch nicht entgegenwirken, daß Maria, Johannes und eine zweite Frau hinter den Kreuzen stehen und zwei weitere Soldaten von hinten über die Hügelkuppe kommen. Letztlich bleibt der Eindruck der von zwei bildparallelen Schichten hinter- und übereinander. Einmal mehr könnte man diesen Befund (ähnlich wie in Cod. 1887) als eine Stufe zwischen einer eher auf eine flächenkonforme Bildwirkung (wie im Vaticanus) abzielenden und einer sogenannt zentralräumlichen Auffassung (wie im Spinola-Stundenbuch) deuten. Allerdings ist die Kreuzigungsdarstellung von allen dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im Rothschild-Gebetbuch diejenige, in der man einen eng an den Gestaltungsprinzipien wie an der Malweise des Meisters orientierten Gehilfen am deutlichsten spürt  ; dies mindert die Aussagekraft der Darstellung ein wenig. Auf Grund ihrer vergleichsweise schwächeren Qualität zögert man auch anzunehmen, daß die weiter oben angedachte Trennung in zwei verschiedene Gruppen von Jakobsmeisterminiaturen im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 nur in der Mitwirkung dieses Malers ihre Erklärung finden sollte, der in der Kreuzigungsminiatur auf fol. 59v doch beträchtlich unter sein sonst übliches künstlerisches Niveau entgleist wäre. Wie dem auch sei, um so spektakulärer ist die Ausführung der Kreuzigungsminiatur auf fol. 17v des Croy-Gebetbuchs (Taf. XXIII), die denselben ikonographischen Typus vertritt. In der Malweise von gleicher Qualität wie die bereits analysierte Pfingstminiatur ebenda, zeigt sie sich auf den ersten Blick eher mit der Version im Rothschild-Gebetbuch als mit jener im Spinola-Stundenbuch verwandt. Dies könnte jedoch eine Folge derselben Formgelegenheit (gerahmtes Vollbild ohne Weiterführung im Randleistenbereich) und der identischen Ikonographie sein. Man gewinnt sogar den Eindruck, Rothschild- und Croy-Miniatur gingen auf dieselbe Vorlage zurück. Eine gründlichere Analyse zeigt, daß der Illuminator der Croy-Miniatur die beiden Kreuzigungsdarstellungen des Spinola-Stundenbuchs gekannt haben dürfte. Seine Miniatur wirkt tatsächlich wie eine Fusion der beiden Spinola-Szenen, was ja auch in der Kreuzigung des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 anzuklingen schien. Doch ist die CroyVersion im Gegensatz zu jener im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch erzählerisch ebenso souverän gelöst wie maltechnisch. Im Vordergrund der steil hochrechteckigen Miniatur haben zwei gerüstete, dabei aber reich gekleidete Reiter ihre Pferde zum Aufbruch gewendet, drehen sich jedoch beide noch einmal um, der eine dem neben ihm einherschreitenden, zu ihm aufblickenden Krieger zu, der andere zurück zu dem noch unter dem Kreuz gestikulierenden Anführer. Zwei Hunde sprengen nach rechts davon, ebenso erregt wie die nur mit Mühe im Zaum gehaltenen Pferde. Das ganze künstlerische Potential des Illuminators spiegelt sich in dieser Spannung, die sich im Vorwärtsdrängen der Tiere (und des den Schimmel berührenden Lanzenträgers sowie des Knaben an seiner Seite) im Gegensatz zur Verhaltenheit der beiden Reiter manifestiert. Hier

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ist souverän umgesetzt, was im Rothschild-Gebetbuch in einer tollpatschigen Kollision mißverstandener Motive kulminierte und auch im Spinola-Stundenbuch nur in einigen wenigen Elementen anklingt, ohne annähernd dieselbe dramatische Wirkung zu erreichen. Hinter dieser vorderen Gruppe, die sich in einer leichten Schräge von links vorne weg in den Raum hinein in Bewegung setzt – wobei jedoch alle vehementen Aktionen (des Lanzenträgers wie der Hunde) bildparallel ablaufen – sind in einer zweiten Ebene die drei Kreuze positioniert. Sie befinden sich alle drei auf etwa gleicher Höhe, und eine eventuelle Verkeilung ihrer Querarme wird nur durch ihre seitliche Distanz voneinander vermieden. Links unter dem Kreuz Christi sitzt der offensichtliche Anführer der Schar (eine verbesserte Replik des Pilatus auf fol. 149r von Ms. Ludwig IX 18, Abb. 138) auf einem prachtvollen, nach rechts gewandten Schimmel und disputiert mit einem hinter dem Kruzifix frontal auf seinem Braunen hockenden Pharisäer, der von hinten mit erhobenem Zeigefinger und unwirscher Miene auf den Gekreuzigten weist. Vor ihm, unmittelbar am Kreuzstamm, steht ein einzelner Soldat, während hinter ihm, in einiger Distanz, eine ganze Truppe frontal wiedergegebener Berittener mit Wimpeln das Kreuz gleichsam von fern flankiert. Die blau-rote Uniform dieser nur ganz klein gezeigten, aber zentral positionierten Reiterei mit schwarzen Zylindern kann kein Zufall sein. Vielleicht ist hier eine Bruderschaft gemeint, die dem historischen Geschehen in zeitgenössischer Tracht beiwohnt. Links im Hintergrund ist eine Felswand zu sehen, auf deren Kuppe sich einige Figuren tummeln und deren rechter Abschluß mit einem Bäumchen wie ein Zitat desselben Motivs im rechten Randleistenbereich der Spinola-Kreuzigung anmutet. Rechts neben der mutmaßlichen Bruderschaft öffnet sich ein Fernblick auf Jerusalem und zackige Bergspitzen dahinter. Ganz an den linken Bildrand gedrängt, hinter dem linken Schächerkreuz, stehen im Mittelgrund Maria, Johannes und zwei Frauen. Maria wendet sich nach außen ab, die beiden Frauen wischen sich die Tränen aus dem Gesicht, und nur Johannes wagt einen Blick auf die Feinde des Herrn. Der Ausdruck seines nur ganz klein wiedergegebenen Gesichts ist so markant, daß sich der Grund für die Isolierung der Trauernden daraus ohne jeden Zweifel ablesen läßt  : Es ist eine Mischung aus Angst, Vorsicht und Kummer, die sich auch in seiner Gebärde (mit der er Maria beschützend und beruhigend am Arm ergriffen hat) spiegelt. Wer immer diese Physiognomie gemalt hat, die trotz ihrer geringen Größe einen psychischen Zustand so einfühlsam wiederzugeben vermag, hat sein Handwerk so meisterhaft verstanden, wie es bislang in keiner anderen Miniatur im Œuvre des Jakobsmeisters vorzufinden war. Analysiert man das Raumverständnis, das hier wirksam wird, so trifft man auch diesbezüglich auf Neues, das sich allerdings bereits bei der Analyse der Pfingstminiatur im selben Gebetbuch abzeichnete. Auffallend ist die Ambivalenz von raumhaltigen Motiven und einer eigentümlich flächenhaften Umsetzung  ; noch bemerkenswerter, weil deutlich von allen bisher im Œuvre des Jakobsmeisters untersuchten Miniaturen abweichend, ist die Tatsache, daß die Bildorganisation nicht mehr mit der Raumorganisation konformgeht. Die Koexistenz von raumschaffenden und flächenkonstituierenden Faktoren läßt sich anhand der Gruppierung der Akteure besonders deutlich aufzeigen. Grundsätzlich legen die Reiter vorne, unterhalb und hinter dem Kreuz Christi nahe, daß so etwas wie ein Halbkreis, in jedem Fall aber eine räumliche Gruppierung um das Kruzifix existierte. Betrachtet man jedoch die einzelnen Personen

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und ihre Aktionen, so wird diese räumliche Anordnung durch nichts unterstützt. Die vorderen Berittenen ziehen nach rechts ab  ; obwohl ein leichter Einwärtstrend in ihrer Bewegung und zudem Jerusalem rechts hinten in der Ferne auszunehmen ist, verbinden keinerlei Raumvektoren oder sonstige Kompositionslinien die Reiter mit ihrem mutmaßlichen Ziel. Ein bezeichnendes Detail ist, daß der auf den rechten Bildrand zulaufende helle Wegstreifen, bis dahin ansteigend, just am Rahmen gerade nach rechts weiterzuführen scheint  ; zudem durchzieht er den Vordergrund als ein zwar geschwungener, aber grundsätzlich bildparalleler Streifen. Auch in der Ferne ist keinerlei Wegstück zu sehen, das die Ausrichtung nach rechts lediglich als Umweg ausweisen würde. Verstärkt wird diese seitliche im Gegensatz zu einer Einwärtsorientierung noch dadurch, daß die Hügelkante hinter den Kreuzen schräg nach rechts unten abfällt. Auch wenn man sie nicht zugleich räumlich (also von hinten nach vorne verlaufend) liest, ergibt sich zusammen mit dem Pfad und den Reitern eine Pfeilwirkung gerade nach rechts. Auch das Plateau, das die mit Zylindern adjustierten Berittenen trägt, verjüngt sich nicht kontinuierlich nach hinten, sondern bricht nahe am rechten Bildrand (hinter dem rechten Schächerkreuz) im gleichen Winkel wie der Pferdekopf vor ihm nach rechts unten (vorne) ab. Zwar ziehen die beiden hintereinander angeordneten (in ihrer Farbintensität sukzessive abnehmenden, durch Kanten getrennten) Terrainstücke den Blick in die Tiefe. Doch läßt sich die Raumorganisation als eine Abfolge letztlich bildparallel arrangierter Ebenen beschreiben, wobei die alternativ von links nach rechts oder aber senkrecht zur Bildfläche, also frontal agierenden bzw. wiedergegebenen Figuren wesentlich an diesem Raumeindruck mitwirken. Die für die Bildwirkung wie für die Erzählung entscheidende Kompositionslinie verläuft demgegenüber entlang jener dominanten Hügelkante, hinter der als erster markanter Blickfang die heilige Trauergruppe steht und die sodann die Reiter unter dem Kreuz und schließlich den abziehenden Trupp hinterfängt. Eine steilere kompositionelle Verbindung ist zudem über den Blick des umgewandten Schimmelreiters auf der Mittelachse hin zu dem Anführer unter dem Kreuz und zur Trauergruppe gegeben. Liest man sie räumlich (was durchaus naheliegt), so führt dieser (freilich durch ein frontales Motiv nach dem anderen gebremste) Tiefenzug nach links hinten, also in eine andere Richtung als das Ziel der Aufbrechenden und in eine andere Richtung als der Fernblick. Es mag in diesem Zusammenhang aufschlußreich sein, daß die Figuren auf der linken Felserhebung ganz im Gegensatz zu ihren Pendants im Spinola-Stundenbuch oder auch im Rothschild-Gebetbuch nicht nach vorne, sondern in verschiedene Richtungen nach hinten gewandt, also im Begriff sind, über die Felskuppe aus dem Blick des Betrachters zu entweichen und nicht wie bisher in sein Gesichtsfeld zu treten. Der Illuminator schuf also auf fol. 17v von Cod. Vind. 1858 ein durchaus räumliches Bildgefüge, an dessen Organisation seine Akteure aber keinen wesentlichen Anteil haben. Auf eine andere Art als im Spinola-Stundenbuch bewegen sie sich frei in diesem Raum  : nicht wie in Ms. Ludwig IX 18 ihn annehmend und insofern noch ausbauend, sondern in gewisser Weise unabhängig davon, auf ihre eigenen Verbindungen und Aktionen konzentriert. Somit scheint es möglich, in den beiden dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen in Cod. Vind. 1858 eine nächste Entwicklungsstufe nach der Ausstattung des Spinola-Stundenbuchs zu erkennen. Dies ist deshalb interessant, weil motivisch eine gewisse Nähe zum Grimani-

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Brevier besteht, dessen Entstehung zwischen 1515 und 1520 angenommen wird. Der Vergleich zwischen Croy-Gebetbuch und Breviarium Grimani soll diesen Abschnitt abschließen und indirekt auch zur Positionierung des Spinola-Stundenbuchs beitragen. Grundsätzlich scheinen die beiden Kreuzigungsdarstellungen – jene auf fol. 17v von Cod. Vind. 1858 (Taf. XXIII) und jene auf fol. 138v des Ms. lat. I. 99 der Biblioteca Marciana in Venedig (Abb. 139) – wenig miteinander gemeinsam zu haben. Vorangestellt muß der in diesem Fall ganz beträchtliche Größenunterschied zwischen den beiden Bildern werden  : das Bildfeld des Breviers mißt ca. 18 x 12,5 cm, jenes im Croy-Gebetbuch 10 x 6 cm290, womit ersteres in etwa doppelt so groß ist wie zweiteres. Weiterhin zeigen die beiden Miniaturen große ikonographische Unterschiede  : Der (ein berühmtes Vorbild zitierenden291) Kreuzigung mit Gedräng steht der Abzug der Schergen nach dem Tod Christi gegenüber. Die GrimaniMiniatur ist zudem erzählerisch präzise  : Es ist jener Augenblick dargestellt, in dem der soeben eingetretene Tod des Heilands vor seinen versammelten Feinden durch den Lanzenstich bestätigt wird. Dabei verzichtet der Illuminator auf eine explizite Schilderung des diabolischen Hohnes, den das Ableben Christi im eyckschen Diptychon (Abb. 140) hervorruft. Vielmehr werden die Zuschauer einfach als Rohlinge charakterisiert, deren gelegentliches Grinsen ihnen eher ein dümmliches denn ein teuflisches Aussehen verleiht, was der Komposition etwas von der Spannung des Vorbilds nimmt. Dennoch bleibt im wesentlichen ein Handlungsschwerpunkt gewahrt, in vielen Schattierungen, aber (sieht man von den Würfelspielern ab) ohne weitere narrative Bereicherungen kolportiert. Die demgegenüber komplexere Erzählung der Croy-Miniatur mit zwar weniger, dafür aber in verschiedene Handlungen verstrickten Akteuren gleicht diesbezüglich eher den Lösungen der jüngeren Tafelmalerei, etwa dem Joos van Wassenhove zugeschriebenen Kreuzigungstriptychon in Gent292 (wo etwa der Dialog des Schimmelreiters und eines zweiten Pharisäers unter dem Kreuz bis hin zur Blesse des frontal gezeigten Braunen vorweggenommen ist, aber auch diverse Sub-Aktionszentren gegeben sind) oder dem Dirk Bouts zugeschriebenen Leinwandbild in Brüssel293 (wo die Position der beiden disputierenden Schlüsselfiguren unter dem Kreuz entsprechend vorgegeben ist). Ungeachtet dessen will es scheinen, daß der Illuminator der CroyVersion auch das eycksche Vorbild gekannt, wenn auch nicht explizit zitiert hat  : So dürften seine beiden Schimmel jenen der eyckschen Tafel nachempfunden worden sein, desgleichen die Haltung der beiden Schächer am Kreuz mit deutlich emporgezogenen Armen. Obwohl in Cod. Vind. 1858 nur angedeutet, ist dieses Detail doch singulär im früheren Œuvre des Jakobsmeisters, in dem die beiden Gemarterten sonst stets mit seitlich ausgebreiteten Armen gezeigt sind. Somit wäre die einzige Alternative zu einer Kenntnis der eyckschen Vorlage durch den 290 Eigene Abmessungen. Sie divergieren von den Angaben für den Schriftspiegel des Breviers in London – Los Angeles 2003, S. 420 beträchtlich, von jenen für den Schriftspiegel des CroyGebetbuchs in Wien 1987, S. 117 nur minimal. 291 Vgl. oben S. 304 ff. 292 Belting – Kruse 1994, Taf. 160–161, S. 222 f. 293 Ebenda, Taf. 143, S. 208–211.

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Croy-Illuminator die Übernahme des Motivs aus dem Grimani-Brevier, das auch diesbezüglich weit mehr Ähnlichkeit mit der New Yorker Tafel als die Wiener Handschrift aufweist und das Motiv somit eindeutig von dort und nicht etwa aus dem Croy-Gebetbuch hat. Die Kenntnis der Grimani-Version würde allerdings bedeuten, daß Cod. Vind. 1858 nach dem in Venedig aufbewahrten Brevier entstand, ein Schluß, der vorläufig nicht gezogen werden soll. Wie dem auch sei, zweifellos stehen einander das Croy-Gebetbuch und das Grimani-Brevier in vieler Hinsicht nahe. Am offensichtlichsten ist die Ähnlichkeit der Rahmungen. Zwar sind fingierte, die gesamte Marginalzone okkupierende Holzrahmen mit eingeschriebenen braunmonochromen (also scheinbar geschnitzten) Szenen ein fester Bestandteil der flämischen Buchmalerei um 1500. Doch setzen die eindeutig renaissancehaften Züge, die diesen gegenständlich umgedeuteten Randleistenbereich sowohl der Croy- als auch der GrimaniMiniatur auszeichnen, erst ab einem bestimmten Zeitpunkt ein – in der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Werkgruppe just mit diesen beiden Handschriften294. Dabei ist zwar die Bildhaftigkeit der Darstellung im Grimani-Brevier durch die Dreidimensionalität des nach vorne zu auskragenden Rahmengebildes größer als jene der Croy-Miniatur. Doch beweist letztere mit den Girlanden schwingenden Putten und den komplizierten Architekturelementen eine intensivere Auseinandersetzung mit der neuen Formensprache als die zwar durchwegs von Renaissancemaßwerk umgebenen, sonst aber unspezifisch präsentierten Rahmenszenen im Grimani-Brevier. Zudem scheint es, daß in beiden Fällen dieselbe Hand für diesen Bereich zuständig war – eindeutig ein Mitglied der Jakobsmeister-Werkstatt, aber nicht mit den Illuminatoren der polychromen Kernminiaturen identisch, die, im Gegensatz zum Randzonenspezialisten, durchaus unterschiedliche künstlerische Auffassungen vertraten. Zwar wird in beiden Kreuzigungsdarstellungen der Suggestion von Raum keine wesentliche Bedeutung beigemessen. Doch kommt dies auf jeweils ganz unterschiedliche Weise zum Ausdruck. Während im Grimani-Brevier nicht mehr als eine Vordergrundbühne und ein kulissenhafter Hintergrund existieren, zeigt sich das Bild im Croy-Gebetbuch in mehrere Raumebenen gegliedert, die logisch und glaubhaft ineinander übergehen und keineswegs abrupt voneinander abgesetzt sind. Auch der in beiden Fällen prinzipiell „antiräumliche“ Einsatz der Figuren ist nicht gleich. Im Grimani-Brevier wird – in Überbietung des eyckschen Vorbildes, in dem eine ähnliche Gruppierung der Akteure anzutreffen ist – eine Menge von Figuren gezeigt, die letztlich in zwei Reihen übereinander gestaffelt sind und die gesamte Bildbreite als einheitliches Figurenband durchmessen. Dabei sind aber die vorderen Protagonisten (bzw. ihre Pferde) in extrem raumgreifenden Posen gegeben, wodurch zumindest die den Betrachtenden am nächsten gelegene Ebene stark verräumlicht wird, wenn dies auch für die Gesamtkomposition von untergeordneter Bedeutung bleibt. Im Croy-Gebetbuch wird nachgerade das gegenteilige Prinzip verfolgt. Dort agieren speziell die Figuren flächenkonform. So sind etwa alle verkürzt dargestellten Pferde entweder großteils verdeckt (wie der Braune des gesti294 Die ebenfalls eigenhändig (d. h. im engen Kreis des Jakobsmeisters ausgeführte) fingierte Relief­ rahmung der Mater dolorosa auf fol. 145v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 54) weist demgegenüber ein durchgehend spätgotisches Formenrepertoire auf.

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kulierenden Pharisäers) oder aber in einer solchen Entfernung (i. e. so klein) wiedergegeben, daß ihre durchaus überzeugende räumliche Stellung in einer Front aus Leibern aufgeht (wie bei der Reiterei im Hintergrund ersichtlich). Wirklich unvereinbar in den beiden Bildern ist jedoch die Malweise und bis zu einem gewissen Grad auch die Figurentypik. Letztere ist zwar verwandt, jedoch nicht identisch. Es gibt bestimmte Physiognomien, die einander ähneln, wie etwa der Mann unmittelbar neben dem linken Schächerkreuz in der Grimani-Miniatur und der unter dem Kruzifix Gestikulierende auf fol. 17v von Cod. Vind. 1858. Auch eine Monumentalisierung (und – renaissancehafte  ? – Idealisierung) der drei Gekreuzigten trifft in beiden Fällen zu. Grundsätzlich hat sich der Gesichtsschnitt der Figuren im Grimani-Brevier gegenüber den früheren Werken des Jakobsmeisters aber auffallend verändert. Dies beginnt bei Einzelheiten wie den nun verhältnismäßig kleinen Augen und endet bei einer geradezu teigigen Struktur der Physiognomien. Ganz anders ist schließlich die malerische Umsetzung der beiden Miniaturen. Im Croy-Gebetbuch werden in einer charakteristisch losen Faktur sowohl plastische Prägnanz als auch zauberhafte Oberflächeneffekte von höchster Qualität erzielt. Demgegenüber wirkt der Farbauftrag im Grimani-Brevier gestrichelt und dicht, ohne aber den Formen eine klare dreidimensionale Struktur oder den Oberflächen eine fühlbare Stofflichkeit zu verleihen. So wie der Himmel eine fahle stahlblaue Fläche bleibt, die nichts mit dem atmosphärisch sich aufhellenden, von Wolken durchzogenen Firmament der Croy-Miniatur gemeinsam hat, so bleiben auch die Materialien zwar buntfarbig differenziert, aber an vielen Stellen ohne den meisterhaften Schmelz, der allem Seienden im Croy-Gebetbuch eignet. Es ergeben sich wie bereits bei dem Vergleich zwischen der Kreuzigung auf fol. 56v des Spinola-Stundenbuchs und jener des Grimani-Breviers auch hier zwei prinzipielle Deutungsmöglichkeiten des Sachverhalts  : Entweder, das Croy-Gebetbuch wurde zu einem anderen Zeitpunkt als das Brevier illuminiert (wobei die zeitliche Distanz zwischen den beiden Ausstattungen auch in diesem Fall eine große zu sein scheint, wenn man die Gestaltungsprinzipien der Miniaturen als Grundlage der Schlußfolgerung heranzieht, und gering wirkt, wenn man die Rahmung in den beiden Fällen in Betracht zieht). Oder aber, man nimmt zwei verschiedene Künstler als Ausführende an. Zweiteres erscheint tatsächlich hochgradig plausibel, wie noch zu zeigen sein wird. Im Augenblick ist jedoch die Frage nach der Eigenhändigkeit auch in Bezug auf die vordringlich in diesem Abschnitt behandelten Handschriften von einiger Bedeutung. Sie muß als Korrektiv für jene Chronologie berücksichtigt werden, die sich vorläufig abzuzeichnen scheint und hier noch einmal rekapituliert werden soll.

Zusammenfassung Ausgangspunkt des Abschnitts war Cod. Vat. Lat. 3770–68, dessen Entstehung um 1500 mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Die durch historische Fakten nahegelegte Datierung des Jakobsgebetbuchs Cod. Vind. 1897 um 1503 ließ sich eher anhand der Werkstatt­

Zusammenfassung

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arbeit auf fol. 104v (Taf. II) (deren Gestaltungsprinzipien eine linieare Weiterentwicklung der im vatikanischen Stundenbuch manifesten erkennen lassen) denn anhand der eigenhändigen, namensgebenden Darstellung des schottischen Königs auf fol. 24v (Taf. I) bestätigen. Letztere, offenbar auf Grund der Aufgabenstellung ein Ausnahmewerk, zeigt neben einer eklatanten und nur schwer deutbaren Unräumlichkeit auch ein besonderes Augenmerk auf die stoffliche Wiedergabe des Dargestellten, etwas, das gesteigert (und gebrochen durch die enorme Oberflächenqualität der Malerei per se) im Rothschild-Gebetbuch ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 wiederkehrt. Da die in den Rothschild-Miniaturen manifeste künstlerische Auffassung sich von jener im Vaticanus (und im Jakobsgebetbuch) bereits weitgehend unterscheidet, dabei jedoch davon ableitbar ist, schien eine Datierung um die Mitte des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts plausibel. Demgegenüber ließ sich das Rothschild-Stundenbuch in der British Library, Add. Ms. 35313 – eine Werkstattarbeit unter Beteiligung eines überragenden, hier erstmals faßbaren Mitarbeiters unseres Künstlers – nur mit Vorbehalten in denselben Zeitraum datieren295. Auch im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch dürften zwei Illuminatoren des Jakobsmeister-Teams tätig gewesen sein, daneben vielleicht ein Gehilfe – der allerdings auch mit einem der beiden Hauptmeister gleichgesetzt werden könnte, sofern man diesem stärkere qualitative Schwankungen einräumt. Letzteres wird vielleicht dadurch bestätigt, daß dieser zweite Maler im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 anscheinend relativ exakt ältere Vorlagen wiederholte, was im Œuvre des Jakobsmeisters selten ist. Zwei nachträglich eingebundene Miniaturen im ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch stammen ebenfalls aus dem engsten Kreis unseres Künstlers. Die mit dem Jakobsmeister in Verbindung zu bringenden Miniaturen in Cod. Vind. 1887 und in Poitiers Ms. 57/269 sind im Hinblick auf ihre Gestaltungsprinzipien zwischen dem Rothschild-Gebetbuch und dem Spinola-Stundenbuch positionierbar, wobei mit dem Fragment in Poitiers zugleich ein zeitlicher Anhaltspunkt, nämlich 1510, gegeben wäre. Das allerdings erscheint spät, wenn man bedenkt, daß die Miniaturen dieses heute aufgeteilten Stundenbuchs dem Rothschild-Gebetbuch, ja bis zu einem gewissen Grad sogar dem vatikanischen Stundenbuch, ebenso nahestehen wie dem Spinola-Stundenbuch, das seinerseits am plausibelsten um 1510 anzusetzen wäre. Dieser Sachverhalt läßt sich m. E. nicht einfach damit erklären, daß die Miniaturen in den beiden Fragmenten von einem Mitarbeiter des Jakobsmeisters gemalt seien, obgleich das natürlich nach allem, was bisher bezüglich seiner Arbeitspraktiken offenbar wurde, nicht ausgeschlossen ist. Dennoch scheint eine Ausführung durch einen (noch jungen, besonders talentierten) Doppelgänger eher für die Miniaturen im Stundenbuch in Cambridge Ms. 1058–1975 zuzutreffen, das im unmittelbaren Umkreis von Ms. Ludwig IX 18 entstanden sein dürfte und von einem der im Spinola-Stundenbuch 295 Etliche Faktoren legen eine Datierung noch ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts nahe  ; andere, die für eine spätere Entstehung sprechen, werden im nächsten Abschnitt behandelt. Die Unsicherheiten bezüglich der zeitlichen Ansetzung resultieren daraus, daß Add. 35313 als Gehilfenproduktion nur bedingt mit der Chronologie im Jakobsmeister-Œuvre in Beziehung gesetzt werden kann.

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beteiligten Mitarbeiter des Jakobsmeisters illuminiert worden sein könnte. Das Spinola-Stundenbuch scheint den bisher hier angestellten Untersuchungen zufolge um 1510 datierbar  ; man könnte es nur dann ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts rücken, wenn man das Croy-Gebetbuch in dessen zweite Hälfte datiert, was aus mehreren Gründen nicht sehr plausibel erscheint. Der vorliegende Abschnitt brachte also wichtige Erkenntnisse bezüglich der Chronologie der noch erhaltenen Arbeiten des Jakobsmeisters und seines Teams  ; dennoch war es nicht möglich, die Entstehungszeit des Spinola-Stundenbuchs Ms. Ludwig IX 18 einwandfrei festzulegen. Dies wohl deshalb, weil hierfür die Kenntnis nicht nur der früheren, sondern auch der späteren Arbeiten des Jakobsmeister-Teams unerläßlich ist. Somit werden die folgenden Kapitel, die dieser späteren Handschriftengruppe gewidmet sind, auch Licht auf die hier, im zweiten Abschnitt, behandelten Probleme rund um das Spinola-Stundenbuch und die anderen Arbeiten der „mittleren“ Schaffensperiode unseres Illuminatorenteams werfen.

III

Die späte Gruppe Das Breviarium Grimani Im wesentlichen herrscht in der Literatur Konsens darüber, welche Miniaturen im umfangreichen Bilderzyklus des Breviarium Grimani der Biblioteca Nazionale Marciana, Venedig, Ms. lat. I. 99, dem Jakobsmeister (bzw. Gerard Horenbout) zuzuschreiben sind296. Sein Anteil umfaßt die Ausstattung des Kalenders mit Vollbildern auf den Verso- und szenischem Randleistenschmuck auf den Recto-Seiten297, die ganzseitigen Miniaturen (mit den auf unterschiedliche Arten szenisch bereicherten Rahmungen) auf fol. 43v (Geburt Christi, Abb. 151), fol. 138v (Kreuzigung Christi, Abb. 139), fol. 139r (Moses und die Eherne Schlange, Abb. 152), fol. 206r (Der Turmbau zu Babel, Abb. 153) und fol. 449v (Sterbeszene, Abb. 154) sowie die Textminiaturen auf fol. 636r (Anna Selbdritt, Abb. 155), fol. 744r (die Heiligen Cosmas und Damian) und fol. 754r (der heilige Remigius)298, die eindeutig Gehilfenarbeit, also von abweichender Formensprache und Qualität, sind. Wie schon im Croy-Gebetbuch handelt es sich auch in diesem Fall nur um einen kleinen Anteil am gesamten Buchschmuck, an dem eine größere Anzahl von Illuminatoren mitgearbeitet hat299. Obwohl die Schwierigkeiten eines Vergleichs zwischen dem Grimani-Brevier und dem Croy-Gebetbuch selbst anhand der themengleichen Miniaturen der Kreuzigung Christi of296 London – Los Angeles 2003, S. 420–424 (Nr. 126), S. 529 (mit umfassenden Literaturangaben). 297 Abb. bei Salmi-Mellini 1972 (Teilfaksimile). 298 Abb. der beiden Textminiaturen ebenda. 299 Vgl. dazu den neuesten Stand der Forschung in London – Los Angeles 2003, S. 420–424, vor allem Th. Krens plausible Interpretation des Sachverhalts im Hinblick auf die Identifizierung des in der Handschrift durch eine Inschrift belegten Alexander Bening mit dem Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilans I.; auch Simon Bening und Gerard David werden eine Anzahl an Miniaturen zugeschrieben. Der nach seinen Arbeiten im Brevier benannte Meister der Davidszenen wird von E. Morrison als Nachfolger des Jakobsmeisters bezeichnet  ; ob damit ein Lehrer-Schüler-Verhältnis gemeint ist, wird nicht klar. Die erhaltenen Arbeiten der frühen Gruppe geben keinerlei Hinweise darauf, daß der Meister der Davidszenen zu den Mitarbeitern unseres Künstlers gehört hätte, obwohl sich eine gewisse motivische Abhängigkeit des vielleicht jüngeren Malers vom Jakobsmeister mitunter sogar auf die Gestaltungsprinzipien auswirkt. Daß diese jedoch offenbar stets zu ganz anderen Zeiten übernommen wurden, als sie bei unserem Illuminator aktuell waren, spricht eher dafür, daß der Jakobsmeister einfach ein Künstler war, für den sich der Meister der Davidszenen sehr interessierte (und in dessen materieller Nähe – vielleicht in derselben Stadt – er sich folglich befunden haben dürfte).

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Die späte Gruppe

Abb. 151: Geburt Christi; Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimani-Brevier, fol. 43v.

Abb. 152: Moses und die Eherne Schlange; Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimani-Brevier, fol. 139r.

fensichtlich waren, soll die Auseinandersetzung mit den dem Jakobsmeister zugeschriebenen Arbeiten im Marciana Ms. lat. I. 99 doch mit der Gegenüberstellung dieser beiden Handschriften begonnen werden, zumal eine gewisse zeitliche Nähe zwischen ihnen bestehen dürfte. Die Darstellung zum Monat Januar auf fol. 1v des Breviers (Abb. 156), die das Bankett eines vornehmen Herrn zeigt, offenbart gewisse Gemeinsamkeiten mit der Pfingstminiatur in Cod. Vind. 1858 (Taf. XIX). Beide Bilder sind von Renaissancerahmen umgeben, mit dem Unterschied, daß im Grimani-Brevier die Rahmenleiste selbst das entsprechende Formengut aufweist, während es im Croy-Gebetbuch nur innerhalb des den gesamten Randleistenbereich okkupierenden rechteckigen Gebildes auftritt. Beide Miniaturen zeigen ein tonnengewölbtes Interieur mit einem Kamin, wobei der Gurtbogen im Brevier allerdings quer zur Bildfläche, die Tonne also bildparallel, verläuft und der Kamin frontal gegeben ist, während es sich im Gebetbuch um eine Längs- (also in Raumrichtung verlaufende) Tonne und um einen räumlich verkürzten Kamin handelt. Im Brevier wird dieser Feuerplatz entsprechend der Jahreszeit beheizt, im Gebetbuch ist er (ebenfalls entsprechend der Jahreszeit) mit einem grünen, floral gemusterten Tuch verhängt. Ein ebensolches Tuch ist auch im Brevier zu bemerken, wo es als Vorhang dient, der die dargestellte von einer angrenzenden Räumlichkeit trennt. Eine weitere, weniger spezifische motivische Übereinstimmung stellt die beide Male ähnlich

Das Breviarium Grimani

Abb. 153: Turmbau zu Babel; Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I.99, Grimani-Brevier, fol. 206r. Abb. 154: Sterbeszene, Jagdunfall (Die Drei Lebenden und die Drei Toten); Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I.99, GrimaniBrevier fol. 449v. Abb. 155: Anna Selbdritt: Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimani-Brevier, fol. 636r.

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geformte, gedeckte und verkürzt wiedergegebene Anrichte an der jeweils linken Seitenwand der beiden Bilder dar, wie überhaupt die akribische Schilderung der Gebrauchsund Schmuckgegenstände des adeligen oder auch großbürgerlichen Alltagslebens sowohl in der klein- als auch in der großformatigen Miniatur zu den wesentlichen Merkmalen zählt. Und nicht zuletzt zeichnen sich beide Darstellungen durch eine kräftige Buntfarbigkeit aus, wobei den Primärfarben Rot und Blau eine dominierende Rolle im Bildgefüge zugeordnet, dem Gelb (das wohl im weiteren Sinne durch die Goldfarbe ersetzt ist) aber jeweils relativ wenig Platz eingeräumt wird und statt dessen intensive Grüntöne bevorzugt werden. Der feine Farbensinn des Illuminators tritt in der Grimani-Miniatur in den vielen Zwischentönen (gerade zwischen Abb. 156: Kalenderminiatur Jänner; Venedig, Rot und Blau) zutage, die von hellen RotBiblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimaniüber Rosa- und Violett- bis hin zu BlauBrevier, fol. 1v. grauwerten reichen. Im Croy-Gebetbuch erscheint die Farbigkeit etwas vielfältiger, speziell durch die Modellierung mancher Grün- mit Gelbtönen, durch eine etwas reichhaltigere Gelb-Braun-Palette und durch die prominente Verwendung eines kalten Graublaus im Vordergrund. Der eklatanteste Unterschied zwischen den beiden Bildern offenbart sich in der Organisation des Raumes. Sie ist im Grimani-Brevier trotz einer weitgehend überzeugenden perspektivischen Wiedergabe des Mattenfußbodens, des Tisches und der vom Hausherrn okkupierten Bank extrem flächenhaft. Dies wird durch die frontale Darstellung der den Raumeindruck dominierenden Gegenstände (wie des Tisches oder des Baldachins) bewirkt, aber auch durch die bildparallele Aktion der Protagonisten. Bewegungen vollziehen sich im Gleichklang (wie die der hintereinandergestaffelten Akteure rechts außen), und das Zueinander der Figuren ist nie räumlich, sondern stets flächenhaft nebeneinander organisiert. Das beste Beispiel ist der in seiner Frontalität für raumorientierte Handlungen prädestinierte Hausherr, der indes – ohne Sichtkontakt mit ihm aufzunehmen – mit dem neben ihm stehenden Truchseß kommuniziert. Oder die jungen Diener, die soeben das Zimmer mit weiteren Speisen betreten und somit nicht nur eine in den (richtiger  : aus dem) Raum gerichtete Bewegung vollziehen, sondern sich noch dazu in jenem linken Teilstück der Miniatur befinden, wo die ganze Tiefe der Kammer von vorne nach hinten einsehbar ist (ohne durch eine einzige konsequent durchgezogene Fluchtlinie veranschaulicht zu werden). Das Eintreten dieser Männer wird durch

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mehrere Faktoren so sehr gebremst, daß sie letztlich als frontales (und damit flächenkonstituierendes) und nicht als raumsuggerierendes Motiv wahrgenommen werden. Zum Einen sind alle drei prinzipiell bloß als Büsten auszunehmen, der erste (zur Gänze sichtbare) deshalb, weil er genau dort, wo die anderen verdeckt sind, von der horizontalen Linie des Speisentabletts über- und damit abgeschnitten wird. Der Kopf des Kämmerers, der räumlich vor ihm bei der mit Geschirr beladenen Anrichte steht, erscheint de facto wie ein weiterer Bestandteil dieses aus Köpfen gebildeten Flächenmusters. Besonders deutlich wird die Verflächigung räumlicher Motive bei der Anrichte selbst. Wir sehen zuerst ihre frontal gegebene Breit- Abb. 157: Kalenderminiatur Jänner; Chantilly, seite und dann ihre verkürzte Front, deren Musée Condé, Ms. 65, Très Riches Heures des Duc de Berry, fol. 1v. Kante jedoch (ganz im Widerspruch zu aller perspektivischen Logik) auf einer Linie mit der Kante der Breitseite liegt und diese Linie darüber hinaus einen exakten rechten Winkel zum vertikalen linken Miniaturrahmen bildet. Der darüber befindliche, untersichtig verkürzte Baldachin schließt an seinen Kanten exakt mit dem frontal dahinter gezeigten Türrahmen ab, während seine nach vorne ragende Ecke von der an dieser Stelle angebrachten linken Fiale des Miniaturrahmens überschnitten ist. Durch all dies wird die räumliche Stellung des Gebildes maximal herabgespielt, seine flächendekorative Wirkung hingegen bis zur Verfremdung seiner räumlichen Position gesteigert. Diese extreme Verflächigung ließ sich in eben dieser Form bislang nur einmal im Œuvre des Jakobsmeisters feststellen, und zwar in der Darstellung Jakobs IV. von Schottland auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I). Dabei fehlten dort jedoch die forcierten Perspektivkonstruktionen, die im Januarbild des Grimani-Breviers durchaus vorhanden, nur ihrer Wirkung weitgehend beraubt sind. Nun wäre zu überlegen, inwiefern das in diesem Fall ebenfalls bekannte und ganz sicher bewußt zitierte Vorbild (nämlich das Januarbild auf fol. 1v der Très Riches Heures des Duc de Berry, Chantilly, Musée Condé, Ms. 65) (Abb. 157) auf die Gestaltungsprinzipien der Grimani-Januarminiatur Einfluß nahm. Sowohl die grundsätzliche Disposition des Interieurs als auch die Aktionen zahlreicher Protagonisten sind eindeutig übernommen  : Oft mit überraschender Wortwörtlichkeit, wie die linke Stützkonstruktion des identisch positionierten, verkürzten und sogar gedeckten Tisches oder die mit kostbarem Geschirr beladene Anrichte links. Häufig zumindest in deutlicher Anspielung, wie der ein weißes, mit breitem kostbarem Halsband versehenes Windspiel fütternde Diener rechts oder die Handlungen der Figuren hinter dem Tisch und selbst der in der früheren Handschrift als (einem feinen Herrn zur

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Hand gehender) Mundschenk angelegte, im Brevier als (einen weiteren Hund fütternder) Falkner umgedeutete Mann links vorne. Oft auch mit erstaunlicher Freizügigkeit, wie der Dialog des Hausherrn mit der jeweils rechts von ihm, also links am Tisch, befindlichen Person – im einen Fall ein Kardinal, im anderen wohl der Kämmerer, wobei der Rangunterschied dieser beiden in ihrer unterschiedlichen Position deutlich zum Ausdruck kommt – oder die Aktion der im linken Hintergrund befindlichen Gefolgsleute. Auch arbeiten die beiden Illuminatoren prinzipiell mit ähnlichen Mitteln  : Zum einen verwenden beide raumsuggerierende Elemente wie das perspektivisch verkürzte Mobiliar (zu dem auch der jeweilige die Hauptperson auszeichnende Baldachin zu zählen ist) und räumlich gedrehte und (durch konkrete Positionierung in Bezug auf diese Gegenstände) auch raumorientiert agierende Figuren. Zum anderen gibt es in beiden Bildern zahlreiche Faktoren, die die räumliche Wirkung unterlaufen. Sie gleichen einander grundsätzlich ebenfalls  : einerseits perspektivische Inkongruenzen, andererseits die quasi raumlose, weil allzu dichte und so potentiell ein Flächenmuster ergebende Hintereinanderstaffelung der buntfarbig gekleideten Akteure. Dabei wirkt die Farbigkeit selbst in beiden Fällen flächenkonstituierend, wofür die beiden in identischen Rot-BlauTönen gekleideten Diener links vorne und links hinten im Grimani-Bild als Beispiel dienen mögen, die auf Grund der gleichen Farbintensität optisch auf einer Ebene erscheinen, in die sich auch der blaue Baldachin über der Anrichte links nahtlos einfügt. Wie weit diese Verflächigung allerdings konkrete Absicht ist, läßt sich nicht so leicht abschätzen. In den Très Riches Heures ist sie wohl ästhetisches Programm – indes ein zeitbedingtes und nicht ein bewußt den räumlichen Aspekten der Miniatur entgegengesetztes  ; diese sind eher als ein erster vorsichtiger Versuch zu deuten, sich auch mit neuen Gestaltungsprinzipien auseinanderzusetzen. Demgegenüber ist die Situation im Grimani-Brevier eindeutig anders. Wie immer man den Sachverhalt interpretieren will, eines steht fest  : Der Illuminator hat seine ältere Vorlage gerade bezüglich der Raum-, ja überhaupt der Realitäts-Auffassung explizit korrigiert, ebenso wie bezüglich der Erzählstruktur. Man mag das Ergebnis wie auch immer beurteilen, Tatsache ist, daß das bewußte Streben des späteren Malers danach ging, die dreidimensionale Wirklichkeit überzeugender als sein Vorbild wiederzugeben, und daß er darüber hinaus auch die Komposition der Vorlage zu verbessern trachtete. Ob er zuletzt auch noch versuchte, ungeachtet all seiner übrigen „Korrekturen“ doch auch die enorm flächendekorative Wirkung seines Vorbildes beizubehalten, darf bezweifelt werden  ; doch wird es mehr als eines Vergleichs bedürfen, um darauf eine überzeugende Antwort zu finden. Die Veränderungen im Grimani-Januarbild sind von einer erstaunlichen Zielgerichtetheit. Zwar übernimmt der Illuminator die Quertonne, die auch das Interieur in seinem Vorbild überspannt, doch setzt er in den Scheitel seiner Miniatur den räumlich verkürzten Gurtbogen. Der bildparallel verlaufende Mattenboden der Vorlage wird senkrecht zur Bildfläche gedreht und damit ebenfalls perspektivisch verkürzt wiedergegeben – ein entscheidender Schritt für eine miniaturübergreifende Raumsuggestion. Hinzu kommt, daß im linken Bildteil so viel Leerraum bleibt, daß der Verlauf des Bodens bis an das hintere Ende des Raumes sichtbar wird. Mit dem grundsätzlichen Raumschema des Prototyps macht der Maler des GrimaniBildes somit ein für allemal Schluß. In den Très Riches Heures ist ein wesentliches Element

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der Raumgestaltung die Abfolge mehrerer per se (etwa durch die Verkürzung des Tisches und der Anrichte, aber auch durch die hintereinander gelegten Stränge des Bodens) räumlich definierter, dabei aber bildparalleler Schichten, deren Tiefe nach hinten zu immer unbestimmter wird, was an der Rückwand des Zimmers maximal zum Ausdruck kommt  : Statt einer senkrechten Fläche, die einem potentiellen Tiefenschub Einhalt gebieten könnte, befindet sich dort eine weitere Raumschicht in Form eines (echten oder als Wandgemälde vorgetäuschten) Bildteppichs, der das unklare Changieren zwischen räumlichen und flächigen Werten in der dargestellten Realität davor im fingierten Geschehen dahinter nahtlos fortsetzt. Man wird sich fragen dürfen, was der Grimani-Illuminator von einer solchen Lösung hielt. Mit Sicherheit werden ihm seine Sehgewohnheiten ein besseres Verständnis der LimburgMiniatur ermöglicht haben als uns Heutigen  ; auch an einer gewissen Wertschätzung kann eigentlich nicht gezweifelt werden. Umso bemerkenswerter ist, wie sehr er die Wesenselemente des Vorbildes verwar f. Nicht nur gestaltete er (mit den Bildelementen der Vorlage  !) einen grundsätzlich konsequent gedachten Tiefenraum, er sorgte auch mit Nachdruck für die klare Lesbarkeit des Dargestellten. Dient die Sichtbarmachung beider Breitseiten des Tisches noch der perspektivischen Klärung des Gebildes, ist das Weglassen der beiden Rückenfiguren, die im Limburg-Bild die Zurichtung der Speisen vornehmen, zugunsten der klaren Erzählung geschehen  : Der zentrale Tiefenzug führt im Grimani-Bild somit direkt und ungehindert zum Hausherrn, der darauf auch mit seiner fast frontalen Haltung reagiert. Diesem Hauptmotiv der Bilderzählung sind alle Figuren des Vordergrundes zugeordnet, auch der Falkner rechts. Er fungiert zugleich als Scharnier, das den Blick zum Submotiv der Darstellung (der Ankunft der Speisen) weiterleitet, das durch eine klare vertikale Zäsur vom Hauptgeschehen getrennt ist. Der konkreten Definition der räumlichen Situation entspricht somit die Klarheit der Erzählung – und dem entspricht dann auch die klare Trennung des Dargestellten in lebende Personen und Artefakte. Um letzteres handelt es sich bei dem steinfarbenen Relief eines Turnierzweikampfes über dem offenen Kamin im Hintergrund, das in keiner Weise eine räumliche Konkurrenzsituation zum dargestellten Realraum kreiert, vielmehr als flächiger Abschluß desselben gelesen wird, und darüber hinaus auch in keiner Weise mit der Realität der dargestellten Personen kollidiert, mit der es trotz figürlicher Besetzung weder die Größe noch die plastische und farbige Präsenz gemeinsam hat. Vielmehr stellt es genau jenen flächigen Abschluß des Raumschubs dar, der in der Limburg-Miniatur so konsequent verweigert wird. Ein „Seitenblick“ auf das Bild vom Festmahl des Reichen und Lazarus auf fol. 21v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 158) zeigt, daß der Jakobsmeister dort eine ganz andere Raumsituation kreierte  ; daß er vor allem, dem schrägen Raumeinblick konform, die Längsachse des Tisches quer zur Bildfläche und damit parallel zur verkürzten rechten Seitenwand des von innen wie außen gezeigten Gebäudes anordnete. Auch die Bodenfliesen laufen parallel dazu schräg verkürzt nach hinten, aber nicht perspektivisch aufeinander zu. Dieser geringeren perspektivischen Ausrichtung wirkt allerdings umgekehrt entgegen, daß die Figuren mehr Platz (also Raum) um sich haben und daß sie den dargestellten Tisch regelrecht umkreisen – und zwar explizit, wie die Scharnierfigur des reichen Lazarus, der zwar noch an der Längsseite der Tafel sitzt, dessen Oberkörper aber bereits bis zur Schmalseite reicht und daher die

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Umrundung des Tisches an dieser Stelle eindringlich vor Augen führt. Ohne diesen Vergleich näher ausführen zu wollen, stoßen wir hier auf den bereits bekannten Unterschied zwischen einer (im Spinola-Stundenbuch) zentralräumlichen und einer (im GrimaniBrevier) tiefenräumlichen Auffassung, wobei allerdings nicht – wie bislang im Œuvre des Jakobsmeisters zu beobachten – ein frontalisierter Vordergrund mit einer singulären Tiefenflucht kombiniert ist, sondern zwei verschieden(wertig)e und jeweils durch verflächigende Momente beeinträchtigte bzw. massiv gebremste Tiefenzüge den Bildaufbau bestimmen. Diese Raumauffassung kann nicht vom Vorbild in den Très Riches Heures kommen, dessen Grundprinzip ein Hintereinanderstaffeln bildparalleler Schichten und daraus resultierend eine geradezu epische Breite ist, die sich auch in der unfokussierAbb. 158: Der reiche Mann und der arme Lazarus; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, ten Art der Bilderzählung widerspiegelt. Die Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, Frage ist vielmehr, ob die flächenkonstituiefol. 21v. renden Komponenten der Grimani- von der Limburg-Miniatur angeregt wurden. Dies ist der geeignete Moment, um den Vergleich mit der Pfingstdarstellung auf fol. 23v des Cod. Vind. 1858 (Taf. XIX) wiederaufzunehmen. Ungeachtet des anderen Aufbaus offenbart sich im Pfingstbild der Wiener Handschrift ein jenem im Grimani-Brevier nicht unähnliches, allerdings grundsätzlich großzügigeres Prinzip der Raumgestaltung. Wie bereits erwähnt weist die Miniatur des Croy-Gebetbuchs einen dem Längsverlauf der Tonnenwölbung entsprechenden Einblick in ein Interieur auf, das dadurch von vornherein tiefer wirkt als das Januarbild in Ms. lat. I. 99. Zusätzlich sind die an der linken Seitenwand nebeneinander aufgereihten Objekte (der Kamin mit der Bank davor, der von zwei Jüngern und dem Käfig mit dem Papagei okkupierte Platz sowie schließlich die Anrichte, auf die bis hin zum Fenster noch eine Nischenbank aus Stein folgt) ein Beweis für die Erstreckung des Raumes nach hinten hin. Die rechte Seitenwand des Zimmers ist zwar nicht sichtbar, doch durch die dort aufgereihten Jünger immerhin anzunehmen. Und dennoch konnte bereits bei dem Vergleich mit dem Spinola-Pfingstbild festgestellt werden, daß es auf fol. 23v von Cod. Vind. 1858 zwei Tiefenzüge gibt  : einen zentralen und – quasi als Submotiv – jenen, der rechts zu den im Emporenaufgang erscheinenden Figuren führt. Vergleicht man dies mit dem Grimani-Januarbild (Abb. 156), tritt eine Parallele zutage  : Das im Croy-Gebetbuch zentrale Motiv der in den Mittelgrund gerückten Madonna, das von

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beiden Bildecken weg räumlich entwickelt ist, wird hinter der Gottesmutter durch die frontale Apostelansammlung gebremst. Der rechts vorne, in einer Drehbewegung befindliche Jünger dient zugleich als Scharnier zum Tiefenzug hin zur Empore, der durch die vertikale rechte Emporenwand deutlich von der zentralen Raumorganisation abgesetzt ist. Freilich bleibt diese „bifokale“ Tiefenausrichtung (abgesehen von den weiter oben aufgezählten motivischen Details) die einzige Übereinstimmung der beiden Bilder. Denn obwohl auch im Croy-Gebetbuch die Raumwirkung durch gewisse Ungereimtheiten bei der Verkürzung der links wiedergegebenen Objekte und vor allem durch die Buntfarbigkeit und die dadurch noch verstärkte raumlose Hintereinanderstaffelung der Akteure zurückgenommen wird, sind doch weit mehr tiefensuggerierende Aspekte als im Grimani-Brevier geltend zu machen. Dies beginnt damit, daß das zentrale Motiv um die Madonnengruppe nicht mit der dahinter aufgereihten Apostelfront endet, sondern sich (durch die verkürzte Anrichte an der linken Seitenwand und die hintereinander angeordneten Jünger hinter der Gottesmutter) bis zur Fensternische fortsetzt. Hinzu kommt die klare Entwicklung des Tiefenzuges im Submotiv rechts durch die konsequente Hintereinanderreihung der dort befindlichen Akteure, die mit dem abrupten, auch farblich zurückgenommenen Raumsprung links im Grimani-Bild wenig gemeinsam hat. Schließlich ist auch die Madonna selbst nicht frontal, sondern in einer räumlichen Schräge wiedergegeben, und der leere Vordergrund vor ihr wird durch einen steil auf sie zuführenden, nahezu senkrecht zur Bildfläche angeordneten Betschemel räumlich dynamisiert. Somit spricht einerseits einiges dafür, das Croy-Gebetbuch, ohnehin bereits als Schritt weg von der im Spinola-Stundenbuch vorgetragenen Raumauffassung gedeutet, zugleich als Schritt hin zu den im Grimani-Brevier verwirklichten räumlichen Gestaltungsprinzipien zu sehen. Andererseits bleibt der scharfe Kontrast zwischen raumschaffenden und flächenkonstituierenden Elementen im Brevier doch sehr weit vom Organisationsprinzip des CroyPfingstbildes entfernt. Wenig hilfreich ist der ergänzende Vergleich der Figurenauffassung in beiden Darstellungen, da sowohl die andere Ikonographie als auch der so kraß divergierende Figurenmaßstab äußerst hinderlich wirken. Zwar läßt sich konstatieren, daß die Figuren im Croy-Gebetbuch vielfältiger im Raum gedreht sind und in die verschiedensten Raumrichtungen agieren, doch könnte dies auch auf ihre grundsätzliche Kategorie („klein und beweglich“) im Gegensatz zu jener der Januarbild-Akteure („monumental und würdevoll“) zurückgeführt werden. Schon allein aus diesem Grund empfiehlt es sich, den Vergleich durch Hinzuziehen der Sterbeminiatur auf fol. 449v300 des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 154) zu erweitern, wo die Figuren teils nicht größer sind als im Pfingstbild des Cod. Vind. 1858. Die Miniatur auf fol. 449v hat ihre Vorbilder eindeutig im Œuvre des Jakobsmeisters selbst, wobei die beiden noch erhaltenen Beispiele (im Cod. Vat. Lat. 3768, Abb. 38, und in Ms. Ludwig IX 18, Abb. 93) bereits analysiert wurden. Von diesen beiden (einander ja sehr ähnlichen) unterscheidet sich die Grimani-Version nicht unbeträchtlich. Dies beginnt mit einem äußerst ausgefallenen Layout, das einzigartig nicht nur im Werk unseres Illuminators, 300 Vgl. dazu Praschek 2000, der sich intensiv mit Form und Bedeutung der Miniatur auseinandersetzte.

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sondern auch in seiner Zeit zu sein scheint. In die hochrechteckige, mit einem profilierten Leistenrahmen eingefaßte Miniatur, die wie zahlreiche Vollbilder des Breviers, beginnend mit jenen des Kalenders, den Platz der Kernminiatur und des Randschmuckbereichs einnimmt, ist in einen Kreis die eigentliche Sterbeszene eingeschrieben. Durch diesen nur mit einer feinen Goldlinie umrahmten Tondo entstehen im oberen und unteren Bereich des Miniaturrechtecks freie Zonen, die, wie auch der orthogonale Randbereich auf anderen Seiten, mit Ergänzungen zu dem in einem großbürgerlichen Interieur angesiedelten Hauptereignis innerhalb der Kernminiatur ausgestattet sind. In der grundsätzlich blauen, von Wolken durchzogenen Himmelszone oben ist links in einer kreisförmigen (von – mehr skizzierten als gemalten – Engeln umgebenen) blauen und gelben Aureole die Dreifaltigkeit mit feinen Goldlinien eingezeichnet. Rechts hingegen verdüstert sich das Firmament zum Höllenfeuer, und fledermausartige Teufelsgestalten schwirren vor ihrer Domäne durch die Lüfte. Ungeachtet seines ideellen Charakters in diesem oberen Bildbereich mutiert das gewaltige Himmelszelt unterhalb der Kernminiatur zum bloßen Firmament. Ähnlich wie im SpinolaStundenbuch ist dort ein Jagdunfall dargestellt, allerdings der traditionellen Ikonographie der drei Lebenden und der drei Toten weit mehr entsprechend. Drei Reiter werden von drei Gerippen attackiert – und wohl auch zur Strecke gebracht, obzwar nicht anders als im SpinolaStundenbuch erst einer mitsamt seinem Pferd zu Boden gegangen ist und hilflos den Todesstoß erwartet, während die beiden anderen (wie in Ms. Ludwig IX 18, aber im Gegensatz zu dort eindeutig vergeblich) ihr Heil in der Flucht suchen. Daß die Sterbeseite des Grimani-Breviers insgesamt einen eschatologischen Charakter aufweist und sich damit von der Spinola- (und auch der Vaticana-) Darstellung deutlich unterscheidet, wurde von der Forschung bereits registriert und kommentiert. Der eindeutig theologische Charakter offenbart sich auch in zahlreichen nur auf fol. 449v von Ms. lat. I. 99 vorkommenden Details innerhalb der eigentlichen Kernszene, allen voran in den kleinen Figuren eines Engels und eines Teufels, die über den Köpfen des Sterbenden bzw. der ihm mit Kreuz und Kerze beistehenden Franziskaner schweben und somit den Kampf um die Seele veranschaulichen (tröstlicherweise hat der Engel bereits Terrain wettgemacht, während sich der Teufel in einer aggressiven Defensive zu befinden scheint). Zudem wird der Moment gezeigt, in dem die letzte Ölung durch zwei Priester vorgenommen wird, wovon der eine soeben die Füße des Sterbenden salbt. Neben dieser inhaltlichen Verdichtung kommt es auch zu einer enormen narrativen Bereicherung dieser Kernminiatur gegenüber ihren Vorbildern. Gezeigt ist der frontale Einblick in ein nächtliches Interieur, das von einem großen, blau bespannten Himmelbett beherrscht wird. Beide Seitenwände und die Rückwand des Zimmers sind zu sehen, während das Bett selbst nahezu zentral im Raum und vom Betrachter aus gesehen leicht nach links gerückt, aber frontal plaziert ist. Links davon findet noch ein verkürzt in die Tiefe führender Tisch Platz, an dem zwei Notare und ein Ordensbruder sitzen. Vier weitere dort zugegene Männer bekunden unterschiedliches Interesse an den Erb- und Vermögensangelegenheiten, die hier geregelt werden. Im rechten Raumteil neben dem Bett mit dem Sterbenden und seinen vier geistlichen Assistenten ist ein weiterer verkürzter Tisch mit diversen offenbar für die Ölung

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benötigten Utensilien zu sehen. An seiner rechten Längsseite kniet ein einzelner Mann, den man auf Grund seiner vornehmen Tracht, seines Alters und seiner Konzentration auf das vor seinen Augen gespendete Sterbesakrament gerne als den Sohn des Dahinscheidenden deuten möchte. Schräg vor ihm, im rechten unteren Bildteil, hocken drei Frauen auf dem Boden, wobei jene rechts (die auch am reichsten gekleidet ist) weint, während ihr die zweite durch Gebet, die dritte durch Worte Beistand leistet. An der in den Raum gerichteten Breitseite des mit den klerikalen Utensilien beladenen Tisches knien zwei Diener mit riesigen Kerzen. Hinter ihnen, an der rechten Seitenwand, steht die obligatorische Anrichte mit allerlei Geschirr, während durch den mittels Holzverbau an der Rückwand gekennzeichneten Eingang weiteres Gefolge in den Raum drängt bzw. dort niedergekniet ist. Unter einer großen Pendeluhr mit auffallendem Schlagwerk (dessen symbolische Bedeutung in diesem Fall wohl außer Zweifel steht) unterhalten sich zwei reich gekleidete Männer mit dicken Börsen an ihren Gürteln. Die Zählgeste des einen gibt darüber Auskunft, daß es auch hier um Geld gehen muß, die ratlose Gebärde des anderen ist ein beredtes Zeugnis für die Relevanz der Materie im Angesicht des Todes. Daß hier nicht überinterpretiert wird, sondern sich ein Thema gleichsam durch alle Sphären zieht, beweist der Teufel am Kopfende des Bettes, der nicht nur ein Schwert, sondern auch einen Geldbeutel schwingt, offenbar immer noch als die beste Waffe im Kampf um die Seelen der Menschen erachtet. Obwohl also die Protagonisten im unmittelbaren Umfeld des Sterbenden berechtigte Hoffnung an seinem gottgefälligen Tod aufkommen lassen, sprechen einige Indizien im Zimmer dafür, daß die Anwesenheit des Teufels (mitsamt seines Attributes) jedenfalls nicht zufällig und er durchaus nicht ganz chancenlos ist. Vor allem die verstohlenen Blicke einiger (bezeichnenderweise fast vom Dunkel verschluckter) Männer, wie des Stehenden links, der nach den Notaren schielt, oder jenes Jünglings im Türverschlag, dessen geradezu stechend – weil als tiefschwarze Punkte – eingezeichnete Augen nicht auf den Todgeweihten, sondern auf die beiden diskutierenden Reichen gerichtet sind, geben beredte Auskunft darüber, daß noch nicht alle Anwesenden begriffen haben, was wirklich im Leben zählt. Es würde zu weit führen, hier alle subtilen Aussagen dieses Bildes zu erforschen. So dürfte etwa die offenbar auch in den beiden anderen bislang analysierten Totenwachen mitschwingende Problematik der Ordensrivalitäten (dort schlicht durch die Anwesenheit verschiedener Kongregationsangehöriger angedeutet) in der Grimani-Miniatur pointiert vorgebracht worden sein. Während die beiden Franziskaner sich rührend um den Sterbenden kümmern und ihm essentiellen Beistand in seinem tatsächlich höchst brisanten Todeskampf leisten, sitzen zwei Karthäuser am Notariatstisch, und einer von ihnen (der einzige in der gesamten Miniatur, der dem schnöden Mammon so ohne jegliche Zurückhaltung Tribut zollt  !) wartet mit einer geradezu zur Klaue geformten Hand auf das vom Gehilfen ausgezählte Geld. Es steht außer Zweifel, daß der Illuminator wußte, daß wohl auch die Franziskaner in einem solchen Fall mit einer Vergütung ihrer Mühen rechnen konnten. Ebenso steht außer Zweifel, daß die demonstrative Darstellung der Besoldung eines Karthäusers in diesem Kontext nicht nur die objektive Schilderung eines alltäglichen Ereignisses sein kann, sondern einer expliziten Parteinahme gleichkommt, deren Ursache indes im Dunkel liegt. Interessanter Weise übernimmt eine am 10. 12. 1973 bei Sotheby’s, London, als lot 24 versteigerte

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Replik des Grimani-Bildes, die nicht aus der Werkstatt des Jakobsmeisters, sondern aus einem anderen künstlerischen Umfeld stammt, dieses brisante inhaltliche Detail, freilich ohne die gleiche psychologische Spannung in Gesten und Mienen aufbauen zu können301. Gerne hätte man gewußt, was den Illuminator der Brevier-Miniatur zu dieser wenig schmeichelhaften Schilderung der Karthäuserbrüder veranlaßte. Jedenfalls ist ausgeschlossen, daß die Anregung dazu von Auftraggeberseite kam, zumal man sich selbst bei entsprechenden, aber wohl kaum gesellschaftsfähigen Resentiments einem gewöhnlichen Handwerker gegenüber mit Sicherheit nicht zu einer diesbezüglichen Äußerung herabgelassen hätte (vielleicht auch nicht das Risiko eingegangen wäre). Dem Illuminator, der zweifellos mit der (allerdings möglicherweise verspäteten) Entdeckung seiner Anspielung rechnen konnte, könnte es demgegenüber leichter gefallen sein, sich auf eine naive Position zurückzuziehen. Fest steht jedenfalls, daß in erzähltechnischer Hinsicht gegenüber den beiden anderen Versionen der Sterbeszene (richtiger  : der Totenwache  ; auch darin äußert sich ja eine weit undramatischere Sicht des Ereignisses) auf fol. 449v des Grimani-Breviers ein Quantensprung absolviert wurde. Dies beginnt mit der ungleich detaillierteren und wohl auch realitätsnäheren Interieurschilderung, die nicht nur viel mehr Details, sondern zweifellos auch eine viel wirklichkeitsgetreuere Wiedergabe einer zeitgenössischen Schlafkammer bietet, und führt über eine wohl ebenfalls viel realistischere Schilderung der Geschäftigkeit im Umfeld eines wohlhabenden Sterbenden bis hin zu einer beispiellos überzeugenden Raumsuggestion, die wesentlich von einer absolut makellosen Integration der Figuren in dieses Raumgefüge getragen wird. Diese Tatsache ist überraschend und durch unsere bisherigen Beobachtungen anhand der Kreuzigungs- und der Januarminiatur des Breviers nicht vorbereitet. Um so interessanter mag sich der Vergleich mit dem Pfingstbild des Croy-Gebetbuchs gestalten. Freilich haben die beiden Interieurs auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Der schmale tonnengewölbte Raum in Cod. 1858 besticht durch seine sozusagen makellose Formentradition. Alles, was im Laufe des 15. Jahrhunderts als Bestandteil einer guten Interieurdarstellung etabliert und auch im Œuvre des Jakobsmeisters stets phantasievoll variiert wurde, findet sich hier  : der Kamin, die Ofenbank mit (roten Kissen), die Anrichte, das teils mit Läden verschlossene, teils geöffnete Fenster, der Luster an der Decke. Zweifellos sind all diese Gegenstände dem Alltag des Künstlers (bzw. dem seiner Auftraggeber  !) entnommen, dennoch gleicht ihre Verwendung in den Bildern der gekonnten Handhabung eines gepflegten Vokabulars. Der Sachverhalt auf fol. 449v des Marciana Ms. lat. I, 99 mag prinzipiell ähnlich sein  ; und trotzdem vermitteln die konkreten Ausmaße des relativ niedrigen, mit einer schweren 301 Die Kopie der Sterbeszene des Grimani-Breviers erschien 1973 im Kunsthandel  : London, Sotheby’s, 10. 12. 1973, lot 24  ; sie ist eine reduzierte, aber in allen wesentlichen Komponenten originalgetreue Version von einem von Brinkmann 1987/88, S. 145 f., mit dem Meister der Lübecker Bibel assoziierten Maler. Catalogue of Western Manuscripts and Miniatures, Sotheby’s 10. 12. 1973, lot 24. Bezeichnenderweise folgt die Sterbeszene auf fol. 51v des Stundenbuchs im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon (Ms. 13) nicht mehr dieser Komposition. Vgl. unten Kap. V 5.

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Balkenkonstruktion gedeckten Zimmers sowie die konsequente Einrichtung desselben mit spezifischem Mobiliar den Eindruck großer Wirklichkeitsnähe. So, als wäre zum korrekten Vokabular eine überzeugende Syntax gekommen, die dem Betrachter auch ohne tatsächliche Kenntnis der realen Umstände unmittelbar einleuchtet. Dasselbe gilt für die Figurendarstellung, was zu einem großen Teil, aber nicht nur daran liegt, daß es sich im Pfingstbild um heilige Personen vergangener Zeiten, in der Sterbeszene um Zeitgenossen des Künstlers handelt. Auffallend ist, wie wenig Stereotypes die Aktionen der Protagonisten im Grimani-Bild an sich haben  ; vielmehr weisen die vielfältigen Handlungen und Nichthandlungen der Figuren den Illuminator als erstaunlich guten Beobachter menschlicher Regungen und Impulse auf. Dies bestätigt ein Blick auf die Sterbeszene des Spinola-Stundenbuchs, wo eine ähnliche psychologische Durchdringung der Darstellung bestenfalls ansatzweise zu bemerken ist. Umso interessanter ist, daß gewisse Parallelen des Raumaufbaus auf fol. 23v von Cod. Vind. 1858 und auf fol. 449v des Marciana Ms. lat. I. 99 festzustellen sind. Es gibt in beiden Bildern einen primären Tiefenzug, der im Croy-Gebetbuch den linken und mittleren Bildteil einnimmt, ja von den unteren Bildecken aus begonnen wird und bis in die maximale Tiefe des Zimmers reicht. Allerdings konnte festgestellt werden, daß die Haupthandlungsträgerin, die Muttergottes, gleichsam als Störfaktor in diesen Tiefenzug eingebaut wurde und den Blick hin zum Ziel des zweiten (fast vertikalen) Raumvektors (der zur Emporenöffnung führt) umleitet. Zugleich bilden die frontal gegebenen Jünger hinter ihr eine gewisse Barriere, die allerdings durch die starke kompositionelle Verbindung der Marien- mit der Apostelfigur in der Fensternische wieder aufgehoben wird. Dieses komplexe System der Raumorganisation findet sich mit ganz anderen Vorzeichen in der Sterbeminiatur des Grimani-Breviers. Dabei fällt auf, wie grundsätzlich logisch und systematisch dieser Raum konzipiert ist, wofür vor allem die konsequent durch die gesamte Bildbreite (mehr oder minder unverstellt  !) in die Tiefe fluchtenden Deckenbalken und die beiden sichtbaren Seitenwände, aber auch die gleichsam formatfüllend in den Raum gestellte und überzeugend verkürzte Bettkonstruktion (ja überhaupt das gesamte ohne gröbere Inkongruenzen in die Tiefe weisende Mobiliar) verantwortlich sind. Dabei hat der Künstler jedoch geschickt vermieden, daß ein unangenehmer und seiner letztlich episch breiten Erzählung abträglicher Tiefensog entsteht, wiederum durch ein relativ einfaches Mittel, nämlich durch den Querverlauf der Fußbodenbretter. Daneben gibt es auch andere Elemente, die den Blick von einem Tiefensog weg und zum Schweifen bringen. Dieses Stichwort – schweifen – bringt allerdings eine erstaunliche Tatsache ins Spiel, nämlich die, daß die Grimani-Sterbeminiatur nicht nur zum Croy-, sondern auch zum Spinola-Pfingstbild Ähnlichkeiten aufweist. Nicht nur auf Grund der bislang erarbeiteten Chronologie im Œuvre des Jakobsmeisters, sondern auch auf Grund einer gewissen bildinternen Logik erweist sich die Pfingstdarstellung im Ms. Ludwig IX 18 als Ausgangspunkt für den im Brevier tätigen Künstler. Im Raum der Sterbeszene des Grimani-Breviers sind unabhängig von den Figuren alle wesentlichen Kriterien (die da sind  : Tiefe und Breite) bereits festgelegt, und zwar ausschließlich durch die verschiedenen Elemente der Interieurkonstruktion. Beides wurde auch im

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Spinola-Stundenbuch angestrebt, kam dort aber nur unter Hinzunahme der Figurenaktionen zustande – sowohl im Pfingstbild auf fol. 31v (Abb. 94) als auch in der Totenmesse auf fol. 185r (Abb. 136) ebenda. Das charakteristische Kreisen der Figuren im Raum ist freilich auch im Grimani-Sterbebild (aber sozusagen als höhere Oktave derselben Weise) angelegt, wo der Blick entlang der Kreisform von der auf die Weinende einredenden Frau empor und zugleich nach hinten zu den knienden Dienern und der von draußen hereindrängenden Gefolgschaft geführt wird. Dabei wird ähnlich wie im Spinola-Pfingstbild verhindert, daß der Blick (wie es im Croy-Gebetbuch sehr wohl der Fall ist) an dieser Stelle in eine „zweite Tiefe“ abgleitet. Dies geschieht sowohl im Brevier als auch im Stundenbuch dadurch, daß alle Figuren in diesem Teilbereich des Kreises hin zum zentralen Geschehen schauen, im Brevier darüber hinaus aber auch noch dadurch, daß die in der Tür stehenden Männer so sehr im Dunkel verschwinden, daß ihre mangelnde Konzentration auf das Hauptgeschehen und ihre wohl unbotmäßige Neugier auf nicht für sie bestimmte Gespräche suggestiv verunklärt wird. Dennoch ist ein Verweilen in diesem rechten Türmotiv in beiden Fällen intendiert, was im Grimani-Brevier durch die beiden mächtigen, fast genau über die seitlichen Türpfosten gehaltenen Kerzen, im Spinola-Stundenbuch einfach durch die Prominenz des Türverschlags und der als einzige darin stehenden Figur sichergestellt wird. Während aber im Spinola-Stundenbuch alle Elemente rechts oben in den Kreis integriert bleiben, wird im Grimani-Brevier, wenn auch auf andere Weise als im Croy-Gebetbuch, ein Submotiv gegenüber dem Hauptmotiv ausgebildet. Die Bifokalität setzt gleichsam bei den bildeinwärts knienden, fackeltragenden Dienern ein, deren physische und emotionale Ausrichtung auf das Miniatur- und Handlungszentrum nicht verhindert, daß in der von ihren Kerzen ausgegrenzten Schneise eine konsequente Tiefenstaffelung von fünf Figuren nach rechts weg stattfindet. Eine ähnliche Situation stellt sich ja auch links des Sterbelagers ein, wo der in den Raum hinein gestellte Notariatstisch einen eigenen Handlungs-, aber auch räumlichen Schwerpunkt bildet, der vom Hauptgeschehen durch die Vertikale des Bettvorhangs deutlich getrennt ist. Läßt man den Blick von hinten entlang des Tischs nach vorne schweifen, gibt es nichts außer den Kreisverlauf der Bildform selbst, was zum zentralen Geschehen führen würde – sieht man von den zwei unscheinbaren, allerdings sicher nicht zufällig dort plazierten Motiven des zur Bildmitte schauenden, fast im Dunkel verschwindenden Hündchens und des Weihwassersprengels in dem am Bettende auf dem Boden stehenden Gefäß ab. Blickt man von links vorne entlang des Tischverlaufs nach hinten, bleibt man auf die Notariatshandlung fixiert, zumal sie im Brennpunkt der Aufmerksamkeit aller dort Versammelten steht. Natürlich ist an dieser Stelle – am oberen Ende des Notariatstisches – auch eine Verbindung nach rechts geschaffen, und zwar über die weiße Zone der Laken, zwischen die der Sterbende gebettet ist. Dennoch darf nicht übersehen werden, wieviel vertikale Zäsuren (die Körper der beiden Mönche, Kreuz und Kerze) auch dort den Blick halten – und dies doppelt zurecht, ist man nun ja endlich beim Kernpunkt des Bildganzen, dem Todeskampf des in diesem Ausschnitt tröstlicherweise nur noch von dem Engel begleiteten Sterbenden, angelangt  ! Faßt man die Beobachtungen der zuletzt gemachten Gegenüberstellung der Sterbeminiatur mit den beiden Pfingstminiaturen zusammen, so kommt man einmal mehr zu einem erstaun-

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lichen Ergebnis. Gewisse prinzipielle Aspekte der Raumauffassung (vor allem die Weite und Breite) verbinden das Grimani- mehr mit dem Spinola- als mit dem Croy-Bild. Andererseits hat es mehr noch als das Croy-Bild die Tendenz zu einer bifokalen (nämlich überspitzt formuliert eine trifokale) Raumorganisation. Tatsächlich entsteht der Eindruck, man habe es in der Grimani-Sterbeszene und im Croy-Pfingstbild mit zwei verschiedenen Arten der Reaktion auf denselben Ausgangspunkt (nämlich die Spinola-Pfingstdarstellung) zu tun. Gemeinsam ist den beiden späteren Werken, daß der Raumeindruck wesentlich durch die Gegenstände (angefangen mit den architektonischen Elementen) bestimmt ist, während er im SpinolaStundenbuch auch von den Figuren getragen wird. Hiermit ist es an der Zeit, sich der Figurendarstellung in den besprochenen Bildern zuzuwenden. Obwohl die Protagonisten in der Kernminiatur auf fol. 449v von Marciana Ms. lat. I. 99 größer als die Akteure der beiden anderen Bilder bleiben, gehören sie doch zweifellos eher dem kleinen, agilen als dem großen, gesetzten Typus an (welch letzterer etwa im Januarbild auf fol. 1v des Breviers in Erscheinung tritt). Ungeachtet dessen unterscheiden sich die bei der Sterbeszene Anwesenden von jenen in den beiden Pfingstbildern durch eine ungleich verhaltenere Mimik und Gestik. Da dies inhaltsbedingt sein könnte, soll dem vorläufig keine Beachtung geschenkt werden. Was indes untersucht werden kann, sind die Mittel der plastischen Gestaltung und die technische Ausführung. Bezüglich beider Aspekte sind ebenfalls Unterschiede festzustellen, und zwar ähnlich jenen, wie sie schon beim Vergleich der Kreuzigungsszenen der drei Handschriften gemacht wurden. Die Figuren auf fol. 449v des Grimani-Breviers weisen relativ geringfügige Detailmodellierung und wenig Komponenten, die ihre Rundplastizität betonen, auf. So zeigt zwar die im Vordergrund kniende Frau lange Parallelfalten im unteren Teil ihres Kleides  ; diese verlaufen jedoch weder so, daß sie ihre Rundungen umschreiben, noch lassen sie Körperteile unter dem Stoff erkennen. Beides ist besonders deutlich in der Spinola-Pfingstdarstellung abzulesen. Dort wird etwa der Kniende links vorne von Schüsselfalten so umschrieben, daß aus seiner reinen Profil- (und damit umrißorientierten, also tendenziell flächenhaften) eine in ihrer Rundung deutlich faßbare Figur wird, was durch die Abdunkelung seiner in den Raum orientierten Seite noch verstärkt ist. Ebenso liegen die Falten auf der Gesäßpartie der beiden Rückenfiguren derart auf, daß der (blockhaft aufgefaßte, nicht anatomisch strukturierte) Körper unter der Kleidung deutlich sichtbar wird. Im Croy-Gebetbuch spielt lediglich das Relief der Falten- und Körperformen eine größere Rolle. Die Draperien treten in einen regen Dialog mit einzelnen Körperpartien, nicht aber mit dem blockhaften Figurenkern als Ganzes. Besonders anschaulich zeigt dies der grau gekleidete Apostel links vorne, dessen heftig gefälteltes und mit einer deutlichen Hell-Dunkel-Spanne modelliertes Gewand am Rückenkontur stets so umbricht, daß keine einzige Falte um den gesamten Körper herumführt – ganz im Gegensatz zu seinem Pendant im Spinola-Stundenbuch, wo gerade am Rücken zahlreiche Faltenwülste eindeutig um den Figurenkern (von offenbar beachtlicher Masse) herumzulaufen scheinen. Auch dort, wo im Spinola-Stundenbuch einzelne Gliedmaßen unter dem Gewand hervortreten, wie bei dem frontal Knienden rechts, werden diese doch von einer dichten Faltenfülle umschrieben, ganz anders als bei den beiden hinter der Gottesmutter nach vorne gewandten Aposteln  : Der eine

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wird durch ein reich drapiertes Gewand (mit in der Mehrzahl am Kontur entlanglaufenden Falten) verhängt, während die Oberschenkel des anderen sich zwar deutlich abzeichnen, damit jedoch das Faltenspiel ins Marginale abdrängen. Demgegenüber vertritt die im rechten unteren Kreissegment Kniende in der Grimani-Sterbeszene eine dritte Variante, wo das Gewand einen eigenständigen, allerdings kausal durch die Haltung bedingten Verlauf nimmt, darunter aber der Körper (und zwar ein anatomisch erstaunlich gut verstandener Körper) wie eine zweite Stimme durchklingt, ohne daß er sich irgendwo ausdrücklich abzeichnen oder von der Kleidung umschrieben würde. Noch deutlicher wird dies bei den männlichen Laien im rechten Bildteil, deren Volumen allein durch die räumliche Schrägstellung der meist ausladend gebauten Akteure zur Geltung kommt. Die Rolle der Kleidung ist dabei im wahrsten Sinne des Wortes untergeordnet. Mit erstaunlicher Deutlichkeit wurde der Wandel von der spätgotischen Gewandfigur zum Renaissancemenschen vollzogen, ohne daß die Demarkationslinie überhaupt greifbar wurde. Freilich mag dies auch am Thema der Miniatur liegen, das zeitgenössische Kostüme und nicht die schablonenhaften Gewänder alt- und neutestamentarischer Helden vorschrieb. Bevor hier noch andere Aspekte wie Stofflichkeit und Lichtsituation der Darstellung ins Kalkül gezogen werden, sollen die soeben gemachten Beobachtungen anhand eines weiteren Vergleichsbeispiels überprüft werden, das sich in besonderem Maße anbietet  : anhand der Darstellung der Totenwache auf fol. 184v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 93). Dabei soll nicht auf die Raumsituation und damit auf das zentrale Gestaltungsprinzip, sondern ausschließlich auf Aspekte der Figurenauffassung (und damit verbunden auf die Erzählweise) eingegangen werden. Hier nun kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die psychologische Durchdringung der einzelnen Figuren im Grimani-Brevier um vieles größer ist als jene im SpinolaStundenbuch. Zwar zeigt sich der schwarzgekleidete Protagonist, der sich in Ms. Ludwig IX 18 soeben vom Totenbett abwendet, ratlos und bekümmert, und auch die umstehende Kleriker- und Laienschaft hat traurige Mienen aufgesetzt. Der Pleurant vorne, soeben im Gebet gestört, wirkt irritiert. Damit ist die psychologische Differenzierung der Akteure erschöpft. Die Geschichte selbst bleibt ohnehin relativ obskur, vor allem darin, ob ein kausaler Zusammenhang mit dem unten dargestellten Jagdunfall besteht. Wie bereits erläutert spricht dafür, daß im Marginalbereich nur eine einzelne Person der Attacke des Gerippes zum Opfer fällt, ein Mann mittleren Alters, der eine ebensolche Kette trägt wie der verstorbene Prota­ gonist der Hauptminiatur. Dieser wirkt freilich ausgesprochen alt, was allerdings die Folge seines gewaltsamen Todes sein könnte (und wohl auch der Verkürzung, die der Illuminator für seine Darstellung wählte). Für die Identität des vom Tod Gefällten mit dem Aufgebahrten läßt sich auch die Ähnlichkeit des nach links flüchtenden Reiters mit jenem Mann anführen, der so spektakulär den Pleurant in der Kernminiatur aus seiner Andacht reißt – wobei der Gleichklang sich aber auf die Kleidung beschränkt und dadurch beeinträchtigt wird, daß der Junker in der Miniatur schwarze Halbschuhe trägt, sich seiner Stiefel jedoch nicht hätte entledigen müssen, wie der Aufzug des soeben Eintretenden beweist. Ein weiteres Argument für den kausalen Zusammenhang sind die bis auf den schwarz gekleideten ausschließlich jungen Männer, die durchwegs begütert wirken und durchaus die flotte Gemeinschaft abgeben könn-

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ten, in der sich der bei dem Jagdunfall nicht unter idealen Umständen – weil unversehens  ! – zu Tode Gekommene normalerweise bewegte. Schließlich könnte es sich bei dem im linken Randbereich vor der Tür an der Brüstung lehnenden, nur partiell sichtbaren Mann um jenen Knappen handeln, der unten mit der Jagdbeute (ob fluchtartig oder gemächlich ist nicht erkennbar) den Abhang hinab verschwindet. Seine isolierte Stellung und seine vielleicht Kummer ausdrückende Haltung sprechen für diese Identifizierung, seine oben dunkler als unten erscheinenden Haare dagegen. Gegen einen kausalen Zusammenhang der beiden Darstellungen wäre zudem vorzubringen, daß der dritte Reiter rechts in der Trauergemeinde fehlt. Wenngleich man nach Auflistung aller Argumente sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß diese Ambivalenz gewollt ist, also eine Konkretisierung der Miniatur in eine spezielle Richtung vermieden werden sollte, bleibt die Undeutbarkeit der wenigen markanten Handlungen in der Kernminiatur eine Schwäche, die der Illuminator der Grimani-Sterbe­ szene in seiner Version nicht duldete. Zwar ist das Geschehen auch dort durchaus verschieden interpretierbar – beginnend damit, ob der Todgeweihte tatsächlich dem drohenden Teufel entgehen kann –, dennoch sind die einzelnen Figuren erstaunlich konkret bestimmbar, sowohl was ihren Status, ihre Handlungen als auch ihre Gemütsregungen angeht. Zudem ist klar, daß die Szene in der Kernminiatur mit jener im bas de page in keinem kausalen Zusammenhang steht – eher in einem antithetischen Verhältnis, zumal hier der „gute“ gegenüber dem „schlechten“ Tod thematisiert sein könnte. Dies würde dem grundsätzlich klerikalen Charakter eines Breviers gut anstehen, zumal der gute Tod der unter dem Beistand der Kirche ist, wobei ja nun nicht zur Gänze einleuchtet, daß dies die einzige Garantie für die Rettung aus der Verdammnis bzw. vice versa sein sollte – nicht einmal dem Illuminator, wie es scheint, ansonsten hätte er nicht ein so beziehungsreiches System von Anspielungen auf die Gefahren des Reichtums in die Sterbeszene eingebaut, von dem auch kirchliche Institutionen nicht ausgenommen werden. Wie dem auch sei, fest steht, daß es den drei (nicht mehr lange) Lebenden im Bas de page auf fol. 449v schlecht ergeht. Entsprechend der gleich dreifachen Attacke ist eine enorm turbulente Szene dargestellt, deren chaotische Heftigkeit vom Illuminator noch mehrfach vo­ rangetrieben wurde. Nicht nur die drei Lebenden, die drei Gerippe und die drei Pferde bevölkern die Darstellung, sondern auch ein zwischen gebanntem Staunen und erschreckter Flucht schwankender Knecht am rechten Seitenrand sowie insgesamt vier Hunde. Diese – und sofern möglich die Pferde – sind die einzigen, die ihrem Herrn Beistand leisten, der Knappe scheint diesbezüglich zu nichts zu gebrauchen. Die Hunde aber stürmen wahrhaft todesmutig auf das Kampfgetümmel zu, wobei der Illuminator geschickt das Mittel benützt, den Knecht und seinen Herrn nach rechts aus dem Bild fliehen zu lassen (letzterer wird es allerdings mit Sicherheit nicht schaffen), den wuscheligen Köter aber in vehementer Gegenbewegung auf den Tod zusprengen läßt, in dessen Leichentuch sich bereits ein weißes Windspiel verbissen hat. Dieses konkrete Gerippe hat diesbezüglich überhaupt nichts zu lachen, zumal von hinten noch ein dritter, brauner Kläffer heraneilt, und nur der vierte aus dem Hintergrund herbeijagende Hund scheint noch ein wenig unschlüssig, welches der beiden linken Gerippe sein Opfer werden soll. Diese Aktion der Tiere (wozu auch die energische Kapriole des Braunen

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links gehört) trägt nicht nur einen fast hörbaren Lärm in die Szene (der tatsächlich einen größtmöglichen Kontrast zur Stille darüber bildet) sondern auch eine ungemein rührende Komponente. Einmal mehr wird einem in der Bildtradition der drei Lebenden und drei Toten gebräuchlichen Vokabelschatz eine ganz neue Syntax verliehen – man vergleiche etwa die (wie in ihrem Vorbild, dem Berliner Stundenbuch des Maximilian und der Maria von Burgund) nach rechts parallel zum Pferd der Protagonistin davonsprengenden Hunde in der Miniatur auf fol.158v von Add. Ms. 35313 der British Library (Abb. 125), die bestenfalls der Dynamisierung der Komposition dienen. Auch der flüchtende Schimmel im Spinola-Stundenbuch scheint eher einen Galopp- als einen Abwehrsprung auszuführen, desgleichen der Braune ebenda, der schlichtweg scheut. Nur im Grimani-Brevier wird den Tieren (natürlich speziell den Hunden) eine Treue zugestanden, die man nicht anders denn als ausdrückliche Wortmeldung des Illuminators zu diesem Thema deuten und in Anbetracht der Ernsthaftigkeit des Bildinhalts schwerlich als bloß amüsante erzählerische Bereicherung abtun kann. Es ist aufschlußreich, sich in diesem Zusammenhang den jeweiligen Aufbau der Jagdunfallsszenen anzusehen. Aufgrund des zur Verfügung stehenden Platzes ist das Geschehen im Grimani-Brevier friesartig ausgebreitet, gar so, daß die Schwerpunkte der Handlung in den Randzonen liegen und die Bildmitte dem (in seiner Orientierung in zwei verschiedene Richtungen geschickt als Scharnier genutzten) gestürzten und offenbar seinem Herrn verzweifelt zuwiehernden Schimmel vorbehalten ist. Nicht ganz konform mit dem zur Verfügung stehenden Platz (weil zuoberst mehrfach vom Kernminiaturrahmen angeschnitten) breitet sich die Szene im Spinola-Stundenbuch demgegenüber in einer rautenförmigen Konstellation im Raum aus. In der Mitte vorne liegt der gestürzte Schimmel nahezu bildparallel, jedoch die Beine bildeinwärts gestreckt, und hat seinen (mit erhobener Hand die Attacke des speerbewehrten Gerippes vergeblich abwehrenden) Reiter mit dessen Unterschenkel und Knie eingeklemmt. Flucht ist somit ausgeschlossen, was den linken Gefährten nicht daran hindert, in gestrecktem Galopp nach links davonzusprengen. Dabei wendet er sich allerdings um, was wiederum einen Bezug zur Mitte herstellt. Desgleichen starrt der Begleiter rechts noch auf das in der Mitte hinten heraneilende Gerippe, spornt seinen Braunen jedoch zugleich zur Flucht nach rechts an. Nur der Tod scheint Spaß an der Sache zu haben, wie weniger sein unvermeidbares Grinsen als vielmehr seine tänzelnde Haltung mit ausgestreckten Armen verrät, die freilich auch den Zweck hat, den Handlungs- und Blickkreis nach beiden Seiten zu schließen. Anders als im Grimani-Bild bietet sich somit eine beinahe elegant zu nennende Choreographie. Dem entspricht, daß die Figuren primär durch ihre Gesten und Handlungen Angst ausdrücken  ; der verzweifelte Gesichtsausdruck des nach links vorne (vergeblich) fliehenden Jünglings auf fol. 449v des Marciana Ms. lat. I. 99 ist singulär und findet lediglich in manchen ebenso treffend wiedergegebenen Mienen der Kernminiatur ebenda ein Pendant. Nichtsdestotrotz wird gerade auch in der Bas de page-Szene des genannten Blattes im Brevier die Heftigkeit des Kampfes wie die Aussichtslosigkeit der Lage durch kompositionelle Mittel veranschaulicht. Als hätte unser Illuminator Erfahrung damit, daß der Tod immer dann am nächsten ist, wenn die Übersicht verloren geht, lebt seine Miniatur aus Kontrastbewegungen und -richtungen. Das Durcheinander rechts wurde ja bereits als Folge des Da-

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voneilens des Reiters und des Herbeieilens des Hundes (beide in bildparalleler Richtung) beschrieben. Links wird dasselbe in räumlicher Orientierung wiederholt. Der linke Reiter sprengt nach links außen, wobei allerdings die Aktion seines Pferdes – eine gezielte, wenn auch offenbar völlig wirkungslose Kapriole nach dem Gerippe hinter ihm – den Blick von links vorne nach rechts hinten zieht. Völlig ungerührt von diesem Abwehrschlag des Tieres schickt sich das dort befindliche Skelett soeben an, dem auf dem Boden liegenden Jüngling den Todesstoß zu versetzen. Die verkürzte Wiedergabe des Todgeweihten führt zurück zu jenem Gerippe, das den linken Fliehenden bedrängt. Zugleich wird aber mittels des über den Körper gelegten Schwertes des Gefallenen eine Verbindung zu seinem gestürzten, ebenfalls räumlich verkürzten Schimmel hergestellt. An dieser Stelle kann der Blick über die Hügelkuppe hinweg in die Ferne gleiten – allerdings über einen enormen Raumsprung, der sich nicht zuletzt durch den (mittels Luftperspektive herbeigeführten) Farb- und Helligkeitskontrast zwischen Hügelkante vorne und Fernsicht hinten ergibt. Kreist also im Spinola-Stundenbuch alles um ein Ereignis (und um eine unsichtbare leere Mitte), so wird im Grimani-Brevier mittels konträrer Bewegungen und vor allem Verkürzungen ein größtmögliches, in der absoluten Dezentralisation endendes Tohuwabohu dargestellt. Dies kann nun nicht mehr am Thema, höchstens noch an der Interpretation des jeweiligen Themas durch den Illuminator liegen. Nach dieser Analyse wird klar, daß im Spinola-Stundenbuch der Unfall des einen ein Pendant zum Tod des anderen sein muß, da beides mit gleicher Ernsthaftigkeit inszeniert ist. Im Grimani-Brevier wird demgegenüber tatsächlich die Art des Todes – das Chaos des unvorhersehbaren Unfalls und die Gefaßtheit des vorbereiteten Todes (zu der auch die Versorgung aller durch den Notar zählt) – in antithetischer Form thematisiert. Vielleicht ist es Zufall, daß sowohl in der Kern- als auch in der Randminiatur des Grimani-Breviers mehrere (auch kompositionell und räumlich pointierte) Handlungsschwerpunkte zu finden sind, während im Spinola-Stundenbuch nicht nur die Raumauffassung, sondern auch die Erzählweise um ein Zentrum zu kreisen scheint. Um so erstaunlicher ist, daß dort, wo nun tatsächlich die gleiche Figurengröße erreicht ist (nämlich in der Bas de page-Darstellung in beiden Handschriften), die Übereinstimmung zumindest bezüglich der Typik frappant ist. Die Pferde sind von gleicher edler Rasse (obschon man ihnen im Brevier die Ohren gekappt hat), und die Reiter (klein, beweglich, mit struppigen Lockenköpfen und einer Tendenz zu großen Nasen und kleinen verquollenen Augen) gehören ebenfalls alle demselben Schlag an. Auch ihre Aktionsfreudigkeit im Raum ist vergleichbar. Die Unterschiede in der Kostümierung scheinen eine gewisse zeitliche Distanz anzudeuten, vielleicht auch Standesunterschiede. Eine gewisse Diskrepanz läßt sich lediglich in der plastischen Auffassung nachweisen. So ist der im Spinola-Stundenbuch davonsprengende Schimmel auf seiner Kruppe nach hinten zu abgedunkelt, und auch die den Betrachtenden zugewandte Wölbung seiner Hinterhand wird maximal durch Modellierung hervorgehoben. Demgegenüber wirkt der nach rechts fliehende Graue des Grimani-Bildes weit schematischer, wenn auch gekonnt modelliert. Dies bestätigt auch ein Vergleich der Protagonisten  : Jene im Grimani-Brevier sind weniger sorgfältig modelliert, der Farbauftrag ist dünner und scheint nicht primär auf die Hervorhebung plastischer Formen abzuzielen, was sich etwa an den

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Leichentüchern offenbart. Jene im Brevier weisen eine geringere Hell-Dunkel-Spanne auf, rufen aber ungeachtet dessen einen ausgesprochen überzeugenden Eindruck von im Wind flatternden Laken hervor, während das Gerippe im Stundenbuch von einem geradezu plissierten Tuch von fast grauer Grundfarbe mit gleißenden Höhungen und schwarzen Faltenkerben einigermaßen steif umflattert wird. Diese Beobachtungen lassen sich auch in den Kernminiaturen fortsetzen. Trotz ihres größeren Formats wirken die Figuren der Grimani-Sterbeszene nicht so sorgfältig aufgebaut wie ihre Pendants im SpinolaStundenbuch – der Farbauftrag im Brevier ist dünner und beschreibt Formen nicht immer exakt. Dafür zieht der Illuminator weit öfter als in Ms. Ludwig IX 18 feine (Umriß) Linien für die Formgebung zu Hilfe. FreiAbb. 159: Moses und die Eherne Schlange; Los lich könnten diese de facto großen techniAngeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig schen Unterschiede darin ihre Begründung IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 57r. finden, daß die Brevier-Miniatur (wie auch die Kreuzigung ebenda) eine Szene im Dunklen wiedergibt. Doch weichen auch die Figurentypen zumindest in den Kernminiaturen deutlich voneinander ab, so daß man nicht umhinkommt, insgesamt gewichtige Unterschiede in der Figurenauffassung zu konstatieren. Die Probe aufs Exempel bieten zwei weitere Miniaturen im Grimani-Brevier und im Spinola-Stundenbuch. Es handelt sich um die Darstellung der Errichtung der Ehernen Schlange durch Moses auf fol. 57r von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 159) und auf fol. 139r des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 152). Beide Miniaturen stehen den bereits analysierten Kreuzigungsdarstellungen als Typen gegenüber. Während aber die beiden Kreuzigungen zwar dasselbe Vorbild, aber doch auf sehr unterschiedliche Weise zitieren und sich daher kompositionell wie motivisch deutlich voneinander unterscheiden, sind einander die beiden Mosesbilder gerade bezüglich ihres Aufbaus und Formenrepertoires eng verwandt. Auch diese beiden Darstellungen haben ein Vorbild in der Tafelmalerei, das aber wohl nur im Sinne einer Anregung und nicht mit der Absicht, es explizit zu zitieren, verwertet wurde. Es handelt sich um den rechten Flügel des Kreuzigungsaltars in St. Bavo, Gent (Abb. 160), der Joos van Wassenhove302 zugeschrieben wird und dem Jakobsmeister, einem doch höchstwahrscheinlich Genter Buchmaler, 302 Belting – Kruse 1994, Taf. 160 f., S. 222 f.

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mit Sicherheit bekannt war. Man wird sich dennoch fragen müssen, ob der Rückgriff tatsächlich auf das Tafelbild erfolgte oder ob noch andere (heute verlorene) Werke als Mittler fungierten. In jedem Fall aber steht die Spinola-Miniatur dem Genter Flügel näher als die Grimani-Lösung, die ihrerseits eindeutig auf der Spinola-Version aufbaut. So hat der Illuminator auf fol. 57r von Ms. Ludwig IX 18 die grundsätzliche Disposition seines Vorbildes einfach umgedreht und den Berg, auf dem Moses den Pfahl mit der Ehernen Schlange aufgestellt hat, nach links, das angrenzende Tal mit dem Fernblick nach rechts verschoben. Ungeachtet dessen bleiben die Anregungen nicht nur in der Landschaftsbühne, sondern auch in zahlreichen Einzelheiten erkennbar. Die Isolierung des die Schlange präsentierenden Moses und zweier Begleiter (im Tafelbild auf Grund ihres Alters und Aufzugs als Aaron und Jo­ shua zu identifizieren) auf dem Hügel, dazu gleichsam als Gegenbild der bereits an einem Schlangenbiß verstorbene im unmittelbaren Vordergrund, die in der Miniatur zwei, im Tafelbild drei Repoussoirfiguren rechts unten (wobei die jeweils linken in ihrer Haltung, die rechten bezüglich ihres Blickes über die Schulter auf abstürzende Schlangen große Ähnlichkeiten aufweisen) und nicht zuletzt die eidechsenartigen Schlangen selbst sind Hinweise auf dieses Naheverhältnis. In der Grimani-Miniatur wird der Schauplatz von fol. 57r in Ms. Ludwig IX 18 weitgehend übernommen. Jedoch wird nicht nur rechts, sondern auch links des Berges ein Teil des israelitischen Volkes ins Bild gezwängt. Moses hat mit einer größeren Gruppe von Getreuen den Gipfel erklommen, wobei sich alle Protagonisten hinter dem Pfahl mit der Ehernen Schlange befinden  ; der Berg selbst

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Abb. 160: Moses und die Eherne Schlange; Joos van Wassenhove, Kreuzigungsaltar, linker Innenflügel, Gent, St. Bavo.

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ist weiter von der vorderen Bildebene abgerückt, so daß ein tieferes Terrainstück als Vordergrund fungiert. Einzelne Personen in der dort versammelten Menschenmenge erweisen sich als nach der Spinola-Vorlage geformt, etwa die mit einem Turban bekleidete, zur Ehernen Schlange emporweisende Frau links, die ein Kind auf ihrem Arm trägt, oder die beiden vordersten Personen in der vorderen, an den rechten Bildrand gedrängten Gruppe, wobei der Mann mit der spitzen Kappe in Ms. Ludwig IX 18 noch eine Frau war. Ein einzelner Hinweis auf eine direkte Kenntnis der wassenhoveschen Kreuzigung ist der rechts unten Dahinscheidende im Grimani-Brevier, dessen Haltung dem im Tafelbild links vorne Sterbenden nachempfunden ist  ; in der Spinola-Miniatur wurde diese Figur seitenverkehrt rezipiert. Im Gegensatz zum Motivrepertoire der beiden Miniaturen sind ihre Gestaltungsprinzipien von jenen ihrer jeweiligen Vorbilder weitgehend unabhängig. Joos van Wassenhove entwickelte einen kontinuierlichen, vom Terrainverlauf wie von den Protagonisten klar definierten Raum, der lediglich an einer gewissen Inkompatibilität zwischen der starken Aufsicht im Vordergrund und einem nur notdürftig durch den ansteigenden Hügel begründeten abrupten Wechsel zu Normalsicht leidet. Die schlanken Figuren sind nichtsdestotrotz mit Nachdruck rundplastisch gegeben, was entweder durch entsprechende Faltenführung oder aber durch drastische Abdunkelung der lichtabgewandten Seiten der Personen bewerkstelligt wird. Auch die Einzelformen sind mit einer oft gratigen Härte (einer meist relativ übergangslos gehandhabten großen Hell-Dunkel-Spanne) modelliert. Trotz einer merklichen Zäsur im Mittelgrund wird der Raum von allen Seiten her entwickelt – also nicht nur über die in die Tiefe gestaffelte Figurengruppe links, hinter der der Fernblick sich aufbaut, sondern auch rechts über die Hügelkuppe mit der Ehernen Schlange (man beachte nur den Verlauf des Felsens, der in einiger Distanz, de facto aber unmittelbar über dem vorderen Hügel anschließt und in Form und Farbe die perfekte Fortsetzung seines vorderen Gegenstückes darstellt). Raum präsentiert sich hier als eine Abfolge einzelner auch subtil farbig voneinander abgesetzter Schichten, die indes durch diagonal verlaufende Elemente darin an Tiefe gewinnen und somit über die Bruchstellen hinaus ein Kontinuum ergeben. Auch in Ms. Ludwig IX 18 entwickelt sich der Raum in Schichten, allerdings schon ab dem Vordergrund. Der vorderste Bereich wird durch einen Felsen rechts und ein Gewässer links auf eine ganz seichte Plattform reduziert, auf der nur die beiden Protagonisten rechts und der Sterbende in der Mitte Platz finden. Allerdings macht ein zweiter, auf dem Rücken hinscheidender Mann den Felsen rechts als einen umgehbaren Block kenntlich – ein Gestaltungsmittel, das bereits aus anderen Miniaturen dieser Handschrift bekannt ist, etwa aus der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes und der Flucht der Heiligen Familie auf fol. 140v (Abb. 102) oder der Kreuzigungsminiatur auf fol. 149r (Abb. 138). Auf fol. 57r schließt an den vorderen sofort der nächste Felsen an, auf dem eine Gruppe von in den Raum gewandten Figuren steht, deren Aufmerksamkeit der Ehernen Schlange gilt. Sie werden vom Textblock überschnitten, der sich auf einer mittels Scharnier am linken Rahmen angebrachten Tafel befindet, wobei auf Grund ihrer eher bildparallelen Anordnung nicht die gleiche Spannung zwischen raumerzeugenden und flächenhaften Faktoren entsteht wie auf dem gegenüberliegenden fol. 56v. Unmittelbar vor ihnen erhebt sich der nächste, wuchtigere

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und höhere Felsen, schon ein erster Ausläufer jenes Hügels, auf dem das rettende Zeichen postiert ist. Er überschneidet eine weitere, offenbar in einer schmalen Vertiefung stehende Menschenansammlung, die ebenfalls zu Moses emporblickt. Unmittelbar hinter (aus ihrer Perspektive gesehen  : vor) ihnen setzt schließlich der Felsen an, auf dem der Prophet sich in frontaler Haltung seinem Volk zuwendet und mit seinem Stab auf die hinter ihm über einen Pfahl gelegte Eherne Schlange verweist, zu der auch einer seiner beiden Adjutanten links davon emporblickt. Rechts neben der Texttafel und der dort schroff abbrechenden Felskante des Haupthügels steht ganz an den rechten Bildrand gerückt und vom Gesteinsbrocken davor teils überschnitten ein weiteres Grüppchen, das wohl als Rest jener Menge verstanden werden muß, die im wassenhoveschen Tafelbild an eben dieser Stelle (nur seitenverkehrt) erscheint. Anders als in seiner mutmaßlichen Vorlage schafft der Jakobsmeister dort keinen Raumvektor mittels hintereinandergestaffelter Figuren, sondern ordnet die Personen in zwei bildparallelen Reihen an – und dies nicht etwa deshalb, weil er den rechten Bildrand nicht als geeigneten Ort für eine Menschenansammlung hält  ! Denn fein säuberlich durch zwei kleine Hügelkuppen von dieser ist eine zweite Personengruppe getrennt, die schon in einiger Distanz und ebenfalls bildparallel aufgereiht hinter einem Hügelgrat zu sehen bzw. teils davon überschnitten ist. Dahinter, am rechten Seitenrand, wächst ein steiler Felsen empor, so daß letztlich nur ein schmaler Ausblick in die Bildtiefe bleibt. Dieser wird zuerst noch durch einen Wiesenstreifen gebremst, um sich dann in einer bereits verblauenden Zone entlang eines gewundenen Flusses kontinuierlich und überzeugend in die Ferne zu entwickeln. Der luftigen Weite, die sich dort unerwartet doch noch einstellt, entsprechen die im matten Gegenlicht gleißenden plastischen Wolkenformationen, die in unbestimmter Distanz das von (räumlich gestaffelten  !) Vogelschwadronen durchzogene Firmament beleben. Die unter- (und damit auch hinter-)einander gestaffelten zartfarbigen Wolkenbänke verstärken den Eindruck kontinuierlicher Tiefenentwicklung in dieser fernen Landschaftszone. Offensichtlich gehört die Miniatur auf fol. 57r bezüglich ihres Raumaufbaus zu jenen Vollbildern in Ms. Ludwig IX 18, die die Weite des Raumes über eine Fülle umschweifbarer Objekte, nicht aber durch Leere suggerieren. In erster Linie sind es die Landschaftsteile selbst, die als nicht nur rund und raumverdrängend, sondern auch eindeutig raumkonstituierend gelesen werden  : die klobigen Felsen, die hinten und vorne von Figuren umgeben und daher forciert dreidimensional wirken, und der in seiner Plattform deutlich räumlich organisierte Hügel, wo schon die Diagonalen der Felsspalten, aber auch die Anordnung und Staffelung der Figuren und Gegenstände keinen Zweifel an der Tiefenerstreckung des Gebildes zulassen. Natürlich ist auch die Positionierung der Figurengruppen in mehreren Schichten vor und neben diesem Hügel ein Tiefe suggerierendes Motiv – aber mit einer kreisförmigen Anordnung, wie sie in der gegenüberliegenden Kreuzigung auf fol. 56v vorzufinden ist (Abb. 137), sind diese Motive nicht vergleichbar. Dennoch will es scheinen, daß die Doppelseite der Kreuzigung und ihres Typos zwei verschiedene Möglichkeiten, eine grundsätzlich identische Raumauffassung umzusetzen, beispielhaft vor Augen führt. Das grundsätzliche Arrangement auf fol. 139r des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 152) ist jenem auf fol. 57r von Ms. Ludwig IX 18 sehr ähnlich  : Im linken Bildteil erhebt sich der Berg,

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auf dem Moses die Eherne Schlange errichtet hat und um den herum sich das israelitische Volk versammelt hat. Im unmittelbaren Vordergrund entspringt links ein Bach, während auf einigen niedrigen Felsen rechts die Opfer der Schlangenplage darniederliegen. Im Gegensatz zur Spinola-Miniatur zählen alle vier Protagonisten dieser Vordergrundzone zu den Sterbenden und hauchen in unterschiedlichen Posen ihr Leben aus  ; das aus dem wassenhoveschen Flügel im Spinola-Stundenbuch übernommene Zeichen der Errettung aus der Plage, die über die Schulter eines sich nach ihr umwendenden Mannes entfliehende Schlange, entfällt. Zwar krabbeln einige salamanderartige Kreaturen im Vordergrund. Dabei wird jedoch nicht ersichtlich, ob sie sich durch die Quelle in das Erdinnere zurückziehen (wie das in Ms. Ludwig IX 18 der Fall ist). Damit ist das Gewässer seiner inhaltlichen Relevanz enthoben und zu einem bloß dekorativen Beiwerk geworden, das durch eine schilfbewachsene Uferzone und einen daraus trinkenden Hund nichtsdestotrotz das Auge zum Verweilen anregt. Anders als im Spinola-Stundenbuch ist die Vordergrundzone ziemlich tief und umfaßt sowohl den Bereich der (flacheren und niedrigeren) Felsen als auch das flache Terrainstück dahinter, auf dem eine große Anzahl ebenfalls räumlich versetzt gruppierter Israeliten Platz gefunden hat. Diesem geräumigen Vordergrund, der durch die Felsen rechts nur marginal unterteilt und in seiner Einheitlichkeit kaum beeinträchtigt wird, wird der schroff ansteigende Berg als vertikale und zumindest von dieser Seite her unüberwindbare Barriere gegenübergestellt. Zwar deutet die vom linken Rahmen überschnittene Figurengruppe, die sich am dortigen Rand des Berges emporstaffelt, eine Begehbarkeit von dieser Seite an, das Gros des Volkes (so auch die rechte hintere Gruppe, die durch niedrige Felsen von der Ansammlung vorne getrennt ist) sieht sich jedoch mit schroffen Felswänden konfrontiert. Prinzipiell erscheint dieser Berg ähnlich wie jener in der zweiten Kreuzigungsminiatur auf fol. 149r von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 138)  : Zu den Betrachtenden hin bietet er sich als blanker Fels, der doch hinter der frontalen Wand ein Plateau ausbildet, auf dem die jeweiligen Protagonisten – überschnitten vom vorderen Felsgrat – agieren. Allerdings wird die Gipfelplattform im Grimani-Brevier an keiner Stelle so einsichtig und als sich dermaßen kontinuierlich entwickelte Ebene gezeigt wie in der zweiten Spinola-Kreuzigung  ; vielmehr findet die vier Mann umfassende Begleitung des Moses auf einem nächsten Felshöcker Platz, der auf die kleine Senke mit dem Pfahl folgt und nach hinten zu bereits den nächsten Grat ausbildet. Auch ist die Felserhebung nicht so nachdrücklich als umgehbar definiert wie jene auf fol. 149r von Ms. Ludwig IX 18  : Zwar läßt die Figurengruppe, die sich links einem unsichtbaren Weg hinauf zum Gipfel entlang aufgereiht hat, die Rundung der linken Felsflanke erkennen, und zweifellos suggeriert auch die rechte hintere Figurengruppe auf fol. 139r des Breviers die Allansichtigkeit des Felsens. Dennoch gibt es keine kontinuierliche Bewegung um das Gebilde herum. Betrachtet man das Organisationsprinzip der Miniatur, so sind es immer wieder in flachen Schrägen verlaufende Grate und Streifen, die mehr oder minder breite Raumabschnitte voneinander trennen. Dieses Prinzip erscheint als das exakte Gegenteil von dem, das in der Miniatur selben Themas in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 159) angewandt wurde. Dort sind die Ebenen, die den Figuren als Aktionsraum zur Verfügung stehen, denkbar schmal, so daß die

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räumliche Entfaltung der Protagonisten massiv behindert wird – und umgekehrt verweilen dort, wo mehr Platz vorhanden zu sein scheint, wie am rechten Bildrand, die Figuren ihrerseits in geschlossener Formation. Wirklich dreidimensional und raumsuggerierend sind auf fol. 57r von Ms. Ludwig IX 18 die Felsen selbst, bzw. richtiger ihre räumlich ausgebreiteten Kuppen. So ist ein Raumkontinuum von der vorderen Figurengruppe der Kernminiatur (also jener Ansammlung, die von der Texttafel überschnitten wird) bis hin zum Pfahl mit der Ehernen Schlange und weiter bis zur von Moses verdeckten Bergspitze kontinuierlich nachvollziehbar. Insofern offenbart sich hier eine Parallele zur gegenüberliegenden Kreuzigungsdarstellung auf fol. 56v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 137), wenn auch der beide Male halbkreisfömig nach hinten zu begrenzte Raum im einen Fall durch die Figuren, im anderen durch Landschaftsversatzstücke erfahrbar wird. Betrachtet man die zweite Kreuzigungsdarstellung des Spinola-Stundenbuchs auf fol. 149r (Abb. 138), so offenbart sich dort eine weitere Facette der Konstruktion von Tiefe. Auch dort wird der Raumeindruck wesentlich durch die beiden voluminösen Felsen bestimmt, jedoch kommt deren Dreidimensionalität primär durch die Reaktionen der Figuren (bzw. deren Bewegung um sie herum) zur Wirkung. Insofern demonstrieren die drei Spinola-Miniaturen drei verschiedene – teils sogar konträre – Möglichkeiten, dasselbe, auf einen weiten, durchschweifbaren Raum abzielende Verständnis der dreidimensionalen Wirklichkeit auszudrücken. Die Miniatur auf fol. 139r des Grimani-Breviers zeigt Anklänge sowohl an die Darstellung der Ehernen Schlange auf fol. 57r als auch an die zweite Kreuzigungsszene auf fol. 149r von Ms. Ludwig IX 18. Nicht nur die einzelnen Motive der Erzählung wie des Schauplatzes, sondern auch die Organisation des Raumes sind von dorther abzuleiten. Dennoch ist das Ergebnis ein denkbar anderes. Der Raum baut sich in der Grimani-Miniatur aus schräg verlaufenden, durch Grate voneinander abgesetzten Ebenen auf. Die Wirkung dieser Schrägen ist allerdings nur bedingt raumschaffend, da keine einzige von ihnen in die Bildtiefe führt. Vielmehr gestaltet sich der Übergang vom Vorder- zum Mittel- und Hintergrund mittels eines Knicks am rechten Miniaturrand  ; dort nämlich wird durch eine niedrige von links nach rechts zu ansteigende Felskante die rechte vordere von der rechten hinteren Menschenansammlung getrennt. Die hintere, relativ überzeugend in die Tiefe gestaffelte Gruppe bildet eine Schräge in die umgekehrte Richtung, von rechts vorne nach links hinten. Daß auch dort kein ausdrücklicher Tiefensog zustande kommt, liegt daran, daß die bereits sehr blasse, leicht verblauende Landschaft dahinter nur im ersten Kompartiment ebenfalls von rechts vorne nach links hinten organisiert ist (was mittels undeutlich wiedergegebener Bäume und eines Terrainübergangs von Wiese zu Erde geschieht). Dahinter findet nochmals ein Richtungswechsel nach rechts hinten statt. Dabei verläuft der Tiefenzug entlang des fernen Berges nicht nur genau im Winkel, sondern auch in exakter Fortsetzung jener Felskante, die den Rücken der schroffen Felswand vorne angibt und die Beine des Moses überschneidet. Mit diesem Kunstgriff wird die gesamte Ausdehnung der Miniatur gleichsam auf einen Blick durchmeßbar und die eigentlich ohnehin in relativer Distanz, also im Mittelgrund, befindliche Gruppe des Moses und seines Gefolges gleichsam in die Weite der Gesamtdarstellung eingebunden  ; dies umso mehr, als die vier Männer ihrerseits von Moses

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weg in einer (seichten, aber räumlichen) Schräge von rechts vorne nach links hinten angeordnet sind, wo sich ein zweiter Fernblick in Form eines weiteren wuchtigen Bergmassivs auftut. Nicht ganz unerwartet sieht man sich mit einer weiteren Facette bifokaler Bildorganisation konfrontiert. Und auch mit einem Raum, der weder durch einen kontinuierlichen Tiefenzug noch durch kreisende und schweifende Elemente, sondern von abrupten Richtungswechseln gekennzeichnet ist, die nichtsdestotrotz seine Breite und Weite ebenso wie seine Tiefe erschließen. Auch in der kompositionellen Verbindung von Mittel- und Hintergrund lassen sich Parallelen zwischen fol. 57r von Ms. Ludwig IX 18 und fol. 139r des Marciana Ms. lat. I. 99 feststellen, die allerdings einmal mehr in der Wahl der Mittel und nicht im damit erzielten Ergebnis liegen. Denn auch in der Spinola-Miniatur steigt eine Felsspalte von der emporweisenden Frau links vorne zu Moses in einer (allerdings im Vergleich zur Grimani-Miniatur raumorientierteren) Schräge empor, die ihre Entsprechung im fernen Verlauf des Flusses rechts hinten hat. Freilich sind die beiden Bildelemente so weit voneinander entfernt, daß durch diesen gleichen Verlauf keine unmittelbare und räumliche Verbindung erzielt wird. Sie entfällt trotzdem nicht, sondern wird auf andere, für das Raumgefühl des Illuminators ganz charakteristische Weise erzielt. Die Felsspalte setzt sich nämlich (wenn auch nur schwach angedeutet) bis an die hintere Kante des Berges fort, wo durch drei in Größe und Sichtbarkeit rapide abnehmende, unmittelbar hintereinandergestaffelte Bäume angezeigt wird, daß der Hügel auf der vom Betrachter abgewandten Seite ebenso sanft abfällt, wie er von vorne weg ansteigt. Auch dies leistet für das hier vermittelte Raumgefühl einiges, erleben wir doch den Berg somit als im Raum sich voll entfaltendes Gebilde. Die Tiefe und Weite des Schauplatzes wird aber durch ein scheinbar noch unbedeutenderes Motiv subtil und souverän veranschaulicht  : durch die in Fortsetzung der (über die ansteigende Felsspalte gebildete) Diagonale in einem Bogen nach hinten, in das Flußtal hineinfliegende Vogelschwadron. Der Blick setzt links vorne an, steigt über den Hang hinauf und hebt gleichsam an der Kuppe ab, um sich mit den Vögeln in einer eleganten Kurve hinein in die Weite des Raumes zu schwingen. Das Raumerlebnis wird hier sukzessive, durch kontinuierliche Fortbewegung, erschlossen, während im Grimani-Bild Mittel- und Hintergrund synchron gesehen werden. Die kompositionelle Anbindung der Mosesgruppe an den Fernblick dort bewirkt dennoch keine Verflächigung (stets die Gefahr bei der linearen Koppelung zweier in verschiedenen Raumebenen befindlicher Elemente), zumal die auch sehr ähnlich geformten Bildmotive an dieser Stelle farblich (und bezüglich der Schärfe ihrer Wiedergabe) deutlich voneinander abgesetzt sind. Wenn überhaupt, so wirkt sich die Anbindung des Mittel- an den Hintergrund in einer Distanzierung des Hauptmotives (und somit einer Verräumlichung des Bildes insgesamt) aus, die sich ja auch in anderen Aspekten wie der Vertiefung des Vordergrundes oder der Verkleinerung Mosis und seiner Begleiter abzeichnet. Damit erweist sich die Lösung auf fol. 139r des Grimani-Breviers den drei bislang untersuchten, dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen dieser Handschrift nur bedingt kompatibel. Von der forcierten Raumkonstruktion der beiden besprochenen Interieurbilder (Abb. 156, 154) ist nichts zu bemerken, und dies kann nicht ausschließlich auf die

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verschiedenen Aufgaben (Innenraum- vs. Landschaftsdarstellung) zurückzuführen sein. Die Kreuzigung auf dem gegenüberliegenden Blatt 138v (Abb. 139) weist wenigstens insofern eine Parallele zur Mosesszene auf, als auch dort vereinzelte, sacht ansteigende Schrägen den Bildeindruck mitbestimmen. Doch ist die Kreuzigungsminiatur insgesamt durch einen wesentlich höheren Grad an Unräumlichkeit gekennzeichnet, der sich weder durch das Thema noch durch das Vorbild erklären läßt. Diese trotz raumsuggerierender Einzelmotive (wie der verkürzten Pferde) raumnegierende Flächenhaftigkeit verbindet die Kreuzigung mit den beiden besprochenen Interieurminiaturen, vor allem mit dem Januarbild (Abb. 156). Als einzige eklatante Übereinstimmung der Mosesdarstellung mit den beiden Innenraumbildern wäre demgegenüber die Bifokalität zu nennen, die sich hier allerdings auf andere Weise äußert als in den Interieurs, wo damit stets auch Handlungsschwerpunkte verbunden wurden. Diese komplizierte Situation innerhalb der dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen des Breviers, aber auch die spezifische Qualität ihrer Nähe zu anderen Werken dieses Illuminators – die stets vorhanden, aber nie so groß ist, daß man bedenkenlos vom gleichen Ausführenden sprechen möchte – zwingt zu einer besonders gründlichen Auseinandersetzung mit den entsprechenden Vollbildern im Marciana Ms. lat. I. 99. Insofern ist es vonnöten, das Kreuzigungsbild auf fol. 17v des Croy-Gebetbuchs (Taf. XXIII) noch einmal heranzuziehen, diesmal für eine Gegenüberstellung mit der Mosesminiatur des Grimani-Breviers (Abb. 152). Dabei offenbaren sich bei aller Verschiedenheit doch einige Übereinstimmungen in der Raumsituation. Beide Male findet sich ein auffallend tiefer Vordergrund, wenn auch im Grimani-Brevier mittels zahlreicher Schrägen, im Croy-Gebetbuch durch einen eher bildparallel strukturierten, allerdings von den hintereinander gestaffelten Figuren als räumlich ausgewiesenen Terrainbereich erzielt. Ähnlich ist auch die Erschließung des Raumes mittels mehrmaliger Richtungswechsel, wobei dies jedoch in der Croy-Miniatur weit systematischer und vor allem nicht über Landschaftsversatzstücke, sondern über die Figuren selbst geschieht. Denn mit den drei vorderen Protagonisten bewegt man sich (fast bildparallel) von links nach rechts, um von dort gleich zweimal (nämlich über die abnehmende Figurengröße einerseits, den Blick des hinteren Reiters andererseits) zu den unter dem Kreuz befindlichen Akteuren und dann zur Maria-Johannes-Gruppe weitergeleitet zu werden. Wieder fast waagrecht (und zwar ausschließlich durch die Figurengröße suggeriert) geht es zurück nach rechts zu den zylindertragenden Reitern und dann weiter hin zum fernen Jerusalem. Zugleich aber wird der Blick links hinter der Trauergruppe auf den dort ansteigenden Felsen und den sich entfernenden Figuren geführt, so wie er rechts durch die Wendung des vorderen Reiters auf die zylinderbewehrte Kavalkade fällt. Die auf diese Weise hergestellten räumlichen Beziehungen funktionieren allerdings nur durch abrupte Raumsprünge, ein letztlich flächenkonstituierendes Gestaltungsprinzip, das gerade in der Mosesminiatur des Breviarium Grimani weitgehend vermieden wird. Auch die Gegenüberstellung der Figuren ist aufschlußreich. Zwar sind die Größenunterschiede zwischen den beiden Miniaturen beachtlich  ; dadurch aber, daß das Mosesbild im Brevier dermaßen kleinfigurig angelegt ist, sind die Maße der Akteure in den beiden Bildern teilweise identisch, etwa die der Mosesgruppe mit jenen des vorderen Protagonistenzuges in

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der Croy-Kreuzigung. Dabei wird klar, daß die Figurenauffassung in den beiden Bildern in zwei Punkten kraß divergiert  : Zum einen bezüglich der Typik, zum anderen bezüglich der Malweise (wobei letzterer Aspekt freilich für die Gestaltung der gesamten Miniaturen zutrifft). Während die Croy-Protagonisten zwar besonders ausdrucksvolle und in gewisser Weise auch edle Vertreter der vom Jakobsmeister kreierten Gattung kleiner und beweglicher Akteure mit großen Nasen und verquollenen Augen sind, zeigen die Gesichter der im Mosesbild des Grimani-Beviers dargestellten Personen härtere, aber auch ebenmäßigere Züge. Dabei ist der Illuminator grundsätzlich bemüht, der in der Jakobsmeister-Werkstatt verwendeten Typik treu zu bleiben, und bietet eine Vielzahl unförmiger Nasen und geschwollener Lider. Die Geometrie der Gesichter hat sich trotzdem geändert. Dies mag auch mit der Malweise zusammenhängen, die nun wirklich inkompatibel in den beiden Miniaturen erscheint  : Im Croy-Gebetbuch als lose Faktur mit dennoch ungemein exquisiter Detailschilderung charakterisierbar, wirkt sie im Grimani-Brevier strichlierender, trockener und weit weniger sicher in der Wiedergabe optischer wie haptischer Qualitäten. Diese Technik verbindet alle dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen von Marciana Ms. lat. I. 99, setzt jedoch alle übrigen bisher besprochenen Werke aus dem Œuvre unseres Illuminators von ihnen ab. Umso mehr hinterläßt auch der zuletzt gemachte Vergleich zwischen der Kreuzigung des Croy-Gebetbuchs und der Mosesszene des Grimani-Breviers den Eindruck, daß es sich bei den Ausführenden um verschiedene Künstler handelt, die vom gleichen Ausgangspunkt (einem non- oder nicht primär fokussierten Raum) ausgehen, um ihn auf verschiedene Arten dem eigenen Raumgefühl gemäß zu verwandeln. Da dies aber im Grimani-Brevier bei allen bislang untersuchten Miniaturen zu abweichenden Ergebnissen führte, wird dem Anteil des Jakobsmeister-Ateliers in dieser Handschrift noch etwas Zeit zu widmen sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Marciana Ms. lat. I. 99 als eines der Haupt-, aber auch Schlüsselwerke unseres Illuminators gilt, nicht zuletzt im Hinblick auf seine Identifizierung mit Gerard Horenbout. Die Nähe wie die Distanz der Grimani-Miniaturen zum bislang untersuchten Œuvre des Jakobsmeisters aufzuzeigen, eignet sich die unserem Künstler im Spinola-Stundenbuch zugeschriebene Ausstattung am besten. Dabei existiert (abgesehen von den bislang besprochenen Beispielen) nur noch ein thematisch gleiches Miniaturenpaar in den beiden Handschriften, die Darstellung des Turmbaus zu Babel. Dabei sind die kompositionellen Unterschiede jedoch insofern sehr groß, als es sich im Grimani-Brevier um ein Vollbild (auf fol. 206r, Abb. 153), im Spinola-Stundenbuch um die Bordüre zur Darstellung des Opfers von Elias auf fol. 32r (Abb. 161) handelt, die sich gegenüber der Pfingstszene auf fol. 31v (Abb. 94) befindet. Dementsprechend ist die Turmbaugeschichte in Ms. Ludwig IX 18 in zwei nur in der rechten unteren Ecke miteinander verbundenen Bereichen geschildert. Die Bas de page-Zone ist der Arbeit der Steinmetzen vorbehalten, die in einer radikal vom linken unteren Bildrand nach rechts hinten verkürzten offenen Hütte tätig sind. Der Mann vorne schaufelt Mörtel, während im hinteren Raum der zweigeteilten Werkstatt ein zweiter einen Steinblock behaut. Im rechten Teil des Bas de page, im Terrainabschnitt zwischen der Hütte und dem aus der rechten

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Bildecke emporwachsenden Turm, vermißt ein Mann in gebückter Haltung einen mehrfach profilierten Steinblock. Auf der Bildfläche unmittelbar über ihm, jedoch durch das verkürzte Gebäude in ziemliche Distanz gerückt, blicken zwei an dessen hinterem Ende stehende Architekten zu einem Teil des Bauwerks empor, der offenbar vom Turm vorne verdeckt ist – oder aber der Künstler hat das Motiv der beiden nach oben und zugleich in die Bildtiefe blickenden Männer aus einem anderen Kontext und ungeachtet dessen übernommen, daß der Turm in der aktuellen Darstellung vor und damit außerhalb der Blickrichtung der beiden steht. Freilich dient dieses unlogische Detail der suggestiven Vergrößerung des ohnehin stark verkürzten Turmbaus rechts, dessen enorme Höhe (die bei Beibehaltung des gleichen Figurenmaßstabs im vertikalen rechten Randbereich Abb. 161: Elias-Opfer, Turmbau zu Babel; Los nicht zu veranschaulichen gewesen wäre) Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig durch eine ebenso unlogische Reduktion der IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 32r. Figurengröße in den oberen Stockwerken ausgedrückt wird. Dort tummeln sich eine Menge von Bauleuten auf dem mächtigen Gerüst, dessen Verankerung parallel zum und teils auf dem Rohbau ebenso fachmännisch und akribisch beschrieben wird wie die diversen Kräne und übrigen Werkbehelfe der ameisenartig sich tummelnden Maurer. Demgegenüber ist die Bildlösung auf fol. 206r des Grimani-Breviers geradezu phantastisch. Es handelt sich meines Wissens um die erste monumentale Darstellung des Turmbaus, in der Gebäude- und Figurenmaßstab tatsächlich die gigantischen Ausmaße des Gebildes veranschaulichen und deren Kompositionsschema noch von Pieter Brueghel d. Ä. verwendet wurde. In großer (wenngleich nicht ganz kontinuierlich entwickelter und damit letztlich ebenfalls nur durch Maßstabsbrüche suggerierbarer) Distanz vom vorderen Bildrand erscheint das Bauwerk am Rande einer rechts hinten im Bild dargestellten Bucht, in der winzige Schiffe Baumaterial herbeibringen. Links schräg vor dem Turmbau ragt ein Felsen empor, auf dem (von bereits ebenso kleinen Figuren wie auf dem Bauwerk dahinter) Kalk gebrannt wird, der am Fuße des Berges in einer Hütte gelagert und dort auf Karren verladen wird. Diese treten ihre Reise auf einem Weg an, der bis zu der (auch hier im unmittelbaren Vordergrund links dargestellten) Bauhütte und von dort in einer Kurve zum Turm hinabführt. Rechts im Vordergrund – dessen Gliederung durch die beiden auf Pfosten angebrachten Texttafeln auch thematisch beibehalten wird – erscheint der Oberbefehlshaber des Unternehmens, der dem

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von allerlei orientalisch kostümierten Soldaten und Gefolgsleuten umringten Architekten Befehle erteilt. Daß es sich bei diesem Fürsten um einen Grobian handeln (der auf Gottes Strafe auch nicht mehr lange warten) muß, weiß der Künstler durch die im Profil gezeigte gebrochene Nase fein, aber unmißverständlich anzudeuten. Der erzählerische Quantensprung, der zwischen diesen beiden Bildern liegt, mag auch Resultat der unterschiedlichen Formgelegenheiten sein  ; prinzipiell entsprechen die Veränderungen jedoch jenen, die auch zwischen den Sterbeminiaturen in den beiden Handschriften zu konstatieren war. Ungeachtet dessen bieten sich die wesentlichen Gestaltungsprinzipien der beiden Turmbaudarstellungen durchaus zum Vergleich an. Dabei fällt einmal mehr eine Nähe zwischen den beiden Bildern auf, die eine Kenntnis des früheren durch das spätere voraussetzt. So sind Stellung und Struktur der Bauhütte links vorne äußerst ähnlich  ; und die Figur des Steinmetzen, im Spinola-Stundenbuch im hinteren Hüttenteil, im GrimaniBrevier im vorderen Bereich derselben untergebracht, ist bis auf minimale Abweichungen gleich. Dabei ist jedoch die Hütte in Ms. Ludwig IX 18 weit steiler in den Raum gestellt  ; der aggressive Raumvektor, der dadurch entsteht, wird durch die beiden ins Nichts gestikulierenden Architekten jäh gebremst  ; freilich auch dadurch, daß dort die maximale Nähe zum unteren Rahmen der Kernminiatur erreicht wird. An dieser Stelle stößt der noch steiler in die Tiefe führende Raumvektor des Turms hinzu und vollendet damit die Definition der vorderen Bühne als (diesmal dreiecksförmigen) Zentralraum. Im Grimani-Brevier wird jede diesbezügliche Möglichkeit peinlich vermieden. Die flache Schräge der verkürzten Bauhütte findet ihre Fortsetzung in dem bis zum rechten Bildrand führenden Weg  ; somit weist dieser Raumvektor zwar in die Bildtiefe, gemessen an der in dieser Miniatur suggerierten räumlichen Ausdehnung aber bloß hin zum Mittelgrund. Dort bricht die Straße in einer Kurve (auf einer immerhin fast senkrecht verkürzten Brücke) um, um in einer ähnlich seichten Schräge zurück nach links, zur Auffahrt auf die erste Rampe des Turmes, zu führen. Dies ist wohl nicht zufällig die gleiche Höhe, auf der ganz links am Fuß des (eigentlich viel weiter vorne befindlichen) Felsens der Ausgangspunkt des Transportweges liegt, der bezeichnenderweise zuerst in einem kurzen Stück bis an den linken Miniaturrand führt und von dort in einer Rechtskurve (allerdings von der Bauhütte vorne fast zur Gänze verdeckt und so die Raumwirkung dieses vergleichsweise stark verkürzten Wegstückes deutlich zurücknehmend) ganz nach vorne und an der Hütte vorbei mit einem neuerlichen Knick von links vorne zum rechten Miniaturrahmen weitergeleitet wird. Am Fuße des Turmbaus wiederholt sich dasselbe Spiel der gegeneinanderstrebenden flachen Schrägen noch einmal, da dort der Weg erneut nach rechts umbricht und in einem sachten, die Rechtsausrichtung nicht störenden Knick entlang der Front und der Seite des Turmes emporgeht um dort abermals umzuschwenken und parallel zum rechten Ende der Bucht ein letztes Mal von rechts vorne nach links hinten zu führen. Zwar wird dadurch der ferne Turm als umgehbar beschrieben, wie auch der Raum an sich als in ständigen Richtungswechseln durchmeßbar erscheint. Doch bewirken die flachen Verkürzungen und abrupten Knickstellen letztlich nur eine Addition relativ seichter Ebenen, und der Turm befindet sich so weit hinten, daß er für das unmittelbare Raumgefühl in erster Linie als Hintergrundmotiv wirkt, freilich

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als eines, das den Raum enorm nach hinten zu ausweitet und so der Miniatur insgesamt eine in diesem Medium nachgerade unglaubliche Tiefe verleiht. Wir stoßen hier also auf eine abermals neue Facette der Raumkonstruktion im GrimaniBrevier, wenn auch gekennzeichnet durch eine gewisse Ähnlichkeit mit den Konstruktionsprinzipien der Mosesminiatur auf fol. 139r derselben Handschrift (Abb. 152). Mit dem Mosesbild stimmt die Turmbaudarstellung auch bezüglich der Figurentypik sowie bezüglich der bildparallelen Staffelung der Akteure bei grundsätzlich raumorientierter Beweglichkeit überein. Selbst die Bifokalität, die nur scheinbar themenbedingt ist, findet sich in der Turmbauminiatur wieder, zumal die von der Brücke weg hin zum Turm führende Straße sich an dessen linker vorderer Ecke gabelt und links des Bauwerks fast senkrecht verkürzt auf jenes Gewässer zuhält, das durch den sich verjüngenden Turm rechts und den Felsen links einen Trichter in eine Tiefe ausbildet, an deren Horizont kaum noch sichtbar Berge erscheinen. Der Vergleich mit der Kreuzigungsminiatur des Croy-Gebetbuchs (Taf. XXIII), auf Grund der großen inhaltlich bedingten kompositionellen Unterschiede mit einer gewissen Vorsicht durchzuführen, bringt ähnliches wie die schon zuvor zwischen Marciana Ms. lat. I. 99 und Cod. Vind. 1858 vorgenommenen Gegenüberstellungen zutage. Eine gewisse grundsätzliche Ähnlichkeit besteht in der Erschließung des Raumes mittels Zickzackbewegung. Diese wird jedoch im Brevier primär durch Landschaftsteile, im Croy-Gebetbuch durch die Figuren bewerkstelligt. Das Terrain im Croy-Gebetbuch bildet zwar auch diagonal begrenzte Abschnitte aus, doch sind diese zum einen tiefer und kontinuierlicher erschlossen als jene im Brevier, zum anderen sind die Terraingrenzen selbst nicht als Impulse für die Richtungswechsel eingesetzt. Während die Darstellung des Turmbaus zu Babel auf fol. 206r des Grimani-Breviers bezüglich des Raumaufbaus jener der Ehernen Schlange auf fol. 138r der gleichen Handschrift entspricht, zeigt sich die Miniatur der Geburt Christi auf fol. 43v ebenda (Abb. 151) den bislang behandelten Interieurdarstellungen in Marciana Ms. lat. I. 99 verwandt. Nicht anders als die Sterbeszene auf fol. 449v zeichnet sich auch dieses Bild durch eine hier zentralräumlich genannte Konstruktion des formatfüllenden Stalles aus, in dessen vorderem, durch ein Satteldach überspannten Kompartiment die Jungfrau vor dem auf ihrem Mantelende liegenden Christkind kniet. Eine ebenfalls kniende Engelschar ist rechts halbkreisförmig um das Neugeborene angeordnet, wobei diese raumhaltige Formation viel von ihrer Wirkung verliert, weil die beiden einzigen weitgehend unverdeckt sichtbaren Engel im reinen Profil bzw. frontal gegeben sind. Auch die übrigen Elemente des Haupthandlungsmotivs – das auf den Madonnenmantel gebettete Christkind, das schräg gelegte Ährenbündel und der Zipfel des roten, grün gefütterten Engelsmantels, der auf dem weißen Untergewand zu liegen kommt – erscheinen bezüglich ihrer raumsuggerierenden Wirkung ambivalent und auf Grund ihres unmittelbaren, linearen Aneinandergrenzens weniger hinter- als übereinander angeordnet. Das Christkind liegt auf einer aus einzelnen, radial verlaufenden Strahlen gebildeten Mandorla, die sich nicht mit dem dreidimensionalen Ambiente verbindet, sondern als abstraktes Gebilde auf der Fläche schwebt. Auch das Gewand der Madonna, das ihrer schräg in den Raum gerichteten Haltung massiv entgegenwirkt (indem es sie weniger umfängt als vielmehr

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einen flächendekorativen Schwung vollführt und das Kniemotiv ebenso verunklärt wie den Übergang von herabfallenden zu aufliegenden Stoffteilen) trägt viel zu dieser Flächenhaftigkeit bei. Und doch wurde – zusammen mit dem diese Formation bildparallel nach hinten zu abschließenden Ochsen und dem offenbar verkürzt dargestellten Esel, der allerdings nicht mehr als eine Folie für den Paarzeher davor abgibt – eine räumlich ausgedehnte Kreisform rund um das Christkind geschaffen, die nur links unten durch das diagonale Ährenbündel aufgebrochen ist, um die Betrachtenden entlang der Leserichtung von links nach rechts ohne Umschweife auf das Neugeborene zu lenken. Umgekehrt wird die Räumlichkeit dieser Anordnung nur durch die Architekturkonstruktion wirklich wahrgenommen  ; entfiele diese, würde die Figurenformation noch um vieles flächenhafter wirken. Als wäre ihm dies bewußt, bemüht sich der Künstler an mehreren Stellen um die glaubhafte Durchdringung der figürlichen und der architektonischen Elemente. Dazu eignet sich der vordere Raumteil mit seinen Kolonnaden (richtiger  : Pfeilerreihen) in besonderem Maße. Links schiebt sich ein Hirte zwischen die erste und die zweite Stütze, rechts fliegt ein Engel mit erhobenen Armen bei der gegenüberliegenden Öffnung herein. Den Zwischenraum zwischen den (auf der Bildfläche nur knapp übereinander liegenden und daher wenig Platz suggerierenden) Querbalken des Satteldaches nutzt eine ganze Kaskade von Engeln für ihren Abstieg aus dem durch Gottvater in einer Wolkenöffnung symbolisierten Himmel. Einige von ihnen wirken, als würden sie sich demnächst im Gestänge verkeilen, so sehr ist der Illuminator darauf aus, sie mit den Balken in ein klar nachvollziehbares Verhältnis zu bringen. Dabei ist auch die Mehrzahl dieser Engel entweder streng frontal oder im Profil gegeben. Nur zwei von ihnen erscheinen mit radikal verkürzten Köpfen, wobei einer davon so sehr verdeckt ist, daß sein Körper gar nicht sichtbar wird, der zweite hingegen offenbar gerade eine Richtungsänderung vom Sturz- zum Gleitflug vornimmt, wobei sein Körper noch im ersteren begriffen ist und sich somit unverkürzt senkrecht präsentiert. Räumlich projiziert wirken somit nur die Köpfe, die Körper sind, sofern überhaupt sichtbar, weitgehend unverkürzt dargestellt. Für dieses wichtige Gestaltungsmittel des Künstlers, das sich als Raumsuggestion mittels Verkürzung stereometrischer Gebilde bei weitgehend bildparalleler Haltung und Aktion aller Figuren beschreiben läßt, finden sich überall in der Miniatur Belege. Der Ausgleich der beiden doch reichlich konträr wirkenden Komponenten erfolgt mittels Überschneidung (also dem zusammen mit dem Raumsprung flächenhaftesten aller raumsuggerierenden Mittel). Daß dies nicht auf das Unvermögen des Illuminators, seine Figuren einer übernommenen Raumkonstruktion einzuschreiben, sondern vielmehr auf eine vielleicht unbewußte, aber ganz wesentliche Tendenz zum flächenhaften Bildmuster zurückzuführen ist, beweisen Details wie die von Josef (der zusammen mit zwei Hirten hinter der rückwärtigen Trennwand des Stalles steht) emporgehaltenen Laterne, die sich über dem Kopf des Esels befindet und den Blick an dieser Stelle festhält. Genau daneben ist die räumlich weit dahinter befindliche Tür zu sehen, die damit prompt in einer Ebene mit der Lampe wahrgenommen wird – womit das gleiche Gestaltungsprinzip wie in der Mosesminiatur hier tatsächlich verflächigend wirkt. Denn die im Verlauf des Bodens durchaus angelegte (wenn auch nicht mittels Linien forcierte) Raum-

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flucht wird durch diese optische Verbindung unterschiedlich räumlich positionierter Objekte stark zurückgenommen und bestenfalls als ein enormer Raumsprung vom nahsichtigen Vordergrund zur Tür ganz hinten lesbar. Bezeichnenderweise entwickelt sich ein kontinuierlicher Raumvektor nur ganz rechts im Bild in einem tiefen Dunkel  ; nicht nur auf Grund dieser die Wahrnehmung beeinträchtigenden Düsternis, auch auf Grund der drei wuchtigen vertikalen Pfeiler wird diese ideelle jedoch nicht in eine materielle Kontinuität umgesetzt. Diese Beobachtungen ließen sich beliebig (und an dieser Stelle unnötig lange) fortsetzen. Wichtig ist, daß hier, in dieser großfigurigen Miniatur, sich eben jene Gestaltungsprinzipien manifestieren, die auch im Januarbild derselben Handschrift wirksam waren und dort zur Überlegung Anlaß gaben, ob nicht das Vorbild diese Tendenz zum Flächenhaften bewirkt haben könnte. Doch läßt sich in Anbetracht dessen, daß diese Auffassung auch in von den Limburgs unabhängigen Miniaturen anzutreffen ist, höchstens von einer allgemeinen Beeinflussung des Künstlers durch die schönen Flächenmuster der älteren Maler sprechen, nicht aber von einem bewußten Versuch, im Januarbild deren Gestaltungsprinzipien zu zitieren. Im Gegenteil, eher scheint unser Illuminator sich dazu berufen gefühlt zu haben, sein hochgeschätztes Vorbild in diesem Aspekt zu korrigieren, was eine gezielte Übernahme der Flächenhaftigkeit als anzustrebende Bildqualität weitgehend ausschließt. Warum sollte der Künstler ausgerechnet jenen Faktor, den er zu korrigieren trachtete, als wesentliches Stilelement in seine Formensprache aufnehmen wollen  ? Offenbar entsprach die aufgezeigte flächenhafte Umsetzung trotz Kenntnis und Verwendung überzeugender Raumsuggestion der Auffassung unseres Illuminators einfach kongenial. Wie aber sollte das möglich sein bei einem Künstler, den wir um 1510 bzw. vielleicht auch schon im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, nämlich im Spinola-Stundenbuch, als in höchstem Maße darauf bedacht, das Weite und Allumfassende der dreidimensionalen Wirklichkeit in seine Bilder zu bannen, kennengelernt haben  ? Was soll den Jakobsmeister so verändert haben  ? Wo sind die Zwischenglieder zwischen dem Bildverständnis im SpinolaStundenbuch und jenem im Grimani-Brevier  ? Oder was sollte sonst den radikalen Stilwandel bewirkt haben, der uns im Marciana Ms. lat. I. 99 entgegentritt  ? Die beiden Miniaturen des Croy-Gebetbuchs geben weder auf die eine noch auf die andere Frage eine Antwort. Allerdings existieren noch einige in der Literatur später (also nach dem Grimani-Brevier) datierte, dem Jakobsmeister zugeschriebene Werke, die Antworten anbieten – wenn auch andere, als man meinen sollte, wenn man dem bisherigen Stand der Forschung folgt303.

Die Blätter im Metropolitan Museum of Art Im Metropolitan Museum of Art befinden sich zwei Einzelblätter, die, wie auf Grund der identischen Größe und Seiteneinteilung ersichtlich, offenbar für dieselbe Handschrift gemacht wurden. Sie werden in der neuesten Literatur 1515–25 datiert, also gleichzeitig mit 303 Übersichtlich zusammengefaßt von Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 427 f.

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Abb. 162: Anbetung der Heiligen Drei Könige; New York, Metropolitan Museum of Art, Acc.no. 48.149.15. Einzelblatt aus einem Stundenbuch.

oder sogar nach dem 1515–20 angesetzten Breviarium Grimani304. Dargestellt sind die Epiphanie (Inv. Nr. 48.149.15, Abb. 162) und Johannes der Täufer (Inv. Nr. 48.149.16, Abb. 163), wobei die Kernminiaturen wie im Spinola-Stundenbuch von szenischen Bordüren gerahmt sind. Die Epiphanie kann sogar als eine gelungenere Version der Spinola-Miniatur gleichen Themas bezeichnet werden, und das, obgleich sie durchgehend eine andere künstlerische Auffassung vertritt. Wie auf fol. 130v in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 164) ist ein unmittelbarer Einblick in den Stall zu Bethlehem gegeben, der scheinbar an einer beliebigen Stelle angeschnitten wurde. Anders als im Spinola-Stundenbuch sind jedoch nur die rechte Seitenwand und die Rückwand des hier offenbar L-förmigen Gebäudes zu sehen. Ochs und Esel befinden sich in einem hinteren, mit einem schadhaften Pultdach gedeckten Kompartiment rechts, während 304 London – Los Angeles 2003, S. 418 f. (Nr. 125), S. 528 (Literaturangaben).

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Abb. 163: Johannes der Täufer; New York, Metropolitan Museum of Art, Acc.no. 48.149.16. Einzelblatt aus einem Stundenbuch.

der Zug der drei Könige durch eine nahe an die imaginäre vordere Bildebene gerückte Tür in den linken und wesentlich seichteren Raumteil strömt. Rechts im Vordergrund sitzt wie im Spinola-Stundenbuch die Madonna mit dem Christkind auf einer Matratze und nimmt die Huldigung der Magier entgegen. Dabei beansprucht sie jedoch, anders als in Ms. Ludwig IX 18, den gesamten rechten Teil des Vordergrunds, womit ihr und dem Kind wesentlich mehr Gewicht zukommt als in der Handschrift in Los Angeles. Bis auf kleine Veränderungen ist ihre Pose identisch mit jener der Gottesmutter dort, nur daß sie Jesus mit ihrer Rechten umfaßt und das Geschenk mit der Linken hält. Der älteste König kniet vornübergeneigt und ergreift mit beiden Händen einen Fuß des Christkinds, um ihn zu küssen305. Der zweite 305 Dieses Motiv ist schon auf fol. 73v in Cod. Vind. Ser. n. 2625 durch die vorgebeugte Haltung und die geschürzten Lippen des Magiers angedeutet, ohne dort explizit ausgeführt zu sein (Taf. X).

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Abb. 164: Anbetung der Heiligen Drei Könige; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 130v.

Weise ist ebenfalls niedergekniet und präsentiert mit beiden Händen sein Geschenk. Ganz am linken Bildrand steht der Mohrenkönig  ; er erhält seine Gabe soeben erst von seinem von hinten sich nähernden Diener. Die Positionen der Weisen verbindet das New Yorker Blatt mit der Miniatur selben Inhalts auf fol. 101v von Add. 35313 (Abb. 122), die ikonographisch sowohl der Spinola- als auch der New Yorker Lösung nahesteht, ohne deren Qualität oder deren Übereinstimmungen untereinander zu erreichen – beides wohl deshalb, weil sie die Arbeit eines nicht erstrangigen und auch nicht unmittelbaren Gehilfen des Jakobsmeisters ist. Dabei verhält sich der New Yorker Mohrenkönig allerdings nicht wie der Londoner Magier selber Hautfarbe, der seinen Hut lüftet, sondern gleicht in seiner Pose weitgehend jenem im Spinola-Stundenbuch. Auch der Bettverschlag rechts ist wie in Ms. Ludwig IX 18 durch eine Bretterwand vom hinteren Raumteil getrennt. Und wie dort setzen die zwei Stangen des Alkovens, über die ein rotes Tuch als Vorhang gebreitet ist, am ersten der sichtbaren Quer-

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balken des Daches an. Daraus ergibt sich das Problem, daß das Bett auf gleicher Höhe mit der Eingangswand links zu beginnen scheint, jedoch zu kurz im Vergleich zur linken Vordergrundzone wirkt, wo außer den drei Weisen noch der Diener des Mohren und wenigstens ein weiterer Gefolgsmann – beide im Bereich zwischen dem schwarzen König und der Tür dahinter – Platz finden. Auch die Verkürzung der auf den rechten Bildrand zulaufenden vorderen Bettstange, die in einem flacheren Winkel erfolgte als die der darunter befindlichen Matratze und der Stange rechts, erweckt einen ähnlich unbefriedigenden Eindruck wie jene im Spinola-Stundenbuch. Dafür wirkt der rechte hintere Teil des Stalles in MMA 48.149.15 relativ überzeugend gelöst, die Stallwand verläuft parallel zur vorderen Vorhangstange, und zwischen die in einige Distanz gerückten Tiere und den Bretterverschlag ist Josef gezwängt, der sich anschickt, zur Begrüßung der vornehmen Herren seinen Hut zu ziehen. Durch ein kleines rechteckiges Fenster in der rechten Rückwand des Stalles wird eine Landschaft sichtbar, die sich in der Türöffnung links fortsetzt  ; dort sind schwach ein sich in die Tiefe schlängelnder Weg und einige erstaunlich klein und schemenhaft gegebene Figuren zu erkennen, was einen doch sehr unvermittelten Raumsprung zwischen dem immer noch ganz nahsichtig gegebenen, dicht gedrängten Gefolge entlang der Außenwand des rechten Stallteils und der dahinter liegenden Zone suggeriert. Die Ähnlichkeit mit dem Vollbild auf fol. 130v des Spinola-Stundenbuchs erschöpft sich jedoch nicht in der weitgehenden Übereinstimmung der Epiphanieszenen. Wie in Ms. Ludwig IX 18 ist auch auf MMA 48.149.15 die Kernminiatur von szenischen Darstellungen im Randbereich umgeben. Dabei sind die Analogien so groß, daß man annehmen kann, daß entweder eine Miniatur nach der anderen oder beide nach dem gleichen (dann offenbar verlorenen) Vorbild geformt wurden. Im New Yorker Blatt sind Kern- und Randminiatur von einem goldfarbenen, plastischen Leistenrahmen eingegrenzt  ; die Texttafel fehlt, und der rechte Randbereich ist um einiges breiter als in der Spinola-Handschrift. Abgesehen davon ist die Disposition der Randzonendarstellungen identisch. Allerdings setzt sich die Landschaft in der New Yorker Kernminiatur im linken Marginalbereich nahtlos fort. Dort ist wie im SpinolaStundenbuch, aber auf Grund der implizierten Distanz kleiner (und damit optisch überzeugender) das auch weit zahlreichere Gefolge der drei Könige zu sehen, das sich auf die links hinten befindliche Stadt Jerusalem zubewegt. Im Bas de page scheint man ebenda angekommen zu sein. Wie in der Spinola-Handschrift ist der gesamte untere Bildteil von einer sich hinter der Kernminiatur fortsetzenden offenen Säulenhalle eingenommen. Während Herodes in Ms. Ludwig IX 18 jedoch in einem quer dazu angelegten, tonnengewölbten Anbau thront, steht er im New Yorker Blatt zwar eine Stufe erhöht, aber immer noch in derselben längs verlaufenden Eingangshalle. Erst hinter ihm, vom linken Bildrand fast zur Gänze überschnitten, setzt ein quer dazu angebauter Trakt an, dessen stark verkürzte Außenwand am linken Bildrand sichtbar wird. Mit beachtlichem Geschick ist das Durcheinander an divergierenden Architekturelementen im linken Bas de page des Spinola-Stundenbuchs hier in eine relativ überzeugende Abfolge gebracht. Unmittelbar unterhalb der Kernminiatur nähern sich die drei Weisen (im New Yorker Blatt in besonders respektvoller Haltung) dem König. In Ms. Ludwig IX 18 werden sie von den Stützen

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beidseitig gerahmt und damit als Hauptmotiv hervorgehoben, während in MMA 48.149.15 die bereits eingelangten, Herodes zugewandten weißen Magier durch eine Säulenstellung von dem auf der Treppe rückwärts (auf einen Hund) blickenden Mohrenkönig getrennt sind. Die Isolierung des letzteren stellt eine gewisse Verbindung zu dem breiten rechten Randstreifen dar, der das weite, von Reitern und allerlei Fußvolk besetzte Gelände des herodesschen Palastes zeigt, hinter dem sich eine durch ein Gewässer, eine Stadt und eine Berglandschaft in eine große Distanz expandierende Ferne entwickelt. Die hier anklingende Rhythmisierung des Geschehens geht mit einer gegenüber dem Spinola-Stundenbuch wesentlich gesteigerten Erzählfreudigkeit einher. Wo in Ms. Ludwig nur drei auf Speere gestützte Wachen gaffen, hat sich im New Yorker Blatt eine große Menge Schaulustiger zusammengefunden, auch wenn nicht alle so unverhohlen neugierig sind wie der kleine Köter, der schnüffelnd dem fremden Mann aus fernem Lande die Treppe zum Palast empor hinterherläuft. Dies alles ist freilich keine Frage des zur Verfügung stehenden Platzes, sondern der narrativen Gesinnung, die das New Yorker Blatt zweifellos in ganz besonderem Maße kennzeichnet, wie ja auch die zahlreichen der Kernszene einverleibten erzählerischen Details beweisen. Der soeben erwähnte ist jedoch nur einer der großen Auffassungsunterschiede zwischen den beiden besprochenen Miniaturen, der sich nicht in der bloßen Differenz von mehr oder weniger narrativ erschöpft, sondern sich (überspitzt) mit dem Gegensatz narrativ vs. ikonisch umschreiben ließe. Das Weniger an Erzählung wird in der Epiphanie des SpinolaStundenbuchs mit einer weit eindringlicheren, zeichenhafteren Bildsprache abgegolten. Dies gilt schon in der Kernminiatur  : Die aufrecht stehenden bzw. knienden Figuren wirken im Vergleich zu jenen im New Yorker Blatt voneinander isoliert und ruhen gewichtig in sich selbst. Jeder der Akteure hat Platz um sich, den er auch kompositionell (durch einen relativen Mangel an Querverbindungen) behauptet. Noch deutlicher wird dieses Prinzip in der Randbereichzone, wo die drei in entsprechenden Abständen aufmarschierenden Weisen durch die Säulen vom Geschehen um sie herum und durch ihre individuelle Haltung voneinander geschieden sind. Auch in der Herodesgruppe kommt es zu einer (allerdings hierarchischen) Parallelisierung der drei mehr oder minder vertikal erscheinenden Figuren, während sich nur die drei Soldaten links zu einem (allerdings ebenfalls aufrechten) Block zusammenschließen. Dieser eindringlichen, zeichenhaften Bildsprache mag es auch zu verdanken sein, daß der Zug der Könige im linken oberen Randbereich mit einerseits so wenigen und relativ isolierten und andererseits so unpassend großen Figuren gegeben ist. Auch die (jener in New York motivisch äußerst ähnliche) Madonna in der Spinola-Epiphanie wirkt stärker von ihrem Umfeld isoliert, weil der erste König sich nicht wie im New Yorker Blatt anschickt, die Füße des Christkinds zu küssen, sondern aufrecht vor ihr verharrt  ; dies wird durch die gerade zwischen den beiden Protagonisten nach hinten laufende Bettkante noch unterstrichen. Darüber hinaus sind einige Elemente an der Gottesmutter gegenüber jener in New York so verändert, daß dies zu einer Abgrenzung und Betonung der (im Sitzmotiv der Madonna selbst nicht vorbereiteten) Senkrechten führt. So hängt das weiße Kopftuch über die im Bild linke Schulter Marias in einer länglichen Formation herab, und einen ähnlichen Zipfel bildet die Windel des Christkindes

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aus  ; die Verbindung zwischen den beiden weißen Zäsuren auf der blauen Folie des Kleides stellt das hier links gehaltene Geschenk her. Und schließlich fällt das Kleid selbst an der den Betrachtenden zugewandten Seite gerade so über die Bettkante, daß dies zur Verlängerung der Figur auf der Bildfläche führt. Der zweite große Auffassungsunterschied zwischen den beiden Miniaturen, jener in der dreidimensionalen Gestaltung, unterstreicht die jeweils charakteristische Erzähl- und Kompositionsweise noch. Im Vergleich zur MMA 48.149.15 fällt auf, wieviel mehr Platz der Illuminator auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18 zwischen den einzelnen, auch plastisch stärker artikulierten Figuren gelassen hat. Zwar gibt es auch in der New Yorker Miniatur raumschaffende Elemente  ; doch bleiben diese eher auf die Peripherie der Darstellung (auf den Hintergrund und den oberen Bildbereich) beschränkt. Die im Spinola-Stundenbuch so prominente verkürzte Matratze wird im New Yorker Blatt (durch ihre Krümmung sowie den zackigen Fall des Tuches darüber) als Raumvektor praktisch ausgeschaltet. Ähnlich ambivalent ist das Sitzmotiv der Madonna in MMA 48.149.15. Ihre räumliche Drehung wird durch die Pose des Kindes veranschaulicht, während ihr Umriß flächenkonstituierend wirkt, vor allem rechts, wo der Kontur in einer gezackten Linie abfällt, ohne auf das Sitzmotiv und seine Konsequenzen (die Ausbildung hängender und aufliegender Teile) einzugehen. Im Spinola-Stundenbuch sind die herabfallenden von den auf der Matratze auftreffenden Mantelteilen deutlich unterschieden, und zudem ist ein großes Stück Stoff flach und kreisförmig um die Jungfrau herum auf der Liegestatt ausgebreitet. Und dies, obwohl sogar Faltendetails der Madonnenkleidung in den beiden Miniaturen identisch sind. So betrachtet werden auch die kurzen aggressiven Raumvektoren verständlich, die sich in der Spinola-Epiphanie allenthalben finden. Sie dienen weniger einem konsequenten Tiefenzug (was in Anbetracht dessen, daß sie alle in verschiedenen Winkeln nach hinten verlaufen, ohnehin kaum möglich ist), betonen vielmehr die Individualität der einzelnen Figuren dadurch, daß sie entweder den von den Personen beanspruchten Raum (wie die verkürzten Gewandsäume der beiden weißen Magier) oder aber den leeren Platz zwischen ihnen konkretisieren (wie dies durch kreuz und quer auf dem Boden verstreute Strohhalme geschieht). In der New Yorker Miniatur sind die Figuren links zwar räumlich gestaffelt, jedoch dicht aneinandergedrängt, was das gemeinte Hintereinander in ein optisches Übereinander verwandelt. Auch dort, wo eindeutig Luft zwischen ihnen sein muß (wie links zwischen dem knienden ersten und dem räumlich versetzt hinter ihm stehenden schwarzen König), verhindert der enge Anschluß der Konturen auf der Bildfläche den Eindruck von Freiraum. Zudem erweisen sich alle in die Tiefe gerichteten, in der Peripherie situierten Schrägen bei genauerer Betrachtung als bruchstückhaft. Als Beispiel mag die vordere Vorhangstange des Alkovens dienen, die in der Spinola-Miniatur durchgehend vom rechten Miniaturrand bis zur linken hinteren Stütze reicht (zumal der Stoff mit einzelnen, sie nicht verdeckenden Ringen befestigt ist), im New Yorker Blatt jedoch bei gleicher Orientierung eine Unterbrechung durch das darüber gebreitete Tuch erfährt. Natürlich wird die Schräge auch in MMA 48.149.15 unter dem Stoff weitergeführt. De facto wirkt der großflächige Vorhang jedoch als Zäsur und führt den Blick eher zur zentralen Gruppe hinab, als daß er ihn nach hinten weiterleiten würde. Auch die

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eigentlich in die Tiefe führende linke Außenwand des hinteren Stallteils ist nicht mehr als ein Mauerstreifen hinter den Figuren ohne jegliche sichtbare Verkürzung. Lediglich die rechte, von innen gezeigte Stallwand offenbart mehr raumschaffende Elemente als ihr Pendant in der Spinola-Miniatur  ; allerdings wird ebensowenig Freiraum vermittelt wie dort. Sogar das Leitmotiv der Raumkonstruktion im New Yorker Blatt, die am unteren Bildrand mit der Matratze initiierte und sich bis ins hintere Stallkompartiment fortsetzende Schräge, kam letztlich nicht zur Ausführung. Denn weder vorne noch im hinteren Raumteil (wo zwar der Boden vom Alkoven weg bis zu den Beinen des Ochsen sichtbar wird, jedoch keine konsequente Tiefenorganisation durch verkürzte Linien erfährt) ist dieser Raumvektor konkretisiert  ; zudem wird er durch das zentrale Motiv des gesamten Geschehens, den Fußkuß, nachhaltig unterbrochen. In der Spinola-Miniatur ist wenigstens an einer Stelle, nämlich zwischen dem ganz links positionierten Magier und den beiden anderen, ein Raumkontinuum von vorne bis zur hinteren Stallwand suggeriert. Im Hinblick auf die (zahlreiche Miniaturen von Ms. Ludwig IX 18 kennzeichnende) sogenannte zentralräumliche Gesinnung ist es sogar verständlich, daß versucht wurde, dieses Kontinuum nicht noch durch eine durchgehende Linie zu dynamisieren, sondern durch kleine, in verschiedenen Richtungen fluchtende Vektoren zu entschärfen und vielleicht auch als durchschweifbar zu beschreiben. Hand in Hand mit dem pointierten Raumverständnis und der Isolierung (und Aufwertung) der Akteure in der Spinola-Miniatur geht die im Vergleich zum New Yorker Blatt forcierte plastische Gestaltung – und vice versa. In MMA 48.149.15 werden weder Einzel- noch Gesamtformen in dem Maße artikuliert wie auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18. Einerseits bleibt die Hell-Dunkels-Spanne der Modellierung geringer  ; zum anderen entfallen unter der Kleidung sich abzeichnende Körperteile fast zur Gänze. Eine gewisse Ausnahme bildet die Madonna, wohl deshalb, weil hier dasselbe Vorbild wie in der Spinola-Epiphanie kopiert wurde. Freilich artikuliert der Gewandfall in Ms. Ludwig IX 18 die Räumlichkeit des Sitzmotivs ebenso wie die plastische Präsenz des Körpers, während in der New Yorker Miniatur bei teils identischer Faltenführung ein weit weniger dreidimensionaler Effekt evoziert wurde. Die Kehrseite der bislang angestellten Beobachtungen ist, um wieviel einfühlsamer in MMA 48.149.15 die Personen und ihre Regungen geschildert werden, etwa die Reaktion der Gottesmutter auf den vor ihr knienden (eine weit konkretere Handlung als im SpinolaStundenbuch ausführenden) König. Der erzählerische Reichtum der New Yorker Miniatur ist zugleich ein psychologischer Reichtum. Dies wird auch an der Mimik und Gestik der das Geschehen im Bas de page beobachtenden Zuschauer deutlich, die eine ganz andere Spannung aufbauen als die drei betretenen Gaffer im unteren Randzonenbereich auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18. Was umgekehrt mit der deutlicheren plastischen Artikulation in der SpinolaEpiphanie gemeint ist, läßt sich ebenfalls an einem Element der Bas de page-Dekoration ablesen, an der Gestaltung der Säulen. Diese sind in beiden Miniaturen ähnlich mit (simplifizierend romanisch zu nennenden) Ornamenten verziert, die allerdings im New Yorker Blatt nur durch Linien eingezeichnet wurden, während die Knöpfe, Leisten und Wülste auf den Säulenschäften im Spinola-Stundenbuch plastisch hervortreten (und somit den realen Vorbildern auch mehr entsprechen).

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Stellt man dem Epiphaniebild auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18 die Darstellung der Geburt Christi auf fol. 43v des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 151) gegenüber, so lassen sich zum Teil ähnliche Unterschiede konstatieren. In der Grimani-Miniatur ist die Illusion des dreidimensionalen Raumes ein Produkt der Architekturkonstruktion, die nicht korrekt, optisch jedoch durchaus befriedigend ausgefallen ist (was man vom Stall im Spinola-Stundenbuch nicht behaupten kann). Die Tiefe, die durch das Gebäude vorgegeben ist, wird allerdings von den Figuren nur bedingt angenommen und keinesfalls unterstützt. Zwar sind die Protagonisten kreisförmig um das Christkind angeordnet, doch bleibt ein gewisser flächenhafter Charakter in dieser auch räumlich lesbaren Formation deutlich spürbar. Von der Isolation und damit Individuation der Akteure in Ms. Ludwig IX 18 ist hier nichts zu bemerken. Der Gewandfall der Figuren im Brevier verunklärt ihre Relation zum dreidimensionalen Umfeld eher, als daß er sie veranschaulichen würde. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur SpinolaEpiphanie, wo die Kleidung die Protagonisten nicht nur in den Raum einbindet, sondern dieser bis zu einem gewissen Grad auch durch Stofformationen definiert ist. Hinzu kommt eine grundsätzlich andere Komposition, die im Spinola-Stundenbuch durch Vertikalisierung, Parallelisierung und damit wieder Individuation gekennzeichnet ist, während im GrimaniBrevier alle Bildelemente fließend miteinander verbunden werden. Demgegenüber bestehen zwischen der New Yorker Epiphanie und der Grimani-Geburt etliche Gemeinsamkeiten, was in Anbetracht der Maßstabsunterschiede (die Miniatur auf MMA 48.149.15 mißt lediglich 17 x 12,5 cm306, jene auf fol. 43v von Marciana Ms. lat. I. 99 23 x 17 cm307) umso bemerkenswerter ist. Hier wie dort werden die Akteure zu dichten Gruppen zusammengeschlossen, wobei der Platz zwischen ihnen stets nur intellektuell, nicht aber optisch perzipierbar ist. Die Artikulation plastischer Werte ist ähnlich zurückhaltend, wobei dies sowohl auf die wenig spannungsreiche Modellierung wie auch auf die eher flächendekorative als körperumschreibende Gestaltung der Kleidung zurückzuführen ist. Allerdings hat der Gewandfall im Grimani-Brevier einen anderen Rhythmus, ist winkeliger, zackiger und selbständiger, und auch die Figurenkonstellation im Vordergrund wird auf Grund des leeren, nur vom Christkind okkupierten Zentrums räumlicher wahrgenommen als in der New Yorker Anbetung. Tatsächlich ist der größte Unterschied zwischen den beiden Miniaturen die Raumkonstruktion, die im Brevier nicht nur durch konsequentere Linienführung relativ überzeugend erfolgt, sondern auch auf eine Integration der (nicht wirklich dreidimensional konzipierten) Figuren abzielt. Somit sind die Unterschiede zwischen dem New Yorker Blatt und der Grimani-Miniatur zwar nicht so groß wie jene zwischen letzterer und der Spinola-Epiphanie (und auch nicht so groß wie jene zwischen MMA 48.149.15 und fol. 130v von MS. Ludwig IX 18), jedoch groß genug, um eine unmittelbare Nähe zwischen den beiden erstgenannten Werken auszuschließen. Es bleibt auch fraglich, ob das New Yorker Blatt als Verbindungsglied zwischen den Lösungen in Ms. Ludwig IX 18 und Marciana Ms. lat. I. 99 angesehen werden kann – was die Datierungsvorschläge der neueren Literatur oh306 London – Los Angeles 2003, S. 418  ; die Maße gelten für Kernbild und Bordüre. 307 Eigene Abmessung, wobei die (Wölbung der oberen) Rahmenleiste mit berücksichtigt wurde.

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nehin weitgehend ausschließen würden308. Doch scheinen andere Argumente in diesem Zusammenhang gewichtiger als die vage zeitliche Ansetzung der New Yorker Miniaturen in ein Jahrzehnt, in dem man die verschiedensten Arbeiten einem einzigen Künstler zuschreiben zu können glaubt – ein Umstand, der einer näheren Überprüfung nicht standhält. Johannes Baptista auf dem zweiten der beiden New Yorker Blätter (MMA 48.149.16) gibt sich auf den ersten Blick als nicht vom Jakobsmeister gemalt zu erkennen309. Das ist mehr als man von den meisten der späten Werke sagen kann, obwohl auch stimmt, daß die meisten sofort Zweifel an der Ausführung durch unseren Künstler wecken. Das Gesicht des Täufers aber räumt mit allen Zweifeln auf  ; es gibt nichts Vergleichbares im Œuvre des Jakobsmeisters, weder bezüglich des physiognomischen Typus’ noch bezüglich der technischen Umsetzung. Und es gibt auch keinen plausiblen Grund, weshalb Johannes mit einem dermaßen abgehackten, eine lose Faktur nur mangelhaft imitierenden Strich gestaltet worden sein sollte, der nicht einmal Haarigkeit (und auch sonst keine bestimmte Textur) suggeriert310. Es ist richtig, daß die Miniatur insgesamt Züge des Jakobsmeisters (richtiger  : seines Kreises) trägt, vor allem in den Marginalszenen, die verschiedene Episoden aus dem Leben und Nachleben des Heiligen schildern, von der Taufe Christi links oben bis zur Verbrennung der Gebeine rechts oben, und dabei das Figuren- und Formenrepertoire der Werkstatt auf einem hohen Niveau durchspielen. Die Figur des Täufers aber ist entweder nachträglich übermalt oder von jemandem ausgeführt, der noch nicht lange im Kreis um unseren Künstler weilte. Auch die kurzen und fahrigen Goldschraffen auf dem roten Mantel des Protagonisten sind ganz untypisch für den Jakobsmeister. Natürlich könnte man argumentieren, daß dieser zwischen 1515 und 1525 fünfzig bis sechzig Jahre alt gewesen sein muß (sofern man seine Karriere in den frühen neunziger Jahren beginnen lassen will) und daß sein Alter seinem Sehvermögen nicht zuträglich gewesen sein kann, was Auswirkungen auf seine Technik gehabt haben könnte. Auch MMA 48.149.15, die Epiphanieminiatur, zeigt eine nachträgliche Konkretisierung einzelner Formen (besonders einiger Augenpartien) durch dunkle Linien und mitunter auch Unsicherheiten in 308 E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 419, glaubt die Miniaturen in New York (zu Recht) nach jenen des Spinola-Stundenbuchs entstanden, leitet daraus aber offenbar eine späte Datierung der beiden Blätter (in den zwanziger Jahren) ab  ; dies wird offensichtlich, wenn man ihre Kat. Nr. zu den Soane-Hours Ms. 4 (ebenda, S. 444 ff.) mit berücksichtigt, wo sie die MMA 48.149.16 „perhaps as late as 1525“ bezeichnet (S. 445 und Anm. 11). Vgl. dazu auch Wisse 2002, der auf Grund technischer und stilistischer Gemeinsamkeiten zwischen den New Yorker Blättern und den Miniaturen der Sforza-Hours zum Schluß kommt, daß sie vom selben Künstler, also Gerard Horenbout, gemalt seien. 309 Nicht so den Autoren ebenda und in London – Los Angeles 2003, passim. 310 Diese wird von E. Morrison als zweckgebunden interpretiert  : „… the face of Saint John is modeled with tiny dots of color to give him a weathered look“. Dies ist zweifellos richtig, hat aber mit den Methoden, die der Jakobsmeister zur Evokation ähnlicher Effekte normalerweise anwandte, nichts zu tun. Vgl. etwa die herbe und vom Einsiedlerleben gegerbte Physiognomie Benedikts auf fol. 242v des ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Abb. 119), die im unmittelbaren Kreis des Meisters – also in seiner Technik  ! – ausgeführt wurde und die für den Jakobsmeister typische Umsetzung zeigt.

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der Malweise311. Dies geht jedoch nie auch nur annähernd so weit wie in der Physiognomie des Täufers, der noch dazu einen in der Werkstatt des Jakobsmeisters fremden physiognomischen Typus vertritt, den auch frühere Darstellungen dieses speziellen Heiligen im Œuvre des Jakobsmeisters nicht aufweisen. Zudem divergieren die Gestaltungsprinzipien in der Johannesdarstellung von jenen in der Epiphanie, und das, obwohl die technische Ausführung aller Bildelemente mit Ausnahme (von Teilen) der Figur des Heiligen jener in MMA 48.149.15 entspricht. So ist der Täufer vom vorderen Bildrand abgerückt, und sein annähernd frontales Sitzmotiv erfährt eine starke Verräumlichung durch die abgewinkelten Oberschenkel mit dem aufgeklappten Buch darauf. Dabei bleiben die Falten seines Gewandes aber auffallend unspezifisch – ein unartikuliertes Geknitter, das die Körperwerte weder der einzelnen noch der Gesamtform adäquat zu beschreiben imstande ist. Dies ist in der Epiphanie teils anders, wo die Figuren zwar bezüglich ihrer Bewegungen flächenhafter, bezüglich ihres Gewandfalls aber mit mehr Verständnis dafür angelegt erscheinen, wie Stoff auf den Körper darunter reagiert  ; einschränkend muß dem allerdings hinzugefügt werden, daß gerade jener Rotton, der sich im Mantel des Täufers findet, auch in der Kleidung des ältesten Königs weniger klar modelliert wurde als die andersfarbigen Roben der übrigen Protagonisten in MMA 48.149.15. Ungeachtet dessen ist auch der Raumaufbau im Johannesbild ein anderer. Der Künstler ruft die Illusion von Tiefe über einzelne, hintereinander angeordnete Terrainschichten hervor, die relativ breit wirken, allerdings weitgehend bildparallel verlaufen und nur im Hintergrund eine Strukturierung durch Raumvektoren (in Form der links und rechts leicht schräg zur Mitte hin gestaffelten Bäume und der dort weilenden Tiere) erfahren. Auch das Plateau, auf dem der Täufer sitzt, verläuft mit einer Felskante am unteren Bildrand nach rechts hinten ansteigend, und Johannes ist so weit aus der Frontalität gerückt, daß seine Haltung mit dem Verlauf der Böschung einen (beinahe) rechten Winkel bildet. Insgesamt ändert dies wenig daran, daß Tiefe nur über einen unvermittelten Raumsprung erfahren wird und die Komposition insgesamt als eine symmetrische, auf die dekorative Umrahmung des Heiligen ausgerichtete erscheint  : Der frontale mächtige Felsen, zwar weit in die Landschaft hineingerückt, hinterfängt den Asketen dennoch wie eine Folie, und dieselbe flächenkonstituierende Wirkung haben auch die ihn flankierenden Bäume im Vorder- wie im Hintergrund. Man mag die Meinung vertreten, daß dieser Bildaufbau der Aufgabe der Miniatur, einen einzelnen Heiligen zu präsentieren, kongenial entspricht und daß dadurch die Abweichungen gegenüber der Epiphanieminiatur aus der ehemals selben Handschrift zustandekommen. Doch müßte inzwischen klar geworden sein, daß dem nicht so ist – zumindest im Falle des Jakobsmeisters (und vieler anderer hoch talentierter Illuminatoren seines Kreises) nicht, der seine aktuellen Gestaltungsprinzipien stets kompromißlos und auch dann durchsetzte, wenn er Bildvorlagen verwendete, die ganz andere Stilmerkmale zeigen. Freilich ist die Johannes311 Glücklicherweise hatte ich die Möglichkeit, im November 2002 die Miniaturen in der Restau­ rier­abteilung des Museums unter dem Mikroskop betrachten zu können. Ich danke dafür besonders Peter Barnet und Akiko Yamazaki-Kleps.

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miniatur nicht vom Jakobsmeister und auch nur teils von einem engen Mitarbeiter (der am Markenzeichen der Werkstatt, der losen und zugleich gepflegten Faktur, und zudem auch am entsprechenden Formenrepertoire sowohl in den Bas de page-Szenen sowie in den Landschaftselementen der Kernminiatur zu erkennen ist). Daran ändert wenig, daß man sich den Asketen auch in der unteren Randleistenzone, wo er zu einer versammelten Menschenmenge vor dem Palast des Herodes spricht (welcher zusammen mit seiner Gemahlin Herodias in einem Doppelfenster erscheint), als eine Art Wildmann vorgestellt hat, da seine nackten Körperteile sowie sein Gesicht auch dort wahllos verstreute Punkte und Striche aufweisen, die wohl eine ausgiebige Behaarung andeuten sollen. Um so bemerkenswerter ist, daß er gleich daneben, in jenem Teil seiner Lebensgeschichte, da er ins Gefängnis geworfen wird, nichts von dieser natürlichen Ausstattung aufweist und zudem einen geteilten Kinnbart trägt, den er weder in der Kernminiatur noch in der Predigt hat. Vor seiner Enthauptung hat man ihn offensichtlich ohnehin geschoren – der Kopf, den Salome im rechten Bas de page in Empfang nimmt, zeigt nur mehr Bartstoppeln und kurze Haare, dafür zugleich eine viel markantere plastische Gestaltung als der Prediger links, so daß sich auch in diesen Details der Eindruck bestätigt, hier, wie im gesamten Randleistenbereich (mit Ausnahme des predigenden Täufers), habe ein anderer Hand angelegt als bei der Hauptfigur im Kernbild. Es ist auch nicht unbedingt zwingend, in diesem zweiten, ganz offensichtlich dem engen Kreis um den Jakobsmeister angehörenden Werkstattmitglied denselben Illuminator zu sehen wie im MMA 48.149.15. Dort ist in Kern- und Marginaldarstellungen dieselbe Person tätig, wofür das Aussehen der drei Könige unten und oben spricht, die einander nicht nur in der Kleidung und im physiognomischen Typus, sondern auch in ihren individuellen Gesichtszügen gleichen. Daß dies alles andere als selbstverständlich ist, zeigt die Epiphanieseite fol. 130v im Spinola-Stundenbuch (Abb. 164). Dort wurde zwar auch versucht, die Akteure der Kernminiatur durch die gleiche Kostümierung, das gleiche Alter und die gleiche Hautfarbe im Bas de page wiederkehren zu lassen. Der Erfolg des Vorhabens ist mäßig, man weiß, was gemeint ist, der individuelle Gesichtsschnitt oder andere physische Merkmale sind jedoch nicht wiederzuerkennen. Daraus läßt sich schließen, daß Kern- und Marginaldarstellungen entweder von verschiedenen Malern oder aber von einem diesbezüglich wenig sorgfältigen Künstler stammen. Ähnliches läßt sich in den meisten Miniaturen des Spinola-Stundenbuchs (und in anderen Handschriften aus dem Jakobsmeister-Kreis) feststellen und zeigt an, daß einer speziellen Identität der Akteure keine große Bedeutung beigemessen wurde. Umso beachtlicher ist es, wie sehr sie in MMA 48.149.15 verwirklicht wurde. Stellt man der Johannesminiatur MMA 48.149.16 die Darstellung der Ehernen Schlange auf fol. 139r des Grimani-Breviers (Abb. 152) gegenüber, so wird neben den themenbedingten enormen Unterschieden im Bildaufbau auch offensichtlich, wie unterschiedlich die Wiedergabe der Landschaftselemente, i. e. nahsichtiger wie in die Ferne gerückter Felsen und der vielfältigen Vegetation, ausgefallen ist. Die Gesteinsformationen im Brevier sind viel schroffer und kleinteiliger, während ihre geschmeidige, aquarellhafte Textur im Johannesbild auch eine Rückwirkung auf ihre Form hat. Freilich ist dies insofern nicht verwunderlich, als ja bereits festgestellt wurde, wie sehr sich die dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im Mar-

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ciana Ms. lat. I. 99 diesbezüglich von den übrigen Werken unseres Künstlers und seiner engsten Mitarbeiter unterscheiden, und wie sehr umgekehrt die entsprechenden Elemente in den beiden New Yorker Blättern dem Repertoire seines Kreises entsprechen. Bemerkenswert ist es aber deshalb, weil sowohl die Grimani- wie die New Yorker Bilder auch in der neuesten Literatur dem Jakobsmeister eigenhändig zugeschrieben und auch annähernd gleichzeitig oder gar zeitlich so versetzt datiert werden, daß die beiden Einzelblätter nach den Arbeiten im Brevier entstanden sein sollen. Dies kann m. E. nicht zutreffen. Grundsätzlich scheint, wenn überhaupt, so nur die New Yorker Epiphaniedarstellung an den Jakobsmeister zuschreibbar, und dies mit dem Vorbehalt, daß er sich im Vergleich zu dem bislang als letzte Arbeit der mittleren Gruppe angesetzten Spinola-Stundenbuch (bzw. auch im Vergleich zum Croy-Gebetbuch) weiterentwickelt und eine Phase erreicht haben muß, die in der bisherigen Untersuchung noch nicht konstatiert werden konnte. Das Johannesbild ist ohnehin nicht von dem (oder den) selben Künstler(n) wie die Epiphanie – mit Sicherheit nicht die Figur des Täufers, und wohl auch nicht der Rest, wobei die Ausführung der Landschaft im Kernbild und das Gros der Randleistenzone von einem weiteren, eher engen Mitarbeiter des Jakobsmeisters stammen dürfte. Interessanterweise ergibt sich im Bas de page von MMA 48.149.16 auch der engste Anschluß an die Miniatur auf fol. 139r des Grimani-Breviers, in der Moses die Eherne Schlange dem israelitischen Volk zum Heil präsentiert. Die Konzeption der Zuhörenden im linken Randleistenbereich des Johannesbildes entspricht bis zu einem gewissen Grad jener der Figuren, die an den rechten Bildrand gerückt zur Ehernen Schlange emporschauen. Selbst die Physiognomien weisen Ähnlichkeiten auf, wenngleich jene im Grimani-Brevier weniger puppenhafte, sondern härtere Züge mit deutlich kleineren Augen aufweisen. Wollte man annehmen, daß der Illuminator der Marginalzone auf MMA 48.149.16 auch auf fol. 139r von Marciana Ms. lat. I. 99 tätig war, so müßte er sich von einer noch stärker der Werkstatttradition des Jakobsmeisters verpflichteten Malweise (und der Verwendung eines entsprechenden Formenguts) im New Yorker Blatt hin in eine neue Richtung im Brevier entwickelt haben. Dies würde bedeuten, daß die New Yorker Miniaturen früher als jene der Marciana-Handschrift sind. Nun wurden MMA 48.149.15 und 16 in der jüngsten Literatur aber nicht nur dem Jakobsmeister (was ja teils zutreffen könnte), sondern auch Gerard Horenbout zugeschrieben312, und zwar auf Grund festgestellter stilistischer Übereinstimmungen mit den flämischen Miniaturen in den Sforza-Hours (London, British Library, Add. Ms. 34294), für die der Hofmaler Margaretes von Österreich 1521 bezahlt wurde313. Der Vergleich zwischen den genannten Werken bietet sich also an, und somit soll unseren Überlegungen vorausgegriffen und die Epiphaniebilder MMA 48.148.15 und auf fol. 97r von Add. 34294 einander gegenübergestellt werden. Die Epiphanieminiatur auf fol. 97r der Sforza-Hours (Abb. 165) entspricht in ihrer Größe in etwa der Kernminiatur auf MMA 48.149.15  ; nur die Proportionen sind anders  : in Lon312 Wisse 2002, passim. 313 Siehe Einleitung.

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don breiter und weniger hoch314. Dies mag die lockere Gruppierung der drei Könige und zweier Diener im linken Teil des Londoner Bildes begünstigt haben, mit Sicherheit aber nicht den großen Abstand zur unteren Rahmenleiste, der räumlich gelesen wird. Womit man einen der kardinalen Unterschiede in zwei insgesamt völlig unterschiedlichen Bildlösungen anspricht. Es ist richtig, daß die Darstellung in den Sforza-Hours auf einem Schema aufbaut, das auch der Spinola- und der New Yorker Epiphanie zu Grunde liegt, und daß ikonographisch durch den Fußkuß des ältesten Königs sogar eine größere Nähe zu MMA 48.149.15 besteht. Dabei zeigen die New Yorker und die Londoner Miniatur aber eine dermaßen unterschiedliche Raum- und Figurenauffassung, daß nicht einmal daran zu denken ist, sie dem gleichen Meister zuzuschreiben, jedenfalls nicht im Rahmen der vorgeschlagenen bzw. gesicherten Datierungen. Da Horenbout am Anfang des Jahres 1521 für seinen Beitrag in den Sforza-Hours bezahlt wurde, muß die Handschrift 1520 vollendet gewesen sein. Nach dem, wie sich die Entwicklung des Jakobsmeister in den dreißig Jahren davor nachvollziehen ließ, wäre ein solch gigantischer Stilwandel, wie er sich zwischen der New Yorker und der Londoner Epiphanie abzeichnet, überaus erstaunlich, vor allem im Zeitraum von wenigen Jahren. Man kann eine ganze Skala von Möglichkeiten durchspielen und stößt immer wieder auf die gleiche Tatsache  : daß die Dinge sich realiter wohl kaum so abspielen konnten, wie man sie gemeinhin gerne annehmen würde. Datiert man MMA 48.149.15 schon um 1515 und die Sforza-Hours erst knapp vor 1520, und nimmt man zudem an, daß der Jakobsmeister in diesem Jahrfünft erst sein fünftes Lebensjahrzehnt vollendete (was bedeutet, daß er um 1495, als er den großen Auftrag zur Fertigstellung des Stundenbuchs für Isabella von Kastilien bekam, erst fünfundzwanzig Jahre alt war), so wäre eventuell vorstellbar, daß ein routinierter, aber auch höchst anspruchsvoller Maler durch irgendwelche (allerdings noch zu klärende) Umstände seinen gesamten künstlerischen Ausdruck noch einmal grundlegend änderte und von einem über zwanzig Jahre lang gepflegten Stilidiom auf ein völlig neues umschwenkte. Gerard Horenbout wurde allerdings 1487 Meister, was bedeutet, daß er sich um 1520 schon seinem sechzigsten Geburtstag genähert haben muß315. Zweifellos war er ein vielbeschäftigter und offenbar, betrachtet man seine dokumentarisch überlieferten Tätigkeiten im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, auch ein höchst energischer Mann, der letztlich ja auch fast achtzig Jahre alt geworden sein dürfte. Ob dies bedeutet, daß er in seinen späten Fünfzigern noch fähig war, seine gesamte Kunstproduktion (in der es ja nicht einmal nur um individuellen Ausdruck, sondern auch um „Firmenqualität“ ging), vollkommen auf eine neue Formensprache umzustellen, bleibe dahingestellt. Mit Sicherheit aber kann gesagt werden, daß die New Yorker Epiphanie, falls sie tatsächlich dem gleichen Künstler zu geben ist wie jene in den Sforza-Hours (wofür m. E. kein Anlaß besteht), um einiges früher als die Londoner Miniaturen entstanden sein muß und weder gleichzeitig noch später entstanden sein kann. 314 Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 418, 428. 315 Zur Biographie Horenbouts vgl. Einleitung.

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Die Begründung ist rasch gegeben. Am offensichtlichsten sind die Unterschiede in der Malweise, die in der Londoner Miniatur zwar teilweise ebenfalls lose ist, ohne jedoch die souveräne Sicherheit des Jakobsmeisters bei der Suggestion verschiedener Effekte zu erreichen (dafür ihre eigene Qualität in der dichten und geschlossenen Gestaltung besonders wichtiger Partien entwickelt)316. Dann unterscheiden sich die Figurentypen, ja überhaupt das gesamte Formenrepertoire von der Architektur- bis zur Landschaftsgestaltung in einem Ausmaß, das jeden Werkstattzusammenhang sprengt. Wenn man bedenkt, daß Künstler zu dieser Zeit offensichtlich einen Werkstattstil pflegten, der sie auf dem Markt wettbewerbsfähig machen und von den Mitarbeitern imitierbar sein sollte, so fallen die Sforza-Hours aus dieser Produktion heraus, wären Arbeiten des Jakobsmeisters, die man nicht als solche erkennen konnte. Ausgeschlossen ist das nicht, aber doch ungewöhnlich, und muß bei jeder Diskussion um die Zuschreibung der Sforza-Hours bedacht werden. Hinzu kommen große Unterschiede in den Gestaltungsprinzipien der New Yorker und der Londoner Epiphanie. In der Londoner Miniatur ist ein zentral organisierter, von Figuren und Gegenständen gleichermaßen gebildeter wie angenommener Raum ein wesentliches Erkennungsmerkmal. Die Matratze, die der Madonna als Thron dient, ist auch hier anders (aber deutlich nachvollziehbar) verkürzt als das Gebälk am rechten Bildrand. Doch wird dies dadurch erklärt, daß sie offenbar schräg zum Verlauf der Architektur steht, deren vorderste Stütze sie zum Teil verdeckt. Insgesamt bilden die Madonna, das Christkind und der zum Fußkuß ansetzende älteste König das Zentrum einer räumlichen Kreisformation, die zu einem wesentlichen Teil auf der Anordnung der Figuren beruht. Der in Rückenansicht gezeigte, nur seinen Kopf ins Profil drehende schwarze Magier markiert den Einstieg. Nach rechts hin sind es das in den Raum hinein verkürzte Hündchen neben ihm und die bildparallele niedrige Mauer, die bis zur rechten Stütze weiterführt, welche den Bogen bis zum rechten Bildrand ziehen. Von dort geht es über die halb verdeckte, zwischen den beiden hintereinander gestaffelten Pfeilern hervortretende Figur des Nährvaters bis zu dem zwischen den beiden hinteren Stützen gespannten Ehrentuch. Links davon steht der zweite, soeben seinen Hut abnehmende Magier und blickt auf den schräg vor ihm stattfindenden Fußkuß. An ihn anschließend vollenden die beiden ganz an den linken Bildrand gedrängten Diener den Kreis. Die räumliche Erstreckung dieses Kreises wird in erster Linie durch das klar nachvollziehbar verkürzte Bett angezeigt, aber auch durch die leere Bodenfläche, die zu großen Teilen sichtbar ist und lediglich durch die Schlagschatten des schwarzen Königs und des weißen Hundes definiert wird. Diese verlaufen aber bezeichnenderweise nicht wie der durch das Bett vorgegebene Raumvektor nach hinten, sondern im rechten Winkel dazu schräg nach rechts, wodurch eine Potenzierung des Tiefenzuges vermieden und eher die Breite des Raumes betont wird. 316 Wisse 2002 plädiert für große Übereinstimmungen in der Technik, der Farbgebung und der Modellierung zwischen den beiden Epiphaniedarstellungen  ; obgleich dies in mancher Hinsicht zutrifft, handelt es sich m. E. dabei doch um Aspekte, die sich (etwa in einem Werkstattzusammenhang) leicht lehren bzw. lernen lassen  ; die künstlerische Gesinnung in den beiden Miniaturen halte ich für unvereinbar.

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Man fühlt sich an ein altes, allerdings schon lange abgelegtes Kompositionsprinzip des Jakobsmeisters erinnert, an das des verräumlichten Vordergrundes, dem im Hintergrund ein in bildparallelen Schichten organisierter Fernblick links und ein unbestimmtes Raumdunkel durch das hintere Stallkompartiment rechts beigegeben ist – wobei letzteres zudem durch zwei helle Dachöffnungen als schräg nach rechts hinten (also anders als der vordere, sichtbare Stallteil) verlaufend ausgewiesen ist. Allerdings ist in der Sforza-Epiphanie alles perfektioniert  : Die Verkürzungen der Architektur lassen keine offensichtlichen Diskrepanzen erkennen, die Anordnung der Figuren erfolgt logisch und frei über den gesamten durch das Gebäude eingegrenzten Raum, und überdies wird das zentrale Motiv der Erzählung in das Zentrum der räumlichen Formation gestellt. All dies offenbart einen ausgezeichneten, in dieser Art der Bildgestaltung versierten Künstler. Und nichts von all dem zeigt die New Yorker Epiphanie mit ihren an den unteren Bildrand geschobenen Protagonisten, dem Mangel an konkret definiertem Raum, der hier auch ein Mangel an Platz ist, und mit ihrer vergleichsweise wenig auf Körperwerte ausgerichteten Figurengestaltung. Dafür hat MMA 48.149.15 eine optische Brillanz, die in der Londoner Miniatur offenbar nicht einmal angestrebt wurde, was freilich auch eine Frage der jeweiligen Malweise ist, die, wie bereits eingangs erwähnt, ganz besonders offensichtlich in den beiden Bildern divergiert. Sollte in diesen beiden Miniaturen der gleiche Künstler am Werk gewesen sein, so muß er sich relativ rasch tief greifend, ja bis zur Unkenntlichkeit verändert haben. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Miniaturen bleibt die Umsetzung des Themas mit ähnlichen Aktionen der Protagonisten in einem grundsätzlich verwandten Ambiente  ; in allen anderen Aspekten sind mehr oder weniger gravierende Diskrepanzen festzustellen. Dennoch sind es nicht sie (allein), die eine Zuschreibung der beiden Bilder an den gleichen Künstler höchst problematisch erscheinen lassen, sondern die Existenz der anderen dem Jakobsmeister zugeschriebenen Werke aus dieser (und der darauffolgenden) Zeit – allen voran die Existenz des Breviarium Grimani, das sich in die Konstruktion vom radikalen Stilwandel unseres Künstlers von der im New Yorker Bild vertretenen hin zu der in den Sforza-Hours nachweisbaren Auffassung einfach nicht einfügen lassen will. Dies vor allem deshalb, weil die dem Jakobsmeister im Grimani-Brevier zugeschriebenen Miniaturen ihrerseits, will man sie dem gleichen Künstler wie die New Yorker Epiphanie oder die beiden Bilder im Croy-Gebetbuch zuschreiben, einen entscheidenden Stilwandel voraussetzen, der aber in eine ganz andere Richtung weist als die, die durch die Miniaturen Horenbouts in den Sforza-Hours vertreten wird. Dies bringt uns zurück zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen, zu Marciana Ms. lat. I. 99.

Das Grimani-Brevier und die Jakobsminiatur Im Hinblick auf die Frage, ob die ihm zugeschriebenen Miniaturen im Grimani-Brevier tatsächlich vom Jakobsmeister gemalt wurden, ist es aufschlußreich, sie mit jener Miniatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I) zu vergleichen, nach der unser Meister benannt ist.

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Die Jakobsminiatur ist ebenfalls groß und großfigurig und zeichnet sich durch eine extrem flächendekorative Auffassung aus. Die ihr eigene, geradezu zwanghafte Flächenprojektion grundsätzlich raumsuggerierender Bildelemente durch Parallelisierung räumlich versetzt zu denkender, de facto aber durch Formentsprechung in der gleichen Ebene wahrgenommener Gegenstände ist allerdings weder auf dem New Yorker Epiphanieblatt noch im Grimani-Brevier in dieser radikalen Form verwirklicht. Zwar kommen auch im Januarbild des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 156) ähnliche Gestaltungsprinzipien zur Anwendung – wobei die Übereinstimmungen damit beginnen, daß ein ähnlich fragmentarischer Einblick in einen Innenraum geboten wird wie auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 und die Figuren- (allerdings nicht die Bild-) Größe in beiden Fällen identisch ist. Auch bei der Anrichte am linken Rand der Januarminiatur ergeben bildparallele Breit- und räumlich verkürzte Längsseite eine einzige Waagrechte, wie dies beim Altarretabel in der Jakobsminiatur der Fall ist, wo die räumliche Beziehung zwischen dem in einem Winkel aufgeklappten Flügel mit dem heiligen Thomas und dem Mittelbild mit dem Erlöser durch den waagrechten unteren Abschluß der beiden in ein flächiges Nebeneinander umgedeutet ist. Und die Parallelsetzung und damit Umwandlung in ein Flächenmotiv, die im Januarbild den kleinen Baldachin über der Anrichte mit der Tür dahinter verbindet, findet in der Jakobsminiatur ihre Entsprechung in der unmittelbaren Nachbarschaft des vertikalen Baldachinvorhangs und der eigentlich in einiger Distanz dahinter befindlichen Dienste des Bündelpfeilers. Dem wohl krassesten flächenetablierenden Motiv ebenda, der Integration der hinteren Flanke des räumlich verkürzten Altars in die Profilleisten des Kapellenschrankens, wird auf fol. 1v des Breviers allerdings nichts Ebenbürtiges entgegengehalten. Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Innenraumdarstellungen letztlich groß. Ungleich mehr als in der Jakobs- wird in der Grimani-Miniatur durch orthogonale Objekte Raum suggeriert, wobei die Inkongruenzen bei den Fluchtlinien gering im Vergleich zu der Vielzahl an unterschiedlich verlaufenden Schrägen im Wiener Bild erscheinen. Das einzige mehr oder minder glaubhaft projizierte Objekt der Jakobsminiatur ist der grüne Baldachin  ; stellt man ihn aber jenem im Januarbild des Breviers gegenüber, so fällt auf, wie wenig die raumsuggestiven Aspekte des Gebildes in Cod. Vind. 1897 genutzt bzw. wie sehr auch sie eigentlich noch unterdrückt wurden. Denn während sich im Grimani-Bild die Figuren unter dem Baldachin befinden, dessen linker Vorhang an der verkürzten Breitseite des Himmels aufgehängt ist und somit den durch den Tisch eingeleiteten Tiefenschub weiter nach hinten führt, ist in der Wiener Miniatur die Relation der beiden Protagonisten zu dem räumlich projizierten Gebilde offen, dessen linker Vorhang zu einem planen Knäuel hoch gebunden und dessen rechter bildparallel herabhängt und zudem jene optische Einheit mit dem Bündelpfeiler dahinter bildet, die jede partiell erzeugte Raumwirkung insgesamt zunichte macht. Es darf bezweifelt werden, daß dies nur ein gradueller Unterschied in der Handhabung der gleichen Gestaltungmittel ist. Wie ja auch die Analyse der Geburtsminiatur in Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 151) zeigte, lag dem hier tätigen Illuminator an einer überzeugenden Raumkonstruktion, auch wenn immer wieder flächenhafte Elemente in die Darstellung einflossen und insbesondere die Personen den sie umgebenden Raum zwar bevölkern, selbst aber wenig

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zur Suggestion dreidimensonaler Qualitäten beitragen. Dennoch ist auch in der Figurengestaltung (die sich hier auf Grund der gleichen Größe besonders zum Vergleich anbietet) ein großer Unterschied zwischen den besprochenen Miniaturen im Grimani-Brevier und auf fol. 24v des Jakobsgebetbuchs zu bemerken. Dies betrifft in besonderem Maße die Typik, wobei einmal mehr offensichtlich wird, wie sehr in Marciana Ms. lat. I. 99 ein vom üblichen Repertoire des Jakobsmeisters abweichendes Ideal verwirklicht wurde. Die großen, zugleich verschwollenen Augen, die in Cod. Vind. 1897 nicht nur Jakobus und den König, sondern auch den Erlöser kennzeichnen, sind im Brevier kleineren und schmäleren Formen gewichen, wie sich überhaupt die Gesichtsgeometrie eindeutig verändert hat. Auch in der Ausführung gibt es große Diskrepanzen  : So sind die Einzelformen im Jakobsgebetbuch teils sehr überzeugend modelliert (etwa die segnende Hand des Erlösers, die, obwohl Bild im Bild, raumgreifender und plastischer wirkt als alle übrigen Bildelemente). Dennoch wirken, verglichen mit der frontalisierten Position des Heiligen und der schablonenhaften Figur des Königs, die Akteure des Januarbildes bildparallel bewegt, dabei aber in ihrem raumverdrängenden Volumen weit klarer erfaßt. Zwar wurde auch im Brevier dafür gesorgt, daß die Verkürzung der Schultern zumindest auf einer Seite durch irgendein Motiv unterbrochen wird. Jakob IV. scheint aber überhaupt keine Schultern zu haben, wobei man das Fehlen der in den Raum gedrehten noch mit seiner reinen Profilstellung begründen könnte  ; für den Entfall der nach vorne gewandten bleibt jedoch keine andere Erklärung als die, daß die flächendekorative Wirkung dem Künstler wichtiger war als jegliche Artikulation dreidimensionaler Werte. Im Vergleich mit Jakob IV. wirken sogar Maria und die Engel auf fol. 43v des Breviers in ihrer räumlichen Stellung überzeugend erfaßt. Zwar kniet der schottische König so, daß der auf dem Boden auftreffende Mantelüberschuß ihn kreisförmig umschreiben müßte – was der Künstler freilich allein dadurch schon zu unterbinden wußte, daß der ausgebreitete Saum vom linken Bildrand überschnitten ist  ; darüber hinaus wird der Übergang von herabfallendem zu aufliegendem Stoff in keiner Wiese artikuliert. Demgegenüber weist selbst eine so körperlose Figur wie der in der Geburtsminiatur rechts vorne kniende, ebenfalls rot gekleidete Engel eine deutliche Akzen­ tuierung senkrechter und waagrechter Gewandpartien auf, auch wenn gerade auf fol. 43v stets eine Zone knittriger Bäusche zwischen die vertikalen und die aufliegenden Stoffmassen geschoben ist. Darüber hinaus fällt auf, wie sehr die Figuren im Brevier durch Abdunkelung der vom Licht abgewandten Körperpartien als ganze modelliert sind. Dies als Folge der Unterschiede in der dargestellten Beleuchtungssituation abzutun ist nur so lange möglich, solange man sich nicht ein Bild wie die Spinola-Epiphanie (Abb. 164) vergegenwärtigt (das eine noch weit ausgeprägtere Modellierung des Figurenblocks zeigt, ohne eine spezifische Lichtsituation zu suggerieren), oder so lange man die durchaus klare Artikulation der Einzelformen (wie der Hände, allen voran jene des Erlösers) in der Jakobsminiatur übersieht. Stellt man das New Yorker Epiphanieblatt (Abb. 162) neben die Jakobsminiatur, so stößt man neben zahlreichen Unterschieden auch auf offensichtliche Gemeinsamkeiten. Sie betreffen vor allem die Figurenauffassung. Damit ist weniger die Typik gemeint, obwohl die New Yorker Akteure zweifellos viel eher zu der vom Jakobsmeister favorisierten Spezies gehören als jene im Grimani-Brevier. Auf dem New Yorker Blatt ist nicht nur eine ähnlich geringe

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Modellierung der Figurenzylinder, sondern auch eine ähnlich flächenhafte Gewandführung festzustellen. Die New Yorker Protagonisten zeigen fast immer „Breitseite“, was besonders am Mohrenkönig nachzuvollziehen ist, der in der Kernminiatur trotz räumlicher Schrägstellung einen geraden, die Figur in keiner Weise umschreibenden Mantelverlauf zeigt und im bas de page mittels des schürzenartig vor den Körper gezogenen Gewandes frontalisiert wird, obwohl er sich in einer raumorientierten (nämlich einer Dreh-) Bewegung befindet. Zugleich sind manche Einzelformen (vor allem die Inkarnatpartien, mitunter aber auch die Draperien) durchaus plastisch modelliert, andere hingegen äußerst inadäquat artikuliert, wie die Fältelung des bezeichnenderweise ebenfalls roten Mantels des ältesten Königs. Dem muß hinzugefügt werden, daß die Abb. 165: Anbetung der Heiligen Drei Könige; London, British Library, Add. Ms. 34294, SforzaJakobsminiatur jene auf MMA 48.149.15 in Stundenbuch, fol. 97r. allen diesen Aspekten bei weitem übertrifft. Dies wird vor allem dann klar, wenn man die raumschaffenden orthogonalen Bildelemente in den Vergleich mit einbezieht. Denn die New Yorker Miniatur mag zwar im Figurengefüge deutlich antiräumliche Tendenzen verraten, mit architektonischen Versatzstücken wird jedoch immer wieder zumindest bruchstückhaft Raum konstruiert. Dies läßt sich bis zu einem gewissen Grad zwar auch für die Jakobsminiatur geltend machen. Was in MMA 48.149.15 aber völlig fehlt, ist die in Wien nachgerade konstruierte Verflächigung der einzelnen Raumimpulse. Diese bleiben im New Yorker Blatt quasi für sich (mitunter auch im Widerspruch zueinander) unbeschoren stehen, während sie auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 stets in den sicheren Hafen des Flächenmusters zurückgeführt werden. Ungeachtet dessen ist die Nähe zwischen der New Yorker und der Jakobsminiatur weit größer als jene zwischen dem Jakobsgebetbuch und dem Grimani-Brevier und vor allem auch größer als jene zwischen dem New Yorker Blatt und den Brevierminiaturen. Dies untermauert nicht nur die Zuschreibung von MMA 48.149.15 an den Jakobsmeister, sondern nährt zugleich die Zweifel an der Eigenhändigkeit der entsprechenden Bilder im Marciana Ms. lat. I. 99, zumal die in New York und Venedig befindlichen Werke annähernd gleich datiert werden. Eine (allerdings nicht sehr plausible) Möglichkeit, diese Situation zu erklären, wäre, daß die New Yorker Epiphanie in zeitlich größerer Nähe zum Jakobsgebetbuch, also eventuell vor dem Spinola-Stundenbuch, entstand. Doch auch die Miniaturen dieser Handschrift erweisen

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sich als nachgerade inkompatibel mit jenen des Grimani-Breviers, was ja anhand einiger kleinfiguriger Bilder bereits gezeigt wurde und was durch die Gegenüberstellung zweier großfiguriger Darstellungen in den beiden Handschriften untermauert werden soll. Bei der Darstellung auf fol. 11r des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 103) handelt es sich um eines der wenigen großfigurigen Bilder unseres Illuminators in dieser Handschrift. Im oberen Bereich der Miniatur, die wieder den gesamten für die malerische Ausstattung vorgesehenen Platz inklusive der Randzone beansprucht und nur durch die auf einem rechteckigen Pergamentstück scheinbar mit Nadeln auf das Blatt gesteckte Textkolumne unterteilt wird, befindet sich Abraham, der den drei vor seinem rechts sichtbaren Zelt an einem Tisch sitzenden Abb. 166: Kalenderminiatur Juni; Venedig, Engeln ein Tablett mit einem Stück Fleisch Biblioteca Marciana, Ms. lat. I.99, Grimaniserviert. Zwei dieser seltenen Gäste scheinen Brevier, fol. 6v. zu sprechen, während der mittlere nach der Speise greift. Im Eingang des Zeltes, ganz am rechten Bildrand, erscheint Sarah und lauscht der ja auch sie betreffenden Prophezeiung mit einem etwas betretenen Lächeln. Links im Hintergrund, auf dem sich vom Tisch vorne nach hinten zu windenden Weg, sind nochmals die drei Engel zu sehen, wie sie von ihrem Gastgeber verabschiedet werden. Unterhalb des Textstücks kniet Abraham ein weiteres Mal (diesmal der räumlichen Position entsprechend in annähernd der gleichen Größe wie im Bildteil darüber) und empfängt den Segen der drei göttlichen Boten, die sich in das schmale Stück zwischen fingiertem Pergamentfragment und rechtem Bildrand gezwängt haben. Dort – wie auch in dem (noch weit schmäleren) Streifen links neben der Textkolumne – setzt sich das Terrain nahtlos nach oben hin fort, womit auch hier zwar nicht die Einheit der Zeit, jedoch die des Ortes hergestellt ist. Mit entsprechenden Einschränkungen bezüglich der unterschiedlichen Thematik, Komposition und Seiteneinteilung soll dieser Miniatur das Junibild auf fol. 6v des Grimani-Breviers (Abb. 166) gegenübergestellt werden. Es zeigt drei Männer und zwei Frauen beim Heumachen. Vier der Figuren befinden sich auf dem die untere Bildhälfte einnehmenden Wiesenstück, das durch die fünfte, rechts ihre Sense schärfende Person, deren Unterschenkel von dieser Wiese überschnitten werden und die sich somit bereits dahinter befinden muß, als leicht ansteigend ausgewiesen wird. Zugleich mildert dieser in einen unbestimmten Mittelgrund abgerückte Mann jenen Raumsprung, der sich zwischen dem doch sehr großen und auch tiefen Vordergrund und dem bereits in einiger Distanz sichtbaren Gewässer auftut (an dessen

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den Betrachtenden zugewandter Seite jenes Gatter entlangläuft, das die Wiese abgrenzt). Im linken Bildteil ist die Bruchlinie zwischen nahsichtigem Vorder- und bereits in einiger Distanz befindlichem Mittel- und Hintergrund nicht klar artikuliert, was zwar nicht als störend, jedoch auch nicht als Kontinuität gelesen, sondern einfach übersehen wird. Auf der anderen Seite des Gewässers (wohl ein Wehrgraben) erhebt sich eine von einer Mauer mit mächtigen Türmen umgrenzte Stadt, aus der sich soeben eine Gruppe von Reitern (möglicherweise Jägern) auf die am linken Bildrand sichtbare Brücke zu bewegt. Hinter der bildparallelen Brücke rechts ist ein Fernblick auf ein in seiner Farbigkeit bereits ganz dem Himmel angepaßtes Gebirge gegeben. Die motivischen Übereinstimmungen mit der Juniminiatur auf fol. 6v der Très Riches Heures des Duc de Berry (Abb. 167) sind ganz erstaunlich  : In beiden Fällen beginnt im Vordergrund eine Wiese, die sich beide Abb. 167: Kalenderminiatur Juni; Chantilly, Male bis zu dem – das Bild von links nach Musée Condé, Ms. 65, Très Riches Heures des rechts (bzw. im Berry-Stundenbuch vice Duc de Berry, fol. 6v. versa) schräg durchquerenden – Gewässer erstreckt, an dessen anderer Seite eine Stadt zu sehen ist. Ungeachtet dessen, daß selbst die räumliche Position dieser Siedlung – vom linken Bildrand weg nach rechts hinten verlaufend – in beiden Fällen gleich ist und zudem je zwei Frauen jenes Gras rechen, das von je drei Männern geschnitten wird, könnten die Unterschiede in der Raumauffassung nicht größer sein. Die im Vergleich zum Januarbild derselben Handschrift weit tiefere Juniminiatur der Très Riches Heures zeigt nicht nur eine räumlichere Staffelung der Akteure, sondern auch den Versuch, mittels der Bäume, die an dem weiter in den Vordergrund reichenden Ufer stehen, und einer Reihe von kontinuierlich in die Tiefe gestaffelten Heuhaufen ein Raumkontinuum zu schaffen, das durch die klare, beinahe senkrecht vom unteren Bildrand in die Tiefe führende Linie zwischen gemähtem und stehendem Gras noch vorangetrieben wird. Hier spätestens ist endgültig eine negative Antwort auf die im Zusammenhang mit den beiden Januarbildern gestellte Frage zu geben, ob der Illuminator im Grimani-Brevier auch bezüglich der Raumauffassung von seinem Vorbild geprägt war. Denn die flächenkonstituierenden Qualitäten, die sich im Junibild des Marciana Ms. lat. I. 99 finden, sind in der Vorlage nicht vorgebildet. Im Gegenteil  : Man hat den Eindruck, als habe unser Künstler hier sein

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Vorbild ebenso korrigieren wollen wie im Fall der Januarminiatur, nur daß er diesmal nicht ein Zuwenig an Raum, sondern die Art der räumlichen Gestaltung (den ihm offenbar zu aggressiven Tiefenzug) auszugleichen versuchte. Natürlich überbot er die Darstellung der Très Riches Heures an Räumlichkeit, was vor allem an seiner korrekten Wiedergabe der Größenverhältnisse in Vorder- und Hintergrund liegt (die vom Illuminator in den Très Riches Heures überhaupt nicht bewältigt wurde). Dabei bediente er sich jenes Systems gegenläufiger Schrägen, das auch in den kleinfigurigen Miniaturen des Breviers zur Anwendung kam. Schon der Vordergrund ist durch flache (durch die Mahtnaht gebildete) Linien gegliedert, nur hinter dem zweiten Mäher führt ein etwas steilerer Vektor ein kurzes Stück in die Tiefe, wird allerdings von der Figur selbst über- und damit abgeschnitten. Der konvex geschwungene Fluß des Vorbilds wurde in ein links nahezu bildparalleles und nur rechts nach hinten weisendes (allerdings von der waagrechten Expansion der Stadtmauer über die rechte Brücke hinaus unterbrochenes) Band umgewandelt. Bezeichnenderweise folgt auf das wuchtige Bergmassiv ganz rechts im Hintergrund noch ein weißer Gebirgszug links dahinter, so daß der Blick noch einmal eine Kehrtwendung machen muß, ehe die gesamte Bildtiefe durchmessen ist. Obwohl die Tiefe der Grimani-Miniatur also unbestritten ist, bleibt eine Zäsur zwischen Vorder- und Hintergrund spürbar, und in der Addition waagrecht hintereinander gestaffelter Zonen manifestiert sich eine grundsätzlich flächenhafte Bildkomposition. Dabei müssen dem Künstler durchaus andere, dem Vorbild adäquatere Mittel der Raumkonstruktion geläufig gewesen sein. Dies legt jedenfalls die Abrahamsminiatur auf fol. 11v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 103) nahe. Die Verbindung des Bas de page-Vordergrundes mit der Kernszene erfolgt zwar auch dort durch bildparallele Addition der beiden Ebenen. Dabei wurde allerdings schon im Bas de page versucht, die sich nachgerade zwangsläufig aus Figurengröße und verfügbarem Platz ergebende Bildparallelität der Handlung durch die räumlich gekrümmte Terrainschwelle, auf der Abraham kniet, aufzubrechen. Die Kernszene darüber, durch Beibehaltung der gleichen Figurengröße als immer noch im Vordergrund befindlich ausgewiesen, wurde massiv verräumlicht. Hierzu trägt in erster Linie der verkürzt in den Raum dargestellte Tisch bei, an dem die drei Engel nebeneinander, im Bild aber hintereinander gestaffelt sitzen. Der dadurch initiierte Raumvektor führt durch den Ausblick zwischen dem hintersten Engel und dem von links herantretenden Abraham bis in den fernsten (allerdings nur klein und unspezifisch wiedergegebenen) Landschaftshintergrund. Dennoch ist die Verräumlichung letztlich auf die Kernszene beschränkt. Denn der Blick in die Tiefe wird durch die Konturen des Engels und des Stammvaters sowie eine Hügelkante im Mittelgrund gebremst. Noch gewichtiger ist die Tatsache, daß links ein Weg nach hinten führt, der hinter Abrahams Rücken in einem sanften Schwung nach rechts und somit in jene Ferne (und dabei um die Hügelkante herum) zu verlaufen scheint, die zwischen den Figuren am Tisch so unvermittelt sichtbar wird. In all dem manifestiert sich die hier so genannte zentralräumliche, auf ein Schweifen des Blickes im Raum angelegte Auffassung. Selbst das Kernmotiv, obwohl eine aggressive Raumschräge ausbildend, wird doch durch einige Elemente in eine Kreisformation umgewandelt. Der Weg, der nach links hinten führt, scheint genau auf Höhe der Vorderkante des Tisches in

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einer sanften Kurve nach rechts (vermutlich zum Zelteingang) zu schwenken, teils direkt unter dem Tisch hindurch, keine sehr logische, aber eine wirkungsvolle Lösung, die nachhaltig eine Krümmung suggeriert. Zudem werden die Protagonisten von einer zwar nicht überzeugend im Raum, umso überzeugender aber in der Fläche gekrümmten Baumkrone überfangen, was seine suggestive Wirkung nicht verfehlt. Auch die Erschließung der Bildtiefe erfolgt über ähnliche Prinzipien, da der im Vordergrund gekrümmte Weg in der Tiefe noch einmal eine Kurve beschreibt und so im großen Bogen Vorder- und Mittelgrund zusammenfaßt. Nun scheint all dies auch der Raumkonstruktion im Junibild des Grimani-Breviers nicht fremd. Letztlich ist der in ständigem Richtungswechsel von rechts vorne nach rechts hinten durchgehende Tiefenzug, der mit einer gewissen Großzügigkeit auch als (eine zuerst von rechts nach links und dann, nach der den Vordergrund abschließenden Zäsur, von links nach rechts ansteigende) Organisation der Bildelemente gelesen werden kann, ein Mutant dessen, was in der Abrahamsminiatur von Ms. Ludwig IX 18 als Grundlage der Raumsuggestion angelegt ist. Allerdings ist die Art der Mutation eine, die zu denken gibt. De facto findet eine Deformation dessen statt, was sich im Spinola-Stundenbuch als Einheit präsentiert. Freilich ist der im Grimani-Brevier dargestellte Raum tiefer und umfassender, die Miniatur ja insgesamt auch größer und die Aufgabe somit zweifellos anspruchsvoller. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß die Winkeligkeit, die in den Bewegungen der Figuren ebenso angelegt ist wie in der Bewegung des Blickes im Bildraum, ein in dieser Form untypisches Element in der Kunst des Jakobsmeisters ist  ; es scheint sogar in der Kantigkeit der männlichen Physiognomien seinen Niederschlag zu finden. Die Frage ist, wie man sich eine Entwicklung vorzustellen hat, die von der Abrahamsminiatur in Los Angeles zum Junibild in Venedig führen könnte. Man mag sich daran erinnern, daß der Jakobsmeister bereits im Jahrzehnt um 1500 eine Entwicklung von einer zentralräumlichen zu einer konzentriert tiefenräumlichen und weiter zu einer flächenhaften Auffassung durchgemacht hatte, die nicht als eine Qualitätsverbesserung (oder -verschlechterung) mißverstanden werden sollte. Es wäre also möglich, daß ein ähnlicher Entwicklungsschritt zwischen dem Spinola-Stundenbuch und dem Grimani-Brevier liegt. Das Problem stellen jene Werke dar, die offenbar zwischen den beiden Handschriften entstanden sein dürften, also die beiden Miniaturen im Croy-Gebtbuch und die beiden New Yorker Blätter. Setzt man diese zwischen Stundenbuch und Brevier an, ist der Weg tatsächlich verstellt. Weder über die Wiener noch über die New Yorker Miniaturen läßt sich eine auch nur halbwegs plausible Entwicklung (die es aber bis dorthin ganz offensichtlich im Œuvre unseres Künstlers gegeben hat) nachvollziehen. Dies gilt in erster Linie bezüglich der Gestaltungsprinzipien, also der genuin künstlerischen Auseinandersetzung mit der Suggestion der dreidimensionalen Wirklichkeit auf der zweidimensionalen Bildfläche. Unmittelbar offensichtlich werden die Diskrepanzen aber im Motivrepertoire und in der Malweise. Am auffälligsten, weil zwischen allen anderen Handschriften nie in diesem Ausmaß beobachtet, ist die Veränderung der Figurentypik. Zwar sind die Protagonisten des Junibildes von Marciana Ms. lat. I. 99 eindeutig Abkömmlinge der in der Abrahamsminiatur anzutreffenden

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Akteure  ; doch scheint es sich eher um entfernte Verwandte zu handeln, wie vor allem an den mit kleineren Augen und einer grundsätzlich anderen Geometrie ausgestatteten Physiognomien deutlich wird. Die Kompaktheit der Figuren mag aus ihrer anderen (zeitgenössischen, wenig faltenreichen) Kleidung resultieren, die einerseits klare Konturen und andererseits die Modellierung sich darunter häufiger abzeichnender Körperformen erlaubt. Dennoch bleibt letztere (wie die Malweise überhaupt) eigentümlich graphisch, und die langen Umrißlinien, die eine scharfe Trennung der Figuren von ihrem Umfeld bewirken, steigern noch den bereits in der Binnenstruktur angelegten flächenhaften Charakter. Ein weiterer Faktor ist – im Gegensatz zur Gewandführung in der Spinola-Miniatur –, daß die Kleidung niemals den Körper umschreibt. Und dies liegt nun nicht in ihrer Machart, sondern eindeutig an den Intentionen des Künstlers. So bildet beispielsweise der hinten aufgebundene Rock der durchgehend blau gekleideten Bäuerin in Junibild zwar eine – dem Rückenausschnitt entsprechende – V-Form mit einigen parallel dazu geführten Schüsselfalten aus, die jedoch frontal verflächigt werden. Dabei wäre es ein leichtes gewesen, sie für eine Volumserweiterung der Figur zu nutzen, wie dies etwa beim Mantel Abrahams in der Kernszene auf fol. 11v von Ms. Ludwig XI 18 der Fall ist. Dort wird das Kleidungsstück in mehreren Faltenbahnen so um den Körper herumgeführt, daß die an sich weitgehend im Profil gezeigte Figur des Patriarchen doch sichtbar an Masse und raumverdrängender Plastizität gewinnt. Dies ist um so erstaunlicher, als die Bewegungen der Akteure im Grimani-Brevier allesamt (von dem Sensenschleifer abgesehen) grundsätzlich raumorientierte wären. Man fühlt sich an ähnliche Phänomene im italienischen Manierismus erinnert (dort freilich zu einer späteren Zeit und in einer ganz anderen Formensprache)  : Die Figuren führen Drehbewegungen aus, die nicht allein mit ihrer Tätigkeit (dem Mähen) zu begründen sind, wie die in einer ebensolchen (durch ihr Gewand jedoch nicht veranschaulichten) Pose gezeigte hintere Frau beweist. Dabei fallen die Aktionen so winkelig aus und werden durch die harten Konturen so sehr stabilisiert, daß statt einer räumlichen eine flächige Wirkung die Folge ist. Freilich geht diese Gesinnung mit dem Raumverständnis des Künstlers konform, ist also genuiner Bestandteil seiner künstlerischen Haltung. Man muß sich nur die in ebenmäßigem Gleichklang der Extremitäten ausgeführten Mäh- und Harkbewegungen der Protagonisten in der entsprechenden Miniatur der Très Riches Heures vergegenwärtigen, um zu begreifen, daß nichts im Grimani-Bild inhaltsbedingt, sondern (m. E. wie stets) alles eine Frage der Auffassung ist.

Zusammenfassung Das Ergebnis der bislang zwischen den Miniaturen des Grimani-Breviers und anderen Arbeiten des Jakobsmeisters durchgeführten Vergleiche bleibt unbefriedigend. Ohne daß sich die diesem Künstler in Marciana Ms. lat. I. 99 zugeschriebene Ausstattung von seinem Œuvre wirklich trennen ließe, ist sie doch nicht konsequet daraus ableitbar. Zudem stellen zahlreiche Elemente der Grimani-Miniaturen so einschneidende Neuerungen dar, wie sie einem doch seit geraumer Zeit routiniert und erfolgreich tätigen Künstler nur mit einiger Mühe

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zuzutrauen sind  ; keinesfalls wird man sie mit dem Einfluß altehrwürdiger Vorlagen oder dem spektakulären Auftrag (der de facto nicht viel spektakulärer gewesen sein kann als andere Aufträge an den Jakobsmeister) erklären können. Die plausibelste Lösung dieses Problems wäre, einen jungen, ungemein talentierten Mitarbeiter, vielleicht sogar einen designierten Nachfolger des Jakobsmeisters als Schöpfer der Miniaturen im Brevier anzunehmen. Dabei wäre möglich, daß ein Alter Ego unseres Künstlers, das bereits öfter in Betracht gezogen wurde, plötzlich an künstlerischem Profil gewann317. Doch kann vorläufig nicht ausgeschlossen werden, daß der Jakobsmeister selbst ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters einen grundlegenden Stilwandel durchmachte. Gegen diese letzte Annahme spricht bis jetzt nur, daß sich gleich mehrere Handschriften erhalten haben, für die die Forschung dieses Privileg – von einem sich grundlegend wandelnden Jakobsmeister illuminiert worden zu sein – in Anspruch nimmt, dabei aber nur eine einzige Gemeinsamkeit aufweisen, nämlich in die gleiche Zeitspanne datiert zu werden. Dies ist der Zeitpunkt, die dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen des GrimaniBreviers mit der Ausstattung der Sforza-Hours (London, B. L. Add. Ms. 34294), für die Horenbout 1521 bezahlt wurde, und anderen späteren Arbeiten des Jakobsmeisters zu vergleichen.

Das Sforza-Stundenbuch Die Geschichte des Sforza-Stundenbuchs, heute in der British Library, London, als Add. Ms. 34294 aufbewahrt, wurde bereits in der Einleitung ausführlich dargelegt. Gerard Horenbout erstellte 1520 eine Rechnung über sechzehn ganzseitige Miniaturen und zwei Bordüren, die der noch im 15. Jahrhundert in Italien hergestellten Handschrift im Auftrag Margaretes von Österreich hinzugefügt worden waren  ; sie müssen vor diesem Zeitpunkt geschaffen worden sein, und höchstwahrscheinlich nach 1517, dem Jahr, in dem der Schreiber Etienne de Lale für mehrere Textseiten zur Ergänzung des Stundenbuchs bezahlt worden war318. Folglich gilt Gerard Horenbout als der Schöpfer der flämischen Vollbilder in den SforzaHours, ein naheliegender und plausibler Schluß. Problematisch wird der Sachverhalt erst damit, daß auch die dem Jakobsmeister nahestehenden Miniaturen im Grimani-Brevier diesem Künstler zugeschrieben werden, was zuerst von Georges Hulin de Loo319, dann von Friedrich

317 Hier würde sich m. E. vor allem der Illuminator der Lukasminiatur in CFM 1058–1975 anbieten, da dieser Künstler schon um 1510 ein hohes Niveau erreicht hatte und trotz seines „Doppelgängertums“ individuelle Züge zeigt. 318 Vgl. Campbell – Foister 1986 sowie hier Einleitung. 319 Hulin de Loo 1939, S. 3 ff.; zuvor hatte schon Destrée 1894, S. 518, Horenbout als einen der Illuminatoren des Breviers identifiziert, ihm allerdings andere Miniaturen zugeschrieben als jene, die mit dem Jakobsmeister zu assoziieren sind.

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Winkler320 und zuletzt von Thomas Kren321 postuliert wurde. Diese These stützt sich auf eine Stelle in den 1521 geschriebenen „Notizie d’opere del disegno“ des „Anonimo Morelliano“, i. e. Marcantonio Michiel, Venedig, Biblioteca Marciana Ms. It. XI. 67, fol. 61v, wo der Autor einen Girardo da Guant als einen der im Brevier tätigen Künstler bezeichnet. Bodo Brinkmann schlug vor einigen Jahren mit gebührender Vorsicht ein alternatives Denkmodell vor  : Nicht der Jakobsmeister, sondern der Meister der Davidszenen des Breviarium Grimani sei Girardo da Guant und folglich Gerard Horenbout gewesen322. Doch hat sich diese Ansicht nicht durchsetzen können323. Folglich ist der neueste Stand der Forschung der, daß jener „Gerhard von Gent“ mit dem Jakobsmeister zu identifizieren und dieser daher Gerard Horenbout gewesen sei324 – der somit kurz vor 1520 sowohl die dem Jakobsmeister nahestehenden Miniaturen in Marciana Ms. lat. I. 99 als auch die sechzehn Vollbilder in den Sforza-Hours Add. 34294 geschaffen habe. Die Problematik dieser Konstruktion – stets von der Forschung anerkannt, aber offenbar als geringfügig erachtet325 – ist rasch vor Augen geführt. So sind einander die Geburtsdarstellungen der beiden Handschriften (Marciana Ms. lat. I. 99, fol. 43v, Abb. 151, und Add. Ms. 34294, fol. 82v, Abb. 168) ungeachtet der enormen Größenunterschiede (ca. 16,5x22,5 gegenüber ca. 8,5x11cm) motivisch und kompositionell eng verwandt  ; nur ikonographisch handelt es sich um unterschiedliche Lösungen. In den Sforza-Hours ergänzt lediglich Josef die zentrale Gruppe mit Maria, dem Christkind und den Engeln, während im Breviarium Grimani fünf Hirten bereits eingetroffen sind, während zwei weiteren im linken oberen Bildteil die Frohe Botschaft soeben verkündet wird. Abgesehen davon präsentieren sich die beiden Miniaturen auf den ersten Blick recht ähnlich, was an der Verwendung eines übereinstimmenden Motivrepertoires liegen mag. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Unterschiede allerdings als beträchtlich. Zwar kniet die Gottesmutter in beiden Fällen links im Bild und blickt nach rechts auf das bilparallel vor ihr auf einen Strahlenkranz gebettete Christkind hinab  ; dabei ist allerdings die Position von Mutter und Sohn in den Sforza-Hours leicht räumlich versetzt. Hinzu kommt, daß das Kleid Marias auf alle Seiten, also auch nach vorne und nach hinten zu, auf dem Boden ausgebreitet ist. Die Folge ist, daß die zentrale Gruppe viel mehr Platz, i. e. Raum, okkupiert als im Brevier. Der Stall setzt sich in beiden Fällen aus einem mit einem Satteldach gedeckten, nach vorne hin offenen und von kantigen Pfeilern begrenzten, die Haupthandlung aufnehmenden Kompartiment und aus seitlich und hinten angefügten Nebenräumen zusammen. Im Grimani-Brevier ist der sattelgedeckte Stallteil al320 Winkler 1943, S. 56. 321 London – Los Angeles 2003, S. 420, 427 f. 322 Evans – Brinkmann 1995, S. 130–134. 323 Vgl. E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 383 ff. 324 Eine kritische Haltung nimmt demgegenüber B. Dekeyzer ein, Dekeyzer 2002, S. 202–211. 325 So Th. Kren in Malibu 1983, S. 120 ff., sowie in London – Los Angeles 2003, S. 428  : „While the identification of Horenbout with the Master of James IV seems likely and has been widely accepted, in stylistic terms the connection is subtle rather than readily apparent.“

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lerdings zur Gänze zu sehen, wodurch eine Art Puppenhaus-Effekt entsteht, während er in den Sforza-Hours angeschnitten ist. Dort erscheint nur der hintere Teil des Daches in Untersicht gegeben, die rechte Seite des Gebäudes befindet sich schon außerhalb der Rahmung. Dafür ist eine Begrenzung nach vorne zu entlang der unteren Rahmenleiste angedeutet, wo vom linken Pfeiler ausgehend Reste einer niedrigen Mauer und schließlich rechts eine vom Rahmen fragmentierte Pfeilerbasis zu sehen sind. Umgekehrt ist der Stall nach hinten zu offen, zumal im rechten Bilddrittel durch einen Torbogen (in den sich Josef soeben mit seiner Laterne zu treten anschickt) der Blick in einen ruinösen Nebenraum und dann in eine nächtliche Landschaft freigegeben wird. Der tiefblaue Nachthimmel bildet (im Gegensatz Abb. 168: Geburt Christi; London, British zum stahlgrauen, teils wolkendurchfurchten Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, fol. 82v. und von den Lichterscheinungen des Verkündigungsengels und Gottvaters durchbrochenen, nur im obersten Bildteil sichtbaren Firmament des Marciana Ms. lat. I. 99) eine ebenso gleichmäßige wie leuchtende Folie, die zugleich ein unbegrenzter Existenzraum ist, zumal der Stall auf allen Seiten davon umgeben scheint, wie das brüchige Gebälk links unter dem Satteldach verrät. In dieser Beobachtung manifestiert sich der erste große Unterschied zwischen den beiden Bildauffassungen, der durch zahlreiche weitere zu ergänzen sein wird  : Die Miniatur des Grimani-Breviers ist nach vorne zu offen, nach hinten zu (trotz des Ausblicks links oben, der allerdings nicht Ferne suggeriert, sondern sich in seiner Funktion als rudimentär angedeuteter Schauplatz der Hirtenverkündigung erschöpft) abgeschlossen. In den Sforza-Hours entsteht im Vordergrund eine Barriere sowohl durch den Mauerrest als auch dadurch, daß – im Gegensatz zum Brevier – nicht explizit ablesbar ist, ob es davor ins Freie oder in einen weiteren Nebenraum geht  ; nach hinten zu wird der Blick in eine unbestimmte Ferne entlassen. Dem entspricht die gesamte Organisation des Bildraumes. Wie im Grimani-Brevier wird in der linken unteren Bildecke ein Einstieg hin zu einem kreisförmig organisierten Hauptmotiv, der Anbetungsgruppe, geboten. Dabei ist jedoch die Figurenanordnung (und in der Folge davon die Raumwirkung) in beiden Fällen grundverschieden. Im Gegensatz zum fast vollständigen Kreis im Brevier zeigt die Miniatur in den Sforza-Hours eine nicht einmal halbkreisförmige Gruppierung rund um den Jesusknaben, indem die fünf auf dem Boden befindlichen Engel sämtlich nach hinten gerückt sind und somit jene Position einnehmen,

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die im Brevier Ochs und Esel zukommt. Anders als diese wirken sie jedoch nicht wie eine bildparallele Wand, sondern bringen durch ihre Staffelung in drei Reihen und ihre schräge Anordnung eine räumliche Komponente auch in diesen Bildteil. Und vollends verräumlicht wird die Situation, wenn man den einzigen fliegenden Engel, der mit dem Rücken zu den Betrachtenden gleichsam bildeinwärts gekippt und radikal verkürzt auf Gebälkhöhe im Vordergrund schwebt, sowie das Mauerfragment und das Ährenbündel mit berücksichtigt, die jenen Schwung abgrenzen bzw. weiterführen, der durch den nach vorne ausgebreiteten Mantelüberschuß der Madonna eingeleitet wird. Allerdings wird der Kreis auch so nicht zur Gänze geschlossen, sondern bleibt nach rechts hinten offen  : Zwar stellt die Aureole, die sich um das Christkind herum bildet, eine Verbindung zwischen dem Ährenbündel und der Engelsgruppe her, was durch entsprechend kurvige Rillen auf dem Boden unterstützt wird, die eine feine Grenze zum weiteren Bodenverlauf nach rechts hinten bilden. Doch führt der von links vorne nach rechts hinten durchgehende Bodenstreifen den Blick des Betrachters an dieser Stelle aus dem Kreis hinaus und unmittelbar zu jenem Torbogen, durch den die ferne Landschaft sichtbar wird. Dadurch aber, daß die Figur des Josef ganz am rechten Bildrand ebenda steht und der Landschaftsausblick links davon ansetzt, wird der Blick dort noch einmal in einer sanften Kurve nach links und nicht zuletzt durch die blaue Hintergrundfolie noch weiter, gleichsam außen am Gebäude entlang, geleitet. Auf diese Weise schließt sich der Kreis noch ein zweites Mal, ja wird – nachgerade in einer höheren Oktave – insofern vervollständigt, als das brüchige Gebälk links suggeriert, daß die Folie das Gebäude allseitig umfängt. Nicht umsonst schwebt der Engel auf eben dieser Höhe bildeinwärts und hält die Betrachtenden dazu an, gemeinsam mit ihm auf das Christkind zu blicken. Somit handelt es sich bei dem Kreis, der in den Sforza-Hours das Zentralmotiv umfängt, um einen das gesamte Bild umfassenden – in seiner Höhe (also Fläche) wie in seiner Tiefe (also seiner räumlichen Ausdehnung). Der Unterschied zum Grimani-Brevier, wo diese Formation sich auf das Zentralmotiv beschränkt und einen (trotz potentieller Raumhaltigkeit) flächenhaften Charakter aufweist, ist groß. Die ungleich überzeugendere Wirkung in den Sforza-Hours beruht darauf, daß viel mehr Freiraum dargestellt ist  : durch den leeren breiten Bodenstreifen ebenso wie durch die geräumige Gebälkkonstruktion im oberen Bildteil, die einen Raum eingrenzt, den nur ein einziger Engel in Anspruch nimmt. Im Grimani-Brevier ist leerer Platz auf ein insgesamt verschwindend kleines Kompartiment im rechten hinteren Stallteil beschränkt. Auch die Anordnung und Aktion der Figuren im Raum erscheint um vieles plausibler als im Brevier, nicht zuletzt deshalb, weil sowohl die Plastizität der Figuren als auch ihr Gewandfall weit raumverdrängender bzw. raumgreifender wirken. So sind die beiden Marien zwar äußerst ähnlich gekleidet und postiert, jedoch ist in den Sforza-Hours klar erkenntlich, welche Teile des Gewandes am Körper herabfallen und welche (geradezu fächerartig ausgebreitet) auf dem Boden aufliegen, während die Verunklärung dieser Differenz wesentlich zur Verflächigung der Figur im Grimani-Brevier beiträgt. Und obwohl die Artikulation des Körpers unter dem Gewand in beiden Fällen zurückhaltend bleibt, zeigen die Lichthöhungen an den Unterarmen der Sforza-Madonna oder die ebenso erzielte Betonung ihres rechten Oberschenkels eine Plastizität auch des Figurenkernes an, um die man sich im

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Grimani-Brevier offenbar nicht bemühte. Dort ist eine weit weniger kontrastreiche und zudem auf Einzelformen beschränkte Modellierung zu konstatieren. Noch deutlicher zeigt sich dies bei den Engeln ebenda, die auf dem Boden knien. Sie schließen sich zu einer flächigen Gruppe zusammen, die weder einzelne Körper noch Körperteile erkennen läßt. In den SforzaHours wurde auf beides großer Wert gelegt. Sowohl physisch als auch plastisch artikulierter präsentieren sich die in der Luft befindlichen Engel des Marciana Ms. lat. I. 99. Allerdings halten auch sie nicht dem Vergleich mit jenem Himmelsboten stand, der als einziger den Freiraum (im Gegensatz zur Enge der Sparrenkonstruktion im Brevier) im oberen Bereich der Sforza-Miniatur beansprucht. Er ist weder im Profil noch frontal (wie alle fliegenden Figuren im Brevier), sondern räumlich schräg und zudem in einer Verkürzung gegeben, die durch überzeugende Gegenlicht-Modellierung der Gesamtfigur (und nicht etwa nur einzelner Falten oder Körperteile) eindrucksvoller nicht hätte gestaltet werden können. Zugleich ist er ein Beweis dafür, daß die Wiedergabe der Lichtsituation, die Darstellung der Nacht, in den Sforza-Hours durch den Einsatz stärkerer Hell-Dunkel-Kontraste enorm an Überzeugungskraft gewonnen hat. Obwohl es undenkbar ist, daß die beiden besprochenen Miniaturen nicht im gleichen künstlerischen Umfeld entstanden sind (das hier durchaus eng, also im Sinne einer Werkstatt oder zumindest einer Werkstattabhängigkeit, zu verstehen ist) 326, weisen sie doch große Unterschiede in den Gestaltungsprinzipien auf. Als Arbeitshypothese sind hier zwei Schlüsse zulässig, die m. E. jedoch nicht gleich überzeugend sind  : Entweder es handelt sich beide Male um den gleichen Illuminator. Dieser müßte allerdings einen Quantensprung in seiner Entwicklung durchgemacht haben, der nur mit Mühe (und wenn, dann eigentlich nur bei einem noch jungen, unfertigen und daher extrem aufnahmebereiten Künstler) in einem kurzen Zeitraum denkbar ist. Oder aber es handelt sich um zwei verschiedene Maler, die eng zusammengearbeitet haben müssen, wenngleich nicht so eng wie der Jakobsmeister mit manchen seiner Mitarbeiter, die nachgerade als Doppelgänger unseres Künstlers zu bezeichnen sind. Jede der beiden Thesen wird dadurch verkompliziert, daß genau die gleiche Situation sich auch bei den dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen des Grimani-Breviers im gegenüber dem bislang bearbeiteten Œuvre des Jakobsmeisters ergab. Zwei stilistische Quantensprünge unmittelbar hintereinander im Werk eines bereits seit längerem ungemein erfolgreich tätigen Illuminators sind nun aber beim allerbesten Willen nicht wahrscheinlich. M. E. kommt, wenn überhaupt, nur einer dieser beiden Illuminatoren für eine Identifizierung mit dem Jakobsmeister in Frage. Freilich zieht sich durch das gesamte Œuvre des Jakobsmeisters hindurch wie ein roter Faden ein gewisser (allerdings vergleichsweise geringfügiger) Stilpluralismus, sodaß mitunter nicht von einem, sondern mehreren Jakobsmeistern gesprochen werden konnte, also von einem hochqualifizierten Team wenigstens zweier hochkarätiger Illuminatoren, die offenbar auch noch eine größere Anzahl an Gehilfen beschäftigten. Im Fall des Grimani-Breviers und 326 Wofür ja auch die Untersuchungen von Wisse 2002 sprechen.

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der Sforza-Hours geht es aber nicht um einen Werkstattstil, den sich zwei Könner gleichermaßen aneigneten und variierten und den etliche weniger begabte Mitarbeiter imitieren, sondern in beiden Fällen um höchst individuellen künstlerischen Ausdruck. All dies ist im Bewußtsein zu behalten, wenn man sich der simplen Frage zuwendet, welcher der beiden Illuminatoren, wenn überhaupt, mit dem Jakobsmeister zu identifizieren sei, der im GrimaniBrevier oder der in den Sforza-Hours tätige. Und auch eine dritte Option ist zumindest nicht ganz auszuschließen, nämlich die, daß der in den Sforza-Hours greifbare Illuminator zwar die entsprechenden Miniaturen im Grimani-Brevier ausführte, jedoch nicht der Jakobsmeister war.

Überlegungen zum Sforza- und zum Spinola-Stundenbuch Einmal mehr soll das Spinola-Stundenbuch – die letzte jener Handschriften, die sich mehr oder minder problemlos in das Œuvre des Jakobsmeisters eingliedern ließen und zudem ein Werk, das in der Literatur konsequent in die unmittelbare zeitliche Nähe des Grimani-Breviers und der Sforza-Hours datiert wird327 – als Ausgangspunkt der nunmehr anzustellenden Überlegungen dienen. Dabei bietet sich Vergleich der Epiphaniedarstellungen auf fol. 97r von Add. Ms. 34294 (Abb. 165) und auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 164) in mehrfacher Hinsicht an – unter anderem deshalb, weil mit beiden Miniaturen bereits im vorangegangenen Abschnitt Bekanntschaft gemacht wurde. Die frontal gegebene, satteldachbekrönte und vorne angeschnittene Stallarchitektur in Add. 34294, die links hinten durch ein Rundbogenportal ins Freie geöffnet wird, während rechts hinten und seitlich Nebenräume anschließen, welche den Tieren bzw. Josef Platz bieten, zeigt dasselbe Prinzip der Schauplatzgestaltung wie das weit weniger klassisch und dadurch einfacher wirkende Gebäude in Ms. Ludwig IX 18. Auch in den Sforza-Hours befindet sich die Liegestatt schräg nach links hinten verkürzt rechts im Bild  ; Maria hockt mit gekreuzten Beinen darauf und präsentiert das Christkind dem sich zum Fußkuß anschickenden König. Zusätzlich zu den beiden anderen Magiern, die ihren Gefährten flankieren und sich im Raum schräg vor bzw. frontal hinter ihm befinden, sind in der Sforza-Miniatur noch drei Gefolgsleute (wobei vom letzten nur der Haarschopf sichtbar wird) am linken Bildrand und ein Windspiel links vorne zu erkennen, während Josef von rechts her (auf Höhe von Mutter und Kind) die Szene betritt, wie um der Mehrzahl der Akteure auf der linken Bildseite ein Gegengewicht zu bieten. Das beide Male ähnliche Bildgefüge sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bereits in der Komposition ganz wesentliche Unterschiede bestehen. In den Sforza-Hours ist Maria in die Mitte und der Fußkuß damit ins Zentrum des Geschehens gerückt, was durch das hinter der Madonna aufgespannte Ehrentuch (de facto die Abgrenzung zu den darüber herauslugenden Tieren) noch betont wird. Freilich könnte diese Zentrierung auch damit zu327 Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 414 ff.; eine Ausnahme der letzten Jahre ist de Winter 1981, S. 424 („ca. 1500“).

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sammenhängen, daß die Miniatur auf einer Recto-Seite sitzt und daher eine stärkere Links­ ausrichtung verlangt – umso mehr deshalb, weil der aus zwei Worten bestehende Schriftblock rechts unten durch die Leserichtung einen Rechtsschub auslöst, der der Bildbalance nicht gerade zuträglich ist. Und freilich könnte eben dies sich sogar auf die Raumgestaltung ausgewirkt haben. Denn der Landschaftsausblick im linken Hintergrund zieht den Blick nach links in die Tiefe und steht damit im Gegensatz zur bildparallelen Bewegung des Auges in der rechten unteren Bildecke. Folgerichtig ist hier auch – spiegelverkehrt zu der auf einer Verso-Seite plazierten Geburtsminiatur der Sforza-Hours – die linke Stallwand vom Miniaturrahmen abgeschnitten und somit das Bild auf diese Seite hin offen, während rechts durch die Säulenstellung, das Gebälk und nicht zuletzt den dazwischen (bzw. darunter) hervortretenden Josef ein nachdrücklicher Abschluß der Szene erzielt wird. Ungeachtet dessen hat der Raumaufbau dieser Recto-Miniatur viel mehr Gemeinsamkeiten mit jenem der Geburtsminiatur auf fol. 82v (Abb. 168) derselben Handschrift als mit der Epiphanieminiatur auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18 gemeinsam. Im Gegensatz zur Spinola-Epiphanie, wo der kniende König unmittelbar an den unteren Bildrand anschließt und sich die eigentliche Handlungsbühne somit ganz im Vordergrund befindet, ist das Geschehen in der Sforza-Epiphanie vom unteren Bildrand abgerückt bzw. von dort weg konsequent in den Raum hinein entwickelt. Zur kompositionellen Zentrierung des Kernmotivs auf der Bildfläche kommt seine räumliche Zentrierung innerhalb des Stalles. Dabei wird – ganz ähnlich wie in der Geburtsminiatur von Add. Ms. 34294 – der Raum aus der linken unteren Bildecke heraus entwickelt und durch ein doppeltes Repoussoirmotiv (den in Rückenansicht gezeigten schwarzen Magier als Identifikationsfigur und den schräg in den Raum gestellten Hund) dynamisiert. Dieser (gleichsam durch die Blicke bzw. die Aufmerksamkeit von Mensch und Tier initiierte) erste Raumvektor führt unmittelbar zum Hauptmotiv. Zugleich aber treffen die von den Beinen des Mohrenkönigs geworfenen Schlagschatten in einem spitzeren Winkel auf die linke vordere Ecke des Bettes, so daß der eigentliche, mittels sichtbarer Schrägen im Raum aufgebaute Tiefenzug zuerst nach rechts und dann in einem Knick weiter nach links, zum Hauptmotiv hin, verläuft. In der frontalen Figur des zweiten weißen Königs, der von hinten auf die Kernszene blickt, findet diese Raumkonstruktion ihren Abschluß. Zugleich kommt diesem Magier eine zweifache Scharnierfunktion zu. Einerseits lenkt er den Blick in jene Kreisformation ein, die diese durch die beschriebenen Vektoren durchmessene Aktionsbühne umfängt. Sie ist mit einer geradezu akribischen Nahtlosigkeit ausgebildet und führt vom hinteren König über die entlang der (unsichtbaren) linken Seitenwand hinterei­ nander gestaffelten Begleiter zur Eckfigur des schwarzen Weisen und von dort über das Windspiel und den bildparallelen Mauerrest hin zu dem zwischen rechtem vorderen Pfeiler und Bettbreitseite eingefügten Ährenbündel, das nach rechts oben weist. Von dort geht es über die äußere Bettkante weiter zum Ehrentuch, das hinter Maria und dem greisen Magier zurück zu dem seinen Hut ziehenden König weist. Doch auch noch eine zweite Scharnierfunktion übernimmt dieser König. Über ihn, konkret zwischen seinem Kopf und dem soeben gezogenen Kronhut, wird der Blick in die Bildtiefe verwiesen – freilich über einen enormen Raumsprung, bei dem scheinbar auf jegliches

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vermittelnde Element verzichtet wurde. Kleine Figuren tummeln sich dort auf einem Hügel, hinter dem in silbrigem Blau die Silhouette einer Stadt erscheint. Und doch leitet auch hier ein (allerdings nur kurzer) Raumvektor den Blick nach hinten  : Außerhalb des Torbogens ist eine in die Tiefe verlaufende Wand eines weiteren Bauteils zu sehen, deren abgeschrägte Geschoßunterteilung auf einer (diagonal in die Tiefe führenden) Linie mit der hinteren Hügelkante liegt. Diese Rechtsorientierung des Hintergrundes findet nicht zuletzt in dem in Untersicht gezeigten, mit zwei Dachluken versehenen Pultdach des hinteren Stallkompartimentes (in dem sich Ochs und Esel befinden) seine Entsprechung, das – nicht ganz logisch und perspektivisch inkorrekt – nach rechts hinten fluchtet. Somit ist der primäre Raumeindruck der eines tiefen, kreisförmig umschriebenen Vordergrundes mit einem durch einen abrupten Raumsprung davon getrennten Hintergrund. Die raumschaffenden Schrägen sind dabei jedoch gegenläufig angeordnet, zuerst von links nach rechts, dann von rechts nach links und schließlich (bei der Überleitung zum und auch) im Hintergrund abermals von links nach rechts weisend. Die Gegenläufigkeit der Raumvektoren ließ sich auch im Grimani-Brevier feststellen – nicht in Interieurbildern wie der Illustration zum Monat Januar, der Geburtsminiatur oder der Sterbeszene (Abb. 156, 151, 154) sondern in jenen Miniaturen, in denen die Tiefe und Weite der Landschaft veranschaulicht werden sollte. Dennoch sind die Unterschiede zu dem in den Sforza-Miniaturen angewandten Schema beträchtlich. Im Brevier bestimmt die Gegenläufigkeit der Schrägen den gesamten Raumeindruck, und sie entwickelt sich in flachen, fast bildparallelen Schrägen. Eine zentrierte Bühne wie in der Epiphanie- (oder auch der Geburts-) Miniatur der Sforza-Hours ist dort nicht anzutreffen. Die relativ geradlinige Raumorganisation der Geburtsminiatur des Marciana Ms. lat. I. 99 wiederum gipfelt in einer extremen Flächenhaftigkeit, und zudem entspricht das Raumkonzept eher jenem der Epiphanieminiatur auf fol. 130v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 164), indem einem seichten, aber kreisförmig angelegten Vordergrund eine Tiefenflucht entgegengehalten wird, die die engen Grenzen der Stallarchitektur nicht überschreitet. Der wesentliche Unterschied zwischen der Grimani-Geburt und der Spinola-Epiphanie ist freilich der, daß in ersterer die Kreisformation eine flächenhafte bleibt, während der Vordergrund in zweiterer nach explizit zentralräumlichen Prinzipien aufgebaut wird. Und diese (Zentral-)Räumlichkeit verbindet die Spinola- mit der Sforza-Epiphanie. Die Epiphanie auf fol. 130v des Spinola-Stundenbuchs weist allerdings weit aggressivere Raumvektoren als jene auf fol. 97r der Sforza-Hours (Abb. 165) auf. Zudem wird im Hintergrund ungeachtet des sich durch das Stallfenster ergebenden Raumsprungs kontinuierlich jener Tiefenzug fortgeführt, der unmittelbar am unteren Bildrand seinen Ausgang nimmt – und zwar allein durch die Hintereinanderstaffelung der menschlichen und tierischen Figuren, die entlang des vom Bett vorgegebenen Raumvektors bis hin zu der den Landschaftsausblick bietenden Öffnung führt. Auch die Verankerung der Akteure im Raum gelingt im SpinolaStundenbuch überzeugend durch auf dem Boden ausgebreitetes Gewand bzw. Verkürzung desselben. In der Epiphanieminiatur der Sforza-Hours wird nur die sitzende Gottesmutter durch ihre Kleidung im Raum verspannt, jedoch nicht kreisförmig umschrieben wie Maria

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in der Spinola-Epiphanie. Dafür ist das Sitzmotiv mit gekreuzten Beinen in Add. Ms. 34294 klar erkennbar, während die Haltung der Spinola-Madonna nicht nachvollziehbar ist. Unüberbrückbar schließlich scheint die Diskrepanz in Figurentypik und Malweise zwischen Sforza- und Spinola-Stundenbuch, was indes nicht weiter verwunderlich ist, zumal sich die Sforza-Hours diesbezüglich kraß von allen übrigen dem Jakobsmeister zugeschriebenen Werken unterscheiden, mit Ausnahme der Miniaturen im Grimani-Brevier, deren Ausführung weder mit jener im übrigen Œuvre unseres Künstlers noch mit jener in den Sforza-Hours übereinstimmt. Ehe Schlüsse aus diesem ersten Vergleich von zwei Miniaturen aus Ms. Ludwig IX 18 und Add. Ms. 34294 gezogen werden, soll noch ein zweites Bildpaar aus diesen beiden Handschriften zur Gegenüberstellung Abb. 169: Darbringung Jesu im Tempel; herangezogen werden. Es handelt sich um London, British Library, Add. Ms. 34294, Sforzadie Darbringungsszenen auf fol. 104v des Stundenbuch, fol. 104v. Sforza- und auf fol. 135v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 169, 170). Trotz der diesmal beachtlichen Unterschiede schon in der motivischen Präsentation des Themas (die auch daher rühren mag, daß die Randleistenzone für den Gesamteindruck der Spinola-Darbringung essentiell ist) scheint auch hier eine gewisse kompositionelle Verwandtschaft zu bestehen. Beide Male ist die Gruppe um Maria, Jesus und den greisen Simeon auf einem runden Podest positioniert, das den Altar trägt. Dabei wirkt die Darstellung in den Sforza-Hours um vieles raumhaltiger. Das Podest ist im Gegensatz zu jenem in der Spinola-Darbringung etwas vom unteren Bildrand abgerückt und in seiner Kreisform klar ausgebildet, da die ganze linke Hälfte und nicht nur das vordere, abgeflachte Segment wie im Spinola-Stundenbuch sichtbar wird. Zudem ist der gesamte Bildausschnitt von einer halbkreisförmigen Kolonnade umspannt, die den Vordergrund räumlich definiert und die präzise Positionierung aller Figuren ermöglicht. Die Anordnung der Kerngruppe auf dem Podest (die auch im Spinola-Stundenbuch räumlich angelegt, durch Überschneidung Simeons durch die Säule und die bildparallele Reihung der Zuseher aber weitgehend überspielt ist) erscheint ebenfalls entscheidend verräumlicht. Simeon als der vordere Akteur ist in den Raum hinein gewandt und dreht nur seinen Kopf ins Profil  ; demgegenüber ist der Prophet auf fol. 135v in Ms. Ludwig IX 18 ebenso im Dreiviertelprofil nach vorne ausgerichtet wie die Madonna, was das räumliche Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander verunklärt. Der ausschlaggebende Faktor für die forcierte Räumlichkeit in den Sforza-Hours ist jedoch die

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Abb. 170: Darbringung Jesu im Tempel; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 135v.

Anordnung der übrigen Figuren, die auf fol. 104v von Add. Ms. 34294 nicht nur räumlich versetzt, sondern auch mit viel Platz um sich herum positioniert sind. Vor allem die aus drei schräg hintereinander gestaffelten Frauen bestehende Gruppe links erfüllt die Aufgabe, den sich von beiden Bildrändern nach hinten weg wölbenden Halbkreis der Kolonnade nach vorne weiterzuführen  ; sie tun dies bezeichnenderweise bis zu jenem Punkt, an dem der Fliesenkreis rund um das Podest einsetzt und so die Kreisformation der Raumkonstruktion nach vorne hin vervollständigt. Zugleich gibt es auch hier die bereits aus anderen Miniaturen bekannte Schneise, die von der Kerzenträgerin links vorne über den leeren Fliesenboden hinweg durch die mittlere Kolonnadenöffnung hindurch und über die senkrecht in die Tiefe verlaufenden Fliesen des Mittelgrundes durch das Rundbogenportal hinaus ins Freie führt, auf einen von Gebäuden gesäumten Platz. Trotz der Geradlinigkeit dieses Tiefenvorstoßes vor allem im Mittelgrund wird der schon im Vordergrund diagonal wahrgenommene Freiraum hinter der Kolonnadenöffnung durch den Schatten des dort positionierten Mannes zugleich

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schräg nach rechts weitergeführt. Zum anderen zeigen sich die im Freien sichtbaren Häuser ebenfalls schräg, nur diesmal von rechts nach links hinten angeordnet. Somit entsteht einmal mehr der Eindruck, als werde der Raum durch gegenläufige Diagonalen erschlossen, wobei deren Aufeinandertreffen durch die Madonna verdeckt ist. Damit ist eine prinzipiell ähnliche, wenn auch motivisch gänzlich anders umgesetzte Situation wie im Epiphaniebild derselben Handschrift gegeben, indem ein zentralräumlich organisierter, nachgerade kreisrund eingegrenzter Vordergrund durch schräg verlaufende Raumvektoren mit einem fernen Hintergrund verbunden wird. Tiefe ist durch mehrfachen Richtungswechsel erschlossen, während der Existenzraum der Figuren sich im Kreisrund definiert. Gänzlich anders erfolgt die Konstruktion von Tiefe in der Spinola-Darbringung. Dort wäre eine zentralräumliche Organisation des Vordergrundes, der hier mit dem Raumangebot der Kernminiatur gleichzusetzen ist, zwar intendiert, wie die runde Mensa, der ebenfalls kreisförmige Baldachin und zumindest ein Aspekt der in letzter Konsequenz perspektivisch allerdings verunglückten Säulenstellung beweisen. Die bildparallel in zwei Reihen angeordnete Figurengruppe und die zahlreichen frontalisierenden Elemente (zu denen nicht zuletzt auch die nach vorne gerichtete Haltung Simeons zählt) wirken diesem Eindruck jedoch massiv entgegen. Dafür scheint das Umfeld der Figuren (in diesem Fall somit die Darstellungen in der Bordürenzone, allerdings auch der rechte Bereich innerhalb der Kernminiatur) in einem großen Bogen um sie herum angeordnet  : Das pas de page gibt einen Raumteil vor der eigentlichen Darbringungsszene wieder, die linke Marginalzone zeigt den nach rechts hinten verlaufenden Hauptraum des Tempels, und rechts innerhalb der Kernminiatur erfolgt eine schräg nach links hinten verlaufende Öffnung der Kernminiatur durch einen Gang. Dabei hat es uns an dieser Stelle nicht zu bekümmern, daß (ganz anders als in den Sforza-Hours) Darbringung und Epiphanie im Spinola-Stundenbuch durchaus unterschiedliche Raumauffassungen offenbaren. Hier ist entscheidend, daß beide Vergleiche ergaben, daß sowohl im Spinola- als auch im Sforza-Stundenbuch eine zentralräumliche Bildorganisation zu konstatieren ist, daß diese aber in den beiden Handschriften auf gänzlich unterschiedliche Art Gestalt annimmt bzw. umgesetzt wird. Auch die Figurenauffassung in den beiden Darbringungsszenen zeigt beachtliche Unterschiede. Die durchaus plastisch strukturierten, knittrigen Gewänder in der Spinola-Darbringung dienen zu einem wesentlichen Grad der Frontalisierung der Figuren, indem sich die wichtigsten Drapierungsmotive immer auf einer den Betrachtenden zugewandten Ebene befinden. Im Sforza-Stundenbuch hat sich die Faltenführung entspannt und geglättet  ; stattdessen ist eine Beachtung der Anatomie und eine gewisse Definition der Akteure als rundplastische Gebilde zu konstatieren. Am deutlichsten offenbart dies die Gegenüberstellung der beiden Marienfiguren, wobei jene in den Sforza-Hours sowohl durch den radial auf dem Boden umbrechenden Mantel als auch durch dessen Schwung um den Nacken an plastischem Volumen und zudem (durch das Einklemmen des Mantels entlang des Unterarms und Abzeichnung des seitlich ausgestellten Oberschenkels) an anatomischer Prägnanz gewonnen hat. Innerhalb des Œuvres des Jakobsmeisters existiert allerdings eine Version der Darbringung, die der Lösung in den Sforza-Hours motivisch um einiges näher steht als jene des Spinola-

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Stundenbuchs. Es handelt sich um die Miniatur auf fol. 106v des Rothschild-Stundenbuchs (British Library, Add. Ms. 35313), das in der Literatur um 1500 datiert und als Vorgänger des ehemals in Wien befindlichen Rothschild-Gebetbuchs (ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844) angesehen wird328, für das in dieser Arbeit jedoch eine spätere Entstehungszeit, frühestens zwischen 1505 und 1510, vorgeschlagen wurde und das bis auf wenige Miniaturen eher dem Um- als dem engsten Mitarbeiterkreis des Jakobsmeisters zuzuschreiben sein dürfte329. Die Darbringungsszene auf fol. 106v (Abb. 128) ist mit Sicherheit die Arbeit eines guten, aber nicht erstklassigen Malers. Sie zeigt motivisch, vor allem in der Gestaltung des architektonischen Ambientes, große Ähnlichkeiten mit jener auf fol. 104v von Add. Ms. 34294. Zu sehen sind fünf arkadenbekrönte Säulen, die wie die Kolonnade in den Sforza-Hours den Vordergrundbereich einzirkeln. Als Formkorrespondenz dazu erscheint (wie in den Sforza-Hours) der runde Tisch leicht nach rechts gerückt auf einem mehrfach abgetreppten, wohl ebenfalls rund gemeinten Sockel. Darauf stehen, allerdings vor dem Tisch auf der untersten Plattform, Maria und Simeon, wobei die Gottesmutter dem Propheten das Kind in einer bildparallelen Aktion überreicht. Die übrigen Figuren, vier auf jeder Seite, beziehen (ähnlich wie im SpinolaStundenbuch) Position rund um das Podest, de facto aber erscheinen sie bildparallel über die Breite der Miniatur hinweg gereiht, wobei die entlang der vertikalen Mittelachse den Blick nach draußen freigebende rechteckige Öffnung in der hinteren Tempelwand unverstellt bleibt. Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, daß das potentiell zentralräumliche Bildkonzept, das der Illuminator in Add. Ms. 35313 für seine Gestaltung der Darbringung heranzog, seinen eigenen Intentionen völlig zuwider lief. Wie andere Miniaturen des Rothschild-Stundenbuchs verrät auch das Darbringungsbild eine Auffassung, in der ein bildparalleles Vordergrundmotiv mit einem abrupten Vorstoß in die Tiefe kombiniert wird, wobei die relativ uninspirierte Weise, wie das auf fol. 106v von Add. Ms. 35313 geschieht, auf einen entweder nicht allzu begabten oder noch gänzlich ungeübten Ausführenden schließen läßt. Alles wird für ihn zur Flächenprojektion, beginnend bei den stets bildparallelen und nie Rundungen umschreibenden Streifen des Untergewandes Simeons bis hin zu der exakt in die mittlere Arkade eingeschriebene Tür in der Tempelrückwand, die völlig unvermittelt in eine graue, undefinierte Fläche gesetzt ist und auf einen Platz führt, der durch einen frontalen Gebäudekomplex nach hinten zu abgeschlossen und damit ein weiteres verflächigendes Element eingebracht wird. Daß sich der Illuminator in den Sforza-Hours nicht durch die mittelmäßige Miniatur des Rothschild-Stundenbuchs inspirieren lassen mußte, sondern daß ein entsprechendes Modell im Jakobsmeister-Kreis zur Verfügung stand, vielleicht schon seit langer Zeit, scheint die Darstellung gleichen Themas auf fol. 77v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. VII) zu belegen, jenes Stundenbuchs, das unser Künstler zusammen mit (wenigstens) einem Mitarbeiter in den frühen neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts ausführte. Im Gegensatz zur Situation auf fol. 106v von Add. Ms. 35313 scheint auf fol. 77v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 das verwendete Raumkonzept von den Intentionen des Illumina328 Zusammengefaßt in London – Los Angeles 2003, S. 369 ff. 329 Vgl. hier Kap. IV 2 b.

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tors getragen – und dies, obwohl es sich um eines der künstlerisch schwächsten unter den dem Jakobsmeister zugeschriebenen Bildern in dieser Handschrift handelt. Das Geschehen findet hier in einem Rundbau bzw. einer Apsis statt, wobei die gewölbte Tempelwand durch Halbsäulen und dazwischen eingeschriebene Rundbogenfenster gegliedert ist. Die Stützen tragen einen profilierten Wulst als Gebälk, von dem aus die Rippen des Gewölbes ansetzen. Nahezu zentral ist die kreisförmige, von einem runden Unterbau getragene Mensa plaziert. Sie steht auf einem zweifach abgetreppten, in seiner Rundung nicht einmal von jenem in der Sforza-Darbringung überbotenen Sockel und wird von einem an einer Kette herabhängenden Baldachin überfangen. Der vielfarbige Fliesenboden umschreibt die Sockelform in einer polygonalen Struktur  ; und selbst das Tischtuch, das an der vordersten Stelle der Mensawölbung einige Röhrenfalten ausbildet, betont eben dadurch die Kreisform des Altars – man vergleiche im Gegensatz dazu die verflächigende Wirkung des gerade von der Mensa herabhängenden Linnens auf fol. 135v des Spinola-Stundenbuches. Die Aktion der Protagonisten Maria und Simeon erfolgt zwar bildparallel, indem beide hinter dem Tisch stehen  ; dadurch wird jedoch ihre Handlung räumlich korrekt aufgelöst und ihre Haltung als raumorientiert (nämlich entlang der Tischwölbung nach innen gerichtet) ausgewiesen. Dementsprechend wirken auch die hinter ihnen befindlichen Assistenzfiguren räumlich und nicht bildparallel angeordnet, der Wölbung des Tisches wie des Gebäudes folgend. Was dem Bildkonzept gegenüber jenem in der Sforza-Darbringung fehlt (und es daher altertümlicher bzw. unreifer erscheinen läßt), ist Freiraum  ; was es gegenüber jenem im Rothschild-Stundenbuch auszeichnet, ist das Verständnis für das Allumschließende des Raumes, ausgedrückt in der durch Figuren und Gegenstände suggerierten Dreidimensionalität im Gegensatz zur (bei aller durch den Ausblick angebotenen Raumtiefe) forcierten Frontalität in Add. Ms. 35313. Der Vergleich zeigt aber auch, daß die Darstellung im Rothschild- jener im Sforza-Stundenbuch motivisch näher steht als allen anderen im Œuvre des Jakobsmeisters (inklusive jener auf fol. 154v von Cod. Vat. Lat. 3770, die in dieser Arbeit nicht besprochen wurde). Zwar wird das Christkind auf fol. 106v von Add. 35313 im Gegensatz zu jenem auf fol. 104v von Add. 34294 in einer nach rechts orientierten Pose und damit auf die in allen übrigen dem Jakobsmeister zugeschriebenen Darbringungen üblichen Weise präsentiert. Doch die sehr ähnliche Architekturkonzeption, die verwandte Haltung des leicht von hinten gezeigten Simeon oder der vergleichbare Habitus der hinter ihm stehenden Prophetin Hanna künden von einer engeren Beziehung der beiden Miniaturen, deren Natur noch einiger Überlegungen bedarf. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Miniatur in Add. 35313, dem Rothschild-Stundenbuch, aufschlußreich, die Darstellung der Geburt Christi auf fol. 89v (Abb. 124). Der enge Konnex zwischen ihr und den Miniaturen gleichen Themas auf fol. 82v von Add. 34294 (Abb. 168) und auf fol. 43v des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 151) offenbart sich auf den ersten Blick. Auf fol. 89v von Add. Ms. 35313 wird ein frontaleinsichtiges und satteldachgedecktes Stallgebäude gezeigt, dessen beide vordere Stützen (hier eigentlich Mauern) gerade von den seitlichen Bildrändern abgeschnitten werden. Die Präsentation dieses Stalles, ja die Komposition insgesamt, entpuppt sich als glattes Mittelding zwischen den Lösungen im Grimani-Brevier und in den Sforza-Hours. So deckt sich mit der Darstellung im Grimani-Brevier

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das zur Gänze gezeigte Satteldach, in dem einige Engel auf und ab schweben, der oberhalb des Giebels erscheinende Gottvater und die auf einem Hügel in der linken oberen Bildecke situierte Hirtenverkündigung. Auch die Gruppierung der Engel in einem räumlichen Halbkreis rechts um das auf dem Boden liegende Christkind hat sein Pendant im Brevier. Demgegenüber entspricht der Komposition im Sforza-Stundenbuch, daß die Stallwände vorne angeschnitten sind (was freilich eine unlösbare Diskrepanz zur Vollansichtigkeit des Daches ergibt, das noch dazu in Relation zu den Protagonisten darunter weiter hinten befindlich erscheint), daß nur die linke Wand zu sehen und der Stall nach hinten zu offen ist (wo durch die zentral positionierte Tür einige Hirten im Anmarsch durch das nächtliche Bethlehem zu erblicken sind) und schließlich die Konzeption der Madonnenfigur. Deren Ähnlichkeit reicht bis in Details der Gewanddrapierung, nur die gefalteten (und nicht gekreuzten) Hände gleichen der Version im Brevier. Im Gegensatz zur Lösung dort und ganz konform mit jener in den Sforza-Hours ist auch in Add. Ms. 35313 klar zu erkennen, wo der Mantel der Gottesmutter herabfällt und wo er bereits auf dem Boden aufliegt, wobei er wie in Add. Ms. 34294 radial um die Madonna herum angeordnet ist. Diese überaus enge Verwandtschaft der drei Miniaturen legt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Rothschild-Stundenbuch und den beiden anderen Handschriften nahe. Obwohl die Miniatur in Add. 35313 Elemente aus dem Brevier mit solchen aus den Sforza-Hours verbindet, ist höchst unwahrscheinlich, daß sie zwischen den beiden letztgenannten Werken entstand. Dies nicht nur deshalb, weil der auf fol. 89v in Add. Ms. 35313 tätige Illuminator größere Probleme bei der Umsetzung seiner Komposition als die beiden anderen hatte – obwohl es sich eindeutig um jenen Maler handelt, der im Rothschild-Stundenbuch die qualitätvollsten und dem Stil des Jakobsmeisters am nächsten stehenden Miniaturen ausgeführt hat und dem man etwa auch die Verkündigung (Abb. 120), die Heimsuchung (Abb. 121), die Bilder zur Totenvigil (Abb. 125 f.) oder die Weltgerichtsdarstellung (Abb. 127) in dieser Handschrift zuschreiben möchte, wohl kaum aber die Darbringung (Abb. 128) oder die Epiphanie (Abb. 122). Ausschlaggebend ist, daß dieser Künstler auch hier ein Konzept übernommen zu haben scheint, das mit seinen Intentionen nicht konform ging – und dies ist so offensichtlich der Fall, daß sich einmal mehr (wie bei jenen Miniaturen, die mit minimalsten Abweichungen auch im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 anzutreffen oder eindeutig nach Vorlagen des Meisters der Maria von Burgund gefertigt sind) die Frage stellt, ob man es nicht auch auf fol. 89v von Add. Ms. 35313 mit einer Replik einer konkreten Vorlage zu tun hat. Dies sollte endgültig widerlegen, daß Add. 35313 eine frühe Arbeit des Jakobsmeisters und seiner Werkstatt ist330. In keiner anderen mir bekannten Handschrift unseres Künstlers gibt es so viele Bilder, die in mehr oder minder exakter Entsprechung in anderen Handschriften wiederkehren oder gar eindeutige Repliken älterer Vorlagen (etwa vom Meister der Maria von Burgund) sind. Das kann kein Zufall sein. Es leuchtet nicht ein, wehalb gerade dieses Werk, das doch nicht einmal mit gelungenen Versionen der jeweiligen Kompositionen punkten kann, immer wieder kopiert worden sein sollte (oder immer wieder jene Zeichnungen, die 330 Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 369 ff.

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darin als Vorlagen dienten), während es sonst ein ähnliches Kopierverhalten zumindest in der frühen und mittleren Werkgruppe des Jakobsmeisters nicht gibt. Und es ist auch nicht einzusehen, weshalb der zweifellos überaus originelle Illuminator der Sforza Hours ausgerechnet seine Madonnenfigur nahezu exakt (nämlich bis in die einzelnen Faltendetails hinein) nach einer zwanzig Jahre alten Vorlage geformt haben sollte, obwohl sich im Rest seiner Miniaturen keinerlei Hinweise auf eine solche Vorgangsweise finden lassen. M. E. erlaubt all dies nur einen Schluß, nämlich daß Add. 35313 eine Werkstattarbeit ist (was ja schon postuliert wurde) und noch dazu offensichtlich eine späte. Wenn man betrachtet, wie sehr der Gewandfall der Madonna auf fol. 82v der Sforza-Hours jenem der Engel ebenda entspricht und wie wenig dies für jenen auf fol. 89v von Add. 35313 zutrifft, so kann man nicht umhin, die Figur in Add. 35313 als eine Kopie derselben in Add. 34294 anzusehen. Der auf fol. 89v des Rothschild-Stundenbuchs tätige Illuminator hatte jedenfalls seine liebe Mühe mit seinen Vorlagen. Grundsätzlich erfolgt die Anordnung der Hauptgruppe nach zentralräumlichen Prinzipien, wobei der Halbkreis, den die Engel wie im Grimani-Brevier (und nahezu in derselben personellen Besetzung) um das Christkind bilden, durch Auseinanderrücken der Figuren (die sich folglich nicht mehr so schroff überschneiden wie im Marciana Ms. lat. I. 99) an Tiefe gewinnt, die ihre Entsprechung in der raumgreifenden Ausbreitung des Madonnengewandes auf der gegenüberliegenden Seite hat. In der linken unteren Ecke vollendet sich dieser Kreis von selbst, in jener Aureole, die das Christkind umgibt. In dieser Ecke befindet sich nun auch das Ährenbündel, das in den beiden anderen Bildern jeweils eine andere, doch beide Male wichtige kompositionelle Funktion erfüllt. So auch hier. Nur daß diese Funktion hier darin besteht, der zentralräumlichen Figurenauffassung wenigstens ein flächenkonstituierendes Element schon im Vordergrund entgegenzuhalten. Denn das Ährenbündel liegt völlig bildparallel entlang des unteren Miniaturrahmens, und in seiner Verlängerung reicht der farblich von der Aureole abgesetzte Bodenstreifen bis zu dem im rechten Vordergrund knienden Engel, der tatsächlich trotz grundsätzlich räumlichem Kniemotiv als reine Profilfigur erscheint, was durch den zweiten, gleich hinter ihm knienden Engel noch unterstrichen wird, der bereits im Dreiviertelprofil dem Betrachter zugewandt ist, obwohl das Christkind, das er eigentlich betrachten sollte, noch ein Stück tiefer in den Raum gerückt ist als er. Wirklich deutlich wird die seiner zentralen Komposition zuwiderlaufende Gesinnung des Illuminators allerdings erst hinter (und über) dem eigentlichen Bildgeschehen. Im oberen Bildbereich war der Erfindungsgabe unseres Malers anscheinend keine Grenze gesetzt, und dieser Tatsache sind wohl die beiden echauffiert gestikulierenden, vollkommen frontal wiedergegebenen Engel in den Dachsparren zu verdanken, die wesentlich zu dem Eindruck beitragen, daß sich der vordere Dachgiebel um einiges weiter hinten befindet, als dies die in die seitlichen Rahmenleisten mündenden Konsolen nahelegen. Die dadurch bedingte verflächigende Wirkung auf den grundsätzlich räumlich konzipierten Vordergrund wird allerdings im Mittelgrund wettgemacht, der hinter einer Schwelle (die auch durch ab dort dickere Mauern ausgewiesen wird) ansetzt und mit unglaublicher Vehemenz in die Tiefe fluchtet. Für diesen Eindruck ist wesentlich die abrupte (und abrupt einsetzende) Verkürzung der linken Stall-

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wand verantwortlich, aber ebenso die extrem verkürzten Leiber von Ochs und Esel, die rechts hinter der Engelsgruppe stehen und mit unterschiedlichem Grad an Interesse dem Geschehen zugewandt sind. Der Raumsprung, der trotz dieser geradlinigen seitlichen Vektoren in diesem Mittelgrund stattfindet, zeigt sich am deutlichsten an der Tür, die sich am hinteren Ende des Raumes in einiger Entfernung befinden muß, jedoch durch das Fehlen von auf sie zu fluchtenden Linien völlig flächenhaft in das Mauerwerk geschnitten scheint. Hier zeigt sich eine bereits in mehreren Spielarten kennengelernte Raumauffassung, die einen bildparal­ lelen, fontalisierten Vordergrund mit einem enormen Tiefensog verbindet. Denn außerhalb der Tür setzen jene verkürzten Schrägen ein, die innerhalb derselben dringend benötigt worden wären  : die hintereinander gestaffelten Hirten einerseits, die radikal verkürzte, an der rechten Türseite ansetzende Häuserfront andererseits. Der über das ausgebreitete Madonnenkleid schon vom unteren Bildrand weg initiierte Raumvektor wird hingegen immer wieder durch horizontale, gleichsam flächenkonstituierende Elemente (wie das waagrecht gelagerte Christkind, die Schwelle, die frontal ausgebreiteten Flügel des ganz hinten knienden Engels und nicht zuletzt die Türschwelle selbst) unterbrochen. Ein wenig erweckt die Miniatur den Eindruck, als wäre der kopierten zentralen Madonna-Kind- und Engel-Gruppe ein aus einem anderen Kontext entlehnter Stall mit Ambiente hintangefügt. In den von den Lösungen im Grimani-Brevier und in den Sforza-Hours abweichenden Elementen manifestiert sich ganz offensichtlich das eigentliche Raumempfinden des Illuminators, das er – nicht anders als in den Miniaturen des Marienzyklus – zugunsten einer eindrucksvollen (aber eben nicht von ihm stammenden Bilderfindung) im wesentlichen verleugnete. Zum Vergleich soll eine Miniatur gleichen Themas aus jener Stilphase des Jakobsmeisters herangezogen werden, in der sich die soeben beschriebene Raumauffassung am deutlichsten offenbart. Es handelt sich um die zehnzeilige Textminiatur auf fol. 171r von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 171) mit der Darstellung der Geburt Christi. Maria kniet links im Vordergrund und blickt auf das rechts in einer bildparallel aufgestellten, schachtelartigen Krippe liegende Christkind. Hinter diesen den gesamten Vordergrund einnehmenden Figuren bricht die Raumflucht des Stalles auf, dessen beide, in unterschiedlich steilen Winkeln in die Tiefe fluchtende Seitenwände in der Ebene unmittelbar hinter der Gottesmutter und dem Knaben ansetzen. Vom Dach sind links nur Ansätze und rechts ein Teil eines strohgedeckten Pultdaches zu sehen  ; das Gros davon ist jedoch vom oberen Miniaturrahmen überschnitten. Die linke Stallwand ist von einer Tür unterbrochen, durch die in einem seitlichen Nebenraum Ochs und Esel sichtbar werden. Rechts gegenüber befindet sich ein rundbogiges Doppelfenster. Rechts ist in der hinteren Stallwand eine Öffnung eingeschnitten, deren unterer Teil durch ein Gatter verschlossen ist. Dahinter erscheinen zwei Männer, vermutlich Hirten bzw. Josef und ein Hirte, die soeben im Begriff sind, das Tor zu öffnen. Hinter ihnen markiert ein einzelner Baum (der genau in einer Linie mit der Achse liegt, in der die beiden Menschen hintereinander gestaffelt sind, und so den von ihnen initiierten Tiefenzug fortsetzt) den Ausblick in eine ferne Landschaft. Verglichen mit den komplexen Raumgefügen in den Geburtsdarstellungen des GrimaniBreviers (Abb. 151) und der Sforza-Hours (Abb. 168) erweist sich die Bildorganisation auf fol.

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Abb. 171: Geburt Christi; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3769, Stundenbuch, fol. 171r.

171r von Cod. Vat. Lat. 3769 als einfach, was zum Teil mit der geringen Größe der Miniatur zu tun haben mag. Die enorm konsequente Frontalisierung der Marienfigur, die letztlich zu einem wesentlichen Grad den Vordergrund bestimmt, kann jedoch nicht anders denn als ausdrückliches künstlerisches Prinzip verstanden werden. Zwar umfängt der mächtige Mantel die Gottesmutter um die Nackenpartie herum wie eine Schale, und durch den sich abzeichnenden rechten Oberschenkel Mariens ist auch ihr Kniemotiv gut nachvollziehbar  ; jedoch wirkt der Fall des Stoffes insgesamt verflächigend. Dies beginnt mit dem gerade durchgezogenen Rückenkontur und den von dort senkrecht abfallenden Falten, die keinerlei Wölbungen oder einen darunterliegenden Figurenkern erkennen lassen. Zudem erscheinen der vordere und der hintere vom Nacken herabfallende Mantelsaum auf einer Ebene und nicht etwa räumlich versetzt  ; dazu breitet sich der jeweilige Stoffüberschuß zu beiden Seiten des Körpers in bildparal­ lelen, flächendekorativen Formationen über zwei Drittel des unteren Bildrandes aus. Nur links scheint der auf dem Boden aufliegende Überschuß auch räumlich nach hinten drapiert. Doch wird dies einerseits durch die gerade abfallende Rückenlinie und andererseits durch die

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teilweise Verunklärung des Übergangs herabfallender und aufliegender Stoffteile in ein flächenkonstituierendes Motiv umgedeutet. Die Drapierung des Mantels erinnert (bei formal durchaus anderer Gestaltung) an jene auf fol. 43v des Grimani-Breviers, wo ebenfalls mittels faltenreichen Gewandfalls eine Verflächigung der Figur erzielt wurde, und unterscheidet sich kraß von jener auf fol. 89v von Add. Ms. 35313 (Abb. 124), die eindeutig dem raumgreifenden Drapierungsmodus auf fol. 82v der Sforza-Hours nachempfunden wurde. Mit der Geburtsdarstellung des Rothschild- ist jene des vatikanischen Stundenbuchs jedoch in anderer Hinsicht eng verbunden, nämlich bezüglich der Raumorganisation. Denn auch auf fol. 171r von Cod. Vat. Lat. 3769 beginnt vorne, unmittelbar an der Krippe, jener Raumvektor, der entlang der rechten Stallmauer in die Tiefe fluchtet, um durch das Gatter und die dort hantierenden Figuren kurz gebremst zu werden und sich dann in unbestimmter Ferne zu verlieren. Zwar achtet der Künstler darauf, daß die Krippe selbst als bildparalleles Motiv erhalten bleibt, indem er geschickt ihre rechte Breitseite (die wohl im selben Winkel wie die rechte Wand verkürzt zu denken wäre und somit den dort etablierten Tiefenzug am unteren Bildrand verankern würde) mit dem rechten Miniaturrand überschneidet. Dennoch ist rechts der Blick gleichsam von ganz vorne bis nach ganz hinten frei, ähnlich wie dies entlang der vertikalen Mittelachse der Geburtsminiatur des Rothschild-Stundenbuchs der Fall ist. Freilich ergibt sich dort ein ganz anderer Rhythmus von fluchtenden und bremsenden Elementen, abgesehen davon, daß der gesamte Vordergrund durch die Kreisformation rund um das Hauptmotiv ungleich mehr verräumlicht ist als auf fol. 171r in Cod. Vat. Lat. 3769 – was freilich nicht auf das Konto des ausführenden Illuminators, sondern auf die verwendete Vorlage zurückgeht und wohl insgesamt für die einigermaßen disharmonische Wirkung dieser Miniatur verantwortlich ist, während jene im Vaticanus in sich vollkommen stimmig erscheint. Das Vollbild mit der Geburt Christi auf fol. 145v von Cod. Vat. Lat. 3770 (Abb. 21) zeigt sich bezüglich des Motivs der knienden Gottesmutter der Lösung im Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 151) noch ähnlicher als die soeben besprochene Geburtsdarstellung auf fol. 171r von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 171), so daß der Eindruck entsteht, dieselbe Musterbuchzeichnung hätte in den beiden (ansonsten höchst unterschiedlichen) ganzseitigen Miniaturen als Vorlage gedient. Und obwohl die Künstler zu unterschiedlichen Drapierungsmodi greifen, ist beidemale eine vergleichbar flächenhafte Gewandführung festzustellen. Freilich bestehen in anderer Beziehung enorme Unterschiede zwischen den beiden Madonnenfiguren. So ist jene im Grimani-Brevier weitaus monumentaler konzipiert, das heißt mit einer breiteren, in ihrer Massivität noch durch das bauschige Gewand unterstrichenen Statur ausgestattet, während jene im vatikanischen Stundenbuch einen im Verhältnis zum Kopf viel zarteren Körper aufweist. Dafür ist die Plastizität der Detailformen um einiges größer (man beachte die Artikulation der Wangen, der Augenpartien oder gar der Haare oder das mit größerer HellDunkel-Spanne als im Brevier modellierte, dabei aber auch mit weit deutlicheren Umrißlinien versehene Gewand der vatikanischen Jungfrau). Wirklich extrem ist der Unterschied im Bildaufbau. Und dies, obwohl die Darstellung auf fol. 145v von Cod. Vat. Lat 3770 diejenige unter den großfigurigen Miniaturen des vatikani-

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schen Stundenbuchs ist, die am deutlichsten noch etwas von jenem Umbruch spüren läßt, in dem der Künstler sich bei der Ausstattung der Handschrift offensichtlich befand  : Denn als einziges großfiguriges Bild läßt sie (noch) Anklänge an zentralräumliche Prinzipien erkennen. Zwar ist die – quasi als Kniestück gezeigte – Protagonistengruppe bildparallel im Vordergrund organisiert, wobei die an sich raumsuggerierende Schrägstellung des heiligen Josef auf Grund der kompositionellen Zusammengehörigkeit mit Maria (die beiden neigen sich auf der Bildfläche in gleichem Winkel zueinander) und wohl auch auf Grund seiner großflächigen Lokalfarbigkeit ebensowenig zur Wirkung kommt wie die radikale Verkürzung des entlang der vertikalen Mittelachse liegenden Ochsen, der – ebenso wie der links hinter dem Rückenkontur Mariens und dem linken Bildrand eingeschobene Esel – primär als Flächenfüllsel dient. Diese vollkommene Frontalisierung des Vordergrundes, die im oberen Bildteil durch die drei kleinen, unter dem löchrigen Satteldach schwebenden Engel vervollständigt wird, wird nun aber nicht durch eine radikale Tiefeflucht konterkariert. Vielmehr bietet sich die nicht bildparallel, sondern schräg zur Bildfläche organisierte Stallarchitektur zwar als ein tiefes, aber abgegrenztes Raumkompartiment dar, dessen konstruktive Logik (vor allem die auf zwei Balken angebrachte Stützvorrichtung der rechten Dachschräge) einigermaßen mangelhaft ist. Es wird über einen beträchtlichen Raumsprung erlebt, wie der hinten eher über die Mauer als durch ein Fenster spähende Hirte erkennen läßt  ; dennoch zirkelt es in gewisser Weise noch einen Existenzraum für die Figuren ein und unterscheidet sich diesbezüglich von jenen Bildern, in denen frontalisierter Vordergrund und Tiefenflucht einander unvermittelt gegenüberstehen (wie dies etwa in der Verkündigungsminiatur auf fol. 133v desselben Bandes, Abb. 19, der Fall ist). Der Unterschied zur Grimani-Geburt, in der ein kreisförmig organisierter (wenn auch flächenhaft umgedeuteter) Vordergrund mit einem verflächigten Hintergrund kombiniert ist, oder auch zur Darstellung selben Inhalts auf fol. 89v des Rothschild-Stundenbuchs, wo gar dem kreisförmig organisierten (und nur mangelhaft frontalisierten) Vordergrund eine radikale (wenn auch immer wieder gestörte) Tiefeflucht beigegeben ist, könnte nicht größer sein. All dies zeigt m. E. einen großen zeitlichen Unterschied zwischen der vatikanischen Miniatur auf der einen Seite und der venezianischen sowie den beiden Londoner Miniaturen im Rothschild- und im Sforza-Stundenbuch auf der anderen Seite an, oder aber die Arbeit verschiedener Künstler. Wahrscheinlich trifft sogar beides zu. Offenbar ist nur der Vaticanus ein frühes Werk  ; die anderen drei Handschriften scheinen nicht nur späte Arbeiten, sondern auch von verschiedenen Individuen ausgeführt zu sein. Dabei will es aber nicht gelingen, einen jener Illuminatoren, die in Marciana Ms. lat. I. 99, in Add. 34294 oder in Add. 35313 tätig waren, überzeugend mit dem (oder auch nur einem der) Jakobsmeister zu identifizieren. Dies wirft die Frage auf, woher diese Maler gekommen sein könnten, von denen zuvor im Werk unseres Künstlers keine Spur zu finden war. Eine Möglichkeit wäre, daß es sich um noch relativ junge Kräfte handelte, die vielleicht erst langsam in einen eigenen Individualstil hineingewachsen waren. Der in Add. 35313 tätige Illuminator scheint dabei am ehesten ganz dem Idiom des Meisters verpflichtet gewesen zu sein und auch nicht wirklich zu einer eigenen Bildersprache gefunden zu haben. Die beiden anderen aber

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wirken erstaunlich kraftvoll und selbstsicher, Maler, die den Stil ihres mutmaßlichen Lehrers nicht nur weitertrugen und weiterentwickelten, sondern auch verwandelten. Ihnen hat unsere ganze Aufmerksamkeit zu gelten.

Die Stundenbücher in Lissabon Im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon wird ein kleinformatiges Stundenbuch unter der Signatur Ms. 13 verwahrt, das in der Literatur generell spät (also Ende der dreißiger oder gar Anfang der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts) datiert und Simon Bening zugeschrieben wurde331. Thomas Kren hat jüngst eine frühere Entstehungszeit um 1510/20 und die Zuweisung an den Jakobsmeister vorgeschlagen332. Eine Gegenüberstellung mit dem wohl 1526 entstandenen Holford-Stundenbuch (Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210)333 macht klar, daß diese beiden Handschriften der gleichen Periode angehören (also der hier sogenannten „späten Gruppe“), daß aber das Stundenbuch MAA Ms. 13 das frühere der beiden sein muß. In beiden Handschriften gibt es einen illuminierten Kalender, der dem Jakobsmeister zugeschrieben wird, und in beiden Handschriften ist die Beteiligung eines zweiten, in einem anderen Kontext ausgebildeten Malers, der mit Simon Bening identifiziert werden kann, nachzuweisen334. Dabei legen auch Stil und Umfang des jeweiligen Anteils Benings an den beiden Lissabonner Werken eine frühere Datierung von MAA Ms. 13 nahe. Stilistisch entsprechen seine (vergleichsweise wenigen) Miniaturen335 in dieser Handschrift, so die des Erzengels Michael im Kampf gegen den Teufel auf fol. 36v (Abb. 172), jenen im Wiener Hortulus Animae (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 2706)336, der zwischen 1510 und 1524 einzugrenzen ist und wohl um oder kurz vor 1520 entstanden sein dürfte337. Eben diese Datierung scheint auch für den Beitrag der Jakobsmeister-Gruppe in 331 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� Lissabon 2000, S. 426 f. ���������������������������������������������������������������������������� (Nr.118), mit Literaturangaben  ; Scailliérez 1992, S. 18, Abb. 16  ; Steinmetz 1995, S. 253 f.; Bonn 1999, S. 153 ff. (Nr. 56). 332 London – Los Angeles 2003, S. 417 und Anm. 13. 333 London – Los Angeles 2003, S. 424 f. (Nr. 127), S. 529 f. (Literaturangaben). 334 Für LA 210 vgl. ebenda. 335 Dazu zählen unter anderen die Vollbilder auf fol. 22v (Epiphanie), fol. 24v (Marienkrönung), fol. 32v (Heimsuchung), 36v (Michael, Abb. 172), fol. 40v (Geißelung Sebastians) oder fol. 79v (Athanasius), sowie zahlreiche szenische Bordüren auf Textseiten  ; die Handschrift wurde 1755 von La Ferté neu gebunden, was zu einer Neu- und Fehlplazierung etlicher Miniaturen geführt haben muß. Ich danke Joachim M. Plotzek dafür, mir seine Photos von dieser Handschrift zur Verfügung gestellt zu haben, durch die mir die Bedeutung des Werkes (und die Notwendigkeit, das Original zu konsultieren) überhaupt erst bewußt geworden ist. 336 Wien 1987, S. 119 ff. (Nr. 78), mit Literaturangaben. 337 Die Epiphanie auf fol. 22v gleicht jener in Cod. Vind. 2706 bis in Details  ; andere Miniaturen, wie der den Teufel vertreibende Michael auf fol. 36v, zeigen den Künstler ein wenig unbehol-

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MAA Ms. 13 plausibel, zumal er sich nach den Miniaturen im Grimani-Brevier und vor jenen im Holford-Stundenbuch einordnen läßt – dabei jedoch mit den somit annähernd gleichzeitig entstandenen flämischen Miniaturen der Sforza-Hours nicht das Geringste zu tun hat. Der Beitrag der Jakobsmeister-Werkstatt in MAA Ms. 13 ist weit größer als jener in LA 210, wo neben dem Kalender (fol. 3r bis 14v, Abb. 173 f.) nur noch zwei Textminiaturen auf den beiden Berechnungstafeln für das Osterfest (fol. 2r und 2v, Abb. 176), zwei (wenn auch höchst unterschiedliche) Darstellungen des mutmaßlichen Auftraggebers (ein halbfiguriges Porträt) auf fol. iv sowie die bereits eingangs besprochene Miniatur auf fol. 15v (Abb. 4) sowie wahrscheinlich die ersterem gegenüberliegende Wappenseite338 (fol. 1r) aus Abb. 172: Erzengel Michael im Kampf gegen diesem Atelier stammen. In MAA Ms. 13 Luzifer; Lissabon, Museu Nacional de Arte ist demgegenüber neben dem nicht mehr Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, fol. 36v. ganz vollständig erhaltenen illuminierten Kalendarium339 eine große Anzahl ganzseitiger Miniaturen und szenischer Bordüren dem Jakobsmeister-Kreis zuzuschreiben – der hier indes ein weiter geworden ist und eine größere Zahl an individuellen Werkstattmitgliedern umfaßt340. Doch ist wohl weniger die Vielzahl und Vielfalt der beteiligten Arbeitsfen  ; dies legt eine (geringfügig) frühere Datierung von MAA Ms. 13 gegenüber dem Hortulus nahe. 338 Zu den bislang nicht sicher identifizierten Wappen vgl. London – Los Angeles 2003, S. 425, hier Einleitung, Anm. Ich danke James Marrow für das mir großzügig zur Verfügung gestellte Abbildungsmaterial zu LA 210. 339 Es fehlen die Bilder zu den Monaten Juli (7v) und Dezember (12v). 340 Je nachdem, wie weit man den Begriff der Werkstatt des Jakobsmeisters hier verstehen will, läßt sich dieser Produktionsgemeinschaft eine mehr oder weniger große Gruppe von Vollbildern und Miniaturen zuordnen. Zu den auch stilistisch in eine (nicht immer gleich enge) Verbindung mit dem Jakobsmeister zu bringenden Arbeiten gehören die Kalenderbilder sowie die ganzseitigen Miniaturen auf fol. 13v, 19v, 26v, 38v, 43v, 46v, 48v, 51v, 93v, 96v, 104v, 106v, 108v, 112v (letztgenannte Komposition kehrt identisch in Cod. Vind. 2706 wieder, dort wahrscheinlich von Simon Bening gemalt). Miniaturen wie jene auf fol. 90v (Matthäus), aber auch die oben genannte Meßdarstellung auf fol. 46v zeigen bereits einen so hohen Grad an Individualität gegenüber dem

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Abb. 173: Kalenderseite Jänner; Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, HolfordStundenbuch, fol. 3r.

Abb. 174: Kalenderseite Jänner; Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, HolfordStundenbuch, fol. 3v.

kräfte bemerkenswert als vielmehr die Tatsache, daß sich auch zwei Miniaturen in diesem Stundenbuch befinden, die tatsächlich Arbeiten des Jakobsmeisters sein dürften (Abb. 177, 178). Sie befinden sich an unspektakulärer Stelle, in den Heiligensuffragien im hinteren Teil des Buches, und sind Zeugnis für den Rückzug eines Meisters, der nicht mehr länger willens oder imstande war, sein Stilidiom seinen Mitarbeitern mit bis zu deren Selbstverleugnung aufzuzwingen. Die Kalenderbilder des Stundenbuchs MAA Ms. 13 schließen eng an jene im Breviarium Grimani an, ohne jedoch jene Art von Repliken zu sein, wie sie die zahlreichen Kopien nach den Bilderfindungen im Kalendarium des Eleonorenbreviers (New York, Pierpont Morgan Library Ms. M. 52) verkörpern341. Vielmehr handelt es sich um geistreiche Variationen, wie sie stets charakteristisch für den Jakobsmeister und sein engstes Umfeld waren. Werkstattstil unseres Künstlers, daß ihre Miteinbeziehung (wie im Fall von 46v) bzw. Ausklammerung (wie im Fall von 90v) beinahe an Willkür grenzt. Auch zahlreiche szenische Bordüren gehören in diese Gruppe. 341 Vgl. hier Kap. III 3.

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Abb. 175: Kalenderseite Dezember; Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, Holford-Stundenbuch, fol. 14r.

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Abb. 176: Berechnungstafel für das Osterfest; Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, Holford-Stundenbuch, fol. 2r.

Die Miniatur zum Monat April mag hier als Beispiel dienen. Wie auf fol. 4v des Marciana Ms. lat. I. 99 (Abb. 179) ist auch auf fol. 4v von MAA Ms. 13 (Abb. 180) eine höfische Gesellschaft in einem blühenden Hain zu sehen. Die Darstellung in Lissabon ist zwar um einiges kleiner als die in Venedig, zumal sie sich in einem kleineren Codex und einem breiteren (ebenfalls Maßwerk imitierenden) Rahmen befindet und unter ihr noch ein vierzeiliges Gedicht auf den Monat April Platz finden muß  ; zudem sind die Figuren in Relation zur Bildfläche kleiner. Darunter leidet der erzählerische Reichtum nur wenig, ja, insgesamt bietet die Miniatur mehr Möglichkeiten, sich in diversen Sub-Episoden zu verlieren, als das im Grimani-Brevier der Fall ist. Auf fol. 4v des Marciana Ms. lat. I. ������������������������������������������������������ 99 ist der gesamte Bildvordergrund von den großformatigen Akteuren eingenommen. In der linken unteren Ecke haben sich zwei Damen niedergelassen und versuchen auf unterschiedliche Weise, einen weißen Schoßhund vor einem braunen, nur wenig größeren, aber viel aggressiveren Kläffer in Schutz zu nehmen. Das ohnehin schon turbulente Geschehen, dem nur die vordere der beiden Schönen mit exemplarischer Ruhe begegnet, verspricht in Kürze noch an Chaos zu gewinnen, da sich ein Hofnarr von links hinten mit einer einigermaßen lieblos gehaltenen Kröte und unheilschwangerer Mimik

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Abb. 177: Heiliger Jakobus; Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, fol. 104v.

Abb. 178: Heiliger Vinzenz; Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, fol. 106v.

und Gestik nähert. Der Weiher in der rechten unteren Bildecke mit einigen Seerosenblättern, einer gelben Sumpflilie und einigen kleinen Fröschen darin ist demgegenüber ein Bild des Friedens. Dahinter, aber durch seine Größe als noch ganz nah befindlich ausgewiesen, steht ein älterer Mann mit einer jungen Frau am Arm. Er wirft seiner Begleiterin einen vielsagenden Blick zu, diese jedoch schenkt ihre ganze Aufmerksamkeit dem nachgerade hörbar bellenden Köter (vielleicht ihr eigener Schoßhund) bzw. dem ihn mit Blumen ablenken wollenden Fräulein. Die Schleppe ihres blauen Kleides wird von einer älteren Zofe gehalten, die sich einem jungen Gecken an ihrer Seite kokett zuwendet. Dieser erwidert zwar den Blick, tritt aber dabei der Dame vor ihm mit seinen spitzen Schuhen auf den Kleidersaum – mit Absicht, wie seine Unschuldsmiene verrät. Zwei weitere Hofdamen vollenden den Zug, wobei die eine ganz verdeckt und nur durch ihr Dekolletée und ihre Kopfbedeckung identifizierbar ist, während die zweite, ganz an den rechten Bildrand gerückt, einen grünen Papagei mit orangefarbenen Schwanzfedern trägt. Während in der gesamten rechten Bildhälfte nur noch Platz für über und zwischen den Häuptern der Figuren emporragende Bäume bleibt, zwischen denen hindurch schwach eine Hügelkuppe und die Silhouetten mehrerer relativ großer, also naher, Türme sichtbar werden, öffnet sich links beiderseits vom und über dem Narren der Blick auf den weiteren Verlauf des Hains, der bis zu einem Flußufer reicht, wo sich eine

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Abb. 179: Kalenderminiatur April; Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I.99, GrimaniBrevier, fol. 4v.

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Abb. 180: Kalenderminiatur April; Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, fol. 4v.

Barke und mehrere Gefolgsleute befinden. Offenbar ist die noble Gesellschaft per Boot aus der im Hintergrund plazierten Stadt gekommen, um sich in idyllischer Umgebung die Zeit zu vertreiben. Die Situation auf fol. 4v des Stundenbuchs MAA Ms. 13 scheint ähnlich. Dort befindet sich die Gruppe von insgesamt sieben noch stehenden Personen im linken Bildteil, während sich rechts zwei Damen im Gras niedergelassen haben. Allerdings ist hin zum rechten Bildrand noch Platz gelassen, und von dort weg verläuft eine Hecke niedriger Bäume nach hinten, in der drei Hunde sich eine Verfolgungsjagd liefern  ; ein vierter Schoßhund wird entsprechend nachdrücklich von der hinteren der beiden auf der Wiese Kauernden gehalten, wobei sein kleines Tiergesicht die ganze Tragik dieser für ihn mißlichen Lage auszudrücken vermag. Der Lustgarten ist hier auf drei Seiten von Wasser umgeben, wobei der vordere Arm von links vorne weg nach rechts zu ansteigend entlang des unteren Bildrands verläuft. Die vordere der beiden im Gras sitzenden Damen achtet beim Pflücken einiger kleiner Blumen an seinem Ufer darauf, nicht ihren weiten Ärmel darin naß zu machen, indem sie den Stoff mit der anderen, noch freien Hand nach hinten zieht. Der hintere und der seitliche (im Bild rechts sichtbare) Arm des Gewässers grenzen die (Halb-)Insel, auf der sich die Gesellschaft befindet, von einer abwechslungsreich gestalteten

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Umgebung ab. Hinter den stehenden Figuren, fast die gesamte linke obere Bildhälfte einnehmend, befindet sich ein mächtiges Schloß, das seinerseits allseitig von Wasser umschlossen scheint. Eine lange Zugbrücke führt von ihm weg hinüber in den rechten Bildteil, eine Landzunge, auf der einige Hirten ihre Schafe hüten. Hinter dieser, in größerer Distanz, werden entsprechend kleiner, aber immer noch deutlich voneinander abgesetzt und nicht zu einer einzigen Stadtsilhouette verschmolzen, die Umrisse zweier Türme und einer Stadtanlage sichtbar. Vergleicht man die Erzählweise in den beiden Miniaturen, so kommt man auf Unterschiede, die sich durch die verschiedene Bild- und Figurengröße allein nicht erklären lassen. Der Darstellung im Grimani-Brevier haftet etwas Amüsantes an, wobei der Tumult im linken Bildteil noch die harmlosere Facette der Geschichte ist. Tatsächlich wirkt vor allem der in der Literatur auch schon als Braut- gedeutete Figurenzug erheiternd 342. Dies liegt im wesentlichen an dem eigenartigen Verhalten dreier Protagonisten  : des nicht mehr jungen Anführers, der sich der Schönen an seiner Seite mit beträchtlicher Intensität widmet, der ebenfalls nicht mehr ganz jungen Zofe, der es mit ihrem herausgeputzten Nachbarn nicht anders ergeht, und des jungen Gecken selbst, der auf seine Weise sein offensichtlich großes, allerdings nicht der Frau neben, sondern vor ihm geltendes Interesse zum Ausdruck bringt. Daß mit dieser Konstellation Braut, Brauteltern und Bräutigam gemeint sind, ist wohl ausgeschlossen  ; das vordere Paar läßt notfalls noch eine ernsthaftere Deutung zu (und schildert eine wohl auch realiter nicht unübliche Situation, zumal es vorgekommen sein wird, daß ein begüterter oder auch bedeutender Herr sich mit einer jungen Frau verheiratete). Das hintere hingegen scheint sich in vielerlei Hinsicht auf einer Gratwanderung zwischen Schicklichkeit und Unschicklichkeit zu bewegen. Verstärkt dürfte der für zeitgenössische Betrachtende amüsante Anblick der Gruppe durch ihre Kostümierung geworden sein. Die Figuren tragen Gewänder, die im frühen 16. Jahrhundert nicht mehr modern waren, sondern eher in das 15. Jahrhundert weisen, ohne sich von der hier nur bedingt als Vorbild zu bezeichnenden Miniatur in den Très Riches Heures ableiten zu lassen343. Dazu gehören die spitzen Schuhe, die langen gezaddelten Ärmel der Damenkleider sowie der tief sitzende Gürtel und der sonderbare Hut des Anführers. Auch die unter der Brust gebundene Schärpe der Zofe scheint nicht der aktuellen Damenmode zu entsprechen. Dabei dürfte der Künstler aber nicht mit einem echten Interesse an der Wiedergabe historischer Kostüme vorgegangen sein – die aufgezählten Details sind durchaus unterschiedlichen Modeströmungen entnommen. Euphemistisch könnte man meinen, es sei darum gegangen, Altehrwürdiges darzustellen  ; in Anbetracht der etwas komischen Aspekte im Bild wäre jedoch ebenso gut möglich, daß all diese Einzelheiten schlicht den Eindruck des Altmodischen hervorrufen sollten. Bezeichnenderweise sind alle diese Details auf fol. 4v von MAA Ms. 13 entschärft, mit einer Ausnahme  : Der junge Mann am linken Bildrand trägt den gleichen spitzen Schnürschuh 342 Salmi-Mellini 1972, Bildbeschreibung zu Taf. 7. 343 R. Cazelles – J. Rathofer, Das Stundenbuch des Duc de Berry. Les Très Riches Heures, München 1988, S. 26 ff.

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wie der Junker im Grimani-Brevier. Er ist allerdings die einzige Person innerhalb des Lissabonner Kalenderzyklus, die modisch dermaßen entgleist, vermag dies aber durch ein entsprechend taktvolles Benehmen, das ihn von seinem Pendant im Brevier abhebt, wettzumachen. Auch sonst hat die Konstellation an Brisanz verloren. Der Altersunterschied im anführenden Paar ist zurückgenommen, und der Herr, durchaus von der Dame neben ihm angetan, scheint das gleiche wohlwollende Interesse ihrerseits hervorzurufen. Der junge Mann links kokettiert angemessen zurückhaltend mit seiner Begleiterin, wobei der von ihr gehaltene Papagei als Vorwand dient. Die übrigen Gefolgsdamen tragen indifferent freundliche Mienen zur Schau, was zwar nicht ihrer psychologischen Profilierung, wohl aber dem heiteren und erfreulichen Tenor der Darstellung zugute kommt. Selbst die drei einander hetzenden Hunde scheinen hier eher in ein freundliches Spiel und nicht wie im Brevier in ein wildes Gekläffe involviert, dessen vermutlich beträchtliche Steigerung dort zudem durch die Ankunft der Kröte absehbar ist. Der spannungsreicheren Handlung innerhalb der Protagonistengruppe im Brevier entspricht, daß es kaum Subszenen gibt, die vom Hauptgeschehen ablenken. Die Fauna und Flora im Weiler rechts vorne wirkt überraschend klein, so als wäre sie aus einem anderen Kontext kopiert und nur mangelhaft dem größeren Format der Miniatur angepaßt. Darüber hinaus bietet nur noch die Barke links hinten dem Auge einen Anhaltspunkt, der sich auf Grund der geringen Größe und der stereotypen Aktionen der Figuren allerdings als wenig anziehend entpuppt. Im Lissabonner Manuskript sorgt demgegenüber schon die Vielzahl an Motiven für mehr Zerstreuung. Hinter dem Jüngling links wird das Boot mitsamt dem Fährmann sichtbar, mit dem die Gesellschaft offenbar von jenem Schloß übergesetzt hat, das so dominierend im Hintergrund emporragt. Es bietet viele Details, die eingehend betrachtet werden können, bevor man über die Zugbrücke in die rechte Bildzone übersetzt, die von einer größeren Anzahl an (freilich ebenfalls stereotyp agierenden) Menschen und Tieren besetzt ist. Immerhin bietet sich von dort aus die Möglichkeit, auch noch in die Bildtiefe zu schweifen, wo sich die Stadt erhebt. Daß der Blick auf fol. 4v von MAA Ms. 13 von der Hauptgruppe in den Hintergrund abwandert, ist jedoch nicht nur eine Folge der abwechslungsreicheren Gestaltung desselben, sondern auch eine Folge der anderen Raumkonstruktion gegenüber jener im Grimani-Aprilbild. Während dort der Eindruck von Tiefe durch bildparallele Schichten evoziert wird, die zwar intern räumlich gestaltet, jedoch nicht miteinander verbunden sind, ist der Illuminator im Lissabonner Beispiel an einer konsequenten Verräumlichung des gesamten Bildgefüges überaus interessiert. Zwar ist auf fol. 4v von MAA Ms. 13, nicht anders als im Grimani-Brevier, die (hier steile, im Brevier flache) Schräge, entlang derer die Figuren gestaffelt sind, für den Bildeindruck nicht von Bedeutung, zumal die grundsätzlich räumliche, gar rautenförmige Anordnung der Figuren durch den Mangel an Platz zwischen ihnen zu einer dichten Wand an Leibern zusammenwächst (ebenso wie auf Grund der Isokephalie der Köpfe der Zug im Brevier bildparallel gelesen wird). Allerdings hat der in MAA Ms. 13 tätige Illuminator durch einen Kunstgriff doch verstanden, die Räumlichkeit dieser Gruppierung zumindest zu suggerieren. Die stehenden Figuren sind parallel zu der von rechts vorne weg nach hinten zu ver-

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kürzten Hecke angeordnet, deren Tiefenverlauf unmißverständlich angezeigt und durch das Spiel der Hunde noch dynamisiert wird. Und obwohl das mächtige Schloß in seiner Blockhaftigkeit eine eben solche formale Entsprechung zur Gruppe davor abgibt wie die über die Bildbreite verteilten Baumkronen und Turmsilhouetten zum Zug der Akteure im Grimani-Brevier, hat der Blick in der Lissabonner Miniatur doch die Möglichkeit, im rechten Bildteil anhand gegenläufiger, aber steiler und damit aggressiver Schrägen bis ganz in die Bildtiefe vorzudringen. Einzig die ferne Stadt wird nicht mehr durch einen durchgehenden Raumvektor, dafür aber mittels subtiler Schrägen wie durch die Allee ganz am rechten Bildrand oder auch durch den angedeuteten Wegverlauf vom Gewässer auf sie zu an die vorderen Bildzonen anAbb. 181: Kalenderminiatur Februar; Venedig, gebunden. Insgesamt jedenfalls ist von dem Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99, Grimaniflächenhaften Konzept im Aprilbild des GriBrevier, fol. 2v. mani-Breviers in der Lissabonner Miniatur gleichen Themas wenig übrig geblieben. Dennoch zeigt das System der gegenläufigen Schrägen möglicherweise auch die stilistische Herkunft dieser Bildlösung an. Wenngleich die Verwandlung der flachen in steile Diagonalen den Raumeindruck wesentlich verändert hat, erinnert dieses Konzept doch an den Bildaufbau mancher Miniaturen im Grimani-Brevier, etwa an den des bereits an anderer Stelle analysierten Junibildes auf fol. 6v (Abb. 166). In der letztgenannten Miniatur, der wohl räumlichsten aller Kalenderillustrationen in Marciana Ms. lat. I. 99, wird auch der eigentliche Sinn der flachen Schrägen am offensichtlichsten, der sich als flächenhafte Methode der Tiefensuggestion bezeichnen läßt. In jenen Darstellungen des Breviers, in denen es dem Illuminator nicht möglich war, Raum durch eine stereometrische Konstruktion (wie im Januarbild, in der Darstellung der Geburt Christi oder in der Sterbeszene) (Abb. 156, 151, 154) wiederzugeben, oder hinter einer Schicht großer, den Ausblick verstellender Figuren und Objekte mittels Raumsprung in die Tiefe vorzudringen (wie in der April-, der Mai- und der Augustminiatur, aber auch im Bild der Kreuzigung Christi) (Abb. 179, 139)344, mußten andere Wege gesucht werden. Die Illustrationen der Monatstätigkeiten belegen dies exemplarisch, wobei von einer immer noch bildparallelen Staffelung hintereinander liegender Raumzonen wie im Oktoberbild ausgegangen und über Lösungen 344 Salmi-Mellini, Taf. 9, 15.

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wie im März- und im Septemberbild345 zu zunehmend raumhaltigen Konzepten wie im Juli- und Novemberbild346 übergegangen wurde. Den Gipfel der Bemühungen verkörpern die Miniaturen zum Juni und zum Februar (Abb. 166, 181), letztgenannte freilich auch deshalb so erfolgreich, weil durch die Hinzunahme stereometrischer Gebilde eine konsequente Verräumlichung schon vom Vordergrund weg gelang. Dennoch zeigt gerade die Gegenüberstellung der Februarminiatur auf fol. 2v des Breviers (Abb. 181) mit jener auf fol. 2v in MAA Ms. 13 (Abb. 182), um wieviel mehr im Lissabonner Bild die Eroberung der Tiefe von vorne weg erfolgte. Dabei ist die Februarminiatur in Marciana Ms. lat. I. 99 (wie etwa das Januarbild, nicht aber das Aprilbild in der gleichen Handschrift) ein in vieler Hinsicht nahezu „wörtliches“ Zitat der Vor- Abb. 182: Kalenderminiatur Februar; Lissabon, lage, in diesem Fall der Februarminiatur in Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, den Très Riches Heures des Duc de Berry347. Stundenbuch, fol. 2v. Wie dort wird links ein nach vorne zu offenes Gebäude schräg in den Raum gestellt, wobei die durch die Türschwelle gebildete Diagonale im Brevier den gesamten Vordergrund dominiert, da sie durch die Anordnung und Ausrichtung der frierenden Frau im Freien auf dieser Achse bis an den rechten Bildrand reicht (im Stundenbuch wird die Verbindung nach rechts durch den ovalen Weidenzaun geleistet, der die Ausmaße des Vordergrundes bestimmt, während das Haus, steiler und auch nicht einheitlich verkürzt, für die Konstruktion des Raumes von sekundärer Bedeutung ist). Zugleich fungiert diese Frau rechts als Scharnier zur gegenläufigen Schräge des nach links hinten ausgerichteten Schafstalles, die durch den hinter dem Gebäude auftauchenden Zaun bis zu einem Gatter im Mittelgrund weitergeführt wird. Dort setzt erneut eine gegenläufige Diagonale nach rechts ein, die durch einen nur undeutlich sichtbaren, aber von einem Mann und einem Esel beschrittenen Weg bis hin zur hohen Horizontlinie nachvollziehbar wird, hinter der rechts die Silhouette einer Siedlung erscheint. Daß der Pfad davor nochmals umbrechen und nach links führen muß, wird weniger gezeigt als durch das Ziel von Mensch und Tier 345 Ebenda, Taf. 5, 17. 346 Ebenda, Taf. 13, 21. 347 R. Cazelles – J. Rathofer, Das Stundenbuch des Duc de Berry. Les Très Riches Heures, München 1988, S. 18 ff.

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offensichtlich gemacht  : Die Windmühle, zu der das auf dem Esel in Säcken geladene Korn gebracht wird, befindet sich links im Bild, auf einer kleinen Erhebung unmittelbar entlang des Horizonts. Dieses durchaus räumliche Bildkonzept wird im Lissabonner Stundenbuch MAA Ms. 13 (Abb. 182) um ein Vielfaches überboten. Dort steht das offene Wohngebäude, in dessen Tür wie im Brevier ein Knabe seine Notdurft verrichtet, bildparallel im rechten Teil der Miniatur, wodurch sich ein durch allerlei Bildelemente bis nach links gezogener waagrechter Vordergrundstreifen ergibt. Von dort weg setzt ein rasanter Tiefenzug entlang der linken Seitenwand des mit einem Wirtschaftsgebäude verlängerten Wohnhauses ein, sodaß der gesamte Hof mit einem dominierenden, steilen Raumvektor durchmessen wird. Dieser reicht sogar noch Abb. 183: Kalenderminiatur Februar; Brüssel, weiter bis zum runden Taubenkogel hinter Bibliothèque Royale, Ms. II 158, HennessyStundenbuch, fol. 2v. dem Gatter und durch den schwach sichtbaren Zaun rechts noch darüber hinaus, um schließlich von der weit hinten ansetzenden gegenläufigen Schräge jenes Weges aufgegriffen zu werden, auf dem sich auch hier ein Mann mit seinem Esel auf die unmittelbar über ihnen am Horizont emporragende Windmühle zu bewegt – wobei das Tier sich anscheinend dafür entschieden hat, auf das Dorf rechts oben zuzuhalten, während der Mensch schon auf dem schwach sichtbaren, sich auf die Mühle zu windenden Pfad nach links gewandt zu haben und gleichsam herumzufahren scheint, um den Esel eines Besseren zu belehren. Sowohl Mensch als auch Tier sind gegenüber den Figuren im Brevier, die bildparallel auf dem nur leicht ansteigenden Weg einher marschieren, in Rückenansicht gegeben, was trotz ihrer geringen Größe wahrgenommen wird und seine räumliche Wirkung nicht verfehlt. Verkürzt erscheint auch das Langhaus der Kirche jenseits der Horizontlinie, was dem gleichen Prinzip der Verräumlichung auch des Hintergrundes entspricht und einen deutlichen Unterschied zu den prinzipiell bildparallel aufgereihten Gebäuden der fernen Siedlung in Marciana Ms. lat. I. 99 darstellt. Es ist überaus aufschlußreich, der Darstellung in MAA Ms. 13 die Februarminiatur des in der neueren Literatur um 1535 datierten und Simon Bening zugeschriebenen HennessyStundenbuchs in Brüssel (Bibliothèque Royale, Ms. II 158348, fol. 2v, Abb. 183) gegenüber348 London – Los Angeles 2003, S. 467–470 (Nr. 150), S. 531 (ausführliche Literaturangaben). Zur

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zustellen, die eine formal vereinfachte, wenn auch farblich intensivierte, spiegelverkehrte Version des Februarbildes im Grimani-Brevier ist. Auch Bening steigert die Raumwirkung seiner Miniatur gegenüber seinem Vorbild, allerdings mit dem einfachen Schema, mehrere in sich verräumlichte, allerdings bildparallel voneinander abgesetzte Zonen schichtenweise aneinanderzufügen. Sein Motto könnte als formale Reduktion und bei erzählerischer Intensivierung (was ja auch grundsätzlich zur Charakterisierung seiner Kunst taugt) bezeichnet werden. Dem Vordergrund, nur minimal durch Schrägen (wie die des hier spiegelverkehrten Gebäudes) definiert, dafür vorne und hinten durch annähernd waagrecht verlaufende Zäune eingefaßt, wird ein – durch bildparallel, aber entfernt voneinander agierende Figuren veranschaulichter – Mittelgrund beigegeben, der seinerseits durch einen zweiten Bauernhof vom dahinter und darüber aufragenden Hintergrund, bestehend aus mehreren hintereinander gelagerten Hügeln (mit der obligatorischen, allerdings nur bedingt mit der Handlung vorne verbundenen Windmühle auf dem letzten derselben), getrennt ist. Der Unterschied gegenüber der Lissabonner Miniatur selben Themas ist beachtlich. Ganz offensichtlich hält sich Bening viel mehr an seine Vorlage als der Maler in MAA Ms. 13, wenngleich er durch die drei auf das offene Gatter des Hofes zustrebenden Personen im Mittelgrund und den ihre Ankunft erwartenden Hund einen zweiten Handlungsschwerpunkt aufgebaut hat, der durch seine räumliche wie inhaltliche Absetzung vom Vordergrundgeschehen eine ganz andere Art der Bilderzählung offenbart als die diesbezüglich eher additive Narratio des in Lissabon tätigen Künstlers. Zudem scheinen beide Künstler auch auf die eigentliche Vorlage dieser gesamten Miniaturenreihe zu rekurrieren, auf die Lösung in den Heures des Duc de Berry  : Bening integriert in das Wohnhaus vorne jenes Bett, das im Interieur der Limburgs, nicht aber im Brevier aufscheint, und der Illuminator in Lissabon malt neben der spinnenden Frau einen Knaben, der nachmacht, was ihm die beiden sich am Kamin wärmenden Figuren in den Très Riches Heures einfältig vorzeigen. Insgesamt beweist das die nachhaltige Verfügbarkeit des prominenten Vorbilds, auch über die JakobsmeisterWerkstatt hinaus349. Im Kalender des 1526 datierten Holford-Stundenbuchs (Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian LA 210), der keine ganzseitigen Monatsbilder, sondern nur szenische Bordüren zeigt, die allerdings ausschließlich den Monatstätigkeiten gewidmet sind, findet sich das Motiv des einsehbaren Hauses, kombiniert mit einer Windmühle, in einem anderen Kontext. Es ziert den unteren rechten Bordürenstreifen auf fol. 3r (Abb. 173) mit der ersten Textkolumne zum Monat Januar und erscheint so sehr verwandelt, daß seine Herkunft sich nur in Zusammenhang mit den Wintersportaktivitäten mitteilt, die von den entsprechenden Darstellungen in den Bordüren des Grimani-Breviers angeregt wurden. Ein exakter Vergleich erübrigt sich Entwicklung der Kalenderdarstellungen unter besonderer Berücksichtigung der Leistung Simon Benings vgl. Kren – J. Rathofer 1988. 349 Dagmar Eichberger hat darauf hingewiesen, daß die Eintragungen in Margaretes Inventaren zu allgemein gehalten seien, als daß sich die Très Riches Heures mit Sicherheit in ihrem Besitz nachweisen ließen. Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 417, Anm. 11.

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daher und auch deshalb, weil die hier tätigen Illuminatoren sich bereits sehr weit von der Jakobsmeister-Werkstatt weg entwickelt haben. Immerhin ist offensichtlich, daß die Kostümierung der Akteure, ja überhaupt das gesamte Formenrepertoire dieses Kalendariums, moderner wirkt als das in MAA Ms. 13 und daß etwa die im oberen Marginalbereich von fol. 3r dargestellte Interieurszene in manchen Elementen der Bildlösung auf fol. 1v (der Januarminiatur) des Stundenbuchs im Museu de Arte Antiga folgt, ohne dessen Qualität zu erreichen, also wohl getrost als Nachfolger desselben zu bezeichnen ist. Die Januarminiatur auf fol. 1v von MAA Ms. 13 (Abb. 184) erweist sich als eine Fusion von Bildelementen, die dem Januarbild auf fol. 1v des Grimani-Breviers (Abb. 156), und solchen, die der Pfingstminiatur auf fol. 23v des Croy-Gebetbuchs Cod. Vind. 1858 (Taf. XIX) entlehnt sind. Dies ist insofern aufschlußreich, als eine annähernd gleichzeitige Entstehung der Croy- und der Grimani-Handschrift im Zuge unserer Arbeiten bereits aus mehreren Gründen (zu denen die motivischen Übereinstimmungen in den Rahmungen, aber auch in Details der Interieurschilderung zählen) erwogen wurde, und mag daher auch für eine Datierung von MAA Ms. 13 nicht allzu lang danach (um, vielleicht auch kurz vor 1520) sprechen. Dies wird auch durch die Rahmenformen im Lissabonner Kalendarium nahegelegt, die wie eine Weiterentwicklung jener der beiden Jakobsmeister-Miniaturen in Cod. Vind. 1858 (Taf. XIX, XXIII) wirken, ohne deren grundsätzliche Struktur aufgegeben zu haben – was in LA 210 durchaus der Fall ist, wo gitterartige, mit reinem Renaissancerepertoire ausgestattete Gebilde die demgegenüber geradezu altertümlich wirkenden Formen der beiden älteren Handschriften abgelöst haben. Das Thema des Januarbildes in MAA Ms. 13 (Abb. 184) stimmt mit jenem im Breviarium Grimani (Abb. 156) überein  : ein nobler Herr zu Tisch, mit dem Rücken zum wärmenden Feuer eines Kamins, wird von seinen Gefolgsleuten bedient, wobei der ihm zur Seite stehende Haushofmeister auf ihn einredet. Einige Diener bringen Speisen durch eine Tür, deren Vorhang zur Seite geschoben wird und durch die in Lissabon der Schein der Küchenfeuer sichtbar wird. Im Vordergrund werden zwei Hunde gefüttert, wobei ein in beiden Miniaturen fast identisch agierender Diener einem weißen Windspiel von einem Stück Fleisch abschneidet, während der zweite Hund im Brevier hoffnungsvoll vor einem Falkner bettelt, während er im Lissabonner Stundenbuch einen vom Hausherrn zugeworfenen Happen verzehrt  ; dabei schickt sich sein Herr mit einer denkbar mißglückten Geste an, die Futterspende zu wiederholen. Am Kamin stehen in beiden Bildern Männer, wobei jeweils einer mit nahezu identischer Gebärde das Feuer schürt, während sich ein zweiter mit gleicher Handhaltung vor der Hitze schützt. Sogar die von einem Baldachin überspannte und mit kostbarem Tafelgerät beladene Anrichte fehlt in Lissabon nicht, von der aus der zuständige Truchseß, hier ein noch relativ junger Mann, den Tafeldienst überwacht. Anders als im Grimani-Brevier, das vielleicht in Anlehnung an seine Vorlage in den Très Riches Heures ein im Hinblick auf das Bildgeschehen neutrales Turnierrelief über dem Kamin zeigt, prunkt über dem Abzug in MAA Ms. 13 ein buntfarbiges Bild mit dem Wappen Portugals, welch letzteres von zwei rosa gekleideten Engeln getragen wird und immer wieder Anlaß dazu gab, die Handschrift als Auftrag eines Mitglieds des portugiesischen Königshauses anzusehen, wofür es aber in der übrigen Ausstat-

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tung des Stundenbuchs keinerlei Hinweise gibt350. Diese narrativen und motivischen Übereinstimmungen mit der Januarminiatur des Grimani-Breviers würden ein anderes Bild erwarten lassen, als man es tatsächlich vorfindet. Zu sagen, der Betrachterwinkel sei in Lissabon um 90 Grad gedreht worden, greift zu kurz und trifft zudem nur auf das Hauptmotiv zu, den tafelnden Herrn und sein unmittelbares Ambiente. Tatsächlich ist das gesamte Geschehen in ein Interieur transferiert, das jenem im Pfingstbild des Croy-Gebetbuchs in vieler Hinsicht entspricht. Wie im Croy-Gebetbuch ist der Raum von einer (allerdings nicht durch Gurtbögen gestützten) hölzernen Tonne überspannt, wobei die Bretter, nicht anders als der (hier allerdings Schilf-)Fußboden, in die Tiefe verlaufen. An der linken Seitenwand befindet sich jeweils Abb. 184: Kalenderminiatur Jänner; Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, ein Kamin, entsprechend der Jahreszeit einStundenbuch, fol. 1v. mal aktiviert und einmal nicht, während die rechte Seitenwand durch einen Türverschlag substituiert ist. Die Anrichte, die in Cod. Vind. 1858 noch links, zwischen Kamin und Rückwand Platz findet, steht in MAA Ms. 13 rechts an der Flanke des Verschlags. Dies zeigt an, daß das Zimmer in Lissabon (entsprechend der Miniaturform) breiter, aber nicht unbedingt kürzer ist als in Wien, wo der Kamin vom linken Seitenrand angeschnitten erscheint, während er in Lissabon zur Gänze und auch in einem etwas flacheren Winkel sichtbar wird. Freilich sind die Verkürzungen keine verläßlichen Hinweise auf die exakte Form des Raumes, da sie sowohl in der Wiener als auch in der Lissabonner Handschrift nicht einheitlich verlaufen. Dabei sind die Inkongruenzen in Cod. Vind. 1858 jedoch durch allerlei flächenhafte Motive besser kaschiert als in MAA Ms. 13, wo der Künstler sich einen prominenten Platz für den Kollaps seiner Perspektivkonstruktion gesucht hat. Es ist jene Stelle unterhalb des Türverschlags, wo der Schilfboden deutlich mit der Projektion des Holzverbaus kollidiert und die eigentlich daran angeschobene Anrichte noch weiter nach links zu hält und damit über Eck gestellt wirkt – aber nur in ihrem oberen Teil, während ihr Sockel eine exakte Seitenansicht anzeigen würde. Ähnliche Diskrepanzen treten bei der Tischplatte und der darunter befindlichen vorderen Stütze auf, obwohl hier der 350 Bonn 1999, S. 153 ff.: „Stundenbuch König Ferdinand I., 1530–34“, S. 155  ; Lissabon 2000, S. 426  : „Livro de Horas dito de D. Catarina ou D. Fernando, 1530“.

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mit dem Hund beschäftigte Höfling die gröbsten, eher erahn- als sichtbaren Ungereimtheiten überdeckt. Ungeachtet dieser in der Lissabonner deutlicher als in der Wiener Handschrift zutage tretenden perspektivischen Ungereimtheiten steht fest, daß das gleiche Konzept in MAA Ms. 13 viel wirkungsvoller für die Suggestion von Raum eingesetzt wurde als in Cod. Vind. 1858. In erster Linie mag dies eine Folge davon sein, daß durch die größere Breite der Miniatur, die (letztlich aber nur wenig) geringere Anzahl an Akteuren und die anderen Aktionen der Figuren mehr Platz zwischen den einzelnen Gegenständen und Personen bleibt. Doch hat der Vergleich mit dem Pfingstbild im Spinola-Stundenbuch gelehrt, daß dies nicht nur eine Frage des Themas und der daraus resultierenden Figurenkonstellation, sondern auch, sogar primär, eine Frage der künstlerischen Entscheidung ist. Diese ist in der Lissabonner Miniatur eindeutig zugunsten der Suggestion eines dreidimensionalen Raumes gefallen  : das zentrale Motiv, der in die Bildtiefe weisende Tisch, gibt darüber unmißverständlich Auskunft. Lediglich die Anrichte rechts wirkt einer überzeugenden Raumillusion nachhaltig entgegen – wohl aber auch deshalb, weil rechts der Blick eben nicht wie links nur hin zum Fenster in der Rückwand gleiten soll, sondern auch zur und durch die Türöffnung am rechten Bildrand zu finden hat. Schon im unmittelbaren Vordergrund, bei dem mit dem Hund beschäftigten Höfling, beginnt jene Kompositionslinie, die über das zentrale Motiv dieser Gruppe, den angeschnittenen Schinken, und weiter über die im entsprechenden Winkel ansteigenden Treppen den Blick hin zur Tür lenkt. Interessanterweise manifestiert sich hier eine Bifokalität, wie sie in einigen Miniaturen auch des Grimani-Breviers angeklungen ist, mit erstaunlichem Nachdruck. Dies konfrontiert mit der Frage nach dem ausführenden Künstler in der Lissabonner Januarminiatur, ja, im Kalender schlechthin. Daß es ein anderer als jener im Croy-Gebetbuch sein muß, liegt auf der Hand. Der Künstler in Cod. Vind. 1858 nimmt seinen grundsätzlich überzeugend konstruierten Raum durch zahlreiche verflächigende Motive (wie den vor einem der beiden verkürzten Fensterflügel in einer großen Aureole schwebenden Heiligen Geist oder die zentral positionierte, auf ihren Umraum kaum reagierende Madonna) zurück. Dafür eignet seinem Interieur eine Lichtqualität, die durch souveräne Gestaltung der farbigen Oberflächen zustande kommt und in allen späteren dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen unerreicht bleibt. Abgesehen von den Unterschieden in den Gestaltungsprinzipien zwischen dem Wiener und dem Lissabonner Werk sind es jedoch vor allem die völlig andere Technik und das ganz andere Figurenrepertoire, die verschiedene ausführende Hände belegen  ; daß die Akteure in Wien heilige Apostel, in Lissabon Mitglieder eines weltlichen Hofstaats sind, läßt sich mit einem Blick auf die Kreuzigungsminiatur im Croy-Gebetbuch als Argument ausschalten, wo offenbar auch zeitgenössische Herren (wenn auch in einer undankbaren Rolle) gezeigt werden, ohne daß die Diskrepanzen in der Figurentypik oder in den Proportionen gegenüber den Miniaturen im Lissabonner Stundenbuch geringer würden. Noch eklatanter sind die Divergenzen in der Malweise, die nicht nur eine andere, sondern auch eine viel gepflegtere, präzisere, sicherer gehandhabte Pinseltechnik in Cod. Vind. 1858 erkennen läßt. Zwar bedient sich auch der Illuminator in MAA Ms. 13 bis zu einem gewissen Grad (allerdings weniger feiner) Schraffuren und läßt eine offenere Faktur als beispielsweise die Miniaturen

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im Grimani-Brevier erkennen. Doch bleiben die diesbezüglichen Unterschiede zum CroyGebetbuch eklatant. Die nächste Frage ist, ob der Illuminator der Kalenderbilder in MAA Ms. 13 mit jenem Künstler identisch ist, der die dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im GrimaniBrevier schuf. Klar ist, daß die Darstellungen im Lissabonner Stundenbuch eine andere Stilstufe als jene in Marciana Ms. lat. I. 99 vertreten, mit einem stärkeren Augenmerk auf einen mittels steiler Raumvektoren konstruierten Tiefenraum, den die Figuren auch entsprechend annehmen, sowohl durch ihre Anordnung als auch durch ihre (raumgreifenden) Aktionen als auch durch ihre gesteigerte rundplastische Modellierung bei gedrungeneren Proportionen. Umgekehrt ist die Ausführung im Brevier um vieles sorgfältiger, auf einem viel höheren Niveau. Dies könnte man auf die ganz offensichtlich prestigeträchtige Aufgabe in der großformatigen Handschrift zurückführen. Nur bedingt damit zu erklären wäre allerdings die psychologische Pointierung der Erzählung zumindest in einigen der Bilder, allen voran in der Sterbeszene, aber etwa auch in der amüsanten Konstellation der Aprilminiatur. Freilich könnte auch die Unterlassung derselben, das heißt, der gleichmäßig freundliche Tenor in den Kalenderbildern der Lissabonner Handschrift, auf eine geringere Mühe damit und vielleicht auch auf das kleinere Format zurückgeführt werden. Dies erlaubt zwei Schlüsse. Entweder in den Kalenderminiaturen von MAA Ms. 13 war der auch in den Monatsbildern des Grimani-Breviers tätige Illuminator am Werk, in einer späteren Entwicklungsphase und mit etwas geringerem künstlerischem Aufwand. Oder aber es handelt sich in Lissabon um einen Künstler aus dem unmittelbaren Kreis des im Marciana Ms. lat. I. 99 arbeitenden Malers, wobei sich ersterer zweiterem so anzupassen trachtete wie manche Mitarbeiter des Jakobsmeisters ihrem Werkstattoberhaupt in früheren Handschriften – und wesentlich mehr als andere Gehilfen dieses Teams, die ebenfalls in MAA Ms. 13 Hand anlegten, dabei aber eine deutlich individuelle Variante des Jakobsmeister-Stils pflegten (was ja auch für den im Kalendarium der Holford-Hours beschäftigten Künstler gilt). Im Anschluß daran noch die kardinale Frage  : und der Jakobsmeister  ? War er der im Grimani-Brevier arbeitende Maler  ? War er gar auch der Ausführende des Kalenders im Stundenbuch aus dem Museu de Arte Antiga  ? Oder war er keiner der beiden  ? Es scheint, daß MAA Ms. 13 auch darauf eine Antwort anzubieten hat. Die zahlreichen Vollbilder dieses Stundenbuchs sind ganz offensichtlich von verschiedenen, mehr oder minder offensichtlich mit der Kunst (und folglich dem Kreis) des Jakobsmeisters assoziierbaren Malern geschaffen (mit Ausnahme der vergleichsweise wenigen, dem Meister des Wiener Hortulus Animae, als wohl Simon Bening, zuschreibbaren Miniaturen)351. Diesen Künstlern gemeinsam ist eine vom Jakobsmeister herzuleitende, allerdings oft schon sehr weit davon entfernte Figurentypik, eine meist relativ lose Faktur, sowie ein gewisses ikonographisches Repertoire, das sich hier allerdings bereits sehr zu wandeln beginnt, wie die Sterbeszene auf fol. 51v oder die Gregorsmesse auf fol. 19v (Abb. 185) belegen. Der erscheinende Heiland in der Gregorsmesse, ebenso wie die ihn umgebende Gloriole mit den Insignien seines Lei351 Vgl. am Beginn des Kapitels, S. 433.

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dens erinnern deutlich an frühere Lösungen des Jakobsmeisters  ; die Komposition an sich sowie die Umsetzung des Heiligen und der ihm assistierenden Kleriker haben sich denkbar weit von diesen entfernt und sind gerade noch als Abkömmlinge des Stiles unseres Künstlers erkennbar. Dabei sind die Diskrepanzen zwischen der Realität und der Vision im Bild so groß, daß man erwägen könnte, die beiden Bereiche verschiedenen Ausführenden zuzuschreiben  ; allerdings ist in beiden Zonen ein ähnlich unsauberer Strich zu bemerken, der doch wieder eine Verbindung zwischen ihnen herstellt. Der Künstler, der die Gregorsmesse schuf, ist nicht jener, der für den Kalender verantwortlich war. Diese Identifizierung verbieten schon die Figurenauffassung und die Malweise, abgesehen davon, daß ganz andere GeAbb. 185: Gregorsmesse; Lissabon, Museu staltungsprinzipien in der Gregorsmesse geNacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, genüber etwa einem Interieurbild wie jenem fol. 19v. auf fol. 1v offensichtlich werden. Ähnlicher wäre da schon eine Darstellung wie die des Evangelisten Matthäus auf fol. 90v mit ihrem sich von vorne in einen hinteren Raum fortsetzenden und auch anhand der Figurenkonstellation konsequent argumentierten Tiefenzug. Freilich ist hier die Umsetzung bereits so weit selbst vom Werkstattidiom des Jakobsmeisters entfernt, daß man nur mehr an einen „freien Mitarbeiter“ denken möchte. Ähnlich ergeht es bei vielen szenischen Bordüren, von denen etliche eindeutig als Arbeiten aus dem Kreis unseres Künstlers, andere aber auch gar nicht mehr als solche zu erkennen sind und sich eher einer Formensprache annähern, die mit Simon Bening assoziiert wird, allerdings nicht mit jener in den diesem Meister in MAA Ms. 13 zuschreibbaren Vollbildern konform geht. Und der Jakobsmeister  ? Im hinteren Teil der Handschrift, in den Heiligensuffragien, befinden sich zwei Miniaturen, deren überragende Qualität der Ausführung mit einem Formenrepertoire Hand in Hand geht, das einen überaus engen Anschluß an das des Jakobsmeisters zeigt, wie es in früheren Handschriften entgegentritt. Dabei ist klar, daß keiner der beiden hier dargestellten Heiligen – Jakobus auf fol. 104v (Abb. 177) und Vinzenz auf fol. 106v (Abb. 178) – in dieser Form in eine der früheren Handschriften unseres Meister passen würde. Obwohl das Vollbild mit Jakobus die spektakulärere der beiden Miniaturen ist, bietet sich jenes mit Vinzenz vorrangig zu einem Vergleich mit der Darstellung desselben Heiligen an, die nachträglich dem ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuch (ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844) eingebunden wurde.

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Die Miniatur im ehemals Wiener Gebetbuch befindet sich auf fol. 238v (Abb. 118), dem ebenso nachträglich hinzugefügten (weil in abweichender Schrift verfaßten) Gebet zu Vinzenz auf fol. 239r gegenüber. Der Heilige erscheint halbfigurig in eben jener Pose, die im Kernstock der Handschrift, auf fol. 219r (Abb. 186), auch für die Darstellung des heiligen Laurentius verwendet wurde, allerdings weder vom Jakobsmeister noch von einem seiner Mitarbeiter, sondern von einem Maler aus jenem Illuminatorenteam, das mit dem Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilians I. assoziiert wird. Dabei ist die Figur des heiligen Vinzenz eine exakte Kopie der vermutlich etwas älteren Vorlage, was einigermaßen überrascht und irritiert352, obwohl der Jakobsmeister (bzw. einer seiner engsten Mitarbeiter, um den es sich hier handeln wird) nicht nur die Farbigkeit und das Umfeld des Märtyrers veränderte, sondern darüber hinaus eine weit Abb. 186: Heiliger Laurentius; Privatbesitz, ehem. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, bessere Miniatur schuf. Einen großen Anteil an der hohen Qua- Cod. Vind. Ser. n. 2844, Rothschild-Gebetbuch, lität der Vinzenzminiatur auf fol. 238v des fol. 219r. ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 hat die technisch souveräne und bezüglich der Suggestion optischer Effekte überragende Malweise, was gerade der Vergleich mit der Vorlage auf fol. 219r verrät. Nicht nur, daß die Oberflächen ungleich mehr Brillanz haben, sie sind auch wesentlich differenzierter gemalt, so daß die Textur der gesamten Miniatur dicht und komplex gewebt erscheint – ein Markenzeichen unseres Künstlers, dem seine engsten Mitarbeiter sicher nachzueifern trachteten. Insofern ist es kaum zu glauben, daß Vinzenz nach Laurentius gemalt worden ist, obwohl generell der 352 Vinzenz und Laurentius wurden u. a. auf die selbe Art gemartert, nämlich auf dem Rost gebraten  ; um ihn von Laurentius abzusetzen, ist Vinzenz daher oft mit Haken (mit denen er zuvor zerfleischt wurde) und nicht mit einem Rost dargestellt. Interessanterweise hat aber Laurentius auf fol. 219r des ehemals Wiener Rothschild-Gebetbuchs gar kein Attribut vorzuweisen, vielleicht, weil eine als Vinzenz konzipierte Figur durch Weglassen der Haken für die Darstellung Lorenzens adaptiert wurde, ohne die ursprünglichen Marterwerkzeuge durch das korrekte Attribut zu substituieren. Zur Geschichte und Ikonographie von Vincentius von Valencia vgl. Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten, Stuttgart 1984, S. 566 f.

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formale wie auch speziell der stilistische Befund innerhalb des in dieser Handschrift tätigen Jakobsmeister-Teams keine andere Deutung zuläßt. Anders als Laurentius, der zwar im Dreiviertelprofil nach rechts gewandt, dabei aber vor einem frontal gespannten Ehrentuch mit Baldachin steht, ist Vinzenz in seiner räumlichen Schrägstellung durch sein Ambiente unterstützt. Die Kapelle bzw. das Seitenschiff jenes Sakralraums, in dem er sich zu befinden scheint, ist korrespondierend mit seiner Ausrichtung verkürzt. Zu sehen sind die durch zwei Maßwerkfenster aufgebrochene rechte Seitenwand und die mit einem Portal versehene Rückwand. Das rechte Fenster und die Tür geben einen Ausblick frei, wobei durch den Kunstgriff, die Kirchhofmauer jenseits der Pforte bis fast auf Fenstersimshöhe hochzuziehen, die in der jeweiligen Öffnung geschilderten Szenen aus dem Leben (bzw. Nachleben) des Heiligen auf gleicher Höhe erscheinen. Links hinten wird der Leichnam des Märtyrers mit Mühlsteinen um Hals und Beine ins Meer geworfen, um darunter am Strand liegend nochmals zu erscheinen. Rechts, jenseits des Fensters, wird der Tote in einer feierlichen Prozession in die rechts hinten sichtbare, mit einem Hafen ausgestattete Stadt getragen. Wie die anderen Miniaturen des Jakobsmeister-Teams im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 offenbart auch das Vinzenzbild eine sogenannt zentralräumliche Auffassung – ja, in höherem Maße und anders umgesetzt als die mutmaßlich früheren Darstellungen der ursprünglichen Ausstattung. Die Architektur umgibt den Heiligen wie eine Folie, wobei die Tatsache, daß er von den Wänden abgerückt steht, den ihn umgebenden Raum anschaulich macht. Daß das Gebäude nach links hinten verkürzt ist, nimmt dem Raumvektor von seiner Dynamik, die er konform mit der Leserichtung wohl gehabt hätte. Zudem befinden sich die beiden Episoden mit dem Leichnam links nicht mehr auf einer Achse mit der Gebäudeflucht. Vielmehr muß der Blick, gebremst durch die hohe Kirchhofmauer, nach rechts und dann gerade nach hinten abschwenken, um diese Szenen erfassen zu können. Bezeichnenderweise läuft die Erzählung hinter dem Gebäude nach rechts weiter, wodurch die Architektur als umgehbar beschrieben wird, und ebenso bezeichnenderweise ist der tiefste Punkt im Bild (die fernen Schiffe im Hafen) dann doch wieder nach links gerückt, um den Blick noch einmal in einer Kurve zurück zu einer Stelle zu leiten, der der Kopf des Heiligen auf der Bildfläche unmittelbar benachbart ist. Betrachtet man das Vinzenzbild auf fol. 106v in MAA Ms. 13, so wird die Steigerung der schon im Rothschild-Gebetbuch offensichtlichen Bemühungen unübersehbar. Dies beginnt damit, daß der Heilige selbst von einer primär (ober-)flächenhaft (bzw. -wirksam) konzipierten in eine voluminöse Figur verwandelt wurde. Natürlich trägt dazu bei, daß Vinzenz hier ganz zu sehen ist und sein Diakongewand wie eine Glocke um seinen Körper herabfällt bzw. auf dem kleinteiligen Fliesenmuster seine raumverdrängende Fülle veranschaulicht. Doch hätte Vinzenz in Lissabon auch als Halbfigur die gleichen Qualitäten vorzuweisen  : So sind nicht nur seine Proportionen andere als im ehemals Wiener Gebetbuch, auch die Modellierung des rechten (im Bild linken) Oberarms erfolgt mit einer Lichthöhung auf dem erhabensten Teil der Extremität, anders als im ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844, wo der Lichtsteg an der Außenkontur zwar den Glanz des Brokats auf unschlagbare Weise veranschaulicht, den Eindruck von Plastizität jedoch zurücknimmt. Auch die Art, wie der Heilige in Lissabon das ganz aufgeschlagene Buch (einigermaßen ungelenk) zwischen seine Hände und seinen Rumpf

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geschoben hat, suggeriert die raumverdrängende Qualität seiner Pose weit mehr als das hoch (und damit eher in die Fläche) geklappte Buch in der ehemals Wiener Miniatur. Ganz abzuschätzen ist der Fortschritt aber erst, wenn man das Ambiente des Heiligen in MAA Ms. 13 mit berücksichtigt. Dort, wo im ehemals Wiener Gebetbuch eine relativ enge Kapelle den Existenzraum der Figur definiert, befindet sich in Lissabon eine geräumige Halle, die allseitig offen zu sein scheint, auch nach vorne und rechts zu, was sich im Analogieschluß zu den sichtbaren Bauteilen ergibt. Vinzenz wird in dieser Miniatur vom Raum nicht umfangen, sondern steht in dessen lichter Weite scheinbar nur zufällig vor einem dunklen Vierungspfeiler, der den adäquaten Kontrast zu seiner hellen Figur abgibt. Der Raum hat eine Weite und Breite, wie sie bislang nur in manchen Miniaturen des Spinola-Stundenbuchs angeklungen ist, hier allerdings kombiniert mit einer gleichsam „bifokalen“ Orientierung, zumal der durch den Fußbodenverlauf nach rechts hinten initiierte Raumvektor von einem durch seine Helligkeit besonders den Blick auf sich ziehenden linken Raumteil konterkariert wird. Dieser linke Ausblick befindet sich auf jener Achse, die durch die Orientierung des Heiligen vorgegeben wird – was ihm, nicht anders als dem Fernblick durch die Tür im ehemals Wiener Gebetbuch, ein besonderes Gewicht verleiht. Stellt man der Miniatur des heiligen Vinzenz auf fol. 106v von MAA Ms. 13 die bereits in anderem Zusammenhang kurz erörterte Darstellung des Eigentümers auf fol. 15v des Holford-Stundenbuchs (Abb. 4) gegenüber, so werden einige wichtige Aspekte sofort deutlich. Zum einen kann das Bild in LA 210 technisch nicht mit jenem in MMA Ms. 13 konkurrieren  ; forcierte Oberflächeneffekte fehlen weitgehend. Zum anderen entspricht das Figuren- und Formenrepertoire im Stundenbuch im Museu Nacional jenem des Jakobsmeisters weit mehr als das in den Holford-Hours  ; dies gilt selbst für die Gnadenstuhlgruppe, die dem frommen Beter über dem Altar erscheint, obwohl in ihr die Beziehung zu unserem Künstler am deutlichsten ist. Die Kircheninterieurs wirken auf den ersten Blick ebenfalls überaus ähnlich  ; doch wird rasch ersichtlich, daß im Vinzenzbild ein viel differenzierteres und auch kleinteiliger geschildertes Ambiente geboten wird als in der Darstellung auf fol. 15v von LA 210. Hinzu kommt die gänzlich andere Strukturierung der Architektur  : Obwohl beide Gebäude einen aus quadratischen Fliesen zusammengesetzten und somit bezüglich seines Verlaufs neutralen Boden aufweisen, wird in MAA Ms. 13 durch die raumorientierte Anordnung der Grabplatten, die alle nach rechts hinten, in Richtung des sichtbaren Ausgangs hin, fluchten, eine nachdrücklichere Tiefenausrichtung erzeugt als in LA 210, wo die Grab- (und andere dunkle Fußboden-) platten quer liegend sind und damit der bildparallel organisierten Vordergrundzone mit dem Auftraggeber und dem Altar entsprechen. Zwar kommt es auch im Holford-Stundenbuch nicht zu einer bildparallelen Frontalisierung mit angefügtem Tiefenraum. Dagegen wirkt die den Maßstabsverhältnissen innerhalb der Kirche optimal angepaßte Figur des Eigentümers ebenso wie die vertikale Unterteilung der Komposition in zwei (noch dazu ungleiche) Hälften und schließlich die stetige Bremsung der Tiefenflucht durch die querliegenden Platten im Hintergrund und andere waagrechte Elemente wie etwa die Bank am Vierungspfeiler. Würde nicht schon die andere Ausführung für einen anderen Künstler sprechen, so wären die unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien in den beiden Miniaturen,

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die vermutlich in einem Abstand von etwas mehr als fünf Jahren entstanden sein dürften, ein Grund, die Zuschreibung an denselben Meister zu hinterfragen. Schon einmal in der langen Karriere des Jakobsmeisters, und zwar kurz vor bzw. um 1500, ließ sich eine Veränderung von einer eher zentralräumlichen in eine extrem tiefenorientierte Auffassung feststellen, wobei letztere mit deutlich flächenhaften Zügen konterkariert wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich nach mehr als zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren (die zwischen den Beispielen der frühen Gruppe und den beiden Lissabonner Stundenbüchern liegen) eine ähnliche Entwicklung unter anderen Vorzeichen noch einmal vollzog. Doch steht die Sicherheit, mit der das plastische Volumen der Figur auf fol. 106v von MAA Ms. 13 in einen gleichsam allseitig unbegrenzten Raum integriert wurde, der etwas hölzernen Figurenwiedergabe auf fol. 15v von LA 210 recht unvermittelt gegenüber  ; daher scheint die Ausführung der beiden Miniaturen durch denselben Künstler weitestgehend ausgeschlossen. Beinahe noch brillanter präsentiert sich die Jakobusdarstellung auf fol. 104v von MAA Ms. 13 (Abb. 177), sowohl was das raumverdrängende Volumen der ausdrucksstarken Figur als auch ihre Beziehung zu dem sie umgebenden Raum betrifft. Die Miniatur okkupiert den Platz des Kern- und Bordürenbildes und verwandelt ihn in ein einziges großartiges Landschaftspanorama gleichsam nach alter Schule, mit einem formatfüllenden Felsen als Zentralmotiv, vor dem der Heilige im Vordergrund Position bezogen hat. Ungeachtet dessen entsteht nicht der Eindruck eines flächenhaften Davor/Dahinter und auch nicht ein Gegeneinanderhalten von frontalisiertem Vordergrund und dahinter aufgebauter Tiefenflucht. Es erscheint vielmehr, als würden hier zwei ganz unterschiedliche Bildelemente durch Formanalogie aufeinander bezogen und damit der gesamte Bildraum durchmessen  : Der Berg und der Mensch entsprechen einander nicht nur in ihrem (jeweils artgerechten) raumverdrängenden Volumen, sondern auch in der Ausrichtung nach rechts, die in der gleichen Achse verläuft. Dabei erschöpft sich der formale Gleichklang aber nicht in dieser Parallelisierung der beiden unterschiedlichen Hauptmotive. Wohl nicht zufällig verläuft jener Weg, den die Pilger von links hinten (von der Hafenstadt am Fuße des Felsens in der Ferne) entlang der linken Flanke der Erhebung empor kommen, hinter dem Heiligen exakt in jenem Winkel weiter, in dem seine Rechte das Buch hält, über das hinweg er versonnen vor sich hin blickt. Der Pfad greift rechts neben Jakobus die durch den Unterarm vorgegebene Steigung auf und schwenkt in einer Kurve nach hinten, um entlang des dominierenden Berggrats weiter nach links zu dem auf dem Gipfel sichtbaren Heiligtum zu führen. Und wohl nicht zufällig fällt der dominierende Berggrat, vor dessen Abhang der Heilige steht, in eben jenem Winkel nach vorne zu ab, in dem Jakobus seine Linke mit dem Stab gestreckt hält. Es ist eine subtile Art, Mensch und Landschaft zu verbinden, die hier begegnet, und eine subtile Art, beide als voluminös und raumumspielt zu beschreiben. Obwohl hier also ein ganz anderes Prinzip zum Tragen kommt als bei der Figur des Heiligen Vinzenz einige Seiten weiter, bleibt die diesbezügliche Aussage beider Bilder doch identisch. Vinzenz erscheint durch die geräumige Hohlform, die ihn umschreibt, als rund und von einem weiten, in einer kreisenden Bewegung zu durchmessenden Raum umgeben. Jakobus wird durch eine die eigenen Qualitäten in einer gleichsam höheren Oktav wiederholende Form als eben das Gleiche beschrieben  : als rund und von einem weiten,

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in einer kreisenden Bewegung zu durchmessenden Raum umgeben. Zweifellos war der, der hier die Register seines Könnens zog, ein Meister. Der Jakobsmeister  ? Ich glaube, ja. Falls überhaupt Miniaturen in der späten Werkgruppe eine Zuschreibung an ihn erlauben, dann diese beiden in MAA Ms. 13. Zwar steht außer Zweifel, daß auch in ihnen eine etwas andere Figurentypik als in früheren Werken unseres Künstlers zum Tragen kommt, und daß auch in der Landschaftsgestaltung, so etwa in den etwas schrofferen Felsspitzen am rechten Bildrand von fol. 104v, Formen wie die im Grimani-Brevier entwickelten eine Rückwirkung haben. Aber schon die Gesamtgestaltung des mächtigen Felsens im Jakobusbild sowie seine lockere, Glätte wie Dichte suggerierende malerische Umsetzung sind genuin jakobsmeisterhaft. Abb. 187: Heiliger Hieronymus; Lissabon, Museu Dies gilt ebenso für die souverän ausgeführNacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, ten Figuren der heiligen Jakobus und Vin- fol. 108v. zenz. Es ist, als stünden da alte Bekannte in einem moderneren Aufzug und in immer noch verbesserter Form. Nur in zwei weiteren Miniaturen von MAA Ms. 13 stellt sich ein ähnlicher Eindruck unmittelbar ein, der einer ausführlicheren Überprüfung jedoch zumindest in einem Fall nicht standhält und auch im anderen Fall zumindest einen gewissen Unsicherheitsfaktor inkludiert. Dennoch seien die beiden Bilder kurz besprochen, zumal sie ein bezeichnendes Licht auf die Form der Zusammenarbeit in bzw. die Zusammensetzung der Jakobsmeister-Werkstatt in der Zeit (nach) der Entstehung des Grimani-Breviers werfen. Die eine Darstellung ist die des heiligen Hieronymus auf fol. 108v von MAA Ms. 13353 (Abb. 187). Wie die Jakobsminiatur ist sie tatsächlich ganzseitig, inkludiert also den üblicherweise der Bordüre vorbehaltenen Raum. Hieronymus kniet vom unteren Bildrand durch einen Wiesenstreifen abgerückt nach rechts gerichtet vor einem Kruzifix, das er auf dem zweiten Baum einer sich von rechts vorne weg in die Tiefe staffelnden Allee angebracht hat, und schlägt sich mit einem Stein die Brust blutig. Der Löwe, dieses Schauspiel offenbar gewohnt, liegt wie ein braver Hund bei der Kardinalsrobe seines Herrn, die dieser im rechten Vordergrund über das Geländer einer kleinen Holzbrücke gehängt hat, die über einen am unteren 353 Zu zeitgenössischen Hieronymusdarstellungen vgl. Scailliérez 1992, zur gegenständlichen Miniatur bes. S. 28, Abb.16.

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Rahmen entlang fließenden Bach aus dem Bild hinaus führt. Links beschreibt der Wasserlauf eine Kurve in den Raum hinein, entschwindet aber alsbald unter jenem Felsen, der links hinter Hieronymus in mehreren Ebenen kontinuierlich empor wächst und dabei von einem hin und wieder sichtbaren Weg durchzogen wird. Die graduell immer kleineren Bäume auf den einzelnen Erhebungen zeigen dabei die Tiefenerstreckung dieser Zone an. Der Ausblick in eine weite Landschaft ist allerdings dem rechten Bildteil vorbehalten, wo hinter dem Felsen eine Ebene mit sanften Hügeln sichtbar wird, die in der Ferne durch ein offenbar mächtiges Bergmassiv in großer Distanz abgeschlossen wird. Hieronymus ist eine eindrucksvolle Figur, deren ausgefallener, hagerer Gesichtstyp eine gewisse Ähnlichkeit mit Jakobus erkennen läßt. Auch ist seine räumliche Schräg-, beinahe Profilstellung nicht nur formal glaubhaft gelöst, sondern auch durch konsequente Modellierung des Figurenzylinders veranschaulicht. Der Heilige ist auf allen vier Seiten von Landschaftselementen umschlossen, und zudem impliziert der Weg links, der sich über die Felsen bis in den rechten Vordergrund fortzusetzen und dort gleich in zwei Richtungen (zwischen den Bäumen hindurch und über die Brücke vorne) aus dem Bild zu führen scheint, eine Durchschweifbarkeit des Raumes, wie sie auch in der Vinzenz- und der Jakobusminiatur von MAA Ms. 13 als ein Hauptanliegen des Jakobsmeisters erkannt wurde. Dennoch erweist sich die Figur des büßenden Kirchenvaters im Vergleich zu jenen des Diakons (Abb. 178) und des Apostels (Abb. 177) als weit weniger voluminös – was freilich an der anderen Pose und Kleidung liegen könnte – und zudem auf eine etwas winkelige Weise in die Fläche projiziert (die Beine sind nahezu im Profil, der Oberkörper fast frontal gegeben. Auch die Form und Oberfläche des an sich konsequent modellierten Felsens wirken schärfer und zugleich flächenhafter konzipiert als die mächtige Erhebung auf fol. 104v. All dies läßt sich vielleicht auch mit motivischen Unterschieden erklären. Wirklich irritierend ist die Allee rechts, die einerseits einen kontinuierlichen, in seiner Steilheit auch höchst rasanten Tiefenzug von vorne weg einleitet, zugleich aber den Ausblick bis zu einem gewissen Grad verstellt, so daß der Eindruck eines weiten, freien und allumfassenden Raumes sich hier nicht in demselben Ausmaß einstellen kann wie in den anderen beiden Bildern – auch deshalb nicht, weil Hieronymus allseitig von Objekten umgeben ist, die seine Aktionsfreiheit zumindest optisch zu behindern scheinen, wie die beiden hinter, in der Bildfläche jedoch neben ihm aufragenden Bäume oder der bis knapp an seinen Hinterkopf herangeführte Umriß des Felsens beweisen. Insgesamt ist die Hieronymusminiatur zweifellos ein Bild von hoher Qualität, das sich nicht ohne weiteres einem der anderen in MAA Ms. 13 tätigen Illuminatoren zuschreiben läßt. Daß es deshalb nicht gleich vom Jakobsmeister sein muß, zeigt die Darstellung der Zusammenkunft alttestamentarischer Propheten, die die Ankunft des Messias erflehen, auf fol. 13v (Abb. 188). Die Kernminiatur der Versammlung ist von einer szenischen Bordüre mit dem Einzug Christi in Jerusalem umgeben. Anders als auf fol. 106v, wo die Episoden aus dem Leben und Nachleben des heiligen Vinzenz im Randleistenbereich von einem schwächeren Gehilfen gemacht wurden, erweisen sich die Marginalszenen auf fol. 13v der Darstellung in der Kernminiatur ebenbürtig – nicht nur thematisch als gleichsam typologisch zu interpre-

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tierende Partner, sondern auch stilistisch und bezüglich der Ausführung. In einem Punkt verleihen sie der Kernminiatur sogar eine Qualität, die diese ohne sie nicht hätte. Die Schar der Propheten nimmt die gesamte untere Hälfte des zentralen Bildes ein. Obwohl sie in mehreren Reihen hinterei­nan­ der stehen, wirken sie letztlich bildparallel angeordnet – vielleicht, weil sich die Gruppe über die gesamte Bildbreite erstreckt, vielleicht, weil die Anordnung der wenigen zur Gänze sichtbaren Protagonisten auf einer Ebene erfolgte. Dabei versuchte der Künstler, durch unterschiedliche Raumrichtungen der einzelnen Akteure das Gefüge aufzulockern und zudem, durch Schrägstellung der links und rechts emporragenden Felsen eine entsprechend räumliche Gruppierung der Personen davor zu suggerieren. Der Erfolg auch dieser Bemühungen ist mäßig, die Abb. 188: Prophetenversammlung, Einzug beiden Felsen betonen die Symmetrie und Christi in Jerusalem; Lissabon, Museu Nacional damit einen flächendekorativen Aspekt des de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch, fol. 13v. Bildgefüges, woran auch nichts ändert, daß die rechte Erhebung zwei weitere Gruppen von Propheten trägt, die räumlich versetzt in einiger Entfernung voneinander und weit von der vorderen Ansammlung weg auf dem Plateau angeordnet sind. Ähnlich ergeht es dem Maler mit dem Versuch, das Volumen der Figuren zu forcieren  : Der rechts vorne stehende Prophet hat beide Arme vom Körper weg gestreckt und dabei unter seinem Mantel verborgen, so daß dieser in einer weiten Glockenform herabfällt. Einigermaßen unvermittelt ragen darunter zwei dünne, dicht nebeneinander gestellte Beine hervor, die den Gesamteindruck der Figur ebenso stören wie mit der Schrägstellung des Oberkörpers kollidieren. Mit der harmonischen Konzeption des Jakobus hat ein solcher Entwurf wenig zu tun. Daß dies kein Zufall ist, beweist auch der auf fol. 13v ganz am linken Bildrand plazierte Mann, der ein modernes Kostüm mit bauschigen Ärmeln und einem kurzen, dicht gefältelten, mit einer Pelzverbrämung ausgestatteten Rock trägt, was zusammen mit seiner Schrägstellung eine beachtliche raumverdrängende Qualität suggeriert. Dabei hat er jedoch spindeldürre, in spitze Schuhe gesteckte und ganz an den linken Bildrand gerückte Beine, wobei das rechte das linke verdeckt. Diese unglückliche Konstellation bewirkt, daß die Figur nach vorne zu kippen droht, was durch den dünnen Stab, der ihr als zusätzliche Stütze dient, nicht aufgewogen werden kann. Die Beobachtungen ließen sich beliebig fortsetzen, etwa an der Figur ganz rechts hinter dem zuerst beschriebenen Propheten und etlichen anderen. Hier genügt festzustellen, daß

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trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Figurentypik, der Malweise und den zumindest bewußten künstlerischen Intentionen große Unterschiede zwischen dieser und den Miniaturen auf fol. 104v und 106v bestehen. Dies zeigt auch die Gestaltung der Felsen auf fol. 13v an, die wesentlich spröder, kleinteiliger und letztlich auch flächenhafter wirken als der Berg im Jakobusbild. Diese Gesteinsformationen erinnern an jene im Breviarium Grimani, etwa in der Darstellung der Erhöhung der Ehernen Schlange auf fol. 139r (Abb. 152), und tatsächlich scheinen auch die Figurentypen dort mit jenen auf fol. 13v von MAA Ms. 13 übereinzustimmen. Zwar ist ihre Umsetzung im Grimani-Brevier ohne die im Lissabonner Stundenbuch offensichtlichen Diskrepanzen gelungen, was allerdings auch auf die Tatsache zurückzuführen sein könnte, daß in Marciana Ms. lat. I. 99 die Figuren um einiges kleiner sind als in der fraglichen Miniatur in MAA Ms. 13. Auch die Kreuzigung auf fol. 138v des Breviers zeigt sowohl in einigen Physiognomien (etwa in jener des Mannes mit dem roten Turban rechts unterhalb des Kreuzes Christi, der ähnlich teigige Züge aufweist wie der Prophet im linken Vordergrund des Lissabonner Bildes) als auch in der Gestaltung des Hintergrundes Ähnlichkeiten mit der Lösung in Lissabon. Dazu gehört die letztlich flächenhafte Gruppierung aller Figuren vor einen ebenfalls primär flächenhaft wirkenden Hintergrund, wobei diese Qualität des letzteren mit der bruchstückhaften Sichtbarkeit der dort befindlichen Elemente ebenso zusammenhängt wie mit ihrem vergleichsweise geringen Volumen – wenn dieses auch in der Kreuzigung noch weit mehr reduziert ist als in der Lissabonner Miniatur, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß die Brevier-Darstellung Nacht zu suggerieren versucht. Von allen Miniaturen im Lissabonner Stundenbuch ist jene auf fol. 13v die einzige, die vorbehaltlos jenem Illuminator gegeben werden kann, der im Breviarium Grimani tätig war. Selbst bei den Kalenderminiaturen in MAA Ms. 13 stellen sich diesbezüglich Bedenken ein, nun um somehr deshalb, weil sie auch im Vergleich zur Prophetendarstellung auf fol. 13v ein weit größeres Interesse an der Suggestion von Raum erkennen lassen. Allerdings präsentiert sich die Darstellung auf fol. 13v ein wenig anders, wenn man die Randleistenszenen in die Überlegungen mit einbezieht. Diese zeigen den Versuch, die Kernminiatur in einem Bogen nicht nur auf der Bildfläche (wie es dem Wesen der Bordüre entspricht), sondern auch im Raum zu umschreiben. Im breiten Streifen links ist das Stadttor zu sehen, durch das Christus soeben geritten ist. Die relative Größe des Heilands, seines Reittiers und seiner Jünger im Vergleich zur Architektur und den sie bevölkernden Figuren dahinter rückt letztere in die Bildtiefe. Im bas de page legen zwei Männer ein Tuch auf den Boden, und zwar so, daß die Kurve offensichtlich wird, die Jesus und die Seinen beschreiben werden. Das gleiche Motiv wiederholt sich, wenn auch teils von der Kernminiatur verdeckt, beim Übergang zum rechten Bordürenstreifen, wo jene Gasse, flankiert von hohen Häusern, sichtbar wird, die entlang Christus bis zu dem wohl durch den Turm rechts hinten angezeigten Tempel ziehen wird. Diese beachtliche Verräumlichung des Randleistenbereichs bleibt nicht ohne Wirkung auf die Kernminiatur, die von der in der Marginalzone gezeigten Konstellation gleichsam in einem Bogen nach vorne zu umschrieben wird, womit in Analogie dazu die Felsen hinten ebenfalls räumlicher gelesen und somit die Propheten doch noch zu einer kreisförmigen Gruppierung zusammengeschlossen werden. Doch wirkt die Bordürenzone nicht von

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derselben Hand gemalt wie die Kernminiatur, sondern von einem (im Gegensatz zu jenen auf fol. 104v und 106v sehr qualitätvollen) Gehilfen. Ob dieser die Kernminiatur bezüglich ihres räumlichen Konzepts für korrekturbedürftig hielt oder einfach seine eigene Auffassung einbrachte, ohne sich der Wirkung auf das eingeschriebene Bild bewußt zu werden, muß offen bleiben. Bedenkt man die vermutliche Reihenfolge der Ausführung (bei der die Hauptminiatur, um sie nicht nachträglich zu beschädigen, wohl am Schluß eingefügt wurde), so ist zweiteres wahrscheinlicher als ersteres. Das Lissabonner Stundenbuch MAA Ms. 13 erweist sich also als sehr wichtiges Zeugnis für den Fortbestand und die Zusammensetzung der Jakobsmeister-Werkstatt nach der Illuminierung des Grimani-Breviers. Abb. 189: Heiliger Andreas; London, British Zugleich dient es der Erhärtung der VermuLibrary, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, tung, daß die unserem Künstler zugeschrie- fol. 189v. benen Miniaturen im Brevier nicht von ihm selbst, sondern von einem ihm nahestehenden und überaus qualitätvollen Maler stammen, zumal beide Meister an der Lissabonner Handschrift arbeiteten, wobei das Gros der Miniaturen aber von anderen Mitarbeitern ausgeführt wurde. Schließlich beweist MAA Ms. 13 auch, daß die flämischen Miniaturen der Sforza-Hours weder vom Jakobsmeister noch von dem im Grimani-Brevier tätigen Künstler stammen können  : Gleich, ob man der späten Datierung des Lissabonner Stundenbuchs durch die Literatur Glauben schenkt oder ob man dem visuellen Befund folgt und die Handschrift gegen 1520, also gleichzeitig mit den Sforza-Hours entstanden glaubt, in keinem Fall läßt sich die Zuschreibung der Sforza-Miniaturen an die in MAA Ms. 13 greifbaren Künstler in irgendeiner Form plausibel argumentieren. Ein einziger Bildvergleich mag dies unterstreichen. Auf fol. 189v von Add. 34294 befindet sich die Darstellung der Kreuzigung des Apostels Andreas (Abb. 189). Obwohl ehedem (von George Frederic Warner) einem anderen Meister als die beiden hier bislang analysierten Miniaturen dieses Stundenbuchs zugeschrieben 354, wurde sie zuletzt Horenbout selbst 354 Warner 1894, S. xli-xliii. Die Andreaskreuzigung schien Warner innerhalb der vier von ihm geschiedenen Miniaturengruppen isoliert  ; er wies dem für sie verantwortlichen Künstler keine weitere Miniatur innerhalb der Sforza-Hours zu.

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zugewiesen355. Wie dem auch sei, zweifellos vertritt die Andreasminiatur exemplarisch jene Gestaltungsprinzipien, die alle flämischen Miniaturen von Add. 34294 von jenen in MAA Ms. 13 absetzen. Dies sind neben offensichtlichen Aspekten wie einem nicht zu vereinbarenden Formenrepertoire (bestehend aus Figurentypik, Landschafts- und Architekturelementen) auch die andere Art des Bild- und Raumaufbaus und die abweichende Erzählweise. Stellt man dem Andreasmartyrium auf fol. 189v von Add. 34294 die Prophetenversammlung auf fol. 13v von MAA Ms. 13 (Abb. 188) gegenüber, so sind die Unterschiede dermaßen offensichtlich, daß die Gemeinsamkeiten, die diesen Vergleich überhaupt erst ermöglichen, darüber fast übersehen werden. Dabei ist das Prinzip der auf eine Mitte hin orientierten, erregt gestikulierenden Figurenansammlung in beiden Miniaturen gegeben, freilich in der Londoner durch die Wiedergabe des gekreuzigten Apostels in der linken Bildhälfte entsprechend aufgebrochen. Auch die Tatsache, daß beide Szenen in freier Natur spielen, konfrontiert fast nur mit Unterschieden. Und doch wird in beiden Miniaturen entlang der Mittelachse ein Vorstoß in die Tiefe geboten, freilich auf geradezu gegensätzliche Art. Am sinnvollsten will es daher scheinen, die beiden rechten Bildhälften miteinander zu vergleichen, da dort noch am ehesten eine gemeinsame Basis zu finden ist, von der weg die jeweiligen Eigenheiten der beiden Bilder sich aufzeigen lassen. In beiden Fällen wird die rechte Bildhälfte von einer dichten Wand an Figuren im unteren Teil verstellt. Und beide Male ist darüber, i. e. dahinter, ein jeweiliges Submotiv der Erzählung eingebaut. Allerdings sind damit die Gemeinsamkeiten zu Ende. Die Akteure in der Londoner Miniatur sind durch einen Wiesenstreifen vom unteren Bildrand ab- und damit in den Raum hinein gerückt und zudem auch eindeutig nachvollziehbar in den Raum hineingruppiert, wie sowohl die Anordnung der nach rechts hinten gestaffelten Köpfe als auch der versetzt plazierten Beine verrät. Ebenso, ja mehr noch als dem Illuminator in Lissabon, war dem Maler der Londoner Miniatur an der Suggestion des Figurenvolumens durch Schrägstellung der in ausladende Gewänder gekleideten Akteure gelegen. Dabei gelingt dies durch die verständigere Ponderation in den Sforza-Hours um vieles besser  : Die gespreizten Beine des blau gekleideten Anführers rechts passen ebenso zu seiner ausladenden Gebärde wie die kleine Schrittstellung des Soldaten am rechten Bildrand zu seiner verhaltenen Geste. Dieses weit bessere Verständnis menschlicher Physis und Motorik kann – neben den abweichenden Physiognomien und der differenzierteren Behandlung anatomischer Details im Londoner Bild – als der größte Unterschied in der Figurenauffassung gegenüber der Lissabonner Miniatur bezeichnet werden. Hinzu kommt ihre souveräne Einbettung in einen Raum, dessen Tiefe durch Raumvektoren ebenso wie durch die detaillierte Ausführung eines weiten Hintergrundes ungleich überzeugender suggeriert wird als in MAA Ms. 13. Umgekehrt erweisen sich die Propheten auf fol. 13v in ihrer Mimik und Gestik subtiler differenziert – manierierte Gebärden wie die der beiden rechts vorne abgebildeten Bösewichte in den Sforza-Hours kommen ebenso wenig vor wie die zwar expressiven, aber stereotyp sich wiederholenden Mienen der Anwesenden ebenda. Der lebhafte Disput 355 London – Los Angeles 2003, S. 431.

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und die Besorgnis der Propheten über das Fernbleiben des Messias sind in der Lissabonner Miniatur eindringlich dargestellt, wobei die natürliche Art der Bewegung zu einer ebenso verständlichen wie einfühlsamen Gebärdensprache führt. Für die beiden dem Jakobsmeister zuschreibbaren Miniaturen im Lissabonner Stundenbuch (Abb. 177, 178) gibt die Andreasminiatur in London ein ebenso schlechtes Vergleichsbeispiel ab wie alle anderen Bilder der Sforza-Hours. Dennoch läßt sich feststellen, daß die Raumauffassung in beiden Fällen eine ganz andere ist  : die Suggestion eines weiten, durch schweifende Bewegung des Auges zu erschließenden Raumes in MAA Ms. 13 steht der gezielte Tiefenzug im Londoner Bild gegenüber, der allerdings an eine letztlich (halb-)kreisförmig organisierte Vordergrundbühne sachte (und nicht etwa abrupt) angefügt ist. Auch die beiden bereits analysierten Marienzyklus-Miniaturen der Sforza-Hours ließen eine ähnliche, auf eine kreisende Erschließung abzielende Raumgestaltung erkennen. Doch erfolgt die Umsetzung der einzelnen Bildelemente so völlig anders als in den Miniaturen auf fol. 104v und 106v des Lissabonner Stundenbuchs, daß die (noch dazu annähernd gleichzeitig anzusetzende) Ausführung der beiden Handschriftenausstattungen (oder auch nur von Teilen davon) durch denselben Künstler schlichtweg ausgeschlossen werden kann. Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen ist rasch zusammengefaßt. M. E. zeigt das Stundenbuch Ms. 13 im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon, daß weder die ihm zugeschriebenen Miniaturen im Grimani-Brevier noch die flämischen Miniaturen in den Sforza-Hours vom Jakobsmeister gemalt wurden. ����������������������������������������� In Marciana Ms. lat. �������������������� I. 99 wird ein hochqualifizierter Mitarbeiter oder (wohl richtiger formuliert) Nachfolger greifbar. Wer in den Sforza-Hours greifbar wird, soll Gegenstand der folgenden Überlegungen sein.

IV

Die Arbeiten in England Die Lydgate-Miniaturen In der British Library befindet sich unter der Signatur Royal Ms. 18 D. II eine Sammelhandschrift diverser profaner Texte356. Ihr Kernstock (die Historia destructionis Troiae des Guido delle Colonne in der Übersetzung von John Lydgate, der Roman de Thèbes, vom selben Autor ins Englische übertragen, und das Testament Lydgates) wurde vermutlich von Sir William Herbert und seiner Gattin, Anne Devereux, als Geschenk für Heinrich VI. oder Edward IV. noch vor 1462 bestellt357. Dabei wurde nur ein Teil des vorgesehenen Miniaturenschmucks ausgeführt  ; weitere Bilder kamen im Laufe des 15. Jahrhunderts dazu. Zwischen 1516 und 1523 erhielt das Manuskript eine Verschronik der Familie Percy (fols. 186–95) beigebunden, sowie mehrere didaktische Texte  ; vermutlich kurz danach – Janet Backhouse zufolge um 1525358, nach Ansicht Thomas Krens um 1530359 – wurde der Rest der bildlichen Ausstattung angefertigt, wobei zwei Miniaturen dieser Kampagne Gerard Horenbout selbst und der Rest der Bilder Mitarbeitern360, darunter auch schon Horenbouts Tochter Susanna361, zugeschrieben wurden. Die beiden mit Horenbout assoziierten Bilder auf fol. 148r (Abb. 190) und auf fol. 161v (Abb. 191) stehen am Beginn und am Ende der letzten Ausstattungskampagne, die mehr als ein Dutzend Miniaturen umfaßt. Deren Qualität schwankt und läßt die Vermutung zu, daß mehrere Hände beteiligt waren. Die Darstellung auf fol. 148r, die John Lydgate in einer Gruppe Pilger beim Verlassen Canterburys zeigt, wurde zuletzt von Thomas Kren mit der Miniatur der Kreuzannagelung in den Sforza-Hours (Add. 34294, fol. 12v, Abb. 192) verglichen, wobei die Zeichnung, Modellierung und Zäumung des jeweils weißen Pferdes und des jeweiligen Esels als besonders ähnlich angeführt, zudem die übereinstimmenden Physiognomien der Akteure konstatiert und zuletzt noch auf die Tatsache verwiesen wurde, daß die bunten Steine in der Lydgate-Miniatur jenen in manchen Darstellungen der Sforza-Hours

356 London – Los Angeles 2003, S. 431 f. (Nr. 130), S. 530 (umfassende Angaben zur Literatur). 357 Scott 1996, Bd. 2, S. 282–284. 358 Backhouse 1997, S. 229. 359 London – Los Angeles 2003, S. 432. 360 Ebenda. 361 Backhouse 1997, S. 229  ; Croft-Murray 1956, S. 123, rückte diese Miniaturen in die Nähe Lambert Barnards, Hofmaler des Bischofs von Chichester.

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Abb. 190: John Lydgate beim Verlassen Canterburys; London, British Library, Royal 18 D II, fol. 148r.

Abb. 191: Erzengel Michael; London, British Library, Royal 18 D II, fol. 161v. Abb. 192: Kreuzannagelung; London, British Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, fol. 12v.

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entsprächen362. Tatsächlich sind diese motivischen Übereinstimmungen frappant. Die weißen Pferde, ein Typus mit großen Ramsnasen, die mit den edlen Keilköpfen der vom Jakobsmeister üblicherweise favorisierten Rasse wenig gemeinsam haben, entsprechen einander formal wie im Habitus  ; nur scheint der Schimmel in Royal 18 D. II mit einer stärkeren Helldunkelspanne und auch markanter (mit einer deutlich abgesetzten Backenpartie) modelliert. Auch manche Männergesichter erweisen sich als äußerst ähnlich in ihrer teigigen, eine schlaffe, fettunterlegte Haut suggerierenden Struktur. Allerdings haben die Figuren in der Lydgate-Miniatur jene runden, auf das Formenrepertoire der Jakobsmeister-Werkstatt rekurrierenden Augenpartien, die schon im Grimani-Brevier durch einen anderen Schnitt ersetzt wurden Abb. 193: Flucht nach Ägypten; London, British und die auch auf fol. 12v der Sforza-Hours Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, nicht vorkommen, zumindest nicht in der fol. 111r. Kreuzannagelungsszene  ; die beiden Putten darüber verfügen sehr wohl über (ihrem Kindchenschema adäquate) Kulleraugen. Als weitere Gemeinsamkeit zwischen der Lydgate- und der Sforza-Miniatur wäre schließlich die echauffierte Gebärdensprache, die mit zum Sprechen offenen Mündern einhergeht, zu nennen. Vor allem letzteres ist seltener in der Buchmalerei dieser Zeit (und der des Jakobsmeisters), als man gemeinhin zu glauben geneigt ist. Bezüglich des Bildaufbaus erscheint es allerdings nicht sinnvoll, die Darstellung auf fol. 148r von Royal 18 D. II mit jener auf fol. 12v von Add. 34294 zu vergleichen, zumal die in einer frühen Tafel Gerard Davids in der National Gallery, London363, bzw. beim Meister der Maria von Burgund (auf fol. 43v von Cod. Vind. 1857364) vorgebildete Komposition der Sforza-Hours nur Unterschiede zu jener in der Lydgate-Miniatur offenbaren würde. Aus naheliegenden Gründen fordern eher die Darstellungen der Flucht nach Ägypten auf fol. 111r (Abb. 193) und des Einzugs in Jerusalem auf fol. 136v in Add. 34294 (Abb. 194) den Vergleich mit fol. 148r in Royal 18 D. II heraus. Da nur zweitere Sforza-Miniatur von Warner jenem Illuminator gegeben wurde, der s. E. auch die Kreuzannagelung derselben Handschrift

362 London – Los Angeles 2003, S. 432. 363 Campbell 1998, S. 158–163, Abb. S. 159. 364 Farbabb. Wien 1987, Abb. 7.

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gemalt hat365 (eine veraltete, m. E. aber nicht ganz zu übergehende Forschungsmeinung), soll mit der Gegenüberstellung des Einzugs in Jerusalem mit der Lydgate-Miniatur begonnen werden. Auf fol. 148r von Royal 18 D. II (Abb. 190) zieht bildparallel ein Schar Berittener im Vordergrund von links nach rechts. Der Weg, den sie beschreiten, krümmt sich ein wenig, so daß rechts ein Abschwenken in die Bildtiefe suggeriert wird, ohne gezeigt zu sein. Immerhin taucht rechts oben, knapp vor dem Stadttor, noch ein Stück des Pfades auf und legt eine räumliche Kontinuität zwischen Vorder- und Mittelgrund nahe, die sonst an keinerlei Elementen abzulesen ist. Dies gilt allerdings nicht für den Mittelgrund selbst und seine Verbindung mit dem Hintergrund, die durch den weitAbb. 194: Einzug Christi in Jerusalem; läufigen Stadtprospekt des innerhalb seiner London, British Library, Add. Ms. 34294, Sforza- Mauern nur zum Teil verbauten Canterbury, Stundenbuch, fol. 136v. das sich von rechts nach links in einer sanften Schräge in die Tiefe erstreckt, und durch den nur ganz links von hohen Kirchengebäuden verdeckten, dahinter aber in hintereinander gestaffelten Zonen aufgebauten Fernblick bis in die Bildtiefe hinein klar nachvollziehbar erfolgt. Obwohl auf die dort sonst üblichen schroffen Gebirgsketten verzichtet wurde, ließ der Illuminator es sich doch nicht nehmen, den „rolling hills of England“ wenigstens ein paar der ihm vertrauten zackigen Felsen aufzusetzen, was den offenbar intendierten Realismus der Darstellung ein wenig beeinträchtigt. Im Gegensatz zur spektakulären Hintergrundgestaltung, in der Weite und Tiefe gleichermaßen in ein Landschaftspanorama mit erstaunlich realistischen Zügen eingewoben werden, bleibt der Vordergrund trotz einer beträchtlichen Tiefenerstreckung bildparallel organisiert. Dafür ist seine Abgrenzung vom Mittelgrund durch im wesentlichen frontal rezipierbare Architekturen links und einen bis zum Stadttor rechts durchgehenden Bretterzaun verantwortlich, aber auch der großfigurige Reiterzug im unmittelbaren Vordergrund, der durch die expressiven Bewegungen des im reinen Profil gegebenen Schimmelreiters in der Vorhut eine 365 Warner 1894, S. xli ff., schrieb die Darstellung auf fol. 136v einem Künstler zu, von dem er auch die Kreuzannagelung auf fol. 12v und die Erweckung des Lazarus auf fol. 257v gemalt glaubte. Die Miniaturen des Marienzyklus sah er als Einheit und fügte ihnen noch die Markusminiatur auf fol. 10v und die Davidminiatur auf fol. 212v hinzu.

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strenge Linksausrichtung erhält. Daran ändert wenig, daß der auf einem Maultier reitende, von zwei Gefährten flankierte Lydgate im Dreiviertelprofil und die gesamte Dreiergruppe räumlich schräg gestellt erscheint – was im Fall des blau gekleideten Jünglings an des Dichters Seite, der auf einem streng bildparallel ausgerichteten Pferd sitzt, dadurch bewerkstelligt wird, daß der Junker sich zu einer unsichtbaren Person oder Sache nach rechts umwendet. Allerdings legt sowohl seine Ausrichtung (eigentlich nach rechts aus dem Bild heraus) sowie die strenge Profilstellung des Reiters hinter ihm am rechten Bildrand eine bildparallele Bewegung von rechts her nahe, die einen gewissen Kontrast zu dem rechts hinten befindlichen Stadttor und der damit suggerierten Wegstrecke abgibt. Die Darstellung des Einzugs in Jerusalem auf fol. 136v der Sforza-Hours (Abb. 194) zeigt Christus ebenfalls bildparallel, hier allerdings von links nach rechts, auf einer Eselin einher­ reitend, die mit gebührender Vorsicht und eleganten Bewegungen auf jenes rote Tuch tritt, das zwei Figuren in der rechten unteren Bildecke zu eben jenem Zweck bereitgestellt haben  ; einer der beiden Männer hält den Stoff noch in Händen und empfängt den Segen des Heilands mit andächtiger Miene. An dieser Stelle bricht der Weg um und führt beinahe senkrecht auf das Stadttor im Mittelgrund zu und hindurch in eine von weiteren Personen flankierte Gasse. Auch links des Stadttors sind noch einige Gebäude und ein Sakralbau innerhalb der Mauern zu erkennen. Allerdings nimmt der Hügel, der mit seinen schlanken Bäumen den gesamten linken oberen Bildteil einnimmt, die weitere Sicht auf Jerusalem. Immerhin ist er weit genug in den Vordergrund gerückt, um noch einer dicht gedrängten Menschengruppe zwischen seinem hinteren Abhang und dem Stadttor Platz zu bieten. Durch diesen Kunstgriff werden nicht nur alle Distanzen im Bild klar nachvollziehbar, sondern der Vordergrund zugleich durch einen kontinuierlichen Raumvektor mit dem Mittel- (und Hinter-)grund verbunden. Aber auch links gibt sich der Künstler nicht mit der bloßen bildparallelen Ausrichtung der Figuren zufrieden. Die in strenger Isokephalie gestaffelte Apostelgruppe bildet zwar einen waagrechten Streifen, der durch die (auf gleicher Höhe wie die Apostelfüße befindliche) den Weg nach hinten zu abgrenzende Felsformation rechts seine Fortsetzung erfährt. Dennoch gibt sich der Zug der Jünger Christi bei genauerer Betrachtung als räumlich nach links hinten zu gestaffelt zu erkennen. Und mehr als das. Ganz am linken Bildrand, schon hinter der auf dieser Seite sanft abfallenden Bergkuppe, werden zwei kleine Köpfe sichtbar, die entweder noch zur dann beträchtlichen Schar der Jünger Jesu gehören oder aber zwei nachträglich herbeieilende Schaulustige meinen. In jedem Fall wird damit, in Kombination mit einigen links oben ganz am Bildrand in die Tiefe gestaffelten Baumkronen und der dort sanften Rundung des Hügels, ein Weg- und somit Raumkontinuum auch in diesem scheinbar ganz flächenhaft angelegten Bildbereich angedeutet. Was sich also auf den ersten Blick als ein ähnliches Konzept wie in der Lydgate-Miniatur präsentierte, entpuppt sich als eine intentional weit räumlichere Komposition, wobei zwar oberflächlich betrachtet ein bildparalleler Vordergrund mit einem Tiefensog rechts kombiniert erscheint, de facto aber durch den beiderseits, ja allseitig von Bildmotiven umgebenen Felsen links eine zentralräumliche Auffassung nicht zu leugnen ist. Im Lydgate-Bild

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wird demgegenüber ein bildparalleler (wenn auch durchaus tiefer, aber nicht konsequent verräumlichter) Vordergrund mit einem souverän in seiner Tiefen- wie Breitenerstreckung nachvollziehbaren Hintergrund kombiniert – und zwar optisch so, daß die beiden Zonen nicht gegeneinander gesetzt, sondern inhaltlich wie auch kompositionell miteinander verbunden erscheinen. Die Integration der Figuren in die Landschaft gelingt daher dennoch weit überzeugender als in der (durch die beiden frontalen Barrieren des Hügels und des Stadttors insgesamt doch flächendekorativ angelegten) Miniatur des Einzugs in Jerusalem, nicht zuletzt deshalb, weil dort jeglicher Fernblick (abgesehen von der nur ganz schwach sichtbaren und zudem auch nicht in weite Ferne gerückten Stadtsilhouette links des Stadttors) entfällt. Zudem ist die Qualität der Weite etwas, das in der Lydgate-Miniatur Vorder- und Hintergrund gleichermaßen er- und somit zusammenfaßt  ; wenn auch der Bildaufbau in den Sforza-Hours stärker auf eine räumliche Wirkung abzielt, so ist es doch die Lydgate-Miniatur, in der die alten Vokabeln wie der Felsen oder der in die Tiefe fluchtende Weg weggelassen sind und somit ein viel überzeugenderes Raumkontinuum suggeriert wird. Natürlich könnte die letztlich auf die Betonung des Vordergrundes angelegte, durch eine entsprechende Buntfarbigkeit darin noch unterstützte Komposition auf fol. 136v von Add. 34294 auch auf das Thema zurückzuführen sein, bei dem ein Abschweifen in den Hintergrund nicht erwünscht war. Es ist daher aufschlußreich, auch die Darstellung der Flucht nach Ägypten auf fol. 111r der Sforza-Hours (Abb. 193) in den Vergleich mit einzubeziehen, für die diese Prämisse weit weniger gilt. Auch dort bewegt sich die Heilige Familie bildparallel von links nach rechts auf einem Pfad, der am rechten Bildrand umbricht und durch ein kurzes, fast senkrecht verlaufendes Stück Hohlweg in eine Landschaft mündet. Deren Tiefe trachtet der Künstler durch verschiedene bildparallel aneinandergefügte Vegetationszonen ebenso zu veranschaulichen wie durch kurze, vor allem in den hinteren Terrainabschnitten wirksam eingesetzte Raumvektoren in Form von Alleen, aber auch von winzig klein gegebenen, in einer schrägen Linie eine Ebene durchquerenden Verfolgern. Eine Vorhut derselben ist auf der Spitze des den linken Bildteil dominierenden Felsens, der hier seinerseits eine erstaunliche Tiefenerstreckung aufweist, eingelangt und berät sich mit den Schnittern des bereits reifen Getreides, das doch erst gesät wurde, als die Heilige Familie vorbeizog, worüber einer der Bauern einem Soldaten soeben Auskunft zu geben scheint. Auf dem noch zu dieser Bergformation gehörenden Abhang im Vordergrund, unmittelbar über der Heiligen Familie, stürzen zwei Götzenstatuen von einer Säule und würdigen so die Anwesenheit des wahren Gottes, dessen vermeintliche kindliche Hilflosigkeit durch das Windelpaket, in das er verschnürt ist, besonders rührend zum Ausdruck kommt. Zweifellos ist Warner zu verstehen, der die Miniaturen auf fol. 111r und 136v der SforzaHours zwei verschiedenen Künstlern zuschreiben wollte366. Die Unterschiede zwischen den beiden Bildern sind tatsächlich größer als die meisten jener, die sich in den vom Jakobsmeister und seinen Mitarbeitern ausgeführten Ausstattungsprogrammen älterer Handschriften geltend machen lassen. Noch dazu sind sie teils motivischer Natur  : Die beiden Esel haben zwar 366 Ebenda.

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eine ähnlich steile Krupp (die im Repertoire des Jakobsmeisters stets weit mehr abgerundet wurde), gleichen einander aber sonst nicht besonders. Und weit mehr noch gilt dies für die Gestaltung der Landschaftselemente, besonders der Felsen, die in der Fluchtminiatur kleinteilig und geradezu fahrig gemalt erscheinen, während sie in der Darstellung des Einzugs in Jerusalem formal dem nahekommen, was in der Werkstatt des Jakobsmeisters für Jahrzehnte zum Standardrepertoire gehörte. Auch die Fauna unterscheidet sich in den beiden SforzaMiniaturen, wobei einmal mehr jene auf fol. 136v dem üblichen Formenschatz des Jakobsmeister-Kreises eher entspricht. Und schließlich ist selbst die Modellierung der ansonsten nur schwer miteinander vergleichbaren Figuren unterschiedlich. Das Blau des Madonnenmantels auf fol. 111r wurde mit feinen Übergängen von dunkel nach hell modelliert, was so in der Darstellung des Einzugs auf fol. 136v nicht anzutreffen, jedoch keine Frage der zu modulierenden Farbe ist, zumal Petrus dort ebenfalls ein blaues Untergewand trägt, dessen Falten aber ausschließlich durch die Schattfarbe angegeben sind  ; das Gleiche gilt für die blauen Kleidungsstücke der Christus empfangenden Personen rechts vorne und rechts hinten. Umso überraschender ist nun aber, daß die Divergenzen in den Gestaltungsprinzipien der beiden Sforza-Miniaturen nur gradueller, nicht grundsätzlicher Natur erscheinen. Die Übereinstimmungen beginnen damit, daß der Bildaufbau beide Male das gleiche Vokabular und zudem die gleiche Syntax aufweist. In beiden Fällen wird links eine formatfüllende Erhebung eingeführt, die dem Hauptmotiv als Folie dient, und rechts ein steiler Vorstoß in die Tiefe geboten. Zudem ist in beiden Bildern (wenn auch unterschiedlich nachdrücklich) versucht worden, die Herkunft des im Vordergrund waagrecht verlaufenden Weges aus dem linken Hintergrund zu suggerieren. Obwohl die Flucht all dies mit viel mehr Nachdruck vor Augen führt, zumal die konsequente Verräumlichung schon im Vordergrund dadurch beginnt, daß man den Knick im Weg und seinen Vorstoß in die Tiefe unverstellt zu sehen bekommt (was selbstverständlich nicht daran liegt, daß hier weitere Figuren fehlen, sondern schlicht eine Frage der Auffassung ist  ; die früheren Lösungen des Jakobsmeisters zu diesem Thema mögen dies beweisen), fehlen auch in dieser Miniatur die verflächigenden Elemente nicht. So ragt der dünne, aber sich effektvoll gabelnde Baum am rechten Abhang des Hügels wohl nicht zufällig an eben jener Stelle empor, wo er nicht nur den Blick in die Ferne wirkungsvoll abfängt, sondern zugleich eine vertikale Barriere in der Komposition bildet, die der hastigen Bewegung der Heiligen Familie davor zumindest optisch Einhalt gebietet  ; eine ähnliche Funktion erfüllt ja auch jener Baum auf fol. 136v von Add. 34294, auf den ein Jüngling geklettert ist, um (Palm-)Zweige zu brechen. Mit dem unverstellten Landschaftspanorama auf fol. 148r von Royal 18 D. II (Abb. 190) haben beide Lösungen in den Sforza-Hours wenig zu tun, wenn auch jene auf fol. 111v eine gewisse Annäherung an die Lydgate-Miniatur und damit trotz identischen Vokabulars und gleicher Syntax vielleicht doch eine andere künstlerische Auffassung zumindest im Keim enthält als die Darstellung des Einzugs in Jerusalem. Die zweite Horenbout zugeschriebene Miniatur in Royal 18 D. II, jene des Erzengels Michael auf fol. 161v (Abb. 191), wurde von Thomas Kren mit der Hirtenverkündigung auf fol. 91r (Abb. 195) verglichen, wobei er die Ähnlichkeit des Verkündigungs- mit dem Erzengel herausstrich  : das übereinstimmende Weiß des Inkarnats, das ähnliche Blond der Haare

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und die identische Farbigkeit der Flügel. Tatsächlich ist einmal mehr die Ähnlichkeit der Physiognomien in den beiden Miniaturen frappant. Hinzu kommt, daß in beiden Fällen versucht wurde, die plastische Qualität des gesamten Kopfes anzuzeigen, in den Sforza-Hours durch Abdunkelung der Wangenpartie des Engels, in der LydgateHandschrift wesentlich erfolgreicher durch die Breite und formale Gestaltung des Schädels Michaels, durch die Schattenzone entlang seiner zu beiden Seiten emporfliegenden krausen Haare und durch deren verkürzten Ansatz entlang der rechten (im Bild linken) Schläfe. Zudem zeigen die Mitstreiter des Erzengels teils ähnlich abgedunkelte Wangenpartien wie der Engel in der Hirtenverkündigung von Add. 34294, wobei die viel großzügigere und sicherere Schattensetzung in der Lydgate-Miniatur auffällt. Abb. 195: Verkündigung an die Hirten; London, British Library, Add. Ms. 34294, SforzaTrotz geringer Vergleichsmöglichkeiten Stundenbuch, fol. 91r. zwischen den beiden Miniaturen auf Grund der letztlich doch völlig verschiedenen Inhalte fällt auf, daß die eigenartig bildparallele, dabei in einer geradezu manieristischen Drehung präsentierte Michaelsfigur in den beiden in winkeligen Posen auf dem Boden sitzenden Hirten in den Sforza-Hours Vorläufer zu haben scheint. Die kleinteilige Modellierung der Engelsgewänder und ihre Fältelung entsprechen jener in den Sforza-Hours ebenso wie die Farbgebung – so etwa das helle Violett, das der Erzengel ebenso trägt wie der hinterste der drei im Vordergrund befindlichen Schäfer. Insgesamt erscheinen hier die künstlerischen Verbindungen überaus eng, so daß im Falle der Michaelsminiatur tatsächlich naheliegt, sie einem Künstler zuzuschreiben, der in den Sforza-Hours tätig war. Dies ist mehr, als man von der Lydgate-Miniatur auf fol. 148r von Royal 18 D. II behaupten kann. Obwohl die künstlerische Verwandtschaft mit den flämischen Miniaturen der Sforza-Hours besteht, ist sie doch bei weitem nicht so eng wie jene zwischen der Michaelsdarstellung auf fol. 161v und der für Horenbout scheinbar gesicherten Ausstattung von Add. 34294. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, daß es durchaus nicht zwingend erscheint, daß die beiden Bilder auf fol. 148r und 161v von Royal 18 D II (Abb. 190, 191) vom selben Künstler gemalt wurden – im Gegenteil. Zwar erschwert die völlig andere Thematik, die in der Michaelsminiatur nur jugendlich idealisierte Physiognomien, heftige Bewegungen und flatternde Roben in einer Sphäre jenseits von Zeit und Raum, aber über einer stürmischen See mit schwarzen Klippen und drohenden Himmelsphänomenen zeigt,

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den Vergleich mit den in zeitgenössischer Kleidung und einem konkreten Ambiente gemächlich einher reitenden Männern überwiegend mittleren Alters. Ungeachtet dessen ist allein die Tatsache, daß die Michaelsdarstellung so eng, die Lydgate-Miniatur aber nur bedingt an die Sforza-Hours anschließt, ein Grund, bei der Zuschreibung der beiden Bilder an denselben Künstler zu zögern. Dies legt auch die ganz andere Auffassung des Gewandes nahe, das auf fol. 161v dekorativ gefältet, auf fol. 148r hingegen ein wenig schematisch drapiert und modelliert ist. Auch die vergleichsweise zu- Abb. 196: Versöhnungsszene; London, British rückhaltende Farbigkeit ohne das markante Library, Royal 18 D. II, fol. 151r. Lila setzt die Lydgate- von der Michaelsminiatur wie von den Sforza-Hours ab, mit deren Figurentypik – trotz gewisser physiognomischer Ähnlichkeiten – jene auf fol. 148r von Royal 18 D. II ebenfalls nicht ganz in Einklang zu bringen ist. Selbst die von Backhouse Susanna Horenbout zugeschrieben, von Kren jedoch eher aus dem unmittelbaren Umkreis dieses Künstlers ausgeklammerten restlichen elf Darstellungen der letzten Ausstattungskampagne der Lydgate-Handschrift zeigen diesbezüglich mehr Ähnlichkeiten mit den Sforza-Hours. So schließen beispielsweise die Gesichter der beiden Damen in der Versöhnungsszene auf fol. 151r von Royal 18 D. II (Abb. 196) an jenes der jungen Frau hinter dem Altar in der Darbringung auf fol. 104v von Add. 34294 (Abb. 169) und andere weibliche Physiognomien in dieser Handschrift an, wie auch der Habitus und die Gebärdensprache der Akteure von dorther geleitet werden kann. Obwohl insgesamt die Unterschiede zu den Sforza-Lösungen überwiegen, ist eine gewisse Verbindung (die vielleicht auf einer Kenntnis der älteren Miniaturen oder aber einer engen Zusammenarbeit mit dem für sie verantwortlichen Maler beruhte) doch nicht zu leugnen. Auf eine durchaus andere Weise (wobei beinahe von einer künstlerischen Überlegenheit gesprochen werden muß) trifft dies auch auf die Lydgate-Darstellung auf fol. 148r von Royal 18 D. II zu  : Es ist offensichtlich, daß der Künstler die Bildlösungen der Sforza-Hours gekannt oder aber mit deren Illuminator(en) zusammengearbeitet hat. Es erscheint jedoch in keiner Weise zwingend, daß er in Add. 34294 selbst Hand anlegte, im Gegenteil  : Trotz gewisser Ähnlichkeiten mit der Kreuzannagelung auf fol. 12v der Sforza-Hours (die indes darauf beruhen könnten, daß dort nach einem Entwurf des für die Lydgate-Miniatur verantwortlichen Meisters gemalt wurde) halte ich es für in hohem Maße unwahrscheinlich.

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Die Arbeiten in England

Andere Werke Bestätigt wird dies von unerwarteter Seite  : Unter den Privilegien oder Patentbriefen, die Heinrich VIII. von England in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre für diverse Institutionen ausstellte, existieren einige, deren Zierinitialen mit dem Bild des Königs eng an die Miniaturen in Royal 18 D. II anschließen. Einer davon, ein Patentbrief für das Cardinal College, Oxford, vom 5. Mai 1526 (Kew, The Public Record Office, E 24/6/1, Abb. 197) wurde zuletzt Gerard, Lucas oder Susanna Horenbout zugeschrieben367 und zeigt tatsächlich, sowohl in der unruhigen, nahezu kalligraphischen Drapierung der königlichen Robe als auch im Gesicht Heinrichs mit der geraden Nase, der wulstigen Unterlippe oder den Tränensäcken unter den Augen, große Ähnlichkeiten mit der Michaelsminiatur in der Lydgate-Handschrift (Abb. 191). Auch in einigen anderen Patentbriefen wird der König auf ähnliche Weise dargestellt368, desgleichen in einigen Porträtmedaillons, die zuletzt mit gebührender Vorsicht Lucas Horenbout, dem Sohn Gerards, zugeschrieben wurden369. Hier kann nicht auf sie eingegangen werden. Für unsere Argumentation bedeutsam ist, daß ein Patentbrief vom 20. August 1528 für Cardinal College, Ipswich (Abb. 198)370, existiert, der einen abweichenden Herrschertypus (den jugendlichen, aber altertümlich präsentierten König) und zudem eine Formensprache aufweist, die eng mit jener in der Lydgate-Miniatur auf fol. 148r in Royal 18 D. II (Abb. 190) zusammengeht. Da sich für die andere motivische Präsentation des Königs keinerlei äußere Gründe geltend machen lassen, spricht dies allein schon für einen anderen Ausführenden als bei den Patenten, die sich an die Urkunde vom 5. Mai 1526 anschließen lassen. Hinzu kommt, daß die Gestaltungsprinzipien, so schwer sich bei der gleichbleibenden und in gewisser Weise reduzierten Bildvorlage auch immer Aussagen treffen lassen, doch beträchtliche Auffassungsunterschiede zu jenen in den anderen Darstellungen des Königs zeigen, die nach dem (oder nach dem gleichen Vorbild wie der) Patentbrief vom 5. Mai 1526 geformt wurden. M. E. bestätigt dies die Vermutung, daß auch die beiden qualitätvollsten Miniaturen in Royal 18 D. II von zwei Künstlern stammen, auf deren Konto auch je einer der beiden unterschiedlich gestalteten Initiale in den Briefen von 1526 bzw. 1528 gehen. Eine Auseinandersetzung mit den in größerer Zahl vorhandenen Patentbriefen, ja überhaupt mit jener Gruppe offenbar in England entstandener Werke (zu der neben illuminierten Handschriften auch Porträtmedaillons und die künstlerische Ausstattung offizieller Dokumente zählen), die traditionell oder auch in der neuesten Forschung mit Gerard, Lucas und Susanna Horenbout assoziiert werden, wäre m. E. ein Desiderat, dem hier nicht nachgekommen, sondern nur soweit Rechnung getragen werden kann, als sich die Werke als relevant für die in dieser Untersuchung diskutierten Fragen erweisen. Ehe Schlüsse aus den bisher hier 367 London – Los Angeles 2003, 432 f. (Nr. 131), S. 530 (mit Literaturangaben). 368 Vgl. Auerbach 1954, Taf. 13 (Cardinal College, Oxford, 25. Mai 1529  ; Cardinal College, Ips­ wich, 26. Mai 1529) 369 London – Los Angeles 2003, S. 436 ff. (Nr. 133 ff.), S. 530 (Literaturangaben). 370 Auerbach 1954, S. 42, Taf. 10c.

Andere Werke

Abb. 197: König Heinrich VIII. von England; Patentbrief für das Cardinal College, Oxford, 5. Mai 1526

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Abb. 198: König Heinrich VIII. von England; Patentbrief für das Cardinal College, Ipswich, 20. August 1528

gemachten Beobachtungen gezogen werden können, sei noch auf eine künstlerische Arbeit verwiesen, die von Bodo Brinkmann371 Gerard Horenbout zugewiesen wurde. Es handelt sich um eine Obituary Roll des Johns Islip (Islyppe) im Muniment Room & Library der Westminster Abbey, London, die den Tod und das Begräbnis des 1532 verstorbenen Abtes in vier großformatigen Federzeichnungen kommemoriert  ; ferner zeigt eine kleinere Initiale die Krönung Heinrichs VIII. in Westminster 1509 (Abb. 199a–e). Die Darstellungen sind von überraschend hoher Qualität. Zuoberst steht Islip frontal in einem architektonischen Bogen, in dessen Maßwerkauszug drei Engel mit Wappenschildern knien. Der Abt ist von zwei Pflanzen umrankt, deren Blüten mit Schriftbändern als christliche Tugenden ausgewiesen sind  ; Pietas und Charitas hat Islip fest im Gri ff. Darunter, an der Basis des architektonischen Gebildes, sind wiederum drei Wappen haltende Engel zu sehen. Unter diesem Überbau befindet sich eine dreigeschoßige architektonische Struktur, wobei sich in allen drei Stockwerken Einblicke in völlig unterschiedliche und auch in verschiedenen Maßstäben wiedergegebene Interieurs bieten. Zuoberst stirbt Islip im Beisein nicht nur seiner Mönche, sondern auch zahlreicher Heiliger, wobei die Madonna auf einem langen Band zum oben erscheinenden Weltenrichter ihre Fürsprache für den Sterbenden einbringt. Im Register darunter wird, mit einem entsprechenden Maßstabssprung, der Einblick in ein überwältigend detailliert wiedergegebenes Mittelschiff einer Kirche (wohl Westminster Abbey) gewährt, in dem Islips Sarg unter einem prachtvollen Ziborium aufgebahrt und von Pleurants und Trauernden 371 B. Brinkmann, Horenbout, in  : Dictionary of Art, Bd. 14, London 1996, S. 760.

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Die Arbeiten in England

Andere Werke

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Abb. 199a–e: S. 440: (a) John Islip, Abt von Westminster (b) Tod (c) Totenmesse (d) Grab S. 441: (e) Krönung Krönung König Hein­ richs VIII. von England; Obituary Roll des John Islip, London, Westminster Abbey, Muniment Room & Library.

umgeben ist. Noch einen Stock darunter, ebenso kleinformatig und ebenso überwältigend detailliert geschildert, ist Islips Grab in einer Kapelle, die unterhalb einer Empore situiert ist, zu sehen. Das ausgeklügelte ikonographische Programm, das wie im Register darüber über die Bilder in den Bildern durchgespielt wird, umfaßt eine ganze Anzahl dem Verstorbenen zweifellos wohlgesinnter Heiliger in Form von Statuen, aber auch szenische Darstellungen in Form von Wand- und Tafelbildern, wobei das mehrmalige Vorkommen der Kreuzigung dem eigentlichen Bildinhalt, der Thematisierung des Todes, besonders entspricht. Im untersten Register liegt der Gisant (und damit wohl auch der Leichnam) Islips in Richtung auf jene Wand orientiert, auf der über der Empore die Darstellung des Weltgerichts erscheint  ; der Körper des Abtes wartet hier offenbar auf seine Zeit der Auferstehung am Jüngsten Tag. Darunter schließlich, von den vier beschriebenen Szenen in Größe und Maßstab nochmals deutlich abgesetzt, erscheint eine vergleichsweise kleine, aber überaus aufwendig gestaltete Renaissanceinitiale mit einem puppenhausartig geöffneten und daher im ersten Moment altertümlich erscheinenden Kirchenbau, dessen souveräne, detaillierte Ausführung allerdings ebenso modern wirkt wie die Kostüme der darin klein, aber in ihren Handlungen pointiert wiedergegebenen Figuren. Heinrich, ein ebenso jugendlicher Held wie auf dem von ihm ausgestellten Privileg von 1528, wird im Beisein kirchlicher und weltlicher Herren gekrönt, und über dem Dach der Abteikirche erscheint Gott höchstpersönlich im Hofstaat seiner Engel, interessanterweise gar nicht dem Geschehen in der Kirche zugewandt, sondern offenbar auf die höchstpersönliche Vertreibung einiger Dämonen konzentriert, die in der linken oberen Ecke schemenhaft klein, aber unverkenn- und unübersehbar das Weite suchen.

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Die Arbeiten in England

Trotz der überragenden künstlerischen Qualität dieser Zeichnungen kann wohl ausgeschlossen werden, daß es sich hierbei um ein Werk der in Royal 18 D. II tätigen Illuminatoren (oder auch des Jakobsmeisters) handeln könnte. Die Initiale und die beiden unteren Register der Geschichte vom Ableben des John Islip erlauben ein so definitives Statement freilich nur mit Vorbehalt, da die einzelnen Bildelemente so klein wiedergegeben sind, daß sich dazu schwerlich Aussagen treffen lassen. Dennoch legen das souveräne Raumkonzept und die Monumentalität des Architekturprospekts (von der trotz der kleinteiligen Wiedergabe der Einzelformen unbedingt zu sprechen ist) einen Meister nahe, der in größerem Format gearbeitet haben mag  ; jedenfalls ist in keinem der Architekturbilder des Jakobsmeisters sowie der späten Mitarbeitergruppe die Größe und Weite von Bauwerken auch nur ansatzweise ähnlich erfaßt. Freilich zeigt gerade die Lydgate-Miniatur auf fol. 148r von Royal 18 D. II (Abb. 190) einen im Kreis des Jakobsmeisters ungewöhnlich weiten Blick in die Landschaft, aber auch auf die in ihr befindlichen Architekturen. Die oberen beiden Register der Islip-Rolle, die Figuren in größerem Maßstab enthalten, machen jedoch deutlich, daß sie nicht von dem gleichen Maler wie die Lydgate-Miniatur stammen können. Die Unterschiede beginnen mit den völlig anderen (in der Islip-Rolle gelängten) Proportionen der Figuren, die auch ganz unterschiedliche Gesichtsgeometrien aufweisen und zudem andersartige Drapierungsmodi der Gewänder. Zwar gibt es irritierende Details, wie die markante Zeichnung der Hände John Lydgates auf fol. 148r mit den spitz zulaufenden Fingern, die bei Saint Gilles am vorderen Kopfende des Sterbelagers in der Islip-Rolle ein einziges Mal wiederkehrt. In Anbetracht dessen, daß ansonsten aber alles an dieser Figur – angefangen von dem hageren Gesicht über die gelängte Gestalt bis hin zu ihrem generellen Ausdruck – anders als in der Lydgate-Miniatur erscheint, halte ich es für nicht möglich, den gleichen Ausführenden einfach deshalb anzunehmen, weil beiden Bildern eine auf ihre Weise überragende Qualität eigen ist. Vielmehr scheint die Islip-Rolle, wie auch eine Abschrift der Apostelgeschichte und der Apokalypse in Hatfield House (Marquess of Salisbury, Cecil Papers Ms. 324) – die in der jüngsten Literatur Lucas Horenbout zugeschrieben und (weit plausibler als in der älteren Literatur) 1528–30 datiert wird372, jedoch m. E. nicht mit anderen mit dem Namen Horenbout assoziierten Werken in Verbindung gebracht werden kann – die (zumindest temporäre) Anwesenheit hochrangiger Künstler im England Heinrichs VIII. zu belegen. All dies bedürfte eines vertieften Studiums. Freilich ist bei keinem der beiden soeben erwähnten Werke gänzlich auszuschließen, daß sie von einem (oder einer) der Horenbouts, vielleicht sogar von einem (oder einer) der Ausführenden in Royal 18 D. II gemalt wurden. Aber ebenso gut könnte man behaupten, daß sich Caravaggio in Rubens verwandelt hat. Solange nicht zwingende dokumentarische Evidenz dafür vorliegt (die dann freilich ebenso kritisch beleuchtet werden müßte wie die Quellen zu Gerard Horenbout), halte ich solche Annahmen, die auf einer etwas willkürlichen Kombination von Werken hoher Qualität mit namentlich bekannten Künstlern beruhen, für wenig zielführend.

372 London – Los Angeles 2003, S. 434 ff. (Nr. 132), S. 530 (Literaturangaben).

Andere Werke

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Was also zeigen die in England entstandenen Arbeiten, und welche Schlüsse erlauben sie im Hinblick auf die gesamte späte mit dem Jakobsmeister assoziierte Werkgruppe  ? Zum einen wird durch die Miniaturen in Royal 18 D. II offensichtlich, daß der oder die an den SforzaHours beteiligten Illuminatoren tatsächlich nach England gingen, wie man es von Gerard Horenbout, seiner Gattin Margarete und seinen Kindern Lucas und Susanna weiß373. Gerard ist im Oktober 1528 erstmals im Dienst Heinrichs VIII. belegt, im September 1525 noch nicht. Da die Rechnungsbücher für den Zeitraum dazwischen fehlen, könnte er jedoch auch schon im Oktober 1525 eine Anstellung beim König angetreten haben. Lucas empfing bereits ab September dieses Jahres Zahlungen aus der königlichen Schatzkammer. Susanna ist erst 1529, durch die Inschrift auf dem Grabmal ihrer Mutter in Fulham nachweisbar, muß damals aber schon eine Zeit in England gewesen sein, da sie bereits mit John Parker, einem einflußreichen Höfling und Verwalter des Palastes in Westminster, verheiratet war, der wohl nicht über Nacht die soeben eingewanderte Tochter eines flämischen Malers geehelicht haben wird. Somit ist die Identifizierung der Horenbouts als Illuminatoren der Sforza-Hours (und damit auch eines Teils der Ausstattung in Royal 18 D. II) tatsächlich höchst plausibel. Aber welcher Horenbouts  ? Die Dokumente sprechen von Gerard als dem Illuminator der Sforza-Hours  ; doch weisen die flämischen Miniaturen in Add. 34294 unterschiedliche Züge auf, so daß es scheint, als wäre ihre Ausstattung in ähnlicher Teamarbeit erfolgt wie die etlicher dem Jakobsmeister zuschreibbarer Handschriften. Die oben gestellte Frage wird sich m. E. also nur dann beantworten lassen, wenn man sie gemeinsam mit jener behandelt, ob Gerard Horenbout der Jakobsmeister war – wenn man also das Œuvre des Jakobsmeisters in diese Diskussion mit einbezieht.

373 Vgl. Campbell – Foister 1986.

Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout

Die Geschichte des Jakobsmeisters beginnt mehr oder minder synchron mit jener Gerard Horenbouts, der am 27. August 1487 in Gent in die Malergilde eintrat374. Spätestens ab den frühen neunziger Jahren wird auch unser Illuminator durch seine charakteristische Formensprache faßbar. Von Anfang an scheint er mit anderen, ihn imitierenden Malern zusammengearbeitet zu haben, was nahelegt, daß er zu dieser Zeit bereits ein Meister auch im offiziellen Sinne war, dessen Stil für seine Mitarbeiter prägend, vielleicht auch im Sinne eines Werkstattstils verpflichtend war. Außerdem dürfte er schon in den frühen neunziger Jahren spektakuläre Auslandsaufträge bekommen, also eine illustre Klientel und daher wohl einen entsprechenden Ruf gehabt haben  : Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. IV–XVII, XXII), die m. E. früheste erhaltene Handschrift innerhalb der frühen Werkgruppe unseres Künstlers, könnte für einen spanischen Besteller gemacht worden sein375. Für das um 1495 vollendete Brevier Add. Ms. 18851 der British Library (Abb. 9, 10, 12–15, 17, 57, 68, 70, 91, 146), ein Präsent für Isabella von Kastilien, ist dies gesichert376. Auch im für Isabella bestimmten Stundenbuch (The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr., Fund, 1963.256) steuerte der Jakobsmeister – m. E. bald nach der Fertigstellung des Breviers für die spanische Königin, also in den späteren neunziger Jahren – zwei Miniaturen bei (Abb. 58, 59). An der Ausstattung des Breviers der Eleonore von Portugal (New York, The Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52  ; Abb. 60–67, 69, 71, 73, 74, 78, 83) – vielleicht nicht für diese Königin, aber doch wohl für portugiesische Auftraggeber begonnen377 – war der Jakobsmeister Ende der neunziger Jahre ebenso beteiligt wie an jener des Antwerpener Breviers (Museum Mayer van den Bergh, 374 Vgl. Campbell – Foister 1986. Bislang wurden in dieser Untersuchung jene beiden Handschriften aus den Überlegungen ausgeklammert, die von der neueren Forschung dem jungen Jakobsmeister zugeschrieben und durch Eintragungen (unterschiedlicher Art) 1487 bzw. 1489 datiert sind, jedoch beide (wenn auch auf unterschiedliche Weise) höchst problematisch im Œuvre unseres Künstlers erscheinen  ; darauf wird in Form eines Exkurses gleich noch eingegangen. 375 Wien 1987, S. 115. 376 Vgl. hier Kap. III 1 a. 377 Dafür spricht in erster Linie die große Bedeutung, die dem in Lissabon geborenen Antonius von Padua im Illustrationsprogramm zukommt – neben einer ganzseitigen Miniatur des Hostienwunders auf fol. 411v auch die aufwendige szenische Bordüre der gegenüberliegenden Textseite fol. 412v, die vom Jakobsmeister ausgeführt wurde  ; vgl. auch London – Los Angeles 2003, S. 321. Abb. des Hostienwunders bei Smeyers 1998, S. 479, Abb. 93.

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Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout

Inv. Nr. 946  ; Abb. 77, 82, 84, 86–90, 92), für das ebenfalls eine iberische Klientel erwogen wird378. Nur das Hauptwerk unter den heute noch erhaltenen Arbeiten dieser Periode, das wohl um 1500 entstandene Stundenbuch in der Biblioteca Apostolica Vaticana (Abb. 2, 5, 11, 16, 18–54, 100, 134, 141, 147, 171), scheint für einen Besteller aus heimischen oder angrenzenden Regionen gefertigt worden zu sein, wobei einige Heilige im Kalender rheinische Auftraggeber nahelegen379. Horenbout stellte 1498 nachweislich einen Gesellen ein (was nicht heißt, daß er nicht schon vorher etliche beschäftigte), und zwar ausdrücklich als Buchmaler  ; 1502 ist die Aufnahme eines Lehrlings für dasselbe Metier nachweisbar. Obwohl viele andere Vereinbarungen verloren sein könnten oder in schriftlicher Form gar nicht existiert haben müssen, fällt doch auf, daß der Vertrag mit Hannekin van den Dijcke, dem Gesellen, auf vier Jahre geschlossen wurde, und daß Heinric Heinricxzone eben vier Jahre danach seinen Dienst antrat  ; falls dies tatsächlich die einzigen Mitarbeiter Horenbouts in diesem Zeitraum gewesen sein sollten, spricht das nicht eben für eine extensive Produktion als Buchmaler, wie sie die erhaltenen Werke (mit Sicherheit nur ein Bruchteil der ursprünglichen) des Jakobsmeisters zu belegen scheinen. Noch dazu sind jene Arbeiten, die bis 1517 für Horenbout nachzuweisen sind, durchwegs keine Buchmalereien  ; erst im letztgenannten Jahr wird er für ein Stundenbuch im Auftrag Margaretes von Österreich bezahlt. Danach freilich wird sein Konnex mit der Buchproduktion eindeutig belegbar, zumal aus den Rechnungen hervorgeht, daß er eine größere in diesem Bereich profilierte Werkstatt (in der auch seine Söhne beschäftigt waren) unterhalten haben muß, die nicht nur Miniaturen, sondern offenbar auch Abschriften produzierte – und nach wie vor auch alles erdenklich andere, von Tafelbildern über Fensterentwürfe bis hin zu Gobelins oder ähnlichen Wirkarbeiten380. Der Jakobsmeister scheint im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts weiterhin erfolgreich Bücher illuminiert zu haben. Erhalten haben sich die Miniatur auf fol. 24v von Cod. Vind. 1897 (Taf. I), die unserem Künstler seinen Namen gegeben hat und wohl vor Sommer 1503 (als Jakob IV. von Schottland Margaret Tudor heiratete) gemacht wurde (sowie ein zweites, einem relativ selbständigen Mitarbeiter zuschreibbares Vollbild auf fol. 104v  ; Taf. II), die umfangreiche Bilderserie für das vermutlich um oder bald nach 1505 illuminierte RothschildGebetbuch (ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844  ; Abb. 6, 104–117) mit zwei etwas späteren Nachträgen (Abb. 118, 119), einige Miniaturen in einem zwischen Wien (Cod. Vind. 1887  ; Taf. 378 Das Buch könnte jedoch für einen vielleicht italienischen Auftraggeber begonnen worden sein. Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 325. 379 Auf Grund des in Stundenbüchern eher seltenen Davidszyklus, dessen Präsenz in Cod. Vat. Lat. 3770 darauf zurückzuführen sein könnte, daß sich der Auftraggeber mit dem alttestamentarischen Helden identifizierte, erwägt Th. Kren, ebenda, S. 374, den Besteller im Kreise des habsburgischen Hofes in Deutschland  ; die in einigen Szenen dargestellten Wappen sind übermalt, weder die älteren noch die jüngeren konnten bislang identifiziert werden  ; vgl. B. Brinkmann in Köln 1992, S. 287. 380 Zur gesamten Dokumentenlage vgl. Campbell – Foister sowie hier die Einleitung.

Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout

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XX, XXI) und Poitiers (Médiathèque François Mitterrand, Ms. 57/269  ; Abb. 142, 145) aufgeteilten Stundenbuch, das durch die Jahreszahl 1510 in der Bordüre einer Textseite (m. E. etwas zu spät381) datiert ist (wobei ich die in der Literatur durchwegs vertretene Meinung, es handle sich um die Arbeit eines Nachfolgers, zur Erklärung dieser späten Datierung ungern heranziehen würde382), und schließlich, wohl ebenfalls um 1510, die opulente Ausstattung des Spinola-Stundenbuchs (Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18  ; Abb. 93–99, 101–103, 133, 135–138, 158, 159, 161, 164, 170). Die Miniaturen in einem Stundenbuch in Cambridge (Fitzwilliam Museum, Ms. 1058–1975  ; Abb. 144, 148–150), vielleicht die Arbeit eines Mitarbeiters, dürften wohl ebenfalls um diese Zeit entstanden sein, obwohl einiges an diesem Buchschmuck eine frühere Datierung nahelegt. Doch schließt vor allem die Lukasminiatur des Jakobsmeisters bzw. eines ihm überaus nahestehenden und hoch talentierten Künstlers auf fol. 36r (Abb. 144) eine zeitliche Ansetzung vor dem zwischen Wien und Poitiers aufgeteilten Stundenbuch wie vor dem Spinola-Stundenbuch weitgehend aus. Das Stundenbuch Add. Ms. 35313 der British Library (Abb. 120–130, 132), auch in der neuesten Literatur um 1500 datiert, scheint demgegenüber selbst in dem stets unter Mitarbeit anderer, den Stil unseres Künstlers absorbierender Maler entstandenen Œuvre des Jakobsmeisters eine Sonderstellung einzunehmen. Es dürfte das Werk mehrerer, darunter sehr qualitätvoller Illuminatoren sein, die zwar vom Jakobsmeister (vielleicht auch im materiellen Sinn)383 abhängig waren, jedoch nicht in seinen engsten Kreis gehörten. Obwohl die Handschrift annähernd gleichzeitig oder bald nach dem Rothschild-Gebetbuch entstanden sein könnte, scheint umgekehrt einiges für eine Datierung erst ins zweite Jahrzehnt zu sprechen – neben dem engen Konnex mit dem im Sir John Soane’s Museum, London, unter der Signatur Ms. 4 verwahrten Stundenbuch (Abb. 205) (das in der neuesten Forschung zu Recht aus dem unmittelbaren Werk unseres Künstlers ausgegliedert wurde und frühestens nach 1512 datiert werden kann384) auch gewisse ikonographische Parallelen mit den Miniaturen des GrimaniBreviers. Die Beurteilung fällt deshalb schwer, weil die hier tätigen Illuminatoren nicht so eng mit dem Jakobsmeister zusammenarbeiteten, daß sie seine Stilentwicklung – bzw. seine Auseinandersetzung mit Problemen der Bildgestaltung aller Art – reflektieren würden. 381 Eine Erklärung hierfür ist schwer zu finden  ; entweder in Wien/Poitiers ist wirklich einer der engsten Mitarbeiter des Jakobsmeisters tätig, der gleichsam mit Verzögerung auf den ständigen Wandel im Œuvre unseres Künstlers reagierte, oder aber die Bordüren wurden nachträglich fertiggestellt, was insofern denkbar ist, als es sich ja bei jener auf fol. 30v um den Schmuck einer Textseite handelt, bei der die sonst übliche Reihenfolge der Ausstattung nicht beachtet werden mußte. 382 Vgl. E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 443, aber auch D. Thoss in Wien 1987, S. 110. 383 Wahrscheinlicher als die Zugehörigkeit zu einer (in einem solchen Fall sehr großen) Jakobsmeister-Werkstatt ist jedoch, daß die Mitglieder des hier tätigen Teams teils selbständig Aufträge übernahmen. Vgl. hier Kap. IV 2. 384 London – Los Angeles 2003, S. 444 ff.

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Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout

Nach dem Spinola-Stundenbuch und vor dem Breviarium Grimani sind die beiden Einzelblätter in New York (Metropolitan Museum of Art, Department of Medieval Art and The Cloisters, 48.149.15 und 16  ; Abb. 162, 163) und eventuell die beiden Miniaturen auf fol. 17v und 23v des Croy-Gebetbuchs (Cod. Vind. 1858  ; Taf. XIX, XXIII) anzusetzen. Von den New Yorker Blättern scheint nur die Epiphanie (48.149.15  ; Abb. 162) als eigenhändige Arbeit des Jakobsmeisters denkbar – wobei dann aber eine gewisse zeitliche Distanz zu den beiden Miniaturen des Croy-Gebetbuchs, kleinen Meisterwerken von besonderer Qualität, einberaumt werden müßte – Abb. 200: Sündenfall; Chantilly, Musée Condé, während die Johannesminiatur (48.149.16  ; Ms. 139, Miroir de la Humaine Salvation, Abb. 163) vielleicht von zwei verschiedenen, fol. 2r/3r nicht aber von unserem Künstler gemalt worden sein dürfte. Die beiden Miniaturen des Croy-Gebetbuchs, in der neueren Literatur wohl zu Recht um 1515 datiert, zeigen den Jakobsmeister als souveränen Meister seines Metiers  ; viel spricht dafür, daß sie nicht wesentlich vor, sondern etwa gleichzeitig mit dem Breviarium Grimani entstanden sind. Die Werke des frühen 16. Jahrhunderts, bis etwa 1515, weisen unseren Künstler nach wie vor als vielbeschäftigten und daher offenbar mehrere Mitarbeiter beschäftigenden Illuminator aus  ; letzteres könnte tatsächlich dafür sprechen, daß er auch Arbeiten in anderen Medien ausführte und die für Handschriften eingehenden Aufträge teils delegierte. Für die Beurteilung der Lage ist einmal mehr die fragmentarische Erhaltung des Œuvres (die wohl 20% des ehemaligen Bestandes nicht überschreiten wird) das primäre Hindernis. Neu ist jedenfalls, daß sich nun selbständige, aber wohl ehemals beim Jakobsmeister ausgebildete und vielleicht noch (möglicherweise über Subkontrakte) mit ihm kollaborierende Illuminatorenteams nachweisen lassen, vielleicht schon im ersten, mit Sicherheit aber im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Das bedeutendste Werk dieser Art ist Add. 35313, gefolgt von Soane Ms. 4 und einem Miroir de la humaine salvation in Chantilly (Musée Condé, Ms. 139), dessen Qualität – abgesehen von den ersten und den letzten Miniaturen dieses Heilsspiegel-Zyklus und dem imposanten Wappenbild (Abb. 200, 201) – teils auf einen Standard absinkt, der weit unter dem im Jakobsmeister-Kreis üblichen liegt. Mit dem Breviarium Grimani (Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I. 99) ändert sich die Situation erneut (Abb. 139, 151–156, 166, 179, 181). Diese Handschrift, die 1520 nicht nur fertig, sondern auch schon im Besitz der venezianischen Adelsfamilie war, wird unter anderem deshalb nach 1515 datiert, weil Gerard Horenbout, von der Forschung mit dem Jakobsmei-

Resümee: Der Jakobsmeister und Gerard Horenbout

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ster identifiziert, in diesem Jahr zum Hofmaler Margaretes von Österreich ernannt wurde und der Kalender der Handschrift jenem in den Très Riches Heures des Duc de Berry (Chantilly, Musée Condé, ms. 65) folgt, die sich damals im Besitz Margaretes befunden haben könnten385. Ganz abgesehen davon, daß es fraglich ist, ob der Illuminator des Grimani-Kalenders mit Horenbout identisch ist, basiert diese Theorie auch auf der zweifelhaften Prämisse, daß Horenbout erst ab dem Moment Zugang zu Margaretes Kunstschätzen hatte, als er ihr Hofmaler wurde. Doch ist es wohl ausgeschlossen, daß man jemandem dieses Amt verleiht, ohne ihn (und seine Kunst) nachhaltig zu kennen und diverse Proben seines Könnens erhalten zu haben  ; all dies spricht dafür, daß Marga- Abb. 201: Wappenbild; Chantilly, Musée Condé, rete schon früher engen Kontakt mit Horen- Ms. 139, Miroir de la Humaine Salvation, bout, er umgekehrt schon früher Zugang zu fol. 46r. den Très Riches Heures gehabt haben dürfte. Und freilich ist damit ebenso möglich, daß einem anderen als einem Hofmaler Einsicht in die Très Riches Heures gewährt wurde. An diese Feststellungen knüpfen sich allerdings noch viele andere Fragen – primär die, warum der hundert Jahre ältere Kalender überhaupt kopiert wurde. Doch wohl auf Anweisung der Auftraggeberschaft (was erst recht die Kenntnis der Vorlage durch jeden dafür herangezogenen, also nicht nur durch einen Hofmaler bedeuten würde) und kaum auf Eigeninitiative des Künstlers. Die Art des „Kopierens“ scheint dies ebenso zu beweisen386 wie die Tatsache, daß in der Werkstatt des Jakobsmeisters genügend Vorlagen für Kalenderzyklen vorhanden waren, die sich ebenso für die Adaption als Vollbilder geeignet hätten wie jene aus den Très Riches Heures – teils offensichtlich sogar besser, wie ihr Revival in den berühmten Kalendern Simon Benings nahelegt. Hinzu kommt, daß die dem Jakobsmeister zugeschriebenen Miniaturen im Breviarium Grimani gänzlich unvorbereitet (weil in den knapp davor datierbaren Werken nicht angekündigt) deutlich andere Gestaltungsprinzipien aufweisen als die bis dahin entstandenen Arbeiten unseres Künstlers, darüber hinaus Unterschiede in der technischen Ausführung wie im Formenrepertoire (vor allem in der Figurentypik), sodaß es schwer fällt zu glauben, der Jakobsmeister persönlich sei hier am Werk gewesen. Der Stilbruch, den dies voraussetzen würde, käme nicht nur spät in seiner Karriere, sondern ginge auch mit einem unverständlichen Auf385 Zur diesbezüglichen Unsicherheit vgl. London – Los Angeles 2003, S. 417. 386 Vgl. die diesbezüglichen Beobachtungen in Kap. V 1.

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geben gewisser technischer Errungenschaften wie der überaus distinguierten Pinselschrift Hand in Hand, mit welchen er gerade in anderen annähernd gleichzeitig entstandenen Werken wie den beiden Miniaturen des Croy-Gebetbuchs (Cod. Vind. 1858) besonders brillierte. All dies wäre noch erklärlich, wäre da nicht die Handschrift im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon (Ms. 13) (Abb. 177, 178, 180, 182, 184, 185, 187, 188) die nach dem Grimani-Brevier entstanden sein muß. Dafür spricht nicht nur der Kalender, der offensichtlich auf jenem des Marciana-Manuskripts aufbaut, dabei aber dessen Ikonographie erweitert und abwandelt, sondern auch die Mitarbeit eines wohl mit Simon Bening zu identifizierenden Illuminators (Abb. 172), der hier seine eigene Formensprache schon weit mehr gefunden hat als im Breviarium Grimani (wo die Bening zugeschriebenen Miniaturen eher einem allgemein Gerard David verwandten Stilidiom entsprechen und weder mit dem Wiener Hortulus Animae, Cod. Vind. 2706, noch mit den 1526 datierbaren Miniaturen Benings im zweiten Lissabonner Stundenbuch, den Holford-Hours LA 210 im Museu Calouste Gulbenkian, in Einklang zu bringen sind). Im Stundenbuch MAA Ms. 13 wird offensichtlich, was sich im Breviarium Grimani bereits abgezeichnet hat  : der Rückzug des Jakobsmeisters, der in der Lissabonner Handschrift vielleicht nur zwei Miniaturen (auf fol. 104v und 106v, Abb. 177, 178) geschaffen hat, wobei er sich ganz offensichtlich dem Stilidiom seines Nachfolgers (des in Marciana Ms. lat. I. 99 hauptverantwortlichen Illuminators) anzupassen trachtete, ohne die eigenen Qualitäten (ein souveränes Verständnis für einen allumfassenden Raum, eine bewährte Kompositionsweise und schließlich auch die souveräne, lose und dabei doch brillante Technik) dabei aufzugeben. Das Illuminatorenteam, das den Großteil der Miniaturen in MAA Ms. 13 schuf, orientierte sich ebenfalls an der neuen, mit dem Grimani-Brevier aktuell gewordenen Formensprache, teils auf einem hohen, teils auf einem eher einfachen Niveau  ; letzteres wird auch im Kalender des zweiten, 1526 datierten Lissabonner Stundenbuchs, LA 210, nicht überschritten (Abb. 173–175)  ; lediglich das Porträt des Auftraggebers auf fol. iv in dieser Handschrift scheint die Hand eines außergewöhnlichen Künstlers zu verraten. Da die individuellen Züge des im Büstenformat Dargestellten und das spärliche Bildrepertoire die Beurteilung erschweren, kann lediglich konstatiert werden, daß die Oberflächentextur wenig von der vom Jakobsmeister über Jahrzehnte hinweg (und offensichtlich auch noch in MAA Ms. 13) praktizierten Malweise verrät  ; ob der hier tätige Illuminator mit jenem im Breviarium Grimani identisch ist, läßt sich auf Grund des oben Gesagten hingegen nicht mit Sicherheit bejahen oder verneinen. Nur die hohe Qualität dieser Porträtminiatur ist unbestritten – und die Tatsache, daß sie denkbar wenig mit den Miniaturbildnissen Heinrichs VIII. zu tun hat, die Lucas oder auch Susanna Horenbout zugeschrieben und etwa um die gleiche Zeit datiert werden387 – was für unsere Argumentation in der Folge noch von Bedeutung sein wird. Die Herkunft dieses Nachfolgers des Jakobsmeisters, dem unser Künstler gleichsam die erste Stimme im Chor der Mitarbeiter übertrug, ist nicht schwer zu erraten  ; zu oft gewinnt man den Eindruck von erstklassigen Gehilfen im Œuvre des Jakobsmeisters. Die Tatsache allerdings, daß hier etwas wie ein Führungswechsel stattgefunden hat, legt doch eine beson387 Für Abb. vgl. London – Los Angeles 2003, Abb. S. 425, 436 ff.

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ders enge Beziehung zwischen den beiden Illuminatoren nahe – etwa die von Vater und Sohn. Hier ist es an der Zeit, wieder Gerard Horenbout in die Argumentation mit einzubeziehen. Anfang 1521 wurde Horenbout für die Sforza-Hours bezahlt, und für weitere Tätigkeiten, in die anscheinend zwei Söhne involviert waren388. Dies gibt zu einigen Überlegungen Anlaß, etwa das Alter der beiden betreffend. Gerard wurde 1487 Meister, was heißt, daß er damals mindestens zwanzig, vermutlich aber eher fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein dürfte. Anzunehmen ist, daß er sich nicht allzu bald danach verheiratet haben wird, obwohl all dies freilich nur geraten werden kann. Alexander Benings Sohn Simon wurde offensichtlich erst 1483/4 geboren, obwohl der Vater schon 1569 Meister wurde  ; doch ist nicht bekannt, das wievielte Kind seines Vaters er war389. Es wurde vorgeschlagen, daß Lucas Horenbout um 1490 geboren wurde, wofür es allerdings keinerlei Evidenz gibt390. Die Tatsache, daß 1520 zwei Söhne mehr oder minder eigenverantwortlich im Atelier Horenbouts handelten, scheint jedoch zu beweisen, daß sie damals bereits über zwanzig waren. Außerdem bezeichnete Dürer Susanna Horenbout 1521 als etwa achtzehnjährig, was ihre Geburt um 1503 bedeuten würde391. Anfang der zwanziger Jahre war sie Künstlerin genug, um Dürer nicht nur zu einer bewundernden Aussage, sondern auch zum Kauf einer ihrer Arbeiten zu einem ansehnlichen Preis zu veranlassen. Das heißt  : In Horenbouts Werkstatt arbeiteten 1520 offenbar (mindestens) drei seiner Kinder im Buchmalereigewerbe. Was haben sie, und was hat Horenbout selbst gemacht  ? Eine Möglichkeit, diesen Sachverhalt zu interpretieren, besteht nun darin, die von Warner ehedem geschiedenen vier flämischen Illuminatoren in Add. 34294 392 als den Vater und seine drei Kinder zu identifizieren. Und tatsächlich finden sich auch unter jenen Werken, die in England entstanden (wohin Gerard, Lucas und Susanna nachweislich in den zwanziger Jahren auswanderten), einige den Sforza-Miniaturen höchst verwandte Arbeiten (Abb. 190, 191)  ; sie sind zudem divergierend genug, um sie mehr als einem Künstler zuzuschreiben. Dennoch will es nicht ganz einleuchten, weshalb sich aus der langen Karriere Horenbouts in den Jahren vor den Sforza-Hours nichts erhalten hat, während in England durchaus Zeugnisse seiner (und seiner Kinder) Produktion zu finden sind, wobei die Auftragslage unter Heinrich VIII. trotz des Mäzenatentums des Königs, das selbst Holbein an seinen Hof lockte, nicht mit der opulenten Buchindustrie in Flandern um die Jahrhundertwende vergleichbar gewesen sein wird. Zudem wird Gerard Horenbout Mitte der zwanziger Jahre bereits ein betagter und daher kaum mehr extrem produktiver Mann gewesen sein. Somit bietet sich als zweites Denkmodell an, den Jakobsmeister mit Gerard Horenbout zu identifizieren, wofür es ja etliche Argumente gibt, unter anderem die Tatsache, daß die Kar388 Vgl. dazu Campbell – Foister, S. 720. 389 Vgl. zuletzt London – Los Angeles 2003, S. 191, 447. 390 B. Brinkmann, Lucas Horenbout, in  : Dictionary of Art 1996, S. 761. Campbell – Foister 1986, S. 721. 391 Campbell – Foister 1986, S. 725. 392 Warner 1894, S. xli-xliii.

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rieren der beiden Künstler etwa zur selben Zeit begonnen haben dürften  ; anderes wurde bereits in der Einleitung erwähnt393. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so steht allerdings fest, daß Gerard Horenbout in den Sforza-Hours, für die er bezahlt wurde, nicht Hand angelegt haben kann, sondern die Aufgabe anderen – und damit wohl jenen Kindern, die später auch in England mit einem identischen Stilidiom greifbar werden – übertragen hat. Ja, es scheint sogar, daß schon das Breviarium Grimani von einem dieser Kinder und nicht vom Vater selbst illuminiert wurde – vor allem in Anbetracht dessen, daß in MAA Ms. 13 sowohl der zuvor im Brevier tätige Künstler als auch der Jakobsmeister nebeneinander gearbeitet haben dürften, also ein Stilbruch im Schaffen unseres Meisters anläßlich der Illuminierung des GrimaniBreviers mit weitestgehender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Spielt man diese Option weiter durch, kommt man zu folgendem Schluß  : Sollte Lucas Horenbout jene zahlreichen Porträtmedaillons von Heinrich VIII., die ihm zugeschrieben werden, tatsächlich gemacht haben – wofür sein Status als Hofmaler des englischen Königs spricht –, so kann er nicht der im Breviarium Grimani tätige Künstler gewesen sein. Zu groß sind die stilistischen Divergenzen zwischen den Brevierminiaturen einerseits, den eher an die Figurentypik der Sforza-Hours anknüpfenden Porträtmedaillons andererseits. In diesem Falle müßte dann ein anderer Sohn Gerards mit dem Grimani-Illuminator zu identifizieren sein. Ein Sohn namens Eloy scheint in den Niederlanden geblieben zu sein 394  ; sein Sohn François (also ein Enkel Gerards), ebenfalls Maler (sowie Kartograph und Ingenieur) starb 1599 in Gent und wurde ebenda begraben395  ; auch die 1540 aufscheinenden Erben Gerards in Gent legen den Verbleib eines Teils der Familie in den Niederlanden nahe 396. Letztlich belegt auch das 1526 (auf Grund der Mitarbeit Benings wohl gewiß) in den Niederlanden illuminierte Holford-Stundenbuch, daß nicht Lucas der Leiter dieser neuen JakobsmeisterWerkstatt gewesen sein kann, da er zu diesem Zeitpunkt bereits in England war. Dasselbe legt ein fragmentarisch (ohne Vollbilder) erhaltenes Stundenbuch in Chatsworth (Duke of Devonshire) nahe, das in der neuesten Literatur (wohl ein wenig zu spät) zwischen 1525 und 1530 datiert und in Gent lokalisiert wird und dessen szenische Bordüren eng an MAA Ms. 13 anknüpfen397. Selbst wenn die Handschrift in Chatsworth früher entstanden sein sollte (wofür die Verwandtschaft mit dem um 1520 anzusetzenden Stundenbuch im Museu de Arte Antiga spricht), schließt es doch dadurch, daß es weder bezüglich des Motivrepertoires noch 393 Ein weiteres Argument wäre, daß eine mit dem Jakobsmeister stilistisch entfernt verwandte (künstlerisch weit weniger anspruchsvolle) Werkstatt auf die Illuminierung von Musikhandschriften für den herzoglichen Hof spezialisiert war – allerdings schon lange vor jenem Zeitpunkt beginnend, da Horenbout Hofmaler Margaretes wurde  ; immerhin ist dadurch ein enger Konnex des Jakobsmeister-Kreises mit der bereits ab 1506 in die Niederlande zurückgekehrten Erzherzogin nahegelegt, und einen solchen könnte auch Horenbout schon früh gehabt haben. Vgl. dazu Kapp 1987. 394 Van der Haeghen 1906, S. 6 f. 395 Campbell – Foister 1986, S. 719  ; 396 Ebenda, S. 721. 397 London – Los Angeles 2003, S. 426 (Nr. 128), S. 530.

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bezüglich der Formensprache Übereinstimmungen mit den Sforza Hours aufweist, einen Stilbruch im Schaffen Lucas Horenbouts vor 1520 ebenso aus, wie dies die Präsenz des GrimaniMeisters in MAA Ms. 13 tut. Ganz offensichtlich arbeitete der Grimani-Meister zu jener Zeit, als die Sforza-Hours gemalt wurden, in seinem eigenen, vielleicht im Brevier erst voll entwickelten Stilidiom weiter – und, was entscheidend ist  : Er scheint auch in den zwanziger Jahren ebenso bei seiner Formensprache geblieben zu sein wie die Illuminatoren der SforzaHours bei ihrer. Nun gibt es aber noch eine Möglichkeit  : Nicht Lucas, sondern Susanna, die von Dürer bewunderte und von Guicciardini als besonderer Liebling König Heinrichs bezeichnete Tochter Gerards398, könnte nicht nur sämtliche erhaltenen Porträtmedaillons Heinrichs VIII. gemacht, sondern auch die Sforza-Hours illuminiert haben. Die Tatsache, daß Dürer ihre Arbeit mit höchstem Lob bedachte („Ist ein groß wunder, das ein weibs bild also viel machen soll“) kann nicht als Ausdruck des Erstaunens darüber verstanden werden, daß eine Frau als Künstlerin tätig war. Dies war zu häufig, als daß es Dürer nicht geläufig gewesen sein könnte399. Die Aussage muß also auf die Qualität der Arbeit Susannas abgezielt haben und wird um so mehr dann verständlich, wenn man das italianisierende Figurenideal, ja überhaupt Formenrepertoire, vieler flämischer Miniaturen in den Sforza-Hours einerseits und Dürers eigenes Interesse an der italienischen Renaissance andererseits bedenkt. Sollte Susanna die SforzaHours fertiggestellt haben, so könnte Lucas der im Breviarium Grimani tätige Maler gewesen sein. Ein gewisses Problem bei dieser Annahme besteht allerdings darin, daß Lucas‘ Arbeit in England dann völlig verloren wäre, nimmt man nicht seinerseits einen völligen Stilwandel in Richtung der Formensprache seiner Schwester an. Die plausibelste Option scheint daher die zu sein, die flämischen Miniaturen der SforzaHours Lucas und Susanna zuzuschreiben. Vor allem zwei der Miniaturen (die beiden Madonnendarstellungen auf fol. 133v und fol. 177v  ; Abb. 202) werden auch in der neuesten Forschung als deutlich vom Rest der Bilder divergierend erkannt400  ; sie könnten von einem der beiden Geschwister gemacht worden sein, während der oder die andere alle übrigen Darstellungen, also den Löwenanteil, anfertigte  ; doch sind auch Warners Überlegungen in diesem Zusammenhang nicht ganz von der Hand zu weisen401, wenn auch bezüglich der Verteilung der Hände m. E. revisionsbedürftig. Ebenso möglich ist freilich, daß die beiden Kinder Horenbouts schlicht so zusammenarbeiteten wie ehedem der Jakobsmeister mit seinem (jewei398 Für den Wortlaut der Passage bei Guiccardini siehe Campbell – Foister 1986, S. 725. 399 Neben der Tochter Benings, Lievina, war beispielsweise auch die zweite Frau von Pieter Coecke van Aelst, Mayken Verhulst, als Buchmalerin tätig. Bezeichnenderweise gibt es für beide Frauen keinen Œuvrevorschlag  ; vgl. Auerbach 1954, S. 187  ; Marlier 1966, S. 21 f. 400 Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 431, erwägt für diese beiden Miniaturen Lucas oder Susanna als Ausführende, während er die übrige flämische Ausstattung der Sforza-Hours Gerard zuschreibt. Nur Brinkmann in Evans – Brinkmann 1995, S. 125–130, neigte zur Ansicht, alle Miniaturen in Add. 34294 seien von einem Künstler ausgeführt. 401 Vgl. Warner 1894, S. xli-xliii.

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ligen) Alter Ego, also in einer regelrechten Stilsymbiose. In jedem Fall ergibt sich aus der Zuschreibung der Sforza-Miniaturen an beide Geschwister (wofür bis zu einem gewissen Grad auch der englische, allerdings noch weiter zu erforschende Denkmälerbestand spricht), daß ein anderer, dokumentarisch ebenfalls gesicherter Sohn402 (vielleicht Eloy) zuvor im Breviarium Grimani seinen großen Auftritt gehabt und die Agenda des Vaters im Hinblick auf die Gesamtproduktion der Werkstatt übernommen hätte403. Was aber ist mit Gerard, unserem Jakobsmeister  ? Was sind seine Arbeiten in England, wo er 1528 dokumentarisch nach-, auf Grund seiner Bezahlung höchstwahrscheinlich sogar als (künstlerisch) tätig ausgewiesen ist  ? Zwar war Horenbout senior im Jahr seiner ersten Erwähnung in den Rechnungsbüchern Heinrich VIII. (vermutlich sogar Abb. 202: Maria mit Kind; London, British weit) über sechzig, und es wäre daher nicht Library, Add. Ms. 34294, Sforza-Stundenbuch, verwunderlich, wenn er gar nicht mehr als fol. 177v. Buchmaler tätig gewesen wäre. Allerdings existiert unter den vom König ausgestellten Patentbriefen jener schon im Zusammenhang mit der Lydgate-Miniatur auf fol. 148v von Royal 18 D. II erwähnte vom 20. August 1528 (Abb. 198), in dessen Initiale Heinrich VIII. im Typus von früheren Darstellungen wie in dem am 5. Mai 1526 ausgestellten Privileg für Cardinal College, Oxford (Abb. 197), zuletzt Lucas Horenbout zugeschrieben, abweicht. Darüber hinaus klingt in dem hübschen Jünglingsgesicht, in der weichen Faltenführung, in der souveränen Umsetzung des räumlich vorkragenden Baldachins und der plastischen Rundung der vom Licht abgewandten Schulter des Königs eine Formensprache an, die unmittelbar an die des Jakobsmeisters erinnert. Hinzu kommt, daß die Schattenlagen auf die402 der (nicht anders als Lucas, der ja auch erst in England namentlich erwähnt wurde) 1521 ohne Namen überliefert ist. 403 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß es sich dabei auch um eine Tochter handeln könnte  ; zwar ist die Übernahme einer Werkstatt durch eine Frau um diese Zeit weniger plausibel, doch zeigt der Fall von Lievina Bening und Mayken Verhulst, daß die in eine Künstlerfamilie integrierten Frauen oft ebenfalls professionell malten. All dies bedarf einer näheren Untersuchung, die in diesem Rahmen zu weit geführt hätte, jedoch in Zukunft von mir in Angriff genommen werden soll.

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sem Patentbrief mit feinen Schraffen eingezeichnet wurden, ein für den Jakobsmeister und seine Werkstatt typisches technisches Merkmal, das die Illuminatoren der Sforza-Hours (oder auch die für die Darstellungen in den Privilegien vom 5. Mai 1526, Abb. 197, oder vom 25. und 26. Mai 1529404 verantwortlichen, vielleicht mit jenen in den Sforza-Hours identischen Künstler) nicht anwandten. Dabei sollte man sich vom altertümlichen Typus im Brief vom 20. August 1528 nicht irritieren lassen – die an die Initiale links angefügte Säule mit einem das Monogramm des Königs haltenden Putto zeichnet sich durch eine ebenso renaissancehafte Formensprache aus wie etwa die Bildelemente in den Patentbriefen von 1526 und 1529. Dies zeigt, daß bei der Darstellung Heinrichs von 1528 (Abb. 198) einfach andere Vorstellungen vom Aussehen eines Majestätsbildes wirksam wurden als in den anderen erwähnten Werken, was auf eine frühere Schulung des Ausführenden (und somit auf Horenbout senior) verweisen könnte. In jedem Fall ist die Miniatur auf dem Patentbrief von 1528 die einzige erhaltene ihrer Art, die den (den Stil der Sforza-Hours weiterführenden) Darstellungen Heinrichs in anderen Patentbriefen bezüglich der Qualität nicht nachsteht, bezüglich der Formensprache jedoch deutlich davon abweicht und ein Figurenverständnis offenbart, wie es in den Arbeiten des Jakobsmeisters fast drei Jahrzehnte lang nachzuweisen ist. Da weiter oben eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Lydgate-Miniatur auf fol. 148r von Royal 18 D. II (Abb. 190) und der Darstellung Heinrichs von 1528 (Abb. 198) festgehalten werden konnte, stellt sich natürlich die Frage, ob auch das erstgenannte Werk dem Jakobsmeister zugeschrieben werden kann. Tatsächlich erscheinen gewisse Züge, wie die beinahe niedliche Figurenwiedergabe, aber auch die souveräne Suggestion von Dreidimensionalität, trotz der großen Unterschiede im Thema und im Medium auffallend. Was am meisten davon abhält, die Lydgate-Miniatur Horenbout alias dem Jakobsmeister zuzuschreiben, ist die Technik, in der sie ausgeführt ist. Diese läßt wenig von der Brillanz älterer Arbeiten unseres Künstlers und nur an vereinzelten Stellen etwas von seiner charakteristischen Malweise mit subtilen Strichlagen erkennen. Die Ähnlichkeiten zwischen der Lydgate-Miniatur und der Kreuzannagelung auf fol. 12v der Sforza-Hours wären demgegenüber weniger ein Hindernis für diese Zuschreibung, da sie sich auf Motivisches beschränken und auch die beiden Heiligenbilder auf fol. 104v und 106v (Abb. 177, 178) des Lissabonner Stundenbuchs MAA Ms. 13 eine gewisse Annäherung des Jakobsmeisters an die neue, offensichtlich von seinen Kindern propagierte künstlerische Ausdrucksweise belegen. Die in dieser Studie angestellten stilkritischen Überlegungen zu Gerard Horenbout und dem Jakobsmeister brachten also ein (zumindest für mich selbst) durchaus überraschendes Ergebnis. Wofür die ältere Forschung stets mit Nachdruck eingetreten ist und auch die neueste eintritt, hat sich nach allen meinen Untersuchungen bestätigt  : Tatsächlich scheint Gerard Horenbout der Jakobsmeister zu sein. Die wesentliche Einschränkung dabei ist, daß Horenbout die einzigen noch erhaltenen seiner dokumentarisch belegten Arbeiten, die flämischen Miniaturen der Sforza-Hours, nicht selbst gemalt hat, und auch an einem zweiten ihm zuge404 Abb. bei Auerbach 1954, Taf. 13 a, b.

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schriebenen Hauptwerk, den Kalender- und einigen anderen Vollbildern im Grimani-Brevier, offenbar nicht mehr eigenhändig beteiligt war. Die Zuschreibung der Sforza-Hours an Lucas, die in der Forschung ebenfalls bereits vorgeschlagen wurde und die durch die auf fol. 10v von Add. 34294 befindliche Inschrift (vielleicht ein Kryptogramm des Namens Lucas Horenbout) untermauert wird, bedarf jedoch ebenso einer Einschränkung. M. E. ist der Anteil Susannas, der Tochter Gerards, an den Sforza-Miniaturen unterschätzt worden. Obwohl die Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Lucas und Susanna unter besonderer Berücksichtigung der in England entstandenen Werke noch ein Desiderat der Forschung wäre, dem im Rahmen dieser Studie nicht nachgekommen werden konnte, dem ich aber andernorts nachzukommen gedenke (weshalb auch die exakte Händescheidung in den Sforza-Hours hier nicht unternommen wurde, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt hätte), so scheint doch offensichtlich, daß die immer noch unterschwellig existierende Meinung, die Arbeiten von Frauen wären minderwertig, die richtige Einschätzung der Leistung Susannas verhindert hat. Bezeichnend dafür ist, daß ihr jener Anteil an der Fertigstellung von Royal 18 D. II zugeschrieben wurde, der künstlerisch beträchtlich hinter den beiden hochrangigen Miniaturen auf fol. 148r und 161v (die noch in der neuesten Literatur beide Gerard gegeben werden) zurückbleibt405. Ich würde schlichtweg für das Gegenteil plädieren  : daß Susanna die vortrefflichsten Miniaturen der Sforza-Hours und auch das Michaelsbild in Royal 18 D. II malte. Schließlich ist sie es, und nicht Gerard oder Lucas, die von Dürer mit höchstem Lob (in Wort und Tat) bedacht wurde, womit er ausdrücklich ihre offensichtlich herausragende Leistung als Malerin hervorhob (und wohl nicht Höflichkeitsfloskeln in sein Tagebuch schrieb). Dies zu ignorieren halte ich für höchst bedenklich, auch wenn es unter dem Vorwand der wissenschaftlichen Unbeweisbarkeit dieser Leistung geschieht. Unbeweisbar ist auch die Identität Horenbouts mit dem Jakobsmeister, und dennoch hat man weder in der älteren noch in der neueren und neuesten Forschung unterlassen, sie zu postulieren – noch dazu teils mit Argumenten (wie der Zuschreibung der Sforza-Hours an den Jakobsmeister), die mit Sicherheit das Gegenteil beweisen würden, solange man sie nicht stil- und quellenkritisch revidiert. Die hier vorgenommene Identifizierung des Jakobsmeisters mit Gerard Horenbout basiert auf eben dieser kardinalen Voraussetzung  : der stil- und quellenkritischen Revision des Sachverhalts rund um die Herstellung der Sforza-Hours. Die (sowohl anhand der Dokumente als auch anhand der erhaltenen Arbeiten) nachweisbaren Werkstattpraktiken Horenbouts bzw. des Jakobsmeisters ermöglichten die Annahme, daß andere als der dafür bezahlte Meister die Handschrift illuminierten. Gerade die Tatsache, daß es im Œuvre des sich ständig wandelnden und stets mehrere Mitarbeiter in unterschiedlicher Form beschäftigenden Jakobsmeisters zu einem markanten Stilbruch bei der Herstellung des Grimani-Breviers kam, wobei die Hand des Meisters selbst auch danach noch unbeschadet erkennbar blieb, scheint zu bestätigen, daß andere begannen, in seiner Werkstatt jene dominierende Rolle zu spielen, die früher ausschließlich ihm zugekommen war. Die engen Beziehungen vor allem des Gri405 Backhouse 1997, S. 229  ; dabei muß als erfreulich angesehen werden, daß Backhouse die Arbeit Susannas überhaupt in den Blickpunkt gerückt hat.

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mani-Breviers und der Sforza-Hours, die den gleichen Werkstatthintergrund nahelegen, ohne von den gleichen Künstlern gemacht worden zu sein, und umgekehrt die engen Beziehungen des Grimani-Breviers zum übrigen Œuvre des Jakobsmeisters, ohne daß die Miniaturen in Marciana Ms. lat. I. 99 mit einiger Plausibilität unserem Künstler zugeschrieben werden könnten, waren die ausschlaggebenden Gründe für die Identifizierung des Jakobsmeisters mit Horenbout. Offenbar begann der Jakobsmeister im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zunehmend Aufgaben an Mitarbeiter abzutreten, denen er weit mehr Freiheit ließ als seinen Gehilfen zuvor. Dies spricht dafür, daß es seine eigenen Kinder waren, und da Horenbouts Söhne nachweislich (und vermutlich auch seine Tochter) in seiner Buchmalerwerkstatt arbeiteten, war die Identifizierung des Anonymus mit dem Hofmaler Margaretes naheliegend. Freilich soll dies nicht über die Möglichkeit hinwegtäuschen, daß es dennoch anders gewesen sein könnte  : So könnte der Jakobsmeister der Experte für Buchmalerei in der Horenboutschen Werkstatt gewesen sein (oder aber sein eigenes, eng mit dem Horenbouts liiertes Atelier unterhalten haben) und viele Jahrzehnte alle Aufträge mit einem Mitarbeiterstab erledigt haben, während sich Horenbout anderen Dingen – wie der Herstellung von Fensterentwürfen, (kartographischen  ?) Stadtansichten und Kartons für Wirkarbeiten widmete. Irgendwann scheint der Jakobsmeister zu alt für umfangreiche Projekte geworden zu sein, und ein neuer, unter ihm geschulter Künstler übernahm die Ausführung derselben (in diesem Punkt sind die beiden Denkmodelle deckungsgleich). Nur in den Sforza-Hours (und vielleicht einigen ausgewählten, nicht mehr erhaltenen Werken) aber hätte Horenbout selbst Hand angelegt  ; sie wären dann das einzige erhaltene Zeugnis seines Könnens. Es liegt auf der Hand, daß diese Option wenig plausibel ist. Ich wollte sie trotzdem festgehalten haben, auch um das Augenmerk abschließend noch einmal darauf zu lenken, daß es in meinen Untersuchungen nicht primär darum ging, scheinbare historische Wahrheiten zu finden, sondern darum, die hier primär angewandte, stilkritische bzw. formanalytische Methode einer Bewährungsprobe zu unterziehen. M. E. erwies sie sich für eine wie auch immer geartete oder betrachtete Wahrheitsfindung ebenso gut geeignet wie die kritische Auseinandersetzung mit schriftlichen Quellen – tatsächlich scheint sie sogar eine höchst effiziente Form der (Bild-)Quellenkritik zu sein. Daß sie so oft unterschätzt wird, mag an dem achtlosen Umgang mit diesen Bild-dokumenten liegen, wobei Behauptungen (und mögen sie sich letzten Endes als auch noch so zutreffend erweisen) an die Stelle von fundierter Auseinandersetzung treten. Auch dies mag in einem bestimmten Rahmen seine volle Berechtigung haben – wie umgekehrt im Rahmen meiner Studie die gründliche stilkritische Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Œuvre eines unbestritten hochrangigen Künstlers ihre Sinnhaftigkeit hoffentlich bewiesen hat.

Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin Die Handschrift in Manchester In der John Rylands Library in Manchester befindet sich unter der Signatur Latin Ms. 39 ein Brevier, zu dem ein Einzelblatt in New York, The Pierpont Morgan Library, Ms. M. 1046, mit der Darstellung Abrahams vor Melchisedek gehört 406. Es ist möglich, daß die Handschrift 1487 datiert ist – auf fol. 7r ist die Jahreszahl neben zwei kreisförmigen Diagrammen zur Berechnung der Goldenen Zahlen geschrieben. Die Miniaturen stammen von mehreren Künstlern407  ; eine Verwandtschaft mit den Arbeiten des Jakobsmeisters ist de facto nur in einigen wenigen halbseitigen Bildern ersichtlich. Diese wären, falls ihm tatsächlich zuschreibbar, die ersten erhaltenen Arbeiten unseres (inzwischen mit Horenbout identifizierten und folglich 1487 soeben zum Meister avancierten) Künstlers. Mit der relativen künstlerischen Unreife des Malers würde sich ein gewisser Sonderstatus der Bilder in seinem Œuvre erklären lassen. Dennoch ist m. E. zu bezweifeln, daß tatsächlich alle Unterschiede zwischen den Miniaturen in Manchester und den späteren Werken des Jakobsmeisters mit diesem Argument abzutun sind – um so mehr dann, wenn man auch die zweite hier zur Diskussion stehende Brevierhandschrift, jene in der Staatsbibliothek zu Berlin unter der Signatur Ms. theol. lat. fol. 285 verwahrte408, mit berücksichtigt. Doch ist die Problematik der Zuschreibung von Rylands Lat. 39 an den Jakobsmeister auch ohne die Berliner Handschrift klar zu illustrieren, wie die nachstehenden Vergleiche zeigen werden. Auf fol. 191r des Breviers in Manchester befindet sich eine halbseitige Miniatur mit der Himmelfahrt Marias (Abb. 203), die ein unmittelbarer Vorläufer der Darstellung selben Inhalts auf fol. 93v des Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XXIV) ist, des hier als früheste nachweisbare Arbeit des Jakobsmeisters erachteten Wiener Stundenbuchs, und einen späten Nachfahren auf fol. 148v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 204) hat, dem hier um 1510 angesetzten Spinola-Stundenbuch. Auch auf fol. 97v des Soane-Stundenbuchs Ms. 4 (Abb. 205), einem Maler aus dem Umkreis des Jakobsmeisters zuzuschreiben409, ist eine Variante dieser Kom406 London – Los Angeles 2003, S. 367 f. (Nr. 108), S. 528 (mit Angaben zur älteren Literatur). Innerhalb der Handschrift ist es, wie oft der Fall, bei einer Neubindung zu Fehlbindungen gekommen, wodurch die ursprüngliche Sequenz gestört ist und einige Blätter abhanden kamen. 407 Darauf wird in der Literatur nicht eingegangen. 408 London – Los Angeles 2003, S. 378 f. (Nr. 112), S. 529 (Literaturangaben). 409 Vgl. E. Morrison in London – Los Angeles 2003, S. 443–446.

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

position zu finden. Konform mit dem vermutlich geringen Zeitabstand zwischen den Handschriften in Wien und Manchester sind einander diese beiden Bildlösungen am ähnlichsten. Allerdings ist die Wiener Miniatur die einzige der vier genannten, in der Maria nicht zugleich, quasi im Flug, gekrönt wird  ; dafür wird sie nur hier von der Dreifaltigkeit und nicht bloß von einer einzelnen göttlichen Person empfangen. Das Wiener Bild ist auch das einzige, in dem keinerlei Hinweise auf eine irdische Zone beigegeben sind. Diese ist im Spinola-Stundenbuch überreich, in den Soane-Hours deutlich genug und im Rylands-Brevier immerhin noch durch einen Grasstreifen mit dem offenen, mittels weißer Blumen geschmückten Grab gekennzeichnet (welchem in Ms. Ludwig IX 18 die gesamte bas-de-page-Zone gewidmet wurde). Trotz dieser ikonographischen „Sonderstellung“ der Wiener Miniatur verbinden sie Abb. 203: Himmelfahrt Mariae; Manchester, John manche Details fest mit jener in Manchester  : Rylands Library, Ms. Lat. 39, Brevier, fol. 191r. Dazu gehören neben der spiegelgleichen Haltung der Madonna mit einem Stand- und einem Spielbein und ähnlichen Faltendetails am unteren Kleidersaum der Jungfrau vor allem die den Mantel der Gottesmutter (offenbar zur Linderung seines Gewichts) seitlich empor haltenden Engel. Zwar ist dieses Motiv in Wien gegenüber seiner Umsetzung in Manchester bereits zurückgenommen, und nur noch der im Bild rechte Teil des Umhangs wird von einem Engel zur Seite gezogen. Dennoch ist diesbezüglich der Anschluß an die Brevierminiatur viel deutlicher als bei den Darstellungen in Ms. Ludwig IX 18 und Soane Ms. 4, wo das Gewand der Assunta wenig bis gar nicht manipuliert wird. Hinzu kommt, daß zwei der Wiener Engel in ihrem Habitus nach einem Vorbild geformt wurden, das auch dem Bild in Manchester als Vorlage gedient haben muß  : Gesicht und teils auch Haltung des jeweils rechts mit dem Mantel beschäftigten Engels entsprechen einander weitgehend, wobei die unbestimmte Ausführung der rechten Hand dieser Figur in Manchester verrät, daß offensichtlich ein gemeinsamer Prototyp, nicht aber die Brevierminiatur als ursprüngliche Bildlösung anzunehmen ist. Auch der jeweils links auf selber Höhe agierende Engel scheint dieselbe Wurzel zu verraten, wobei sich die beiden Figuren insgesamt aber schon deutlich voneinander unterscheiden. Und damit wäre man bei den Unterschieden angelangt, die da beträchtlich und dabei primär stilistischer Natur sind. Zwar wird der räumliche Kreis der Schar um die Madonna in beiden Bildern wenn nicht offensichtlich, so doch intellektuell nachvollziehbar – im Wiener

Die Handschrift in Manchester

Abb. 204: Himmelfahrt Mariae; Los Angeles, The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 148v.

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Abb. 205: Himmelfahrt Mariae; London, Sir John Soane’s Museum, Ms.4, Stundenbuch, fol. 97v.

Bild sogar noch mehr als in dem in Manchester, zumal in Cod. Vind. Ser. n. 2625 der Flügel der rechts unten befindlichen Figur die Madonna an ihrer erhabensten Stelle – dem vorgeschobenen Knie – überschneidet. Daß hier jedoch Intention und Auffassung, vielleicht auch Vorlage und eigene Vorstellungen kollidieren, ist daran zu erkennen, daß durch dieses Motiv nicht ein mehr an Raum, sondern an flächendekorativer Wirkung entsteht, indem das potentiell raumhaltige Standmotiv Marias durch die bunten Federn verdeckt und somit durch einen schönen Farbakkord überspielt wird. Grundsätzlich zeichnet sich die Wiener Bildlösung gegenüber jener in Manchester durch eine gesteigerte ornamentale Wirkung aus. Durch die nahezu einheitliche Farbigkeit der Engelsgewänder, die mit den die Bildzwickel füllenden Wolken darunter und darüber harmonieren, wird ein gleichmäßig dekorativer Rahmen für die Madonnengestalt geschaffen, in dem der gelbe Bildgrund als Folie für das Geschehen fungiert. Alle diese Elemente (mit Ausnahme der farblichen Korrespondenz von Engeln und Wolken, aber unter Steigerung des einheitlichen Kolorits in der Kleidung) sind in den späteren beiden Miniaturen noch vorangetrieben, besonders aber die Anordnung aller Figuren in einer Ebene, so daß aus dem räumlichen Kreis um die Assunta eine ovale, der aufrechten Gestalt Marias angepaßte Formation auf der Bildfläche wird.

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

In Rylands Lat. 39 sind die Engel vor allem farblich, aber auch in ihren Aktionen viel stärker individualisiert als in den anderen drei Himmelfahrtsdarstellungen. Zudem entsprechen sie physiognomisch nur entfernt den Figuren in Cod. Vind. Ser. n. 2625. Mit viel größeren Augen und einer weitgehend anderen Gesichtsgeometrie ausgestattet, erinnern lediglich die leicht verquollen wirkenden Unterlider sowie die herzförmigen Münder an den vom Jakobsmeister favorisierten Typus. Hinzu kommt eine andere Auffassung des Plastischen in beiden Miniaturen, die mit dem anderen Raumverständnis Hand in Hand geht. Während im Wiener Bild Einzelformen wie Falten, aber auch Körperteile (etwa Oberschenkel, Schultern, Kniezonen oder auch Gesäßpartien) effektvoll modelliert sind, scheint diesen in Rylands Lat. 39 eine untergeordnete Rolle zuzukommen. Dafür wird die Stellung der Körper im Raum (und somit ihr Volumen) weit deutlicher angezeigt. Zwei Beispiele mögen für viele stehen. Der in Cod. Vind. Ser. n. 2625 links unten befindliche Engel zeigt eine kleinteilige Modellierung nicht nur seines dekorativ gefältelten Gewandes, sondern auch seines rechten Knies. Mit diesem relievo kann sein Pendant in Manchester trotz eines knittrigen Stoffüberschusses am Gewandsaum nicht konkurrieren. Auch sind die beiden Knie im Brevier lediglich durch von dort vertikal abfallende Falten, nicht aber durch eine unter dem Gewand sich abzeichnende Form zu erahnen. Umgekehrt ist jedoch der gesamte Engelskörper einer Helldunkelbehandlung unterzogen, die seine räumliche Position (mit vorgeschobenen, wie zum Sitzen abgewinkelten Beinen und einem weiter hinten, bereits unterhalb des hochgehaltenen Mantels befindlichen Oberkörper) unterstreicht. Ähnliches offenbart ein Vergleich der Madonnenfiguren, deren plastisches Relief in Wien prachtvoll heraus gearbeitet ist, während in Manchester vor allem die Tatsache zum Tragen kommt, daß der Mantel sich nicht nur wie eine (offene) Schale um die Figur wölbt, sondern sein unterer, empor gehaltener Teil einen großen, räumlichen Kreis um die Assunta beschreibt. Wenngleich die Umsetzung dieser Aspekte ein wenig mangelhaft erfolgt – was dafür spricht, daß sie von einer Vorlage übernommen wurden –, ist der Auffassungsunterschied zur Wiener Lösung doch offensichtlich und kann mit dem Hinweis auf einen jungen, noch unerfahrenen Künstler nicht abgetan werden. All dies in Rechnung gestellt, scheint eher die Annahme zulässig, man habe in Rylands Lat. 39 einen gemeinsam mit dem Jakobsmeister ausgebildeten, jedoch eigenständigen Illuminator vor sich – oder aber gar den Lehrer unseres Künstlers. Auf ersteres (die relative Unerfahrenheit auch des im Brevier tätigen Malers) könnten die diversen Ungereimtheiten in der Himmelfahrtsminiatur hinweisen. Für zweiteres (also einen schulbildenden Meister) spricht neben dem sehr sicheren Gefühl für Farbigkeit auch die brillante Technik (die jener des Jakobsmeister ähnlich, aber keinesfalls mit ihr identisch ist)  : Es handelt sich dabei nicht etwa um eine experimentell anmutende Malweise, in der noch nach Möglichkeiten gesucht wird, sondern ein durchaus souverän gehandhabtes Mittel künstlerischen Ausdrucks. Dies belegt am besten die Darstellung der heiligen Barbara mit dem mutmaßlichen Eigentümer der Handschrift410, dessen Monogramm JG in zahlreichen Bordüren von Rylands 410 Zu den bislang nicht geglückten Identifizierungsversuchen vgl. London – Los Angeles 2003, S. 368, Anm. 3.

Die Handschrift in Manchester

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Abb. 206: Heilige Barbara; Manchester, John Rylands Library, Ms. Lat. 39, Brevier, fol. 151r.

Lat. 39 vorkommt411 und auf fol. 151r, dem Barbarabild (Abb. 206), sogar mit goldenen Lettern in den Wiesengrund an der unteren Rahmenleiste eingetragen wurde412. Der Augustiner Chorherr kniet maßstabsverkleinert links neben der auf der vertikalen Mittelachse plazierten Heiligen, die sich ihm zuwendet, ohne von dem Buch aufzublicken, das sie in ihrer Rechten hält  ; ihre Linke umfaßt eine äußerst schematisch wiedergegebene Märtyrerpalme. Die beiden ungleichen Figuren befinden sich auf einem Rasenstück, das durch eine niedrige begrünte Mauer nicht nur von der Szenerie dahinter, sondern auch von einem kleinen Erdplateau rechts abgesetzt ist, auf dem ein weißer und ein schwarzer Hund sich balgen, wobei der dunkle die Oberhand gewinnt. Die völlig unerklärliche und prominente (wenngleich durch die ge411 So in den Bordüren u. a. auf fol. 107r, 118r, 146r, 151v, 194r, 213r, 248r  ; James 1927, S. 97– 102, Taf. 91 ff. 412 Dort allerdings sind sie kaum zu erkennen.

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

dämpfte Farbigkeit und das motivische Übergewicht des Turmbaus dahinter erst auf den zweiten Blick ersichtliche) Position dieses sonderbaren Zweikampfs legt eine bestimmte Bedeutung desselben nahe. Es ist undenkbar, daß ein Genremotiv an dieser Stelle ins Bild gesetzt werden sollte. Mit äußerster Vorsicht wäre zu erwägen, ob hier nicht eine gewisse Ordensrivalität zum Ausdruck gebracht wurde, wie sie dreißig Jahre danach auch in der Sterbeszene des GrimaniBreviers anzuklingen scheint413  : Die Domini canes, hier ohne Fackeln, sind in einen Streit verwickelt, bei dem auch noch die dunkle Komponente zu siegen scheint414. Ebenso möglich ist freilich, daß das Motiv etwas ganz anderes meint  ; fest steht lediglich, daß es etwas bedeuten muß. Ansonsten hätte ihm die Bildregie nicht den Platz zugewiesen, den es einnimmt. Hinter den Figuren, gleichsam im Mittelgrund, ist jenes Areal sichtbar, das Barbaras Vater, der reiche Dioscuros von Nikomedien, sein Eigen nannte. In der Vision des Künstlers besteht es aus einem Wasserschloß, zu dem ein (von der Rasenmauer, die am linken Bildrand umbricht und in einer steilen Schräge in die Tiefe führt, und einem Bretterzaun gesäumter) Weg führt, sowie aus einem weiten Hof im rechten Bildteil. Dort wird der mächtige Turm gebaut, der Barbaras Schönheit vor den Blicken Unbefugter verbergen soll. Für den Augenblick ist die (hier ein zweites Mal im Bild auftretende) Heilige allerdings dabei, von solchen Vorsichtsmaßnahmen unbeeinträchtigt mit den Werkleuten jene drei Fenster auszuhandeln, die ihr Martyrium heraufbeschwören sollten. Hinter den Besitztümern des Dioscuros erstreckt sich eine ferne Landschaft, vom Wasserschloß, der großen Figur im Vordergrund und dem Turm rechts zwar stellenweise verdeckt, aber doch fast die gesamte Bildbreite durchziehend und somit eine beträchtliche Weite suggerierend. In Cod. Vind. Ser. n. 2625 gibt es kein vergleichbares Bild  ; nur durch Hinzunahme mehrerer Miniaturen dieser Handschrift kann die Leistung des Illuminators auf fol. 151r von Rylands Lat. 39 gewürdigt werden. So zeigt der Vergleich mit der Anna Selbdritt auf fol. 163v (Taf. VI) des Wiener Stundenbuchs einen zwar grundsätzlich ähnlichen, im Detail aber abweichenden Frauentyp und eine vergleichbar malerische, jedoch mit anderen Mitteln operierende Technik  ; im Rylands-Brevier ist der Farbauftrag dünner, und Schatten werden mit losen Strichen oder nur wenig abweichenden Farbnuancen erzielt. Der stärker zeichnerische Charakter manifestiert sich in vielen Einzelheiten, so etwa in den Gesichtern der beiden ungleichen Protagonisten, deren Strukturierung, aber auch plastische und stoffliche Gestaltung mittels (auffallend sicher gesetzter) kurzer Striche erfolgt. Darüber hinaus erscheint in der Wiener Miniatur das bereits bekannte, elaboriert modellierte Faltenrelief, das hier allerdings mit einer den Körper als Hohlform umschreibenden Gewandführung und einer den Existenzraum der Figuren definierenden Lokalangabe kombiniert ist. Letztere Elemente finden sich auch auf fol. 151r von Rylands Lat. 39, wobei jedoch die zwischen dem linken Arm und dem Körper sichtbare dunkelgraue Innenseite von Barbaras Umhang mit der grünen Futterfarbe kollidiert, die im unteren Bereich der Figur erscheint. Überzeugender gelöst ist demgegenüber die konkrete räumliche Situierung der Heiligen durch die sie rechts und hinten umfangende 413 Vgl. hier Kap. V 1. 414 Doch trägt auch der Augustiner Chorherr JG seine weiß-schwarze Ordenstracht.

Die Handschrift in Manchester

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Mauer, welch letztere zugleich den Übergang von Vorder- zu Mittelgrund – de facto nur über einen Raumsprung erlebbar – im linken Bildteils kontinuierlich bewerkstelligt. Die Diskrepanzen in der Umsetzung des Dreidimensionalen werden deutlicher, wenn man der Barbaraminiatur des Rylands-Breviers die Epiphanie auf fol. 73v des Wiener Stundenbuchs (Taf. X) gegenüberstellt. Freilich trägt der Augustiner Chorherr seine weiße Ordenstracht, der kniende König in der Wiener Darstellung einen roten Mantel  ; dies in Rechnung gestellt, ist die Modellierung des Figurenzylinders in Rylands Lat. 39 dennoch um vieles glaubwürdiger als die diesbezügliche Gestaltung des knienden Königs in Cod. Vind. Ser. n. 2625, wo nur am gelben, violett changierenden Kragen der roten Robe und entlang der Rückenlinie Ansätze zu Schattenzonen zu finden sind. Allerdings zeigt sich auch in dieser Miniatur, die ja eine der wenigen eigenhändigen des Jakobsmeisters in dieser Handschrift sein dürfte, eine in der Anna Selbdritt ebenfalls festgestellte Tendenz, dem Gesamtvolumen der Figuren Rechnung zu tragen. Dies geschieht auf fol. 73v durch opulente Gewänder und raumgreifende Aktionen bzw. raumorientierte Positionen der Protagonisten  ; letzteres könnte man beispielsweise auch für die Engel auf fol. 191r von Rylands Lat. 39 (Abb. 203) geltend machen, obwohl diese Miniatur ansonsten wenig mit der Wiener Epiphanie gemein hat. Unterschiedlich, wenngleich abermals vielleicht auf ähnlichen Voraussetzungen basierend, ist auch die Raumauffassung auf fol. 73v des Wiener Stundenbuchs und auf fol. 153v des Breviers in Manchester. Gemeinsam ist beiden Bildern, daß versucht wurde, mittels aggressiver Schrägen in die Tiefe vorzudringen. Dies geschieht im Wiener Bild jedoch in erster Linie im Vordergrund. Zwar wird der dort eingeleitete Raumvektor nach rechts hinten von den an das Stallgebäude anschließenden Bäumen fortgesetzt. Dies kann dennoch nicht mit der sich von vorne nach hinten kontinuierlich durchlaufenden Linie der begrünten Mauer verglichen werden, die eine klare Definition des Raumes gewährleistet und diesbezüglich auch Unterstützung durch den Lattenzaun links erhält. Natürlich endet dieser Vorstoß auch hier im Mittelgrund. Allerdings ist der hiermit konkretisierte Raum ungleich tiefer als jener in der Epiphanieminiatur, wo hintereinander gelagerte Landschaftskompartimente rasch die klar definierte Vordergrundbühne ablösen. Zuletzt ist noch zu erwähnen, daß die Gestaltung des Hintergrundes in Rylands Lat. 39 merklich anders ausfällt als in der Wiener Epiphanie, sowohl was die fernen, ins weißliche verblauenden Bergketten und ihr Verschmelzen mit einem zum Horizont hin extrem aufgehellten Himmel anlangt, als auch bezüglich der einzelnen Vegetationselemente, seien es nun Gräser oder Bäume. Dabei ist schwer vorstellbar, daß ein Künstler, der dermaßen duftige Laubkronen oder auch Büsche wie die unmittelbar hinter dem Kopf Barbaras wachsenden schuf, zu jenen vorsichtig getupften bzw. formelhaft ausgeführten Vegetationsformen zurückkehren sollte, wie sie bei aller Bewunderung für die Kunst des Jakobsmeisters nicht nur im Wiener Stundenbuch, sondern in zahlreichen seiner Arbeiten festzustellen sind. Dies gilt noch mehr, wenn man der Barbara-Miniatur des Rylands-Breviers das Bild des heiligen Alfons auf fol. 152v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 (Taf. XI) entgegenhält, wo zwar ein extrem verräumlichter (und daher vom frontal dargestellten Bischof auch gar nicht genutzter) Vordergrund von einer in großer Distanz, weil sehr klein, wiedergegebenen Landschaft kon-

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

terkariert wird, ohne daß eine perspektivische oder optische Integration der Figur auch nur im Mindesten versucht wurde. Zudem zeigen die ähnlich kostbar wie die Roben Barbaras erscheinenden Gewänder des Bischofs die hier sogar gänzlich anders erscheinende, auf schimmernde Stofflichkeit abzielende Malweise. Die differenzierten Oberflächen werden durch changierenden oder kontrastreichen Farbauftrag erzielt bzw. durch das nur teils mit Glanzlichtern gehöhte, effektvoll gleißende Gold – nicht nur auf Gegenständen, sondern auch in der Borte des Pluviale oder im Muster der Kasel. Der schöne Goldbrokat der Robe Barbaras mit seinem eher dünnen, sparsam modulierten Farbauftrag zeigt demgegenüber eine subtile, vielleicht weniger vordergründige Wiedergabe von Oberflächenwerten, wie sie sich auch im glänzenden Haar der Heiligen reizvoll manifestiert. Abb. 207: Abraham vor Melchisedek; New Ähnliches gilt für das Einzelblatt in der York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 1046, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 1046415 Einzelblatt aus einem Brevier (Abb. 207). Zwar sind die Gesichtszüge der beiden ehrwürdigen Protagonisten fortgeschrittenen Alters jenen des greisen Simeon auf fol. 77v (der Darbringung, Taf. VII) oder der beiden göttlichen Personen auf fol. 88v (der Marienkrönung, Taf. V) von Cod. Vind. Ser. n. 2625 sehr ähnlich. Doch erfolgt die Umsetzung auf dem Brevierblatt mit graphischeren Mitteln, was nicht ohne Auswirkung auf die Form und den Ausdruck der Physiognomien bleibt. Ganz anders als in allen Jakobsmeister-Miniaturen des Wiener Stundenbuchs ist auch hier die Gestaltung der Landschaft, deren Kontinuität vom Vordergrund bis in den Hintergrund zwar nicht durch Raumvektoren, jedoch durch das konsequente Aneinanderfügen farblich differenzierter, dabei aber ineinander übergehender Terrainzonen erfolgt. Während Abraham und Melchisedek bildparallel im unmittelbaren Vordergrund knien, ist das ein wenig monströse Pferd in den Raum hinein gerichtet, was zusammen mit dem einheitlichen Kolorit (das Figuren wie Flora gleichermaßen erfaßt und nur dem Hohepriester und dem Knappen eine gewisse Sonderstellung einräumt) für eine glaubwürdige Integration der Akteure in ihr Umfeld sorgt. Die Vegetationselemente wie Bäume und Büsche unterscheiden sich in Form und Ausführung stark von jenen im Wiener Codex, ebenso die Wiedergabe des Hintergrundes mit der ein wenig altertümlichen Staffelung runder, mit spitzturmigen Stadtsilhouetten ausgestatteter Hügelkuppen. 415 London – Los Angeles 2003, S. 367 f. (Nr. 108), S. 528 (Literaturangaben).

Das Brevier in Berlin

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Insgesamt ergibt sich ein ähnlicher Befund wie beim Vergleich der beiden anderen Miniaturen aus dem Rylands-Brevier mit den Arbeiten des Jakobsmeisters im Wiener Stundenbuch  : Ein gewisser Zusammenhang ist unbestreitbar, große, m. E. mit einer Stilentwicklung nicht zu erklärende Differenzen ebenso. Es scheint daher, als wären die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Werken eher auf die Ausbildung unseres Künstlers in jenem Milieu zurückzuführen, in dem auch der Illuminator der drei genannten Rylands-Miniaturen, vielleicht sogar in leitender Position, tätig war416, denn auf die Identität der ausführenden Maler in den in Manchester und Wien befindlichen Handschriften.

Das Brevier in Berlin Dies wird in besonderem Maße durch das zweite in die achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts datierte Brevier nahegelegt, eine in Namur offenbar 1489 fertiggestellte Handschrift (Abb. 208)417, die auf mehreren Seiten das Wappen eines Mitglieds der Familie Carondelet 418 und das Motto GNOTHI SE AUTON bzw. COGNOSCE TE IPSUM aufweist419, so auf fol. 561r (Abb. 209). Sie wird in der Staatsbibliothek zu Berlin unter der Signatur Ms. theol. lat. fol. 285 verwahrt420. Die große Anzahl an Bildern, wobei nur manche halbseitig, die meisten jedoch Textminiaturen sind, teilten sich im wesentlichen zwei Illuminatorenteams, die in der neueren Forschung mit dem Meister der Lübecker Bibel und dem Jakobsmeister identifiziert werden421. Obwohl die neueste Forschung keinerlei Probleme mit der frühen Datierung 416 Hier sei noch angemerkt, daß es nicht zwingend (wenngleich möglich) erscheint, daß alle drei besprochen Bilder des Breviers in Manchester vom selben Künstler stammen. Gerade im Hinblick auf die größere Anzahl der in Rylands Lat. 39 tätigen Maler, die nicht einmal alle einer Werkstatt zu entstammen scheinen, wäre es möglich, daß das stilistisch ein wenig abweichende New Yorker Einzelblatt von einem anderen Illuminator als die Assunta und die Barbaraminiatur gemacht wurde  ; die ständige enge Zusammenarbeit dieser beiden Künstler wäre Voraussetzung für eine solche Annahme. 417 Die Handschrift weist auf einigen Seiten die Jahreszahlen 1487 (fol. 8v), 1488 (fol. 254v), 1489 (fol. 582r) auf. Vgl. hier Abb. 208, wo die Jahreszahl über der Miniatur fragmentarisch zu erkennen ist. 418 Um welches Mitglied der Familie es sich dabei gehandelt haben könnte, ist unklar  ; Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 378, erwägt Jean Carondelet († 1501), den Kanzler Burgunds unter Maximilian I. 419 Ebenda werden weitere Beispiele für das Vorkommen des Wappens (fol. 8r, 417v) des griechischen (fol. 8r) und des lateinischen Mottos (fol. 33r, 417v) genannt. 420 London – Los Angeles 2003, S. 378 f. (Nr. 112), S. 529 (Literturangaben). 421 �������������������������������������������������������������������������������������� Einige wenige Miniaturen stammen von einem Maler, der mit dem sogenannten Maximiliansmeister in Verbindung gebracht werden kann, hinter dessen Namen sich eine größere Anzahl mäßig bis durchaus talentierter und unermüdlich kooperierender Illuminatoren verbirgt. Die beiden für die Ausstattung von Ms. theol. lat. fol. 285 hauptverantwortlichen Künstler scheinen relativ eng zusammengearbeitet und darüber hinaus auch wenigstens je einen Gehilfen beschäftigt zu haben. Vgl. dazu auch London – Los Angeles 2003, S. 378.

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

Abb. 208: Maria humilitatis; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 582r. Abb. 209: Allerheiligen; Wappen; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 561r.

der Handschrift (u. a. erstaunlicherweise aus kostümkundlichen Erwägungen) 422 zu haben scheint, war sich Bodo Brinkmann der vielen Fragen, die eine solche zeitliche Ansetzung im Hinblick auf das Œuvre beider Meister aufwirft, offensichtlich bewußt. Dies resultierte in einer Ansetzung des Bildschmucks etwa ein Jahrzehnt nach der Fertigstellung des Textes, also offenbar um 1500423. Tatsache ist jedoch, daß weder die mutmaßlichen Miniaturen des Ja422 Vgl. ebenda, S. 379, Anm. 4. Ohne ein Kostümexperte zu sein, möchte ich doch nachdrücklich darauf hinweisen, daß weder die Miniaturen des Jakobsmeisters noch die des Meisters der Lübecker Bibel in den folgenden Jahrzehnten solche Gewänder aufweisen – besonders die Werke des Jakobsmeisters lassen bestenfalls hin und wieder einzelne ähnliche modische Details erkennen (vgl. hier Abb. 189). Seine Auffassung und Umsetzung von Kleidung wirkt jedoch grundsätzlich völlig anders, auch wenn mitunter Einzelheiten mit den Berliner Bildern übereinstimmen mögen. 423 B. Brinkmann (Brinkmann 1987/88, S. 151, Anm. 75) spricht von einer zweiten Kampagne, in der das Gros der Miniaturen der früher begonnenen Ausstattung hinzugefügt wurde, und glaubt diese um 1500 ansetzbar  ; dies wurde von G. Achten in Berlin 1987, S. 114 f., übernommen.

Das Brevier in Berlin

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kobs- noch die des Lübecker Meisters in die Zeit um 1490 oder auch um 1500 passen424. Dies gilt unabhängig von den unserem Künstler im Rylands-Brevier zugeschriebenen Arbeiten, und erst recht dann, wenn man diese in die Argumentation mit einbezieht. Allein die Zuschreibung einiger Miniaturen an den Meister der Lübecker Bibel425 stellt die Verbindlichkeit der in Ms. theol. lat. fol. 285 festgehaltenen Datierung in Frage. Bodo Brinkmann hat die Zusammenarbeit dieses Illuminators mit dem Jakobsmeister in der im Fitzwilliam Museum, Cambridge, unter der Signatur 1058–1975 aufbewahrten und vom Autor um etwa 1515 datierten Handschrift festgestellt und dabei (auf Grund des geringen Anteils des Meisters der Lübecker Bibel) darauf geschlossen, daß der Maler zu diesem Zeitpunkt noch jung gewesen sein muß426. Auch wenn man die Datierung des Stundenbuchs in Cambridge wohl etwas früher wird ansetzen müssen und überdies der Lübecker Meister auch in dem vermutlich um 1510 entstandenen Spinola-Stundenbuch in einer proportional ähnlich untergeordneten Rolle mit dem Jakobsmeister kollaboriert hat, scheint seine umfangreiche (vielleicht gar in leitender Position durchgeführte) Betätigung im Berliner Brevier, das der Datierung 1489 zufolge gute zwanzig Jahre, Brinkmann zufolge aber doch auch fünfzehn Jahre vor den beiden anderen Codices illuminiert worden sein soll427, doch überaus erstaunlich. Und dies ist nicht der einzige Aspekt von Ms. theol. lat. fol. 285, der sich als inkompatibel mit der vermeintlichen Datierung erweisen könnte428. Einmal mehr liegt es nahe, zuerst die dem Jakobsmeister (und seinem Kreis) zuzuschreibenden Miniaturen im Wiener Stundenbuch Cod. Vind. Ser. n. 2625 jenen im Berliner Brevier gegenüberzustellen. Dabei wird rasch offensichtlich, daß sich die Berliner Bilder zwar eindeutig an die Arbeiten des Jakobsmeisters heranrücken lassen, sich aber sowohl bezüglich der Motivik als auch bezüglich der Gestaltungsprinzipien sonderbar fremd im Œuvre des Künstlers ausnehmen. Zwar gibt es Darstellungen in Ms. theol. lat. fol. 285, deren Figurentypik jener des Jakobsmeisters unmittelbar entspricht, wie etwa die der heiligen Agnes auf fol. 394v (Abb. 210), jene (der Cambridger Miniatur selben Inhalts, die aus dem Kreis des Lübecker Meisters stammen könnte, ikonographisch ähnliche429) des Erzengels Michael auf fol. 546r (Abb. 211) oder jene der auf einem Kissen hockenden und von zwei Engeln gekrönten Gottesmutter mit Kind auf fol. 582r (Abb. 208). Die meisten dem Jakobsmeister verwandten Miniaturen des Berliner Breviers zeigen eine bislang unbekannte Facette seines Werkstatt424 Brinkmann hat denn auch die Berliner Miniaturen dem Umkreis des Lübecker Meisters zugeordnet, womit er m. E. recht hat  ; der Einfachheit halber möchte ich im Folgenden jedoch bei der Bezeichnung „Lübecker Meister“ für den im Berliner Brevier tätigen Maler bleiben. 425 So E. Morrison und Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 378. 426 Brinkmann 1997, S. 318–321, bes. 320 ff. 427 Brinkmann 1997, S. 325–329, neigt zu einer Datierung des Spinola-Stundenbuchs um 1515. 428 Die angeführten chronologischen Probleme lösen sich nur bedingt, wenn man die Miniaturen von Ms. theol. lat. fol. 285 dem Lübecker Meister abschreibt, da dies viele neue Fragen aufwirft, die ich nicht in der Lage bin zu erörtern  ; mit einigen davon wird sich die bevorstehende Publikation von Matthias Weniger zu Juan de Flandes und den Malern seines Kreises befassen. 429 Brinkmann 1997, Abb. 336.

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

Abb. 210: Heilige Agnes; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 394v.

Abb. 211: Erzengel Michael; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 546r.

stils, die nur in Ausnahmefällen durch Gehilfenbeteiligung zu erklären sein dürfte. Von einem Mitarbeiter könnten die Darstellungen des büßenden Hieronymus auf fol. 549v und des Johannes Baptista auf fol. 450r (Abb. 212) stammen, möglicherweise auch die halbseitige Miniatur der Verkündigung auf fol. 417v – die allerdings, nicht anders als die Gregorsmesse auf fol. 415r (Abb. 213), Merkmale sowohl des Jakobs- als auch des Lübecker Meisters aufweist, was nahelegt, daß die beiden (und die ihnen nahestehenden) Maler in Ms. theol. Lat. fol. 285 so eng zusammenarbeiteten, daß sie mitunter in derselben Miniatur Hand anlegten. Zum Vergleich mit Cod. Vind. Ser. n. 2625 eignet sich die Madonnendarstellung auf fol. 582r von Ms. theol. lat. fol. 285 (Abb. 208) in besonderem Maße, die ein Pendant im Bild der Gottesmutter auf fol. 26v des Wiener Codex (Taf. XVII) hat. Trotz des beachtlichen Größenunterschiedes – im Wiener Stundenbuch handelt es sich um eine ganzseitige, im Berliner Brevier um eine kaum zehn Schriftzeilen hohe Textminiatur – und des unterschiedlichen Bildtyps (eine halbfigurige Madonna lactans in Wien, eine ganzfigurige, von Engeln gekrönte Maria humilitatis in Berlin) sind die kompositionellen Übereinstimmungen groß. Die Madonna befindet sich beide Male an einem golden hinterlegten und von (goldenen bzw. blauen) Wolken umfangenen idealen Ort. Sie ist jeweils mehr oder weniger deutlich nach links gewandt, hält ihr schräg von links nach rechts gelagertes Kind mit beiden Händen quer vor ihren Körper

Das Brevier in Berlin

Abb. 212: Johannes der Täufer; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 450r.

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Abb. 213: Gregorsmesse; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 415r.

und blickt es mit gesenkten Lidern mehr oder weniger nachdenklich an. Auch ist die Gottesmutter in beiden Fällen gleich gekleidet – sie trägt unter ihrem blauen Mantel ein graues Untergewand und darunter ein nur am Halsausschnitt sichtbares weißes Hemd. Allerdings hat sie in Wien den Mantel über die Haare und einen dort zusätzlich befindlichen weißen Schleier gezogen, während sie in Berlin nur ihre (dafür auffallend üppige) Haarpracht vorzuweisen hat. Das graue Untergewand ist das einzig Bemerkenswerte an dieser Tracht. Grundsätzlich ist das subtile Violettgrau eine Farbe, die in der Wiener Handschrift besonders bevorzugt wird, und insofern ist auffallend, daß auch die Berliner Maria ein (allerdings in einer viel helleren und weniger spektakulären Nuance gehaltenes) graues und nicht (wie sonst oft) ein blaues Untergewand trägt. Die wirklichen Unterschiede zwischen der Wiener und der Berliner Miniatur treten im Bereich der Gestaltungsprinzipien und der Malweise auf. Zweifellos fördert die ganzfigurige Darstellung der Madonna in Berlin – zumal dadurch die Räumlichkeit ihres Sitzmotivs sowie des großen quadratischen Kissens deutlich wird – den Eindruck der Dreidimensionalität, der sie gegenüber der Halbfigur auf fol. 26v von Cod. Vind. Ser. n. 2625 auszeichnet. Dennoch scheint diese motivische Diskrepanz nicht allein für die hier manifesten Auffassungsunter-

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Exkurs  : Die Breviere in Manchester und Berlin

schiede verantwortlich – im Gegenteil, eher dürfte die Wahl einer ganzfigurigen Darstellung in einer kleinformatigen gegenüber einer halbfigurigen in einer großformatigen Miniatur die Folge davon sein. Auf eklatante Weise ist das plastische Volumen der Figur im Berliner Bild gesteigert. Dafür ist weniger die Modellierung (also das feine Arbeiten mit Hell-DunkelWerten) verantwortlich als die Tatsache, daß der Künstler – sei es nun durch einzelne Motive wie die Speckfalten an den Gliedmaßen des Christkindes oder durch Bewegungen wie die von hinten nach vor (und nicht bildparallel wie in Wien) geführte rechte Hand der Madonna – die Körper der Figuren als rund, also raumverdrängend, und als im Raum agierend beschreibt. Unterstützt wird dies durch die Malweise, die die durch das Datum 1489 vorgeschlagene zeitliche Abfolge der beiden Werke besonders in Frage stellt. Zweifellos arbeitete man in beiden Miniaturen prinzipiell mit den gleichen Mitteln, indem man einen großzügigeren Auftrag einzelner Farb- (oder Farbton-)flächen mit sowohl akzentuierenden als auch vermittelnden Schraffen verband. Doch wird diese Vorgangsweise in der Wiener Madonna beinahe unbeholfen angewandt, so daß der Eindruck nicht nur von Trockenheit, sondern nachgerade Sprödigkeit entsteht  : Die Art des Farbauftrags bleibt deutlich sichtbar, es kommt nicht wie im Berliner Brevier zu jener suggestiven Verwandlung der Mittel in das, was sie suggerieren sollen. Im Berliner Bild wird die gleiche Technik mit erstaunlicher Souveränität gehandhabt. Das dralle, sich breit im Raum entfaltende Christkind (obwohl in seiner Oberflächentextur ganz ähnlich wie sein Wiener Pendant gestaltet) erfährt eine nachdrückliche Rundung sämtlicher Körperpartien durch Zeichnung wie Modellierung, was durch seine natürliche Beweglichkeit noch gesteigert wird. Die sichere Wiedergabe plastischer und räumlicher Werte, aber auch der gelösten Aktionen vermittelt den Eindruck, man habe es mit einem routinierten Künstler zu tun, mit jemandem, der mit wenigen Mitteln in einer losen Malweise höchst befriedigende Lösungen hervorzubringen imstande ist. Zweifellos hat die Wiener Miniatur eine größere farbliche Brillanz, verrät einen begabten Koloristen (ein Eindruck, den andere, vielfigurige Miniaturen von Cod. Vind. Ser. n. 2625 nachdrücklich bestätigen). In der nonchalanten, auch ein wenig sorglosen Handhabung der Technik sowie in der mühelosen Bewältigung dreidimensionaler Gestaltungsaspekte ist der Berliner dem Wiener Illuminator jedoch eindeutig überlegen. Folgt man der älteren Literatur, müßten die beiden Miniaturen des Jakobsmeisters in Cleveland als primäre Vergleichsbeispiele für die Berliner Arbeiten des Künstlers herangezogen werden, zumal das dort aufbewahrte, für Isabella von Kastilien bestimmte Stundenbuch Patrick de Winter zufolge430 in den frühen neunziger Jahren und somit (nach der neuesten Einschätzung des Breviers durch Elizabeth Morrison und Thomas Kren431) nahezu zeitgleich mit den Bildern Ms. theol. lat. fol. 285 entstanden wäre. Obwohl die neueste Literatur eine Datierung der Clevelander Handschrift in das frühe 16. Jahrhundert erwägt 432 und den in der vorliegenden Studie getätigten Überlegungen zufolge ihre Fertigstellung in der zweiten 430 De Winter 1981, passim. 431 London – Los Angeles 2003, S. 378. 432 Ebenda, S. 358–361.

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Hälfte der neunziger Jahre am plausibelsten erscheint433, ist eine Gegenüberstellung mit den Berliner Miniaturen in jedem Fall sinnvoll, zumal ja auch letztere schon um 1500 angesetzt wurden434. Freilich bieten sich die beiden Vollbilder nur mit Einschränkungen für einen Vergleich mit den kleinformatigen Darstellungen in Ms. theol. lat. fol. 285 an. Der ganzseitigen Marienmesse auf fol. 87v von CMA 1963.256 (Abb. 58) entspricht thematisch am ehesten die kleine Gregorsmesse auf fol. 415r (Abb. 213) des Breviers  ; allerdings scheint die letztgenannte Miniatur eine Koproduktion von Jakobs- und Lübecker Meister zu sein, zumal ihre Konzeption viel eher jener der Gregorsmesse vom Lübecker Meister auf fol. 272v des Spinola-Stundenbuchs (Abb. 214) als den Bildern gleichen Inhalts von der Hand des Jakobsmeisters auf fol. 137v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 36) Abb. 214: Gregorsmesse; Los Angeles, und auf fol. 140r von Cod. Vind. 1887 (Taf. The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch, fol. 272v. XXI) entspricht. Die Gegenüberstellung mit der Marienmesse auf fol. 87v des Isabella-Stundenbuchs offenbart denn auch die aggressiv räumliche Disposition der Berliner Miniatur. Nicht, daß der dargestellte Raum tiefer wäre als jener in Cleveland oder daß wie dort ein von ganz vorne nach ganz hinten durchgehender Raumvektor aufschiene. Im Gegenteil  : Die Berliner Miniatur zeigt zwar einen Einblick in das angrenzende Kirchenschiff, aber keinen Ausblick aus diesem wie in Cleveland, und der über die Altarmensa konstruierte, von rechts vorne nach links hinten weisende Tiefenschub wird durch einen Chorschranken und vor allem durch einen mächtigen Rundpfeiler massiv gebremst. Im Clevelander Bild hingegen setzt sich ein kontinuierlicher Tiefenzug durch die gerade richtig plazierte Chorschrankenöffnung, die entsprechende Staffelung der Stützen dahinter und die Dienste der hinteren Kirchenschiffwand bis ins Freie fort. Dafür ist der Vordergrund in der Berliner Miniatur in einer Weise verräumlicht, der alle übrigen Gestaltungsprinzipien, ja selbst die Bildaussage (da Gregor auf Grund der gewählten Aufsicht und des Tiefenzuges nur im verlorenen Profil zu sehen und sein Gesicht damit kaum zu erkennen ist), untergeordnet werden. Dies geschieht unter anderem durch das im Vordergrund ein Stück unverdeckt in die 433 Vgl. hier Kap. III 2. 434 Berlin 1987, S. 114 f.

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Tiefe stoßende Altarpodest und die durch die Aufsicht (scheinbar) in ihrem gesamten Tiefenverlauf sichtbare Mensenplatte, aber auch durch die parallel zum Altar verkürzte Schulterpartie Gregors. Zudem knien sämtliche Figuren, sogar der vergleichsweise bildparallel konzipierte Papst, schräg im Raum, reagieren also auf diesen, nehmen ihn an und setzen ihn fort. Nur in der dem Meister der Lübecker Bibel zuschreibbaren Gregorsmesse auf fol. 272v von Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 214) ist ein ähnlich (und doch weniger) dynamisches Raumkonzept anzutreffen. Die Clevelander Marienmesse vertritt demgegenüber ein viel ruhigeres, von den zahlreichen Vertikalen des Bildaufbaus konterkariertes System der Verräumlichung, das zu einem wesentlichen Teil auch von den gelassen agierenden, zu verblockten Senkrechten gewordenen und als solche hintereinander gestafAbb. 215: Anbetung der Hostie; Berlin, felten Figuren mit getragen wird. Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 365r. Nun mögen diese Unterschiede zu einem wesentlichen Teil darin begründet liegen, daß der Anteil des Meisters der Lübecker Bibel im kleinen Textbild des Berliner Breviers – aus welchen Gründen auch immer – ausgesprochen hoch sein dürfte. Aber auch die einzige andere in einem sakralen Innenraum angesiedelte Szene in dieser Handschrift mit Merkmalen der Kunst des Jakobsmeisters, eine Anbetung der Hostie durch eine Gruppe männlicher Heiliger auf fol. 365r (Abb. 215), zeigt bei aller Gedrängtheit durch das Format und die darin eingepferchten Personen einen erstaunlichen Willen zur Verräumlichung mittels über Eck gestellter Schrägen, wobei die zum Hostientabernakel empor führenden Treppen von links weg in die Tiefe fluchten, was durch die sie flankierenden Heiligen (Hieronymus und ein Karthäuser, vielleicht der heilige Bruno) noch unterstrichen wird. Dem antwortet die in vier Reihen gestaffelte Gruppe der übrigen Heiligen, die im rechten Winkel dazu, also vom rechten Bildrand weg nach links hinten angeordnet sind. Auch das Schwein des Antonius Abbas und der Hund Bernhards auf der rechten sowie der Löwe des Hieronymus auf der linken Seite ordnen sich diesem Schema der gegenläufigen Raumdiagonalen unter. Nur der von Bernhard an einer Kette mit geführte Dämon, der verzweifelt vor der Gegenwart der Hostie nach rechts Reißaus zu nehmen sucht und damit ein höchst kurzweiliges Füllmotiv für den von der Figurenkonstellation freigelassenen Zwickel abgibt, fungiert als bildparalleles Motiv, das die potentielle Räumlichkeit dieser leeren Bildecke flächendekorativ umgestaltet und diesbezüglich dem Hündchen in der Clevelander Gregorsmesse exakt entspricht. Im übrigen zeigt auch die Gegenüberstellung dieser beiden

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Miniaturen, um wie viel mehr Raum das Clevelander Vollbild wiedergibt, um wie viel bedingungsloser jedoch in der Berliner Miniatur alle Bildelemente einem räumlichen Koordinatensystem untergeordnet sind. In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, der Berliner Hostienanbetung das Allerheiligenbild des um die Jahrhundertwende datierbaren Antwerpener Breviers (Museum Mayer van den Bergh, Inv. Nr. 946, fol. 562v, Abb. 88) gegenüberzustellen. Das letztgenannte Vollbild, dessen hohe Qualität sich in der meisterhaften Ausführung ebenso äußert wie im komplexen Bildinhalt und in der feinen psychologischen Differenzierung der Anwesenden, zeigt ebenfalls eine ganz andere Art räumlicher Figurenanordnung und letztlich eine viel flächendekorativere Komposition. Dabei ist bemerkenswert, daß die kleinen Akteure in Berlin ebenfalls eine Vielfalt menschlicher Typen vertreten, und daß darüber hinaus die beide Male ganz ähnlich konzipierte Figur des heiligen Bernhard in Berlin ein harmonischeres Zusammenspiel des durch den Kapuzenansatz über der Brust suggerierten Volumens und der dazugehörigen Armhaltung zeigt. Auch die Abdunkelung seines Figurenzylinders nach hinten zu ist in Berlin konsequenter und überzeugender gelöst, und das gleiche gilt für die Modellierung des Schädels. Die individuelle Charakterisierung Bernhards im Antwerpener Brevier, eine Frage der subtilen Schilderung des Ausdrucks wie der Oberflächenstruktur des Gesichts, wird in Berlin allerdings nicht entfernt erreicht, vermutlich nicht einmal angestrebt. Zuletzt bleibt festzuhalten, daß auch diese vom mutmaßlichen Jakobsmeister ausgeführte Miniatur der Hostienanbetung einen Typus Architektur zeigt, der eher mit dem Meister der Lübecker Bibel zu assoziieren ist. Dazu gehört seine Nahsichtigkeit, ja beinahe klaustrophobische Enge ebenso wie die Säulenstellungen der Lettneröffnung, deren ungotisches Aussehen weniger den Eindruck eines renaissancehaften als eines romanischen Interieurs hervorruft. Ähnliche Säulenstellungen gibt es zwar auch am Lettner der Clevelander Marienmesse  ; doch sind sie dort in ein anderes Ambiente mit anderen Proportionen gebettet, und dementsprechend anders ist ihre Wirkung. Für die Rochusdarstellung des Clevelander Stundenbuchs (Abb. 59) ein Vergleichsbeispiel unter den Berliner Miniaturen zu finden, gestaltet sich ebenfalls schwierig. Zwar illustrieren etliche der kleinen Textbilder Gebete zu einzelnen Heiligen, aber wohl kaum zufällig sind diese stets in einer offenen loggia- oder hallenartigen Architektur präsentiert. Dieser Kunstgriff ermöglichte dem Berliner Illuminator die konkrete Definition einer tiefen, die Figur von allen Seiten umfassenden Vordergrundbühne, während diese in der Rochusminiatur nur durch die Akteure selbst veranschaulicht wird und entsprechend seichter ausfällt. Dafür ist alles an den Clevelander Figuren selbst so angelegt, maximale Räumlichkeit zu suggerieren, sei es der Rochus wie eine Schale umhüllende Mantel, sei es die Bewegung des Heiligen nach links vorne (die durch die Haltung seiner Arme über die bloße Schrittstellung hinaus den ganzen Körper zu erfassen scheint), sei es die räumlich versetzte Position des Engels oder die radikale Verkürzung des gleichsam zu einem Kreissegment verworfenen Hündchens an der Seite des Heiligen. Stellt man diesen raumschaffenden Aktionen, Positionen und Projektionen der Clevelander Protagonisten den heiligen Johannes Baptista mit dem Agnus Dei auf fol. 450r (Abb. 212) der Berliner Miniatur gegenüber, so wird man einer durchaus anderen Auffassung gewahr.

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Zwar steht der Täufer ebenfalls in Schrittstellung nach links vorne zu, die Ausrichtung seines Körpers erfolgt jedoch schräg nach rechts, was durch die Haltung beider Arme unterstrichen wird. Nur der Kopf ist nachgerade übertrieben wiederum nach links gedreht, und die Augen schließlich blicken geradeaus nach vorne, unmittelbar aus dem Bild. Diese mehrfachen Achsverschiebungen, die eine ausgesprochen agitierte, den üblicherweise gelassenen Heiligen des Jakobsmeisters durchaus fremde Gemütsverfassung ausdrücken, finden ihre Entsprechung in dem wirren Haupthaar des Heiligen, das nur bedingt durch die Johannesikonographie erklärbar ist. Das sonderbarste aber ist der rote, um das härene Hemd gelegte Mantel des Asketen, dessen große, räumlich eindeutig als die Figur umfassend angelegten Schüsselfalten in einem noch vor dem Körper unter den Arm geklemmten Faltenbausch enden, womit der räumliche Schwung zu einer letztlich flächigen Formation umgedeutet wird. Dies ist möglicherweise auf die Verwendung einer fremden Vorlage zurückzuführen, die entsprechend umgedeutet, vielleicht auch nicht verstanden wurde. Das gleiche läßt sich am Agnus Dei feststellen, das seiner Position auf den Bodenfliesen zufolge hinter dem Heiligen steht, dabei jedoch dessen Gewand überschneidet. Wenn dies auch auf den Versuch zurückzuführen sein könnte, das Volumen des Täufers über sein hinteres Standbein hinaus anzuzeigen (was ja durch den in den Raum hinein abgewinkelten linken Arm auch gar nicht unplausibel wäre), stört dieses Motiv den Bildeindruck doch sehr. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier die Umsetzung eines fremden Entwurfs durch den Illuminator vorliegt, der denn auch, wie eingangs erwähnt, eher ein Gehilfe denn der mutmaßliche Jakobsmeister selbst sein dürfte. Demgegenüber offenbart die heilige Agnes auf fol. 394v (Abb. 210) des Berliner Breviers eine durchgehend konsistente Auffassung. Auch sie steht nach rechts gewandt in einer nach den Seiten hin offenen Halle, deren Rückwand hier von einem roten Ehrentuch verhängt wird, und liest in einem Buch. Das Schwert, das ihr eine noch blutende Halswunde zugefügt hat, trägt sie unter den rechten Arm geklemmt. Rechts neben ihr erscheint ihr Attribut, ein Scha f. Wie die Madonna humilitatis auf fol. 582r (Abb. 208) zeichnet sich Agnes durch eine spektakuläre, im Œuvre des Jakobsmeisters ansonsten unübliche dichte und lange Haarpracht aus. Ihre Kleidung besteht aus einem grauen Mantel mit breiter gelber Bordüre und gelbem Futter, einem langärmeligen, grünen Kleid mit weißem Wams und Pelzverbrämung an der weit auslaufenden Schleppe sowie aus einem blauen, mit Goldfäden gesäumten Untergewand. Ungeachtet dieser vielfarbigen Kostümierung ist der Gesamteindruck der Miniatur ein ausgesprochen ruhiger, primär deshalb, weil Agnes’ Haltung ohne Achsverschiebungen auskommt. Obwohl das direkt an ihre Seite gedrängte, nahezu senkrecht zur Bildfläche stehende und entsprechend verkürzte Schaf das beachtliche Volumen der Heiligen verrät, frontalisiert das Gewand die an sich ja schräg positionierte Figur nicht nur durch die streifenförmige Farbabfolge, sondern auch durch die Tatsache, daß der Mantel wie eine Schürze vor den Körper gezogen ist und ihn damit verhängt. Diese Tendenz zur Verflächigung wäre somit sowohl bei Johannes als auch bei Agnes anzutreffen, mit dem nicht unerheblichen Unterschied, daß sie bei der heiligen Jungfrau homogen alle Aspekte der Figurenpräsentation betrifft, während der Täufer bezüglich seines Entwurfs und dessen Umsetzung Diskrepanzen aufzuweisen scheint.

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Auch in der Ausführung lassen sich einige Unterschiede feststellen. Daß Agnes dasselbe rundplastisch geformte Gesicht wie Maria auf fol. 582r und eine ähnlich summarische Rundung der Hände und Brüste aufweist, während in des Täufers Physis eher die markanten Einzelformen betont scheinen, mag auf die unterschiedliche Aufgabenstellung (Charakterisierung eines hageren Asketen gegenüber einer lieblichen Jungfrau) zurückzuführen sein. Bemerkenswerter sind da schon die Abweichungen in der Wiedergabe der beiden Lämmer. Das Agnus Dei, ein etwas zierlicheres und graziöseres Exemplar als sein Artgenosse in der Agnesminiatur, ist farblich weitgehend einheitlich gestaltet, wobei ockerfarbene Kringel in erster Linie flockige Oberflächentextur, weniger aber die Rundung des Tieres beschreiben. Dagegen wirkt der Verlauf der Fellstruktur im Schaf der Agnesminiatur in erster Linie form­ umschreibend. Zudem verstärkt die kontrastreichere Helldunkelsetzung (sowohl in den einzelnen Wollocken als auch an den plastisch artikulierten Beinen sowie im Bereich der Schlagschatten) die pyhsische Präsenz des ebenfalls mit einem Nimbus ausgestatteten Attributs der Heiligen. Diese Unterschiede in der Wiedergabe des Dreidimensionalen erstrecken sich allerdings nicht auf die Hintergrundgestaltung. In beiden Bildern wird durch je zwei Öffnungen ein tiefer Landschaftsausblick geboten, wobei in der Johannesminiatur schon die Tatsache, daß der Raum auch nach hinten zu offen ist, ein Kontinuum von ganz vorne bis zum Horizont suggeriert. Es wird zwar von der Mauerbrüstung und dem nur wenig durch emporragende Bäume gemilderten Raumsprung dahinter de facto unterbrochen, doch greift der Flußlauf in der Ferne den von den Fliesen initiierten Raumvektor wieder auf und ermöglicht somit eine Wahrnehmung desselben als durchgehend. Auch der Blick durch den rechten Türbogen, von dem aus Treppen hinab ins Freie führen, wandert über sachte hintereinander gefügte Kuppen relativ kontinuierlich einen Berghang hinauf, wobei durch stetige Verkleinerung der Flora ein überzeugender Tiefenzug zustande kommt, der in der Kapelle auf dem Hügelrücken im wahrsten Sinne des Wortes gipfelt. Die lateralen Ausblicke im Agnesbild weisen nun das gleiche Gestaltungsprinzip der hintereinander gestaffelten Landschaftselemente auf. Dabei gleitet der Blick jeweils durch Talsenken in eine mit Gebirgszügen besetzte Ferne, wobei einander ungeachtet dieses motivischen Unterschiedes die grundsätzlichen Elemente der Landschafts- und damit Tiefenraumgestaltung entsprechen. Der Raumsprung zwischen Vordergrundbühne und Hintergrund wird im Agnes- wie im Johannesbild durch relativ große und damit nahe Baumkronen gemildert, und der Blick gleitet weitgehend ungehindert über hintereinander angeordnete Flora, teils von Schrägen (wie dem angedeuteten Weg im linken Ausblick des Agnesbildes) unterstützt, in die Ferne. Es stellt sich die Frage, ob dieses Landschaftskonzept mit jenem in der Clevelander Rochusminiatur (Abb. 59) kompatibel ist. Ungeachtet dessen, daß sich die Berliner Heiligen in einem Architekturkompartiment befinden, von dem aus jeweils nur fragmentarische Ausblicke, nicht aber ein bildfüllendes Panorama wie im Clevelander Stundenbuch geboten wird, ergeben die Landschaftsprospekte in Ms. theol. lat. fol. 285 stets (so auch in der Darstellung des heiligen Andreas auf fol. 378v oder in jener des heiligen Matthias auf fol.

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413r, Abb. 216) ein überzeugendes Ganzes. Durch bildparallele Wege oder Hügelkanten geschaffene Zäsuren entfallen ebenso wie steile, frontal ausgerichtete Felswände. Gerade die beiden letztgenannten Motive weist nun aber die Rochusminiatur in Cleveland mehr oder weniger deutlich auf. Daß dies nicht auf eine Kompensation fehlender (Architektur-)Strukturen im Vordergrund zurückzuführen ist, soll der Vergleich des Clevelander Bildes mit einigen Martyriumsszenen im Berliner Brevier, so etwa mit der Marter des heiligen Laurentius auf fol. 495r (Abb. 217) oder der Enthauptung mehrerer männlicher Heiliger auf fol. 358r (Abb. 218), beweisen. In den beiden Berliner Bildern ist eine kontinuierliche Konstruktion des Raumes das im wahrsten Sinne des Wortes zentrale Thema  : Im Laurentiusbild (Abb. 217), in dem es auch zu einer enormen VerräumAbb. 216: Heiliger Matthias; Berlin, lichung des unmittelbaren Vordergrundes Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 413r. durch den schräg zur Bildfläche gestellten Rost kommt, läßt die Anordnung der Protagonisten entlang der vertikalen Mittelachse Platz für einen Pfad frei, der von vorne weg über ansteigendes Terrain zu dem das Martyrium beaufsichtigenden, mit seinem Gefolge in einiger Distanz weilenden Kaiser Valerian führt. Entsprechend dieser Konstellation wird der gesamte Hügel als kontinuierlich ansteigend und in seiner graduellen Tiefenerstreckung klar nachvollziehbar gezeigt. Rechts wird ein Ausblick in die Ferne aufgebaut, der zwar nicht ohne Raumsprünge auskommt, dabei jedoch die Kontinuität der Landschaft mit einigen Kunstgriffen etabliert. So wird die Ausrichtung des Laurentiusrostes in dem hinter der Terrainwelle sichtbaren Gewässer fortgesetzt, weil eine durch Weißhöhungen suggerierte Lichtspiegelung die Schräge des Foltergerätes in einer sanften Krümmung weiterführt. Dieser Tiefenzug wird von vier hintereinander gestaffelten Bäumen am hinteren Ufer aufgegriffen und hin zu einem Hügel geleitet, dessen Kuppe zugleich den weitesten Fernblick markiert. Diese grundsätzliche Bildkonstellation mit einer Erhebung links und einem tiefen Ausblick rechts kehrt in der Rochusminiatur (Abb. 59) wieder, wird dort jedoch auf ganz andere Weise umgesetzt. Im Clevelander Stundenbuch fungiert der hinter dem Engel aufragende Felsen, trotz seiner gerundeten und mit Bäumen bewachsenen Graskuppe, als frontale Barriere und somit auch als Folie für den Protagonisten davor. Die Kontinuität des Ausblicks rechts erscheint (das wird vor allem im Vergleich mit dem Berliner Bild deutlich) weit mehr suggeriert

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Abb. 217: Heiliger Laurentius; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 495r.

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Abb. 218: Enthauptung mehrerer Märtyrer; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 358r.

als wirklich dargestellt. Der Hund vorne und das helle Wegstück mit dem verkürzt wiedergegebenen Haus hinten sind nur Bruchstücke eines ansonsten durch zahlreiche Blickbarrieren (Sträucher, Terrainkuppen etc.) unterbrochenen bzw. entschärften Raumvektors. Und der weiteste (und ein wenig unlogisch an die Waldzone mit dem Haus noch angefügte) Fernblick in der Bildmitte wird durch den Heiligen selbst weitgehend verstellt. Verglichen mit der Clevelander Rochus- zeigt die Berliner Laurentiusminiatur nicht nur einen ungleich räumlicheren Vordergrund (ein Gestaltungsprinzip, das in den Darstellungen einzelner Heiliger in derselben Handschrift durch Architekturgehäuse verwirklicht ist), sondern auch eine weitgehende Verschmelzung von Vorder- und Mittelgrund, die durch den kontinuierlich zur Despotengruppe verlaufenden und damit die Einheitlichkeit des Terrains konstituierenden Weg gewährleistet wird. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, daß die Landschaft im Brevier, verglichen mit jener im Clevelander Stundenbuch, aber auch in anderen Werken von der Hand des Jakobsmeisters, weniger auf stereotype Versatzstücke (Felsen, Häuser, Stadtsilhouetten) als auf eine unspektakuläre Kontinuität einzelner Elemente setzt und damit den phantasievoll zusammengefügten Panoramen des Jakobsmeisters einen gewissen nüchternen Realismus entgegenhält. Dies zeigt selbst jene Miniatur im Berliner Brevier, die sowohl bezüglich der Verwendung oben genannter Versatzstücke als auch in ihrem grundlegenden Aufbau der Rochusminia-

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tur in Cleveland am nächsten kommt. Es handelt sich um die Enthauptung einer weiblichen Heiligen auf fol. 368r von Ms. theol. lat. fol. 285435 (Abb. 219). In diesem Bild schließen an den (trotz bildparalleler Anordnung der Protagonisten durch deren Aktionen und Staffelung verräumlichten) Vordergrund im linken Bildteil zwei mächtige, ihrerseits hintereinander gestaffelte Felsen an. Wie in der Rochusminiatur ist ihre Kuppe mit Bäumen bewachsen. Anders aber als im Clevelander Bild ragen sie unmittelbar hinter der Vordergrundszene auf und zeigen nach vorne hin nicht schroffes Gestein, sondern begrünte Abhänge, an dessen hinterem sich zudem ein Weg nach oben schlängelt, wie über den Köpfen der Männer links im Bilde ersichtlich wird. Daß auch der hintere Hügelrücken noch zum (letztlich als Einheit mit dem Vordergrund aufzufassenden) Abb. 219: Enthauptung einer Heiligen; Berlin, Mittelgrund zählt, machen die dort dem Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 368r. Geschehen aus sicherer Entfernung beiwohnenden Figuren deutlich, die durch ihre (relative) Größe den Berg in eine meßbare Distanz rücken. Das suggerierte Kontinuum beginnt allerdings bereits bei der Männergruppe links vorne, deren Formation von dem Weg über ihren Köpfen aufgegriffen und durch die räumlich versetzte Abfolge der Personen auf der Kuppe weitergeführt wird. Daß trotz scheinbar gleicher Merkmale wie in der Clevelander Miniatur geradezu diametral entgegengesetzte Gestaltungsprinzipien vorherrschen, zeigt auch der Ausblick rechts, wo die kontinuierliche Verbindung von Vordergrund und Mittelgrund durch einen Weg zustande kommt, der seinen Anfang direkt am Richtplatz nimmt. Von dort

435 Von E. Morrison und Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 378, wurde diese Miniatur als ein Exempel für die Zusammenarbeit von Jakobs- und Lübecker Meister angeführt, wobei die Figuren links als ein Werk des ersteren, jene rechts als die Arbeit des zweiteren bezeichnet wurden. Doch zieht man so eindeutige Schöpfungen des hier so genannten Meisters der Lübecker Bibel wie die Epiphanie auf fol. 60v (Abb. 220) oder die Schindung des heiligen Bartholomäus auf fol. 517r des Berliner Breviers zum Vergleich heran, so scheint doch, daß trotz gewisser Abweichungen von der Figurentypik des Jakobsmeisters weder die detailiert plastische Fältelung der Gewänder noch die Physiognomien noch die Bewegungen der Figuren sowie zuletzt die technische Ausführung im rechten Teil der Miniatur auf fol. 368r mit den Lösungen des Lübeckers übereinstimmen.

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aus windet er sich entlang des ersten Felsens bis hin zu einer Stelle, wo durch einige herbei­ eilende Männer der weitere Ausblick verstellt und erst über deren Köpfen eine Kirchensilhouette in einer flachen Heidelandschaft sichtbar wird. Während also in Cleveland das verkürzt dargestellte Haus mit dem parallel dazu verlaufenden Wegstück erst über einen beträchtlichen Raumsprung und in beträchtlicher Distanz jenen Raumimpuls wieder aufgreift, der latent schon in der Vordergrundgruppe vorgebildet ist, und somit zwar eine weit größere Bildtiefe angegeben wird als im Berliner Bild, entfällt doch zur Gänze der von vorne weg kontinuierlich entwickelte Tiefenzug, der eher die vorderen Bildpartien verräumlicht, wobei auch der Ausblick in den Hintergrund sich suggestiv an den Raumvektor rechts anfügt und dieser daher als durchaus überzeugender Vorstoß bis in die Ferne gelesen werden kann. Viel klarer freilich tritt die Einheit von Vorder- und Mittelgrund in der Miniatur auf fol. 358r des Berliner Breviers (Abb. 218) zu tage, die die Enthauptung einiger Männer zeigt und einem Gebet zur Gemeinschaft aller Märtyrer voransteht. Der kontinuierliche Tiefenzug ist hier im wahrsten Sinne des Wortes zentrales Motiv, veranschaulicht durch einige entlang der vertikalen Mittelachse hintereinander gestaffelte Bäume. Obwohl das Vordergrundgeschehen auf den ersten Blick als bildparalleles erfaßt wird, ist schon in diesem Bereich die Vorbereitung auf den zentralen Tiefenzug getroffen. Zwei der insgesamt drei Richtblöcke sind nach rechts hin hintereinander angeordnet, doch dient dies eher der Definition der Vordergrundbühne. Die entscheidende Kompositionslinie kreuzt von rechts weg diese Schräge und führt über den Kopf des dort knienden Märtyrers und seinen dahinter befindlichen Leidensgenossen unmittelbar zu einer im Mittelgrund ansetzenden Abfolge von Bäumen. Parallel dazu kommt am linken Bildrand auch eine Gruppe von Reitern aus der Bildtiefe heraus, welche zugleich die räumliche (nicht kompositionelle) Verbindung zwischen dem unmittelbaren Vordergrund und der de facto weiter hinten ansetzenden Baumreihe bildet. Dieser so erzielten Verschleifung von Vorder- und Mittelgrund zu einem einzigen Raumkontinuum steht der völlige Wegfall eines Fernblicks gegenüber. Insgesamt wird in dieser ausschnitthaften ein Höchstmaß an realistischer Landschaftswiedergabe greifbar, die nicht ohne weiteres mit den phantastischen Prospekten anderer Miniaturen des Jakobsmeisters in Einklang zu bringen ist. Somit kann als wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Vollbildern des Jakobsmeisters im Clevelander Stundenbuch und allen zum Vergleich damit herangezogenen Textminiaturen des Berliner Breviers eine grundsätzliche Tendenz zur durchgehenden Verräumlichung der Bilder in Ms. theol. lat. fol. 285 gegenüber einem zwar tiefen, aber immer wieder durch orthogonale und flächenkonstituierende Zäsuren gebremsten Raumkonzept im Isabella-Stundenbuch konstatiert werden. Kennzeichen der Verräumlichung im Brevier ist ihre Wirksamkeit vom Vordergrund weg  ; der Künstler verzichtet unter Umständen auch auf Tiefe zugunsten einer überzeugenden Kontinuität. Nicht der Landschaftsprospekt, sondern der bewohnbare Umraum, nicht der Fernblick, sondern der Raum als Aufenthaltsort dreidimensionaler Gebilde ist das Thema im Berliner Brevier. Vielleicht kann dies auch als Parallele zur in derselben Handschrift feststellbaren plastischen Auffassung dieses Illuminators gesehen werden, der den extrem haptischen Qualitäten seiner Figuren etwas von jener

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zauberhaften Oberflächenschilderung opfert, die ein wesentliches Merkmal der Kunst des Jakobsmeisters sind, auch solch vergleichsweise hart gemalter wie den Miniaturen des vatikanischen Stundenbuchs. Nach diesen Überlegungen ist schwer vorstellbar, daß das Berliner Brevier vor dem Wiener oder dem Clevelander Stundenbuch entstanden sein sollte. Damit entfällt auch die Möglichkeit, es in die Nähe des Londoner Breviers Isabellas von Kastilian, Add. Ms. 18851 der British Library, zu rücken. Da diese Handschrift aber mehr Anhaltspunkte für eine Datierung als das Wiener oder das Clevelander Stundenbuch bietet, soll zumindest eine Gegenüberstellung mit dem Berliner Brevier unternommen werden. Dazu bieten sich die beiden Michaelsbilder auf fol. 464r in Add. 18851 (Abb. 220) und auf fol. 546r in Ms. theol. lat. fol. 285 Abb. 220: Erzengel Michael; London, British (Abb. 211) an. Trotz ikonographischer DiLibrary, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien, fol. 464r. vergenzen erscheinen die beiden Textminiaturen im ersten Moment sehr ähnlich. Zwar ist Michael in Berlin als Seelenwäger dargestellt, der gleichsam nonchalant mit dem Kreuzstab zum Stoß gegen jenen Teufel ausholt, auf dem er mit beiden Beinen steht und der versucht, sich dadurch aus seiner mißlichen Lage zu befreien, daß er den Erzengel am Fuß ergriffen hat und ihn wohl so zu Fall bringen möchte (ein hoffnungsloses Unterfangen, da Engel fliegen können), während er mit der anderen Klaue die Waage zu seinen Gunsten beeinflussen möchte. Das alles spielt sich in einer architektonischen Struktur ab, deren Rückwand geschlossen und deren linke Seitenwand so dick ist, daß die in ihr befindliche Rundbogenöffnung vom linken Bildrand überschnitten wird, noch ehe sie einen Ausblick bieten kann. Nur rechts führt eine Treppe hinab in eine Landschaft, deren Platz im Bild jedoch begrenzt ist und die einige Wiesen, einen Hof und schließlich eine Stadtsilhouette am Horizont zeigt. Die Londoner Miniatur spielt demgegenüber in freier Natur, von der nur links wesentlich mehr als im Berliner Bild zu sehen ist. Das Gros der Bildfläche wird von Michael mit seinem auf beiden Seiten weg flatternden Umhang und seinen dekorativ ausgebreiteten Flügeln sowie von zwei ausgewachsenen Monstern eingenommen. Letzteren scheint es schlecht zu ergehen, zumal das eine in ganz ähnlicher Pose wie sein Berliner Pendant auf dem Boden liegt, hier allerdings die ganze Aufmerksamkeit Michaels auf sich zieht, während das andere sich rechts im Umhang des Erzengels verkrallt hat, wobei nicht ganz klar wird, ob es diesen an sich

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reißen oder sich unter ihm verstecken möchte (womit, nicht anders als in der DominikusDarstellung des Spinola-Stundenbuchs, der fatale Zusammenhang zwischen Dummheit und Boshaftigkeit evident gemacht wäre). Rechts über dem Monster füllen einige Bäume auf einem nahen Hügel die dort entstehende leere Fläche, und nicht weniger flächendekorativ verläuft der ferne Horizont rechts zwischen dem Kopf des Hiebe erwartenden Teufels und dem gebauschten Umhang des Erzengels. Evident ist die ungleich flächendekorativere Komposition im Londoner gegenüber jener im Berliner Bild. Zwar steht Michael in Add. 18851 in einer deutlich räumlich artikulierten Schrittstellung, auf die auch die Position der beiden Höllenwesen abgestimmt ist, und hinter ihm entfaltet sich (theoretisch) ein Landschaftspanorama, das de facto jedoch nicht mehr Tiefe zu suggerieren vermag als der schmale Streifen in Ms. theol. lat. fol. 285. Dafür ist der Vordergrund im Berliner Bild durch den Fliesenboden konsequent verräumlicht, und obwohl der Erzengel seine beiden Beine beinahe auf gleicher Höhe auf dem Teufel abgesetzt hat, wird doch in seiner Haltung mit dem aus der Achse gedrehten Kopf, den weit vor dem Körper agierenden Armen und den sich nach vorne zu wölbenden Flügeln ein Raumpotential deutlich, das sich in den gespreizten Unterschenkeln des Monsters wiederholt. Demgegenüber verspannen die flächig ausgebreiteten Flügel und der ebenso gestaltete Umhang, der dekorativ das Gesicht umrahmende, zum Schlag ausholende Arm sowie das frontale Antlitz Michaels den Protagonisten der Londoner Miniatur auf geradezu programmatische Weise in der Bildfläche. Dies ändert freilich nichts daran, daß die plastische Präsenz des Londoner Michael unbestreitbar ist – in ihr manifestiert sich die in dieser Studie bereits ausführlich dargelegte Entwicklung des Illuminators seit der Fertigstellung seines Beitrags zu Cod. Vind. Ser. n. 2625, die in vielen Miniaturen des Londoner Breviers nachweisbar ist. Es ist aufschlußreich, mit welch anderen Mitteln als im Berliner Brevier der Eindruck von Volumen in Add. 18851 erzeugt wird. Das frontale Gesicht Michaels, von einer ebenfalls frontal abstehenden Lockenpracht gerahmt, ist mit farbigen Schatten modelliert, und mit starken Farbkontrasten wurde auch sein violetter, gelb gehöhter Leibrock geformt. Seine dunkle Rüstung gleißt stellenweise auf und verleiht seinen stämmig gezeichneten Beinen dadurch auch mit optischen Effekten Volumen. Diese malerische, mit Farb- und Lichtwerten operierende Technik fehlt im Berliner Michaelsbild, von eher schematisch gesetzten Weißhöhungen auf den Flügeln und dem unter der Rüstung sichtbaren Kettenhemd abgesehen. Plastizität wird hier durch vergleichsweise kontrastarme, mit einer geringen Hell-Dunkel-Spanne auskommenden Modellierung und schlicht durch die Formgebung (also das disegno) angezeigt. Was gemeint ist, veranschaulichen Kopf und Haare des Engels. Ins Dreiviertelprofil gedreht, wird das Antlitz Michaels gegenüber jenem in London wenig modelliert  ; jedoch geben die runden Wangen ebenso wie der ausladende Hinterkopf eine klare Vorstellung vom Volumen des Schädels, das durch die einmal mehr opulente Haarpracht, die hier besonders ausladend ist, noch beträchtlich gesteigert wird. Wieder einmal ist nicht ersichtlich, wie die beiden Miniaturen gleichzeitig vom gleichen Künstler gemacht sein sollten. Immerhin scheinen hier zumindest teils ähnliche künstlerische

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Ziele verfolgt. Zudem wirkt Michael in London mindestens ebenso, wenn nicht überzeugter in einem natürlichen Bewegungsfluß erfaßt wie die Figur in Berlin. Daß in Ms. theol. lat. fol. 285 dennoch ein in diesen Aspekten versierterer Illuminator am Werk zu sein scheint als in Add. 18851, vermag das folgende Miniaturenpaar eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Auf fol. 427r des Londoner und auf fol. 488v des Berliner Breviers ist das Fest der Transfiguration illustriert und dabei ikonographisch nicht unähnlich gelöst436 (Abb. 221, 222). In London ist der Heilige Geist hinzugekommen, und Elias erscheint erstaunlicherweise in der Tracht eines Karmeliters. Ansonsten wirkt die Komposition recht ähnlich, mit einem zentralen Berg Tabor, der Abb. 221: Verklärung Christi; London, British in beiden Fällen ein eher harmloser Hügel Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von ist, auf dessen Spitze Christus, in weißem Kastilien, fol. 427r. Gewand und in einer Mandorla, flankiert von den hinter Wolkenbänken halbfigurig hervorragenden Propheten, verklärt wird. Die vom Anblick überwältigten Apostel sind ähnlich, wenn auch spiegelverkehrt arrangiert, mit Petrus und Jakobus im Vordergrund und Johannes an der Flanke des Berges. Dafür ist die Farbverteilung zumindest bei den Jüngern seitenrichtig entsprechend, mit einer in einheitliches Rot gekleideten Figur rechts, dem in Rot und Blau gegebenen Petrus in der Mitte und einem in Rosa und Goldorange gehaltenen Apostel links. Diese Beschreibung bereitet nicht auf die großen Unterschiede in den Gestaltungsprinzipien vor, die zwischen den beiden Miniaturen bestehen. Das Berliner Bild ist ungleich räumlicher konzipiert. Berg Tabor ist ein über mehrere Plateaus hinweg kontinuierlich ansteigender Hügel, auf dessen vorderstem Kompartiment Petrus und Jakobus in raumgreifender Haltung plaziert sind. Links ist ein Ausblick in eine enorme Tiefe angedeutet, die durch das ineinander Übergreifen verschiedenfarbiger Zonen, die unmittelbar am linken Abhang der Erhebung ihren Ausgang zu nehmen scheinen, als Kontinuum erfahren wird und in einer sich im Dunst der Ferne kaum noch abzeichnenden Stadtsilhouette gipfelt. Selbst die Wolkenbank des Elias ist durch hintereinander gestaffelte Bäusche räumlich verlaufend dargestellt und suggeriert eine parallele Erstreckung des Berges nach hinten zu, was ihn als rundes Gebilde in einem scheinbar unbegrenzten Raum ausweist.

436 Vgl. Krieger 2003, bes. S. 33 ff.

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Es ist bezeichnend, wie wenig von all dem in Add. 18851 gegeben ist. Dabei ist – entsprechend der spiegelbildlichen Komposition – rechts sogar ein Fernblick eingebaut, der aber in eine blaue Zone ohne erkennbare Strukturen (und damit Entfernungen) führt. Die räumliche Ausdehnung des Berges ist nicht nur durch seine nur mangelhaft wiedergegebene plastische Form, sondern auch durch die gleiche Größe des Heilands und der Apostel weitgehend verunklärt. Hinzu kommt, daß Petrus und Jakobus exemplarisch flächenhafte Posen einnehmen, wobei mögliche räumliche Orientierungen durch die bildparallel arrangierten Gewänder zur Gänze untergehen. Lediglich Johannes, hinter der Silhouette Tabors positioniert und schräg nach rechts ausgerichtet, bildet eine Ausnahme, die indes ebenfalls weder durch plastische Modellierung noch durch entsprechende Drapierung des Gewandes bestätigt Abb. 222: Verklärung Christi; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 488v. wird. Zu diesen Unterschieden in der Raumauffassung gesellen sich beträchtliche Diskrepanzen in der Figurenauffassung, die teils ja schon anhand der Apostel beschrieben und durch Beobachtungen an Christus und den Propheten ergänzt werden können. Im Berliner Brevier umfängt der Mantel den Heiland von hinten wie eine Halbschale, was sich unwillkürlich auch auf die Wahrnehmung der Aureole als gekrümmt auswirkt, und Elias’ bauschige Ärmel verleihen ihm ein seiner unmittelbaren Umgebung angepaßtes Volumen. Umgekehrt ist die optische Effekte evozierende Hell-DunkelModellierung in der Londoner Miniatur weiter vorangetrieben, ersichtlich am Gewand des Verklärten ebenso wie am Habit des Propheten Elias. Ähnliche Gestaltungsmittel ließen sich auch in der Michaelsminiatur von Add. 18851 feststellen und belegen eine konsequent verwirklichte künstlerische Auffassung. Nun ist die Londoner Transfiguration ein wenig kleiner als die Berliner  ; doch spielt dies m. E. im Hinblick auf das Raumverständnis keine Rolle. Zudem könnte man argumentieren, daß hier ein Gehilfe des Jakobsmeisters am Werk war. Doch ist gerade diese Miniatur enorm fein ausgeführt, was auf Abbildungen gar nicht recht erkannt werden kann, angesichts des Originals aber eine Ausführung durch jemand anderen als einen Meister seines Fachs schlichtweg ausschließt. Möchte man schon die Londoner Transfiguration auf Grund der hier besonders eklatanten flächendekorativen Komposition einem Mitarbeiter des Jakobsmeisters geben, so ist gar nicht mehr einzusehen, wie ihm dann die Berliner Miniatur mit ihren grund-

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sätzlich abweichenden Gestaltungsprinzipien zugeschrieben werden soll. Tatsächlich wiederholt sich dieses Problem bei allen Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt um 1500, allerdings mit graduellen Abweichungen. Stellt man dem Berliner das in der Pierpont Morgan Library unter der Signatur Ms. M. 52 verwahrte Eleonorenbrevier gegenüber, so kommt man zu ähnlichen, aber nicht identischen Ergebnissen. So ist im Junibild auf fol. 4v von M. 52 (Abb. 74) in einem Medaillon am linken Seitenrand die Geburt Johannes des Täufers dargestellt, in einer um einiges größeren Textminiatur auf fol. 524v von Ms. theol. lat. fol. 285 die Geburt Mariens (Abb. 223). Abermals wird in beiden Darstellungen dieselbe Komposition angewandt, allerdings spiegelverkehrt und in Berlin wohl auf Grund der Größe motivisch bereichert. Beide Male ist ein großes HimAbb. 223: Geburt Mariae; Berlin, melbett bildparallel als hintere Begrenzung Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 524v. eines durch einen Fliesenboden markierten Vordergrundes gegeben, wobei entsprechend der Position des Bettes im Eleonorenbrevier links, im Berliner Brevier rechts die Fortsetzung des Raumes nach hinten zu sichtbar wird. Dabei wird im Berliner Brevier eine tiefe Vordergrundbühne durch mehrere hintereinander gestaffelte Objekte links konstruiert, wobei das entsprechend weit vom vorderen Bildrand abgerückte Bett als hintere Begrenzung dient. Rechts wird dieser Raum (durch parallel zum Fliesenverlauf angeordnete Objekte) kontinuierlich bis in einen Mittelgrund fortgesetzt, wo soeben eine Besucherin das Zimmer betritt. Der Hintergrund dagegen entfällt bzw. manifestiert sich über dem Betthimmel als dunkle, auch durch die schwarzen Fenster nicht in ihrer Massivität gelockerte Rückwand. Im Eleonorenbrevier findet vor dem Bett noch der kniende Zacharias Platz, was eine gewisse, wenn auch geringe Tiefe anzeigt. Dafür ist das Bett selbst durch das schräg verkürzte Kopfende in einem Maße verräumlicht, wie es durch das Kissen in der Berliner Darstellung nicht gewährleistet werden kann. In beiden Fällen reicht eine an der hinteren Bettflanke stehende Frau der Wöchnerin soeben das Neugeborene. Während dies im Berliner Brevier zusammen mit dem zugezogenen Vorhang ebenda dem von links vorne ausgehenden Tiefenzug Einhalt gebietet, ist das gleiche Motiv in der New Yorker Handschrift bestenfalls eine markante Zäsur, zugleich aber auch ein kardinales Element des einzigen wirklichen Raumvektors. Dieser beginnt sich auf Höhe des Bettes eben erst zu entwickeln und führt über die schräg angeordneten Figuren des Säuglings und der Frau hin zu dem zentral positionierten Fenster, das

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einen Ausblick in weite Ferne eher suggeriert als darstellt. Die durch Fliesenverlauf und Tür vorgegebene linke Diagonale wird demgegenüber weitgehend von Zacharias verdeckt, so daß eine Überleitung von Vorderzu Mittel- und Hintergrund an dieser Stelle entfällt. Damit ist letztlich die gleiche Situation wie beim Vergleich der Berliner mit den Clevelander Bildern zu konstatieren  : Einem mäßig verräumlichten Vordergrund (der Vorstufe zur bildparallelen, frontalisierten Vordergrundgestaltung in anderen Beispielen, allen voran den vatikanischen Miniaturen) wird in der New Yorker Darstellung ein erst mäßig aggressiver, aber bereits konsequent entwickelter Tiefenzug beigegeben. In der Berliner Miniatur hingegen kommt es zu einer expliziten Verräumlichung des Vordergrundes und seiner kontinuierlichen Fortsetzung in den Mittelgrund, also zu einem von vorne weg klar nachvollziehbaren, tiefen Raumgefüge, das grundsätzlich ohne Abb. 224: Enthauptung eines Mannes; Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, fol. 354v. Vorstoß in die Ferne auskommt. Dabei zeichnen sich gerade die (Heiligenwie Monats-)Darstellungen im Kalender des Eleonorenbreviers durch eine ähnlich realistische Landschaftswiedergabe wie im Berliner Brevier aus, die in einer erstaunlichen Nähe mancher Bildlösungen gipfelt. So wird die kleine Katharinenenthauptung auf fol. 7r von M. 52 (Abb. 71) geradezu identisch mit der Hinrichtung eines Mannes auf fol. 354v von Ms. theol. lat. fol. 285 (Abb. 224) inszeniert437. Beide Male kniet das Opfer im Vordergrund nach rechts gerückt und gewandt, wobei im Medaillon noch Platz für zwei Engel geboten wird. Links holt der Henker zum Schlag mit einem mächtigen Schwert aus, wobei der Realismus der Bewegung im Berliner Brevier alles überbietet, was die Kunst des Jakobsmeisters zu diesem Motiv je hervorgebracht hat – mit Sicherheit aber die Ak437 E. Morrison und Th. Kren in London – Los Angeles 2003, S. 378, führen diese Miniatur als eigenhändiges Werk des Lübecker Meisters an. Doch scheint, verglichen mit den originären Lösungen des im Berliner Brevier tätigen Lübecker Meisters, eine große Nähe zu den mit dem Jakobsmeister assoziierten Bildern zu bestehen. Kren und Morrison ist aber insofern recht zu geben, als die Sicherheit des Entwurfs über das hinausgeht, was vom sogenannten Jakobsmeister im Berliner Brevier sonst geboten wird. Möglicherweise liegt hier also ein ähnlich intensiver Fall der Zusammenarbeit vor wie in der Darstellung der Gregorsmesse auf fol. 415r.

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tion des Schergen im Eleonorenbrevier, der ausgesprochen knieweich und grausam verrenkt seinen Bihänder schwingt. Über der Kuppe jenes Hügels, auf dem beide Male das Geschehen stattfindet (was einer Verschmelzung von Vorder- und Mittelgrund gleichkommt), erscheint der Zug des jeweiligen Despoten mit dem berittenen Machthaber an der Spitze. Im Eleonorenbrevier ist links noch Katharinas geborstenes Rad an Stelle eines Fernblicks gesetzt, der indes auch im Berliner Brevier nur durch einen Kirchturm angedeutet ist und dem grundsätzlich zwei mächtige, noch auf dem Hügelrücken stehende Bäume den Rang abgelaufen haben. Nicht nur erscheint dieses Konzept überaus ähnlich, es erweckt sogar den Eindruck, als sei in diesem Fall der Vordergrund in M. 52 gar mehr verräumlicht als in der Berliner Textminiatur – was zugleich alle Diskussionen darüber beendet, ob die Flächigkeit der Londoner Transfiguration auf ihre geringe (im Vergleich zum Katharinenmedaillon jedoch immer noch beachtliche) Größe zurückzuführen sei. Auf fol. 7r des Eleonorenbreviers windet sich links im Bild ein in seinem gesamten Verlauf sichtbarer Weg von der Hinrichtungsstätte bis zum Rad, und auch der Gefolgszug des Despoten wirkt durch zwei kleine, mittels Farbverlust in Distanz gerückte Figuren weit in die Tiefe reichend. Dennoch gehen etliche Aspekte mit den bislang aufgezeigten Grundprinzipien in den beiden Handschriften konform. So scheinen in M. 52 Maxentius und sein Begleiter gerade erst über die Hügelkante emporzukommen und werden so weit davon überschnitten, daß sie nur als frontale Halbfiguren (das Pferd gar nur als Büste) auszunehmen sind. Der verflächigenden Wirkung dieser Lösung steht die explizit räumliche Stellung des zur Gänze sichtbaren Falben in Ms. theol. lat. fol. 285 gegenüber, von dem aus durch graduelle Tiefersetzung der Figuren der räumliche Verlauf auch des Gefolgszugs angezeigt wird. Zudem führt der hier am rechten Bildrand (und teils über diesen hinaus verlaufende) Weg von der Hinrichtungsstätte geradewegs zu den Soldaten, so daß ein Kontinuum über den gesamten Vordergrund bis in den Mittelgrund hinein nachvollziehbar wird. Auch versucht der Künstler (zugegebenermaßen nicht sehr erfolgreich) durch zwei auf dem Boden ausgebreitete (wohl dem Opfer gehörende) Kleidungsstücke, den gesamten Hügel als durchgehende Raumbühne zu definieren. Im Katharinenmedaillon ist dagegen durch den rechts angedeuteten Felsen der Versuch zu bemerken, den eigentlichen Aktionsraum nach hinten zu abzugrenzen, noch ehe dies durch die Figurenfront getan wird – wenngleich als unleugbare Tatsache bestehen bleibt, daß von der Heiligen weg nach links ein durchgehender Raumvektor zu dem zerstörten Marterwerkzeug läuft, der es ermöglicht, auf einen Blick die wichtigsten Stationen der Geschichte zu erfassen. Diese einzigartige Bildregie bleibt in M. 52 eine Ausnahme. Grundsätzlich werden die diversen Heiligen sowohl in szenischem als auch in repräsentativem Kontext bis auf wenige Ausnahmen (zu denen der seine Stigmata empfangende Franziskus auf fol. 6r, Abb. 69, gehört) nach vorne gerückt, und die Landschaft entwickelt sich erst hinter ihnen in eine beträchtliche Tiefe, die oft genug auch durch Hintereinanderschichten einzelner Terrainzonen ohne aggressive Raumschrägen entsteht, so im Andreas- gleich unterhalb des Katharinenmartyriums. Obgleich dies bis zu einem gewissen Grad auf die geringe Größe der Medaillons zurückführbar sein mag, bestätigen die Darstellungen der in eine Architektur oder vor freie Landschaft gestellten Heiligen diesen Auffassungsunterschied zwischen Eleonoren- und

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Berliner Brevier. Auch in Berlin sind die Figuren meist weit an den unteren Bildrand und somit nach vorne gerückt, so neben Agnes und dem Täufer auch Andreas und Matthias auf fol. 378v und 413r (Abb. 216). Dabei wirkt selbst die frontalste Figur der Gruppe, Agnes (Abb. 210), gegenüber den entsprechend präsentierten Heiligen in M. 52 durch Schrägstellung in den sie umgebenden Umraum integriert, während etwa Franziskus auf fol. 6v (Abb. 69) oder Eligius auf fol. 7v (Abb. 71) von M. 52 zwar nach vorne zu ausschreiten, aber auch von vorne wiedergegeben und zudem zur Gänze von einem Ehrentuch hinterfangen sind. Dieses eine flächenhafte Folie bildende Ehrentuch ist in der Berliner Matthiasminiatur in Größe und Wirkung stark reduziert, beim Andreas ebenda ganz weggelassen. Während bei den Heiligen in M. 52 jeweils nur ein Ausblick aus ihrem ansonsten geschlossenen Interi- Abb. 225: Kalenderseite Jänner; New York, eur gegeben ist, erreicht die Durchlässigkeit Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal, fol. 2r. der Architekturen in Ms. theol. lat. fol. 285 eine beim Jakobsmeister sonst nicht erreichte Suggestivität. Diese Aussage verliert selbst dann nichts von ihrer Gültigkeit, wenn man die Probe aufs Exempel macht und die Agnes im Berliner Brevier ihrem Pendant auf fol. 2r von M.52 gegenüberstellt (Abb. 225). Im Eleonorenbrevier befindet sich die Heilige in einer Landschaft, die rechts einige Gebäude im Mittelgrund und links eine Stadt am Horizont erkennen läßt. Agnes allerdings steht frontal in der unteren Medaillonausbuchtung auf einem sie vom Rest des Panoramas abgrenzenden Wiesenstück  ; ein kleiner Regiefehler ist das wie im Berliner Brevier radikal verkürzt an ihrer Seite befindliche, wie ein Hündchen zu ihr emporblickende, dabei aber dem Medaillonverlauf entlang nach hinten gerückte und daher im Grunde nichts über die raumverdrängenden Qualitäten der Heiligen aussagende Lamm. Nicht nur die Position im unmittelbaren Vordergrund und die weitgehende Frontalität der Heiligen in M.52 verhindern ihre Integration in den Umraum, auch die streifenförmige Anordnung der einzelnen Landschaftsausschnitte ist der Wahrnehmung eines von vorne nach hinten durchgehenden und somit auch die Figur erfassenden Kontinuums nicht zuträglich. Paradoxerweise wird ebendies bei der Agnes im Berliner Brevier durch die lateral weit nach vorne gezogenen Landschaftsausschnitte und den tiefen Horizont geleistet, der die Weite des Himmels als eine die Heilige umspielende Qualität erfahrbar macht. Auch die schräg gestellte Magdalena auf

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fol. 5r des Eleonorenbreviers (Abb. 226) (in ihrem Habitus der Berliner Agnes überaus ähnlich) kann diesbezüglich nicht mithalten, auch wenn der hinter ihr aufragende, der Noli-me-tangere-Szene Platz bietende Berg Golgotha ähnlich graduell ansteigt wie der Berg Tabor auf fol. 488v der Berliner Handschrift (Abb. 222). Auf andere Weise als in den szenischen Darstellungen manifestiert sich also auch in der Positionierung der Heiligen in Architekturgehäusen die Kontinuität eines das Bildganze durchdringenden Raumes als Hauptanliegen des Jakobsmeisters in Ms. theol. lat. fol. 285. Immerhin erweisen sich die Heiligenmedaillons des Kalenders in M. 52 als von allen bislang zum Vergleich herangezogenen Werken des Jakobsmeisters den Textminiaturen des Berliner Breviers am ähnlichsten, zumindest bezüglich der Raumauffassung. Abb. 226: Kalenderseite Juli; New York, Pierpont Allerdings ist die Ähnlichkeit nicht groß geMorgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore nug, um dadurch auf eine gleichzeitige Ausvon Portugal, fol. 5r. führung der jeweiligen Ausstattungsanteile in den beiden Brevieren durch den gleichen Illuminator zu schließen. Umso interessanter ist die Frage, ob die letzte Arbeit der frühen Gruppe, das vatikanische Stundenbuch Cod. Vat. Lat. 3770–68, die hierfür erforderliche Verwandtschaft mit dem Berliner Codex aufweist. Schon die erste, aus thematischen Gründen naheliegende Gegenüberstellung läßt Zweifel daran aufkommen. Die ganzseitige Transfiguration auf fol. 37v von Cod. Vat. Lat. 3769 (Abb. 48) bietet ebenso wie ihr Pendant auf fol. 488v in Ms. theol. lat. fol. 285 (Abb. 222) einen räumlichen, ja sogar räumlicheren Schauplatz. Doch ist der Aufbau desselben ein anderer. Im Berliner Brevier wird durch Anordnung diverser bewachsener Felskuppen ein kontinuierliches Ansteigen des Terrains vom Vordergrund weg angezeigt, das zudem von den (wie in Berlin größer als der weiter hinten befindliche Christus wiedergegebenen) räumlich situierten und agierenden Figuren auch genutzt wird. Dabei erinnert die flächendekorative Pose des hier wieder links plazierten Jakobus stark an jene, die der gleiche Apostel (spiegelverkehrt) im Londoner Brevier einnimmt. Auch Petrus und Johannes zeigen – trotz oder vielleicht gerade wegen teils beachtlicher Achsverschiebungen – eine gewisse Tendenz zur Verflächigung. Diese wird durch den im Zentrum als steile, nur wenig plastisch akzentuierte Felswand emporragenden Berg Tabor gleichsam zum Bildprinzip erhoben. Ihm entspricht die frontale, ja symmetrische Position des Heilands auf dem Gipfel ebenso wie die Wiedergabe der durch

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Öffnungen in der Himmelsfläche erscheinenden Propheten, die schmal bis schmächtig wirken, was durch ihre zurückhaltenden, um nicht zu sagen verschämten Aktionen noch unterstrichen wird. Die Raumlosigkeit des Himmels erfährt ihre Bestätigung darin, daß (abgesehen von einem schmalen, nicht strukturierten Streifen links neben Jakobus) keinerlei Fernblick gegeben wurde, der die Spanne des Firmaments faßbar machen würde. Zu diesen Unterschieden gesellen sich die ganz beträchtlichen Diskrepanzen in der Figurenwiedergabe, die sich im vatikanischen Stundenbuch (trotz gewisser Ähnlichkeiten im Antlitz des Lieblingsjüngers mit jenem in Berlin) in der abweichenden Typik und einer schon im Wiener Stundenbuch nachweisbaren Gewandführung manifestieren, bei der dem Faltenrelief, aber auch der Artikulation einzelner Körperteile große Bedeutung bei- Abb. 227: Heilige Barbara; Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3768, gemessen wird. Auch die feine, lose Technik Stundenbuch, fol. 149v. offenbart ein weit größeres Ausmaß farblicher Differenzierung als jene im Berliner Brevier. Der Farbauftrag im Vaticanus ist nicht nur dünner, sondern auch um vieles delikater. Letzterer Begriff eignet sich zudem für die Definition der formalen Qualitäten der Akteure ebenso wie die Beschreibung der Vegetation. Da Cod. Vat. Lat. 3770–68 höchstwahrscheinlich von mehreren Illuminatoren des unmittelbaren Jakobsmeister-Kreises ausgestattet wurde, lohnt noch ein Vergleich der bereits viel strapazierten Agnes auf fol. 394v von Ms. theol. lat. fol. 285 (Abb. 210) mit zwei halbfigurigen Heiligendarstellungen in Cod. Vat. Lat. 3768, jener der Barbara auf fol. 149v (Abb. 227) und jener der Magdalena auf fol. 154v (Abb. 228). Obwohl die beiden Jungfrauen im Vaticanus solche Unterschiede untereinander aufweisen, daß sie wohl kaum dem gleichen Ausführenden zugeschrieben werden können, zeigen doch beide eine gewisse Annäherung an die Berliner Agnes. Magdalena präsentiert sich in einer ähnlichen Haltung und in einem ähnlichen Ambiente wie die Heilige im Brevier  ; der Eindruck einer physiognomischen Verwandtschaft täuscht jedoch, da die Gesichtsgeometrie jeweils unterschiedlich ausfällt. Unterschiedlich ist auch die Umsetzung der die Heilige umgebenden Architektur, die im Vaticanus nur rechts offen ist und einen Ausblick bietet, während links ein verglastes Fenster (und eine steilere Verkürzung der Wand) diese Möglichkeit nimmt. Weit delikater ist im Stundenbuch einmal mehr nicht nur die Technik, die hier vergleichsweise feine Oberflächeneffekte hervor-

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bringt, sondern auch das differenzierte Kolorit. Hinzu kommt ein weit profunderes Verständnis für die Präsenz des Körpers unter dem Gewand (das diesen auch umschreibt wie beispielsweise am Nacken), etwa bei dem sich unter dem grünen Mantel abzeichnenden Arm Magdalenas, wofür es im Berliner Bild keine Entsprechung gibt. Dafür punktet letzteres mit einer weit intensiveren Verräumlichung des gesamten Bildes, die nur bedingt eine Folge der Ganzfigurigkeit ist und im Detail nicht mehr erläutert werden muß. Barbara auf fol. 149v von Cod. Vat. Lat. 3768 erweist sich demgegenüber von vornherein als ein ganz anderer Typus, wobei die exquisite plastische Gestaltung ihres wohlgenährten Gesichtes auffällt. Die Art, wie hier Rundungen (zum Beispiel jene der Backenknochen oder des Halses) mittels ModellieAbb. 228: Heilige Maria Magdalena; Rom, rung zum Ausdruck gebracht werden, korBiblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. respondiert mit der überzeugenden Motorik 3768, Stundenbuch, fol. 154v. der Figur, etwa mit der Weise, wie das Buch gehalten wird  ; beides übertrifft die Wiedergabe der entsprechenden Motive in Berlin bei weitem. Dafür zeigt die Barbaraminiatur, im Freien angesiedelt, bezüglich der Raumkonstruktion eine Annäherung an das im Brevier manifeste Prinzip. Obwohl die Figur – paradoxerweise – weit weniger in den Raum eingebunden scheint als Agnes, da die zu beiden Seiten angeordneten Objekte den Eindruck der Weite (der sich in Ms. theol. lat. fol. 285 auf Grund des tiefen Horizontes und der flachen und vergleichsweise freien Ebenen in beiden Öffnungen einstellt) weitgehend unterbinden, erinnert sowohl die Form als auch die räumliche Staffelung der Bäume im linken Teil der Barbaraminiatur an ähnliche Prinzipien im Brevier. Einmal mehr scheint es unmöglich, daß der gleiche Künstler zur gleichen Zeit diese Werke geschaffen haben könnte. Die Verwandtschaften sind hier jedoch größer als zwischen dem Berliner Brevier und den noch in den früheren neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstandenen Handschriften. Der Sachverhalt legt folgende Interpretation nahe  : Der im Berliner Brevier als Jakobsmeister identifizierte Illuminator scheint ein im gleichen Milieu wie unser Künstler ausgebildeter Maler gewesen zu sein, der in Ms. theol. lat. fol. 285 eng mit dem Meister der Lübecker Bibel oder einem ihm nahestehenden Illuminator kooperierte und (etwa in der Technik, der Farbgebung und teils auch in der Raum- und Figurenauffassung) von diesem beeinflußt wurde.

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Dies mag die teils beträchtlichen Diskrepanzen mit den hier für den Jakobsmeister akzeptierten Arbeiten erklären. Die Ähnlichkeit seiner Werke mit jenen unseres Künstlers, die um 1500 datierbar sind, legt dabei zwei Möglichkeiten nahe  : Entweder der Berliner Illuminator arbeitete um die Jahrhundertwende (so im vatikanischen Stundenbuch) mit dem Jakobsmeister zusammen, an dessen flächendekorativere Auffassung er sich weitgehend anpaßte, wobei er jedoch die während der frühen neunziger Jahre (u. a. bei der Ausstattung von Ms. theol. lat. fol. 285) erarbeiteten Gestaltungsprinzipien bis zu einem gewissen Grad beibehielt. Oder aber er arbeitete auch um 1500 eigenständig bzw. gerade damals mit dem Meister der Lübecker Bibel zusammen an dem Berliner Brevier, und gewisse Übereinstimmungen mit den damals beim Jakobsmeister aktuellen Gestaltungsprinzipien erklären sich aus der Kenntnis der Werke des jeweils anderen. Zweite These ist m. E. ersterer vorzuziehen. Falls nicht überhaupt noch eine dritte Möglichkeit zutrifft. Diese wäre, daß die Berliner Handschrift später entstand. Immerhin sind die beiden anderen Beispiele der Zusammenarbeit zwischen dem Lübecker und dem Jakobsmeister um 1510 anzusetzen bzw. von der Forschung teils sogar ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts datiert worden  : die Ausstattung des Spinola-Stundenbuchs Ms. Ludwig IX 18 und die Miniaturen im Stundenbuch in Cambridge, CFM 1058–1975. Dabei wurden die Bilder in letzterer Handschrift m. E. von einem Doppelgänger des Jakobsmeisters ausgeführt, was im Hinblick auf das Berliner Brevier nicht unwichtig ist, weil auch seine späte Datierung voraus­ setzen würde, den dort tätigen Illuminator nicht mit dem Jakobsmeister zu identifizieren. Das größte Problem, dies zu verifizieren, ist in der vorliegenden Studie das chronologisch weitgehend offene Œuvre des Meisters der Lübecker Bibel, dessen druckgraphische Arbeiten 1489 (!) und 1494 in Lübeck verlegt wurden, wobei der Künstler aber 1493 bereits in Lyon gewesen zu sein scheint, da ein offenbar von ihm entworfener Bilderzyklus in diesem Jahr dort gedruckt wurde438. Aus eben diesem Grund scheint Bodo Brinkmann auch erwogen zu haben, die Berliner Miniaturen nicht als eigenhändige Arbeiten dieses Illuminators zu akzeptieren, sondern sie einem Gehilfen zuzuschreiben439 und offenbar um 1500 zu datieren440. Die Ausgliederung der Berliner Miniaturen aus dem Œuvre des Lübeckers ist nachvollziehbar, allerdings insofern problematisch, als die Bilder in Ms. theol. lat. fol. 285 höchst uneinheitlich sind und m. E. mehrere Hände verraten  ; außerdem erweisen sich manche Bildlösungen als jenen im Spinola-Stundenbuch eng verwandt, so daß dies zumindest für eine enge Zusammenarbeit des Lübeckers und des Berliner Gehilfen um 1510 sprechen würde. Hinzu kommt, daß Brinkmann die von ihm dem Lübecker Meister zugeschriebenen Arbeiten in CFM 1058–1975 als Frühwerke bezeichnet, obwohl er das Stundenbuch 1510–15 datiert441. Auch dagegen ist prinzipiell nur einzuwenden, daß der Lübecker Meister ja schon Ende der achtziger Jahre Entwürfe für die Druckgraphik geliefert zu haben scheint. 438 439 440 441

London – Los Angeles 2003, S. 377  ; Brinkmann 1987–88, S. 123 ff. Brinkmann 1987–88, S. 151, Anm. 75. Berlin 1987, S. 114 f., Nr. 77. Brinkmann 1997, S. 321  ff.

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Wie dem auch sei, insgesamt scheinen etliche Argumente auch in den Miniaturen des hier als Lübecker Meister bezeichneten, tatsächlich aber aus wenigstens zwei Illuminatoren bestehenden Teams, das die ihm zugeschriebenen Bilder in Ms. theol. lat. fol. 285 schuf, für eine spätere Datierung des Berliner Breviers zu sprechen. Auch die Kostüme und das Ambiente in diesen Darstellungen lassen sich, trotz gegenteiliger Behauptungen in der Literatur, nur schwer mit einer frühen Entstehungszeit vereinen. Es mag schon sein, daß gewisse exzentrische Moden, mit denen offenbar die Lasterhaftigkeit diverser Rohlinge in Ms. theol. lat. fol. 285 angeprangert wird, schon in den Holzschnittfolgen der neunziger Jahre anklingen. Doch scheinen selbst die Miniaturen des Spinola-Stundenbuchs gemäßigtere Varianten dieser Bekleidung zu favorisieren, etwa in Abb. 229: Johannes auf Patmos; Los Angeles, den dem Lübecker Meister zugeschriebenen The J.Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Bordüren auf fol. 83v und 84r des SpinolaSpinola-Stundenbuch, fol. 83v. Stundenbuchs (Abb. 229), wobei erstere links unten eine Szene zeigt, die auch auf fol. 40r des Berliner Breviers verbildlicht wurde, ohne auch nur in einem Aspekt als altertümlicher bezeichnet werden zu können. Selbst die Kleidung der Henkersknechte im bas de page von fol. 131r in Ms. Ludwig IX 18 (Abb. 230), einem Werk des Jakobsmeister-Teams, nimmt sich wie ein vorsichtiges Herantasten an jene geschmacklichen Entgleisungen aus, die in der Berliner Handschrift nicht nur von dem als Lübecker, sondern auch von dem als Jakobsmeister bezeichneten Illuminator geboten werden (so auf fol. 354v, 358r, 368r oder 495r  ; Abb. 224, 218, 219, 217). Zu den motivischen Besonderheiten des Berliner Breviers gehört schließlich auch noch eine auffallende Begeisterung für Wanduhren442, die zwar offensichtlich schon im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts bekannt waren, im Œuvre des Jakobsmeisters aber stets nur in den Arbeiten der mit ihm assoziierten Maler nachzuweisen sind, und dort erst im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts (etwa in der Sterbeszene des Grimani-Breviers, Abb. 154, oder im Matthäusbild im Lissabonner Stundenbuch MAA Ms. 13  ; auch im Kalender der 1526 datierten Holford-Hours findet sich dieses Motiv443). Bezeichnenderweise rangiert es auch 442 Vgl. London – Los Angeles 2003, S. 379, Abb. 112 (fol. 195r, Pfingsten). 443 Lissabon 2000, Abb. S. 158.

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Abb. 230: Geißelung Christi, Dornenkrönung, Gefangennahme; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, SpinolaStundenbuch, fol. 131r.

prominent in der Bordüre der Michaelsminiatur auf fol. 165r in CFM 1058–1975, die dem Lübecker Meister zugeschrieben wird444. All dies wiegt freilich wenig im Vergleich zu der im Œuvre des Jakobsmeisters ganz ungewöhnlichen Raumauffassung, die in den Bildern des Berliner Breviers greifbar wird und sich weder in den Werken des Jakobsmeisters noch in jenen seiner engsten Mitarbeiter in dieser Form nachweisen läßt. Primär sie veranlaßt dazu, die unserem Illuminator nahestehenden Miniaturen in Ms. theol. lat. fol. 285 einer anderen, wenn auch lose mit ihm assoziierten Künstlerpersönlichkeit zuzuschreiben. Nur in einer ganz späten Arbeit des Jakobsmeisters, der Lydgate-Miniatur auf fol. 148r von Royal 18 D. II (Abb. 190), manifestiert sich ein ähnlich realistisches Verständnis von Landschaft, freilich dort weit grandioser und auch nicht mit den für die Berliner Lösungen charakteristischen von vorne weg in die Tiefe weisenden Elementen. 444 Abb. Brinkmann 1997, Taf. 336.

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Somit sind die Miniaturen in Ms. theol. lat. fol. 285 mit höchster Wahrscheinlichkeit dem Jakobsmeister abzuschreiben. Man müßte nicht Caravaggio, aber immer noch van Dyck in Rubens verwandeln, wollte man an einer Identifizierung der beiden Illuminatoren festhalten. Als Frühwerk unseres Künstlers Anfang der neunziger Jahre wäre das Berliner Brevier deshalb so problematisch, weil sich dessen im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts entstandenen Werke mit ganz anderen, aber auch mit solchen Aufgaben (wie der nachdrücklichen Suggestion von Dreidimensionalität) auseinandersetzen, die im Berliner Brevier bereits souverän bewältigt wurden. Letzteres ausschließlich auf den Einfluß des als Lübecker Meister bezeichneten Malers zurückzuführen, halte ich für unzulässig, zumal dessen Arbeiten in Ms. theol. lat. fol. 285 oft genug nicht jene Gestaltungsprinzipien zeigen, mit denen der vermeintliche Jakobsmeister dort vergleichsweise souverän operiert. Ähnliches gilt bei einer Datierung der zweiten Ausstattungskampagne des Berliner Breviers um 1500. Zwar arbeitete auch der Jakobsmeister in dieser Zeit an einer klaren Definition einer oft weit in die Tiefe gezogenen Vordergrundbühne, aber doch mit anderen Mitteln und vor allem auch in einer anderen Formensprache und Technik. Ähnliches gilt für die späteren Werke unseres Künstlers, mit denen die Miniaturen des Berliner Breviers auf Grund eines merklich abweichenden Motivrepertoires und einer weit weniger brillanten Malweise schlichtweg inkompatibel erscheinen. Die Schwierigkeit, das Berliner Brevier zu datieren, resultiert zumindest im Rahmen dieser Arbeit daher, daß ein eigenständiger, nicht in die künstlerischen Prozesse des Jakobsmeisters involvierter Maler dafür verantwortlich war und somit kein Koordinatensystem (außer allgemeinster Natur, wie der nur äußerst vage zu definierende Zeitstil) für eine zeitliche Einordnung zur Verfügung steht. Vielleicht kann es in Zukunft noch gewonnen werden. Bis dahin sieht man sich mit der frustrierenden Tatsache konfrontiert, daß just jene beiden mit unserem Künstler assoziierten Handschriften, die mehr oder weniger verbindlich datiert erscheinen, aus seinem Œuvre auszugliedern sind (was zu allem Überdruß auch noch für das dritte Werk dieser Art, das zwischen der Médiathèque François Mitterrand in Poitiers, Ms. 57/269, und der Österreichischen Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1887, aufgeteilte Stundenbuch, gilt, dessen Miniaturen in der Literatur dem Jakobsmeister abgeschrieben und hier jedenfalls früher als 1510 angesetzt werden445). Bei dem im Brevier der Rylands-Library tätigen Illuminator könnte es sich um einen Studienkollegen, vielleicht sogar Lehrer, des Jakobsmeisters handeln, und eine Herkunft aus dem gleichen Milieu muß auch für den in Ms. theol. lat. fol. 285 greifbaren Maler zutreffen. Setzt man die Handschrift um 1500 oder noch später an, könnte es sich vielleicht sogar um einen Schüler des Jakobsmeisters gehandelt haben, deren unser Künstler, wie bei seinem kreativen Kaliber nicht anders zu erwarten, mehrere höchst qualitätvolle hervorgebracht hat.

445 Zuletzt trifft dasselbe auch auf das 1526 datierte Holford-Stundenbuch zu, in dem die Hand des Jakobsmeisters m. E. ebenfalls nicht nachzuweisen ist.

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Register Abkürzungen  Berlin, BM Berlin, KK Berlin, SB Brüssel, BR Brüssel, MRBA Chantilly, MC Cleveland, CMA Coburg, KV Edinburgh, NGS Edinburgh, NLS Gent, MBA Kassel, LB Kreuzlingen, SK London, BL London, NG London, SJSM London, WA New York, MMA New York, PML Oxford, BL Paris, ML Prag, NG Rom, BAV Venedig, BM Wien, ÖNB

Berlin, Bode Museum Berlin, Kupferstichkabinett Berlin, Staatsbibliothek Brüssel, Bibliothèque Royale Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts Chantilly, Musée Condé Cleveland, The Cleveland Museum of Art Coburg, Kunstsammlung der Veste Edinburgh, National Gallery of Scotland Edinburgh, National Library of Scotland Gent, Musée des Beaux-Arts Kassel, Landesbibliothek und Muhardsche Bibliothek Kreuzlingen, Sammlung H. Kisters London, British Library London, National Gallery London, Sir John Soane’s Museum London, Westminster Abbey New York, The Metropolitan Museum of Art New York, Pierpont Morgan Library Oxford, Bodleian Library Paris, Musée du Louvre Prag, Nationalgalerie Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Venedig, Biblioteca Marciana Wien, Österreichische Nationalbibliothek

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Register

Objektregister A Aachen, Suermondt-Museum, Tafelbild mit hl. Lievinus 47 Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh, Inv. 946, Brevier 36, 189–194, 200–202, 208–227, 229 , 243–246, 248–250, 282 f., 503 f., 533; Abb. 77, 82, 84, 86–90, 92 Arundel Castle, Sammlung des Herzogs von Norfolk, Arundel-Stundenbuch 296 B Berlin, Bode Museum, SMPK, Meister von 1499 (zugeschrieben), Verkündigungsdiptychon 296 Kupferstichkabinett, 78 B 12, Stundenbuch der Maria von Burgund und Kaiser Maximilians I. 299, 301 f., 304–306, 400; Abb. 131 Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 285, Carondelet-Brevier 187 f., 517, 525– 554; Abb. 208–213, 215–219, 222–224 Brüssel, Bibliothèque Royale, Ms. II 158, Hennessy-Stundenbuch 468 f.; Abb. 183 Bibliothèque Royale, Ms. 9126, Graduale Philips I. und Juanas von Kastilien 330 Musées Royaux des Beaux-Arts, Dirk Bouts (zugeschrieben), Kreuzigung 346, 378 C Cambridge Fitzwilliam Museum, Ms. 10581975, Stundenbuch 340, 361–372, 381 f., 439, 505, 527, 551, 553; Abb. 144, 148–150 Chantilly, Musée Condé, Ms. 65, Très Riches Heures des Duc de Berry 344, 387–390, 435 f., 436, 464, 467, 469 f., 507; Abb. 157, 167

Musée Condé, Ms. 139 (=Ms. franc. 1363), Miroir de la Humaine Salvation 300, 316, 506; Abb. 200, 201 Chatsworth, Duke of Devonshire, Stundenbuch 510 Cleveland, The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr., Fund, Inv. 1963.256, Stundenbuch der Isabella von Kastilien 73, 162–168, 179, 188, 195 f., 198, 227, 261−263, 266, 503, 530–533, 535–540, 545; Abb. 58, 59 Coburg, Kunstsammlung der Veste, Inv. K 601, Lehrs Nr. 26, Martin Schongauer, Stich mit Kreuztragung 321, 322. Kunstsammlung der Veste, Inv. K 601, Lehrs Nr. 63, Martin Schongauer, Stich mit hl. Chistophorus 154 f.; Abb. 56 E Edinburgh, National Gallery of Scotland, Hugo van der Goes, Retabel 49–53; Abb. 1a, 1b. National Library of Scotland, Ms. 10270, Gebetbuch des Dean Brown 57 G Gent, Musée des Beaux-Arts, Diptychon des Lieven van Pottelsberghe und der Livina de Steelant 48 Musée des Beaux-Arts, Triptychon mit hl. Sippe 47 Musée des Beaux-Arts, PoortakkerTriptychon 48 St. Bavo, Joos van Wassenhove (zugeschrieben), Kreuzigungsaltar 346, 378, 402–406; Abb. 160

Objektregister

H Hatfield House, Marquess of Salisbury, Cecil Papers Ms. 324 500 K Kassel, Landesbibliothek und Muhardsche Bibliothek, Mss. math. et art. 50, Gebetbuch des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg 46 Kreuzlingen, Sammlung H. Kisters, Nachfolge Hugo van der Goes, Tafelbild mit Epiphanie 101 L Lissabon, Museu Calouste Gulbenkian, Ms. LA 210, Holford-Stundenbuch 64–68, 169, 458–461, 469 f., 473, 477 f., 508, 510, 552, 554; Abb. 4, 7, 173–176 Museu Nacional de Arte Antiga, Ms. 13, Stundenbuch 210 (Anm. 190), 348, 394, 458–485, 508, 510 f., 513, 552; Abb. 172, 177, 178, 180, 182, 184, 185, 187, 188 London, British Library, Add. Ms. 18851, Brevier der Isabella von Kastilien 50, 73–85, 87, 89–95, 97 f., 141 f., 156–163, 166, 168, 179–185, 187 f., 195, 197 f., 205 f., 211–215, 217, 224 f., 227, 247, 355, 357, 359 , 363 f., 366, 371, 503, 540–543, 548; Abb. 9, 10, 12–15, 17, 57, 68, 70, 91, 146, 220, 221 British Library, Add. Ms. 34294, SforzaStundenbuch 42–48, 60–63, 65, 67–72, 229, 340, 424, 427–430, 433, 439–458, 459, 483–485, 487–495, 501, 509–515; Abb. 3, 8, 165, 168, 169, 189, 192–195, 202 British Library, Add. Ms. 35313, Rothschild-Stundenbuch 189, 260, 283–340, 348, 355, 367, 381, 400,



591

418, 450–453, 456 f., 505 f.; Abb. 120–130, 132 British Library, Royal 18 D II 487–490, 493 −496, 500 f., 512–514, 553; Abb. 190, 191, 196 National Gallery, Gerard David, Tafelbild mit Kreuzannagelung 489 Sir John Soane’s Museum, Ms. 4, Stundenbuch 189, 285, 300, 309, 316, 424 , 505 f., 517–519; Abb. 205 Sotheby’s, 10. 12. 1973, lot 24, Replik der Sterbeszene des Grimani-Breviers 393 f. Sotheby’s, 11. 7. 1983, lot 25 (Leihgabe an Victoria & Albert Museum, London), Patentbrief für Thomas Forster, Lucas oder Susanna Horenbout (zugeschrieben), Miniaturbildnis Heinrichs VIII. 508 Sotheby’s, 12. 6. 1988, lot 107, ImhoffGebetbuch 36 The Public Record Office, E 24/2/1, Patentbrief für das Cardinal College, Ipswich (26. Mai 1529) 496, 513 The Public Record Office, E 24/6/1, Patentbrief für das Cardinal College, Oxford (5. Mai 1526) 496, 513; Abb. 197 The Public Record Office, E 24/12/1, Patentbrief für das Cardinal College, Ipswich (20. August 1528) 496 f., 513; Abb. 198 The Public Record Office, E 24/20/1, Patentbrief für das Cardinal College, Oxford (25. Mai 1529) 496, 513 Victoria & Albert Museum, Salting Ms. 2538, Einzelblätter 200 Westminster Abbey, Muniment Room & Library, Obituary Roll des John Islip 497–500; Abb. 199 a–e

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Register

Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 17, Kölner Stundenbuch 296 The J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig IX 18, Spinola-Stundenbuch 47, 189 , 191, 196 f., 199, 201, 221, 229–260, 284, 315, 318–223, 325–340, 340– 382, 389–392, 395–398, 400–408, 410–412, 415–424, 426–428, 432– 434, 436–438, 444–458, 472, 477, 505 f., 517–519, 527, 531 f., 541, 551–553; Abb. 75, 79, 93–99, 101–103, 133, 135–138, 143, 158, 159, 161, 164, 170, 204, 214, 229, 230 M Manchester, John Rylands Library, Ms. Lat. 39, Brevier 517–525, 527, 554; Abb. 203, 206 Mecheln, Stadsarchief, Liber Missarum 330 N New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 52, Brevier der Eleonore von Portugal 54, 86, 169–208, 221, 227, 251, 460, 503, 544–548; Abb. 60–67, 69, 71, 73, 74, 78, 83, 85, 225, 226 Pierpont Morgan Library, Ms. M. 1046, Einzelblatt aus einem Brevier 517, 524; Abb. 207 The Metropolitan Museum of Art, Acc. no. 48.149.15. Einzelblatt aus einem Stundenbuch 416–433, 437, 506; Abb. 162 The Metropolitan Museum of Art, Acc. no. 48.149.16. Einzelblatt aus einem Stundenbuch 416–433, 506; Abb. 163 The Metropolitan Museum of Art, Jan van Eyck, Diptychon 344–347, 378 f.; Abb. 140

O Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 112, Stundenbuch 330 f. Bodleian Library, Ms. Douce 219-220, Stundenbuch des Engelbert von Nassau 299 f., 317, 320, 325 f. Christ Church, Ms. 101, Epistolar 46 P Paris, Musée du Louvre, Jan van Eyck, Tafelbild mit der Madonna des Kanzlers Rolin 198 Musée du Louvre, RF. 44315, Lucas oder Susanna Horenbout (zugeschrieben), Miniaturbildnis Heinrichs VIII. 508, 510 f. Poitiers, Médiathèque Franςois Mitterand, Ms. 57/269, Stundenbuch-Fragment 340, 350, 355–370, 381, 505, 554; Abb. 142, 145 Prag, Nationalgalerie, Juan de Flandes (zugeschrieben), Tafelbild mit Ecce Homo 47 R Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Chigi CVIII 234, Musikhandschrift des Philippe de Bouton 296 Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3770-68, Stundenbuch (3 Bände) 58–60, 62 f., 65–68, 73, 79–82, 85–91, 93 f., 105–162, 163, 165–168, 170–191, 197–200, 202, 208, 211 f., 214 f., 217–227, 229–244, 246–248, 250, 255–259, 262–273, 277 f., 281– 284, 290, 293, 308, 310–313, 315 f., 318, 323–329, 333 f., 336, 339, 348– 357, 360, 363–367, 370 f., 379 f., 381, 391, 451, 454–457, 504, 531, 540, 545, 548–550; Abb. 2, 5, 11, 16,

Personenregister

18–55, 72, 81, 100, 134, 141, 147, 171, 227, 228 V Venedig, Biblioteca Marciana, Ms. lat. I.99, Grimani-Brevier 45 f., 227, 229, 304, 330, 340–348, 355, 377–380, 383–415, 316, 423, 426 f., 430–439, 440–444, 446 f., 451–461, 463–473, 479, 482 f., 485, 489, 505–508, 510–515, 522, 552; Abb. 139, 151–156, 166, 179, 181 W Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1857, Stundenbuch der Maria von Burgund 51 f., 154, 299, 306, 317, 345 f., 489; Taf. XVIII Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1858, Croy-Gebetbuch 330, 331–333, 340, 350, 368–371, 375– 382, 383 f., 384, 390 f., 394–397, 409 f., 413, 415, 427, 430, 437, 470– 473, 506, 508; Taf. XIX, XXIII Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1887, Stundenbuch 340, 348, 350–356, 361, 375, 381, 504 f., 531, 554; Taf. XX, XXI Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 1897, Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland 48–60, 62 f., 67,

76–78, 138–142, 168, 170, 189, 222, 227, 236, 251, 253, 255–260, 263, 292–294, 308, 315–317, 326, 353, 380 f., 387, 430–439, 479, 504; Taf. I – III Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 2706, Hortulus Animae 458 f., 473, 508, 480 Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2619 54 Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. Ser. n. 2625, Stundenbuch 50, 73, 85–106, 113–118, 141–159, 162– 165, 179, 202–208, 218, 220, 224 f., 227, 229, 236 f., 282 f., 315 f., 355, 362–364, 370, 417, 450 f., 503, 505, 517–520, 522–525, 527–530, 541, 549; Taf. IV−XVII, XXII, XXIV Österreichische Nationalbibliothek, ehem. Cod. Vind. Ser. n. 2844 (Privatbesitz), Rothschild-Gebetbuch 66 f., 189, 191 f., 194, 197, 199, 260– 285–298, 308–310, 312, 314–316, 318–320, 322–331, 333–336, 338 f., 357, 367 f., 370–372, 374 f., 381, 424, 450, 452, 474–477, 504; Abb. 6, 76, 80, 104–119, 186 Windsor Castle, RCIN. 420640, Lucas oder Susanna Horenbout (zugeschrieben), Miniaturbildnis Heinrichs VIII. 508

Personenregister A Aelst, Pieter Coecke van 44, 511 Allennes, Jossine van 45 Antwerpener Manieristen 63 Anversa, Livieno da 46

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B Barnard, Lambert 487 Bening, Alexander 383, 509 Liviena 44, 511 f., 484 f. Simon 36, 44, 46, 64, 86, 200, 296, 383, 458 f., 468 f., 473 f., 507–511

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Register

Benson, Ambrosius 36, 225 Birago, Giovan Pietro 13, 42 f. Bona Sforza, Herzogin von Mailand 42; siehe auch London, BL, Add. Ms. 34294 Bonkil, Edward 49 f. Bouton, Philippe de 296 Bouts, Dirk 346, 378, 340 Brown, James, Dekan von Aberdeen 57; siehe auch Edinburgh, NLS, Ms. 10270 Brueghel, Pieter, d. Ä. 411 C Carondelet, Familie 525; siehe auch Berlin, SB, Ms. theol. lat. fol. 285 Jean, Kanzler Burgunds 498 Charlotte von Savoyen, Königin von Frankreich 54 Christian II., König von Dänemark, Norwegen und Schweden 44 Cleve, Joos van 63 D David, Gerard 36, 74, 163, 168, 224 f., 383, 489, 508; siehe auch London, NG Devereux, Anne 487 Dijcke, Hannekin van den 41, 504 Dresdener (Gebetbuch-) Meister → Meister des Dresdener Gebetbuchs Dürer, Albrecht 44, 509, 511, 514 E Edward IV., König von England 487 Eleonore von Portugal, Königin 169; siehe auch New York, PML, Ms. M. 52 Engelbert II. von Nassau, Graf 317; siehe auch Oxford, BL, Ms. Douce 219-220 Eyck, Jan van 198, 344–347, 378 f.; siehe auch New York, MMA und Paris, ML F Ferdinand I., König von Portugal 471

Flandes, Juan de 47, 527; siehe auch Prag, NG G Galbraith, Thomas, Sir 50 Galeazzo Sforza, Herzog von Mailand 42 Gebetbuchmeister siehe Meister der Gebetbücher um 1500 Gerard (Garrard), William 46 f. Goes, Hugo van der 49–53, 101; siehe auch Edinburgh, NGS und Kreuzlingen, SK Grimani, Domenico, Kardinal 348; siehe auch Venedig, BM, Ms. lat. I.99 Guant, Girardo da (Gent, Gerhard von) 46, 440 Guicciardini 511 H Heinrich VI., König von England 487 Heinrich VIII., König von England 45, 49, 496 f., 509 f., 512 Heinricxzone, Heinric 41, 504 Herbert, William, Sir 487 Holbein, Hans, d. J. 509 Horenbout, Eloy 45, 510, 512 Lucas 45, 61, 496, 500 f., 508–512, 514; siehe auch London, Sotheby’s, 11. 7. 1983, lot 25; Paris, ML, RF. 44315 und Windsor Castle, RCIN. 420640 Margareta (Svanders / de Vandere) 41, 45 Susanna 44 f., 487, 495, 496, 501, 508– 514; siehe auch London, Sotheby’s, 11. 7. 1983, lot 25; Paris, ML, RF. 44315 und Windsor Castle, RCIN. 420640 Willem 41 I Isabella von Österreich, Königin von Dänemark und Norwegen 44 Isabella I. von Kastilien, Königin 162 f.; siehe auch Cleveland, CMA, Inv. 63.256 und London, BL, Add. Ms. 18851

Personenregister

Islip (Islyppe), John, Abt von Westminster 497; siehe auch London, WA und Ikonograph. Register J Jacopo, Gian, Fra 42 Jakob III., König von Schottland 49, 51 f., 55 Jakob IV., König von Schottland → Wien, ÖNB, Cod. Vind. 1897 Jakobsmeister → Meister Jakobs IV. von Schottland Jakobsmeister-Nachfolger → Meister der Marienszenen (des RothschildStundenbuchs) Jean, Duc de Berry → Chantilly, MC, Ms. 65 Joao II., König von Portugal 169, 207 Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg → Kassel, LB, Mss. math. et art. 50 Juan Maria Sforzino 42 Juan von Asturien, Fürst 74, 303 f. Juana von Kastilien, Königin 74, 303 K Karl V., deutscher Kaiser 42 Kokelaere, Familie 64 L Lale, Etienne de 42, 439 Limburg, Brüder von → Chantilly, MC, Ms. 65 Lübecker Meister → Meister der Lübecker Bibel Ludwig XI., König von Frankreich 54 Lydgate, John → London, British Library, Royal Ms. 18 D. II M Margaret Tudor, Königin von Schottland 48–52, 55, 504

595

Margarete von Dänemark, Königin 49, 51 f. Margarete von Österreich, Herzogin von Savoyen 41–44, 70, 74 f., 229, 302 f., 317, 427, 439, 504, 507, 510, 515 Maria von Burgund, Herzogin → Wien, ÖNB, Cod. Vind. 1857 sowie Berlin, KK, 78B12 Maximilian I., deutscher Kaiser → Berlin, KK, 78B12 Maximiliansmeister 74, 170, 190, 223 f., 525 Meister der Davidszenen (des Breviarium Grimani) 383, 440; siehe auch Venedig, BM, Ms. lat. I.99 Meister der Gebetbücher um 1500 190 Meister der Lübecker Bibel 394, 525–527, 532 f., 538, 550 f. Meister der Maria von Burgund 299 f., 317, 345, 352, 452, 489 Meister der Marienszenen (des RothschildStundenbuchs / zweiter Jakobsmeister) 298, 300, 306, 316; siehe auch London, BL, Add. Ms. 35313 Meister des Älteren Gebetbuchs Maximilians I. 49, 86, 320, 383, 475 Meister des Dresdener Gebetbuchs 73 f., 260 Meister des Soane-Stundenbuchs 517 f.; siehe auch London, SJSM, Ms. 4 Meister des Wiener Hortulus Animae 473; siehe auch Wien, ÖNB, Cod. Vind. 2706 Meister von 1499 296; siehe auch Berlin, Bode Museum, SMPK, Verkündigungsdiptychon Memling, Hans 46 Michiel, Marcantonio 46, 440 Muzio Attendolo-Meister 68–71 P Parker, John 501

596

Register

Percy, engl. Adelsfamilie 487 Philibert II., Herzog von Savoyen 42, 317 Philip I., der Schöne, Herzog von Burgund, König von Kastilien 74, 303, 317, 330; siehe auch Brüssel, BR, Ms. 9126 Pottelsberghe, Lieven van 48; siehe auch Gent, MBA R René II. de Lorraine, Herzog 58 Rojas, Francisco de 74 f. Rolin, Nicolas, Kanzler 198 S Schongauer, Martin 154 f., 321 f.; siehe auch Coburg, KV, Inv. K 601, Lehrs Nr. 26 und 63 Sforzino, Juan Maria → Juan Maria Sforzino Sherburne, Robert, Bischof von Chichester 487

Steelant, Livina de 48; siehe auch Gent, Musée des Beaux-Arts, Diptychon des Lieven van Pottelsberghe und der Livina de Steelant Stoevere, Lieven de 41 V Verhulst, Mayken 44, 511 f. W Wassenhove, Joos van 346, 378, 402–406; siehe auch Gent, St. Bavo, Joos van Wassenhove (zugeschrieben), Kreuzigungsaltar Wolsey, Thomas, Kardinal, Erzbischof von York 46 Z Zweiter Jakobsmeister → Meister der Marienszenen (des RothschildStundenbuchs)

Abbildungsnachweis Wien, Österreichische Nationalbibliothek  : Taf. I−XVII, XX−XXII, XXIV Fotosammlung Otto Pächt  : Taf. XVIII, XIX, XXIII  ; Abb. 2, 4, 9, 10, 12–15, 17, 57, 68, 70, 91, 133, 143, 144, 146, 148–150, 190, 191, 208–213, 215–224 Alle übrigen Abbildungen sind Bildzitate nach der am jeweiligen Ort diskutierten Literatur.

BUNDESDENKMAL AMT ÖSTERREICH UND INSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE DER UNIVERSITÄT WIEN (HG.)

NEUE FORSCHUNGEN ZUR BUCHMALEREI WIENER JAHRBUCH FÜR KUNSTGESCHICHTE, BAND LVIII

Der neue Band des Wiener Jahrbuchs für Kunstgeschichte ist der mittelalterlichen und Renaissance-Buchmalerei gewidmet. In den ersten drei Beiträgen, die sich mit der Ausstattung von Handschriften befassen, geht es um religiöse Diagramme, die Medialität von ausgemalten Büchern und hochrangige Bildvorlagen für Stundenbücher. Darüber hinaus enthält der Band neun Beiträge, die aus einem internationalen Kolloquium über Buchmalerei in Inkunabeln hervorgegangen sind und Einblick in die kunstgeschichtlichen Aspekte des zentralen Medienwechsels vom geschriebenen zum gedruckten Buch gewähren. Der Band repräsentiert damit wesentliche Perspektiven moderner Buchmalereiforschung – ihre Herausforderungen ebenso wie ihre methodische und thematische Vielfalt. 2009. 273 S. GB. 195 FARB. ABB. 185 X 260 MM. ISBN 978-3-205-78476-0

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MICHAEL A BR AESEL

BUCHMALEREI IN DER KUNSTGESCHICHTE ZUR REZEPTION IN ENGL AND, FR ANKREICH UND ITALIEN (STUDIEN ZUR KUNST, BAND 14)

Bisher war die Geschichte der Buchmalerei eher ein vernachlässigter Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte. Mit dem vorliegenden Band wird nun für Italien, England und Frankreich eine Lücke innerhalb der kunsthistorischen Forschung geschlossen. Chronologisch, geographisch und thematisch geordnet werden verschiedene Bereiche der Buchmalerei mit ihren Fragestellungen und Anliegen vorgestellt. Die Autorin zeigt, wie sich die Rezeption von der Zeit der ersten Erwähnung von Buchmalern bei Vasari bis zum frühen 19. Jahrhundert wandelte. Deutlich wird dabei, dass stärker als kunsthistorische oder zeitästhetische Urteile andere Motive – antiquarische Interessen, juristische, kirchengeschichtliche und historische Studien – Veränderungen in der Rezeption der Buchmalerei begründeten.

2009. VI, 568 S. 49 S/W-ABB. AUF 16 TAF. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20300-9

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