Das Selbstbestimmungsgesetz: Über die Diskurse um Transgeschlechtlichkeit und Identitätspolitik 9783839467190

Im Zuge der politischen und medialen Debatten um das geplante Selbstbestimmungsgesetz, welches das Transsexuellengesetz

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Das Selbstbestimmungsgesetz: Über die Diskurse um Transgeschlechtlichkeit und Identitätspolitik
 9783839467190

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretische Einführung
2.1 Geschlechterverständnis
2.2 Geschlecht im Recht
2.3 Geschlechterbinäres und geschlechterplurales Denksystem
3. Methodik
Einleitung
3.1 Foucaultsche Vorüberlegungen
3.2 Diskursanalyse/Dispositivanalyse
4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe
4.1 Diskurse zu den Gesetzentwürfen innerhalb der politischen Debatten
4.2 Positionen von weiteren Diskursakteuren zum SelbstBestG
4.3 Lex Sex: Zusammenfassung der Positionen nach Diskursarenen
4.4 Diskurs-Strategie
4.5 Transnegativität und Transfeindlichkeit im Kontext der Diskurse
5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik
5.1 Das Politische und die Politik
5.2 Widerstreit der Lebensformen: Anerkennungskampf und identitätspolitische Bestrebungen
5.3 Identitätspolitik
5.4 Dejure ist nicht Defacto
5.5 Ein theoretisch-utopischer Ausblick
5.6 Ein Weg in die Praxis: Critical Cisness im Alltag und in der Politik
6. Fazit
Quellenverzeichnis
Dank

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Annette Vanagas, Waldemar Vanagas Das Selbstbestimmungsgesetz

Queer Studies Band 35

Annette Vanagas (Dr. rer. soc.), geb. 1984, ist Sozialpsychologin und Geschlechterforscherin und lehrt Sexualpädagogik sowie Berufsrollenreflexion innerhalb der Bildungswissenschaften an der Universität zu Köln. Sie war Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und ist Mitglied im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Vorurteils- sowie Diskriminierungsforschung und die Queer Studies. Waldemar Vanagas, geb. 1986, ist Pädagoge und Geschlechterforscher, leitet die Geschäftsstelle der AIM Bundesarbeitsgemeinschaft Individualpädagogik e.V. und ist dort als wissenschaftlicher Referent aktiv. Außerdem ist er Mitglied in der Fachgesellschaft für Geschlechterstudien e.V. Seine Forschungsschwerpunkte liegen innerhalb der Bildungs-, Diskriminierungs- und Geschlechterforschung.

Annette Vanagas, Waldemar Vanagas

Das Selbstbestimmungsgesetz Über die Diskurse um Transgeschlechtlichkeit und Identitätspolitik

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© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Nadine Sengstock: Kirschgarten (I love my bottom), 2021, 75 x 100 cm, Öl auf Leinwand Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839467190 Print-ISBN 978-3-8376-6719-6 PDF-ISBN 978-3-8394-6719-0 Buchreihen-ISSN: 2703-1365 Buchreihen-eISSN: 2703-1373 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Für unsere selbstbestimmten und alleinerziehenden Mütter, lebensweltliche Löwinnen, die trotz des damit verbundenen gesellschaftlichen Risikos dem Drang widerstanden haben, ihre Jungen zu fressen.

Inhalt

1.

Einleitung .............................................................................. 9

2. Theoretische Einführung .............................................................. 17 2.1 Geschlechterverständnis .................................................................. 17 2.2 Geschlecht im Recht ..................................................................... 37 2.2.1 Lex Transsex: Das Transsexuellengesetz ........................................... 40 2.2.2 Divers: Der Dritte Personenstand .................................................. 49 2.2.3 Angrenzende Rechtsbereiche ..................................................... 56 2.3 Geschlechterbinäres und geschlechterplurales Denksystem ............................... 63 3. Methodik .............................................................................. 67 3.1 Foucaultsche Vorüberlegungen ........................................................... 68 3.2 Diskursanalyse/Dispositivanalyse ........................................................ 76 3.2.1 Wissenssoziologische Diskursanalyse .............................................. 86 3.2.2 Narrationsanalyse ................................................................ 93 4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe ......................................................... 101 4.1 Diskurse zu den Gesetzentwürfen innerhalb der politischen Debatten ...................... 101 4.1.1 Positionen zum § 45b PStG »Varianten der Geschlechtsentwicklung« ...............102 4.1.2 Positionen zum § 1631e BGB »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung«........................................106 4.1.3 Positionen zum »Schutz vor Konversionsbehandlungen« (KonvBehSchG)............135 4.1.4 Positionen zum »Selbstbestimmungsgesetz« (SelbstBestG) und »Geschlechtsidentitätsgesetz« (GiG)...........................................145 4.1.5 Positionen zum »Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags« ............................................... 174 4.2 Positionen von weiteren Diskursakteuren zum SelbstBestG ................................189 4.2.1 Rechtswissenschaftliche Positionen ...............................................189 4.2.2 Positionen im Mediendiskurs: queerfeministische Forderungen nach Anerkennung und cisfeministische Verweigerung .............................195

4.2.3 Medizinische und psychologische Positionen ...................................... 253 4.2.4 Ethikkommission ................................................................ 274 4.3 Lex Sex: Zusammenfassung der Positionen nach Diskursarenen ......................... 276 4.3.1 Exegese des rechtlichen Geschlechtsbegriffs: Natur vs. Kultur..................... 278 4.3.2 Das Angstnarrativ: Kampf um Sicherheit und Schutz unter besonderer Betrachtung des Mündels als außerordentlich schutzbedürftig..................... 283 4.3.3 Gleichstellung vs. Dekonstruktion ................................................. 291 4.3.4 Begutachtungs-/Beratungspflicht vs. Unterstützungsangebot...................... 295 4.3.5 Menschenwürde: Selbstbestimmung vs. Kontrolle ................................. 298 4.3.6 Gesetzeskonflikte ................................................................ 300 4.4 Diskurs-Strategie ........................................................................301 4.4.1 Konstruktionen .................................................................. 302 4.4.2 Diskurssprache .................................................................. 304 4.4.3 Netz-Aktivismus ................................................................. 309 4.4.4 Desinformation und Polarisierungstendenzen ......................................314 4.5 Transnegativität und Transfeindlichkeit im Kontext der Diskurse ..........................318 4.5.1 Transnegativität und Transfeindlichkeit........................................... 320 4.5.2 Homonormativität ................................................................ 329

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik ................................................................ 349 5.1 Das Politische und die Politik ............................................................ 349 5.2 Widerstreit der Lebensformen: Anerkennungskampf und identitätspolitische Bestrebungen ................................................... 363 5.2.1 Lebensformen ................................................................... 363 5.2.2 Anerkennung(skämpfe)........................................................... 368 5.2.3 Kampf oder Widerstreit? ......................................................... 375 5.2.4 Das Identitätspolitische .......................................................... 387 5.3 Identitätspolitik ..........................................................................401 5.4 Dejure ist nicht Defacto ................................................................. 407 5.5 Ein theoretisch-utopischer Ausblick ......................................................418 5.6 Ein Weg in die Praxis: Critical Cisness im Alltag und in der Politik ......................... 428 5.6.1 Mikro-Ebene: Critical Cisness ..................................................... 428 5.6.2 Meso-Ebene: Sichtbarkeiten und Braves Spaces................................... 435 5.6.3 Makro-Ebene: Rechtfertigung dejure und Antidiskriminierungsschutz defacto ...... 436

6. Fazit ...................................................................................441 Quellenverzeichnis ....................................................................... 459 Dank ....................................................................................... 501

1. Einleitung

Am 27.08.2022 starb ein 25-jähriger transgeschlechtlicher Mann am Rande des Christopher Street Days in Münster, nachdem er schützend in eine sprachliche Diskriminierung gegenüber drei Frauen eingriff und so selbst zur Zielscheibe des verbalen Hasses wurde und schließlich durch zwei Schläge bewusstlos zu Boden fiel und folglich den tödlichen Verletzungen erlag. Mutmaßlich zweifelte der Täter zunächst das Geschlecht des jungen transgeschlechtlichen Mannes namens Malte an, bevor er ihn niederschlug.1 Malte ist kein Einzelfall, in Deutschland fanden laut Bundeskriminalamt im Jahr 2021 insgesamt 1051 queerfeindliche und (hetero-)sexistische Straftaten statt, die Dunkelziffer nicht mit einbezogen.2 Ein paar Monate vor der Ermordung Maltes wurde eine 15-jährige junge Frau namens Jess von drei cismännlichen Kindern im Alter von 12 bis 14 Jahren derart gewaltvoll angegriffen, dass sie lebensbedrohlich verletzt in einer Spezialklinik ins Koma versetzt werden musste und sich nun als Überlebende ins Leben zurückkämpft. Die Gewalt gegen Jess verweist darauf, dass die Menschenwürde antastbar erscheint, in Maltes Tod manifestiert sich, dass in Teilen der Gesellschaft an Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt und/oder einem Bewusstsein und Wissen über geschlechtliche Vielfalt mangelt. Der 2022 aufkommende mediale Diskurs um personenstandsrechtliche Neujustierungen, allen voran in der Welt-Online, sind ein Exempel für identitätspolitische Bestrebungen, eigene cisgeschlechtliche Privilegien und damit verbunden die Marginalisierung und Deprivilegierung von trans- und intergeschlechtlichen, nicht-binärund ageschlechtlichen Menschen durchzusetzen. Doch auch die rechtlichen wie politischen Diskurse rund um die Novellierung diverser das Geschlecht tangierender Gesetzgebungen verweist auf einen Deutungskampf um das Geschlecht. Es ist also unerlässlich die Diskurse hinsichtlich ihrer Narrative, Problematisierungen und Normalisierungen zu befragen.

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https://www.focus.de/panorama/welt/neue-details-zur-toedlichen-attacke-in-muenster-nura di-a-erkannte-malte-c-als-transmann-dann-schlug-er-zu_id_140662058.html (letzter Zugriff: 10.10.2022). https://www.morgenpost.de/vermischtes/article236329145/muenster-transmann-malte-kolumn e-morgenland.html (letzter Zugriff: 10.10.2022).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Im Jahr 1981 trat das Transsexuellengesetz (TSG) in Kraft und galt als ein überaus modernes und neuartiges Gesetz, da es einen Personenstandswechsel und somit den Wechsel der eigenen Geschlechtskategorie möglich machte. Im Jahr 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Zuge einer Verfassungsklage, dass das TSG nicht verfassungsgemäß sei und der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen habe, das TSG entsprechend zu novellieren oder gänzlich auf das Geschlecht im Personenstand zu verzichten.3 Erst im Jahr 2019 nahm die regierungsbildende Koalition aus CDU/CSU und SPD sich dieser Aufforderung an und legte einen Gesetzentwurf vor, der im Bundestag jedoch abgelehnt wurde. Im Jahr 2020 folgten mit dem Selbstbestimmungsgesetz (SelbstBestG) und dem Geschlechtsidentitätsgesetz (GiG) zwei weitere Gesetzentwürfe aus der politischen Opposition, die ebenfalls im Bundestag abgelehnt wurden. Im Jahr 2021 folgte ein weiterer Gesetzentwurf durch die regierungsbildende Koalition, welcher jedoch aufgrund des Regierungswechsels keiner Abstimmung unterzogen wurde.4 Vor allem stritten sich die Parteien um die Auslegung des Geschlechterbegriffs, welcher als politische Ordnungskategorie auf alle Bürger*innen im Staat Auswirkungen hat. Die Gesetzgebung hat in diesem Sinne ebenso eine Wirkung auf die Geschlechterverhältnisse, welche ihrerseits die gesellschaftlichen Rollen strukturieren. Geschlechterverhältnisse sind maßgeblich von der rechtlichen Exegese der politischen Ordnungskategorie Geschlecht geprägt. Änderungen in den Gesetzen und der damit zusammenhängenden Rechtspraxis können somit als Intervention in Geschlechterverhältnisse verstanden werden, aus der neue Vorstellungen von Geschlecht hervorgehen.5 Recht als Institution und Geschlecht als Identitätskategorie haben dabei gemeinsam, dass sie eingrenzend wirken, weil regulierend, und ebenso befähigend wirken, weil befreiend: »Recht gewährt Anerkennung, birgt emanzipatorisches Potential und öffnet Handlungsräume, doch gleichzeitig reguliert es Anerkennungsregime und setzt dem Handeln (oft enge) Grenzen«.6 Problematisch ist mitunter, dass durch die rechtliche Anerkennung von Kategorien, Menschen an eben jene, mit den Subjektpositionen aufgerufene Kategorien, verwiesen werden.7 Das bedeutet wiederum, dass ein Mensch sich zunächst entlang dieser Subjektpositionen subjektivieren muss, um aus dieser rechtlich anerkannten Subjektposition heraus die eigenen Rechte behaupten zu können, bzw. den rechtlichen Deutungsrahmen anzugreifen, um diesen zu erweitern. Die Anerkennung als Rechtssubjekt ist eine Errungenschaft und zugleich Voraussetzung für Kämpfe um mehr Gerechtigkeit.8 Susanne Baer fragt aus diesem Grund danach, »ob ein geschlechtsneutrales, also mit verbundenen Augen agierendes Recht oder aber ein geschlechtssensibles, also mit offenen Augen die Geschlechterdifferenzen wahrnehmendes Recht das bessere, und also das gerechtere Recht sei«.9 Beate Binder schluss3 4

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Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011). Vgl. Bundesministerium der Justiz/Bundesministerium des Inneren (2019); Bündnis 90/Die Grünen (2020); FDP (2020); Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. (2021). Vgl. Binder (2021): S. 203. Binder (2021): S. 204. Vgl. Binder (2021): S. 205. Vgl. Brown (2011): S. 456. Baer (2004): S. 20.

1. Einleitung

folgert im Zuge des mit verbundenen Augen agierenden Rechts, dass dies zu dem Problem führe, dass »aus einer feministischen – auf Geschlechtergerechtigkeit zielenden – Perspektive […] damit als selbstverständlich geltende Wissensbestände unreflektiert bleiben und unbemerkt (weiter-)wirken können«10 und dies dazu beitrage, dass das geltende Recht in Bezug auf Geschlecht die (Ideal-)Vorstellung eines männlich weißen Subjekts innewohnt. Feministische Rechtskritik konnte früh aufzeigen, wie Gesetze geschlechtliche Verhältnisse (bspw. die Ehe) regelten und geschlechtliche Unterschiede manifestierten, welche schließlich getragen durch die Gesetzesanwendung zu einer rechtlichen Ungleichbehandlung (bspw. dem Wehrdienst) und rechtlich gefestigten Rollenbildern (bspw. Mutter und Vater) führten. Weiter bringt das Gesetz mittels des Personenstandrechts Geschlecht als rechtliche Kategorie erst hervor, indem zunächst nur zwischen den binären Geschlechtskategorien Mann und Frau entschieden werden musste, wobei ab 1981 durch das TSG immerhin ein Wechsel zwischen diesen Oppositionen und ab 2017 die Eintragung als »Divers« oder der Verzicht auf eine Eintragung mittels der Kategorie »ohne Angaben« möglich wurden. Dennoch setzt die Geschlechterordnung eine Pflicht zur Klassifizierung, da sie als Entweder-oder-Regelung keine mehrfache Einordnung zulässt.11 »Werden bestimmte Vorverständnisse im und durch Recht festgeschrieben, werden vielmehr Normalitäten und Normalisierungsprozesse juristisch fixiert: Bestimmte Lebensrealitäten sind dann typisch, und Typisierung erlaubt. Normalisierung durch Recht verdeckt damit, dass die Rechtsordnung nicht nur punktuell, sondern durchgreifend ›vergeschlechtlicht‹ ist.«12 Das SelbstBestG würde mit seiner Festschreibung von weiterhin vier geschlechtlichen Klassifizierungen bspw. nicht zu einer rechtlichen Anerkennung von unterschiedlichen Lebensformen führen, sondern ausschließlich inter-, trans-, cisund ageschlechtliche Lebensformen anerkennen:13 »Es geht um die Einsicht, dass subjektive Rechte niemals nur neutral sind, sondern immer auch eine politische Dimension aufweisen. Ihnen liegt ein politischer Kampf um hegemoniale Deutung zu Grunde, den es ernst zu nehmen und deswegen zu rekonstruieren, zu kritisieren und immer wieder neu zu führen gilt.«14 Geschlecht, als gesetzlich geregelte politische Ordnungskategorie, erscheint in diesem Zusammenhang als ein hervorragender Analysefokus, da Geschlecht als Identitätskategorie als das subjektive Recht schlechthin gelten kann – betrifft es doch den eigenen Körper und das eigene Selbstverständnis – und der Staat mittels seiner Gesetzgebung immer wieder in dieses einzugreifen versucht. Habermas hat zu einer Differenzierung im Recht eine klare These: »Die Neutralität des Rechts gegenüber ethischen Differenzierungen im Inneren erklärt sich schon daraus, daβ in komplexen Gesellschaften die Gesamtheit der Bürger nicht mehr durch einen substantiellen Wertekonsens zusammengehalten werden kann, sondern nur

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Binder (2021): S. 202. Vgl. Baer; Elsuni (2021): S. 297. Baer; Elsuni (2021): S. 298. So wie bspw. die Ehe für Alle zwar auf ein heteronormatives Verständnis der Ehe verzichtet, jedoch nur monogame Beziehungen rechtlich anerkennt, nicht aber darüber hinausgehende Beziehungen. Reder (2021): S. 256.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

noch durch einen Konsens über das Verfahren legitimer Rechtsetzung und Machtausübung.«15 Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass das Rechtssystem als eine universalistische Moral handelt, auf welche sich die Bürger*innen im demokratischen Prozess verständigt haben.16 Den demokratischen Prozess definiert Habermas unterdessen als »Bündelung und Durchsetzung gesellschaftlicher Privatinteressen gegenüber einem Staatsapparat«,17 in welchen »der Integrität des Einzelnen und seinen subjektiven Freiheiten gleiches Gewicht bei[gemessen wird] wie der Integrität der Gemeinschaft, in der sich die Einzelnen zugleich als Individuen und als Mitglieder erst wechselseitig anerkennen können.«18 In diesem Zusammenhang erkennt Habermas in der verständigungsorientierten öffentlichen Kommunikation eine kommunikative Macht, »die in Gestalt von diskursiv gebildeten Mehrheitsmeinungen aus der politischen Kommunikation hervorgeht«. Der mittels Kommunikation in der politischen Arena ausgetragene Meinungsstreit hat nach Habermas eine hohe legitimierende Kraft, auch hinsichtlich der Autorisierung von Machtpositionen:19 »Die Gesellschaft zentriert sich im Staat; denn in der politischen Selbstbestimmungspraxis der Bürger wird das Gemeinwesen sich seiner im ganzen bewuβt und wirkt über den kollektiven Willen der Bürger auf sich selbst ein. Demokratie ist gleichbedeutend mit der politischen Selbstorganisation der Gesellschaft.«20 Mit seiner Diskurstheorie spricht Habermas ähnlich wie Michel Foucault von Arenen, in denen eine »subjektlose Kommunikation« um Meinungen und Willensbildung über gesamtgesellschaftlich relevante Themen ringt, die bezüglich einer regelungsbedürftigen Materie aufgerufen werden.21 Was nach Sisyphus-Arbeit aussieht legitimiert jedoch festgesetzte Regeln, welche gleichzeitig vom politischen Gesetzgeber jederzeit änderbar wären, wodurch der Diskurs die Demokratie in den Zusammenhang mit dem Rechtsstaat setzt.22 Auch nach Loick ist das Recht etwas, dass nicht vorgegeben, sondern in der Gemeinschaft ausgehandelt wird, was nicht einfach festgeschrieben ist, sondern einer Mobilisierung bedarf:23 »Eine politische Konsequenz, die aus der potentiellen Komplizenschaft der Rechtskritik mit dem Unrecht gezogen werden kann, besteht zum Beispiel in der Anerkennung der Bedeutung des Rechts gerade für die Subjektivität traditionell exkludierter oder unterdrückter Gruppen: Zum einen ermöglicht erst die Zuerkennung des Status als gleiches Rechtssubjekt den Einzelnen die Entwicklung von Selbstachtung und Würde, zum anderen bleibt auch der retrospektive Bezug auf die eigene Emanzipationsgeschichte als eines Kampfs um Anerkennung gleicher Rechte eine wichtige Quelle des Bewusstseins politischer Handlungsfähigkeit.«24

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Habermas (1996): S. 260. Vgl. Habermas (1996): S. 262. Habermas (1996): S. 274. Habermas (1996): S. 278. Vgl. Habermas (1996): S. 280. Habermas (1996): S. 283. Vgl. Habermas (1996): S. 285. Vgl. Habermas (1996): S. 292. Vgl. Loick (2017): S. 330f. Loick (2017): S. 17.

1. Einleitung

Mittels dieser kurzen Hinführung sollte deutlich gemacht werden, warum die Novellierung des TSG durchaus von gesellschaftlicher Relevanz ist und ein Forschungsinteresse entsteht. Indem das BVerfG den Staat dazu auffordert, eine neue verfassungsgemäße Gesetzgebung zu entwickeln und der Staat wiederrum in der demokratischen Pflicht steht, die Bevölkerung in diesen Gesetzgebungsprozess einzubeziehen entsteht ein interdisziplinäres Feld25 mit vielfältigen Interessengruppen und wissenschaftlichen Disziplinen, die um Deutungshoheit und Anerkennung ihrer Positionen kämpfen. Die Kämpfe werden als Identitätspolitik benannt und werden in einer immer pluraler werdenden Lebenswelt durchaus kontrovers betrachtet. Ziel der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchung ist es, entlang der (identitäts-)politischen Aussagen Deutungsmuster herauszuarbeiten, die in einer rechtlichen Konstruktion von Geschlecht und Transgeschlechtlichkeit münden, und ebenso all jene Deutungsprozesse zu ermitteln, die aus dem Bereich des gesetzlich und gesellschaftlich Sagbaren fallen. Weiter soll als Forschungsfrage ermittelt werden, inwiefern die rechtlichen Diskurse um Transgeschlechtlichkeit zu einer Transformation des Geschlechterwissens führen und welche Machtbeziehungen sich innerhalb des politischen Interdiskurses ergeben. Darunter fällt ebenso die Frage nach den Rechtfertigungen einer binären Geschlechtereinteilung, einer biologistischen Geschlechterdifferenzierung, einer gesellschaftlichen Ordnung entlang des Geschlechts und final auch nach einer Rechtfertigung einer Sonderregelung, die für all jene Menschen gilt, die aus der normativen Ordnung herauszufallen scheinen. »Keine politische Herrschaftsordnung, keine Rechtsordnung vermag auf Dauer zu bestehen, wenn sie nicht in den Augen derer, von denen sie Zustimmung und Befolgung erwartet, als gerechtfertigt erscheint und wenn sie auf das Verlangen nach Rechtfertigung und auf Kritik nicht anders als repressiv reagieren kann.«26 In diesem Rahmen ist es wichtig, die Verfahren und Kriterien der sozial überzeugenden Rechtfertigungen zu betrachten. Vor allem die Gesetzgebungsverfahren bieten dafür eine hervorragende Grundlage, da bei diesen – neben der Möglichkeit Stellungnahmen einzureichen – in Plenarsitzungen überparteilich Stellung genommen wird: »Rechtfertigungsnarrative sind dadurch charakterisiert, dass sie Rechtfertigungen normativer Ordnungen mit den individuellen und kollektiven Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten der Teilnehmer so verweben, dass sie ihre Überzeugungskraft aus Lebensgeschichten von Generationen, historischen Unrechtserfahrungen, der Erfahrung von Befreiung aus Verhältnissen der Beherrschung oder tradierten kollektiven Selbstverständnissen beziehen.«27 Aus diesem Grund ist es notwendig, auch die Entstehungskontexte der Rechtfertigungen der Sondergesetze zur Regulierung der Transgeschlechtlichkeit zu ergründen, indem bspw. der Wandel des TSG betrachtet wird und die Verfassungsbeschwerden als Äußerung der Kritik gewertet werden.

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Analog zur Triade »Politik – Recht – Gesellschaft«, die interdisziplinäre Triade »Politikwissenschaft – Jurisprudenz – Soziologie«. Forst; Günther (2021): S. 12. Forst; Günther (2021): S. 14.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine umfassende methodische Arbeit, die sowohl rechtswissenschaftlichen als auch geschlechtersoziologischen Ansprüchen gerecht wird. Beate Binder empfiehlt die Methode »law in action«, welche eine empirische interdisziplinäre Rechtsforschung umfasst.28 »Law in action« fragt danach, in welchen Momenten bzw. Diskursen alltagsweltliche, institutionelle und rechtliche Praxen aufeinandertreffen und welche rechtliche Normativität und gesellschaftlichen Machtverhältnisse damit erzeugt werden.29 Vor allem Baer fordert daher nach einer empirischen Rechtsforschung, mit der die Verschränkung aus Recht und Geschlecht reflektiert und im Zusammenhang damit der politische Kontext des Juristischen herausgearbeitet wird.30 Im Sinne von Susanne Baer und Petra Sußner sollen in diesem Forschungsansatz mittels einer wissenssoziologischen Diskursanalyse vor allem Gesetzentwürfe, damit zusammenhängende Stellungnahmen und die politischen Bundestagsdebatten, aber auch vorausgehende Gerichtsurteile untersucht werden. Um die alltagsweltlichen Positionen und die fachwissenschaftlichen Sichtweisen nicht auszuklammern werden ebenfalls wissenschaftliche Beiträge in einschlägigen Fachjournals und der Mediendiskurs im Kontext des SelbstBestG analysiert. Das was Baer & Sußner als »paper work« bezeichnen, bietet sich an, weil »die häufig detaillierten Begründungen über den Einzelfall hinausweisen und Hinweise auf das Verhältnis von Recht, Politik, Gesellschaft und Geschlecht geben«31 . Unser Rechtsverständnis ist somit eines, welches Recht und juridische Wissenspraxen in gesellschaftlichen Deutungsrahmen verankert sieht, wodurch Recht immer auch an politische wie gesellschaftliche Vorstellungen gebunden ist.32 Aus diesem Grund lässt sich die Verschränkung aus Geschlecht und Recht ebenfalls im Rahmen einer Rechtsmobilisierung und analog dazu als das Erzeugen eines Rechtsbewusstseins verstehen, indem soziale Bewegungen, aber auch Einzelpersonen mittels strategischer Prozessführung (bspw. entlang einer Verfassungsbeschwerde) öffentlichkeitswirksam auf Anerkennungsverweigerungen und Ungleichheitsverhältnisse im Kontext des geltenden Rechts aufmerksam machen, wodurch sie methodisch ebenfalls an Interesse gewinnen.33 Die »Wissenssoziologische Diskursanalyse« (WDA), welche Foucaults Diskurstheorie mit der Wissenssoziologie von Peter Berger und Thomas Luckmann verschränkt, soll in diesem Rahmen dazu verwendet werden, die Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen (Wissens-Regimen, Wissenspolitiken) auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. kollektiven Akteuren zu untersuchen und ihre mögliche Wirkung miteinzubeziehen.34 Vor allem Foucault interessierte sich für Klassifikationen wie das Geschlecht, da er diese als Denksysteme erkannte, welche zunächst aus dem Subjekt das Objekt des Erkennens schaffen, und aus welchen danach soziale Praktiken in Subjektivierungsmodi überführt werden und so historisch

28 29 30 31 32 33 34

Vgl. Binder (2021): S. 208. Vgl. Binder (2021): S. 207. Vgl. Baer (2004): S. 31. Binder (2021): S. 211. Vgl. Binder (2021): S. 212. Vgl. Binder (2021): S. 214. Keller (2005): S. 49.

1. Einleitung

gewachsene Existenzweisen und Lebensformen hervorbringen.35 Allerdings handelt es sich bei der WDA nicht um eine Auswertungsmethode, sondern um ein Forschungsparadigma, weshalb die WDA um die Narrationsanalyse nach Willy Viehöver ergänzt werden soll. Narrationen gelten als diskursstrukturierendes Regelsystem und sind somit für die Analyse von Diskursen besonders relevant.36 Mit Rainer Keller wurde die Narrationsanalyse im Rahmen der WDA um die Analyse der Phänomenstruktur und Deutungsmuster erweitert, wodurch ebenso der referentielle Bezug eines Diskurses sowie die Interpretationsschemata innerhalb des Diskurses Einzug in die Analyse erhalten.37 Die Arbeit gliedert sich dementsprechend in ein zweites theoretisch einführendes Kapitel, welches den referentiellen Bezug ermittelt, indem das aktuelle wissenschaftliche Geschlechterverständnis ermittelt wird und ergänzend dazu die bisherigen rechtlichen Auseinandersetzungen mit Gesetzen betrachtet werden, welche die Ordnungskategorie Geschlecht – allen voran die jüngsten Rechtsdiskurse um das TSG und den dritten Personenstand – justieren. Im nachfolgenden dritten Kapitel wird in die Methode der WDA eingeführt und im direkten Anschluss im vierten Kapitel mittels der WDA die Analyse der Gesetzentwürfe zur Novellierung/Ersetzung des TSG vorgenommen und um die Analyse zweier rechtswissenschaftlicher Gutachten erweitert, die ebenfalls Gesetzentwürfe erarbeiten. Um eine Kontrastierung der ausschließlich rechtlichen Regelung von Transgeschlechtlichkeit zu erzielen, werden zwei angrenzende Gesetzentwürfe, welche sich ebenfalls dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit zuwenden hinzugezogen. Das »Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen« (2019/20) und das »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« (2020) werden ebenfalls einer WDA unterzogen. Erst im Frühjahr 2022, also nachdem beide Gesetzentwürfe scheiterten, erfolgt ein breiter medialer Diskurs, welcher ebenfalls Einzug in die Analyse erhält, da in ihm die identitätspolitischen Bestrebungen in besonderer Weise hervortreten. Dieses umfassende Analyse-Kapitel wird mit einer Zusammenfassung schließen, welche die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen vereinfachen soll. In dem fünften Kapitel sollen die Machtverhältnisse aus der gesetzgebenden Triade Politik – Recht – Gesellschaft genauer betrachtet werden, da Jürgen Habermas in dieser Triade das demokratische Verfahren zur Legitimierung von Gesetzen und Beschlüssen des politischen Gesetzgebers erkennt. Nur mittels dieser Triade verstünden sich die Adressat*innen des Gesetzes gleichermaßen als Autor*innen, weshalb der Staat die Bürger*innen in die Gesetzgebung mit einbeziehen müsse: »Sobald wir ein Problem als Rechtsproblem behandeln, bringen wir mithin einen Begriff des modernen Rechts ins Spiel, der uns – allein aus konzeptuellen Gründen – dazu nötigt, mit der voraussetzungsreichen Architektonik des Rechtsstaats zu operieren. Das hat auch Konsequenzen für die Behandlung des Problems der rechtlichen Gleich-

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Vgl. Keller (2005): S. 52. Vgl. Viehöver (2006): S. 179f. Vgl. Keller (2011a): S. 103f. und S. 108.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

stellung und gleichen Anerkennung von kulturell definierten Gruppen, also von Kollektiven […].«38 Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die besondere Relevanz der Arbeit, da es kaum Untersuchungen der Triade aus Politik – Recht – Gesellschaft gibt und somit ein unerklärliches Forschungsdesiderat vorliegt, obwohl politische Gesetzgebungen den privaten Handlungsraum der Bürger*innen durchdringen und somit implizite soziale Grenzen innerhalb einer Staatsgrenze festlegen, die zu gleichen Teilen die Freiheit der Rechtssubjekte sichern, wie beschneiden. Viele der Grundrechte können daher auch als subjektive Rechte bezeichnet werden, welche nicht nur für das Selbstverständnis der einzelnen Bürger*innen relevant sind, sondern auch für Selbstverständnis des Staates.39 »Die subjektiven Rechte, so das Argument, spielen dabei eine besondere Bedeutung und implizieren oftmals politische Setzungen, die in öffentlichen Debatten zu wenig hinterfragt werden.«40 Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die sozial- und politisch-philosophische Dimension der Politik subjektiver Rechte zu reflektieren. Dazu sollten zunächst die Ebene der Politik als Herrschaftsinstrument der Anerkennungslogik und die Ebene des Politischen als sozialer Kampf um Deutungshoheit und Anerkennung differenziert werden. Das Verhältnis zwischen Recht und Politik ist keineswegs eindeutig, so kann die Annahme bestehen, die Politik habe sich dem geltenden Recht zu unterziehen, allerdings kann Recht auch als das Ergebnis von politischem Handeln verstanden werden. Hier sollte klar werden, dass Politik und Recht in einem wechselseitigen Verhältnis zueinanderstehen.41 In diesem Zusammenhang erfolgt eine Betrachtung der beiden Ebenen, des Politischen und der Politik, die sich vor allem in einem Widerstreit der Lebensformen wirkmächtig zeigen. Im Rahmen dessen wird eine Unterscheidung von Anerkennungskämpfen und Widerstreit vorgenommen, die im Bereich des Identitätspolitischen um die Durchsetzung von rechtlicher Anerkennung ringen. Eine daraus hervorgehende Identitätspolitik macht jedoch deutlich, dass sich die Ebenen dejure und defacto dadurch keineswegs annähern müssen, weshalb mit dem Critical-Cisness-Ansatz eine Praxis vorgestellt wird, welche den nun mehr neoliberal auszugestaltenden sozialen Raum im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess unterstützen kann. Ein Ausblick wird die unbeantworteten Fragen des fünften Kapitels aufgreifen und nach einem möglichen rechtlichen wie alltagsweltlichen Umgang mit Kämpfen um die Geschlechterverhältnisse fragen.

38 39 40 41

Habermas (1996): S. 245. Vgl. Reder (2021): S. 239. Reder (2021): S. 252. Hier sei jedoch anzumerken, dass es je nach Politikverständnis und Rechtsverständnis verschiedene ergänzende Annahmen geben kann, welche je eigene Relationen und dominante Wirkungen tragen (vgl. Kaufmann [2021]: S. 371).

2. Theoretische Einführung

Trans- und intergeschlechtliche Personen und ebenso nicht-binäre wie ageschlechtliche Menschen erschüttern die gesellschaftlichen heteronormativen Werte und erleben entlang dieses Normbruchs häufig ungerechtfertigte Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen. In diesem Kapitel soll eine begriffliche Annäherung an die Termini »binäre Geschlechtsklassifikation«, »Doing Gender« und »Heteronormativität« erfolgen, wobei diese im Kontext der »Humandifferenzierung« erörtert werden. Die engl. Begriffe »sex«, »gender« und »gender-role« werden dabei einen Schwerpunkt bilden, da sich aus diesen Begriffen die Arbeitsdefinitionen für Körpergeschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechterrolle ergeben. Vor allem die Begriffe »sex« und »gender« werden im rechtlichen sowie im politischen Diskurs unterschiedlich definiert, weshalb es nötig erscheint, eine grundlegende soziologische Definition als Kontrastfolie zu erarbeiten. Darauf aufbauend erfolgt eine Arbeitsdefinition von Transgeschlechtlichkeit, welche für den Verlauf der Arbeit grundlegend ist. Da Gesetze nicht urplötzlich auftauchen, sondern gesellschaftlich-historisch wachsen und wissenschaftlich hergeleitet werden, soll der zweite Teil der theoretischen Einführung die Verschränkung aus der gesellschaftlichen Ordnungskategorie Geschlecht und dem Recht, also dem Konglomerat aus Gesetzen, Rechtswissenschaft und Justiz betrachten. Hierbei wird entsprechend des thematischen Fokus ein Schwerpunkt auf Transgeschlechtlichkeit im Recht gelegt. Neben dem Transsexuellengesetz (TSG) sollen ebenfalls der Dritte Personenstand (3. Pers.-St.) und weitere – durch das TSG und den 3. Pers.-St. tangierte – Gesetze betrachtet werden, da diese ebenfalls Geschlechtsangaben beinhalten.

2.1 Geschlechterverständnis Kuster bezeichnet den Dualismus von Mann und Frau »als eine der grundlegendsten, möglicherweise als die fundamentale Strukturierung der symbolischen Welt«, wobei die Frau in diesem Gegensatz als die Abweichung der Norm, welche im Mann gesehen

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Das Selbstbestimmungsgesetz

wird (Androzentrismus) konstruiert wird.1 Kuster zeigt auf, wie bereits Aristoteles die Frau und das Weibliche als defizitär und zweitrangig gegenüber dem Mann und dem Männlichen beschreibt.2 Dass in Europa nicht immer die Annahme eines binären Geschlechts vorherrschte, konnte der Sozialanthropologe Thomas Laqueur mit seiner Forschung nachzeichnen. Das von ihm als »Ein-Geschlechter-Modell« benannte Denksystem verstand Menschen ausschließlich als Menschen, die entweder einen nach innen liegenden oder einen nach außen gestülpten Penis haben. Die Genitalien wurden somit nicht grundsätzlich verschieden gedacht. Allerdings wurden Menschen mit einem nach innen liegendem Penis auf sozialer Ebene als weniger entwickelt verstanden, woraus sich eine soziale Differenzierung ergab. Diese Differenzierung führte somit durchaus zu der Unterscheidung von Körper und Geschlecht, nicht aber zu der Unterscheidung von Körpergeschlecht (»sex«) und Geschlechtsidentität (»gender«). Laqueur hat in diesem Kontext also aufgezeigt, dass zunächst ein Ein-Geschlechter-Modell die Gesellschaft ordnete, welches den Mann als Geschlecht wahrnahm und die Frau, wie zuvor angedeutet, als defizitären Mann.3 Erst mit dem Zwei-Geschlechter-Modell wurde die Frau nicht mehr als fehlerhafter Mann, sondern als das Andere des Männlichen wahrgenommen.4 Nach Kuster war es das feministische Werk »Das andere Geschlecht« von Simone de Beauvoir im Jahr 1949, welches durch das Aufzeigen der kulturellen Konstruktion der Weiblichkeit zu einer Dekonstruktion der androzentrischen Geschlechterordnung führt.5 Eine klare Trennung von – dem als soziale Ebene des Geschlechts verstandenen – »gender« und – dem als biologische Ebene des Geschlechts verstandenen – »sex« sei weder so eindeutig und klar, noch seien beide Ebenen voneinander trennbar und dichotom.6 Bereits in den 1950er – 1970er Jahren arbeiteten der Arzt John Money und der Psychoanalytiker Robert Stoller die Begriffe »gender role« (Money) und »Sex/Gender« (Stoller) heraus.7 Der deutsche Begriff »Geschlechtsidentität« (in Übersetzung des englischen Begriffs »gender«) geht somit auf den Psychologen Robert J. Stoller zurück, welcher 1968 mit seinem Werk »Sex und Gender«8 Geschlecht nicht mehr als rein körperliche Gegebenheit wahrnimmt, sondern ebenso im Kontext psychischer Vorgänge und Verhaltensweisen. Bereits im Vorwort unterteilt Stoller das Geschlecht in ein »biologisches Geschlecht« (»sex«) und ein »psychisches Geschlecht« (»gender«), wobei er darauf verweist, dass beides im Alltagsverständnis synonym, miteinander verschränkt und aufeinander angewiesen sei, obwohl – so Stoller – sich beides durchaus getrennt voneinander entwickeln könne.9 Folgend führt Stoller mit »Gender Identity« einen neuen Begriff in den wissenschaftlichen Diskurs ein, welchen er als Wissen definiert, dem ei-

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Vgl. Kuster (2019): S. 4. Vgl. Kuster (2019): S. 5. Vgl. Laqueur (1992): S. 97f. Vgl. Kuster (2019): S. 6. Vgl. Kuster (2019): S. 7. Vgl. Villa (2019a): S. 24. Vgl. Villa (2019a): S. 26f. Es handelt sich hier strenggenommen um zwei Bände: »The development of masculinity and feminity« und »The transsexual experiment«. Vgl. Stoller (1968): S. VIf.

2. Theoretische Einführung

nen oder dem anderen Geschlecht anzugehören.10 In Stollers Werk wird jedoch deutlich, dass die Existenz eines biologischen Geschlechts nicht angezweifelt, sondern lediglich die Übermacht des biologischen Geschlechts in der Wahrnehmung von Menschen kritisiert wird. Der Soziologe Stefan Hirschauer schreibt 1989 auf diese Thesen aufbauend, dass das soziale Geschlecht lediglich eine »Ausschmückung« einer natürlichen Basis sei11 und kritisiert, dass dabei außer Acht gelassen werde, dass der Körper selbst Effekt sozialer Prozesse ist.12 Die Verschiedenheit der Körper (»sex«) wurde sozial in dichotome Geschlechterkategorien geordnet, welche entlang der arterhaltenden Fortpflanzung (Anisogamie) als binär und antagonistisch vorgestellt wurden. Hirschauer arbeitet heraus, dass die Einteilung entlang von Geschlechtsinsignien (bspw. der Genitalien, der Stimme, des Haarwuchses etc.) und Geschlechtsindizien (bspw. einer bestimmten Kleidungsweise, bestimmter Verhaltensweisen etc.) produziert wird und verweist darauf, dass die Geschlechtsattribution zwischen den Polen der Selbstdarstellung und Fremdzuschreibung verlaufe.13 Darauf aufbauend wurde die Geschlechtszugehörigkeit als soziale Tatsache und praxeologische Kompetenz verstanden.14 John Money entwickelt 1972 das Konzept der »gender-role« (Geschlechterrolle), welche Geschlecht nicht als rein körperliche Gegebenheit wahrnimmt, sondern ebenso im Kontext psychischer Vorgänge, allen voran jedoch im Kontext von Verhaltensweisen. So ist Money der Ansicht, dass es schließlich nicht der Körper sei, sondern die Sozialisation des Geschlechts, welche gesellschaftlich wirkmächtig sei. Während sich Moneys Begriff mit kritischem Bezug im wissenschaftlichen Diskurs halten konnte, sind Moneys Thesen wissenschaftlich höchst umstritten. Nicht zuletzt durch die Kritik von Moneys Thesen zur »gender-role« entwickeln sich zwei neue Ansätze: zum einen die Unterscheidung von »Geschlechtszuschreibung und Geschlechtszugehörigkeit« (Kessler/McKenna) und zum anderen der Ansatz des »Doing Gender« (West/Zimmerman), welcher sich auf die aktive Herstellung und Darstellung des Geschlechts bezieht, durch welche Geschlecht als solches erst im Alltag erzeugt wird.15 Die Unterscheidung von »Geschlechtszuschreibung und Geschlechtszugehörigkeit« verdeutlichen Kessler und McKenna am Phänomen der Transgeschlechtlichkeit. Vorab betonen Kessler/McKenna jedoch: »It is not just specific behaviors of transsexuals that illustrate the social construction of gender. The existence of transsexualism, itself, as a valid diagnostic category underscores the rules we have for constructing gender.«16 Mit Zuhilfenahme der Theorien Harold Garfinkels fassen sie zusammen, dass das Geschlecht eine spezifische Wirklichkeit evoziert, nach welcher es nur zwei Geschlechter gibt (Binarität), dass Geschlecht unveränderlich ist, Genitalien eindeutige Geschlechtsinsignien sind und Ausnahmen von dieser Wirklichkeit nicht ernstgenommen oder pathologisiert

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Vgl. Stoller (1968): S. 10. Vgl. Hirschauer (1989): S. 100. Vgl. Hirschauer (1989): S. 101. Vgl. Hirschauer (1989): S. 102f. Vgl. Villa (2019a): S. 27. Vgl. Villa (2019a): S. 28f. Kessler; McKenna (2000): S. 11.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

werden. Die gesellschaftliche Zuschreibung von Geschlecht werde demnach entlang dieser Wirklichkeit geordnet.17 Kessler/McKenna schlussfolgern daher, dass jede Person innerhalb der Interaktion ihre Geschlechtszugehörigkeit offenbaren müsse und gleichfalls darauf bestehen kann, dass ihr Geschlecht durch andere richtig gelesen und somit adäquat zugeordnet wird.18 Die geschlechtliche Selbstdarstellung erfolge in der Regel auf vier Ebenen: (1) durch verbale Kommunikation, (2) durch das Erscheinungsbild, (3) durch den Körper und (4) durch die Preisgabe der Vergangenheit. Vor allem die ersten beiden Ebenen seien besonders wirkmächtig, um als Gegenüber ein Geschlecht zuordnen zu können.19 Auf allen vier Ebenen schaffen Menschen »both the reality of their own specific gender and a sense of its history, thus at the same time creating the reality of two, and only two, natural genders«.20 West und Zimmerman kritisieren mit ihrer Theorie des »Doing-Genders« vor allem die Rollen-Theorie entlang der »gender-role«: »Roles are situated identities-assumed and relinquished as the situation demands-rather than master identities, such as sex category, that cut across situations.«21 Das Geschlecht habe – bspw. anders als eine Berufsrolle oder eine Rolle innerhalb einer Familie – keinen institutionalisierten Standort oder Organisationskontext. Als Rolle verstanden könne der Einfluss der Kategorie Geschlecht auf tatsächliche Rollen nicht wahrgenommen werden. Dies wird am Beispiel der Mutter- und Vaterrolle besonders deutlich, da beide Rollen auf eine Rolle innerhalb der Familie verweisen und durch das Geschlecht unterschiedlich konstruiert werden. Statt Geschlecht als Rolle wahrzunehmen, erkennen West und Zimmerman, dass Geschlecht durch Interaktion konstituiert wird.22 Entlang Erving Goffmans Theorie des Darstellungsaktes begründen West und Zimmerman, dass Geschlecht an die Ebene der Geschlechterdarstellung geknüpft und somit nicht essentiell, dem Menschen innewohnend, sondern in der Interaktion erzeugt werde.23 Dafür unterscheiden West und Zimmerman die Kategorien »sex«, »sex category« und »gender« und definieren »sex« als »socially agreed upon biological criteria for classification«24 , wobei »sex category« als »the categorization of members of society into indigenous categories such as ›girl‹ or ›boy‹, or ›woman‹ or ›man‹«25 umfasst und »gender« als »produce configurations of 17 18 19 20 21 22 23 24

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Vgl. Kessler; McKenna (2000): S. 12. Vgl. Kessler; McKenna (2000): S. 17. Vgl. Kessler; McKenna (2000): S. 18. Kessler; McKenna (2000): S. 28. West; Zimmerman (1987): S. 128. Vgl. West; Zimmerman (1987): S. 129. Vgl. West; Zimmerman (1987): S. 130. West; Zimmerman (1987): S. 131. Hier verweisen West und Zimmermann auf die Unterscheidung von Kessler/McKenna und deren These, dass Geschlechtsinsignien im Alltag verhüllt sind und es sich immer nur um eine Vermutung der Geschlechtskategorisierung handelt, männlich-/weiblich-sein demnach Produkte der Geschlechtszuordnungsprozesse sind und somit körperliche Geschlechtsinsignien reichlich wenig mit der Geschlechterkategorisierung im Alltag zu tun haben (vgl. West; Zimmerman [1987]: S. 132). West; Zimmerman (1987): S. 133. Wobei West und Zimmerman hier mahnend darauf hinweisen, dass es keinen klar definierten Kriterienkatalog für diese Kategorisierung gibt, welcher im Umkehrschluss unabdingbar für eine Identifizierung wäre. Somit bleibe die Mitgliedschaft in den Kategorien an einen »if-can-Test« gebunden, was bedeutet, dass in der sozialen Interaktion erst

2. Theoretische Einführung

behavior that would be seen by others as normative gender behaviour« umschrieben wird.26 Daraus leiten West und Zimmerman das Konzept »Doing Gender« ab: »Doing gender consists of managing such occasions so that, whatever the particulars, the outcome is seen and seeable in context as gender-appropriate or, as the case may be, gender-inappropriate, that is, accountable.«27 Diese Aussage schränken West und Zimmerman ein, indem sie »Doing Gender« nicht als das Übereinstimmen mit und dem Entsprechen der normativen Ordnungen missverstanden wissen wollen, sondern »Doing Gender« als ein Risiko des Eingelassen-Seins in die Geschlechterbewertung beschreiben.28 Gleichfalls ist es trotz Risiko mit West und Zimmerman nicht möglich außerhalb der Geschlechterkategorisierung zu interagieren: »doing gender is unavoidable.«29 Der Prozess des »Doing Genders« in seiner unhinterfragten Alltäglichkeit, mache die sozialen Arrangements, welche auf der Geschlechtskategorisierung basieren, als normal und natürlich, somit auch als rechtmäßige Begründung für die Organisation des sozialen Lebens:30 »Doing gender furnishes the interactional scaffolding of social structure, along with a built-in mechanism of social control.«31 Als soziale Kontrolle benennen West und Zimmerman in diesem Zuge Institutionen, welche die Differenzen zwischen den Kategorien Mann/Frau aufrecht erhalten und diese in ihrer vermeintlichen Natürlichkeit und Richtigkeit bestätigen.32 Hirschauer wiederrum konstatiert, dass alles was sexuiert werden kann, auch desexuiert werden kann33 und somit auch der Prozess des »Undoing Genders« existieren müsse34 . Hirschauer legt damit einen Fokus auf die Möglichkeit der Missinterpretation des Geschlechts, dem »Misgendern«. Indem das Misgendern einerseits als unangenehmes Erlebnis wahrgenommen wird und andererseits auch dazu führen kann, dass die Geschlechterdarstellung als fehlerhaft wahrgenommen wird, erscheinen Menschen einem gesellschaftlichen Druck zu unterliegen, die Geschlechterdarstellung adäquat umzusetzen und Fehler zu vermeiden. So stabilisiere sich die Praxis des »Doing Genders« zusätzlich.35 Hirschauer formuliert in späteren Studien den prägenden Satz; »Sie müssen wissen, wie es zu tun ist, aber ohne gleichzeitig zu wissen, wie sie es tun«36 , um auf die routinierte Interaktion aufmerksam zu machen, die aus der Verpflichtung zu einer permanenten Geschlechterdarstellung und Geschlechtswahrnehmung resultieren und gleichzeitig zu einem Vergessen in der Geschlechterdarstellung und Erinnern in der Geschlechterwahrnehmung gipfelt. Daraus schlussfolgert Hirschauer, das Geschlecht werde zwar wahrgenommen, bliebe aber

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darüber entschieden wird, ob die Kategorie angemessen verkörpert wird (vgl. West; Zimmerman [1987]: S. 133). West; Zimmerman (1987): S. 134. West; Zimmerman (1987): S. 135. Vgl. West; Zimmerman (1987): S. 136. West; Zimmerman (1987): S. 137. Vgl. West; Zimmerman (1987): S. 146. West; Zimmerman (1987): S. 147. Vgl. West; Zimmerman (1987): S. 147. Vgl. Hirschauer (1989): S. 109. Hirschauer (1994): S. 678. Vgl. Hirschauer (1989): S. 105. Hirschauer (1994): S. 675.

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gleichzeitig unbemerkt und unreflektiert.37 Paula-Irene Villa bezeichnet die beiden Kategorien »sex/gender« daher als ko-konstitutiv, als »Anerkennung der wechselseitigen Verklammerungen und Konstitutionsformen somatischer, biologischer, erfahrungsbezogener, historischer, praxeologischer usw. Dimensionen von Geschlechtlichkeit«.38 Auch Judith Butler erkennt in dem Konzept der Binarität keineswegs die Ableitung davon, dass das Konstrukt Mann nur dem männlichen Körper zuzuschreiben sei und vice versa.39 Vielmehr sei das Konstrukt Mann/Frau eine kulturelle Wahrnehmung, die nicht aus einem Körper hervorgeht, sondern aus historisch gewachsenen gesellschaftlichen Diskursen. Der Körper selbst werde dabei kulturell gelesen und bekäme so Eigenschaften zugeschrieben.40 Butler kritisiert daher die vorgenommene Unterteilung von »sex« und »gender«, da sie mit »gender« keineswegs eine andere wissenschaftliche Perspektive auf Geschlecht liefere, sondern »gender« weiterhin durch die Konzepte »sex« und »desire« gestützt werde: »Wenn der Begriff ›Geschlechtsidentität‹ die kulturellen Bedeutungen bezeichnet, die der sexuell bestimmte Körper (sexed body) annimmt, dann kann man von keiner Geschlechtsidentität behaupten, daß sie aus dem biologischen Geschlecht folgt.«41 Die Geschlechtsidentität würde so genutzt, um den Körper menschlicher wirken zu lassen, ihn zu bewohnen.42 So wird eine Kongruenz von »sex« und »gender« hergeleitet, eine natürliche wechselseitige Abhängigkeit voneinander essentialisiert und diese zur Norm erhoben. Weichen Menschen von dieser Norm ab, weil sie eine Inkongruenz von »gender« und »sex« äußern oder weil sie die Norm selbst ablehnen, so werden sie als Andere markiert. Diese Anderen nennt Butler »Abjekte«.43 »Eine Norm ist weder das Gleiche wie eine Regel noch wie ein Gesetz. Eine Norm wirkt innerhalb sozialer Praktiken als implizierter Standard der Normalisierung.«44 Die Norm der Binarität wird durch die Heterosexualität aber durchaus gesetzlich als grundlegende Funktion zur Sicherung des Fortbestandes der menschlichen Gattung als Konstrukt abgesichert: »Die Instituierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität erfordert und reguliert die Geschlechtsidentität als binäre Beziehung, in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet. Diese Differenzierung vollendet sich durch die Praktiken des heterosexuellen Begehrens.«45 Entlang dieser Annahmen konzipiert Butler das Konzept der »Heterosexuellen Matrix«, dass nachzeichnet, welche Körper in der Gesellschaft als anerkannt und sinnvoll verstanden werden. Nach Butler fällt hierunter die Annahme, dass das Körpergeschlecht als kontinuierlich und kohärent vorgestellt wird und die Geschlechtsidentität kongruent zum Körpergeschlecht ist, zudem das Gegengeschlecht zwecks Fortpflanzung begehrt werde.46 »Die kulturelle Matrix, durch die die

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Vgl. Hirschauer (1994): S. 678. Villa (2019a): S. 31. Butler (1991): S. 23. Butler (1991): S. 166. Butler (1991): S. 22. Butler (1991): S. 166. Vgl. Butler (1991): S. 38; vgl. Butler (2009): S. 73; vgl. Butler (1997): S. 23. Butler (2009): S. 73. Butler (1991): S. 46. Vgl. Butler (1991): S. 38.

2. Theoretische Einführung

geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity) intelligibel wird, schließt die ›Existenz‹ bestimmter ›Identitäten‹ aus, nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität (gender) nicht vom anatomischen Geschlecht (sex) herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ›folgen‹.«47 Durch das Verständnis der »Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse«48 und der darauf basierenden binären Unterteilung der Geschlechter wird eine gesellschaftliche Norm konstruiert, die bestimmt, welche geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung als wünschenswert erachtet werden. Diese Norm wird als »Heteronormativität« bezeichnet und geht begrifflich auf Michael Warners Beitrag »Introduction: Fear of a Queer Planet« zurück, in welchem Warner unter anderem auf die Privilegien aufgrund einer heterosexuellen Orientierung eingeht,49 welche besonders in der Notwendigkeit zum Coming-Out bei homosexuell orientierten Menschen ersichtlich werden.50 Nach Christine Klapeer organisiert die heteronormative Ordnung das Denken, Wahrnehmen und Handeln und stellt somit auch eine spezifische Anerkennungslogik bereit, welche jene Personen privilegiert, die dieser entsprechen.51 Nach Butler wären dies, wie zuvor geschildert, jene Menschen, deren Geschlechtsidentität dem Körpergeschlecht entspricht und welche gegengeschlechtlich sexuell begehren. Kritik an der Heteronormativität und Binarität erfolgte vor allem durch die Queer Theorie. Laufenberg verortet die Entstehung der Queer Theory in der Kritik an einer normativen Repräsentationspolitik, welche den ursprünglich pejorativen Begriff »Queer« reclaimte (aneignete), um »damit sowohl ihre sexuelle und geschlechtliche Nonkonformität in der Mehrheitsgesellschaft als auch ihre Marginalisierung innerhalb der Lesbenund Schwulenbewegung zu politisieren«.52 Laufenberg bezeichnet diese Entwicklung als »Queere Identitätspolitik«, welche sich um eine Anerkennung mehrfach marginalisierter Identitäten bemüht:53 »Die Sichtbarmachung multipler, queerer Identitäten dient der Kritik von gesellschaftlichen Beziehungen, in denen mehrfach positionierte Subjekte als in sich widersprüchlich und fragmentiert konstituiert werden. Sie bewegen sich im Spannungsfeld von Unsichtbarmachung und extremer Sichtbarkeit.«54 Innerhalb der Queer Theory wird ebenfalls die Möglichkeit einer Des-Identifizierung von normativen Identitätsmöglichkeiten ermittelt, wodurch hybride und widersprüchliche Identitäten erzeugt werden, welche zu einer Veränderung der »hegemoniale[n] Bedeutungen und Praktiken dessen, was heterosexuell, schwul, lesbisch, männlich oder weiblich ist« führen.55 Diese Mehrfachpositionierung führt zu VerUneindeutigungen und Dekonstruk-

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Butler (1991): S. 38f. Wagenknecht (2007): S. 17. Vgl. Warner (1991): S. 7f. Diese These ließe sich umstandslos auf trans- und intergeschlechtliche Personen beziehen, aber ebenso auf nicht-binäre und ageschlechtliche Menschen, die immer wieder in Situationen kommen, in denen sie sich outen müssen, bspw. durch Sanitärnutzung oder entlang von Misgendering. Vgl. Warner (1991): S. 15. Vgl. Klapeer (2015): S. 29f. Laufenberg (2019): S. 332. Vgl. Laufenberg (2019): S. 333. Laufenberg (2019): S. 333f. Laufenberg (2019): S. 334.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

tionen, welche nicht nur die Heterosexualität und Geschlechterbinarität angreifen, sondern auch die von dieser Norm abweichenden Sexualitäten und Geschlechtlichkeiten in ihrer Eindeutigkeit als Abjekte aufbrechen.56 Identität wird als Phänomen nicht abgelehnt, sondern mit Sabine Hark als Identität ohne Essenz verstanden, um ihre »Unabschließbarkeit und Widersprüchlichkeit kenntlich zu machen«.57 Gesa Lindemann erkennt in der Unterscheidung von »sex« (Körpergeschlecht) und »gender« (Geschlechtsidentität) eine Analogie zu dem phänomenologischen KörperLeib-Konzept. Leibtheoretisch werden soziale Akteure als leibliche »Selbste« verstanden, die sich durch ihre Beziehung zur Umwelt, also im interaktiven und kommunikativen Geschehen, wahrnehmen und ihre Umgebung antizipieren.58 Das leibliche Selbst wird konzeptuell der Einsicht gerecht, dass soziale Akteure immer nur im Hier und Jetzt existieren und dementsprechend sich selbst erleben und auf andere bezogen handeln. Ein Körper unterdessen lässt sich positionieren und betrachten, er lässt sich verorten.59 Während sich das Leibliche zur Welt verhält, verhält sich der Körper in der Welt.60 Da der Körper begrenzbar ist, unterliegt das Leibliche anderer Grenzen – eine Erkenntnis, mit welcher Lindemann die Theorie der Leibesinseln von Schmitz mit dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit verbinden lässt. So ist das leibliche Erspüren von Geschlechterinsignien wie Brust, Vulvina, Penis und Hoden nicht an körperliche Begrenzungen gebunden.61 Lindemann insistiert daher, Körper und Leib als Verschränkung zu verstehen, welche das Wissen über den Körper und das Erleben des leiblichen Selbst verbindet: »Der zweigeschlechtliche Körper wird zu einem Gefühls- und Empfindungsprogramm, das leiblich unmittelbar als das erlebt, was ein Selbst unmittelbar ist.«62 Es sollte also festgehalten werden, dass die Geschlechtsdifferenzierung eine Kategorisierung ist, welche weder eine Nichtzugehörigkeit, noch eine Doppelzugehörigkeit zulässt.63 Das wird vor allem damit begründet, dass die Differenzierung entlang der Zuschreibung von unterscheidbaren Eigenschaften vollzogen wird und im Falle des Geschlechts durch das Konstrukt der Binarität klare Gegensätze abbildet, die »stets in Relation und relativ zueinander gedacht« werden und sich aus der Negation des Anderen definieren.64 Nach Innen imaginiert die Geschlechterdifferenzierung Gleichheit, indem Einzelindividuen der gleichen Kategorie als Geschlechtergemeinschaft erscheinen, nach Außen hingegen erfolgt eine Abgrenzung durch eine symbolische Grenze: »Zusammengefasst meint

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Als Abjekte bezeichnet Butler jene Personen, die wegen ihres vermeintlichen Normbruchs aus der Gemeinschaft verwiesen werden und als gesellschaftliche Verworfene gelten, deren Existenz nicht anerkannt wird (vgl. Butler [1995]: S. 23). Die gegenseitige Abhängigkeit von Norm und Normabweichung wird darin deutlich, dass die Norm als solche nur durch eine Abgrenzung nach Außen konstruiert werden kann. Laufenberg (2019): S. 335. Vgl. Lindemann (2019): S. 36. Vgl. Lindemann (2019): S. 37. Vgl. Lindemann (2019): S. 38. Vgl. Lindemann (2019): S. 39f. Lindemann (2019): S. 8f. Vgl. Hericks (2019): S. 191. Vgl. Hericks (2019): S. 192.

2. Theoretische Einführung

Geschlechtsdifferenzierung einen Klassifikationsprozess, der aus Gleichen Verschiedene und aus Verschiedenen Gleiche macht.«65 Stereotype weisen Kategorien Attribute zu, die ihrerseits die Kategorisierung erst ermöglichen. Das heißt Klassifizierung und Stereotypisierung stehen in einem Wechselverhältnis. Geschlechtsstereotype schreiben demnach der Kategorie Geschlecht Eigenschaften zu, wodurch Geschlecht erst kategorisierbar wird. Geschlechterstereotype lassen sich in eine deskriptive und eine präskriptive Ebene unterscheiden, wobei die deskriptive Ebene als beschreibende Ebene Eigenschaften im Mittelwert zur Norm erhebt und die präskriptive Ebene als vorschreibende Ebene Eigenschaften als ein gesellschaftlich geteiltes Soll-Kriterium benennt. Deskriptiv könnte hier beispielhaft für die Kategorie Frau Einfühlsamkeit als Eigenschaft benannt werden, während präskriptiv die Mutterrolle angenommen wird.66 Geschlechtsstereotype werden wie alle Stereotype mittelts Sozialisation vermittelt und erworben.67 Entlang von Geschlechterstereotypen und Geschlechtervorurteilen lässt sich ebenfalls die Angemessenheit eines Verhaltens anderer bewerten,68 wodurch die Praxis des »Doing Genders« durchaus beeinflusst wird: »Geschlechtsstereotype – als kognitive Schemata – sorgen z.B. dafür, dass Menschen einer ihnen unbekannten Person aufgrund ihres Geschlechts spontan stereotypkonsistente Eigenschaften zuschreiben. In einem zweiten Schritt verhalten sie sich dann so gegenüber der Zielperson, als hätte sie tatsächlich diese Eigenschaften.«69 Entlang von Klassifikationen werden also soziale Zugehörigkeiten von Menschen markiert und soziale Gebilde zusammengesetzt.70 »Das bei seiner Geburt organisch und administrativ singularisierte Menschenmaterial wird erst durch seine multiplen Zugehörigkeiten sozialisiert und individualisiert.«71 Menschen können unterschieden werden, weil sie unterschiedlich sind, allerdings ist die Unterscheidung als Prozess komplexer als die Eingangsthese, dass Menschen unterschiedlich sind, vermuten lässt. So kann entlang von Körpern oder Eigenschaften unterschieden werden, aber auch entlang von Tätigkeiten.72 Dementsprechend erscheint es unlogisch, soziale Zugehörigkeiten mit fixierten Eigenschaften zu konstruieren und es erscheint viel logischer, bei der komplexen Bildung von Kategorien, nach den Prozessen der Differenzierung zu fragen. Genau hier setzt die Theorie der Humandifferenzierung von Hirschauer et al. an und liefert mit Hirschauers Konzept des »un/doing difference« eine Übertragung auf die interaktive Praxis.73 Humandifferenzierung bezieht sich theoretisch nicht nur auf Formen sozialer Differenzierung, sondern ebenso auf daran anknüpfende spezifische Formen sozialer Un/gleichheit, »die in der Dynamik von Selbst- und Fremdkategorisierungen homo- oder heterosoziale Begegnungen schafft«.74 Vergleiche und Differenzierungen stehen in einem Wechselverhältnis, da Vergleiche auf 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Hericks (2019): S. 197. Vgl. Hannover; Wolter (2019): S. 203. Vgl. Hannover; Wolter (2019): S. 204. Vgl. Hannover; Wolter (2019): S. 205. Hannover; Wolter (2019): S. 206. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 7. Hirschauer (2017): S. 29. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 8. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 9. Hirschauer (2017): S. 29.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

der einen Seite auf der Gleichheitsunterstellung und auf der anderen Seite auf einer Differenzfeststellung basieren. Ein Vergleich wiederum stellt Ungleiches und Gleiches fest, was im Detail bedeutet: »Um einen Unterschied zu machen, muss verglichen worden sein; um einen Vergleich durchzuführen, muss unterschieden worden sein.«75 Das bedeutet, dass Asymmetrien entlang einer Unterscheidung auch dann erzeugt werden, wenn keine der beiden Differenzkategorien entlang einer Stigmatisierung kategorisiert wird.76 Die sozial hergestellte Unterscheidung von Menschen nennt Hirschauer im Anschluss an Gesa Lindemann variable »Grenzregime«, welche alltagsweltlich als individuelle Eigenschaften wahrgenommen werden, soziologisch dagegen als Mitgliedschaften gelten, die durchaus auch das Teilen von Eigenschaften mit anderen Menschen des sozialen Gebildes bedeuten können.77 Hirschauer verwendet aus diesem Grund den Begriff der Humandifferenzierung und benennt die Geschlechterdifferenz als einen der ältesten Fälle dieser:78 »Es gibt nicht nur institutionell gesicherte […] und sozial gelebte aktive Mitgliedschaften (in Gruppen), sondern auch distanziertere Zugehörigkeiten und ruhende (eingeschlafene) Mitgliedschaften bis hin zu rein kategorialen Zugehörigkeiten, die zunächst nur von einem Beobachter festgestellt werden oder reine Beobachterkonstruktionen bleiben.«79 Imhoff geht interessanterweise davon aus, dass die staatliche Eintragung eines Geschlechts als Personenstand keine großen Konsequenzen für das Alltagsleben der Menschen hat. »Erst die Tatsache, dass Menschen in Begegnungen sich als geschlechtliche Individuen wahrnehmen, und aufeinander mit bestimmten Schemata und Vorstellungen von adäquatem oder funktionalem Verhalten – gegenüber einer Frau […], macht die geschlechtliche Humandifferenzierung lebendig und zu einer ubiquitären Alltagsrealität.«80 Ohne den Wahrheitsgehalt der Aussage anzuzweifeln, muss bestritten werden, dass die staatliche Eintragung des Geschlechts keine Konsequenzen für das Alltagsleben hat, da die Eintragung bindende Folgen für den Alltag haben kann, die insgesamt als solche durch den besonderen Status des geschlechtlich differenzierenden Personenstandes entstehen. Wenn eine Person bei einer Personenkontrolle am Flughafen einen männlichen Geschlechtseintrag im Personenstand hat, dieser jedoch der optischen Geschlechterdarstellung nicht entspricht, dann wird die Person mit einer eingehenderen Kontrolle rechnen müssen. Wenn eine Person einen weiblichen Geschlechtseintrag im Personenstand hat und ein Bankkonto eröffnen möchte, optisch jedoch männlichen Stereotypen entspricht, so wird dies sicherlich erklärungsbedürftig. Vor allem das staatliche Ordnungsbestreben, was ausschließlich am Geschlecht als kategoriale Differenzierung festhält, führt im Umkehrschluss zu der Wirkmacht des »Doing Gender« im Alltag. Geschlecht kann in dieser Betrachtungsweise durchaus als institutionell gesicherte Mitgliedschaft verstanden werden,

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Hirschauer (2017): S. 38. Vgl. Hirschauer (2017): S. 40. Vgl. Hirschauer (2014): S. 170f. Hirschauer vermutet hinter der Stabilität der Geschlechtszugehörigkeit, dass »der zentrale körperliche Marker unsichtbar gehalten wird, was offenbar gebraucht wird, um die Sache überhaupt mit Bedeutung aufladen zu können« (Hirschauer; Boll [2017]: S. 22). Hirschauer (2014): S. 172. Imhoff (2021): S. 86.

2. Theoretische Einführung

da der Personenstand nach wie vor verbindlich einzutragen ist, mitunter zu einer gezielten geschlechtlichen Ansprache führt und bspw. zu einem sozialen Platzanweiser in Sanitäreinrichtungen, was – bei Anerkennung dessen – einer sozial gelebten und aktiven Mitgliedschaft entspricht.81 Spezialdiskurse, die sich auf eine Humandifferenzierung beziehen, neigen ihrerseits zu einem »Gruppismus«, da sie häufig in aller Selbstverständlichkeit von der Existenz von Gruppen und entsprechenden Identität ausgehen. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass Kategorisieren selbst zum Gegenstand der eigenen Forschung zu machen.82 Der gesellschaftliche Ordnungsbedarf kann mit Hirschauer in Tradition von Alfred Schütz und Thomas Luckmann mit dem Wunsch nach Orientierungs- und Handlungssicherheit begründet werden. Um die Ordnung zu gewährleisten, wird Ambiguität vermieden, um einer Desorientierung vorzubeugen und Selbstvergewisserung entlang der Kategorien zu erhalten.83 Die Selbstverortung selbst führt mit ihrer Unterscheidung von wir/sie zu einer Asymmetrie, da sie ein Innen und ein Außen und das Außen als das Andere konstruiert.84 Der Begriff Humandifferenzierung bietet somit einen Perspektivwechsel an; statt von menschlicher Unterschiedlichkeit oder Diversität zu sprechen, verweist das Substantiv Differenzierung auf einen Prozess, statt Zugehörigkeiten oder Eigenschaften als essentiell und individuell zu betrachten: »Menschen voneinander zu differenzieren heißt, sie perzeptiv auseinanderzuhalten und sprachlich zu unterscheiden, sie praktisch-evaluativ verschieden zu behandeln, sachlich zu trennen […].«85 Hirschauer unterscheidet deshalb im Rahmen der Humandifferenzierung zwischen kongruenten Kategorisierungen und jenen Fällen, in denen Akteure durch Beobachter*innen anders kategorisiert werden, als sie sich selbst kategorisieren.86 In diesem Sinne könnte wegweisend, statt von einer Geschlechterinkongruenz, von einer Geschlechterklassifikationsinkongruenz gesprochen werden. »Innerhalb von sozialen Beziehungen stellt sich der Gegensatz von Selbst- und Fremdkategorisierung dynamisch dar. Oft ist er eine Relation zwischen dem identifikatorischen Reklamieren einer Zugehörigkeit und ihrer Bestätigung oder Zurückweisung.«87 Klassifikationen können bei aller Selektion jedoch nicht einfach verlassen werden, da sie von außen zugeschrieben oder entzogen werden und sie also nur in gewissen Graden affektiv angeeignet bzw. sozial beansprucht oder zurückgewiesen sind.88 »Aber auch bei den kategorialen Zugehörigkeiten finden sich unterschiedliche Aggregatzustände des Selbstverständnisses, mit dem sich Personen

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Als ruhend kann die Mitgliedschaft dann gewertet werden, wenn sie als unpassend empfunden wird, jedoch institutionell formal noch gegeben ist. Vgl. Hirschauer (2014): S. 172. Vgl. Hirschauer (2014): S. 173. Humandifferenzierung dient einer Komplexitätsreduktion; indem Ambiguitäten reduziert werden, soll die Weltdeutung erleichtert werden. Humandifferenzierung ist aber ebenso »durch die Ausübung von Macht und Herrschaft motiviert« (Dizidar et al. [2021]: S. 11). Vgl. Hirschauer (2014): S. 174. Dizidar et al. (2021): S. 9f. Vgl. Hirschauer (2017): S. 41. Hirschauer (2017): S. 41. Vgl. Hirschauer (2017): S. 42.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

zu den Kategorien, in denen sie von anderen platziert wurden, selbst positionieren.«89 Zum einen kann die Zugehörigkeit mehr oder weniger wichtig für das Selbstverständnis der Person sein oder eine Distanz zu der Kategorisierung eingenommen werden. Von einer Identität kann nach Hirschauer jedoch erst dann gesprochen werden, wenn eine Person sich »mit einer spezifischen sozialen Zugehörigkeit identifiziert und versucht, sie sich als omnirelevante psychische Eigenschaft anzueignen«.90 Und weiter schlussfolgert Hirschauer: »Wenn man Stereotypen als kulturelle Verdichtungen von Fremdverständnissen sieht, dann sind Identitäten biografische Verhärtungen eines Selbstverständnisses.«91 Sozialpsychologisch ist dieser Vorgang äußerst interessant, denn Menschen ordnen ihre soziale Umwelt nicht nur, sie knüpfen an die ordnende Klassifizierung eine Vorstellung und Erwartung an, schließlich entwickeln sie Einstellungen, die sich in Vorurteilen und Diskriminierungen äußern können.92 Eine kognitive Perspektive richtet den Fokus daher »auf den Akt des Kategorisierens selbst (die Differenzierung) und nicht sein Produkt, die Inhalte bestimmter Humandifferenzierungen (die Differenzen)«.93 Kategorisieren bedeutet eine mentale Abkürzung zu nehmen, nicht länger alle Individuen entlang ihrer individuellen Eigenschafen abzuspeichern, sondern sie zu generalisieren und eine Interaktion demgemäß funktional zu vereinfachen.94 Diese Vereinfachung scheint jedoch in Gefahr: »Für jede relevante Kategorie muss eine Reihe passender Stereotype erschlossen (oder übernommen) und erinnert werden. In komplexen Gesellschaften und in Anbetracht der theoretischen und praktischen Diversität möglicher Attribute scheint dies erneut das eigentliche Ziel sparsamer sozialer Informationsverarbeitung zu gefährden.«95 Vorurteile sind auch für Imhoff nicht immer leicht von Stereotypen zu unterscheiden, einzig entlang der Bewertung einer kategorialen Zuschreibung könnte eine Unterscheidung von Vorurteil und Stereotypisierung gezogen werden.96 Die eigene Identität ist somit als ein Widerstand gegen Stereotype und Vorurteile anzusehen. Diese Widerstände seien vor allem bei Seitenwechslern zu sehen und die persönliche Distanz zu der ursprünglichen kategorialen Zuschreibung, kann demnach mit einer vollständigen Entfremdung einhergehen.97 Aus diesem Grund fügt Hirschauer die Dimension der (Un)Eindeutigkeit an, welche entweder eine eindeutige Unterscheidung vornimmt oder durch eine Vermischung der Unterscheidungseigenschaften zu einer Uneindeutigkeit führt. 89

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Hirschauer (2017): S. 46. Zugehörigkeit kann in kategoriale und in relationale Zugehörigkeiten unterschieden werden. Bei der kategorialen Zugehörigkeit wird ferner zwischen zugeschriebener kategorialer Zugehörigkeit unterschieden, bei der Akteure als Einzelperson zu einem Exemplar einer bestimmten Gattung werden (bspw. der Gattung Geschlecht oder Sexualität), und reklamierter kategorialer Zugehörigkeit, bei der Akteure als Statusinhaber*in in Erscheinung treten (bspw. als Frau oder als homosexuelle Person). Relationale Zugehörigkeiten werden über eine Mitgliedschaft bestimmt, diese kann gewählt oder gezwungen sein (vgl. Hirschauer [2017]: S. 44). Hirschauer (2017): S. 47f. Hirschauer (2017): S. 48. Vgl. Imhoff (2021): S. 84. Imhoff (2021): S. 85. Vgl. Imhoff (2021): S. 94. Imhoff (2021): S. 95. Vgl. Imhoff (2021): S. 96. Vgl. Hirschauer (2017): S. 48.

2. Theoretische Einführung

Während Hybrididentitäten (bspw. intergeschlechtliche Personen) die Kategorisierung herausfordern, bestärken Seitenwechsler (bspw. transgeschlechtliche Personen) die Differenz.98 Hybrid-Phänomene entstehen unter anderem, weil an Kategorien bestimmte Verhaltenserwartungen gebunden werden und es mitunter dazu kommt, dass diese von den darunter Erfassten verletzt werden, ohne dass diesen die kategoriale Zuschreibung verweigert wird. So kann laut Hirschauer eine neue Unterscheidung vorgenommen werden, um die Kategorie zu schützen; bspw. die feminine oder maskuline Frau, der maskuline oder effeminierte Mann wie der Sissy und die Tomboy, oder – auf Sexualitäten bezogen – die Butch und die Femme. »Die Indizes der Zugehörigkeit, an denen sich die Kategorisierung orientiert, werden inkongruent, sie weisen in entgegengesetzte Richtungen.«99 Das führt dazu, dass viele Grenzen durchlässig werden, Kategorien so beliehen werden und – mit den Worten von Isolde Charim gesprochen – zu einem diasporischen Selbstverhältnis führen und nicht als identitäre Heimaten verstanden werden.100 »Der tiefste Graben […] verläuft heute nicht zwischen Kulturen oder Religionen, sondern zwischen jenen, die eine Identität bewohnen wollen, und jenen, die im Bewusstsein leben, dass ihr Selbstverständnis nur eine Option neben anderen ist.«101 Humandifferenzierungen können nach Hirschauer in zwei unterschiedlichen ontologischen Registern verstanden werden; im Rahmen der Natur oder der Kultur, was dem Prozess einer Biologisierung (Naturalisierung) oder Sozialisierung (Kulturalisierung) entspricht. Je nach ontologischem Register, kann nach Hirschauer Geschlecht als »sex« oder »gender« vorgestellt werden. Innerhalb der soziologischen Disziplin wird daran gearbeitet auch die Naturalisierung im Rahmen der Kulturalisierung zu denken.102 Hirschauer arbeitet heraus, dass Kategorien situativ als Praktiken verwendet werden, »um sich oder andere zu identifizieren, sie werden in Deutungsmustern und Redensarten verstetigt, von Organisationen aufgegriffen und in administrative Vorgänge eingepflanzt und durch Massenmedien verbreitet. Auf diese Weise institutionalisiert, kann sich bei den Kategorisierten am Ende eine ›Identität‹ als ein spezifischer Aggregatzustand subjektiver Sinnbildung herausbilden.«103 Humandifferenzierungen unterliegen nach Hirschauer also einem komplexen empirischen Zusammenspiel, »zwischen Verstärkung und Überlagerung, Stabilisierung und Vergessen, Thematisierung und Dethematisierung. Es finden sich Prozesse der Differenzierung und Entdifferenzierung, Konstellationen der Aktualisierung oder Neutralisierung, Praktiken der Grenzziehung und Distinktion, aber auch der Nivellierung und Differenznegation. Kulturelle Differenzen können historisch oder feldspezifisch von anderen überlagert werden, in ihrer Intensität nachlassen, weil sie in ihrem Geltungsbereich beschränkt werden.«104

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Vgl. Hirschauer (2017): S. 49. Hirschauer (2017): S. 50. Vgl. Hirschauer (2017): S. 52. Hirschauer (2017): S. 52. Vgl. Hirschauer (2014): S. 186. Hirschauer (2014): S. 188. Hirschauer (2014): S. 181.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Demnach müsse danach gefragt werden, welche Differenz wo und wann in Kraft tritt. Dazu entwickelt Hirschauer das bereits erwähnte Konzept des »Doing and Undoing Differences«, welches an West/Fenstermakers Konzept des »Doing Difference« anknüpft und somit der Grundannahme folgt, dass jede soziale Differenzierung praktiziert werden muss und es sich bei Differenzierung immer um Vollzugswirklichkeiten handelt.105 Hirschauer kritisiert, dass das Konzept »Doing Difference« ausschließlich vom praktischen Vollzug einer Unterscheidung ausgeht, aber nicht die Möglichkeit beinhaltet, dass es ebenfalls »als sinnhafte Selektion aus einem Set konkurrierender Kategorisierungen, die einen Unterschied schafft, der einen Unterschied macht« denkbar ist.106 In diesem Sinne wäre es ebenfalls denkbar, dass eine Nicht-Zugehörigkeit oder Ungebundenheit gegenüber der zugeschriebenen Kategorie oder Kategorien im Allgemeinen möglich ist, woraus eine Indifferenz von Differenzen resultiert.107 Nicht jeder Mensch erlebt sich in jeder Situation – und manchmal in der Tat nie – als ein spezifisches Geschlecht, andere Menschen lehnen eine Geschlechterkategorisierung gegenüber der eigenen Person gänzlich ab. Gleichzeitig wird mit der Berücksichtigung der Konkurrenz von Kategorisierungen das Konzept der Mehrfachzugehörigkeit denkbar, was wiederrum die Kategorien selbst verflüssigen würde.108 Das Konzept »Doing Difference« erkennt an, dass Individuen weder Akteure noch Träger von Identitäten sind, sondern betrachtet diese als Vermittler sozialer Praxis.109 »Die Zugehörigkeit zu Humankategorien als eine vermeintlich mehr oder weniger dauerhafte ›Eigenschaft‹ von Individuen erscheint so als temporäre Aktualisierung einer Differenz, mit der Personen mehr oder weniger stark identifiziert werden.«110 Gleichfalls können die diskursiven und interaktiven Kategorien der Humandifferenzierung als dauerhaft erlebte Selbstverständnisse und demnach als gelebte Identitäten verstanden werden.111 Hirschauers Theorie bezieht sich maßgeblich auf Niklas Luhmanns Systemtheorie, welche entlang funktionaler Differenzierung das soziale System in Teilsysteme gliedert. Menschen werden durch die Teilsysteme als Produzent*innen oder Adressat*innen einbezogen, was Luhmann als soziale Inklusion bezeichnet,112 wobei die Ausdifferenzierung des sozialen Systems immer auch mittels Ausschließungen (Exklusion)113 die Teilhabe am Teilsystem versagt.114 »Nach wie vor können Menschen nur in sozialen Zusammenhängen leben, und in der modernen Gesellschaft gilt dies nicht weniger als früher – viel-

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Vgl. Hirschauer (2014): S. 182. Hirschauer (2014): S. 183. Vgl. Hirschauer (2014): S. 183. Vgl. Hirschauer (2014): S. 184. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 11. Hirschauer; Boll (2017): S. 11. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 12. Vgl. Luhmann (1980): S. 168f. Eigentlich, so Luhmann, schließe die Logik der funktionalen Differenzierung eine gesellschaftliche Exklusion aus, »muß es dann aber erlauben, innerhalb der Funktionssysteme nach systemeigenen Kriterien zu differenzieren« (Luhmann [1995]: S. 146f.). Vgl. Luhmann (1995): S. 147. Eine Exklusion von Personen aus der Gesellschaft (soziales System) gibt es hingegen nicht, da diese durch die menschliche Existenz als Kommunikationsteilnehmer*in per se gegeben sei (vgl. Luhmann [1989]: S. 367).

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leicht mit mehr Alternativen und Wahlmöglichkeiten für den Einzelnen, aber auch mit einer immensen Vermehrung der Hinsichten in denen man abhängig ist.«115 Individualität entstehe, weil sich das Individuum in die Subjektheit und somit in die Einzigartigkeit »als diejenige Beschreibung, die durch keinerlei empirisch-kausale Abhängigkeit infrage gestellt werden kann« rettet.116 Dies verweist nach Luhmann darauf, dass sich das Verhältnis von Gesellschaft zu Individuum »von Inklusionsindividualität zu Exklusionsindividualität« gewechselt hat.117 Das lässt sich mit Nassehi am Beispiel des Rechts verdeutlichen: »Recht ist geradezu darauf spezialisiert, Ansprüche auf individuelle Träger zuzurechnen und Verantwortlichkeiten bei zurechnungsfähigen individuellen Adressen zu suchen«.118 statt im Umkehrschluss die Differenzkategorie selbst als Funktionssystem in die Verantwortung zu nehmen. Kurzum sind die Funktionssysteme selbst »explizit daran beteiligt, dass Inklusion individualisiert und als Exklusionsindividualität reflektiert und gegebenenfalls integriert werden muss«.119 Um dies auf das Geschlecht zu beziehen, so war es früher üblich, dass die weibliche Identität über die Inklusion in die Gemeinschaft der Geschlechtskategorie Frau begründet wurde, wobei diese Inklusion nur durch gesellschaftsinterne Differenzierung, demnach durch Exklusion möglich wird, was sich in unserem Beispiel in der Differenzierung von den Geschlechterkategorien Mann und Frau offenbart. Radikale gesellschaftliche Differenzierung müsste somit in einer funktional differenzierten Gesellschaft immer als gesellschaftlicher Zwang zu Individualität verstanden werden. Nassehi verbindet die Kritik an der funktionalen Differenzierung von Hirschauer mit dem Ansatz der Humandifferenzierung, indem er die These aufwirft, dass »gerade die merkwürdige technische Gleichheitsperspektive der funktional differenzierten Gesellschaft im Sinne der prinzipiell gleichen beziehungsweise gleichartigen Inklusion aller in alle Funktionssysteme diese Gesellschaft besonders ungleichheitstolerant macht«.120 da eine funktionale Kontrolle von Ungleichheiten in modernen Gesellschaften nicht möglich sei. Das liege nach Nassehi vor allem darin begründet, dass hier versucht werde, das Problem sozialer Ungleichheit mit den »Mitteln einer in der Sachdimension differenzierten Gesellschaft«121 zu bearbeiten.122 Demnach, so Nassehi, »stehen sich gewissermaßen auf der einen Seite die Brutalität der Codierungen einer funktional differenzierten Gesellschaft und die Offenheit kulturellen Unterscheidungsgebrauchs gegenüber«.123 Aus diesem Grund sei es besonders interessant

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Luhmann (1989): S. 159f. Vgl. Luhmann (1989): S. 160. Vgl. Luhmann (1989): S. 160. Nassehi (2017): S. 63. Nassehi (2017): S. 63. Nassehi (2017): S. 67. Nassehi (2017): S. 68. Dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist, sollen folgende Beispiele verdeutlichen: »Bildungsmäßige[re] Platzzuweisungen und […] die Gleichheit garantierenden Formen rechtlicher und politischer Inklusion« wie die »Inflation von Bildungstiteln und ihre damit verbundene ökonomische Entwertung.« (Nassehi [2017]: S. 68). Nassehi (2017): S. 68.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

der Frage nachzugehen, warum es diese humandifferenzierenden Praktiken gibt, wenngleich sie keine funktionale Bedeutung für die Gesellschaft haben.124 Wenn Interaktionen als Sozialsysteme verstanden werden, spielt Wahrnehmung eine elementare Rolle, um entscheiden zu können, mit wem und mit wem nicht kommuniziert wird. So wird Humandifferenzierung zum basalen Mittel der Personenwahrnehmung.125 Auch Organisationen sind gemäß Nassehi »Maschinen der Differenzierung«,126 da sie Menschen entlang von Ausbildung, Fähigkeiten usw. differenzieren. Nassehi kritisiert deshalb den Mitgliedschaftsansatz von Hirschauer, da diese Mitgliedschaft zwar – wie von Hirschauer beschrieben – kontingent sei, aber eben nicht beliebig und dazu von einem hohem Strukturwert, da soziale Differenzierungen durch Organisationen stabilisiert würden.127 Nassehi kritisiert die Humandifferenzierung vor allem im Kontext der Wissenschaft, da hier gruppenbezogene Forschungsgegenstände bestimmt werden – wie es im Übrigen auch in der vorliegenden Forschung der Fall ist – mit der zwar Identitätszumutungen entzogen werden sollen, aber gleichzeitig Identitätspolitik betrieben würde,128 wobei sich die Konflikte letztlich wieder an zugeschriebenen Merkmalen mit Humandifferenzierungspotenzial orientieren.129 Markus Dederich zeigt wiederrum, dass durch jede Ordnung auch das Außerordentliche hervorgebracht werde. Durch die humandifferenzierende Annahme, dass es eine Verkörperung der Ordnung gibt, werden so außerordentliche Körper erzeugt, welche entlang ihrer Sichtbarkeit in besonderer Weise einer Vulnerabilität ausgesetzt sind.130 Vulnerabilität, sonst verstanden als ein konstitutiver Bestandteil des Menschseins, wird hier zum Mangel, welcher dazu führt, dass Vulnerabilität ungleich verteilt wird. Einige Menschen sind durch ihre außerordentlichen Köper einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt, sie müssen Kraft aufwenden, um dieses zu minimieren oder um die längst erlittene Verletzung zu bewältigen, was sie noch vulnerabler macht.131 »Sowohl aufgrund der Erfahrung des Außerordentlichen als auch aufgrund seiner nicht tilgbaren Virulenz installieren Kulturen und Gesellschaften Systeme oder Mechanismen für dessen Bearbeitung und Bewältigung. Idealtypisch beruhen solche Systeme entweder darauf, das Außerordentliche in die Ordnung zu integrieren, ihm also den Stachel der Fremdheit, der Beunruhigung oder Bedrohung zu ziehen, d.h., es zu normalisieren, oder es abzustoßen und auszuscheiden.«132 Die Entwicklung neuer Krankheitsmodelle oder Interaktionssysteme, bspw. therapeutische oder beratende sollen das Außerordentliche bewältigen und nehmen dabei eine

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Vgl. Nassehi (2017): S. 69. Vgl. Nassehi (2017): S. 69. Nassehi (2017): S. 69. Vgl. Nassehi (2017): S. 70. Vgl. Nassehi (2017): S. 73. Vgl. Nassehi (2017): S. 76. Vgl. Dederich (2020): S. 70f. Vgl. Dederich (2020): S. 66f. Dederich (2020): S. 72.

2. Theoretische Einführung

körperliche Codierung vor, welche die Differenz, in diesem Fall die Humandifferenzierung, naturalisieren.133 Die Humandifferenzierung unterscheidet jedoch nicht nur in binäre Geschlechterkategorien, sondern sie unterscheidet auch zwischen Menschen, die der Geschlechtsklassifizierung entsprechen und diese annehmen und jenen Menschen, welche die Geschlechtsklassifizierung ablehnen oder ihr nicht entsprechen. Differenziert wird hier dann zwischen Trans-, Inter-, A-, Nicht-Binär- und Cisgeschlechtlichkeit. NichtBinär- oder ageschlechtlich sind Menschen, wenn sie entweder die binäre geschlechtliche Gesellschaftsordnung ablehnen oder sich mit keinem Geschlecht identifizieren. Cisgeschlechtlichkeit wurde begrifflich nach dem Terminus Transgeschlechtlichkeit eingeführt und umfasst alle Personen, die eine Kongruenz zwischen zugeschriebenem Körpergeschlecht und selbstbeschriebener Geschlechtsidentität empfinden.134 Intergeschlechtlichkeit verweist durch das Präfix Inter- auf ein Zwischen, was auf Geschlechtlichkeit bezogen bedeutet, dass mehrdeutige oder uneindeutige Geschlechtsinsignien keine Geschlechterklassifizierung in den binären Geschlechtskategorien ermöglichen. Transgeschlechtlichkeit hat sich als Begriff bisher noch nicht durchgesetzt, im Alltagswissen wird daher von Transsexualität gesprochen, während in wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Begriffe Transsex und Transgender vorherrschen. Transsexualität ist ein veralteter Begriff, der einen Übersetzungsfehler trägt, da das englische Wort »sex« in Deutschland zunächst fälschlicherweise mit »Sexualität« übersetzt wurde. Transsex und Transgender sind Derivationen, sie verbinden die englischen Fachtermini »sex« und »gender« mit dem Affix trans-. Als Präfix signalisiert Trans- einen Wechsel, dass etwas oder jemand von einer auf die andere Seite wechselt. Je nachdem wäre es in Verbindung mit »sex« als englischem Terminus für Körpergeschlecht also ein Wechsel des Körpergeschlechts oder in Verbindung mit »gender« als Terminus für Geschlechtsidentität also der Wechsel der Geschlechtsidentität. Allerdings reichen linguistische Analysen hier nicht aus, denn Transsex wird im medizinischen wie rechtlichen Verständnis als Inkongruenz von Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität verstanden, während Interessenverbände darauf verweisen, es handle sich ausschließlich um eine Ablehnung der zugeschriebenen Geschlechtsklassifikation, die mit der geschlechtlichen Selbstbeschreibung nicht übereinstimmt. Soziologisch sollten Transsex und Transgender auf unterschiedliche geschlechtliche Phänomene verweisen; während Transsex den Wunsch nach einer Anpassung des Geschlechtskörpers an die Geschlechtsidentität bezeichnen soll, repräsentiert der Begriff Transgender den Wunsch nach einer korrekten Geschlechtsklassifikation, ohne dabei eine genitalangleichende Operation zu wünschen. Diese Unterscheidung setzte sich im deutschsprachigen Diskurs bis

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Vgl. Dederich (2020): S. 74. Vanagas (2021): S. 19. Ursprünglich hatte die Bezeichnung Cisgeschlechtlichkeit eine kritische Haltung und problematisierte die Kategorie der Transgeschlechtlichkeit. Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch verwendete eine Begrifflichkeit von Magnus Hirschfeld, indem er aus Cisvestiten, die Zissexualität als Gegenpol zur Transsexualität ableitete, um darauf aufmerksam zu machen, dass es, sofern es Transsexuelle gibt, auch das Gegenteil, die Zissexuellen existieren, die sich im Diesseits von biologischem und sozialen Geschlecht befinden, während Transsexuelle im Jenseits vorgestellt werden (vgl. Sigusch [1995]: S. 812).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

heute nicht durch.135 Transgeschlechtlichkeit soll in dieser Arbeit als das geschlechtliche Gesamtphänomen, also einer Betrachtung von Transsex und Transgender verstanden werden. Sandy Stone schreibt in ihrem 1987 erschienenen Manifest, dass es Transgeschlechtlichkeit als wissenschaftliches Phänomen noch nicht so lange gibt, wie das gesellschaftliche Phänomen existiert. Dies liege daran, dass lange Zeit wissenschaftliche Methoden noch kein ausreichendes Verständnis von Körper und Geist hatten. Als Beispiel für ein erstes Interesse an der Thematik werden die intergeschlechtliche Patientin Lily Elbe und das Deutsche Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld genannt und damit auf beginnende Versuche einer operativen Genitalangleichung verweisen. Ab 1950 erstellte dann die Standford Klinik einen Diagnoseschlüssel, nachdem zuvor jahrelang medizinisch an transgeschlechtlichen Menschen geforscht wurde.136 Warum Transgeschlechtlichkeit als gesellschaftliche und wissenschaftliche Herausforderung galt und gilt, beschreibt Stone wie folgt: »Sex and gender are quite separate issues, but transsexuals commonly blur the distinction by confusing the performative character of gender with the physical ›fact‹ of sex, referring to their perceptions of their situation as being in the ›wrong body‹.«137 Die zuvor eingeführte Unterscheidung von Geschlechtszuschreibung und Geschlechtszugehörigkeit verdeutlichen Kessler/McKenna an den Studien und Theorien von Harold Garfinkel. Anhand der transgeschlechtlichen Frau Agnes zeichnet Harold Garfinkel die gesellschaftlichen Alltagsvorstellungen über Geschlecht nach138 und benennt »Geschlechtlichkeit als eine natürliche und moralische Tatsache des Lebens«.139 Für transgeschlechtliche Personen bedeute dies einer Reihe von Situationen einer möglichen Entdeckung ausgesetzt zu sein, was Garfinkel »als gesellschaftlich strukturierte potenzielle oder aktuelle Krisensituationen«140 benennt und das, mit einem gelungenen Krisenmanagement verbundene, positive wie negative Gefühl als »Durchkommen« (Passing) bezeichnet. Mit der Analyse von Agnes Verhalten konnte Garfinkel Taktiken der Geschlechterdarstellung im Alltag nachzeichnen und Geschlecht als interaktiv hergestellt beweisen.141 Transgeschlechtlichkeit erkennen Kessler und McKenna als »not as changing gender but changing genitals. Gender remains invariant«.142 Womit sie einerseits darauf aufmerksam machen, dass ein transgeschlechtlicher Mensch schon immer eine Geschlechtsidentität hatte, also insofern keine neue Geschlechtsidentität anstrebe, gleichzeitig konstruieren sie aber auch eine sehr einseitige generalisierende Vorstellung von Transgeschlechtlichkeit, indem sie diese an die Veränderung der Genitalien knüpfen.143 Richtigerweise verweisen Kessler/McKenna darauf, dass der Wunsch nach 135 136 137 138 139 140 141 142 143

Vgl. Hoenes; Schirmer (2019): S. 1204f. Vgl. Stone (1987): S. 7f. Stone (1987): S. 2. Vgl. Garfinkel (2017): S. 185f. Garfinkel (2017): S. 186. Garfinkel (2017): S. 201. Vgl. Garfinkel (2017): S. 202f. Kessler; McKenna (2000): S. 13. Vgl. Kessler; McKenna (2000): S. 14. Sicherlich geht diese These auf die Vokabeln »gender« (Geschlechtsidentität) und »sex« (Körpergeschlecht) zurück, wobei dies nicht die implizite Annah-

2. Theoretische Einführung

einer Genitalangleichung zwar pathologisiert werde, der Wunsch hingegen, trotz einer Vulvina144 ein Mann zu sein, vice versa (Penis = Frau) als psychische Auffälligkeit, also als wahnsinnig, verstanden würde, da dieser Wunsch den »Tatsachen des Geschlechts« widerspricht.145 Stone prägt in diesem Zusammenhang den Begriff der »Body Police«, der Körperpolizei, welcher die medizinische Institution und ihre Diagnosekriterien kritisierte:146 »Bodies are screens on which we see projected the momentary settlements that emerge from ongoing struggles over beliefs and practices within the academic and medical communities.«147 Die hier angesprochenen Kämpfe hätten ihren Ursprung jedoch keinesfalls in den Körpern selbst, sondern sind moralische Kämpfe, die außerhalb der Körper liegen. Einen solchen moralischen Kampf umschreibt Hirschauer, wenn er sich auf die Sexuierung bezieht.148 Wie bereits zuvor beschrieben, erfolgt diese innerhalb der Geschlechterdarstellung und Geschlechterwahrnehmung und wird als kognitive Stütze zur Geschlechterklassifikation verwendet. Da transgeschlechtliche Personen häufig sogenannten Verwechslungssituationen ausgesetzt sind, unterminieren sie den Prozess der Sexuierung.149 Ohne dies jedoch politisch zu beabsichtigen, kann dies immer und immer wieder zu gesellschaftlichen Ausschlüssen und zum Aberkennen des Geschlechts führen,150 weshalb sich viele transgeschlechtliche Personen um eine adäquate Geschlechterdarstellung bemühen und sich dazu geschlechterstereotypische Verhaltensweisen und ein geschlechterstereotypisches Erscheinungsbild aneignen.151 Den von Stone angesprochenen Kampf hat auch Butler in den gesellschaftlichen Normen erkannt: »Als Überlebensstrategie in Zwangssystemen ist die Geschlechtsidentität eine Performanz, die eindeutig mit Strafmaßnahmen verbunden ist. Die diskreten Geschlechtsidentitäten sind Teil dessen, was die Individuen in der gegenwärtigen Kultur ›zu Menschen macht‹ (humanize).«152 Als Bestrafung benennt Butler die Pathologisierung in der Medizin und die rechtliche Normierung durch den Geschlechtswechsel, aber auch in Ähnlichkeit zu Hirschauer, die Gefahr als transgeschlechtlich gelesen und

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me begründet, dass »sex« einzig durch Genitalien determiniert sei. Dieses Argument versuchen Kessler und McKenna damit zu untermauern, dass transgeschlechtliche Personen eine Obsession mit ihren Genitalien aufweisen, da diese als ultimative Geschlechtsinsignien wahrgenommen würden. Dass wissenschaftliche Expertise hier maßgeblich an dem Konstrukt der Transgeschlechtlichkeit beteiligt ist, zeigt die Ignoranz anderer Daten; so zitieren sie einen Psychiater, der darauf verweist, dass viele transgeschlechtliche Männer auf eine Neoplastik eines Penis verzichten, was Kessler/McKenna so ausdeuten, dass die Techniken für den Eingriff noch nicht die entsprechenden Ergebnisse bringen und im Ergebnis nicht überzeugen (vgl. Kessler; McKenna [2000]: S. 15). Neologismus aus den Begriffen Vulva und Vagina, der von Ella Berlin 2012 als positive Bezeichnung des weiblichen Genitals kreiert wurde (Quelle: http://wordpress.ellaberlin.de/vulvina/ [letzter Zugriff: 10.10.2022]). Vgl. Kessler; McKenna (2000): S. 15. Vgl. Stone (1987): S. 12. Stone (1987): S. 12. Vgl. Hirschauer (1993): S. 27. Vgl. Hirschauer (1993): S. 30. Vgl. Hirschauer (1993): S. 50. Vgl. Hirschauer (1993): S. 50. Butler (1991): S. 205.

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somit nicht in der eigenen geschlechtlichen Verortung anerkannt zu werden.153 Denn »als Kopie bezeichnet zu werden, unecht genannt zu werden, ist eine Art, wie man unterdrückt werden kann«154 . Gesa Lindemann hingegen fokussiert in ihren Studien zur Transgeschlechtlichkeit die Selbsterkenntnis der transgeschlechtlichen Personen, die sich selber in der Geschlechterordnung als falsch klassifiziert oder deplatziert wahrnehmen und so zunächst gegen die Geschlechterordnung selbst rebellieren, sich aber weiterhin in der Geschlechterordnung verorteten und so die eigene Geschlechtlichkeit problematisieren, bis sie abschließend juridische Anerkennung und/oder medizinische Unterstützung forderten.155 Weiter erkennen Kessler/McKenna in dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit, dass diese nicht, wie ein ehemaliger Personenstand abgelegt werden kann: »The transsexual who remains identified as a transsexual is a reminder that one or more of the facts of gender can be violated.«156 Transgeschlechtlichkeit beschreibt demnach kein Geschlecht, sondern lediglich die soziale Praxis des Geschlechtswechsels, bleibt aber mit Kessler/McKenna im gesellschaftlichen Verständnis unabgeschlossen und somit als Eigenschaft dauerhaft zugeschrieben. Hirschauer hat 1993 in seiner Studie »Die soziale Konstruktion der Transsexualität« die transgeschlechtliche Praxis untersucht und vor allem die Institutionalisierung von Transgeschlechtlichkeit betrachtet. Zu dem Zeitpunkt der Studie galt bereits das TSG, welches im nachfolgenden Kapitel detailliert besprochen wird. Das TSG forderte zwei voneinander unabhängige psychologische Gutachten und eine genitalangleichende Operation, mit der auch die dauerhafte Unfruchtbarkeit sichergestellt werden sollte, während die Krankenkassen eine einjährige psychotherapeutische Behandlung verlangten, um die Kosten einer solchen genitalangleichenden Operation zu übernehmen. In der Jahresfrist erkennt Hirschauer einen Schutz gegenüber jenen transgeschlechtlichen Personen, die sich möglicherweise wieder umentscheiden und so das ganze rechtliche und medizinische System der Transgeschlechtlichkeit gefährden.157 Eine rückfällige transgeschlechtliche Person könnte einerseits die Reputation der Mediziner*innen gefährden, während viele Rückfällige das TSG unterminieren würden: »Der Gutachter ist wie ein Kutscher durch die Geschlechtspassage, den nicht nur die Ankunft eines Patienten kümmert, sondern auch, daß der Wagen nicht umgeworfen wird, in dem er noch andere Patienten transportieren will.«158 Hirschauer konnte mit seiner Studie aufzeigen, dass es bei der psychotherapeutischen Behandlung also weniger darum ging, wie eine zufriedenstellende Zukunft und ein erfüllendes Geschlechtererleben möglich werden, als vielmehr darum, in der Vergangenheit und Lebensgeschichte sowie der Geschlechtsdarstellung der transgeschlechtlichen Person nach Beweisen zu suchen, die den Geschlechtswechsel belegen oder widerlegen.159 In diesem Zusammenhang konnte

153 154 155 156 157 158 159

Butler (2009): S. 17. Butler (2009): S. 54f. Vgl. Lindemann (2011): S. 102f. Kessler; McKenna (2000): S. 17. Vgl. Hirschauer (1993): S. 187. Hirschauer (1993): S. 209. Vgl. Hirschauer (1993): S. 131; Vgl. Adamietz (2011): S. 152.

2. Theoretische Einführung

Hirschauer beweisen, dass transgeschlechtliche Personen dieser oft subjektiven Erwartungshaltung der Therapeut*innen mit vorauseilendem Gehorsam entgegenkamen und so das Konzept einer Therapie ad absurdum führten, um das Gutachten und somit die rechtliche Änderung des Personenstandes zu erwirken.160 Umso wichtiger erscheint es nun, zu hinterfragen welche Rolle Geschlecht im Rechtssystem hat und welche Bedingungen an eine Personenstandsänderung (PÄ) geknüpft sind. Da seit dem Jahr 2011 einige Neuerungen zu verzeichnen sind, soll nach einem kurzen Einblick in die Historie des Geschlechts im Recht, vor allem die Zeit zwischen den Jahren 2011 bis 2018 untersucht werden.

2.2 Geschlecht im Recht Ute Sacksofsky beschreibt Recht als zweiseitig; auf der einen Seite sei es sehr wirkmächtig, da es gesellschaftliche Auswirkungen habe, auf der anderen Seite gebe es Aufschluss über herrschende gesellschaftliche Normen. Überraschend sei dies aber nicht, »denn in der Demokratie entsprechen Gesetze – jedenfalls idealtypisch und in der Praxis zumindest meist – den Vorstellungen der Mehrheit der Gesellschaft«.161 Sacksofsky beschreibt das Recht aber auch als Zwangsordnung, die Menschen kategorisiert und ihnen Ge- und Verbote auferlegt, welche für ihre Einhaltung mit Sanktionen verbunden werden. Gleichzeitig enthalte das Recht aber auch Ermöglichungschancen, da dejure marginalisierten Personen oder Gruppen die gleichen Rechte verliehen werden, wie den Majorisierten, wodurch einer defacto Privilegierung Einzelner oder Gruppen rechtliche Schranken gesetzt werden.162 »Das emanzipatorische Potenzial von Recht ist nicht ohne Kosten. Denn wenn Recht an Kategorien anknüpft, erfolgen damit zugleich Festlegungen, die die Kategorien selbst wiederum verfestigen können.«163 Was Sacksofsky hier als Differenzdilemma beschreibt, umfasst die eigene Rekategorisierung entlang rechtlich vorstrukturierter Kategorien, um die rechtliche Anerkennung zu erhalten und durch das Recht geschützt zu sein, wobei genau diese Rekategorisierung jene Kategorien reproduziert und somit legitimiert.164 Sacksofsky benennt das Recht als ambivalent: »Prägend für das Recht ist die Ambivalenz seiner Rolle zwischen Unterdrückungs- und Emanzipationsinstrument.«165 Einerseits stabilisiere Recht Herrschaft, andererseits hilft es marginalisierten und benachteiligten Gruppen dabei ihre Belange durchzusetzen und Gleichstellung rechtlich einzufordern, wobei die Gesetzgebung dennoch ein Ausdruck der herrschenden Interessen bleibe, indem sie die herrschende Ordnung gesetzlich verankert. Wie sich die herrschenden Interessen in der herrschenden Ordnung niederlassen, kann am Beispiel der historisch sich immer wieder ändernden rechtlichen Kategorie des Geschlechtseintrags verdeutlicht werden.

160 161 162 163 164 165

Vgl. Hirschauer (1993): S. 155. Sacksofsky (2019): S. 632. Vgl. Sacksofsky (2019): S. 632. Sacksofsky (2019): S. 633. Vgl. Sacksofsky (2019): S. 633. Sacksofsky (2019): S. 639.

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38

Das Selbstbestimmungsgesetz

Das erste Landesgesetz, welches einen Personenstand forderte, war im Jahr 1794 das Allgemeine Landrecht preußischer Staaten (PrALR). Zuvor wurden Menschen durch die kirchlichen Trau-, Tauf- und Sterberegister der Kirchen registriert und kategorisiert, welche in den Kirchenbüchern zunächst den Geburtstag und -jahr, die Vor- und Nachnamen des Kindes und der Eltern wie Großeltern festhielten.166 Ab 1794 wurden dort entsprechend des PrALR auch die Angaben eingetragen, ob es sich um ein eheliches oder nicht-eheliches Kind handelt und welchen Beruf der Vater ausübt (Standesangabe).167 Im PrALR gab es bereits im Jahr 1794 einen Zwitterparagraphen.168 Dieser sah vor, dass Eltern bei einem Säugling mit uneindeutigem Geschlecht zunächst eine Wahl für einen der binären Geschlechtseinträge vornehmen müssen (§ 19 ALR), nach 18 Jahren allerdings die Möglichkeit bestünde, den Eintrag zu ändern (§ 20 ALR). Im Falle, dass Rechte Dritter tangiert werden, wurde ein Sachverständiger beauftragt zu entscheiden (§ 22 ALR), welches Geschlecht vorliegt. Die Aussage des Sachverständigen wurde rechtlich über die Selbstaussage der begutachteten Person gestellt (§ 23 ALR). Konstanze Plett ergänzt zum PrALR, dass dieses zwar eine geschlechtliche Wahlmöglichkeit bereitstellte und damit intergeschlechtliche Menschen anerkannte, sich diese allerdings auf Zweigeschlechtlichkeit beschränkte und ein mehrmaliger Wechsel zwischen den Kategorien nicht geduldet wurde.169 Im Deutschen Kaiserreich wurde dann unter Bismarck die staatliche Dokumentierung des Personenstandes gesetzlich erlassen; das »Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung«, welches ebenfalls Geburt, Heirat und Sterbefall beurkundet und unter § 20 PStG eine Anzeigenpflicht des Geschlechts durch Entbindungs-, Hebammen- und Krankenanstalten festschreibt und den Standesbeamt*innen unter § 21 PStG einräumt, sich von der Richtigkeit der Angaben Überzeugung zu verschaffen. Geschaffen im Jahr 1874, tritt es 1875 in Kraft und wird bereits 1876 überarbeitet.170 Im Jahr 1920 wurde das Reichspersonenstandsrecht novelliert; ab nun wurde auf die Angabe der Religionszugehörigkeit verzichtet und auch das

166 Vgl. Schütz (1977): S. 11f. Die ältesten Kirchenbücher finden sich in Deutschland ab dem Jahr 1500, wobei zunächst nicht die Geburt oder sonstige Angaben (Eltern, Stand etc.) relevant waren, sondern ausschließlich die Taufe registriert wurde (vgl. Schütz [1977]: S. 11). Erst ab Mitte des 18. Jhd. wurden ebenfalls die Eltern und der Stand notiert (vgl. Schütz [1977]: S. 12). Nach Inkrafttreten des PrALR wurde in den Kirchenbüchern darüber hinaus der Geschlechtsname registriert (vgl. Schütz [1977]: S. 13). 167 Vgl. Plett (2021p): S. 343; vgl. Kayser (1939): S. 142ff. 168 Vgl. Hulverscheidt; Plett; Heller (2021): S. 21. 169 Vgl. Plett (2021d): S. 78. Die Verdrängung des Zwitters aus dem Recht erkennt Plett darin, dass im 19. Jhd. deutlich mehr Menschen Bürgerrechte erhielten, bspw. durch die Aufhebung der Klassen/Stände, aber auch durch die vorläufige Emanzipierung der Juden. Allerdings galten diese neuen Rechte nur für männliche Bürger, wodurch der Geschlechterunterschied eine neue herausragende Rolle erhielt (vgl. Plett [2021d]: S. 80f.). Derlei rechtliche Ausgrenzungen finden sich heute nicht mehr, wodurch die zuvor beschriebene Notwendigkeit zur Zweigeschlechtlichkeit entfällt (vgl. Plett [2021d]: S. 81). 170 Vgl. Reichsgesetzblatt (RGBl): S. 23f.; vgl. Schütz (1977): S. 18. Das Personenstandsgesetz galt in seiner einheitlichen Version ab dem Jahr 1876 für ganz Deutschland (vgl. Hulverscheidt; Plett; Heller [2021]: S. 21).

2. Theoretische Einführung

Standesvorrecht wurde aufgehoben.171 Das Personenstandsgesetz, als Verwaltungsordnungsgesetz 1875 eingeführt, ist nach Plett die einzige Rechtsnorm, welche Geschlecht ausdrücklich normiert. Während früher noch die Berufe der Eltern eingetragen wurden, wird ab dieser Zeit einzig auf den Eintrag des Geschlechts bestanden (§ 21 PStG Abs. 1.).172 Die Rechtswissenschaftlerin schlussfolgert daher, dass das PrALR liberaler war, da es 1794 neben dem männlichen und weiblichen Geschlechtseintrag den Eintrag »Zwitter« ermöglichte.173 Geschlechtsspezifische Definitionen finden sich nach Plett hingegen erst im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und beziehen sich auf die familiären Geschlechtsrollen Vater/Mutter, welche im Gesetz entlang der Zeugung bzw. des Gebärens und somit entlang körperlicher Substanz festgelegt werden.174 Im Jahr 1928 entschied das Kammergericht über das Geschlechtswechselgesuch einer Person von weiblich zu männlich, dass das BGB im Gegensatz zum PrALR die Kategorie der Zwitter nicht kenne, demnach alle Menschen einem Geschlecht zuordbar seien und somit ein Wechsel nicht gerechtfertigt sei.175 Im derzeitigen Personenstand werden die Daten über die Geburt, mögliche Eheschließungen und ebenso dem Tod festgehalten, wofür es das Geburts-, Ehe- und Sterberegister gibt: »Unter den gegebenen Umständen hat die personenstandsrechtliche Anerkennung des Geschlechts Identität stiftende und ausdrückende Wirkung. Der Personenstand ist keine Marginalie, sondern ist nach dem Gesetz die ›Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung‹ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PStG). Mit dem Personenstand wird eine Person nach den gesetzlich vorgesehenen Kriterien vermessen; er umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Daher gefährdet die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität bereits an sich, das heißt unabhängig davon, welche Folgen außerhalb des Personenstandsrechts an den Geschlechtseintrag geknüpft sind, die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit einer Person spezifisch.«176 Solange ein Geschlechtseintrag zwingend anzugeben ist, um eine rechtliche Identität und damit zusammenhängend entsprechende Identitätsdokumente (Personalausweis, Reisepass) zu erhalten, welche eine Person rechtsverkehrstüchtig machen, solange muss Geschlecht als vorherrschende Determinante und somit als eine der wirkmächtigsten Identitätskategorien überhaupt angesehen werden. In Deutschland müssen Neugeborene binnen einer Woche nach der Geburt beim zuständigen Standesamt in das Geburtsregister eingetragen und im Zuge dessen das Geschlecht benannt werden (§ 18 PStG und § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG). Bis zur Novellierung des

171 172 173 174 175 176

Vgl. Schütz (1977): S. 45. Vgl. Plett (2021c): S. 71. Vgl. Plett (2021c): S. 72. Vgl. Plett (2021d): S. 82. Vgl. Plett (2021d): S. 82. Bundesverfassungsgericht (2017).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Personenstandsgesetzes (2013)177 war hier lediglich die Eintragung männlich oder weiblich möglich.178 Da das Gesetz bislang nicht zwischen den Theoremen Geschlechtsidentität und Körpergeschlecht unterscheidet, erfolgt die Klassifizierung des Geschlechts entlang medizinischer Kriterien und somit entlang einer Biologisierung des Geschlechts, indem der Körper und dort vorfindbare Geschlechtsinsignien zur Klassifizierung herangezogen werden. Problematisch wurden jene Situationen, in denen das Geschlecht eines neugeborenen Kindes nicht eindeutig entlang der Geschlechtsinsignien feststellbar waren. In diesen Momenten erfolgten meist zusätzliche Untersuchungen, bspw. der Chromosomen und Hormone, um das Geschlecht zweifelsfrei klassifizieren zu können. Wenn auch dies nicht möglich war, rieten die Ärzt*innen in der Regel zur Vereindeutigung des Geschlechts, indem der Körper des Kindes in vielen genitalvereindeutigenden Operationen an die binäre Gesetzesvorlage und -verpflichtung eingepasst wurde.179

2.2.1 Lex Transsex: Das Transsexuellengesetz Der Entstehungskontext des TSG war ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), welches die fehlende Änderungsmöglichkeit des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister betraf.180 Aus diesem Grund klagte eine Frau, der ein weiblicher Personenstand verwehrt blieb, obwohl sie bereits eine genitalangleichende Operation hatte vornehmen lassen. Laura Adamietz und Katharina Bager sehen darin nicht nur eine Verfassungsbeschwerde aufgrund der Verletzung von Grundrechten, sondern darüber hinaus eine Verfassungsbeschwerde gegen die herrschende Rechtsauffassung.181 Das BVerfG gab der Beschwerde recht und begründete das Urteil wie folgt: »Dagegen ist es zweifelhaft, ob die These von der Unwandelbarkeit des Geschlechts, das durch die äußeren Geschlechtsmerkmale im Zeitpunkt der Geburt bestimmt werde, in der vom Bundesgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung geschilderten Absolutheit noch haltbar ist. Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß es die verschiedensten Formen der somatischen Intersexualität gibt. Die medizinische Forschung hat aufgrund von Untersuchungen an Zwittern auch auf die Dissoziation zwischen Morphe und Psyche hingewiesen, die sich nach den gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen beim Transsexuellen in besonders krasser Form verdeutlicht.«182

177

Auf Empfehlung des Deutschen Ethikrates (2012), der intergeschlechtliche Menschen vor »medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt« (Deutscher Ethikrat [2012]: S. 172) wissen will, wurde 2013 durch den Bundestag das PStG § 22 um Abs. 3 »Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen« ergänzt worden. 178 Vgl. Niedenthal (2021): S. 29. 179 Vgl. Voß (2010): S. 190f.; vgl. Woweries (2014): S. 250f.; vgl. Klöppel (2010): S. 475f. 180 Vgl. Bundesverfassungsgericht (1978): Rn. 1. 181 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 60; vgl. Adamietz (2011): S. 126. 182 Bundesverfassungsgericht (1978): Rn. 50.

2. Theoretische Einführung

1981183 trat das TSG in Kraft und Deutschland bekam bzgl. der rechtlichen Geschlechterliberalität in Europa eine Vorreiterstellung.184 Adamietz verweist darauf, dass das TSG jedoch nicht bestimmt, was unter Transsexualität zu verstehen sei oder wer folglich als transsexuell zu gelten habe, sondern regelt als Gesetz lediglich die Möglichkeit einer PÄ und damit zusammenhängende Voraussetzungen.185 Vor allem die Abgrenzung gegenüber Homosexualität war damals für die Entstehung des TSG bedeutsam, da homosexuelles Verhalten strafrechtlich verboten war.186 In diesem Zuge schlussfolgert das BVerfG: »Entscheidend ist für den Transsexuellen nicht die Sexualität, sondern das Problem des personalen Selbstverständnisses, das sich in der Geschlechtsrolle und der Geschlechtsidentität manifestiert.«187 Dass das TSG inhaltlich die genitalangleichende Operation als Hürde für eine PÄ formuliert, muss aus dieser ersten Verfassungsbeschwerde abgeleitet werden. Dort findet sich folgende Formulierung: »Der Begriff der Berichtigung setzt jedoch nicht zwingend die ursprüngliche Fehlerhaftigkeit einer Angabe voraus. Er kann auch allgemein die nachträgliche Richtigstellung falscher Angaben bezeichnen. In diesem Sinne besteht etwa nach § 82 der Grundbuchordnung ein Gebot, das Grundbuch zu berichtigen, wenn das Grundbuch hinsichtlich der Eintragung des Eigentümers durch Rechtsübergang außerhalb des Grundbuchs unrichtig geworden ist.«188

183

Es kann somit festgehalten werden, dass das Geschlecht zwischen dem Jahr 1875 und dem Jahr 1981 – in dem das TSG in Kraft trat – gesetzlich verbindlich registriert wurde und für das ganze Leben galt (vgl. Plett [2021e]: S. 94). 184 Vgl. Adamietz (2011): S. 130. 185 Vgl. Adamietz (2011): S. 39f. 186 Als das TSG 1981 in Kraft trat, galt noch der §175 StGB, welcher bis 1969 homosexuelles Verhalten im Allgemeinen und bis 1993 homosexuelles Verhalten im Speziellen (Altersbeschränkung) unter Straftatbestand stellte (BVerfG-Beschluss 49, 286). Der BVerfG-Beschluss orientiert sich in der Rechtsprechung an der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, welche Transsexualismus als »vollständige psychische Identifikation mit dem anderen, d.h. dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht« definiert und schlussfolgert, dass »Transsexualismus nichts mit Homosexualität oder Fetischismus zu tun hat und von den psychosexuellen Anomalien und Perversionen klar getrennt werden kann«. Mit dem Beschluss verbunden war nicht nur die Stärkung der Grundrechte, sondern ebenso die Beschränkung von anderen Grundrechten, bspw. der körperlichen Integrität, sexuellen Orientierung und Eheschließungsfreiheit. Auch wurde die Zweigeschlechtlichkeit als solche nicht hinterfragt, sondern im Beschluss bestätigt (vgl. Plett [2021i]: S. 187, 190). Menschen, die eine genitalangleichende Operationen durchführen lassen haben, aber durch das restriktive Personenstandsrecht nicht das Geschlecht wechseln konnten, dafür mit der Operation ihrer »sexuellen Identität« als Heterosexuelle Ausdruck verliehen, fielen weiterhin unter den § 175 StGB (vgl. Plett [2021i]: S. 186). In diesem Kontext stellte die genitalangleichende Operation sicher, dass transgeschlechtliche Personen sich nicht des homosexuellen Verhaltens strafbar machten. Hier findet sich somit eine gesetzliche Verankerung der Zwangsheterosexualität und der daraus hervorgehenden Heteronormativität (vgl. Adamietz [2011]: S. 166). 187 Bundesverfassungsgericht (1978): Rn. 3. Umso erstaunlicher ist es, dass das Gesetz dennoch den Begriff der »Sexualität« als Grundbegriff des Neologismus »Transsexualität« wählt. Im Umkehrschluss wurde das TSG nach Adamietz und Bager auf der erneuten Entrechtung homosexueller Menschen erbaut und sollte daher problematisiert werden (vgl. Adamietz; Bager [2016]: S. 62). 188 Bundesverfassungsgericht (1978): Rn. 60.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Womit das BVerfG dem Rechnung tragen will, dass eine Operation »das Streben nach der Einstimmigkeit von Psyche und Physis«189 verwirklicht. Das daraus hervorgehende TSG orientiert sich daher sehr stark an medizinischen Diagnoseschlüsseln, bspw. wenn im Gesetz die Formulierungen davon sprechen, dass sich Personen »auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig« empfinden oder »seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang« stehen (§ 1 Abs. 1 TSG). Zwang wird im Duden beschrieben als »starker Einfluss, dem sich jemand nicht entziehen kann«, wodurch die Person als determiniert wahrgenommen und fremdgesteuert verstanden wird, während Prägung »unter einem Einfluss stehend« bedeutet und somit dem damaligen medizinischen Verständnis von Transgeschlechtlichkeit als einer Störung entspricht. Gleichzeitig zeige das BVerfG in seiner Aufforderung gegenüber dem Gesetzgeber, eine adäquate Gesetzgebung zu finden, eine Diskursöffnung, indem die Einordnung in eine Geschlechtskategorie nicht mehr ausreichend anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale zu begründen sei, da ebenfalls psychische Merkmale in ihrer Wirkung berücksichtigt werden müssen.190 Folgend hielt das TSG zwei Lösungen für eine PÄ bereit, die als sogenannte kleine Lösung lediglich eine Vornamensänderung (VÄ) und als große Lösung eine PÄ vorsahen. Für den Vornamenswechsel musste die antragstellende Person mit Gutachten von zwei voneinander unabhängigen Psycholog*innen nachweisen, dass die transsexuelle Prägung dauerhaft sei, während für die PÄ darüber hinaus der genitalangleichende Eingriff und eine dauerhafte Unfruchtbarkeit gefordert wurden.191 Adamietz bezeichnet die kleine Lösung als Durchgangsstadium, da diese rechtlich dafür vorgesehen wurde, den Antragstellenden den Alltagstest, also das Berufs- und Alltagsleben, zu erleichtern. Tatsächlich strebten jedoch nicht alle Antragsstellenden eine große Lösung an, was damit begründet wurde, dass die Vorgaben der großen Lösung nicht erfüllbar seien.192 Die Begutachtungspflicht steht schon eine sehr lange Zeit in der Kritik. Die Beratungspflicht sieht vor, dass antragstellende Personen für eine PÄ Gutachten von zwei Sachverständigen einholen müssen, welche: »unabhängig voneinander tätig werden; in

189 Bundesverfassungsgericht (1978): Rn. 52. 190 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 92. 191 § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 (TSG): »Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern, wenn 1. sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, 2. mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.« § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4: »Auf Antrag einer Person, die sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und die seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, ist vom Gericht festzustellen, daß sie als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, wenn sie 3. dauernd fortpflanzungsunfähig ist und 4. sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist.« 192 Vgl. Adamietz (2011): S. 41.

2. Theoretische Einführung

ihren Gutachten haben sie auch dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird« (§ 4 Abs. 3 TSG). Adamietz/ Bager verweisen darauf, dass die beiden Gutachten keineswegs übereinstimmen müssten, zudem müsse sich das Gericht nicht an die Aussagen der Gutachten binden und könne einem Antrag auch dann stattgeben, wenn die Gutachten die »transsexuelle Prägung« verneinen.193 Gleichzeitig wird die Begutachtung als sehr bedrückend empfunden, da sie neben dem Zeit- und Kostenaufwand auch als grenzüberschreitend erlebt und als Eingriff in die eigenen Rechte verstanden wird. Zudem komme es immer wieder zu Diskriminierungen und Pathologisierungen.194 Häufig genannt wurde, dass nicht die entsprechenden Pronomen/Anreden durch die Gutachtenden verwendet wurden (Männer 44 %/ Frauen 29 %), weiter wären Fragen zur sexuellen Orientierung gestellt worden (Männer 74 %/Frauen 40 %), auch wurden Fragen zu Sexpraktiken (Männer 33 %/Frauen 14 %) und zu Sexfantasien gestellt (Männer 37 %/Frauen 19 %)195 , zudem wurde die Begutachtung als bizarr wahrgenommen, es sei zu Belustigungen gekommen und erstaunlich viele (ca. 30 %) empfanden die Begutachtung als Prüfungssituation und dadurch als stressig. Weitere ca. 30 % empfanden die Begutachtung als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und im Mittelwert empfanden ca. 18 % die körperliche Begutachtung als erniedrigend.196

193

Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 100. Adamietz/Bager konnten in ihrer Studie ermitteln, dass im Falle der nicht-Bestätigung eines der Gutachten »11,1 % der teilnehmenden Gerichte an[gaben], der Antrag auf VÄ/PÄ werde dann üblicherweise abgelehnt. 25,9 % gaben an, in diesem Fall ein Obergutachten einzuholen, während 11,1 % den Angaben zufolge die Sachverständigen anhören. 18,5 % der teilnehmenden Gerichte gaben an, in freier Beweiswürdigung einem der beiden Gutachten zu folgen« (Adamietz; Bager (2016): S. 200). Gegeben des Falls kommt keines der beiden Gutachten zu einem positiven Ergebnis, »gaben 51,9 % an, der Antrag auf VÄ/PÄ werde dann üblicherweise abgelehnt. Jeweils 7,4 % gaben an, in dem Fall die Sachverständigen anzuhören bzw. in freier Beweiswürdigung zu entscheiden, ggf. auch gegen beide Gutachten« (Adamietz; Bager [2016]: S. 200). 194 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 100; S. 219. 195 Der offensichtliche Gender-Gap wurde in diesem Rahmen nicht begründet oder analysiert. Dass deutlich mehr Menschen mit einer PÄ in die männliche Geschlechtskategorie unter negativen Erfahrungen leiden und zudem häufiger sexualisiert werden, ist durchaus zu hinterfragen. Zum einen handelt es sich bei der PÄ ebenfalls um einen Statuswechsel in eine höhere Statusgruppe, zum anderen werden die Männer entlang ihres bis dato weiblichen Personenstandes wahrgenommen (was bspw. die Falschverwendung von Pronomen und Anredetiteln offenbart) und somit möglicherweise als Frauen sexualisiert. Dies sollte unbedingt grundlegender erforscht werden. 196 Vgl. Fuchs et al. (2014): S. 84f.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Die grundlegendsten Änderungen des TSG erfolgten 2011.197 Das BVerfG erkannte an, dass die Voraussetzung zur dauerhaften Unfruchtbarkeit198 ein Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte sei. Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und gesundheitliche Risiken sind im Rahmen einer PÄ somit nicht vertretbar.199 Doch dies ist keineswegs eine neue Erkenntnis; bereits 2005 schreibt das BVerfG in seiner Urteilsbegründung, »dass eine geschlechtsumwandelnde Operation nicht immer indiziert sei«200 und »vielmehr müsse individuell im Rahmen einer Verlaufsdiagnostik bei jedem einzelnen Betroffen [sic] festgestellt werden, ob eine Geschlechtsumwandlung indiziert sei«.201 Bereits recht früh nach Inkrafttreten des TSG wurde die Diskussion um das Alter der Antragstellenden zum rechtlichen Konfliktthema; so musste das BVerfG sich bereits im Jahr 1982 damit befassen, ob eine Altersgrenze von 25 Jahren für eine PÄ angemessen sei. Diese Annahme wurde vom Gesetzgeber damit begründet, dass in diesem Alter eine entsprechende Reife vorhanden sei.202 In diesem Sinne beanstandete das BVerfG, dass der Gesetzgeber »nur die personenstandsrechtliche Feststellung der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit, nicht dagegen den medizinischen Eingriff von der Vollendung des 25. Lebensjahres abhängig gemacht«203 habe, wobei das ärztliche Personal in diesem Fall der beschwerdeführenden Person im Alter von 21 Jahren eine genitalangleichende Operation ermöglichte. Im Jahr 2005 erfolgte eine weitere Änderung, da das BVerfG die Regelung für nicht verfassungskonform erklärte, dass die PÄ rückgängig gemacht wird, wenn 300 Tage nach Inkrafttreten dieser ein Kind geboren oder eine Ehe geschlossen

197

198 199 200 201 202 203

Um die wichtigsten Klagen und Urteile zusammenzufassen, sollen hier in Kürze die Teile des TSG aufgelistet werden, die seit Bestehen durch das BVerfG für nicht-verfassungsgemäß bestimmt wurden. BverfG-Beschluss vom 16.03.1982 (1 BvR 983/81) umfasst § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG. Es betrifft die Altersbeschränkung auf über 25-Jährige bei der PÄ, welche gegen den Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. BverfG-Beschluss vom 26.01.1993 (1 BvL 38, 40, 43/92) umfasst § 1 Abs. 1 Nr. 3 TSG. Dieser betrifft erneut eine Altersbeschränkung auf über 25-jährige in Bezug auf die VÄ, welche ebenfalls gegen den Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. BverfG-Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvL 3/03) umfasst § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG. Womit die Unwirksamkeit der VÄ im Falle einer Eheschließung in den Fokus gerät, der gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. BverfG-Beschluss vom 18.07.2006 (1 BvL und 12/04) umfasst § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG. Beanstandet wird, dass ausländische Transsexuelle, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten, keinen Antrag auf VÄ und damit Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit stellen können, was gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. BverfG-Beschluss vom 27.05.2008 (1 BvL 10/05) umfasst § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG. Dieser Paragraph verlangt eine Scheidung von verheirateten Transsexuellen, die eine PÄ beantragen, und verstößt somit gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 6 Abs. 1 GG. BVerfG-Beschluss vom 11.01.2011 (1 BvR 3295/07) umfasst § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG. Diese Paragraphen umfassen, dass Transsexuelle nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen können, wenn sie eine genitalangleichende Operation und eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit nachweisen, was gegen Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. Oft fälschlicherweise als Sterilisation benannt, die wiederrum reversibel ist, wohingegen eine Kastration irreversibel ist. Bundesverfassungsgericht (2011): Rn. 52. Bundesverfassungsgericht (2005): Rn. 39. Bundesverfassungsgericht (2005): Rn. 66. Bundesverfassungsgericht (1982): Rn. 35. Bundesverfassungsgericht (1982): Rn. 38.

2. Theoretische Einführung

wird.204 Im Jahr 2008 erklärte das BVerfG die Pflicht zur Scheidung einer Ehe, um den Personenstand wechseln zu können, für nicht verfassungsgemäß, da diese unter dem rechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehe.205 Im Jahr 2007 reichte eine Frau Verfassungsbeschwerde ein, weil sie zu dem Zeitpunkt im Rahmen der kleinen Lösung gemäß § 1 TSG zwar mit einem geänderten Vornamen lebte, jedoch durch ihr Ansinnen eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit ihrer Lebensgefährtin einzugehen, eine große Lösung gemäß § 8 TSG vollziehen müsste, welche jedoch in Anbetracht ihres Alters und der damit einhergehenden zwingenden Operationen (dauerhafte Unfruchtbarkeit und plastische Genitalangleichung) nicht infrage kommt. Eine traditionelle Ehe wollte die klageführende Frau nicht eingehen, da dadurch die Transgeschlechtlichkeit offenbart werde.206 Der Verfassungsbeschwerde wurde durch das BVerfG stattgegeben, da der § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Damit kommt das BVerfG der Auffassung nach, dass »die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung«207 durch das TSG beeinträchtigt wird, da das Geschlecht nicht alleine anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale und auch nicht zum Zeitpunkt der Geburt bestimmt werden kann, sondern wesentlich »von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt«.208 Zusätzlich seien die gesetzlichen Voraussetzungen für eine PÄ, also die dauerhafte Unfruchtbarkeit und die genitalangleichende Operation nach wissenschaftlichen Kenntnisstand »keine notwendige Voraussetzung einer dauerhaften und erkennbaren Änderung der Geschlechtszugehörigkeit«.209 Problematisiert wird durch das BVerfG also nicht, dass es die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft gibt, auch nicht dass ein gesetzlicher Zwang zum Geschlechtseintrag besteht, sondern dass die rechtliche Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit einer Person allein entlang der äußeren Geschlechtsmerkmale getroffen wird, obgleich das Geschlechtsempfinden durch § 1 Abs. 1 TSG210 bereits durch die verlangte Begutachtung als gesichert gilt.211 Weiter würde eine Eheschließung dazu führen, dass die Klageführerin »in eine Geschlechterrolle verwiesen werde, die

204 Vgl. Adamietz (2011): S. 136. 205 Vgl. Adamietz (2011): S. 142. 2001 wurde die »Eingetragene Lebenspartnerschaft« (LPartG) gesetzlich verankert und ermöglichte homosexuellen Paaren eine eheähnliche – wenngleich der Ehe rechtlich nicht gleichgestellte – Verbindung einzugehen (vgl. Plett [2021o]: S. 286). Diese gesetzliche Öffnung führte 2008 dazu, dass das BVerfG in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit urteilte, dass § 8 Abs. 1. Nr. 2 TSG, welcher die Ehelosigkeit zur Voraussetzung für die PÄ machte, nicht zumutbar sei; in diesem Fall stünde nun die eingetragene Lebenspartnerschaft offen. 206 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 3; Rn. 1–4; vgl. ebd. S. 9f.; Rn. 41–46. 207 Bundesverfassungsgericht (2011): S. 13; Rn. 56. 208 Ebd. 209 Bundesverfassungsgericht (2011): S. 13; Rn. 57. 210 (1) Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern, wenn 1. sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben. 211 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 14; Rn. 59.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

einer selbstempfundenen widerspricht«,212 was mit Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs 1 GG kollidiert, welche das Recht auf Schutz der Intimsphäre und wie oben bereits beschrieben das Recht auf die Anerkennung einer selbstempfundenen geschlechtlichen Identität umfassen. Gleiches gelte in diesem Zusammenhang für die Zuschreibung einer heterosexuellen Orientierung, welche der gelebten homosexuellen Orientierung wiederspricht.213 Daraus entstünde eine Diskrepanz zwischen alltäglicher Lebensführung und gesetzlicher Bestimmung.214 Dennoch schränkt das BVerfG in seinem Beschluss die zuvor getroffenen Aussagen ein, da es klarstellt: »Der Gesetzgeber kann bei der Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen grundsätzlich von dessen äußeren Geschlechtsmerkmalen zum Zeitpunkt der Geburt ausgehen und die personenstandsrechtliche Anerkennung des im Widerspruch dazu stehenden empfundenen Geschlechts eines Menschen von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen.«215 Weiter wird dazu ausgeführt, dass die Zuweisung des Geschlechtes notwendig sei, da von dieser Zuweisung familiäre Zuordnungen abhängen und spezifische Rechte und Pflichten zugewiesen werden. Aus diesem Grund sei ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit zu vermeiden.216 Diese Aussage wiederrum setzt biologisches und rechtliches Geschlecht gleich, wodurch das rechtliche Geschlecht weiterhin durch das bei der Geburt zugeschriebene Körpergeschlecht legitimiert und bestimmbar bliebe. Gleichzeitig sei die Begutachtungspflicht durch zwei voneinander unabhängige Sachverständige legitim, um sicher zu stellen, dass das Zugehörigkeitsempfinden dauerhaft sei.217 Hier wird also keinesfalls die Legitimität des Körpergeschlechts hinsichtlich der Geschlechtsklassifizierung im Personenstand eingeschränkt, sondern lediglich der Wunsch auf eine PÄ entlang der Wahrscheinlichkeit der Dauerhaftigkeit des Zugehörigkeitsempfinden durch die psychische Konstitution der antragstellenden Person begründet. Somit würde sich die rechtliche Geschlechtszuschreibung weiterhin am Körpergeschlecht orientieren, welches fremdzugeschrieben wird, während sich der Wunsch nach einer PÄ mit der Geschlechtsidentität begründet, welche wiederrum nicht alleinig durch das Körpergeschlecht bestimmbar ist. Daher sei der Nachweis – welchen der Gesetzgeber fordert, um eine Dauerhaftigkeit zu garantieren – unzumutbar.218 Dafür reicht nach Ansinnen des BVerfG ein längerer diagnostisch-therapeutischer Prozess.219 Erstaunlich hingegen ist die Schilderung, wie dieser Prozess aussieht: »Dies wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden kann. Gelingt dies, unterzieht sich der Transsexuelle zumeist einer dauerhaften hormonellen Behandlung, die

212 213 214 215 216 217 218 219

Bundesverfassungsgericht (2011): S. 15; Rn. 61. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 15; Rn. 62. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 16; Rn. 63. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 16; Rn. 66. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 17; Rn. 66. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 17; Rn. 67. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 17; Rn. 68. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 17; Rn. 69.

2. Theoretische Einführung

körperliche Eigenschaften des Geburtsgeschlechts wie Bartwuchs, Ejakulation oder Menstruation auszuschalten vermag, eine optische Angleichung des Körpers an das empfundene Geschlecht bewirkt und Unfruchtbarkeit mit sich bringen kann.«220 Dieser Aussage zu entnehmen, gibt es gesellschaftlich immer eine optische Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Personen, haben Kleidungsstücke die Macht Geschlecht herzustellen und auch körperliche Eigenschaften wie ein Bartwuchs, Ejakulation und Menstruation sind eindeutige Geschlechtsmerkmale. In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, wie es dann um Frauen steht, die Bartwuchs aufweisen oder um Männer, die nicht ejakulieren können. Fraglich wäre dann auch, ob Männer sich Schminken und Frauen männlich konnotierte Kleidung tragen dürfen.221 Immerhin stellt der BVerfG-Beschluss im folgenden Absatz klar, dass eine genitalangleichende Therapie zwar für viele transgeschlechtliche Personen zur Minderung des Leidensdrucks gehört und deswegen weiterhin rechtlich wie medizinisch ermöglicht werden sollte, jedoch nicht verlangt werden kann, »um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen«,222 da dieser Schritt nicht für alle transgeschlechtlichen Personen in Frage kommt. Erschwerend käme hier dazu, dass § 9 Abs. 3 TSG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 TSG die Möglichkeit bereitstellt, den Personenstandswechsel rückgängig zu machen und in die bei der Geburt zugewiesene Geschlechtskategorie zurückzukehren. In solchen Fällen wäre eine erneute genitalangleichende Operation nur schwer vorstellbar.223 Vor allem aber die Voraussetzung einer dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit, sei entlang des Schutzes durch Art. 2 Abs. 2 GG dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht zumutbar.224 Allerdings gibt das BVerfG dem Gesetzgeber recht, wenn dieser eine Voraussetzung schaffen wolle, mit der er »ausschließen will, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechtsverständnis widerspräche und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hätte.«225 Interessanterweise vermutet das BVerfG in diesem Zusammenhang, dass transgeschlechtliche Männer vorwiegend heterosexuell seien und daher kaum damit zu rechnen sei, dass diese Kinder gebären, jedoch bei transgeschlechtlichen Frauen häufiger eine homosexuelle Orientierung vorkäme, wodurch diese dann als Erzeugerinnen eines Kindes in Erscheinung treten könnten.226 Es ist erstaunlich, dass das BVerfG eine derartige statistische Vermutung hinzuzieht, da 220 Bundesverfassungsgericht (2011): S. 17f.; Rn. 69. 221 Der Damenbart, auch bekannt als Hirsutismus, aber auch die Manboobs, bekannt als Gynäkomastie, weiter die weibliche Ejakulation, umgangssprachlich Squirting genannt, und auch der männliche Zyklus – all das wird in dieser Aussage negiert. Hier muss angemerkt werden, dass der BVerfGBeschluss durchaus auf diese Phänomene implizit eingeht, wenn er aussagt: »Im Übrigen verlangt der Gesetzgeber auch in anderen Fällen keine Operationen, um eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der rechtlichen Geschlechtszugehörigkeit einer Person und ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen sicherzustellen« (Bundesverfassungsgericht [2011]: S. 19; Rn. 72). 222 Bundesverfassungsgericht (2011): S. 18; Rn. 70. 223 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 19; Rn. 72. 224 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 19; Rn. 74. 225 Bundesverfassungsgericht (2011): S. 20, Rn; 75. 226 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2011): S. 20; Rn. 76.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

ja bekannterweise bereits ein einziger Fall das BVerfG mit einer Verfassungsbeschwerde beschäftigen kann. Eine solch absehbare Verfassungsbeschwerde wurde 2018 vorgetragen und durch das BVerfG 2018 ohne Begründung abgelehnt.227 In diesem Fall hilft ein Blick in den BVerfG-Beschluss (2011), dort wird formuliert: »Solche Fälle des Auseinanderfallens von rechtlicher Geschlechtszuordnung und Erzeuger- beziehungsweise Gebärendenrolle, die angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen eher selten vorkommen werden, berühren vornehmlich die Zuordnung der geborenen Kinder zu Vater und Mutter. Es ist ein berechtigtes Anliegen, Kinder ihren biologischen Eltern auch rechtlich so zuzuweisen, dass ihre Abstammung nicht im Widerspruch zu ihrer biologischen Zeugung auf zwei rechtliche Mütter oder Väter zurückgeführt wird.«228 In dieser Aussage wird durch das individuelle Recht des Kindes das individuelle Recht des transgeschlechtlichen Elternteils eingeschränkt, wobei das BVerfG hier einen Utilitarismus zur Begründung heranzieht, indem es von einer »kleinen Gruppe transsexueller Menschen« ausgeht, wenngleich rechtswissenschaftlich zu beanstanden wäre, dass jeder Fall als Einzelfall individuell betrachtet werden muss und somit ein Kind gegenüber einem transgeschlechtlichen Eltern verhandelt werden und demgemäß eine derartige utilitaristische Begründung weniger rechtskräftig sein sollte. Bis hierhin wäre festzuhalten, dass es durch den Beschluss des BVerfG im Jahr 2011 rechtlich möglich ist einen Penis zu haben, aber als Frau klassifiziert zu werden, wodurch zwei Menschen mit Penis als verschiedengeschlechtlich angesehen werden könnten, während ein Mensch mit Vulvina und ein Mensch mit Penis gleichgeschlechtlich klassifiziert werden könnten. Das Konzept der Verschiedengeschlechtlichkeit scheint also bereits jetzt gehörig an Substanz verloren zu haben.229 Niedenthal erkennt vor allem in der Klage vor dem BVerfG bezüglich des TSG und der damit zusammenhängenden Problematisierung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine VÄ/PÄ die Vorbereitung für Klagen und demgemäß Entscheidungen für eine Öffnung des Personenstands gegenüber intergeschlechtlichen Personen.230 Der dadurch eröffnete Diskurs um Geschlecht im Allgemeinen und Geschlechtsidentität wie Körpergeschlecht im Speziellen, bewirkte eine breite Öffentlichkeit für die Belange von trans- und intergeschlechtlichen Personen. Im Jahr 2013 wurde auf Empfehlung des Deutschen Ethikrates der § 22 Abs. 3 PStG eingeführt, nach dem es möglich wurde den Geschlechtseintrag offen zu lassen, wenn ein Kind nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter (weiblich/männlich) zuzuweisen sei. Damit sollten vor allem die Eltern entlastet werden, die sich allzu oft gesellschaftlich dazu gezwungen sahen genitalvereindeutigenden Operationen zuzustimmen und das Kind – entgegen des möglichen zukünftigen Selbstinteresses des Kindes – geschlechtlich zu sozialisieren.231

227 228 229 230 231

Vgl. Bundesverband Trans* (2018). Bundesverfassungsgericht (2011): S. 20; Rn. 77. Vgl. Adamietz (2011): S. 169. Vgl. Niedenthal (2021): S. 30. Vgl. Niedenthal (2021): S. 31.

2. Theoretische Einführung

Niedenthal kommt dementsprechend zu dem Schluss: »Ohne die vorausgegangene politische, wissenschaftliche und juristische Arbeit vieler verschiedener Akteur*innen zu den Themenfeldern inter*, trans* und Geschlechtervielfalt im Allgemeinen, sowie parallelen Entwicklungen wie z.B. der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, wäre die Dritte Option-Entscheidung im Jahr 2017 so vermutlich (noch) nicht möglich gewesen.«232 Bereits hier zeigt sich das Diskursfeld mit den Diskursakteuren und ebenso das identitätspolitische Ringen mit dem Ziel einer neuen Identitätspolitik. Noch deutlicher macht dieses Zitat jedoch, dass es in der Regel zwar Einzelpersonen sind, die mit ihren Klagen bis vor das BVerfG eine Neuregelung erwirken, aber diese Einzelpersonen den Weg nur beschreiten können, sofern er ihnen identitätspolitisch bereits eröffnet wird.

2.2.2 Divers: Der Dritte Personenstand Der Deutsche Ethikrat – ein unabhängiger Sachverständigenrat233 – hat 2012 eine Stellungnahme veröffentlicht, welche Intergeschlechtlichkeit umfassend betrachtet. Der Ethikrat hat einen großen Einfluss, sodass seine Stellungnahmen maßgeblich auch das politische Handeln beeinflussen, daher ist der Inhalt durchaus auch für das vorliegende Thema relevant. Zunächst unterscheidet der Ethikrat Inter- und Transgeschlechtlichkeit, indem die Behauptung aufgestellt wird, bei transgeschlechtlichen Personen unterscheide sich das körperliche vom psychischen Geschlecht,234 während die geschlechtliche Zuordnung bei intergeschlechtlichen Personen entlang des Körpers schwierig (vorwiegend männlich/weiblich) oder unmöglich (totale Uneindeutigkeit) sei.235 Der Ethikrat unterscheidet in seiner Stellungnahme zwischen drei Geschlechtsarten; dem biologischen, dem psychischen und dem sozialen Geschlecht. Geschlecht sei kein eindimensionales Merkmal, sondern komplex und zu einem großen Teil im Bereich der Selbstwahrnehmung zu verorten, wenngleich der Ethikrat auch der sozialen Zuordnung Wirkmacht zumisst.236 Das biologische Geschlecht bemisst sich nach Aussage des Ethikrates an der Fortpflanzungsfähigkeit: »Wie alle Säugetiere pflanzen sich Menschen dadurch fort, dass ein männliches und ein davon verschiedenes weibliches Exemplar ihre unterschiedlich ausgeprägten Keimzellen vereinigen und daraus ein neues Lebewesen entstehen kann.«237 Strenggenommen braucht es für die Fortpflanzung jedoch 232 Niedenthal (2021): S. 32. 233 Die Gründung eines Ethikrats folgt dem Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats (EthRG) und benennt unter § 2 Abs. 1. die Aufgabe, dass der Ethikrat »die ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben« verfolgt. Ziel ist es, die Öffentlichkeit zu informieren, die öffentlichen Diskussionen zu fördern, den Einbezug aller gesellschaftlich relevanten Gruppen zu garantieren. Weiter soll der Ethikrat Stellungnahmen und Empfehlungen für politisches wie gesetzgeberisches Handeln bereitstellen (vgl. EthRG). 234 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 26. 235 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 25. 236 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 27. 237 Deutscher Ethikrat (2012): S. 28.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

keine Geschlechtsklassifizierung, sondern lediglich gebärfähige und spermaproduzierende Körper.238 Das biologische Geschlecht wird weiter in verschiedene Eigenschaften unterteilt: die Chromosomen, wobei XX/XY als typische und X0/XXY als Abweichungen benannt werden; die Keimdrüsen (auch Gonaden), wobei hier paarige Hoden oder Eierstöcke als Norm und die Mischung aus beiden als sehr selten bezeichnet werden; die äußeren Geschlechtsorgane und die Hormone.239 Das psychische Geschlecht wird als Geschlechtsidentität benannt und bezeichnet »wie ein Mensch sich vor dem Hintergrund seines Körpers, seiner hormonellen Ausstattung, seines Empfindens und seiner Biografie (einschließlich der kindlichen Erziehungsphase) geschlechtlich einordnet und sich darüber seine sexuelle Identität herausbildet«.240 Spannend ist hier, dass zunächst der Körper und die hormonelle Ausstattung als biologische Geschlechtsmerkmale benannt werden, entlang derer der Mensch eine Geschlechtsidentität ausbildet. In dieser Aussage erfolgt eine Reproduktion der Norm einer Geschlechtskongruenz, welche als solche stark in der Kritik steht. Das soziale Geschlecht wird als »Resultat der Wechselwirkung von Faktoren und Prozessen, die auf verschiedenen biologischen und psychosozialen Ebenen wirksam werden«241 verstanden. Der Ethikrat spricht hier von der Geschlechterrolle, welche im engl. Begriff »gender« erkannt wird.242 Hier widerspricht der Ethikrat dem Grundtenor der sozialwissenschaftlichen Forschung, welche »gender« mit Geschlechtsidentität übersetzt und »gender-role« mit Geschlechterrolle.243 Erstaunlicherweise kommt der Deutsche Ethikrat zu der Erkenntnis, dass die Natur in der modernen Ethik keine Rolle mehr spiele,244 dies aber die äußere wie innere Bindung des Menschen an die Natur verkenne und in dieser Folge von einer »naturgegebenen Geschlechtlichkeit«245 spricht. Medizinische und kulturelle Entwicklung könne die Natur nicht negieren, nur Freiräume schaffen, welche wiederrum »ein Mehr an sozialer Verantwortung«246 mit sich brächten. Der Ethikrat re-essentialisiert Geschlecht hier mittels einer Biologisierung, wobei ebenfalls eine nebensächliche Kulturalisierung aufgerufen wird, die jedoch nicht determinierend wirkt, sondern die biologische Determination lediglich schwächt.247 Dies lässt auch Rückschlüsse bezüglich des folgenden Zitats zu: 238 Hier wird bewusst auf den Begriff der Zeugungsfähigkeit verzichtet, weil dieser suggeriert, der gebärfähige Körper sei lediglich der passive Ort der Austragung, während der spermaproduzierende Körper zu dem Ort erhoben wird, der entlang einer Zeugungsfähigkeit zum aktiven Part konstruiert wird. 239 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 29ff. 240 Deutscher Ethikrat (2012): S. 33f. 241 Deutscher Ethikrat (2012): S. 34. 242 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 34. 243 Diese Unterscheidung wurde im Rahmen der »Doing-Gender« Theorie besprochen. Während um die 1950er Jahre die Begriffe »gender/sex« noch mit »sozialem/biologischem Geschlecht« übersetzt wurden, erfolgte nach einer anhaltenden Auseinandersetzung die Ausdifferenzierung in die Begriffe: »sex« (Körpergeschlecht), »sex-classification« (Geschlechtszuschreibung), »gender« (Geschlechtsidentität), »gender-role« (Geschlechterrolle). 244 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 97. 245 Deutscher Ethikrat (2012): S. 98. 246 Deutscher Ethikrat (2012): S. 98f. 247 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 99.

2. Theoretische Einführung

»Wenn durch die körperliche Konstitution keine eindeutige Geschlechtszuordnung geschaffen worden ist, kommt die Entscheidung über das Geschlecht dem Betroffenen selbst zu. […] Die betroffene Person hat dann mit ihrer angeborenen Zwischengeschlechtlichkeit zu leben und darf erwarten, dass sie von der üblichen Klassifikation befreit ist. Auch hier gilt, dass die Ethik schlecht verbieten kann, was die Natur von sich aus einrichtet – sofern dies dem ausdrücklichen Willen des Einzelnen entspricht und seiner Gesundheit nicht abträglich ist.«248 Intergeschlechtlichkeit – als Uneindeutigkeit des biologischen Geschlechts – wird als natürlich anerkannt. Wenngleich auch hier durch die Betroffenheit eine Abweichung von der gesunden Norm evoziert wird, sollten intergeschlechtliche Personen nicht entlang von kulturellen Vorstellungen zurecht operiert werden, sondern die Entscheidung über die Geschlechtszuordnung in die individuelle Selbstbestimmung übergeben werden. Der Umkehrschluss hingegen wäre dann, dass ein vermeintlich eindeutiges biologisches Geschlecht das Recht auf Selbstbestimmung nicht hat, da hier entlang von sozialen Freiräumen und medizinischer Entwicklung um eine Veränderung der naturgegebenen Geschlechtlichkeit gebeten werde. Als eine Möglichkeit den »schwerwiegende[n] Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht von Intersexuellen«249 zu beenden, benennt der Ethikrat den Verzicht auf die Eintragung des Geschlechts.250 Die Geschlechterzuordnung spiele im deutschen Recht keine große Rolle mehr und wo es eine Rolle spiele, wäre es leicht eine geschlechtsneutrale Bezeichnung zu wählen (bspw. Elternschaft statt Mutter-/Vaterschaft).251 Diese Möglichkeit verwirft der Ethikrat jedoch in seiner personenstandsrechtlichen Empfehlung zugunsten einer Mischung der beiden anderen Formen, indem vorgeschlagen wird, dass nur für Menschen mit uneindeutiger körperlicher Konstitution der 3. Pers.-St. eingeführt werden soll und eine Eintragung bis zu einem gesetzlich zu vereinbarenden Höchstalters offen bleiben dürfe.252

248 Deutscher Ethikrat (2012): S. 100. 249 Deutscher Ethikrat (2012): S. 138. 250 Als weitere Möglichkeiten werden die Schaffung des dritten Geschlechts im Personenstand benannt oder aber das Offenhalten der Eintragung des Geschlechts bis ins Erwachsenenalter (vgl. Deutscher Ethikrat [2012]: S. 139). 251 Vgl. Deutscher Ethikrat (2012): S. 143. 252 Deutscher Ethikrat (2012): S. 177. Der Ethikrat unterscheidet zwischen der genitalvereindeutigenden Operation und der geschlechtszuordnenden Operation. Erstere bezeichnet jene genitalverändernden Operationen, die anatomische Besonderheiten angleichen, während letztere medizinische Interventionen umfasst, die den körperlichen Zustand der Uneindeutigkeit aufheben sollen und mittels genitalschaffender Maßnahmen ein bestimmtes Geschlecht zuordnen (bspw. eine Neovagina) (vgl. Deutscher Ethikrat [2012]: S. 27f.). Da diese Unterscheidung in der vorliegenden Analyse keine Relevanz hat, soll hier nur zwischen genitalvereindeutigenden Operationen und genitalangleichenden Operationen unterschieden werden, um damit die Unterscheidung von transund intergeschlechtlichen Behandlungen zu verdeutlichen, wenngleich beide genitalverändernde Operationen darstellen.

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Die daraufhin im Jahr 2013253 gefundene Regelung » Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen« § 22 Abs. 3 PStG – also die Offenlassung des Geschlechtseintrags bei Menschen mit mehrdeutigem Geschlecht – hat einige rechtliche Baustellen eröffnet. So war bspw. nicht klar, wie im Falle einer bestehenden oder beabsichtigten Ehe bzw. Eingetragenen Lebenspartnerschaft mit dem offenen Eintrag umgegangen werde.254 Die Offenlassung des Geschlechtseintrages ist durch den Gesetzgeber, der die binäre Zweiteilung des Geschlechts auch hier nicht anzweifelt, an die Möglichkeit der Folgebeurkundung gebunden (§ 27 Abs. 3 Nr. 4 PStG), wobei nicht geregelt ist, wer diese abgeben darf und ob hier eine Beweispflicht gefordert ist.255 Andererseits öffnet der Wortlaut auch eine neue Perspektive auf Geschlecht, indem erstmals in einer Rechtsordnung, die den Geschlechtseintrag regelt, der Begriff »zugeordnet« zu finden ist, wodurch Geschlecht ent-essentialisiert wird, ein Geschlecht also nicht selbstverständlich gegeben sei, sondern von außen zugeordnet wird.256 Im Jahr 2014 klagte nun eine intergeschlechtliche Person dafür, dass es gesetzlich anerkannt werden müsse, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.257 Genauer klagte die entsprechende Person, weil der Geschlechtseintrag nicht zutreffend sei und eine Streichung oder Weglassung des Geschlechtseintrages für die klageführende Person keine akzeptable Lösung darstelle, eine derart wichtige Identitätskategorie wie das Geschlecht zu repräsentieren, und verweist mit der Klage auf die fehlende personenstandrechtliche Anerkennung.258 Das BVerfG hält die Verfassungsbeschwerde für begründet, da durch den fehlenden positiven Geschlechtseintrag Art. 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsentfaltung) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Unantastbare Menschenwürde) verletzt werden und ebenso gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Benachteiligung wegen des Geschlechts) verstoßen wird.259 Das Persönlichkeitsrecht schütze auch alle jene Menschen und ihre geschlechtliche Identität, »die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind«.260 Auch hier wird die Ordnungskategorie Geschlecht de-essentialisiert und als

253 Bereits vor 2013 wurde im PStG ein Außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit erkannt. Der Wortlaut »Zweifel für das Geschlecht des Kindes« verweist darauf, dass eine Eindeutigkeit, wie sie dejure gefordert wird, defacto nicht gegeben ist (vgl. Plett [2021d]: S. 82). 254 Vgl. Plett (2021m): S. 235. 255 Vgl. Plett (2021n): S. 248f. Plett schlussfolgert, dass die Verfassung nicht nur eine staatliche Ordnung, sondern auch ein selbstbestimmtes Rechtssubjekt konstituiert. Allerdings sei auch das Selbstbestimmungsrecht durch andere rechtliche Regelungen eingeschränkt, »wie grundsätzlich jedes individuelle Recht in den individuellen Rechten anderer seine Grenze findet« (Plett [2021n]: S. 255). Letzteres zeigt sich bspw. daran, dass Kinder ein Recht auf Auskunft über ihre biologische Herkunft haben. 256 Vgl. Plett (2021n): S. 256. 257 Vgl. Niedenthal (2021): S. 32. 258 Vgl. Niedenthal (2021): S. 33. Eine weitere Person hatte geklagt, weil bei dieser der weibliche Geschlechtseintrag personenrechtlich zugeschrieben wurde, jedoch aufgrund eines nicht weiblichen oder männlichen Chromosomensatzes, einer sogenannten Monosomie (X), eine Intergeschlechtlichkeit feststellbar ist, für eine Eintragung dieser jedoch kein positiver Geschlechtseintrag im Personenstand vorgesehen sei (vgl. Bundesverfassungsgericht [2017]: S. 4; Rn. 1). 259 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 14; Rn. 35. 260 Bundesverfassungsgericht (2017): S. 15; Rn. 36.

2. Theoretische Einführung

von außen zugeschrieben benannt, wenngleich auch die Existenz eines Außerhalb der Binarität aufgerufen wird. Die geschlechtliche Identität selbst wird durch das BVerfG als »ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit« und das Geschlecht als »eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei […], wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird«261 benannt. Erstaunlicher hingegen ist die Schlussfolgerung des BVerfG, dass diese Personen »ihre Persönlichkeit möglicherweise ungehinderter entfalten [könnten], wenn der geschlechtlichen Zuordnung generell geringere Bedeutung zukäme«.262 In dieser Aussage wird jedoch keineswegs die staatliche Ordnungskategorie problematisiert, sondern die gesamtgesellschaftliche Relevanz. Einzig die §§ 21 Abs. Nr. 3 und 22 Abs. 3 PStG werden dahingehend gerügt, dass diese in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Schutz der geschlechtlichen Identität eingreifen und somit die Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit der geschlechtlichen Identität von intergeschlechtlichen Personen gefährden.263 Im Umkehrschluss bedeutet diese Gegenüberstellung, dass die rechtliche Geschlechtsklassifizierung zwar unzureichend ist, aber als solche in ihrer Ordnungsfunktion nicht hinterfragt wird, weil sie eine große gesellschaftliche Wirkmacht hat, wobei die gesellschaftliche Realität mehr als zwei Geschlechter kennt. Dementsprechend geht es nicht um eine Außerkraftsetzung der rechtlichen Geschlechtsklassifizierung, sondern um eine Erweiterung um eine positive Eintragungsmöglichkeit, die ihrerseits eine rechtliche Anerkennung der Intergeschlechtlichkeit als geschlechtliche Identität bedeuten würde:264 »Der Personenstand ist keine Marginalie, sondern ist nach dem Gesetz die ›Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung‹ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PStG). Mit dem Personenstand wird eine Person nach den gesetzlich vorgesehenen Kriterien vermessen; er umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person.«265 Diese Aussage wird vom BVerfG wiederrum damit begründet, dass der Gesetzgeber am Geschlecht als personenstandsrechtlichem Ordnungsmerkmal festhält und sich daraus eine erhebliche Bedeutung des Geschlechts in der Rechtsstellung ergibt.266 »Die Vulnerabilität von Menschen, deren geschlechtliche Identität weder Frau noch Mann ist, ist in einer überwiegend nach binärem Geschlechtsmuster agierenden Gesellschaft besonders hoch.«267 Bezogen auf den Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Benachteiligung wegen des Geschlechts) wird das BVerfG nun hinsichtlich der Beantwortung der Frage deutlicher, ob es einer Geschlechtskategorie im Personenstand bedarf, indem es formuliert, dass der Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG (Gleichberechtigung von Frauen und Männern) zwar lediglich von Frauen und Männern spricht, sich daraus jedoch keineswegs »eine abschließende begriffliche Festlegung des Geschlechts allein auf Männer und Frauen ergibt«,268 sondern lediglich die Aufforderung, Benachteiligungen zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Weiter distanziert sich das BVerfG von der Annahme, dass 261 262 263 264 265 266 267 268

Bundesverfassungsgericht (2017): S. 15; Rn. 39. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 16; Rn. 40. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 16; Rn. 41. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 17; Rn. 44. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 17; Rn. 45. Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 17f.; Rn. 47. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 21; Rn. 59. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 18; Rn. 50.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

die Geschlechterbinarität verfassungswegen vorgegeben sei. Dementsprechend erkennt das BVerfG die Personenstandsregelung als nicht verfassungskonform an. Im Gegensatz zu dem BVerfG-Beschluss in puncto des TSG von 2011, sieht dieser Beschluss betreffend des PStG jedoch eine Frist zur verfassungsgemäßen Neuregelung von einem Jahr für den Gesetzgeber vor.269 Das BVerfG schlussfolgert: »Aus medizinischer Sicht wird an einer allein binären Geschlechtskonzeption nicht festgehalten.«270 Folgend benennt das BVerfG das Phänomen als Varianten der Geschlechtsentwicklung, welche einer angeborenen Variation der genetischen, hormonalen, gonadalen und genitalen Anlagen eines Menschen umfassen kann. Mit dieser Wortwahl distanziert sich das BVerfG ausdrücklich von der Gleichsetzung von Intergeschlechtlichkeit mit einer Fehlbildung oder Krankheit,271 weshalb in diesem Zusammenhang auch nicht über eine Heilung gesprochen werden sollte.272 Das BVerfG kam 2017 zu dem Schluss, dass § 21 Abs. 1 Nr. 3 des ursprünglichen PStG in Verbindung mit § 22 Abs. 3 des ursprünglichen PStG gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstößt, da keine gesetzliche Regelung vorgesehen sei, die eine Geschlechtszugehörigkeit außerhalb der Kategorien männlich und weiblich ermöglicht, obwohl neuere wissenschaftliche Erkenntnisse diese weiteren Geschlechtsklassifizierungen bestätigen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Vorschläge des BVerfG entweder einen weiteren positiven Geschlechtseintrag zu schaffen oder aber gänzlich auf einen verpflichtenden Geschlechtseintrag bei allen Menschen zu verzichten.273 Wenngleich der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Neuregelung nachgekommen ist, so gilt diese Neuregelung in Einschränkung, und zwar nur dann, wenn eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden kann, welche die »Varianten der Geschlechtsentwicklung« bestätigt. Sollte bereits eine genitalvereindeutigende Operation stattgefunden haben 269 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 3. Dass die Gesetzesänderung bezüglich einer dritten Geschlechtskategorie im PStG deutlich schneller vollzogen wurde als beim TSG, liegt einzig an der Aufforderung des BVerfG, bis zum 31.12.2018 – also binnen einer Ein-Jahresfrist – eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen (vgl. Niedenthal [2021]: S. 33). 270 Bundesverfassungsgericht (2017): S. 7; Rn. 9. 271 In diesem Zusammenhang problematisiert Plett die genitalvereindeutigenden Operationen an intergeschlechtlichen Personen – allen voran Säuglingen und Kleinkindern –, die allzu häufig eine lebenslange medikamentöse Behandlung und lebenslang sich wiederholende plastische Operationen bedeuten, welche immer wieder mit Nebenwirkungen verbunden sein können (bspw. der Fistelbildung): »Auf diese Weise trägt die Medizin zur Durchsetzung einer exklusiven Zweigeschlechtlichkeit bürgerlicher Gesellschaften bei […]« (Plett [2021e]: S. 88). Für Plett verweisen die medizinische Handhabe und die auf Binarität ausgerichtete Rechtsordnung auf ein Ineinandergreifen von Recht und Medizin (vgl. Plett [2021e]: S. 89): »Die Angehörigen der medizinischen Profession glauben sich mit ihren Behandlungsmethoden im Recht, weil das Recht von ihnen eine Antwort erwartet – und das Recht bleibt, wie es ist, weil seitens der Medizin die erwartete eindeutige Antwort gegeben wird« (Plett [2021e]: S. 97). In Bezug auf Intergeschlechtlichkeit gibt das Recht im Gegensatz zur rechtlichen Regelung der Transgeschlechtlichkeit bzw. der PÄ keine Operationspflicht vor, wobei die gesetzliche Vorgabe für eine PÄ eine genitalangleichende Operation durchführen zu müssen (seit 2011 wurde der Paragraph außer Kraft gesetzt) das medizinische Bestreben nach genitalvereindeutigenden Operationen bei Intergeschlechtlichkeit legitimiert und stützt. 272 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): S. 7; Rn. 9. 273 Vgl. Niedenthal (2021): S. 33.

2. Theoretische Einführung

und eine erneute Untersuchung nicht zumutbar sein, so darf eine eidesstattliche Erklärung abgegeben werden.274 Im Zusammenhang mit der geforderten Bescheinigung gab es nach kurzer Zeit Kontroversen, da die Bescheinigung einer Varianz der Geschlechtsentwicklung keine konkreten Definitionen von Varianz oder Geschlechtsentwicklung beinhaltet, und von der Geschlechtsidentität ausgegangen, würde dies durchaus auch transgeschlechtliche Personen mit einbeziehen. Da aus der standesamtlichen Praxis vermehrt von solchen Fällen berichtet wurde, schärfte das Innenministerium der Länder in einem Rundbrief die Definition der Zielgruppe des § 45b PStG, indem eingeschränkt wurde, dass dieser nur intergeschlechtlichen Menschen offen stünde.275 Bei intergeschlechtlichen Menschen wiederum seien Genital, Geschlechtschromosomen, Hormone und Gonaden inkongruent. Eine Varianz der Geschlechtsentwicklung wird somit mit Intergeschlechtlichkeit gleichgesetzt.276 »Diese gesetzliche Ungleichbehandlung von inter- und transgeschlechtlichen Personen bestätigt erneut das vermeintliche Körpergeschlecht als Essenz der Geschlechtsklassifizierung, da Intergeschlechtlichkeit als natürliche Varianz anerkannt wird, während bei Transgeschlechtlichkeit keine körperliche Essenz als Glaubhaftigkeit anzuerkennen ist, wodurch eine juristische Beglaubigung und Begutachtung legitimiert wird.«277 Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hat aus diesem Grund ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches den Begriff der Varianz der Geschlechtsentwicklung in seiner rechtlichen Tragweite untersuchen sollte. Neben der Erkenntnis, dass im medizinwissenschaftlichen Verständnis – so bspw. im ICD-11 und DSM-5 – der Begriff Geschlechtervarianz ausschließlich für Intergeschlechtlichkeit genutzt wird, verweist das Gutachten aber ebenfalls auf die Formulierungen in der Empfehlung des Deutschen Ethikrats (2012) und des BVerfG-Beschlusses, welche die Geschlechtsidentität bzw. das psychisch-soziale Geschlecht als einen von vielen Indikatoren für die Bestimmung der Geschlechtsentwicklung anerkennen.278 Entlang dieser unterschiedlichen Sichtweisen kommt das Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass nicht von einer einheitlichen Definition des Geschlechts und der Geschlechtsentwicklung ausgegangen werden kann und dementsprechend hier weder das eine, noch das andere Kriterium bevorzugt werden dürfe und demnach eine Einschränkung der Varianz der Geschlechtsentwicklung auf Intergeschlechtlichkeit

274 Vgl. Niedenthal (2021): S. 34f. 275 Plett führt in diesem Fall als elementarstes Grund- und Menschenrecht das Gleichheitsrecht an: »Der Gleichheitssatz bedeutet grundsätzlich, dass Gleiches gleich behandelt werden muss, Ungleiches hingegen ungleich behandelt werden darf« (Plett [2021e]: S. 90). Im Zuge dessen fragt Plett danach, ab wann Gleichheit oder Ungleiches gegeben ist, ob das Geschlecht nur körperliche Merkmale sind oder möglicherweise eine Lebensform. Da körperliche Merkmale bei der Geburt noch nicht zur Gänze entwickelt sind, hält Plett diese Wahrnehmung des Geschlechts als fehleranfällig und unzureichend, da Geschlechtsmerkmale zwar bei der Geburt bereits angelegt, aber noch nicht entwickelt sind (vgl. Plett [2021e]: S. 91). 276 Vgl. Mangold et al. (2019): S. 12. 277 Vanagas; Vanagas (2021): S. 299. 278 Vgl. Mangold et al. (2019): S. 3.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

als Grundlage für rechtliche Entscheidungen stark anzuzweifeln ist. Weiter betont das Rechtsgutachten, dass eine binäre Einteilung entlang einer Biologisierung der Geschlechterklassifizierung im Personenstand eine immanente Norm produziere.279 Ebenfalls steht in Kritik, dass das Bundesministerium des Inneren außer Acht lasse, dass die Änderung des § 22 Abs. 3 PStG die Ist- in eine Kann-Regelung geändert habe: »Der geschlechtlich uneindeutig gelesene Körper eines Neugeborenen führt seitdem nicht mehr zwangsläufig zu einer Offenlassung der Eintragung. Die neue Gesetzeslage anerkennt also, dass die weitere geschlechtliche Entwicklung unabhängig von der körperlichen Verfasstheit erfolgen kann. Personen, deren Körper als geschlechtlich uneindeutig eingeordnet werden, können ein eindeutig binäres Geschlecht genauso entwickeln wie ein Geschlecht zwischen oder jenseits der Vorstellung von ausschließlich zwei Geschlechtern. Dadurch bricht das Personenstandsrecht nun insgesamt mit einem rein somatisch-biologisch determinierten Verständnis von Geschlecht.«280 Im Ergebnis beantwortet das Rechtgutachten die Frage danach, wie der Begriff Varianz der Geschlechtsentwicklung auszulegen sei damit, dass sowohl somatische als auch psychosoziale Aspekte zu berücksichtigen seien und ärztliche Bescheinigungen einer Varianz der Geschlechtsentwicklung bei transgeschlechtlichen Personen somit keinen Straftatbestand darstellen.281 Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), welche im Beschluss XII ZB 383/19 vom 22.04.2020 für transgeschlechtliche Personen dezidiert die Möglichkeit eröffnet, dass diese den Personenstand »divers« oder eine Streichung des Personenstandes beantragen, dies allerdings nur entlang des Verfahrens nach dem TSG erfolgen kann.282 In Anlehnung an Barta und Schrader (2021) soll hier die Formulierung »binäre« transgeschlechtliche Personen eingeführt werden.283 Der Begriff gilt für jene Menschen, die nicht cisgeschlechtlich sind, aber sich in das binäre Geschlechtersystem mit den Polen männlich und weiblich einteilen. Jene transgeschlechtlichen Personen, die sich als intergeschlechtlich, non-binär oder als ageschlechtlich beschreiben, werden folgend als »genderqueere« transgeschlechtliche Personen benannt.

2.2.3 Angrenzende Rechtsbereiche Neben dem TSG und dem dritten Personenstand finden sich weitere Rechtsbereiche und Gesetzestexte, welche Geschlecht begrifflich und definitorisch berücksichtigen. In der Studie von Althoff et al. wurden Rechtstexte bezüglich der Kategorie Geschlecht untersucht und in verschiedene Fallgruppen unterteilt: (1) Die erste Gruppe verwendete geschlechterbinäre Begriffe ohne eine geschlechterdifferenzierende Rechtsfolge. (2) Die zweite Gruppe subsummiert Regelungen mit geschlechterdifferenzierender

279 280 281 282

Vgl. Mangold et al. (2019): S. 4f. Mangold et al. (2019): S. 11. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 24. Vgl. Niedenthal (2021): S. 36. Auf diesen Beschluss des BGH erfolgte eine Verfassungsbeschwerde, die bisher noch anhängig ist (vgl. Niedenthal [2021]: S. 37). 283 Vgl. Barta; Schrader (2021): S. 159.

2. Theoretische Einführung

Rechtsfolge. (3) Die dritte Gruppe regelt unterdessen die Erhebung und Übermittelung von Geschlecht. (4) Eine vierte Gruppe regelt das Formularwesen. Auf Gruppe (1) und Gruppe (4) soll hier nicht genauer eingegangen werden.284 Besonders relevant ist die Gruppe (2), welche Regelungen mit einer geschlechterdifferenzierenden Rechtsfolge verbinden. Diese Gruppe ist deshalb so interessant, weil auch das BVerfG festgestellt hat, dass Geschlecht mit der Zuweisung von Rechten und Pflichten verbunden sei und diese Zuordnung innerhalb dieser Gruppe ermittelbar wird.285 Im Folgenden soll die Aufteilung von Althoff et al. in acht Kategorien übernommen und mit weiteren Ausführungen ergänzt werden. (1) Abstammungsrechtliche Regelungen klären die abstammungsrechtliche Elternschaft und unterstellen hierzu geschlechtsspezifische Voraussetzungen. Auch das Abstammungsgesetz im Familienrecht unterliegt einer Biologisierung.286 Plett weist darauf hin, dass die Rechtsnorm erst seit 1998 definiert, wer gesetzlich als Mutter gilt (§ 1591 BGB).287 Diese Definition wurde im Zuge der Machbarkeit einer Ersatzmutterschaft (auch Leihmutterschaft) notwendig, wenngleich diese in Deutschland verboten ist. Die Gebärmutter erhält hier nach Plett den abstammungsrechtlichen Vorzug vor der Eizelle.288 Im Abstammungsrecht sorgen vor allem die Begriffe der Mutter- und Vaterrolle für rechtliche Geschlechtererwartungen. Gebiert eine laut Personenstand männlich-klassifizierte Person ein Kind, so wird diese Person durch das Verwandtschaftsgesetz automatisch als Mutter eingetragen, da unter § 1591 BGB Mutterschaft wie folgt definiert wird: »Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.«289 Haben Personen also einen offenen, diversen oder männlichen Geschlechtseintrag in ihrem Personalausweis stehen, wird in die Geburtsurkunde des Kindes trotzdem die Rolle der Mutter zugewiesen.290 Soziologisch wird Mutterschaft hingegen vor allem als Eigenschaft des weiblichen Geschlechts definiert. Kinderwunsch und Mutterliebe werden im neuzeitlichen Diskurs immer noch als vermeintlich natürliche Instinkte einer weiblichen Natur postuliert: »Erstaunlich stabil erweist sich die alltagsweltliche Semantik, in der Mutterschaft immer noch als biologisches Programm,

284 Gruppe (1): Entlang der Bestrebung sprachliche Geschlechterparität zu erzeugen, gibt es zahlreiche Gesetze, die Geschlecht als Kategorie aufrufen, jedoch keine geschlechterdifferenzierende Gesetzgebung vorweisen. In diesen Gesetzen könnte begrifflich auf »Personen/Menschen gleichwelchen Geschlechts« ausgewichen werden (vgl. Althoff et al. [2017]: S. 31). Gruppe (4): Formulare erfragen häufig das Geschlecht, jedoch sei dies in der Regel nicht notwendig, wodurch die Abfrage des Geschlechts auf den Formularen/Mustern gestrichen werden könnte. Geschlechterspezifische – aber binäre – Sprache könnte hier problemlos in genderinklusive oder genderneutrale Sprache geändert werden (vgl. Althoff et al. [2017]: S. 43). 285 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 32ff. 286 Vgl. Plett (2021f): S. 111. 287 Nach Plett erhielt das Geschlecht Einzug in das Recht, als das Familienrecht geregelt wurde (vgl. Plett [2021a]: S. 37). »Das Geschlecht der einzelnen Menschen spielt erst dann eine Rolle, wenn es um die Hervorbringung von Nachkommenschaft geht« (Plett [2021g]: S. 127). Das Familienrecht ist nach Plett ein unterschätztes Recht, weil verkannt wird, dass es maßgeblich an der rechtlichen Konstruktion von Geschlecht und geschlechtsspezifischen Aufgabenzuweisungen beteiligt ist (vgl. Plett [2021g]: S. 127). 288 Vgl. Plett (2021f): S. 113. 289 § 1591 BGB. 290 Vgl. Niedenthal (2021): S. 38.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

naturgegebene Aufgabe und Fähigkeit verstanden wird, und in die der Topos einer naturhaften, instinktiven Mutterliebe eingeschrieben ist« schlussfolgert auch Thiessen.291 Vor allem die pluralen und heterogenen familialen Konstellationen führen jedoch zu einer Ausweitung der Mutterschaftskonzepte. Dies sei kaum verwunderlich, da »Mutterschaft als körperliche und psychische Erfahrung […] in kulturell und sozialisatorisch vorgegebenen Mustern interpretiert«292 wird. Thiessen sieht Mutterschaft daher nicht naturhaft und vorbestimmt, sondern als Performance und somit durch ein »Doing Motherhood« abgesichert.293 Hinsichtlich der mit Mutter- und Vaterschaft verbundenen geschlechtlichen Rollenerwartungen muss berücksichtigt werden, dass durch die Einführung des »Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz« (BEEG) im Jahr 2017 die neue Vaterrolle eine rechtliche Stärkung erhielt und Vätern eine aktive Beteiligung an der Elternzeit und eine gleichberechtigte Arbeitsteilung beider Geschlechter gesetzlich geregelt wurden.294 Die Veränderung dejure führt defacto nicht zu einer Neuverteilung bzw. Umverteilung der Arbeitsteilung, allerdings geraten Männlichkeitsvorstellungen und allen voran die Vaterrolle ins Wanken, was schließlich in der heutigen Zeit durch ein vermehrtes Interesse der Väter an der Betreuung der Kinder oder gar an der Elternzeit führte.295 »Vaterschaft steht in einem relationalen Verhältnis zu Mutterschaft, Männern und Frauen werden qua Geschlecht differente Kompetenzen und Fähigkeiten im Umgang mit Kindern zugesprochen.«296 Es kann also festgestellt werden, dass die traditionale Vaterrolle brüchig wird und sich Familienrollen in einer gesellschaftlichen Aushandlung befinden.297 Doch auch der Wandel der Reproduktionsmedizin macht es nun möglich, ein Embryo mit dem Erbmaterial aus drei Elternteilen zu zeugen und erfolgreich zu gebären. 291

292 293

294 295 296

297

Vgl. Thiessen (2019): S. 1142. Interessanterweise ist diese Konstruktion an zwei gesellschaftliche Transformationen geknüpft; der Kinderwunsch an das Aufkommen hormoneller Verhütung als selbstbestimmte Verhütung gebärfähiger Personen und die Mutterliebe an die Debatten um das Phänomen der Kindstötung im 19. Jhd. (vgl. Thiessen [2019]: S. 1143). Thiessen (2019): S. 1145. Vgl. Thiessen (2019): S. 1146. Die jahrhundertelange Ausgrenzung der Frau aus dem öffentlichen Bereich und ebenso aus der Erwerbsarbeit zeichnete den Mann als Versorger der Familie, der die häusliche Produktion – also Kindererziehung und Reproduktionsarbeit – überwacht (vgl. Behnke; Lengersdorf; Meuser [2019]: S. 1133), was insgesamt »wirkmächtige Vaterschaftsmodelle, insbesondere die Figur des Vaters als Ernährer, aber auch als Oberhaupt der Familie in der spezifischen Tradition der bürgerlichen Geschlechterordnung« konstruierte (Behnke; Lengersdorf; Meuser [2019]: S. 1132). Anfang der 1980er Jahre erfolgten im Zuge des ersten Männlichkeitsdiskurses erste Auseinandersetzungen um das traditionale Vaterbild, welches nun maßgeblich in Fokus des Geschlechtergleichheitspostulats rückte, da das »intra-familiale[s] Engagement des Vaters […] zur Verwirklichung von Geschlechtergleichheit und zu einem Wandel der geschlechtlichen Arbeitsteilung« (Behnke; Lengersdorf; Meuser [2019]: S. 1134) beitrage. Vgl. Behnke; Lengersdorf; Meuser (2019): S. 1134. Vgl. Behnke; Lengersdorf; Meuser (2019): S. 1135. Behnke; Lengersdorf; Meuser (2019): S. 1136. Nicht zuletzt wegen der anhaltenden Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt kann im Rekurs auf geschlechterdifferenzierende und biologisierende Annahmen – bspw., dass nur Frauen stillen können – ein »maternal gatekeeping« festgestellt werden, welches als weibliches Bemühen verstanden wird, die Deutungshoheit über die Care-Arbeit zu behalten (vgl. Behnke; Lengersdorf; Meuser [2019]: S. 1136). Vgl. Behnke; Lengersdorf; Meuser (2019): S. 1137.

2. Theoretische Einführung

Bei der Methode wird ein Teil des Erbguts in der Eizelle der einen Mutter, welche an einer mitochondrialen Erkrankung leidet, durch eine entkernte Spender-Eizelle mit gesunden Mitochondrien ersetzt.298 Auch wenn dieses Verfahren in Deutschland nicht erlaubt ist, so werden sich Menschen mit deutscher Nationalität und Kinderwunsch sicher nicht davon abhalten lassen, im Ausland diese vielversprechende Behandlung in Anspruch zu nehmen. Dennoch hält die Gesetzgebung an der Mutter/Vaterschaft und einer damit verbundenen gesetzlichen Zuschreibung geschlechtlicher Eigenschaften wie Zeugungsund Gebärfähigkeit fest. Intergeschlechtliche und transgeschlechtliche Personen werden in dieser Gesetzgebung nicht angemessen erfasst, da sie gesetzlich nicht als Mütter oder Väter gelten, da die Mutter-/Vaterrolle mit der Fortpflanzungsfunktion verknüpft wird.299 Um eine Elternschaft zu begründen, müssen trans- und intergeschlechtliche Personen derzeit eine geschlechtliche Falschzuordnung und damit Ungleichbehandlung hinnehmen.300 Menschen ohne Personenstandseintrag erhalten somit durch die rechtliche Mutter-/Vaterrolle eine Geschlechtszuordnung und Menschen mit diversgeschlechtlichem Personenstand müssen sich erneut in die Binarität zwingen.301 Eine binär-konstruierte rechtliche Elternschaft bedeutet somit eine fehlende rechtliche Anerkennung von genderqueerer Elternschaft. Die weiteren rechtlichen Kategorien sehen bspw. (2) Regelungen zu rechtlich geschützten Partnerschaften vor, welche seit der Veröffentlichung der Studie stark novelliert wurden, da durch die sogenannte »Ehe für Alle« das Lebenspartnerschaftsgesetz wegfällt und somit keine Unterschiede mehr zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren – welche den Ehestand eingehen wollen – bestehen. Die Regelungen der verfassungsrechtlich geschützten Ehegemeinschaft nehmen zwar binäre Formulierung vor, so auch die §§ 1416 bis 1563 BGB bezüglich der güterrechtlichen Regelung, allerdings geben diese keine geschlechtsabhängigen Unterschiede vor.302 Somit fällt die zweite Kategorie in dieser Gruppe folgend in die Gruppe (1). (3) Vorschriften zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern finden sich in zahlreichen Regelungen u.a. bezogen auf die paritätische Geschlechtervertretung in Gremien- und Stellenbesetzungen, Gleichstellungsplänen und -instrumenten, aber auch in jenen Regelungen, die eine Gleichstellung nach Art. 3 Abs. 2 GG gewährleisten wollen. In vielen der soeben benannten Gesetze werden inter- und transgeschlechtliche Personen jedoch nicht ausdrücklich erfasst und somit hinsichtlich der Gleichstellung nicht berücksichtigt. Einzig diskriminierungsschützende Normen beziehen sich im Allgemeinen auf das Geschlecht und gelten somit auch für inter- und transgeschlechtliche Personen wie wei298 Vgl. Ärzteblatt (2017); vgl. Zeit-Online (2016). Bereits 2015 wurde ein ähnliches Verfahren mit bereits befruchteten Eizellen erfolgreich durchgeführt, was jedoch moralische Bedenken bei manchen Eltern hervorruft, da so Embryonen – wenngleich in einem sehr frühen Entwicklungsstadium – als Ausschuss-Humanressource entsorgt werden (vgl. Zeit-Online [2015]). 299 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 32. 300 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 33. 301 Wobei transgeschlechtliche Personen wieder ihrem Ausgangsgeschlecht zugewiesen werden, was durchaus ein Trigger sein kann, da ein Passing nicht nur mit positiven Erlebnissen verbunden wird und die Lebenszeit in der als falsch empfundenen Geschlechtszuordnung teilweise verdrängt wird oder noch nicht verarbeitet ist. 302 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 33f.

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tere genderqueere Kategorien (bspw. non-binary, agender, genderfluide Personen).303 Plett stellt die These auf, dass sich eine strukturelle (Geschlechts-)Diskriminierung durch eine Betrachtung des Normgefüges und der »wechselseitigen Beziehung zwischen zwei oder mehr Rechtsorten« ergibt.304 »Rechtstexte haben eine eigene Grammatik; denn sie beschreiben nicht etwas, sondern schreiben etwas vor.«305 Ein Gleichheitsgebot wie in Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich« enthält somit immer auch ein Diskriminierungsverbot.306 Diskriminierungen grenzen Menschen aus, benachteiligen sie oder fügen ihnen Gewalt zu,307 jedoch bezieht sich dies immer nur auf eine Ausgrenzung, Benachteiligung oder Gewalttat gegenüber einem Merkmalträger. Diskriminierung basiert demnach auf kategorialen Unterscheidungen,308 welche diejenigen markiert, die von einer gesellschaftlich geteilten sozialen Norm abweichen. In der Regel erfolgen die Unterscheidungen zwischen Norm und Abnorm binären Unterteilungen wie männlich/weiblich,309 hetero/homo, aber seit geraumer Zeit auch cisgeschlechtlich/genderqueer: »Denn diskriminierende Unterscheidungen sind nicht allein als Begründungen und Legitimationen von Positionszuweisungen in vorgängig bzw. unabhängig von ihnen existierenden sozialen Hierarchien bedeutsam; sie artikulieren zudem gesellschaftlich einflussreiche Ordnungs- und Normalitätsvorstellungen, denen als Regulierungen legitimer sozialer Teilhabe und als Grundlage sozialer Positionszuweisungen eine eigenständige Bedeutung zukommt.«310 Diskriminierungen enthalten demnach immer auch die Dimension der Zuschreibung von Zugehörigkeit und der Zuschreibung von (zumeist negativen) Eigenschaften zu diesen Zugehörigkeiten, welche im Diskriminierungsakt als Identitätszuschreibungen neben der sozialen Benachteiligung auch zu einer Beschädigung der Selbstachtung führen können, wodurch die eigene Identität als eigensinnig wahrgenommen wird:311 »Soziale Privilegierungen und Benachteiligungen treten in der Perspektive der soziologischen Ungleichheitsforschung so betrachtet zentral als sozioökonomisch bedingte […] in den Blick, die durch politische Machtverhältnisse abgesichert werden und die weit reichende direkte und indirekte Folgen für die Lebensbedingungen und Lebenschancen haben.«312 Mit einem Diskriminierungsverbot bemüht sich der Gesetzgeber um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen im Staat und der Gesellschaft, wobei der Rechtstext auch hier, entlang des Gleichheitsgebot Unterscheidungsmerkmale heranzieht,313 so bspw. in

303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313

Vgl. Althoff et al. (2017): S. 34f. Plett (2021c): S. 54. Plett (2021b): S. 45. Vgl. Plett (2021b): S. 46. Vgl. Scherr (2014): S. 7f. Vgl. Scherr (2014): S. 8. Vgl. Scherr (2014): 18. Scherr (2014): S. 29. Vgl. Scherr (2014): S. 29. Scherr (2014): S. 6. Vgl. Plett (2021b): S. 46.

2. Theoretische Einführung

Art. 3 Abs. 3 GG: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.«314 Plett fragt zurecht in Form einer paraphrasierenden rhetorischen Frage, ob Diskriminierungen gegen alle nicht aufgelisteten Merkmale im Umkehrschluss dann erlaubt seien, und verneint dies, da es sich um spezielle Gleichheitssätze handle, die den Art. 3 Abs. 1 nicht einschränken, sondern nur spezifizieren.315 Die rechtlichen (4) Regelungen zum Nachteilsausgleich sind darum bemüht Geschlechtergleichheit herzustellen, jedoch existieren sie nur noch in geringer Zahl. So bspw. läuft die Altersrente für Frauen bald aus, während andere Regelungen, die zunächst Frauen vorbehalten waren, nun auch für Männer gelten – bspw. § 28 des Beamtenversorgungsgesetz.316 Transgeschlechtlichkeit wird ebenfalls im Gleichheitsdiskurs als »sexuelle Identität« erfasst. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird darunter folgendes erfasst: »Der Begriff der ›sexuellen Identität‹ entspricht der bereits zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in § 75 Betriebsverfassungsgesetz erfolgten Wortwahl. Erfasst werden homosexuelle Männer und Frauen ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen.«317 In der soziologischen Sexualwissenschaft werden unter dem Begriff der »sexuellen Identität« vier Teilmengen subsummiert, zum einen die (1) individuelle Geschlechterwahrnehmung bestehend aus »sex« und »gender«, zum anderen auch (2) die Geschlechterrolle, darüber hinaus (3) die sexuelle Orientierung, die eine Partner*innenwahl als Begehrensobjekt umfasst, und weiter (4) das sexuelle Begehren, welches sich durchaus von den übrigens Teilmengen unterscheiden kann.318 Ähnlich dem soziologischen Verständnis, definiert Plett die »sexuelle Identität« als Oberbegriff von Geschlecht und sexueller Orientierung.319 Plett versteht unter »sexueller Identität die Aspekte der Persönlichkeit eines Menschen, die mit seinem Geschlecht und seinen geschlechtlichen Wünschen verbunden sind, also sowohl das Körpergeschlecht als auch das sog. psychische Geschlecht und die Sexualität im Sinne persönlich-individueller Präferenzen.«320 In diesem Sinne sei das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durchaus nicht nur auf die sexuelle Orientierung zu beziehen, sondern auf alle Teilmengen des Oberbegriffs »Sexuelle Identität«.321

314

Seit geraumer Zeit, mit besonderer Dynamik jedoch erst seit 2020 und als politische Aushandlung seit 2021, wird der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 GG entlang des Rasse-Begriffs kritisiert. Dieser sollte durch einen positiven Begriff ersetzt werden, was jedoch bezogen auf die anstehende Bundestagswahl zunächst von der Koalition aus CDU/CSU und SPD abgelehnt wurde (Tagesschau [2021b]). Weitere Bestrebungen in diesem Kontext fordern zusätzlich die ausdrückliche Benennung der »sexuellen Identität« (FDP; Die Linke; Bündnis 90/Die Grünen [2019]; Lesben- und Schwulenverband [2021]). 315 Vgl. Plett (2021b): S. 46. 316 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 35. 317 BR-Drs. 329/06, S. 32 bzw. BT-Drs. 16/1780, S. 31. 318 Schmidt et al. (2012): S. 20f. 319 Vgl. Plett (2021i): S. 183. 320 Plett (2021j): S. 198. 321 Vgl. Plett (2021i): S. 184.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Weitere (5) Regelungen finden sich im Schutz von Schwangerschaft und Mutterschaft und stehen unter anderem im Mutterschutzgesetz (MuschG), aber auch im Sozialgesetzbuch, wobei sie sich alle auf den Art. 6 Abs. 4 GG (Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft) beziehen.322 Das im Jahr 2017 novellierte MuschG enthält unterdessen eine neue Formulierung, welche sich nicht mehr auf die Kategorie Frau stützt: »Dieses Gesetz gilt für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt.«323 Eine derart genderneutrale Formulierung ist vorausschauend hinsichtlich weiterer Geschlechterdekonstruktionen im Recht. (6) Wehrpflicht und zivile Dienstleistungspflicht beziehen sich in aktueller Form nur noch auf den Spannungsund Verteidigungsfall, jedoch immer noch ausschließlich auf Männer. Frauen werden in einem solchen Rahmen in der zivilen Dienstleistungspflicht benannt. Personen ohne oder mit diversem Geschlechtseintrag werden hier nicht benannt und weiter ist nicht klar, ob die Regelungen auch für Menschen nach einer PÄ gelten.324 (7) Die Nutzung von Sanitäranlagen wird bspw. im § 4 Abs. 2 Satz 4 der Arbeitsstättenverordnung geregelt und sieht eine für Männer und Frauen getrennte Nutzung vor. Welche Sanitäranlagen intergeschlechtlichen Personen offenstehen oder Personen ohne Personenstand, wird nicht geregelt.325 Da Sanitäranlagen Räume des alltäglichen Bedarfs darstellen, ist diese gesetzliche Leerstelle für jene Menschen mit Geschlechtern, die von dem Gesetz ausgeschlossen werden unzumutbar. (8) Geschlechtsspezifische Regelungen zur Unterbringung und Durchsuchung regelt das Strafvollzugs- und Bundespolizeigesetz, was gemäß § 140 Absatz 2 StVollzG ebenfalls eine räumliche Trennung von Männern und Frauen vorsieht.326 Im Prinzip gelten in diesem Sinne die unter Kategorie (7) dargestellten Kritikpunkte. Plett mahnt, dass aus historischer Sicht »Rechtsnormen, die auf Geschlecht rekurrieren, zunächst mit der menschlichen Reproduktion zu tun« hatten. Wie der Zeitstrahl – als ein Auszug von einige Gesetzesänderungen – zeigt, ist das heteronormative Recht brüchig geworden, sodass sich mit Plett die Frage stellt, »ob das Festhalten an der Registrierung überhaupt noch einen Sinn macht [sic]«.327

322 323 324 325 326 327

Vgl. Althoff et al. (2017): S. 36. Mutterschutzrecht (2017): S. 2. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 36. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 37. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 37. Plett (2021l): S. 220.

2. Theoretische Einführung

Abb. 1: eigene Darstellung328

Widersprochen werden muss der Aussage von Plett, dass wir »uns also in einem Stadium, in dem die traditionelle Heteronormativität in Auflösung begriffen ist, aber die Geschlechterdichotomie noch aufrechterhalten wird«, befinden.329 Vielmehr handelt es sich um eine Art Stellungskampf, in dem eine Position um die Beibehaltung der heteronormativen Rechts- und Gesellschaftsordnung kämpft, während die andere Position darum bemüht ist diese aufzubrechen. Neben den Bemühungen um eine Novellierung des Geschlechtseintrages im Personentand gibt es bspw. anhaltend Bestrebungen um eine Gleichstellung lesbischer Ehen bezogen auf das Familienrecht. Um diesen Stellungskampf herauszuarbeiten, wird im folgenden Kapitel die Methode der wissenssoziologischen Diskursanalyse herausgearbeitet, mit der im Anschluss der gesellschaftliche Diskurs um ein mögliches Selbstbestimmungsgesetz analysiert werden soll.

2.3 Geschlechterbinäres und geschlechterplurales Denksystem Die zuvor dargestellten Entwicklungen auf Ebene der Geschlechterordnung und auf Ebene der Geschlechtertheorien verweisen auf eine Transformation des Geschlechterwissens. Der historische Wandel verweist auf die Entstehung zweier Denksysteme, 328 Die eigene Darstellung des Zeitstrahls »Geschlecht im Recht mit Fokus auf Transgeschlechtlichkeit« verwendet bewusst keine lineare grade Linie, da diese eine Entwicklung mit Fortschritt und Verbesserung gleichsetzt. Die Wellen und Schlaufen sollen darauf verweisen, dass Transformation nicht immer in eine Richtung und in gesellschaftlicher Übereinkunft erfolgt. 329 Vgl. Plett (2021l): S. 221.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

mittels derer soziale Phänomene, allen voran Geschlecht ausgedeutet werden. Die Denksysteme, das wird der Diskurs zeigen, stehen derzeit nebeneinander und duellieren gesellschaftlich um Deutungshoheit. Es handelt sich auf der einen Seite um das geschlechterbinäre Denksystem und auf der anderen Seite um das geschlechterplurale Denksystem. Da beide auf unterschiedliche Weise die Welt, soziale Phänomene und auch den nachfolgenden Diskurs ausdeuten, entsteht der Eindruck, dass Menschen, obwohl sie im gleichen Land leben und einer Gesellschaft angehören, verschiedene Sprachen sprechen und aneinander vorbeizureden scheinen. Aus diesem Grund soll zunächst eine kurze Darstellung der dualistischen Denkmuster erfolgen.

Abb. 2: eigene Darstellung

Das geschlechterbinäre Denkmuster fußt auf der Annahme der Anisogamie. Anisogamie umfasst begrifflich, dass Menschen mittels sexueller Fortpflanzung entlang der Verschmelzung von zwei dichotomen Gameten ihre Arterhaltung sichern. Daraus abgeleitet werden zum einen die Binarität, also die Annahme Geschlecht sei in zwei Kategorien differenzierbar, und zum anderen die Heterosexualität, also die Annahme Sexualität sei zweckmäßig immer auf diese Gegensätzlichkeit ausgerichtet. Die daraus hervorgehende Heteronormativität erkennt Zweigeschlechtlichkeit (Binarität) und gegengeschlechtliches Begehren (Heterosexualität) als gesellschaftliche Norm an. Während dejure die Binarität durch den Personenstand gesichert wird, entfaltet sich die Heteronormativität defacto in der gesellschaftlichen Interaktion. Akteure, die entlang des geschlechterbinären Denkmusters politisch agieren, fordern staatlich zugesicherte Vorrechte für die heteronormative Lebensform, indem die traditionale, heterosexuelle Kleinfamilie als gesellschaftliche Ordnung verstanden wird (Top Down). Das geschlechterplurale Denkmuster fußt auf der Annahme, dass Geschlecht als Spektrum zu verstehen sei und Fortpflanzung durchaus ohne Kategorisierung und gesellschaftliche Ordnungsbestrebungen erhalten bleibe. Daher werden Binarität und Heteronormativität als gesellschaftliche Exklusionsmechanismen in einer defacto plu-

2. Theoretische Einführung

ralisierten Gesellschaft verstanden und es wird aus diesem Grund nach neuen Gesetzgebungen gefordert, die dejure Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Klassifikation zusichern. Akteure, die entlang des geschlechterpluralen Denkmusters politisch agieren, fordern Geschlecht als einen gesellschaftlichen Aushandlungs- und Lernprozess zu verstehen und gesetzlich für einen besseren Diskriminierungsschutz zu sorgen. Um diesen Kampf um die Geschlechtergrenzen herauszuarbeiten, wird im folgenden Kapitel die Methode der wissenssoziologischen Diskursanalyse herausgearbeitet, mit der im Anschluss der gesellschaftliche Diskurs um ein mögliches Selbstbestimmungsgesetz analysiert werden soll. Nach Axel Honneth ist der Begriff der Selbstbestimmung in diesem Fall kein zufällig gewählter, da der Autonomiegedanke eine Sogwirkung entfalte, welche »zwischen dem individuellen Selbst und der gesellschaftlichen Ordnung eine systematische Verknüpfung« herstellt und so im Diskurs die Frage zu beantworten sei, wie die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens aussehen müssen, um die individuelle Selbstbestimmung »entweder in ihrer Summe zum Ausdruck [zu] bringen oder in ihren Voraussetzungen angemessen verwirklichen [zu] können«.330 Wer also über Autonomie spricht, muss über soziale Gerechtigkeit nachdenken, genauso wie jene, die über soziale Gerechtigkeit sprechen, an die Gewährung der Autonomie der Einzelnen denken müssen: »sobald also ein Wissen darüber besteht, daß Gerechtigkeit und individuelle Selbstbestimmung zirkulär aufeinander verweisen, muß jeder Rückgriff auf ältere, vormoderne Legitimationsquellen sozialer Ordnung wie eine Auslöschung der Gerechtigkeitsperspektive selbst erscheinen; es ist von nun an nicht mehr verständlich, was es heißen soll, nach einer gerechten Ordnung zu verlangen, ohne simultan auch individuelle Selbstbestimmung einzuklagen.«331 Allerdings bedeutet Selbstbestimmung nach Honneth nicht das Gleiche wie Selbstverwirklichung, denn während das Zweite auch ohne Selbstbestimmung möglich ist – bspw. bezogen auf das Geschlecht zu erkennen, mit welchem Geschlecht sich eine Person identifiziert und welche Wünsche damit einhergehen bzw. wie diese zu befriedigen sind –, so ist ersteres eine Selbstgesetzgebung, welche erst dann möglich wird, wenn das Individuum von allen gesellschaftlich-staatlichen Zwängen befreit wird.332 Selbstbestimmung kann somit eine notwendige Voraussetzung für die Selbstverwirklichung sein, allerdings kann die Selbstverwirklichung auch ohne Selbstbestimmung erfolgen. Als Beispiel kann die Selbstverwirklichung der eigenen geschlechtlichen Identifizierung verstanden werden, die noch vor der Existenz des Transsexuellengesetzes dazu führte, dass Menschen ihr Äußeres optisch an die Geschlechtsidentifikation anpassten und mitunter genitalverändernde Operationen durchführen ließen – eine diskursive Praxis, die sich schließlich gesetzlich niederschlug, da demokratisch-liberale Gesellschaften Individuen »als unabhängige Personen mit einem eigenen Willen [verstehen], wenn sie über subjektive Rechte

330 Honneth (2011): S. 36. 331 Honneth (2011): S. 40. 332 Vgl. Honneth (2011): S. 67ff.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

verfügen, die ihnen einen staatlich geschützten Spielraum zur Erkundung ihrer Vorlieben, Präferenzen und Absichten einräumen«.333 Jetzt aber steht genau diese Gesetzgebung als Zusicherung subjektiver Rechte zur Debatte, da sie als Selbstverwirklichungsgesetz immer noch nicht die Selbstbestimmung ermöglicht. Doch schon bevor der Begriff Selbstbestimmung in den Gesetzentwurf einzog, der nunmehr das TSG ersetzen soll, findet sich die Verschränkung von Autonomie und sozialer Gerechtigkeit im Diskurs, da die vorausgehenden Beanstandungen des BVerfG auf den Art. 2 Abs. 1 GG verweisen, der Staat und Individuum in gegenseitiger Verpflichtung versteht, denn »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.« Honneth erkennt in diesem Kontext die Grenzen der rechtlichen Freiheit: »Das Recht soll, so ließe sich auch sagen, eine Form von individueller Freiheit erzeugen, deren Existenzbedingungen es weder selbst hervorbringen noch aufrechterhalten kann; es lebt von dem bloß negativen, unterbrechenden Bezug auf einen sittlichen Praxiszusammenhang, der sich aus der sozialen Interaktion von nicht rechtlich kooperierenden Subjekten speist.«334 Honneth erkennt in diesem Kontext in dem gesellschaftlichen Phänomen der Verselbstständigung der Rechtspersönlichkeit eine soziale Pathologie, indem sich Menschen in »das Gehäuse subjektiver Rechte zurückziehen und gegenüber anderen schließlich nur noch als Rechtspersonen« auftreten, wodurch vormals kommunikativ organisierte Lebensbereiche zunehmend verrechtlicht werden.335 Durch diese Form der Verrechtlichung erhalten nur noch verallgemeinerbare Interessen Geltung; statt individuelle Bedürfnisse anzuerkennen, wird auf die Rechtspersönlichkeit verwiesen.

333 Honneth (2011): S. 129. 334 Honneth (2011): S. 156. 335 Honneth (2011): S. 161.

3. Methodik

Plett formuliert drei notwendige rechtstheoretische Hinweise: (1) Recht ist interpretationsbedürftig, (2) Recht unterliegt einem historischen Wandel, (3) Recht realisiert sich erst in der Anwendung.1 Diese drei Ebenen verweisen auf das große Potenzial, das eine Diskurs- und Dispositivanalyse für die Rechtswissenschaft bietet, da die Diskursanalyse den Fokus auf die historischen Wurzeln und den historischen Wandel legt und die Dispositivanalyse einen Schwerpunkt auf die diskursiven Praxen und daraus hervorgehende Subjektivierungsweisen setzt. Die Rechtswissenschaftlerin Ute Sacksofsky empfiehlt die Unterscheidung von drei Diskursebenen in der Rechtswissenschaft, »die Befassung mit Dogmatik, mit Rechtspolitik und mit den Grundlagen des Rechts.«2 Die rechtsdogmatische Ebene befragt die Rechtsprechung hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen wie individuellen Auswirkungen, da hier »normative Aussagen im Rahmen der geltenden Rechtsordnung« getroffen werden.3 Damit wird das geltende Recht also nicht infrage gestellt, sondern einzelne Bereiche systematisiert. Entlang einer rechtsdogmatischen Analyse lassen sich Gerichtsentscheidungen kritisch reflektieren. In diesem Sinne erscheint es besonders gewinnbringend, Gerichtsentscheidungen hinsichtlich konservativer und innovativer Dogmatiken zu untersuchen. Der rechtspolitische Diskurs hingegen untersucht die Veränderung des geltenden Rechts.4 Diese beiden Ebenen lassen sich ebenfalls durch eine Diskurs- und Dispositivanalyse erfassen, womit sich die Verwendung der Diskursanalyse nun in zweifacher Weise als gewinnbringend erweist. Im Folgenden soll ein Einblick in die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) gegeben werden, um damit im Anschluss den politischen wie rechtlichen Diskurs, um ein Nachfolgegesetz des TSG zu analysieren. Um in die Methodik der WDA einzuführen, bedarf es zunächst einer theoretischen Zuwendung zu Michel Foucaults Gedankensträngen und Thesen, die maßgeblich zu der Methode der Diskursanalyse geführt haben. Im Anschluss werden die Diskurs- und Dispositivanalyse im Allgemeinen vorgestellt und

1 2 3 4

Vgl. Plett (2021h): S. 140. Sacksofsky (2017): S. 633. Vgl. Sacksofsky (2017): S. 633. Vgl. Sacksofsky (2017): S. 634.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

mit den Theorien der Wissenssoziologie angereichert, um in die WDA im Speziellen einzuführen.

3.1 Foucaultsche Vorüberlegungen Foucault selbst konstatiert, er habe keine Methode entworfen, die er auf verschiedene Bereiche unterschiedslos anzuwenden wisse, vielmehr isoliere er einen Gegenstandsund Objektbereich mit Hilfe von Instrumenten, »ohne dabei dem Problem der Methode eine besondere Stellung einzuräumen«.5 Foucault erkennt vielmehr in der Gesellschaft »eine Reihe von Fragen, Problemen, Wunden, Verunsicherungen und Ängsten«, welche die Politik aufgreife und welche es zu analysieren Wert sei: »Denn was wir sind – die Konflikte, Spannungen und Ängste in uns –, ist letztlich der Boden, auf dem wir uns bewegen und ich wage nicht zu sagen: der feste Boden, denn per definitionem ist er vermint und gefährlich.«6 Foucault erkennt im Diskurs verschiedene beteiligte Disziplinen, mit je eigenen Wissensapparaten, mit denen sie das Wissen ordnen und Erkenntnisse erzeugen. »Die Disziplinen sind Träger eines Diskurses, der jedoch nicht der des Rechts sein kann; der Diskurs der Disziplin hat nichts mit dem des Gesetzes, der Rechtsregel als Ergebnis eines souveränen Willens gemein.«7 Vielmehr tragen die Disziplinen den Diskurs der Norm: »Sie werden einen Kodex definieren, der nicht ein Kodex des Gesetzes sein wird, sondern ein Kodex der Normalisierung.«8 Foucault unterscheidet hier die Ebenen dejure und defacto, indem er zwei verschiedene Wissensformen anerkennt; die des Rechts und die der Forschung. Was in dem politischen Diskurs um eine rechtliche Gesetzgebung bezüglich Transgeschlechtlichkeit hingegen deutlich wird ist, dass das Gesetz zwar rechtlich die Souveränität durchsetzt, aber entlang der Befragung der verschiedenen Disziplinen eine Legitimität erhalten soll. Auch das erkannte Foucault und geht davon aus, dass die verschiedenen Disziplinen immer mehr in das Recht eindringen werden und dass »die Verfahren der Normalisierung die Verfahren des Gesetzes immer mehr kolonisieren«.9 Foucault spricht in diesem Zusammenhang von einer Gesellschaft der Normalisierung, die entlang der Diskurse der Disziplinen zwangsläufig zu einer Kollision mit dem Rechtssystem führen würde und einer Schlichtung bedürfe, die in der oben beschriebenen Einverleibung der Disziplinen durch das Rechtssystem erkennbar werde. Als Beispiel benennt Foucault im Übrigen die Weiterentwicklung der Disziplin Medizin10 , entlang einer ge-

5 6 7 8 9 10

Foucault (2003d): S. 521. Foucault (2003d): S. 523. Foucault (1978): S. 93. Foucault (1978): S. 93. Foucault (1978): S. 94. Foucault erkennt seit dem 18. Jhd. eine zunehmende Medizinierung der Existenz, der Führung des Verhaltens und des menschlichen Körpers. Gleichzeitig verweist er auf eine Ökonomisierung, die Verbesserung der Gesundheit und der Selbstsorge (vgl. Foucault [2003b]: S. 273). Foucault stellt hier die Hypothese auf, dass durch den Kapitalismus die kollektive in die private Medizin übergegangen sei, indem der Körper vergesellschaftet wurde, indem er zur Arbeits- und Produktivkraft wurde: »Die Kontrolle der Gesellschaft über die Individuen wird nicht nur über das Bewusstsein

3. Methodik

nerellen Medikalisierung des menschlichen Verhaltens,11 die sich schließlich durch die Übertragung der Aufgabe der Begutachtung an gesetzliche Sachverständige – also an die medizinische Disziplin – weitergibt, wodurch Medizin und Rechtssystem miteinander verschmelzen. Foucault beschreibt in seinen zahlreichen Studien einen Wandel von einem Willen zum Wissen zu einem Willen zur Wahrheit. Während der Wille zum Wissen durch das Beobachten und Klassifizieren von Gegenständen gekennzeichnet war, welches Subjekten bestimmte Positionen und Funktionen zuweist, will der Wille zur Wahrheit ein bestimmtes Wissen als das richtige Wissen klassifizieren und dieses im Diskurs mit Druck und Zwang durchsetzen.12 Dies exemplifiziert Foucault am Rechtssystem, dass »seine Theorie des Rechts […] in einem soziologischen, psychologischen, psychiatrischen Wissen sucht: als ob selbst das Wort des Gesetzes in unserer Gesellschaft nur noch durch einen Diskurs der Wahrheit autorisiert werden könnte«.13 Foucault verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass hinsichtlich juristischer Probleme im 19. Jhd. die Untersuchungsformen enquête und examen unterschieden wurden – eine Unterscheidung, die in einem direkten Zusammenhang mit der Entwicklung spezifischer Formen politischer und sozialer Kontrolle entstand.14 Die enquête umfasst begrifflich die gerichtliche Untersuchung, indem sich die Judikative an Personen wandte »von denen man erwarten konnte, dass sie sich mit den Sitten […] auskannten. [Sie] holte diese Menschen zusammen und ließ sie schwören, wahrheitsgemäß ihr Wissen kundzutun«.15 Jedoch standen diese Zeugen nicht für die Wahrheit, sondern für die Macht.16 Foucault zeigt hier auf, wie zwei Formen der rechtlichen Auseinandersetzungen entstanden. Die eine nennt er den Schwur, also die Selbstaussage unschuldig zu sein, welche durch die zweite, die Zeug*innenschaft abgelöst wurde.17 Im aktuellen TSG kann hingegen eine Mischung aus beiden Formen gefunden werden: Während Psycholog*innen als Zeug*innen dienen, scheint die verordnete Therapie eine Art Schwur zu sein, indem die transgeschlechtliche Person in Selbstaussage das Empfinden einer Geschlechtsinkongruenz beschwört. Besonders erhellend ist Foucaults Schlussfolgerung, dass gerichtliche Verfahren immer ein Unrecht behandeln. Darin erkennt Foucault ein Duell zwischen einer betroffenen Person und einer unrechtmäßig handelnden Person, wobei das Gerichtsverfahren die institutionalisierte Ritualisierung dieses Zweikampfs darstellt. Es könne jedoch auch die Gemeinschaft von dem Unrecht eines einzelnen Betroffenen sein, wie Foucault anhand der gesellschaftlichen Kriminalisierung der Homosexualität zeigt.18 In Tradition dieser These müsste die gerichtliche Verhandlung der PÄ entweder als Unrecht gegenüber der Person

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oder durch die Ideologie, sondern ebenso im Körper und mit dem Körper vollzogen« (Foucault [2003b]: S. 275). Foucault benennt diesen Vorgang begrifflich als »Bio-Politik«: »Der Körper ist eine bio-politische Wirklichkeit; die Medizin ist eine bio-politische Strategie« (Foucault [2003b]: S. 275). Vgl. Foucault (1978): S. 94. Vgl. Foucault (1977a): S. 12f. Foucault (1977a): S. 14. Vgl. Foucault (2002b): S. 674. Foucault (2002b): S. 720. Vgl. Foucault (2002b): S. 727. Vgl. Foucault (2002b): S. 706f. Vgl. Foucault (2002b): S. 708f.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

anerkannt werden, die geschlechtlich durch staatliche Instanzen falsch klassifiziert wurde, oder als Unrecht eines Einzelnen, der*die den Personenstand wechseln möchte an Staat und Gesellschaft, deren Ordnungsinteresse dadurch gefährdet wird. Da das TSG einige Voraussetzungen formuliert, welche die Person mit PÄ-Wunsch erfüllen muss und darüber hinaus das Verfahren durch diese Person auch bezahlt werden muss, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um die zweite Leseweise handelt. Die transgeschlechtliche Person würde so im Duell die Rolle des staatlichen wie gesellschaftlichen Feindes zugeschrieben. Der Einzelne verstößt hier im Sinne Foucaults gegenüber der »Ordnung, dem Staat, dem Gesetz, der Gesellschaft, gegenüber der Herrschaft und dem Herrscher«.19 So verwundert es kaum, dass Foucault die enquête als politische Form benennt, welche verwaltet und Macht ausübt, indem sie die »Wahrheit ermittelt, prüft und weitergibt«.20 Während die enquête ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis untersucht, handelt es sich beim examen um eine Überwachung eines zukünftigen Verhaltens. Um diese Überwachung (examen) zu ermöglichen, wurde entlang der Untersuchung (enquête) ausreichendes Wissen gesammelt, mit dem bestimmbar ist, welches Verhalten regelgerecht und konform ist und welches Verhalten dagegen verstößt.21 Daraus leitet Foucault eine Überwachung aller Menschen ab, die aber nicht auf der Ebene des Tuns, sondern auf der des Seins stattfindet, indem nicht die tatsächlichen Taten betrachtet werden, sondern die möglichen Taten.22 Foucault befasst sich in seinem Werk »Der Wille zum Wissen« mit dem Geständnis als diskursiver Praxis und bezeichnet es als »allgemeine Matrix, die die Produktion des wahren Diskurses« beherrscht.23 Weiter habe sich eine Geständnis-Wissenschaft herausarbeitet, indem sich die Wissenschaft auf das Ritual des Geständnisses stützt, um Wahrheit durch die Erzwingung eines Erkenntnisses zu produzieren.24 Foucault arbeitet in diesem Zusammenhang wissenschaftliche Regelhaftigkeiten heraus,25 die nun in Bezug zum Diskurs um Transgeschlechtlichkeit gesetzt werden sollen: Erstens gäbe es eine klinische Kodifizierung des Sprechen-Machens, da das Bekenntnis mit einer Prüfung kombiniert wird. Der daraus hervorgehende Selbst-Bericht wird entlang von entschlüsselbaren Symptomen überprüft. Im therapeutischen Gespräch selbst sind die Psycholog*innen darum bemüht, den Wahrheitsgehalt der Aussage der transgeschlechtlichen Person entlang der Kriterien für Transsexualität entsprechend dem ICD-11 und DSM-V zu überprüfen, während die zwei Sachverständigen die transgeschlechtliche Person entlang eines Fragebogens in seiner*ihrer Selbstaussage hinterfragen. Zweitens erfolgt das Postulat einer allgemeinen und diffusen Kausalität, die Foucault mit der polymorphen Kausalmacht begründet. Geschlecht wird in seiner Zweigeschlechtlichkeit mit der Natürlichkeit der Fortpflanzung (Anisogamie) begründet und dabei nimmt Transgeschlechtlichkeit eine bestätigende wie widerspenstige Haltung ein: Auf der

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Foucault (2002b): S. 718. Foucault (2002b): S. 728. Vgl. Foucault (2002b): S. 735f. Vgl. Foucault (2002b): S. 749. Foucault (2013d): S. 1076. Vgl. Foucault (2013d): S. 1077. Vgl. Foucault (2013d): S. 1078 bis 1080.

3. Methodik

einen Seite bestätigt das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit die Binarität, weil es sich in diese einfügt, auf der anderen Seite widerstrebt die Transgeschlechtlichkeit der Fortpflanzung in ihrer traditionalen Ausrichtung, dass nur Frauen Kinder gebären und nur Männer Kinder zeugen. Drittens benennt Foucault das Prinzip der innewohnenden Latenz, da das Geständnis das hervorholen will, was dem Subjekt selber verborgen sei. Transgeschlechtliche Personen werden in diesem Moment dazu gebracht über sich selbst, über ihr Ansinnen nachzudenken, dieses neu zu ordnen und im Normalfall Bestätigung oder Abwendung für dieses zu empfinden. Viertens wird durch die Methode der Interpretation Wahrheit produziert. Nicht die transgeschlechtliche Person spricht somit die Wahrheit, sondern der*die Sachverständige, der*die durch die Enthüllung des Geständnisses zu einer Diagnose gelangt. Fünftens benennt Foucault abschließend die Medizinisierung der Wirkungen des Geständnisses,26 da entlang der Diagnose die Möglichkeit zu einer Therapie als Behandlung eröffnet wird. In Bezug auf Transgeschlechtlichkeit bietet der medizinische Diskurs als Therapie die Personenstandsänderung (PÄ) und die genitalangleichende Operation feil. Die Befragung von Psycholog*innen und Mediziner*innen kann im Sinne Foucaults als Subjustiz verstanden werden: »Früher verboten die Gesetze eine Reihe von Handlungen, und zwar recht viele, weil man nicht recht wusste, wie man sie abgrenzen konnte, aber immerhin bezog das Gesetz sich auf Handlungen.«27 Die Bestrafung von Verhaltensweisen wurde jedoch durch die Bestrafung von Personengruppen abgelöst, welche zunächst als gefährlich definiert werden mussten. Hier kann umstandslos mit dem Konzept der Humandifferenzierung nach Hirschauer angeknüpft werden, da das, was Foucault beschreibt, keine natürliche oder gegebene Unterscheidung ist, sondern eines aktiven gesellschaftlichen Prozesses bedarf, welcher die Differenzierung hervorbringt. »Wir werden eine Gesellschaft der Gefahren haben, mit den Gefährdeten auf der einen Seite und den Trägern der Gefahr auf der anderen.«28 Da das Gesetz Verhaltensweisen definiert, welche der Gesellschaft schaden, begründet es ebenfalls die Strafe. Foucault unterscheidet vier Formen von gesellschaftlichen Strafen: Die erste umfasst den gesellschaftlichen Ausstoß, beispielsweise durch Gefängnisstrafen. Die zweite bedeutet ebenfalls einen Ausschluss, jedoch wird die Person hier nicht aus dem gesellschaftlichen Raum entfernt, sondern innerhalb diesem in einem symbolischen Raum, aus dem moralischen Raum der Gesellschaft in eine soziale Isolation verweisen und der Demütigung preisgegeben.29 Die dritte Form umfasst die Wiedergutmachung des gesellschaftlichen Schadens, indem eine festgelegte Verhaltensvorgabe den verursachten Schaden wiedergutmachen soll. Die letzte Form unterdessen sorgt dafür, dass die Tat nicht erneut begangen wird,

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Foucault versteht unter dem medizinischen und juristischen Geständnis all jene Prozeduren, welche das Subjekt dazu verpflichten, über seine Sexualität oder sein Geschlecht zu sprechen und entlang dessen einen Wahrheitsdiskurs zu produzieren, der seinerseits erneut auf die Subjekte einwirken kann (vgl. Foucault [1978]: S. 154). Auch die Beichte wird von Foucault besprochen, welche er als Gewissensprüfung erkennt, die nicht das Gebeichtete untersagen will, sondern im Gegenteil dazu genutzt wird, das Gebeichtete zu beherrschen (vgl. Foucault [1978]: S. 176f.). Foucault (2003j): S. 965. Foucault (2003j): S. 965. Vgl. Foucault (2002b): S. 730f.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

bzw. dem*der Täter*in die Lust darauf vergeht der Gesellschaft erneut Schaden zuzuführen.30 Auch diese Formen finden sich im aktuellen TSG, wobei sie hier nicht als Strafen benannt werden. Dennoch sollten die genitalangleichende Operation und die dauerhafte Unfruchtbarkeit sicherstellen, dass eine erneute PÄ unwahrscheinlich wird und aus der PÄ selbst keine gesellschaftlichen Folgeprobleme entstehen. Zudem wird gemäß der dritten Form durch die Verhaltensvorgabe sichergestellt, dass das Geschlecht als Ordnungskategorie selbst nicht infrage gestellt wird. Die Geschlechterklassifikation verweist auf das Ordnungsinteresse des Staates, welcher eine räumliche und soziale Anordnung der Individuen anstrebt, um diese zu überwachen. Foucault bezeichnet dies als eine staatlich verfasste Gesellschaft.31 Das TSG reglementiert eine PÄ und kann durch diese Reglementierung die vorgegebene Ordnung bekräftigen, da keine neuen Freiheiten geschaffen werden, wenn bspw. die Zweigeschlechtlichkeit aufgebrochen würde, sondern diese entlang der nun reglementierten Praxis einer PÄ bestätigt wird. Diese Regelung verschränkt die Strafformen drei und vier, da das TSG zum einen die gegebene Ordnung wiederherzustellen versucht und zum anderen die damit verbundenen Hürden dermaßen hoch waren,32 dass diese eine Wiederholung in Form einer erneuten PÄ annähernd unmöglich machten. Doch ebenso findet sich darin die zweite Strafform, denn halten sich Menschen nicht an die Ordnungsvorgaben und bemühen sich darum gesellschaftlich in einem anderen Geschlecht als dem zugewiesenen zu leben, bzw. anerkannt zu werden oder aber gänzlich unabhängig vom Geschlecht als agender oder nicht-binär zu leben, so stoßen sie mitunter auf gesellschaftliche Ablehnung, Ausgrenzung und Gewalt. Hier werden somit dejure und defacto verschränkt. Auch dies hat bereits Foucault erahnt, als er die These aufwarf: »Die Kontrolle des Einzelnen im Sinne einer strafrechtlichen Kontrolle möglichen Verhaltens kann nicht allein von der Justiz gewährleistet werden.«33 Diese neue Form von Macht als Gesellschaftstyp bezeichnet Foucault als Disziplinargesellschaft.34 In dieser Disziplinargesellschaft gibt es verschiedene Instanzen, die den Einzelnen überwachen. Aus dieser Überwachungsstruktur ergeben sich nach Foucault die Personengruppen, welche eine Zusammenfassung der Individuen bedeuten.35 So beispielsweise die Gruppe der Männer und Frauen, aber auch die der Personenstandswechsler*innen. Um das am Beispiel der Transgeschlechtlichkeit zu verdeutlichen: Transgeschlechtliche Personen werden durch die Institutionen Medizin und Psychologie in die Gruppe der Personenstandswechsler*innen gruppiert. Der politische Diskurs bestätigt diese Einteilung auch damit, dass hinsichtlich eines neuen Gesetzentwurfs eine Abfrage in Form von Stellungnahmen durch die Interessenverbände transgeschlechtlicher Personen erfolgt. Indem diese die Anrufung als solche annehmen und eine Stellungnahme abgeben, bestätigten sie das Konzept der Institutionalisierung,36 der Gruppenzuweisung und sie bestätigten auch die Machtposition 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Foucault (2002b): S. 731. Vgl. Foucault (2002b): S. 751. Bspw. die Pflicht zur dauerhaften Unfruchtbarkeit und genitalangleichenden Operation. Foucault (2002b): S. 734. Vgl. Foucault (2002b): S. 734. Vgl. Foucault (2002b): S. 756f. Unter Gouvernementalität versteht Foucault »die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, die-

3. Methodik

der Justiz. Die Politik unterdessen ermächtigt sich durch den Vorgang der Abfrage, indem sie damit ihre Position bestärkt, im Recht zu sein Transgeschlechtlichkeit zu »organisieren«. Die verschiedenen Wissensbereiche gehen nach Foucault aus den Kräfteverhältnissen und politischen Beziehungen hervor.37 Der politische Diskurs offenbart ein diskursives Ritual, indem eine Gesetzänderung nicht einfach beschlossen wird, sondern eine routinierte Abfolge durchlaufen muss. So sind drei Plenarsitzungen bis zur Abstimmung angesetzt und das Abrufen von Stellungnahmen erforderlich. »Das Ritual definiert die Qualifikation, welche die sprechenden Individuen besitzen müssen, […] es definiert die Gesten, die Verhaltensweisen, die Umstände und alle Zeichen, welche den Diskurs begleiten müssen.«38 Das Ritual begründet somit die Diskursgesellschaft, die Diskurse produziert. Verschiedene Arten von Erkenntnissubjekten oder von Wahrheit und bestimmte Wissensgebiete kann es nur auf der Basis politischer Bedingungen geben, die den Boden darstellen, auf dem das Subjekt, die Wissensbereiche und die Wahrheitsbeziehungen sich herausbilden.39 Foucault konnte in seinen Studien einen geschichtlichen Ursprung für den Geschlechterdiskurs herausarbeiten: »Die Vorstellung, wonach jeder Mensch einem bestimmten Geschlecht angehört, ist erst im 18. Jahrhundert von Ärzten und Juristen formuliert worden.«40 In seiner Einleitung zu »Über Hermaphroditismus«41 (1998) fragt Foucault »Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?«42 und bezichtigt die abendländliche Gesellschaft im gleichen Satz des Starrsinns, der Hartnäckigkeit und der Beharrlichkeit, mit der sie das Geschlecht in das Spiel um die Ordnung der Dinge gebracht haben. Vor allem die Verschränkung aus biologischen Theorien und juristischen Bestimmungen habe den modernen Staat im 18. Jahrhundert dazu gezwungen eine Geschlechterwahrheit zu finden, mit der eine bis dahin existierende Vermischung der binären Geschlechter ausgeschlossen wurde.43 Bezogen auf das Phänomen des Hermaphroditismus (Intergeschlechtlichkeit) erkennt Foucault den Versuch – statt zu

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42 43

se recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat« (Foucault [2003h]: S. 820). Foucault definiert in diesem Zuge drei Taktiken der Gouvernementalität, (1) den Gerechtigkeitsstaat, welcher eine Gesellschaft der Gesetze umfasst, (2) den Verwaltungsstaat, welcher einer Gesellschaft der Regulierungen/Disziplinierungen entspricht, und (3) den Regierungsstaat, welcher jedoch nicht mehr durch ein Territorium, sondern vielmehr durch die Masse seiner Bevölkerung bestimmt sei (vgl. Foucault [2003h]: S. 822). Vgl. Foucault (2002b): S. 685. Foucault (1977a): S. 27. Foucault (2002b): S. 686. Foucault (2003f): S. 783. Das Buch bündelt die Selbsterzählungen von Herculine Barbin, später Abel Barbin. Zunächst als Mädchen in einem Kloster aufgezogen, führte eine Liebschaft zu einer jungen Frau zur medizinischen Überprüfung von Barbin, mit der anschließenden rechtlichen Feststellung des männlichen Personenstandes und schließlich mit dem juristischen Zwang zum Geschlechtswechsel. Barbin nahm sich mit 29 Jahren das Leben (vgl. Foucault [1998]: S. 11f.). Foucault (1998): S. 7. Vgl. Foucault (1998): S. 8.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

ermitteln, ob es eine Mischung ist oder welches Geschlecht die Oberhand hat – ein wahres Geschlecht zu finden. »In der Rechtsprechung führte das selbstverständlich zum Verschwinden der freien Entscheidung«, konstatiert Foucault. Statt das Individuum, entscheidet nun ein*e Expert*in darüber, welches Geschlecht dem Individuum rechtlich und sozial zusteht. In der Regel falle diese Entscheidung jedoch danach, welches Geschlecht die Natur vermeintlich für das Individuum ausgesucht habe.44 Nun könnte die Existenz von Trans- und Intergeschlechtlichkeit ein Verweis darauf sein, dass die Wahrheit nicht existiert, allerdings erkennt Foucault im gesellschaftlichen Umgang mit beiden Phänomenen vielmehr die Bestätigung der Wahrheit, da der Kampf um Anerkennung auf Wahrheit verweise.45 Und in der Tat, der Kampf um Anerkennung von Intergeschlechtlichkeit hat die Essentialisierung von Biologie verstärkt und die Anerkennung den Personenstand wechseln zu wollen, ist nur entlang der Diagnose von Transgeschlechtlichkeit möglich, wodurch das Phänomen der Abweichung zur Anomalie wird und so ebenfalls die Wahrheit reproduziert. Dies bildet die Grundlage für die heutige Verpflichtung eine »rigorose Übereinstimmung zwischen anatomischem, juristischem und sozialem Geschlecht« nachzukommen.46 Bereits Foucault erweitert damit die geläufige Differenzierung von anatomischem und sozialem Geschlecht um ein juristisches Geschlecht, vermutlich weil ihm die Wirkung der staatlich instruierten Geschlechtsklassifikation früh bewusst war. Foucault arbeitet durch seine Studien heraus, dass das Geschlecht durch das Sexualitäts-Dispositiv produziert worden ist. Dies sei vor allem geschichtlich nachvollziehbar, da Sexualität seit dem 18. Jhd. im Diskurs steht und das Geschlecht erst ab dem 19. Jhd. Zuvor waren die Körper im Diskurs durchaus ein heterogenes Ensemble, »das schließlich von dem Sexualitäts-Dispositiv bedeckt worden ist, welches dann, zu einem gegebenen Zeitpunkt, als Schlüsselfigur seines eigenen Diskurses und vielleicht sogar seines eigenen Funktionierens die Idee des Geschlecht produziert hat.«47 Das Dispositiv bezeichnet Foucault als heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, aber auch Gesetze, Gesagtes wie Ungesagtes umfasst: »Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.«48 Weiter antworte das Dispositiv immer auf einen Notstand,49 wobei es strategisch sei, da es in bestehende Kräfteverhältnisse eingreife, diese stabilisiere oder blockiere: »Das Dispositiv ist also immer in ein Spiel der Macht eingeschrieben, immer aber auch an eine Begrenzung oder besser gesagt: an Grenzen des Wissens gebunden, die daraus hervorgehen, es gleichwohl aber auch bedingen.«50 Ein Dispositiv wirkt somit nicht nur auf das Kräfteverhältnis ein, sondern stützt mit diesem Einwirken ein Wissen, von welchem es gleichermaßen gestützt wird: »Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ›allgemeine Politik‹ der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktio44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Foucault (1998): S. 9. Vgl. Foucault (1998): S. 10. Vgl. Foucault (2003f): S. 783. Foucault (1978): S. 145. Foucault (1978): S. 120. Vgl. Foucault (1978): S. 120. Foucault (1978): S. 123.

3. Methodik

nieren läßt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.«51 Foucault unterscheidet zwei Seiten der Wahrheit. Die erste Seite ist die Geschichte der Wahrheit, die ergründbar und analysierbar ist. Die zweite Seite unterdessen ist ihr Entstehen und das Festlegen der gesellschaftlichen Spielregeln,52 »all diese Regeln […] scheinen mir eine der Formen zu sein, in denen unsere Gesellschaft Typen von Subjektivität definiert hat, Formen von Wissen und damit auch Beziehungen zwischen dem Menschen und der Wahrheit«.53 Subjektformen wie Objektbereiche und ein daran geknüpftes Wissen können demnach im Entstehen und entlang ihrer Geschichte untersucht werden. Vor allem das Entstehen verweist dann auf die Möglichkeit einer anderen Wahrheit. Mit der epistemologischen Macht beschreibt Foucault »die Macht, den Menschen Wissen schlechthin und ein Wissen über sie selbst abzugewinnen, das dem Blick der verschiedenen Mächte ausgesetzt ist und unter ihrer Kontrolle steht«.54 Foucault sieht hier vor allem das Wissen über die Menschen, welches aus der Beobachtung und Beurteilung der Menschen resultiert, als wirkmächtig an. Durch das Beobachten und Vergleichen von individuellen Verhaltensweisen konnte so klinisches Wissen gewonnen werden.55 Machtbeziehungen hingegen gibt es in allen Bereichen, nicht nur in offensichtlich hierarchisierten Machtstellungen, allerdings, so Foucault, werde aus dieser Erkenntnis nicht immer die nötige Erkenntnis gezogen. »Es gibt Tausende und Abertausende von Machtbeziehungen in der Gesellschaft, also auch Machtverhältnisse, kleine Konfrontationen und gleichsam Minikämpfe.«56 Diese kleinen Minikämpfe stützen die Regierung als Notwendigkeit der Regulation. Foucault schlussfolgert, es handle sich in Wirklichkeit »bei den Machtbeziehungen um Kräfteverhältnisse und Konfrontationen, sie sind also stets umkehrbar.57 Aber die Machtbeziehungen sind innerhalb der Kämpfe anzusiedeln, und wir dürfen nicht meinen, es gäbe auf der einen Seite die Macht, auf der anderen deren Objekt, und der Kampf entfalte sich zwischen Macht und Nichtmacht«.58 Auch sei es verfehlt anzunehmen, die Macht sei der Gegensatz zum Widerstand – vielmehr ist auch der Widerstand ein Instrument bzw. eine Technik der Macht, welcher in Konflikten eingesetzt werden kann.59 Foucault erkannte bereits, dass nicht nur die Machtspiele einen Zuwachs an Intensität erhalten haben, sondern auch der Widerstand, wodurch »die sich entfaltenden Kämpfe nicht mehr dieselbe Form besitzen«.60 An anderer Stelle benennt

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Foucault (1978): S. 51. Vgl. Foucault (2002b): S. 672. Foucault (2002b): S. 673. Foucault (2002b): S. 763. Vgl. Foucault (2002b): S. 763f. Foucault (2003d): S. 524. Foucault (2003d): S. 524. Foucault (2003g): S. 792. Vgl. Foucault (2003g): S. 792. Foucault (2003e): S. 685.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Foucault Diskurse als strategische Spiele um dann erneut in die Kampfmetapher auszuweichen: »Strategische Spiele aus Handlungen und Reaktionen, Fragen und Antworten, Beherrschungsversuchen und Ausweichmanövern, das heißt Kampf.«61 In diesem Zusammenhang geht Foucault noch einen Schritt weiter und geht davon aus, dass jede Erkenntnis aus einem Kampf hervorgeht.62 Doch der Diskurs ist nicht »bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht«.63

3.2 Diskursanalyse/Dispositivanalyse Foucault spricht in seinen Werken jedoch nicht von der Diskursanalyse als Methode, sondern von der Archäologie. Mit dem Begriff der Archäologie definiert Foucault nach Hannelore Bublitz, die aus historisch gewachsenen Diskursen hervorgehenden Regeln und Praxen, womit also die Wirkung von Diskursen auf soziales Handeln umfasst wird.64 Die Archäologie des Wissens folgt einer Beschreibung des diskursiven Ereignisses.65 Aus diesem Grund erfolgte im vorausgehenden Kapitel zunächst eine historische Auseinandersetzung bezüglich des TSG und des 3. Pers.-St. Mit seinem Konzept der Genealogie als historischem Verlauf von Anerkennungskämpfen und Ausschließungsprozessen konnte Foucault die Wechselwirkung von Macht und Wissen aufzeigen.66 Die aus den Macht-Wissen-Konfigurationen hervorgehenden Kämpfe nennt Foucault Spiele der Wahrheit. Die Spiele sind konfliktreiche Aushandlungen zwischen Diskursteilnehmer*innen, die sich darum bemühen Wahrheiten durchzusetzen und Wissensansprüche zu etablieren.67 Im Diskurs lohne sich demnach der mikroskopische Blick auf den Definitionskampf, der schließlich in die Genese von historischen Wissensfeldern übergeht.68 Dazu empfiehlt Keller eine Kombination aus der Analyse von Wissensinhalten und den Formen der Wissenserzeugung.69 Aus diesem Grund bietet sich die Diskursanalyse als Methodik für das vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisinteresse an, da im politischen Diskurs um das SelbstBestG auf Wissensinhalte zurückgegriffen wird, wobei der Aushandlungsprozess um das SelbstBestG selbst als Form der Wissenserzeugung angesehen werden kann. Diskurse umfassen jene sozialen Praktiken, die gesellschaftlich als objektive Wahrheiten und Faktizität sozialer Tatsachen angesehen werden.70 Praktik umfasst als Begriff die These, dass es sich nicht um individuelle Verhaltensweisen, sondern um gesellschaftlich regulierte Verhaltensmuster handelt: »Es handelt sich um Muster legiti61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

Foucault (2002b): S. 671. Vgl. Foucault (2002b): S. 684. Foucault (1977a): S. 8. Vgl. Bublitz (2006): S. 257. Vgl. Bührmann (2004): S. 30. Vgl. Keller (2005): S. 53; vgl. Bublitz (2006): S. 259. Vgl. Keller (2005): S. 54. Vgl. Keller (2005): S. 55. Vgl. Keller (2005): S. 62. Vgl. Bublitz (2006): S. 228.

3. Methodik

mer Äußerungsformen und Handlungsweisen im Diskurs, die seine Realität konstituieren.«71 Durch die Existenz mehrerer Diskurse – bspw. Hegemonialdiskurse, Gegendiskurse, Subdiskurse usw. – spricht Keller von Diskursfeldern, welche je eigene Praktiken präferieren.72 Als Praktiken bezeichnet Keller »sozial konventionalisierte Arten und Weisen des Handelns«,73 welche sozialisiert oder kreativ-taktisch aufgegriffen und habitualisiert ausgeführt werden. Sie können individualisiert oder kollektiviert ausgeführt werden; im letzteren Fall handelt es sich dann um legitime Äußerungsformen und Handlungsweisen. Als Beispiele dafür können legitime Zeichenformate (wie die Grammatik) oder legitime Kleidungsstile (wie die Uniform) und legitime Anredeformeln (wie das Siezen) genannt werden.74 Dass Wissen in Diskursen zur objektiven Wahrheit werden kann, lässt Rückschlüsse auf die – dem Wissen zugrunde liegenden – Machtwirkungen zu. Macht und Wissen stehen dementsprechend in einem relationalem Wirkungsverhältnis zueinander. Es bedarf eines Wissens, um Macht zu begründen, und Macht wiederrum strukturiert Wissen:75 »Es geht also nicht darum, zu beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines Systems […] erfassen lässt.«76 Bublitz verweist darauf, dass Diskurse in ihrer Funktion als regelhafte Praktiken der Hervorbringung von Wirklichkeiten nicht aufgehen, sondern beständig symbolische Überschüsse produzieren, welche ihrerseits Transformationsprozesse sozialer Wirklichkeit anregen können.77 Ebenso erkennt Bublitz, dass Diskursen nicht nur ein konstruktiver Charakter innewohnt, sondern ebenso eine dekonstruktive Fähigkeit. Indem sich der historische Ort des Entstehens von Diskursen markieren lässt, könne die Annahme einer Naturhaftigkeit und Ontologie als solche widerlegt werden.78 Eine solche Deontologisierung arbeitet heraus, dass jenes, was wesensmäßig oder naturhaft wirkt, historisch und kulturell entlang von Macht-WissenKomplexen bedingt wird.79 Im Rahmen einer Diskursanalyse nennt Bublitz einen solchen Fokus kritische Ontologie:80 »Die Haltung der Kritik, die ihr zugrunde liegt, besteht nicht in einer vorgängigen Positivierung einer politischen Idee, sondern in der Infragestellung von Evidenzen, deren Herkunft sie analysiert.«81 Entlang dieser Annahme lassen sich auch aus dem Diskurs hervorgehende Subjektivierungsweisen problematisieren. Bublitz verweist hier auf Foucaults Annahme, dass Diskurse einen polyvalenten Kausalitätsraum konstituieren: »Diskurse sind in eine Polyvalenzstruktur von Bedeutungen, Praktiken, Machtformen und -kämpfen im Sinne einer Matrix ›eingeschrieben‹.«82 Die

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Keller (2006): S. 133. Vgl. Keller (2006): S. 133. Keller (2007): S. 26. Vgl. Keller (2007): S. 27. Vgl. Bublitz (2006): S. 232. Foucault (1992): S. 33. Vgl. Bublitz (2006): S. 233. Vgl. Bublitz (2006): S. 236. Vgl. Bublitz (2006): S. 258. Vgl. Bublitz (2006): S. 236. Bublitz (2006): S. 237. Bublitz (2006): S. 244.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Matrix beschreibt Bublitz als Gesamtregel einer offenen Struktur. Aus dem polyvalenten Kausalitätsraum gehen Anomalien und unauffälligere Formen der Abweichungen hervor, wobei letztere zu einer Normalität des Anormalen führten.83 Um hier in aller Kürze mit dem Konzept der heterosexuellen Matrix von Judith Butler aus dem vorausgegangenen Kapitel anzuschließen; so wäre eine Anomalität des Geschlechts eine nicht-binäre oder ageschlechtliche Identität, während transgeschlechtliche Identitäten als Abweichung verstanden würden, da hier die Ordnungskategorie Geschlecht nicht abgelehnt oder von dieser abgewichen wird, sondern lediglich eine andere Eingruppierung gewünscht ist.84 Je nach Diskurskoalition entstehen dadurch verschiedene gesellschaftliche Ordnungen, die ihre je eigenen Normalitäten und Abweichungen produzieren. Bublitz bezeichnet diese Normalitäten und Abweichungen als Diskursfiguren. Um im soeben eröffneten Beispiel zu bleiben, finden sich im Diskurs nach dieser Logik die Figuren der trans- und intergeschlechtlichen Personen auf der einen Seite und die der cisgeschlechtlichen Personen auf der anderen Seite. Von den Diskursfiguren zu unterscheiden sind die Diskursakteure, diese verleihen dem Diskurs Leben, während die Diskurse gleichzeitig ihre Akteure als legitime Sprecher*innen erzeugen. Häufig sind Akteure Repräsentant*innen sozialer Gruppen und somit kollektive Akteure, die in ihrer Rolle zu Wort kommen, bspw. als Expert*innen einer wissenschaftlichen Disziplin oder als Sprecher*innen, bspw. von politischen Gruppen.85 »Individuen, die Sprecherpositionen bzw. Sprecherrollen innerhalb von Diskursen wahrnehmen, müssen institutionell reglementierte Voraussetzungen erfüllen.«86 So brauchen sie als wissenschaftliche Akteure eine entsprechende Qualifizierung, während sie als Akteure im Rahmen der Interessenvertretungen eine persönliche Betroffenheit brauchen und als politische Akteure durch das Volk gewählt worden sein müssen.87 Bündelt sich Wissen in Form von Institutionen, welche durch legitimierte Akteure vertreten werden, so wird dies als diskursive Formation bezeichnet. Diskursive Formationen können nach Foucault daraufhin analysiert werden, welche Begriffe sie verwenden, welche Sprecher*innen-Positionen sie legitimieren oder delegitimieren und welche Praxen sie hervorbringen.88 Eine solche diskursive Formation ist die Medizin, aber auch die Rechtswissenschaft oder die Politik und viele mehr. Diese diskursiven Formationen bilden ein eigenes Wissen sowie eigene Regeln und Praxen heraus.89 Finden sich also eine Reihe von ähnlichen Aussagen, kann mit Foucault von einer diskursiven Formation gesprochen werden. Als Formationsregel benennt Foucault, dass Diskurse als Prakti-

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Vgl. Bublitz (2006): S. 244. In diesem Rahmen ließe sich auch Homosexualität als Abweichung verstehen, die – sofern sie sich an Paarnormen und Monogamie orientiert – die Normalität nicht gefährdet, sondern bestätigt, während Asexualität als Anomalität das Konzept Sexualität unterläuft und dadurch weiterhin den gesellschaftlichen Stempel der Krankheit erhält. Vgl. Keller (2006): S. 135. Keller (2006): S. 136. Alle Diskursakteure sind nur Teil des Diskurses, weil sie sich als Akteure qualifizieren und den Erfordernissen des Diskurses genügen, wodurch sich offenbart, dass die Diskurse nicht frei und offen zugänglich sind (vgl. Foucault [1977a]: S. 26). Vgl. Keller (2005): S. 54. Vgl. Keller (2005): S. 65.

3. Methodik

ken systematisch den Gegenstand bilden, von welchem sie sprechen. Über die Formation lässt sich demnach der Gegenstand und somit der Erkenntnisbereich bestimmen.90 Die Frage danach, wer spricht und welche Sprache diese*r Sprecher*in verwendet, ist somit ein elementarer Analysepunkt.91 Neben der Frage wer autorisiert ist zu sprechen, welcher Gegenstand mit welchen Zielen besprochen wird und welcher Wissensgegenstand so diskursiv hervorgebracht wird, geht es ebenfalls darum die Autorisierungsinstanzen sowie die Machttechniken und das daraus hervorgehende Machtverhältnis zu analysieren.92 Nach der legitimen Sprecher*innen-Position zu fragen, bedeutet demnach danach zu fragen, welche Personen »das reglementäre oder traditionelle, juristisch definierte oder spontan akzeptierte Recht besitzen, einen solchen Diskurs hervorzubringen«.93 Entlang der Zusammensetzung von Diskursen, also den dort aktiven diskursiven Formationen und Diskursakteure, können Elementar-, Spezial- und Interdiskurse unterschieden werden. Die Unterteilung des Elementardiskurses in verschiedene Spezialdiskurse ermöglicht danach zu fragen, welche Spezialdiskurse mit ihren Aussagen häufiger in den Elementardiskurs gelangen und somit Geltungsansprüche erheben, und weiter danach zu fragen, gegen welche anderen Spezialdiskurse sie ankämpfen, sich durchsetzen oder Kompromisse aushandeln.94 Interdiskurse wären demnach die »selektiv-symbolischen, exemplarisch-symbolischen, also immer ganz fragmentarischen und stark imaginären Brückenschläge über Spezialgrenzen hinweg«.95 Spezial- und Elementardiskurs lassen sich zudem entlang der Macht in hegemoniale und nicht-hegemoniale Diskurse unterscheiden. Der nicht-hegemoniale Elementardiskurs wäre nach Link ein Subkultureller Diskurs, der hegemoniale Elementardiskurs wiederrum der populäre Mainstream Diskurs.96 Die Interdiskursanalyse erkennt Foucaults Verständnis davon an, dass im Diskurs nicht zwangsläufig die besseren Argumente hegemonial werden, sondern erklärt die ungleiche Machtverteilung als Effekt »eines komplexen Prozesses von Kopplungen zwischen Sektionen, Monopolisierungen, Etablierungen von Grenzen der Sag- und Wissbarkeit«.97 Das daraus hervorgehende etablierte Wissen wird Alltagswissen genannt. Link unterteilt das Alltagswissen in eine horizontale Wissensachse und eine vertikale Machtachse. Die Interdiskursanalyse operiert im Unterschied zur Diskursanalyse auf der horizontalen Wissensachse.98 Mit diesem Wissen ist es zunächst sinnvoll den Interdiskurs zu betrachten und entlang dieser Erkenntnisse den Transfer zwischen Wissen und Macht anhand der umfassenden Diskursanalyse zu bestimmen. »Alle Spezialisierungen von Wissen tendieren zur Monopolisierung und damit zur Ermächtigung.«99 Die durch eine Hegemonie des Dis90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

Vgl. Bührmann (2004): S. 31. Vgl. Bührmann (2004): S. 31. Vgl. Bührmann (2004): S. 37. Foucault (2013): S. 525. Vgl. Link (2005): S. 81. Link (2005): S. 87. Vgl. Link (2005): S. 91. Link (2005): S. 98. Vgl. Link (2005): S. 88f. Link (2005): S. 92.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

kurses entstehenden Kämpfe und Gegendiskurse verweisen auf die vertikale Machtachse.100 Aus diesem Grund ist es zulässig von Diskursarenen zu sprechen, da dies symbolisch dem Konflikt zwischen verschiedenen diskursiven Positionierungen ein Raumverständnis beimisst, wobei dieser Raum zunächst einen Grundkonsens symbolisiert, aus dem heraus um Privilegien und Ressourcen gekämpft wird. So gibt es bspw. einen Grundkonsens, dass es eine neue gesetzliche Regelung der PÄ geben muss, welche sozialen Freiheiten oder Verknappungen daraus hervorgehen, ist jedoch vollkommen offen, ebenso welche Deutungsmuster, legitime Sprecher*innen-Positionen und diskursive Praktiken ausgehandelt werden. Der Grundkonsens verweist nach Link bereits auf einen »soliden Sag- und Wissbarkeitsraum«.101 So ist aktuell sagbar, dass eine neue gesetzliche Regelung des Personenstandes und der daraus hervorgehenden Geschlechterordnung legitim ist, wodurch in der Diskursarena mit aller Wahrscheinlichkeit erst einmal nicht die Option aufkommt, in Zukunft die Menschen entlang ihrer Körpergröße oder ihres Körpergewichts zu ordnen. Diskursforschung rekonstruiert »das Geschlecht, ebenso wie das Subjekt, historisch kontingent aus einem Geflecht von diskursiven Praktiken und institutionellen Machttechnologien«.102 Die Diskursforschung interessiert sich demnach für die Konstruktion des Geschlechts und welche Praktiken wie Subjektivierungsweisen mit dem Geschlechterwissen verbunden werden. Das Zusammenspiel aus Macht und Wissen wiederrum produziert die Geschlechterordnung, indem Zweigeschlechtlichkeit entlang der Fortpflanzung (Anisogamie) als natürlich biologisiert und somit legitimiert wird. »Es stellt sich die Frage, wie und wo dieses unproblematisch erscheinende Wissen über die Natur der Geschlechter entsteht und welche Vorstellungen von Geschlecht damit ›normalerweise‹ verbunden und lebbar sind und welche verworfen werden (müssen).«103 Ein Diskurs ist jedoch kein Synonym für ein Kollektivbewusstsein: »Vielmehr handelt es sich bei Diskursen um eigenständige Praktiken, die eigene Regeln, ihre eigene Dynamik und eigene Formen der Verkettung haben. Diskurse konstituieren eine Materialität, in der sich Diskursives und Physisches miteinander verschränken.«104 Wissen und auch Wahrheit sind mit Bublitz also (Macht-)Effekte von Diskursen und können als solche Geschlecht und einen Geschlechtskörper diskursiv hervorbringen, indem das Wissen durch Körperpraxen materialisiert wird.105 Wie bereits aufgezeigt wurde, hat sich Foucault für das Sexualitätsdispositiv und die Praktiken der individuellen Körperdisziplinierung interessiert, aber erst mit Judith Butler erfolgte eine Erweiterung um Geschlechter-Diskurse.106 Butler hat Geschlecht als »Effekt kultureller Muster und machtförmiger Formen der Vergesellschaftung betrachtet«107 und die Geschlechtsidentität als diskursive Subjektivierung entlang des Geschlechterwissens

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Vgl. Link (2005): S. 97. Link (2005): S. 98. Bublitz (2019): S. 369f. Bublitz (2019): S. 370. Bublitz (2019): S. 371. Vgl. Bublitz (2019): S. 371. Vgl. Bublitz (2019): S. 372f. Bublitz (2019): S. 373.

3. Methodik

gekennzeichnet. »Die Verkörperung des Geschlechts wäre eine Art ›Zitieren‹ des Gesetzes, doch läßt sich dabei weder vom Geschlecht noch vom Gesetz sagen, sie existieren vor ihren unterschiedlichen Verkörperungen und Zitierungen.«108 Mittels Zitierung einer Konvention, welche dem Subjekt voraus geht, erfolgt ein performativer Akt der Anrufung, welcher den Diskurs materialisiert: »Durch die Figur der (Um-)Wendung richtet sich, so Butler, das Subjekt auf eine Macht, die es als solches erst einsetzt und es geschlechtlichen Normen unterwirft.«109 Butler baut so die Möglichkeit ein, dass das Subjekt der Anrufung ausweichen kann. Ein Diskurs ist demnach »das, was Subjekte allererst bildet oder formt, was dem Subjekt erst seine schiere Daseinsbedingung und die Richtung seines Begehrens gibt«.110 Im Gegensatz zu Foucault arbeitet Butler in diesem Zusammenhang die Wiederholung der regulierenden Normen als essentiell heraus, wodurch bei Butler entlang einer fehlerhaften Wiederholung durchaus Abweichungen der Norm produziert werden können.111 Daher postuliert Bublitz: »Die feministische Diskursforschung dekonstruiert die Geschlechterdifferenz und die geschlechtliche Identität als von Natur aus gegebene und begreift sie als Resultat machtvoller Wissenspolitiken, die performativen Verschiebungen unterworfen sind.«112 Bührmann geht im Anschluss an Foucault davon aus, dass Dispositive durch ihre Macht-Wissen-Komplexe Subjektivierungsweisen bereitstellen. In ihrer Forschung erkennt Bührmann bei Foucault eine Veränderung des Machttypus, vom klassisch-juridischen Machtypus zum modernen Machttypus.113 Mit dem Sinnbild des Panopticon114 führt Foucault »die panoptische Spielart der Macht« ein, welche entgegen der »allgemeine[n] Rechtsform, die ein System prinzipiell gleicher Rechte garantierte«,115 nun auf der Mikromacht, einem asymmetrischen System verschiedener Disziplinen, beruhe. Diese Disziplinen sind »nichts anderes als ein Subsystem des Rechts«.116 Demnach werde die klassische Autorisierungsinstanz um eine Disziplinarmacht erweitert, wodurch die hierarchische Überwachung der Individuen optimiert werde.117 »Dazu kommt, daß die rechtlichen Systeme nach allgemeinen Normen Rechtssubjekte qualifizieren, während die Disziplinen charakterisieren, klassifizieren, spezialisieren; sie verteilen die Individuen entlang einer Skala, ordnen sie um eine Norm herum an, hierarchisieren sie untereinander, und am Ende disqualifizieren sie sie […].«118 Moderne Gesellschaften setzen 108 109 110 111 112 113 114

115 116 117 118

Butler (1997): S. 156. Bublitz (2019): S. 374. Butler (2001): S. 7. Vgl. Bublitz (2019): S. 374. Bublitz (2019): S. 374. Vgl. Bührmann (2004): S. 34. In Anlehnung an den architektonischen Entwurf Benthams, eines ringförmigen Gebäudes, in dessen Mitte ein Turm steht, welcher an allen Seiten von außen nicht einsehbare Fenster besitzt, während sich in dem ringförmig umliegenden Gebäude Zellen befinden, die von hinten beleuchtet und von vorne komplett einsehbar sind. Die Häftlinge wissen in dieser Anordnung nicht, ob sie beobachtet werden und wenn ja, wann sie beobachtet werden, weshalb sie jederzeit damit rechnen müssen, und so beginnen sich selbst zu überwachen (vgl. Foucault [2013c]: S. 905). Foucault (2013c): S. 928. Foucault (2013c): S. 929. Vgl. Bührmann (2004): S. 34. Foucault (2013c): S. 929.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

entlang der Disziplinen dem Rechtssystem Grenzen, was wiederrum die Asymmetrie der Mächte unterstütze.119 Während die Disziplinen ein Wissen über die Individuen bereitstellen, entspringe diesem Wissen eine Mikro-Justiz, die unangebrachte Verhaltensweisen gesellschaftlich bestrafe.120 Foucault unterscheidet in diesem Sinne ganz klar die Ebenen dejure und defacto, indem er das Gesetz und die Justiz als ein Rechtssystem formal gleicher Rechte definiert und diesem eine Reihe Disziplinen als Subsystem zur Seite stellt, die durch Wissenschaft und -vermittlung die formal gleichen Rechte asymmetrisch verteilen, indem sie Klassifikationen vornehmen und diese hierarchisieren. »Die Techniken der überwachenden Hierarchie und der normierenden Sanktion verschränkten sich schließlich im ritualisierenden Akt der Prüfung, der es im Übrigen ermögliche, Machttechniken und Wahrheitsermittlung zu verbinden.«121 Eine solche Verschränkung von Machttechnik und Wahrheitsermittlung kann in dem – in Teilen außer Kraft gesetzten – TSG ermittelt werden. Durch die verordnete therapeutische Begleitung und abschließende Sachverständigen-Expertise wird der Versuch unternommen, die Wahrheit des PÄ-Ansinnens zu ermitteln und an die Vorgabe geknüpft, durch eine genitalangleichende Operation inklusive der erzwungenen dauerhaften Unfruchtbarkeit den Körper erneut in das binäre Machtsystem zu assimilieren. Während also die Diskursanalyse nach der Hervorbringung von einer Wissensordnung wie einem Gegenstands- bzw. Erkenntnisbereich fragt und welche strategischen Ziele der Diskurs verfolgt, fragt die Dispositivanalyse nach den »institutionalisierten sozialen Beziehungen in Machtformationen«122 und somit danach, durch welche Praxen die Machtverhältnisse gestützt werden. Schneider und Hirseland sehen die Dispositive den Diskursen vorgängig und somit den Dispositivbegriff über den Diskursbegriff hinausreichend.123 Das Dispositiv wird als Netz zwischen den Diskursen beschrieben, welches den Möglichkeitsraum für gültiges Wissen bereitstellt.124 Nach Schneider und Hirseland reagieren Dispositive immer auf gesellschaftliche Notstände, »sie reagieren auf und produzieren gesellschaftlichen Wandel«.125 Eine Dispositivanalyse kann demnach ergründen, was entlang der diskursiv vermittelten Wissensordnung auf den individuellen wie kollektiven Weltbezug handlungswirksam wird und somit auf die Wissensordnung rückwirken kann.126 Dementsprechend würde die Dispositivanalyse die routinierten

119 Vgl. Foucault (2013c): S. 930. 120 Vgl. Bührmann (2004): S. 35. Als Beispiel sei hier angeführt, dass die medizinwissenschaftliche Disziplin entlang der Wissensvermittlung von der Differenzierung des Körpergeschlechts in Männliches/Weibliches ebenso die Segregation der Sanitäreinrichtungen legitimiert, die bei Nichtbeachtung gesellschaftlich sanktioniert wird. Dies könnte noch weiter ausgeführt werden, indem bspw. die erziehungswissenschaftliche Disziplin auf Grundlage der geschlechtlichen Differenzierung eine geschlechtsspezifische Sozialisation begründet und normabweichende Verhaltensweisen sanktioniert werden (siehe hierzu auch Eckes [2010]: S. 179f.; Bilden [2006]: S. 58f.). 121 Bührmann (2004): S. 35. 122 Schneider; Hirseland (2005): S. 266. 123 Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 254. 124 Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 259. 125 Schneider; Hirseland (2005): S. 261. 126 Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 261.

3. Methodik

und somit unhinterfragten Alltagspraxen und Handlungsweisen einbeziehen, aus denen Subjektivierungen hervorgehen, die durch die Wissensordnung des Diskurses vorstrukturiert sind. Dispositivanalysen untersuchen demnach das Gebrauchswissen in Verbindung mit dem diskursiv vermittelten Wissen.127 Dispositive kennzeichnen nach Bublitz somit die Vermehrung und Intensivierung des Wissens und der Praktiken.128 Bührmann führt entlang ihrer Überlegungen zum Dispositiv deshalb den Begriff der Subjektivierungsweise ein.129 Diese sei die verkörperte diskursive Praktik, entlang derer sich Individuen in der Welt selbst wahrnehmen. Grundlegend war hier Bührmanns Forschung zum Geschlechterdispositiv, in welchem sie Geschlecht als zentrale Subjektivierungsweise moderner okzidentaler Gesellschaften erkennt, welches die Menschen gleichzeitig hierarchisch vergesellschaftet.130 Bührmann stellt mit der Subjektivierungsweise den Erkenntnisobjekten von Foucault ein verkörpertes Produkt derer bei.131 Am Beispiel Geschlecht verdeutlich Bührmann das Dispositivkonzept, da die Geschlechterdiskurse zu geschlechtlichen Subjektivierungsweisen führen und im Kontext des Geschlechterverhältnisses, als »das Insgesamt institutionalisierter Gegebenheiten sowie normativer Regelungen« verstanden werden. Hier könnte dann innerhalb einer Dispositivanalyse nach der Existenz von Bruchstellen und Verschiebungen gefragt werden, die ihrerseits auf Veränderungstendenzen in Bezug auf das Geschlechterverhältnis verweisen.132 In diesem Zusammenhang konnte sie mit ihrer Studie das Geschlechterdispositiv inklusive geschlechtlicher Subjektivierungsweisen aufzeigen. Statt eines natürlichen, unveränderlichen Körpergeschlechts erzeugen die geschlechtlichen Subjektivierungsweisen Männer und Frauen, also eine »bestimmte geschlechtliche Identität, versehen mit bestimmten, als adäquat betrachteten Verhaltensund Empfindungsweisen bzw. -fähigkeiten«,133 entlang derer ebenfalls das hierar127 128 129

Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 262f. Vgl. Bublitz (2006): S. 259. Im Anschluss an Foucault erkennt Bührmann in Dispositivanalysen die Möglichkeit aufzuzeigen, dass es sich bei Subjektpositionen und darauf aufbauender Subjektivität um »singuläre und begrenzte Erfahrungen handelt, die von bestimmten historischen Bedingungen der Möglichkeit, wie spezifischen diskursiven« Praktiken abhängig sind (vgl. Bührmann [2004]: S. 29). Eine transgeschlechtliche Subjektposition wäre eine solche diskursive Praktik, die durch das Ansinnen einer genitalangleichenden Operation, aber auch dem Antrag auf dritten Personenstand oder der Klage vorm BVerfG gefunden werden könnte. Auch Keller hat sich mit der Subjektivierung entlang von Diskursen befasst und beginnt diese mit einer Kritik an Judith Butler. Butler hat in ihrem Werk »Das Unbehagen der Geschlechter« (1991) folgende Überlegung geäußert: »Sagt man, daß das Subjekt konstituiert ist, so bedeutet dies einfach, daß das Subjekt eine Folgeerscheinung bestimmter regelgeleiteter Diskurse ist, die die intelligible Anrufung der Identität anleiten« (Butler [1991]: S. 213). Diese These schießt nach Keller über das Ziel hinaus, da sie nicht berücksichtigt, dass Menschen sich angebotene Subjektkonstitutionen aneignen müssen und die Diskurse demnach Subjektkonstitutionen nur anbieten (vgl. Keller [2012]: S. 69). 130 Vgl. Bührmann (2004): S. 24f. 131 Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 265. So kann für den Diskurs um Transgeschlechtlichkeit festgestellt werden, dass die Rede vom falschen Körper aus den diskursiven Praxen der »Geschlechtsumwandlung« hervorgeht und gleichzeitig hat der Diskurs Rückwirkung auf das Geschlechterdispositiv, da dieser die Naturalisierung von Geschlecht reproduziert und essentialisiert. 132 Vgl. Bührmann (2005). 133 Bührmann (2004): S. 24.

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chische Geschlechterverhältnis begründet wird. Der Körper erscheint bei Bührmann einerseits als materiell existierendes Produkt, als Körpergeschlecht jedoch ebenso als erzeugte und durch den Macht-Wissen-Komplex durchdrungene Materie, die entlang geschlechtlicher Subjektivierungsweisen als männlich oder weiblich wahrgenommen oder von außen als solche klassifiziert wird.134 Das Gesetze wie das Personenstandgesetz oder das Abstammungsgesetz vor allem die geschlechtlichen Ordnungskategorien Frau und Mann stützen, verweist auf ein hegemoniales Geschlechterdispositiv, welches einem »historisch entstandene[n] Insgesamt diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken« entspricht.135 Die Studie von Bührmann zeigt auf, dass es wenig Sinn hat, einen spezifischen Geschlechtskörper zu unterstellen, von dem geschlechtliche Identitäten abzuleiten sind, sondern stattdessen nach diskursiven Ereignissen zu suchen, die auf eine Transformation von geschlechtlichen Subjektivierungsweisen im Geschlechterdispositiv verweisen.136 Als ein solches diskursives Ereignis kann die Außerkraftsetzung großer Teile des TSG gesehen werden und die daraus hervorgehende Notwendigkeit, eine neue Gesetzgebung für einen Personenstandswechsel zu finden. Allerdings darf das TSG nicht als Ort, an dem die Macht durch die Rechtsinstitution durchgesetzt wird, missverstanden werden. Macht entspricht nicht einer hierarchischen Strukturierung eines gesellschaftlichen Feldes und lässt sich demnach nicht lokalisieren oder durch ein zentrales Organ durchsetzen. Foucaults Machtanalyse erkennt, dass die Macht »von unten nach oben« und von »unendlich kleinen Mechanismen«137 ausgehend in Erscheinung tritt. Bührmann zielt mit der Dispositivanalyse auf genau diese kleinen Mechanismen ab, da diese wie »Mikromächte den gesamten Gesellschaftskörper durchliefen«.138 Macht kann nach Foucault also nicht in den individuellen Besitz gehen, demnach kann auch kein Staat, keine Klasse oder auch kein Geschlecht die Macht besitzen. Auch wäre Macht an keinem Ort lokalisierbar und demnach auch nicht in einem Gerichtssaal. Statt nach Machtbesitz zu fragen, seien die Machtbeziehungen zu analysieren. Die Machtverhältnisse sind nach Foucault ein Effekt der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.139 Bührmann verweist mit Foucault darauf, dass es nicht darum geht zu fragen, wer die Macht besitzt, sondern danach, welche Machtbeziehungen in den Begriffen zu finden sind und welche Taktik und Strategie dahinter liegt. So ließen sich die Kräfteverhältnisse im Diskurs bestimmen, die sich in der Produktion der Wirklichkeit durchsetzen konnten. Auch Bührmann bezeichnet den Diskurs als Ort politischer Kämpfe, die jeweils um eine Wahrheitsordnung der Gesellschaft ringen.140 Bührmann hält es für die Dispositivanalyse nötig, die Kontroverse zwischen strukturalistischen und interaktionalistischen Ansätzen systematisch miteinander zu verknüpfen und Geschlecht sowohl als Strukturkategorie als auch als Prozesskategorie

134 135 136 137 138 139 140

Vgl. Bührmann (2004): S. 24. Bührmann (2004): S. 25. Vgl. Bührmann (2004): S. 26. Foucault (1978): S. 83. Bührmann (2004): S. 33. Vgl. Bührmann (2004): S. 33. Vgl. Bührmann (2005).

3. Methodik

anzusehen.141 Nur so könne das empirisch-praktische Zusammenspiel von gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Handlungen analysiert werden. Entlang dieser Voraussetzung kann das Verhältnis von diskursiv vermittelten Geschlechterwissen, Geschlechterkategorien und -zugehörigkeiten, aber auch soziale Geschlechternormen wie Geschlechterhierarchisierungen und »(Selbst-)Wahrnehmungen der vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Individuen« bestimmt werden.142 Bührmann schlussfolgert deshalb, dass es unabhängig von den zu untersuchenden Daten nötig ist, zwischen Subjektformierung und Subjektivierungsweise zu differenzieren.143 Im Rahmen dieser Diskursanalyse werden vor allem Subjektformierungen untersucht, wobei durch die Stellungnahmen der Interessenverbände auch Rückschlüsse auf die Subjektivierungsweisen möglich sind. Um eine konkrete Abgrenzung von Diskurs- und Dispositivanalyse vorzunehmen kann zusammengefasst werden, dass die Diskursanalyse den Erkenntnisbereich (Gegenstand), die Äußerungsmodalität, die Begriffe und die die strategische Wahl untersucht, während eine Dispositivanalyse die Machtbeziehungen, die Autorisierungsinstanzen, die Machttechnologien und dahinterstehende Machtstrategien analysiert.144

141 142 143 144

Vgl. Bührmann (2019): S. 500. Bührmann (2019): S. 501. Vgl. Bührmann (2019): S. 502. Mit seinem Archäologiebegriff fasst Foucault das Subjekt als Subjekt und Objekt von Diskursen, während sein Genealogiebegriff die Produktion von Individuen »als durch Mikropraktiken der Macht spezifisch habitualisierte Subjekte in den Vordergrund« rückt (Bührmann [2004]: S. 27).

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Abb. 3: eigene Darstellung

3.2.1 Wissenssoziologische Diskursanalyse Bevor nun in die Methode der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) eingeführt wird, bedarf es einiger wissenssoziologischer Anschlussüberlegungen, mit denen an Foucaults Diskurstheorie angeknüpft wird. Die Wissenssoziologie betrachtet nach Keller die gesellschaftliche Wissensproduktion, die institutionelle Stabilisierung von Wissensvorräten und wie eine subjektive Wissensaneignung vollzogen wird.145 Alfred Schütz verweist darauf, dass es sich um eine interaktive Wissenserzeugung handelt, welche dann objektiviert werden müsse, um sozialisatorisch vermittelt werden zu können.146 Ähnlich der Thesen Foucaults erkennt die Wissenssoziologie also auch die Bedeutung von Wissen und verortet das Entstehen von Wissen im praktischen Handlungsvollzug. Peter Berger und Thomas Luckmann verstehen Gesellschaft als objektive und subjektive Wirklichkeit zugleich. Objektiv ist diese, weil Wissen intersubjektiv erschlossen wird und sich so eine sozial konstruierte Wirklichkeit herausbildet, die entlang des Wissensvorrates abrufbar ist und Regeln, Normen wie Moralvorstellungen umfasst. Subjektiv ist

145 Vgl. Keller (2011a): S. 59. 146 Vgl. Keller (2011a): S. 60.

3. Methodik

die Wirklichkeit, weil sie von Subjekten in spezifischen Situationen individuell angeeignet wird.147 Nach Berger/Luckmann ist die Gesellschaft subjektiv wie objektiv Wirklichkeit, was sich in den drei Komponenten der Externalisierung, Objektivation und Internalisierung widerspiegelt. So gelte für das einzelne Mitglied der Gesellschaft, dass es »simultan sein eigenes Sein in die Gesellschaft hinein externalisiert, das heißt also, sich seiner entäußert und die Gesellschaft wiederrum umgekehrt internalisiert, das heißt sich ihre objektive Wirklichkeit einverleibt«.148 Jürgen Link greift diese Thesen auf und schlussfolgert, dass Personen sich als Subjekte ausdrücken und dies durch Typisierung objektiviert werde, woraus ein gesellschaftliches Alltagswissen hervorgehe, welches sich dann arbeitsteilig in Spezialwissen differenzieren lasse. Aus einer gemeinsam geteilten Sinnwelt gehen so unzählige Subsinnwelten (bspw. in der Medizin, Politik, Rechtswissenschaft) hervor.149 Das überträgt Link auf die Diskurstheorie, wobei er hier jedoch von den Termini Elementardiskurs und Spezialdiskurs spricht. Link hält es für notwendig, die Vermittlung zwischen Elementar- und Spezialdiskurs zu betrachten und benennt diese als Interdiskurs.150 Eine diskursive Formation meint mit Foucault einen Spezialdiskurs, was Berger/Luckmann als Subsinnwelt bezeichnen. Aus beidem geht ein – durch spezielles Wissen – (re-)produzierter Wiss- und Sagbarkeitsraum hervor.151 Wissen entsteht nach Keller in der »situativen Externalisierung von Sinnangeboten, der interaktiven Verfestigung von Handlungen und Deutungen durch Prozesse der wechselseitigen Typisierung durch unterschiedliche Akteure, der habitualisierten Wiederholung, der Objektivation durch Institutionsbildung (etwa in Rollen) und der Weitergabe an Dritte in Formen sozialisatorisch vermittelter Aneignung«.152 In diesem Vorgang werde die geschichtliche Kontingenz auf Dauer verschleiert. Die Vermittlung erfolgt über sprachliche Mittel, entlang von Legitimationstheorien und der Setzung von Deutungsrahmen. Die daraus hervorgehenden Sinnwelten können durchaus in Konkurrenz zueinanderstehen, wodurch Interessen umkämpft und Machtverhältnisse erzeugt werden,153 denn »Institutionen und symbolische Sinnwelten werden durch lebendige Menschen legitimiert, die ihren konkreten gesellschaftlichen Ort und konkrete gesellschaftliche Interessen haben«.154 Über Institutionen stellt die Gesellschaft den sozialen Akteuren historisch entstandene Wissensbestände zur Verfügung, welche mittels Sozialisation angeeignet werden. Allerdings werden diese nicht einfach internalisiert und in konkrete Deutungsund Handlungsakte transferiert, sondern sie werden von den Akteuren interpretiert und sind dementsprechend für Transformation, Formung, Brechung und Reproduktion offen. Akteure befähigen sich also entlang der Aneignung gesellschaftlicher Wissensbestände zur Selbstreflektion und Subjektivierung.155 Handeln Individuen sinnorientiert, 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Vgl. Keller (2006): S. 120. Berger; Luckmann (2013): S. 139. Vgl. Link (2005): S. 78f. Vgl. Link (2005): S. 79. Vgl. Link (2005): S. 80. Keller (2006): S. 121. Vgl. Keller (2006): S. 121. Berger; Luckmann (2013): S. 137. Vgl. Keller (2006): S. 119.

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also entlang eines wissensvermittelten Sinns, »so agieren sie als konstituiertes Subjekt«, sprich: sie subjektivieren sich entlang eines Diskurses.156 Dabei eignen sich die Subjekte das Weltwissen an: »Unser Weltwissen ist nicht auf ein angeborenes, kognitives Kategoriensystem rückführbar, sondern auf gesellschaftlich hergestellte symbolische Systeme oder Ordnungen, die in und durch Diskurse produziert werden.«157 Solche symbolischen Ordnungen sind bspw. Klassifikationen oder auch Gesetze, sie gelten als Effekte von Diskursen und Voraussetzung für neue Diskurse. Klassifikationen sind nach Keller »eine institutionell stabilisierte Form sozialer Typisierungsprozesse und für die Diskursforschung wegen ihrer ›weltordnenden‹ Funktion von großer Bedeutung«.158 Foucault benennt das Subjekt als eine Form, welche entlang historischer Prozesse nicht mit sich selbst identisch sein könne und darüber hinaus von gesellschaftlichen Kraftlinien durchzogen sei, die gegeneinander kämpften, weshalb er den Menschen selbst als Gruppuskel bezeichnete.159 Foucault interessiert sich deshalb vor allem für Klassifikationen, die er mitunter als Denksysteme bezeichnet. Aus diesen gehe das Subjekt als Objekt des Erkennens hervor, wodurch soziale Praktiken zu Subjektivierungsmodi überführen, die historische Existenzweisen hervorbringen können.160 Klassifikationen sind mit Keller »Phänomene, die in ihnen und durch sie vorgenommen werden«.161 Statt der geläufigen Annahme, dass Klassifikationen die Wirklichkeit ordnen, erkennt die Wissenssoziologie, dass Klassifikationen die Wirklichkeit schaffen, gleichfalls diese formalisieren und institutionalisieren.162 Foucaults Fokus auf Klassifikationen lässt sich mit dem Konzept der Deutungsmuster ergänzen, welche die Wahrnehmung des Alltags organisieren:163 »Deutungsmuster werden in der wissenssoziologischen Tradition als kollektive Produkte, als Elemente des gesellschaftlichen Wissensvorrats vorgestellt. Um beide Ebene zu ermitteln wäre die Analyse von narrativen Strukturen geeignet, welche die diskursiven Aussagen strukturieren und Deutungsmuster mit Klassifikationen in Beziehung setzen.«164 Als Deutungsmusterlieferanten für Klassifikationen hat Foucault die Disziplin der Medizin erkannt, welche die gesellschaftlichen Unterschiede (Alter, Geschlecht, Sexualität uvm.) aufrechterhalte, sie verstärke und schütze. Weiter verlaufe dies individualistisch und geheim als Dialog unter vier Augen, wodurch die Praxis intransparent wird.165 So habe die Medizin durch ihre Definitionsmacht eine richterliche Funktion inne. In der Tat unterstütze die Medizin sogar die Justiz, da sie definiert was kriminell oder nicht kriminell ist, was erlaubt/nicht-erlaubt und was krank/nicht-krank ist.166

156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166

Vgl. Keller (2012): S. 90. Keller (2011a): S. 59. Keller (2011a): S. 102. Vgl. Keller (2012): S. 73. Vgl. Keller (2005): S. 52. Keller (2005): S. 69. Vgl. Keller (2005): S. 69. Vgl. Keller (2005): S. 68. Keller (2005): S. 70. Vgl. Foucault (2002a): S. 474f. Vgl. Foucault (2002a): S. 475.

3. Methodik

Foucault definiert die so produzierten Anormalen daher als menschliche Ungeheuer, weil das Unmögliche mit dem Untersagten kombiniert wird und somit Zweideutigkeiten produziert (Ambiguität) werden.167 Aus dem menschlichen Ungeheuer geht das medizinisch korrektionsbedürftige Individuum hervor, welches mittels Zurichtungstechniken an die gesellschaftlichen Anforderungen angepasst wird.168 Die PÄ an Vorgaben zu knüpfen verweist auf diese Zurichtungstechniken, welche die Unkorrigierbarkeit zu korrigieren versuchen. Während Transgeschlechtlichkeit weiterhin als das gesellschaftlich Anormale produziert wird, wurde Intergeschlechtlichkeit bereits gesetzlich normalisiert und anerkannt. Auch das stützt die regelrechte Ordnung, da die Normalisierung entlang der Biologisierung des Geschlechts erfolgt und somit Geschlecht als Ordnungsgrundlage bestätigt wird. Im Sinne Foucaults bestätigen beide Phänomene (Inter-/Transgeschlechtlichkeit) das institutionelle Netz, »das an der äußersten Grenze von Medizin und Justiz zugleich als ›Aufnahme‹struktur für die Anormalen und als Instrument zur ›Verteidigung‹ der Gesellschaft dient«.169 Solange es eine gesetzliche Sonderregelung für intergeschlechtliche Personen und eine gesetzliche Reglementierung für Transgeschlechtlichkeit gibt, werden anormale Subjektpositionen produziert, welche wiederrum andere Subjektpositionen zur Norm erheben. Demnach verfügen Klassifikationen über eine performative Wirkung, da sie angeeignet und zur Selbstbeschreibung werden können oder als Grundlage für Identitätspolitik dienen.170 Wenn etwas jedoch kategorial uneindeutig ist (Ambiguität) und sich nicht so recht klassifizieren lässt, dann können Phänomene nicht entlang der routinisierten Deutungsund Handlungsmuster eingeordnet werden und werden als Problem wahrgenommen, die neuer passungsfähigeren Typisierungen bedürfen.171 Keller formuliert deshalb vorsichtig die Vermutung, »dass Irritationserfahrungen auf der Ebene kollektiver Wissensvorräte bzw. symbolischer Ordnungen zum Katalysator von Diskursen werden, die ›neue‹ Interpretationen generieren und damit in Konkurrenz und Herausforderung zu den etablierten Diskursformationen treten«.172 So kann die Entstehung des TSG auf eine solche Irritation zurückgeführt werden, da immer mehr Menschen eine genitalangleichende Operation durchführen ließen und dementsprechend auch eine rechtliche Anerkennung forderten. Doch auch die Klagen von transgeschlechtlichen Personen vor dem BVerfG führen zu einer Irritation, da sie das Bild von Transgeschlechtlichkeit irritieren, wenn sie bspw. keine genitalangleichende Operation durchführen lassen und Kinder nach Erlangung ihres richtigen Personenstandes zeugen/gebären wollen. Hier führt die Kollision von Wissensaneignung und Wissensbestand zu der Produktion von neuem Wissen. Keller kritisiert, die Wissenssoziologie würde ihren Fokus einzig auf die soziale und interaktive Konstruktion von Wirklichkeit legen. Es würden zwar Sondersinnwelten und Expertenwissensbestände erwähnt, jedoch nicht zum eigenständigen Gegenstand der

167 168 169 170 171 172

Vgl. Foucault (2002c): S. 1024f. Vgl. Foucault (2002c): S. 1026f. Foucault (2002c): S. 1031. Ebd. Vgl. Schütz/Luckmann (1979): S. 30ff.; vgl. Keller (2011b): S. 290. Keller (2011b): S. 291.

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Forschung, sondern im Kontext von Aneignung- wie Verstehensleistungen und Interaktionsprozessen einzelner Gesellschaftsmitglieder verortet. Die kollektive Wissensproduktion und -vermittlung sowie -verteilung geraten nebst der machtvollen Strukturierungsprozesse in den Hintergrund.173 Diese Leerstelle könne mit Foucaults Diskurstheorie gefüllt werden, da Foucault die Ansicht vertritt, dass Diskurse geregelte Praktiken der Deutungsproduktion wie Wirklichkeitskonstitution sind und in Machtverhältnisse verwoben seien.174 Die Wissenssoziologie könne sinnvoll um die Wissen-Macht-Komplexe ergänzt und dahingehend erweitert werden, »daß Machtverhältnisse nicht nur die Produktion und Durchsetzung von Wissen strukturieren, aber dem Wissen äußerlich bleiben, sondern als in das Wissen eingebaut begriffen werden«.175 Im Zuge dessen würden »spezialisierte gesellschaftliche Felder der Problembearbeitung (wie etwa das Recht)« interessant werden.176 Genau in diesen Feldern zeige sich, dass Diskurse sich um gesellschaftliche Deutungs- und Handlungsprobleme kristallisieren und somit Arenen der systematischen Diskursproduktion seien.177 »Das Diskursive kann verstanden werden als eine (spezifische) Praxis des Bedeutens, es ist (Re)Produzent wie Ausdruck von – in einer gegebenen historisch-gesellschaftlichen Situation – als ›wahr‹ geltenden Wissensordnungen.«178 Die Diskursanalyse kann also bestimmen, was Menschen entlang ihres gesellschafts- und/oder gruppenspezifischen Wissens für wahr halten und somit kann auch bestimmt werden, wodurch ihr Handeln geleitet wird. Wissenssoziologisch wird diese Bestimmung um die Frage danach erweitert, wie gesellschaftliche Wahrheit und demnach gesellschaftliche Wirklichkeit hergestellt oder gesichert wird. »Wahrheit […] wird in diesem Sinne durch diskursive Prozesse produziert und vermittelt – kurzum: Sie ist immer der gesellschaftliche Effekt machtvoller diskursiver Praktiken.«179 Hegemoniale, also vorherrschende Wissensordnungen, werden demgemäß als Wissensregime bezeichnet.180 Diese Wissensregime stellen ihrerseits »spezifische Techniken der Subjektformierung/-positionierung« zur Verfügung, indem sie Subjekt und Objekt in Beziehung zueinander setzen und durch Wissens- und Wahrheitspolitiken Handlungserwartungen formulieren.181 Die WDA verbindet also Foucaults Diskurstheorie mit der Wissenssoziologie von Berger/Luckmann. »Der Wissenssoziologischen Diskursanalyse geht es um die Erforschung der Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen (Wissens-Regimen, Wissenspolitiken) auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. kollektiven Akteuren und um die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirkung dieser Prozesse.«182 Entlang von Diskursen, so Keller, lasse sich eine 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182

Vgl. Keller (2006): S. 122. Vgl. Keller (2006): S. 125. Keller (2006): S. 127. Vgl. Keller (2006): S. 130. Vgl. Keller (2006): S. 132. Schneider; Hirseland (2005): S. 255. Schneider; Hirseland (2005): S. 256. Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 255. Vgl. Schneider; Hirseland (2005): S. 257. Keller (2005): S. 49.

3. Methodik

symbolische Ordnung erzeugen oder reproduzieren und mittels dieser ein Sinnzusammenhang und eine Wissensordnung etablieren, an denen sich soziale Praktiken, Individuen und Gemeinschaften orientieren. Den deutlich umfassenderen Wissensbegriff haben Berger/Luckmann entlang der Wissensanalyse von Schütz entwickelt, in dem alles als Wissen gilt, was als wirklich gedacht wird.183 Allen voran das Handlungs- und Deutungswissen bricht in Interaktionen hervor, kann in Form von Institutionalisierung sozial objektiviert und so als gesellschaftliche Sinnwelt wahrgenommen werden. Jeder Wissens-Komplex umfasst nach Berger/Luckmann eine mehrstufige Legitimierung. Diese Stufen reichen von der Benutzung bestimmter Vokabularien, über entsprechende Postulate und anschließende explizite Legitimationstheorien.184 Die daraus hervorgehenden Wissensordnungen sind nach Keller Produkte sozialer Interaktionen und werden als solche von den sozialen Akteuren sozialisatorisch internalisiert und in der laufenden Interaktion reproduziert.185 Die WDA erkennt im Sinne der Diskurstheorie demnach die symbolische Ordnung als »historisch kontingente Fixierungen von Sinnstrukturen«186 an, welche durch Diskurse hervorgebracht werden. Die symbolische Ordnung umfasst bspw. Hierarchie-/ Machtverhältnisse, Typisierungen, und aus der Verschränkung von beiden, daraus hervorgehende Ungleichheitsstrukturen. Typisierungen werden von der WDA im Angesicht der Wissenssoziologie als routinierte Deutungsinstrumente verstanden, die als Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrates individuell angeeignet werden.187 Die WDA folgt damit der Grundannahme, dass institutionell benennbare Akteure die symbolische Ordnung der Gesellschaft produzieren, demnach darum ringen, was als Normalität oder Abweichung verstanden wird und welche Wirklichkeit als Wahrhaftige, als fraglos Gegebene verstanden wird. Was nun als Wissen gesellschaftlich vermittelt wird, das liefert ebenso Deutungsangebote mit welchen individuelle wie kollektive Auseinandersetzungen oder das Aufbrechen von Handlungsroutinen durch Störungen, aber auch das historisch gewachsene weite Feld der symbolischen Ordnungs- und Wissensgefüge versteh- und handhabbar werden.188 Genau hier erkennt die WDA eine Verschränkung von foucaultscher Diskurstheorie und Wissenssoziologie, da »die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit […] so an der Konstitution von (Sinn-)Strukturen der sozialen Beziehungen und der materialen Objektwelt mit[wirkt]«.189 Die WDA analysiert folglich »gesellschaftliche Definitions- bzw. Wissensverhältnisse und die sich darin entfaltenden Wissenspolitiken sozialer Akteure als Diskurse, d.h. als historisch spezifische und spezifizierbare Prozesse und Praktiken im Medium sprachvermittelter Auseinandersetzungen«.190 Aus diesem Grund ist die WDA besonders geeignet, um sozialen Wandel oder Transformationsprozesse gesellschaftlicher Wissensregime zu untersuchen. Weiter erkennt Keller die WDA auch in dem 183 184 185 186 187 188 189 190

Vgl. Keller (2005): S. 50. Vgl. Berger; Luckmann (2013): S. 98f. Vgl. Keller (2005): S. 51. Keller (2011b): S. 289. Vgl. Keller (2011b): S. 290. Vgl. Keller (2012): S. 74. Vgl. Keller (2012): S. 74. Keller (2011b): S. 279.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Feld der Identitätspolitiken und den lebensstilbezogenen Kämpfen um Anerkennung als Analyseinstrument einsetzbar, da sich die WDA zum einen in besonderer Weise auf die sozialen Akteure und die Sprecher*innen-Positionen im Diskurs bezieht, des Weiteren auf die Subjektpositionen, welche der Diskurs zur Subjektivierung anbietet. Dies verweist auf zwei Ebenen; zum einen die Ebene der sozialen Akteure, »die sozial konstituiert sind und in ihren Tätigkeiten Soziales hervorbringen«, welche dann »(vorübergehend) als Sprecher/innen oder Adressat/innen von Diskursen fungieren«191 und die Ebene der diskursiven Subjektivierungen, entlang derer sich soziale Akteure subjektivieren können. Demgemäß sind die sozialen Akteure nicht nur Adressat*innen, sondern auch Sender*innen der diskursiv erzeugten Wissensbestände, weshalb Keller sie »nach Maßgabe der soziohistorischen und situativen Bedingungen [als] selbstreflexive Subjekte [wahrnimmt], die in ihrer alltäglichen BeDeutungsleistung soziale Wissensbestände als Regelbestände mehr oder weniger eigen-sinnig interpretieren«.192 Alle sozialen Diskursakteure durchlaufen Formierungsprozesse (bspw. Kompetenzerwerb, Regelorientierung und Handlungsressourcenerwerb) mit dem sie Diskursadressat*innen als individuelle Akteure konstituiert werden. Übernehmen sie hingegen eine Diskurssprecher*innen-Position, so treten die sozialen Akteure als Rollenspieler*innen auf, da sie im Rahmen ihrer institutionalisierten Rollen als Diskurssender*innen auftreten und Äußerungen wie diskursive Aussagen formulieren.193 Die Sprecher*innenPositionen wiederum sind durch einen geschichtlichen Prozess strukturiert und hierarchisiert, indem Sprecher*innen entlang ihrer Ausbildung, Karriere und ihres Engagements legitimiert werden. Öffentliche Diskurse haben demnach eine deutlich heterogenere Sprecher*innen-Landschaft, als bspw. wissenschaftliche Diskurse.194 Davon zu unterscheiden sind die diskursiven Subjektpositionen, welche die sozialen Akteure adressieren und gesellschaftlich positionieren. Keller beschreibt Subjektpositionen als »Identifikationsangebote für Subjektivierungen – also Subjektpositionen – entlang von Gegensätzen zwischen einem positiv besetzten ›Wir‹ und den ›gegnerischen‹ Anderen«.195 Im vorliegenden Diskurs werden bspw. Mann/Frau/Inter als biologisiert-vergeschlechtlichte Subjektpositionen angeboten und Transgeschlechtlichkeit als eine Zwischenstation der Subjektivierung verstanden, wodurch diese nicht als eigenständige Subjektposition wahrgenommen wird. Die TSG-Gesetzgebung bis 2011 sah als Gate-Keeperin eine genitalangleichende Operation und dauerhafte Unfruchtbarkeit als Zugangsvoraussetzung für die biologisiert-vergeschlechtlichte Subjektpositionen Mann/Frau vor, doch nach der Außerkraftsetzung des § 8 TSG zeigte sich, dass viele auf die Subjektivierungsweise der genitalangleichenden Operation verzichteten. Während also der Diskurs nach wie vor biologisiert-vergeschlechtlichte Subjektpositionen anbietet, verweist die transgeschlechtliche Subjektivierungsweise auf neue vergeschlechtlichte Subjektpositionen:

191 192

Keller (2012): S. 92. Keller (2012): S. 93. In diesem Moment wird der Subjektbegriff der Wissenssoziologie vom Identitätsbegriff abgelöst, welcher als dynamischer Prozess auf die Intersubjektivität verweist und somit Interaktion und Kommunikation voraussetzt (vgl. Keller [2012]: S. 96f.). 193 Vgl. Keller (2012): S. 97f. 194 Vgl. Keller (2012): S. 99. 195 Keller (2012): S. 100.

3. Methodik

»Subjektbezogene Konzepte sozialen Handelns erlauben, soziale Wirklichkeit aus der Sicht von Akteuren zu beschreiben und soziales Handeln als subjektiv sinnhaft zu begreifen. Damit ist unter anderem der Weg zu einer prinzipiellen Anerkennung der Definitionsabhängigkeit sozialer Wirklichkeit […] und ihrer (Multi-)Perspektivität beschritten.«196 Die WDA interessiert sich demnach »für Diskurse als strukturierende Praktiken gesellschaftlicher Wissensverhältnisse« und die institutionellen »Orte und Verknappungsmechanismen der Aussageproduktion« sowie »die Akteure, Kämpfe, Strategien und Taktiken in und zwischen Diskursen«.197 Die aufgezählten Interessenschwerpunkte werden als Spielanleitungen für die diskursiven Kämpfe angesehen.198 Nach Keller kann die WDA entlang der Verschränkung von Diskurstheorie und Wissenssoziologie die Relation von Diskursen und sozialen Akteuren auf drei Ebenen analysieren: Indem die Sprecher*innen-Position analysiert wird, lassen sich die Orte des legitimen Sprechens herausarbeiten, aufgrund derer die Diskursakteure eine entsprechende Rolle einnehmen, zu der sie bspw. durch den Erwerb spezifischer Qualifikationen ermächtigt sind. Weiter wären die Identitätsangebote zu untersuchen, die durch den Diskurs erzeugt und vermittelt werden und soziale Praxen strukturieren sowie Handlungen ordnen.199 Folgend sollen in einem ersten Schritt die »Prozesse der sozialen Konstruktion und Vermittlung von Deutungs- und Handlungsweisen«200 im rechtlichen Diskurs um Transgeschlechtlichkeit betrachtet und in einem zweiten Schritt die Auswirkungen dieser Prozesse auf soziale Praktiken und Subjektpositionen untersucht werden. Vor allem der letzte Schritt kann die symbolischen Kämpfe um Normalität, das Ringen um symbolische Ordnung und daraus hervorgehende wirklichkeitskonstituierende Effekte offenlegen.201 Zusammengefasst will die WDA eine Rekonstruktion der Bedeutungsproduktion und der Handlungspraktiken vornehmen und hinsichtlich möglicher gesellschaftlicher Folgen fragen.202 Dabei folgt die WDA der Annahme, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit sinnhaft konstituiert ist und von den Subjekten im Alltag wie in der Wissenschaft, in Kommunikation und Interaktion ausgehandelt wird.203 Somit ist die WDA keine eigenständige Methode, sondern viel mehr ein Gegenstandsbereich und Untersuchungsprogramm, also so etwas wie ein Forschungsparadigma.204

3.2.2 Narrationsanalyse Es gibt mit Keller in der WDA drei Möglichkeiten der Analyse; so könne zwischen Phänomenstruktur, Deutungsmuster- und Narrationsanalyse unterschieden werden, wobei 196 197 198 199 200 201 202 203 204

Proferl (2009): S. 242. Keller (2005): S. 63. Vgl. Keller (2005): S. 64. Vgl. Keller (2005): S. 65. Keller (2005): S. 71. Vgl. Keller (2005): S. 71. Vgl. Keller (2006): S. 115f. Vgl. Keller (2006): S. 118. Vgl. Keller (2006): S. 137.

93

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Das Selbstbestimmungsgesetz

letztere die beiden vorausgehenden aufgreift und mit einbezieht.205 Wie zuvor herausgearbeitet wurde, sprechen in einem Diskurs alle Akteure von derselben Sache, sie beziehen sich also gemeinschaftlich auf ein bestimmtes diskursives Ereignis206 und Sprache als solche konstituiert in diskursiven Praktiken nach Foucault das Wissen um die Diskursgegenstände.207 Homogen ist der Diskurs deswegen jedoch nicht, da wie bereits dargestellt, ein Diskurs einer Auseinandersetzung gleicht und somit einem Kampf um Ressourcen, Anerkennung und Rechten entspricht. In dieser Schlacht, so Keller, können durchaus überlagernde Schlachten stattfinden. In diesem Kontext lassen sich die mit dem Kampf einhergehenden Macht-, Herrschafts- und Akteurs-Verhältnisse aufschlüsseln.208 Akteure im Diskurs sprechen in der Regel nicht für sich selbst, sondern als legitimierte Sprecher*innen für Institutionen. So sprechen die Politiker*innen gemäß ihres Auftrags für die Partei und in Vertretung der Bürger*innen, die Interessenverbände sprechen in Vertretung für die Betroffenen des Diskurses, die Sachverständigen erhalten einen Auftrag durch den Bundestag, sprechen jedoch stets aus dem Schoße ihrer Zunft, während die Wissenschaftler*innen aus einer Fachdisziplin heraus eine Stellungnahme abgeben. Keller empfiehlt, für den Beginn der Analyse nach dem eigentlichen Ausgangspunkt, der sogenannten Problematisierung zu suchen. Diese offenbare in der Regel historische Umbrüche in gesellschaftlichen Praxisfeldern.209 Die Phänomenstruktur analysiert den referentiellen Bezug des Themas. Besonders öffentliche Problemdebatten profitieren diskursanalytisch von einer Analyse der Phänomenstruktur.210 Keller betont, dass Problemdebatten in der Regel zwar auf ein »Deutungs- und Handlungsproblem« hinweisen, aber keineswegs soziale Probleme sein müssen.211 Demgemäß wird zuerst die Ursache der Problemdebatte ermittelt und nach der Zuständigkeit bzw. der Verantwortung gefragt, wer zum Handeln verpflichtet werden kann, wer von dem Problem betroffen ist, welche Ziele verfolgt werden. Hier sollte auch herausgearbeitet werden, ob es miteinander konkurrierende Diskurse gibt. Auf einer nächsten Ebene wird nach dem Handlungsbedarf gefragt, also die angebotenen Problemlösungen herausgearbeitet und nach den Positionierungen gefragt.212 In diesem Schritt kann ebenfalls nach der Verantwortungszuschreibung gefragt werden und ob es Wertimplikationen gibt und wenn ja, welche moralischen Wertungen vorgenommen werden.213 Weiter wäre zu fragen, wie es um Fremd- und Selbstpositionierungen steht und ob daraus Klassifizierung konstruiert werden. Aus letzteren gehen in der Regel Identitätsmarker hervor. Abschließend bleibt die Frage danach, ob in dem analysierten Phänomen Modernisierungs- bzw. Transformationsdynamiken erkennbar sind.214

205 206 207 208 209 210 211 212 213 214

Vgl. Keller (2011a): S. 103. Vgl. Keller (2007): S. 3. Vgl. Keller (2005): S. 53. Vgl. Keller (2007): S. 3f. Vgl. Keller (2007): S. 4. Vgl. Keller (2011a): S. 103f. Vgl. Keller (2007): S. 14. Vgl. Keller (2011a): S. 103f. Vgl. Keller (2007): S. 14. Vgl. Keller (2011a): S. 103f.

3. Methodik

Die Analyse beginnt mit Keller immer mit der Befragung des Textes; welches Thema dieser hat, von wem der Text verfasst wurde, welche Kategorien, Argumente und Klassifikationen sich finden, ob es Unterthemen gibt und welches Vokabular, welche Metaphern oder Vergleiche mit welchem Ziel eingesetzt werden.215 Einzelne Texte werden nach Keller lediglich als Diskursfragmente wahrgenommen, deren Bedeutungsgehalt zwar signifikant, aber nur in Gesamtschau mit weiteren Texten interessant wird.216 Deutungsmuster sind wiederrum selbst ein Ergebnis der »sozialen Konstruktion der Wirklichkeit«, da sie aus der sozialen Interaktion abgeleitet werden, in der sie als erfolgreich wahrgenommen und so mittels Kommunikation in die »öffentliche Arena« treten und als Konstrukte in den gesellschaftlichen Wissensvorrat transferiert werden. Ein solch »historisch-interaktiv entstandenes« Deutungsmuster ist nun in der Lage gesellschaftliche Phänomene zu deuten und Handlungsanleitungen bereit zu stellen.217 Klassifikationen sind demnach »institutionell stabilisierte Formen sozialer Typisierungsprozesse«218 und entlasten somit die*den Einzelne*n von der Erarbeitung eines typisierenden Erfahrungsschemata. Sind diese für einen bestimmten historischen Abschnitt spezifisch, so bezeichnet Foucault diese als Episteme.219 Deutungsmuster organisieren demnach individuelle wie kollektive Erfahrungen, die Sinn stiften und so das Handeln anleiten können: »Als allgemeine, typisierbare Bestandteile gesellschaftlicher Wissensvorräte stehen sie für individuelle und kollektive Deutungsarbeit zur Verfügung und werden in ereignisbezogenen Deutungsprozessen aktualisiert«.220 Hier könnte als Beispiel das Deutungsmuster der Heteronormativität herangezogen werden. Deutungsmuster helfen den Menschen dabei, akute Problemstellungen zu bewältigen und eine Routine für die alltägliche Bewältigung von Problemen zur Verfügung zu stellen.221 In diesem Sinne kann die binäre Klassifizierung des Geschlechts durchaus als Deutungsmuster angesehen werden, weil es den Menschen hilft, im persönlichen Kontakt schnell und relativ sicher das Geschlecht des Gegenübers zu bestimmen und die Person demgemäß adäquat ansprechen zu können. Tritt in der Lebenswelt ein neues Phänomen auf und wird eine neue Erfahrung gemacht, dann bedienen sich Individuen auch dieser Deutungsmuster, um das Handlungsproblem zu deuten und zu bewältigen. Keller bezeichnet Deutungsmuster deshalb auch als Resonanzgrundlagen für diskursspezifische Anliegen, die sich an ein größeres Publikum richten.222 Vor allem konkurrierende Diskurse verweisen auf »ereignisgeneralisierende Deutungsmuster bzw. Narrationen«.223 Viehöver stellt heraus, dass für die Produktion, Rezeption und Interpretation des Sinns, Zeichenrelationen und komplexe symbolische Systeme herangezogen werden. Mythen, Ideologien, Weltbilder, kurzum Erzählungen, spielen in Diskursen eine tragende Rolle. Narrationen sind nach Viehöver ein diskursstrukturierendes Regelsystem 215 216 217 218 219 220 221 222 223

Vgl. Keller (2011a): S. 102. Vgl. Keller (2005): S. 68. Vgl. Keller (2007): S. 12. Keller (2007): S. 12. Vgl. Keller (2007): S. 13. Keller (2006): S. 134. Vgl. Keller (2007): S. 10. Vgl. Keller (2006): S. 134. Keller (2011b): S. 293.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

und somit für eine Diskursanalyse besonders relevant.224 Als narrative Strukturen bezeichnet Keller die »strukturierenden Momente von Aussagen und Diskursen […] durch die verschiedene Deutungsmuster, Klassifikationen und Dimensionen der Phänomenstruktur (z.B. Akteur(inn)en, Problemdefinitionen) zueinander in spezifischer Weise in Beziehung gesetzt werden«.225 Das Zitat macht deutlich, dass Narrationen ein Vermittlungsinstrument darstellen, mit welchem die diskursiven Elemente zusammenhängend erzählbar werden. Narrationen haben jedoch noch mehr Fähigkeiten, da sie in der Lage sind mit stilistischen Kunstgriffen die Handlungsdringlichkeit zu betonen, dafür werden Moralgeschichten, Kollektivsymboliken und Metaphern genutzt und neue Kontexte durch Querverweise oder Diskurskoalitionen aufgebaut.226 Die Narrationsanalyse bietet die beste Analysemodalität für das zu untersuchende Themenfeld, da diese nicht nur eine verschränkte Analyse von Phänomenstruktur, Klassifikationen und Deutungsmustern ermöglicht, sondern darüber hinaus auch sprachliche Stilmittel wie Metaphern und Kollektivsymboliken betrachtet. Im Folgenden wird die konkrete Methode vorgestellt. Nach Viehöver sind innerhalb der Narrationsanalyse vier Dimensionen zu berücksichtigen: (1) »Bei Narrationen handelt es sich um einen universellen Modus der Kommunikation und der Konstitution von Sinn, und dieser ist konstitutiv für die Produktion komplexer kultureller Deutungsmuster«.227 (2) Narrationen finden sich nicht nur in einzelnen Texten, sondern als komplexe Narration auch in ganzen Diskurssträngen, wobei sie dann auch als Fragmente in einzelnen Texten auftauchen können und nur in der Gesamtschau als Narration erkennbar sind. (3) Menschen erhalten entlang von Narrationen einen Zugang zu Weltsichten, Motiven, Normen wie Werten und Handlungsorientierungen, mit denen sie nachfolgend Handlungen und Ereignisse verknüpfen können. Dies lässt erkennen, dass Narrationen eben nicht nur Träger von Wissen sind. (4) Narrationen enthalten somit eine gewisse Dynamik, indem sie die Positionierung des Sprechenden kennzeichnen, Identifikation ermöglichen und eine Beziehung zwischen Sender*in und Adressat*in herstellen. Viehöver bezeichnet diese Dynamik als Narrativisierung.228 Im Rahmen der Narrativisierung werden Narrationen durch die Akteure selektiv angeeignet und ebenso auch verändert. Die Aneignung erfolgt im Rahmen einer Abgrenzung oder Eingrenzung, also um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zu markieren und Nicht-Zugehörigkeit oder Zugehörigkeit zu erzeugen.229 Viehöver spricht in diesem Zusammenhang von Distinktionsmechanismen, welche der Konstitution individueller und kollektiver Identität behilflich sind.230 Die Veränderung von Narrationen lässt hingegen Rückschlüsse auf die Lernfähigkeit zu und somit ebenfalls auf kollekti-

224 225 226 227 228 229 230

Vgl. Viehöver (2006): S. 179f. Keller (2007): S. 16. Vgl. Keller (2007): S. 17. Viehöver (2006): S. 183. Vgl. Viehöver (2006): S. 184. Vgl. Viehöver (2006): S. 187. Vgl. Viehöver (2006): S. 189.

3. Methodik

ve Lernprozesse.231 Somit können Narrationen als Wegweiser für die Veränderung der Realität dienen, da sie eine transformierende Kraft enthalten.232 Um die Narrationsanalyse in eine Diskursanalyse zu überführen, unterscheidet Viehöver zunächst opus operatum und modus operandi. Der opus operatum untersucht die Narrationen hinsichtlich ihrer Strukturen und Inhalte, während der modus operandi die Prozesshaftigkeit von Narrationen untersucht, worunter die Motive der Erzählenden fallen, als auch die Kontextbedingungen, unter denen Kommunikation stattfindet.233 Der opus operatum kann die Struktur hinsichtlich rhetorischer Mittel (Ironie, Metaphern usw.) wie stilistischer Erscheinung (Essay, Blogeintrag, wissenschaftlicher Text) untersuchen, der Inhalt wiederrum ist nach möglichen Veränderungen oder Ambiguitäten wie Legitimationserzählungen oder Argumentation zu untersuchen.234 Die Narrationen unterliegen nach Viehöver binären Wertgegensätzen (Geschlechterkongruent: Geschlechterinkongruent), Widersprüchen (Geschlechterkongruent: Nicht-Geschlechterkongruent) und Implikationen (Nicht-Geschlechterkongruent: Geschlechterinkongruent) zugrunde.235 Weiter unterscheidet Viehöver Narrationstypen: Öffentliche Narrationen sind an die Praxis von kollektiven Akteuren gebunden, während Institutionelle Narrationen nicht freischwebend sind, sondern als Genese den kulturellen Repertoires von Akteursnetzwerken entspringen. Um Wirkung zu entfalten bedürfen alle Narrationstypen einer öffentlichen Arena (bspw. Massenmedien, politische Diskussionen), in der sie kommuniziert werden und dort mit konkurrierenden Narrationen um die Vormachtstellung duellieren.236 Entlang der Narrationsanalyse lassen sich zudem Diskurskoalitionen erkennen, die nicht zwangsläufig als kooperierende Akteure und Netzwerke zu Tage treten, sondern entlang einer Problemdefinition eine Allianz bilden.237 Die Betrachtung der Problemnarration kann interessant sein, da sie Lösungswege vorgibt und politische Forderungen sowie politisches Handeln legitimiert.238 Besondere Bedeutung haben nach Viehöver Meta-Narrationen, da diese »den kulturellen Traditionen von Gesellschaften zugrunde liegen«.239 Eine Meta-Narration bezüglich des TSG ist die Begründung der Zweigeschlechtlichkeit entlang von Fortpflanzung oder der Schöpfung (Essentialisierung/Naturalisierung). Diese MetaNarrationen grenzen ihrerseits die Resonanz themenspezifischer Narrationen ein, da sie eine Referenz zu den Basiserzählungen vornehmen: »Der Erfolg von themenspezifischen Narrationen kann also davon abhängen, inwiefern es gelingt, an solche stabilen Meta-Narrationen anzuschließen.«240 Die themenspezifischen Narrationen müssen die Meta-Narrationen nicht bejahen, sie können ebenso gut als Kritik auftreten.

231 232 233 234 235 236 237 238 239 240

Vgl. Viehöver (2006): S. 188. Vgl. Viehöver (2006): S. 189f. Vgl. Viehöver (2006): S. 181. Vgl. Viehöver (2006): S. 182; S. 187. Vgl. Viehöver (2006): S. 188. Vgl. Viehöver (2006): S. 185f. Vgl. Viehöver (2006): S. 187. Vgl. Viehöver (2006): S. 188. Viehöver (2006): S. 186. Viehöver (2006): S. 186.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Narrationen werden nach Viehöver wie folgt analysiert: Es wird die Struktur der Narration betrachtet, indem Rückschlüsse auf die zentrale Rahmung eines Textes vorgenommen werden. Weiter wird das Thema des Textes erfasst. In diesem Sinne geht es um das Ereignis, um welches der Text organisiert ist und auf jenes der Text eine Antwort gibt. Leitende Fragen sind in diesem Schritt; welche Kategorien im Text enthalten sind, welche Phänomene angesprochen werden, welches Hauptthema vorliegt und wer dieses definiert.241 Viehöver bezeichnet diesen Analyseschritt als Untersuchung der framing devices.242 Auch von Relevanz sind die Problemlösungsvorschläge und von wem diese unterbreitet werden. Welche Konsequenzen sich aus den Problemlösungen ergeben und welche Legitimierungen zur Rechtfertigung herangezogen werden.243 Hier werden nach Viehöver die reasoning devices untersucht.244 Für beide Untersuchungsschritte werden Marker bestimmt und in ein Codebuch eingetragen. Marker sind in der Regel Kollektivsymboliken, Schlagworte, Argumente und Beispiele. Entlang dieser Codes lassen sich nun typische narrative Strukturen, Grenzziehungen und diskursive Praktiken der Diskurskoalitionen herausarbeiten.245 Mittels der Marker können Beziehungen zwischen Mittel (Handlung) und Zweck (Veränderung) bestimmt werden und Wertgegensätze zu Tage treten.246 Problemnarrationen lassen sich folglich durch sechs Analyseschritte untersuchen, welche die zuvor besprochene Phänomenstruktur aufgreifen: den (1) Problemauslöser, die (2) Problemursache, die (3) Problemfolgen, die (4) Problemlösungen oder Problemlösungsversuche, (5) positive wie negative Konsequenzen der Problemlösungsversuche und die (6) legitimierenden Leitbilder und Prinzipien.247 Als vorläufiger Analyseplan im Rahmen der WDA können nun drei Schritte herausgearbeitet werden: zunächst muss das (1) Diskurs-Thema festgelegt, dann die (2) Diskursdisziplin eingegrenzt werden, anschließend wird die (3) Untersuchungsgröße festgestellt und schließlich die (4) Auswertungsmethode bestimmt: (1) Das Diskurs-Thema ist die Neuregelung des TSG und die damit zusammenhängende rechtliche Bestimmung des gesellschaftlichen Phänomens der Transgeschlechtlichkeit sowie des Geschlechterbegriffs. (2) Als Diskursdisziplin werden Gesetzentwürfe, darauf bezogene politische Reden und Stellungnahmen (also keine Praktiken) betrachtet, welche als diskursive Schlüsseltexte verstanden werden und diese mit Medientexten als Kontrastierung erweitert. (3) Die Untersuchungsgröße wird durch das diskursive Ereignis, den BVerfG-Beschluss aus dem Jahr 2011 bestimmt. (4) Als Auswertungsmethode wird die Narrationsanalyse gewählt, da diese eine Untersuchung der Phänomenstruktur inkludiert. Innerhalb der Phänomenstruktur wird als Problemdebatte und demnach als Ursache der BVerfG-Beschluss (2011) und die daraus hervorgehende Erklärung erkannt, dass das TSG mit dem Grundgesetz in Teilen für unvereinbar gewertet und deswegen zur Neuregelung an den Gesetzgeber übertragen wird. In diesem Zusammenhang wird

241 242 243 244 245 246 247

Vgl. Viehöver (2006): S. 193. Vgl. Viehöver (2006): S. 195. Vgl. Viehöver (2006): S. 194. Vgl. Viehöver (2006): S. 195. Vgl. Viehöver (2006): S. 191. Vgl. Viehöver (2006): S. 195. Vgl. Viehöver (2006): S. 197.

3. Methodik

bereits die Zuständigkeit benannt, da der Gesetzgeber in die Verantwortung genommen wird, für das Problem eine Lösung zu finden. Jedoch ist damit nicht nur der Gesetzgeber betroffen, sondern ebenso Menschen, die von dem Gesetz betroffen sein werden. Zudem lädt der Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzentwicklung zu Stellungsnahmen von relevanten Institutionen ein, die im Folgenden ebenfalls betrachtet werden. Wie bereits in Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde, gibt es konkurrierende Diskurse entlang der unterschiedlichen gesetzlichen Betrachtung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit, während beide Diskurse gleichermaßen auf das Geschlechterdispositiv verweisen. Als Problemlösungen werden die angebotenen Gesetzentwürfe verstanden. Diese und damit zusammenhängende Stellungnahmen lassen Rückschlüsse auf Positionierungen und auf gesellschaftliche Werte zu. In diesem Zusammenhang soll auch die Fremd- und Selbstpositionierungen der Diskursakteure betrachtet werden und welche Klassifikationen aus dem Diskurs hervorgehen. Abschließend ist es möglich, die Modernisierungsund Transformationsdynamiken herauszuarbeiten. In der vorliegenden Analyse wird der Fokus auf das Selbstbestimmungsgesetz (SelbstBestG) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und auf das Geschlechtsidentitätsgesetz (GiG) der Fraktion FDP gelegt: •



Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes: »Selbstbestimmungsgesetz« (SelbstBestG) – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (2020) Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung: »Geschlechtsidentitätsgesetzt« (GiG) – Fraktion FDP (2020)

Diese Schwerpunktsetzung begründet sich aus der Aktualität und der recht hohen Diskursanteilnahme. Dennoch sollen vier weitere Gesetzentwürfe in Kürze dargestellt werden, darunter zwei Gesetzentwürfe aus Gutachten und zwei Gesetzentwürfe der – bis 2021 aktiven – Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD: •







»Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen« (2016) von Adamietz und Bager, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. »Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt« (2017) von Althoff, Schabram und Follmar-Otto, ebenfalls in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags: Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz (GIBG) – Bundesministerium der Justiz/ Bundesministerium des Inneren (2020) Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrages: Bundesministerium des Inneren: Geschlechtseintragsänderungsgesetz (GeschlEintrÄndg) (2021)

Da in zeitlicher Nähe zur Novellierung/Ersetzung des TSG drei weitere Gesetzentwürfe mit Schwerpunkt auf das Geschlecht vorgelegt wurden, sollen diese zur Kontrastierung

99

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Das Selbstbestimmungsgesetz

ebenfalls herangezogen werden, dabei handelt es sich um die Neuschaffung des § 45b PStG »Varianten der Geschlechtsentwicklung« und die Gesetzentwürfe zum »Schutz vor Konversionsbehandlungen« (KonvBehSchG) und zum »Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen«: •

• • •

Entwurf eines Gesetzes zum »Schutz vor Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität« (SOGISchutzG) (2019). Entwurf eines Gesetzes zum »Schutz vor Konversionsbehandlungen« (KonvBehSchG) (2020). Entwurf eines Gesetzes zum »Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen« (2020). Entwurf eines Gesetzes zum »Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« (2020).

Die Gesetzentwürfe werden einer Narrationsanalyse unterzogen, indem die Rahmung berücksichtigt wird – was bei politischen Reden auf eine Positionierung verweisen kann, kann bei Gesetzentwürfen auf eine progressive oder regressive Veränderung, bei Stellungnahmen auf eine Legitimierung durch bürgerliche Partizipation und bei subkulturellen Texten (wie Blogeinträgen und Interviews) auf offene Problematisierung und Kritik verweisen. Im Rahmen der Diskursanalyse wird als (1) Problemauslöser der Wegfall des TSG definiert, wodurch die (2) Problemursache des Diskurses entlang des BVerfG-Urteils als ein Aufbrechen traditioneller Geschlechterannahmen erkannt wird. Die (3) Problemfolgen zeigen Anerkennungskämpfe auf einer identitätspolitischen Ebene, die nur teilweise als (4) Problemlösungsversuche auf die Ebene der Identitätspolitik vordringen und sich in Gesetzen oder Gesetzentwürfen wie dem SelbstBestG niederschlagen. Die Problemlösungsversuche führen ihrerseits zu positiven wie negativen (5) Problemkonsequenzen. Entlang dieser fünf Problemebenen können dann die diskursiven (6) Legitimierungen herausgearbeitet werden. Foucault spricht in Anbetracht der Analogie von Diskurs und Kampf von »diskurrierenden Subjekten«, was geläufig als heftiges Erörtern, Verhandeln bekannt ist, aber in diesem Kontext in besonders raffinierter Weise auf die Verschränkung von Diskurs und Konkurrieren verweist.248 Und auch Link übernimmt die Kriegsmetaphorik und ist sich als Vorreiter der Grundlagenforschung zur Kollektivsymbolik der versteckten Symbolik bewusst, wenn er schlussfolgert; »inzwischen würde es sich vermutlich aushandeln« nennen.249 Aus diesem Grund soll abschließend die Diskursanalyse in Diskursarenen zusammengefasst werden, in denen die Legitimierungen im Aushandlungsprozess sichtbar werden.

248 Foucault (2001): S. 872. 249 Link (2005): S. 77.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

In diesem Kapitel werden zunächst die Positionen zu den Gesetzentwürfen analysiert. Anschließend erhält diese Analyse entlang der Untersuchung der Positionen weiterer Diskursakteure eine Vergleichsfolie. Abgerundet wird das Kapitel mit einem Überblick über die Ergebnisse, welche in Diskursarenen dargestellt werden.

4.1 Diskurse zu den Gesetzentwürfen innerhalb der politischen Debatten Im folgenden Unterkapitel sollen die Gesetzentwürfe SelbstBestG und GiG von Bündnis 90/Die Grünen und FDP, sowie damit zusammenhängende Positionen und Stellungnahmen analysiert werden. Da die Änderung des § 45b PStG hinsichtlich der Varianten der Geschlechtsentwicklung (2018) im Vorfeld der Gesetzentwürfe für eine Novellierung des TSG grundlegende Neuerungen hinsichtlich der Ordnungskategorie Geschlecht beinhalten, werden zunächst der § 45b PStG und damit zusammenhängende Positionen betrachtet. Um die Positionen des SelbstBestG besser verstehen zu können, ist es durchaus sinnvoll weitere Gesetzänderungen und -entwürfe – welche maßgeblich an einer juristischen Definition des Geschlechtertheorems beteiligt sind – als Vergleichswert hinzuzuziehen. Im Folgenden wird daher in Kürze eine Bewertung des § 45b PStG »Varianten der Geschlechtsentwicklung« entlang eines Gutachtens von Mangold et al. vorgenommen. Darauf aufbauend sollen die Positionen zum »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« (§ 1631e BGB) einhergehender besprochen werden, da diese ebenfalls in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit diskutiert wurden. Das Gesetz zum »Schutz vor Konversionsbehandlungen« (KonvBehSchG) umfasst neben dem Schutz der sexuellen Identität ebenfalls den Schutz der geschlechtlichen Identität und wird somit für das vorliegende Untersuchungsfeld hinsichtlich der Positionen interessant. Entlang dieser Vergleichsfolie sollen abschließend und umfassend die Gesetzentwürfe zum SelbstBestG und zum GiG analysiert werden.

102

Das Selbstbestimmungsgesetz

4.1.1

Positionen zum § 45b PStG »Varianten der Geschlechtsentwicklung«

Das Gutachten von Mangold et al. untersucht die Frage, wie das Merkmal »Varianten der Geschlechtsentwicklung« nach § 45b PStG auszulegen ist.1 Das Rechtsgutachten geht zunächst auf das Verständnis des Begriffs Geschlechtervarianz im medizinisch-biologischen Diskurs ein. Eingeführt wurde der Begriff durch die Konsensuskonferenz in Chicago 2005, allerdings zunächst unter dem Begriff »Disorder of Sexual Development« (kurz DSD). Definiert wird dieser als »congenital conditions in which development of chromosomal, gonadal, or anatomical sex is atypical«. Weitere Klassifikationssysteme sind das »International Classification of Diseases« (kurz ICD) und »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (kurz DSM). Der ICD-11 wurde durch die WHO im Jahr 2018 herausgegeben und differenziert unter dem Begriff »Disorder of Sexual Development« verschiedene Phänomene. Von Intergeschlechtlichkeit wird im ICD-11 Transgeschlechtlichkeit als »conditions related to sexual health« und »gender incongruence« begrifflich unterschieden. Im Gegensatz zum ICD-10 wird Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Krankheit geführt. Das ICD-11 gilt ab 2022 in modifizierter Fassung in Deutschland.2 Im DSM-5 wird 2013 der Begriff »gender dysphoria« eingeführt und umfasst sowohl trans-, als auch intergeschlechtliche Personen.3 Auch die Erkenntnisse des Ethikrats aus dem Jahr 2012 werden durch das Rechtsgutachten herangezogen. Der Ethikrat vermeidet negative Zuschreibungen, bspw. Begrifflichkeiten wie »Störung« und »Krankheit«, und verwendet stattdessen die Bezeichnung »Difference of Sex Development« (dt.: »Unterschiede der sexuellen Entwicklung«). Durch die alternative Begrifflichkeit wird die medizinisch-biologische Diagnose in eine medizinisch-biologische Beschreibung umgewandelt, wodurch der diskursive Nebenstrang einer Behandlungsbedürftigkeit entfällt. Dennoch nimmt der deutsche Ethikrat eine Einschränkung vor, indem er sich ausschließlich auf den genetisch-anatomisch-hormonellen Status bezieht, durch den die Einordnung einer Person in die männliche oder weibliche Geschlechtskategorie zweifelhaft sei. Auch wird diese Definition von Transgeschlechtlichkeit abgegrenzt, indem transgeschlechtlichen Personen ein eindeutiges biologisches Geschlecht zugeschrieben werden könne, sich aber einer anderen Geschlechtskategorie zugehörig beschreiben.4 Hervorgehoben wird

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Im § 45b Abs. 1 PStG für volljährige Personen und § 45b Abs. 2 PStG für minderjährige Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung wird geregelt, dass beim Standesamt eine Erklärung über den Personenstandseintrag abgegeben werden kann, um das Geschlecht in die Geschlechtseinträge »divers« oder »ohne Angaben« zu ändern oder dass Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung den eigenen Geschlechtseintrag in den »weiblichen« oder »männlichen« Personeneintrag korrigieren lassen können. Dies erfolgt jedoch nur unter der Bedingung § 45b Abs. 3 PStG, dass eine ärztliche Bescheinigung über die Variante der Geschlechtsentwicklung für einen Personenstandswechsel vorgelegt wird. Einzig Menschen, die aufgrund einer früheren Behandlung diesen Nachweis nicht erbringen können oder für die eine Untersuchung unzumutbar wäre, können eine Selbsterklärung an Eides statt versichern (Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/pstg/ __45b.html [letzter Zugriff: 03.07.2021]). Vgl. Mangold et al. (2019): S. 1. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 2. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

durch den Ethikrat, dass Geschlecht eine komplexe Kennzeichnung sei und sich zu den körperlichen Eigenschaften auch die Selbstwahrnehmung der Personen geselle.5 Eine weitere Diskursposition, welche das Gutachten von Mangold et al. aufgreift, ist die der Bundesärztekammer. Diese geht laut Rechtsgutachten von einer kaskadenartig verlaufenden Geschlechtsentwicklung aus, entsprechend der sich erst die chromosomale, daran anschliessend die gonadale, dann die somatische und erst am Schluss die psychische Ebene ausbildet. Als weitere Position wird in diesem Zusammenhang die Deutsche Gesellschaft für Urologie, die Deutsche Gesellschaft Kinderendokrinologie und -diabetologie und die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie vorgestellt, die 2016 in der S2k-Leitlinie den Begriff »Varianten der Geschlechtsentwicklung« von der Definition der Konsensuskonferenz abgrenzt. Die enthaltenen Handlungsempfehlungen beziehen sich auf den Bereich der Psychologie, der Medizin und der Selbsthilfe.6 Aus diesen verschiedenen fachlichen Zugängen leitet das Rechtsgutachten Geschlecht als Kontroverse ab, woraus sich ergibt, dass Geschlecht eben nicht eindeutig definiert werden könne. Somit kann nicht auf einer medizinisch-biologischen Geschlechtsdefinition beharrt werden, da es keine einheitliche Position gebe und medizinisches Wissen dementsprechend kein besonders stabiles Fundament sei, jedenfalls nicht stabil genug, um darauf eine Rechtsordnung aufzubauen. Häufig wird kritisiert, dass medizinisches Wissen dazu genutzt werde, Normalitäten und somit auch Abweichungen zu produzieren.7 Von Geschlechtervarianten zu sprechen ließe unterdessen die Vorstellung des Geschlechts als Spektrum zu, wodurch auch die Kategorien männlich und weiblich als Varianten der Geschlechtsentwicklung gelten müssen.8 Um dies zu bekräftigen, zieht das Rechtsgutachten das Urteil des BVerfG 3. Pers.-St. heran. Dort wird Geschlecht als Konglomerat aus gleichberechtigten biologischen, sozialen und psychischen Faktoren verstanden und vor allem die »geschlechtliche Identität«9 als ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit.10 Das Rechtsgutachten bezieht sich auch auf den Beschluss des BVerfG (2017) bezüglich Transgeschlechtlichkeit, welcher unter der therapeutischen Begleitung nicht eine Begutachtungsfunktion, sondern eine Unterstützung des Geschlechtswechsels als belastenden Prozess spezifiziert.11 Weiter wird der Diskriminierungsschutz auf alle Geschlechter bezogen, weshalb nicht nur

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Vgl. Mangold et al. (2019): S. 3. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 3. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 4. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 5. Spannend ist hier der darauf aufbauende Diskurs einer rechtlichen Abkehr vom Körpergeschlecht hin zu einer Wahrnehmung des Geschlechts entlang einer Geschlechtsidentität. Diese Interpretation verkürzt das im Urteil bekundete Geschlechterbild stark, da Geschlecht sich hier aus biologischen, sozialen und psychischen Faktoren ableitet und somit das Adjektiv geschlechtlich diese Faktoren bündelt, wodurch sich eine geschlechtliche Identität aus biologischen, sozialen und psychischen Geschlechtsaspekten bildet. Die Begriffe Körpergeschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender) wurden als Gegensatzpaar konzipiert, um auf das wechselseitige Wirken beider aufmerksam zu machen, wodurch Geschlechtsidentität als Begriff ganz klar von der begrifflichen Formulierung »geschlechtliche Identität« unterschieden werden muss. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 7. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 8.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Frauen, sondern ebenso trans-/intergeschlechtliche und alle weiteren Geschlechter staatlich vor Diskriminierung zu schützen sind.12 Der § 45b Abs. 3 PStG schreibt vor, dass eine ärztliche Bescheinigung der Geschlechtervarianz vorgelegt werden muss, was bedeutet, dass das ärztliche Personal objektiv feststellen soll, ob tatsächlich eine »Variante der Geschlechtsentwicklung« vorliegt, was wiederrum suggeriert, Geschlecht sei eine von außen erkennbare Tatsache – eine Annahme, die jedoch an der Geschlechtsdefinition des BVerfG vorbeigeht.13 Weiter erkennt das Rechtsgutachten in der Änderung der Formulierung des § 22 Abs. 3 »Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe »divers« in das Geburtenregister eingetragen werden«,14 eine Abkehr von der Ist-Regelung zur Kann-Regelung, wodurch das Gesetz »die weitere geschlechtliche Entwicklung unabhängig von der körperlichen Verfasstheit« wahrnimmt.15 Trotz all dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse und rechtlichen Fakten verschickte das Bundesinnenministerium 2019 einen Rundbrief an alle Innenministerien der Länder mit dem Hinweis, dass »Varianten der Geschlechtsentwicklung« ausschließlich »intersexuelle Personen« umfassen, was durch eine somatisch-medizinische Begutachtung festgestellt werden müsse.16 Das Rechtsgutachten kommt daher zu der Erkenntnis, dass hier nicht beabsichtigt werde ein Geschlecht festzustellen, sondern dass das eigentliche Ziel sei, die Glaubhaftigkeit des Personenstandsregisters sicher zu stellen und eine gewisse Objektivität in das Verfahren zu bringen.17 Im ersten Fall kann die Glaubhaftigkeit nicht durch eine ärztliche Bescheinigung bewiesen werden, da das BGB keine Regelungen enthält, »nach welchen Kriterien das Geschlecht zu bestimmen oder wie das Geschlecht eines Kindes zu ermitteln ist«.18 Zudem wurde die geschlechtliche Identität in Rechtsprechungen gestärkt, die mindestens zwei von drei Faktoren19 enthält, die nicht nachweisbar sind. Der zweite Fall der Objektivität wurde im Gesetzgebungsverfahren mit der Frage nach der Richtigkeit verknüpft und wäre dann gewährleistet, wenn es objektive Kriterien zur Geschlechtsfeststellung gäbe, mit denen die Standesämter in Vertretung der Gesetzgebung ohne Beurteilungen von Dritten die Richtigkeit feststellen könnten.20 Weiter wird im Rechtsgutachten angemerkt, dass im Gesetzwortlaut eine ärztliche Bescheinigung nicht an eine ärztliche Diagnose geknüpft sei.21 Für eine Bescheinigung sei es wesentlich, sich auf den wissenschaftliche Erkenntnisstand zu beziehen, der wie oben

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Vgl. Mangold et al. (2019): S. 9. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 10. § 22 PStG (Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/pstg/__22.html [letzter Zugriff: 03.07.2021]). Mangold et al. (2019): S. 11. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 12. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 13. Mangold et al. (2019): S. 13. Damit sind soziale und psychische Faktoren gemeint, wobei die sozialen sich entlang der Geschlechterrolle zeigen und die psychischen anhand der geschlechtlichen Selbstverortung und -beschreibung. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 14. Vgl. Mangold et al. (2019): S. 17.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

dargestellt Geschlecht eben nicht als ausschließlich körperlich bestimmt.22 Daher lautet das abschließende Urteil des Rechtsgutachtens: »Angesichts des verfassungsrechtlich gebotenen weiten Verständnisses von ›Varianten der Geschlechtsentwicklung‹ sind keine lebensnahen Konstellationen denkbar, in denen ärztliches Personal Strafbarkeit zu befürchten hat.«23 2020 wurde vor dem BGH schließlich der Fall verhandelt, in welchem eine Person mit weiblichem Personenstandeintrag die Berichtigung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister durch eine Streichung des Geschlechtseintrags forderte, da sich die antragstellende Person weder als männlich noch als weiblich identifiziert.24 Nachdem das Oberlandesgericht dem Ansinnen stattgegeben hat und das Standesamt anwies den Eintrag zu ändern, reichte die Untere Standesamtaufsichtsbehörde Rechtsbeschwerde ein.25 Der BGH wiederrum hält die Ablehnung der Berichtigung des Geschlechtseintrags durch das Standesamt für berechtigt, da die antragsstellende Person nicht unter die im § 48 PStG Personenkategorie zu fassen sei,26 da diese »nach ihren körperlichen Merkmalen dem weiblichen Geschlecht«27 zuzuordnen sei und eine Berichtigung entlang § 45 b PStG nur dann möglich ist, »wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann«.28 Der BGH nimmt somit eine Auslegung einer in ihrer Benennung/Klassifizierung durchaus strittigen Personengruppe, der Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vor, wenngleich der BGH selbst in seiner Urteilsbegründung auf die umstrittene Auslegung hinweist.29 Weiter wird diese Auslegung damit begründet, dass »das Personenstandsrecht in seiner Gesamtheit an das biologische Geschlecht anknüpft«.30 Zudem hält der BGH die Bestimmung des Geschlechts entlang von äußeren Geschlechtsmerkmalen für folgerichtig, da »das Geschlecht maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten sein kann und von ihm familiäre Zuordnung abhängig sind«,31 woraus sich das berechtigte Anliegen der Geschlechtskategorisierung ergebe. Interessanterweise hält der BGH beide Bereiche für derart verschränkt, dass der eine Bereich ohne den anderen Bereich nicht existieren kann. Allerdings werden in diesem Zusammenhang verschiedene Pflichten, auf das Geschlecht übertragen, die durchaus für sich genommen auch existieren, wenn ein Mensch den Geschlechtseintrag bspw. streichen lässt. Eine Person ohne Geschlechtseintrag – das zeigt die Realität bereits schon jetzt – behält ihre Rechte als erzeugende oder gebärende Person gegenüber dem leiblichen Nachwuchs, genauso

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Vgl. Mangold et al. (2019): S. 18. Mangold et al. (2019): S. 19. Vgl. Bundesgerichtshof (2020): S. 2, Rn. 1–2. Es ist bekannt, dass es sich bei der antragstellenden Person um Lann Hornscheidt handelt. Hornscheidt hatte bis 2016 eine Professur mit LinguistikSchwerpunkt am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt Universität Berlin inne. Vgl. Bundesgerichtshof (2020): S. 3, Rn. 3–4. Vgl. Bundesgerichtshof (2020): S. 4, Rn. 8. Bundesgerichtshof (2020): S. 5, Rn. 12. Bundesgerichtshof (2020): S. 6, Rn. 14. Vgl. Bundesgerichtshof (2020): S. 6, Rn. 15. Bundesgerichtshof (2020): S. 10, Rn. 24. Bundesgerichtshof (2020): S. 16, Rn. 43.

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wie die Rechte als Erziehungsberechtigte bei nicht-leiblichem Nachwuchs bestehen bleiben. Auch bleiben eheliche Pflichten und Rechte unbescholten. Dementsprechend greift der BGH hier auf eine nicht hinreichend hergeleitete Begründung zurück und dass, obwohl der BGH in derselben Urteilsbegründung schlussfolgert: »Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.«32 Stattdessen wird die antragstellende Person auf den § 8 Abs. 1 TSG verweisen, mit welchem es durchaus möglich sei, das Ziel einer Streichung zu erreichen. Eine Streichung des Geschlechts oder die dritte Personenstandskategorie »divers« werden im TSG als Optionen der Wahl jedoch nicht genannt. Der BGH hält dies aber mit den »verfassungsrechtlichen Vorgaben […] noch vereinbar«,33 wenngleich darauf hingewiesen wird, dass »diese Regelungslücke planwidrig [ist]«.34 Weiter spricht der BGH im vorliegenden Fall auch nicht von einer Nicht-Binarität, sondern von »empfundener Intersexualität«.35 Besonders interessant ist auch die Schlussfolgerung, dass Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung »kein in diesem Sinne feststehendes biologisches Geschlecht [haben], das im Widerspruch zu ihrer empfundenen Geschlechtsidentität stehen könnte«,36 womit der BGH intergeschlechtlichen Personen abspricht, transgeschlechtlich sein zu können. Im Anschluss an das Urteil durch den BGH legte die antragstellende Person Verfassungsbeschwerde ein.37 Diese Verfassungsbeschwerde werfe grundsätzliche Fragen auf, da das Verfassungsgericht auch hinsichtlich weiterer Klagen prüfen müsse, wie der § 45 b PStG auszulegen sei.38 Ferner sei zu überprüfen, ob eine »Eintragung des Geschlechts im Geburtenregister unmittelbar nach der Geburt« rechtens ist.39

4.1.2 Positionen zum § 1631e BGB »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« Da im Zuge des Gesetzentwurfs für einen »Schutz vor geschlechtsverändernden Behandlungen« überdurchschnittlich viele Stellungnahmen eingegangen sind, werden diese Stellungnahmen im Folgenden thematisch unterteilt. Die Stellungnahmen des finalen Gesetzentwurfs für einen Schutz vor genitalverändernden Behandlungen erfolgen wie gehabt nacheinander gegliedert.

Gesetzentwurf zum »Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen« Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) legte 2020 einen Gesetzentwurf zum »Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen 32 33 34 35 36 37 38 39

Bundesgerichtshof (2020): S. 17, Rn. 46. Bundesgerichtshof (2020): S. 12, Rn. 31. Bundesgerichtshof (2020): S. 14, Rn. 37. Bundesgerichtshof (2020): S. 14, Rn. 37. Bundesgerichtshof (2020): S. 18, Rn. 48. Vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte (2020): S. 1. Vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte (2020): S. 89. Vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte (2020): S. 92.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Eingriffen« vor, welcher eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vorsieht. Der Gesetzentwurf problematisiert, dass bei Kindern, »die nicht mit eindeutigem Geschlecht zur Welt kommen, immer noch geschlechtsverändernde Operationen vorgenommen [werden], die medizinisch nicht notwendig sind«40 und formuliert als Lösung ein Verbot genitalverändernder operativer Eingriffe an Kindern. Eltern können somit nicht mehr in eine »Änderung des biologischen Geschlechts« einwilligen (§ 1631c Abs 1 BGB), außer der Eingriff wird aufgrund einer akuten Lebensgefahr erforderlich (§ 1631c Abs 2 BGB). Ab dem 14. Lebensjahr können Kinder mit Genehmigung des Familiengerichts in einen operativen genitalverändernden Eingriff einwilligen (§ 1631c Abs 3 BGB).41 Wenngleich der Gesetzentwurf in der Regel von intergeschlechtlichen Kindern spricht, wird der Begriff »geschlechtsverändernder Eingriff« weiter gefasst: »Dabei soll das Verbot nicht auf ›geschlechtsangleichende‹ Operationen, das heißt solche zur Beendigung eines Zustands der geschlechtlichen Uneindeutigkeit beschränkt werden. Vielmehr soll es im Sinne einer allgemein kindesschutzrechtlichen Regelung auf alle ›geschlechtsverändernden‹ Operationen und damit auf jede Änderung von jedem Geschlecht hin zu einem jeweils anderen erstreckt werden. Nicht erfasst sind hingegen Eingriffe ohne Änderung des jeweiligen Geschlechts, etwa an einem nur fehlgebildeten Genital.«42 Weiter wird jedoch eine Altersklausel vorgesehen, da Kinder mit Vollendung ihres 14. Lebensjahres unter nicht näher bestimmten Voraussetzungen selbst in genitalverändernde Operationen einstimmen können, wobei dies »in Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des heranwachsenden Kindes«43 erfolgt. Im besonderen Teil wird die Änderung des angeborenen biologischen Geschlechts als medizinische Einordung des Körpergeschlechts verstanden,44 wobei auch hier prinzipiell auf die Benennung des Geschlechts verzichtet werden kann und stattdessen von chromosomalen, gonadalen, hormonellen und genitalen Körpereigenschaften gesprochen werden kann. Geschlecht wird im Rahmen des Gesetzentwurfs wie folgt definiert: »Als ›angeborenes biologisches Geschlecht‹ ist hier die medizinische Einordnung des Körpergeschlechts als männlich, weiblich oder intergeschlechtlich zu verstehen. Dabei ist nicht allein auf den Chromosomensatz des betroffenen Kindes abzustellen, vielmehr sind alle Teilaspekte des biologischen Geschlechts (chromosomal, gonadal, hormonell und genital) zu berücksichtigen. Bei übereinstimmender Einordnung aller dieser Geschlechtsmerkmale ist das biologische Geschlecht des Kindes als eindeutig männlich oder weiblich anzunehmen, auch wenn einzelne Geschlechtsorgane anatomische Besonderheiten innerhalb dieses Geschlechts aufweisen. Divergiert eines dieser Merkmale von den weiteren Geschlechtsmerkmalen, liegt eine Variante der körperlichen Geschlechtsmerkmale vor.«45 40 41 42 43 44 45

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 1. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 1. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 11. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 16. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 23. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 23.

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Ein Widerspruch findet sich im besonderen Teil des Gesetzentwurfs, wenn geschlussfolgert wird: »Korrigierende Eingriffe an Genitalien, die sich innerhalb des angeborenen biologischen Geschlechts bewegen, haben dagegen keine geschlechtsverändernde Qualität, weil dem Kind das angeborene Geschlecht und damit eine selbstbestimmte geschlechtliche Entwicklung erhalten bleiben.«46 Diese Aussage läuft der Anerkennung auf Selbstbestimmung zuwider, da jede Operation Risiken und Nebenwirkungen birgt, die durchaus als Komplikation eine geschlechtsverändernde Wirkung haben können. Wieso diese Eingriffe hier dennoch von der Schutzwirkung des Gesetzes ausgeschlossen werden, obwohl diese nicht als medizinisch-induziert auf einen akuten lebensbedrohenden Zustand reagieren, bleibt unklar. Ein Grund könnte die Achtung der Religionsfreiheit sein, welche mitunter eine Beschneidung der Vorhaut bei Säuglingen mit Penis kulturell als bedeutsam setzt. Der Gesetzentwurf verweist in diesem Rahmen auf die Unterscheidung von »geschlechtsvereindeutigenden« und »geschlechtszuordnenden« Eingriffen, welche der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme von 2012 vorgenommen hat. Hier bezieht sich der Gesetzentwurf auch auf transgeschlechtliche Kinder und konkludiert: »Erfasst sind daher auch Eingriffe an transgeschlechtlichen Personen im Rahmen der Transition. Nicht erfasst sind hingegen Eingriffe innerhalb des jeweiligen Geschlechts, etwa an einem nur fehlgebildeten Genital.«47 Auch die Altersgrenze von 14 Lebensjahren, um selbstbestimmt in eine genitalverändernde Operation einzustimmen, wird durch eine weitere Begründung eingeschränkt: »Unabhängig davon, dass sich der Wunsch nach einem geschlechtsverändernden Eingriff erst entsprechend manifestiert haben muss, erfordert die verantwortungsvolle Ausübung des Selbstbestimmungsrechts als Grundvoraussetzung der Einwilligungsfähigkeit bei Geschlechtsveränderungen eine fortgeschrittene Geschlechtsidentitätsreife. Dies ist erst nach einer ausgeprägten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität anzunehmen. Darüber hinaus ist aufgrund der komplexen medizinischen und sozialen Tragweite geschlechtsverändernder Operationen nicht nur ein hohes Maß an Verstandesreife, sondern zudem auch ein hohes Maß an Einsichtsfähigkeit erforderlich.«48 In dieser Aussage wird das Selbstbestimmungsrecht an eine Einwilligungsfähigkeit geknüpft und die selbstbestimmte Genitalveränderung an eine fortgeschrittene Geschlechtsreife, welche im nachfolgenden Satz um ein hohes Maß an Verstandsreife erweitert wird. Nicht bestimmt wird unterdessen, woran eine ausreichende Einwilligungsfähigkeit und eine fortgeschrittene Geschlechtsreife bemessen werden. Auch die angesprochene Verstandesreife wird nicht genauer erörtert. Die Geschlechtsreifung ist ein medizinischer Begriff und wird in Rahmen der Pubertät verortet, wobei die Menstruation und die Spermarche wie Ejakularche als Zeichen für eine Geschlechtsreife verstanden werden, da nun die Fortpflanzungsfähigkeit erreicht ist. Die Geschlechtsreife wird im Mittelwert zwischen dem 13./14. Lebensjahr erreicht, kann aber im

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Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 24. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 24. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 29.

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Einzelfall bereits mit dem 11. Lebensjahr oder erst im 16. Lebensjahr erreicht werden.49 Die Geschlechtsreifung ist immer ein individueller Prozess und bezieht sich auf eine körperliche Eigenschaft und weniger auf ein geistiges Vermögen, mit welchem in eine Behandlung eingewilligt werden könnte. Die Verstandesreife wird einzig in der Strafprozessordnung (StPO) rechtlich benannt. Im 1. Buch, 6. Abs. § 52 StPO wird die Verstandesreife als altersbedingt beschrieben, wobei sie durch eine psychische, geistige oder seelische Behinderung beeinträchtigt sein kann. In der Positivformulierung bedeutet eine ausreichende Verstandesreife, das Erkennen der Konsequenzen des eigenen Handelns und das Erkennen einer möglichen Irreversibilität der eigenen Entscheidung. Beide Begriffe enthalten also zu problematisierende Merkmale; zum einen wird gerade die fortgeschrittene Pubertät von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen befürchtet und somit steigt der seelische Druck, zum anderen ruft der Begriff der psychischen Behinderung überwundene Pathologisierungen der Transgeschlechtlichkeit als Störung auf.

Stellungnahmen: thematisch geordnet Themenfeld »Androgenitales Syndrom (AGS)« Die AGS-Eltern- und Patienteninitiative e. V. spricht hinsichtlich des Gesetzentwurfs von einer Enttäuschung, da AGS unter Intergeschlechtlichkeit gelistet wird und somit direkt von dem Gesetzentwurf betroffen sei. Auch hier wird ein Utilitarismus eröffnet, der AGS als »größte Patientengruppe im DSD-Bereich« von weiteren deutlich kleineren Gruppen in diesem Bereich abgrenzt, wobei ein Ungleichgewicht in der Anhörung und Diskussion zu diesem Gesetz beanstandet wird, da deutlich mehr Vertreter*innen der Minderheiten eingeladen wurden.50 Ulrich Krüger erkennt den Zweck für eine gesetzliche Regelung – Kinder vor medizinisch nicht notwendigen genitalverändernden Operationen zu schützen – ebenfalls als legitim an, hält die Umsetzung im Gesetzentwurf jedoch für nicht angemessen. Ulrich begründet dies mit der Aussage, dass Intersexualität ein Spektrum an medizinischen Phänomenen umfasse und als Sammelbegriff innerhalb einer juristischen Schrift nicht als Definition geeignet sei, da aus ihr eine scharfe und eindeutige Rechtsfolge hervorgehe. Auch Ulrich betont, dass die Eindeutigkeit von Geschlecht in einer Übereinstimmung von Chromosomen, Hormonen, Gonaden und Genitalien vergesse, dass grade die letztgenannte Kategorie keine eindeutige Feststellung zulasse, da die Betrachtung von Genitalien auf »fließenden Übergängen in der subjektiven Einschätzung« basieren.51 In diesem Zusammenhang argumentiert Ulrich auch, dass bei AGS von Prader Stufe 1 bis 4 eine Vermännlichung der Geschlechtsorgane einzig von einer subjektiven Einschätzung abhänge. Dass AGS-Mädchen als formal intergeschlechtlich gelistet würden, sei einzig der Versuch eine juristische Klarheit zu konstruieren, die medizinisch so nicht gegeben sei. Weiter unterstellt Ulrich dem Gesetzentwurf ein Abweichen vom fachwissenschaftlichen Konsens, welchen er zusammenfasst in einer deutlich zu bevorzugenden Operation im frühen Kindesalter und der Orientierung am 49 50 51

Vgl. Gohlke; Wölfle (2009). Vgl. AGS- Eltern- und Patienteninitiative e. V. (2020): S. 1. Krüger (2020): S. 1.

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Wohle der Mehrheit, welche im Falle von AGS als sich klar dem weiblichen Geschlecht zugeordnet konstruiert wird.52 In den weiteren Punkten stimmt die Stellungnahme Ulrichs mit der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe überein. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe erkennt ein AGS-Mädchen der Stufe 1 bspw. nicht als intergeschlechtlich an, sondern als weiblich, wobei das Gesetz dazu führe, dass das nunmehr eindeutige Mädchen intergeschlechtlich werde, wodurch ein Operationsverbot entstehe.53 Die Operation sei – anders als der Referentenentwurf darstellt – im Kindesalter von Vorteil. Auch wird negiert, dass es die Betroffenengruppe von AGSPersonen, die sich nicht als weiblich definieren in der genannten Größe gibt, gleichzeitig wird jedoch darauf verwiesen, dass die genannte Größe von 12 bis 15 % aber zeige, dass die Mehrheit von einer frühen Operation profitiere und nun durch die Argumentation für den Schutz einer Minderheit von dieser Operation ausgeschlossen sei.54 Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (DGKCH) spricht sich aus diesem Grund gegen ein prinzipielles Operationsverbot aus, da dies den Betroffenen nicht gerecht werde und den Wünschen der meisten Betroffenen widerspreche.55 Indem auch hier immer wieder von »der größeren Gruppe«, »den mehrheitlich Betroffenen«, den »zahlenmäßig am stärksten vertretenen Patienten« gesprochen wird, folgt die Kritik einem Utilitarismus.56 Weiter hält die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe die Behandlung von AGS-Frauen als intergeschlechtliche Personen für einen Verstoß gegen den Art. 3 GG: »Der Grundsatz von Art. 3 GG wird vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 43, 148, 165) mit der Formel umschrieben, dass wesentlich Gleiches gleich und mit anderen Worten wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss.«57 Auch hier wird erneut betont, dass es die Intergeschlechtlichkeit nicht gäbe, sondern eine Vielzahl von Intergeschlechtlichkeiten. Zudem verbleibe Intergeschlechtlichkeit weiterhin in einer Negativdefinition abgeleitet von vermeintlich eindeutigen binären Geschlechtskategorien: »Wer die willkürliche Zuordnung von Menschen mit uneindeutigem Geschlecht in den binären Code männlich/weiblich verhindern will, darf keine ebenso willkürliche Zuordnung in intersexuell/nicht-intersexuell anhand einer ungenauen, umstrittenen und subjektiven Definition vornehmen.«58 Die Begründung für ein Recht auf eine möglichst frühe Operation bei AGS Mädchen erfolgt anhand eines besseren Ergebnisses, aber allen voran entlang der dadurch vermeidbaren Nötigung zu einem Leben als geschlechtliche Differenzierung, also als intergeschlechtliche Person leben zu müssen. Durch die Erklärung wird Intergeschlechtlichkeit zu einem Stigma erhoben. Ein Stigma, was die Ausbildung einer weiblichen Identität erschwere und somit einen Verstoß gegen Art. 1 GG darstelle. Auch in der Stellungnahme der AEM wird kritisiert, dass der Gesetzentwurf das Selbstbestimmungsrecht von intergeschlechtlich klassifizierten, von sich selbst aber entweder weiblich oder männlich identifizierenden, Kindern einschränkt. Beispielhaft wird geschil-

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Vgl. Krüger (2020): S. 2. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 1. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (2020): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (2020): S. 3, S. 6. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 2. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 2.

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dert, dass ein Mädchen mit Kompletter Androgenresistenz (CAIS) als intergeschlechtlich klassifiziert würde, sich selbst aber als Mädchen definiert und möglicherweise unter einer stark vergrößerten Klitoris leidet, erst bis zum 14. Lebensjahr abwarten müsse, bis eine Operation gesetzlich möglich sei. Daher empfiehlt die AEM eine Streichung der Altersgrenze, um in genitalverändernde oder -vereindeutigende Operationen einwilligen zu können.59 Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) schließt sich dem Urteil vorausgehender Stellungnahmen an, da der Gesetzentwurf AGS-Patient*innen nicht gerecht werde.60 Auch die DGE arbeitet heraus, dass AGS keine »Erkrankung der Gonaden bzw. Keimdrüsen, sondern eine Störung der Cortisolbiosynthese der Nebenniere darstellt«, AGS-Patient*innen demnach »nicht als intersexuell, sondern ganz eindeutig als biologisch weiblich definiert« werden müssten.61 Auch wenn eine Operation des Sinus urogenitalis als eine »angeborene Fehlbildung« keine »Notfallmaßnahme, sondern eine klare medizinische Indikation mit aufgeschobener Dringlichkeit bzw. planbarem Operationszeitpunkt«62 sei, spricht sich die DGE gegen ein Verbot und für eine frühzeitige Operation aus, wenn gesichert sei, dass es eine individuelle Aufklärung gab,63 welche sich dann aber auf die Eltern bezieht und wohl kaum auf die Betroffenen dieser Operation, die in der Regel im Säuglings- bzw. Kleinkindalter operiert werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein unterstützt ebenfalls die Belange der AGS-Patient*innen und beschreibt diese als Menschen mit keinem neuen Geschlecht, sondern als Menschen mit »vielleicht nur etwas ungewöhnliche[n] weibliche[n] Geschlechtsorgane[n]«.64 Auch hier findet sich eine utilitaristische Ablehnung: »Der RefE strebt dagegen nach einem möglichst weitgehenden Schutz des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts und bringt das Recht der deutlichen Minderheit der Unzufriedenen (insgesamt in Deutschland schätzungsweise maximal 154 sich intersexuell fühlende, ›unzufriedene‹ AGS Patienten 1) gegen die deutliche Mehrheit der Zufriedenen apodiktisch in Stellung.«65 Ferner wird auch noch der Art. 3 GG angeführt, da eine Verhinderung einer willkürlichen Zuordnung von Menschen mit uneindeutigem Geschlecht in die binäre Geschlechtsklassifikation, nicht zu einer »ebenso willkürliche Zuordnung in intersexuell/nicht-intersexuell anhand einer ungenauen, umstrittenen und subjektiven Definition« führen dürfe.66 Hinsichtlich der Operation von AGS übereinstimmt die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. mit den Aussagen der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe und verweist ebenfalls utilitaristisch auf die absolute Minderheit, welche der absoluten Mehrheit eine 59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. Akademie für Ethik in der Medizin (2020): S. 3. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Hormone und Stoffwechsel (2020): S. 2. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Hormone und Stoffwechsel (2020): S. 3. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Hormone und Stoffwechsel (2020): S. 4. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Hormone und Stoffwechsel (2020): S. 5. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein (2020): S. 1. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein (2020): S. 2. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein (2020): S. 2.

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Operation verweigere, was gegen die medizinethischen »Principlisms von Beauchamp und Childress« verstoße, welche aussagen, »dass durch eine Entscheidung zugunsten der Mehrheit der Minderheit kein Schaden zugefügt werden darf. Hier wäre es aber umgekehrt, dass eine Entscheidung zugunsten der Minderheit, die Mehrheit psychisch und physisch beeinträchtigt«.67 Als besonders wertvoll wird die Aussage im Gesetzentwurf erachtet, dass es denkbar sei, »dass ein Kind aufgrund seines Aussehens unter erheblichen psychischen Belastungen mit Krankheitswert leidet. Und, dass hier die Entscheidung zur Behandlung im Einzelfall geprüft werden muss«.68 Die frühzeitige Möglichkeit bei einem Normdruck und dadurch erzeugten psychischen Leiden mit Ausnahmegenehmigung dennoch eine Operation auch vor dem 14. Lebensjahr vornehmen lassen zu können, begrüßt die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. vor allem mit der Begründung, dass dies besonders die ausländischen Mitbürger*innen beträfe, die trotz ausführlicher medizinischer Beratung auf eine Operation beharren.69 Auch Wolfgang Hoepffner betont in seiner Stellungnahme, dass es sich bei AGS um »eine eigene Krankheitsentität« handelt, welche eine »Störung der Nebennierenrindenfunktion« darstelle. AGS-Mädchen und -Frauen zeigten nur selten eine intersexuelle Ausprägung, vielmehr hätten die entsprechenden Mädchen und Frauen normal ausgebildete Genitalien. Auch Hoepffner greift auf einen intergruppalen Konflikt zwischen mehreren Selbsthilfe- bzw. Betroffenengruppen zurück, um ebenfalls der bereits bekannten utilitaristischen Argumentation zu folgen. Weiter betont Hoepffner mehrfach, dass die Kinder eine »normal weibliche Entwicklung« und auch im Erwachsenenalter »normal weiblich mit ausgeprägtem Kinderwunsch« lebten.70 Hier übereinstimmt Hoepffner mit der DGKED, die ihrerseits feststellt, dass entlang der Fertilität und Gebärfähigkeit von klar weiblichen Personen, d.h. Frauen, gesprochen werden müsse.71 Von der normalen Entwicklung Abweichende seien nach Hoepffner lesbisch oder ohne sexuelles Interesse, wodurch Homosexualität und Asexualität als Abweichung konstruiert werden. Den Wunsch nach einer männlichen Geschlechtsrolle benennt Hoepffner als extrem selten, was er damit begründet, dass ihm keine Person mit derartigem Wunsch bekannt sei.72 Auch Hoepffner ruft Intergeschlechtlichkeit als Abweichung und Stigma auf: »Dann entwickelt sich ein AGS-Mädchen mit weitgehend oder total virilisiertem äußeren Genitale, das hinsichtlich der Geschlechtsrolle als ›divers‹ aufwächst, zwangsläufig ab dem Pubertätsalter phänotypisch zu einem Zwitter mit Brustentwicklung und einem Penis neben leerem Hodensack. Wie soll man sich die Existenz dieses Kindes in seinem sozialen Umfeld vorstellen?«73 Weiter plädiert auch Hoepffner für eine frühzeitige Operation im Kindesalter, wobei sich sein Argument mehr auf die psychische Entwicklung denn auf mögliche Komplikationen durch eine spätere Operation bezieht: »Sehr viel besser ist also, das Kind

67 68 69 70 71 72 73

Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (2020): S. 3. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 28. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (2020): S. 3. Diese Aussage bezieht sich nur auf Operationen an intergeschlechtlichen Kindern. Hoepffner (2020): S. 1. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (2020): S. 7. Vgl. Hoepffner (2020): S. 2. Hoepffner (2020): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

durchläuft eine psychisch ungestörte Entwicklung eines Mädchens mit einem frühzeitig operativ korrigierten Genitalbefund.«74 Themenfeld »ungenaue Begrifflichkeiten« Die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) bemängelt in der Stellungnahme allen voran, dass es nicht ein biologisches intergeschlechtliches Geschlecht gäbe, sondern es sich um eine »Vielzahl« geschlechtlicher Ausprägungen – also einem Spektrum – handle, weshalb es nicht 3. Pers.-St., sondern diverser Personenstand heißen müsse. Um Operationen an intergeschlechtlichen Menschen ohne Einwilligung zu verhindern, müsse erst eine präzise Definition von Intergeschlechtlichkeit ermittelt werden, wobei die AEM diese präzise Definition in dem Referentenentwurf nicht feststellen kann.75 Der Deutsche Familiengerichtstag e. V. (DFGT) erkennt in dem Gesetzentwurf zwar eine verbesserte gesetzliche Sicherung von intergeschlechtlicher Selbstbestimmung, weist aber ebenso auf einen erheblichen Korrekturbedarf hin.76 Auch der DFGT hält die verwendeten Begriffe für irreführend, da diese zu Unklarheiten führen.77 Weiter bestreitet der DFGT, ob es überhaupt ein weiteres drittes biologisch-»intersexuelles« Geschlecht gibt. Eine angeborene Variation von Geschlechtsmerkmalen wird von dem DFGT als Abweichung von den eindeutigen biologischen Kategorien männlich und weiblich bezeichnet. »›Intersexuell‹ ist also eine Sammelbezeichung [sic] für unterschiedliche physische Konstitutionen«.78 Gleichzeitig wird jedoch ebenso betont, dass das Geschlecht – wie vom BVerfG mehrfach konstatiert – nicht ausschließlich entlang der äußeren Geschlechtsmerkmale bestimmt sei, sondern ebenso von der »psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt«.79 Die Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein hält den Gesetzentwurf »weder für geeignet oder erforderliche noch angemessen«.80 Weiter läge dem Gesetzentwurf keine ausreichende Definition des »nicht eindeutigen Geschlechts« vor, wodurch dann automatisch das dritte Geschlecht zugeschrieben werde, wenn keines der beiden binären Geschlechter eindeutig nachzuweisen sei, bspw. dann, wenn eine genitale Fehlbildung vorliege. Der Deutsche Caritasverband und das Kommissariat der deutschen Bischöfe bezeichnen es hingegen als unstrittig, dass Intersexualität ein biologisches Phänomen und eine eindeutige Zuordnung nicht möglich sei.81 Der Deutsche Städtetag beanstandet die begriffliche Ungenauigkeit.82 ATME e. V. lehnt den Gesetzentwurf entlang des Begriffs »geschlechtsverändernde Eingriffe« ab und kritisiert die begriffliche Rahmung, da das Geschlecht nicht durch genitalverändernde Eingriffe verändert würde. Die dgti empfiehlt aus dem gleichen Grund eine 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Hoepffner (2020): S. 2. Vgl. Akademie für Ethik in der Medizin (2020): S. 1. Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 1. Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 2. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 3. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 3. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter Schleswig-Holstein (2020): S. 1. Vgl. Deutscher Caritasverband; Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin (2020): S. 1. Vgl. Deutscher Städtetag (2020): S. 2.

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Änderung der Formulierung »geschlechtsverändernde Eingriffe« in »genitalverändernde Eingriffe«.83 Der LSVD benennt die verwendete Begrifflichkeit ebenfalls als problematisch, da der Begriff »geschlechtsverändernd« suggeriere, dass »es vorliegend mit den Zuschreibungen ›weiblich‹, ›männlich‹ und ›divers‹ drei klar voneinander abgegrenzte Geschlechter gibt«.84 Diese Vermutung sei nicht zutreffend und so ergebe sich eine Rechtsunsicherheit für Betroffene. Auch die ungeklärte Frage, wer bzgl. der Geschlechterzuordnung die Definitionshoheit genieße, wäre problematisch.85 Der Deutsches Institut für Menschenrechte e. V. erkennt in der begrifflichen Verwendung »geschlechtsverändernd« eine Anerkennung der Selbstdefinition86 von Betroffenen, hält diese aber als gesetzlichen Begriff für verfehlt, da sie mittels Ungenauigkeit Rechtsunsicherheiten produziere.87 Die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht bezeichnet ATME e. V. als unwissenschaftlich. Vielmehr sei es die verfehlte Annahme, dass genitalverändernde Eingriffe das Geschlecht verändern, die zu dieser Art von Operationen führe. Ferner forderte ATME e. V. die Anerkennung von Transsexualität als Geschlecht, statt als Geschlechtsidentität, und den Stopp Körpermerkmale geschlechtlich auszudeuten.88 Der BVT* lehnt ebenfalls die Definitionen von Geschlecht und »geschlechtsverändernden Eingriffe« ab. Das Adjektiv »geschlechtsverändernd« impliziere, dass es leicht sei, das Geschlecht mittels körperlichen Eingriffes zu ändern, womit die Annahme reproduziert wird, das Geschlecht ließe sich schnell und leicht ausschließlich an körperlichen Eigenschaften einordnen.89 Der BVT* weist in diesem Sinn darauf hin, dass selbst die medizinische Grenzziehung zwischen den Geschlechtern regelmäßig neuverhandelt werde. Ein derart starker Fokus auf körperliche Geschlechtsmerkmale sei demnach nicht nachvollziehbar. Der BVT* verweist auch auf mehrere BVerfG-Urteile und schlussfolgert, dass eine rechtliche Auslegung des Geschlechterbegriffs entlang körperlicher Merkmale eine nicht verfassungskonforme Auslegung sei.90 Ferner würden die Anliegen von trans- und intergeschlechtlichen Jugendlichen nicht ausreichend differenziert.91 Der Gesetzentwurf beziehe ungewollt transgeschlechtliche

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Vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 2. Lesben- und Schwulenverband (2020): S. 2. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2020): S. 2. Auch TransInterQueer e. V. begrüßt die Verwendung des Community-Begriffs »geschlechtsverändernd«, jedoch würde dieser durch die Auslegung im Gesetzentwurf seinen ursprünglichen Charakter verlieren, was abgelehnt werde (vgl. TransInterQueer e. V. [2020]: S. 3). »Der Begriff meint in unserem Verständnis jegliche Eingriffe – und somit Veränderungen – an Geschlechtsmerkmalen, unabhängig von geschlechtlichen Zuweisungen und der Geschlechtsidentität einer Person« (TransInterQueer e. V. [2020]: S. 4). Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (2020): S. 3. Vgl. Aktion Transsexualität und Menschenrecht e. V. (2019): S. 1. Auch Terre des Femmes betont, dass die Begriffe falsch gewählt seien, da es durch eine Operation der Genitalien nicht zu einer Änderung des angeboren biologischen Geschlechts komme, da sich die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht ändern ließe (vgl. Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V. [2020]: S. 2). Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 3ff. Die Stellungnahme des ISUV wiederrum spricht ausschließlich von Intergeschlechtlichkeit, während Transgeschlechtlichkeit nur implizit und in tendenziell negativer Konnotation Eingang findet (vgl. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht [2020]: S. 3).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Kinder mit ein, da er von einer »angeborenen Inkongruenz« bzgl. der Intergeschlechtlichkeit spricht, zudem verschärfe der Gesetzentwurf darüber hinaus die Situation von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen, die als Hürde für genitalangleichende Maßnahmen nun eine Zustimmung des Familiengerichts bräuchten. Eine weitere Hürde, welche mit dem steigenden »geschlechtsdysphorische[n] Leidensdruck während der Pubertät« durch einen verlängerten Transitionsweg, die »Prävalenz von psychischen Erkrankungen« und das Suizidrisiko steigen lässt.92 Auch von OII Europe und ILGA-Europe wird der Begriff »geschlechtsverändernd« kritisiert, da eine Operation des physisch-materiellen Geschlechtsorgans nicht gleichbedeutend mit »geschlechtsverändernd« sei. Diese Formulierung werde ausschließlich ausgerufen, um damit Operationen zu unterscheiden, die vereindeutigen, und jene die angleichen, was als illegitim benannt wird. Durch diese Unterscheidung käme es weiterhin zu operativen Eingriffen, ohne das Kind in diese Entscheidung einbeziehen zu müssen.93 Der Begriff der Fehlbildung sei zudem irreführend, da damit kosmetische bzw. sozial erwünschte Eingriffe umfasst würden, nicht aber Fehlfunktionen, wie bspw. eine Harnröhrenverengung.94 Der Schutz vor Verletzung der körperlichen Selbstbestimmung dürfe nicht an eine Prognose der geschlechtlichen Entwicklung gebunden werden.95 An der Geschlechtsdefinition im Gesetzentwurf heben OII Europe und ILGA-Europe hervor, dass eine kleine Abweichung genüge, um als Kind als intergeschlechtlich eingruppiert zu werden, da diese Kinder dann als schutzwürdig gelten. Insgesamt wird die Definition jedoch abgelehnt, da sie weiterhin entlang der biologischen Essentialisierung von Geschlecht der Medizin eine Deutungshoheit bemisst. Dies sei prekär, da das »biologische Geschlecht« kein eindeutig definierter Rechtsbegriff sei und somit die rechtliche Verantwortung an die Medizin abgegeben wird.96 Auch die DGfS problematisiert die medizinische Deutungshoheit und betont, dass vor allem die interdisziplinäre Sexualwissenschaft, aber auch weitere Disziplinen »in den vergangenen Jahren neben anderen Disziplinen zu einem erweiterten Verständnis der Lebensrealitäten und Erlebensweisen von Menschen mit Intergeschlechtlichkeit beigetragen«.97 Entlang der Forschung konnte gezeigt werden, dass vor allem die Medizin ein Grund für prekäre Lebenssituationen von intergeschlechtlichen Menschen darstellt, da die Medizin unzureichend aufgeklärt, systematisch Diagnosen verschwiegen hat und daraus Traumatisierungen und Beeinträchtigungen der Gesundheit von Betroffenen resultierten.98 Deshalb kommt die DGfS zu dem Urteil, dass »die Vorhersage der Geschlechtsidentität im Erwachse-

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Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 6. Vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2020): S. 2, 8. Vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2020): S. 11. Vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2020): S. 3. Vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2020): S. 7. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 3. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 3f.

of the International Lesbian, of the International Lesbian, of the International Lesbian, of the International Lesbian,

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nenalter bei keiner der Intersexformen und Varianten der Geschlechtsentwicklung mit Sicherheit möglich« sei.99 Auch die Bundesärztekammer bemängelt die ungenaue oder fehlende Definition von – ihrer Ansicht nach ungeeigneten – Begriffen wie »›operativer Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen‹, ›Änderung des angeborenen biologischen Geschlechts‹ oder ›erhebliche Gefahr für die Gesundheit des Kindes‹«.100 Auch die Beispiele im Rahmen des Begründungstextes verschaffen keine Klarheit über die Definition. Allerdings benennt die Bundesärztekammer das »angeborene biologische Geschlecht« auch nach einer genitalverändernden Operation als unveränderlich, da dieses über mehrere Parameter, wie Hormone, Genetik und Morphologie bestimmbar bleibe.101 Auch die DGfS stellt die Behauptung auf, dass sich das biologische Geschlecht nicht entlang von genitalverändernden Operationen ändern lasse, da sich die Genetik nicht ändern lasse.102 Daher schlägt die DGfS vor, die Begrifflichkeit »geschlechtsverändernde Operation« in »Operationen zur Veränderung der angeborenen Geschlechtsmerkmale« zu verändern und statt vom »biologischen Geschlecht« von »körperlichen Geschlechtsmerkmalen« zu sprechen.103 Auch die Deutsche Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. sowie die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. lehnen die Formulierung »Änderung des biologischen Geschlechts« ab,104 allerdings argumentieren sie in dieser Angelegenheit deutlich anders, da hier die Kritik geäußert wird, dass lediglich »anatomische Veränderungen vorgenommen [werden], die einer besseren Akzeptanz im gewählten sozialen Geschlecht dienen können sowie zu einer besseren psychosexuellen Funktionalität während des Lebens führen sollen« und weitere biologische Geschlechtsmerkmale wie Chromosomen, Hormone und Genetik nicht berührt würden.105 Gleichzeitig wird aber auch betont, dass der Begriff »Fehlbildung« ebenso prekär sei, da dieser impliziere, »dass hier Normen vorliegen, wie ein typisches äußeres Geschlecht auszusehen hat. Diese Annahme ist falsch, da das Genital eines Menschen außerordentlich variabel in seiner Phänomenologie ist«.106 Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (EAF) schließt sich der vorausgehenden begrifflichen Kritik an und ergänzt, dass statt von einer »geschlechtsverändernden Operation« von einer »geschlechtsangleichenden Operation« gesprochen werden sollte,

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Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 4. Bundesärztekammer (2020): S. 6. Vgl. Bundesärztekammer (2020): S. 6. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 4. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 5. Auch die DGPs empfiehlt die Formulierung »Änderung angeborener körperlicher Geschlechtsmerkmale« (Deutsche Gesellschaft für Psychologie [2020]: S. 1). 105 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.; Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.; Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. (2020): S. 3. 106 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.; Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.; Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. (2020): S. 5.

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da sich das Verbot dann eindeutiger auf eine Normierung der Genitalien mittels Operation beziehe.107 Die Aussage, es würden anhaltend medizinisch nicht-notwendige Eingriffe vorgenommen, wird durch den DGKCH zurückgewiesen, da ausschließlich medizinisch indizierte Eingriffe stattfänden.108 Hier ist erneut eine begriffliche Unschärfe erkennbar, da der Gesetzentwurf mehrfach lebenserhaltende und deswegen medizinisch notwendige Operationen umfasst und eben nicht-medizinisch indizierte, somit nichtlebensnotwendige Operationen. Die DGKCH lehnt im Kontext der Intergeschlechtlichkeit die Verwendung des Begriffs »geschlechtsangleichend« jedoch ab, da dieser Begriff im Zusammenhang mit »Transgenderbehandlungen« stehe und Transgeschlechtlichkeit selbst im Gegensatz zu Intergeschlechtlichkeit klar als das Leiden unter dem »Gefühl des Lebens im falschen Körper« definiert sei.109 Auch die DGKED bemängelt die fehlende Definition des biologischen Geschlechts und benennt im Namen ihrer Organisation das biologische Geschlecht als »das Resultat einer einzigartigen Kombination jedes Menschen durch das Zusammenkommen von vielfältigen genetischen, hormonellen, enzymatischen, Umwelt- und auch unbekannten Einflüssen in der Fetal- und Embryonalzeit«.110 Dem biologischen Geschlecht wird die Geschlechtsidentität als gleichwertig beiseitegestellt und angemerkt, dass Operationen beide Geschlechtskomponenten nicht ändern könnten. Die Geschlechtsidentität sei zudem als Kern der menschlichen Persönlichkeit nur durch den Menschen selbst feststellbar. Der djb erweitert die Kritik an der Formulierung »angeborenes biologisches Geschlecht« um eine weitere Definition des Geschlechts, als »komplexes Zusammenspiel von körperlichen Merkmalen, gesellschaftlichen (auch medizinisch-naturwissenschaftlichen) Zuschreibungen und der Identität eines Menschen«.111 Bzgl. des Begriffs »geschlechtsverändernde Eingriffe« konstatiert der djb, dieser Begriff sei lediglich ein Substitutionswort und wäre gleichbedeutend mit »geschlechtsangleichend«.112 Zusätzlich problematisiert der djb, dass Operationen an fehlgebildeten Genitalien aus dem Verbot herausgenommen werden, da das BVerfG mehrfach betont hat, dass Finden und Erkennen der eigenen Geschlechtlichkeit unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt und somit jegliche nicht lebenserhaltenden Operationen verhindert werden müssen, um die Entwicklung des Kindes zukunftsoffen zu halten.113 Der Intersexuelle Menschen e. V. Bundesverband weist die Formulierungen »eindeutiges« bzw. »uneindeutiges Geschlecht« ebenfalls zurück, »da hierdurch davon ausgegangen wird, dass bei Abweichungen vom rein medizinisch definierten Normgeschlecht von einer Uneindeutigkeit auszugehen ist«.114 Diese Formulierungen würden verkennen, dass alle Menschen mit einem geschlechtlichem Entwicklungspotenzial zur Welt kommen. Deshalb wird gefordert, dass in dem Gesetz Kinder im Allgemeinen ohne einen

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Vgl. Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (2020): S. 2f. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (2020): S. 4. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (2020): S. 4. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (2020): S. 2f. Deutscher Juristinnenbund (2020): S. 2. Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2020): S. 3. Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2020): S. 5. Intersexuelle Menschen e. V. Bundesverband (2020): S. 2.

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exkludierenden Zusatz hinsichtlich des Geschlechts adressiert werden.115 Weiter wird durch die IVIM die Definition des Geschlechts im Allgemeinen und der »geschlechtsverändernden Eingriffe« im Besonderen kritisiert.116 Geschlecht ausschließlich entlang der medizinischen Geschlechtszuordnung zu definieren, werde dem realen Spektrum geschlechtlicher Vielfalt nicht gerecht. So werde im Gesetzentwurf die psychosoziale Geschlechtlichkeit ausgeklammert, wodurch die Unvorhersehbarkeit der Entwicklung einer Geschlechtsidentität ignoriert werde. Die IVIM weist darauf hin, dass bereits das BVerfG herausgestellt hat, dass die geschlechtliche Identität im Bereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt sei.117 Auch sei eine Definition von Intersexualität als »uneindeutiger Zustand« nicht akzeptabel. Der Begriff »geschlechtsverändernd« wird unterdessen auch hier als ein selbstgewählter Begriff der Inter*-Bewegung dargelegt, der sich jedoch auf jegliche Eingriffe in geschlechtliche Merkmale beziehe. Im Gesetzentwurf finden sich hingegen weiterhin Stigmatisierungen, da er fehlgebildete Genitalien als »korrekturbedürftig« darstellt und somit ein geschlechtliches Ideal konstruiert, entlang dessen Körper stigmatisierbar werden.118 Auch die Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen kritisieren die Begriffe »angeborenes Geschlecht«, »biologisches Geschlecht«, »fehlgebildetes Geschlechtsorgan« respektive »anatomische Besonderheiten«.119 Es erfolge im Gesetzentwurf eine Bemühung um eine einheitliche Definition und Klassifizierung, die es nach medizinischen Gesichtspunkten jedoch nicht gebe und jeder Eingriff letztlich wieder auf der Interpretation des behandelnden ärztlichen Personals beruhe.120 Das Niedersächsische Landesjugendamt erkennt unterdessen eine weitere Schutzlücke in der Möglichkeit, nach einer bereits erfolgten operativen Änderung eine erneute operative Geschlechtsänderung zu wünschen, wobei hier dann aufgrund der begrifflichen Ungenauigkeit nicht der Einwilligungsausschluss greife, »denn diese zweite Änderung betrifft eben nicht mehr das ›angeborene‹, sondern das bereits einmal operativ geänderte Geschlecht«.121 Themenfeld »fehlende gesetzliche Verankerung von Beratung« Das Kompetenzzentrum Jugend-Check erkennt in dem Gesetz einen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und dass es neben der körperlichen Unversehrtheit auch die individuellen Rechte wahrt. Dies würde eine Abkehr von einer Normalisierung in früher Kindheit bedeuten und somit das Recht auf Selbstbestimmung stärken. Auch begrüßt das Kompetenzzentrum Jugend-Check die Stärkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, da es die Möglichkeit für operative genitalverändernde Eingriffe ab dem 14. Lebensjahr ausdrücklich benennt. Das Kompetenzzentrum Jugend115 116 117 118 119

Vgl. Intersexuelle Menschen e. V. Bundesverband (2020): S. 2. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 1. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 4. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 5. Vgl. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 2. 120 Vgl. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 3. 121 Niedersächsisches Landesjugendamt (2020): S. 2.

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Check erkennt diese Regelung als gute Lösung des Widerspruchs zwischen dem Schutz der Selbstbestimmung von intergeschlechtlichen Kindern und dem gleichzeitigen Anerkennen des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit von transgeschlechtlichen Kindern.122 Problematisiert wird unterdessen, dass junge Menschen ab dem 14. Lebensjahr dennoch zu einer Beratung verpflichtet werden, um ihr Recht auf freie Entfaltung in Anspruch zu nehmen, und dass die Notwendigkeit mit dem Ansinnen vor einem Gericht auftreten zu müssen, die noch justizunerfahrenen jungen Menschen verängstigt und somit eine unnötige Hürde auf dem Weg zum eigenen Recht aufgebaut wird. Eine Beratung wird vom Kompetenzzentrum Jugend-Check hingegen als unerlässlich betrachtet und sollte vom Gesetzgeber durch eine ausreichend flächendeckende Beratungslandschaft gesichert werden.123 Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e. V. (DGPT) stimmt dem Gesetzentwurf zu und kritisiert lediglich die prekäre Beratungslandschaft,124 die allerdings dringend nötig sei, um »den betroffenen Kindern in der aktuell mehr binär (entweder nur männlich oder nur weiblich) als polar (Spektrum verschiedener Mischungen von Eigenschaften) geprägten Gesellschaft« das Leben zu erleichtern.125 Auch der Paritätische Gesamtverband bezieht sich auf den hohen Normdruck, welcher sich aus der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit ergebe, die er nicht nur in der Gesellschaft, sondern ebenso in der deutschen Rechtsordnung erkennt. Der Normdruck führte und führe dazu, dass genitalverändernde Operationen vorgenommen werden, um die »körperliche Erscheinung und Funktion mit den binären Geschlechterstereotypen in Einklang zu bringen«.126 Statt also den Normdruck durch eine Operation zu verringern, erkennt der Paritätische Gesamtverband die Notwendigkeit den Normdruck selbst zu verringern. Das Gesetz greife deswegen nicht weit genug, da es immer noch den Kinderkörper an ein anatomisches Ideal anpassen wolle.127 Der Paritätische Gesamtverband fordert daher den Gesetzgeber auf, das Thema »Geschlechtsdifferenzierung und Varianten« umfassend in die Lehrpläne von medizinischen und sozialen Berufsausbildungen aufzunehmen (bspw. Ärzt*innen, Hebammen, Pfleger*innen, Psycholog*innen, Lehrer*innen, Kindergärtner*innen, Sozialarbeiter*innen).128 Der LSVD fordert eben122 Vgl. Kompetenzzentrum Jugend-Check (2020): S. 2. 123 Vgl. Kompetenzzentrum Jugend-Check (2020): S. 3. 124 Der Deutsche Städtetag fordert ebenfalls eine umfassendere medizinische wie psychosoziale Beratung, wobei die Inanspruchnahme sogar verpflichtend sein sollte (vgl. Deutscher Städtetag [2020]: S. 2). Organisation Intersex International Europe (OII Europe) und European Region of the International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA-Europe) begrüßen den Referentenentwurf, allen voran, dass dieser AGS-Personen aufnimmt und entscheidungs- wie einwilligungsfähigen minderjährigen Kindern eine genitalverändernde Operation ermöglicht. Dennoch werden einige Formulierungen und Leerstellen kritisiert. So fehlen nach OII Europe und ILGA-Europe im Gesetz eine gesetzlich verankerte staatliche Beratungslandschaft und ebenso eine Finanzierung dieser (vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region of the International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association [2020]: S. 2). 125 Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e. V. (2020): S. 1. 126 Der Paritätische Gesamtverband (2020): S. 1. 127 Vgl. Der Paritätische Gesamtverband (2020): S. 3. 128 Vgl. Der Paritätische Gesamtverband (2020): S. 5.

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so ein besseres flankierendes qualifiziertes Beratungsangebot, welches die Peer-Beratung umfassen müsse.129 Auch Amnesty International betont die Notwendigkeit einer Bereitstellung psychosozialer Unterstützung, welche im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung und mit festen staatlichen Mitteln zur Verfügung gestellt werden solle.130 Dieser Forderung schließt sich der Profamilia Bundesverband an und wünscht eine gesetzliche Verankerung der psychosozialen Beratung.131 Auch nach der DGfS ist die bisherige gesetzliche geplante Beratung zu schwach, da sie mittels einer Kann-Bestimmung lediglich empfohlen werde.132 Der Marburger Bund Bundesverband begrüßt den Gesetzentwurf grundsätzlich, hält aber die Vorschläge für eine Beratungslandschaft innerhalb des Systems der Kinder- und Jugendhilfe für fraglich, da diese Institutionen Jugendliche klassisch nicht als Zielgruppe sehen.133 Auch das DIJuF übt Kritik an dem Gesetzentwurf, zum einen wird die Beratung als wichtig erachtet, aber der Gesetzentwurf kritisiert, weil die Beratung mittels Jugendamtes der Bedeutung nicht angemessen sei und eine spezialgesetzliche Beratung außerhalb des Jugendamtes und somit außerhalb des SGB für alle minder- und volljährigen Menschen angebracht wäre. Dieses Beratungsgesetz könne sowohl Fragen zur Geschlechtsidentität, aber auch Fragen der Sexualaufklärung und des Schwangerschaftskonflikts umfassen.134 Der ISUV hingegen fordert, dass die Beratung ausschließlich von »Experten – erfahrenen und kompetenten Medizinern und entsprechend kompetenten Psychotherapeuten« durchgeführt wird, damit die jungen Menschen »nicht unter den Einfluss von Genderaktivisten/Innen geraten«.135 Zudem fordert der ISUV eine stärkere Einbeziehung der Eltern in die Beratung, da diese mittels Fürsorge primär für das Kindeswohl zuständig seien.136 Als Hauptkorrektur empfiehlt auch TransInterQueer e. V. eine Stärkung der Beratung, welche medizinunabhängig und bestenfalls durch Selbstvertretungsorganisationen durchgeführt werden solle.137 Auch die IVIM kritisiert den Gesetzentwurf dafür, dass eine medizinunabhängige Beratung der Kinder und Eltern nicht sichergestellt werde. Eltern würden durch eine einseitig medizinische Beratung häufig durch Pathologisierungen verunsichert und seien hinsichtlich einer Entscheidung im Interesse ihres Kindes überfordert.138 Nicht nachvollziehbar sei hingegen die fehlende Beratungspflicht bei Jugendlichen ab 14 Jahren.139 Insgesamt wird das Beibehalten der medizinischen Entscheidungsmacht problematisiert, die keiner zusätzlichen Kontrolle unterzogen wer-

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Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2020): S. 3. Vgl. Amnesty International (2020): S. 5f. Vgl. Profamilia Bundesverband (2020): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 5. Vgl. Marburger Bund Bundesverband (2020): S. 3. Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 2. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (2020): S. 2. Vgl. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (2020): S. 2. Vgl. TransInterQueer e. V. (2020): S. 8. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 2, S. 8. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 8.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

den.140 Die IVIM fordert für alle Entscheidungsträger*innen eine medizinunabhängige und geschlechterreflektierte Fortbildung. Als angemessen hält der Verein Schulungen durch Betroffene selbst. Auch die medizinunabhängige Beratungslandschaft müsse durch Peer-Beratung gesichert werden.141 Weiter wird deshalb durch TransInterQueer e. V. die Schulung von Entscheidungsträger*innen gefordert.142 Auch der BVT* spricht sich für eine medizinunabhängige Beratung aus, die sowohl den Kindern, als auch den Eltern offensteht.143 Die Gutachten sollten durch weitere Gutachten von thematisch qualifizierten »Psycholog_innen, Sozialarbeiter_innen oder Medizinethiker_innen« ergänzt werden.144 Der BVT* fordert daher im Sinne eines Schutzes der geschlechtlichen Selbstbestimmung eine »Menschenrechtsbasierte Fortbildung von allen beteiligten Akteur_innen wie z.B. Ärzt_innen, Hebammen und der Gerichte«, eine flächendeckende Beratungsstruktur und die Vernetzung von Wissenschaft, Wissenstransfer und Beratungslandschaft.145 Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. sowie die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. zeigen sich dem Gesetz, das eine strikte Indikationsstellung für Operationen an Genitalorgangen vorgibt, gegenüber aufgeschlossen, da der Gesetzgeber hier einen Prozess gesetzlich abgesichert beschleunigen wolle, der bereits in seinen Grundzügen schon eingetreten sei. Nachholbedarf erkennen die Vereine vor allem in der Beratung, die nicht ausreichend gesichert und nicht umfassend genug sei. So müsse eine altersentsprechende Aufklärung sichergestellt werden und ebenfalls die Zusicherung einer Finanzierung von Peer-Beratungen zum Einholen einer Zweitmeinung.146 Weiter fordern die Vereine eine verbindliche Pflicht zur Schaffung eines interdisziplinären Teams zur Sicherung/Überprüfung von »untypischen« Phänomenen und mit diesen zusammenhängenden nicht-standardisierten Behandlungen. Darüber hinaus wird die Verwirklichung von Patientenbeauftragten empfohlen, um eine Qualitätssicherung von Patientenrechten zu garantieren.147 Auch die Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen kritisiert, dass eine Beratung

140 141 142 143

Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 5. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 10. Vgl. TransInterQueer e. V. (2020): S. 11. Auch der Kinderschutzbund Bundesverband e. V. (DKSB) befürwortet die Initiative des Gesetzgebers und eine damit verbundene Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Kinder. So wünscht sich der DKSB bspw. eine bessere Beratungslandschaft (vgl. Der Kinderschutzbund Bundesverband e. V. [2020]: S. 1). Hinsichtlich der Begutachtung fordert der DKSB neben einer ärztlichen Berufsqualifikation ebenso psychologische Kenntnisse zur Voraussetzung zu machen (vgl. Der Kinderschutzbund Bundesverband e. V. [2020]: S. 2). 144 Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 8. 145 Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 9. 146 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.; Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.; Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. (2020): S. 1f. 147 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.; Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.; Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. (2020): S. 2.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

gesetzlich vorgeschrieben wird, noch bevor diese in ihrer Finanzierung und flächendeckenden Umsetzung abgesichert sei.148 Themenfeld »Terminologische Widersprüchlichkeiten und daraus hervorgehende Rechtsunsicherheit« Terminologische Widersprüchlichkeiten wie oben bereits beschrieben führen dazu, dass der Spielraum für legale operativ-genitale Eingriffe unklar ist, auch bleibt offen, ob Transgeschlechtlichkeit ebenfalls unter das Schutzgesetz fällt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe lehnt den Gesetzentwurf grundlegend ab. Zum einen fehle eine geeignete Definition des vermeintlich »nicht eindeutigen Geschlechts«, so sei nur eine absolute Übereinstimmung von Chromosomen, Gonaden, Genitalien und Hormonen in der Lage eine eindeutige Weiblichkeit oder eine eindeutige Männlichkeit nachzuweisen, wohingegen Intergeschlechtlichkeit als Uneindeutigkeit definiert werde. Weiter werde davon ein fehlgebildetes Genital unterschieden, ohne genauer zu bestimmen, ab wann ein Genital uneindeutig oder fehlgebildet sei und darauf aufbauend die Frage danach eröffnet, ob die absolute Übereinstimmung aller biologischen Parameter kumulativ sei oder absolut.149 Auch aus Sicht der Bundesärztekammer wird der Gesetzentwurf mit seinem grundsätzlichen Operationsverbot den Betroffenen nicht gerecht, er »konterkariert […] sogar eine evidenzbasierte Behandlung«.150 Zum einen sei daran die Verwendung unklarer Begrifflichkeiten schuld, aber auch die sich ergebenden sachlichen Widersprüche, welche Einbuße der Rechtssicherheit mit sich zögen.151 Unklarheiten ergeben sich laut DFGT dadurch, dass der Gesetzentwurf sehr viel Spielraum hinsichtlich seiner Wirksamkeit zulässt. Wird ein Kind bspw. mit Hodenhochstand bei der Geburt als männlich klassifiziert, so ist eine Operation erlaubt, wird es als weiblich oder intergeschlechtlich klassifiziert, wäre der operative Eingriff verboten. Die anfängliche Einordnung ist in diesem Fall somit entscheidend und nicht wie angestrebt das Selbstbestimmungsrecht des Kindes.152 Der AEM verweist darauf, dass sachliche Widersprüche im Gesetzentwurf den behandelnden Ärzt*innen keine Rechtssicherheit verschaffen, so erlaubt der Entwurf bspw. hier »korrigierende Eingriffe an den Genitalien, die sich innerhalb des angeborenen biologischen Geschlechts bewegen, [denn diese] haben dagegen keine geschlechtsverändernde Qualität, weil dem Kind das angeborene Geschlecht und damit eine selbstbestimmte geschlechtliche Entwicklung erhalten bleiben«.153 Diese Aussage widerspreche der Möglichkeit von divergierenden Genitalien, welche sich nur durch einen Abgleich aus äußerem Erscheinungsbild und möglichen inneren Indikatoren wie Gonaden, Hormonen und Genen zeigen. Weiter sei die Formulierung »fehlgebildete Genitalien« zu kritisieren, da es sich hier um eine ästheti-

148 Vgl. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 5. 149 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 1. 150 Bundesärztekammer (2020): S. 2. 151 Vgl. Bundesärztekammer (2020): S. 2. 152 Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 4. 153 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020): S. 24.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

sche Entscheidung handelt, da keine entsprechenden Kriterien vorgegeben werden, ab wann ein Genital als fehlgebildet zu betrachten ist.154 Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP) begrüßt das Grundanliegen des Gesetzentwurfs, Kinder mit »unklarer« Geschlechtszuordnung vor genitalangleichenden Operationen zu schützen, kritisiert aber gleichzeitig die mit dem Gesetzentwurf verbundene Frage, inwiefern dieses Gesetz auch transgeschlechtliche Kinder betrifft.155 In diesem Kontext wird vom DGKJP die Konstruktion der wahren Transgeschlechtlichkeit vorgenommen, welche mittels Negativdefinition von der Geschlechtsunzufriedenheit differenziert wird. Wahre Transsexualität wird folgend als Geschlechtsidentitätsstörung bezeichnet.156 Die Bundesärztekammer kritisiert ebenfalls die gemeinsame gesetzliche Regelung für inter- und transgeschlechtliche Personen, da letztere »per definitionem einem üblichen anatomischen Geschlecht entsprechen und sich in diesen Fällen in der Regel andere Fragen stellen als bei Kindern und Jugendlichen mit Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD)«.157 Es wird mehrfach betont, dass eine Zuordnung zu einem Geschlecht im Falle von Transgeschlechtlichkeit eindeutig sei, wobei sich diese Einordnung ausschließlich an körperlichen Merkmalen orientiert. Weiter hält die Bundesärztekammer im Fall von Transgeschlechtlichkeit an einer Diagnosestellung und somit Pathologisierung fest.158 Die dgti fordert in diesem Zusammenhang – unter Verweis auf den Begründungsteil der ausdrücklich auch transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche in ein Gesetz für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung einbezieht – eine uneingeschränkte geschlechtliche Selbstbestimmung sicherzustellen, welche ebenfalls einen Schutz vor einer Fremdbestimmung der Kinder durch ihre Sorgeberechtigten mit einbeziehen müsse.159 Dass der Gesetzentwurf nicht nur inter-, sondern auch transgeschlechtliche Kinder umfasse, sei laut Zwischengeschlecht.org nicht zielführend und verkenne die Unterschiede zwischen beiden Gruppen.160 TransKinder-Netz e. V. (Trakine) sieht in dem Gesetzentwurf eine Missachtung der Rechte von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen und lehnt diesen prinzipiell ab. Besonders wird problematisiert, dass der Gesetzentwurf implizit die Rechte von intergegenüber denen von transgeschlechtlichen Kindern ausspielt.161 Die Stellungnahme von Trakine vergleicht den Gesetzentwurf mit den Gesetzentwürfen zur Novellierung des TSG und dem Schutz vor Konversionstherapien. Aus beiden gehe in Zusammenschau hervor, dass transgeschlechtliche Menschen ein Recht auf genitalangleichende Operation haben und ebenso vor therapeutischen Interventionen geschützt werden müssten, die dem Wunsch auf geschlechtliche Selbstbestimmung entgegenstehen. Aus 154 155

Vgl. Akademie für Ethik in der Medizin (2020): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (2020): S. 1. 156 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (2020): S. 3. 157 Bundesärztekammer (2020): S. 7. 158 Vgl. Bundesärztekammer (2020): S. 7f. 159 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 3. 160 Vgl. Zwischengeschlecht.org (2020): S. 3. 161 Vgl. Trans-Kinder-Netz e. V. (2020): S. 1.

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diesem Grund lehnt Trakine Art. 1 Abs. 3 des Gesetzentwurfs ab, da eine zwingende Beratung dem soeben Geschilderten entgegenstehe. Themenfeld »Zuständigkeit« Bei der Frage nach der Zuständigkeit geht es vor allem um die unklare Situation, wer – ob Medizin, Eltern oder Gerichte – im medizinischen Notfall entscheidet, ob es sich um einen lebenserhaltenden Eingriff handelt oder nicht und wer im Kontext einer Ausnahmeregelung diese Entscheidung trifft. Der eingetragene Verein Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) begrüßt in der gesetzlichen Verankerung, dass festgehalten wird, dass es kein Teil der elterlichen Sorge sei, in einen operativen Eingriff in die Genitalien ihrer Kinder einzuwilligen. Gleichzeitig wird begrüßt, dass ein operativer Eingriff in die Genitalien bei Gefahr für das Leben weiterhin möglich sei.162 Die Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen bewerten den Ansatz des Gesetzentwurfs als grundsätzlich positiv, haben aber dennoch starke Bedenken. So sei es verfehlt die weitreichende Entscheidung durch eine Gutachtendenstimme anstatt der Elternstimme zu treffen, deutlich besser wäre dafür der Einsatz einer Ethikkommission.163 Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe konstatiert, dass die Selbstbestimmung des elterlichen Rechts164 durch ein staatliches Verbot beschnitten werde.165 Den Eingriff in das Elternrecht hält der DFGT hingegen für zulässig, da der Staat hier seinem Schutzauftrag entgegenkommt und das Kind als gesetzliche Vertretungsmacht vor Fremdbestimmung in seinen sensiblen höchstpersönlichen Bereich und vor irreversiblen selbstgetroffenen Entscheidungen unterstützt. Zudem sei das Elternrecht nur auf medizinisch nicht indizierte Maßnahmen beschränkt.166 In der Möglichkeit, dass Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr in genitalverändernde Operationen einstimmen können, erkennt der DFGT zunächst eine rechtliche Bestärkung der wachsenden Selbstbestimmung der Betroffenen, wobei von dieser entlang der Einholung einer gerichtlichen Genehmigung nicht mehr viel übrig bliebe. Weiter sei diese Regelung ein Novum, da das geltende Kindschaftsrecht bisher nur Entscheidungen der Eltern einem familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalt aussetzte, jedoch nicht die Entscheidungen des kindlichen Betroffenen selbst.167 Die IVIM empfindet die Altersgrenze als zu niedrig, da in diesem Alter in besonderer Weise die gesellschaftlichen

162 163

Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 1. Vgl. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 1. 164 Auch die DGKCH kritisiert, dass der Staat mit dem Referentenentwurf das Elternrecht in unverhältnismäßiger Weise einschränke und aufhebe (vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. [2020]: S. 13). 165 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (2020): S. 3. 166 Gleichzeitig beschränke das Gesetz aber auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da es sich auch an die Minderjährigen selbst richte (vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. [2020]: S. 5). Hierbei handelt es sich aber keinesfalls um eine neue Beschränkung, da das Kind auch zuvor kein Recht auf eine derartige Behandlung hatte, sondern sein Recht durch die Eltern vertreten wurde. 167 Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 8f.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Normvorstellungen und Tabus im sozialen Umfeld wirken, dadurch bekäme die medizinische Beratung eine besonders mächtige Stellung, wenn sie darauf aufbaue, ein »vermeintliches Normalwerden« zu versprechen.168 Die DIJuF problematisiert die im Gesetzentwurf festgeschriebene Rolle der Sorgeberechtigten, da diese auf der einen Seite nicht in genitalverändernde Operationen einwilligen dürfen, außer es handelt sich um eine medizinische Notlage, sodass mit der Operation eine Gefahr um das Leben abgewendet werden soll; dann wird die Zustimmung durch die Sorgeberechtigten dringend erforderlich, auch wenn das Kind zu einer Einwilligung bereits fähig ist. Dadurch entstehe eine Unsicherheit für das Kind, welches in seinem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werde.169 Auch fraglich sei, warum das Gesetz keine Ersetzung der Einwilligung der Eltern vorsieht, wie es das GIBG als Novellierung des TSG im Entwurf vorsieht. Auch die Altersvorgabe wird einem Vergleich unterzogen, da diese sich maßgeblich an dem § 45b Abs. 2 PStG orientiere, wobei hier vom DIJuF beanstandet wird, dass dieser eine Geschlechtsangabe regele, die durchaus mehrfach vorgenommen werden kann und somit rückgängig gemacht werden könne, während genitalverändernde Operationen durch das DIJuF eher mit einem Schwangerschaftsabbruch zu vergleichen seien, da sie eine dauerhafte Wirkung hätten.170 Trakine lehnt eine Beteiligung der Eltern hinsichtlich der – durch den jungen Mensch gewünschten – medizinischen Maßnahmen grundsätzlich ab.171 Dass der Weg über die Gerichte für eine genitalangleichende Operation als Regelweg konstituiert wird, hält Trakine jedoch ebenfalls für eine unnötige, weil kostenintensive und langjährige Hürde.172 Der Bund Deutscher Rechtspfleger (BDR) hat gegenüber dem Gesetzentwurf keine Bedenken, fügt jedoch die Anmerkung hinzu, dass der Gesetzentwurf einen Richtervorbehalt hinsichtlich der Prüfung, ob es sich um eine körperliche Unversehrtheit handelt, aufnehmen sollte.173 In der zusätzlichen Genehmigung des Familiengerichts – in eine vom Kind und den Eltern gewünschte Operation – erkennt die Bundesärztekammer eine Regelung, die einen »unnötige[n], erhebliche[n] und unverhältnismäßige[n] Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit, insbesondere in die ärztliche Indikationsstellung« darstellt.174 Eine medizinische Indikation, so die Bundesärztekammer, könne ein Gericht fachlich nicht überprüfen und wäre in diesem Fall ohnehin auf medizinische Sachverständige angewiesen.175 Zusätzlich erachtet die Bundesärztekammer die Einschränkung der Gutachtenden auf jene mit chirurgischer Ausbildung für falsch, da ebenso »pädiatrische Endokrinologen, Endokrinologen, Neonatologen, Gynäkologen, Andrologen, Humangenetiker, (Kinder-)Chirurgen/Urologen«176 in der Lage seien die Behandlung zu beurteilen, zudem hält die Bundesärztekammer eine Zusammensetzung aus einem medizinisch-interdisziplinären Team für sinnvoll, da nur so eine ganzheitliche Betrachtung 168 169 170 171 172 173 174 175 176

Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 7f. Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 3. Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 4. Vgl. Trans-Kinder-Netz e. V. (2020): S. 2. Vgl. Trans-Kinder-Netz e. V. (2020): S. 3. Vgl. Bund Deutscher Rechtspfleger (2020): S. 1f. Bundesärztekammer (2020): S. 9. Vgl. Bundesärztekammer (2020): S. 9. Bundesärztekammer (2020): S. 12.

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möglich wäre. Nachdem ein Großteil der Studien, welche dem Gesetzentwurf zugrunde gelegt wurden, durch die DGKCH als wissenschaftlich unsauber gearbeitet oder ohne die nötige wissenschaftliche Qualifizierung erarbeitet dargestellt wurden,177 erfolgt der Hinweis, dass auch eine familiengerichtliche Betrachtung ohne Sinn sei, da diese ohnehin auf medizinische Gutachten beruhe und somit obsolet sei.178 Auch die DGKED hält das Familiengericht als Entscheidungsträger und ein Sachverständigengutachten eines Chirurgen zur Begründung nicht für ausreichend und empfiehlt ebenfalls die Bildung eines interdisziplinären Teams aus »erfahrenen Kinderendokrinologen, Psychologen, Chirurgen und ggf. weiteren Fachdisziplinen«. Auch der Profamilia Bundesverband fordert Gutachten durch interprofessionell besetzte Kompetenzteams.179 Statt eines Gutachtens für Ausnahmen oder den Beleg einer Indikationsstellung fordert die DGPs zwei Gutachten und erachtet es als wichtig, dass eines der beiden Gutachten durch eine*n Psycholog*in abgehalten wird.180 Auch TransInterQueer e. V. fordert aufgrund der langen, gewaltvollen Geschichte medizinischer Praxis der sozialen Normierung mittels Genitalkorrektur, die Gutachtenregelung zu überdenken und medizinunabhängige Berater*innen einzubeziehen.181 Die Selbsthilfegruppen »SHG Eltern XY-Frauen« und »SHG Eltern intersexueller Menschen« benennen weitere Unklarheiten, die sich aus der begrifflichen Unschärfe ergeben, so zum Beispiel entsteht die Frage, an welchen Kriterien sich das Familiengericht bemisst, wenn über einen Antrag auf frühzeitige Operation entschieden wird und wie die Einsichtsfähigkeit des Kindes ab dem Alter von 14. Jahren als angemessen Reif beurteilt wird.182 Die DGKJP kritisiert in diesem Zusammenhang, dass es eine Einschränkung der Sachverständigen gemäß Art. 2 Abs. 2 § 163c auf chirurgische Ärzt*innen gibt, wodurch Jugendpsychologische und -psychiatrische Ärzt*innen als Sachverständige ausgeschlossen werden. Da es bei dem entsprechenden Paragraphen um die Einwilligung zu Operationen von Minderjährigen geht, sieht der DGKJP die Notwendigkeit, diese Entscheidung von Psycholog*innen und Psychiater*innen begleiten zu lassen, welche eine Qualifizierung haben, um psychische Beeinträchtigungen oder Erkrankungen zu erkennen. Bzgl. transgeschlechtlicher Kinder und Jugendlicher, die ab dem 14. Lebensjahr in eine genitalangleichende Operation einwilligen dürfen – was ebenfalls ausschließlich durch einen chirurgischen Sachverständigen bestätigt werden muss – kritisiert die DGKJP nicht nur die fehlende psychologische Expertise in diesem Entscheidungsprozess, sondern ebenso die Altersgrenze, welche als zu früh erachtet wurde. Die DGKJP hält eine Altersgrenze von 18 Jahren für angemessen, mindestens eine Altersgrenze von 16 Jahren. Insgesamt geht diese Stellungnahme weniger auf die Hauptnarration des Gesetzentwurfs ein, sondern bemüht sich darum, die Disziplinen 177

Auch die Bundesärztekammer bemängelt den Stand der Wissenschaft, da es keine systemische Evaluation der Behandlungen, aber ebenso wenig eine systemische bspw. statistische Erfassung der Betroffenen gäbe (vgl. Bundesärztekammer [2020]: S. 4). 178 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (2020): S. 6f., S. 13. 179 Vgl. profamilia Bundesverband (2020): S. 1f. 180 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2020): S. 2. 181 Vgl. TransInterQueer e. V. (2020): S. 4f. 182 Vgl. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 3f.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

der eigenen Gesellschaft in dem Gesetzentwurf als notwendige Qualifikation zu installieren und so die eigene Machtstellung zu sichern. Auch die »Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.« und die »Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.« sowie die »Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V.« sprechen sich gegen die Altersbeschränkung entlang eines bestimmten chronologischen Alters aus, da Kinder individuell unterschiedlich einwilligungsfähig werden, so würden vor allem betroffene Kinder »häufig frühzeitig die Kompetenz zu den sie betreffenden Angelegenheiten gehört zu werden« erwerben.183 Nach DIJuF würde eine feste Altersgrenze nicht dem Wissen über die kindliche Entwicklung gerecht, weshalb der DIJuF fordert, diese Grenze solle nicht pauschal ein Entscheidungsrecht zusprechen, sondern als Grenze für eine Ermittlung dienen, ob das individuelle Kind in der Lage sei, diese Entscheidung zu treffen.184 Statt eine Einwilligung des Familiengerichtes, sollte das Kind im Sinne des DIJuF künftig den Co-Konsens der Eltern brauchen, da nur dann dem Selbstbestimmungsrecht genügt werde, da der Staat so aus dieser Entscheidung herausgehalten werde.185 Demnach wird Selbstbestimmung hier nur als Negativdefinition verstanden, indem der Staat nicht in den eigenen Willen eingreifen kann, während andere Institutionen das durchaus dürfen. Dies ist ähnlich dem Wunsch im GIBG, die Ehepartner zu befragen. Themenfeld »Straffreie Behandlungen« Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) benennt den Gesetzentwurf als längst überflüssigen Kindesschutz und hebt besonders zustimmend hervor, dass dieser alle operativen Eingriffe erfasst, »die eine Änderung des männlichen, weiblichen oder intergeschlechtlichen Erscheinungsbildes eines Kindes in ein jeweils anderes bewirken«.186 Operative Eingriffe in die Geschlechtsorgane werden vom ISUV weiter als Eingriff in das Recht seine Identität selbst zu bestimmen verstanden. Allerdings hält der ISUV eine Strafandrohung bei Durchführung einer geschlechtseingreifenden Operation für unnötig. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) hat ebenfalls Korrekturvorschläge bzgl. des Gesetzentwurfs, ohne die nach Ansicht der DGfS »Kinder mit mehrdeutigem Körpergeschlecht vor medizinisch nicht notwendigen, also elektiven geschlechtsangleichenden« Maßnahmen nicht ausreichend geschützt seien.187 Die Organisation Zwischengeschlecht.org fordert hingegen weitreichende Nachbesserungen.188 Die Verbote würden nur wenige chirurgische Maßnahmen umfassen und dadurch große Schutzlücken im Gesetz entstehen.189 Statt die Täter*innen zu fokussieren und ein umfassendes Verbot zu verabschieden, würden Mediziner*innen weiterhin

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Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V.; Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.; Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V. (2020): S. 3. Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 5. Vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (2020): S. 6. Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (2020): S. 1. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2020): S. 1. Vgl. Zwischengeschlecht.org (2020): S. 1. Vgl. Zwischengeschlecht.org (2020): S. 3.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

die Deutungshoheit behalten und somit weiterhin zu Täter*innen werden.190 Auch der LSVD spricht sich für ein generelles Verbot von Operationen der Genitalien aus.191 Die Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (DGKED) kritisiert den Gesetzentwurf dafür, dass er weder dem fachwissenschaftlichen Konsens noch den Wünschen von Betroffenen gerecht werde.192 Die DGKED hält Operationen am inneren und äußeren Genital jedoch für essentiell, da sie sowohl die Anatomie/Optik als auch die Funktion verbessern könnten, bspw. könne Infektionen im Urogenitaltrakt vorgebeugt, die persönliche Akzeptanz des Genitals gesteigert und die psychosexuelle Funktionalität gewährleistet werden.193 Amnesty International begrüßt den Gesetzentwurf, hält diesen aber für noch ausbaufähig hinsichtlich eines Diskriminierungsschutzes für die vulnerable Gruppe der Kinder mit Variationen der Geschlechtsmerkmale: »Da die Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Personen jedoch eng mit der Pathologisierung ihrer Körper und den tief verankerten binären Geschlechterstereotypen verknüpft sind, bedarf es weiterer Maßnahmen, um einen umfassenden Schutz der Rechte von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale sicherzustellen.«194 In diesem Zusammenhang fordert Amnesty International auch eine rechtliche Regelung von Behandlungsleitlinien im Falle eingewilligter Eingriffe, um damit Diskriminierungen im Behandlungsprozess vorzubeugen.195 Ferner sei es notwendig, auch irreversible und nicht lebenserhaltende Hormonbehandlungen bei Säuglingen und Kindern zu verbieten.196 ATME e. V. erkennt Gesetze nur als sinnvoll an, wenn sie sich auf alle Menschen beziehen, als nicht sinnvoll werden bspw. Gesetze benannt, die sich auf konstruierte Gruppen beziehen: »Identitarismen und Konstruktionen von Menschengruppen – insbesondere, wenn diese Grenzziehungen durch Gesetze erfolgen – führen regelmässig […] zu Leid bei Menschen.«197 Den Gesetzentwurf bezeichnet ATME e. V. als schlecht begründet, da dieser sich nicht an Fakten orientiert und »populistischer Quatsch« sei.198 Wie in den Ausführungen ersichtlich wird, sind nicht alle Behandlungen von dem Verbot betroffen. So bleiben Hormonbehandlung und Pränataleingriffe, in Teilen auch Sterilisationen – sofern sie eine Nebenfolge und keine Absicht darstellen – und Hypospadie, Hodensenkungen und Beschneidungen straffrei, was zu Kritik führt. Die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (IVIM) begrüßt den Gesetzentwurf, fordert aber im gleichen Zug eine Ausweitung des Eingriffsverbotes auf alle Menschen unabhängig der Geschlechtszuordnung. Als Formulierung sollte statt eines Verbotes der »Änderung des angeborenen biologischen Geschlechts« ein Verbot der »Änderung der körperlichen geschlechtlichen Merkmale einer Person in Erscheinung und Funktion ohne vitale Notwendigkeit« aufgenommen werden. Insofern kriti190 191 192 193 194 195 196 197 198

Vgl. Zwischengeschlecht.org (2020): S. 4. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2020): S. 3. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (2020): S. 2. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (2020): S. 3. Amnesty International (2020): S. 2. Vgl. Amnesty International (2020): S. 2. Vgl. Amnesty International (2020): S. 2. Aktion Transsexualität und Menschenrecht e. V. (2019): S. 2. Vgl. Aktion Transsexualität und Menschenrecht e. V. (2019): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

siert die IVIM, dass der Gesetzentwurf weiterhin »untragbare« Ausnahmen zulässt und darüber hinaus Hormon- und pränatale Dexamethasonbehandlungen vergisst.199 Der Gesetzentwurf müsse sich vielmehr auf das Recht der Selbstbestimmung aller Menschen über ihren Körper konzentrieren. Pränatale Eingriffe wie die Dexamethasonbehandlung und selektive Schwangerschaftsabbrüche wegen des Chromosomensatzes 47, XXY sollten nach TransInterQueer e. V. ebenfalls in das Gesetz aufgenommen werden.200 Die Selbsthilfegruppen »SHG Eltern XY-Frauen« und »SHG Eltern intersexueller Menschen« befürchtet unterdessen, dass das Gesetz dazu führt: »dass es in der Zukunft immer weniger Kinder mit einer Diagnose aus dem Bereich der Varianten der Geschlechtsentwicklung geben wird. Stattdessen wird die Zahl der nicht genehmigungspflichtigen Operationen aufgrund anatomischer Besonderheiten sowie die Zahl der Abtreibungen zunehmen.«201 Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bezieht seine erste Kritik auf die Gesetzentwurf-Erklärung, welche sich darauf bezieht, warum eine Hormonbehandlung nicht verboten wird.202 So sei die Argumentation, dass hormonelle Behandlungen den Zweck hätten die biologisch-geschlechtliche Entwicklung zu verzögern, nur bezüglich transgeschlechtlicher Kinder von Relevanz, da diese Kinder selbstbestimmt danach forderten, nicht aber bei intergeschlechtlichen Kindern.203 Auch der DFGT kritisiert das fehlende Verbot von »geschlechtsverändernder Hormongabe«, da auch Hormone das äußere Erscheinungsbild maßgeblich verändern können und teils schwerwiegende Nebenwirkungen haben können.204 Weiter wird infrage gestellt, ob es nicht sinnvoller sei, eine allgemeine gesetzliche Regelung zur Einwilligung in Heilbehandlungen bei Minderjährigen zu finden.205 Die EAF wünscht sich neben der Erweiterung des Gesetzes um Hormonbehandlungen auch ein Verbot allgemeiner medizinischer Eingriffe, die eine Lebens- und Gesundheitsgefahr nicht als Voraussetzung haben.206 Weiter fordert die EAF eine Begleitforschung zur Indikationsstellung bei genitalangleichenden Operationen.207 In den Hormonbehandlungen erkennt TransInterQueer e. V. hingegen eine Möglichkeit, dass das Kind mehr Zeit hat, sich der eigenen Bedürfnisse und Wünsche bewusst zu werden. Entlang einer fundierten medizinunabhängigen Beratung spricht sich auch TransInterQueer e. V. dafür aus, die pubertätsaufschiebende Hormonbehandlung nicht im Gesetz zu verorten.208

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203 204 205 206 207 208

Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 1, S. 6f. Vgl. TransInterQueer e. V. (2020): S. 7. Selbsthilfegruppen SHG Eltern XY-Frauen und SHG Eltern intersexueller Menschen (2020): S. 6. Auch die Bundesärztekammer kritisiert, dass nicht-operative Maßnahmen, bspw. Hormongabe, durch das Gesetz nicht abgedeckt werden (vgl. Bundesärztekammer [2020]: S. 7). Ebenso spricht sich der BVT* für eine Erweiterung des Gesetzes um ein Verbot von normalisierenden Hormongaben aus (vgl. Bundesverband Trans* e. V. [2020]: S. 9). Auch der Profamilia Bundesverband fordert den Einbezug von Hormonbehandlungen (vgl. Profamilia Bundesverband [2020]: S. 1). Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2020): S. 2. Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 3, S. 16. Vgl. Deutscher Familiengerichtstag e. V. (2020): S. 16f. Vgl. Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (2020): S. 4. Vgl. Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (2020): S. 5. Vgl. TransInterQueer e. V. (2020): S. 7.

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Ebenfalls unklar seien die Formulierungen betreffend der Sterilisation, da hier Operationen, die zur Unfruchtbarkeit führen, nicht als Sterilisation gelten und eine Heilbehandlung durchaus auch bei sterilisierender Nebenwirkung durchgeführt werden dürfe. In beiden Fällen sehen OII Europe und ILGA-Europe Klärungsbedarf.209 Auch der djb kritisiert, dass es die Schutzfunktion verfehle, wenn eine nicht-intendierte Sterilisation als Nebenfolge als lex specialis aus dem Bereich des gesetzlichen Verbots herausgenommen werde.210 Terre des Femmes fordert daher eine Streichung der Einschränkung des Sterilisationsverbots, da dieses uneingeschränkt gelten müsse und nicht nur entlang einer Änderung des angeborenen biologischen Geschlechts.211 Der BVT* übt zudem Kritik an der Konstruktion der Sterilisation als Nebenfolge. Statt einer Operation als Prävention einer möglichen Krebserkrankung, sollte die medizinische Kontrolle engmaschiger angeboten werden.212 Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hält die Möglichkeit zur Einwilligung in eine Sterilisation vor Erreichen der Volljährigkeit für unangebracht.213 Als besonderes Augenmerk des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung sollte die Reproduktionsfähigkeit im Gesetz besonders geschützt werden. Der Intersexuelle Menschen e. V. Bundesverband fordert in diesem Zusammenhang, dass auch gewünschte Operationen die Erhaltung der Reproduktionsfähigkeit berücksichtigen müssen.214 In Bezug auf das klassische AGS, aber auch auf einen Hodenhochstand spricht sich die DGKED für eine umgehende »Korrektur« im frühsten Kindesalter aus. Eine Beschneidung von intergeschlechtlichen Kindern wird unterdessen abgelehnt, nicht aus ethischen, sondern aus pragmatischen Gründen, da die entfernte Genitalhaut bei späteren Operationen von Nutzen sein könne.215 Die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. hat allen voran fachliche Bedenken bzgl. des umfassenden Verbots einer operativen Absenkung der Hoden in einen Hodensack. Hier wird angeführt, dass je später diese vorgenommen werde, diese durch Verwachsungen erschwert werden, während eine spätere Entfernung unproblematisch sei. Weiter wird eine höhere Komplikationsrate im fortgeschrittenen Alter angeführt, die für alle Eingriffe gelte, allen voran die Penisbegradigung.216 Besonders bedauerlich sei nach IVIM, dass die HypospadieBehandlung (Harnröhrenverlängerung und Penisbegradigung) aus dem Gesetz herausgenommen wurde, da diese Operationen als risikoreich gelten, gleichzeitig aber keine überlebensnotwendigen Eingriffe darstellen.217 Das Institut für Weltanschauungsrecht (IFW) hält die Ausnahme der Vorhautbeschneidung von intergeschlechtlichen Kindern, deren Eltern diese als Jungen aufziehen oder sie als solche erkennen ebenfalls für erklärungsbedürftig, da sich aus der Intergeschlechtlichkeit eine besondere Interessenlage des Kindes ergebe. »Diese besondere 209 Vgl. Organisation Intersex International Europe; European Region of the International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2020): S. 11f. 210 Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2020): S. 4. 211 Vgl. Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V. (2020): S. 1. 212 Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 3, S. 7. 213 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2020): S. 1. 214 Vgl. Intersexuelle Menschen e. V. Bundesverband (2020): S. 5. 215 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (2020): S. 5f. 216 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (2020): S. 3. 217 Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen e. V. (2020): S. 3.

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Interessenlage liegt darin, dass ein intergeschlechtliches Kind, das sich im Rahmen seiner psychosexuellen Identitätsentwicklung später möglicherweise als weiblich definiert (und operieren lässt), sich einen solchen – in doppelter Hinsicht – sinnlosen Eingriff nicht zumuten lassen muss.«218 Insgesamt fordert das IFW ein Verbot für Penisvorhautbeschneidung, da diese im Allgemeinen nicht mit den Grundrechten des Kindes vereinbar sei.219 Auch Terre des Femmes fordert die Streichung einer Beschneidungserlaubnis aus dem Gesetzentwurf. Weiter lehnt die Organisation auch die Abgrenzung gegenüber der weiblichen Genitalverstümmelung ab.220

Gesetzentwurf zum »Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« Der Bundestag hat den Gesetzentwurf überarbeitet und mit dem neuen Gesetzentwurf »Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« erneut zu Stellungnahmen aufgerufen.221 Unter § 1631e BGB wird folglich die »Behandlung von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« aufgenommen. Die zuvor geäußerte Kritik im Rahmen der Stellungnahmen zum ersten Gesetzentwurf wurde in großen Teilen anerkannt und der Gesetztext überarbeitet. So ist nicht mehr die Rede von »geschlechtsverändernden Eingriffen«, sondern von »Eingriffen an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbilds des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts zur Folge haben könnten«.222 Auch wird dem Gesuch einer interdisziplinären Kommission zur Bewilligung von Eingriffen im Falle einer Gefahr für das Leben stattgegeben. Unter Abs. 4 werden vier Personen benannt, die unbedingt Teil der Kommission sein müssen: Der*Die Behandelnde, eine weitere ärztliche Person, eine Person mit psychologischer Berufsqualifikation und eine Person mit sozialpädagogischer Berufsqualifikation. Der Allgemeine Teil des Gesetzentwurfs bleibt weitestgehend unverändert, erst unter Punkt vier »Ziel« erfolgt eine Ausformulierung. So wird das Gesetz markant erweitert: »Soll eine Behandlung – durch operativen Eingriff oder auf andere Weise, beispielsweise hormonell – allein in der Absicht erfolgen, das körperliche Erscheinungsbild des nicht einwilligungsfähigen Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen, ist sie unzulässig.«223 Der zweite Punkte des vorausgehenden Gesetzentwurfs, in welchem die Abgrenzung des Kernbereichs des Gesetzentwurfs von Genitalverstümmelung, Beschneidung und Sterilisation vorgenommen wurde, entfällt nun gänzlich. Der dritte Punkt »wesentlicher Inhalt des Entwurfs« des neuen Gesetzentwurfs unterscheidet sich wieder grundlegend zum ehemals vierten Punkt

218 219 220 221

Institut für Weltanschauungsrecht (2020): S. 2. Vgl. Institut für Weltanschauungsrecht (2020): S. 3f. Vgl. Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V. (2020): S. 2. Der Bundestag hat den überarbeiteten Gesetzentwurf »Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« am 25. März 2021 angenommen. 222 Bundesregierung (2021): S. 7. 223 Bundesregierung (2021): S. 15.

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des vorausgehenden Gesetzentwurfs. Auch hier wurde der Begriff »geschlechterverändernd« neujustiert und gegen den Begriff »geschlechtsangleichend« getauscht. Der Bereich der erlaubten Eingriffe wurde unterdessen erweitert, indem Ausnahmen im Fall von AGS beantragt werden können, aber ebenso hormonell dysfunktionale oder funktionslose Gonaden entfernt werden dürfen und ebenso weiterhin enthalten ist die Korrektur von Fehlbildungen des Urogenitalsystems (Hypospadie, Blasenekstrophie).224 Durch diese Erweiterung sieht der neue Gesetzentwurf ein weniger strenges Verbot operativer Eingriffe vor, als der vorausgehende. Gleichzeitig betont der neue Gesetzentwurf unter dem vierten Punkt »Alternativen«, dass auch durch den Wegfall einer Regelung für transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche, diese Gruppierung nicht unnötig durch zusätzliche gesetzliche Einschränkungen belastet werden solle. Ebenfalls erfolgt eine Erklärung, warum dem Ansinnen von Betroffenengruppen, die Gesetzgebung auf alle Kinder zu erweitern nicht stattgegeben wurde. Dies ergebe sich daraus, dass intergeschlechtliche Kinder eine besondere Vulnerabilität im Rahmen einer tradiert binären Geschlechterordnung hätten, weitere mögliche Fälle (bspw. Beschneidungen) aber nicht unter diesen leiden.225 Im Besonderen Teil wird die Altersgrenze zur Einwilligung in Eingriffe an äußeren oder inneren Geschlechtsmerkmalen von 14 Jahren durch eine Einwilligungsaltersgrenze von 10 Jahren ersetzt. Bestehen Zweifel daran, ob das Kind einwilligungsfähig ist, so solle das familiengerichtliche Genehmigungsverfahren nach § 1631e Absatz 3 BGB-E eine Entscheidung treffen.226 Intergeschlechtlichkeit wird als Variante der Geschlechtsentwicklung verstanden und wie folgt definiert: »Der Begriff ›Variante der Geschlechtsentwicklung‹ ist eine Sammelbezeichnung und umfasst verschiedene Erscheinungsformen und ärztliche Diagnosen. Eine Variante der Geschlechtsentwicklung liegt vor, wenn bei einem Kind eine Inkongruenz bezüglich der geschlechtlichen Einordnung des chromosomalen, gonadalen, hormonellen oder genitalen Status vorlag. Der Begriff lehnt sich an die medizinische Einordnung an und ist daher wandelbar.«227 Somit bleibt die begriffliche Deutungshoheit über die Geschlechtszuordnung weiterhin im Bereich der Medizin verortet. Im Gegensatz zu dem vorausgehenden Gesetzentwurf geht der neue Entwurf dezidiert auf Mobbing und Stigmatisierung ein, indem klargestellt wird, dass beide keine Begründung für einen frühzeitigen Eingriff darstellen: »Mobbing unter Kindern allein, das gleichfalls bei anderen Variationen des Erscheinungsbildes vorkommt, wird aber in der Regel nicht ausreichen, eine nicht aufschiebbare Behandlung zu begründen, die lebenslang irreversibel ist. Vielmehr sind dies typische Fälle, in denen Beratung, Unterstützung und Aufklärung auch bei den Personen,

224 225 226 227

Vgl. Bundesregierung (2021): S. 19. Vgl. Bundesregierung (2021): S. 20. Vgl. Bundesregierung (2021): S. 25. Bundesregierung (2021): S. 25.

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die Kinder auf Grund ihrer Andersartigkeit ausgrenzen oder stigmatisieren, notwendig ist.«228

Stellungnahmen Oliver Blankenstein und die AGS Eltern- und Patient*inneninitiative e. V. erkennen auch den überarbeiteten Gesetzentwurf als einen größeren Schaden denn eines Nutzens.229 Vor allem Menschen mit AGS seien auf die Möglichkeit einer Operation angewiesen.230 Weiter wird konstatiert, dass durch ein Behandlungsverbot erhebliche Schäden für die Kindesgesundheit entstünden, wobei diese nicht genauer konkretisiert werden231 und sich die Vermutung demnach auf den vorausgehenden Sachverhalt bezieht, welcher eine normale Fertilität/Fruchtbarkeit und Pubertätsentwicklung von genetisch weiblichen Betroffenen umfasst und somit einen Leidensdruck entsprechend des eigenen Körperbildes annimmt.232 In der Stellungnahme wird bei einem Beibehalten der Regelung gefordert, dass in Einzelfallentscheidungen, die im Rahmen des Gesetzes möglich sind, in der interdisziplinären Kommission ebenfalls ein medizin-ethischer Sachverstand und ein*e Patientenverteter*in mit identischer Diagnose (AGS) vertreten sein müssen.233 Die Bundesärztekammer lehnt den Gesetzentwurf weiterhin ab, da dieser die ärztliche Berufsfreiheit einschränke.234 Aus medizinischer Sicht benennt die Bundesärztekammer als Definition des Begriffs »Varianten der Geschlechtsentwicklung«, dass dieser »als eine Art Kontinuum zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht zu verstehen« sei.235 Im Gegensatz zu den beiden juristischen Stellungnahmen betont die Bundesärztekammer, dass Operationen bei Kindern/Jugendlichen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung »primär eine zutiefst ärztliche Fragestellung, nicht aber eine rechtliche Frage« darstellen.236 Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert vor allem die fehlende Betroffenenperspektive in der gesetzlich vorgegebenen Zusammensetzung der interdisziplinären Kommission.237 Als weitere Kritik wird die fehlende altersgerechte Beratung durch Peers angebracht, welche jedoch dringend erforderlich wäre, um Ängste zu minimieren und der besonderen Belastungssituation gerecht zu werden.238 Ulrike Klöppel bemängelt an dem überarbeiteten Gesetzentwurf, dass dieser nicht durch die Gewährung des Schutzes »primär von menschenrechtlichen Gesichtspunkten geleitet« werde, sondern ausschließlich von der »jeweiligen medizinischen Einordnung eines Kindes«.239 Diese Einordnung sei aber schon deshalb problematisch, weil sich die

228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239

Bundesregierung (2021): S. 28. Vgl. Blankenstein (2021): S. 1. Vgl. Blankenstein (2021): S. 3. Vgl. Blankenstein (2021): S. 4. Vgl. Blankenstein (2021): S. 3. Vgl. Blankenstein (2021): S. 5. Vgl. Bundesärztekammer (2021): S. 2. Bundesärztekammer (2021): S. 3. Bundesärztekammer (2021): S. 4f. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (2021): S. 6. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (2021): S. 7. Klöppel (2021): S. 2.

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medizinische Fachdisziplin nicht darüber einig sei, welche körperlichen Phänomene unter den Gegenstandsbereich »Varianten der Geschlechtsentwicklung« fallen, was an der anhaltenden Diskussion hinsichtlich des AGS ersichtlich würde. Die Formulierungen »isolierte oder sonstige Fehlbildungen« werde dem Gegenstandsbereich ebenso wenig gerecht, da der Gegenstandsbereich selbst von einem »realen Spektrum und den fließenden Übergängen geschlechtlicher Vielfalt« ausgehe.240 Weiterhin sei es nicht ausreichend, dass die Einwilligungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen allein durch Ärzt*innen überprüft werden soll, da so keineswegs sichergestellt ist, dass diese »frei von familiärem und gesellschaftlichen Druck eine Behandlungsentscheidung treffen«.241 Klöppel benennt eine Beratung von anderen intergeschlechtlichen Menschen als essentiell, damit die Behandlungsentscheidenden nicht ausschließlich aufgrund des sozialen Drucks zu einer geschlechtlichen Anpassung führt. Die Juristin Katharina Lugani hält den Anwendungsbereich für zu schmal und unglücklich gewählt. Zum einen werden hier Bemühungen vorgenommen, ein medizinisches Konzept in ein rechtliches Konzept zu überführen, was bedeutet, dass eine rechtliche Überprüfung immer auf eine medizinisch-sachverständige Unterstützung angewiesen bleibt. Weiter bedeutet die zugrundeliegende Bindung des Gesetzes an das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung, dass der Gegenstandsbereich nicht mehr geschützt werde – wobei dies die maßgebliche Begründung für das Gesetz darstellt –, sofern eine Fehldiagnose gestellt werde.242 Zudem lehnt Lugani die Absenkung des Schutzniveaus im überarbeiteten Gesetzentwurf strikt ab.243 Weiter werde durch die vielen Einschränkungen des Gesetzes eine Komplexität erzeugt, da auf »verschiedenen Ebenen des Entscheidungsprozesses stark auslegungsbedürftige und einzelfallabhängige Konzepte« hinsichtlich ihrer Legalität geprüft werden müssten.244 Die gleiche Problematik entstehe bei der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen.245 Darüber hinaus problematisiert Lugani den Zustand, dass das einwilligungsfähige minderjährige Kind im Gesetzentwurf ohne Einwilligung der Eltern, ohne familiengerichtliche Genehmigung und ebenso ohne verpflichtende Beratung, demnach »völlig allein über die – nicht einmal unbedingt medizinisch indizierten – Behandlungen in Bezug auf seine Variante der Geschlechtsentwicklung entscheiden können soll«.246 Besonders bemängelt Lugani, dass der überarbeitete Gesetzentwurf gänzlich auf eine gesetzlich vorgeschriebene und gesicherte psychosoziale Beratung verzichtet.247 Dies gelte ebenfalls für die gesetzlich fehlende Schulung von Entscheidungsträger*innen.248 Lugani erkennt, dass der Gesetzentwurf die Binarität der Geschlechter nicht nur voraussetzt, sondern die geschlechtliche Binarität gesetzlich zementiert.249 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249

Vgl. Klöppel (2021): S. 4. Klöppel (2021): S. 5. Vgl. Lugani (2021): S. 3f. Vgl. Lugani (2021): S. 5. Lugani (2021): S. 8. Vgl. Lugani (2021): S. 8f. Lugani (2021): S. 10. Vgl. Lugani (2021): S. 20. Vgl. Lugani (2021): S. 26. Vgl. Lugani (2021): S. 4.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Die Rechtswissenschaftlerin Konstanze Plett hält die interdisziplinäre Kommission ebenfalls für problematisch, da es sich hierbei nicht um eine ständige Kommission handle und vollkommen offen sei, ob Eltern sich um die Findung einer Kommission zu bemühen hätten und die Kosten tragen. Besser sei eine Zusammensetzung der Kommission und Benennung von Sachverständigen durch das Familiengericht.250 Bzgl. der Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit stimmt Plett mit dem Aussagen Luganis überein.251 Die Psychologin Katinka Schweizer kritisiert die anhaltende begriffliche Ungenauigkeit, da auch »Varianten der Geschlechtsentwicklung« biologisch und sexualwissenschaftlich auf alle Menschen zutreffe: »Denn kein Körper, kein Geschlechtsorgan, kein inneres oder äußeres Genital auf dieser Welt gleicht dem anderen. Es gibt weder den Normpenis, noch die Standardvulva oder Normklitoris.«252 Auch Schweizer problematisiert die fehlende gesetzliche Verankerung einer unabhängigen Beratung253 und ebenso die fehlende Unterstützung in dieser psychischen Belastungssituation.254 Hinsichtlich der interdisziplinären Kommission befürchtet auch Schweizer ein Machtgefälle, da der behandelnde Arzt immer Teil dieser sei.255 Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf final weitestgehend zugestimmt und das »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« 2021 unter § 1631e BGB verabschiedet. Statt im Allgemeinen von genitalverändernden operativen Eingriffen zu sprechen, bezieht sich dieses verabschiedete Gesetz ausschließlich auf Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung.256 Da aber weiterhin ungeklärt ist, was unter »Varianten der Geschlechtsentwicklung« zu verstehen ist, könnte dies einer erneuten rechtswissenschaftlichen Zuwendung bedürfen. Ob sich das Gesetz explizit auf inter- oder ebenso auf transgeschlechtliche Kinder bezieht, bleibt zwar offen, jedoch zeigt die bisherige Verwendung der Begrifflichkeit »Varianten der Geschlechtsentwicklung« eine Fokussierung von Intergeschlechtlichkeit. Der Verzicht auf den Begriff der »geschlechtsverändernden Eingriffe« wiederrum bedeutet einen größeren Spielraum und somit Schutzlücken.

4.1.3 Positionen zum »Schutz vor Konversionsbehandlungen« (KonvBehSchG) Im Vorfeld des Gesetzentwurfs zum Schutz vor Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität (vormals benannt als: »Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität Schutz Gesetz«, kurz SOGISchutzG), tagte auf Empfehlung der Magnus Hirschfeld Stiftung eine Fachkommission, welche von Jens Spahn einberufen wurde und Handlungsempfehlungen erarbeiten sollte, welche die Grundlage für ein gesetzliches Verbot von Konversionstherapien bilden sollten. Zwei Stellungnahmen sollen in diesem Kontext 250 251 252 253 254 255 256

Vgl. Plett (2021): S. 5. Vgl. Plett (2021): S. 7. Schweizer (2021): S. 2. Vgl. Schweizer (2021): S. 4. Vgl. Schweizer (2021): S. 5f. Vgl. Schweizer (2021): S. 7. Vgl. Bundesgesetzesblatt (2021): S. 1.

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dem Gesetzentwurf und den Stellungnahmen vorangestellt werden, da diese zum einen begründen, warum Transgeschlechtlichkeit mitaufgenommen wurde und wo das Gesetz im deutschen Recht bestenfalls untergebracht wird. Petra Weitzel, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V., zeigt verschiedene Konversionsbehandlungsmaßnahmen an transgeschlechtlichen Personen auf.257 Bspw. zitiert Weitzel aus einem 2005 erschienen Fachbuch von einem Mitglied der DGSMTW zu Störungen der Geschlechtsidentität, in welchem eine Einzeltherapie mit einem gleichgeschlechtlichen Therapeuten bzw. gleichgeschlechtlicher Therapeutin vorgeschlagen wird und im Rahmen der Therapie geschlechterkonforme Verhaltensangebote gemacht werden, sofern diese angenommen werden und es zu adäquaten Verhaltensangeboten kommt, diese belohnt werden, während geschlechtsatypische Verhaltensweisen nicht beachtet werden sollen. Weiter schildert Weitzel, würden normierende Behandler*innen die pubertätshemmende Therapie ablehnen, was nach Weitzel bei Jugendlichen zu 50 % ein Grund für einen Suizidversuch darstellt.258 Auch wäre es Teil einer Konversionsbehandlung, dass auch das Umfeld dazu angeleitet werde, eine ablehnende Haltung gegenüber einer von der Geschlechtszuordnung abweichenden Geschlechtsidentität einzunehmen, wodurch der teils schon vorhandene Leidensdruck ins Unermessliche steigt. Während Erwachsene in der Lage seien den*die Therapeut*in zu wechseln, wären Jugendliche der Therapiesituation ausgeliefert.259 Die Forderungen an ein mögliches Konversionsbehandlungsverbotsgesetz sollten sich demnach an jede Form der Beeinflussung oder unterlassenen Hilfestellung richten und den Wunsch der Klient*innen in den Vordergrund setzen.260 Weiter wird als strafrechtliche Maßnahme das Berufsverbot diskutiert.261 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger postuliert, dass das Strafrecht nur ultima ratio zum gesetzgeberischen Einsatz kommt, also dann, wenn alle anderen rechtlichen Sank-

257 Die medizinische Herangehensweise bei therapeutischen Angeboten für transgeschlechtliche Menschen kennt die normalisierende, die vermeidende und die affirmative Haltung (vgl. Schneider [2014]: S. 186f.). Die normalisierende Herangehensweise orientiert sich an der gesellschaftlichen Geschlechterordnung und versucht die geschlechtliche Selbstverordnung zu normieren, indem bspw. das Geschlechter-nonkonforme-verhalten ignoriert wird und Maßnahmen, wie das Spielen mit gleichgeschlechtlichen Kindern und das Verbieten des Tragens gegengeschlechtlicher Kleidung, ergriffen werden. Auch eine ausgangsoffene Herangehensweise wird darunter gezählt, da diese das Abwarten bis zu Pubertät oder über eine bestimmte Phase hinaus empfiehlt und so eine nötige Unterstützung bei der Identitätsbildung vorenthalten wird (vgl. Schneider [2014]: S. 190f.). Die vermeidende Herangehensweise ist gekennzeichnet durch ein Nicht-reagieren, häufig mit der Begründung, es gäbe einen natürlichen Verlauf des Lebens in den nicht – auch nicht unterstützend – eingegriffen werden soll (vgl. Schneider [2014]: S. 193). Die affirmative Herangehensweise erkennt die geschlechtliche Selbstwahrnehmung hingegen an und handelt entlang der Bedürfnisse der hilfesuchenden Person, um so das Erforschen der eigenen Geschlechtsidentität zu unterstützen und ggf. psychisches Leiden durch Diskriminierung zu mildern, ohne dabei einen Normdruck zu erzeugen (vgl. Schneider [2014]: S. 194). Das Gesetz hätte also durchaus, wie mehrfach gewünscht, affirmative Therapie gezielt aus dem § 1 abgrenzen können. 258 Vgl. Weitzel (2019): S. 253. 259 Vgl. Weitzel (2019): S. 254. 260 Vgl. Weitzel (2019): S. 256. 261 Vgl. Weitzel (2019): S. 257.

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tionsmöglichkeiten des Zivil- und Verwaltungsrechts unzureichend sind: »Hauptziel des Strafrechts ist nach heute herrschender Ansicht, den Rechtsfrieden aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, nicht zuallererst der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen.«262 Zuvor hatte Leutheusser-Schnarrenberger über die Zeit unter dem »Schwulenparagraphen« § 175 referiert und über die zähe Abschaffung des Paragraphen,263 wodurch es durchaus gerechtfertigt erscheint, hier von der Wiederherstellung des Rechtsfrieden zu sprechen. Was auch auf die jahrzehntelange Pathologisierung durch das TSG zutrifft, welche durch die Verfasserin aber nicht benannt wird. Leutheusser-Schnarrenberger würde ein Verbot von Konversionsbehandlungen jedoch eher im Ordnungswidrigkeitenrecht verorten, welches ebenfalls unerwünschtes, fehlbares Verhalten ahndet und bei dem Verfahren schneller und einfacher umzusetzen sind, als Strafverfahren, wodurch Betroffenen auch die Nachteile eines Strafverfahrens erspart bleiben.264 Das Strafrecht wiederrum sei immer auf die Aufdeckung und Anzeige angewiesen, damit es Normbrüche entdeckt und sanktionieren kann. Verjährungsvorschriften, Beweisführung und Verfahrensregeln können eine Verurteilung verhindern.265 Aus diesem Grund wäre bei einer Verortung im Strafrecht »eine leicht zugängliche Beratungsstelle und der einfache, unbürokratische Zugang zu Hilfsangeboten« zu gewährleisten, damit ein Wissen über diese Verbotsnorm herrscht.266

Gesetzentwurf zum Schutz vor Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität (SOGISchutzG) Der Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein künftiges Verbot von Konversionstherapien (KonvBehSchG) problematisiert Maßnahmen, welche eine Unterdrückung und Veränderung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität bezwecken wollen, welche sich in der Regel auf nicht heterosexuelle Formen der Sexualität und auf Trans- wie Intergeschlechtlichkeit beziehen.267 Folgende Handlungen sollen laut Gesetzentwurf als Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeit Eingang in die Rechtsordnung finden: »das Verbot von Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität, das Verbot der Bewerbung, des Anbietens und Vermittelns solcher Behandlungen, ein Beratungsangebot an jedwede betroffene Person und deren Angehörige sowie an beruflich oder privat mit dem Thema befasste Personen.«268 Ausgenommen werden unter § 1 SOGISchutzG Personen, die unter »einer medizinisch anerkannten Störung der Sexualpräferenz leide[n] und die Behandlung hierauf gerichtet ist«.269 Damit wird die Behandlung von beispielsweise pädophilen und

262 263 264 265 266 267 268 269

Leutheusser-Schnarrenberger (2019): S. 82. Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger (2019): S. 79f. Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger (2019): S. 84f. Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger (2019): S. 86. Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger (2019): S. 87. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 1. Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 2. Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 4.

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pädosexuellen Neigungen270 von dem Gesetz ausgeschlossen.271 Im Begründungsteil wird folgende Aussage gemacht: »Da es sich bei der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität als solche nicht um Krankheiten handelt, bedürfen sie auch keiner medizinischen oder anderen Behandlung.«272 Entlang dieser Aussage muss geklärt werden, ob ein Gutachten, welches von einer sachverständigen Personen (in der Regel Mediziner*innen oder Psycholog*innen) angefertigt wird und bislang Grundlage eines Verfahrens im Rahmen des TSG ist, als medizinische Behandlung gewertet werden kann, dementsprechend in Zukunft nicht mehr erfolgen dürfte. Weiter werden die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität als persönlichkeitsbildende Faktoren benannt, deren Entwicklung für jeden Menschen herausfordernd sein kann und durch Konversionstherapien in hohem Maße eingeschränkt wird. Weiter urteilt der Gesetzentwurf: »Die sexuelle Orientierung und die selbstempfundene geschlechtliche Identität sind – wie auch andere Persönlichkeitsfaktoren – grundsätzlich auf Bestätigung durch deren Ausleben angewiesen. Ein Unterdrücken stellt insofern einen kaum auszugleichenden Verlust dar, der zu fortdauerndem, großen psychischen Leid führen kann.«273 Bezogen auf Transgeschlechtlichkeit, ein interessanter Punkt, der bezüglich einer gesetzlichen Hürde für eine PÄ einer besonderen Erklärung bedürfte, da jede Hürde ein Ausleben der geschlechtlichen Identität unnötig verzögern würde und dies laut Aussage des Gesetzentwurfs einen kaum auszugleichenden Verlust darstellt. Weiter wird darauf verweisen, dass ein Eingriff in die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung bei Minderjährigen besonders schwerwiegend sei, da sie sich anders als Erwachsene »in der besonders sensiblen Phase der sexuellen und geschlechtlichen Entwicklung«274 befinden. Das Geschlecht wird auch in diesem Gesetzentwurf in zwei Unterkategorien differenziert: Die »angeborene biologische Identität« wird als das »zugewiesene Geschlecht« verstanden und davon die »selbstempfundene geschlechtliche Identität« unterschieden, die unabhängig von den Geschlechtsmerkmalen empfunden werden kann.275 Beide Unterkategorien folgen einer erstaunlichen Logik: Bezogen auf die erste Unterkategorie wird von einer angeborenen biologischen Identität ausgegangen, wobei Identität wissenschaftlich als aktive, psychische Integrationsleistung,276 also immer entlang externer Bezugspunkte entsteht277 , und somit als Reflexivwerden des Selbstbildes278 verstanden wird, wird sie hier als angeboren konstruiert, wobei dies dem Nebensatz widerspricht,

270 Diese hier von den Verfassenden verwendete Unterscheidung, hat sich bisher als fachspezifische Differenzierung noch nicht durchgesetzt, bietet aber die Möglichkeit zwischen sexualisierter Gewalt (Pädosexualität) und psychischer Gewalt, im Format einer Liebespaar-ähnlichen, jedoch ungleichberechtigten und von einem Macht-Hierarchiegefälle zugunsten der erwachsenen Person geprägt (Pädophilie) zu unterscheiden. 271 Vgl. Deutscher Bundestag (2020a): S. 15. 272 Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 6. 273 Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 14. 274 Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 14. 275 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2019): S. 21. 276 Vgl. Straub (1998): S. 75. 277 Vgl. Schmidt (1994): S. 366. 278 Vgl. Assmann (1992): S. 130.

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der von einer Zuweisung dieser geschlechtlichen Unterkategorie spricht. Auch der Zusatz »selbstempfunden« ist unlogisch, da Identität immer entlang eines Selbstverständnisses entwickelt wird, zudem kann die geschlechtliche Identität sich durchaus entlang der Geschlechtsmerkmale entwickeln – diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper ist sogar der Regelfall und bedeutet nicht per se die Ablehnung des Körpers bei transgeschlechtlichen Personen und die Annahme des Körpers bei cisgeschlechtlichen Personen. Vielmehr wird die rechtliche Geschlechtszuordnung nicht als Teil der Identität verstanden, obwohl selbst dann eine Abwehrhaltung Teil der Identität bleibt.

Stellungnahmen Diplom-Psychologin Stefanie Bode, die nach eigener Angabe im Namen einer Gruppe von Expertinnen279 spricht, plädiert dafür, den Aspekt der Geschlechtsidentität – der Begriff wird im Original in Anführungsstriche gesetzt, was stilistisch eine kritische Haltung gegenüber dem Begriff oder eine Anzweiflung der Existenz einer solchen ausdrücken soll – in einem möglichen Gesetz zum Verbot von Konversionsbehandlungen zu streichen.280 Bode schlussfolgert »Geschlechtsidentität ist nicht dasselbe wie Homosexualität, wird von dem Gesetzentwurf aber so behandelt«,281 wobei dies nicht bewiesen wird. Der Gesetzentwurf unterdessen nimmt eine gründliche, wenngleich durchaus kritisierbare Differenzierung vor. Als Kernargument benennt Bode, dass davon auszugehen sei, »dass mit ›unterdrücken‹ und ›verändern‹ auch gemeint ist, dass jemand das Transgender-Konzept, wie es gegenwärtig in der Öffentlichkeit kursiert, in Frage stellt«.282 Um ihr Argument zu untermauern, verweist Bode darauf, dass es keine naturwissenschaftlichen Belege dafür gebe, »dass es möglich ist, in einem ›falschen‹ Körper geboren zu sein« und Therapeut*innen entlang des Gesetzes kriminalisiert würden, die »solch fragwürdige Annahmen in Zweifel ziehen«.283 Transgeschlechtlichkeit wird durch Bode entlang von Geschlechterstereotypen begründet, welche vor allem Frauen unterdrücken und dazu führen, dass diese ihr Geschlecht wechseln wollten. Vor allem Kinder seien kognitiv nicht ausreichend befähigt das zu verstehen, weshalb Therapeut*innen dazu verpflichtet sind, die Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht zu hinterfragen, denn »ein Kind kann sich auch als Prinzessin, Drachen oder als Klassenclown identifizieren«.284 Bode zitiert die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW), die in ihrer Stellungnahme die Identität als einen lebenslangen Prozess der Änderung und Anpassung beschreiben und hält das Konzept einer geschlechtlichen Selbst-Identifikation deshalb für problematisch. Bode verweist auf den nachfolgenden Seiten auf eine Bandbreite an Transitionswünschen, die darauf schließen lassen, dass es keine Geschlechtsdysphorie gebe, so hätten viele einfach eine homosexuelle Orientierung, manche hingegen hätten Frauenfeindlichkeit internalisiert und 279 Unter den Expert*innen befinden sich verschiedene Berufsgruppen, so bspw. (Gymnasial-)Lehrerinnen, Leiterinnen von Terre des Femmes, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialpädagoginnen, wobei insgesamt 16 Personen aufgelistet werden (vgl. Bode [2020]: S. 6f.). 280 Vgl. Bode (2020): S. 1. 281 Bode (2020): S. 1. 282 Bode (2020): S. 2. 283 Bode (2020): S. 2. 284 Bode (2020): S. 3.

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bei Jugendlichen sei der Transitionswunsch teils auf eine soziale Nachahmung innerhalb der Peer Group zurückzuführen. Weiter führt Bode an, dass viele Jugendliche sich »im Prozess des Heranwachsens mit ihrem biologischen Geschlecht versöhnen, sofern keine sozialen, rechtlichen und medizinischen Maßnahmen zur Transition durchgeführt werden«.285 Bode geht aus diesen Gründen von negativen Folgen bei einer trans-affirmativen Praxis aus, da durch diese »die Ungleichheit der Geschlechter verstärkt wird, indem ›korrektes‹ geschlechtskonformes von ›unkorrektem‹ nicht konformem Verhalten abgegrenzt wird«286 und so immer mehr Jugendliche das Gefühl bekämen, im falschen Körper zu leben. Unter den angegebenen Quellen für die zuvor benannten Erkenntnisse befinden sich ebenfalls nicht-wissenschaftliche Quellen, bspw. Artikel aus der Zeitschrift Emma und dem Magazin Cicero. Der Lambda nimmt in seiner Stellungnahme auf den offenen Brief von Bode et al. Bezug und hält den dort vorgestellten Erkenntnissen die Anerkennung der WHO (World Health Organization) entgegen, welche im neuen ICD-11 (International Classification of Diseases) Transgeschlechtlichkeit zwar als Geschlechtsinkongruenz bezeichnet, jedoch die frühere Pathologisierung oder Konstruktion eines Krankheitsbildes streicht.287 Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisiert vor allem die Altersgrenze von 16 Jahren, welche auf 18 angehoben werden müsse, wobei auch diese als zweifelhaft angesehen wird und eine Grenze bestenfalls bei 26 Jahren gezogen werden sollte, da der Schutzbedarf individuell variieren könne.288 Dass der Gesetzentwurf dennoch die Möglichkeit zu sogenannten Konversionstherapien eröffnet, wird stark kritisiert, da mehrfach rechtswissenschaftlich und medizinisch darauf hingewiesen wurde, dass weder Homosexualität noch Transgeschlechtlichkeit eine Krankheit darstellen und somit keine Diagnose erstellt werden könne, die es jedoch zur Formulierung eines Therapieziels bedürfe.289 Als letzten Kritikpunkt benennt der LSVD § 5, welcher eine Ausnahme der Strafbarkeit für Fürsorge- und Erziehungsberechtigte formuliert, da nach LSVD grade Eltern ihre Kinder zu einer Konversionstherapie drängen.290 Der eingetragene Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht (ATME e. V.) kritisiert vor allem den Wortlaut und Aussagegehalt der Formulierung, die ein angeborenes biologisches Geschlecht als Ursprung und die selbstempfundene geschlechtliche Identität als Abweichung davon benennt. Damit wird der Gesetzentwurf eines Biologismus bezichtigt, welcher auch als Ursache von »Umpolungsversuchen« verstanden wird.291 Der Bundesverband Trans* (BVT) vermutet, dass ein generelles Verbot von Konversionstherapien an der verfassungsgemäßen Verhältnismäßigkeit scheitern würde und schlussfolgert, dass der vorliegende Gesetzentwurf »der Rechtstradition der vergangenen Jahre, solche Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit Einzelner sparsam

285 286 287 288 289 290 291

Bode (2020): S. 4. Bode (2020): S. 5. Lambda (2020). Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 2f. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 3. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 4. Vgl. Aktion Transsexualität und Menschenrecht e. V. (2019): S. 1.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

zu handhaben und sie als Ultima Ratio zu verwenden« entspricht.292 Der BVT verweist in seiner Stellungnahme auf die damals noch anhängige Verfassungsbeschwerde bezüglich der Sterbehilfe,293 umso zu belegen, dass »es eine maximale Ausdehnung des Selbstbestimmungsrechtes von voll entscheidungsfähigen Erwachsenen über den eigenen Körper und das eigene Wesen gibt und geben muss, also einen Rückzug des Staates aus solchen urindividuellen Entscheidungen«.294 Der BVT macht auf eine weitere Problematik aufmerksam, welche die medizinische Diagnostik betrifft, die nach wie vor vom TSG für eine PÄ gefordert werden, jedoch durch ein allgemeines Verbot von Konversionstherapien möglicherweise erschwert werde. Weiter würde durchaus von einigen transgeschlechtlichen Menschen gewünscht, dass das Inkongruenzerleben durch medizinische Maßnahmen295 behandelt werde.296 Auch der BVT kritisiert die begriffliche Ungenauigkeit in dem Gesetzentwurf hinsichtlich der Formulierung »medizinisch nicht-indiziert« und des öffentlichen Werbeverbots.297 In besonderer Weise lobt der BVT das partizipativ-fachliche Vorgehen des Gesetzgebers, welches explizit Vertreter*innen der Betroffenenverbände um Stellungnahmen gebeten hat: »Es ist in der Erstellung von Gesetzentwürfen keineswegs selbstverständlich, dass ihnen solch fachlich-partizipative Prozesse vorausgehen. Gerade im Falle von Gesetzen, die explizit Einfluss auf das Leben und die Freiheit einzelner, definierter Personengruppen haben, erscheint es aber unumgänglich, auch die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Personengruppe bei der Erstellung zu berücksichtigen.«298 Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti) hält den Gesetzentwurf für unzureichend, da »der Schutz dieser Personengruppe vollständig von der herrschenden Auffassung und Auslegung des Begriffes ›medizinisch notwendig‹ und der wissenschaftlichen Ansichten« abhängt.299 Weiter werden auch hier Formulierungen kritisiert, so bspw. die Formulierung »selbstempfundene geschlechtliche Identität«, als adäquaten Alternativvorschlag nennt die dgti den Begriff »geäußerte Geschlechtszugehörigkeit«. Weiter problematisiert wird die Formulierung »medizinisch anerkannten Störung der Sexualpräferenz und die Behandlung hierauf gerichtet ist«, mit einem Änderungsgesuch zu 292 Vgl. Bundesverband Trans* (2019): S. 3. 293 Das BVerfG hat hinsichtlich der Sterbehilfe erklärt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht »als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben« umfasst und dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit einschließe, sich zu suizidieren und sich dafür die Hilfe dritter zu suchen: »Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren« (BVerfG [2020]). 294 Bundesverband Trans* (2019): S. 4. 295 Das Kompetenzzentrum Jugend-Check (KomJC) betont, dass Therapien, welche nicht das Ziel haben die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität zu unterdrücken, sondern die geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung stärken wollen, sehr wichtig seien. Eine Aufforderung zur besseren Abgrenzung im Rahmen des Gesetztextes wird jedoch nicht gegeben (vgl. Kompetenzzentrum Jugend-Check [2019]: S. 3). 296 Vgl. Bundesverband Trans* (2019): S. 4. 297 Vgl. Bundesverband Trans* (2019): S. 5f. 298 Bundesverband Trans* (2019): S. 8. 299 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2019): S. 1.

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»mit Strafe bedrohten Sexualpräferenz mit Neigung zu strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung leidet und die Behandlung auf die Unterbindung des strafbaren Nachgehens gerichtet ist«, da es hier vor allem um ausgelebte strafbare sexuelle Präferenzen gehe.300 Auch der Paritätische Gesamtverband fordert ein allgemeines Verbot von Konversionstherapien, welches nicht durch eine Altersgrenze301 eingeschränkt wird.302 Ebenso wird die Straffreiheit der Erziehungsberechtigten problematisiert, da »im jugendlichen Alter in der Regel noch ein sehr starkes emotionales, materielles und räumliches Abhängigkeits- und Näheverhältnis zu den Erziehungs- bzw. Fürsorgeberechtigten besteht, was sich auch in der Einflussnahme widerspiegeln könnte, solche Therapien in Anspruch nehmen zu müssen.«303 Insgesamt werde der Gesetzentwurf jedoch begrüßt, denn »Therapien, die die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität betreffen, sollten in einem Land, dass die ›Ehe für alle‹ sowie die Einführung eines dritten Geschlechts umgesetzt hat, dringend der Vergangenheit angehören«.304 Diese Aussage verweist auf ein Modernitäts- bzw. Entwicklungsverständnis, wodurch jede davon abweichende Gesetzgebung als rückständig konstruiert wird. Die Evangelische Allianz in Deutschland insistiert, dass der Gesetzentwurf zwar besten Absichten folge, nämlich Menschen vor Übergriffen in ihren intimen Lebensbereich zu schützen, jedoch von einer nicht haltbaren Grundannahme ausgehe. »Zur freien Gestaltung der Sexualität gehört selbstverständlich auch die Möglichkeit, diese […] nicht auszuleben.«305 Darin wird ein Gesetzkonflikt erkannt, da religiöse Überzeugungen über die selbstempfundene sexuelle Orientierung unter das Primat der Selbstentfaltung gestellt würden. In diesem Sinne wird vermutet, dass unter das Werbeverbot auch die Verkündigung in den Gemeinden fällt und somit die Religionsausübung gefährdet sei und das Zölibat als selbstgewählte Lebensform in Frage gestellt werde.306 Hier muss angemerkt werden, dass die Bibel keine spezifischen Aussagen zur Homosexualität enthält, da der Begriff neuzeitlich ist und in der Regel keine Originaltexte, sondern Übersetzungen und somit Auslegungen der biblischen Schrift herangezogen werden. Eine Infragestellung wird weiter zum einen als das Recht auf Meinungsfreiheit und zum anderen als eine Reflexion verstanden, was keineswegs aber ein Verbot begründe. Weiter wird bemängelt, dass »zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die im Gesetz Anwendung finden, […] zu Unklarheiten [führen] und der Klärung [bedürfen]«.307 Die Stellungnahme endet mit der Sorge um den sozialen Frieden in der Gesellschaft, welcher im Prozess der Erstellung des Gesetzes gefährdet wurde, weshalb der Gesetzgeber 300 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2019): S. 2. 301 Der Gesetzliche Krankenversicherungen Spitzenverband (GKV) beanstandet auch die Ungenauigkeit in einzelnen Formulierungen und ebenso die Altersgrenzen. Der GKV schlägt zudem die Streichung der Sonderregelung des Werbeverbots vor (vgl. Gesetzliche Krankenversicherungen Spitzenverband [2019]: S. 1). 302 Vgl. Paritätischer Gesamtverband (2019): S. 2. 303 Paritätischer Gesamtverband (2019): S. 3. 304 Paritätischer Gesamtverband (2019): S. 3. 305 Evangelische Allianz in Deutschland (2019): S. 2. 306 Vgl. Evangelische Allianz in Deutschland (2019): S. 3. 307 Evangelische Allianz in Deutschland (2019): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

gebeten wird, »diesem Klima von Verdächtigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen entschieden entgegenzutreten und einen offenen sowie neutralen Diskurs zu fördern«.308 Die letztere Aufforderung wäre nur entlang einer Diskursverknappung zu erreichen, wodurch der Diskurs jedoch nicht mehr neutral wäre. Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) wünscht sich ebenfalls mehr begriffliche Schärfe hinsichtlich des Terminus »Unterdrückung«, welcher offenlässt, ob bereits ein seelsorgerliches Gespräch mit Heranwachsenden, in welchem unterschiedliche Optionen aufgegriffen werden unter »Unterdrückung« fallen.309 Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD) bezieht sich ausschließlich auf das Verbot von Konversionstherapien bezüglich Homosexualität und benennt Homosexualität aus Sicht des Islams als »nicht statthaft«, Konsequenzen aus diesem Vergehen würden jedoch nicht in der Hand weltlicher Instanzen liegen, sondern in der Hand Gottes.310 Die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW) erkennt in dem Gesetzentwurf eine Vermengung der sexuellen Orientierung mit der Geschlechtszugehörigkeit.311 Dieses Vorgehen sei unsachgemäß, weil die sexuelle Orientierung weitestgehend stabil sei, die Identität jedoch ein Leben lang durch den Menschen erarbeitet werden müsse. Der Geschlechtszugehörigkeit als »reale[m] körperlichen So-Sein« wird die Geschlechtsidentität als »individuell gelebter sozialer Ausdruck« entgegengesetzt. In dem Fall, wo beide auseinanderfallen wird von der DGSMTW eine Psychotherapie als »indiziert und notwendig« bezeichnet.312 Die Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf werden wie folgt angesprochen: »Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form würde das aktuelle sozialmedizinische Vorgehen einer begleitenden Psychotherapie bei Personen, die unter einer Geschlechtsdysphorie leiden, quasi unter Strafe stellen.«313 Statt den § 1 Abs. 2 zu streichen fordert die DGSMTW eine Erweiterung wie folgt: »Dieses Gesetz findet keine Anwendung, sofern die behandelte Person unter einer medizinisch anerkannten Störung der Sexualpräferenz oder einer medizinisch anerkannten Störung der Geschlechtsidentität leidet und die Behandlung hierauf gerichtet ist.«314 Die Bundesärztekammer hält zunächst fest, dass bereits jetzt Behandlungen, in welche eine Person nicht wirksam eingewilligt hat, unter § 630d S. 1 BGB unzulässig seien. Zudem würde ein Verbot entlang einer Altersgrenze suggerieren, dass Konversionstherapien bei Erwachsenen grundsätzlich erlaubt seien.315 Weiter empfiehlt die Bundesärztekammer den Begriff Behandlung zu streichen, da dieser, wie der Therapie-Begriff, das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit suggeriert. Vorgeschlagen wird als Ersatz der Begriff Konversionsverfahren und wahlweise -maßnahmen zu wählen.316 308 309 310 311 312 313 314 315 316

Evangelische Allianz in Deutschland (2019): S. 4. Vgl. Rat der Evangelischen Kirche Deutschland (2019): S. 1. Vgl. Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (2019): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (2019): S. 2. Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (2019): S. 2. Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (2019): S. 2. Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (2019): S. 3. Vgl. Bundesärztekammer (2019): S. 3. Vgl. Bundesärztekammer (2019): S. 4.

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Die Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (BPtK) begrüßt den Gesetzentwurf, vor allem weil weder Homosexualität noch Transgeschlechtlichkeit eine pathologische Fehlentwicklung oder eine psychische Erkrankung darstellen, sondern »Varianten der sexuellen Orientierung bzw. der geschlechtlichen Identität« seien.317 Kritisiert wird die Formulierung unter § 1 Abs. 1, welcher die Behandlungen begrifflich genauer erläutert und sich auf jene Behandlungen ohne medizinische Anerkennung einschränkt. Dadurch entstehe der Eindruck, dass es medizinische Maßnahmen geben könnte, die eine Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität legitimieren, obwohl medizinische Erkenntnisse mehrfach darauf hingewiesen haben, dass es sich nicht um eine Erkrankung handle.318 Im KonvBehSchG wurde auf diesen Zusatz verzichtet. Auch die BPtK lehnt eine Altersgrenze von 18 Jahren ab, da auch junge Erwachsene noch in einer Identitätsfindungsphase und damit ebenso vulnerabel wie Minderjährige zu betrachten seien, weshalb eine Altersgrenze von 21 Jahren vorgeschlagen wird.319 Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler Juristen hält eine Altersbegrenzung für falsch, da auch Volljährige geschützt werden müssen, da eine Einwilligung Erwachsener »angesichts des Missbrauchs eines Vertrauensverhältnisses nicht freiwillig« erfolge.320 Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) schließt sich ebenfalls der Kritik einer Altersgrenze an und fordert den Wegfall dieser. Zusätzlich missbilligt die DGPPN die Einschränkung des § 1 Abs. 2 hinsichtlich der Ausnahme der Anwendung des Gesetzes bei einer Störung der Sexualpräferenz, denn auch diese Personen müssten laut DGPPN davor geschützt werden, dass auf ihre sexuelle Orientierung eingewirkt werde.321 Weiter bedürfe der Gesetzentwurf nach Auffassung der DGPPN eines Zusatzes, der sich explizit auf inter- und transgeschlechtliche Personen bezieht und hier eine Hormontherapie wie genitalangleichende und -verändernde Operationen nicht unter das Konversionstherapieverbot stellt.322 Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) konkretisiert

317 318 319 320

Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (2019): S. 2. Vgl. Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (2019): S. 3. Vgl. Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (2019): S. 5. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (2019): S. 2. Weiter wird das Verbot der Werbung, des Anbietens und des Vermittelns hinsichtlich der Einschränkung auf das öffentliche Werben kritisiert (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen [2019]: S. 3; vgl. Bundes-Psychotherapeuten-Kammer [2019]: S. 6). Im KonvBehSchG findet sich nun ein allgemeines Verbot. Auch in dieser Stellungnahme wird die Straffreiheit der Erziehungsberechtigten bemängelt. 321 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2019): S. 2. In diesem Sinne wäre es sicherlich hilfreich zwischen sexuellem Begehren und sexueller Orientierung zu unterscheiden, wobei sich ersteres unabhängig teils widersprüchlich zur sexuellen Orientierung entwickeln kann. Wenn eine weibliche Person eine homosexuelle Sexualorientierung hat und sexuell Männer begehrt, muss daraus keine bisexuelle Orientierung resultieren, denn es kann durchaus bei einer äußerst stimulierenden internen Begehrensfantasie bleiben, bei der keineswegs der Anspruch besteht, diese in eine externe Interaktion umzuwandeln. Hinsichtlich der Unterscheidung von sexuellem Begehren und sexueller Orientierung besteht ein Forschungsdesiderat, welchem bezüglich der vorgestellten Diskurse durchaus mit wissenschaftlicher Zuwendung Abhilfe geschaffen werden sollte. 322 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2019): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

in diesem Zusammenhang mit einem begrifflichen Gegenvorschlag den Gesetzentwurf: »Menschen, die eine nicht-heterosexuelle Sexualorientierung aufweisen oder deren zugewiesenes (›biologisches‹) Geschlecht nicht mit dem selbstempfundenen Geschlecht übereinstimmt, leiden häufig an intrapsychischen und zwischenmenschlichen Konflikten.«323 Hier zeigt sich eine zweifache stilistische Distanzierung von dem Begriff des biologischen Geschlechts, indem neben der Einklammerung auch die Anführungsstriche verwendet werden, was einerseits den Fokus auf die Zuweisung legt und andererseits eine Biologie als geschlechtliche Tatsache in Frage stellt. Weiter wird darauf verweisen, dass sich Menschen aufgrund der zuvor zitierten zwischenmenschlichen Konflikte an Behandelnde wenden, die solche Konversionstherapien anbieten und sich demnach unter einem Bedrohungszustand befinden. Gleichzeitig bleibt jedoch der zwischenmenschliche Konflikt bestehen, weshalb eine Ausweitung des Beratungsangebots wünschenswert sei. Kritisiert wird hingegen der Ausdruck unter § 1 Abs. 2 »medizinisch anerkannt«, welcher in »wissenschaftlich anerkannt« umgewandelt werden sollte. Im KonvBehSchG allerdings verbleibt der Begriff »medizinisch anerkannt« und stützt somit weiterhin eine Biologisierung von Sexualität und Geschlecht. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Gesetzentwurf weitestgehend zu und verabschiedete im Jahr 2020 final den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen (KonvBehSchG). Im Wortlaut orientiert sich der finale Gesetzentwurf unter § 1 Abs 1. (KonvBehSchG) ebenfalls an dem Begriff der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität,324 weshalb angenommen werden kann, dass die Bundesregierung den begrifflichen Erläuterungen des vorausgehenden Gesetzentwurfs des Bundesministeriums für Gesundheit zustimmt, wenngleich sich die zuvor kritisierte Passage nur in Auszügen wiederfindet und auf die Formulierungen der »angeborenen biologischen Identität« und des »zugewiesenen Geschlechts« verzichtet. Im Besonderen wird jedoch auf Bedenken hinsichtlich der Altersbeschränkung reagiert und das Alter in § 2 Abs. 1 (KonvBehSchG) auf 18 Jahre angehoben. Auch umgesetzt wird unter § 4 (KonvBehSchG) die Einrichtung eines Beratungsangebots durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).

4.1.4 Positionen zum »Selbstbestimmungsgesetz« (SelbstBestG) und »Geschlechtsidentitätsgesetz« (GiG) Die Fraktionen »Bündnis 90/Die Grünen« und »Freie Demokratische Partei« haben 2020 je einen eigenen Gesetzentwurf im Zuge der BVerfG-Aufforderung einer Novellierung oder Streichung des TSG in den Bundestag eingebracht. »Bündnis 90/Die Grünen« betitelten ihren Gesetzentwurf als »Selbstbestimmungsgesetz« (SelbstBestG) und die »Freie Demokratische Partei« formulierte den Titel »Geschlechtsidentitätsgesetz« (GiG). Folgend sollen beide in dieser Reihenfolge betrachtet werden. Wenngleich sie in der öffentlichen Wahrnehmung erstaunlicherweise als inhaltlich gleich bzw. sehr ähnlich beschrieben werden, unterscheiden sich beide vor allem bezüglich der Definition von Geschlecht 323 Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2019): S. 1. 324 Vgl. Deutscher Bundestag (2020a): S. 7.

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deutlich. Vor allem der Vergleich kann hier inhaltliche Unterschiede und Ähnlichkeiten aufzeigen. Im Anschluss sollen die Positionen des Bundestags entlang der zweiten Bundestagsdebatte (2020) und die der als Interessengruppen wahrgenommen Teilöffentlichkeit entlang der Stellungnahmen analysiert werden.

»Selbstbestimmungsgesetz« (SelbstBestG) Die Fraktion »Bündnis 90/Die Grünen« (Die Grünen) hält eine Novellierung des TSG für falsch, da dieses nach 40 Jahren nicht mehr zeitgemäß sei und alle bis 2011 weggefallenen gesetzlichen Hürden durch das BVerfG als Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsund Persönlichkeitsrechts und als Verletzung der Würde wahrgenommen wurden und somit das Gesetz als nicht-verfassungsgemäß außer Kraft gesetzt wurde, weshalb für das BVerfG eine Novellierung oder Streichung des TSG notwendig werde (1 BvR 3295/07). Einen weiteren Grund zu Ersetzung des TSG sehen die Grünen in der Aufforderung des BVerfG, das Personenstandsgesetz bis Ende 2018 neu zu regeln, damit eine dritte Geschlechtskategorie eingeführt wird oder wahlweise auf das Geschlecht als Ordnungskategorie gänzlich verzichtet wird (1 BvR 2019/16). Während der letzteren Aufforderung nachgekommen worden ist, bleibt eine Entscheidung über das TSG weiterhin anhängig.325 Gleichzeitig sei die nunmehr dritte Geschlechtskategorie »Divers« nicht ohne Widersprüche und führte seit Einführung vermehrt zu Rechtsunklarheiten. Zum einen werde nach wie vor rechtlich auf ein ärztliches Attest bestanden, welches eine Geschlechtervariation bestätigen müsse und somit weiterhin pathologisiere. Rechtsunklarheit bestünde vor allem in der Auslegung des Begriffs der Geschlechtervariation, da hier unklar bleibt, ob damit trans- und intergeschlechtliche Personen adressiert werden. Indem das Bundesministerium des Inneren betont, dass die dritte Geschlechtskategorie ausschließlich für intergeschlechtliche Personen offenstehe, begehe das Gesetz erneut eine »klare, verfassungswidrige Ungleichbehandlung«.326 Werde gesetzlich weiterhin auf eine Beibehaltung des Geschlechtseintrags beharrt und somit auch die Vornamensund Nachnamensänderung unberührt gelassen, schlägt die Fraktion die Grünen das SelbstBestG als Gesetzentwurf vor.327 In diesem Gesetzentwurf wird die Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr ausschließlich entlang der äußeren Geschlechtsmerkmale definiert, sondern ebenso entlang der »psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit«.328 Der Geschlechtskörper wird hier nicht aberkannt, sondern um die Geschlechtsidentität gleichwertig ergänzt und die Benennung von beidem im Bereich der Selbstbeschreibung verortet, womit die Fremdzuschreibung durch ärztliches Personal oder Behörden delegitimiert wird und eine Begutachtungspflicht künftig entfallen soll. Dazu verweist die Fraktion auf Studien, welche die Begutachtung mehrheitlich nicht als unterstützend, sondern als paternalistische Übergriffigkeit nachweisen. Im Teil B des Gesetzentwurfes wird die Begutachtungspflicht daher als

325 326 327 328

Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 1. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 2. Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 2. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 12.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Fehlersuche und somit gegensätzlich zur Leidenslinderung beschrieben.329 Allerdings berücksichtigt die Fraktion auch, dass die Gesundheitsversorgung häufig an die Vorlage dieser Gutachten gebunden wäre und die Kosten abgelehnt würden, wenn die Gutachten nicht erbracht werden.330 Somit müsse auch die Gesundheitsversorgung an der Selbstauskunft der Patient*innen ausgerichtet werden und nicht, wie bisher üblich an einer gesellschaftlichen Norm.331 Das SelbstBestG sieht eine vereinfachte Antragsstellung für eine VÄ/PÄ über das zuständige Standesamt vor: »Jede Person kann gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll.«332 Die Wortwahl zeigt einen großen Interpretationsspielraum, da der Begriff Geschlecht sehr weit zu fassen ist. Durch diesen Spielraum ist es jedoch auch möglich, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse problemlos in die Interpretation mit einfließen zu lassen. Das SelbstBestG verzichtet auf eine Begutachtungspflicht und implementiert stattdessen ein optionales Beratungsangebot § 5 SelbstBestG, welches in Form einer Peer- und Community-Beratung staatlich finanziert werden soll.333

»Geschlechtsidentitätsgesetz« (GiG) Die Fraktion Freie Demokratische Partei (FDP) fordert die Abschaffung des TSG und eine neue personenstandsrechtliche Gesetzregelung, da das TSG nur noch ein »Gesetzesrumpf [ist], der in seiner Struktur nicht mehr als taugliche, praktikable Gesetzesgrundlage« gelten dürfe.334 Geschlecht wird durch den Gesetzentwurf nicht mehr perspektivisch definiert, sondern ausschließlich von der Geschlechtsidentität abgeleitet, was sich ebenfalls in der Bezeichnung als Geschlechtsidentitätsgesetz niederschlägt.335 Geschlecht wird weiter unter § 1 Begriffsbestimmungen, in die Begrifflichkeiten »Geschlechtsidentität« und »Geschlechtszuordnung« differenziert: »1. Geschlechtsidentität: alle geschlechtsbezogenen Aspekte der subjektiv empfundenen menschlichen Identität; 2. Geschlechtszuordnung: die Zuordnung einer Person zu einem Geschlecht oder die Nichtzuordnung zu einem Geschlecht.«336 Auch das GiG erkennt das Standesamt als künftig zuständige Behörde für die Beantragung einer Änderung von VÄ/PÄ: »Personen, deren Personenstandseintrag von ihrer Geschlechtsidentität abweicht, können gegenüber dem zuständigen Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll.«337 Durch die Wortwahl erhält die Geschlechtsidentität eine Definitionshoheit bezüglich der Geschlechtsklassifizierung. Im Besonderen Teil geht die FDP dezidiert auf das 329 330 331 332 333 334 335 336 337

Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 16. Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 13. Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 14. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 5. Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 8. FDP (2020): S. 13f. Vgl. FDP (2020): S. 5. FDP (2020): S. 6. FDP (2020): S. 6.

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Verhältnis zwischen dem Recht des Elternteils vor Offenbarung und dem Recht des Kindes auf Kenntnis bzgl. der eigenen Abstammung ein. Aus dieser Diskussion leitet die FDP ab, dass nach wie vor die soziale Rolle eingetragen werden müsse, also an den geschlechtsspezifischen Rollen »Mutter« und »Vater« festgehalten werde.338 Dies kollidiert jedoch mit der eigenen Definition des Geschlechts als Geschlechtsidentität, wodurch die Mutter- und Vaterrolle künftig ebenfalls unter dem Aspekt der Selbstbeschreibung selbst definiert werden müssten. Weiter sieht die FDP eine Ausnahme innerhalb des Offenbarungsverbots § 7 Abs. 3 GiG vor: »Frühere Ehe- oder Lebenspartner, die Eltern, die Großeltern, die Geschwister und die Abkömmlinge der antragstellenden Person sind nur dann verpflichtet, die neuen Vornamen anzugeben, wenn dies für die Führung öffentlicher Bücher und Register erforderlich ist.«339 Auch die FDP verzichtet auf eine Begutachtungspflicht und fordert im § 12 GiG ein grundlegendes optionales Beratungsangebot, welches jedoch eine erheblich größere Zielgruppe umfasst als das Beratungsangebot im SelbstBestG. In § 12 Abs. 1 GiG wird die Gesamtgesellschaft mit einem alters- und zielgruppengerechten Aufklärungsangebot durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) adressiert, welches geschlechtlich sensibilisieren und gesellschaftspolitische Fragen beantworten soll und dazu als Adressat*innen-Gruppe »schulische und berufsbildende Einrichtungen, Beratungsstellen, ärztliches Personal sowie medizinische Einrichtungen, Institutionen der Jugend- und Bildungsanstalten, aber auch etwa Strafvollzugsanstalten« benennt.340 Unter § 12 Abs. 2. GiG wird eine Beratungsstelle gefordert, welche alle Personen individuell »zu Fragen der Geschlechtsidentität, der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Geschlechtszuordnung und des diskriminierungsfreien Umgangs mit Personen, die dieses Recht in Anspruch nehmen« unterstützt.341 Hier soll der Fokus auf eine psychosoziale Beratung gelegt werden, welche individuell in belastenden Lebenssituationen Unterstützung bietet. Unter § 12 Abs. 3 GiG wird eine Sammlung und Veröffentlichung von nationalen Beratungsangeboten und das Erstellen von Materialien durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefordert. Mit § 12 Abs. 4 wird der vorausgehende Abs. 2 spezifiziert, indem die »Zusammenarbeit mit Personen, die eigene Erfahrungen mit der Ausübung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung haben« eingefordert wird, da diese über eine besondere Sensibilisierung verfügten.342

Vergleich von SelbstBestG und GiG Das Körpergeschlecht wird in keinem der beiden Gesetzentwürfe explizit benannt, während die Geschlechtsidentität bei beiden Gesetzentwürfen maßgeblich benannt wird. Lediglich der Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benennt die äußeren Geschlechtsmerkmale, welche neben der psychischen Konstitution eine selbstempfundene Geschlechtlichkeit bedingen, während die Fraktion FDP ausschließlich und konsequent von Geschlechtsidentität spricht. Beide Gesetze lassen die sozialen Faktoren (Gender-

338 339 340 341 342

Vgl. FDP (2020): S. 18. Vgl. FDP (2020): S. 8. Vgl. FDP (2020): S. 14. FDP (2020): S. 9. FDP (2020): S. 9.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Role) unbeachtet. Insgesamt determiniert die Geschlechtsidentität (Gender) bei beiden Gesetzentwürfen das Körpergeschlecht (Sex), da die körperlichen Merkmale erst durch eine Identifizierung mit einer Geschlechtskategorie (Gender-Category) zum Körpergeschlecht werde. Während das SelbstBestG mit dem umfassenden Begriff »Geschlecht« auf eine Normierung verzichtet, wird im GiG eine Umkehrung der bisherigen Normierung des TSG vorgenommen, welches das Körpergeschlecht als für die Geschlechtsklassifizierung ausschlaggebend benannte, genießt bei der FDP die Geschlechtsidentität die Deutungshoheit. Zu kritisieren bleibt, dass beide Gesetzentwürfe keine Formulierungsänderungen der §§ 1591 und 1592 BGB vorsehen, wodurch an den vergeschlechtlichen Elternrollen Mutter und Vater festgehalten wird. Das würde dazu führen, dass eine Person nach einer Mann-zu-Frau-PÄ weiterhin auf der Geburtsurkunde als Vater benannt wird, während gleichzeitig ein weiblich-konnotierter Vorname eingetragen wird.343 Grundlegende Unterschiede ergeben sich in der zeitlichen Frist bezüglich einer Folgeerklärung, welche im Gesetzentwurf der Grünen erst nach einem Jahr möglich ist, während die FDP auf eine Fristenregelung verzichtet.344 Auch die Aufbewahrungspflicht der Patient*innen-Akten im Fall von genitalverändernden Operationen ist unterschiedlich geregelt, während die Grünen 50 Jahre fordern, verlangt die FDP eine 30-jährige Aufbewahrung.345 Im Gegensatz zum SelbstBestG formuliert das GiG eine Ausnahme vom Offenbarungsverbot, wodurch der Diskriminierungsschutz und das Gleichbehandlungsgebot im GG teilweise außer Kraft gesetzt würden, da Einzelpersonen entlang eines Verwandtschaftsgrades eine Diskriminierung erlaubt würde.346 Übereinstimmung findet sich in Bezug auf die Beratungspflicht bei unter 14-Jährigen, sofern diese eine genitalverändernde Operation wünschen.347 Auch die optionalen Beratungsangebote finden sich in beiden Gesetzentwürfen, wenngleich der Entwurf der FDP ein deutlich differenziertes und umfangreicheres Beratungsangebot vorlegt. Einig sind sich beide Parteien auch darin, dass die Beratung vornehmlich einer Peer-Beratung entsprechen soll. Nachvollziehbare Begründungen liefern beide Fraktionen dazu nicht. Zum einen ist jede geschlechtliche (Des-)Identifikation individuell, zum anderen würde eine Wahrnehmung des Geschlechts als Geschlechtsidentität im Rahmen der Selbstbestimmung der rechtlichen Geschlechtsklassifikation alle Menschen unter der Formulierung »eigene Erfahrung mit der Ausübung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung« wahrnehmen müssen.348 Die Qualifikation zu einer Beratung sollte jedoch, anders als in § 12 Abs. 4 GiG und § 5 Abs. 4 SelbstBestG gefordert, nicht von einer persönlichen Betroffenheit abhängen, sondern ausreichend zur Beratung qualifizierte Fachkräfte voraussetzen und mit dem Ziel einer interdisziplinären Teambildung eng mit den Peer- und Community-Beratungen freier Träger zusammenarbeiten.

343 344 345 346 347 348

Vgl. FDP (2020): S. 8; vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2020): S. 8f. Vgl. FDP (2020): S. 17. Vgl. FDP (2020): S. 9. Vgl. FDP (2020): S. 18. Vgl. FDP (2020): S. 17. FDP (2020): S. 9.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Anhörung im Deutschen Bundestag Am 19. Juni 2020 gab es eine zweite öffentliche Anhörung der Gesetzesvorschläge im Deutschen Bundestag (167. Sitzung). Sven Lehmann (die Grünen) beginnt mit nationalistisch-konnotierten Worten: »Liebe Kollegen und Kolleginnen, vor kurzem hat Ungarn per Gesetz die Existenz von Transpersonen quasi ausgelöscht, ein schwerer Angriff auf die Menschenwürde. Wir müssen es besser machen, wir müssen zeigen, dass die europäischen Werte von Freiheit und Würde für alle Menschen gelten. Unser Gesetzesentwurf ist ein Angebot an alle demokratischen Fraktionen.«349 In diesem Zusammenhang versteht sich das SelbstBestG als Positivfolie zu der transfeindlichen Gesetzgebung anderer Länder. Gleichzeitig öffnet diese nationale Grenze eine Aufwertung der deutschen Demokratie und bietet damit auch Anschluss für konservative Parteien. Lehmann benennt eine falsche Geschlechtsklassifikation als große individuelle Herausforderung. Das TSG sei durch Fremdbestimmung und Schikane gekennzeichnet, welches die Würde und Freiheit der davon betroffenen Bürger*innen verletze. Mit dem SelbstBestG würde diese Verletzung verhindert und stattdessen auf Beratung, Unterstützung und Vertrauen gesetzt. Es brauche eine Abkehr von pathologisierenden Zwangsgutachten und stattdessen ein Recht auf Gesundheitsleistungen und Beratungen sowie ein grundlegendes Offenbarungsverbot. Marc Henrichmann (CDU/CSU) benennt das TSG als überarbeitungsbedürftig, wodurch es jedoch nicht zugunsten einer Selbstbestimmung überdehnt werden müsse, denn Geschlecht sei eine Rechtskategorie, welche über Rollen und Pflichten sowie die familiäre Zuordnung bestimmt. Das BVerfG selbst habe dem Gesetzgeber das Recht auf die Forderung von objektivierten Kriterien für den Nachweis des Geschlechts zugestanden, damit die Validität und die Beweiskraft der Personenstandsregister erhalten bleibe. Henrichmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Annahme einiger Mediziner*innen, dass es ohne Nachweis zu hohen Reuequoten komme. Es sei daher anzunehmen, dass ohne die Begutachtungspflicht unzählige irreversible Eingriffe vorgenommen werden, wobei der Staat in der Pflicht stehe, die Bevölkerung zu schützen: »Der Staat hat eine Schutzfunktion […] der Staat hat ein Recht staatliche Interessen zu wahren und er kann auch nicht zusehen, dass staatlicher Schutz auf Null runter gefahren wird.«350 Beatrix von Storch (AfD) bezeichnet den Gesetzentwurf der Grünen als »Ausdruck fortgeschrittener spätrömischer Dekadenz. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gibt es eine relevante politische Gruppe, die der Meinung ist, jeder kann sich sein Geschlecht aussuchen und dass es staatliche Beratungsstellen braucht dem Menschen bei der Entscheidung zu helfen, welches Geschlecht sie [sic] gerne hätten.«351 Mit einer ähnlichen Ausdrucksweise und dem stilistischen Mittel der Sprachbilder wird vor allem das gesellschaftliche Normverständnis zur Wirkung gebracht, indem von Storch schildert: »Männer, die Kinder gebären, die Goldmedaillen im Frauensport gewinnen und in die Frauensauna gehen und sich natürlich auf die Frauenquote berufen können […] für jeden brutalen Vergewaltiger absitzen der Gefängnisstrafe im Frauengefängnis.« 349 Lehmann, Bundestagsdebatte (2020). 350 Henrichmann, Bundestagsdebatte (2020). 351 Von Storch, Bundestagsdebatte (2020).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Hier werden Angst, Ungerechtigkeitsempfinden und Vulnerabilität sprachlich erzeugt, um darauf aufbauend den Gesetzentwurf als gender-ideologisch zu bezeichnen, sich »gegen die Biologie, gegen die Realität und gegen den ganz normalen gesunden Menschenverstand« richtend.352 Von Storch schließt ihre Rede mit einem Whataboutism, ein rhetorisches Ablenkungsmanöver, welches mittels Antithese den eigentlichen Diskurs relativiert und so Deutungshoheiten produziert, indem ein Utilitarismus erzeugt wird, da ein Thema mit vermeintlich größerem moralischen Wert aufgerufen wird. In diesem Sinne stellt von Storch die corona-bedingte Arbeitslosigkeit und Kurzzeitarbeit sowie damit einhergehende Existenzsorgen den Gender-Identitäts-Beratungsstellen als Luxussorgen entgegen. Karl-Heinz Brunner (SPD) konstatiert, dass den Menschen bisher eine von außen vorbestimmte Lebensweise aufgedrängt wurde. Die Debatte sei jedoch notwendig: »Wenn wir in diesem Land Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen, transsexuelle, intersexuelle Menschen, wirklich als Teil der Gesellschaft sehen wollen, dann sollten wir so fair sein, kein eigenes Gesetz zu machen, sondern im ganzen normalen Regelwerk der Gesetze das unterzubringen.«353 Dr. Jens Brandenburg (FDP) schlussfolgert, dass transgeschlechtliche Menschen bei der Geburt eine falsche Geschlechtsklassifizierung zugewiesen bekamen und deswegen ein Leben lang am falschen Körper leiden würden. Hier wird die Geschlechtsklassifizierung als Ursache für einen Leidensdruck formuliert und somit als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Das SelbstBestG, so Brandenburg weiter, befreie trans- und intergeschlechtliche Menschen von der Fremdbestimmung.354 Doris Achelwilm (Die Linke) spricht nicht über Transgeschlechtlichkeit, sondern über vulnerable Menschen, die vom Staat in besonderem Maße geschützt werden müssen. Gibt es nur das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht, so Achelwilm weiter, entzieht dies transgeschlechtlichen Menschen das Existenzrecht. Es sei wichtig, »international Position für queere Minderheiten zu beziehen und hier zu Lande fortschrittliche Entscheidungen zu treffen«.355 Susann Rüthrich (SPD) knüpft an das Fortschrittsnarrativ an und bindet dieses an das normative Ideal der Selbstbestimmung. Weiter bezeichnet Rüthrich die Vielfalt als Ausdruck des menschlichen Lebens.356 Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU) zielt mit ihrem Redebeitrag auf die grundlegenden Bedürfnisse transidenter Menschen ab, entlang derer das TSG reformiert werden müsse: »und hier geht es nicht um Launen- oder um Schilderwechsel nach Opportunität, es geht um die Neuorientierung des zu sich selbst kommen eines Menschen, den es bereits gibt und dieser Prozess muss begleitet werden, von entsprechend ausgebildeten Personen die mit Kenntnis über psychische und somatische Vorgänge den Transpersonen dabei helfen, Entscheidungen im vollen Ernst zu treffen, auch im Bewusstsein von 352 353 354 355 356

Von Storch, Bundestagsdebatte (2020). Brunner, Bundestagsdebatte (2020). Vgl. Brandenburg, Bundestagsdebatte (2020). Achelwilm, Bundestagsdebatte (2020). Vgl. Rüthrich, Bundestagsdebatte (2020).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Schwierigkeiten und wie sie überwunden werden können, denn diese Entscheidungen sollen ihr künftiges Leben deutlich verändern und zwar zum Besseren.«357 Mit diesem Zitat wird deutlich, dass das TSG einer Begutachtung und damit einer Bestätigung durch Ärzt*innen für eine PÄ bedarf, wodurch Menschen weiterhin nur entlang einer fachkundigen Begleitung zu sich selbst kommen können.

Stellungnahmen Annika Spahn, erste Vorsitzende des Queer Lexikon e. V. verweist darauf, dass weite Teile des TSG bereits durch das Bundesverfassungsgericht als nicht-verfassungsgemäß außer Kraft gesetzt wurden. Es wird dezidiert darauf verweisen, dass beide Regelungen, sowohl VÄ, als auch PÄ bereits mehrfach beanstandet wurden.358 Damit wird dem TSG die nötige Berechtigung als eigenständiges Gesetz nicht abgesprochen, jedoch offengelegt, dass dieses derzeit nicht ausreichend gerechtfertigt sei, um derart große Eingriffe in die Persönlichkeit von Menschen vorzunehmen. Zurzeit gilt die Regelung zur VÄ ebenfalls für die PÄ, wodurch eine Unterscheidung zwischen kleiner und großer Lösung obsolet ist. Der eingetragene Verein Queer Lexikon unterstützt das SelbstBestG, da hier auf eine Bescheinigungspflicht verzichtet wird und somit Menschen nicht länger pathologisiert werden, da sie nicht mehr dazu verpflichtet sind eine psychische Erkrankung bescheinigt zu bekommen. Geschlecht sei objektiv nicht messbar und könne somit nicht von anderen Personen eindeutig festgestellt werden. In diesem Sinne verweist das Queer Lexikon e. V. darauf, dass selbst die WHO in der Neufassung des ICD-11 Transgeschlechtlichkeit nicht als Krankheit einstuft, wodurch es künftig nicht zulässig sei, eine Diagnostik vorzunehmen. Das Gesetz werde dem Grundsatz des selbstbestimmten Menschen gerecht, indem es die Selbstauskunft als zuverlässiger gegenüber jedweder Begutachtung begründe.359 Einer Identifikationsverschleierung widerspricht Queer Lexikon e. V., da heutzutage entlang von genetischen Markern und Identifikationsnummern leicht nachvollziehbar sei, um welche Person es sich handle. Besonders hebt der Verein jedoch hervor, dass mit dem SelbstBestG ein Gesetz vorliege, was alle einschlägigen Regelungen bündle.360 Hier wird vor allem auf die Genitalvereindeutigung von intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern angespielt, die folglich verboten wird, ferner aber auch die genitalverändernde Operation bei intergeschlechtlichen Erwachsenen ermögliche, ohne dazu eine Transgeschlechtlichkeit begutachten lassen zu müssen. Auch der Bundesverband Trans* e. V. (BVT*) spricht von einer Weiterentwicklung des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Verständnisses von Transgeschlechtlichkeit. Auch gäbe es eine psychologisch-medizinische Abkehr von pathologisierenden Diagnosen hin zu einem Verständnis, dass die psychischen Belastungen häufig aus der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Benachteiligung von transgeschlechtlichen Personen resultieren. Demnach sei das TSG mit seiner Begutachtungspflicht rückschrittlich, weil es versucht zu beweisen, was nicht nachweisbar ist. Nach dem BVT* wäre durch das BVerfG bereits hinreichend in den Urteilen zum TSG und zur Dritten Option dargestellt, 357 358 359 360

Wiesmann, Bundestagsdebatte (2020). Vgl. Queer Lexikon e. V. (2020): S. 2. Vgl. Queer Lexikon e. V. (2020): S. 3f. Vgl. Queer Lexikon e. V. (2020): S. 4.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

dass sich die Geschlechtsidentität nicht vom Geschlechtskörper ableiten lässt und somit nur durch die Selbstaussage erfahrbar wäre. Keineswegs über die Abfrage der sexuellen Vorlieben, der Kleidung und Frisuren, der Erregung oder Unterwäschepräferenz – alles Themenbereiche, die in der Begutachtungspraxis jedoch abgefragt würden.361 Daher begrüßt auch der BVT* das vorliegende SelbstBestG. Dabei wird der Vergleich mit anderen europäischen Ländern gezogen, die bereits eine solche Gesetzgebung eingeführt haben (Malta, Dänemark, Irland, Portugal, Luxemburg, Belgien) oder dies beabsichtigen (Island, Norwegen, Schweiz).362 Vor allem aber könne Aufschluss aus den Daten der Länder mit geschlechtlicher Selbstbestimmung gewonnen werden, da dort eine mehrmalige Änderung des Geschlechtseintrages in weniger als 1 Prozent der Fälle vorkam. Ebenfalls ist dort nicht erkennbar, dass die Möglichkeit der PÄ zu einem Missbrauch führe; weder suchten Menschen nach der Änderung des Geschlechtseintrags den Weg in den Profisport, noch würden sie dadurch einen besonderen Schutz vor Benachteiligung und besseren Zugang zum Arbeitsmarkt finden: »Zudem ist ein Generalverdacht mit demokratischen Grundwerten wie dem Schutz von Minderheiten oder rechtsstaatlichen Grundprinzipien wie der Unschuldsvermutung nicht vereinbar und trägt, egal ob beabsichtigt oder nicht, zu einer weiteren Stigmatisierung und Ausgrenzung von trans* Personen bei.«363 Der BVT* zieht mit dem Ländervergleich von den Ländern Malta, Dänemark, Irland, Portugal, Luxemburg, Belgien, Island, Norwegen, Schweiz mit der Bundesrepublik Deutschland den Schluss, dass es sich bei dem Vorstoß mit dem SelbstBestG um ein eher verspätetes Rechtsgut handeln muss. Das Institut für Queer Theory (iQt) schließt sich in einer Online-Stellungnahme, die nicht an den Bundestag gerichtet wurde, der Stellungnahme und den Forderungen des BVT* an, wenngleich auch hier neue Diskursäußerungen zu finden sind, wenn Antke Engel kritisiert, dass »ein vereinfachender Ruf nach Selbstbestimmung übersieht, dass wir alle (nicht nur Kinder und Jugendliche) in unserer Geschlechtlichkeit aufeinander angewiesen sind, d.h. Bestätigung, Unterstützung und Respekt benötigen und entsprechend, den Risiken der Enttäuschung, Abhängigkeit, Ausbeutung und Gewalt unterliegen.«364 Dieses Aufeinander-Angewiesen sein, sei jedoch nicht gesetzlich (dejure) zu regeln, sondern nur, indem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Partizipation gefördert werde. Den Diskriminierungsschutz sieht Engel im Kontext des SelbstBestG nicht in Gefahr, da es im bestehenden Recht Möglichkeiten gebe, »Diskriminierungspraxen zu verbieten, ohne Betroffenengruppen auszuweisen«.365 Der eingetragene Verein Trans-Kinder-Netz (Trakine) betont vor allem die Notwendigkeit des Verbots von geschlechtszuweisenden Operationen und loben in diesem Zuge, dass das Gesetz hier eine klare Unterscheidung zu transgeschlechtlichen medizinischkörpermodifizierenden Maßnahmen mache, die nun im Gesetz auch für Minderjährige ermöglicht werden.366 Trakine sehen in dem SelbstBestG vor allem eine Stärkung der

361 362 363 364 365 366

Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 3. Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 4. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 5. Engel (2021). Engel (2021). Vgl. Trans-Kinder-Netz e. V. (2020): S. 2.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Rechte von Minderjährigen, da diese entlang des Gesetzes ihren Vornamen und Personenstand ändern können, auch ohne die Zustimmung der Sorgeberechtigten.367 Die Women’s Human Rights Campaign geht davon aus, dass mit dem SelbstBestG die Kategorie Geschlecht im Rechtssystem abgeschafft werde. Die Kategorie Geschlecht wird hier definiert als biologische und körperliche Merkmale. »Dies würde die Würde, Privatsphäre und Sicherheit von Frauen und auch Kindern massiv einschränken und gefährden.«368 Weiter schlussfolgert die Women’s Human Rights Campaign, indem sie auf die »Berücksichtigung von Männern, die von sich eine weibliche ›Genderidentität‹ behaupten« verweist,369 dass die »geschlechtsbedingten Rechte« der Frau beeinträchtigt würden. Auch wird dem Gesetzentwurf vorgeworfen, dass durch das Beratungsangebot eine staatliche Förderung der Vorstellung einer Geschlechtsidentität erfolge.370 Hier wird die Frauenrechtserklärung der UNCRC zitiert, die sich auf die Bekämpfung und Beseitigung folgender Faktoren beruft: »traditionelle und neu aufkommende Praktiken, die Mädchen und Jungen Geschlechterrollenstereotype aufzwingen; das Diagnostizieren und Behandeln von Kindern als ›im falschen Körper geboren‹, wenn sie traditionellen Geschlechterrollenstereotypen nicht entsprechen; die Einordnung von Jugendlichen, die sich zu Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlen, als Jugendliche mit einer Geschlechtsdysphorie; und die Durchführung medizinischer Eingriffe an Kindern, die zu ihrer Unfruchtbarkeit oder anderen dauerhaften Schäden führen können.«371 Alexander Korte beginnt seine Stellungnahme mit der Zustimmung dazu, dass jede verfassungsgemäße gesetzliche Regelung, welche Menschen mit einer »nachgewiesenen Störung der körperlich-sexuellen Entwicklung (vormals Intersexualität […]) und Menschen mit geschlechtsbezogenen Identitätskonflikt (Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie, Transsexualität)«372 in ihren Grundrechten anerkennt, begrüßenswert sei. Weiter jedoch sei zwar der dritte Personenstand prinzipiell sinnvoll, aber nicht nötig, da seit Inkrafttreten nur wenige Menschen von diesem Gebrauch gemacht hätten, was einen Utilitarismus eröffnet, indem Gesetze nur dann als sinnvoll bewertet werden, wenn sie viele Menschen betreffen. Dass es das SelbstBestG für intergeschlechtliche Menschen vereinfache zwischen den binären Geschlechtskategorien zu wechseln, findet Korte hingegen sinnvoll. Dennoch besteht Korte in diesem Zusammenhang darauf, dass der dritte Personenstand aufgrund der Bezeichnung »Varianten Geschlechtsentwicklung« nur intergeschlechtlichen Menschen offenstehe, nicht aber transgeschlechtlichen Personen. Würden letztere von Ärzt*innen ein Gutachten über eine solche Variante Geschlechterentwicklung erhalten, so bezeichnet Korte dies als rechtsfehlerhaft und gemäß § 278 als strafbar.373 Hier zitiert Korte eine Urteil-Sprechung des BGH aus dem

367 368 369 370 371 372 373

Vgl. Trans-Kinder-Netz e. V. (2020): S. 3. Women’s Human Rights Campaign (2020): S. 2. Women’s Human Rights Campaign (2020): S. 2. Vgl. Women’s Human Rights Campaign (2020): S. 5. Women’s Human Rights Campaign (2020): S. 6. Korte (2020): S. 2. Vgl. Korte (2020): S. 2.

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Jahr 2020 (Aktenzeichen XII ZB 383/19): »Die von § 45 b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. Eine lediglich empfundene Intersexualität ist hierfür nicht ausreichend.«374 Korte betont, dass der Gesetzgeber seine Chance verpasst habe, eine unmissverständliche Formulierung für den § 45 b PStG zu finden, ein biologisches Geschlecht jedoch nachweisbar sei und somit ein Fakt, ein subjektives Zugehörigkeitsempfinden jedoch wie vielfach durch das BVerfG betont, nicht nachweisbar ist und demnach nicht als Fakt gelten dürfe. Korte definiert Transsexualität als Leiden an der Geschlechterrolle, was im SelbstBestG jedoch entlang der Aufhebung der Sex-Gender-Differenz vermischt würde und wegen der Privilegierung des subjektiven Identitätsgefühls zur Gleichsetzung von Geschlecht und Geschlechtsidentität führe,375 was nach Korte dazu führt,376 dass »Betroffene eine tiefergehende Auseinandersetzung mit ihrer innerpsychischen Identitätsproblematik erschwert wird und eine selbstkritische Reflexion der individuellen, kausalen Faktoren für das ›Umwandlungsbegehren‹ eben nicht stattfindet«.377 Statt eine genitalangleichende Operation anzuerkennen, bezeichnet Korte diese als vorschnelles Drängen. Den vorliegenden Gesetzentwürfen von den Grünen und der FDP wirft Korte vor, die medizinisch-wissenschaftliche Sicht zu ignorieren und verschiedene Gesundheits- und Krankheitszustände zu vermischen. Von einer Selbstdefinition auszugehen führe zu einer problematischen Beliebigkeit in der offiziellen geschlechtlichen Zuordnung und damit zu einer gesellschaftlichen und rechtlichen Verwirrung. Ebenso würde diese Beliebigkeit die Gleichstellung und Schutzräume von Frauen und Mädchen missachten.378 Korte bezieht in seine Kritik ebenfalls die Regelung für Minderjährige mit ein, indem er schlussfolgert, dass weder die Sorgeberechtigten noch die Minderjährigen in der Lage seien, die Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Einzig die medizinische Begutachtung von qualifizierten Sachverständigen könne die

374 Bundesgerichtshof (2020): S. 15. Klageführend war eine Person mit weiblichem Geschlechtseintrag, welcher in »ohne Angaben« korrigiert werden sollte, was das zuständige Standesamt untersagte. Die klageführende Person benannte sich selbst als non-binär. Das BGH bekräftigte die Verweigerung des Standesamtes eine Eintragung vorzunehmen, indem auf die Definition der Bundesärztekammer verwiesen wurde, nach der eine Variation nur jene Menschen umfasst, deren Geschlecht entlang der genetischen, hormonalen, gonadalen und genitalen Anlagen nicht männlich oder weiblich eingeordnet werden kann. Weiter knüpfe das Personenstandsrecht in seiner Gesamtheit an das biologische Geschlecht an: Wenngleich das BVerfG maßgeblich die Geschlechtsidentität in seiner Urteilsbegründung hervorhebt, stünde der klageführenden Person hier nicht der § 45a PStG, sondern lediglich der § 8 Abs. 1 TSG zur Änderung des Geschlechtseintrags offen (Bundesgerichtshof [2020]: S. 8; 10; 13; 15). Dass Personen mit »lediglich empfundener Intersexualität« demnach auf ein Vorgehen nach dem TSG verwiesen werden, um einen ihrer gefühlten Geschlechtsidentität entsprechenden Geschlechtseintrag im Geburtenregister zu erreichen, ist verfassungsrechtlich laut BGH nicht zu beanstanden (ebd. S. 15). Eine Änderung des Personenstandes in die Kategorie »ohne Angaben« wäre jedoch entlang des TSG ein Novum. 375 Vgl. Korte (2020): S. 2. 376 Vgl. Korte (2020): S. 3. 377 Korte (2020): S. 10. 378 Vgl. Korte (2020): S. 4.

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Rechtmäßigkeit des Wunsches und die Tragweite der Entscheidung beurteilen.379 Diese sei nicht familiären Dynamiken, Schuldgefühlen und Wiedergutmachung unterworfen, sondern objektiv.380 Eine ähnliche Argumentationslogik nimmt Korte gegenüber dem generellen Operationsverbot für genitalvereindeutigende Operationen bis zum 14. Lebensjahr vor, welche er als nicht dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechend definiert: »Die Bedingung, dass auch im Falle einer zweifelsfrei bestehenden medizinischen Indikation zum operativen Eingriff eine Genehmigung durch das Familiengericht vorliegen muss, ist schwer vermittelbar […]«,381 während Korte an anderer Stelle die genitalangleichenden Operation ab 14 Jahren unvereinbar mit den »wissenschaftlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie sowie diesbezüglichen klinisch-empirischen Erfahrungen« benennt.382 Korte verweist in beiden Fällen darauf, dass nur kinder- und jugendpsychiatrische Spezialist*innen in der Lage wären, eine Notwendigkeit oder einen Operationswunsch zu beurteilen. Weiter argumentiert Korte, dass vor allem Minderjährige zu einem späteren Zeitpunkt nicht in der Lage wären, die geschaffenen Fakten wieder rückgängig zu machen und einen alternativen Weg einzuschlagen.383 »Die Indikationsstellung für eine operative Intervention bei Minderjährigen mit Störungen/›Varianten‹ der Geschlechtsentwicklung (DSD) ist Vorrang eine ärztliche Aufgabe, nicht aber eine rechtliche.«384 Kindern bescheinigt Korte darüber hinaus eine eingeschränkte sozio-emotionale und kognitive Kapazität und eine naturgemäß noch nicht abgeschlossene psycho-sexuelle Entwicklung, wodurch wesentliche Reifungsschritte noch nicht vollzogen seien. Auch hier sei der Gesetzentwurf widersprüchlich gegenüber anderen Gesetzesinitiativen; so wurde bspw. 2019 ein Verbot von Werbung für Schönheitsoperationen für Kinder und Jugendliche mit der fehlenden Reife für derartige Entscheidungen und der pubertätsbedingten Verunsicherung hinsichtlich des Körperbildes begründet, weshalb Kinder vor einem medial verbreiteten Schönheitsideal geschützt werden müssten.385 Ein weiterer Kritikpunkt ist nach Korte die Verpflichtung von »Behandler*innen«, den Entscheidungsprozess ausgangsoffen zu begleiten; das Gesetz verhindere diesem Gebot nachzukommen, da das Gesetz das Ergebnis rechtspolitisch vorwegnehme.386 Eine psychotherapeutische Behandlung sei für Jugendliche hilfreicher um den Leidensdruck zu senken, als das SelbstBestG.387 Bezogen auf Erwachsene kommt Korte zu einer anderen Erkenntnis, indem er schlussfolgert, dass diese »körpermodifizierende Maßnahmen nicht nur zweckmäßig, sondern nach derzeitigem medizinischen Erkenntnisstand notwendig« sind.388 Dies ergebe sich daraus, dass im Erwachsenenalter die Diagnose der Geschlechtsdysphorie gestellt werden kann und die psychosexuelle Entwicklung abgeschlossen sei. Nicht in 379 380 381 382 383 384 385 386 387 388

Vgl. Korte (2020): S. 5. Vgl. Korte (2016): S. 5. Korte (2020): S. 6. Korte (2020): S. 6. Vgl. Korte (2016): S. 51. Korte (2020): S. 6. Vgl. Korte (2020): S. 8. Vgl. Korte (2020): S. 10. Vgl. Korte (2020): S. 11. Korte (2020): S. 11.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

der Stellungnahme inbegriffen, aber im Anhang zur Stellungnahme enthalten, ist der weniger ausgangsoffene psychologische Standpunkt Kortes, da dieser in den meisten im Kindesalter vorliegenden Geschlechtsdysphorien die »spätere Manifestation einer homosexuellen Orientierung«389 , statt einer Transgeschlechtlichkeit erkennt. Vor allem zum Schutz der homosexuellen Orientierung fordert Korte keine Erleichterung, sondern eine Erschwernis hinsichtlich der juristischen Personenstandsangleichung.390 Als ergebnisoffen kann eine solche Haltung nicht verstanden werden. Eine Transition wie das Passing muss als Prozess verstanden werden, an dem ein Punkt einer juristisch verbindlichen Entscheidung kommt – dieser Punkt kann in der Mitte des Prozesses liegen oder aber das Ende des Prozesses bedeuten. Was Korte in seinen Schriften fordert, ist jedoch kein offener Prozess, sondern eine einzuschlagende Richtung. Dies wird bspw. in dem Moment ersichtlich, wenn er die Empfehlungen kritisiert, »dem Kind frühzeitig ein Auftreten in der Aufmachung des Wunschgeschlecht zu gewähren und es in Schule und Kindergarten vollständig unter dem gewünschten Geschlecht zu führen. Dies scheint eher auf Probleme der Bezugspersonen und der Gesellschaft hinweisen, geschlechtsatypische Verhaltensweisen einfach nur hinzunehmen anstatt sie mit Ausdeutungen zu versehen.«391 Korte stellt die Behauptung auf, dass es in der Regel keine Transgeschlechtlichkeit sei, sondern das Bedürfnis in der gegengeschlechtlichen Geschlechterrolle zu leben. Da dies heutzutage nicht mehr sanktioniert wird, wäre es durchaus möglich diesem Bedürfnis auch ohne eine PÄ nachzukommen. Stattdessen empfiehlt Korte es, Minderjährige einem Alltagstest ohne VÄ/PÄ zu unterziehen, womit er als Psychologe in Kauf nimmt, dass diese unnötige Ausgrenzungserfahrungen machen, nur damit getestet werden könne, ob die Person wirklich transgeschlechtlich ist und dementsprechend sein dejure zugesichertes Recht erst nach einer Mutprobe zugestanden bekommt. Das Vorenthalten von gesellschaftlicher Anerkennung kann unterdessen das psychische Leiden erhöhen und einen großen Druck ausüben. Zudem setzt Korte die PÄ der genitalangleichen Operation gleich, was wissenschaftlich falsifizierbar ist, da seit dem Wegfall des § 8 Abs. 3 und 4 TSG eine operative Genitalangleichung nicht mehr vorausgesetzt wird und die Zahlen seitdem rückläufig sind. Somit handelt es sich um zwei voneinander unabhängige gesellschaftliche Phänomene. Ferner bleibt jedoch offen, welche Position Korte einnimmt, wenn die ersten antragstellenden Personen bezüglich einer PÄ in die Kategorien »divers« oder »ohne Angaben« bei ihm vorstellig werden, die nach dem BGH-Urteil formal-rechtlich ohne eine ärztliche Attestierung einer Geschlechtervarianz mittels TSG möglich sind. Spätestens dann müsste Korte seine Zuschreibungspraxis aufgeben, da es gesellschaftlich noch keine stereotypen intergeschlechtlichen oder ageschlechtlichen Geschlechterrollen gibt und somit auch keine Orientierung am Verhalten oder Erscheinungsbild mehr möglich wären. Mit diesem Gedankenspiel lässt sich also leicht zeigen, dass es Korte mehr um den Kampf des Erhalts seiner ärztlichen Machtposition geht als um den Kampf im Sinne der Anliegen seiner Patient*innen. 389 Korte (2016): S. 51. 390 Vgl. Korte (2016): S. 51. 391 Korte (2016): S. 52.

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Korte geht ebenfalls auf die Fallzahlen ein, indem er die geringen Zahlen von negativen Gutachtenentscheidungen nicht entlang der konsistenten Selbstwahrnehmung erklärt, sondern mit den greifenden Hürden einer auswählenden Differentialdiagnostik begründet.392 Weiter hält Korte es für wahrscheinlich, dass sich durch ein SelbstBestG »die Hemmschwelle zur Einleitung einer Hormonbehandlung und weiterer, irreversibler körperverändernder Maßnahmen«393 senken würde, weshalb die Notwendigkeit einer verpflichtenden begleitenden Beratung gegeben sei. Hier vergisst Korte, dass selbst bei einer geringen Hemmschwelle jeder hormonelle oder operative Eingriff von der Einwilligung eines Arztes oder einer Ärztin abhängt. Was mitunter in dem ganzen Diskurs um Beratung oder Begutachtung vergessen wird, ist die Tatsache, dass ein medizinisches oder psychologisches Studium kaum in besonderer Weise zum Umgang mit transgeschlechtlichen Menschen befähigt, wenn bedacht wird, dass Gender-Sex-Desire-Wissen nicht zum Pflichtstudium gehört. Für Korte ergibt sich »aus einem bestehenden Identitätskonflikt« kein automatischer Anspruch auf absolute Selbstbestimmung oder Recht auf eine »(von der Solidargemeinschaft zu finanzierende) Gesundheitsleistung«.394 In einer derartigen Formulierung werden Menschen mit einem PÄ-Ansinnen als Sozialausbeuter*innen konstruiert. Ähnlich konsequent lehnt Korte die Forderung nach Entschädigungsleistungen gegenüber Menschen ab, die sich entlang der Forderung des TSG kastrieren und operativ genitalangleichen ließen. Dies sei keineswegs unter Zwang geschehen, da die Betroffenen nur so ihren Leidensdruck lindern konnten und über die Nebenwirkungen, bspw. Verlust der Fruchtbarkeit, in Kenntnis gesetzt waren und demnach entlang einer freien Willensbildung diese Entscheidung getroffen hätten.395 Die Ablehnung von Korte gegenüber dem Entschädigungsansinnen ist schwer nachvollziehbar; zum einen wird transgeschlechtlichen Personen durch Korte eine psychische Störung diagnostiziert, welche zwangläufig dazu führen müsste, dass eben keine freie Willensbildung möglich ist, weil unter Zwang eine Entscheidung getroffen würde; zum anderen ergibt sich der Leidensdruck nicht immer aus dem Selbstverständnis, dass der eigene Körper nicht richtig sei, sondern kann aus der Erkenntnis resultierend, dass dem Körper eine nicht adäquate Geschlechtskategorie aufgezwungen wird. Korte geht ebenfalls hart mit dem Deutschen Ethikrat ins Gericht, da dieser laut seiner Stellungnahme wenig Hilfreiches beitrage, sondern lediglich die bestehenden Positionen beschreibe und für beide Verständnis äußere, wobei die perspektivische ethische Bewertung ausbleibe.396 In diesem Zusammenhang wird die Unterscheidung von Moral und Ethik wirkmächtig, um die Kritik von Korte als Angriff zu erkennen: Ethik umfasst eine Haltung, in der alle Perspektiven und Sichtweisen berücksichtigt werden, um eine Entscheidung treffen zu können. Moral hingegen umfasst die Entscheidung entlang eines normativen, wertegeleiteten Standpunktes. Indem der Ethikrat die bestehenden Positionen zusammenfasst und in einer Stellungnahme veröffentlicht, wird für alle Menschen eine Grundlage zur Meinungsbildung und für die Legislative eine Grundlage

392 393 394 395 396

Vgl. Korte (2016): S. 53. Korte (2016): S. 54. Korte (2020): S. 10. Vgl. Korte (2020): S. 11. Vgl. Korte (2020): S. 9.

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für etwaige Gesetzentwürfe geschaffen. Davon zu unterscheiden ist das moralische Urteil, bspw. von Korte, wenn dieser von Störung und Krankheit spricht und damit aus einem moralischen – der heterosexuellen Norm entsprechenden – Standpunkt aus urteilt. Korte signalisiert entlang seiner Wortwahl und gewählten Begrifflichkeiten eine wirkmächtige Diskursposition und beteiligt sich an wert-konservativen Identitätspolitiken. Worte wie Entwicklungsstörung, Krankheitszustände, einem Leiden an und die Schreibweise »Störungen/›Varianten‹ der Geschlechtsentwicklung« verweisen auf eine Pathologisierung, da hier ein Krankheitsbild und eine körperliche Störung die freie Selbstwahrnehmung determinieren. Die Aussagen »subjektives Zugehörigkeitsempfinden«, »eigentlich eindeutig« und »subjektives Identitätsgefühl« sind relativierend, indem sie die Existenz der Geschlechtsidentität rhetorisch anzweifeln, ferner wird so eine Essentialisierung reproduziert, indem das biologische Geschlecht als ausschlaggebend gezeichnet wird. Letzteres zeigt sich auch in der konsequenten Verwendung des Wortes Transsexualität, welches auf einem Übersetzungsfehler basiert und das Körpergeschlecht Sex als Sexualität übersetzt. Auch der Begriff Identitätskonflikt verweist auf ein psychisches Problem, indem die eigene Identität als konfliktbehaftet wahrgenommen wird. Ob Worte Wirkung haben eine – und wenn ja, welche –, ist selbst in der Soziolinguistik397 umstritten. Dass es jedoch für viele Phänomene und Objekte mehrere Begriffe gibt und diese unterschiedliche Bedeutungsperspektiven transportieren, sollte nicht unberücksichtigt bleiben, da sie Diskurse strukturieren und Sagbarkeiten wie Verwerfungen produzieren. Korte orientiert sich stark an einer heteronormativ-binären Geschlechterordnung und hält diese für ausreichend und nicht weiter erweiterungsbedürftig, im Gegenteil bemüht sich Korte darum diese aufrecht zu halten. Indem Korte die Gleichung eröffnet, dass ein biologisches Geschlecht nachweisbar sei, demnach ein Fakt, kann er der Logik entsprechend die Geschlechtsidentität als nicht nachweisbar konstruieren, die demnach nicht als Fakt gewertet werden dürfe. Entlang dieser Logik erfolgt eine Essentialisierung in Form einer Biologisierung. Hierbei vergisst Korte die Historizität der medizinischen Geschlechterkategorisierung entlang einer Vorstellung eines Ein-Geschlechter-Modells über das Suchen und Aufspüren von Eigenschaften, die ein Zwei-Geschlechter-Modell begründeten, welches von Anbeginn an von widerständigen Körpern geprägt war, die nicht so recht in das binäre Geschlechtermodell einzufügen waren (bspw. Hermaphroditen). Insgesamt muss die Reessentialisierung als diskursive Strategie gelesen werden, die medizinisch-psychologische Begutachtungspraxis zu festigen und somit die Vorherrschaft der Mediziner*innen im Diskurs und damit im gesellschaftlichen Allgemeinwissen zu festigen. Werden weitere Aussagen von Korte hinzugezogen, ignoriert er diverse Erkenntnisse aus anderen Fachrichtungen. So sehen soziologische und pädagogische Fachdisziplinen die Identitätsbildung als lebenslangen Prozess an, welcher als unabgeschlossen, offen und transformativ gilt.398 Korte hingegen behauptet, dass Sachverständige zur Prüfung einer lebenslangen Irreversibilität der transsexuellen Prägung benötigt werden, weshalb er auch an der DreiJahres-Regelung festhält.399 Mittels willkürlicher Gleichungen setzte Korte PÄ und ge397 Vgl. bspw. Schützeichel (2015). 398 Vgl. Renn und Straub (2002); Rosa (2002). 399 Vgl. Korte (2016): S. 46.

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nitalangleichende Operationen gleich und vergleicht beide mit Schönheitsoperationen. Dieser Vergleich ist jedoch ein Fehlschluss; wenngleich das eigene Äußere ebenfalls Teil des Identitätsempfindens ist, richtet sich der Wunsch nach einer Schönheitsoperation an der gesellschaftlichen Normvorstellung aus, während der Wunsch nach einer PÄ gegen die gesellschaftliche Normvorstellung eines übereinstimmenden Sex und Gender angestrebt wird. Dennoch muss Korte in diesem Zusammenhang recht gegeben werden, dass es schwer nachvollziehbar ist, warum eine minderjährige Person auf der einen Seite genug Reife besitzt in eine genitalangleichende Operation einzuwilligen, auf der anderen Seite in Bezug auf Schönheitsoperationen diese Reife abgesprochen wird. Die Diplompsychologin Anja Wermann zweifelt die Sinnhaftigkeit des SelbstBestG an und beanstandet vor allem, dass der Gang zum Standesamt mittels Selbstauskunft nun ausreiche, um den eigenen Personenstand wechseln zu können. Fehlt die Hürde zur PÄ und die Überprüfung der Dauerhaftigkeit des Wunsches, so würde es zwangsläufig zu einem Missbrauch kommen und ebenso zu einer Verzerrung der Statistiken. Als Missbrauch wird hier die Möglichkeit benannt, dass jeder biologische Mann einen weiblichen Personenstand annehmen und so in Frauen-Schutzräume (Umkleiden, Toiletten, Frauenhäuser) vordringen könne, wodurch eine Unsicherheit für alle Frauen gegeben sei. Wörtlich geht Wermann davon aus, dass übergriffige Männer das Gesetz nutzen werden, um Frauen und Mädchen sexuell zu belästigen.400 Hier begegnet Wermann also Menschen mit Penis und Hoden mittels eines Vorurteils, indem davon ausgegangen wird, dass Penis und Hoden automatisch zu einer kriminellen und ermächtigenden Haltung gegenüber Menschen mit Vulva/Vagina und Eierstöcken führen. In der deutschen Rechtsordnung werden Gesetze weder durch Vorurteile begründet noch verhindert. Bezüglich sexueller Delikte hält der Gesetzgeber unter § 177 StGB Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung lautet unter Abs. 1 fest: »Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«401 Der Gesetzgeber beschränkt dieses Gesetz nicht auf ein bestimmtes Geschlecht der Täter*innen und ebenso wenig auf ein bestimmtes Geschlecht der Betroffenen, wodurch eine Ausführung eines Sexualdeliktes und eine Bestrafung nicht von den Genitalien abhängt. Zudem ist anzuzweifeln, dass sich ein Mensch von einem Sexualdelikt durch eine Toilettentür abhalten lässt. Nicht bedacht wird, dass durch das SelbstBestG die Monopolstellung der bisher binären Geschlechterordnung wegfallen würde, weshalb dauerhaft auch die Privilegierung von Menschen mit Penis oder jene von Menschen, die sich selbst als kongruent zwischen Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität wahrnehmen, abgebaut wird, wodurch auch die Hierarchisierung der Geschlechter instabil wird, was nachhaltig dem gesellschaftlichen (Hetero-)Sexismus entgegenwirken wird. Wermann benennt ein weiteres Problem, da nicht nur Frauenräume betreten werden können, sondern auch Frauenpositionen, bspw. im Frauensport oder das Recht auf Frauengleichstellungsmaßnahmen, ergriffen würden. Weiter würden die Kriminalitätsstatistik und Statistiken zur Altersarmut von 400 Vgl. Wermann (2020): S. 1. 401 StGB § 1.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Frauen verzerrt und geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht mehr analysierbar, wodurch Sexismus unsichtbar werde.402 Wermann vergisst hier, dass nicht nur Frauen, sondern auch von der Heteronormativität abweichende Menschen diskriminiert werden und es somit zweifelhaft ist, ob eine PÄ eine Statusverbesserung erzielt. Auch statistisch wird sich kaum eine Abweichung von den bisherigen Statistiken zeigen, da die ehemals binären Geschlechtskategorien erhalten bleiben und seit 2011 keine signifikant höhere PÄ-Antragsrate zu verzeichnen ist. Wermann plädiert abschließend – sofern ein SelbstBestG in Erwägung gezogen wird – für eine Fristbegrenzung für eine erneute PÄ bzw. eine Begrenzung wie oft diese durchgeführt werden kann.403 Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti) empfindet die – dem SelbstBestG zugrunde liegende – Erkenntnis »dass nur jeder Mensch selbst sein empfundenes Geschlecht äußern kann und jede Fremdsicht, auch die sachverständiger Personen, sehr begrenzt ist« als begrüßenswert.404 Änderungsbedürftigkeit sieht die dgti hingegen im § 3, in welchem sie die Ergänzung des Wortes »akut« fordern.405 Im Detail geht es um den Satz § 3 Abs. 1 SelbstBestG: »Dies gilt nicht, wenn der Eingriff zur Abwendung einer [akuten] Gefahr für das Leben oder einer erheblichen [akuten] Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich ist.« Begründet wird das Erfordernis der Ergänzung damit, dass einige Ärzt*innen bei genitalvereindeutigenden Maßnahmen mit einem höheren Krebsrisiko argumentieren, welches durch das Wort »akut« keine genitaloperative Maßnahme mehr begründet, da ein Risiko keineswegs das Eintreten voraussagen kann. Auch problematisiert die dgti, dass das SelbstBestG weiterhin Eingriffe im Rahmen des § 1631 d BGB »Beschneidung des männlichen Kindes«406 erlaubt. Begründen ließe sich ein Beibehalten vor allem mit Art. 4 Abs. 2 GG »die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet«, wenngleich dies zwangsläufig mit dem Art. 2 Abs. 2 GG »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden« kollidiert.407 Vor allem betont die dgti die Notwendigkeit einer Selbsthilfe und Selbstorganisation, indem sie schlussfolgert: »Eine [sic] Ersatz der Peerberatung durch andere Träger mit Unterstützung von Trans* und Inter*verbänden ist kontraproduktiv und unsererseits unerwünscht. Teilhabe, Antidiskriminierungsarbeit und Sichtbarkeit sind nur gewährleistet, wenn die Selbsthilfe bzw. Selbstorganisation gestärkt werden.«408 Die letztere Forderung muss insofern kritisiert werden, da sie die Aussage vornimmt, dass nur Menschen aus der entsprechenden Identitätskategorie bzw. Betroffene in der Lage seien Antidiskriminierungs- und Empowermentarbeit zu leisten. Sicherlich ist die Sichtbarkeit und die Aufklärung über Diskriminierungserfahrungen von trans- und intergeschlechtlichen Menschen sinngemäß nur aus Betroffenenpositionierung möglich,

402 403 404 405 406 407

Vgl. Wermann (2020): S. 2. Vgl. Wermann (2020): S. 2. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 1. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 2. § 1631 d BGB, Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1631d.html. Grundgesetz, Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html (letzter Zugriff: 10.10.2022). 408 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 2.

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anders verhält es sich jedoch bezüglich der Diskriminierungsforschung, der Antidiskriminierungsarbeit, den Beratungsangeboten und des Empowerments. Alle soeben genannten Felder bedürfen vor allem einer ausreichenden fachlichen Ausbildung, ggf. eines Studiums, und können somit nicht ausschließlich durch eigene Identitätskategorie bzw. Betroffenheit bescheinigt werden. Das Lesbische Aktionszentrum reloaded e. V. (LAZ) problematisiert am SelbstBestG, es sei von »fragwürdigen Annahmen eines vom Körper unabhängig existierenden ›Geschlechtsempfindens‹ und der Vermengung der Problemlagen inter- und transsexueller Menschen« geprägt.409 Weiter kritisiert das LAZ das SelbstBestG und glaubt, dass mit diesem eine Identifizierung und Datenvalidierung von Diskriminierung und Benachteiligung nicht mehr möglich sei, da der Gesetzentwurf »die Statistik über die Verteilung der biologischen Geschlechter aufheben, zumindest erheblich verzerren«410 und der Staat somit seinen Gleichstellungsauftrag nicht mehr erfüllen kann.411 Hierbei handelt es sich keineswegs um einen Fakt, sondern lediglich um eine Befürchtung, da derartige statistische Diagnosen erst nachträglich verifizierbar sind. Dennoch soll hier in Anerkennung der Befürchtungen eine Zuwendung erfolgen, indem bekannte Statistiken bzgl. des TSG und dritten Personenstand hinzugezogen werden. In den Jahren 2017 bis 2019 lagen die Zahlen der TSG-Verfahren zwischen ca. 2000 und 2600 bewilligten Anträgen.412 Anträge des dritten Personenstandes für Neugeborene registrierte der Staat 2019 nur 8 und 2020 nur 11 Personen, für jene der Personenstand »divers« beantragt wurde und für den Personenstand »ohne Angaben« 2019 lediglich 8 und 2020 nur 3 Personen. Bei Erwachsenen lagen die Zahlen 2019 bei 256 Personen für den Personenstand »divers« und »ohne Angaben«, 2020 waren es 138.413 Hinsichtlich des Wechsels der Geschlechterkategorie von männlich zu weiblich bzw. vice versa bei intergeschlechtlichen Personen ergeben sich 780 Fälle im Jahr 2019 und 411 Fälle im Jahr 2020.414 Die Fallzahlen der letzten beiden Jahre zeigen eher geringe Fallzahlen, die somit die Ängste um Verzerrung der Geschlechterstatistiken nicht bestätigen. Zudem ist das TSG seit 1981 in Kraft und führte jährlich zu Wechseln der geschlechtlichen Personenstandskategorie, wodurch sich durch das SelbstBestG kein neues Phänomen abzeichnet. Darüber hinaus problematisiert das LAZ, der Personenstand wäre die »Grundlage für die Ausübung von Rechten und Pflichten, die an den Geschlechtseintrag geknüpft sind«.415 In der Verfassung (GG) und im Bürgerlichen Gesetzbuch wird die geschlechtliche Einteilung der Bürger*innen nicht präzise festgehalten. Eine gesetzliche Normierung von Rechten und Pflichten aufgrund des Geschlechtseintrags kann somit nicht festgestellt werden. Lediglich der Personenstand verlangt einen Geschlechtseintrag, wobei dieser bis 2017 binär in »männlich« und »weib-

409 410 411 412

Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 2. Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 3. Vgl. Lesbisches Aktionszentrum (LAZ) reloaded e. V. (2020): S. 2. 2017, 2018, 2019 = 2.085, 2.614, 2.582. Vor 2017 lagen diese Zahlen unter 2000 Personen und vor 2010 sogar unter 1000 Personen pro Jahr (vgl. Bundesamt für Justiz [2019]: S. 5). 413 Für das Jahr 2020 wurden die Daten nur bis zum 30. September erhoben (vgl. Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat [2021]). 414 Vgl. Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (2021). 415 Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 2.

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lich« eingeteilt wurde und erst ab 2017 mit »divers« und »ohne Angaben« zwei weitere Kategorien erhält: »Bis heute verzichtet das Recht darauf, festzulegen, woraus sich genau ergibt, welche Geschlechter es gibt bzw. woran Weiblichkeit oder Männlichkeit festgemacht wird. Erst eine 2016 ergangene Änderung für intersexuelle Kinder benennt überhaupt nur ausdrücklich die zwei traditionellen Geschlechter (›Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden…‹). Das Recht legt sozusagen automatisch die in der Gesellschaft vorhandenen Anschauungen zugrunde.«416 Die Geschlechternorm wird somit nicht dejure vorgegeben, sondern in der gesellschaftlichen Interaktion defacto hergestellt. Gesetze können zwar gesellschaftliche Normen und Moral erzeugen, werden aber ihrerseits durch diese beeinflusst und erzeugt. »Die Gesellschaft hat sich entsprechend der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau eingerichtet.«417 Diese jedoch aus Gesetzen abzuleiten ist zunächst schwer nachvollziehbar. Ein Gesetz, welches geschlechtliche Rechte und damit Privilegien formuliert, ist das Mutterschutzgesetz (MuSchG), welches vor allem Arbeitsschutzbestimmungen für werdende und stillende Mütter regelt. Bereits aufgehoben wurden die gesetzlich verankerte Witwenrente, der frühere Renteneintritt und die Zusicherung freier Hausarbeitstage für berufstätige Frauen.418 Darüber hinaus regelt der Art. 3 Abs. 2 GG419 die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, womit der Staat sich selbst verpflichtet diese Gleichberechtigung zu fördern und durchzusetzen, um so die von Diskriminierung betroffene vulnerable Gruppe der Frauen zu schützen. Allerdings bezieht sich dieses Gesetz keineswegs dezidiert auf Frauen, sondern auf beide Geschlechter.420 Auch das LAZ problematisiert das Vordringen von Männern in geschützte und autonome Frauenräume, da »der registrierte Geschlechtswechsel auf ›Zuruf‹ […] die juristische Legitimation«421 dazu liefert. Die im SelbstBestG angebotene Alternative auf einen Geschlechtseintrag gänzlich zu verzichten würde hingegen bedeuten, dass die noch zu erfüllende Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr nur wie bei der selbstbestimmten Personenstandänderung erschwert, sondern unmöglich gemacht wird. Werden die staatlichen Gleichstellungsmaßnahmen entlang von Quotenregelungen – die bspw. durch staatliche Erfüllungsvorgaben oder indirekt durch Formulierungen direkt eingreifen, sodass bei gleicher Qualifizierung Frauen bevorzugt werden422 – beurteilt, so zeigt sich trotz einer gesetzlich verankerten Gleichstellung eine anhaltende Benachteiligung. So ergreifen mehr Frauen Berufe im Care-Bereich oder in pädagogischen Berufen, denen schlechtere Tarifbestimmungen zugrunde liegen. Während also dejure eine Gleichstellung gesetzlich vorgeschrieben ist, wird diese defacto bereits

416 417 418 419 420 421 422

Sacksofsky (2020): S. 58. Sacksofsky (2020): S. 56. Vgl. Sacksofsky (2020): S. 56. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html (letzter Zugriff: 10.10.2022). Vgl. Sacksofsky (2020): S. 56. Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 3. Sacksofsky (2020): S. 57.

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jetzt unterlaufen, indem Frauen nach wie vor entlang eines traditionellen Rollenverständnisses und der Geschlechterstereotypen gesellschaftlich benachteiligt werden. Die vorgetragenen Befürchtungen einer Aufhebung der gesetzlichen Gleichstellung entlang des SelbstBestG verweisen also auf Anerkennungskämpfe. Abschließend erfolgt eine Kritik des § 3 Abs. 2 SelbstBestG, welcher einen genitalverändernden Eingriff von Minderjährigen zulässt. Hier geht das LAZ davon aus, dass selbst ein Eingriff mit Pubertätsblockern ein starker Eingriff in die Identitätsentwicklung sei: »Eine affirmative Behandlung von geschlechtsdysphorischen Kindern mit früher Hormongabe kommt also eher einer ›Homosexualitätsverhinderungs-Behandlung‹ gleich und ist damit wie die Konversionstherapie bei Homosexualität als unethisch zu bezeichnen.«423 Auch hier werden Anerkennungskämpfe deutlich. Würde die Aussage in ihr Gegenteil verkehrt, demnach die Identitätspositionen ausgetauscht, ergebe sich folgende Umkehrung: »Die Verweigerung einer affirmativen Behandlung von geschlechtsdysphorischen Kindern mit früher Hormongabe um damit eine mögliche Homosexualität zu schützen, kommt also eher einer ›TransgeschlechtlichkeitsverhinderungsStrategie‹ gleich und ist damit wie die Konversionstherapie bei Homosexualität als unethisch zu bezeichnen.« Ferner sollte hier nicht unerwähnt bleiben, dass eine Konversionstherapie die Heilung von Homosexualität behauptet, wobei diese Annahme dem gleichen Natürlichkeitsethos folgt und entlang dessen eine Normierung vornimmt, mit der nun gegen die Existenz von Transgeschlechtlichkeit argumentiert wird, indem die heterosexuelle Orientierung als Anisogamie-Norm gefestigt und die homosexuelle Orientierung als Norm verworfen wird. Diese Konversionstherapien werden seit 2020 nicht im Allgemeinen verboten, sondern lediglich, wenn sie gegen den Willen einer Person vollzogen werden, bspw. bei Minderjährigen auf Wunsch der Eltern.424 Im Gegensatz dazu werden Pubertätsblocker bei transgeschlechtlichen Kindern nur dann verabreicht, wenn diese die medizinische Behandlung einfordern, eine grundlegende Beratung stattgefunden hat und dieser Eingriff nicht gegen das Wohl des Kindes widerspricht (siehe § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3). Der Eingriff von Pubertätsblockern ist reversibel, das heißt sobald die Pubertätsblocker abgesetzt werden, wird die körperlichgeschlechtliche Entwicklung regulär fortgesetzt. Die Juristin Anna Katharina Mangold verweist zwar auf Unterschiede innerhalb der Gesetzentwürfe von FDP und Grünen, sieht aber im Tenor das gemeinsame Grundanliegen »einer liberalen, also an den Grundrechten orientierten Ausgestaltung des einfachen Gesetzesrechts«. Mangold begrüßt diesen Vorstoß und ebenso die Forderungen der Linken, Menschen zu entschädigen, die aufgrund des binären Personenstandes dazu genötigt oder gezwungen wurden genitaloperative Eingriffe vornehmen zu lassen: »Denn selbstverständlich waren die Entscheidungen für genitalangleichende Operationen samt Sterilisierung aufgrund der damaligen (verfassungswidrigen) Rechtslage nicht ›freiwillig‹«,425 womit sich Mangold gezielt von Aussagen des Sachverständigen Korte distanziert.

423 Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 6. 424 Bundesministerium für Gesundheit (2020). 425 Mangold (2020): S. 1.

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»Die Legislativorgane der Bundesrepublik, so scheint es, hatten bislang offenbar ganz grundlegend nicht verstanden, dass der rechtliche Zwang zu einem Geschlechtseintrag an sich einen Grundrechtseingriff darstellt, der nach den üblichen verfassungsrechtlichen Regeln rechtfertigbar sein muss. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive entscheidend ist, was das mit dem rechtlichen Zwang zum Geschlechtseintrag eigentlich verfolgte Ziel ist. Das vielbeschworene ›Ordnungsinteresse des Staates‹ taugt nicht als solches legitimes Ziel.«426 Mangold erkennt somit keine inhaltlichen Anforderungen durch die Verfassung, welche den Geschlechtseintrag an Pflichten binde oder das Geschlecht definiere. Aus diesem Grund befindet Mangold, dass der Geschlechtseintrag ebenso abgeschafft werden könnte, da er zurzeit ausschließlich als Zwang verstanden werden kann. Wenn der Gesetzgeber auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag beharre, so wäre dieser nur dann verfassungskonform, wenn er selbstbestimmt gewählt würde: »Im Ausgangspunkt ist die Verfassungsordnung der Bundesrepublik eine freiheitliche. Jede Beschränkung von Freiheiten muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.«427 Eine solche Rechtfertigung ergebe sich nur entlang von vier Kriterien: (1) indem sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, (2) ein legitimes Ziel verfolge, (3) erforderlich sei und in einem (4) angemessenen Verhältnis vollzogen wird. Warum die FDP eine inhaltliche Anforderung an den Geschlechtseintrag stellt, indem sie Begriffsbestimmungen vornimmt, findet bei Mangold keinen Eingang. Für Mangold entsteht der Verdacht, »dass hier mit aller Macht eine Ordnung errichtet und verteidigt werden soll, die alles aussondert, was nicht in diese Ordnung passt und was sie durch dieses Nichtpassen gefährdet«.428 Mangold sieht darin weniger das Ordnungsinteresse des Staates, als vielmehr den Wunsch die normative Ordnung aufrecht zu erhalten und diese zu rekonstruieren. Dies geschieht nach Mangold in einem Dreischritt: zunächst werde eine (1) Natürlichkeitsbehauptung aufgestellt, die den Körper als eindeutig verifizierbare Grundlage des Geschlechts herausstellt; darauf aufbauend wird eine Normalitätsbehauptung konstruiert, indem (2) Menschen das Bedürfnis unterstellt wird, dass diese in Natürlichkeit leben wollen; welchem die deutsche Gesetzgebung im Sinne einer (3) Neutralitätsbehauptung bezüglich der Gesetze hinsichtlich der Geschlechterordnung lediglich entspricht.429 Mangold schlussfolgert weiter, dass Normalität mit Mehrheit gleichgesetzt würde, eine Demokratie jedoch dafür zu sorgen habe, dass auch Positionen fernab der Mehrheit rechtlich geschützt und vertreten würden. Minderheitenschutz sei mit Mangold eine besonders wichtige Funktion der Grundrechte und ermögliche eine Gesellschaft ohne Uniformität, welche neue Ideen und andere Perspektiven erlaube, »von denen moderne demokratische Gesellschaften leben«.430 Mangold bezichtigt den Staat durch ihre Aussagen, die Normativität als das eigentliche Ordnungsinteresse des Staates zu setzen und so Identitätspolitik als Normierung zu verkennen. Es werde nicht der

426 427 428 429 430

Mangold (2020): S. 2. Mangold (2020): S. 2. Mangold (2020): S. 2f. Vgl. Mangold (2020): S. 3. Mangold (2020): S. 4.

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Versuch unternommen Minderheiten zu schützen, geschweige denn diese aus ihrer Benachteiligung und somit Marginalisierung zu befreien, indem barrierefreie Zugänge zur gleichberechtigten Partizipation geschaffen werden, sondern es sei ein Versuch die Privilegien vieler zu schützen. Einzig fraglich bleibt hier die Wahl des Begriffes »modern«, da im Vergleich zur übrigen prägnanten Wortwahl hier ein Fahnen- und Schlüsselwort gewählt wird, welches keineswegs Rückschlüsse auf ihre Aussage zulässt.431 Anders als die Legislative zeige die Judikative durch ihre Entscheidungen einen verfassungsrechtlichen Lernprozess.432 Hinsichtlich der Einwände, dass ein SelbstBestG die Diskriminierung von Frauen begünstige, bringt Mangold vor, dass eine Diskriminierung nicht nach einem Blick in den Personalausweis erfolge, sondern über eine Zuschreibungspraxis, was ebenfalls das Aberkennen von Frausein umfasst.433 In der Tat sind Sexualisierung (bspw. die Verknüpfung von Körperformen mit sexuell-reproduktiven Eigenschaften) und Desexualisierung (bspw. das Absprechen des weiblichen Geschlechts bei burschikosen oder lesbischen Frauen) zusammen die Grundlage für Benachteiligung, Ausgrenzung oder Gewaltanwendung. Mangold sieht das TSG als Ruine, da so große Anteile als nicht verfassungskonform erklärt wurden, dass von der ursprünglichen Konzeption nichts mehr übrig sei. Auch der Beschluss zum 3. Pers.-St. sei unzureichend, da dieser an einer medizinischen Begutachtungspraxis festhält.434 Gleichzeitig habe aber das BVerfG immer wieder die selbstbestimmte Geschlechtsidentität betont und als »Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung genommen«,435 zudem verweist Mangold auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches jedem Menschen einen autonomen und privaten Lebensbereich zur Entwicklung und Entfaltung der Individualität ermögliche. Weiter werde die Würde des Menschen im Grundgesetz geschützt – eine Würde, die sich in der persönlichen Lebenssphäre konstituiert und dort aufrechterhalten werde. Insbesondere sei dadurch auch die sexuelle Selbstbestimmung geschützt, welche das Finden und Erkennen der geschlechtlichen Identität umfasst. »Die personenrechtliche Eintragung ist für das Individuum einerseits relevant, weil sie, sofern fehlerhaft, die personale Integrität des Individuums beeinträchtigt.«436 Eine Frist zur erneuten Änderung des Geschlechtseintrages lehnt Mangold ab, da eine solche First »keinem ersichtlichem [sic] verfassungsrechtlich legitimen Zweck dient.«437 Die Juristin Ulrike Lembke knüpft an die gesetzlich zugesicherte Würde des Menschen an, welche umfasst, wie ein Mensch »sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird«438 , was durch das Grundrecht auf freie Persönlichkeits-

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432 433 434 435 436 437 438

Mit Fahnenwörtern werden hingegen alle werbewirksamen Wörter bezeichnet, die einem Sachverhalt eine positive Einschätzung verleihen und somit darum bemüht sind, viele AnhängerInnen zu finden. Als Schlüsselwörter werden besonders häufig verwendete Schlag- und Fahnenwörter bezeichnet, welche komplexe Inhalte und Zusammenhänge in einem Wort verdichten und von einer großen gesellschaftlichen Reichweite sind (vgl. Felder [2010]: S. 64). Vgl. Mangold (2020): S. 5. Vgl. Mangold (2020): S. 6. Vgl. Mangold (2020): S. 6. Mangold (2020): S. 7. Mangold (2020): S. 7. Mangold (2020): S. 9. Lembke (2020): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

entfaltung zusätzlich geschützt wird. Die Geschlechtszugehörigkeit, so Lembke, ergebe sich nicht ausschließlich durch die äußeren Geschlechtsmerkmale, sondern wird darüber hinaus durch die selbstempfundene Geschlechtlichkeit und die psychische Konstitution beeinflusst. All dies zusammen müsse in eine korrekte geschlechtliche Adressierung einfließen, da diese ein Grundrecht darstellt.439 Somit benennt Lembke neben dem Geschlechtskörper die Selbstbeschreibung und aktive Auseinandersetzung mit dem Geschlecht, aus welcher die Geschlechtsidentität hervorgehe. Im BVerfG-Beschluss zum 3. Pers.-St. sei nicht nur die Wertschätzung einer biologischen Geschlechtervielfalt hervorzuheben, sondern ebenso die dezidierte Aufforderung zu mehr Diskriminierungsschutz vor allem bezogen auf die Geschlechtsidentität. Wenngleich im Verfahren der Geschlechtskörper intergeschlechtlicher Personen im Vordergrund stand, wurde durch BVerfG die Geschlechtsidentität adressiert: »rechtsdogmatisch neu, wenn auch überfällig, war hingegen die explizite Klärung, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG mit ›Geschlecht‹ auch die Geschlechtsidentität meint.«440 Lembke lehnt unter Bezug auf den Stand der Forschung und der Pflicht zu verfassungsrechtlichem Schutz eine Unterscheidung von biologischem Geschlecht und subjektivem Geschlechtsempfinden ab. Sie erkennt das Geschlechts als komplexes Phänomen, welches »biologisch multifaktoriell und kontingent, soziokulturell geformt und veränderbar, höchstpersönlich und von eminenter sozialer Bedeutung« sei.441 Lembke sieht in der Aufforderung zum Schutz vor Diskriminierung die Pflicht in strukturelle Ausgrenzung und Benachteiligung und somit in gesellschaftliche Machtverhältnisse schützend einzugreifen, wodurch Normen wie die Heteronormativität, welche wissenschaftlich nicht haltbare »Imaginationen von ›Geschlecht‹, als angeboren, eindeutig, dual, komplementär und unveränderbare« juristisch aufgebrochen und bearbeitet werden müsse.442 An die Heteronorm seien (sanktionierende) Erwartungen geknüpft, die vor allem nicht-binär-geschlechtliche Personen und Lebensformen betreffe, welche die ihnen zugewiesene Geschlechterrolle ablehnen, da diese entlang dieser Erwartungen ausgegrenzt würden.443 Gleichzeitig begründe die Heteronorm nicht nur die Benachteiligung von heternorm-nonkonformen Positionen, sondern ebenso das hierarchische Geschlechterverhältnis, welches Frauen in Erfüllung ihrer Geschlechterrolle zwar wertschätze, diese Geschlechterrolle Frauen aber bereits »in der Verteilung wesentlicher Ressourcen«444 benachteiligt. Demnach wäre der Schutz vor Diskriminierung beider marginalisierter Personen, also der nicht-binären und der weiblichen, miteinander zu verschränken: »Das ist eine große Herausforderung an den Gesetzgeber, der er sich jedoch stellen muss.«445 Ferner sei dann zu prüfen, ob die binäre Geschlechtertrennung wirklich in besonderem Maße der Förderung und dem Schutz von Frauen diene oder lediglich »die kostengünstigste staatliche Handlungsform« sei.446 So wären bspw. geschlechtersegregierte Toiletten nicht zwangsläufig sicherer als barrierefreie 439 440 441 442 443 444 445 446

Vgl. Lembke (2020): S. 2. Lembke (2020): S. 3. Lembke (2020): S. 3. Vgl. Lembke (2020): S. 4. Vgl. Lembke (2020): S. 5. Lembke (2020): S. 6. Lembke (2020): S. 7. Vgl. Lembke (2020): S. 9.

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und intimitätsschützende Unisex-Toiletten. Auch im Strafvollzug habe sich bisher eher eine Benachteiligung von Frauen entlang der Segregation ergeben (so bspw. schlechtere Weiter- und Ausbildungsmöglichkeiten, weitere Anreisen für Besucher*innen), besser wäre es dann auf Schutzräume für Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt zu achten, was letztlich nicht an einer gelebten Geschlechterdiversität, sondern an einer knappen Ressourcenausstattung scheitert. Auch ergäben sich kaum mehr geschlechtliche Pflichten; so sei die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, die Wehrpflicht für Männer abgeschafft und das Familien- und Abstammungsrecht entsprechend des novellierten Personenstandes ebenfalls nicht verfassungskonform. Elternschaft sieht Lembke unabhängig vom Geschlecht zu regeln, da nur dies auch die Diskriminierung von intergeschlechtlichen Personen verhindere, »die derzeit rechtlich keine Eltern werden können«,447 und ebenso die Diskriminierung von transgeschlechtlichen Personen aufhebt, da hier das zugesicherte Offenbarungsverbot mit einer mütterlichen bzw. väterlichen Elternschaft kollidiere.448 Das Beibehalten einer Geschlechtsauffassung als biologisch bestimmbar und somit an Körpermerkmale gebunden, werden von der Juristin Lembke als ideologisch bezeichnet. Die Heteronormativität verwirft nicht nur jene, die von der Binarität abweichen, sondern auch jene die dieser entsprechen, jedoch nicht den damit verbundenen Geschlechterrollen entsprechen wollen. Dejure werden also alle Menschen privilegiert, die der Binarität entsprechen – defacto verringert sich die Anzahl dieser Menschen jedoch auf jene, die Männlichkeit körperlich wie rollenspezifisch realisieren. Dies dechiffriert die Ängste der feministischen Position als identitätspolitische Strategie, da hier entlang der Deprivilegierung von nicht-binären Personen jene Menschen privilegiert werden, die der Binarität und ggf. auch der Geschlechterrollenerwartung entsprechen. Besonders kritisiert Lembke, dass das TSG trotz Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz über Jahrzehnte keiner Neuregelung zugeführt wurde und benennt dies als »Schande für den Rechtsstaat«.449 Eine Trennung von inter- und transgeschlechtlichen Personen entlang der Gesetze ist für Lembke nicht zielführend und mit den BVerfG-Beschlüssen zudem unlogisch, da diese eine Unterscheidung von Geschlechtsidentität und Geschlechtskörper ablehnen. Dass beide Gesetzentwürfe – von FDP und Bündnis 90/ Die Grünen – nicht medizinisch akut indizierte genitalverändernde Operationen explizit verbieten, trage ebenfalls der Abkehr von einer Normierung zur kulturellen Zweigeschlechternorm bei.450 Auch entgegne die Formulierung des Verbots von genitalverändernden Operationen an Minderjährigen ohne deren Einwilligung einem »traditionell eher defizitären Verständnis der Einverständnisfähigkeit und -notwendigkeit von Kindern und Jugendlichen« und stärke auf der anderen Seite die jungen Menschen, sofern sie für sich die freie Entscheidung zu einer genitalverändernden Operation fassten.451 Eine Entschädigung sei indessen schon damit begründet, dass intergeschlechtliche Kinder ihren Körper nach den »Imaginationen der Mehrheitsgesellschaft von binären Ge-

447 448 449 450 451

Lembke (2020): S. 11. Vgl. Lembke (2020): S. 12. Lembke (2020): S. 8. Vgl. Lembke (2020): S. 9. Vgl. Lembke (2020): S. 11.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

schlechternormen«452 ausrichten mussten, wobei eine erhebliche Verletzung der Körper zur Durchsetzung von gesellschaftlichen Normvorstellungen in Kauf genommen wurde. Wenngleich es sich bei der Streitfrage um selbstbestimmte genitalverändernde Operationen von Minderjährigen um einen gut gemeinten Paternalismus handelt, ruft diese Diskussion ebenso einen Adultismus hervor. Minderjährigen wird durch Erwachsene die nötige Reife abgesprochen, indem sie darauf beharren, dass diese noch keine gefestigte Persönlichkeit hätten. Dies benachteiligt Minderjährige entlang einer Altersdiskriminierung, welche durch die generelle Aberkennung von Entwicklung und Reife eine Benachteiligung darstellt und deswegen Adultismus genannt wird. Jedoch kann auch nicht pauschal von Bevormundung gesprochen werden, wenn Minderjährige vor übereilter Entscheidung geschützt werden sollen, vor allem nicht, wenn die Wünsche der Minderjährigen anerkannt werden. Werden die Wünsche jedoch als unreif stigmatisiert, verweist dies auf ein Macht-/Hierarchieverhältnis, also auf eine asymmetrische Beziehung, welche im Diskurs deutlich zu erkennen ist, wenn bspw. Psycholg*innen und Mediziner*innen auf ihre befähigende Qualifizierung verweisen, entlang derer sie wahrhafte Entscheidungen treffen oder unterstützen können. Jeder Paternalismus greift somit in die Autonomie und somit auch in die Handlungsfähigkeit ein, da Personen abgesprochen wird eigene Entscheidungen treffen zu können und sie davon entweder abgehalten werden oder diese nur unter Anleitung vollziehen sollen. Statt Anerkennung bedient Paternalismus das Toleranzkonzept, indem mittels einer Duldung die machtvolle Position des duldenden herausgestellt wird. Der Rechtswissenschaftler Florian Becker benennt die Geschlechtsidentität in ihrer Bildung als nicht statischen Prozess, wodurch er eine rechtliche Anerkennung der Selbstführung in der Rechtsordnung fordert. Dies untermauert Becker entlang einer parlamentarischen Versammlung des Europarates, welcher dazu aufforderte »schnelle, transparente und zugängliche Verfahren für die Änderung von Namen und Geschlecht im Personenstandrecht zu entwickeln, die auf dem Prinzip der Selbstbestimmung basieren«.453 Der Personenstand hat nach Becker die Funktion – »Solange die Rechts- und insbesondere die Verfassungsordnung anknüpfend an die formale Geschlechtszuordnung einer Person präzisierte Rechte und Pflichten bestimmt«454 – die Geschlechtszugehörigkeit zu beurkunden. Zusätzlich muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass seine Ordnungskategorie Stabilität besitzt. Dies sei das Grundargument, warum Beliebigkeit und vorschnelle oder häufige PÄ verhindert werden sollen. Becker formuliert darüber hinaus jedoch auch die Annahme, dass die Geschlechtskategorie auch beliebig werde, wenn das personenstandsrechtliche Geschlecht und die Geschlechtsidentität oder die geschlechtliche soziale Rolle auseinanderfallen, da so eine Divergenz entstünde. Die vom BVerfG bestätigte Stabilitätsfunktion lasse sich jedoch nicht auf die Stabilität des Geschlechts per se beziehen. Dennoch hält Becker die Forderung des Gesetzgebers nach Dauerhaftigkeit des Geschlechtsempfindens für berechtigt, weil dies erst das Recht auf eine adäquate rechtliche Geschlechtsklassifizierung – welche der eigenen Zuordnung

452 Lembke (2020): S. 13. 453 Becker (2020): S. 3. Die Versammlung fand mit den EU-Staaten statt und führte zu einer rechtlich nicht bindenden Resolution (Nr. 2048 vom 22. April 2015). 454 Becker (2020): S. 4.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

entspricht – ermögliche. Deswegen plädiert auch Becker für eine Fristregelung, bevor der Personenstand erneut gewechselt werden kann.455 Becker kritisiert auch, dass alle rechtstaatlichen Hürden für die PÄ wegfallen, da im Zuge der gesetzlich verankerten Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau einem Missbrauch rechtlich Tür und Tor geöffnet werde. So könnten sich Personen durch eine PÄ Fördermaßnahmen der Gleichstellung zu eigen machen oder sich durch die freie Verfügbarkeit von Rollen Schutzmaßnahmen aneignen, bspw. den Mutterschutz.456 All das würde den Gesetzgeber dazu verpflichten einen Nachweis über die Ernsthaftigkeit des Anliegens zu fordern.457 In diesem Zusammenhang hält Becker sowohl eine Pflichtberatung oder aber Wartezeiten als auch eine Begutachtung für gleichermaßen angemessen. Vor allem im letzteren Fall müsse der Gesetzgeber jedoch »solide Standards zur Sicherung der Qualität der Begutachtung« vorgeben.458 Becker erkennt vor allem in den Wartefristen für einen erneuten Wechsel des Personenstandes eine ausreichende Wirkung gegen missbräuchliche Antragsstellungen. Die Gutachten sollten sich an den Grundrechten der zu Begutachtenden orientieren und nicht an dem Normverständnis der Gutachter*innen. Eine weitere Kritik übt Becker daran, dass die Geburtsurkunde eines Kindes, dessen Elternteil eine PÄ vollzogen hat, mit dem neuen Personenstand ausgestellt bzw. geändert wird.459 Die Kritik bezieht Becker auf die rechtliche Inkonsequenz, da die §§ 1591 und 1592, welche eine familienrechtliche Zuordnung vornehmen, dann der Geburtsurkunde widersprechen.460 Hier erkennt Becker ein Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des Kindes und dem Recht des Elternteils. Auf der einen Seite werde das Recht auf die Kenntnis auf eigene Abstammung missachtet, auf der anderen Seite das Recht auf das

455 456 457 458 459 460

Vgl. Becker (2020): S. 5. Vgl. Becker (2020): S. 6; 8. Vgl. Becker (2020): S. 8. Becker (2020): S. 9. Vgl. Becker (2020): S. 7. »Der Gesetzgeber verfolge ein berechtigtes Anliegen, wenn er ausschließen wolle, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechterverständnis widersprechen und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung haben würde. Kinder sollten ihren biologischen Eltern vielmehr rechtlich so zugewiesen werden, dass ihre Abstammung nicht im Widerspruch zu ihrer biologischen Zeugung auf zwei rechtliche Mütter oder Väter zurückgeführt werden könne. […] Deshalb führt eine Geburtsurkunde, in der eine männliche Person als einziger Elternteil eines in Deutschland geborenen Kindes angegeben ist, unvermeidbar zu Spekulationen darüber, warum es (vermeintlich) keine Person gibt, die dieses Kind geboren hat, und damit auch zu möglichen, wenn nicht sogar naheliegenden Rückschlüssen auf die Transsexualität des in der Geburtsurkunde angegebenen Elternteils« (Bundesgerichtshof (2017)). Letzteres ergibt sich allein schon durch eine Ablage des Neugeborenen in einer Babyklappe. Art. 6 Abs. 4 GG besagt darüber hinaus »Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gesellschaft«, auch dieser Paragraph müsste geändert werden, sofern das BGB den Wortlaut Vater-/Mutterschaft in Elternschaft ändert. (Art. 6 Abs. 4 GG; Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_6.html) Auch das wäre zu begrüßen, da eine gesellschaftliche Anerkennung der Vaterrolle und Absicherung dieser dazu führen könnte, dass mehr Väter für sich die Elternzeit beanspruchen.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Offenbarungsverbot.461 Mutterschaft wird unter dem § 1591 BGB462 , als die Eigenschaft einer Frau, die ein Kind geboren hat definiert, während unter § 1592 BGB463 , die Eigenschaft der Vaterschaft weitreichender gekennzeichnet wird: »1. der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, 2. der die Vaterschaft anerkannt hat oder 3. dessen Vaterschaft nach § 1600d oder § 182 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerichtlich festgestellt ist.« Wenn das SelbstBestG umgesetzt wird, wäre eine Änderung der §§ 1591 und 1592 BGB zwingend nötig. Es muss dazu festgestellt werden, dass Mutter- wie Vaterschaft selbst keine Geschlechtskategorien beschreiben, aber als Geschlechterrollen in einem wechselseitigen Verhältnis zu den Geschlechtskategorien stehen und somit eine Divergenz von Rolle und Kategorie die PÄ offenbaren würde, was mit dem § 4 SelbstBestG verboten ist. Darüber hinaus werden auch gleichgeschlechtliche Ehen mit dem § 1592 BGB diskriminiert, weil jene Frauen, die kein Kind gebären, nicht automatisch – wie Ehemänner eine Vaterschaft laut § 1592 BGB – die Mutterschaft erhalten. Im Fall des § 1592 BGB ist die biologische Abstammung nicht verifizierbar, da eine Ehe lediglich als Vertrag zwischen zwei Menschen zu verstehen ist, jedoch kein Garant für die Zeugung eines Kindes darstellt oder gewährleistet, dass die Zeugung zwischen den beiden Ehepartner*innen geschehen ist. Dem Recht des Kindes auf Kenntnis über die eigene Abstammung nachzukommen und die Elternschaft rechtlich festzuhalten, wäre auch anders nachzukommen, bspw. durch die urkundlichen Kategorien »Abstammung 1« und »Abstammung 2« und die Elternschaft, welche nicht nur zwei Personen umfassen muss, sondern auf X erweiterbar ist. Das Spannungsverhältnis zwischen den Rechtsinhabern Kind und Elternteil wäre so gelöst. Die Rechtswissenschaftlerin Laura Adamitz betont die Notwendigkeit der Änderung des Geschlechtseintrages auf der Geburtsurkunde des Kindes, da dies in der Alltagspraxis vor unfreiwilliger Offenbarung und Diskriminierung schützt. Solange die Geburtsurkunde als Nachweis für die Elternschaft und somit die Handlungsfähigkeit in Entscheidungsprozessen, die das Kind betreffen, gefordert wird, gleichzeitig aber von den Ausweispapieren divergente Angaben enthält, wäre ein reibungsloser familiärer Alltag nicht möglich.464 Adamitz findet vor allem für die obligate Forderung nach einer Entschädigungsleistung klare Worte: »Zwangssterilisationen und erzwungene Angleichungsmaßnahmen, sowie die: Zwangsscheidungen sind massive Grundrechtsverletzungen, deren Ausmaß nach der vorhandenen Datenlage nur ansatzweise geschätzt werden kann.«465 Der Gesetzgeber habe durch seine menschenrechtswidrigen Regelungen viel Leid verursacht, wobei hier vollkommen irrelevant ist, ob dieses mittel- oder unmittelbar hervorgerufen wurde.

461 Vgl. Becker (2020): S. 7. 462 § 1591 BGB. Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1591.html (letzter Zugriff: 10.10.2022). 463 § 1592 BGB. Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1592.html (letzter Zugriff: 10.10.2022). 464 Vgl. Adamietz (2020): S. 1. 465 Adamietz (2020): S. 3.

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Nach Entgegennahme der Stellungnahmen wurden durch die Parteien Expert*innen zwecks Befragung in die Bundestagssitzung eingeladen. Bei der Vorsprache im Bundestag machen Laura Adamietz und Ulrike Lembke erneut deutlich, dass sowohl BVerfG als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigen, dass der Geschlechtseintrag mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen muss,466 und zudem gilt seit 2017 in Deutschland eine Drei-Geschlechterordnung, wodurch jede Äußerung, dass nur zwei Geschlechter existieren, die Schwelle zur Demokratiefeindlichkeit übertritt, indem eine demokratisch konsensuell getroffene Ordnung ignoriert wird. Adamietz geht gezielt auf die geäußerten vermeintlichen Ängste ein und konstatiert: »Bedenken, die hier teilweise geäußert werden, scheinen mir Ausdruck von Ängsten und Sorgen zu sein, denen mit dieser Regelungsmaterie beigekommen werden kann. Der Schutz, den Umkleideräume selbstverständlich und berechtigterweise bieten sollen, ist nicht abhängig von Verfahrensvorschriften über die Änderung des Personenstandseintrags. Denn an der Tür zur Umkleide wird weder die Geburtsurkunde noch der Reisepass vorgezeigt.«467 Ulrike Lembke schließt daran an und bekräftigt die Vorausredner*in: »Die Ängste, die hier in gewisser Weise in Stellungnahmen geäußert wurden, sind für mich eher befremdlich. Sie finden jedenfalls keine verfassungsrechtliche Grundlage, das habe ich gerade erläutert. Und mir scheint eher, dass hier ein Kampf um Ressourcen inszeniert wird, wie er sehr häufig vorkommt, wenn diskriminierte Gruppen vielleicht doch einmal Fortschritte erreichen sollen. Da kann ich nur empfehlen: Solidarisches Handeln führt meistens weiter als der Streit marginalisierter Gruppen um zu knappe Ressourcen.«468 Die zu knappen Ressourcen seien unterdessen entlang der binären Heteronorm als differenz-erzeugendes Verhältnis auch Träger eines hierarchischen Machtverhältnisses, in dem »Weiblichkeit zwar wertgeschätzt, aber die Verteilung wesentlicher Ressourcen wie Arbeitszeit, Geld, körperliche Integrität und Selbstbestimmung sowie kulturelles Kapital und Anerkennung […] strukturell zum Nachteil von Frauen statt[findet].«469 Alexander Korte betont auch in der Bundestagsbefragung, dass er »als einziger Vertreter« seiner »Zunft« die Fragen beantworten könne,470 womit er implizit ein Missverhältnis andeutet, dass nur er als Mediziner nebst drei Rechtswissenschaftler*innen Fakten in Bezug auf das Geschlecht liefern könne. Mangold erkennt die Strategie, der impliziten Andeutung und äußert sich wie folgt: »Dr. Korte eben vorgetragen hat, dass hier eine rechtliche Aufgabe gar nicht vorläge, so ist das eine Selbstüberheblichkeit der Medizin, die der Fehleinschätzung unterliegt, dass die Medizin und Psychiatrie hier ein besonderes Bestimmungsrecht über Perso-

466 467 468 469 470

Vgl. Deutscher Bundestag (2020b): S. 7; S. 13. Deutscher Bundestag (2020b): S. 7. Deutscher Bundestag (2020b): S. 15. Deutscher Bundestag (2020b): S. 14. Deutscher Bundestag (2020b): S. 10.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

nen hätten, das jedoch diesen nur aufgrund rechtlicher Delegation überhaupt zugeordnet ist und selbstverständlich jederzeit zurückgeholt werden kann.«471 Auf die Rückfrage des Bundestagsabgeordneten Henrichmann, ob Korte die vermeintlich wachsende Zahl junger Frauen, die »meinen« transgeschlechtlich zu sein, jedoch aus Kortes Sicht mit der Geschlechterrolle hadern, konkretisieren kann,472 erwidert Korte, dass diese ein Fakt seien und es unzählige Studien gebe – eine oder zwei davon zu benennen, geschweige denn Zahlen zu präsentieren, darauf verzichtet Korte.473 Lembke spricht hinsichtlich Korte von einem Herrschaftsimpetus und bezeichnet die Aussagen Kortes – die vorwiegend junge transgeschlechtliche Frauen betreffen – als Pathologisierungen und »Belehrungen von Frauen, die sich expertis« in der Öffentlichkeit äußern.474 Auf die Rückfrage der Bundestagsabgeordneten von Storch, wie Kortes persönlichen Erfahrungen mit Jugendlichen sind, die sich »verwandelt haben und sich wieder zurück verwandeln wollen«,475 antwortet Korte ausweichend, dass dies »nicht ganz eindeutig zu sagen [ist], weil die nicht systematisch erfasst werden. Ich räume allerdings gern ein, dass die Zahl nicht sehr hoch ist, was allerdings auch daran liegen könnte, dass bislang die Anforderungen, also die Hürden, relativ hoch waren« und sich die Zahlen mit dem SelbstBestG vermutlich erhöhen werden.476 Auch Kalle Hümpfner geht auf Kortes Antworten in seinem Beitrag ein und betont, »weniger als ein Prozent der Personen geben eine Folgeerklärung ab«, zudem könnten neue Zahlen im Zuge des SelbstBestG keine Auskunft über eine Änderung geben, da im Vergleich zum TSG eben keine Hürden wie die genitalangleichende Operation oder dauerhafte Unfruchtbarkeit mehr gefordert werden, sondern mit Änderung des Geschlechtseintrages diese Änderung ohne irreversible Schäden leicht rückgängig zu machen wären.477 Auf die Rückfrage des Bundestagsabgeordneten Brunner, ab welchem Zeitpunkt bzw. Alter ein Mensch einsichtsfähig ist, zu erkennen »wer er ist und wie er leben will?«, da bzgl. Der Religionszugehörigkeit ein 14-jähriger junger Mensch vor dem Standesamt eine Änderung selbstständig beantragen könne,478 schlussfolgert Korte, dass er dies »eben nicht am kalendarischen Alter festmachen [kann], sondern am individuellen Entwicklungsstand des Betroffenen«,479 weshalb es Menschen mit der Expertise und Qualifikation wie ihn bedürfe, die das beurteilen können. Mit dieser Antwort weicht Korte dem von Brunner vorgenommenen Vergleich mit anderen identitätsstiftenden Elementen wie der Religionszugehörigkeit aus. Korte konnte auf keine Rückfrage bzgl. seiner vermeintlich faktenbasierten Bedenken eben jene Fakten präsentieren und wich den Fragen aus oder gab an, keine validen Daten zu besitzen.

471 472 473 474 475 476 477 478 479

Deutscher Bundestag (2020b): S. 17. Vgl. Deutscher Bundestag (2020b): S. 17. Vgl. Deutscher Bundestag (2020b): S. 23. Deutscher Bundestag (2020b): S. 23. Deutscher Bundestag (2020b): S. 27. Deutscher Bundestag (2020b): S. 31. Vgl. Deutscher Bundestag (2020b): S. 32. Deutscher Bundestag (2020b): S. 28. Deutscher Bundestag (2020b): S. 31.

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4.1.5 Positionen zum »Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags« Vor der Veröffentlichung der Gesetzentwürfe SelbstBestG und GiG wurde bereits ein Gesetzentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags (2019) von der regierungsbildenden Koalition bestehend aus CDU/CSU und der SPD vorgelegt. Nach dem Scheitern der Gesetzentwürfe von Bündnis 90/die Grünen und FDP legte die regierungsbildende Koalition 2021 erneut eine überarbeitete Version ihres Gesetzentwurfes vor. Beide Gesetzentwürfe sowie die Stellungnahmen sollen im Folgenden eine Kurzdarstellung erfahren und in die Analyse einbezogen werden.

Gesetzentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags (2019) Im Jahr 2019 veröffentlichte das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Referentenentwurf »Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrages«, welcher sowohl die PÄ für transgeschlechtliche Personen als auch die rechtliche Geschlechtsklassifizierung von intergeschlechtlichen Personen regeln soll. Statt einer eigenen Gesetzgebung wie dem TSG nimmt der Referentenentwurf eine Änderung des BGB vor und verortet dort das »Gesetz zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags«. Den Änderungsbedarf begründen die Ministerien mit dem Urteil des BVerfG, welches das TSG in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Eine Verbindung der gesetzlichen Regelungen für inter- und transgeschlechtliche Personen wird als Versuch der Angleichung beschrieben »soweit dies aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituationen der beiden Personenkreise möglich und geboten erscheint.«480 Die Verortung im BGB wird damit begründet, dass »viele Betroffene den bisherigen Regelungsstandort im TSG – einem Sondergesetz – als diskriminierend empfanden«.481 Im Folgenden wird die Darstellung des Gesetzentwurfs analog zum Inhalt in zwei Teile zerlegt; die Darstellung der Regelungen für trans- und jene Regelungen für intergeschlechtliche Personen. Für intergeschlechtliche Personen, welche unter § 18 als »Personen mit einer angeborenen Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale«482 definiert werden, soll (ähnlich dem § 45b PStG) eine ärztliche Bescheinigung oder – falls die dafür benötigte Untersuchung unzumutbar ist – eine eidesstattliche Versicherung abgegeben werden, um beim Standesamt eine PÄ zu erwirken. Diese gesetzliche Regelung bindet die Geschlechtszuordnung an die körperlichen Geschlechtsmerkmale, welche als »die das Geschlecht bestimmenden Erbanlagen, die hormonalen Anlagen und das Genitale anzusehen«483 sind. Auch intergeschlechtliche Personen haben ein Recht auf eine Beratung, bevor sie personenstandrechtliche Wege beschreiten, jedoch ist diese Beratung 480 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 1. 481 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 1. 482 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 4. 483 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 4.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

nicht verpflichtend.484 Für transgeschlechtliche Personen, welche als Personen definiert werden, »deren Geschlechtsidentität von ihrem eindeutig weiblichen oder männlichen Körperbild abweicht«,485 wird für eine PÄ eine Beratung gefordert, welche mit einer Bescheinigung inklusive Begründung die ursprünglichen zwei Gutachten des TSG ersetzen soll. Die Bescheinigung muss Auskunft darüber geben, ob sich die Person dauerhaft und ernsthaft »nicht dem für sie eingetragenen Geschlecht, sondern einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfinde, mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden […] nicht mehr ändern wird«.486 Die Beratung darf ausschließlich von Menschen mit entsprechender Qualifikation, laut Referentenentwurf Ärzt*innen und Psycholog*innen, durchgeführt werden. Im Rahmen dessen soll das Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz (GIBG-E) eingeführt werden. Die eigentliche PÄ soll weiterhin mittels Gerichtsverfahren vollzogen werden. Der Anspruch auf Beratung ist ebenfalls nicht einheitlich geregelt, sondern unterscheidet sich hinsichtlich der Verpflichtung und Qualifikation der Beratenden. Ausschließlich transgeschlechtliche Personen sind zu der obligatorischen Beratung verpflichtet und müssen diese bescheinigen lassen. Beratende müssen in diesem Fall »aufgrund ihrer ärztlichen, psychologischen oder psychotherapeutischen Berufsqualifikation und beruflichen Erfahrungen mit den Besonderheiten der Transgeschlechtlichkeit ausreichend vertraut« sein.487 Neben der Aufklärung sollen vor allem die Folgen und Risiken in der Beratung besprochen werden, was dem Ziel folgt, den beratenen Personen die Tragweite der Entscheidung zu verdeutlichen. Die Beratung muss die Transgeschlechtlichkeit abschließend glaubhaft bescheinigen. Die Wortwahl der Beratung ist in diesem Sinne ein Euphemismus, da Beratung das Erteilen eines Rates umfasst und somit keine Begutachtung, welche der Gesetzgeber nun aber unter § 4 GIBG-E fordert: »Der Berater hat sich in der Bescheinigung auch darüber zu erklären, ob sich die Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zu dem anderen der keinem Geschlecht nicht mehr ändern wird. Die Erklärung ist zu begründen.«488 Dass es sich hierbei um eine Attestierung von Transgeschlechtlichkeit handelt, ergibt sich aus der Definition von Transgeschlechtlichkeit in § 19.489 Beratungsstellen für intergeschlechtliche Personen hingegen sind nicht an die oben genannte Qualifizierung der Beratenden gebunden und die Beratung selbst ist optional. Ein Anspruch auf eine kostenfreie Beratung wird vor einem Gerichtsverfahren

484 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 19. 485 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 5. 486 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 5. 487 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 14. 488 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 30. 489 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 5.

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bzw. dem Änderungsantrag auf dem Standesamt ermöglicht, allerdings bezieht sich die Beratung ausschließlich auf inter- und transgeschlechtliche Menschen,490 nicht aber auf nicht-binär-, a- oder cisgeschlechtliche Personen. Es ist somit unklar, ob das GIBGE auch von Menschen genutzt werden kann, die zwar eine Geschlechtsidentität besitzen, sich aber nicht als inter- bzw. transgeschlechtlich definieren. Beide PÄ-Optionen stehen Personen ab 14 Jahren offen, geschäftsunfähige Kinder können durch ihre gesetzlichen Vertreter*innen oder durch das Familiengericht einen Antrag auf Änderung stellen.491 Das Alter von 14 Jahren wird mit der Persönlichkeitsentwicklung begründet und eingeräumt, dass es auch ab dem 14. Lebensjahr geschäftsunfähige Kinder geben kann.492 Das Offenbarungsverbot unter § 45b soll Personen nach einer PÄ davor schützen, dass die vormals klassifizierte Geschlechtszugehörigkeit nicht ohne Zustimmung ausgeforscht oder offenbart wird. Diese Regelung wird eingegrenzt, wenn »besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird«.493 Welches Interesse die Offenbarung rechtfertigt, wird nicht genauer bestimmt. Weiter wird die Möglichkeit der Berichtigung des Geschlechtseintrags alter Dokumente auf amtliche Dokumente beschränkt. Ehegatten, Eltern, Großeltern und Kinder sind unterdessen nicht dazu verpflichtet, den geänderten Personenstand oder Vornamen anzugeben, es sei denn, es handle sich um amtliche Zeugnisse bzw. um Rechtsverkehr. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird von einer Vereinfachung der gesetzlichen Änderung des Geschlechtseintrages gesprochen und die Notwendigkeit des Personenstandsregisters entlang des öffentlichen Interesses legitimiert. Weiter wird von einem eindeutigen Geschlecht gesprochen, von welchem trans- wie intergeschlechtliche Menschen abweichen.494 Entlang dieser Explikation folgt die Konklusion, dass transgeschlechtliche Menschen mit ihrer Geschlechtsidentität von dem eindeutig weiblichen oder männlichen Körperbild abweichen und intergeschlechtliche Menschen ein uneindeutiges weder weibliches noch männliches Körperbild haben.495 Beide werden rechtlich unterschiedlich anerkannt; während letztere entlang einer biologistischen Essentialisierung als eigenständiges Geschlecht anerkannt werden, folgt für erstere ausschließlich die Anerkennung ihres Wunsches nach Selbstbestimmung über den eigenen Geschlechtseintrag, welche jedoch an einige Hürden zur Erreichung gebunden wird. Weiter wird der Referentenentwurf im Besonderen Teil widersprüchlich; hier wird die Be-

490 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 29. 491 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 6. 492 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 25. 493 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 8. 494 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 16. 495 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 17.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

gutachtung von zwei Sachverständigen im Rahmen des TSG aus dem Grund abgeschafft, dass sie von den Antragstellenden einer PÄ als »entwürdigend und diskriminierend« empfunden wurden, jedoch wird eine Zeile weiter die nun angestrebte Beratung an dieselben Anforderungen geknüpft. Sowohl die Qualifizierung als auch die Bescheinigung der Transgeschlechtlichkeit bleiben die Gleichen.496 Dass ein gebärender Mann als Mutter einzutragen ist und eine zeugende Frau als Vater, wird als fortschrittlich bezeichnet (Verweis auf die Formulierung »auch jetzt schon«) und gleichzeitig als unüblich (Verweis auf die Formulierung »ausnahmsweise«) herabgesetzt. Dass transgeschlechtliche Personen Kinder gebären bzw. zeugen wird als unüblich empfunden, weil die Annahme auf dem Vorurteil beruht, dass transgeschlechtliche Menschen ihren Körper bzw. den Geschlechtskörper in der Regel ablehnen und die Fortpflanzung ausschließlich in Verschränkung von Geschlecht und Sexualität wahrgenommen wird. Wie im Theoriekapitel entlang der Diskussion um die Begrifflichkeiten Transgender und Transsex aufgezeigt, ist das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit vielfältig. Viele Vorurteile im Alltagsverständnis resultieren aus der jahrzehntelangen gesetzlichen Verpflichtung, die eine dauerhafte Unfruchtbarkeit und eine operative Geschlechtsangleichung vorschrieb, wodurch das Kindergebären bzw. -zeugen für transgeschlechtliche Menschen gesetzlich verunmöglicht wurde. Weiter werden die Kategorien Vater/Mutter durch diese Gesetzgebung zu Geschlechtskategorien, obwohl sie genau wie Männlichkeit/Weiblichkeit gesellschaftliche (Geschlechter-)Rollen darstellen. Im Besonderen Teil wird von dem Empfinden gesprochen, dem anderen Geschlecht anzugehören.497 Das Wort Empfinden verweist auf ein Gefühl, das vor allem dem Inneren entspricht und in der Regel nicht von weiteren Personen verifizierbar ist. Eine andere Formulierung wäre möglich, wenn gesagt wird, die Person »ist« dem anderen Geschlecht zugehörig, da so die geschlechtliche Identifikation auch sprachlich im Außen wahrgenommen und anerkannt wird. Das Deklassieren der Selbstbeschreibung und Identifikation findet an einer weiteren Stelle Eingang. So sollen künftig die Ehegatt*innen zur Anhörung vor dem Gericht erscheinen, um mit ihrer Aussage »Tatsachen zum Verfahrensgegenstand« beizutragen.498 Wenngleich es sich um eine Soll-Vorschrift handelt und somit nicht eingehalten werden muss, wird hier durch die Formulierung erneut die Zuschreibung über die Selbstbeschreibung gestellt. Keiner der Stellungnahmen ist aufgefallen, dass eine weitere bemerkenswerte Differenzierung vorgenommen wird, die ebenfalls einen Biologismus trägt. Unter § 20 steht im Wortlaut: »Die Änderung des Geschlechtseintrags lässt das Rechtsverhältnis zwischen der eingetragenen Person und ihren Kindern unberührt, bei angenommenen Kindern jedoch nur, soweit diese vor der Änderung des Geschlechtseintrages als Kind angenommen worden sind.«499 Während für zukünftige leibliche Kinder immer das 496 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 23. 497 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 23. 498 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 28. 499 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 5.

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traditionelle Rechtsverhältnis mit biologistisch begründeter Vater- respektive Mutterschaft vorgesehen wird, kann bei künftigen nicht-leiblichen, d.h. adoptierten Kindern, die Vater- bzw. Mutterschaft entsprechend der Geschlechtsidentität angenommen werden. Diese Ungleichbehandlung stützt nicht nur den Biologismus in der rechtlichen Geschlechterwahrnehmung, sondern stellt rechtlich ebenso zweiklassige Mündel her. Dabei ist vollkommen belanglos, ob diese Ungleichbehandlung entlang des Rechts auf Abstammung vorgenommen wird. Durch das GIBG-E kommt es zu einer unterschiedlichen Förderung der Beratungslandschaft, da Berater*innen-Tätigkeiten im Rahmen einer PÄ von transgeschlechtlichen Personen eine höhere und spezifizierte Qualifizierung der Beratenden voraussetzt und zudem besser entlohnt wird.500 Es ist anzunehmen, dass sich dadurch die Beratungslandschaft auf Dauer ändern wird und langfristig offene Beratungsstellen wegfallen werden.

Stellungnahmen Trans*Recht e. V. verweist auf die kurze Bearbeitungszeit, um eine Stellungnahme zu verfassen (72h) und sehen dies vor allem kritisch, da es sich um ein Mantelgesetz handelt, mit welchem insgesamt 12 Bundesgesetze geändert werden müssten, woraus sich ein erheblicher Strukturwandel ergebe. Die erste Kritik erfolgt gegenüber der medizinischen Attestpflicht für intergeschlechtliche Personen, in welcher Trans*Recht e. V. eine Pathologisierung und Stigmatisierung erkennt.501 Auch die Neuregelung mit einer Bescheinigungspflicht von der verpflichtenden Beratung transgeschlechtlicher Personen wird scharf kritisiert, als Gate Keeping bezeichnet und entlang dessen der Vorwurf formuliert, dass die Beratung nicht ergebnisoffen sei und nur eine »beschönigende Umschreibung« für die Gutachtenpflicht aus dem TSG. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass durch die geforderte Qualifizierung als medizinisches Personal ein Ausschluss von psychosozialen Fachkräften erfolgt. Besonders negativ wird das Beibehalten des gerichtlichen Verfahrens für eine PÄ/VÄ betrachtet: »Die Verfahren bleiben damit nicht nur weiterhin langwierig und hochschwellig, sondern sind trotz Wegfall der Begutachtungskosten immer noch um ein Vielfaches teurer und komplexer als die vergleichbaren Verfahren für intergeschlechtliche Menschen.« Die daraus hervorgehenden unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben für inter- und transgeschlechtliche Personen sind für Trans*Recht e. V. nicht nachvollziehbar und stellen eine illegitime Ungleichbehandlung dar.502 Trans*Recht e. V. schlägt daher vor, beide Verfahren über das Standesamt laufen zu lassen und auf eine inhaltliche Prüfung oder abzugebende Erklärung zu verzichten, da jede Auflage als Hürde das Selbstbestimmungsrecht einschränkt. »Übereilte Entscheidungen« oder eine »Missbrauchsgefahr« reichen als Begründung nach Trans*Recht e. V. nicht aus, da Studien mehrfach aufzeigen konnten, dass es einen sehr geringen Missbrauch gibt und ebenso wenige Desister. Als Desister (Desisting gender dysphoria) werden transgeschlechtliche Personen bezeichnet, die

500 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 21. 501 Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 1. 502 Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

ihre Geschlechtstransition stoppen oder rückgängig machen wollen. Darunter fallen sowohl jene, die das körperliche Passing abbrechen, als auch jene, welche die PÄ rückgängig machen wollen. Zudem vergleicht die Stellungnahme in diesem Zusammenhang den Referentenentwurf mit anderen Gesetzen, bspw. dem Gesetz der Eheschließung, bei der ebenfalls eine Namensänderung vollzogen würde und es zu einem erheblich höherem Missbrauchsrisiko kommt und zudem eine recht hohe Scheidungsquote auf übereilte Entscheidungen verweist, in diesem Fall jedoch auf Hürden im Vorfeld der Eheschließung verzichtet werde.503 Begrüßt wird die Öffnung des Geschlechtseintrags »divers« oder »ohne Angaben« für transgeschlechtliche Personen. Auch die gesetzliche Formulierung mit dem Begriff »Geschlechtszugehörigkeit« sowie die Möglichkeit, dass nun auch Menschen ohne deutsche Staatsbürger*innenschaft das Gesetzgebungsverfahren in Anspruch nehmen können, findet Zustimmung. Ebenfalls positiv wird die Regelung gesehen, dass bereits 14-Jährige antragsberechtigt sind. Ebenso positiv wird das Vorhaben gesehen, eine bundesweite Beratungsstruktur zu schaffen.504 Die verpflichtende Beratung dient jedoch vornehmlich zur Feststellung der Transgeschlechtlichkeit, erhält so eine staatliche Kontrollfunktion und wird aus diesem Grund kritisiert. Beratung sollte Menschen in ihrer Entscheidung unterstützen und emotional Stärken, statt diese zu überwachen. Eine Zwangsberatung hingegen erschwere die Vertrauensbildung zwischen Ratsuchenden und Berater*innen. Fragen und Sorgen seien so nicht offen aussprechbar, aus Angst eine negative Bewertung auf der Bescheinigung zu erhalten: »Dieses Abhängigkeitsverhältnis macht eine echte Beratung – klientenzentriert, lösungsorientiert und auf Augenhöhe – unmöglich.«505 Sollte von staatlicher Seite weiterhin an einer Beratung festgehalten werden, so solle sich diese nach Trans*Recht e. V. am Vorbild der Schwangerschaftskonfliktberatung orientieren und ausschließlich bescheinigt werden, dass die Beratung stattgefunden hat. Die Beschränkung auf medizinisches Personal zur Beratung wird umfassend abgelehnt, da es so erneut zu einer Stigmatisierung bzw. Pathologisierung komme.506 Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Kinder bzw. Jugendliche ab 14 Jahren eines gesetzlichen Vormunds bedürfen, um den Antrag auf VÄ/PÄ zu beantragen. Da Menschen ab dem Alter des 14. Lebensjahrs strafmündig sind, sollten sie nach Trans*Recht e. V. auch »geschlechtsmündig« sein.507 Auch die Regelungen der Elternschaft werden problematisiert, da sie zwangsläufig zu einer Offenbarung der Transgeschlechtlichkeit führen, sobald die Sorgeberechtigung nachgewiesen werden muss. Auch an Grenzübergängen entstehe eine besonders heikle Situation, da hier zudem eine amtliche Übersetzung der VÄ/PÄ erforderlich wird: »Damit sind er [transgeschlechtliche Antragssteller*in] und sein Kind einer nicht überschaubaren Zahl von Diskriminierungspotenzialen ausgesetzt.«508 Gebärende Männer sollen nach Trans*Recht e. V. das Recht erhalten als Väter eingetragen zu werden und zeugende Frauen als Mütter. Kritisch wird auch das Offenbarungsverbot

503 504 505 506 507 508

Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 3. Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 2. Trans*Recht e. V. (2019): S. 4. Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 5. Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 5. Trans*Recht e. V. (2019): S. 6.

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betrachtet, da es nur die Umschrift amtlicher Dokumente verbindlich regelt und Verstöße nicht sanktionsfähig seien. In Kritik steht somit, dass der Gesetzentwurf verpasst eine entsprechende Sanktion bzw. Strafe zu formulieren.509 Weiter sei die Anhörung der Ehegatt*innen abzulehnen, da die eigene Geschlechtsidentität schützenswerter sei als entgegenstehende Interessen von Ehepartner*innen, denen durchaus dann das Recht auf Scheidung einzuräumen sei:510 »Auch die Instrumentalisierung von unterstützenden Ehepartner_innen zum Zwecke der staatlichen Kontrolle von Geschlecht ist ein unzumutbarer Eingriff in das Privat- und Familienleben, der mit dem bereits ungerechtfertigten Interesse des Staates auf zusätzlichen Informationsgewinn nicht zu legitimieren [ist].«511 Auch die Wartefrist von drei Jahren nach einer Ablehnung oder erneuten Änderung wird abgelehnt.512 Abschließend problematisiert Trans*Recht e. V. die Verwendung falscher Begriffsdefinitionen, da der Begriff »Körperbild« nicht den physischen Körper, sondern »die psychische Vorstellung vom eigenen Körper« umfasst. Ist eine Transition weit fortgeschritten, entspricht das Körperbild eher dem Identitätsgeschlecht, als dem bei der Geburt entlang des Körpergeschlechtes zugeschriebenen Geschlechts: »Bei wörtlicher Auslegung des Entwurfstextes wären transgeschlechtliche Personen nach einer medizinischen Transition nicht mehr trans* und dürften auch keine VÄ/PÄ mehr vornehmen.«513 Trans*Recht e. V. fordert die Formulierungsfehler zu beheben und bestenfalls gänzlich auf eine Definition von Trans- und Intergeschlechtlichkeit zu verzichten, da diese für einen Gesetztext nicht notwendig seien. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hält den Gesetzentwurf und damit die Neuregelung des Personenstandwechsels für unnötig bürokratisch und kostenintensiv. Weiter würdigt der Gesetzentwurf nicht ausreichend das geschlechtliche Selbstverständnis von Personen. Ebenso lehnt die ADS die Unterteilung des Gesetzes in unterschiedliche Regelungen für inter- und transgeschlechtliche Personen ab. In den höheren Anforderungen für trans- gegenüber intergeschlechtlichen Personen sieht die ADS eine Benachteiligung, sprich Diskriminierung, weshalb eine einheitliche Lösung vorzuziehen sei.514 Die ADS empfiehlt für alle PÄ eine Antragstellung beim Standesamt und den Verzicht auf ärztliche wie begutachtende Bescheinigungen. Auch die Befragung der Ehegatt*innen hält die ADS für überflüssig.515 Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert den Gesetzgeber auf, »angemessene und seriöse Stellungnahmefristen zu setzen« (statt 48 h). Insgesamt werde der Gesetzentwurf »den Anforderungen an eine zeitgemäße und diskriminierungsfreie Änderung des Geschlechtseintrags in keiner Weise gerecht«.516 Der DGB bewertet die kostenlose Beratung als besonders positiv, problematisiert aber die Anforderungen an die Qualifikation der künftigen Berater*innen und dass die Beratung für inter- wie transgeschlechtliche Personen unterschiedliche Qualifikationen voraussetzt und verschieden 509 510 511 512 513 514 515 516

Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 6. Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 6f. Trans*Recht e. V. (2019): S. 7. Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 7. Trans*Recht e. V. (2019): S. 7. Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2019): S. 1. Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2019): S. 2. Deutscher Gewerkschaftsbund (2019): S. 1.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

geregelt sei.517 »Die Änderung der Begrifflichkeit von ›Begutachtung‹ hin zu ›Beratung‹ vermag vor allem mit Blick darauf, dass diese zwingend zu erfolgen hat, nicht darüber hinweg täuschen, dass im Kern die gleichen Anforderungen gestellt werden, die im TSG bisher im Rahmen von Sachverständigengutachten vorgesehen sind.«518 Dass die Einschätzung der Transgeschlechtlichkeit weiterhin maßgeblich von Ärzt*innen, Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen abhänge, würde weiterhin in die Persönlichkeitsrechte der Antragstellenden eingreifen.519 So wird dem Selbstverständnis der Antragstellenden weiterhin nicht ausreichend Rechnung getragen.520 Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) lehnt den Gesetzentwurf zur Gänze ab und wirft der Bundesregierung vor, das eigene Versprechen im Koalitionsvertrag – die geschlechtliche Vielfalt zu respektieren – nicht zu beherzigen. Besonders beanstandet der LSVD die kurze Frist (von 48 h) um eine Stellungnahme abzugeben und setzt diese kurze Frist in Relation zu der langen Zeit, welcher die Regierung bedurfte, um ein neues Gesetz einzureichen (2011 bis 2019). Die nun vorgestellten Regelungen seien nicht in der Lage, »die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Möglichkeit der selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrages alleine aufgrund der selbstempfundenen Geschlechtsidentität« umzusetzen.521 Auch die Definition der Transgeschlechtlichkeit im Gesetzentwurf wird vom LSVD abgelehnt, denn diese sei weder die übliche wissenschaftliche Definition noch medizinische Nomenklatur. Auch der LSVD lehnt die Unterscheidung der Antragsverfahren (Standesamt/Amtsgericht) ab und auch das damit begründete GIBG-E wird abgelehnt. Begrüßt wird unterdessen, dass transgeschlechtlichen Personen durch den Gesetzentwurf ebenfalls die Streichung des Geschlechtseintrags oder der Eintrag »Divers« offenstehe und Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr einen Antrag stellen dürfen. Weiter wird begrüßt, dass der Antrag nicht – wie bisher im TSG üblich – von der deutschen Staatsbürger*innenschaft bzw. von der Rechtsprechung des Heimatlandes abhängig gemacht werde. Auch die Errichtung einer flächendeckenden kostenfreien Beratung wird positiv betrachtet. Jedoch wird problematisiert, dass es sich für transgeschlechtliche Personen um eine Pflichtberatung handelt, welche durch eine Beratungsbescheinigung mit »Gutachtencharakter« die Transgeschlechtlichkeit bescheinigen solle.522 Auch der unzureichende Offenbarungsschutz wird kritisiert, wobei hier vorgeblich die fehlende Sanktionierung der Offenbarung und die Beschränkung auf Änderung der amtlichen Dokumente bspw. im Berufsalltag nicht vor Diskriminierung schützt, da Zertifikate und Arbeitszeugnisse nicht geändert werden müssen. Besonders problematisch ist für den LSVD die »zwangsweise Eintragung« als Mutter/Vater auf der Geburtsurkunde, welche dem gesetzlichen Geschlechtseintrag widerspricht.523 Für die kurze Bearbeitungszeit (48 h) hat der Paritätische Gesamtverband kein Verständnis, wenngleich der Verband begrüßt, dass das TSG abgeschafft und durch eine

517 518 519 520 521 522 523

Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (2019): S. 2. Deutscher Gewerkschaftsbund (2019): S. 2. Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (2019): S. 2. Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (2019): S. 3. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 1. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 2. Vgl. Lesben- und Schwulenverband (2019): S. 3.

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einzelgesetzliche Regelung ersetzt werden soll. Als positiv bewertet der Verband, dass die Begutachtung durch zwei Sachverständige abgeschafft wird und so die finanzielle Belastung gemindert werde. Auch die Möglichkeit von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit einen Antrag auf VÄ/PÄ zu stellen wird begrüßt, ebenso wie die Öffnung der anderen Geschlechtseinträge.524 Kritisiert wird vom Paritätischen Gesamtverband, dass weiterhin körperliche Geschlechtsmerkmale das Geschlecht bestimmen sollen: »Die geplante Regelung versucht, an ein biologisches Geschlecht anzuschließen und eine künstliche Trennung zwischen Inter* und Trans* zu konstruieren.«525 Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Intergeschlechtlichkeit lehnt der Verband strikt ab. Auch die Begrifflichkeiten werden vom Paritätischen Gesamtverband beanstandet, da »der Rückgriff auf den Begriff des Körperbildes [ist] grundsätzlich und insbesondere in diesem Kontext völlig irreführend [ist].«526 So haben medizinisch transitionierte Menschen oft kein eindeutiges Körperbild und intergeschlechtliche Personen werden entlang eines uneindeutigen Körperbildes definiert. Das gesetzlich weiterhin an Fremdbestimmung festgehalten werde, wird abgelehnt, da das deutsche Recht »der Selbstverständlichkeit Rechnung tragen [muss], dass über die geschlechtliche Identität nur die Person selbst Auskunft geben kann«.527 Dies sei laut Paritätischem Gesamtverband nur entlang einer eidesstattlichen Erklärung beim Standesamt gewährleistet. Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) hält die Bearbeitungsfrist (48 h) für unseriös, wobei es durchaus eine vertiefte Beschäftigung bräuchte, da es sich um eine grund- und menschenrechtliche Relevanz handle. Auch der DJB hält die verwendeten Begrifflichkeiten für unangemessen: »Die Legaldefinitionen zu Intergeschlechtlichkeit (§ 18 BGBE) und Transgeschlechtlichkeit (§ 19 BGB-E) vermögen in ihrer primären Anknüpfung am Körpergeschlecht nicht zu überzeugen, insbesondere nicht im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Geschlechtsidentität.«528 Der DJB weist daraufhin, dass der Gesetzentwurf Intergeschlechtlichkeit nicht entsprechend dem § 45b PStG regelt, obwohl dies in der Begründung so dargestellt werde. Zudem werde keine isolierte Änderung des Vornamens zugelassen, worin der DJB eine Ungleichbehandlung gegenüber der Regelung für Transgeschlechtlichkeit erkennt.529 Problematisiert wird die Begutachtungspflicht für eine VÄ/PÄ, welche zwar als Beratung benannt werde, aber immer noch eine Stellungnahme durch den*die Berater*in erfordere. Dadurch verliere das Gericht sein Ermessen etwas anzuordnen und die Entscheidung hängt maßgeblich von der einmaligen Einschätzung der Berater*innen ab.530 Auch die Regelung für noch nicht volljährige Jugendliche ab 14 Jahren hält der DJB für problematisch, da bei einer Verweigerung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zwei Gerichtsverfahren durchlaufen werden müssten: »Dies führt im Ergebnis zu einem Kindschaftsverfahren (ohne Beschleunigungsgrundsatz) einerseits und andererseits zu einem allgemeinen

524 525 526 527 528 529 530

Vgl. Der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 1. Der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 1. Der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 2. Der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 2. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 1. Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 1. Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 2.

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(Zivil-)Verfahren. Der Prüfungsumfang der jeweiligen Verfahren ist nicht geregelt, auch nicht, ob einer Entscheidung ein Präjudiz zukommt.«531 Eine weitere Kritik erfährt die Qualifikation der beratenden Personen, da diese zum einen ohne Angabe eines Rechtfertigungsgrundes unterschiedlich geregelt sei und zum anderen unklar sei, welche Anforderungsprofile gegeben sind. Weiter müsse auf eine Begründungspflicht innerhalb der Beratung verzichtet werden, da diese die Persönlichkeitsrechte der Antragstellenden verletze und diese »qualifizierte Bescheinigung eine »Offenbarung« voraussetzt, die objektiv nicht gerechtfertigt ist«.532 Auch der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) übt deutlich Kritik an der kurzen Frist zur Einreichung einer Stellungnahme. Als positiv wird vom DBJR hervorgehoben, dass die Optionen »Divers« oder »ohne Angaben« nun auch transgeschlechtlichen Personen offenstehen, dass Ausländer*innen das Gesetz in Anspruch nehmen können und es eine kostenfreie Beratung für inter- wie transgeschlechtliche Personen gibt.533 Als negativ herausgestellt wird die unterschiedliche Zuständigkeit (Standesamt/Amtsgericht), die Voraussetzung, welche an das Körperbild gekoppelt wird, die Zwangsberatung und ebenso die für Berater*innen vorausgesetzte Qualifikation. Letztere schließe bereits psychosoziale Berater*innen aus. Weiter wird die Anhörung der Ehegatten beanstandet, was nach DBJR eine »massive Verschlechterung« im Vergleich zum TSG darstelle. Auch die Elternschaft und die Antragsstellung Minderjähriger seien unzureichend geregelt. Unnötig sei darüber hinaus die Frist zur erneuten Antragstellung, da diese keine Sachgrundlage habe. Auch das Offenbarungsverbot sei »keine Verbesserung« und könne keinen Schutz vor einer Offenbarung gewährleisten.534 Abschließend wird die Definition der Transgeschlechtlichkeit als Abweichung von der Eindeutigkeit abgelehnt, welche sich am Körperbild orientiere, das lediglich »ein psychologisches Konstrukt der eigenen Einschätzung des Körpers« sei.535 Die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (IVIM/OII) begrüßt, dass das Offenbarungsverbot aus dem TSG nun auch für intergeschlechtliche Menschen übernommen werde und statt von »Varianten der Geschlechtsentwicklung« nun der medizinische Begriff »angeborene Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale« verwendet werde.536 Kritisiert wird, dass nach wie vor keine selbstbestimmte Wahl des Geschlechtseintrags für alle Menschen möglich sei, »unabhängig davon, ob sie Inter*, Trans* oder anders identifiziert sind«.537 Weiter wird negativ bewertet, dass es unterschiedliche Wege zur Änderung des Geschlechtseintrags für interbzw. transgeschlechtliche Personen gibt. Während transgeschlechtliche Personen einer Beratungspflicht ausgesetzt sind und ein Gerichtsverfahren benötigen, um eine VÄ/PÄ zu beantragen, müssen intergeschlechtliche Personen eine PÄ beantragen, um eine VÄ

531 532 533 534 535 536 537

Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 3. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 5. Vgl. Deutscher Bundesjugendring (2019): S. 1. Vgl. Deutscher Bundesjugendring (2019): S. 2. Deutscher Bundesjugendring (2019): S. 3. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 1. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 1.

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zu erhalten. Beides stellt eine »deutliche Benachteiligung« gegenüber der jeweils anderen Identitätskategorie dar, die nicht nachvollziehbar sei. Die Selbstbestimmung sei entlang einer Beratungspflicht respektive der Abgabe einer ärztlichen Bescheinigung nicht gewährleistet. Weiterer Kritikpunkt ist auch bei der IVIM/OII, dass nicht gewährleistet werde, dass die jahrzehntelang teils ehrenamtlich Tätigen der Peerberatung in die Beratung mit einbezogen werden.538 Weiter wird kritisiert, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs weitere geplante Reformen, bspw. des Abstammungsrechts angedeutet werden, gleichzeitig aber daran festgehalten werde, »dass die bisherige untragbare Situation zementiert wird«.539 Bezogen auf die rechtliche Situation von intergeschlechtlichen Personen bleibe der Gesetzentwurf die Antwort darauf schuldig, ob nach wie vor eine Berichtigung nach Abschluss der Beurkundung (§ 47 PStG) möglich bleibt und der Geschlechtseintrag auch in dieser Form geändert werden kann.540 Warum eine solche Klarstellung nicht zu finden ist, kann darin liegen, dass diese Möglichkeit anerkennen würde, dass Ärzt*innen oder Geburtspfleger*innen in ihrem Geschlechtseintrag falsch liegen können, wodurch die vorgeschriebene Begutachtung bzw. Bestätigung der Transbzw. Intergeschlechtlichkeit an Legitimität einbüßen würde. Weiter fordert die Internationale IVIM/OII die Abschaffung des Geschlechtseintrags bei der Geburt oder die gänzliche Abschaffung des Geschlechtseintrags und somit die selbstbestimmte Geschlechtsregistrierung. Weiter wird eine Entschädigung für vergangene Menschenrechtsverletzungen und ein Verbot von nicht-eingewilligten geschlechtsverändernden kosmetischen medizinischen Eingriffe gefordert.541 Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (DGSF) erkennt in dem Gesetzentwurf die Fortführung der »Pathogenisierungspraxis von Trans*- und Inter*-Personen«. Vor allem die Beratungspflicht wird kritisiert, da eine Beratung immer auf freiwilliger Kooperation von Ratsuchendem und Berater*in basieren müsse und durch die »erzwungene Beratungspflicht auferlegte[n] Machtdisparitäten« entstünden.542 Durch die Begründung der Berater*innen würde eine Diagnose gefordert, mit der Transgeschlechtlichkeit erneut als Krankheit verstanden werde.543 Die Gruppe Dritte Option weist darauf hin, dass keine der Forderungen von Selbsthilfegruppen Niederschlag in dem Gesetz finde und es sich somit nicht um ein Gesetz »im Sinne der Menschen, die e[s] direkt betrifft, sondern um eine Fortführung der Diskriminierung und Pathologisierung […] durch gesetzliche Regelungen« handelt.544 Dies würde durch die Fortführung der Begutachtung bzw. durch die Forderung nach einer ärztlichen Bescheinigung bewiesen. Zudem wird kritisiert, dass das Offenbarungsverbot »zahnlos« bleibt und auch die Elternschaft nicht verbessert werde.545 Kritisiert wird die unterschiedliche Verfahrensweise, was vor allem hinsichtlich der 538 539 540 541 542 543

Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 2. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 3. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 4. Vgl. Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 4. Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (2019): S. 1. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (2019): S. 2. 544 Gruppe Dritte Option (2019): S. 1. 545 Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 1.

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jahrelangen Rechtsunsicherheit, wer mit welchem Antrag welches Verfahren anstreben kann, bedenklich sei. Weiter werde nicht bedacht, dass es Menschen gibt, die transund intergeschlechtlich sind. Auch fehle eine isolierte VÄ für intergeschlechtliche Personen. Weiter sei nicht klar, was das Gericht nach einer Beratung noch überprüfen solle, wodurch der deutlich leichtere und kostengünstigere Weg über das Standesamt offen stünde. Die Beratungs- oder Bescheinigungspflicht verstoßen gegen die Selbstbestimmungsfähigkeit und sind abzulehnen:546 »Da sich die Geschlechtszugehörigkeit nach der selbstempfundenen Geschlechtsidentität richtet, kann ein Gutachten lediglich das wiedergeben, was die antragstellende Person angibt.«547 Die dejure Begutachtung führe dazu, dass Menschen nicht offen über ihre Zweifel und Gedankengänge sprechen und von der Angst begleitet werden, keine positive Bescheinigung zu erhalten. Als Kompromisslösung erkennt die Gruppe Dritte Option die Bedingung an, eine Beratungssitzung zu absolvieren, welche durch Peerberater*innen geführt und bescheinigt werde, da diese geeigneter seien über die Tragweite und die rechtlichen Möglichkeiten aufzuklären als Fachkräfte.548 Auch hier wird nicht erklärt, warum eine Beratungsstelle von transbzw. intergeschlechtlichen Menschen besser geführt werde, als von entsprechend zur Beratung qualifizierten Menschen, bspw. Sozialpädagog*innen, Sozialpsycholog*innen und systemischen Berater*innen, die auf Wunsch an fachlich kompetente und spezifisch ausgebildete Jurist*innen, Mediziner*innen, Psycholog*innen, Peerberater*innen usw. weiterleiten, um nach jeweiliger Bedarfslage eine vertiefte Beratung zu ermöglichen. Weiter sei nicht ersichtlich, warum es unterschiedliche Beratungsformate gibt. Auch werden die gewählten Begrifflichkeiten kritisiert, Formulierungen wie »eindeutiges Körperbild« führen zu Rechtsunsicherheiten, da sie die Frage offenlassen, wer das körperliche Erscheinungsbild kontrolliert und beurteilt: »Grundsätzlich stellt eine Unterscheidung zwischen »eindeutigen« und »uneindeutigen« Körperlichkeiten eine Diskriminierung dar, da inter* Menschen hierdurch als Abweichung von einer angenommenen binärgeschlechtlichen Norm konstruiert werden […].«549 Auch die Anhörung der Ehegatt*innen sowie die Regelungen und Fristen zur erneuten Antragstellung werden problematisiert:550 »Die Möglichkeit, ein nicht-binäres Geschlecht eintragen zu können, ist so neu, dass es an Erfahrungen von Menschen mangelt, die mit diesem Eintrag leben. Das schränkt zumindest für die nächsten Jahre auch die Beratungsmöglichkeiten ein. Es kann durchaus sein, dass Menschen vor massive gesellschaftliche Probleme gestellt werden, wenn sie einen solchen Eintrag wählen und sich daher dazu entscheiden – im Sinne der sozialen Unauffälligkeit – einen erneuten Antrag auf eine Änderung in einen binären Geschlechtseintrag zu stellen.«551

546 547 548 549 550 551

Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 2. Gruppe Dritte Option (2019): S. 3. Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 3. Gruppe Dritte Option (2019): S. 4. Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 4. Gruppe Dritte Option (2019): S. 5.

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Auch hier werden die Elternschaft und das Offenbarungsverbot als ungenügend bemängelt. Vor allem Kinder von transgeschlechtlichen Eltern wären so nicht vor Diskriminierung und erheblichen Stressfaktoren im alltäglichen Umgang geschützt.552 Positiv sei einzig, dass das TSG abgeschafft, weitere Geschlechtseinträge geöffnet und die Verfahren vereinfacht werden. Auch die Möglichkeit der Antragstellung für Menschen ohne deutsche Staatsbürger*innenschaft wird begrüßt.553 Auch das Jugendnetzwerk Lambda beklagt die kurze Bearbeitungsfrist (48 h).554 Als Verbesserung erkennt das Jugendnetzwerk Lambda sowohl die Möglichkeit für transgeschlechtliche Personen die beiden anderen Geschlechtsoptionen wählen dürfen als auch den Anspruch auf eine kostenfreie Beratung.555 Das Jugendnetzwerk Lambda schlussfolgert, dass das Gesetz die bestehende Gesetzeslage stellenweise verschärfe. Zudem finde eine Ungleichbehandlung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen Eingang und der Forderung auf Selbstbestimmung werde nicht nachgekommen.556 Die Zuständigkeit müsse für beide Gruppen beim Standesamt liegen, auch dürfe die Voraussetzung nicht auf das Körperbild der antragstellenden Person verkürzt werden. Die Zwangsberatung würde die Beratung auf die Bescheinigungspflicht reduzieren, da nicht die Beratung im Vordergrund stehe, sondern die Bescheinigung der Transgeschlechtlichkeit. Auch ist die geforderte Qualifikation der Beratenden in der Kritik, ebenso wie die Anhörung der Ehegatt*innen. Zudem seien die Hürden für Minderjährige und erneute Antragstellungen zu hoch. Auch das Offenbarungsverbot und die Elternschaft seien unzulänglich geregelt.557 Die Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (LPK) erkennt eine Erleichterung im Verfahren einer VÄ/PÄ, wobei auch hier unzumutbare Hürden kritisiert werden.558 Als Hürde wird die ärztliche Bescheinigung von Intergeschlechtlichkeit angegeben. Ferner sei die Definition von Transgeschlechtlichkeit entlang eines eindeutigen Körperbildes eine »nicht sachgerechte Eingrenzung«, da sie Personen im Transitionsprozess nicht berücksichtige. Auch in der Beratungs- und Bescheinigungspflicht sieht die LPK keine »substanzielle Weiterentwicklung« der bisherigen gesetzlichen Regelung. Die LPK erkennt in dem Gesetzentwurf keine Würdigung der Rechtsprechung des BVerfG.559 Begrüßt wird, dass die gesetzlichen Regelungen einer VÄ/PÄ nicht mehr in einem eigenen Gesetz, sondern im BGB verortet werden.560 Ebenso wird das flächendeckende qualifizierte Beratungsangebot begrüßt, sofern die Beratung auf Freiwilligkeit basiere und kein Unterschied zwischen der Beratung von inter- und transgeschlecht-

552 553 554 555 556 557 558 559 560

Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 5. Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 1. Vgl. Jugendnetzwerks Lambda e. V. (2019): S. 1. Vgl. Jugendnetzwerks Lambda e. V. (2019): S. 1. Vgl. Jugendnetzwerks Lambda e. V. (2019): S. 1. Vgl. Jugendnetzwerks Lambda e. V. (2019): S. 2. Vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 2. Vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 3. Vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 4.

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lichen Personen gemacht werde.561 Auch die LPK spricht sich für eine angeglichene gesetzliche Regelung aus, die eine Antragstellung über das Standesamt regelt.562

Überarbeiteter Gesetzentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags (2021) Anfang des Jahres 2021 haben das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Gesetzentwurf aus dem Jahr 2019 überarbeitet. In der Bearbeitung werden einige der Forderungen aus den Stellungnahmen umgesetzt: »Dabei werden die beiden Betroffenengruppen neben den Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens auch die gebotenen Folgeregelungen, wie beispielsweise das Offenbarungsverbot oder die Regelungen zu Renten und vergleichbaren wiederkehrenden Leistungen zusammengefasst. Das TSG und die materiell-rechtlichen Regelungen im PStG zur Änderung des Geschlechtseintrages von intergeschlechtlichen Menschen sollen zugleich aufgehoben werden.«563 Das Gesetz soll als eigenständiges Geschlechtseintragsänderungsgesetz (GeschlEintrÄndG) eingeführt werden.564 Wieso in dieser Neuformulierung dennoch auf den Begriff der Betroffenengruppe zurückgegriffen wird, bleibt unklar. Der Duden definiert Betroffene als Personen, die in Mitleidenschaft gezogen wurden. Allerdings könnte die Verwendung dieses Begriffes auch produktiv gedeutet werden; als Betroffene von Binarität bzw. als von Heteronormativität in Mitleidenschaft Gezogene. Das Gesetz wird nicht mehr – wie im Jahr 2019 bei erster Vorlage noch – im BGB verortet und auch das GIBG fällt weg. Einzig der Weg der Antragsstellung bleibt ungleich geregelt, womit transgeschlechtliche Menschen weiterhin ein Gerichtsverfahren inklusive vorheriger Beratung bedürfen, während intergeschlechtliche Menschen beim Standesamt eine vereinfachte Änderung beantragen können. Für Jugendliche hingegen wird nun ein Gutachten fällig, welches ähnlich dem TSG »die Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit des Zugehörigkeitsempfindens zu einem anderen als dem eingetragenen Geschlecht bestätigen muss«.565 Begründet wird diese Hürde mit der Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen. Weiter sieht das GeschlEintrÄndG unter § 1 die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen wegen Intergeschlechtlichkeit vor. Hier wurde die Kritik an den Definitionen aufgegriffen und statt von einer »Person mit einer angeborenen Variante der Geschlechtsentwicklung« zu sprechen, wird auf das Wort »angeborene« verzichtet. Die Variante der Geschlechtsentwicklung wird wie folgt unter § 1 Abs. 3 definiert: »Eine Variante der Geschlechtsentwicklung im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 liegt vor, wenn die Person 561 Vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 5. 562 Vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 6. 563 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 1f. 564 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 4. 565 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 2.

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wegen der das Geschlecht bestimmenden Erbanlagen, der hormonalen Anlagen und des Genitals weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann.«566 Im überarbeiteten Gesetzentwurf wird jedoch weiterhin an einer ärztlichen Bescheinigung festgehalten. Unter § 2 Abs. 1 GeschlEintrÄndG wird in Bezug auf die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen wegen Transgeschlechtlichkeit eben jenes gesellschaftliche Phänomen in einer Negativdefinition gedeutet als volljährige Person, »die nicht unter § 1 fällt und die sich nicht dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht als zugehörig empfindet«567 und weiter gilt Transgeschlechtlichkeit dann gegeben, wenn »1. die Person den ernsthaften und dauerhaften Wunsch der Änderung des Geschlechtseintrags äußert, 2. Mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen oder keinem Geschlecht nicht mehr ändern wird […]«.568 Hier wird unter 1. zwar auf den Zusatz »nicht dem für sie eingetragenen« verzichtet, wobei weiterhin an der Eintragung eines Geburtsgeschlechtes festgehalten wird, wenngleich es ein Wissen darum gibt, dass diese Zuschreibung falsch sein kann. Unter § 5 GeschlEintrÄndG wird die Beratung und Beratungsbescheinigung geregelt. Unter Abs. 1 wird eine kostenfreie qualifizierte Beratung durch eine*n Berater*in vorausgesetzt, der*die »aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung mit den Besonderheiten der Intergeschlechtlichkeit oder Transgeschlechtlichkeit ausreichend« gebildet ist.569 Im Besonderen Teil wird jedoch erneut deutlich, dass damit medizinisches Personal gemeint ist.570 Auch wird an der Beratungs- und Beurteilungspflicht für transgeschlechtliche Personen festgehalten. Die weiteren §§ wurden inhaltlich nicht geändert und somit auch nicht hinsichtlich der Kritik angepasst. Im Besonderen Teil wird zunächst auf die Formulierung »eindeutiges Körperbild« verzichtet und stattdessen von transgeschlechtlichen Personen gesprochen.571 Einige Seiten später findet sich diese kritisierte Begriffsverwendung jedoch wieder: »[…] und deren Geschlechtsidentität von ihrem eindeutig weiblichen oder männlichen Körperbild abweicht (transgeschlechtliche Personen)«.572 Auch bleibt die Geschlechtsidentität an eine Empfindung geknüpft, womit ihr weiterhin keine von außen nachweisbare Essenz zugeschrieben wird, was den Geschlechtskörper mit seinen von außen beschreibbaren oder überprüfbaren Genitalien und/oder den medizinisch nachweisbaren Geschlechtsmerkmalen (Chromosomen,

566 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 4. 567 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 5. 568 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 5. 569 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 6. 570 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 17. 571 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 13. 572 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2021): S. 17.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Hormone, Gonaden) als vermeintlich einzig wahre Essenz stärkt. Der Gesetzentwurf konnte im Bundestag keine Mehrheit erzielen und wurde abgelehnt.

4.2 Positionen von weiteren Diskursakteuren zum SelbstBestG Neben den Stellungnahmen verschiedener Diskursakteure finden sich weitere Positionen in Fachzeitschriften, Sammelbandbeiträgen, Studienveröffentlichungen und Monografien.Diese sollen im nachfolgenden Kapitel der Übersicht halber in rechtwissenschaftliche und medizinische Positionen unterteilt und fachspezifisch betrachtet werden. Als erstaunlicher Befund stellte sich während der Analyse heraus, dass das SelbstBestG kein Thema in politischen, juristischen oder sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften darstellt und größtenteils gar nicht thematisiert wird, wenngleich andere Gesetzgebungen – wie die Sterbehilfe oder der Schwangerschaftsabbruch – durchaus Einzug erhalten, gar zum Schwerpunktthema erhoben werden. Ein weiterer Fokus wird auf den zunächst spärlichen und ab Mitte 2022 ausgeprägten medialen Diskurs gelegt, in welchem sich vor allem cisfeministische und queer-feministische Diskursakteure gegenüberstehen. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Analyse der Stellungnahmen der Ethikkommission.

4.2.1 Rechtswissenschaftliche Positionen Sacksofsky beschreibt Recht als zweiseitig; auf der einen Seite sei es sehr wirkmächtig, da es gesellschaftliche Auswirkungen habe, auf der anderen Seite gebe es Aufschluss über herrschende gesellschaftliche Normen. Überraschend sei dies aber nicht, »denn in der Demokratie entsprechen Gesetze – jedenfalls idealtypisch und in der Praxis zumindest meist – den Vorstellungen der Mehrheit der Gesellschaft«.573 Sacksofsky beschreibt das Recht aber auch als Zwangsordnung, die Menschen kategorisiert und ihnen Ge- und Verbote auferlegt, welche für ihre Einhaltung mit Sanktionen verbunden werden. Gleichzeitig enthalte das Recht aber auch Ermöglichungschancen, da dejure marginalisierten Personen oder Gruppen die gleichen Rechte verliehen werden, wodurch die defacto Privilegierung Einzelner oder Gruppen rechtliche Schranken erhält.574 »Das emanzipatorische Potenzial von Recht ist nicht ohne Kosten. Denn wenn Recht an Kategorien anknüpft, erfolgen damit zugleich Festlegungen, die die Kategorien selbst wiederum verfestigen können.«575 Was Sacksofsky hier als Differenzdilemma beschreibt, umfasst die eigene Rekategorisierung entlang rechtlich vorstrukturierter Kategorien, um die rechtliche Anerkennung zu erhalten und durch das Recht geschützt zu sein, wobei genau diese Rekategorisierung jene Kategorien reproduziert und somit legitimiert.576 Nina Althoff et al. erkennen in dem vom BVerfG mehrfach anerkannten Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität entlang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zwei

573 574 575 576

Sacksofsky (2017): S. 632. Vgl. Sacksofsky (2017): S. 632. Sacksofsky (2017): S. 633. Vgl. Sacksofsky (2017): S. 633.

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Komponenten; einerseits ein Recht auf Selbstbestimmung der individuellen Identität und den Schutz vor einer falsch empfundenen Fremdzuordnung des Geschlechts, andererseits wird auch vor einer ungewollten Offenbarung geschützt.577 Eine interviewbasierte Umfrage von Althoff et al. konnte zeigen, dass viele Betroffene, aber auch beratend Tätige, mehr Selbstbestimmung über die Definition des Geschlechts wünschen, welche ebenfalls das Primat der medizinischen Festlegung eines Geschlechts ablösen soll. Dabei gehen die Forderung jedoch in zwei verschiedene Richtungen; während die einen den Wunsch einer Abschaffung des Geschlechtseintrags wünschen, wollen die anderen die Möglichkeit über den eigenen Geschlechtseintrag frei entscheiden zu können. Gegenüber einem Wegfall des Geschlechtseintrags sind bspw. der Großteil der Entbindungspflegenden, Standesbeamt*innen und Ärzt*innen voreingenommen und ablehnend.578 Althoff et al. benennen für den Wegfall des Geschlechtseintrags fünf Vorteile: (1) Zunächst werden Stigmatisierung und Zwangsouting verhindert, wodurch ebenfalls der gesellschaftliche Druck auf Eltern von Kindern mit mehrdeutigem Geschlecht vermindert würde; (2) Weiter würde dies mehr Freiheit und Selbstbestimmung bedeuten, weil im Alltag eine geschlechtliche Repräsentanz nicht an rechtliche Hürden gebunden würde und keine Erwartungen mehr erfüllt werden müssten, die mit der rechtlichen Geschlechterkategorie verbunden sind; (3) Zudem ist der Wegfall eine einfachere Lösung gegenüber der Erweiterung des Geschlechtseintrags, da der Staat so nicht in der Pflicht wäre, weitere Gesetze anzupassen; (4) Die Autorinnen der Studien geben zu bedenken, dass ein Verzicht auf einen rechtlichen Geschlechtseintrag nicht gleichzusetzen sei mit dem Verzicht auf die gesellschaftlich relevante Kategorie Geschlecht; (5) Schlussendlich haben die gesetzlichen Neuerungen579 der vergangenen Jahre gezeigt, dass die Kategorie des Geschlechts im Recht entbehrlich ist.580 Hinsichtlich der Möglichkeit weitere Geschlechtseinträge zu formulieren sind sich Entbindungspflegende und Standesbeamt*innen wie Ärzt*innen uneins. Erste befürworten dies, während 2/3 der letzten beiden genannten dagegen sind. Unter den Betroffenen einer TSG-Novellierung wurde hingegen die Befürchtung geäußert, dass eine weitere Kategorie nur bestimmten Personen vorbehalten bleibt,581 eine Befürchtung die sich mittlerweile entlang des 3. Pers.-St. »divers« bestätigt hat: »Die neue Regelung in § 22 Abs. 3 PStG und in § 45b PStG erfasst nur intersexuelle Menschen, also Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können […] Transsexuelle Menschen werden vom Geltungsbereich der neuen Regelung nicht erfasst. Für sie gilt weiterhin das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz. Transsexuelle Menschen haben ein eindeutiges biologisches Geschlecht, das aber nicht mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt.«582 577 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 14. 578 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 26. 579 Bspw. die Ehe für Alle, die Abschaffung der Wehrpflicht für Männer, der dritte Personenstand u.v.m. 580 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 27. 581 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 28. 582 Bundesministerium des Inneren (2019).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

An einem weiteren Geschlechtseintrag wird zudem bemängelt, dass dieser – solange die rechtliche Geschlechtskategorie weiterhin an der Binarität orientiert bleibt – immer nur die Position des Anderen, dem Außerhalb der Heteronormativität, einnimmt. Andererseits bedeutet ein weiterer Geschlechtseintrag für viele auch eine notwendige Sichtbarkeit, die es bedarf, um gesellschaftliche Anerkennung für Intergeschlechtlichkeit zu verwirklichen, weiter wäre mit einem weiteren Geschlechtseintrag auch die rechtliche Anerkennung verbunden, die in alltäglichen Situationen unterstützt und die persönliche Selbstverortung in der Interaktion erleichtert.583 Als besonders belastend gaben die Befragten an, sei die (medizinische) Beweispflicht, welche auch immer eine Pathologisierung bedeute. Stattdessen wird eine formlose Selbsterklärung gewünscht. Dagegen sind hingegen 60 % der Entbindungspfleger*innen und Ärzt*innen, unter den Standesbeamt*innen sind es sogar fast 90 % die eine Selbstauskunft ablehnen.584 Letzteres Ergebnis könnte sicherlich mit der persönlichen Betroffenheit von einer derartigen Regelung zu erklären sein, da die Standesbeamt*innen in diesem Fall die einzige Anlaufstelle wären und Angst besteht, Menschen könnten willkürlich die PÄ als Bürger*innen-Service nutzen. Althoff et al. schließen ihrer Studie einen Gesetzentwurf »Anerkennung und Schutz der Geschlechtervielfalt« (Geschlechtervielfaltsgesetz – GVielfG) an, welcher alle Menschen umfasst und somit Sonderregelungen wie TSG oder § 22 Abs. 3 PStG obsolet macht. Kernstück des Gesetzentwurfs ist der Verzicht auf einen Geschlechtseintrag nach der Geburt eines Kindes in Verbindung mit dem selbstbestimmten Geschlechtseintrag. Neben den binären Geschlechterkategorien schlagen sie die Schaffung einer weiteren Kategorie vor. Der Wechsel des Geschlechtseintrags soll niedrigschwellig möglich sein und keine rechtlichen Hürden enthalten.585 Die Forderungen unterscheiden sich insofern vom Gesetzentwurf des SelbstBestG, da sie den Geschlechtseintrag nach der Geburt bis zur Erreichung der Geschäftsfähigkeit des Kindes im 14. Lebensjahr offenlassen und das Kind die eigene Geschlechtsklassifizierung selbstbestimmen kann. Erst unter § 3 Abs. 1 Satz. 1 GVielfG findet sich eine Differenzierung des Geschlechtsbegriffs: »Das im Geburtenregister eingetragene Geschlecht einer Person ist auf ihren Antrag zu ändern, wenn sie erklärt, dass das im Geburtseintrag eingetragene Geschlecht nicht ihrem Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentität entspricht.«586 Hier werden Geschlecht und Geschlechtsidentität voneinander unterschieden, wobei beide begrifflich nicht genauer bestimmt werden. Möglich ist die Leseweise, dass Geschlecht als rechtliche Ordnungskategorie verstanden und im Begriff Geschlechtsidentität die Perspektive des Selbstbezugs eröffnet wird. Weiter unternimmt der Gesetzentwurf von Althoff et al. die entsprechende Neuregelung angrenzender personenstandsbezogener Gesetze vor, auf die in diesem Rahmen nicht detailliert eingegangen wird, da der Gesetzentwurf im politischen Diskurs keinen Eingang fand. Im Allgemeinen Teil A finden sich dennoch interessante Begründungen, die hier nun auszugsweise Eingang finden. So wird bspw. zwischen den Theoremen Geschlechtsentwicklungen, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck differenziert,

583 584 585 586

Vgl. Althoff et al. (2017): S. 28. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 29. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 65. Althoff et al. (2017): S. 70.

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wobei alle drei Begriffe für sich genommen als immer individuell und einzigartig betrachtet werden.587 Eine genauere Definition findet sich unterdessen nicht, wobei hier prinzipiell in der Gesamtschau nur die folgende Leseweise in Betracht kommt: (1) Die Geschlechtsentwicklung bezieht sich auf die körperliche Entwicklung, welche jedoch keineswegs medizinischen Binaritätsvorstellungen folgt, sondern die Geschlechtsentwicklung als ein Spektrum versteht. (2) Die Geschlechtsidentität wird wiederrum als Identifizierung mit einer Geschlechtskategorie verstanden. (3) Der Geschlechtsausdruck ist als geschlechtliche Performanz und geschlechtliche Rollenübernahme zu verstehen. Dass diese Leseweise anderen vorzuziehen ist, wird durch die Abgrenzung vom bisherigen rechtlichen Geschlechterverständnis deutlich, da in diesem Zusammenhang das medizinisch-biologische geprägte binäre Geschlechterverständnis im Recht problematisiert wird, welches sich hauptsächlich einzig an den verallgemeinerten körperlichen Geschlechtsinsignien orientiert. Laura Adamietz und Katharina Bager kritisieren bereits die gesetzliche Nutzung des Transsexualitätsbegriffs, da dieser einer »medizinisch-diagnostischen Vorstellung von ›Transsexualität‹ als psychischer Erkrankung«588 entspricht und somit mehr eine medizinische Diagnose denn einen adäquaten Rechtsbegriff darstellt. Adamietz/Bager beschreiben das Begutachtungsverfahren im Rahmen des TSG als entwürdigend und grenzüberschreitend, da eine Selbstauskunft nicht ausreiche, sondern intime Details und die sexuelle Vergangenheit bis in die Kindheit abgefragt werden. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu Pathologisierungen, indem eine psychosexuelle Entwicklungsstörung unterstellt wird oder es zu Bodyshaming und Lookismus kommt,589 wenn das Aussehen, die Kleidung und das Geschlechtsverhalten entlang von Geschlechterstereotypen und -vorurteilen angezweifelt wird.590 Ähnlich wie Hirschauer kritisieren auch Adamietz/Bager die daraus entstehende Abhängigkeit und bezeichnen diese als Gatekeeping-Effekt, da Gutachtende die Geschlechtergrenzen bewachen und erst von der Echtheit der geschlechtlichen Selbstbeschreibung überzeugt werden müssten, bevor sie mit ihrem Gutachten – in diesem Sinne zu verstehen als Passierschein – den Weg für eine PÄ freigeben.591 Die Autorinnen erkennen eine weitere Zugangserschwerung, indem die PÄ in Amtsgerichten angesiedelt wird und TSG-Anträge durch ein Betreuungsgericht verhandelt werden: »Betreuungsrechtlichen Verfahren ist eigen, dass sie in der Regel per se eilbedürftig sind, also eine gerichtliche Entscheidung binnen Tagen erfordern, selbst wenn es formell keine Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind, d.h. TSG-Verfahren werden und können regelmäßig gerade nicht beschleunigt 587 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 87. 588 Adamietz; Bager (2016): S. 8. 589 »Lookism ist die Auf- oder Abwertung von Menschen nach vermeintlich ›positiven‹ oder ›negativen‹ äußerlichen Merkmalen« (Initiative Intersektionale Pädagogik [2015]: S. 55). Lookismus entspricht demnach einer Diskriminierung mit welcher der Körper, bzw. die Verkörperung diszipliniert werden. »Wie wir Körper sehen, lesen, betrachten, beschreiben, bewerten und letztendlich hierarchisieren, geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern entlang historisch gewachsener, kulturell erzeugter, gesellschaftlich gesetzter und verhandelter Normen« (Diamond, Pfaster und Schmid [2017]: S. 9). 590 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 11. 591 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 12.

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bearbeitet werden, sondern nachrangig.«592 Zudem sei die fachliche Kompetenz oft nicht vorhanden, weshalb es regelmäßig zu Falschauskünften kommt. Besonders hohe Zugangshindernisse betreffen unterdessen Minderjährige; hier bedarf es einer Einholung einer familienrechtlichen Genehmigung (§3 Abs. 1 TSG), welche jedoch in der Rechtspraxis häufig von der Stellungnahme des Jugendamtes abhängig gemacht werde, wobei dies verfassungsrechtlich nicht notwendig sei und den Beamt*innen des Jugendamtes darüber hinaus die ausreichende Sachkompetenz zur Beurteilung fehlt.593 Bezüglich des gesetzlichen Geschlechtseintrags als staatlichem Ordnungsbestreben schlussfolgern Adamietz/Bager: »Verfassungsrechtlich geboten dürfte die Registrierung von Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr sein.«594 Adamietz/Bager schlagen in ihrem Gutachten zum »Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen« entweder eine Abschaffung des TSG oder die Schaffung eines neuen Gesetzes vor: »Eine Reform des bestehenden Gesetzes kommt nicht in Betracht, da zu viele Änderungen vorgenommen werden müssen und nicht einmal die – abwertend klingende – Bezeichnung ›Transsexuellengesetz‹ bestehen bleiben könnte.«595 Bei einem neuen Gesetz sollte auf die Begutachtungspflicht verzichtet werden, da eine PÄ nicht entlang einer medizinisch-diagnostischen Voraussetzung gerechtfertigt werden könne. Für Minderjährige halten die Autor*innen ein Beratungsangebot für angemessen, welches auch Angehörigen offenstehen sollte.596 Das Verfahren einer PÄ bedarf nach Ansicht der Autorinnen keines Gerichtsverfahrens, sondern ließe sich in einem Verwaltungsverfahren, bspw. durch die Standesämter gestalten.597 Hinsichtlich einer möglichen Elternschaft schlagen Adamietz/Bager vor, dass »die Eltern in ihrer sozialen Rolle, d.h. entsprechend ihrem aktuellen Geschlechtseintrag und Vornamen, oder als ›Eltern‹ bezeichnet werden.«598 Dies würde der Lebenswirklichkeit der Familie und somit allen voran der des Kindes entsprechen. Ähnlich wie in der Studie von Althoff et al.599 fordern auch Adamietz/Bager in ihrem Gutachten600 eine umfassende gesellschaftliche Aufklärung und Sensibilisierungsmaßnahmen, mit denen präventiv vor allem Diskriminierungsschutz gewährleistet werden soll. Dies solle mit einer Aufklärung in Schulen und Ausbildungsstätten beginnen und entlang von Fortbildungen bei Arbeitgebenden und im Gesundheitssystem weitergeführt werden. Auch Adamietz/Bager schlagen mit dem »Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechtszuordnung«, dem Geschlechtsidentitäts- und -zuordnungsgesetz (GizG) einen Gesetzentwurf vor.601 In dem Gesetzentwurf wird unter § 1 GizG eine Selbstbestimmung der rechtlichen Geschlechtszuordnung gefordert, welche sich im Wortlaut

592 593 594 595 596 597 598 599 600 601

Adamietz; Bager (2016): S. 14. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 14. Adamietz; Bager (2016): S. 17. Adamietz; Bager (2016): S. 20. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 21. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 22. Adamietz; Bager (2016): S. 22. Vgl. Althoff et al. (2017): S. 29. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 23f. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 26.

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des Entwurfs auf die Geschlechtsidentität stützt. In diesem Sinne wird eine Identifizierung mit der Geschlechtskategorie als ausschlaggebende Definition vom rechtlichen Geschlechtsbegriff vorgenommen. Weiter findet in § 2 GizG die Selbstbestimmung in Bezug auf körperliche Maßnahmen und unter § 3 GizG ein Anspruch auf angemessene Gesundheitsleistungen Eingang602 sowie die §§ 4 und 5 auch eine rechtliche Verpflichtung zur Aufklärung und Beratung enthalten. Während die Aufklärung als Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) angesehen wird, sollten für die individuelle Beratung zu Fragen der Geschlechtsidentität, der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und bezüglich Diskriminierungserfahrungen wohnortnahe Beratungsstellen eröffnet werden.603 Erst im zweiten Teil mit den Begründungen wird die Aufklärung vor allem auf die Zielgruppe jener Personen begrenzt, »denen bei Geburt ein Geschlecht zugewiesen wurde, das nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht«604 . In einem Nebensatz wird auch die Allgemeinbevölkerung adressiert, allerdings nur in Bezug auf die Erreichung eines diskriminierungsfreien Umgangs mit den Personen der Zielgruppe. Die Beratung unterdessen ist ausschließlich an Menschen adressiert, die das Selbstbestimmungsrecht ausüben möchten und jene, die unter Diskriminierung, Stigmatisierung und Ablehnung aufgrund der Geschlechtszuordnung leiden.605 Eine erneute Änderung der Geschlechtszuordnung wird entgegen des SelbstBestG und des GiG nicht eingeschränkt, sondern unterliegt einzig den gleichen Vorschriften wie eine erstmalige Änderung.606 Eine neue Perspektive wird durch Adamietz/Bager in ihrem begründenden zweiten Teil geliefert, indem sie klar zwischen Geschlechtsidentität und Geschlechtszuordnung unterscheiden, wie es bis dato kein weiterer Diskursbeitrag in dieser Trennschärfe unternommen hat: »Die Geschlechtsidentität ist ein unveränderbares, nicht beeinflussbares Persönlichkeitsmerkmal. […] Die Geschlechtsidentität ist und kann von daher nicht selbstbestimmt sein, denn sie unterliegt nicht einer individuell zu treffenden Wahl oder Entscheidung. Der Selbstbestimmung unterfällt jedoch die Entscheidung, welche geschlechtliche Zuordnung vorgenommen wird.«607 In diesem Zitat wird deutlich, dass es bei einem Gesetz zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung (egal ob SelbstBestG, GiG oder GizG) nicht um den beliebigen Wechsel des Geschlechts geht, sondern um die Zuordnung zu einer Geschlechtskategorie. Die Identität, so konnte vorausgehend gezeigt werden, ist unabgeschlossen und offen, somit veränderbar, liegt aber dennoch weitestgehend außerhalb des Zugriffs einer Änderung durch das Ich oder ein Außen, vielmehr erwächst sie mit der Zeit. Eine Zuordnung, also die Zuweisung zu einer Geschlechtsgruppe, kann erstens nur jede Person für sich selbst vornehmen, zweitens kann sie mit der Zeit nicht mehr der (Geschlechts-)Identität entsprechen. Der Diskurs hingegen nimmt jene sprachliche Form an, in der von einer Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität gesprochen wird. Hier zeigt sich demnach eine Diskursverschiebung an. Adamietz/Bager haben die Zahlen der Anträge der VÄ,

602 603 604 605 606 607

Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 26. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 27f. Adamietz; Bager (2016): S. 44. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 45. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 30. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 38.

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PÄ und PÄ-Rückänderungen (RÄ) in den Jahren 2007, 2010 und 2013 angeschaut und kommen zu dem Schluss, dass in den überwiegenden Fällen VÄ und PÄ gleichzeitig beantragt werden, wobei es immer noch 26 % ausschließlicher VÄ gibt. Die RÄ beträgt unter dessen rund 1 % und fällt damit erstaunlich niedrig aus. Weiter sind die Anträge erheblich gestiegen, nach dem Wegfall der Hürden (Unfruchtbarkeit/geschlechtsangleichende Operation) stiegen sie um 73 % an.608 Darunter fielen im Jahr 2013 5 % der Anträge Minderjähriger (unter 18 Jahren). Die Verfahrensdauer wurde im Mittelwert mit 9,3 Monaten ermittelt und die Kosten im Mittelwert bei ca. 1868 Euro.609 Eine weitere spannende Erkenntnis lieferten Jonas Hamm und Arn Sauer, die mit ihrer Studien nachweisen konnten, dass es nach der Außerkraftsetzung des Personenstandgesetzes einen Rückgang von genitalangleichenden Operationen gab und somit annehmbar ist, dass Transgeschlechtlichkeit nicht immer mit einem Leidensdruck wegen eines als falsch empfundenen Körpers einhergeht.610 Auch Adamietz/Bager fragen in ihrer Studie danach, ob geschlechtsangleichende Maßnahmen vorgenommen wurden und bekommen im Ergebnis 56,7 % ja und 43,3 % nein Antworten, wobei nur 5,3 % der männlichen und 15,3 % der weiblichen Befragten angegeben haben eine genitalangleichende Operation vorgenommen zu haben, was die Studienergebnisse von Hamm/Sauer bestätigt.611 In der Studie von Adamietz/Bager wurde ebenfalls die geschlechtliche Selbstbezeichnung abgefragt, die durchaus begrifflich von dem Begriff Transsexuell abwich. So fanden sich die Begrifflichkeiten transweiblich, transmännlich, non-binär und drag (in abstufender Fallzahl).612

4.2.2 Positionen im Mediendiskurs: queerfeministische Forderungen nach Anerkennung und cisfeministische Verweigerung Der Mediendiskurs offenbart vor allem die antagonistischen Positionen des Cisfeminismus und des Queerfeminismus. Während der Queerfeminismus der geschlechterpluralen Position zuzuschreiben ist, vertritt der Cisfeminismus die geschlechterkonservative Position.

Cisfeministische Positionen613 im Mediendiskurs Alice Schwarzer spricht schon früh von einem Rollendiktat, welches zu inneren wie äußeren Konflikten führe und daher als »Geschlechterdrill« bezeichnet werden müsse. Transgeschlechtliche Menschen werden durch Schwarzer als Wesen bezeichnet, denen Zweifel gegenüber der Geschlechtsidentität eingepflanzt worden seien, die deshalb Leidende sind, die »sich selbstzerstörerisch gegen den eigenen Körper« wenden. Vor allem 608 609 610 611 612 613

Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 190. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 195f. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 11. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 221f. Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 216f. Dieser Ausdruck folgt anerkennend der Bezeichnung des Trans*fläche (2021a) Hausbesetzungskollektiv, da hier gelungen der transexklusive Feminismus nicht als Radikalfeminismus, also als ein zur Wurzel gehender Feminismus dargestellt wird, sondern mit dem Präfix Cis- eben genau jenen Feminismus bezeichnet, der sich vornehmlich auf Cis-Weiblichkeit bezieht.

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der Begriff des »Pflanzens« suggeriert, dass eine äußere Manipulation von Geschlecht möglich sei, was wissenschaftlich bisher mehrheitlich falsifiziert denn verifiziert werden konnte. Schwarzer schlussfolgert weiter: »In einer vom Terror der Geschlechtsrollen befreiten Gesellschaft wäre Transsexualismus nicht denkbar.« Diese Aussage negiert die Existenz von Transgeschlechtlichkeit und beraubt somit transgeschlechtlichen Menschen ihrer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeit sich selbst beschreiben zu können. Allerdings schränkt Schwarzer ihre Abwehrhaltung ein, wenn sie schlussfolgert, dass »Transsexuelle in Frauenzentren aufgetaucht« seien, »Frauen, die einst einen Männer-Körper und eine Männer-Realität hatten. Oft sind sie engagierte Feministinnen«. Hier wird deutlich, dass sich Schwarzers ablehnende Thesen zunächst auf weiblichsozialisierte Personen beziehen, welche vor dem Rollendruck der patriarchalen Geschlechtererwartungen geschützt werden müssten. Zunächst nachvollziehbar, da das weibliche Geschlecht entlang der geschichtlich gewachsenen Misogynie und daraus resultierendem Sexismus im Macht-Hierarchieverhältnis untergeordnet und benachteiligt wurde. Allerdings bleibt die Annahme, ein Wunsch nach einer PÄ und/oder geschlechtsangleichenden Maßnahmen ergebe sich ausschließlich aus dem zuvor beschriebenen Rollendruck, eines wissenschaftlichen Beweises schuldig, erst recht, wenn vice versa eine männliche Transgeschlechtlichkeit anerkannt wird, wo doch das männliche Geschlecht als solches als privilegiert, dominant und unterdrückend konstruiert wird und daher eine Flucht aufgrund des Rollendrucks auszuschließen sein müsste.614 Chantal Louis spricht in der EMMA von einer Flucht von Frauen ins andere Geschlecht, was sie als Hype darstellt und weiter als unpolitisches Verhalten bezeichnet, da sie den Vorwurf äußert, diese Personen würden »das Geschlecht […] wechseln, statt die Geschlechterrolle zu sprengen«. Im Anschluss werden weibliche Verweigerung von Attraktivität und fehlende heterosexuelle Anziehung als Ursache für den Geschlechtswechsel benannt, der jedoch vielmehr durch eine toxisch männliche und sexistische Struktur begründet wird, statt als Ausdruck einer geschlechtlichen oder sexuellen Identität wahrgenommen zu werden. Als Beispiel wird die Geschichte eines jungen Mannes dargestellt, welche jedoch von seiner Mutter erzählt wird, die eine ablehnende Haltung gegenüber der Transgeschlechtlichkeit ihres Kindes einnimmt, da sie das Kind immer wieder misgendert. Zudem bietet der Artikel ein vermeintlich neues wissenschaftliches Phänomen an, welches in der Wissenschaft selbst äußerst umstritten ist: »Rapid Onset Gender Dysphoria« (ROGD) – Plötzlich einsetzende Geschlechtsdysphorie.615 Mit ROGD wird vor allem die akute Thematisierung des Inkongruenzempfindens bzw. der wahrgenommen Falschadressierung bezeichnet, wobei hier die wissenschaftlich verifizierten Erkenntnisse über das Coming-Out vernachlässigt werden, die auf ein zunächst verborgenes inneres Coming-Out hinweisen.616 Weitere Kritikpunkte an

614 Vgl. Schwarzer (2019). 615 Louis (2019a). 616 So spricht Woltersdorff im Anschluss an Eli Coleman von einem Pre-Coming-Out, welches noch vor dem Coming-Out erfolgt, bei welchem sich Personen der Öffentlichkeit öffnen (vgl. Woltersdorff [2012]: S. 23). Bereits 1996 beschreibt auch Rauchfleisch zwei Dimensionen des Coming-Outs, indem er zwischen einer innerpsychischen und einer sozialen Dimension unterscheidet (vgl. Rauchfleisch [1996]: S. 76).

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dem ROGD-Konzept werden im nachfolgenden Kapitel unter den medizinischen und psychologischen Positionen besprochen. In der EMMA kommt in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit häufig der Psychologe Alexander Korte zu Wort, welcher in der EMMA deutlich polemischere Worte findet als in seinen vorausgehend besprochenen Beiträgen zum politischen Diskurs. So spricht Korte hier von einem »Trans-Hype«, von der »Wegoperation nicht rollenkonformen Verhaltens« und vertritt auch hier die These, dass es sich bei Transgeschlechtlichkeit allzu oft um eine abgewehrte Homosexualität handle. Vor allem die Einnahme von Pubertätsblockern wird durch Korte abgelehnt, da diese eine Überprüfung der Transgeschlechtlichkeit oder anderer Krankheiten, welche die Annahme einer Transgeschlechtlichkeit begründen, verunmögliche. Korte behauptet in diesem Zusammenhang, dass die Geschlechtsdysphorie »teilweise an die Stelle der Anorexie tritt«.617 Die rechtskonservative Birgit Kelle spricht in ihrem Gastbeitrag auf dem rechtspopulistischen Blog »die Achse des Guten« davon, dass im geplanten SelbstBestG »DNA, Chromosomen, Biologie, Natur und wissenschaftliche Fakten sich dem gefühlten Geschlecht und selbstdefinierten Geschlechterkategorien beugen sollen« und schlussfolgert darauf aufbauend, dass dies das Grundgesetz Art. 3 Abs. 2 »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« ad absurdum führe, da durch diese Bestrebungen Geschlecht nicht mehr entlang von Fakten messbar sei, »sondern von individuellen Befindlichkeiten abhängt«.618 Ein Fakt bezeichnet eine wissenschaftliche überprüfbare Erkenntnis, wobei Kelle Fakten auf biologisch-messbare Kriterien reduziert, wodurch individuelle Selbstbeschreibungen aus dem Bereich der Wahrheit ausgeschlossen werden. Dies bekräftigt Kelle mit der Aussage, dass es für Frauen im Kampf um Gleichberechtigung schwer werde, »jedenfalls für jene, die es biologisch tatsächlich sind und schon immer waren«.619 Frau sein bindet Kelle in dieser Aussage an biologische Tatsachen, womit sie sich auf medizinische Körperklassifizierungen bezieht, welche entlang von körperlichen Markern wie Chromosomen, Gonaden, Hormonen etc. eine Einteilung in Geschlechter vornehmen. Weiter bezeichnet Kelle die Geschlechterpolitik, welche zunächst darum bemüht gewesen wäre eine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern herzustellen, als Lobbypolitik für sexuelle Vielfalt und »allerlei Geschlechter-Reigen« missbraucht werde, wodurch Frauen selbst ihre Kernkompetenz, das Gebären von Kindern, abgesprochen werde: »Die offenbar chronische Transfeindlichkeit der Tatsache, dass nur Frauen Kinder kriegen können, […] drängte damals darauf, den Begriff ›schwangere Frau‹ […] streichen zu lassen, oder durch den Begriff ›schwangere Person‹ zu ersetzen, um Transsexuelle, die ein Kind geboren haben, nicht weiter zu diskriminieren. […] Urweiblichkeit ist Fruchtbarkeit.«620 Hier werden die zuvor thematisierten Privilegien deutlich; Gebärfähigkeit und Schwangerschaft zu umkämpften Kernkompetenzen von echten Frauen zu erheben, wobei es hier vor allem um den Verlust von körperlichen Eigenschaften und Eindeutigkeiten geht, beides jedoch nötig ist, um messbare Fakten zu konstruieren. Mit einem Rückgriff auf einen Spiegel-Online-Artikel, spricht Kelle transgeschlechtlichen Männern das Mann sein ab,

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Louis (2019b). Kelle (2019). Kelle (2019). Kelle (2019).

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denn am Menstruieren zeige sich, dass sie Frauen seien: »Muttis, die als Männer gebären wollen und Männer, die Muttis werden wollen«, darin erkennt Kelle »Männer, die Frauen die Weiblichkeit entreißen wollen«.621 Hier konstruiert Kelle eine Gefährdung durch patriarchale Enteignung, welche das Sicherheitsbedürfnis ansprechen soll. Kelle bezeichnet Transgeschlechtlichkeit als Mittel der patriarchalen Unterdrückung von Frauen. Als Strategie benennt Kelle die Aushöhlung der heteronormativen Lebensweise: »Was du nicht abschaffen kannst, musst du von innen heraus zersetzen. […] Wenn du die Ehe nicht abschaffen kannst, dann muss sie inhaltlich so lange ausgehöhlt werden, bis jeder jeden und egal wie viele heiraten kann. Wenn du die Mutterschaft nicht abschaffen kannst, dann müssen jetzt alle Mutter sein dürfen.«622 Im Zuge dessen listet Kelle eine Reihe von Sicherheitsproblematiken auf, die durch Transgeschlechtlichkeit erzeugt werden: biologische Männer im Frauenhaus und in der Umkleidekabine, welche biologischen Frauen beschämen und diesen ihre Schutzräume rauben, biologische Männer im Frauensport und auf Vorstandsposten, die biologische Frauen verdrängen und die Gleichberechtigung ad absurdum führen. Hierin erkennt Kelle eine Diskriminierung der Mehrheit durch kleine Minderheiten.623 Wie bereits theoretisch aufgearbeitet, können alle Menschen diskriminiert werden, also auch jene die privilegiert sind und somit in der Gesellschaftsordnung einen sozial besonders anerkannten Status haben, allerdings kann in den Ausführungen keine Exklusion bzw. Benachteiligung der Mehrheit festgestellt werden. Zum einen handelt es sich um reine Befürchtungen und nicht um eingetroffene Ereignisse/Vorfälle bzw. Tatbestände, zum anderen konstruieren die Befürchtungen die Personengruppen entlang einer biologischen Determinierung, also von Körpereigenschaften, als Täter- und Opfermentalitäten, wobei sich Täterschaft nicht anhand von körperlichen Eigenschaften, sondern von gesellschaftlich nicht akzeptiertem bzw. verbotenem Verhalten ableiten.624 Weiter wird entlang der exklusiven Gebärfähigkeit die Hete621 Kelle (2019). 622 Kelle (2019). In diesem Kontext vergleicht Kelle Transgeschlechtlichkeit mit der patriarchalen Unterdrückung durch Prostitution. Die Aussage »Es ist nur ein kurzer Weg von der Gebärmutter zur Gebärnutte. Die finale Form der Ausbeutung durch Gebär-Prostitution« (Kelle [2019]), verweist auf eine Ablehnung von Sexarbeit, welche im Queerfeminismus auch als SWERF (≈ Sexwork exclusionary radical Feminist) bezeichnet wird. Sicherlich verweist die Leihmutterschaft auf soziale Ungleichheit und öffnet damit eine Leerstelle, die nach sozialer Gerechtigkeit fordert, da häufig deprivilegierte Frauen ihren Körper als Leihmütter zur Verfügung stellen und weder angemessen bezahlt noch angemessen sozial wie psychisch aufgefangen werden. Allerdings geht es aus dieser theoretischen Richtung weniger um eine Ablehnung von Sexarbeit oder Leihmutterschaft wie sie Kelle vorträgt, sondern um eine soziale Anerkennung, dass Schwangerschaft und Gebären wie Sexualität immer eine Form der reproduktiven Arbeit darstellen und durch die Gesellschaft als Arbeitsleistung nicht anerkannt werden. 623 Vgl. Kelle (2019). 624 Auch bezüglich des Opferbegriffs finden sich im (queer-)feministischen Diskurs kontroverse Debatten. So wird unter dem Konzept der Viktimisierung kritisiert, dass Menschen entlang des Opferbegriffs auf die erlittene Gewalt reduziert werden und darüber hinaus zu bedenken sei, dass dieser Begriff häufig nicht selbst gewählt wurde. Aus diesem Grund wurde im englischsprachigen Raum der Begriff »Survivor« (Überlebende) geprägt, welcher sich im deutschsprachigen Raum nicht durchsetzen konnte. Überlebende verweist begrifflich auf die vorhandene Handlungsfähigkeit der von Gewalt und Diskriminierung betroffenen Person, während der Opferbegriff aus der Kriminalwissenschaft kommt und sich zunächst auf den durch einen äußeren Eingriff erzeugten

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

ronormativität reproduziert und legitimiert, indem von dieser abweichende Sexualitäten und Geschlechter mit »Unproduktivität und Dysfunktionalität assoziiert werden«,625 die für eine Gesellschaft, welche im Fortbestand auf Reproduktion angewiesen ist, so als schädlich imaginiert werden. In einem Online-Artikel aus dem Jahr 2020 reagiert das Magazin EMMA auf die kontroversen Reaktionen auf das Dossier zum Thema Transsexualität (Ausgabe 1/20) und den häufig gestellten Vorwurf transphob zu sein. Schwarzer stellt die EMMA als Verfechterin der Objektivität dar und schlussfolgert: »Endlich ist eine Diskussion möglich!«, womit sie die Vermutung äußert, der Vorwurf der Transfeindlichkeit liege an den »Denk- und Sprachverboten« in Teilen der Transcommunity, weshalb sich viele aus der ebengenannten Community nur im geschützten Raum kritisch zu äußern trauten. Auch hier beharrt die Redaktion von EMMA darauf, dass es einen Trans-Trend gebe und dieser dazu führe, »dass nicht-rollenkonforme Mädchen nicht etwa ermutigt werden, sich gegen die Rollenerwartungen aufzulehnen, sondern dass ihnen von Peer-Group und Therapeuten eine vermeintlich einfache Lösung angeboten wird: Du bist trans!«. Aus diesem Grund kündigt der Artikel der EMMA an, weitere De-Transitioniererinnen zu präsentieren und das Thema aufrecht zu erhalten.626 Auch der gemeinnützige und feministische Verein »Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V.« (TDF) positioniert sich 2020 in einem Positionspapier »Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht« gegen das geplante SelbstBestG. TDF betonen ihren Fokus auf den Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt und Diskriminierung, wobei Mädchen/Frauen als Menschen mit Uterus definiert werden. Im Wortlaut wird die Diskriminierung von Mädchen/Frauen wie folgt erklärt: »Für die patriarchale Geschlechterordnung ist das biologische Geschlecht (Sex) der Anlass für die Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Patriarchale duale Logik trennt und hierarchisiert Menschen entlang des biologischen Körpers von männlich und weiblich. Aus biologischen Unterschieden (biologisch Geschlecht/Sex) werden soziale Geschlechter (Gender) konstruiert, die als ›natürlich‹ vermittelt und dann so wahrgenommen und systemkonform erlebt und gelebt werden. Die Arbeit von TDF fokussiert sich auf jene, die aufgrund ihres gegebenen, weiblichen Geschlechts (Körpers) diskriminiert und mit patriarchalen Erwartungen eingeschränkt werden.«627 Erstaunlich ist die Annahme, dass das vermeintlich biologische Geschlecht als Ursache für das soziale Geschlecht verstanden wird, wobei einschlägige Forschungen zeigen

leblosen Körper bezog (vgl. Hagemann-White [2019]: S. 146f.). Hagemann-White zeigt auf, dass es zunächst für den Feminismus identitätsstiftend gewesen sei, Männergewalt und damit männliche Täterschaft zu benennen, da so die »symbolisierte Dominanz und Unterordnung im Geschlechterverhältnis sowie alle daraus erwachsenden Kränkungen, Verletzungen und Schädigungen von Frauen« (Hagemann-White [2019]: S. 150) benannt werden konnte, dies allerdings zwangsläufig dazu führte, dass Frauen im Alltagswissen auf einen Opferstatus und somit in der Unterdrückung und machtlosen Position festgelegt worden wären. 625 Laufenberg (2019): S. 337. 626 EMMA (2020). 627 Terre des Femmes (2020).

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konnten, dass der Geschlechtskörper der sozialen Segregation folgte (siehe bspw. Foucault, Honneger, Laqueur usw.). Der TDF verfolgt zwei Anliegen in dem Positionspapier: erstens sollen Mädchen/Frauen davor geschützt werden, sich an einer männlichen Normvorstellung des Patriarchats auszurichten, so »dass Mädchen und Frauen eigene Schutz- und Freiheitsräume erhalten, die ihnen eine freie Entfaltung, weit weg von patriarchalen Vorstellungen« ermöglichen, da »immer mehr Menschen mutig aus dem engen Korsett der Geschlechterstereotype ausbrechen, sich nach eigener Weise bewegen, kleiden, lieben, ohne das biologische Geschlecht zu verlassen« und ebenfalls einen Schutz vor der Geschlechterrolle bräuchten.«628 Die zweite Forderung umfasst den Schutz von Schutz- und Rückzugräumen für biologische Mädchen/Frauen, die durch die patriarchale Unterdrückung als vulnerable Gruppe einen besonderen Schutz brauchen. Während das Positionspapier Transgender ebenfalls als vulnerable Gruppe anerkannt, »weil auch sie nicht den patriarchalen Vorstellungen entsprechen«, erfährt diese Personengruppe jedoch ebenso eine scharfe Kritik: »Eintritt durch Transition in fest definierte Geschlechterrollen mit den ihnen entsprechenden Stereotypen ändert allerdings nichts an Binarität oder Hierarchisierung innerhalb des Systems. Er kann im Gegenteil dazu beitragen, das Patriarchat fortzusetzen, zu bekräftigen und sogar dazu führen, patriarchale Logik, Sozialisation und Strukturen in Frauenräume, hineinzutragen.«629 Terre des Femmes hat sich intern im Juli 2022 dazu entschieden, das Positionspapier zurückzuziehen. Als Argumente für die Revision benennt TDF, dass dem Verein das Expert*innen-Wissen bezüglich Transgeschlechtlichkeit fehle und dass die Gefährdung von Frauen-Schutzräumen sich »in der Realität als weitaus unbedeutender dar[stelle], als im Papier angenommen«.630 Im Jahr 2022, und damit zeitlich abgestimmt auf die Koalitionsvereinbarung der neuen Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ein SelbstBestG umzusetzen, erscheint eine Streitschrift von Alice Schwarzer und Chantal Louis zum Thema »Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?«, die auslobt einen aufklärenden Beitrag zu aktuellen Debatten zu liefern. Die Streitschrift liefert unterdessen keine neuen Erkenntnisse, sondern bündelt die zuvor dargestellten journalistischen Texte von Schwarzer/Louis. Auch hier kommen Psychiater*innen und Therapeut*innen zu Wort und ebenso detransitionierte Betroffene.631 Parallel zu der Verkündung des neuen Buches erscheint in der EMMA ein Artikel über die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer, welcher inhaltlich durch die vielfältigen Diskreditierungen und persönlichen Verletzungen, Beleidigungen und Demütigungen auffällt und deutlich macht, dass es sich mehr um eine Provokation als eine feministische Agenda handelt. Indem Ganserers Deadname offen kundgetan wird, drückt der Artikel eine Aberkennung der geschlechtlichen Identität und einer damit verbundenen Lebensrealität aus, die sich mit dem Zusatz verstärkt, Tessa Ganserer sei juristisch und physisch ein Mann. Ganserer wird hier zum

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Terre des Femmes (2020). Terre des Femmes (2020). https://www.queer.de/detail.php?article_id=42742 (letzter Zugriff: 25.08.2022). Vgl. Schwarzer/Louis (2022).

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Beispielmensch für die Gruppe der transgeschlechtlichen Menschen und darüber hinaus zur verachteten Verkörperung des von den Grünen als Gesetzentwurf vorgebrachten SelbstBestG,632 gegen welchen die EMMA nun die Initiative »Geschlecht zählt« ins Feld führt. Abgesehen davon, dass der Name Tessa in Anführungsstriche gesetzt wird und sie immer wieder mittels der Begriffe Mann/Vater männlich adressiert wird, nutzt der Artikel stilistisch eine widersprüchliche Sprache, indem konsequent die gender-gerechte Sprache mittels Binnen-I und Schrägstrich verwendet wird, die in diesem Zusammenhang – indem eine einzige bekannte Person verhandelt wird, die ihr weibliches Geschlecht öffentlich zum Thema gemacht hat – grammatisch falsch ist und einzig dazu genutzt wird, geschlechtliche Verwirrung zu stiften.633 Die »Initiative Geschlecht zählt« muss als provokantes Gegenstück zur Initiative »Grundgesetz für Alle«634 gesehen werden, welche sich für eine Novellierung des Art. 3 Abs. 3 einsetzt, indem gefordert wird Geschlecht um die sexuelle wie geschlechtliche Identität zu ergänzen und auf den Begriff der Rasse wegen seiner rassistischen Wirkung zu verzichten.635 Die Initiative setzt sich nicht nur gegen das geplante SelbstBestG ein, sondern ebenso dafür, dass Ganserer statistisch nicht mehr als Frau innerhalb der Bundestagsstatistik gewertet werden soll. In diesem Zusammenhang wird eine Befürchtung reartikuliert, die bereits in den Stellungnahmen deutlich machte, dass statistische Daten durch das geplante SelbstBestG verzerrt würden, was zu falschen Tatsachen führe: »Alle Statistiken zum Frauenanteil im Parlament sind verfälscht und werden verfälscht fortgeführt.«636 Im Kontext von Geschlecht von einer Tatsache zu sprechen ist schon deshalb prekär, weil sich das Geschlechterverständnis in nahezu allen Fachdisziplinen stark gewandelt und darüber hinaus pluralisiert hat, sodass eine Einigung auf Faktoren – seien sie biologisch, sozial, selbstbestimmt –, die das Geschlecht begründen, unwahrscheinlich wäre. Die Initiative bringt keine nennenswert neuen Erkenntnisse vor, sondern argumentiert im Sinne der Zeitschrift EMMA, dass die rechtliche Geschlechtskategorie keinen Gefühlszustand darstellen sollte, sondern ein »geschlechtsbedingtes Schutz- und Freiheitsrecht« sei, welches körperlich-biologische Merkmale nutzen müsse, um so geschlechtsspezifische Rechte von Frauen und Mädchen zu wahren, wobei es »u.a. um separierte (Frei-)Räume, von Frauen und Mädchen«

632 Die dgti ruft auch ihrer Webseite mittels Dossiers zur Solidarität mit Tessa Ganserer auf, nachdem die EMMA nicht nur vermehrt Ganserer outete, sondern auch den Deadname benannte und zuletzt einer Straftat bezichtigte, da Ganserer über eine Quotenregelung im Bundestag sitze. Die dgti macht deutlich, dass die Quotenregelung der Partei Bündnis 90/Die Grünen auf Selbstauskunft beruhe, sich diese Quotenregelung nicht auf eine stattliche Vorgabe berufe, sondern eine innerparteilich verhandelte Quotenregelung auf freiwilliger Basis sei (vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. [2022]). 633 EMMA (2022). 634 https://grundgesetz-fuer-alle.de (letzter Zugriff: 25.08.2022). 635 In diesem Sinne folgt die Initiative einer modernen Tradition; bereits zur Initiative »Ehe für Alle«, die sich für eine gleichberechtigte gleichgeschlechtliche Ehe einsetzte, gab es die Gegeninitiative »Ehe bleibt Ehe«. 636 Initiative Geschlecht zählt (2022).

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handelt, welche Schutz »vor männlicher Dominanz und Gewalt [bieten] und zu denen männliche Personen, die sich als Frauen verstehen, keinen Zugang erlangen dürfen«.637 Eine weitere Gruppe in Deutschland ist durch »Besorgte Eltern« gekennzeichnet, also jenen Eltern, die sich vornehmlich auch gegen die Unterrichtung von sexueller Vielfalt an Schulen zu Wehr setzen und in ROGD eine Gefahr für Kinder und Jugendliche konstruieren. Die Gruppen »Elternaktion«, »Ehe-Familie-Leben e. V.«, »Transteens Sorge Berechtigt« und »Parents of ROGD Kids« fokussieren vor allem junge Transmänner, die konsequent als Mädchen oder Töchter beschrieben werden, und die sich »Hilfe bei diesen Trans-Gruppen geholt« hätten,638 deren Zahlen zudem rapide zugenommen hätten, da es sich »wie eine Epidemie […] unter gefährdeten Jugendlichen« ausbreite.639 In Eigenaussage mussten sich die Elterninitiativen gründen, um sich gegen Therapeut*innen zu wehren, die »oft im selben ideologischen Fahrwasser schwimmen, wie die radikale Trans-Gemeinschaft, die jeden vorsichtigen Einwand als transphob geißelt«. Weiter heißt es, es sei »die Trans-Lobby […] die neue Hausmacht im Regenbogen-Deutschland«, was im Duktus der Verschwörungsmythen der Queerdenken-Bewegung als »orwellsche Agenda« bezeichnet wird.640 Um sich gegen die sexuelle Vielfalt in der Schule zu wehren, welche vermeintlich alle Kinder zu transgeschlechtlichen Kindern mache, bietet die Initiative Elternaktion eine 32-seitige Broschüre mit dem Titel »Transgender-Hype, Angriff & Abwehr« an. Als Angriff wird dort die Unterrichtung über sexuelle Vielfalt in den Schulen benannt, sowie das SelbstBestG und die staatlich finanzierte »Lobbyarbeit«, womit Interessen- und Betroffenenverbände gemeint sind. Insgesamt fällt auf, dass die Elterninitiative auf traditionelle Geschlechterrollen (bspw. Mutter und Vater) und eine heterosexuelle auf Fortpflanzung ausgerichtete Sexualität beharrt. Damit, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Angriff konstruiert werden, wird eine Abwehr legitimiert. Als bedeutendste Abwehr wird die Intervention in die kindliche Sozialisation benannt und so soll dem Kind bspw. folgendes gesagt werden: »Erklären Sie Ihrem Kind von Anfang an, dass es nur zwei Geschlechter gibt, aber momentan in der Gesellschaft falsche Ideen kursieren. Immunisieren Sie die Kinder von klein auf. Halten Sie in Ihrer Art zu sprechen die biologische Realität aufrecht. Gendern Sie nicht und übernehmen Sie nicht die Begriffe der Transgender-Lobby wie z.B. ›Geschlechtsangleichung‹ oder die Verwendung von neuen Vornamen und Pronomen.«641 Die Initiative »Besorgte Eltern« gehört zu dem Netzwerk »Demo für Alle«, was in Eigenaussage von Beatrix von Storch initiiert wurde. Mitte Februar 2022 hielt von Storch, Bundestagsabgeordnete der AfD, eine Rede im Kontext des internationalen Frauentages und misgenderte die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer und nannte mehrmals ihren Deadname. Die Bundestagsrede, die als Hassrede verstanden werden muss, zitierte unter anderem aus EMMA-Artikeln. Subtext der Rede war die Bezichtigung transgeschlechtlicher Menschen, die traditionellen Geschlechterkategorien und damit verbun-

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Initiative Geschlecht zählt (2022). Vgl. https://www.elternaktion.com (letzter Zugriff: 25.08.2022). Vgl. https://www.parentsofrogdkids.com (letzter Zugriff: 25.08.2022). Vgl. https://www.elternaktion.com (letzter Zugriff: 25.08.2022). Ehe-Familie-Leben e. V.; Initiative Elternaktion (2021): S. 24.

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denen Rollen anzugreifen und die traditionelle Familie zu gefährden. Diese Rede verdeutlicht die neuen rechtspolitisch-cisfeministischen Bündnisse. Doch auch die argumentativen Muster decken die solidarischen Allianzen zwischen rechten und cisfeministischen Akteuren auf; so ist die Behauptung eines Trans-Hypes aufgrund von genderideologischen Inhalten in der Schulpädagogik – die im Umkehrschluss dazu führen würden, dass Kinder und Jugendliche umerzogen werden sollen – nicht neu, da sich eine ähnliche Argumentation im Zuge der Asylpolitik im Jahr 2015 entsponnen hat, in der die Regierung eines großen »geplanten Austauschs« bezichtigt wurde. Auch die »Demo für Alle« (DfA)642 wendet sich dem Thema der Transgeschlechtlichkeit zu und beruft sich auf die umstrittene Littman Studie. Die DfA ist bekannt dafür, gegen die Ehe für Alle (Initiative »Ehe bleibt Ehe«), gegen die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch (Initiative »Lebensschützer*innen«) und gegen Sexualpädagogik (Initiative »Besorgte Eltern«) zu demonstrieren.643 Die Teilnehmenden sind ein Konglomerat aus christlichen Fundamentalist*innen, rechten Akteuren und selbsternannten Retter*innen des Patriarchats und der traditionellen heterosexuellen Mutter-Vater-Kind(er)-Familie. Das Bündnis DfA hat Anfang September 2022 online eine Petition gegen das SelbstBestG geschaltet und nutzt dort die gleichen Angstnarrative, wie sie im Mediendiskurs dominierend sind. Unter den weiterführenden Links finden sich vornehmlich die in dieser Medienanalyse besprochenen Zeitungsartikel.644 Im April 2022 veröffentlichte die Initiative DfA auf ihrem Youtube-Kanal ein Erklärvideo mit dem Titel »Kinderfalle Transgender-Hype – einfach erklärt«. Das Video stellt die Behauptung auf, dass Transgeschlechtlichkeit ein gefährlicher Hype sei und es früher kaum transgeschlechtliche Menschen gegeben hätte. Belege werden für diese Behauptungen indessen keine genannt. Vor allem Jugendliche werden als gefährdete Gruppe dargestellt, indem das Coming-Out einer einzigen Person dazu führe, dass eine ganze Peer-Group plötzlich transgeschlechtlich sei. Es finden sich weitere Falschinformationen, indem der personenstandsrechtliche Geschlechtseintrag mit dem Zugang zu genitalangleichenden Operationen und Hormonbehandlungen gleichgesetzt wird, wobei das geplante SelbstBestG diese medizinischen Behandlungen in keiner Weise regelt, sondern vielmehr die Intention verfolgt, den gesellschaftlichen Druck im Kontext dieser Behandlungen zu mindern und so die Entscheidungen zu autonomisieren. Auch in diesem Video finden sich Behauptungen bzgl. Regretter*innen, die erneut ohne Quellen in den Raum gestellt werden. Die Aussage »das Gefühl im falschen Körper gefangen zu sein«, wird so zur unumkehrbaren Realität und konstruiert den Wunsch nach einer genitalangleichenden Operation als subjektives Empfinden, wohingegen das Empfinden, mit einer solchen Operation eine falsche Entscheidung ge642 Wir wählen hier bewusst die Abkürzung DfA für die Initiative »Demo für Alle«, da das Akronym rückwärtsgelesen preisgibt, welche Akteure sich hinter der Initiative verbergen. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch hat jüngst auf einer Wahlkampfveranstaltung zugegeben, dass ihr Büro zunächst die »Zivile Koalition« als aktivistisches Agitationsforum und daraus hervorgehend die Initiative DfA anleitet (vgl. https://www.queer.de/detail.php?article_id=23190 [letzter Zugriff: 20.11.2022]). Ideologisch betrachtet entsprechen DfA und AfD demnach einem sprachlichen Palindrom. 643 Vgl. https://demofueralle.de/ueber-uns/ (letzter Zugriff: 20.11.2022). 644 Vgl. https://citizengo.org/de/fm/208989-nein-zum-trans-hype-gesetz (letzter Zugriff: 20.11.2022).

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troffen zu haben, als Realität beschrieben zu etwas Wahrhaftem konstruiert wird. Das Video endet mit dem Hinweis auf die kostenlose Informationsbroschüre der Initiative »Elternaktion«.645 Ein weiteres Video auf dem DfA Youtube-Kanal, welches im Juli 2022 veröffentlicht wurde, befasst sich ähnlich dem zuvor besprochenen Welt-Artikel ebenfalls mit dem Kinderprogramm des ÖRR. Hedwig von Beverfoerde bezichtigt den ÖRR einer Sexualisierung von Kindern und der Verbreitung einer Transgender-Ideologie und verweist dazu als vermeintliche Quelle auf das Dossier von Korte et al. Eine Quelle, die in Selbstaussage keinen wissenschaftlichen Standards entspricht und weitestgehend ohne Quellen auskommt, um die eigenen Thesen zu belegen. Das Video endet mit einem Aufruf, die Petition »Sex und Trans-Kult: Raus aus dem Kinder-TV« zu unterschreiben, um so »alle kinder- und jugendgefährdenden Inhalte« aus dem Programm des ÖRR zu verbannen.646 Nun bleibt die Frage offen, warum hier vor allem der ÖRR adressiert wird, da auch im Privatfernsehen transfreundliche Sendeformate zu finden sind. Die Antwort lautet: Der ÖRR wird von allen Haushalten empfangen sowie staatlich finanziert, nur hier greift die Propaganda einer Indoktrination der Bevölkerung. Die DfA setzt zunehmend auf öffentliche Wahrnehmung; neben Demonstrationen und Netz-Aktivismus fährt der Zusammenschluss seit 2017 zusätzlich mit einem orangefarbigen »Bus der Meinungsfreiheit« durch Deutschland, der wahlweise Aufschriften gegen Sexualpädagogik (»Schützt unsere Kinder«), gegen die Ehe für Alle (»Lasst euch nicht verunsichern«), gegen Gender (»Gleichberechtigung: ja; Gleichmachung: nein«) und gegen Transgeschlechtlichkeit (»Manche Dinge sind einfach + logisch: Jungs sind Jungs. Mädchen sind Mädchen.«) zeigt, und laut Eigenaussage neben der »Aufregung der linksbunten Protestler [den eigenen] Botschaften die volle Aufmerksamkeit beschert«.647 Die DfA argumentiert mit der Aussage, dass eine vermeintliche Minderheit die Mehrheit unterdrücke und Sexualpädagogik, Öffnung der Ehe für Alle und SelbstBestG für die größtenteils normale Gesellschaft irrelevant seien. In diesem Kontext können erneut Studien hilfreich sein, um zu überprüfen, ob es den Tatsachen entspricht, dass eine Mehrheit sich durch eine Minderheit manipuliert fühlt und das SelbstBestG wie eine schulische vielfältige Sexualaufklärung ablehnt. Die EU-Kommission gab im Jahr 2019 die Ergebnisse des Eurobarometers bekannt. Für Deutschland stellte sich heraus, dass 70 % der Befragten befürworten, dass transgeschlechtliche Personen den Geschlechtseintrag ändern dürfen, und immerhin 59 % sprachen sich auch für eine dritte Geschlechtsoption im Personenstand aus. Weitere 72 % wünschten sich das Thema Transgeschlechtlichkeit als Thema im Schulunterricht.648 Eine weitere Studie untersucht hingegen die DfA selbst; so konnte Neil Datta bezüglich der »Demo für Alle« in seiner EU-weiten Studie aufdecken, dass Beatrix von Storch mit ihrer 2005 gegründeten Plattform »Zivile Koalition« nicht nur Anti-Gender, Anti-Islam, Anti-Immigration und Anti-Links Themen vernetzen, sondern ebenso entlang der Schaf-

645 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=o3RSF6Nz_dU&list=PLt0U2vGw4WS3EZohg0DJ8GBW Wkqj_d7z (letzter Zugriff: 20.11.2022). 646 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=9hIn11ZdZUg (letzter Zugriff: 20.11.2022). 647 Vgl. https://bus-der-meinungsfreiheit.com/ueber/(letzter Zugriff: 20.11.2022). 648 Vgl. https://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinionmobile/index.cfm/survey/getsurveydet ail/instruments/special/surveyky/2251 (letzter Zugriff: 20.11.2022).

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fung von diversen Initiativen politischen Druck ausüben wollten, indem Bundestagsabgeordnete und Medienvertreter*innen mit eMails überhäuft wurden, welche die politische Agenda von Beatrix von Storch unter dem Deckmantel vermeintlich unterschiedlicher Initiativen verbreitet haben. Zudem seien die Webseiten »Datensauger«, da eine Spende oder ein Herunterladen von Daten einer vorherigen Registrierung bedürfen und von Storch so über eine große Kontaktdatensammlung aus der rechten und christlichfundamentalistischen Szene verfügt, welche von Storch im Kontext der Wahlen zu nutzen wusste.649 Neil Datta zeigt zudem das Netzwerk der aristokratischen Spender*innen auf, wozu bspw. Paul von Oldenburg, der Cousin von Beatrix von Storch, Gloria von Thurn und Taxis sowie Hedwig Freifrau von Beverfoerde gehören, womit hier nur die bekanntesten aristokratischen Spender*innen benannt wären.650 Auch auf europäischer Ebene finden sich Bestrebungen gegen die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte hinsichtlich sexueller und geschlechtlicher Identitäten und der reproduktiven Rechte. 2018 erschienen auf der 2013 veröffentlichten Webseite »Agenda Europe« thematische Schwerpunkte, so u.a. die Entwicklung einer Strategie gegen die Sterbehilfe, gegen Antidiskriminierungsgesetze, gegen Empfängnisverhütung, Ehescheidung und Leihmutterschaft, aber auch die Strategie, die christlich-bürgerliche Kleinfamilie stärken zu wollen und Gesetze gegen queere Lebens- und Liebensweisen zu verabschieden.651 Die Agenda Europe veröffentlichte rasch ein 134 Seiten langes Manifest mit dem Titel »Die natürliche Ordnung wiederherstellen«.652 Die anonymen Verfasser*innen betonen darin ein ideologisches Selbstbild: »Mit dem vorliegenden Papier bezwecken wir daher, einen in sich schlüssigen Überblick über Lebens- und Familienfragen zu bieten, zu erklären, wie sie zusammenhängen, und eine mögliche politische Agenda zur Wiederherstellung einer Rechtsordnung zu skizzieren, die mit der Menschenwürde und dem Naturrecht vereinbar ist.«653 Mittels dogmatischer Grundhaltung und christlich geprägter, stark verkürzter Weltsicht sollen unterschiedliche Phänomene wie Schwangerschaftsabbrüche, queere Lebensweisen, Sterbehilfe u.v.m. schnell als Angriffe gegen das Naturrecht identifizierbar sein und der Eindruck erweckt werden, Gegenwehr gegen diese gesellschaftlichen Entwicklungen sei Notwehr. Die vermeintlich natürliche Ordnung ist schnell erkennbar ein Euphemismus für eine fundamentalistische Glaubensvorstellung. Homosexualität wird konsequent durch die Verfassenden abgelehnt. So spricht das Manifest bspw. von gefährlichen Auswirkungen einer Entkriminalisierung und fordert »das Hinarbeiten auf die Wiedereinführung von Gesetzen, die homosexuelle Aktivitäten unterdrücken«.654 Während Schwangerschaftsabbrüche mit dem Verweis auf das Recht auf Leben verboten werden sollen, wird eine Einführung der Todesstrafe hingegen begrüßt.655 Gleichbehandlungs- oder Antidiskriminierungsgesetze werden von der Agenda Europe abge-

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Vgl. Datta (2021): S. 46f. Vgl. Datta (2021): S. 88. Vgl. profamilia (2018): S. 11ff. Vgl. profamilia (2018): S. 16. Agenda Europe (2018): S. 7. Agenda Europe (2018): S. 50. Vgl. Agenda Europe (2018): S. 63ff.

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lehnt, da sie angeblich zu einer Diktatur der Minderheit gegen die »Mehrheit führen, die eindeutig im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien steht«.656 Darunter fallen auch Geschlechterquoten, die wiederrum laut Manifest einen »Orwellschen Charakter« haben. Auch würden Antidiskriminierungsgesetze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und somit eine freie Meinungsäußerung all jener verhindern, die sich in ihrem Naturrecht durch homosexuelle oder transgeschlechtliche Personen bedroht fühlen.657 Eine Untersuchung von profamilia hat ergeben, dass sich hinter dem Zusammenschluss Agenda Europe Stellvertreter*innen des Vatikans (bspw. Gudrun Kugler, Terrence McKeengan), ebenso wie führende europäische Politiker*innen (bspw. Sophia Kuby) verbergen, die wiederrum von Adeligen, Milliardären und Oligarchen Geldspenden erhalten und unter der Flagge, gegen eine vermeintliche Gender-Ideologie zu agieren, darum bemüht sind, das heteronormative Patriarchat als hegemoniale Ordnung durchzusetzen.658 Auch die politische Strategie der AfD kann in dem Manifest wiedergefunden werden; so betont das Manifest bspw. die Strategien der Gegner*innen zu übernehmen und Forderungen rechtlich durchzusetzen.659 So forderte die AfD in konkreter Antwort auf die Forderung durch Bündnis 90/Die Grünen, einen »Nationalen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt« zu verabschieden, dass ein Aktionsplan mit dem Titel »Babys willkommen heißen, Familie leben – Bundesweiter Aktionsplan für Familie, Ehe und Kinder« verabschiedet werden müsse, welcher die heteronormative Ordnung wiederherstellen möge.660 Somit vernetzt die »Demo für Alle« die Ablehnung von schulischer Sexualpädagogik und die Ablehnung des Selbstbestimmungsgesetzes unter dem Slogan »Gender-Ideologie«. Dabei greifen die Verfassenden auf das GG Art. 6 Abs. 2 zurück und verkürzen dieses auf ein vermeintliches Naturrecht, indem sie auf den zweiten ergänzenden Satz des Abs. verzichten: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.« Zum einen sind natürliche Rechte etwas anderes als ein Naturrecht, viel bedeutender ist in diesem Kontext jedoch die Strategie der selektiven Wissensvermittlung, indem wesentliche Bestandteile einer Quelle zur Beweisführung weggelassen werden. Die Initiative »Parents of ROGD Kids« beschreibt Kinder pauschal als jung und beeinflussbar. Kinder würden vor allem von »Autoritätspersonen wie Lehr/innen, Ärzt/innen, Therapeut/innen und Sozialarbeiter/innen irregeführt, die sie im neu-gewünschten Geschlecht sofort bestätigen, ohne jemals zu hinterfragen«, weshalb die Initiative die affirmative Herangehensweise als Konversionstherapie versteht.661 Eine weitere »Elterninitiative« bemüht sich als Interessengemeinschaft darum eine eigenständige Informationsquelle darzustellen, verwendet aber auch das höchst umstrittene ROGD-Konzept.662 Wenngleich die Initiative »Transteens Sorge Berechtigt« zunächst einen gemä-

656 657 658 659 660 661 662

Vgl. Agenda Europe (2018): S. 103. Vgl. Agenda Europe (2018): S. 101ff. Vgl. profamilia (2018): S. 27ff. Vgl. Agenda Europe (2018): S. 115ff. Vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/19/106/1910632.pdf (letzter Zugriff: 20.11.2022). https://www.parentsofrogdkids.com (letzter Zugriff: 25.08.2022). Vgl. https://www.transteens-sorge-berechtigt.net (letzter Zugriff: 25.08.2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

ßigten Ton anschlägt, finden sich auch hier Aussagen wie »Ansteckung durch Social Media nachgewiesen«, »Aufruf gegen die Fehlberichterstattung des ÖRR«, »es hat schon immer Homosexuelle gegeben. Transpersonen nicht«, »Homosexuelle gibt es überall auf der Welt. Transpersonen nicht«, »Gleichgeschlechtlichkeit ist empirisch nachweisbar. Transsein nicht«, »Homosexualität entsteht nicht durch soziale Einflüsse. Transidentifikation schon« usw. Auch hier werden Tipps im Umgang mit transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen gegeben. Auch hier soll dem Mündel beigebracht werden, dass ein Geschlecht nur biologisch bestimmbar und binär sei und auch nicht gewechselt werden könne. Im Februar 2022 sendete die Initiative einen offenen Brief an zehn Spezialist*innen für die Behandlung transgeschlechtlicher Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener, in welchem sie sich über die affirmative Behandlungsnorm als beunruhigt ausweisen. Bei allen Elterninitiativen finden sich Verbindungen zu Alexander Korte, Eva Engelken und Alice Schwarzer. Auf all diesen Seiten liegt ein confirmation bias vor, da Informationen so ausgewählt werden, dass sie das eigene Weltbild und die eigenen Erwartungen erfüllen, wodurch Interessierte, die unbedarft auf diesen Seiten landen, eine kognitive Verzerrung erleben. Zudem kann festgestellt werden, dass die drei zuvor genannten Diskursakteure verängstigte Eltern in ihren schriftlichen Darstellungen instrumentalisieren, so wurde bspw. im April 2022 ein offener Brief einer besorgten Mutter an den Queerbeauftragten Sven Lehmann auf der EMMA-Website veröffentlicht. Die Mutter bezeichnete sich selbst als links sowie diversität-supportend und startet mit folgender Argumentation ihre Empörung über den fehlenden Schutz von heterosexuellen Kindern: »Aber was die sexuelle Neigung angeht, werden unsere Teenager tatsächlich inzwischen extrem verwirrt. Ich war sehr überrascht, als meine Tochter mir erzählt hat, mit welcher Leichtigkeit sich Mitschüler:innen von ihr in der Oberstufe inzwischen als pansexuell (ich musste erst einmal googlen, was das heißt), bisexuell, homosexuell und auch mehrere Schülerinnen als transsexuell bezeichnen. Bei dieser Gemengelage – wo den Kindern täglich auf Instagram & Co. vorgelebt wird, dass Anderssein mehr Klicks bringt und Aufmerksamkeit erzeugt – fragt sich das durchschnittlich heterosexuelle Kind inzwischen, ob mit ihm alles in Ordnung ist, ob es ›anders‹ ist. […] Diese ganzen Buchstaben LGBTQIA+ und nächstes Jahr vielleicht noch ein paar Buchstaben mehr bringen diese unsicheren und pubertierenden Kinder durcheinander.«663 Die Mutter bringt zum Ausdruck, dass die Bundesregierung die Mehrheit vergesse, die durch eine »extrem kleine Gruppe« verdrängt werde. Im Prinzip geht es hier nicht um die Sicht einer Betroffenen, da die eigene Tochter nicht als transgeschlechtlich vorgestellt wurde, es geht um heteronormative Privilegienvorrechte, die nun zwecks Gleichstellung in Gefahr sind und dazu führen, dass Menschen sich mit dem gesellschaftlichen Wandel auseinandersetzen müssen, wodurch auch die eigene geschlechtliche und sexuelle Identifizierung reflektierbar wird. Die EMMA diskutiert ebenso das Gesetz, welches Konversionsbehandlungen verbieten soll, und gibt sich alarmiert, da sich das Gesetz nicht ausschließlich auf Konversionsbehandlung bezieht, die homosexuelle Orientierung zu heilen glauben, sondern auch auf Menschen mit geschlechtlichem Transitionswunsch erweitert werde. Kritisiert 663 Moers (2022).

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wird, dass Behandlungen verboten werden, die eine Veränderung oder Unterdrückung der selbstempfundenen Geschlechtsidentität anvisieren, so müsse gezwungenermaßen transaffirmativ behandelt werden, statt ausgangsoffen. Ein Hinterfragen des Transitionswunsches sei somit nicht mehr gestattet. Hier werden die Theoreme »transaffirmativ« und »ausgangsoffen« als Gegensätze konstruiert, wobei das Antonym zu transaffirmativ in dem Begriff transablehnend und der Gegensatz des Begriffs ausgangsoffen mit wegweisend zu benennen wäre. Um die eigene Argumentationslogik zu stärken, werden durch die EMMA-Redakteur*innen demnach offensichtliche Falschbehauptungen angeboten. Statt hier den Fokus auf Transgeschlechtlichkeit oder Homosexualität zu legen, sollte das Gesetz als Stärkung der Patient*innen-Selbstbestimmung und als Versuch verstanden werden, eine paternalismuskritische Berufsrollenreflexion anzuregen. Stattdessen wird in der EMMA ein pauschales Berufsverbot konstruiert.664 Das Verbot von Konversionsbemühungen, also der Veränderung oder Unterdrückung der selbstempfundenen Geschlechtsidentität und/oder Sexualität, soll künftige Patient*innen jedoch davor schützten, dass sie entlang von Stereotypen, Vorurteilen und Normvorstellungen – die gesellschaftlich vermittelt und individuell durchgesetzt werden können – behandelt werden. Weiter rekurriert auch dieser EMMA-Artikel auf die De-Transitionierer, eine an der Gesamtzahl der PÄ gemessen erstaunlich geringe Personenanzahl – Meyenburg et al. geben in ihrer Studie auf 670 Gutachtenanträge unter 1 % an Anträgen bezüglich Rückänderungsansinnen nach § 6 TSG an665 und Adamietz/Bager geben für die Vergleichsjahre 2007, 2010 und 2013 auf insgesamt 1213 PÄ eine Zahl von 17 Rückänderungen an, was ungefähr 1,4 % entspricht666 – wobei die EMMA selbst keine Zahlen zum Beweis anführt, sondern drei Beispielbiografien präsentiert und somit das Betroffenheitsgefühl der Leser*innen adressiert, statt wissenschaftlich zu belegen. Weiter sei die Erweiterung des Gesetzes um Transgeschlechtlichkeit auf die »in Teilen fanatisierte und ideologisierte Translobby« zurückzuführen.667 Damit wird Menschen, die als Interessenverbandsmitglieder die eigenen Interessen vertreten, eine rigorose Idee – die kompromisslos durchgesetzt wird und einer bestimmten dogmatischen Weltanschauung entspringt – unterstellt, wobei sich das politische Ansinnen ausschließlich auf die Verbesserungen der eigenen Lebenswirklichkeit bezieht und weitere Menschen nicht in ihrer Selbstbestimmung hindert. Das Leiden an einem Geschlechterrollendruck und das Ablehnen von der eigenen Geschlechtsklassifizierung müssen weder als Gleichsetzung noch als Gegensätze verstanden werden, denn beide resultieren aus einer Missachtung der persönlichen Selbstbestimmung und einem Eingriff in die Identitätsentwicklung – allerdings bedeutet die Zurückweisung der fremdbestimmten Geschlechtsklassifikation nicht, dass das Übernehmen einer Geschlechterrolle als erdrückend wahrgenommen wird. Die EMMA-Diskursbeiträge arbeiten immer wieder mit dem Konstrukt von Gegensatzpaaren, die einer Analyse jedoch nicht standhalten. Ebenfalls findet sich ein Artikel auf dem rechtspolitischen Blog »die Achse des Guten«, der eine weitere Differenzierung vornimmt, indem die Unterscheidung von

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Louis (2020a). Meyenburg et al. (2015): S. 116f. Adamietz; Bager (2016): S. 191. Louis (2020a).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

»subjektive Transgender« und »objektive Transsexuelle« vorgenommen wird. Transsexuelle werden als Menschen mit psychischen Problemen definiert, die durch Hormongabe und Operation Heilung erwarten könnten. Durch rechtliche Veränderungen sei es jedoch möglich, einen Personenstand zu wechseln, ohne Hormonabgabe und Operation, weshalb richtige Transsexuelle von Transgender unterschieden werden müssten. Transgender werden beschrieben als Menschen, die sich einreden oder einbilden geschlechtlich falsch klassifiziert worden zu sein, was als Mode bezeichnet wird. Lövenich vermutet dahinter identitätspolitische Bestrebungen.668 Christoph Lövenich greift hier eine begriffliche Trennung auf, die wissenschaftlich bereits eine Weile, wenngleich entlang von gänzlich anderen Definitionen, diskutiert wird. Hoenes und Schirmer verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Debatte, die sich darum bemühte Transsex und Transgender begrifflich zu unterscheiden, um so adäquat zwei voneinander zu unterscheidende Phänomene zu bezeichnen. Dies wurde an die Begrifflichkeiten gender & sex angelehnt, welche sich auf die selbstbestimmte Geschlechtsidentität und das zugeschriebene Körpergeschlecht beziehen. Das Theorem Transsex würde begrifflich demnach jene Menschen umfassen, die eine Veränderung des Körpergeschlechts wünschen, während der Begriff Transgender jene Personen definieren soll, die lediglich eine PÄ fordern.669 Diese Versuche, welche »die Begriffe Transgender und Transsexualität entlang des Kriteriums der Inanspruchnahme medizinischer Maßnahmen klar voneinander abzugrenzen, setzen sich nicht durch«.670 Wie auch durch die Kritik von ATME deutlich wird, entstanden entlang dieser begrifflichen Differenzierung einige Kontroversen, die auf einen identitätspolitischen Kampf verweisen. Die EMMA führt in ihrem Diskursbeitrag zwecks Beweisführung drei Beispielmenschen an, die als Stellvertreter*innen für Desister und somit als Beispielmenschen verstanden werden. Sam (29), Nele (23) und Ellie (21) werden in einem Interview zu ihren transgeschlechtlichen Erfahrungen, Lebensweisen und Konflikten befragt. Das Interview selbst bedient sich von Anbeginn an Suggestivfragen; so fragt die Eingangsfrage bspw. »wann und warum habt ihr geglaubt, dass ihr trans seid?« und setzt mit dem Wort »geglaubt« auf die Wirkung, dass eine zu dem Zeitpunkt möglicherweise existierende Transgeschlechtlichkeit anzweifelbar war. Die jungen Frauen schildern in dem Interview vor allem ihre Selbstwahrnehmung als Personen, die von der erwarteten Geschlechterrolle und den herrschenden Geschlechterstereotypen abwichen und dadurch zu Außenseiterinnen gemacht wurden. Weiter schildern sie einen dadurch erzeugten Selbsthass, der dazu geführt habe, dass der eigene Körper abgelehnt und Zuflucht im männlichen Körper gesucht wurde. Das Leben als junge Männer hingegen wird als Rollenspiel geschildert, da die vorherige männliche Sozialisation fehlte.671 Der Begriff Geschlechterrolle verweist im Allgemeinen darauf, dass allen Menschen das Übernehmen und teils gewiss auch das Spielen einer geschlechtlichen Rolle gesellschaftlich auferlegt wird. Hier aber wird das Spielen einer Rolle als Teil der Transgeschlechtlichkeit besondert und problematisiert. Sam vermutet hinter dem positiven Gutachten gar eine heteronormative

668 669 670 671

Lövenich (2020). Vgl. Hoenes; Schirmer (2019): S. 1204f. Hoenes; Schirmer (2019): S. 1205. Louis (2020b).

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Handlung, da sie als lesbische Frau so als ein transgeschlechtlicher, aber heterosexueller Mann angesehen würde. Sam schildert weiter, dass in ihrer Generation insgesamt lesbisch-sein nicht benennbar sei und sich die meisten lesbischen Frauen queer nennen, um nicht transphob zu sein, weil das lesbisch-sein das biologische Frau-sein reproduziere. Nele hingegen wirft den Gutachtenden vor, dass diese nicht erkannt haben, dass bei ihr eine Essstörung vorliegt, welche jedoch den Wunsch nach transgeschlechtlicher Transition bedingt habe. Die Therapie unterdessen habe ihr bei ihren tatsächlichen Problemen nicht geholfen, sondern stereotyp transgeschlechtliche Annahmen aufgerufen, so bspw. das Erleben von Misgendering, Probleme in der geschlechtlichen Alltagsperformanz usw.672 Alle angesprochenen Phänomene sind mit Sicherheit existent und mit noch größerer Sicherheit können die Phänomene gesellschaftlich behoben werden, ohne sie in Konkurrenz oder begründet durch Transgeschlechtlichkeit zu verstehen. Weiter werden vermehrt Kontrollfragen gestellt, bspw. »Hat man euch über das erhöhte Krebsrisiko aufgeklärt«; »Hat nie jemand anders, zum Beispiel deine Eltern oder Lehrer, die Diagnose hinterfragt«; »Hat der Therapeut dich nach deinem Konflikt mit der weiblichen Rolle gefragt«, als auch rhetorische Fragen, bspw. »Warum habt ihr alle drei eigentlich nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, als lesbische Frauen zu leben, die nicht dem Rollenklischee entsprechen?« sowie Kontrastfragen, bspw. »Hat euch nie jemand gesagt, dass man als Frau auch ein rollenabweichendes Verhalten zeigen darf?«673 In dem vorliegenden EMMA-Interview werden Fachbegriffe nicht adäquat definiert, indem bspw. der Affirmationsansatz, als reine Bestätigung des Transitionswunschs beschrieben wird. Im Gegenteil unterstützt die affirmative Therapie die Identitätssuche und lehnt eine Pathologisierung der Sexualität oder des Geschlechts ab. Zusätzlich wird in dem Artikel deutlich, dass Gegensätze konstruiert werden, da alles, was nicht Affirmativtherapie ist, als Konversionstherapie abgelehnt würde. Eine weitere, vor allem digitale Diskursakteurin ist Eva Engelken, Juristin und Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Engelken bemüht sich in ihrer Ausführung vor allem um das Sicherheitsdispositiv, indem auf der einen Seite transgeschlechtliche Frauen weiter als Männer gelesen werden, die in Frauenräume (bspw. Frauenräume, -sauna, -dusche) eindringen, und auf der anderen Seite Kinder durch frühzeitige Transition in ihrer Entwicklung geschädigt würden. Auch hier wird mit Beispielmenschen gearbeitet, indem ein FAQ die größtenteils angsterfüllten oder von Süffisanz gekennzeichneten Fragen – vermeintlich aus der Bevölkerung – beantwortet.674 Engelken spricht von einer illegitimen Beeinflussung der Politik durch die Trans-Rechts-Aktivisten-Lobby (kurz TRA-Lobby), wodurch die Realität ausgeblendet werde.675 Auch Engelken spricht von eindeutigen Geschlechtern und hält am Personenstand als plausiblem und nachhaltigem Ordnungsinstrument fest. Statt eine PÄ anzubieten, wäre es nötig Diskriminierungen zu bekämpfen, damit »sich jeder fühlen und anziehen [darf,] wie er will«.676 Dass beide Forderungen – die nach geschlechtlicher Selbstbestimmung und die nach einem diskriminierungsfreien Leben – umsetzbar sind, das wird durch die Konstrukti-

672 673 674 675 676

Vgl. Louis (2020b). Louis (2020b). Vgl. Engelken (2020a). Vgl. Engelken (2020b). Engelken (2020b).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

on der Gleichsetzung von Transaffirmation und Geschlechtsrollenreproduktion verunmöglicht. Mit der Zeit wird die Argumentation von Engelken härter, was durch die Verwendung neuer Schlagwörter deutlich wird. In Widerstand gegen die TERF-Bezeichnung benennt Engelken die Transaktivist*innen als »frauenfeindliche Männerrechtsbewegung«.677 Die 2022 erschienene Herausgeberschaft »Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?« von Alice Schwarzer und Chantal Louis hat bereits im Vorfeld für Kontroversen gesorgt, was die Verlegerin in Eigenaussage zu einem Statement im Buch veranlasst hat, in welchem sie erklärt, warum dem Verlag eine Veröffentlichung wichtig war, wenngleich sich über diese einige Menschen empören. Insgesamt bündelt der Band bereits bekannte Texte von Schwarzer/Louis und bereits veröffentlichte Beiträge wie Interviews aus der EMMA, sowie einige Kommentare von Elterninitiativen und Wissenschaftler*innen. In Schwarzers Einführung wird eine Pfadabhängigkeit deutlich, wenn sie beschreibt, dass sich ihr feministischer Kampf von Anbeginn gegen die Konstruktion einer angeborenen Geschlechterrolle richtet, was sie ebenfalls auf die sexuelle Orientierung transferiert, die ebenfalls nicht angeboren, sondern lebenslang variabel bleibe und gleichzeitig Transgeschlechtlichkeit vornehmlich als das Leiden an einer zugewiesenen Geschlechterrolle erkennt, während jene Menschen, die sich selber als transgeschlechtlich benennen, nicht das soziale, sondern das biologische Geschlecht infrage stellen und somit die stereotypen Geschlechterrollen reproduzierten.678 Diese Sichtweise auf Transgeschlechtlichkeit ist eine individuell sehr verkürzte, da zum einen nicht alle transgeschlechtlichen Menschen politisch aktiv Geschlechtlichkeit infrage stellen, zum anderen durchaus ihr Leiden als ein Leiden an der sozialen Konstruktion des Geschlechts wahrnehmen, welches in der Regel die Geschlechtsklassifikation ausschließlich am zuvor gesellschaftlich binär geteilten Körper ausrichtet und dementsprechend Rollen und Pflichten zuweist. Schwarzer verortet sich selbst als universalistische Feministin, die nun erleben müsse, dass »ihr Credo eines Tages in einer fundamentalen Leugnung auch des biologischen Geschlechts münden würde«, wobei sie hier dezidiert auf die Theorien von Judith Butler verweist.679 Butler hat als eine von vielen geschlechtersoziologischen Theoretiker*innen jedoch niemals körperliche Unterschiede geleugnet, sondern darauf hingewiesen, dass die Geschlechtsklassifizierung keine biologische Essenz habe, sondern die Gesellschaft Körperunterschiede dazu genutzt habe, zwei Geschlechter zu konstruieren. Schwarzer zeichnet sich selbst als offen aus, wenn sie darauf verweist, transgeschlechtliche Frauen 1984 als »Schwestern« in die Frauenräume inkludiert haben zu wollen, wobei sie diese Inklusion an die geringen Fallzahlen bindet und die gesetzlichen Hürden damals noch eine geschlechtsangleichende Operation verlangten, wodurch es gesetzlich keine Frauen mit Penis gab. Schwarzer schlussfolgert, dass die gesellschaftliche Entwicklung zu problematisieren sei, da nun Menschen mit Penis in Frauenräume vordringen und geschlechter-nonkonforme unangepasste Mädchen und junge Frauen suggeriert bekämen, Transgeschlechtlichkeit sei ihre Lösung und so die

677 Engelken (2021). 678 Vgl. Schwarzer (2022): S. 7ff. 679 Vgl. Schwarzer (2022): S. 9.

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Wirkmacht der Geschlechterrollen gestärkt würde, wobei bereits das Hinterfragen dieser gesellschaftlichen Entwicklung als transphob gelte.680 Schwarzer beruft sich auf Korte, welcher schlussfolgert, dass junge Menschen, statt eine Diagnose abzuwarten, bereits als Achtjährige ins Smartphone schauen und sich selbst als transgeschlechtlich definieren. Den Grund für diese Entwicklung, welche Schwarzer als Trans-Trend diffamiert, erkennt Schwarzer in der Queer Bewegung, welche ihrer Ansicht nach einem inhärenten unlogischen Gegensatz verfalle, da sie auf der einen Seite für die Genderfluiditätplädiere, jedoch bei Transgeschlechtlichkeit in der binären Zwei-Geschlechter-Ordnung verbleibe. Die Forderung nach einer geschlechtlichen Selbstbestimmung würde die bisherige Ordnung umkehren, folglich das soziale Geschlecht als angeboren gelten.681 Diese Schlussfolgerung ist schwer nachzuvollziehen, weil sich aus einer geschlechtlichen Selbstbestimmung, welche die Eingruppierung in eine Geschlechterkategorie jeder Person individuell selbst überlassen will, nicht induzieren lässt, dass es ein angeborenes soziales Geschlecht gibt, sondern ausschließlich die Zuordnung zu einer von x-Kategorien selbstbestimmt verlaufen soll. Besonders widersprüchlich erscheint die Selbstaussage Schwarzers, dass das biologische Geschlecht für sie zwar existiere, »aber keine den Menschen definierende Rolle spielen dürfe«.682 Genau dies greift das SelbstBestG auf, da eine gesetzliche Zuordnung zu einer Geschlechterkategorie sich bisher ausschließlich am geburtskörperlichen Erscheinungsbild orientiert. Schwarzer problematisiert vor allem die steigenden Zahlen junger weiblich klassifizierter Personen, die sich als männlich definieren, da sie im Mann-sein eine Flucht aus der »Einengung und Zumutung des Frauseins in einer patriarchalen Welt« und den Wunsch nach männlichen Freiheiten erkennt.683 Mädchen und junge Frauen, so eine weitere These Schwarzers, würden gesellschaftlich in den Selbsthass getrieben und durch die Option der Transgeschlechtlichkeit davon abgehalten, gegen die Geschlechternormen zu kämpfen. Als weitere Ursache für eine falsche Selbstdiagnostik von Transgeschlechtlichkeit benennt Schwarzer die Flucht vor dem sexuell vergewaltigten Körper oder die unterdrückte Homosexualität. In diesem Kontext bezieht sich Schwarzer erneut auf Korte, welcher in der »›Transideologie‹ […] ein regelrechtes ›Homosexualitäts-Verhinderungs-Programm‹« vermutet.684 Weiter spricht Schwarzer von der sprachlichen Auslöschung der Kategorie Frau, welche sie in neuen Begriffen wie »FLINTA« erkennt.685 FLINTA ist jedoch keine neue Identitätsbezeichnung, sondern ein Akronym, welches Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre-, transund ageschlechtliche Menschen subsummiert und in der Regel auf inklusive Schutzräume aufmerksam macht. Schwarzer hingegen erkennt darin einen Androzentrismus, da die Kategorie Mann unberührt bleibt, wobei FLINTAs als diverse Abweichung verstanden würden.686 Was erstmal ganz schlüssig klingt, verweist auf eine fehlende Praxiskenntnis, da FLINTA-Runden in den kritischen Männlichkeitsrunden ein Pendant haben und

680 681 682 683 684 685 686

Vgl. Schwarzer (2022): S. 10f. Vgl. Schwarzer (2022): S. 12f. Schwarzer (2022): S. 13. Schwarzer (2022): S. 14. Schwarzer (2022): S. 15. Vgl. Schwarzer (2022): S. 16. Vgl. Schwarzer (2022): S. 16.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

die Trennung vor allem darauf basiert, dass in der einen Runde der Umgang mit den erlebten Diskriminierung und eigene Bedürfnisse zum Thema werden, während die andere Runde sich mit dem eigenen Verstrickt-sein in patriarchale Strukturen befasst und nach Wegen sucht, diese aufzubrechen. Chantal Louis benennt das ROGD-Konzept als Grund für die steigende Anzahl von jungen transgeschlechtlichen Männern. Das Konzept geht unter anderem davon aus, dass vor allem junge Frauen unter gesellschaftlichem Schönheitsdruck und somit Körperhass litten und Transgeschlechtlichkeit als Lösung in sozialen Netzwerken propagiert werde und es so zu einer »sozialen Ansteckung« kommt. Das umstrittene Konzept setzt Transgeschlechtlichkeit mit Magersucht gleich, indem es Transgeschlechtlichkeit als moderne Magersucht benennt.687 Besonders erstaunlich ist die verschwörungsmythologische Sprechweise, indem Louis schlussfolgert, dass mit »Orwell’scher NeusprechManier das Leben vor der Transition des transitionierten Menschen quasi ausgelöscht« werde.688 Als Beispiel wird in diesem Kontext die plötzliche Transition des Schauspielers Elliot Page vorgetragen, über dessen Vergangenheit mittels Verbots nicht mehr gesprochen werden dürfe. Weiter problematisiert Louis, dass die subjektive Geschlechtsdefinition bereits im Kindergarten nach offizieller Handreichung vermittelt werden soll.689 Auch die Erweiterung des Schutzes vor Konversionsbehandlungen von homosexuellen Menschen auf transgeschlechtliche Menschen wird von Louis beanstandet, da es so zu einer Vermischung von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit käme, wobei es laut Louis bei dem einen nur um das Ausleben einer Sexualität gehe, während das andere eine Veränderung von Identität und Körper bedeute.690 Allerdings wird hier vergessen, dass die sexuelle Orientierung durchaus in eine sexuelle Identität überführt werden kann, was bspw. die Identitäten der Butch, des Tomboys oder Top und Down hervorbringt. Louis wirft den Verfasser*innen der Gesetzentwürfe vor, das BVerfG-Urteil missverstanden zu haben, da dieses betone, dass Hürden bei einer PÄ gesetzlich erlaubt seien und keinesfalls abgebaut werden müssten.691 Allerdings vergisst Louis hierbei anzuführen, dass das BVerfG-Urteil auch darauf verwiesen hat, dass eine Abschaffung der Geschlechtsklassifizierung im Personenstand ebenso zulässig sei. Auch Louis problematisiert die affirmative Haltung der Therapeut*innen und verweist auf die Elterninitiative »Transteens Sorge Berechtigt«, die behaupten, dass es keine Therapeut*innen mehr gebe, welche die Transgeschlechtlichkeit hinterfragen. Dies sei ein Erfolg der »Trans-Lobby«, welche mit Broschüren vorgebe, wie die Ziele durchzusetzen seien.692 Auch hier verpasst Louis die Chance umfassend zu berichten, dass auch die Elterninitiative Broschüren verfasst hat, wie die eigenen Kinder vom sexualpädagogischen Unterricht ferngehalten werden können und gegen die »soziale Ansteckung« mit Transgeschlechtlichkeit immunisiert werden können oder von dieser geheilt werden sollen. Auch die Pharmaindustrie wird bezüglich des vermeintlichen

687 688 689 690 691 692

Vgl. Louis (2022a): S. 23ff. Louis (2022a): S. 27. Vgl. Louis (2022a): S. 29. Vgl. Louis (2022a): S. 32f. Vgl. Louis (2022a): S. 35. Vgl. Louis (2022a): S. 36.

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Anstiegs von transgeschlechtlichen Menschen als Verursacherin benannt, da sie die »Trans-Ideologie« unterstütze, um auf diese Weise mehr Medikamente (bspw. Pubertätsblocker) vermarkten zu können.693 Louis kritisiert, dass es ausreiche, dass rechte Gruppierungen sich dem feministischen Protest gegen das SelbstBestG anschließen, um als undemokratisch zu gelten.694 Diese fehlende Selbstreflexion kann auf den gesamten Diskurs übertragen werden, da die Analyse zeigen konnte, dass unvermutete Allianzen eingegangen werden, um die eigenen Ziele zu erreichen. Zudem wurden auch Konzepte auf Transgeschlechtlichkeit übertragen, die bereits aus Zeiten der Kriminalisierung und Stigmatisierung von Homosexualität bekannt sind, was schwer nachvollziehbar ist, da die Diskursakteure selbst jahrzehntelang gegen diese Vorurteile und Diskriminierungen gekämpft haben, um sie nun ohne Zögern auf Transgeschlechtlichkeit zu übertragen. Vor allem Louis wendet sich gegen eine gesellschaftliche Veränderung der Wahrnehmung von Geschlecht und problematisiert, dass Unternehmen wie der Bindenhersteller Always das Venussymbol abschaffen, weil sie erkannt haben, dass auch Männer menstruieren und vereinzelt Wörter wie Muttermilch als Menschenmilch bezeichnet würden und ebenso vereinzelt im medizinischen Bereich nicht mehr von Frauen, sondern von schwangeren Personen oder von Menschen mit Gebärmutter die Rede sei.695 Diese Änderungen würden Frauen begrifflich vernichten. Diese Kritik verstärkt Louis mit einem Vergleich, indem sie ein Magazin benennt, dass im Zusammenhang mit Vaginen auf den Begriff Frau verzichtet, jedoch im Zusammenhang mit der Prostata weiter ausschließlich von Männern spricht.696 Louis sieht dadurch den langwierigen Kampf um eine medizinische Betrachtung von »Frauenkörpern« in Gefahr, da die körperlichen Unterschiede durch die oben genannten gesellschaftlichen Veränderungen geleugnet würden.697 Allerdings kann in keinem Gesetzentwurf und in keiner Stellungnahme dieser Vorwurf bestätigt werden, da ausschließlich die Verknüpfung von Körper und geschlechtlichem Label gelöst wird, während die Körper durch diese Loslösung als individuell einzigartig und somit unterschiedlich wahrnehmbar sind. Auszugsweise grenzen die Aussagen von Louis an Polemik, wobei auch hier wieder ein möglicher Grund das fehlende fachliche Wissen sein könnte. So vergleicht Louis die PÄ mit kultureller Aneignung, wobei letzteres Konzept häufig von jenen kritisiert werde, die das SelbstBestG befürworteten.698 Kulturelle Aneignung ist ein Konzept, welches kritisiert, dass spezifische kulturelle Symbole (Kleidungsstile, Frisuren oder religiöse Symbole) durch Weiße Menschen angeeignet werden, die einstmals als Stigmata zur Unterdrückung von BIPoC genutzt wurden. Allerdings ist dieses Konzept keineswegs einheitlich definiert – so wird wissenschaftlich durchaus auf die Kombination von Aneignung und gleichzeitigem Profit verwiesen, während deprivilegierte Menschen ihren Status mittels dieser Symbole nicht verbessern, sondern verschlechtern würden. Auch dieser Vergleich folgt einem Ablenkungsmanöver, mit welchem die Befürworter*innen

693 694 695 696 697 698

Vgl. Louis (2022a): S. 37. Vgl. Louis (2022b): S. 46. Vgl. Louis (2022b): S. 50f. Vgl. Louis (2022b): S. 52. Vgl. Louis (2022b): S. 56. Vgl. Louis (2022b): S. 53.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

des SelbstBestG der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollen, und entbehrt jeder ernstzunehmenden Grundlage. Korte hält im Interview mit Louis den deutschen Diskurs für schwieriger als den englischsprachigen, da Geschlecht im Englischen zwischen sex und gender differenziert werde, was Korte mit »biologischem Geschlecht« und »sozialer Geschlechterrolle« übersetzt.699 Abgesehen davon, dass es genau jene Unterscheidung ist, die Korte im SelbstBestG ablehnt, entspricht seine Übersetzung nicht der gängigen Übersetzung, die neben »sex« als Körpergeschlecht und »gender« als Geschlechtsidentität noch die Begriffe »gender-role« für die Geschlechterrolle, »sex-category« als Geschlechterklassifizierung und »desire« für das Begehren kennt. Eine vermeintliche Ermangelung an Übersetzbarkeit bzw. Ausdrucksfähigkeit – oder in Kortes Fall an fehlendem Fachwissen – sollte jedoch nicht dazu führen, das Theorem Geschlecht auf die Komponente »sex« zu verkürzen. Allerdings bedarf Korte dieser begrifflichen Verkürzung, um seine These zu untermauern, dass »eine Person, die biologisch weiblich ist, aber behauptet, eigentlich ein Junge zu sein, ja einer Fiktion [unterliegt]«, was Korte dazu führt, den Begriff Geschlechtsidentität als äußert problematisch zu bezeichnen.700 Auch in diesem Kontext findet sich wieder die Behauptung, dass die Geschlechtsidentität als angeboren definiert werde, was so im Diskurs von keinem Akteur geäußert wurde. Auch diese Falschbehauptung führt dazu, dass die eigenen Thesen nachvollziehbar werden, da die Geschlechtsidentität so »befremdlich für jeden [ist], der sich mit Identitäts- und Selbstentwicklung beschäftigt«, da »Persönlichkeit und Identität […] eigentlich immer als das Ergebnis unserer Aufwachsens betrachtet [werden]«, somit ein Teil der »individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte« seien und somit nichts »was uns statisch in die Wege gelegt wurde«.701 In den Aussagen über die Persönlichkeit und Identität liegt Korte weitestgehend richtig, was auch die SelbstBestG-befürwortenden Diskursakteure bestätigen werden, da diese genau das zur Grundlage ihrer Forderung nach einer selbstbestimmten Geschlechtsklassifizierung machen. Was einem jedem Kind in die Wiege gelegt wird – ein Sinnbild, das ja bereits darauf verweist, dass es nicht dem Kind innewohnend, sondern nachträglich beigefügt wurde – ist die Bestimmung des Geschlechts, um einen Personenstand festzulegen; fügt sich das Kind dieser Bestimmung nicht, so desidentifiziert es sich mit der Art und Weise, wie es mit der Gesellschaft in Beziehung gesetzt wurde. Durchaus kann es auch dazu kommen, dass es sich mit dem eigenen Körper desidentifiziert, was durch eine Vielzahl an Möglichkeiten hervorgerufen wird. Das SelbstBestG soll hier jedoch eine einfachere Möglichkeit zur VÄ/PÄ bieten als das TSG, um diese Dissonanz aus Selbstbeschreibung und Fremdzuschreibung zu korrigieren, ohne zwangsläufig den Körper an das heteronormative Geschlechterideal anpassen zu müssen. Korte erkennt darin einen affirmativen Akt, eine gesellschaftliche Bestätigung, welche er jedoch zutiefst ablehnt, da diese »gravierende soziale Folgen und dann eben auch gesundheitliche Folgen« habe, die rechtliche Anerkennung schließlich automatisch dazu führe, auch den Körper anpassen zu wollen.702 Diese Verkettung kann zum derzeitigen Stand nicht

699 700 701 702

Vgl. Louis (2022c): S. 110. Louis (2022c): S. 110. Louis (2022c): S. 110. Louis (2022c): S. 117.

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nachvollzogen werden, da die Zahlen eine andere Aussage zulassen – so sind nach der Abschaffung der gesetzlichen Pflicht zur geschlechtsangleichen Operation und dauerhaften Unfruchtbarkeit laut TSG im Jahr 2011 die Zahlen der gewünschten geschlechtsangleichenden Operationen gesunken. Auch Korte übernimmt das ROGD-Konzept,703 benennt dieses jedoch ausschließlich in Interviews, nicht aber in offiziellen Stellungnahmen, wo es nur implizit deutlich wird, wenn Korte von einer plötzlich einsetzenden Transgeschlechtlichkeit spricht. Die Psychotherapeutin Försterling schildert in ihrem Beitrag in der Herausgeberschaft von Schwarzer/Louis: »KeinR der mich aufsuchenden PatientInnen, die sich als ›non-binär‹ verstanden, konnte mich davon überzeugen, dass sie krankheitswertig an ihrem biologischen Körper litten«.704 Diese Aussage ist analytisch in zweifacher Hinsicht interessant; zum einen herrscht hier ein psychotherapeutisches Verständnis vor, dass eine gatekeeping Haltung beinhaltet, da es von der Überzeugung der Therapeutin abhängig ist, ob eine andere Person ist, was sie von sich äußert. Zum anderen verwundert es kaum, dass nicht-binäre Personen ohne Krankheitsleiden und in Zufriedenheit mit ihrem Körper erscheinen, da das Label »non-binary« zumeist in Kritik an der Gesellschaftsordnung bzw. dem gesellschaftlichen Geschlechterverständnis gewählt wird. Försterling geht jedoch einen Schritt weiter und schildert ihren Idealtypus einer transgeschlechtlichen Person, welche in dieser Ausprägung auch den Zuspruch der Therapeutin erwarten könne: »Die meisten konnten sich sexuell nicht einmal selbst berühren. Partnerschaftliche Sexualität fand, wenn überhaupt, oft ausschließlich im Dunkeln und weitgehend bekleidet statt.«705 Diese Schilderungen könnten bis hierhin auch noch mit einer Asexualität übereinstimmen, wobei Asexualität noch nicht ausreichend erforscht und definiert ist, zudem psychologisch wie medizinisch ebenfalls pathologisiert wird wie Transgeschlechtlichkeit. Während Försterling in der oben dargestellten Äußerung eine transsexuelle Störung erkennt, vermutet sie hinter dem »medial verstärkten genderqueeren, laut tönenden Massenphänomen« eine narzisstische Störung »in einer medial vernetzten globalisierten spätkapitalistischen Welt der Konkurrenz, in der Sein immer mehr mit Auffallen zusammenfällt«.706 Abschließend bekräftigt Försterkrug ihre besondere Legitimierung zum Urteilen, da sie selbst transgeschlechtlich sei, sich aber nicht als Frau verstehe, sondern »als Frau mit Behinderung«, da ihr die weibliche Sozialisation und die Befähigung zur Reproduktion fehle.707 Diese Selbstbeschreibung darf keineswegs aberkannt werden, jedoch muss sie als Strategie problematisiert werden, da sich Försterkrug hier selbst zum Beweis eines korrekten Umgangs mit der eigenen transgeschlechtlichen Verortung innerhalb der binären Geschlechterordnung stilisiert. Eine ähnliche Umdeutung bzw. selektive Leseweise wissenschaftlicher Theorien, wie sie bei Korte zu finden ist, findet sich auch bei Susan Faludi. Faludi bezieht sich auf Erik Erikson, der darauf verwies, dass eine Identität nichts sei, was ein Mensch alleine erwirbt

703 704 705 706 707

Vgl. Louis (2022c): S. 115. Försterling (2022): S. 131. Försterling (2022): S. 131f. Försterling (2022): S. 133. Försterling (2022): S. 134.

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und nach außen präsentiert, da Menschen ihre Identität entlang der Identifikationsangebote in der Gesellschaft ausrichten. Faludi nutzt diese Aussagen, um damit ihre These zu bekräftigen, dass eine geschlechtliche Zuordnung entlang einer rein subjektiven Vorstellung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vereinbar sei.708 Diese Erkenntnis kann jedoch kaum von Erikson kommen, der einzig auf das Zusammenwirken von Gesellschaft und Subjekt im Identitätsbildungsprozess aufmerksam macht. Das SelbstBestG erweitert in diesem Sinne dejure die Identifikationsangebote und reagiert damit darauf, dass es defacto bereits ein Leben fernab dieser Angebote gibt. Dementsprechend ist auch der Verweis auf Eriksons Totalitarismus Begriff verkürzt, da dieser von Faludi so verstanden werden will, dass es totalitär sei, die »verschiedenen, in Konflikt stehenden Stadien und Aspekte […] des Lebens zu leugnen«, was Faludi auf das Offenbarungsverbot bezieht, das verhindern soll, dass die abgelegte geschlechtliche Zuweisung offenbart wird und zusichert, dass alle Lebensdaten – bspw. die Geburtsurkunde, Zeugnisse usw. – auf den neuen Geschlechtseintrag und Namen geändert werden.709 Auch wird Erikson einseitig interpretiert, der mit dem Totalitarismus Begriff verdeutlichen wollte, dass eine Gleichschaltung nur dann nicht totalitär sei, wenn alle Menschen das Bedürfnis nach dieser einen Ganzheit hätten.710 Totalitarismus ist demnach durch ein Streben nach Homogenität gekennzeichnet, wobei die Homogenität im vorliegenden Diskurs eine Verkürzung der Geschlechterpluralität auf eine Geschlechterbinarität umfasst und dadurch total ist, indem absolute Grenzen konstruiert werden. In diesem Sinne kann das SelbstBestG als ein Auflösen von absoluten Grenzen verstanden werden, da es fließende Grenzen oder gar Entgrenzung ermöglicht und das Individuum aus der staatlichen Begrenzung ein Stück freisetzt. Der nächste Beitrag in der Herausgeberschaft von Marion Felder, Professorin für Sozialwissenschaften, und Bernd Ahrbeck, Professor für psychoanalytische Pädagogik, sieht in der Schulbildung die größte Einflussnahme des Trans-Aktivismus, was sie an der Aufklärungsarbeit von SchLAu NRW exemplifizieren. SchLAu NRW ist in Trägerschaft des Queeren Netzwerks e. V. und wird gefördert vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Schulen können das Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt zu geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen einladen, somit ist keine Verpflichtung zur Kooperation gegeben, wodurch eine Beeinflussung deutlich geschmälert wird. Die Workshops thematisieren Vorurteile und die Schüler*innen sowie Lehrkräfte sollen für die queere Lebensrealität sensibilisiert werden. Eine Beauftragung von SchLAu NRW ist für Schulen demnach keine Pflicht, sondern eine Option. Das sehen Felder/Ahrbeck anders, da sie in SchLAu NRW eine hochproblematische Einflussnahme von Transaktivisten auf die Schule und den Unterricht wahrnehmen,711 da diese »das Bekenntnis zur Transsexualität […] – in Verkennung fundamentaler Unterschiede – mit dem Coming-out von Homosexuellen« gleichsetzen.712 In der Gleichsetzung beider Coming-outs erfolge eine

708 709 710 711 712

Vgl. Faludi (2022): S. 148. Faludi (2022): S. 148. Vgl. Erikson (1968): S. 78; S. 81. Vgl. Felder; Ahrbeck (2022): S. 168. Felder; Ahrbeck (2022): S. 169.

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Verharmlosung, da Kinder und Jugendliche so den Eindruck bekämen, eine sexuelle Objektwahl sei das Gleiche wie Eingriffe in den gesunden Körper.713 Nachvollziehbar ist dieser Vergleich keineswegs, vielmehr verweist dieser auf die fehlende Differenzierung, indem erneut der wissenschaftlich veraltete Idealtypus der Transgeschlechtlichkeit als psychische Störung und Empfinden in einem falschen Körper geboren worden zu sein herangezogen wird. Doch selbst wenn dieses wissenschaftliche Verständnis von Transgeschlechtlichkeit noch vorherrschend wäre, so kann der Vorwurf entlang der Analyse der kritisierten Infobroschüre »Trans* und Schule« nicht nachvollzogen werden, da es in dieser vor allem um Anti-Diskriminierungsmaßnahmen geht und keineswegs um eine Best-Practice-Empfehlung für eine Transition. Die Empfehlungen im Umgang mit Transgeschlechtlichkeit von Schüler*innen, bspw. dem Ansprechen mit dem gewählten Namen oder den gewählten Pronomen und das Ernstnehmen der geäußerten Identität, würden bestehende Konflikte zwischen Eltern und Kind verstärken.714 Felder/Ahrbeck empfehlen stattdessen als Anleitung für eine adäquate Reaktion die Broschüre »Sex Matters and Transgender Trend«, in welcher folgende Aussage gefolgt werden solle: »Ein Schüler kann verlangen, dass Gleichaltrige und Mitarbeiter ein »bevorzugtes Pronomen« verwenden, aber er kann dies nicht erzwingen. Es sollte klargestellt werden, dass andere Kinder nicht verpflichtet sind, Geheimnisse zu teilen oder über das Geschlecht die Unwahrheit zu sagen.«715 Diese Broschüre verkehrt den Anti-Diskriminierungsauftrag der Schule, welche ihre Schüler*innen vor Diskriminierungen schützen soll, in ihr Gegenteil, indem nun die Lehrkräfte vor ihren Schüler*innen geschützt werden müssen. Felder/Ahrbeck argumentieren in diesem Sinne damit, dass die Schule ein sicherer Ort sein muss, der Denkverbote nicht zulässt. Als Beispiel für ein Denkverbot benennen sie die Kritik, dass eine Haltung oder Äußerung trans- oder homofeindlich sei,716 was im Umkehrschluss bedeutet, dass Felder/Ahrbeck dafür plädieren, dass Diskriminierungen nicht verboten werden dürfen. So formuliert würden die Verfassenden sich jedoch als demokratiefeindlich zu erkennen geben. In der Herausgeberschaft von Schwarzer/Louis findet sich auch ein Interview mit vier Eltern von transgeschlechtlichen Kindern/Jugendlichen, welche dem deutschen Ableger der »Parents of ROGD-Kids« angehören. Die Eltern berichten im Interview, dass die geäußerte Transgeschlechtlichkeit entweder sehr überraschend kam, weil das Kind geschlechtlich typisch weiblich gewesen sei (»bis zu ihrem 13. Geburtstag hat sie sich sehr weiblich verhalten«),717 oder das Kind selbst nicht merke, dass es mit seiner Geschlechterrolle im Konflikt sei (»sie war einfach nicht so tussihaft wie andere Mädchen«)718 , nicht aber mit dem Geschlechtskörper.719 Letztere Aussage steht jedoch im Widerspruch zu den weiteren Äußerungen, welche die stereotypen Geschlechterrollen reproduzieren (»das ›typische‹ Mädchen mit Glitzer und Rosa und Kleidchen«).720 713 714 715 716 717 718 719 720

Vgl. Felder; Ahrbeck (2022): S. 171. Vgl. Felder; Ahrbeck (2022): S. 170. Felder; Ahrbeck (2022): S. 173. Vgl. Felder; Ahrbeck (2022): S. 174. Louis (2022d): S. 175. Louis (2022d): S. 177. Vgl. Louis (2022d): S. 175ff. Louis (2022d): S. 178.

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Es entsteht der Eindruck, dass es Eltern besser als ihre Kinder selbst wissen, welche Persönlichkeit und Empfindungen die richtigen darstellen, wodurch das Eltern-KindMachtungleichgewicht verstärkt wird, da Sorgeberechtigte das Kind gesetzlich vertreten dürfen. Die Unterdrückung erfolgt hier jedoch nicht dejure, sondern defacto. Aus diesem Grund wird das SelbstBestG abgelehnt, da dieses die dejure Verfügbarkeit über die Kinder schmälern würde, indem Jugendliche (ab 14 Jahren) in ihrer Entscheidungskraft über sich selbst gesetzlich als ebenso mündig wie Erwachsene verstanden werden.721 Ein weiteres Merkmal, welches für die Eltern als Beleg gilt, dass ihre Kinder nicht transgeschlechtlich sind, ist die Annahme der Eltern, ihre Kinder litten unter ihrer Hochbegabung (bspw. Therese722 und Hannah723 ). Auch die Eltern vermischen eine PÄ mit einer medizinischen Behandlung (»ein bisschen transitionieren geht genauso wenig wie ein bisschen schwanger sein […] leider mündet die soziale Transition meistens in die medizinische«724 ) und erkennen in den vielfältigen Informationen im Internet eine Bagatellisierung.725 Um die Beeinflussung des Internets in dem geschilderten Ausmaß ernst zu nehmen, müsste erst einmal davon ausgegangen werden, dass ausschließlich affirmative Beschreibungen über Transgeschlechtlichkeit zu finden sind. Bei eigener Recherche auf Instagram, Twitter und TikTok fanden sich selbst unter den affirmativen Beiträgen zu Transgeschlechtlichkeit eine Vielzahl von diskriminierenden und vorurteilsbelasteten Aussagen in der Kommentarspalte und ebenso eine Reihe von transfeindlichen Videos und Postings. Der binäre Erklärungsansatz hat bereits ein eigenes Emoji, welches auf Social-Media-Plattformen den geschlechterbinären Erklärungsansatz mittels Codierung symbolisieren soll: Das Symbol der Kiwifrucht wird hier strategisch genutzt um eine Haltung symbolisch – für Diskursaußenstehende nicht direkt erkennbar – in der eigenen Aussage zu platzieren. Die unverfängliche Symbolik ist nur für eingeweihte Personen erkennbar und somit schwerer als Haltung zu kritisieren. Zudem hat der geschlechterbinäre Erklärungsansatz mehrere Hashtags; so sollen #sexnotgender, #radfem oder #mariehatrecht zur schnellen Verbreitung der eigenen Diskursposition beitragen. Auch dies ist als diskursive Strategie zu werten. Dass »Transsexualität in den Medien zunehmend ›beworben‹ wird«.726 trifft somit nicht zu, allerdings steigt die Sichtbarkeit von transgeschlechtlichen Menschen, worin jedoch keine Werbung, sondern maximal eine Selbstdarstellung mit symbolischer Wertschätzung gesehen werden kann. Eine Mutter schlussfolgert daher, es wurde »entpathologisiert, wo man hätte entstigmatisieren müssen«.727 Eine Pathologisierung stellt jedoch eine Stigmatisierung dar, da ein gesellschaftliches Stigma symbolisch auf die Abweichung von einer gesellschaftlich konstruierten Norm verweist. Transgeschlechtlichkeit als psychische Störung zu bezeichnen, entspricht durch den Störungsbegriff dementsprechend einem Stigma.

721 722 723 724 725 726 727

Vgl. Louis (2022d): S. 186. Louis (2022d): S. 180. Louis (2022d): S. 181. Louis (2022d): S. 185. Vgl. Louis (2022d): S. 182. Louis (2022d): S. 182. Louis (2022d): S. 183.

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In Replik kann für die Herausgeberschaft von Schwarzer/Louis festgehalten werden, dass den Herausgeberinnen und Verfasser*innen der Unterschied zwischen Trans-, Nicht-Binär- und Ageschlechtlichkeit nicht bewusst ist oder andernfalls dieser Unterschied bewusst unkenntlich gemacht wird. Es wird ausschließlich von Transsexualität gesprochen und dieses Phänomen auf das Erleben eines falschen Körpers und einen davon ausgehenden psychischen Leidensdruck – definiert als psychische Störung – verkürzt wird. Der Begriff Transgender fällt hingegen nur in ablehnender Weise in Verbindung mit Begriffen wie Ideologie, Hype, Trend. Besonders in Kritik ist der affirmative Ansatz, welcher als manipulativ und ohne Raum für eine kritische Haltung definiert wird. In der Psychologie und den erziehenden bzw. helfenden Wissenschaften, wie der Erziehungswissenschaft oder Sozialen Arbeit, gilt die affirmative Haltung hingegen als ergebnisoffene Profession, welche die Aussagen und Bedürfnisse des Gegenübers anerkennt und lösungsorientiert unterstützt. Der Band ist jedoch ausschließlich problem- und nicht lösungsorientiert. Insgesamt wird ein Angstnarrativ aufgebaut, welches wahlweise von der Auslöschung der lesbischen Sexualität und Identität, der Geschlechtskategorie Frau oder einer möglichen Zunahme von sexualisierter Gewalt ausgeht, weil Männer durch das SelbstBestG in Frauenräume eindringen könnten. Besonders schwerwiegend ist die generalisierte Annahme, dass eine PÄ automatisch bedeutet, dass Hormone eingenommen und eine geschlechtsangleichende Operation angestrebt würden. Dies zeigt ein verkürztes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit. Dass die Differenzierung von Trans-, Nicht-Binär- oder Ageschlechtlichkeit fehlt, ist besonders gravierend, da das geplante SelbstBestG mit den Möglichkeiten des Aussparens der Geschlechtskategorie oder des Eintrags Divers deutlich mehr Identifizierungen umfasst. Geschlecht wird ausschließlich an biologischen Parametern wie einem Uterus und Gebärfähigkeit sowie wahlweise einem Penis und Penetrationsfähigkeit wahrgenommen. Es gibt in den Beiträgen den Körper nur als vergeschlechtlichten Körper, der nicht unabhängig vom Geschlecht thematisierbar erscheint. Durch diese Sichtweise wird der Vorwurf verstärkt, dass das SelbstBestG das biologische Geschlecht als irrelevant betrachtet. Weiter wird die Vermutung geäußert, dass es kaum echte transgeschlechtliche Menschen gibt, sondern die meisten Fälle an ihrer Geschlechterrollennonkonformität leiden oder eine Depression, ein Trauma oder die unterdrückte Homosexualität der Grund sind. Die präsentierten Fakten sind oft widersprüchlich und beziehen sich zumeist nicht auf Deutschland, was besonders problematisch ist, da mit diesen Fakten die rechtlichen Bestimmungen und damit verbundene – wohlbemerkt künftig mögliche – Folgen in Deutschland belegt werden sollen. Statt Fakten finden sich jedoch Phrasen, wie »immer häufiger«, »immer mehr«, »immer öfter«, um die eigenen Thesen zu belegen. Zudem finden sich Aussagen ohne Beleg, welche die Wirklichkeit verzerren, bspw. schlussfolgert Schwarzer, jedoch ohne auf verifizierte statistische Angaben zu verweisen: »In manchen Schulkassen sitzen heute vier bis fünf Mädchen, die von sich behaupten, transsexuell zu sein«.728 Die geschlechtliche Selbstbeschreibung wird in der Herausgeberschaft konsequent missachtet, indem diese sprachlich relativiert wird, bspw. durch Formulierungen wie »fühlt sich als«, »möchte sein«, »denkt zu sein«. Zudem werden ursprüngliche und abgelegte Geschlechterzuordnungen benannt und 728 Schwarzer (2022): S. 11.

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das falsche Pronomen verwendet. So wird bspw. die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer bewusst misgendert.729 Auch wird mit Skandalisierungen gearbeitet, indem ein Kulturkampf heraufbeschworen und vom »Trans-Aktivismus« oder der »GenderIdeologie« gesprochen wird. Zudem wird in Dualismen und utilitaristisch gedacht, indem nur zwei Seiten in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um das Phänomen existieren, wobei die Mehrheit durch eine Minderheit – die ihre Ideologie durchsetzen will – unterdrückt würde. Interessanterweise wird dieser Minderheit vorgeworfen, nur selektiv Zahlen anzubieten und nur eine Aussage zuzulassen, während der Sammelband selbst genau in dieser Weise vorgeht, andere Studien dethematisiert und demnach nur Studien präsentiert, welche die eigene Haltung und Weltsicht stützen, was einem confirmation bias entspricht. Zudem werden Wir-Sie-VerAnderungen sprachlich erzeugt, indem die Selbstbezeichnung als universalistische und kritische Feministinnen als Gegensatz zu den unkritischen und fundamentalistischen Queerfeminist*innen erzeugt wird,730 welche darüber hinaus als Fanatiker*innen bezeichnet werden, die mit (Sprech-)Verboten arbeiten. Auch arbeitet die Herausgeberschaft mit Ablenkungsmanövern, indem die Initiator*innen des Gesetzentwurfs als unglaubwürdig bzw. politisch unfähig dargestellt werden: so wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Partei Bündnis 90/Die Grünen in den 1980er Jahren sexualpolitisch die Offenheit gegenüber der selbstbestimmten kindlichen Sexualität auch in Bezug auf sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen stärken wollte.731 Zum einen handelte es sich um die 1970er Jahre und um Einzelstimmen – v.a. Daniel Cohn-Bendit – die nicht im Parteiprogramm aufgenommen wurden und deren Aussagen durchaus differenzierter sind als die verkürzte Darstellung von Schwarzer. Fast 50 Jahre zurückliegend ist kaum ersichtlich, was dieser Einwand im Kontext des SelbstBestG verloren hat. Weiter werden immer wieder Falschbehauptungen geäußert, welche mutmaßlich aus dem fehlenden Fachwissen der Verfasserinnen hervorgehen. So wird behauptet, Kinder ab 14 Jahren könnten selbstständig den Personenstand ändern lassen und Hormone verabreicht bekommen. Das Gesetz sieht unterdessen vor, dass Kinder, sofern ihre Eltern die PÄ nicht unterstützen, mittels Familiengericht eine Änderung beantragen können. Hormonabgaben oder chirurgische Maßnahmen bleiben nach wie vor in Hand der Mediziner*innen und unterliegen den Voraussetzungen des Medizinischen Diensts der Krankenkassen (MDK). Die vielen biografischen Erzählungen konstruieren einen Beweis mittels Beispielmenschen und verstärken mit tragischen Lebensgeschichten das Angstnarrativ. So finden sich neben Menschen, die ihre falsche Entscheidung bereuen – diese aber nicht als selbst getätigte Entscheidung verarbeiten, sondern mit dem Vorwurf der fehlenden oder manipulierenden Beratung kanalisieren – auch Elternberichte, welche narrativ vorgeben ihre Kinder schützen zu wollen, sich jedoch hauptsächlich an der Beschneidung ihrer Rechte empören, über das eigene Kind bestimmen zu können. Auch wird das Recht von Kindern/Jugendlichen, den geschlechtlichen Personenstand selbst zu bestimmen, damit gleichgesetzt, dass diese zu lebenslangen Patient*innen

729 Vgl. Louis (2022b): S. 48f. 730 Vgl. Schwarzer (2022): S. 9; S. 15f. 731 Vgl. Schwarzer (2022): S. 17.

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gemacht würden.732 Weiter finden sich biografische Narrative, welche transgeschlechtliche Frauen in ihrer Selbstverortung zwar als Frauen beschreiben, die sich aber in ihrer gesellschaftlichen Verortung eben nicht als richtige Frauen darstellen. So wird Leandra Honegger als gefühlte Frau, aber sozialisierter Mann zitiert und somit als Summe aus Mann und Frau beschrieben und Försterkrug beschreibt sich selberst aufgrund der fehlenden weiblichen Sozialisation und Gebärfähigkeit als »Frau mit Behinderung«.733 Beides soll beispielhaft eine adäquate Darstellung von transgeschlechtlicher Weiblichkeit vermitteln und hat somit eine Vorbildfunktion. Im Interview wird Till Amelung zitiert, welcher die vielen neuen Labels ablehnt, aber vor allem in der Nicht-Binarität keine Möglichkeit erkennt, dem Patriarchat zu entkommen, womit das Label für ihn absurd sei.734 Dass das Label nicht-binär-geschlechtlich eine Kritik am Patriarchat objektiviert und nicht zwangsläufig ein Fluchtversuch sein muss, sondern ein Angriff auf die binäre Ordnung, von der das Patriarchat gespeist wird, wird nicht in Erwägung gezogen. Wobei Amelungs Kritik an Aussagen auf Twitter, der internationale Frauentag sei ein »Fotzenfest«,735 durchaus eine Berechtigung habt, da diese Begrifflichkeit Frauenfeindlichkeit zum Ausdruck bringt, dennoch sollte diese Aussage kontextualisiert werden, da sie aus einer feministischen Unterdrückung qua queer-weiblichem Ausschluss resultiert. Allerdings wird auch dieses Beispiel genutzt, um die eigentlich feindselige Seite des Queerfeminismus zu offenbaren. Bis hier hin kann jedoch noch von keinem breiten medialen Diskurs gesprochen werden. Dies änderte sich, als eine Gruppe von SelbstBestG-Gegner*innen einen WeltGastbeitrag veröffentlichten. Dieser Welt-Gastbeitrag beginnt mit der impliziten Unterstellung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) keine wissenschaftliche Expertise, sondern Fehlinterpretationen von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Berichterstattung Vorrang gebe: »Zunächst ging es um wissenschaftliche Korrektheit. Wir, eine Gruppe verschiedener Wissenschaftler, hatten uns zum Ziel gesetzt, der Fehlinformation der ›Vielgeschlechtlichkeit‹ auf die Spur zu kommen.« Als einzig wahre wissenschaftliche Erkenntnis wird die Zweigeschlechtlichkeit angefügt, wobei die Autor*innen-Gruppe Intergeschlechtlichkeit rechtlich anerkennt, jedoch ausschließlich unter dem pathologisierenden Label »Störung der geschlechtlichen Entwicklung«. In einem Reaktionsartikel wird einer der Autoren, Uwe Steinhoff, deutlicher und erkennt nur eine Definition von Geschlecht als gültig an: »Aus dieser Definition (bezugnehmend auf Arten anisogametischer Keimzellen) ergibt sich in Konjunktion mit den empirischen Fakten (es gibt nur zwei solche Arten: Eizellen und Spermien) logisch gültig die Zweigeschlechtlichkeit.«736 Doch auch daraus geht bei genauem Hinsehen kein Geschlecht hervor, sondern eine Körperordnung, die statt von Frauen und Männern einfach von Eizellern und Spermiden sprechen könnte, was nur logisch wäre, da besagte Wissenschaftler*innen so nicht in Bedrängnis geraten, wie es denn um unfruchtbare Frauen und Männer steht, ob diese überhaupt ein Geschlecht besitzen. Unter dem

732 733 734 735 736

Vgl. Louis (2022a): S. 43. Vgl. Schwarzer; Louis (2022): S. 66; S. 70; S. 134. Vgl. Schwarzer; Louis (2022): S. 77. Vgl. Schwarzer; Louis (2022): S. 78. Steinhoff (2022).

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Schlagwort »Transgender-Ideologie« weist Korte den lehmannschen Vorwurf der Homofeindlichkeit zurück und richtet den Vorwurf höchst selbst an Lehmann, welcher der »Trans-Lobby« folge und eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen und -stereotype dazu nutze, eine verdrängte Homosexualität mit einer PÄ zu beheben und damit schließlich Homosexualität zu eliminieren. Auch Korte verweist auf eine Liste mit Unterschriften von »Wissenschaftler/innen«, die sich von den »Transgender-Aktivisten, deren radikalen Zielen und feindseligen Attacken gegen Andersdenkende distanzieren und ausdrücklich vor der wachsende Einflussnahme der Transgender-Ideologie auf wichtige gesellschaftliche Institutionen« wehren.737 Wird diese Liste genauer betrachtet, so finden sich darauf vorwiegend nicht wissenschaftlich-aktive Menschen, teils mit Studienabschluss und teils ohne, somit also durchaus Menschen mit einem wissenschaftlichen Abschluss, welche jedoch durch fehlende wissenschaftliche Praxis und somit fehlender entsprechender Expertise in diesem Themenkomplex keineswegs als Wissenschaftler*innen bezeichnet werden können.738 Korte wirft dem geplanten SelbstBestG weiter vor, dass es einer Mehrheit eine Minderheitenmeinung aufzwinge: »Zugleich sollen ›Mis-gendern‹ und die Verwendung des ›dead name‹ durch andere fortan strafrechtlich sanktioniert werden. Eine liberale, säkulare Gesellschaft kann viele unterschiedliche Glaubenssysteme aufnehmen, auch sich widersprechende. Was sie jedoch nie tun darf, ist, die Überzeugungen einer Gruppe allen anderen aufzuzwingen. Es geht also auch um die Freiheit des Gewissens, der persönlichen Meinungsäußerung und nicht zuletzt die der Wissenschaft.«739 Auch hier werden Ängste geweckt, indem der Eindruck erzeugt wird, ein erstmaliges, einmaliges Misgendern oder Ansprechen mit dem Deadname werde strafrechtlich verfolgt. Entgegen Kortes Vorwurf handelt es sich bei der strafrechtlichen Verfolgung jedoch um einen aktiven Diskriminierungsschutz, der das Persönlichkeitsrecht schützt und Menschen dazu verpflichtet, eben nicht stereotyp nach dem Äußeren geschlechtlich einzugruppieren, sondern Personen anzusprechen oder über diese nur so zu sprechen, wie sich diese selbst definieren. Das würde im Übrigen auch die Geschlechterstereotype und -rollen aufbrechen, um die Korte wegen einer vermeintlichen Retraditionalisierung selbst so besorgt ist. Vielmehr bekommt durch diese Regelung jede Person die Möglichkeit, das eigene Geschlecht fernab von Rollen und Stereotypen auszulegen, ohne Gefahr zu laufen, ständig misgendert zu werden. Korte verweist darauf, dass die Kritik am ÖRR berechtigt sei, da die einseitige Berichterstattung eine Beeinflussung des ÖRR durch die »Transgender-Ideologie« beweise. Diese Argumentation muss als unausgewogen gelten, da die selbst initiierte Online-Petition und das medienwirksam veröffentlichte Dossier als eine Einflussnahme auf den ÖRR gelten müssen, die zuvor noch beanstandet wurde. Der Welt-Gastbeitrag ist eine Kurzfassung eines 50-seitigen Dossiers, welches von Biolog*innen und Mediziner*innen verfasst wurde und sich um eine filmwissenschaftliche Analyse bemüht. Zunächst muss festgehalten werden, dass zwar einige Sendungen aufgelistet werden, jedoch keine Auskunft über das Sampling und die Analysemethoden 737 Korte (2022). 738 Vgl. Engelken (2022). 739 Korte (2022).

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gegeben werden. Zudem wird kein zeitlicher Kontext erörtert und es fehlt ein Vergleichshorizont, mit welchem die Menge an thematisch äquivalenten Sendeformaten dargestellt wird. Folgend bezeichnen die Autor*innen selbst das Dossier nicht als Wissenschaft, sondern als einen Beschwerdebrief, welcher sich grundsätzlich gegen die Themenauswahl richte, welche als »einseitig, ideologisch motiviert und unausgewogen« gehalten und als »woke-ideologische Meinungsmache« bezeichnet wird.740 Auch die problematisierten Sendeformate werden nicht als Analysen vorgestellt, sondern als Kommentare. Eröffnet wird das Dossier mit einer Kritik an dem Video »Aus Erik wird Katja« aus der Sendung mit der Maus, in der die Geschichte einer transgeschlechtlichen Obdachlosen erzählt wird. Die Sendung mit der Maus wird hier als Ursache für die Verstörung von Kindern genannt, da Geschlecht hier ausschließlich entlang der Geschlechterrolle definiert werde. Bereits hier wird das Ausmaß der – nicht den Methoden der Wissenschaft entsprechenden – Analyse sichtbar, da neben falschzitierten Aussagen auch der Inhalt sehr subjektiv wiedergegeben wird. Katja selbst erklärt in der Sendung Transgeschlechtlichkeit entlang des binären Geschlechteransatzes: »Man wird geboren mit männlichen Geschlechtsorganen, also mit nem Penis und weiß aber, tief im inneren genau, das ist man nicht«. Zudem wird Katja von Beginn an misgendert, indem ihr Deadname verwendet wird, vermutlich aus der Intention, die Kinder eben nicht zu verwirren und den Prozess eines Coming- und Passing-Outs kenntlich zu machen, was hier fälschlicherweise als Outing bezeichnet wird. Die Identifikation mit der weiblichen Geschlechterrolle wird hier als rein subjektiver Vorgang auf Katja bezogen, während die Analyse zu der Erkenntnis kommt, dass Rollenklischees vermittelt werden, gegen welche Feminist*innen ankämpfen. In der Tat spricht Katja ihre fehlende Rollenkonformität an, betont jedoch auch die Ablehnung ihres männlichen gelesen Körpers, was über die Rollenwiderständigkeit hinausgeht. Auch in ihrer neuen Geschlechterrolle zeigt sich Katja widerständig, da sie einen männlich konnotierten Beruf erlernt (Haustechniker*in). Die in diesem beispielhaft besprochenen Ausschnitt festgestellten wissenschaftlichen Mängel finden sich in ausnahmslos allen Kommentaren des Dossiers wieder. Weiter finden sich in dem Dossier die zuvor am ÖRR diskreditierten einseitigen Darstellungen; so wird Intergeschlechtlichkeit als »eine [medizinisch] schwerwiegende Störung der Geschlechtsentwicklung« bezeichnet,741 wobei selbst medizinische Forschungen, die einem geschlechtsbinären Erklärungsansatz folgen, unterschiedliche Grade der intergeschlechtlichen Geschlechtsentwicklung benennen, entlang dessen entschieden werden könne, ob eine medizinische Indikation vorliegt. Zudem wird hier der ICD-11 angeführt, der Intergeschlechtlichkeit von dem Begriff des Transsexualismus unterscheidet, welcher hier mit ICD-10 angegeben wird. Auch hier zeigt sich die unzureichend wissenschaftliche Vorgehensweise, da der ICD-11 auf die Benennung der Transgeschlechtlichkeit als Krankheit verzichtet. Mit dem ICD-11 listet die Weltgesundheitsorganisation unter dem biologischen Geschlecht, neben weiblich und männlich auch intergeschlechtlich auf. Die verfassenden Wissenschaftler*innen scheinen somit einer Minderheit anzugehören, welche den geschlechterbinären Erklärungsansatz für ausreichend empfinden, und sprechen somit nicht für eine Vielzahl an Biolog*innen, 740 Korte et al. (2022): S. 5. 741 Korte et al. (2022): S. 6.

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welche durchaus einem geschlechterpluralen Ansatz folgen. Beanstandet wird zudem, dass die Formulierung »Geschlecht wird bei der Geburt zugewiesen« eine ideologische Formulierung sei, weil dies die Existenz eines biologischen Geschlechts infrage stelle. Diese Formulierung entspricht jedoch dem personenstandsrechtlichen Vorgang, nach welchem das ärztliche Personal verpflichtet ist den Säugling einer rechtlich bindenden Geschlechterklassifikation zuzuweisen. Zumeist erfolgt diese Zuweisung entlang des geschlechterbinären Erklärungsansatzes, indem die Genitalien als Geschlechtsmarker gelten. Allerdings wird auf S. 35 der Personenstand »Divers« als drittes Geschlecht durch Rieke Hümpel als »juristische Fiktion und keine biologische Realität« gekennzeichnet, wodurch das demokratische Rechtssystem durch die Verfasserin angezweifelt wird. Weiter sei die Aussage falsch, dass in der Geburtsurkunde das falsche Geschlecht stehe. Die Geburtsurkunde als Teil des Personenstandes gibt laut dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat Auskunft über die »familienrechtliche Stellung eines Menschen innerhalb der Rechtsordnung«, was bedeutet, dass das im Alltag gelebte Geschlecht im Personenstand angepasst werden muss, um diese rechtliche Vorgabe zu erfüllen. Immer wieder ziehen die Verfassenden den Duden mit seinen Definitionen als wissenschaftlichen Standard heran, der in Eigendarstellung jedoch kein wissenschaftliches Werk ist, sondern ein Wörterbuch, das Auskunft über die richtige Schreibweise und den aktuellen Wortgebrauch sammelt. Ein weiterer Artikel problematisiert die Abkehr vom Begriff »Schamlippen« und dem Verurteilen einer Beschämung von Geschlechtskrankheiten; beides sei nicht zu problematisieren, sondern könne beibehalten werden. Auf S. 7, S. 15 und S. 19 wird der Verweis auf Hasskriminalität problematisiert, da es hier keine Studien gäbe, die diese belegten.742 Diese Aussage verweist auf die fehlende soziologische Expertise der Verfasser*innen, da es eine Vielzahl an Studien gibt, die Hasskriminalität gegenüber trans- und intergeschlechtlichen und auch gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen belegen.743 Insgesamt können die Analysen der beanstandeten Sendeformate wissenschaftlich nicht überzeugen, da sie entweder belegen, dass durchaus verschiedene Positionen zu Wort kommen744 oder die Kommentierenden selbst keine ausreichende Expertise besitzen und dementsprechend fehlerhaftes Wissen verbreiten, bspw. dann, wenn argumentiert wird, dass die Gutachten nur für eine Kostenübernahme der Krankenkassen anfielen, nicht aber für die PÄ, was jedoch bis 2011 mittels TSG der Fall war, da dieses die geschlechtsangleichende Operation und dauerhafte Unfruchtbarkeit zur Voraussetzung für eine PÄ hatte. Zudem widersprechen sich die Verfasser*innen der Einzelanalysen; so wird auf S. 5 die stereotype Rollendarstellung moniert, während auf S. 10 problematisiert wird, dass die in der frühkindlichen Entwicklung erkennbare Rollenverteilung abgestritten werde.745 Auch auf S. 9 und auf S. 14 wird erhellend vorgetragen, dass verschiedene Diskurspositionen zu Wort kommen. Bei genauerem Lesen müsste den Verfassenden selbst bewusstwerden, dass die vermeintlich einseitige

742 Korte et al. (2022). 743 Siehe bspw. Krell/Oldemeier »Coming out und dann…?«; Lüter/Riese/Sülzle »Berliner Monitoring Trans- und homophobe Gewalt« Studie; die LesMIgraS Studie »…nicht so greifbar und doch real« etc. 744 Vgl. Korte et al. (2022): S. 9. 745 Vgl. Korte et al. (2022).

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Darstellung im ÖRR nicht vorzufinden ist. Gleichzeitig bemüht sich eine Vielzahl der Verfasser*innen darum, eine skandalisierende Schreibweise und abwertende Haltung gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Personen zu erzeugen, indem bspw. misgendert wird, Erfahrungsberichte als unglaubhaft oder unkritisch dargestellt werden (bspw. »Subjektive Meinung einer einzelnen Person wird ohne Faktencheck oder kritische Einordnung übernommen«),746 von Störungen und Krankheiten gesprochen wird, oder aber identitätspolitische Forderungen nach Gleichberechtigung und Diskriminierungsschutz als Ideologien dargestellt werden, die nur dazu dienen, eine Minderheit über eine Mehrheit zu stellen (Utilitarismus) und neue Normalitäten durchzusetzen, womit die Sichtbarkeit von bisher unterdrückten Lebens- und Liebensweisen gemeint ist. Nicht nur die Thematisierung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit im ÖRR wird problematisiert, sondern auch die sexuelle Aufklärung von Jugendlichen, die mitunter als »Gespräch vor laufender Kamera über die intimsten und absonderlichsten Themen« skandalisiert wird, welche einer »Normalisierung« entspreche, welche die »Schamgrenzen herabsetzt«.747 Rieke Hümpel, die Verfasserin von 24 der 37 Kommentare, findet alles, was von einer heteronormativen Geschlechter- und Sexualitätsordnung abweicht und nicht der christlichen Sexualmoral entspricht, als »Entblößende, abstoßende Bildund Wortsprache«, als »maximal verstörend« und prinzipielle Beeinflussung von Jugendlichen. Auch Korte kommentiert bspw. das Bild einer dicken Frau im Tanga als »explizit unsensibel und widerlich« in der Darstellung.748 Hümpel führt exemplarisch einen WDR-Beitrag mit Korte an, dem Mitverfasser des Dossiers, wobei dieser Beitrag nicht mehr online verfügbar sei, weshalb Hümpel eine nachträgliche Zensur vermutet. In der Mediathek ist es jedoch üblich, dass Beiträge nicht dauerhaft zu finden sind, was vielfältige Gründe hat. Einige Kommentare vermissen die Definition von Geschlecht, wobei die kommentierten Sendeformate eine Definition liefern, welche sich jedoch von der Definition der Kommentator*innen unterscheidet. Dass es kein Geschlechterspektrum gebe, zeigen der Philosoph Steinhoff und der Biochemiker Hümpel metaphorisch und weniger faktenbasiert mit folgender Erklärung auf: »Erstens sind die ›vielfältigen Ausprägungen von Geschlechtlichkeit‹ keine Geschlechter. Weiblicher Spargel stellt eine andere Ausprägung des weiblichen Geschlechts dar als Natalie Portman. Aber beide, Portman und der weibliche Spargel, gehören demselben Geschlecht an: dem weiblichen. Kurz, dass es zwischen weiblichen Wesen verschiedener Arten und weiblichen Wesen derselben Art (etwa Menschen) enorme Variationsbreiten des Phänotyps gibt, ändert an der Binarität des Geschlechts rein gar nichts.«749 Und auch die Immunologin Jacobson kommt ohne weitere Ausführungen zu der Erkenntnis, dass »es keine nicht-biologische Art, ein Mann oder eine Frau zu sein« gebe.750 Im Glossar definiert der Philosoph Steinhoff Geschlecht entlang des Dudens, welcher

746 747 748 749 750

Korte et al. (2022): S. 20. Korte et al. (2022): S. 19. Korte et al. (2022): S. 20; S. 24; S. 39. Korte et al. (2022): S. 32. Korte et al. (2022): S. 32.

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»Frauen als erwachsene Personen weiblichen Geschlechts« definiert und ergänzt ohne weitere Quellenangaben mit »der« Biologie, welche das Geschlecht mittels »(ungleichartigen) Keimzellen« definiere.751 Die Unterscheidung von spermienproduzierenden und eizellenproduzierenden Körpern benennt Steinhoff folglich als männliches respektive weibliches Geschlecht, ohne zu vermerken, dass diese Benennung eine Konstruktion darstellt. Korte definiert Transsexualität als »eine überdauernde Geschlechtsdysphorie extremster Ausprägung, bei der die Betroffenen dauerhaft nicht in der Lage sind, sich mit ihrem Geschlechtskörper auszusöhnen«, während ebenfalls nach Korte Transgender und Transidentität »keine wissenschaftlich-medizinischen Begriffe, sondern Termini [darstellen], die einem szene-spezifischen Alltagsdiskus entnommen sind«.752 Den Genderbegriff verortet Korte unterdessen als »Begriffsverwirrung«, womit eine »Bedeutungsverschiebung« erzielt werden solle, die Korte als »probates Mittel im Herrschaftsdiskurs zur Übernahme der Definitionsmacht sowie der Durchsetzung von politischen Forderungen« bezeichnet.753 Korte verweist in seinem Artikel auf die Rückendeckung der Interessengemeinschaft mit dem Namen »LGB Alliance« – in deren Impressum die Imkerin M. Haardt als Vertreterin angegeben wird –, in Eigenaussage eine Organisation für Lesben, Schwule und Bisexuelle, die unter dem Slogan »Nicht Cis, nicht Queer, nicht sorry« ausschließlich die Recht von gleichgeschlechtlich-liebenden Menschen vertritt, welche jedoch weder queer seien, womit unter anderem auch transund intergeschlechtliche Menschen umfasst wären, noch cis, wobei es bei cis um die Ablehnung des von außen zugeschriebenen Labels geht. Mit genauerem Blick auf die Website fällt auf, dass diese in Abhängigkeit zum SelbstBestG gegründet wurde, da nur Artikel zu diesem Thema zu finden sind. Alle Artikel befassen sich mit den vermuteten negativen Wirkungen eines SelbstBestG, welches zum einen lesbische und schwule Sexualitäten auslöschen würde, da allen Menschen, die gegengeschlechtlich begehren, eine Transition eingeredet werde, und zudem Safe-Spaces von lesbische Personen verunmöglicht würden, da sie damit rechnen müssten, dass ein »Mann« unter ihnen sei, der sich als »Frau ausgibt«, und die Frauen nicht einmal über ein Eindringen oder eine Gewalttat sprechen dürften, weil das SelbstBestG ein Offenbarungsverbot vorsehe. Dass sexuelle Übergriffigkeit, Nötigung und Gewalt nicht ausschließlich Männer als Täter vorsehen, sondern ebenso Frauen dieser angezeigt werden können, widerlegt vor allem letzteren Einwand, da eine Anzeige trotz Offenbarungsverbots durchaus möglich bleibt, und auch das Beschreiben eines Tatvorgangs, in dem ein Penis zu thematisieren ist, bleibt durch das Offenbarungsverbot unangetastet. Weiter wird dort die sexuelle Orientierung wie folgt definiert: »Sexuelle Orientierungen basieren auf dem biologischen Geschlecht eines Menschen.« Auch wird die Behauptung aufgestellt, dass »lesbische Menschen der Möglichkeit [beraubt werden], sexuelle Interaktionen mit biologisch männlichen Personen generell und im Voraus mit Bezug auf die eigene sexuelle Orienteriung [sic] abzulehnen«. Auch dies kann widerlegt werden; so hat bereits Foucault in seinem vierbändigen Werk »Sexualität und Wahrheit« darauf hingewiesen, dass erst das

751 Korte et al. (2022): S. 37. 752 Korte et al. (2022): S. 38. 753 Korte et al. (2022): S. 38.

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Sexualitätsdispositiv und erst später das Geschlechtsdispositiv zum Mittel der Machtausübung wurde, zudem beides aufeinander verweise und nur in Verschränkung zu denken sei. Auch bleibt eine Ablehnung einer sexuellen Interaktion mit dem SelbstBestG unangetastet. Weiter wird die Forderung des Bundesweiten Aktionsplans für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nach mehr Sichtbarkeit für queere bzw. LGBATIQ*q in der schulischen Bildung skandaliert: »Genderideologie soll an Schulen gelehrt werden. Das halten wir nicht nur für extrem gefährlich, es ist auch mit der Glaubensfreiheit nicht vereinbar, da Queer-Theorie ein unbelegtes und unbelegbares Glaubenssystem ist.« Diese Aussage offenbart, dass sich die LGB-Alliance historisch nicht im Kontext der Lesben- und Schwulenbewegung verortet, deren Forderungen und Lebensrealitäten schließlich in die Forschung übertragen wurden und die wissenschaftliche Disziplin der Queer Studies hervorbrachte. Im Hintergrund des Eröffnungsartikels – der hier stellvertretend inhaltlich für die anderen fünf Artikel zitiert wird, die alle der gleichen Narration und Argumentation folgen – findet sich eine Bildergalerie mit Menschen, die Statement-Plakate hochhalten auf denen unter anderem steht: »Wie sollen Rechte verteidigt werden, wenn das Diskriminierungsmerkmal nicht mehr definierbar ist?!, Haltet eure menschlichen Schwänze fern aus Lesbenbetten. Nein zu Rape Culture, Nein zum #Selbstbestimmungsgesetz!, No woman has a penis, Das #Selbstbestimmungsgesetz radiert mich als Frau und Lesbe aus, Dank SelbstbestG muss ich Bußgeld zahlen, wenn ich jemandes Fantasie nicht bestätigt!?! Das mag pro queer sein, ist aber ganz sicher vor allem anti LGB!, weil die Frauenumkleide kein Ort ist, vor dem ich Angst haben sollte.«754 Viele der Personen tragen dabei Gesichtsmasken oder Sonnenbrillen, um sich selbst zu anonymisieren, was stilistisch darauf hinweisen soll, dass es gefährlich sein kann, in Deutschland seine Meinung zu äußern. Insgesamt finden sich ausschließlich Angstnarrative auf den Statementplakaten, die bei genauerem Studium des SelbstBestG im Kontext der bestehenden Rechte nicht bestätigt werden können. Wie groß die Interessengemeinschaft ist, kann nicht eingesehen werden – auf Facebook hat die LGB-Alliance-Seite 844 Follower, bei Instagram sind es 1142 Follower. Auch hier sind die grundlegenden Aussagen, dass die sexuelle Orientierung aus dem biologischen Geschlecht hervorgehe und dieses naturgemäß binär und dass die Queer-Theorie ideologisch sei als auch das SelbstBestG gefährlich und deshalb verhindert werden muss sowie ein Aufruf, die persönliche Geschichte mitzuteilen, sofern sie auf Erlebnisse des Desidentifikation mit dem Körper und einer späteren Aussöhnung mit diesem verweisen können. In Folge des umstrittenen Welt-Gastbeitrags und gleichzeitiger Veröffentlichung des ebenso umstrittenen Dossiers, unter anderem auf der Website von Eva Engelken, folgte eine breite Auseinandersetzung um Transgeschlechtlichkeit und das Geschlecht im Allgemeinen, wobei die meisten Medien die Falschbehauptungen und Fehldarstellungen hinsichtlich des SelbstBestG übernahmen. In einem weiteren Welt-Artikel wird die umstrittene englische Philosophin Kathleen Stock interviewt. In diesem Interview wirft sie dem Trans-Aktivismus »concept creep« vor und definiert dies als Begriffs-

754 Vgl. www.lgballiance.de/ (letzter Zugriff: 25.08.2022).

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wechsel oder Begriffsverwirrung.755 Der Begriff geht auf Nick Haslam zurück und ist ein wissenschaftlich durchaus umstrittener Begriff. Er umfasst das Phänomen, dass psychologische und soziologische Definitionen in der Alltagsverwendung ausgeweitet werden, indem sie – Haslam spricht hier von inflationär – für andere Verhaltensweisen verwendet werden.756 Als Beispiel kann der Begriff Triggern dienen, der sich auf Phänomene bezieht, in denen Menschen möglicherweise durch die Besprechung eines Themas oder das Zeigen von Bildern retraumatisiert werden, wobei der Begriff in Alltagsgesprächen häufig anders genutzt wird, bspw. um auszusagen, dass etwas nervt. Statt hier jedoch eine Bedeutungskonkurrenz zu erkennen, die darauf verweist, dass der gleiche Ausdruck eine unterschiedliche Bedeutung kennt, also je nachdem, ob als wissenschaftliches Konzept oder als alltagsweltliche Sprache gedeutet anders definiert werden kann, vermutet Haslam darin so etwas wie eine ideologisch motivierte Polysemie, welche dazu dient, den Begriff des Normalen einzuengen, wodurch das Nicht-Normale zur neuen Normalität werden soll. Haslam befürchtet, dass bspw. durch die Ausdehnung des Vorurteilsbegriffs mehr Täter*innen konstruiert werden, die folglich ungerechtfertigt kriminalisiert werden und zu einer Kultur der Angst führen würden.757 Auch im deutschen wissenschaftlichen Diskurs wird über eine zunehmende Juridifizierung der Gesellschaft gesprochen, womit das Phänomen umfasst wird, dass die Gesellschaft sensibler auf bspw. sprachliche Gewalt oder soziale Ungerechtigkeit reagiert und Menschen auf ihr Umfeld durch Kritik an diesem Verhalten maßgeblich zu ändern versuchen oder mittels Sanktionen dieses Verhalten unterbinden wollen.758 Haslam spricht in diesem Zusammenhang vielmehr von einer Psychologisierung der Gesellschaft, die alle Menschen zu potenziellen Opfern macht: »is creating a culture of weakness, fragility, and excuse-making, in which everyone is a victim and no one is responsible for their predicament.«759 Haslam erkennt darin eine Strategie, wobei er die Strategen selbst Moralpsychologen nennt. Stock meint mit ihrem Verweis auf die Begriffsverwirrung, dass Transsexualität als Phänomen nur für jene Menschen genutzt werden dürfe, die einen Leidensdruck aufgrund ihrer Inkongruenz von sex und gender empfinden, also eben nur jene Menschen, die unter ihrem falschen Körper leiden. Alle anderen unterdessen leiden an ihrer Geschlechterrolle und seien unter dem Phänomen der Transsexualität begrifflich falsch. Diese Vehemenz im Umgang mit einem derart jungen Begriff, der sich noch in der wissenschaftlichen Entwicklungsphase befindet und im Alltag noch nicht allen Menschen als Alltagswissen geläufig ist, ist durchaus erstaunlich.760 Ein weiterer Focus-Artikel arbeitet ähnlich wie Schwarzers Buch mit einem Beispielmenschen, indem dieser Sabeth Blank präsentiert, die ihre Transition bereut und das Begehren nach einer Testosteron-Hormontherapie und einer Mastektomie damit begründet, falsche Vorbilder gehabt zu haben, die schnelle Antworten auf ihre Fragen geliefert

755 756 757 758 759 760

Vgl. Delius; Poschardt (2022). Vgl. Haslam (2016): S. 11. Vgl. Haslam (2016): S. 13. Vgl. bspw. den Sammelband von Augsberg et al. (2020). Haslam (2016): S. 14. Vgl. Delius; Poschardt (2022).

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hätten. Statt den Fachbegriff der Detransition zu nutzen, bezeichnet der Focus Blank als »Regretterin«, womit eine bestimmte Stimmung hervorgerufen wird. Ein alternativer transitionszufriedener Beispielmensch wird hingegen nicht angeboten. Auch Korte kommt zu Wort, der abermals betont, dass vor allem Frauen mit Transitionswunsch geschützt werden müssten, da diese in der Regel nur den gesellschaftlichen Rollenklischees oder Schönheitsidealen entfliehen wollten oder aber sexuell traumatisiert seien. Damit schlägt Korte in die gleiche Argumentationskerbe von Schwarzer und Engelken.761 Männer mit Transitionswunsch werden hingegen nicht thematisiert, wodurch der Eindruck entsteht, dass hier eine sexistische Grundhaltung vorherrscht, welche die Frau als schwach und als Opfer konstruiert, womit sie als schützenswert gilt und somit mundtot gemacht wird. Auf der anderen Seite wird das Patriarchat gestützt, indem eben nicht jeder ein Mann sein darf, sofern er/sie nicht über einen Penis als gesellschaftlichen Phallus verfügt, der ausschlaggebend für die gesellschaftliche Macht bleibt, zumindest wenn den vorgestellten Aussagen gefolgt wird. Während also Schwarzer et al. eine Gefahr für Frauen vermuten, zum einen durch transgeschlechtliche Frauen, die ihr Transsein vorschieben, um gewaltsam in Frauenschutzräume vorzudringen, oder durch transgeschlechtliche Männer, die dafür verantwortlich gemacht werden, dass ihre Transition Frauen und Lesben auslöscht, sind es vor allem Schwarzer et al., die alles dafür tun, die patriarchale Unterdrückung und somit die androzentrische Gesellschaftsordnung argumentativ zu reproduzieren. Die FAZ ordnet die Wirkung des SelbstBestG als schleichende und folgenreiche gesellschaftspolitische Zeitenwende ein und schlussfolgert, das Gesetz sei »eine weitere Naturkatastrophe, hausgemacht«, wodurch sich gesellschaftliche Geschlechterverständnis ändere in »Geschlecht à la carte oder eher noch: All you can eat«.762 Die Naturkatastrophe spielt auf die biologistische Haltung des Verfassers an, während die Ironisierung des Gesetzes und der damit zusammenhängenden Bedürfnisse von personenstandsrechtlich falsch klassifizierten Menschen, den tatsächlichen Bedarf für ein solches Gesetz nicht anerkennt. Einen tatsächlichen Bedarf erkennt Müller ausschließlich im Schutz von Frauenräumen und Frauenförderung, weshalb es nötig sei, auf das SelbstBestG zu verzichten »und die Finger von der Schöpfung [zu] lassen«. Die christliche Metapher essentialisiert Geschlecht mittels diskursiver Strategie, indem Geschlecht im Rahmen des Schöpfungsmythos in einem theologischen Erklärungsansatz göttlich determiniert ist. Die FAZ liefert hier einen einzigartigen Diskursbeitrag, der den vermeintlichen Streit zwischen Kultur und Natur, welcher bisher im SelbstBestG vorherrscht, aufbricht und mit der Leugnung der Evolution neben dem biologischen Verweis auf Anisogamie einen weiteren teleologischen Ansatz beiträgt, indem Geschlecht als göttlicher Weltplan verstanden wird. Um die biologische Essenz des Geschlechts zu beweisen, wird häufig die Fortpflanzung als apodiktische Aussage und letztinstanzliches Diskussionsargument vorgebracht. Interessanterweise bedarf es keines Geschlechtes, weder eines Mannes noch einer Frau, um die Fortpflanzung zu sichern. Dafür bedarf es nur zweier Körper – unter welchem soziologischen, biologischen oder psychologischen Label diese auch immer laufen –, die zeugungs- respektive 761 Vgl. Schmid (2022). 762 Müller (2022).

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gebärfähig sind, und die Komponenten Sperma und Eizelle zusammenbringen. Den individuellen Körper entkoppelt von Geschlecht als Fortpflanzungsort wahrzunehmen, würde auch all jene Personen entlasten, deren Weiblichkeit oder Männlichkeit aufgrund von Fortpflanzungsfähigkeit in Frage steht, sofern Fortpflanzungsorgane weiterhin als absolute Determinanten über die Identifikationsmöglichkeiten mit einem Geschlecht bestimmen. Dass die Gleichstellung keineswegs in Gefahr ist, zeigen Studien, die bereits jetzt Diskriminierungserfahrungen abfragen, ohne diese dabei an ein entsprechendes biologisch verifiziertes Geschlecht zu binden. Dies passiert im Übrigen in anderen Bereichen auch eher selten; so wird eine aufgrund der Sexualität diskriminierte Person nicht um einen Nachweis ihrer Homo-, Bi- oder Asexualität gebeten, sie muss keine Ex-Sexualpartner*innen oder den Pornoseiten-Suchverlauf verifizieren lassen, ebenso wenig wie B-I-POC erst einmal entlang einer Hautton-Farbpalette ihren potenziellen Rassismusgrad bestimmen lassen müssen. Im cisfeministischen medialen Diskurs finden sich vor allem generalisierte Annahmen über Transgeschlechtlichkeit und Geschlecht im Allgemeinen. So wird Transgeschlechtlichkeit zumeist mit einem »Leben im falschen Körper« und dem Wunsch nach körpergeschlechtsangleichenden Maßnahmen gleichgesetzt. Zudem wird von einem Ansprung der Geschlechtsangleichungen zwischen 2012 und 2019 gesprochen, welcher sich höchstwahrscheinlich auf die PÄ bezieht, was jedoch nicht mit der veränderten Gesetzgebung kontextualisiert wird. Eine Kontextualisierung, die bei vertiefter Analyse offenbart, dass nach dem Wegfall der Hürde, vor einer amtlichen PÄ geschlechtsangleichende operative Maßnahmen und dauerhafte Unfruchtbarkeit nachweisen zu müssen, viele transgeschlechtliche Menschen – verstanden als jene die eine amtliche PÄ durchführen wollen – gar nicht mehr beabsichtigen, ihren Körper zu verändern und entsprechend nicht das Gefühl haben, in einem falschen Körper geboren zu sein, sondern ihr Leben lang falsch durch die Gesellschaft adressiert und kategorisiert wurden. Dennoch gibt es auch die Menschen, die das Gefühl haben, in einem falschen Körper zu leben, wobei auch dieses Phänomen vielfältig und nicht zwangsläufig an das Geschlecht gebunden ist, was die vielen schönheitschirurgischen Maßnahmen und Operationen offenbaren, die wahlweise Brüste verkleinern oder vergrößern und Penisse verlängern oder begradigen.763 Auch im medialen Diskurs herrscht Moral-Panik verursacht dadurch, dass das Unwahrscheinlichste angeführt wird, indem Narrationen mutmaßliche Sexualstraftäter ihren Personenstand ändern lassen, damit diese im Frauengefängnis ihre Haftstrafe wegen Vergewaltigung antreten können oder der männliche DAX-Vorstand seine Kündigung abwendet, da er nach einer PÄ durch die Quotenregelung das Recht hat, weiterhin in seiner Stellung zu arbeiten. Während dies aus wissenschaftlicher Expertise heraus ziemlich absurd klingt, scheinen diese Angstbilder in der gesellschaftlichen Debatte durchaus Wirkung zu zeigen und einen Nerv zu treffen. Aus diesem Grund erscheint es notwendig, sich diesen Angstbildern zuzuwenden. Sexualstraftäter begehen ein Sexualdelikt nicht, weil sie sich von Frauen sexuell angezogen fühlen, sondern um über diese Macht auszuüben, diese zu beherrschen und sie abzuwerten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Person mit einer solchen Persönlichkeit selbst als Frau bezeichnen und behandeln lassen würde, ist wohl nicht existent oder sehr gering. 763 Vgl. Vahabzadeh (2021).

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Auch der DAX-Vorstand wird sich sicherlich in einer patriarchalen Arbeitswelt mehr um sein persönliches Ansehen sorgen, als mit einer solchen Strategie seine Kündigung zu verhindern. Einige Artikel verweisen darauf, dass Einwände gegen das SelbstBestG nicht geäußert würden, da diese schnell als transphob gelten. Auch dieser Einwand muss als medienwirksame Strategie problematisiert werden, die nicht zuletzt durch die AfDRhetorik »endlich sagt mal einer, wie es wirklich ist« die eigene Position stärkt, statt die Debatte um weitere Beiträge zu bereichern. Wie die bisherige Analyse zeigen konnte, finden all diese Einwände mittels Stellungnahmen und Zeitschriftenartikeln Gehör.764 Bereits vor der Öffnung des umfassenden Mediendiskurses im Juni 2022, gab es einzelne Artikel, die Transgeschlechtlichkeit als Hype, als Lobby oder Ideologie bezeichneten. So betont die Professorin für Kinder- und Jugendmedizin an der Ruhr-Universität Bochum Annette Richter-Unruh in einem Interview in der FAZ, sie sei »bei etwa der Hälfte der Jugendlichen […] von ihrer Transidentität nicht überzeugt«, wobei sie im weiteren Verlauf des Interviews auf die Frage, wie viele transgeschlechtliche Personen ihre Behandlung wieder abbrechen, antwortet, dass diese Abbruchquote bei transgeschlechtlichen Menschen, die bereits im Kindesalter die Transgeschlechtlichkeit äußerten, bei unter 1 % lag und bei allen anderen bei ca. 10–15 %. Wenn die Fachärztin also von 50 % spricht, so handelt es sich dabei um eine subjektive Empfindung und keineswegs um eine fachmedizinische Diagnose. Interessant ist auch, dass die Ärztin nicht über einen Transgender-Hype spricht, wie es die Zeitschrift in ihrer Überschrift suggeriert, sondern von einem Hype, im Internet danach zu recherchieren, was der Grund für ein Misempfinden sein könnte, und so zu einer Selbstdiagnose zu kommen. Die FAZ nutzt somit provokante Schlagwörter, um Stimmung zu machen.765 Till Amelung spricht im »Jahrbuch Sexualitäten 2021« vom Transaktivismus, der an der Bedarfslage von transgeschlechtlichen Menschen vorbeigehe. Als Beispiel für eine notwendige Begutachtung vor einem Personenstandswechsel nennt Amelung eine Desisterin aus London, welche die Einnahme von Pubertätsblockern bereue, weshalb sie die Klinik verklagte und durch das Gericht recht bekam, da Kinder/Jugendliche unter 16 Jahren keine informierte Entscheidung treffen könnten.766 Dem Transaktivismus wirft Amelung vor, die Debatte um die vermeintlich gestiegene Anzahl transgeschlechtlicher junger Männer – welche er als Mädchen bezeichnet – und um die Begrifflichkeiten bspw. die Geschlechtsidentitätsstörung nicht sachlich genug zu führen. Als Beispiel führt Amelung die Gesetzentwürfe GiG und SelbstBestG an, welche in radikalfeministischen Kreisen zu starker Kritik geführt hätten, die jedoch von Transaktivist*innen abgeschmettert worden seien ohne Interesse daran, eine gemeinsame Basis zu finden:767 »Sowohl auf Twitter als auch in anderen Medien wird die Forderung vermittelt, allein Transpersonen sollten das Definitionsrecht über ihr Geschlecht und ihren Körper haben. In dieser Logik erklären einige Aktivist*innen einen Penis zu einem weiblichen Genital, wenn dies ein Individuum für sich so sieht.«768 Im weiteren Verlauf bemüht sich Amelung darum, die

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Vgl. Vahabzadeh (2021). Vgl. Hummel (2019). Vgl. Amelung (2021): S. 197f. Vgl. Amelung (2021): S. 201ff. Amelung (2021): S. 205.

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drohende Schädigung von Kindern und Jugendlichen durch ein SelbstBestG aufzuzeigen, was allem voran durch die ROGD-These bewiesen werden soll und – in dem Diskurs bei vielen anderen als Argumentation präsent – entlang der biografischen Erzählung von Beispielmenschen; hier mittels Keira Bell aus London.769 Auch im »Jahrbuch Sexualitäten 2022« präsentiert Amelung in seinem Beitrag eine Definition für »Trans«, die weniger differenziert, als politisch motiviert ausfällt: »Trans, in früheren Zeiten auch Transsexualität und heute Geschlechtsdysphorie genannt, meint Personen, deren Geschlechtsempfinden nicht mit ihrem biologischen Geschlecht, das bei der Geburt festgestellt wurde, übereinstimmt. Diese Inkongruenz verursacht einen signifikanten Leidensdruck, der nur durch eine weitestmögliche körperliche Angleichung an das Geschlechtsempfinden gelindert werden kann.«770 Was nochmals mit dem »wir da unten und die da oben«-Narrativ auf der nachfolgenden Seite deutlich wird, wenn Amelung schlussfolgert: »Längst reicht die Auffassung von Geschlecht als einem Spektrum über den Elfenbeinturm und die Nischen aktivistischer Szenen hinaus. Im Rückgriff auf Judith Butler heißt es, dass die biologische Zweigeschlechternorm ein Konstrukt sei.«771 Diese, den Beitrag einleitenden Thesen flankieren die Problematisierung des affirmativen Ansatzes, welcher verkürzt dargestellt wie folgt von Amelung definiert wird: »Die Grundthese ist, dass die Selbstäußerung der Klient_innen über ihre Geschlechtsidentität anerkannt werden solle, weil dies das psychische Wohlbefinden signifikant verbessere. […] Sie beruhen darauf, dass auf psychologische Diagnostik verzichtet wird, insbesondere für den Zugang zu einer Hormontherapie.«772 Der affirmative Ansatz, so Amelung, werde mit dem Vorwurf durchgesetzt, es handle sich andernfalls um Konversionsbehandlungen, wenn »eine umfangreiche psychotherapeutische Exploration der individuellen biografischen Hintergründe und Motivationen für eine Transition« angeboten werde.773 Es folgt erneut eine Darstellung des ROGD-Konzeptes von Lisa Littman, wobei wieder auf eine Darstellung jener Artikel verzichtet wird, die Littmans Studie widerlegt haben. Auch Zinn pflichtet in dem gleichen Sammelband Befürchtungen gegenüber dem SelbstBestG zu, dass heterosexuelle Männer mittels standesamtlicher PÄ in Frauenräume eindringen können und Kinder im Alter von acht Jahren selbst entscheiden könnten, ob sie Pubertätsblocker erhalten.774 All das sind die gängigen Falschinformationen der geschlechterbinären Diskursakteure, die sich mehr darum bemühen eine Moral-Panik zu erzeugen, statt die Gesetzentwürfe gründlich zu lesen, die keinesfalls eine Medikalisierung regeln, geschweige denn Männern mehr Möglichkeiten bieten, als sie bereits für sich in Anspruch nehmen, da ein Eintritt in einen geschützten Frauenraum auch ohne PÄ schon heute möglich ist und oft genug gewaltvoll praktiziert wird. Ebenfalls im Sammelband vertreten ist – die EMMA-Autorin und Mitherausgeberin des bereits analysierten

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Vgl. Amelung (2021): S. 205f. Amelung (2022): S. 161. Amelung (2022): S. 162. Amelung (2022): S. 166. Amelung (2022): S. 166. Vgl. Zinn (2022): S. 19f.

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Schwarzer Buches – Chantal Louis, die auch hier das Thema Detransition am biografischen Werdegang der betroffenen Person Sabet darstellt. Diese Exemplifizierung leitet über in die – als gefährlich gekennzeichneten – Versuche, eine grundsätzliche Definition von Geschlecht zu erzwingen, indem die Transcommunity und der Queerfeminismus den biologischen Körper in einer »feindlichen Übernahme« von seiner Rolle der Geschlechtszuschreibung entbinden oder anders formuliert; diese Exemplifizierung leitet über in Versuche von Chantal Louis, eine grundsätzliche Definition von Geschlecht zu erzwingen, in der ausschließlich der Körper über das Geschlechterschicksal eines Menschen entscheiden darf.775 Erstaunlich an den Jahrbüchern Sexualitäten der Initiative Queer Nations ist die Tatsache, dass hier Menschen aus der queeren Community heraus eine transnegative, teils transfeindliche Haltung aufweisen. Ein Sachverhalt, der zum Abschluss dieses großen Analysekapitels erneut aufgegriffen und diskutiert werden muss. Im September 2022 erschien Eva Engelkens selbstverlegte Monografie »Trans*innen* Nein, Danke!: Warum wir Frauen einzigartig sind und bleiben«, in welcher sie nach Eigenaussage »nüchtern sauber recherchierte Fakten« sammelt, um mit diesen die »Diskussion auf eine sachlich fundierte Ebene« zu bringen. Der polemische Titel, der zum einen die geschlechtergerechte Schreibweise ad absurdum führt und zum anderen auf den Partei-Slogan »Atomkraft: Nein Danke!« Bezug nimmt, welcher Engelkens Partei Bündnis 90/Die Grünen zum Aushängeschild wurde, verweisen auf das Gegenteil einer Versachlichung des SelbstBestG-Diskurses.776 Vielmehr nutzt Engelken diese Polemik, da es neuzeitlich besonders viel Aufmerksamkeit beschert, wenn Politiker*innen sich gegen die Partei-Linie stellen und so als Einzelkämpfer*innen das Narrativ »für die Wahrheit zu kämpfen« bemühen können (siehe bspw. auch Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) und Sahra Wagenknecht (Die Linke)777 ). Inhaltlich finden sich keine Fakten, sondern allem voran fiktive Geschichten, die ebenso wenig mit Quellen belegt werden, wie statistische Vermutungen Engelkens. So wird bspw. die Geschichte von Svenja und Nina erzählt, zwei Schülerinnen, die auf der FLINTA-Toilette in der Schule von Jungs belästigt werden, während die Jungentoilette zum Schutzraum des Patriarchats werde, da nur die Mädchentoilette für alle offen sei. Eine weitere fiktive Geschichte ist die von Livia und Daniel, Neu-Eltern, wobei Livia feststellen musste, dass ihr Mann eine ganze Reihe an Frauenkleidung besitzt und regelmäßig trägt, was als Hobby bezeichnet wird und Livia Sorgen bereitet, obwohl sie eigentlich nur ihren Säugling im Kopf haben sollte.778 Ge-

775 Vgl. Louis (2022e): S. 172. 776 Vgl. Engelken (2022). 777 Sahra Wagenknecht hat bei der parlamentarischen Abstimmung über das SelbstBestG und GiG mit Nein gestimmt (vgl. https://www.queer.de/detail.php?article_id=38916 [letzter Zugriff: 20.11.2022]). Zudem machte sie bezogen auf den vorliegenden Diskurs auf sich aufmerksam, indem sie bezüglich eines Shitstorm wegen transnegativer und -feindlicher Äußerungen von J. K. Rowling, die um sich greifende Cancel-Culture problematisierte, die ebenfalls Thema in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« (2021) ist, da diese die Vereinigung der Emanzipationskämpfe zu einem Klassenbewusstsein verhindere. Ebenfalls in diesem Kontext äußerte Wagenknecht, dass eine derart starke Fokussierung der Prekarisierung von Minderheiten dazu führe, dass Politik die prekären Lebenslagen von Mehrheiten aus den Augen verliere. 778 Engelken (2022).

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schichten wie diese rufen die zuvor analysierten Schutznarrative auf und geben diesen vermeintlich echte Namen und eine persönliche Betroffenheit. Mit Fakten hat dies allerdings nichts gemein. Auch ist die verwendete Sprache für eine Versachlichung des Diskurses überaus unangemessen. Dennoch erzielt auch dieser Diskursbeitrag eine breite Öffentlichkeit, da viele Medien über das Buch in seltenen Fällen sehr kritisch, in vielen hingegen unkritisch berichten und die Thesen so ihre Verbreitung finden. Am 29.11.2022 fand ein Spezial der Talkshow Maischberger zum 80-jährigen Geburtstag Alice Schwarzers statt. Dies war nicht das einzige Format, welches dem Leben Schwarzers huldigte und in dem Schwarzer auch ihre bekannten Thesen über Transgeschlechtlichkeit und SelbstBestG lanciert, allerdings zeichnet sich in der MaischbergerJubiläumssendung eine Radikalisierung Schwarzers ab, wenn sie nicht nur an der Befragungspraxis hinsichtlich einer PÄ festhält, sondern mit Nachdruck äußert: »Man muss erstmal fragen, was ist es denn genau, warum möchtest du das Geschlecht wechseln, und man soll es nicht möglich machen, wie diese unglückselige Regierung plant, aber ich bin ganz vorne an, mit zunehmend vielen Menschen, sie daran zu hindern, ein Gesetz zu verabschieden […].«779 Gemessen an den vielfältigen Umsturzbestrebungen in Deutschland, ist die vorgetragene sprachliche Vehemenz mehr als unglücklich gewählt und äußert eine Warnung, die nahe der Grenze zur Demokratiefeindlichkeit verläuft, wenn hier der demokratische Gesetzgebungsprozess selbst in die Hand genommen wird. Das ist vor allem bei einer historisch bedeutenden Person wie Alice Schwarzer erstaunlich, da sie jahrzehntelang als Aushängeschild und treibende Kraft des deutschen Feminismus galt und die Sondersendung selbst mit den Worten Schwarzers schließt: »Ich möchte zu Bedingungen der Gesellschaft beitragen, in der Menschen keine Gewalt erfahren, nicht gedemütigt werden; und maximal selbstbestimmt leben können.«780 All diese Bedingungen führen förmlich in eine Gesetzgebung mit geschlechtlicher Selbstbestimmung. Die hier vorgestellten Thesen sollen nachfolgend als cisfeministische Position benannt werden, wodurch der sperrige Begriff »Transwoman Erasing Radical Feminism« (kurz TERF)781 und der unscharfe Begriff des Radikalfeminismus abgelöst werden. Bereits Regina Becker-Schmidt arbeitet Mitte der 1990er Jahre mit Begriff »Radikalfeministinnen« und bezieht diesen auf Vertreter*innen einer feministischen Politik, die vor allem differenztheoretisch argumentiert. Gleichheit als Theorem finde sich in den Emanzipationsansprüchen der Radikalfeministinnen nicht oder dieser findet nur im Widerspruch Ausdruck, indem universelle Gleichheitsverständnisse abgelehnt werden, gleichzeitig aber an einer Gruppenidentität festgehalten werde.782 Wird an einer Gruppenidentität festgehalten, geraten intragruppale Differenzen aus dem Blick; indem bspw. Frauen als gebärfähige Personen mit einem weiblich konnotierten Körper vorausgesetzt werden, dann schließt das nicht nur transgeschlechtliche Frauen aus der

779 00:18:23 – 00:18:47, https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/videos/alice-schwa rzer-134.html (letzter Zugriff: 30.11.2022). 780 00:21:30 ebd. 781 Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen der TERF-Strömung im Feminismus (vgl. Jacques [2010]). 782 Vgl. Becker-Schmidt (1996): S. 5.

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Gruppenidentität aus, sondern ebenso auch junge Frauen vor der Pubertät, ältere Frauen nach ihren Wechseljahren oder Frauen ohne Gebärfähigkeit und ohne eigenkörperliche Nutritivität. Bereits Adorno hat Kritik an identitätslogischen Denkmustern geäußert, da diese Phänomene falsch darstellen, indem nur jene Bestandteile identifiziert werden, die sich gleichen und somit generalisierbar sind, während alle weiteren abstrakten Bestandteile unbenannt bleiben und somit definitorisch ausgegrenzt werden. In diesem Zusammenhang kann es auch zu einer Vereindeutigung von polyvalenten oder widersprüchlichen Eigenschaften kommen.783 Forderungen nach Freiräumen für Frauen (womanspace), wo sich diese in Interimsphasen männlichem Einfluss entziehen und im Zusammensein mit ihresgleichen ausschließlich auf weibliche Selbstbilder besinnen können, gehen gleitend über in Bestrebungen, eine auf Dauer gestellte, exklusiv-weibliche, gegen männliche Übergriffe abgedichtete Gegenwelt (womanculture) mit eigenen Werten, schwesterlich solidarischen Umgangsformen und allen Möglichkeiten der freien Persönlichkeitsentfaltung aufzubauen.784 Im Zusammenhang mit diesem ZweiWelten-Gedankengang muss die Frage aufkommen, wo in diesen zwei Welten, also zwischen Frauenkultur und Patriarchat (also zwischen Safespaces und Public Harassment), trans- und intergeschlechtliche Personen einen Platz finden können. Aus Safespaces hervorgehend würde sich nach Becker-Schmidt kein Diskriminierungsschutz ergeben, da nicht alle Männer die Privilegien des Mannseins erhalten und teils entmächtigt werden und auch nicht alle Frauen in gleicher Weise von Diskriminierung betroffen sind.785 In der Tat sind auch innerhalb der Gruppe der Frauen Diskriminierungen zu finden, indem traditionelle Frauenrollen entlang der Mutterschaft gesellschaftlich mehr anerkannt werden, als kinderlose Frauen oder karriereorientierte Mütter. In diesem Sinne kann bereits festgestellt werden, dass Diskriminierungsdynamiken selbst im Safespace dann noch an den klassischen Fronten (Gebärfähigkeit bzw. Gebärwilligkeit) verbleiben, wenngleich hier eine Verschiebung stattfindet von gebärfähig (= weiblich/deprivilegiert)/nicht-gebärfähig (= männlich/privilegiert) zu gebärwillig (= weiblich/privilegiert)/nicht-gebärwillig (= weiblich/deprivilegiert). Es hilft somit keineswegs zwischen bösen Männern und schutzbedürftigen Frauen zu unterscheiden, da sich diese binäre Unterscheidung inklusive der durch sie erzeugten Macht-/ Hierarchieverhältnisse in die Gruppenidentität verlagert und zwischen richtigen Frauen und falschen Frauen unterschieden wird. Einen weiteren Hinweis gibt Becker-Schmidt bezüglich der Sozialisation von Subjektivierungsangeboten und daraus hervorgehend der Tatsache, dass mittels Austauschprozessen Aspekte beider Geschlechter verinnerlicht werden,786 was mitunter zur Folge hat, dass stereotyp Geschlechtliches in beiden Geschlechterkategorien zu finden ist und ebenso Macht-/Hierarchieverhältnisse, die als stereotyp männlich verstanden werden, auch von Frauen zur Privilegierung genutzt werden. Hier findet sich demnach die Gleichheit entlang von Subjektivierungsweisen. Durch einen vom Radikalfeminismus befürworteten differenztheoretischen Ansatz wird Herrschaft jedoch als Männlichkeit personalisiert.

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Vgl. Becker-Schmidt (1996): S. 6. Becker-Schmidt (1996): S. 12. Vgl. Becker-Schmidt (1996): S. 13. Vgl. Becker-Schmidt (1996): S. 13.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Der später als TERF-Feminism benannte Feminismus ist demnach ein radikaler Feminismus, welcher transgeschlechtliche Personen ausschließt. Dieser Ausschluss bezieht sich nicht nur auf Mann-zu-Frau-PÄ, sondern ebenso auf Frau-zu-Mann-PÄ, da hier ein Profitinteresse unterstellt wird; indem die männliche Geschlechterrolle eingenommen und Männlichkeit repräsentiert werde, erfolge eine Reproduktion der patriarchalen Strukturen und Hierarchieverhältnisse. Die TERF-Argumentation verläuft auf zwei Ebenen; die erste geht von einer Biologisierung aus, dass nur über das Körpergeschlecht verifizierte Frauen und Mädchen ein Recht auf Gleichstellungsmaßnahmen und Schutz haben und spricht Menschen ohne einen entsprechend weiblich gelesenen Körper die Zugehörigkeit zur Klassifikation Frau ab. Das geht mitunter so weit, dass geschlechtsangleichende Operationen nicht akzeptiert werden und hier weiterhin fehlende Gonaden und Chromosomen beanstandet werden. Dieser Ausschluss muss als Biologismus verstanden werden.787 Auf der zweiten Ebene wird von einer geschlechtsspezifischen Sozialisation ausgegangen, indem behauptet wird, dass Kinder und Jugendliche mit männlichem Geschlechtseintrag durch die Eltern und Gesellschaft zu patriarchaler Struktur und somit männlicher Dominanz erzogen werden und diese Sozialisation durch eine PÄ nicht unwirksam gemacht werden könne. Hierbei handelt es sich um eine Kulturalisierung, welche die Sozialisation zur Echtheitsprüfung heranzieht.788 Als Gegenformation positionierte sich eine Strömung des Queer-Feminismus unter dem aktivistischen Spruch »Support your sisters, not your cisters«, die im nachfolgenden Absatz dargestellt wird.789 Problematisch an den TERF-Argumentationen ist, dass sie relativ schnell zu entkräften sind, jedoch mit dem SchutzNarrativ Ängste hervorrufen und sich somit wirkmächtig zeigen. TERF-Argumentationen müssen als identitätspolitische Bestrebungen verstanden werden. Der TERFBegriff wurde durch den Begriff des Cisfeminismus abgelöst, da dieser sich deutlicher auf die historische Entwicklung des Feminismus entlang des Paradigmenwechsels innerhalb der Geschlechterforschung durch die Trennung von Sex und Gender beziehe. Aus diesem Paradigmenwechsel entwickelten sich zunächst der Gleichheits- und der Differenzfeminismus. Während sich ersterer bemühte die Geschlechtergleichheit zu beweisen und demgemäß eine Geschlechtergerechtigkeit einzufordern, beharrte zweiterer auf einer Geschlechterdifferenz, welche eine geschlechterspezifische Behandlung forderte und eine Anerkennung für die daraus resultierenden lebensweltlichen Unterschiede.790 Cisfeminismus ist ein begrifflicher Neologismus und verweist auf die Begriffe Cisgeschlechtlichkeit und Feminismus. Cisgeschlechtlichkeit geht begrifflich 787

Biologisierung umfasst als Fachbegriff die Annahme, dass die Natur die einzig relevante Determinante für individuelles Verhalten oder Eigenschaften sei. Ein Biologismus hingegen nimmt auf Grundlage der Biologisierung eine Reduktion und einen Ausschluss vor, indem sie als Deutungsmuster das Denken und die lebensweltliche Orientierung beeinflusst. 788 Kulturalisierung umfasst als Fachbegriff die Annahme, dass die Kultur die wichtigste Determinante für individuelles Verhalten oder Eigenschaften sei. Ein Kulturalismus ist wiederum eine Denkweise, die auf Kulturalisierung basiert und Ausschlüsse wie Hierarchisierungen entlang einer imaginierten Grenzziehung zwischen differenter Kultur oder wie im obengenannten Phänomen Sozialisierung produziert. 789 FaulenzA (2017). 790 Vgl. Kuster (2019): S. 8.

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auf den Begriff Cisvestiten zurück, den Magnus Hirschfeld 1914 einführte, um damit darauf hinweisen, dass es nicht nur Transvestiten gäbe, sondern auch Cisvestiten, die nicht hinsichtlich der Geschlechterperformance einen Kleidertausch vornehmen, sondern bspw. bezogen auf das Alter, den beruflichen Status usw.791 2011 greift Volkmar Sigusch den Begriff Hirschfelds auf und schreibt von Zissexuellen, die einen ebenso konstruierten begrifflichen Gegenpol zur Transsexualität offenlegen sollen:792 »Zissexuelle befinden sich folglich (vom Körpergeschlecht und vom kulturellen Bigenus aus gesehen) diesseits, Transsexuelle jenseits der Grenzziehungen von biologischem und sozialem Geschlecht.«793 Begrifflich wurde Cisgeschlechtlichkeit als Kritik an der ungleichen Privilegierung entlang des kongruenten Empfindens von der selbstempfundenen Geschlechtsidentität und dem zugeschriebenen Körpergeschlecht vor allem in den aktivistischen Sprachgebraucht übernommen und konnte von dort immer mehr in das Alltagsverständnis übertreten. Im Jahr 2021 hat ein transgeschlechtliches Hausbesetzer*innen-Kollektiv eine Art Manifest veröffentlicht, in welchem der hier bereits zuvor analysierte transexkludierende Feminismus kritisiert wird, da dieser die Privilegien der Cisgeschlechtlichkeit nicht reflektiert und nicht erkennt, dass transgeschlechtliche Personen wie cisgeschlechtliche Feministinnen unter dem Patriarchat leiden.794 Der Feminismus sollte sich jedoch gegen alle Unterdrückungsmechanismen der patriarchalen Gesellschaftsordnung widersetzen,795 statt Menschen die Anerkennung zu verweigern, die sich selbst als Frauen benennen.796 Diese Missachtung von Geschlecht und Identität bedeutet in einer heteronormativ-binären Gesellschaft eine Infragestellung der transgeschlechtlichen Existenz.797 Es sei daher zu beachten, »dass allein aus dem ›Frau sein‹ (also vom Patriarchat als Frau definiert zu werden), kein politischer Kampf, sondern im Besten [sic] Fall Demonstrationen für rechtliche Gleichheit innerhalb bürgerlicher Verhältnisse resultieren«.798 Die größte Kritik am Cisfeminismus umfasst die Fixierung der Körperlichkeit, indem der Besitz einer Vulvina799 , das Menstruieren oder die Gebärfähigkeit zur ausschließlichen Definition von Weiblichkeit und damit zur Grundlage des Feminismus erhoben werden.800 Unter Verweis auf die durch die Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling ausgelösten Diskurse um die wahre Essenz von Geschlecht, benennt Schrupp den Verweis auf die Biologie als populäre Idee, die jedoch aufgrund des Wandels von Geschlechterwissen und Geschlechterrollen immer mehr Wirkmacht verliere. Einzig in feministischen Kreisen würde der Biologismus wirkmächtig, da hier die reproduktive Differenz weiterhin biologistisch erklärt werde, um so vor Diskriminierung zu schützen:

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Vgl. Hirschfeld (1914): S. 169. Sigusch (2011): 125. Sigusch (1995): S. 812. Vgl. Trans*fläche (2021a): S. 4. Vgl. Trans*fläche (2021a): S. 46. Vgl. Trans*fläche (2021a): S. 13. Vgl. Trans*fläche (2021a): S. 27. Trans*fläche (2021a): S. 47. Eine Vulvina ist ein Neologismus aus den Worten Vulva und Vagina. Vgl. Trans*fläche (2021a): S. 6f.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

»Es ist genau dieser Punkt, der manche Feministinnen daran zweifeln lässt, ob die Auflösung der Geschlechterdifferenz in einer unendlichen Vielfalt queerer Identitäten der richtige Weg zur weiblichen Freiheit ist. Sie befürchten, dass die spezifischen Diskriminierungen gegen Menschen, die schwanger werden können, nicht mehr adressiert werden, wenn man sie nicht mehr als ›Frauen‹ ausdrücklich benennt.«801 Schrupp schlägt vor, die Personen, die Kinder gebären, nicht mehr als Frauen, sondern als vulnerable politische Subjekte zu positionieren.

Queer-Feministische Positionen im Mediendiskurs Queer Theorie und Queerer Aktivismus gingen von Anfang an eine wechselseitige Beziehung ein, welche die Erkenntnisse queerer Theorie durch gezielten queerfeministischen Aktivismus und entlang politischer Intervention in den Diskurs trug. Queerer Aktivismus versucht »Kategorien, die als machtvoll und normierend bezeichnet werden, als gewaltförmige Konstruktionen sichtbar zu machen und in Frage zu stellen«, um so die Macht-/Herrschaftsverhältnisse offenzulegen, die diese Kategorien hervorbringen.802 In diesem Zusammenhang richtet sich queere Intervention nicht ausschließlich auf heteronormative Unterdrückung, sondern ebenso auf »die randständigen und dissidenten Positionen innerhalb der« Queer-Community.803 Aus dieser politisch interventionistischen Selbstkritik ging das queer-theoretische Konzept Homonormativität hervor. Lisa Duggan war die erste, die den Begriff der Homonormativität einführte und damit kritisierte, dass neoliberale Sexualpolitik »does not contest dominant heteronormative assumptions and institutions but upholds and sustains them while promising the possibility of a demobiliz[ation]«.804 In diesem Sinne kann die neoliberale Sexualpolitik mit ihrer rechtlichen wie sozialen Öffnung für nicht-heteronormative Lebensformen dennoch als heteronormative Strategie verstanden werden, die nur jene Lebensformen und -weisen anerkennt, die eine Assimilation an die heteronormative Lebensform erkennen lassen.805 So gesehen sind das TSG und die gleichgeschlechtliche Ehe rechtliche Heteronormierungsplätze, welche die heteronormativen staatlichen Ordnungsstrukturen wie den geschlechtsbezogenen Personenstand und die staatlich gewünschte Zweipersonenbeziehung806 reproduzieren. Und auch der dritte Personenstand unterläuft diese These nicht, da durch die exklusiv intergeschlechtlichen Menschen vorbehaltene Personenstandskategorie der Biologismus als Essentialisierung gestärkt wird. Diese heteronormative Assimilation wird von Antke Engel im deutschsprachigen Raum als gefeierte Differenz bezeichnet, entlang der Personen – die als das

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Schrupp (2020). Groß (2019): S. 942. Groß (2019): S. 943. Duggan (2002): S. 179. Vgl. Duggan (2002): S. 180. In diesem Zusammenhang orientiert sich die gleichgeschlechtliche Ehe an der gesellschaftlich gewünschten Monogamie und verweist auch als gleichgeschlechtliche Ehe die Promiskuität als Zeichen eines schwulen Lebensstils aus dem Bereich der gesellschaftlichen Norm (vgl. Duggan [2002]: S. 182). »Homosexual person might be seen as a natural foil to the heterosexual norm, a variation that does not eclipse the theme, but resonates with it« (Duggan [2002]: S. 185).

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sexuell oder geschlechtlich Andere gesehen werden – durch ihre normale Lebensweise aber zu gesellschaftlicher Anerkennung gelangen konnten.807 Dadurch, so Engel, werde das Individuum in seine Eigenverantwortung verwiesen, durch eine persönliche Leistung ein Teil der Gesellschaft zu werden.808 Das Verfolgen dieser Strategie bezeichnet Engel als »eine spätmoderne Form der Gouvernementalität, die darauf beruht, dass die Einzelnen sich aktiv und mittels virtuosen Managements ihrer jeweiligen Besonderheit in die Gesellschaft einarbeiten und qua Subjektivierung an den Herrschaftsrelationen teilhaben«.809 Das Angstnarrativ des in Frauen-Schutzräume als transgeschlechtliche Frau eindringenden Mannes, ist kein neues Angstnarrativ. Sandy Stone reagiert mit ihrem Manifest »The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto« auf das Buch »The Transsexual Empire: The Making Of The She-Male« von Janice Raymond aus dem Jahr 1979. Raymond stellt die Behauptung auf, dass Transgeschlechtlichkeit ein Konstrukt sei, welches von einem phallokratischen Imperium entwickelt wurde, um in FrauenSchutzräume einzudringen:810 »Rape…is a masculinist violation of bodily integrity. All transsexuals rape women’s bodies by reducing the female form to an artifact, appropriating this body for themselves […] Rape, although it is usually done by force, can also be accomplished by deception.«811 Raymond bezieht dies jedoch nicht nur auf Menschen, die von einem weiblichen in einen männlichen Personenstand wechseln, sondern ebenso auf lesbische Frauen, die sich männliches Verhalten aneignen.812 Weiter kritisiert Raymond, dass hier auch durch die medizinisch-technischen Errungenschaften, welche die Natur und das Leben beherrschen deutlich werde, dass es sich um eine männliche Herrschaft handle, da Frauen kulturgeschichtlich mit Natur und Männer mit Zivilisierung gleichgesetzt wurden.813 Stone mahnt in ihrem Manifest, dass sich transgeschlechtliche Menschen an der Konstruktion der »wahren Frau« mitschuldig gemacht hätten, da sie allzu sehr versuchten dem medizinischen Programm gerecht zu werden, indem sie ihre Körper an ihre geschlechtliche Identität anpassen ließen und so das biologische Normverständnis reproduzierten: »the battlefield of the transsexual body: a hotly contested site of cultural inscription, a meaning machine for the production of ideal type.«814 So wurden nach Stone transgeschlechtliche Menschen zu Verbündeten einer ontologischen Differenz, indem sie sich durch eine Anpassung förmlich selbst als gesellschaftliches Phänomen auslöschten. Mit der Anpassung konnten

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Vgl. Engel (2009): S. 14. Vgl. Engel (2009): S. 24f. Engel (2009): S. 138. Vgl. Stone (1987): S. 4. Janice Raymond’s 1979 book The Transsexual Empire: The Making Of The She-Male zitiert in Stone (1987): S. 3f. 812 Vgl. Stone (1987): S. 4. Hier verweist Stone auf Butlers Thesen zu den lesbischen Identitäten Butch und Femme, welche keineswegs Assimilationen an heteronormative Stereotype darstellen, sondern als Begehrenssubjekte Dissonanzen aufrufen, die eine sexuelle Spannung erzeugen (vgl. Stone [1987]: S. 14). 813 Vgl. Stone (1987): S. 4. 814 Stone (1987): S. 13.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

transgeschlechtliche Personen nach Stone zwar eine individuelle Akzeptanz als Gesellschaftsmitglieder erhalten, jedoch war der Verlust größer: »What is lost is the ability to authentically represent the complexities and ambiguities of lived experience«.815 Vor allem das »Passing« sei ein Beispiel für diese These; so bedeutet Passing auf der einen Seite ein erfolgreiches Leben im selbstbestimmten Geschlecht und eine dahingehende Akzeptanz des Geschlechts durch die Gesellschaft, auf der anderen Seite bedeutet es auch das Verweigern einer Mehrdeutigkeit.816 In diesem Zusammenhang schlussfolgert Stone, seien transgeschlechtliche Personen selbst schuld, wenn sie durch ihr gelungenes Passing als physisch korrekt und cisgeschlechtlich wahrgenommen werden und dann, sobald sie eine Beziehung eingingen, der Lüge bezichtigt würden.817 Dieser These, die einer politischen Aufforderung zu mehr Ambiguität entspricht, muss vehement widersprochen werden, denn letztlich hat kein Mensch die Verpflichtung über den eigenen Körper und die eigene Vergangenheit aufzuklären, solange damit das Leben eines anderen Menschen nicht gefährdet wird. Stone fordert daher auch vom Feminismus eine analytische Sprache, die es ermöglicht Mehrdeutigkeiten produktiv einzubinden, da trans- wie intergeschlechtliche und weibliche Menschen unter der gleichen Unterdrückung leiden: »Under the binary phallocratic founding myth by which Western bodies and subjects are authorized, only one body per gendered subject is ›right‹. All other bodies are wrong.«818 2012 kam der »Bundesweite Arbeitskreis TSG-Reform« zusammen und fordert die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und die Aufhebung des TSG. Weitere Forderungen betreffen ein vereinfachtes VÄ-/PÄ-Verfahren, einen Ausbau des Offenbarungsverbots und die rechtliche Absicherung der Leistungspflicht von Krankenkassen.819 Der AK-TSG-Reform schlägt weiter vor, dass ein kommendes Gesetz kein Sondergesetz sein solle und bestenfalls auf dem »Wege eines Verwaltungsaktes« entstünde, also über eine für den Personenstand zuständige Behörde.820 ATME sieht in den Artikeln der EMMA die Bestrebung eine Körpernormierung durchzusetzen, welche Körperlichkeiten kategorisiert und zum Maßstab von Weiblichkeit und Männlichkeit erhebt, was ATME als Gender-Feststellungen bezeichnet und dem Radikal-Feminismus zuschreibt. Erstaunlicherweise übt ATME auch Kritik an den »Sternchenfeministinnen«, welche zu einer »Rechtsverschiebung des Geschlechterdiskurses [geführt hätten], da sie die Gender-Kategorisierungen ausgebaut haben«, indem sie »die Gender-Kategorien wie ›trans*Frau‹ und ›Transgeschlechter‹ erst erfunden [haben], die dann andere Frauen wie Alice Schwarzer, Birgit Kelle und J. K. Rowling und ihre radikalfeministischen Anhängerinnen ganz im Sinne idealisierter Frauenvorstellungen nutzen.« Beide, Radikal- und Sternchenfeminismus, arbeiten mit der Konstruktion von Anderen, die im Kampf gegen patriarchale Machstrukturen zu Ausschlüssen führe und eine Überwindung dieser Machstrukturen so aus den

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Stone (1987): S. 13. Vgl. Stone (1987): S. 14. Vgl. Stone (1987): S. 16. Stone (1987): S. 15. Vgl. Bundesweiter Arbeitskreis TSG-Reform (2012): S. 1f. Bundesweiter Arbeitskreis TSG-Reform (2012): S. 4f.

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Augen verliere.821 In der Kritik steht hier, dass die Besonderung durch das Adjektiv transgeschlechtlich einen Unterschied zwischen verschiedenen Kategorien von Frauen ermöglicht, indem cisgeschlechtliche von transgeschlechtlichen Frauen differenziert und damit jenen Menschen und Gruppen Tür und Tor öffnet, die durch eine solche Unterscheidung eine Idealisierung der körperlichen Vormachtstellung konstruieren und eine Privilegierung legitimieren. 2020 wurde vor dem BGH der Fall verhandelt, in dem eine Person mit weiblichem Personenstandeintrag die Berichtigung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister durch eine Streichung des Geschlechtseintrags forderte, da sich die antragstellende Person weder als männlich noch als weiblich identifiziert. Besonders erkenntnisreich ist folgende Schilderung: »Mit zunehmendem Alter wurde die beschwerdeführende Person mit dem Konzept des allgegenwärtigen heterosexuellen Begehrens konfrontiert, in dem sie sich nicht verorten konnte. Der Anpassungsversuch führte zu Disidentifikation, Verzweiflung bis zur Selbstisolation. Kurzzeitig erschien die Identifikation als Lesbe als Ausweg, bis deutlich wurde, dass die beschwerdeführende Person auch in diese Norm nicht passte: ›Es war ein äußerst schmerzhafter Prozess, die gewaltvollen geschlechtsbezogenen Normen auch in der sozialen Kategorie Lesbe re_produziert zu finden und damit zu verstehen, dass auch diese Kategorie, auch wenn sie eine Kritik an Heterosexualität beinhaltet, trotzdem die für mich gewaltvolle Genderzuordnung nicht aufgibt.‹« 822 Diese Passage widerlegt die cisfeministische Darstellung, welche jede Desidentifikation mit der zugeschriebenen Geschlechtskategorie als ein Hadern mit der Geschlechterrolle darstellt. Im Gegenteil wird hier ein Leiden an der zwangshaften Geschlechtskategorie artikuliert, welche erst die Zuweisung einer Geschlechterrolle ermöglicht. Gleichzeitig soll aber auch hier betont werden, dass es sich um eine Einzelfall-Darstellung handelt und diese nicht höher gewichtet werden soll als die Aussagen der desistierenden Frauen im Artikel der EMMA. Auch aus queerfeministischer Position heraus gab es Reaktionen auf den umstrittenen Welt-Beitrag. Zunächst kritisierte jedoch der Vorstandsvorsitzende des SpringerVerlags Mathias Döpfner in Solidarität mit der queerfeministischen Empörung die Welt-Redaktion in einem offenen Brief dafür, derart pauschalisierende und einseitig darstellende Gastbeiträge durchzuwinken. Gleichzeitig kritisierte Döpfner jedoch auch die Cancel-Culture als Strategie im Umgang mit Meinungsvielfalt, da die Forderung keine Springer Zeitungen mehr zu erwerben oder die Ausladung des Springer Verlags von der queeren Step & Stones Jobmesse ähnliche Motoren einer Polarisierung darstellen, wie der zuvor kritisierte Gastbeitrag. Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), seit Anfang 2022 gewählter Queer-Beauftragter der Bundesregierung zeigt sich – ebenfalls in einem Gastbeitrag in der Welt – empört gegenüber dem Inhalt, der gewählten Symbolik und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des zuvor beschrieben Gastbeitrags in der Welt:

821 Aktion Transsexualität und Menschenrecht (2019). 822 Gesellschaft für Freiheitsrechte (2020): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

»Ausgerechnet zu Beginn dieses Monats veröffentlicht die WELT mit dem Gastbeitrag von fünf Autor*innen einen Frontalangriff gegen LGBTIQ*. Inklusive reißerischer Aufmachung und umgedrehter Regenbogen-Flagge. Mehr Abwertung geht nicht. Dass am selben Tag die Regenbogen-Flagge vor dem Springer-Konzern in Berlin gehisst wurde, ist mindestens bigott.«823 Das Verschweigen von »real existierender« geschlechtlicher und sexueller Vielfalt oder das Darstellen dieser im Kontext von Kriminalität oder Pathologisierung führt nach Lehmann zu einer Verinnerlichung von Trans- und Homofeindlichkeit und damit zu einer Selbstabwertung. Lehmann begrüßt aus diesem Grund die neutral bis positiv kontextualisierte Darstellung der schwul-lesbischer und transgeschlechtlicher Realitäten im Bildungsfernsehn (Quarks und Die Sendung mit der Maus). Den Vorwurf der Umerziehung und Sexualisierung bezeichnet Lehmann als infam. Der Darstellung der Zweigeschlechtlichkeit als wissenschaftliche Erkenntnis begegnet Lehmann folgend mit Studien, welche diese Aussage entkräftigen. Aus seiner politischen Expertise heraus kann Lehmann den Gastbeitrag der Welt einer Falschbehauptung anklagen, da die Bundesregierung in keinem Gesetzentwurf Minderjährigen das Recht zu Teil werden lassen wollte, hormonelle wie operative Maßnahmen gegen den Willen der Erziehungsberechtigten vorzunehmen, dies sei laut Bundesregierung keine staatlich zu regelnde Causa, sondern müsse mit medizinischer Expertise im Einzelfall entschieden werden.824 Auch Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) positioniert sich klar gegenüber cisfeministischer MoralPanik, die Frauenrechte im Bereich der Gleichstellung und im Kontext von Safespaces (Frauenhäuser und Sanitäre) gefährdet sieht, da es derartige Übergriffe bisher nicht gegeben habe und zudem »die normalen Gesetze ja weiterhin [gelten]: Wer jemanden sexuell belästigt, macht sich strafbar. Wir haben es hier mit emotionalen Reflexen und Projektionen von Leuten zu tun, die sich ihrer Identität vielleicht auch nicht ganz sicher sind.«825 In der taz kommt Paula-Irene Villa zu Wort und arbeitet ebenfalls einen Verweis auf die Verhältnismäßigkeit heraus, womit ein umgekehrter Utilitarismus entsteht, wenn sie schlussfolgert: »Beim Thema Transgender scheint die Aufregung auch deswegen so bizarr, weil es eigentlich nur einige Menschen unmittelbar betrifft. Man könnte also fragen: Warum seid ihr hier emotional so krass unterwegs, wenn es euch doch gar nicht wirklich betrifft? Aber: Offenbar fühlen sich sehr viele Menschen hier betroffen.«826 Das SelbstBestG wird hier auf Transgeschlechtlichkeit verkürzt, wobei genau dieser Sonderstatus in der Rechtsordnung durch das SelbstBestG aufgegeben wird und Geschlecht zum nunmehr nicht selbstverständlichen Thema für alle macht, indem das Gesetz den Möglichkeitsraum öffnet, die eigene Identifikation oder Eingruppierung als hinterfragbar und offen zu verstehen. Auch Villa kommt im Laufe des Artikels zu einem ähnlichen Schluss, indem sie das Betroffenheitsgefühl mit einem durch das SelbstBestG hervorgerufenen Optimierungsdruck beim Thema Geschlecht beschreibt. Dieses mit einer Freisetzung aus der letzten Bastion der klassifikatorischen Sicherheit zu 823 824 825 826

Lehmann (2022). Vgl. Lehmann (2022). Beck im Interview mit Menkes (2022). Villa zitiert nach Schwarz (2022).

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begründen, die neben geschlechtlicher Freiheit auch eine geschlechtliche Verunsicherung und neben dem Fall von Identifikationsbarrieren auch Identifikationsunfähigkeit herbeiführen kann, wird von Villa nicht in Betracht gezogen. Ähnlich wie Hartmut Rosa schlussfolgert Villa vielmehr, dass »das Infragestellen einer unverfügbaren Eigentlichkeit von Geschlecht offenbar von einigen als Bedrohung erlebt [wird]«.827 Die Unannehmlichkeiten, die mit dem Verlust der Eigentlichkeit verbunden sind, werden von Villa jedoch nicht thematisiert, wenngleich dieser Verlust dazu führt, nicht mehr auf die kognitive Abkürzung bauen zu können, das Gegenüber direkt anhand der Äußerlichkeiten, durch das geschlechterbinäre Ordnungssystem eingruppieren zu können und dafür weniger adäquat genormt ansprechen zu können. Die Vieldimensionalität, mit welcher Geschlecht bereits in der Überschrift des Artikels gekennzeichnet wird, stellt sich im Interview als Vieldisziplinarität heraus, da Villa darauf hinweist, dass der wissenschaftliche Diskurs um Geschlecht aus vielen Disziplinen, bspw. Biologie, Politik, Geschichte, Ökonomie, Kultur, Psychologie, Medizin usw., bestehe, weshalb auch der Diskurs immer multiperspektivisch sein müsse. Dennoch warnt Villa davor, dass es Diskurspositionen gebe, »wie die von Vollbrecht, die reduktionistisch autoritär auftreten, die sich als die ganze und einzige Wahrheit setzen. Auch wer mit »nur Kultur« und »nur sozial« argumentiert, tut das autoritär. Immer wenn gesagt wird, ich habe die ganze Wahrheit und die anderen haben keine, ist das empirisch falsch und normativ autoritär«.828 Den Diskurs um das SelbstBestG kennzeichnet Villa als eine Auseinandersetzung zwischen autoritärem und pluralistischem Denken. Die Zeit verwendet eine sehr neutrale Umschreibung für das SelbstBestG, indem sie definiert, dieses umfasse: »Menschen, denen bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen wurde, mit dem sie sich nicht identifizieren, dürfen in Zukunft ihren Geschlechtereintrag und ihren Namen einfach ändern – ohne psychiatrisches Gutachten, ohne Untersuchung.«829 Nachfolgend wird auch hier Sven Lehmann interviewt, der ähnlich wie Villa ebenfalls die Verhältnismäßigkeit in den Fokus rückt, da nur eine kleine Gruppe von Menschen von diesem Gesetz betroffen sei. Lehmann kritisiert die von ihm wahrgenommenen Desinformationskampagnen und meint damit, dass viele falsche Informationen im Umlauf seien. In diesem Kontext muss der Begriff der Desinformation jedoch problematisiert werden, da eine Information das übermitteln einer Mitteilung zwischen Sender*in und Empfänger*in bezeichnet, somit eine Desinformation bedeuten würde, dass diese Übermittlung verschwindet. Der richtige Fachbegriff für das, was Lehmann im Interview beschreibt, wäre Propaganda, da es um zielgerichtete Versuche geht, die politische Meinung und den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen bzw. diesen in eine bestimmte Richtung zu drängen, was Lehmann mit Gegenbewegung umschreibt. Die Interviewerin der Zeit bemüht sich im weiteren Verlauf um Vergleiche, indem sie die Verhältnismäßigkeitsaussage Lehmanns aufgreift und hinterfragt, wieso die neue Regierungskoalition zuerst ein Gesetz für eine derart kleine Minderheit aufgreift, statt bspw. den § 218 StGB (Schwangerschaftsabbruch) abzuschaffen, oder auf einen Twitterkommentar verweist, der die mangelhafte Rechtslage von Menschen mit (Be-)Hinde827 Villa zitiert nach Schwarz (2022). 828 Villa zitiert nach Schwarz (2022). 829 Mayr (2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

rung umfasst. Diese Strategie entspricht einem Ablenkungsmanöver, wodurch andere Themen als gesellschaftspolitisch wichtiger bewertet werden. Über dieses strategische Stöckchen springt Lehmann jedoch nicht und betont vielmehr, dass die Geschlechtsklassifikation eine existenzielle Persönlichkeitsfrage darstelle und es die vorrangige Aufgabe der Gesellschaftspolitik sei, die Gleichwertigkeit und Selbstbestimmung aller Menschen zu ermöglichen, wozu maßgeblich die Beseitigung von diskriminierenden und fremdbestimmenden gesetzlichen Regelungen gehöre und ein falscher Personenstand im Alltag zu vielen Situationen führe, welche die Identität infrage stellen: »Die gesellschaftliche Akzeptanz wächst, wenn der Staat Menschen anerkennt, wie sie sind.«830 Im weiteren Verlauf des Interviews bemüht sich Mayr um besonders skandalisierende Fragen, indem sie die – den Mediendiskurs dominierenden– Angstnarrative aufgreift und fiktive Beispiele für einen Missbrauch des SelbstBestG nennt, um dieses strategisch zu problematisieren. Bspw. finden sich folgende »Beispiele«: »Ein Mann ist nach einer Scheidung im Sorgerechtsstreit mit seiner Frau und lässt seinen Personenstand zu ›weiblich‹ ändern, weil er so auf einen Vorteil vor Gericht hofft. Oder ein Mann, der sich als Mann fühlt und als Mann geboren wurde, ist in einem Ortsverband bei den Grünen und möchte für ein Amt kandidieren, aber das ist wegen einer Quotenregelung nur als Frau möglich. Weil er nichts anderes zu tun hat, geht er aus Jux zum Standesamt und lässt seinen Geschlechtseintrag ändern. […] Das Selbstbestimmungsgesetz soll auch ein Offenbarungsverbot enthalten. […] Was, wenn ich zum Beispiel Schulden bei jemandem habe – dann könnte ich einfach umziehen, meinen Namen und mein Geschlecht ändern, und niemand darf mich finden? […] Verstehen Sie, dass Frauen wegen des Selbstbestimmungsgesetzes sauer sind? Weil sie sagen: Jetzt wird mir mein Frausein weggenommen?«831 Allerdings führt Mayr auch einen bisher neuen Begriff in den medialen Diskurs um das SelbstBestG ein und fragt Lehmann nach uterus-spezifischen Diskriminierungen. Im Tagesspiegel erfolgt eine kritische Betrachtung des bisherigen Mediendiskurses, in welchem laut Aussage des Tagesspiegels das SelbstBestG mitunter weniger besprochen, sondern mittels Skandalisierung medienwirksam genutzt wurde. Auch dies offenbart sich als diskursive Strategie, welche das eigene Medium als seriös und faktenbasiert darstellt. Der erste Fakt des Tagesspiegels ist kein neuer, denn auch hier wird die Verhältnismäßigkeit aufgerufen, um der Skandalisierung einen Spiegel vorzuhalten, da sich das Gesetz ausschließlich an inter-, trans- und nicht-binärgeschlechtliche Menschen richte. In der Tat richtet sich das Gesetz jedoch an alle Menschen mit deutscher Staatsbürger*innenschaft, die ihren Personenstand ändern wollen. Der anschließende Kritikpunkt bezieht sich auf die Benennung des Gesetzes als SelbstBestG, da dieser Titel suggerieren würde, Menschen könnten das Geschlecht frei wählen, was laut Tagesspiel jedoch nicht der Fall ist, »denn wer sich im Männerkörper als Frau fühlt, wählt nicht, und auch nicht, wer zwischen zwei Geschlechtern steht«.832 Allerdings geht es bei dem SelbstBestG nicht um das Geschlecht, welches gewählt wird, sondern explizit um den 830 Lehmann zitiert in Mayr (2022). 831 Mayr (2022). 832 Müller-Neuhof (2022).

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Personenstand, welcher das Geschlecht als Humandifferenzierung nutzt, um so die Gesellschaft sozial zu ordnen. Auch die Funktion des Gesetzes, welches Diskriminierungen und damit das seelische Leid im Zuge einer Falschklassifikation verhindern soll, wird vom Tagesspiegel kritisch betrachtet, da der Tagesspiegel die »Inkongruenz von Genital und Identität« als das »wesentliche Problem« benennt, wofür auch das SelbstBestG keine Lösung böte. In diesem Kontext liefert der Tagesspiegel einen bisher einzigartigen Diskursbeitrag, indem er die Selbstbestimmung als Etikettierung für das Gesetz zum Personenstandswechsel kritisiert, schließlich wäre der Selbstbestimmungsbegriff durchaus auch für die geplante Gesetzgebung zur Sterbehilfe oder zum Schwangerschaftsabbruch denkbar: »Der nach Entfaltung klingende Name bemäntelt, dass es auch bei Transpersonen und Nichtbinären weniger um Selbstbestimmung als vielmehr um eine im Sinne der Rechtsordnung zu vollziehende notwendige Geschlechtsbestimmung geht.«833 Final greift der Tagesspiegel eines der skandalisierenden Narrative auf, welches die Sorge um Kinder und Jugendliche mit der Vermutung eines Transgeschlechtlichkeit-Trends verschränkt und hält das Argument, das SelbstBestG könne weitere Kinder und Jugendliche ermuntern transgeschlechtlich zu werden, für wenig schlüssig: »Eher dürfte es so werden, dass es in identitären Krisen Pubertierenden eine Handlungsmöglichkeit anbietet, die rückgängig gemacht werden kann. Papier ist eben geduldig.«834 Einzig ein Artikel von Hessenschau-Online prüft die Angstnarrative, welche davon ausgehen, dass Männer das SelbstBestG missbrauchen, um in Frauenbereiche vorzudringen. Dazu werden in Hessen Schwimmbad- und Saunabetreibende, Leiter*innen von Frauenhäusern und Justizvollzuganstalten befragt. Viele halten dieses Angstnarrativ für ein rein theoretisches, im Alltag jedoch nicht-existierendes Phänomen. Ganz pragmatisch werden Lösungen aufgezählt, bspw. dass die Saunen und Schwimmbäder penisfreie Zeiten anbieten, an denen es dann vollkommen irrelevant ist, ob ein Mann oder eine Frau Träger*in des Penisses ist. Auch die Frauenhausleitungen wiegeln ab, da in der Regel kaum Plätze frei sind und immer im Einzelfall und unter Zusammenarbeit mit den Behörden entschieden werde, wer aufgenommen wird, wobei durchaus auch Vorstrafen, bspw. Gewalttätigkeit, berücksichtigt werden. In den Justizvollzugsanstalten wird auf den § 70 Abs. 2 des Strafvollzugsgesetzes verwiesen: »Bei Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen oder wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt dies erfordern, erfolgt die Unterbringung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles.« Auch hier würde im Einzelfall überprüft, ob es bereits Vorstrafen gibt, bspw. sexualisierte Gewalt.835 Wenngleich die Interessenvertretungen von transgeschlechtlichen Menschen sich gegen die – in großen Teilen – transfeindliche Medienberichterstattung zu Wehr setzen, finden sie in den Mainstream-Medien kaum Gehör, wodurch sie diskursiv als gesellschaftlich in den Bereich der Unsagbarkeit verwiesen werden. Hana Corrales wird regelmäßig als Talkgast eingeladen, so bspw. auch in die Riverboat-Sendung vom 27.05.2022. Corrales wurde mit einem Video über das SelbstBestG bekannt, in welchem sie darauf aufmerksam macht, wie wichtig der Gesetzentwurf für das alltägliche Leben 833 Müller-Neuhof (2022). 834 Müller-Neuhof (2022). 835 Vgl. Majic (2022).

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ist und wieso das TSG für sie keine gelungene Lösung für ihre Bedarfe darstellt. Corrales gehört somit zu jenen transgeschlechtlichen Aktivist*innen, die eine große öffentliche Reichweite erzielen können, wobei Corrales Aktivismus als Antwort auf die Widerstände gegen das SelbstBestG gelesen werden sollte und somit als eine Reaktion. Dies wird auch darin deutlich, dass Corrales vor allem darum bemüht ist, die Falschdarstellungen als solche offenzulegen und richtig zu stellen sowie auf die populistischen Strategien des Diskurses aufmerksam zu machen. In der besagten Sendung spricht sie eine transfeindliche Handlung eines weiteren Talk-Gastes an, auf welche in der Sendung jedoch nicht eingegangen wurde. Stattdessen werden durch die Moderatorin weitere Fragen über Transgeschlechtlichkeit gestellt, die durch das gezielte Überhören der Äußerung der Diskriminierungserfahrung innerhalb des Sendeformats einen Eindruck der Exotisierung hinterlassen. Dies wird besonders deutlich, da die Kameraführung auf den besagten Talkgast zoomt und dieser sich anhand seiner Mimik auch angesprochen zu fühlen scheint, diese transfeindliche Äußerung getätigt zu haben. Zudem weist Corrales ein zweites Mal auf den Vorfall hin, was die Kameraführung erneut mit einem Schwenk auf den besagten Talkgast übersetzt, aber durch die Moderation keinerlei Anerkennung findet. Als die Moderatorin mutmaßt, dass ja schon sehr viel erreicht worden wäre und sie nun nicht müde werden dürfe, wendet sich Corrales sichtlich angespannt von ihrer bisher aufopfernden Beantwortung der gestellten Fragen ab und wird erneut deutlich; »ja natürlich, dass man eine Frau wie mich hier hinsetzt, das wäre natürlich was, was vor 20 Jahren undenkbar gewesen ist«, aber auch hier unterbricht die Moderatorin, da ihr diese Formulierung nicht gefalle, worauf Corrales nochmals deutlicher wird: »Ja, aber ich meine, es ist ja für viele Menschen noch so, dass sie mich immer noch als Mann sehen, mich interessiert das auch nicht, ob Du zuhause denkst, dass ich ein Mann bin, Hauptsache ich habe meine Sicherheit und Du lässt mich halt in Ruhe und ich kann mein Leben mit meinem Ausweis, wo mein Name Hana draufsteht fortführen, was Leute hinter ihren Köpfen denken, interessiert mich halt einfach nicht, aber die Angriffe, das tägliche, diesen Respekt, den man mir nicht entgegenbringt, wenn ich mich hier hin setze und man mir sagt, ›okay, mache Deine Beine nicht auseinander, ich will Deinen Schwanz nicht sehen‹, das ist etwas, was ich einfach nicht mehr ertragen möchte und was ich einfach ungerechtfertigt finde.«836 Auch darauf geht die Moderatorin nicht ein, sondern beendet das Gespräch mit dem Hinweis, wie vielfältig die Gesellschaft doch nunmehr sei und es schön ist, dass Corrales zu Gast war. Corrales leistet hier einen sehr bedeutenden Diskursbeitrag, der als solcher keine Resonanz erfährt. Ihr Hinweis für den Diskurs ist jener, dass transgeschlechtliche Menschen niemandem die cis-binäre Sichtweise verbieten wollen oder können, diese aber für sich selbst das Recht haben wollen, geschlechtlich selbstbestimmt leben zu können mit der Gewissheit, dass andere Menschen ihre Feindseligkeiten und binären Zuschreibungen für sich behalten und transgeschlechtliche Personen damit nicht adressie-

836 1:52:00 – 1:53:50: https://www.ardmediathek.de/video/riverboat/riverboat-berlin/rbb-fernsehen/ Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvcml2ZXJib2F0LzIwMjItMDUtMjdUMjI6MDA6MDBfZGMzNT Q5NDMtN2VhNS00NzdlLWJjYTktYzFjYzg0OTVhMzA3L3JpdmVyYm9hdC1CZXJsaW4tMjAyMjA 1Mjc (letzter Zugriff: 01.06.2022).

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ren. Anders als cisfeministische Beiträge unken, geht es Transaktivist*innen also nicht darum, dass alle Menschen ihre binären Deutungsmuster ablegen, sondern vielmehr darum, die geschlechterpluralen Deutungsmuster anzuerkennen, erst recht jedoch das Resultat dieser, wenn daraus geschlechtliche Identifizierungen und/oder Desidentifizierungen hervorgehen. Beispielhaft widersetzte sich auch der Bundesverband Trans* (BVT) der Veröffentlichung von Alice Schwarzers Sammelband und dekonstruiert diesen als Durchsetzung transfeindlicher Haltungen, indem Einzelmeinungen von Wissenschaftler*innen als wissenschaftlicher Konsens dargeboten werden. Zudem macht der BVT auf die transfeindlichen Allianzen aus christlich-fundamentalistischen, rechtskonservativen und cisfeministischen Akteuren aufmerksam. So geht der Sprecher Kalle Hümpfer davon aus, dass die »trans*feindliche Stimmungsmache die Lebensrealitäten von trans* Personen negativ beeinflusst«. Der BVT* richtet abschließend einen Appell an die Medienlandschaft, die Herausgeberschaft von Schwarzer kritisch zu lesen und weitere Stimmen aus der Wissenschaft einzubeziehen, die andere Erkenntnisse liefern, um so eine ausgewogene Berichterstattung zu garantieren. Der BVT* e. V. hat sich aus diesem Grund mit dgti e. V. und TrIQ e. V. zusammengeschlossen und online eine Petition »gegen trans*feindliche Berichterstattung, für einen respektvollen und sachlichen Umgang« geschaltet, die unter dem Hashtag #transMedienWatch verbreitet wird. Die Initiative bemüht sich um eine sensiblere und kritischere Berichterstattung, die ihre Medienprodukte dahingehend befragt, ob sie Ängste und Hass gegenüber Transgeschlechtlichkeit schüren. Es wird darauf hingewiesen, dass Journalist*innen dem Pressekodex verpflichtet sind, der im besonderen Maße darauf fußt, dass Medien einen wichtigen Anteil an der öffentlichen Meinungsbildung haben. Die Beiträge über transgeschlechtliche Menschen vermitteln jedoch zunehmend »ein verzerrtes und lückenhaftes Bild der vielfältigen Lebensrealitäten von trans* Menschen […] indem Bilder und Begrifflichkeiten von trans*feindlichen Bewegungen aufgegriffen werden«.837 Unteranderem weist die Initiative darauf hin, dass Personen wie Alexander Korte und Alice Schwarzer unverhältnismäßig oft in der medialen Berichterstattung über Transgeschlechtlichkeit vertreten seien. Im Juni 2022 startete die Kampagne »Trans Media Watch«, welche ebenfalls auf die Medienberichterstattung bezüglich Transgeschlechtlichkeit Bezug nimmt und diese wie folgt kritisiert: »Zunehmend werden Medienbeiträge veröffentlicht, in denen von ›Trans* als Trend‹, von angeblich unsicheren Frauenschutzräumen, von einer sogenannten ›Trans*Ideologie‹ oder von ›Mädchen, die keine Mädchen sein wollen‹ die Rede ist. Diese Berichterstattungen gehen soweit, die Existenz von trans* Personen zur Debatte oder sogar in Frage zu stellen. Sie schüren Ängste und Hass gegenüber trans* Personen, ihrer rechtlichen Anerkennung und gesellschaftlichen Gleichstellung, indem diese als ›gefährlich‹ für die Mehrheitsbevölkerung dargestellt werden.«838 Die Internet-Plattform queer.de untermauert die Kritik mit einer Analyse des ÖRRWestdeutschen Rundfunk (WDR) Formats »Die Story« mit dem Titel »Trans*: Der 837 https://innn.it/transmedienwatch (letzter Zugriff: 20.11.2022). 838 Vgl. https://innn.it/transmedienwatch (letzter Zugriff: 25.08.2022).

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schwierige Weg ins eigene Geschlecht«, welchem einseitige Berichterstattung vorgeworfen wird. Allerdings handelt es sich bei der Einseitigkeit nicht um den Vorwurf, dass nicht alle Seiten zu Wort kommen dürfen, sondern dass durch die Vermischung der beiden Seiten mittels Schnitttechnik »ein fataler Eindruck entsteht«.839 Weiter wird kritisiert, dass das Format Korte eine Plattform böte, in welcher er das umstrittene ROGD-Konzept vorstellen könne, wenngleich er dieses nicht als solches, sondern, laut Aussage von Queer.de, nur implizit benennt. Vor allem das Wording in dem Format sei jedoch problematisch, wenn bspw. Schwarzer von einem Hype spricht, zwischen echten und unechten transgeschlechtlichen Personen unterscheidet oder Eltern zu Wort kommen, die vehement ablehnen das eigene Kind mit den selbstgewählten Pronomen und Namen anzusprechen. Auch wird kritisiert, dass Einzelfälle präsentiert werden, obwohl es keine Überblicksstudien zu dem Phänomen der Detransition gibt. Der Beitrag selbst enthält bezüglich der Beispielfälle jedoch auch zwei transgeschlechtliche Jugendliche, welche durch ihre Eltern eine affirmative Begleitung erhalten und einen transgeschlechtlichen Jugendlichen, welcher jedoch nicht selbst zu Wort kommt und dessen Mutter eine ablehnende Haltung zeigt, sowie eine junge Frau, die detransioniert ist. In dieser Hinsicht kann dem Format nicht vorgeworfen werden, eine einseitige Berichterstattung zu betreiben. Auch werden Geschichten von affirmativen und ablehnenden Eltern aufbereitet, wobei die ablehnenden Haltungen stark kritisiert werden. Neben dem Arzt Korte mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber Pubertätsblockern und dem Ansinnen auf eine Aussöhnung mit dem biologischen Geschlechtskörper, findet der Arzt Georg Romer Gehör, welcher Pubertätsblocker befürwortet und eine affirmative Haltung gegenüber transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen hat. Auch hier kann der Vorwurf nicht bestätigt werden, dass das Format eine einseitige Berichterstattung betreibt. Sicherlich können verwendete Fachbegriffe und teils pathologisierende Begrifflichkeiten kritisiert werden, jedoch handelt es sich bei »Die Story« um ein Medienformat, was gesellschaftliche Phänomene verständlich vermittelt und eine breite Zielgruppe anspricht. Werden zu viele Differenzierungen vorgenommen und eine sehr sensible Sprache gewählt, werden vielen Zuschauer*innen kognitive Hürden gestellt, welche ein Nachvollziehen des Inhalts erschweren. Solche Medienformate sind darauf angewiesen, an bereits vorhandenes Alltagswissen anzuknüpfen und dieses bestenfalls zu erweitern oder neue Perspektiven zu ermöglichen. Auch die Vereinigung von Menschen mit Variante der Geschlechtsentwicklung e. V. (VDGE e. V.) bemüht sich um einen Widerspruch gegen die Desinformationskampagne im Zuge des SelbstBestG und geht auf jede These ein, indem diese als Falschbehauptungen offenbart werden. Auch die VDGE e. V. findet keinen Eingang in den medialen Diskurs.840 Insgesamt kann demnach konstatiert werden, dass es sich um eine Diskursverknappung handelt. Armin Nassehi leistet im Kursbuch im Rahmen des Montagsblocks einen Beitrag zum SelbstBestG-Diskurs, welchen er als »vermintes Gelände« bezeichnet und dessen rigorosen Verve – nur eine Geschlechterdefinition für gültig zu erklären – Nassehi auf 839 Vgl. https://www.queer.de/detail.php?article_id=42469 (letzter Zugriff: 25.08.2022). 840 Vgl. https://www.vdge.org/2022/03/12/eine-zusammenfassung-zur-aktuellen-desinformationsk ampagne-gegen-das-selbstbestimmungsgesetz/ (letzter Zugriff: 20.11.2022).

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beiden Diskursseiten wahrnimmt. Nassehi erkennt den Diskurs somit als Dualismus zwischen Kultur und Natur: »Der Streit geht, so beobachte ich es von außen, zum einen darum, ob mit der Begründung der anisogamen Form der Fortpflanzungsfunktion bereits alles über Männlichkeit und Weiblichkeit gesagt sei – was heute niemand ernsthaft behaupten kann, ganz abgesehen davon, dass diese beiden Zurechnungen kulturell viel mehr meinen als die Fortpflanzungsfunktion. Zum anderen geht es um die Anerkennung dritter und weiterer Geschlechtsbezeichnungen und möglicher Transitionen, die ohne Zweifel in erster Linie nicht biologischer Natur sind, sondern kultureller, gesellschaftlicher Natur.«841 Bis dahin zusammenfassend folgt auch hier ein einzigartiger Diskursbeitrag, der ohne Verve die Brücke zwischen den Kontrahent*innen der Kultur und jenen der Natur schlägt, indem Nassehi im körperlichen Geschlechtswechsel eine Verschränkung beider Positionen erkennt, da »die Zweigeschlechtlichkeit eher bestätigt als widerlegt – und zwar sowohl die biologische als auch die soziale, wie berühmte soziologische Studien darüber zeigen, wie ein Geschlechtswechsel von der sozialen Bestätigung abhängig ist, von anderen nun in einem anderen Geschlecht wahrgenommen zu werden«.842 Diese diskursive Äußerung bleibt dem Transgeschlechtlichen-Archetyp treu, indem Transgeschlechtlichkeit an die Eigenschaft des körperlichen Geschlechtswechsels gebunden wird. Der Beitrag nimmt im weiteren Verlauf einen Perspektivwechsel vor, was einer diskursiven Strategie entspricht, welche durchaus als externe Kritik gewertet werden kann, indem die Frage aufgeworfen wird, ob es die Biologie überhaupt braucht: »Braucht man überhaupt die Biologie, um diesen Diskurs zu führen – wohl wissend, dass die Biologie ihrerseits als Naturwissenschaft nicht die Welt als solche wahrnimmt, sondern ausschließlich mit ihren Begriffen, Methoden, Hinsichten und Perspektiven? Ist es nicht eine merkwürdige Re-Naturalisierung des Diskurses?«843 Eine nicht unbegründete Frage, da es sich um ein Gesetz handelt, wobei Gesetze eben keinem Naturgesetz folgen, sondern kulturell geprägt und sozial ausgehandelt werden. Allerdings greift die Gesetzgebung mit dem Geschlecht als sozialer Ordnungskategorie auf ein biologisch determiniertes Konzept zurück, das genau aus dem vermeintlichen Grund, es sei eben unverfügbar und nicht änderbar, als geeignete gesellschaftliche Ordnungskategorie galt. Schon Goethe schrieb in seinem Zauberlehrling: Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht los. Weiter erkennt auch Nassehi das Problem der fehlenden gemeinsamen Sprache, wenn er schlussfolgert, dass die Fortpflanzungsfunktion einer Bezeichnungsmonopolisierung unterliegt: »Dass die größeren Keimzellen weiblich und die kleineren männlich genannt werden, ist ein semantisches und kein Naturphänomen.«844 Auf die begriffliche Konvention zu verweisen – die Frauen als gebärend und Männer als zeugend konstruiert – und so den Diskurs zu verknappen oder für beendet zu erklären, bezeichnet Nassehi jedoch als Szientismus, da es wissenschaftlich eben nicht ausreicht der anderen Seite Denkfehler zu bescheinigen.

841 842 843 844

Nassehi (2022). Nassehi (2022). Nassehi (2022). Nassehi (2022).

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Das ZDF Magazin Royale vom 2. Dezember 2022 nahm sich des Themas zunehmender Transfeindlichkeit im Zuge der Diskurse um das SelbstBestG in einer halbstündigen Sendung an. Jan Böhmermann bezeichnet das gestiegene Interesse der Presse am Thema Transgeschlechtlichkeit als eine Obsession, die durch das SelbstBestG entbrannt zu sein scheint. Böhmermann zeigt exemplarisch Kommentare von Beatrix von Storch, Marc Henrichmann (beide Bundestagabgeordnete), Birgit Kelle, Eva Engelken und Alice Schwarzer, welche diverse Transnegativitäten in ihren Aussagen aufrufen, bspw. dass Trans* eine nicht existierende Geschlechterkategorie sei, Trans* lediglich ein Trend und Trans* durch das SelbstBestG eine Gefahr für den Schutz von Frauenräumen darstelle. Böhmermann verwendet für die gezeigten Personen die Sammelbezeichnung TERF (Transexkludierende Radikalfeminist*innen), welche er als »ziemlich unangenehme, sehr laute Leute« kennzeichnet und mit dem Hashtag #terfs den neuen Hashtag #turds (≈ aus dem engl. übersetzt »Scheißhaufen«) einführt. Doch Böhmermann bezieht sich nicht nur kritisch auf den zunehmenden Hass im Netz-Aktivismus, sondern nutzt seine Sendezeit auch, um transgeschlechtliche Menschen zur Sprache kommen zu lassen, indem diese im Rahmen der Sendung die aktuelle Gesetzgebung problematisieren und die psychologische Begutachtung kritisieren können. Zudem benennt er Falschinformationen, indem er das scheinbar vermehrte Outing von transgeschlechtlichen Personen darauf zurückführt, dass »Aufklärung und Sichtbarkeit von Transmenschen dazu führen, dass Transmenschen weniger Angst haben ihre Identität und Persönlichkeit frei zu entfalten«. Auch der Falschinformation, dass Transgeschlechtlichkeit die Schutzräume von Frauen zu Orten der sexualisierten Gewalt mache, widerspricht Böhmermann auf gewohnt ironische Weise, indem er auf lange Schlangen vor Frauentoiletten hinweist und fragt, »wer läuft denn zum Standesamt, ändert seinen Geschlechtseintrag, damit er sich dann da anstellen kann und […] Männer können Frauen sowieso schon überall belästigen und machen das auch und Gewalt gegen Frauen findet meistens nicht in der Damenumkleide […] statt, sondern zu Hause.« Auch auf die Angstnarrative gegenüber der vermeintlich bedrohten Frauenquote nimmt Böhmermann sarkastisch Bezug und spottet »wieso das denn? Die Männerquote ist doch viel geiler, egal wie dumm und unfähig ein Mann ist, dank der großzügigen Männerquote kommt er immer weiter als die qualifizierteste Frau«. Böhmermann kommt abschließend zu der Konklusion »nicht trans-sein ist Mode, sondern Transfeindlichkeit ist Mode«, womit Böhmermann jedoch unrecht hat, da die heutigen Diskurse ebenfalls auf eine lange Diskursgeschichte verweisen.845 Sein Hashtag #turds konnte vom 2. Dezember 2022, dem Tag der Ausstrahlung, bis zum 6. Dezember 2022 um die 16.900 Tweets und eine Reichweite von 3,4 Milliarden generieren. Auf Twitter finden sich jedoch neben sehr positiven Kommentaren, die Böhmermanns Sendung u.a. als Erleichterung und große Unterstützung bezeichnen und dankbar sind, »Sichtbar trans zu sein, öffentlich als queere Person zu wirken, ist oft mühsam und frustrierend. Am Freitag hatte ich das Gefühl, mal kurz Pause machen zu können.

845 https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-2-dezember-2022-10 0.html (letzter Zugriff: 06.12.2022).

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Dass wir den Kampf nicht ganz alleine führen.«846 »#turds trendet auf Twitter weiter und es ist für trans Personen nicht zu überschätzen wie wichtig das gerade ist.«847 »#turds @janboehm hat gestern in seiner Sendung sehr gut zusammengefasst, wo der transfeindliche Diskurs herkommt, wie die Akteur*innen ticken und (was ich persönlich ganz enorm fand) zeigt, dass Menschen dazu lernen können. Er beschimpft sein jüngeres ich ob seiner wirklich schrecklichen Aussagen zu trans vor ein paar Jahren (bei weitem nicht so schlimm wie irgendwelche TERFs) und dazu gehört halt auch eine gewisse Größe. Also danke @janboehm für Sendung.«848 auch eine Vielzahl an Versuchen, den Hashtag erneut aus geschlechterbinärem Netz-Aktivismus anzueignen: »Zu behaupten ein Penis sei ganz normal bei Frauen und Frauen hätten das zu akzeptieren ist übergriffig und verunsichert junge Frauen und Mädchen! #turds«849 »Wie fühlt sich das eigentlich so an, Propaganda für ein Gesetz zu betreiben, das alten Herren erlaubt, sich in die Mädchendusche hineinzuidentifizieren, Jan? #turds #Boehmermann #NoSelfID«850 »Nach ›Nazi‹, ›Blinddarm‹, und ›Ratte‹ hat der ÖRR nun einen weiteren Begriff für Millionen von Beitragszahlern gefunden: ›Scheißhaufen‹.«851 »Die #zdfmagazin-Folge ›Transfeindlichkeit ist Trend‹ ist ein Paradebeispiel für Desinformation & wie @janboehm einzig versucht, Gegenstimmen zu diffamieren & mit KontaktschuldVorwürfen zu diskreditieren, weil offenbar Argumente fehlen. #turds«852 »Leute wollen euren Gender-Irrsinn nicht, trotz großangelegter Umerziehungskampagnen. Damit kriegt ihr keine neuen Jünger, nur mehr Gegenwind. #turds«853 Wie entlang der unterschiedlich positionierten Kommentare deutlich wird, hätte Böhmermann transgeschlechtlichen Menschen zu einer fundierteren Aufmerksamkeit verholfen, wenn er darauf verzichtet hätte, die vermeintlichen Diskurs-Gegner*innen der Lächerlichkeit preiszugeben, indem er diese im Subtext beleidigt und verspottet. So macht sich das solide Grundgerüst der Sendung, die unzähligen Falschmeldungen zu widerlegen und transgeschlechtliche Menschen zu Wort kommen zu lassen, angreifbar und abweisbar. Dass der Analyseanteil der queer-feministischen Positionen im Vergleich so kurz ausfällt, ist ausschließlich dadurch begründet, dass Zeitschriften häufiger die cisfeministischen Thesen aufgreifen und die cisfeministischen Diskursakteure deutlich mehr Diskursbeiträge leisten, im Ansinnen eine Diskursverknappung zu erzielen, und somit den Diskurs entgegen der Eigenaussage dominieren. In diesem Kontext muss der queerfeministische Diskurs als vorwiegend dekonstruktiv und somit reagierend, also

846 847 848 849 850 851 852 853

lo Kassandra Görz @loGoerz, Twitter. Leaf @ElfieTalime, Twitter. Jascha oder: tomate @herrurbach, Twitter. Katrin @kadupylo, Twitter. Rona @ronalyze, Twitter. Atomico @atomico_alpha, Twitter. Julius Böhm @julius_boehm, Twitter. Annette Creft @AnnetteCreft, Twitter.

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teil-passiv, verstanden werden, da weitestgehend auf ein eigenes Agenda-Setting verzichtet wird, wodurch der Eindruck einer Rechtfertigungspraxis entsteht, die ihrerseits auf eine fehlende gesellschaftliche Legitimierung verweist, während die cisfeministischen Akteure durch ihre aggressiv-aktive Diskursarbeit Macht gewinnen, da hier nicht gerechtfertigt, sondern mittels Argumentum ad verecundiam Wirkung erzeugt wird.

4.2.3 Medizinische und psychologische Positionen Ein erster Artikel nach dem BVerfG-Urteil (2011) findet sich in der Fachzeitschrift »Recht & Psychiatrie«, in dem Pfäfflin herausstellt, dass Transgeschlechtlichkeit die einzige Diagnosekategorie des ICD-10 sei, für die es eine eigene Gesetzgebung gäbe. Weiter wirft der Autor dem Gesetzgeber vor, Geschlechtszugehörigkeit an körperlichen Merkmalen zu messen, obwohl wissenschaftliche Studien die Notwendigkeit eines MehrPerspektiven-Ansatzes belegen. Aus diesem Grund schlussfolgert der Autor: »Wozu sollte man solche Gutachten und das aufwendige Verfahren des Transsexuellengesetzes einschließlich der doppelten Begutachtung dann noch brauchen, wenn die Geschlechtsidentität der subjektiven Selbstbestimmung unterliegt?«854 Aus diesem Grund plädiert Pfäfflin für eine vereinfachte VÄ/PÄ über die Standesämter, ohne dem zugrundeliegende Beweisverpflichtungen. Die Auseinandersetzung um das TSG beginnt in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft nicht nach Verkündung des BVerfG-Urteil und der damit verbundenen Aufforderung zur Novellierung oder Abschaffung (2011), sondern erst 2013 im Zuge der Veröffentlichung der 5. Version des DSM. Katinka Schweizer und Bernhard Strauß verweisen auf die diagnostische Neuordnung der Transgeschlechtlichkeit, welche durch das DSM-5 zu einer Entpathologisierung führe. Aus diesem Grund bemüht sich die Zeitschrift für Sexualwissenschaft verschiedene Positionen zusammenzutragen, um so ein differenziertes Spektrum zu der Fragestellung zu eröffnen, ob das TSG abzuschaffen oder zu novellieren sei.855 Sophinette Becker verweist zunächst auf den Wandel in den klinischen Wissenschaften, welche die »klassische Transsexuellenbiografie« und eine damit verbundene Totalisierung zugunsten von individuellen Lösungswegen in Form einer Flexibilisierung der therapeutischen Zielformulierung aufgegeben haben.856 Weiter habe der poststrukturalistische Gender-Diskurs Geschlecht als Konstruktion offengelegt und Transgeschlechtlichkeit als ein medizinisches Projekt dekonstruiert. Auch habe sich die gesellschaftliche Sicht auf Geschlechterrollen flexibilisiert.857 Zudem habe unlängst eine

854 Pfäfflin (2011): S. 62. 855 Vgl. Schweizer; Strauß (2013): S. 143. 856 Als klassische Transsexuellenbiografie wird der Wunsch nach einer operativen Geschlechtsangleichung und eine stereotype Geschlechterperformanz verstanden, während individuelle Lösungswege um den Zustand wissen, dass nicht jede transgeschlechtliche Person operative Maßnahmen oder selbst hormonelle Behandlungen wünscht. Diese zunächst sehr starre Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit brachte die Unterscheidung von »echten und unechten Transsexuellen« hervor, wobei die unechten häufig die Diagnose des Transvestitismus erhielten (vgl. Becker [2013]: S. 147). 857 Vgl. Becker (2013): S. 147.

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stille Reform des TSG stattgefunden, da die Entscheidungen des BVerfG das ursprüngliche TSG immer wieder »zurechtgerückt« hätten. Alle diese Entwicklungen müssten hinsichtlich der Zukunft des TSG Berücksichtigung finden.858 Becker präferiert folglich den Wegfall des TSG und formuliert unter Vorbehalt im Falle einer Durchsetzung eines neuen TSG einen Steckbrief für das »Transgendergesetz«, bei welchem das Verfahren verkürzt werden soll, nur noch ein statt zwei Gutachten erforderlich werden und diese Begutachtung im Falle der VÄ gänzlich wegfallen soll. Das Gutachten für die PÄ solle zukünftig ohne Kosten für die antragstellenden Personen sein. Hinsichtlich der Qualifikation der Gutachtenden hält Becker weiter an Ärzt*innen und Psycholog*innen fest.859 Auch hinsichtlich der Sprache werden einige Vorschläge eingebracht, bspw. dass das Wort Prägung durch Entwicklung ersetzt werden müsse und die Formulierung »›unter dem Zwang steht‹ durch eine Formulierung wie z.B. ›es als anhaltende innere Notwendigkeit erlebt‹« ersetzt wird.860 Da ein großer Teil von Wissenschaftler*innen einen Konsens darüber bildet, dass es sich bei Transgeschlechtlichkeit um eine Normvariante im Geschlechtsidentitätsspektrum handle,861 habe eine »monokausale Ätiologie« keinen Sinn.862 Dennoch hält Becker an einer therapeutischen Begleitung von transgeschlechtlichen Personen fest, da diese dem Menschen »erst zu einer klaren und reflektierten Haltung« gegenüber den kommenden rechtlichen wie medizinischen Schritten ermögliche.863 Annette-Kathrin Güldenring verweist darauf, dass ein selbstbestimmtes Leben und eine freie Entfaltung der non-konformen Geschlechtsidentität nicht möglich sei. Vor allem die Diagnostik im Zuge der PÄ erschwere diese Selbstbestimmung, so führt sie aus, »dass die psychodiagnostischen Methoden jeder theoretischen Grundlage entbehren, die eine objektive Diagnostik geschlechtlichen Empfindens im Rahmen menschlicher Wahrnehmung zulassen würde«.864 In dem Dreieck aus Recht, Medizin und Kostenträgern käme es allzu oft zu einer Verantwortungsübertragung und Rollenverschiebung.865 Die Verantwortlichkeit alleinig auf die psychologische Diagnostik zu übertragen, sei verfehlt, da: »Viele der von außen beobachtbaren psychopathologischen Symptome und Syndrome unspezifisch [sind], d.h. psychopathologische Einzelsymptome sind vieldeutig und diagnostisch nicht eindeutig erfassbar.«866 Vor allem Identitätsgefühle seien von außen gar nicht sichtbar und somit auch nicht objektivierbar oder diagnostizierbar: »Sie können nur im Dialog und im Beziehungserleben des/der Therapeuten_in zum/zur Patienten_in aus der subjektiven Sicht wahrgenommen und beschrieben werden.«867 Die Diagnoseschlüssel (ICD/DSM) seien wiederrum entwickelt worden, um subjektive Einflüsse zu vermindern. Dies verweist darauf, dass eine Diagnostik durchaus

858 859 860 861 862 863 864 865 866 867

Vgl. Becker (2013): S. 148. Vgl. Becker (2013): S. 150f. Becker (2013): S. 151. Vgl. Becker (2013): S. 152f. Vgl. Becker (2013): S. 154. Becker (2013): S. 156. Güldenring (2013): S. 160. Vgl. Güldenring (2013): S. 163; S. 165. Güldenring (2013): S. 169. Güldenring (2013): S. 170.

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durch persönliche Haltungen, aber auch entlang von Stereotypen und Vorurteilen getrübt sein kann. Aus diesem Grund lautet die Empfehlung von Güldenring wie folgt: »Es gilt, unverzüglich eine TSG-Reform zu entwerfen, die neue, auch außerhalb der Medizin und Psychiatrie gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt und die die Fremdbegutachtung von Geschlecht als entscheidende Instanz gänzlich entfernt. Dann wären Recht und Medizin endlich entkoppelt […].«868 Auch Gunter Schmidt schließt sich den Forderungen an, dass das subjektive Geschlechtsempfinden einer von Gutachtenden zertifizierten Geschlechtsidentität vorzuziehen sei.869 Da es nur sehr selten bzw. nahezu so gut wie nie vorkomme, dass ein Antrag abgelehnt werde und nur in zwei bis drei Prozent der Fälle ein Rückwandlungsbegehren geäußert werde, spricht Schmidt von »viel Aufwand und wenig Effekt«.870 Hinter den Gutachten vermutet Schmidt das Anliegen, die Stabilität des Geschlechtsempfindens zu prüfen, um so nicht erneut das rechtliche Verfahren durchführen zu müssen. Daher empfiehlt Schmidt, gänzlich vom TSG abzusehen und eine Regelung mittels der Standesämter zu finden.871 Christian P. Vogel vertritt die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BVerfG den Entwicklungen auf Psychiatrie und Sexualmedizin entspreche.872 Transsexualität, so der Autor weiter, sei begrifflich an den Wunsch einer operativen geschlechtsangleichenden Anpassung gebunden, welche immer seltener von Menschen gewünscht sei, die eine PÄ beantragen. Aus diesem Grund müsse »das entsprechende Gesetzeswerk auch nicht mehr Transsexuellengesetz heißen, sondern sich auf den Titel ›Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen‹ beschränken«.873 Auch Vogel erkennt keine ersichtlich nachvollziehbare Begründung für zwei ausführliche wissenschaftliche Gutachten, da eines durch den hauptsächlich betreuenden Gutachtenden ausreichend sein müsste.874 Volkmar Sigusch kritisiert im Rahmen der Diskussion den nosomorphen Blick der Psycholog*innen, die ihren Fokus einzig auf das Kranke richteten.875 Weiter macht Sigusch auf einen Widerspruch aufmerksam, der daraus resultiere, einerseits zu den staatlich anerkannten Gutachtenden zu gehören, gleichzeitig aber für eine Abkehr von der Begutachtung einzustehen. Der Widerspruch ergebe sich aus der Verpflichtung den Antragsstellenden gegenüber, die andernfalls auf die inkompetenten Kolleg*innen angewiesen wären.876 In Kritik am nosomorphen Blick auf Transgeschlechtlichkeit und am klinischen Jargon, führt Sigusch den Ausdruck »Liquid Gender« ein, welcher in der Lage sei dem kulturellen Wandel und der Vielfältigkeit des Geschlechts gerecht zu werden. Weiter würde der Begriff dem gesellschaftlichen Phänomen anerkennend entgegenkommen, dass immer mehr Menschen ohne operative Geschlechtsangleichungen ein Geschlecht leben, welches nicht ihrer zugewiesenen Geschlechtsklassifizierung entspricht. Entlang der Annahme eines Liquid Genders fordert 868 869 870 871 872 873 874 875 876

Güldenring (2013): S. 172. Vgl. Schmidt (2013): S. 175. Schmidt (2013): S. 176. Vgl. Schmidt (2013): S. 176. Vgl. Vogel (2013): S. 182. Vogel (2013): S. 182. Vgl. Vogel (2013): S. 183. Vgl. Sigusch (2013): S. 185. Vgl. Sigusch (2013): S. 186.

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Sigusch daher ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht für die Geschlechtsklassifizierung.877 In den Jahren 2014 und 2015 gibt es nur zwei weitere Artikel. Der erste stammt von Hamm/Sauer, welche entlang des Art. 2 GG Abs. 1 und 2 argumentieren, dass es ein Recht auf Selbstbestimmung geben müsse: »Körperliche und identitäre Selbstbestimmung bedeutet für Trans*-Menschen das Recht, ihre Identität frei zu bestimmen und zu leben sowie das Recht, ihren Körper, Namen und Personenstand ihrer Identität anzupassen.«878 Als Hindernis benennen die Autoren das staatliche Bedürfnis, den Zugang zu genitalangleichenden Maßnahmen und dem wahllosen Wechsel der Geschlechtsklassifikation Einhalt bieten zu wollen. Darin erkennen die Autoren die »paternalistische Grundannahme, Menschen seien nicht in der Lage, Entscheidungen über ihren eigenen Körper selbst zu treffen«.879 Diese Pathologisierung entspreche nicht dem Recht auf Gesundheit, welches entsprechend dem Bundessozialgesetzbuch (SGB) die Besserung des Gesundheitszustandes (§ 1 SGB V) umfasse, ebenso wie das Zusichern eines menschenwürdigen Daseins (§ 1 SGB I).880 Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits 1987 in einem Grundsatzurteil Transgeschlechtlichkeit nicht per se als Krankheit dargestellt, sondern den Leidensdruck als solchen forciert und als Linderung dessen die Beseitigung des individuellen Leidensdruck benannt.881 Hinsichtlich der Novellierung schlagen die Autoren die Berücksichtigung von zwei Faktoren eines Rechts auf Gesundheit vor: (1) das Recht auf Privatsphäre, was vor allem die Anerkennung des Geschlechts umfasst und jene Praktiken verhindern möchte, die zu einem Zwang der Offenlegung des eigenen transgeschlechtlichen Status führen;882 (2) das Recht auf die individuelle Würde des Menschen, womit ein Verzicht auf unflexiblen Standardisierungen eingefordert wird, ebenso wie die Einforderung des Respekts der individuellen Entscheidung eines Menschen hinsichtlich der eigenen Geschlechtszugehörigkeit.883 Unter diese beiden Faktoren fallen laut Hamm/Sauer die Abschaffung der verpflichtenden Psychotherapie, der Verzicht auf einen Alltagstest, das Unterlassen von invasiven Fragen im diagnostischen Prozess, die Aufgabe der Definitionsmacht der Medizin, eine Verkürzung des Diagnoseprozesses und die Flexibilisierung und Individualisierung von transgeschlechtlicher Entwicklung.884 Der zweite Beitrag stammt von Bernd Meyenburg et al. und bezieht sich auf ihre Studie, welche Bezug zu einigen Fallbeispielen – darunter auch Fallbeispiele von negativen Gutachten und Desistern – nimmt, und auf die stereotypisierende Zuschreibung von Geschlechterattributen oder die Pathologisierung verweist, welche in den Gutachten genutzt werden, um eine Entscheidung hinsichtlich der zu begutachtenden Transgeschlechtlichkeit zu treffen.885 Ferner zeigt die Studie, dass bei 670 analysierten Gutach-

877 878 879 880 881 882 883 884 885

Vgl. Sigusch (2013): S. 187. Hamm; Sauer (2014): S. 11. Hamm; Sauer (2014): S. 11. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 12. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 13. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 13f. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 14. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 15–23. Vgl. Meyenburg; Renter-Schmidt; Schmidt (2015): S. 114f.

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ten im Zeitraum von 2005 bis 2014 weniger als ein Prozent nicht befürwortet wurden.886 Aus diesem Grund schließen sich Meyenburg et al. der Forderung an, dass die »Grundlage für eine Änderung von Vornamen und Personenstand das subjektive Geschlechtsempfinden des Antragstellers oder der Antragstellerin sein sollte und nicht eine gutachterlich zertifizierte Geschlechtsidentität«.887 2016 hat die Fachzeitschrift »Zeitschrift für Sexualforschung« eingeladen, über die Abschaffung des TSG zu debattieren. Auch in den nachfolgenden Jahren 2019, 2020 und 2021 wurde das Thema aufgegriffen und wahlweise über die Definition von Geschlecht (2019) diskutiert, was im nachfolgenden Jahr erneut aufgegriffen wurde (2020), und die Zunahme transgeschlechtlicher Männer (2021), was spezifisch in der Fachzeitschrift im Format einer Streitschrift behandelt wurde. Alexander Korte et al. (2016) reagieren mit ihrem Artikel auf die Forderung von Meyenburg et al. (2015), die Begutachtungspflicht für die VÄ/PÄ abzuschaffen. Die wichtigste These von Korte et al. ist in diesem Zusammenhang, dass Kindern oder Jugendlichen bei der Entscheidung für eine VÄ/PÄ ohne kompetente Begutachtung eine fachgerechte Exploration fehle und sich die Justiz wie Politik somit schuldig machen, wenn diese folgenreiche irreversibel Entscheidung zu einem Zeitpunkt der entwicklungspsychologischen Unabgeschlossenheit bereut werde.888 Durch die Bezeichnung der kindlichen »Selbstdiagnose von Transsexualität […] als subjektive Fehleinschätzung«889 wird der Eindruck vermittelt, dass Kinder und Jugendliche im Regelfall wegen fehlender Expertise in ihrer Selbstwahrnehmung falsch liegen. Eine weitere These ist, dass Eltern keine guten Beratenden für Kinder seien, da diese entlang ihrer Gefühle dem Kinde gegenüber, einer falschen Motivation in ihrer beratenden Funktion folgen.890 Eine vorschnelle affirmative Haltung würde unterdessen die »irrtümliche Annahme« manifest werden lassen.891 Derer Beitrag von Korte et al. schließt mit einem Plädoyer für die Beibehaltung der TSG-Begutachtungen, wobei das Autor*innenteam soweit geht, dass sie Bewertungsmaßstäbe fordern, die sich – wie sie selbst kund tun – »für erwachsene Transsexuelle als wenig sinnvoll erweisen haben«,892 aber für Kinder und Jugendliche notwendig seien, da die Geschlechtsentwicklung noch nicht abgeschlossen sei. Hier wird deutlich, dass das Körpergeschlecht die Definition des Geschlechts determiniert und darüber hinaus der Körper in seiner Entwicklung einen Maximalwert besitzt. Beide Sichtweisen sind aus Perspektive verschiedenster Disziplinen (Biologie, Medizin, Soziologie, Psychologie usw.) durchaus infrage gestellt, da Geschlecht über die Biologisierung hinaus determiniert wird und eine Entwicklung lebenslang geschieht. Meyenburg berichtet – im Zusammenhang mit der Debatte um die Notwendigkeit einer Begutachtungspflicht – von einer Anschlussstudie, welche die Studie von Meyenburg et al. (2015) erweitert, indem eine Expert*innen-Befragung vollzogen wurde, die ebenfalls zu Tage bringt, dass weniger als 1 % der Begutachtungen

886 887 888 889 890 891 892

Vgl. Meyenburg; Renter-Schmidt; Schmidt (2015): S. 118. Meyenburg; Renter-Schmidt; Schmidt (2015): S. 119. Vgl. Korte et al. (2016): S. 50f. Korte et al. (2016): S. 51. Vgl. Korte et al. (2016): S. 51. Vgl. Korte et al. (2016): S. 52. Korte et al. (2016): S. 54.

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im Rahmen des TSG zu einer Ablehnung führen. Weiter befragte die Anschlussstudie die Gutachter*innen nach einer möglichen Abkehr von der Begutachtungspflicht, was von vielen abgelehnt wurde, jedoch unter dem Verweis, die Begutachtung deutlich novellieren zu wollen, eine Bescheinigung als ausreichend zu empfinden und lediglich bei Kindern und Jugendlichen auf eine affirmative therapeutische Betreuung zu beharren.893 Saskia Fahrenkrug verweist unterdessen auf das Dilemma der Gutachtenden, welches sich daraus ergibt, dass Kinder und Jugendliche in der psychotherapeutischen Ethik »die Freiheit zur eigenen Entscheidung« beigemessen werden muss, sie aber von staatlicher Seite eine »eingeschränkte rechtliche Fähigkeit« zugeschrieben bekommen.894 Fahrenkrug hält Eltern ebenfalls nicht für »neutrale Dritte« und somit nicht dafür geeignet die formal-rechtlichen Schritte zu beantragen und verweist in diesem Zusammenhang auf die je spezifischen Familiendynamiken und daraus hervorgehende Konflikte, Abhängigkeiten und Ängste.895 Die formal-rechtliche Anerkennung der Transidentität unterdessen wird als symbolisch überdeterminiert bezeichnet, da sie als absolute Anerkennung und Wertschätzung des individuellen Geschlechts interpretiert würde. Häufig würde diese Erwartungshaltung jedoch enttäuscht, weshalb es bedeutender sei, therapeutisch eine realistische Selbsteinschätzung zu erreichen. Gleichzeitig sei jedoch die Stabilität des Geschlechtsempfindens wesentlich größer als die Geschlechtsinstabilität, wodurch eine Begutachtung im Allgemeinen an Legitimität einbüßen würde.896 Fahrenkrug schlägt daher vor, dass ein Mindestalter von 14 Lebensjahren anzusetzen sei, um rechtliche Schritte gehen zu dürfen und bei älteren Jugendlichen entlang ihrer ausreichenden »real life experience« auf eine Karenzlösung abzustellen sei, die auf eine Begutachtung verzichtet.897 Ohne es gezielt zu benennen, geht auch dieser Beitrag von einem Reifegrad durch fortschreitendes Lebensalter aus, nicht aber davon, dass nur gesammelte Erfahrungen ein Erfahrungswissen hervorbringen und Unterstützung beim Kompetenzerwerb eine Reflexion ermöglicht, demnach eine 18-jährige Person ohne unterstützendes Umfeld mit wenig sozialen Erfahrungen durchaus einen »niedrigeren Reifegrad« vorweisen kann, als eine 12-jährige Person mit unterstützendem Umfeld und enormem Erfahrungswissen. Kati Wiedner spricht für die Organisation TRAKINE (Trans-Kinder-Netz) und vertritt die Interessen von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen.898 Die Begutachtungspflicht wird als Symbol für fehlende Anerkennung von geschlechtlicher Selbstauskunft und als anhaltende Pathologisierung empfunden.899 Wiedner betont weiter, dass auch Kinder und Jugendliche ein Recht auf Rechtssicherheit hätten und Begutachtungen ersatzlos abzuschaffen seien.900 Im Jahr 2019 brachte die Zeitschrift für Sexualforschung in Heft 32 das Thema »Wer oder was bestimmt das Geschlecht?« heraus und betont, diese Frage sei für die Pati893 894 895 896 897 898 899 900

Vgl. Meyenburg (2016): S. 58f. Fahrenkrug (2016): S. 63. Vgl. Fahrenkrug (2016): S. 63. Vgl. Fahrenkrug (2016): S. 64. Vgl. Fahrenkrug (2016): S. 65. Vgl. Wiedner (2016): S. 67. Vgl. Wiedner (2016): S. 68. Vgl. Wiedner (2016): S. 71.

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ent*innen-Versorgung essentiell, da »trans Personen inzwischen eine große Gruppe [sind], die in unterschiedlichen Kontexten beraten wird oder medizinische bzw. psychotherapeutische Unterstützung erhält«.901 Als Hauptartikel eröffnen Jorge Ponseti und Aglaja Stirn mit einer biologistischen Sicht auf das Geschlecht die Diskussion, welcher durch verschiedene Expert*innen kommentiert, kritisiert und widerlegt wird. Im nachfolgenden Jahr 2020 wird diese Diskussion in Heft 33 mit einer Erwiderung von Ponseti/Stirn weitergeführt und durch weitere Expertisen umfassend angereichert. Im Folgenden soll diese Diskussion in lebendiger Verschränkung als Streitschrift mit eigenen Entgegnungen vorgetragen werden. Ponseti/Stirn beginnen ihre Positionierung mit einem Vergleich von Mensch und Tier, um die Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit einer Geschlechtsbestimmung anhand von körperlichen Merkmalen zu illustrieren, eine Bestimmung, welche die Autor*innen den klassischen Geschlechtsbegriff nennen.902 Ponseti/Stirn werfen Kritiker*innen des klassischen Geschlechterbegriffs eine »Privilegierung der subjektiven Geschlechtsidentität als die letztlich geschlechtsbestimmende Instanz« vor.903 Um dieser Annahme entgegenzuwirken definieren Ponseti/Stirn Geschlecht entlang der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung, welche als evolutionsbedingt binär begründet wird904 und keineswegs fließende Übergänge zulasse, was mit dem Unterschied von Spermium und Eizelle verdeutlicht werden soll.905 Im Umkehrschluss zielt diese Aussage darauf ab, dass nur Eizelle und Sperma zusammen neues Leben erzeugen, sie »funktional komplementär« sind.906 Allerdings – und das vergessen die Verfassenden – bedarf es für eine Zeugung mittels Vereinigung aus Eizelle und Sperma keine Geschlechter, geschweige denn muss diese Vereinigung im Zeugungsakt höchst selbst stattfinden. Dass die Autor*innen Intergeschlechtlichkeit als »nicht vollständig differenziert« definieren – was im Umkehrschluss bedeutet, dass es keine Fortpflanzungsfähigkeit geben dürfte –, soll den Beweis für eine geschlechtlich natürliche Binarität liefern.907 Allerdings gibt es durchaus intergeschlechtliche Menschen, die Kinder zeugen oder gebären, sofern sie nicht Opfer einer geschlechtsvereindeutigenden Operation wurden, welche sie dieser Fähigkeit beraubt. Ponseti/Stirn greifen ebenfalls die aus der Binarität hervorgehenden Pflichten und Rechte sowie die gesellschaftliche Geschlechterrolle auf, indem sie von zwei grundlegend unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten beider Geschlechter ausgehen, die sich aus der Gebärfunktion und anschließenden Stillzeit ergeben.908 Doch auch hieraus ergeben sich keine Ge-

901 902 903 904 905

Briken (2019): S. 129. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 131. Posenti; Stirn (2019): S. 132. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 132f. Ein seltsamer Vergleich, da weder Eizelle noch Spermium ein Geschlecht darstellen, sondern als haploide Zellen mit einfachem Chromosom allein nicht entwicklungsfähig sind, was ein männlicher respektive weiblicher Mensch durchaus ist. In dieser Gleichung wäre der fließende Übergang auf Menschen zu beziehen, die als weiblich klassifiziert werden, aber Spermien produzieren, oder weder Spermien noch Eizellen produzieren, oder männlich klassifizierte Personen, die Eizellen produzieren oder über keine Spermarche verfügen. 906 Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 133. 907 Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 133. 908 Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 134.

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schlechter, sondern maximal funktional unterschiedliche Körper, die je nachdem, ob Gebären, Stillen oder Zeugen möglich und erwünscht ist, erneut unterschieden werden können und somit als Körper durch Vielfalt gekennzeichnet sind. Weitere Ausführungen zielen auf Verhaltensweisen ab, welche entlang eines biologistischen Verständnisses als natürlich gegeben den Menschen gemäß ihrem Geschlecht innewohnend sind, statt von einer Sozialisierung von Interessen und Verhaltensweisen auszugehen.909 Aus dem Versuch die Geschlechtsbestimmung entlang der Geschlechtsidentität vorzunehmen, ergeben sich nach Ponseti/Stirn folgenschwere Probleme: So behaupten beide, dass Geschlecht als Kategorie aufgelöst würde, da dieses seiner Essenz (Biologie) beraubt wahllos angenommen und gewechselt werden könne, wodurch sich die Klassifizierung auflöse, da kein Gegenstück bzw. kein Gegensatz mehr feststellbar sei.910 Klassifikationen sind gesellschaftliche Konstruktionen und funktionieren in der Tat nur, indem den verschiedenen Kategorien Eigenschaften zugeschrieben werden, entlang derer Menschen in die Kategorien einsortierbar werden. Allerdings sind körperliche Eigenschaften nicht die einzigen Eigenschaften, die Weiblichkeit und Männlichkeit kennzeichnen, wie Ponseti/Stirn selbst zuvor beschrieben haben, wodurch die Kategorien selbst dann gesichert bleiben, wenn die körperlichen Merkmale nicht mehr als Gatekeeper-Merkmale fungieren. Ein weiteres Problem umfasst die anknüpfende These, so schlussfolgern Ponseti/Stirn, es gäbe es keine rein psychologischen Frauen, was sie damit begründen, dass eine reine Identifikation nicht verifizierbar oder validierbar sei und somit die Kategorie Geschlecht nicht mehr existiere und eine Identifikation dann auch nicht mehr möglich sei. Ponseti/Stirn versuchen ihre Thesen am Satz »ich bin ein Mann« zu verdeutlichen: »In diesem Satz wird nicht Geschlechtsidentität, sondern nur Geschlechtswissen ausgedrückt.«911 Allerdings ist hier immer noch nicht klar, warum nur biologisch messbare Eigenschaften zum Geschlechterwissen gehören sollen, wenn zuvor selbst durch die Autor*innen Verhaltensweisen und Rollen dazu gezählt wurden. Vor allem vergessen sie, dass die Formulierung »ich bin« auf eine Selbstbeschreibung und somit Identifizierung hinweist. Statt die Aussage »im falschen Körper geboren worden zu sein« als Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit und gleichfalls als Vorurteil zu kennzeichnen, nehmen Ponseti/Stirn diese Aussage, um die Theorie der Konstruktion von Geschlecht als diskursiv erzeugte »Dissoziation von Geschlecht und Fortpflanzung« zu enttarnen.912 Immer wieder unternehmen die Autor*innen Vergleiche und Verknüpfungen von eigenständigen Themenkomplexen oder Phänomenen. Weiter arbeiten Ponseti/ Stirn mit Diffamierungen, indem sie die Geschlechtsidentität inhaltlich mit Christian Anders Märchen des Kaisers neue Kleider vergleichen, wobei dieses Märchen von Naivität und Betrug handelt. Die nachfolgenden Zeilen versuchen die Geschlechtsidentität als gleichberechtigte oder priorisierte Determinante des Geschlechts als therapiefeindlich zu kennzeichnen: »Für die Sexualmedizin ist die Verleugnung der Geschlechter ein ernstes Problem. Der Einzug einer Bezeichnung wie ›zugewiesenes Geschlecht‹ in die psychiatrische 909 910 911 912

Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 135. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 136. Posenti; Stirn (2019): S. 137. Posenti; Stirn (2019): S. 138.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Nomenklatur illustriert, wie effektiv wissenschaftsfremdes Denken den fachlichen Diskurs durchdrungen hat. Dass eine Patient/innengruppe für ihre Belange eintreten möchte, ist verständlich. Von einer Gruppe, die derart offensichtlich Klientelpolitik betreibt und gleichzeitig die Übernahme realitätsferner Behauptungen durchsetzt, kann für ein der Wissenschaft verpflichtetes Fach wie der Sexualmedizin aber wenig Gutes erwartet werden. Zum einen besteht das Risiko eines Reputationsverlustes, zum anderen das Risiko, dass das umfangreiche sexualwissenschaftliche Wissen, welches unser Fach hervorgebracht hat, bekämpft wird und schließlich, dass der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn über die beiden Geschlechter – die nun einmal der Gegenstand unseres Faches sind – stagniert.«913 Im Anschluss wird Transgeschlechtlichkeit mit dem Krankheitsbild der Hysterie verglichen, welche als Modeerscheinung dargestellt wird. Auch wird Transgeschlechtlichkeit mit Anorexie verglichen, nur dass bei letzterem Phänomen niemand auf die Idee käme, dieses unter Selbstverwirklichung zu verbuchen, während Transgeschlechtlichkeit durch Interessengruppen zum Selbstkonzept erhoben und entpathologisiert werde, wobei sich das Selbstkonzept schnell als Irrsinn offenbaren lasse, da es immer durch Außenstehende bestätigt werden müsse.914 Die Autor*innen bezeichnen als Therapieziel eine Versöhnung der Patient*innen mit dem (biologischen) Geschlecht, was jedoch durch die Interessenvertretung mittlerweile als unethisch gelte: »An dieser Stelle sollte man sich klar machen, worum es geht. Es stellen sich Patient/innen zur Psychotherapie vor, die ihre gesunden Geschlechtsorgane ablehnen und um operative Entfernung derselben nachfragen, und die Psychotherapeut/innen sind gehalten, bezüglich dieses Wunsches neutral zu bleiben. Man stelle sich vor, eine magersüchtige Patientin stellt sich zur Psychotherapie vor und bittet um eine Indikation zur Fettabsaugung. Selbstverständlich wäre die psychotherapeutische Strategie zu versuchen, die Akzeptanz des Körpers zu verbessern.«915 Dass geschlechtsangleichende Behandlungen, sofern diese von transgeschlechtlichen Personen gewünscht waren, als das Leiden mildernd und zufriedenstellend empfunden werden, erklären Ponseti/Stirn damit, »dass ›Transitionsunterstützung‹ als Beitrag zur geschlechtlichen Selbstverwirklichung einer diskriminierten sexuellen Minderheit gewertet (und Entgegengesetztes als transphob kritisiert) wird«.916 Deshalb empfehlen die beiden Autor*innen, geschlechtsangleichende Maßnahmen als »unumkehrbare und schwerwiegende Eingriffe in gesunde Körper« nur dann zu erlauben, wenn alle möglichen therapeutischen Maßnahmen keine Abhilfe schaffen.917 Statt von Transgeschlechtlichkeit zu sprechen, verwenden Ponseti/Stirn konsequent den Begriff der Körperbildstörung.918 Somit könnte dieser Artikel als Fachbeitrag zu den Formulierungen des GeschlEintrÄndG von 2019 geführt haben. Robin Bauer weist darauf hin, 913 914 915 916 917 918

Posenti; Stirn (2019): S. 139f. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 140. Posenti; Stirn (2019): S. 140. Posenti; Stirn (2019): S. 143. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 143. Vgl. Posenti; Stirn (2019): S. 14.

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dass »kulturell etablierte Deutungsmuster und Rahmenbedingungen, […] den forschenden Blick beeinflussen«919 und dass diejenigen, die bereits vor der Zuwendung zum Phänomen der Transgeschlechtlichkeit von der Existenz der Zweigeschlechtlichkeit überzeugt sind, transgeschlechtliche Personen als Abweichung wahrnehmen werden. Diese Beeinflussung kann sich schließlich in der Definition von Transgeschlechtlichkeit niederschreiben. Ob diese als »Leben im falschen Körper« oder als »Geschlechtervarianz« gedeutet werde, hängt maßgeblich vom eigenen Deutungsrahmen ab. Dieser Deutungsrahmen kann auch bestimmen, welche Narrationen transgeschlechtliche Personen innerhalb der Gutachtensituation im Rahmen des TSG über sich selber wählen: »Die wesentliche Ursache in der Wiedergabe von Standarderzählungen liegt im allgemeinen gesellschaftlichen Druck, eine kohärente Identität zu besitzen (um einen Subjektstatus zu erhalten) und in der Art und den Rahmenbedingungen der Diagnosestellung.«920 Dieser Sachverhalt sollte nach Bauer ausreichend sein, um die bisher praktizierte Dichotomie aus interessengeleiteten Betroffenen und fachlich-kompetenten und neutralen Expert*innen in ihrer Festschreibung und Absicherung einer institutionellen Macht zu problematisieren.921 Im Gegensatz zu Ponseti/Stirn bettet Bauer die körperliche Verfassung in der Selbstwahrnehmung in eine diesen Körper umgebende vergeschlechtlichte Gesellschaft ein:922 »Auch wenn eine Kategorie wie Geschlecht sozial konstruiert ist, ist sie dennoch wirkmächtig, sie strukturiert die Lebensumstände der Menschen […] und kann somit zu einer Identitätsbildung führen.«923 Eine Identität lässt sich nicht mit den Körpermerkmalen gleichsetzen, allerdings entspringt der gesellschaftlichen Zuschreibung eine innere (Des-)Identifizierung, welche durchaus entgegen des – als natürlich konstruierten – Zugehörigkeitsgefühl zum Geschlechtseintrag vollzogen werden kann.924 Der Biologe Heinz-Jürgen Voß entgegnet auf den Beitrag von Ponseti/Stirn, dass ihnen im Bereich der biologischen bzw. sexualwissenschaftlichen Forschung zu Geschlecht die Expertise fehle, da das vornehmliche Forschungsfeld der beiden Pädosexualität/-philie sei.925 Voß verweist auf die Studien von Thomas Laqueur (2003) und Claudia Honegger (1991), die nachzeichnen, wie sich die Geschlechterbetrachtungen im Zeitgeschehen wandelten und dass Geschlecht eben nicht »als ›angeboren‹ und ›unabänderlich‹ gedacht [wird], sondern als Differenzierungsprozess von einem gemeinsamen Ausgangspunkt aus«.926 Voß selbst zeigte in seiner Dissertationsschrift »Making Sex Revisited« (2010) auf, dass sich bei Embryonen durch die »indifferenten oder bipotenten Gonadenanlagen«, sowohl Eierstock als auch Hoden entwickeln können.927 In seiner Schrift zeigt Voß, dass es durchaus widersprüchliche Erkenntnisse hinsichtlich des Zusammenwirkens von Genen, Chromosomen und Hormonen gibt, welche eine

919 920 921 922 923 924 925 926 927

Bauer (2019): S. 149. Bauer (2019): S. 149. Vgl. Bauer (2019): S. 150. Vgl. Bauer (2019): S. 150. Bauer (2019): S. 151. Vgl. Bauer (2019): S. 151. Vgl. Voß (2019): S. 153. Vgl. Voß (2019): S. 154. Voß (2010): S. 242.

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eindeutige Annahme über die Geschlechterdetermination schwierig machen.928 Voß spricht hinsichtlich der Geschlechtsdetermination von einem Resultat verschiedener Prozesse, Interaktionen und Kommunikationen zahlreicher molekularer Komponenten innerhalb der Zelle und des Organismus mit seiner Umwelt.929 Von einer eindeutigen Entwicklung kann demnach nicht die Rede sein, was sich im Alltag anhand der verschiedenen Körper – ja auch Geschlechtskörper – durchaus exemplifizieren lässt. In seiner Dissertationsschrift kritisiert Voß vor allem, dass »neben der mangelnden Thematisierung von Komplexität es sich als grundsätzlich problematisch [erweist], dass andere Säugetiere als mögliche Modellorganismen für den Menschen betrachtet werden«.930 Dies liegt vor allem daran, dass Ergebnisse eines spezifischen Organismus sich eben nicht einfach so auf einen anderen spezifischen Organismus übertragen lassen931 und am Ende des Tages ist ein Mensch zwar ein Säugetier, aber keine Maus. Wenngleich sich Ponseti/Stirn immer wieder um derartige Übertragung bemühen, um ihre Thesen zu beweisen, lehnen sie eine Übertragung von Erkenntnissen über Männer auf Frauen ab. Obwohl die Ähnlichkeit in diesem Fall nicht bei dem Säugetier aufhört, sondern es sich bei Männern wie Frauen um die Spezies Mensch handelt, lassen sich beide nach Ponseti/Stirn nicht miteinander vergleichen, wohl aber in Einzelbetrachtung mit männlichen respektive weiblichen Mäusen. Paula Irene Villa erkennt in den Aussagen von Ponseti/Stirn ein Unbehagen, welches als lebensweltliche Erfahrung durchaus plausibel sei. Das Unbehagen richte sich dabei gegen eine »Individualisierung von Geschlecht, die Geschlechtlichkeit auf subjektive Identität engführt und dabei dessen (vermeintliche) individuelle Verfügbarkeit zur ontologischen Wahrheit erklärt«.932 Besonders problematisiert Villa, dass beide Autor*innen einen kulturalistischen Reduktionismus entlang des eigenen biologistischen Reduktionismus zu beweisen versuchen. Es gehe in dem Artikel also viel weniger um die Darstellung des Unbehagens, sondern viel mehr um die Verhärtung der eigenen Ansicht, Geschlecht sei Reproduktionsbiologie und es demnach zwei Geschlechter gibt, von welchem ein »Mensch« eines eindeutig habe.933 Besonderer Kritikpunkt Villa ist die Engführung auf den Common Sense und die alltägliche Lebensweise, welche Ponseti/Stirn darum bemühen, eine wahre geschlechtliche Essenz zu offenbaren, dabei aber vergessen, dass diese im Alltag durch Vielfältigkeit und Variabilität gekennzeichnet sind.934 Auch die Forderung Ponseti/Stirns, Geschlecht mit der Nullhypothese entlang des Falsifikationsprinzips zu überprüfen,935 wird durch Villa einer Kritik unterzogen. Zum einen habe es solche Versuche – bspw. durch HagemannWhite (1988) – gegeben, zum anderen ist die Gesellschaft als gesamte – also strukturell, kulturell und ökonomisch – zweigeschlechtlich geprägt, sodass sich kein Mensch finden lässt, der gänzlich unberührt von dieser zweigeschlechtlichen Gesellschaft mit der Nullhypothese zu überprüfen sei: »Menschen leben nicht außerhalb von Gesellschaft – das 928 929 930 931 932 933 934 935

Vgl. Voß (2010): S. 283. Vgl. Voß (2010): S. 307. Voß (2010): S. 310. Vgl. Voß (2010): 310. Villa (2019b): S. 157. Vgl. Villa (2019b): S. 158. Vgl. Villa (2019b): S. 158. Vgl. Ponseti; Stirn (2019): S. 138.

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wäre tatsächlich in biosozialer Hinsicht widernatürlich.«936 M. E. liegt der Wunsch von Ponseti/Stirn darin begründet, dass die Nullhypothese bei Mäusen schnell anzuwenden ist und hier allzu voreilig erneut Maus und Mensch als gleiche unter ungleichen Säugetieren zu behandeln wären. Villa bezeichnet die Autor*innen als realitätsblind, wenn das Zeugen von Nachkommen als Beleg für Geschlechtlichkeit angeführt wird, um Binarität als Natürlichkeit zu kennzeichnen, da Sexualität nicht immer zu Nachkommen führt und Sexualität ebenfalls in einen soziohistorischen Kontext eingebunden sei. Auch der Versuch, die Industrialisierungsdynamiken als widernatürlich zu kennzeichnen und in ihnen den Ursprung für eine kulturalistische Sicht auf Geschlecht zu sehen, sei absurd, da Therapien, Medikamente usw. dann ebenfalls Ergebnisse der Industrialisierungsdynamiken sind und als wenig sinnvoll zur Behandlung von einem eigentlich biologisch determinierten Menschen einzustufen seien.937 Villa ergreift eine postessentialistische Sicht, wenn sie auf die Wechselwirkung von Einflüssen verweist: »Es gibt für Menschen als soziale Wesen keine erfahrungs- und praxisunabhängigen Zusammenhänge jenseits der strikt physikalischen Welt (und selbst letztere ist uns immer über Erfahrung zugänglich, sei diese subjektiv alltäglich oder verobjektiviert in Form systematischer Beobachtung). Die biosoziale Natur bzw. die soziobiologische Kultur des Menschen bildet den Horizont einer anspruchsvolleren, die Komplexität des Lebendigen anerkennenden naturwissenschaftlichen Betrachtung selbst.«938 Die biosoziale Komplexität lasse sich nicht mit einer reduktionistischen Sicht bspw. durch einen Essentialismus erforschen.939 Abschließend geht Villa auf den Vorwurf der Klientelpolitik ein, indem sie den Autor*innen aufzeigt, dass sie nicht zwischen den Theoremen individualisiert und individualistisch unterscheiden; ersteres Adjektiv erkennt das Individuelle im Gegensatz zum zweiteren nicht als radikale Selbstgestaltung jenseits von gesellschaftlichen Normen umgesetzt an, sondern in Form einer Aushandlung von Möglichkeiten einer Selbstgestaltung diesseits des gesellschaftlichen Normgefüges: »In individualisierten Gesellschaften wird dann auch tatsächlich darum gerungen, gestritten und verhandelt, was z.B. Geschlecht ist und was es für eine jede Person bedeutet. Solche Verhandlungen sind Ausdruck von (sozial ausgehandelten) empirischen Freiheitsgraden, nicht von ›Klientelpolitik‹ oder realitätsfremden Behauptungen.«940 Und schließlich sei die Individualisierung keine Ablösung einer soziobiologischen Dimension, sondern erkenne Geschlecht als weniger abhängig von dieser an:

936 937 938 939

Villa (2019b): S. 159. Vgl. Villa (2019b): S. 159. Villa (2019b): S. 160. Hier führt Villa neuere Erkenntnisse aus der Epigenetik an, welche zeigen, dass Erfahrungen und Lebensweisen die Genexpression maßgeblich beeinflussen. Die Epigenetik zeige, wie gewinnbringend es ist, Soziales (Ernährung, Erfahrung, Lebensumstände) und Molekularbiologisches (DNA, Methylierung, Genom) in Verschränkung zu untersuchen, statt eines von beiden als die einzig wahre Determinante zu betrachten (vgl. Villa [2019b]: S. 160). 940 Villa (2019b): S. 161.

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»Dass dies so ist, hängt eben nicht mit einer außersozialen Natureigentlichkeit von Geschlecht zusammen, sondern nicht zuletzt mit der weiterhin wirksamen Annahme, es gäbe diese Natur. Je mehr diese Vorstellung aber auch lebensweltlich verblasst, je weniger magische Kraft der Anisogamie also zugestanden wird, desto sichtbarer und lebbarer wird das Geschlechter-Spektrum, in dem die verschiedenen Dimensionen von Geschlecht in verschiedener Weise kombiniert werden.«941 Dies als Störung zu bezeichnen oder gar als Krankheit, werde der Komplexität von Geschlecht – als Verschränkung aus gender & sex & desire & gender-role – nicht gerecht. Strauß/Nieder halten es für bedenklich, dass Ponseti/Stirn »die diagnostischen Kategorien Geschlechtsdysphorie (DSM-5: 302.85), Transsexualismus (ICD-10: F64.1) oder Geschlechtsinkongruenz (ICD-11: HA 60) gleich[zu]setzen bzw. sie synonym [zu] behandeln«.942 Diese Unterscheidung sei insofern wichtig, da sie deutlich macht, dass Transgeschlechtlichkeit kein einheitliches Phänomen mit klar zuschreibbaren Eigenschaften ist, sondern differenziert betrachtet werden muss. Im ICD-10 wird Transsexualismus beschrieben als: »Der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen (ICD-10 (2021): F64.0).« Erst mit der Neuauflage von 2019 beschloss die Weltgesundheitsorganisation, dass ab 2022 von Geschlechtsinkongruenz gesprochen wird: »Gender incongruence is characterised by a marked and persistent incongruence between an individual’s experienced gender and the assigned sex. Gender variant behaviour and preferences alone are not a basis for assigning the diagnoses in this group.« (ICD-11 [2021]: 17/HA6Z). Das DSM-V wiederrum baut den Begriff der Geschlechtsdysphorie (Gender Identity Disorder) auf dem Begriff Geschlechtsinkongruenz auf, indem (DSM-V [2021]: 305.85) diese mit einem Leidensdruck verbunden wird. Sowohl DSM-V als auch ICD-11 grenzen die Begrifflichkeiten von weiteren Begriffen wie »nichtkonformem Geschlechtsrollenveralten«, »Transvestitismus« und weiteren psychischen Störungen ab. Diese Differenzierungen sind nach Strauß/Nieder ein Fortschritt: »Die Behandlungsempfehlungen sollen auf die individuellen Bedürfnisse eingehen und nicht – wie dies über viele Jahre praktiziert wurde – nach einem festen Schema von Anforderungen und Erfordernissen, die in vielen Fällen nicht indiziert waren (bspw. eine Richtlinienpsychotherapie), als eine Voraussetzung, um medizinische, psychosoziale, aber auch juristische Maßnahmen zu fordern.«943 Strauß/Nieder kritisieren Ponseti/Stirn also dahingehend, dass nur durch die Vermischung der Kategorien die Kernaussage der beiden Autor*innen haltbar bleibe, der Primat der subjektiven Geschlechtsbestimmung führe zu einer Sichtweise, die Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Krankheit verstehe und jedwede therapeutische Unterstützung als unethisch erscheinen lässt. In der Tat rühre die Unterscheidung von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie daher, zwischen

941 Villa (2019b): S. 161. 942 Strauß; Nieder (2019): S. 164. 943 Strauß; Nieder (2019): S. 164.

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dem Empfinden eines Leidensdrucks (distress) und dem Ausbleiben des Leidensdrucks zu unterscheiden, um so unnötiger Pathologisierung vorzubeugen und gleichzeitig all jenen mit Leidendruck eine therapeutische Behandlung zu ermöglichen.944 Weiter diskutieren Strauß/Nieder die Beweisführung von Ponseti/Stirn vor allem hinsichtlich der Quellenlage, da die Autor*innen eine Reihe von Studien zitieren, die eine hohe Quote von Desistern unter transgeschlechtlichen Personen mit geschlechtsangleichender Behandlung vermelden. Strauß/Nieder problematisieren diese selektive Studienauswahl und betonen darüber hinaus, dass aus methodischer Sicht nur entlang von randomisiert-kontrollierten Studien945 eine Aussage über die Effektivität von geschlechtsangleichenden, transitionsunterstützenden Behandlungen möglich sei, dies allerdings aus forschungsethischen Gründen nicht möglich wäre.946 Im Anschluss an die Diskussion im Jahr 2019 bemüht sich der neue Artikel von Ponseti/Stirn aus dem Jahr 2020 um den Beweis, dass »die Gender-Theoretiker_innen den Geschlechtsbegriff verändert haben, um ein »subjektives Geschlecht« zu konstruieren und Transsexualität zu depathologisieren«,947 was Ponseti/Stirn als einen wissenschaftlichen Rückschritt bezeichnen, welcher Patient*innen Schaden zufüge. Auch dieser Artikel bleibt dem Sprachduktus treu, benennt als Termini den Transsexualismus als psychische Störung und spricht von (Körper)Schicksalen, womit suggeriert wird, der Köper determiniere den Menschen und seine Entwicklung in Gänze.948 Das durch andere Autor*innen aufgerufene Geschlechterspektrum unterdessen wird als »Vielfältigkeit (v.a. nonkonformer) geschlechtlicher Lebensentwürfe« herabgewürdigt,949 ebenso wie vier der Autor*innen durch Ponseti/Stirn, die Qualifikation für eine Diskursteilnahme abgesprochen wird, da diese »keine psychiatrische/psychotherapeutische Qualifikation hätten und entsprechend auch keine Erfahrungen in der Therapie von Menschen mit Geschlechtsdysphorie«.950 Weiter entgegen Ponseti/Stirn, das Zwischengeschlecht sei kein Geschlecht und ebenso wenig würde dies das System der Zweigeschlechtlichkeit widerlegen, sondern vielmehr ein Beweis dessen sein, da intergeschlechtliche Personen eine geschlechtliche Unterentwicklung zeigten, wodurch sie geschlechtliche Funktionen einbüßten.951 Interessant ist nach dem vorausgehenden Vorwurf gegenüber ihren Kritiker*innen, dass sich Ponseti/Stirn hier trotz fehlender Qualifikation im Fachbereich Biologie/Medizin zu einer Anamnese hinreißen lassen. Die Gender-Theorie vermische darüber hinaus den klassischen Geschlechtsbegriff »mit psychologischen oder soziologischen Konstrukten«.952 Der biologisch eindeutig definierte Geschlechtsbegriff werde

944 Vgl. Strauß; Nieder (2019): S. 164. 945 Randomisiert kontrollierte Studien haben neben einer Experimentalgruppe ebenso eine Kontrollgruppe. Im vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass die Experimentalgruppe eine transitionsunterstützende (also affirmative) Therapie erhält. 946 Vgl. Strauß; Nieder (2019): S. 165. 947 Ponseti; Stirn (2020): S. 29. 948 Vgl. Ponseti; Stirn (2020): S. 29. 949 Ponseti; Stirn (2020): S. 30. 950 Ponseti; Stirn (2020): S. 30. 951 Vgl. Ponseti; Stirn (2020): S. 30. 952 Ponseti; Stirn (2020): S. 31.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

so ungenau, woraus »konzeptionelle Unklarheit« geschaffen werde, mit der keine biologischen oder psychologischen Studien respektive Theoriegewinnung durchführbar wären.953 Weiter würde diese Uneindeutigkeit die wahren Expert*innen kriminalisieren, welche »versuchen, die unglücklichen Menschen mit ihren gesunden Körpern zu versöhnen«.954 Eine weitere Kritik erfährt das Gegenargument, dass die fehlende gesellschaftliche Anerkennung zu Komorbidität führe, die sich in erhöhter Suizidalität zeige, was von Ponseti/Stirn mit der zunehmenden Anerkennung von transgeschlechtlichen Personen durch die Medien und das Internet zurückgewiesen wird.955 Abgeschlossen wird die Verteidigungsschrift mit dem Verweis darauf, dass die Kritik an den traditionellen Geschlechterrollen, als gesellschaftlicher Fortschritt ausreiche, um Geschlechtsempfinden unabhängig vom Körpergeschlecht zuzulassen.956 Der Verteidigungsartikel von Ponseti/Stirn folgt der Annahme, dass es ahistorische eindeutige Definitionen gibt, welche ausschließlich durch biologisches oder psychologisches Expert*innen-Wissen begründet werden können. Hagen Löwenberg konstatiert, dass die neuen Fassungen von DSM-5 und ICD-11 durch ihre inklusive Terminologie nunmehr auch Personen einbeziehen, die sich selbst als nicht-binär bezeichnen und sich daraus eine neue Herausforderung ergeben würde.957 Darauf folgend geht der Autor der Frage nach, ob nichtbinäre Menschen einem Subtypus von Transgeschlechtlichkeit entsprechen, was umgehend verneint wird. Vielmehr stelle Nicht-Binarität das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit infrage und somit auch die gesellschaftliche Grundlage der Heteronormativität als Ausgangspunkt für eine geschlechtliche Identifizierung. Nicht-Binarität wird durch den Autor als Chance für die therapeutische Praxis betrachtet, da das gesellschaftliche Phänomen der Nicht-Binarität das Konzept der Transgeschlechtlichkeit aus seiner binären Rahmung zu befreien vermag.958 Gleichzeitig insistiert Löwenberg, das Phänomen der Nicht-Binarität therapeutisch ernst zu nehmen, da die Gesellschaft, als eine durch Geschlechterbinarität und Heteronormativität strukturierte soziale Ordnung, zu einer besonderen Vulnerabilität bei nicht-binären Menschen führe: »Vulnerabilität bedeutet, dass das Leben mit einer non-binären Identifizierung in einer binär inszenierten Welt außerordentlich anstrengend und eine große Herausforderung sein kann.«959 Der dadurch erzeugte Minority-Stress könne das Risiko für psychische Probleme erhöhen und so den Bedarf an therapeutischen Maßnahmen erhöhen, was durch eine fehlende Anerkennung dieser Sachlage bei praktizierenden Therapeut*innen zu einer erneuten Diskriminierung von nicht-binären Menschen führen kann.960 Transgeschlechtlichkeit wird durch diesen Artikel als Dissonanzempfinden bezeichnet, welches mit einer Desidentifikation mit der gesellschaftlich angebotenen Geschlechtsklassifikation umschrieben werden kann. An Löwenberg lässt sich mit Volkmar Sigusch anknüpfen, der bereits 1995 schlussfolgerte: »Da die Medizin ein Konstituens und der Realisator des sogenannten 953 954 955 956 957 958 959 960

Vgl. Ponseti; Stirn (2020): S. 31f. Ponseti; Stirn (2020): S. 33. Vgl. Ponseti; Stirn (2020): S. 33f. Vgl. Ponseti; Stirn (2020): S. 34. Vgl. Löwenberg (2020): S. 95f. Vgl. Löwenberg (2020): S. 96. Löwenberg (2020): S. 97. Vgl. Löwenberg (2020): S. 98.

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Transsexualismus ist, da sie der Kitt ist, der in historischer wie individueller Hinsicht Transsexuelle zum Kollektiv macht, hat sie die Pflicht, ihre Theorien und Praktiken immer wieder zu überprüfen.«961 Sigusch konstatiert, dass ein nicht unerheblicher Teil der Mediziner*innen und Psycholog*innen dabei von einer Allmachtsphantasie ergriffen sei und seine Berufsrollen nicht reflektierte und schließlich niemand »das Recht [hat], Subjekten vorzuschreiben, was für sie in ihrer individuellen Lage angemessen und was unangemessen« ist.962 Eine Möglichkeit zur Reflexion bietet nach Sigusch der Perspektivwechsel, denn wenn es Transsexuelle gebe, so müsse es auch ein Pendent geben, welches er mit dem Begriff Zissexuell benennt: »Wenn es Transsexuelle gibt, muß es logischerweise auch Zissexuelle geben. Die einen sind ohne die anderen gar nicht zu denken. Gestattet habe ich mir, die Ausdrücke Zissexualismus, Zissexuelle usw. einzuführen, um die geschlechtseuphorische Mehrheit, bei der Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität fraglos und scheinbar natural zusammenfallen, in jenes falbe Licht zu setzen, in dem das Dispositiv des Geschlechtsbinarismus, in dem nosomorpher Blick und klinischer Jargon die geschlechtsdysphorische Minderheit, namentlich die sogenannten Transsexuellen, ganz sicher erkennen zu können glauben.«963 Siguschs Begriff steht in Tradition mit Magnus Hirschfelds Begriff des Cisvestiten, welchen dieser vom Begriff des Transvestiten differenziert und damit eine ähnliche Leidenschaft umschrieb, mit Kleidung bspw. das Geschlecht der eigenen Geschlechtsklassifikation darzustellen, wie es sonst nur von Transvestiten bekannt war.964 Zissexuelle, so Sigusch in Anlehnung an Sigmund Freud, seien durchaus in der Lage andersgeschlechtliche Phantasien zu hegen. Dies sei sogar selbstverständlich, weil es das eigene Geschlecht ohne das andere Geschlecht gar nicht gäbe. Dadurch sind Menschen im Verständnis von Sigusch alle transsexuell, was Freud einst als essentielle Bisexualität bezeichnete.965 Die einzige Reaktion darauf sei die zissexuelle Abwehr, indem das Gegengeschlechtliche gänzlich abgelehnt und bekämpft werde, was bei unreflektierten Menschen in einer feindseligen Haltung gegenüber transgeschlechtlichen Menschen enden kann; oder der transsexuelle Wunsch, womit eine aktive Einarbeitung der Gegengeschlechtlichkeit oder die Reflexion der gegengeschlechtlichen Phantasien gemeint sind. »Insofern sind die, die die Merkmale der beiden großen Geschlechter kombinieren, vermischen, verwischen und mit ihnen spielen, kurz die, die Gender blending praktizieren, Repräsentanten einer Geschlechterordnung, die die Medizin ebenso mitkonstruiert, wie sie dekonstruiert, indem sie den Grenzfall, den Transsexualismus, der heute Transgenderismus heißen müßte, ungeschehen macht,«

961 962 963 964

Sigusch (1995): S. 811. Sigusch (1995): S. 812. Sigusch (1995): S. 825. Hirschfeld bezog dies noch auf die Differenzkategorien Alter und Stand (vgl. Hirschfeld [1914]: S. 169). 965 Vgl. Sigusch (1995): S. 826.

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führt allzu oft genau deswegen in einen »kollektiven Geschlechtswahn der Zissexuellen«.966 Um Siguschs Theorie zu verstehen, können das Melancholie-Konzept von Judith Butler und Ilka Quindeaus Konzept der Geschlechterdepression herangezogen werden. Beide haben sich von der vorherrschenden psychologischen Annahme distanziert, dass Kinder in jenem Moment, wo sie den Geschlechterunterschied erkennen, die Anrufung nur eines der beiden Geschlechter als das Ihre akzeptieren würden. Stattdessen vollziehen sie die Desidentifikation mit dem nicht gewählten Geschlecht und rekategorisieren alle vorherigen geschlechtlichen Erfahrungen in dem angenommenen Geschlecht.967 Dies ist nach Butler und darauf aufbauend auch Quindeau ein vorschneller Schluss, da die Verwerfung des einen Geschlechts vielmehr in einen unabgeschlossenen Trauerprozess übergeht:968 »Man könnte sogar zu dem Schluß kommen, daß die melancholische Identifizierung den Objektverlust in der Außenwelt eben darum gestattet, weil sie das Objekt als Teil des Ich zu bewahren und damit den Verlust als vollständigen zu vermeiden erlaubt.«969 Die Melancholie soll jenes Gefühl umschreiben, das durch den erlebten Verlust, des geliebten (Geschlechts-)Objektes erzeugt wird und nie ganz verloren geht, sondern vielmehr inkorporiert und so in der Psyche bewahrt wird. Dadurch muss das Individuum unentwegt diesem ambivalent inkorporierten Anteil entsagen, wodurch der Verlust in der Trauerarbeit unabgeschlossen bleibt.970 Butler bleibt hier – wenngleich in kritischer Weise – gedanklich im Dualismus der Geschlechterbinarität und Heteronormativität. Die Annahme eines Geschlechts bedeutet demnach eine Verwerfung des anderen Geschlechts und dieser erlittene Verlust bleibt ein Leben lang als solcher erlebbar und veruneindeutigt die Geschlechtsidentität, was mit Sigusch im Umkehrschluss dazu führen kann, dass es zu einer radikalen Abwehr (zissexuelle Abwehr) kommen kann oder aber dem Wunsch, die verworfene gegengeschlechtliche Identität in die eigene Geschlechtsidentität einzuarbeiten gemäß dem transsexuellen Wunsch, welchen Sigusch herausarbeitet. Einzig Quindeau verlässt die binäre Ebene, indem sie mit dem Begriff der Depression jenen Zustand aufruft, in dem nicht das Gefühl des Verlustes wirkmächtig wird, sondern der Verlust des Gefühls: »Der Verlust, der zu betrauern wäre, wird verleugnet: Es gibt nichts, was verloren wäre; etwas ehemals Wertvolles wird nachträglich als niemals existent dargestellt.«971 Diese Leere, welche Quindeau als radikale Form einer Abwehr des Verlustes bezeichnet, ließe sich als Depression verstehen. Diese ist nach Quindeau als Versuch einer Bewältigung von Abhängigkeit zu verstehen. Depression und Melancholie haben mit Quindeau denselben Entstehungskontext, nämlich die bisexuelle Identifizierung des Kindes, welche sich als gleichgeschlechtliche wie gegengeschlechtliche Identifizierung zeigt und durch das Herausbilden einer eindeutigen Geschlechtsidentität die gegengeschlechtliche Identifizierung aufgegeben wird: »Die Geschlechtsentwicklung in der frühen Kindheit lässt sich als Prozess zunehmender Vereindeutigung beschreiben, an dessen Ende eine gefestigte Geschlechtsidenti966 967 968 969 970 971

Sigusch (1995): S. 829. Vgl. Quindeau (2018): S. 21. Vgl. Butler (2001): S. 125. Butler (2001): S. 126. Vgl. Butler (2001): S. 134. Quindeau (2005): S. 128.

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tät steht, das heißt das sichere Bewusstsein, ein Mädchen oder ein Junge zu sein. Betrachtet man diesen Prozess nun nicht als das mehr oder weniger reibungslose Ablaufen eines biologischen Programms, sondern als Entwicklungsaufgabe einer aktiven psychischen Aneignung, öffnet dies den Blick für die psychischen Konflikte, die mit dem Erwerb der Geschlechtsidentität einhergehen.«972 Dieser Verlust jedoch bleibe unbewusst, wodurch dem Kind nicht möglich sei, über seine verlorene Identifizierung zu trauern und es nunmehr den Zustand der unverstandenen Melancholie verarbeiten müsse. Dieser Zustand sei durch die gesellschaftlichen Entwicklungen jedoch zunehmend prekär, da die Bedeutung des Geschlechts als Ordnungskategorie stetig abnehme, während die Geschlechterhierarchie über eindeutige Geschlechterrollen weiter fortgeschrieben werde.973 Dies führe zu gesellschaftlichen Spannungen und konfliktreichen Interaktionen, die den Einzelnen durchaus überfordern können: »Dieses kulturelle Paradox verändert vermutlich auch die psychischen Abwehrformationen und aktualisiert die unbewussten Konflikte zwischen den gleichund den gegengeschlechtlichen Identifizierungen.«974 2021 bezeichnet Sonja Düring die Zweigeschlechtlichkeit in der Zeitschrift für Sexualforschung als geopfert, damit das Individuelle als das Besondere hervorgehoben werden könne: »Cissexuell zu sein oder sich so outen zu müssen, fängt – je nach kulturellem Kontext – an, etwas peinlich zu werden, weil mensch in Verdacht gerät, der alten Geschlechterordnung unreflektiert zu folgen.«975 Diese Opferung verhindere die Analyse eines neuen gesellschaftlichen Phänomens, welches Düring in der Zunahme der transidenten geburtsgeschlechtlich als Frau klassifizierten jungen Menschen erkennt. Besonders problematisiert wird somit die Zunahme von transgeschlechtlichen Männern, wobei hier insbesondere die Gruppe der unter 20-jährigen Männer betrachtet wird, die ihren Personenstand von weiblich-klassifiziert in männlich-klassifiziert ändern wollen.976 Der deutsche Diskurs ist hier maßgeblich von einer durchaus umstrittenen Studie der US-Amerikanerin Lisa Littman entfacht worden. Littman schildert, dass ihr Forschungsinteresse dadurch geweckt worden sei, dass vor allem »junge Frauen« sich über das Internet in Foren zusammenschlössen, sich vom Freundeskreis und der familiären Bande distanzierten und entschlössen, transident zu sein, wobei Littman vermerkt, dass keiner dieser jungen Männer zuvor Anzeichen einer Geschlechtsdysphorie gezeigt habe.977 Erstaunlich an der Erzählung ist, dass die Narrativisierung aus der Extremismusforschung bekannt ist, wenn bspw. davon berichtet wird, dass die Politisierung oder islamistische Einstellung unentdeckt im Internet geschürt werde und Kinder und Jugendliche sich immer mehr von ihrem gewohnten Umfeld absonderten. Littman hat in ihrer Studie ausschließlich Eltern von transgeschlechtlichen Männern befragt, welche bereits der Auffassung waren, ihre Kinder hätten überaus plötzlich und schnell einen Ausbruch

972 973 974 975 976 977

Quindeau (2005): S. 130. Vgl. Quindeau (2005): S. 131. Quindeau (2005): S. 141. Düring (2021): S. 46. Vgl. Düring (2021): S. 47. Vgl. Littman (2018).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

von Geschlechtsdysphorie. Weiter äußert Littman eine Vielzahl Vermutungen, unter anderem, dass Transgeschlechtlichkeit durch Peer-Beeinflussung erzeugt würde: »Social contagion is the spread of affect or behaviors through a population. Peer contagion, in particular, is the process where an individual and peer mutually influence each other in a way that promotes emotions and behaviors that can potentially have negative effects on their development.«978 Dass dies einem Trend entspricht, versucht Littman damit zu belegen, dass bei Erwachsenen nicht das gleiche Phänomen zu beobachten sei. Statt also davon auszugehen, dass Jugendliche sich aufgrund ihrer Persönlichkeitsfindung aktiv mit ihrer geschlechtlichen Identität auseinandersetzen und Erwachsene diesen Prozess meist als abgeschlossen empfinden, wird hier ausschließlich die leichtere Beinflussbarkeit von Jugendlichen herangezogen. Die Loslösung vom bisher gewohnten Umfeld erklärt Littman unterdessen mit einem intragruppalen Hass auf cisgeschlechtliche Menschen, »in general, cis-gendered people are considered evil and unsupportive, regardless of their actual views on the topic«.979 Hier muss kritisch darauf verweisen werden, dass die einzige Vergleichsfolie für das dadurch nunmehr abweichende Verhalten der Annahme folgt, es gäbe Merkmale oder Verhaltensweisen, entlang derer Transgeschlechtlichkeit eindeutig von außen – womöglich schon bevor die als solche transgeschlechtlich klassifizierte Person es selbst merkt – bestimmbar wäre. Das Wissenschaftsmagazin PLOS One, auf dem Littmans ROGD-Konzept veröffentlicht wurde, prüfte die Studie nach dem Aufkommen vielfältiger Kritik und kam zu dem Ergebnis, dass die ROGD-These keine Diagnose darstelle und somit als wissenschaftlicher Kommentar eine Berechtigung zum Abdruck habe.980 Allerdings mussten von Littman Korrekturen vorgenommen werden; so wurde bspw. die epidemische Rhetorik herausgenommen und nicht mehr davon gesprochen, dass Jugendliche sich in sozialen Medien anstecken und es im Zuge eines transgeschlechtlichen Coming-Outs zu einem Ausbruch von weiteren Coming-Outs kommt – stattdessen wird nun formuliert, dass soziale Medien Jugendlichen eine Identifikationsmöglichkeit bereitstellen, wodurch diese schnell Zugang zu Informationen, Unterstützungsangeboten sowie unterstützenden Netzwerken erhalten und eine transgeschlechtliche Bewusstwerdung nun schneller zu verlaufen erscheint.981 Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass die Littman-Studie im Sinne des geschlechterbinären Denkmusters frauenfeindlich ist, da sie ausschließlich transgeschlechtliche Männer als manipuliert und beeinflusst durch Peer-Group oder digitale soziale Netzwerke wahrnimmt und ihnen somit den freien Willen abspricht – transgeschlechtliche Frauen hingegen werden so zur Norm konstruiert, die als solche auch das Patriarchat nicht gefährdet. Eine Studie, welche Littmans Thesen methodisch fundiert überprüft, kam 2022 zu der Erkenntnis, dass das ROGD-Phänomen nicht existiert und im Gegenteil transgeschlechtliche Jugendliche durch ihrer vertiefte Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischem Wissen keine neuen Erkenntnisse erhielten: »Among adolescents under age 16 years seen in specialized gender clinics, associations between more recent gender

978 979 980 981

Littman (2018). Littman (2018). Vgl. Brandelli Costa (2019); Heber (2019). Vgl. Littman (2019).

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knowledge and factors hypothesized to be involved in rapid onset gender dysphoria were either not statistically significant, or were in the opposite direction to what would be hypothesized.« Auch diese Studie mahnt die methodischen Mängel und fehlende Wissenschaftsethik Littmans an: »This putative phenomenon was posited based on survey data from a convenience sample of parents recruited from websites, and may represent the perceptions or experiences of those parents, rather than of adolescents, particularly those who may enter into clinical care.«982 Eine weitere Studie aus dem Jahr 2022 konnte ebenfalls die ROGD-These Littmans widerlegen und fand heraus, dass vor allem die These, transgeschlechtliche Männer resultierten aus einer stärkeren Beeinflussbarkeit, mittels einer Überprüfung des bei der Geburt vorherrschenden Verhältnis der Geschlechtsklassifikationen männlich/weiblich durch einen proportional höheren Anteil von weiblich klassifizierten Personen in Relation nicht mehr signifikant höher ausfalle. Gemessen an der demografischen Verteilung konnten die Zahlen der transgeschlechtlichen Jugendlichen deutlich mehr transgeschlechtliche Frauen nachweisen, bei zeitgleichem Rückgang transgeschlechtlicher Jugendlicher im Allgemeinen zwischen 2017 und 2019. Auch die These, ROGD als soziale Ansteckung sei durch soziale Erwünschtheit bedingt, wurde in der Studie mittels Befragung hinsichtlich eigener Mobbingerfahrungen überprüft, was im Ergebnis zeigte, dass cisgeschlechtliche Kinder und Jugendliche deutlich seltener gemobbt werden als transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche. Beide Erkenntnisse werden von Turban et al. als Widerlegung der ROGD-Thesen gewertet und es wird darauf hingewiesen, dass das argumentative Zurückgreifen auf das nunmehr mehrfach falsifizierte ROGD-Konzept dazu führe, dass transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen der Zugang zu affirmativem medizinisch-psychologischen Unterstützungsmanagement erschwert werde.983 Auch die Manipulationsthese muss durchaus kritisch betrachtet werden, da Manipulationsthesen auch im Kontext anderer Phänomene984 nicht ausreichend verifiziert werden konnten. Littmans Thesen könnten hier mit der Kultivationshypothese und Suggestionsthese verglichen werden, die jeweils einfache Lösungen für mehrdimensionale Phänomene fanden, jedoch umfassend falsifiziert wurden.985 982 Bauer et al. (2022). 983 Vgl. Turban (2022). 984 In diesem Kontext wurden bspw. Manipulationsthesen im Kontext von Suiziden, Pornokonsum, gewaltverherrlichenden Filmen und Musik sowie Amokläufen untersucht. 985 Die Kultivationshypothese von George Gerbner/Gross (2002), welche davon ausging, dass bei einem starken Medienkonsum (bei Gerbner TV-Konsum) die in den Medien vorherrschende Weltsicht verinnerlicht, übernommen und für real gehalten wird. Die These blieb nicht unumstritten; so wurde durch Studien von Higgins et al. (1985) schnell deutlich, dass es mit der angewandten Methode (Message System Analysis) nicht möglich war, den komplexen Wirkungszusammenhang von Medienkonsum und Realitätswahrnehmung unter Ausschluss anderer Einflussgrößen wie Alter, Geschlecht, Lebensgeschichte etc. nachweisen zu können. Die Suggestionsthese ist ein weiteres Konzept in der Reihe von Manipulationsannahmen. David Phillips (1974) geht davon aus, dass die Beobachtung eines bestimmten Verhaltens zur Nachahmung führt, so bspw. Gewaltdarstellungen und Selbstmord (der Werther-Effekt), wenn die Darstellung entsprechend verharmlosend oder wohlwollend sei. Hier bleibt jedoch anzumerken, dass es zwar eine Reihe an Studien zur Nachahmung von Selbstmordberichten gibt, diese jedoch kaum valide Daten liefern können, da Menschen nach einem Selbstmord nicht mehr befragbar sind und so kein direkter Zusammenhang ermittelbar wäre. Dennoch wurde die Zunahme von Selbstmorden nach medialen Selbstmorddar-

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Auch Düring wendet sich der Frage nach der prozentualen Steigerung von transgeschlechtlichen Männern zu und vermutet dahinter ein »zeitgeschichtliches Phänomen«,986 da nicht mehr ein Zuwiderlaufen gegen die zugewiesene Geschlechterrolle vermutet, sondern aufgrund des steigenden Allgemeinwissens über Transgeschlechtlichkeit, direkt auf diese geschlossen werde. Die Ausführungen von Düring kommen ohne Kontrastierung aus und schildern ausschließlich die Fälle von Menschen, die sich mit ihrer Geschlechtsklassifikation »ausgesöhnt« haben, weil sie erkannt hätten, dass es nicht das Geschlecht sei, worunter diese Menschen litten, sondern die Geschlechterstereotype und -rolle, welche die Gesellschaft ihnen zuschreibe. Demnach sei Transgeschlechtlichkeit »die Selbstermächtigung in die männliche Definitionsmacht hinein«, wozu die Weiblichkeit geopfert werde.987 Wenn Düring fragt, »ob durch die Möglichkeit der schnellen Verortung als transident nicht auch der Raum genommen ist für eine weniger konkretistische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit, die nicht ins Messer der Chirurgen läuft«,988 bekommt die Ablehnung gegen schulische wie gesellschaftliche Aufklärung im Dossier gegen die Berichterstattung im ÖRR eine neue Ebene, da Transgeschlechtlichkeit weiterhin an die medizinische Diagnostik geknüpft bleibt, statt als umkämpfter Begriff im gesellschaftlichen Diskurs zu verbleiben. Düring hat eine weitere Vermutung für das vermehrte Äußern transgeschlechtlicher Männlichkeit, indem sie auf Untersuchungen zur Anorexie verweist und davon ausgeht, dass Transgeschlechtlichkeit die Nachfolge der Anorexie antrete und der »Körper auf ähnlich dramatische Weise wie bei der Anorexie zum Kampfplatz wird«, die Gesellschaft jedoch dem »Narrativ des falschen Geschlechts« folgt, »während es noch immer um die Unerträglichkeit geht, einen weiblichen Körper zu haben, als Frau geboren zu sein«.989 Transgeschlechtlichkeit wird laut Düring durch die Mütter der jungen transgeschlechtlichen Männer »ausgelöst«, weil sie eine Lüge von Selbstverwirklichung und Geschlechteregalität vorleben, welche durch ihre Kinder durchschaut würde: »Der Versuch, als Frau selbstbestimmt zu leben, scheint in ihren Augen final gescheitert.«990 Diese Schlussfolgerung im Sinne eines feministischen Anliegens, das abermals auf Kosten der Unterdrückung von Frauen, in diesem Fall der Mütter, Weiblichkeit im Allgemeinen ausschließlich als Abweichung, Störung und von Krankheit kennzeichnet, ist kaum nachvollziehbar. Solche vermeintlich wissenschaftliche Studien können schwerwiegende Folgen haben, denn werden derlei Erkenntnisse als wissenschaftlich verifiziert akzeptiert, kann damit die sowieso schon prekäre Lage von transgeschlechtlichen Menschen verstärkt werden, indem ihre soziale Isolation legitimiert wird, um eine vermeintlich nachgewiesene Ansteckungsgefahr zu verhindern oder transgeschlechtliche Menschen wahlweise von der Manipulationsabsicht – die ihnen unterstellt wird – abzuhalten. Nieder entgegnet den Thesen Dürings, dass

986 987 988 989 990

stellungen als Beweis gedeutet und die Suggestionsthese fortlaufend auf andere Bereiche – wie Gewaltdarstellungen, Amokläufe oder pornografische Inhalte – übertragen. Düring (2021): S. 47. Düring (2021): S. 49. Düring (2021): S. 48. Düring (2021): S. 48. Düring (2021): S. 48.

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eine Ablehnung der eigenen Weiblichkeit nicht gleichzusetzen sei mit dem Wunsch nach männlicher Definitionsmacht. Das Ablehnen der Weiblichkeit, so Nieder weiter, müsse ebenso wenig zu Transgeschlechtlichkeit führen, sondern könne sich durch eine genderqueere oder nicht-binäre Verortung im Gender-Spektrum zeigen. Diese Differenzierungen jedoch aufzugeben, vielmehr zu verwerfen, um sie unter dem Begriff transident hinsichtlich der Zunahme transidenter geburtsgeschlechtlich als Frau klassifizierter junger Menschen nach den Gründen für diese Zunahme zu befragen, dass sei vorschnell, da genderqueer, nicht-binär und trans* als Übergangsphase verstanden, dabei helfen kann, dass Jugendliche sich geschlechtlich ausprobieren.991

4.2.4 Ethikkommission Der Deutsche Ethikrat hat 2020 eine Ad-Hoc-Empfehlung für den therapeutischen Umgang mit transidenten Kindern und Jugendlichen veröffentlicht, da die Zahl dieser in den letzten Jahren stark gestiegen sei und diese eine »besonders vulnerable Gruppe« darstellen, bei welcher jedwede therapeutische Maßnahme einer besonderen ethischen Reflexion bedürfe: »Eine Spannung entsteht dadurch, das [sic] sich einerseits Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit im Heranwachsenden erst entwickeln und andererseits die in der Pubertät stattfindende körperliche Entwicklung Zeitdruck schafft. […] Die ethische Herausforderung besteht darin, Minderjährige auf dem Weg zu einer eigenen geschlechtlichen Identität zu unterstützen und zugleich vor – teils irreversiblen – Schäden zu bewahren.«992 Aus diesem Grund erarbeitet der Deutsche Ethikrat eine Reihe von ethischen Grundsätzen, die unter anderem das allgemeine Persönlichkeitsrecht anerkennen und stärken, in allen Entscheidungsprozessen das Kind dezidiert miteinbeziehen und nach dessen Bedürfnissen fragen und die therapeutischen Maßnahmen als Unterstützung des Kindes verstehen, um die Folgen einer Entscheidung einzuschätzen und die Tragweite der Behandlungen verstehen zu können. Weiter fordern die Grundsätze dazu auf, jedweden Nutzen und Schaden von medizinischen oder therapeutischen Maßnahmen im Einzelfall individuell abzuwägen und stets einen entstigmatisierenden Umgang zu bewahren.993 Die Begrüßungsrede im Forum Bioethik des Deutschen Ethikrats hielt der Theologieprofessor Peter Dabrock. Dabrock leitet in das Forum mit folgenden Worten ein: »Wir müssen unsere Verletzlichkeiten, aber auch die der anderen in den Kämpfen um Anerkennung mit berücksichtigen.«994 Es gehe vor allem darum, dass alle Perspektiven hinreichend berücksichtigt werden und das Thema in der gesamten Breite in die 991 Vgl. Nieder (2021): S. 53. 992 Deutscher Ethikrat (2020): S. 3. 993 Hier orientiert sich der Deutsche Ethikrat maßgeblich am Art. 12 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention, in welchem es heißt: »Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.« 994 Dabrock (2020): S. 2.

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öffentliche Debatte getragen wird. Dies bedeute jedoch auch, dass neben den vielfältigen Selbstbeschreibungen auch Fremdzuschreibungen in den Diskurs getragen werden, die erneut die Verletzbarkeit aktualisieren und zu Kontroversen führen können.995 Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann führt nach der Begrüßung in das Thema ein und macht deutlich, dass sich die gesellschaftliche Relevanz des Forums aus der Zunahme der Fallzahlen transidenter Kinder und Jugendlicher ergebe, welche sich dem zugeschriebenen Geschlecht nicht zugehörig oder durch dieses nicht ausreichend repräsentiert sehen. Neben der medizinischen Debatte sei auch eine ethische und rechtliche Debatte notwendig.996 Als Geschlechtsdysphorie benennt Wiesemann, »wenn das erzwungene Leben im für die betroffene Person falschen Geschlecht zu körperlichem oder seelischem Leiden führt«.997 Auch Wiesemann spricht von einer besonderen Vulnerabilität, die eine besondere Verantwortung bedeute. Diese Vulnerabilität bezieht die Autorin jedoch auf die altersbedingte Situation von Kindern und Jugendlichen, welche durch ihre sorgeberechtigten Eltern in einem bestenfalls wohlwollenden und fürsorglichen Abhängigkeitsverhältnis stehen.998 Weiter seien die Nebenwirkungen einer ausbleibenden, wie einer stattfindenden Behandlung mittels Hormonblockern zu diskutieren und das Verständnis über die irreversiblen Folgen hinsichtlich der Verabreichung von gegengeschlechtlichen Hormonen, welche durchaus mit dem Phänomen der Aussöhnung mit der zugeschriebenen Geschlechtsklassifikation zu hinterfragen wären.999 Bevor der Deutsche Ethikrat seine Ad-Hoc-Empfehlungen konzipiert hat, lud er zum Forum Bioethik unter dem Titel »Trans-Identität bei Kindern und Jugendlichen: Therapeutische Kontroversen – Ethische Fragen« ein. Neben Alexander Korte, dessen Thesen hier ausreichend dargestellt wurden, sprach ebenfalls der Professor für Kinder- und Jugendpsychotherapie Georg Romer. Romer schildert, dass Trans*Identität »weder durch erzieherische Einflüsse induzierbar noch im Verlauf durch pädagogische oder psychotherapeutische Intervention beinflussbar, lenkbar oder umkehrbar« sei.1000 Stattdessen hält Romer an der These fest, dass die prä- und perinatale Gehirnentwicklung maßgeblichen Anteil an einer transgeschlechtlichen Entwicklung habe und durch genetische wie biologische Einflüsse ergänzt werde, was er anhand von Zwillingsstudien belegen will.1001 Entlang dieser Stu995 996 997 998 999 1000 1001

Vgl. Dabrock (2020): S. 3. Vgl. Wiesmann (2020): S. 1. Wiesmann (2020): S. 2. Vgl. Wiesmann (2020): S. 2. Vgl. Wiesmann (2020): S. 3. Romer (2020): S. 1. Vgl. Romer (2020): S. 1. Hier knüpft Romer an die Studien von Fernandez et al. (2018) an, welche bei transgeschlechtlichen Personen einen »Polymorphismus unterschiedlicher Allel-Längen des Androgenrezeptor-Gens sowie zweier Östrogenrepezeptoren-Gene« in spezifischer Kombination »zwischen Genotypen dieser drei Gene« nachweisen. Weiter wird an die Studien von Zhou et al. (1995), Schöning et al. (2010), Berglund et al. (2008), Burke et al. (2016), Staphorsius et al. (2015) und Nota et al. (2017) angeknüpft, die mittels neurowissenschaftlicher Forschung eine Differenz von männlichen zu weiblichen Gehirnen beweisen sollen und diese Differenz sich ebenfalls bei transgeschlechtlichen Gehirnen nachweisen lasse, die ein Gehirn entsprechend ihres gefühlten Geschlechtes vorweisen würden (vgl. Romer [2020]: S. 2). Hier muss angemerkt werden, dass diese Studien keinesfalls unumstritten sind und es durchaus Studien gibt, die zu gegensätzlichen Erkenntnissen kommen.

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dien empfindet Romer es als unethisch, eine Aussöhnung mit der zugeschriebenen Geschlechtsklassifikation anzuvisieren, und dass es daher vernünftig sei, ein Verbot gegen Konversionstherapien nicht ausschließlich auf homosexuelle Personen, sondern auch auf transgeschlechtliche Personen zu beziehen.1002 Dennoch, so Romer, sei dadurch keineswegs eine verfrühte Hormontherapie begründet, da sich unter Verweis auf weitere Studien zeige, dass sich eine stabil bleibende Transgeschlechtlichkeit (Persister) erst ab dem 13. Lebensjahr feststellen lasse.1003 Weiter entscheidet Romer diesbezüglich zwischen eindeutigen und noch wenig eindeutigen Persistern, wobei sich diese vor allem dadurch unterscheiden, wann das transgeschlechtliche Empfinden erstmals entäußert wurde (eindeutig bei Äußerung vor der Pubertät).1004 Vor allem die Hormonblocker sind nach Romer wichtig, um eine für die geschlechtliche Selbstidentifikation nötige seelische Gesundheit und psychosoziale Teilhabe zu garantieren.1005 Dennoch spricht Romer vom ethischen Irreversibilitäts-Dilemma und meint damit, dass »neben der genannten Begründungslast für eine somatomedizinische Behandlung eine ebenso ernstzunehmende ethische Begründungslast hinsichtlich einer Entscheidung, die gewünschte Behandlung nicht – oder noch nicht – zu beginnen. Ein Abwarten im Jugendalter ist – so formuliert es die internationale Leitlinie der WPATH [World Professional Association of Transgender Health] »Standards of Care« treffend – keine neutrale Option«.1006

4.3 Lex Sex: Zusammenfassung der Positionen nach Diskursarenen Nachdem im ersten Schritt das Diskurs-Thema »Novellierung des TSG« dargestellt wurde und damit zusammenhängende rechtliche Bestimmungen erörtert wurden, konnte entlang der Gesetzentwürfe und damit zusammenhängenden politischen Reden und Stellungnahmen unter Hinzuziehung diskursiver Schlüsseltexte die Zuständigkeitsund die Verantwortungsdimension ermittelt werden. Auch konnte mittels der Kontrastierung durch die Analyse des »Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen« und des »Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« ein vertiefter Einblick in die rechtliche Konstruktion von Trans- und Intergeschlechtlichkeit, aber ebenso in die gesetzliche Konstruktion der rechtlichen Ordnungskategorie Geschlecht gewonnen werden. Die Zuständigkeit für eine Novellierung des TSG liegt im Bereich der Regierung und wird als Staatsaufgabe im Rahmen der Demokratie betrachtet. Durch die Veröffentlichung von Gesetzentwürfen übernimmt nicht nur die regierungsbildende Koalition (bis 2021 CDU/CSU und SPD, ab 2021 die Koalition aus SPD, Grüne und FDP) Verantwortung, sondern ebenso die oppositionellen Parteien FDP, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Das Anregen einer partizipativen Bürger*innen-Beteiligung erfolgt durch den Aufruf 1002 1003 1004 1005 1006

Vgl. Romer (2020): S. 2. Vgl. Romer (2020): S. 3. Vgl. Romer (2020): S. 5. Vgl. Romer (2020): S. 6. Romer (2020): S. 8.

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Stellungnahmen einzureichen, welcher vor allem von Betroffenen-Initiativen und -Vereinen erwidert wird, aber auch von fachlich qualifizierten, vorwiegend wissenschaftlich arbeitenden Einzelpersonen oder Instituten. Die unterschiedlich angesetzte Frist für die Stellungnahmen kann Rückschluss auf das demokratische Grundverständnis zulassen, da eine längere Bearbeitungszeit (z.B. bei FDP und Bündnis 90/Die Grünen) eine höhere Partizipation bedeutet. Die »Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« (OECD) hat in diesem Zusammenhang Deutschland mehrfach angemahnt, dass Bürger*innen zu wenig in die Gesetzgebung eingebunden werden und dies Auswirkungen auf die Qualität und Akzeptanz von Gesetzen hat. Vor allem von Gesetzen Betroffene, aber auch die restlichen Bürger*innen, hätten ein Recht darauf, über Gesetzentwürfe informiert zu werden und eine Stellung zu diesen abzugeben. Obwohl sich die deutsche Bundesregierung 2018 dazu bereiterklärte, mit digitalen Beteiligungsformaten gegenzusteuern, habe sich ihr Rang im weltweiten Vergleich erneut um 8 Plätze verschlechtert, unter anderem, weil das vorgeschlagene Beteiligungsformat nicht bereitgestellt wurde. Einzig die Stellungnahmen werden bislang auf der Internetseite des Bundestages – inklusive der Gesetzentwürfe – veröffentlich, jedoch wisse kaum ein*e Bürger*in von diesem Angebot.1007 Weiter konnte eine unterschiedliche Betroffenheit festgestellt werden, da die Gesetzentwürfe der regierungsbildenden Koalition aus CDU/CSU und SPD ausschließlich transgeschlechtliche Personen mit PÄ-Wunsch betreffen, während die Gesetzentwürfe von FDP und Bündnis 90/Die Grünen alle Menschen betreffen, da die Ordnungskategorie Geschlecht im Allgemeinen novelliert wird. In diesem Zusammenhang wird nachvollziehbar, warum sich verschiedene Initiativen, Institute, Vereine, aber auch Einzelpersonen durch die Gesetzentwürfe adressiert fühlten und daraus unterschiedliche Gruppierungen von Diskursakteuren im Rahmen der Stellungnahmen entstanden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in den unterschiedlichen Stellungnahmen vielfältige Schwerpunktsetzungen finden und nicht alle Stellungnahmen gleichermaßen alle Inhalte in den Gesetzentwürfen würdigen bzw. kritisieren. Was alle Stellungnahmen eint, ist eine Verkleinerung des diskursiven Sagbarkeitsraums, da ausschließlich über trans- und intergeschlechtliche Menschen gesprochen wird, die so nicht nur eine Besonderung erfahren, sondern ebenso nicht-binäre und ageschlechtliche Menschen in den Bereich der Nicht-Sagbarkeit fallen und ihnen die kulturelle Intelligibilität aberkannt wird, wodurch sie im butlerschen Sinn zu Abjekten, also gesellschaftlich Verworfenen werden.1008 Alle weiteren aus den Stellungnahmen hervorgehenden konkurrierenden Diskurse sollen im Folgenden entlang von verschiedenen Diskursarenen zusammengefasst werden, um diese entlang der Bündelung im nachfolgenden Kapitel einer interdisziplinären fachwissenschaftlichen Diskussion zu zuführen, die über die Diskursanalyse hinausge-

1007 Vgl. OECD 2018 und 2021. 1008 Butler bezeichnet Menschen, die aufgrund ihres als normabweichend wahrgenommenen Verhaltens gesellschaftlich verleugnet oder aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung ausgegrenzt werden, als Abjekte. Jene Menschen, welche mit ihrem Verhalten die Norm bestätigen, werden unterdessen als wahr, richtig, sinnhaft verstanden und in ihrer Existenz anerkannt, was Butler mit dem Begriff der Intelligibilität bezeichnet (vgl. Butler [1991]: S. 23).

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hend die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des vorliegenden Diskurses und mögliche daraus hervorgehende Transformationsdynamiken bespricht.

4.3.1 Exegese des rechtlichen Geschlechtsbegriffs: Natur vs. Kultur Die größte Auseinandersetzung findet hinsichtlich der Auslegung des rechtlichen Geschlechterbegriffs statt, welcher in der Regel als analog mit dem gesellschaftlichen Geschlechterverständnis gesehen wird. Nicht einig sind sich die verschiedenen Diskursakteure, ob das Rechtsverständnis aus dem Gesellschaftsverständnis hervorgehe, vice versa. Wie herausgestellt werden konnte, nimmt der Gesetzgeber bisher keine explizite Begriffsbestimmung von Geschlecht innerhalb eines Gesetzes vor. Ausschließlich die Elternrollen werden an biologische Voraussetzungen geknüpft und von der körperlichen Funktion des Gebärens oder des Zeugens abgeleitet. Auch konnte gezeigt werden, dass die Geschlechtsanzeige zur Personenstandfestlegung durch ärztliches Personal nicht aus der Annahme hervorgeht, der Körper bestimme das Geschlecht, sondern in der Zeug*innenschaft begründet ist, und sich innerhalb dieser fachlichen Disziplin eine historisch gewachsene Orientierung am Körper als geschlechtliches Beweismittel herausbildete. Die Urteile des BGH und BVerfG unterdessen verweisen auf neue, von dieser Annahme abweichende wissenschaftliche Erkenntnisse und ein pluralisiertes Geschlechterverständnis innerhalb der Medizin und der Gesellschaft, welches sich nicht ausschließlich an den Geschlechtsdimensionen sex und gender orientiert, sondern darüber hinaus diverse Geschlechterrollen und eine Geschlechterfluidität anerkennt. Bei der soeben beschriebenen gesetzlichen Unklarheit, an welche Eigenschaften die Ordnungskategorie Geschlecht geknüpft wird, sind die vorliegenden Diskurspositionen umso interessanter. Für eine Konstruktion der Geschlechterkategorien entlang der Dimension sex und somit einer Orientierung am Körper plädieren unter anderem die Women’s Human Rights Campaign, der Psychologe Korte, die AfD-Abgeordnete von Storch, die Diplompsychologin Wermann und das LAZ sowie im Mediendiskurs der gesamte cisfeministische Flügel. Die Genannten betonen mehrfach die Orientierung am Körpergeschlecht, indem sie vom biologischen Geschlecht sprechen und Geschlecht entlang körperlicher Merkmale kennzeichnen. Der Psychologe Korte stellt die Behauptung auf, dass nur das biologische Geschlecht nachweisbar sei und somit ein Fakt wäre, während er mehrfach betont, dass eine Geschlechtsidentität nicht sichtbar und somit nicht nachweisbar sei und demnach kein Fakt sein könne.1009 Eine äußerst erstaunliche These für einen Psychologen, der im Sinne dieser Schlussfolgerung auch das psychische Leiden als eingebildet definieren müsste. Zudem kann in Kortes Sinne etwas Nicht-Sichtbares und -Nachweisbares auch nicht falsifiziert werden. Weiter unternimmt Korte – welcher immer wieder als Berater der Partei CDU/CSU in Erscheinung tritt und somit großen Einfluss hat, da er eine der beiden (bis 2021) regierungsbildenden Parteien als bestellter Experte beeinflussen kann – eine Konstruktion von Gesundheitszuständen vor, welche er von einer Übereinstimmung aus »sex« und »gender« abhängig macht und von Krankheitszuständen, welche er in einer fehlenden Übereinstimmung beider erkennt. Geschlecht könne demnach nicht selbstbestimmt gewählt werden, sondern 1009 Vgl. Korte (2020): S. 3.

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müsse bei einer fehlenden Übereinstimmung durch ausgebildete Psycholog*innen bestimmt werden, andernfalls würde es zu gesellschaftlichen Verwirrungen kommen.1010 Daher verwundert es kaum, dass die Gesetzentwürfe der (bis 2021) regierungsbildenden Koalition aus CDU/CSU und SPD die gesetzliche Regelung der Geschlechtszuordnung dezidiert an die körperlichen Geschlechtsmerkmale bindet, welche als »die das Geschlecht bestimmenden Erbanlagen, die hormonalen Anlagen und das Genitale anzusehen« seien.1011 Im medialen Diskurs, in dem auch Korte sehr präsent ist, herrschen vor allem ablehnende Haltungen gegenüber der Geschlechterrolle vor, welche durch Schwarzer als eigentlicher Grund für einen Leidensdruck dem gesunden Körper gegenübergestellt wird, was dazu führe, dass der kulturelle Terror der Geschlechterrolle dazu führe, dass Personen sich selbstzerstörerisch gegen den eigenen Körper wenden.1012 Dafür schicken die EMMA und die Elterninitiativen Beispielmenschen ins diskursive Rennen, die das Leiden unter der Geschlechtsrolle bestätigen und folglich die Diagnose Transsexualität als unglaubwürdig und fatale Fehldiagnose dastehen lassen, wodurch ähnlich des Biologismus das Kulturelle problematisiert wird. Allerdings liegt hier wegen der Konstruktion von Gleichsetzungen (bspw. von PÄ und geschlechtsangleichender Operation) und von Gegensätzen (bspw. Kultur und Natur) eine erzeugte Sinnhaftigkeit vor, welche die Argumentation strategisch stärken soll, jedoch wissenschaftlich jeder Evidenz entbehrt. Die rechtskonservative Populärautorin Kelle unterdessen knüpft das Konstrukt der biologischen Tatsachen an fertilitätsbedingte Frauenvorrechte, welche die weibliche Geschlechtskategorie jedoch auf die Gebärfähigkeit und Mutterrolle als biologische Kernkompetenzen verkürzt und somit einem heteronormativ traditionellen Weltbild entspricht. Deutlich mehr Stellungnahmen sehen Geschlecht entlang der Geschlechtsidentität begründet. Der BVT* weist in diesem Zusammenhang dezidiert darauf hin, dass sich die Geschlechtsidentität jedoch nicht vom Geschlechtskörper ableiten lasse.1013 Die Bundestagsabgeordnete der Fraktion die Linke Achelwilm betont sogar, dass die Anerkennung der Geschlechtsidentität einem gesellschaftlichen Fortschritt entspreche und die damit zusammenhängenden wissenschaftlichen Erkenntnisse den Menschen hinsichtlich seiner Lebensform weiterentwickelt. Eine ähnliche Argumentation verfolgt die Bundestagsabgeordnete der SPD Rüthrich, welche den Fortschritt in der positiven Wahrnehmung von Vielfalt erkennt. Rüthrichs Parteigenosse Brunner erkennt in der Heteronormativität eine Gefahr für den Menschen, womit er auf ein wissenschaftliches und ein kaum alltägliches Vokabular zurückgreift, dass maßgeblich für eine Kritik an der Orientierung an der Dimension sex zur Geschlechtsbestimmung steht. Der Bundestagsabgeordnete Brandenburg spricht sogar von einem »Leiden am falschen Körper«, womit er den Körper von der Geschlechtsidentität ableitet und diesem eine hohe Deutungshoheit beimisst. Die Gesetzentwürfe von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen

1010 Vgl. Korte (2020): S. 6. 1011 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 4. 1012 Vgl. Schwarzer (2019). 1013 Vgl. Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 3.

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und FDP nehmen eine Konstruktion von Geschlecht als Geschlechtsidentität vor. Körperliche Merkmale finden in diesem Kontext zwar Erwähnung, jedoch ausschließlich als ein Mittel zur Identifikation, während soziale Faktoren wie die Geschlechterrolle überhaupt nicht benannt werden. Die meisten Stellungnahmen positionieren sich nicht dezidiert, ob sie der Dimension sex oder gender eine Deutungshoheit zuschreiben. Stattdessen wird hier die Konstruktion von Inter- oder Transgeschlechtlichkeit in den Gesetzentwürfen ermittelt und wahlweise kritisiert oder befürwortet. So bspw. dass Intergeschlechtlichkeit gar keine Einordnung innerhalb der sex-/gender-Dimension erhält und stattdessen von unterschiedlichen, uneindeutigen, abweichenden Geschlechtsmerkmalen die Rede ist, was sprachlich eine Unterscheidung von vermeintlich eindeutigen cisgeschlechtlichen Geschlechtsmerkmalen und davon abweichenden, uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen von inter- wie transgeschlechtlichen Menschen vornimmt.1014 Auch diese vermeintliche Abweichung wird unterschiedlich konstruiert, so werden in dem Gesetzentwurf der regierungsbildenden Koalition transgeschlechtliche Personen durch eine vom Geschlechtskörper abweichende Geschlechtsidentität und intergeschlechtliche Personen als uneindeutige Geschlechtskörper von eindeutigen Geschlechtskörpern abweichend konstruiert.1015 Aus dieser minimalen Unterscheidung ergeben sich rechtlich unterschiedliche Anerkennungsverhältnisse, denn während Intergeschlechtlichkeit eine biologistische Essentialisierung erfährt, entlang derer die biologische Geschlechterwahrnehmung erneut bestärkt wird, erfolgt eine Anerkennung von Transgeschlechtlichkeit, wenn mittels Angleichung des Personenstandes und der Genitalien die Uneindeutigkeit vereindeutigt wird. Was in diesem Zusammenhang nicht ausreichend berücksichtigt wird ist das Phänomen der Transition, welches es verunmöglicht zwischen sex/gender zu unterscheiden. In dem Gesetzentwurf der bis 2021 regierungsbildenden Koalition wird daher von vielen Stellungnahmen die Verwendung des Körperbild-Begriffs kritisiert, da dieser keineswegs den physischen Körper meint, sondern die psychische Körpervorstellung, was jedoch den sonstigen Ausführungen widerspricht, welche sich an der sex-Dimension orientieren. Der BVT*, der Paritätische Gesamtverband und die Landespsychotherapeuten Kammer RheinlandPfalz weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass transgeschlechtliche Personen nach einer Transition keine PÄ mehr vornehmen könnten, da dieser grundlegend an die Inkongruenz der sex-/gender-Dimensionen gebunden ist und ein Körperbild als sex-Dimension verstanden wird.1016 Es entsteht sogar die Vermutung: »Die geplante Regelung versucht, an ein biologisches Geschlecht anzuschließen und eine künstliche Trennung zwischen Inter* und Trans* zu konstruieren.«1017 In der Unterscheidung von eindeutigem und uneindeutigem Geschlecht erkennt die Gruppe Dritte Option eine Diskriminierung, welche aus der Verschränkung von eindeutigen Geschlecht mit der 1014 Siehe bspw. die Formulierungen bei Brunner, Bundestagsdebatte (2020) und Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 16. 1015 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 17. 1016 Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 7; vgl. der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 2; vgl. Landespsychotherapeuten Kammer Rheinland-Pfalz (2019): S. 3. 1017 Der Paritätische Gesamtverband (2019): S. 1.

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binärgeschlechtlichen Norm hervorgehe, womit gegenüber uneindeutigen Geschlechtern Hürden und Barrieren in der geschlechtlichen Lebensweise legitimiert werden.1018 Spannend ist in diesem Kontext auch die Erklärung des BGH, dass intergeschlechtliche Personen kein feststehendes biologisches Geschlecht hätten, welches im Widerspruch zu ihrer empfundenen Geschlechtsidentität stehen könnte, wodurch intergeschlechtliche Menschen nicht transgeschlechtlich sein könnten.1019 Auch Plett erkennt in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung um Geschlecht einen »Richtungsstreit zwischen BiologistInnen und EssentialistInnen, für die Sex die primäre Kategorie darstellt, und den KonstruktivistInnen, die Gender für die bestimmende Kategorie halten, dürfte als im Wesentlichen überholt angesehen werden«.1020 Dass im überarbeiteten Gesetzentwurf der bis 2021 regierungsbildenden Koalition hinsichtlich Intergeschlechtlichkeit von einer Varianten Geschlechtsentwicklung gesprochen wird, statt von einer uneindeutigen, bei Transgeschlechtlichkeit nicht mehr von Abweichung, sondern von Nicht-Übereinstimmung oder statt von eindeutigem Körperbild von Empfindung, all das verweist auf sprachliche Substitutionswörter, da sich die Bedeutung bzw. Definition dahinter nicht verändert hat und auch die gleichen Annahmen zugrunde liegen. In dem Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern mit varianter Geschlechtsentwicklung wird das biologische Geschlecht zudem unterschiedlich gewichtet betrachtet, so wird häufig von einer Eindeutigkeit gesprochen, wenn alle biologischen Marker, – also Gonaden, Hormone, Chromosomen und körperliche Geschlechtsmerkmale – übereinstimmen. In manchen Fällen wird diese Übereinstimmung kumulativ erhoben und bei nur drei Übereinstimmung dennoch von einer Eindeutigkeit gesprochen. Weiter gibt es auch Annahmen, die sich vor allem an den Chromosomen orientieren. Insbesondere hinsichtlich Intergeschlechtlichkeit gibt es Bemühungen, diese als biologisch nachweisbar auszulegen. Doch auch hier spalten sich die Diskursakteure in zwei Lager; die einen möchten damit belegen, dass das Geschlecht nur biologisch nachweisbar sei, während die anderen entlang der biologisch vorliegenden Varianz die Binarität in Frage stellen und darauf verweisen, dass eine geschlechtliche Zuordnung entlang von biologischen Kriterien überholt sei. In diesem Zusammenhang wurde von einem Diskursakteur sogar von einem »mehrdeutigen Körpergeschlecht« gesprochen (DGfS). Übereinstimmend lassen alle Diskursakteure verlauten, dass das Geschlecht mittels geschlechtsangleichender Operation nicht veränderbar sei. Allerdings steht auch hinter dieser Aussage eine unterschiedliche Argumentation, denn während die einen mit dem Argument darauf verweisen wollen, dass das Geschlecht bereits vor der körperlichen Angleichung existent war, verweisen die anderen darauf, dass der Geburtskörper das Geschlecht klassifiziert und eine operative Angleichung nichts an der natürlichen Zuweisung ändere. Tanja Paulitz spricht in Bezug auf Gender von einem etablierten Narrativ, welches mit dem dominanten Narrativ Sex um eine Vormachtstellung hinsichtlich der Deutungshoheit kämpft. Während der Begriff Sex zunächst auf eine Ungleichbehandlung und die 1018 Vgl. Gruppe Dritte Option (2019): S. 4. 1019 Vgl. Bundesgerichtshof (2020): S. 18, Rn. 48. 1020 Plett (2021f): S. 123.

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Konstruktion von einer Ungleichwertigkeit entlang der Einteilung in zwei körperliche Geschlechtsklassifizierungen aufmerksam machen wollte, sollte die Begrifflichkeit Gender diese Phänomene auf die gesellschaftliche Klassifikation von Geschlecht richten, die fernab von der Einordnung von Körpern neue Ungleichheitsdynamiken offenbart.1021 Doch auch die Sex/Gender-Unterscheidung wurde schnell problematisiert, da sich in ihr die Natur/Kultur-Dichotomie reproduziere1022 und sich vor allem in den Versuchen wiederfindet, die Naturalisierungs-Praxis bzgl. der Geschlechterdifferenzierung zu offenbaren,1023 da durch diese Versuche die Kulturalisierung als überdeterminierend konstruiert werde. Paulitz bezeichnet die Folgen aus diesem Ansatz als theoriepolitische Schieflage und Paradoxon.1024 Wird der Fokus in geschlechtersoziologischen Analysen vorwiegend über das Gender-Narrativ und in Ablehnung des Sex-Begriffs vollzogen, so etabliere sich eine einheitliche Erzählung und erfolge eine Kanonisierung von Geschlechterwissen, welche zu einer empirischen Verengung führen kann.1025 Daraus ergibt sich mit Paulitz die Paradoxie, dass die Sex/Gender-Unterscheidung keine Dekonstruktion erfährt, sondern eine Rekonstruktion,1026 weil die Begriffe weiterhin an einen Widerstreit um Deutungshoheit verbunden bleiben. In diesem Kampf wird die Naturalisierung des Geschlechts allzu oft als Gegenmittel gegen die neoliberale Eröffnung eines Marktes der Möglichkeiten entlang des Gender-Narratives verstanden. Diese These kann auch in der vorliegenden Analyse herausgearbeitet werden, da jene die von Genderideologien sprechen, selbst nicht auf das Gender-Konzept verzichten, sondern dieses argumentativ durchaus nutzen, um aus der Inkongruenz von »sex« und »gender« wahlweise eine Krankheit oder psychische Störung zu machen. Die Gleichsetzung von »gender« und »gender-role« respektive von »sex« und »sex-category« macht die Argumente für Laien jedoch undurchschaubar. So wird die »gender-role« als Geschlechterrolle problematisiert, da diese unterdrückend sei, jedoch wird sie als »gender« benannt, wodurch die Gender-Studies in den Verruf gebracht werden, die Geschlechterrolle stärken zu wollen. Die Differenzierung der Theoreme wird von cisfeministischen Akteuren hingegen abgelehnt, da diese zu einer gesellschaftlichen Verwirrung führen, gar Kinder und Jugendliche zur Transgeschlechtlichkeit beeinflussten. In der Analyse konnte jedoch gezeigt werden, dass die fehlende Differenzierung als Argumentationsstrategie genutzt wurde, um so die fehlende Argumentationslogik zu verbergen. Von den queerfeministischen Akteuren wird unterdessen das binäre Erklärungsmuster pauschal als transfeindlich eingestuft, was einer genaueren Betrachtung auch nicht standhält. Feindseligkeit würde eine exkludierende oder gewaltsame Absicht bedeuten, was jedoch ausschließlich auf eine Handlung (egal ob mittels Sprache oder Körpereinsatz) beziehbar wäre, nicht aber auf ein Erklärungsmuster, welches sich in einer Einstellung manifestiert. In diesem Fall müsste von einer Negativität gesprochen werden. Sobald also das binäre Erklärungsmuster zu Exklusion aus Frauenräumen, zu

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Vgl. Paulitz (2021): S. 357f. Vgl. Paulitz (2021): S. 360. Vgl. Paulitz (2021): S. 362. Vgl. Paulitz (2021): S. 365. Vgl. Paulitz (2021): S. 366. Vgl. Paulitz (2021): S. 368.

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gewaltvollen Übergriffen oder dem Vorenthalten von gesellschaftlicher Anerkennung führt, handelt es sich als ausgeführte Handlung um eine Feindseligkeit. Wird also durch Korte, Schwarzer, Engelken und Co. Trans- und Intergeschlechtlichkeit pathologisiert, indem das eine als psychische Störung und das andere als Entwicklungsstörung bezeichnet wird, um so die Eindeutigkeit der biologischen Zweigeschlechtlichkeit konstruktiv als Wahrheit darzustellen, handelt es sich mit dem Akt der Pathologisierung um eine Feindseligkeit.

4.3.2 Das Angstnarrativ: Kampf um Sicherheit und Schutz unter besonderer Betrachtung des Mündels als außerordentlich schutzbedürftig Die folgenden Ausführungen finden sich nur in den Reaktionen auf die Gesetzentwürfe. Es wurden sehr viele Formulierungen gefunden, in denen es um »Schutz vor …«, möglichen »Missbrauch von …«, »Verlust von Sicherheit«, »einer Schwächung von …« oder um das Artikulieren »einer besonderen Vulnerabilität« geht. Die Angst- und Risikonarrative können als Kollektivsymbolik verstanden werden. Der Übersicht halber wird die Darstellung in drei Kategorien eingeteilt; die Angst vor Diskriminierung, das Risiko des Missbrauchs, der Schutz von Kindern und der Schutz vor übereilten oder riskanten Entscheidungen versus den Schutz vor einem Übergriff in das Persönlichkeitsrecht durch andere. Die Angst vor Diskriminierung betrifft größtenteils den Schutz von vulnerablen Gruppen, die laut der Bundestagsabgeordneten der Linken Achelwilm auch den Schutz vor dem Staat bedeute.1027 Der Bundesverband Trans* e. V. und Queer Lexikon e. V. betonen hier vor allem den Schutz vor Pathologisierungen, aber auch den Schutz vor einer drohenden Benachteiligung bspw. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, welche durch zu große Hürden bei der PÄ entstehen würden.1028 Weiter wird auch auf neue Ungleichbehandlungen resultierend aus den Gesetzentwürfen der regierungsbildenden Koalition verwiesen; da bspw. ein Beibehalten der traditionellen Elternschaft zu einer Offenbarung der Transgeschlechtlichkeit führe, sobald die Sorgeberechtigung nachgewiesen werden müsse oder für Urlaube Grenzübergänge eine Personenkontrolle voraussetzen, wofür eine amtliche Übersetzung der VÄ/PÄ erforderlich wäre, die ebenfalls die Transgeschlechtlichkeit offenbare: »Damit sind er [transgeschlechtliche Antragssteller*in] und sein Kind einer nicht überschaubaren Zahl von Diskriminierungspotenzialen ausgesetzt.«1029 Der Deutsche Juristinnenbund beanstandet unterdessen die Ungleichbehandlung von Trans- gegenüber Intergeschlechtlichkeit, da neben unterschiedlicher Zugänge – entweder mittels Beratung oder mittels Begutachtung – zu einer PÄ auch unterschiedliche Optionen geboten werden, so kann bspw. bei Intergeschlechtlichkeit der Vornamen isoliert geändert werden, während transgeschlechtlichen Personen diese Möglichkeit nicht offen steht.1030 Die Women’s Human Rights Campaign befürchtet entlang der Gesetzentwürfe der Opposition (SelbstBestG und GiG) hingegen eine Schwächung des Feminismus, da Geschlecht nicht mehr über körperliche bzw.

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Vgl. Lehmann, Bundestagsdebatte (2020); Achelwilm, Bundestagsdebatte (2020). Vgl. Queer Lexikon e. V. (2020): S. 3f.; Bundesverband Trans* e. V. (2020): S. 3 und S. 5. Trans*Recht e. V. (2019): S. 6. Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 1 und S. 5.

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biologische Merkmale bestimmt werde. Auch im medialen Diskurs wird diese These vertreten, indem sich bspw. die Initiative »Geschlecht zählt« gründete und mittels Unterschriftensammlung auf die mögliche Verzerrung von Statistiken und daraus resultierend eine Gefährdung der Frauenförderung aufmerksam machen möchte.1031 Auch Korte und Wermann stellen in ihren Stellungnahmen den Missbrauchsverdacht auf, indem durch eine allzu leicht durchzuführende PÄ geschlechtliche Rechte und Förderungen ausgenutzt werden könnten.1032 Die EMMA-Journalistin Louis hingegen sieht die Errungenschaften des Feminismus in Gefahr, die es neuzeitlich endlich geschafft hätten, dass der Frauenkörper medizinisch wahrgenommen wird, nachdem dieser sich jahrhundertelang dem androzentrischen Forschungs- und Behandlungsideal fügen musste.1033 In der Tat würde ein Selbstbestimmungsrecht ein Neuausrichten des Feminismus bedeuten, da hier vor allem der Körper als Grundlage für besonderen Schutz angesehen wird. Jedoch würde sich durch den Gesetzentwurf insgesamt eine Änderung hinsichtlich der gesellschaftlichen Wahrnehmung ergeben, die zwangsläufig auch zu einer Umstrukturierung der Privilegierung und Deprivilegierung entlang von Anerkennung führt. All diese Veränderungen sind jedoch nicht vorhersagbar und können negative wie positive Folgeerscheinungen mit sich bringen. Indem feministische Organisationen jedoch um ihre theoretische Grundlage – die des vulnerablen Frauenkörpers – fürchten, blockieren sie einen möglichen Wandel in der Anerkennungsverteilung. Korte fügt in Bezug auf einen möglichen Missbrauch noch das Argument hinzu, dass bei einer geringen PÄ-Hürde die Solidargemeinschaft hohen und vor allem unnötigen Gesundheitskosten ausgesetzt werde, was jedoch nur dann argumentativ Sinn hätte, wenn PÄ und geschlechtsangleichende Operationen gleichsetzbar wären.1034 Das Risiko des Missbrauchs knüpft an die zuvor beschriebene Angst einer Schwächung des Feminismus an, da hier vor allem die Angst vor einem Missbrauch der Möglichkeit einer PÄ im SelbstBestG und GiG angemahnt wird. Wenn Geschlecht nicht mehr über körperliche Merkmale bestimmt werde, dann würde dies ein Eindringen in Schutzräume wie Umkleidekabinen, Toiletten usw. bedeuten, wodurch das Risiko bestehe, dass es zu sexualisierten Übergriffen und Gewalttaten komme würde.1035 Dieser Argumentation folgen im medialen Diskurs unter anderem auch Kelle1036 , »Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V.«1037 und Engelken1038 , die wahlweise Penisse in Frauenhäusern, -saunen oder -gefängnissen als Angstbild erzeugen. Die Initiative »Geschlecht zählt« spricht in diesem Kontext gar von einem »geschlechtsbedingte[n] Schutz- und Freiheitsrecht«, dass »separierte (Frei-)Räume, die Frauen und Mädchen« zustehen, bereitgestellt werden müssen, zu denen männliche Personen (= Penisträ-

1031 1032 1033 1034 1035

Initiative Geschlecht zählt (2022). Vgl. Korte (2020): S. 4; Wermann (2020): S. 1 und S. 2. Vgl. Louis (2022b): S. 56. Vgl. Korte (2020): S. 10. Vgl. Korte (2020): S. 4; Wermann (2020): S. 1; Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 3; Women’s Human Rights Campaign S. 2. 1036 Vgl. Kelle (2019). 1037 Terre des Femmes (2020). 1038 Engelken (2021).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

ger*innen) keinen Zugang haben dürften.1039 Schwarzer hingegen verweist darauf, dass sie einst transgeschlechtliche Frauen als Schwestern betrachtete und diese in die Frauenräume inkludierte, wobei es früher nur geringe Fallzahlen waren und die Personen selbstverständlich eine geschlechterangleichende Operation gehabt hätten, nun jedoch Frauen mit Penissen Zutritt verlangten, was Schwarzer als gesellschaftliche Entwicklung problematisiert.1040 Auch die Juristin Lembke erkennt eine Gefahr für Schutzräume, welche sie jedoch nicht in einen Kausalzusammenhang mit der Neuausrichtung des rechtlichen Geschlechterbegriffs stellt, sondern mit einer staatlich zu knappen Ressourcenausstattung begründet.1041 Die Juristin Mangold fordert in diesem Zusammenhang eine Abkehr von einem staatlichen Utilitarismus und eine Fokussierung des Schutzes der Minderheiten, nicht der Mehrheiten.1042 Im September 2022 veröffentlichte die Frauenhaus-Koordinierung e. V. (FHK) eine Pressemitteilung nebst Positionspapier, in welchem der Verein sich gegen die Instrumentalisierung der Frauenrechte gegen queere Anliegen ausspricht. Die FHK setzt sich für einen »diskriminierungsfreien und hürdenarmen Zugang zu Schutz vor Gewalt« für alle Frauen ein und spezifiziert den Begriff der Frau, indem explizit »cis Frauen, trans* Frauen, intergeschlechtliche Frauen sowie alle Menschen, die sich als Frauen oder Mädchen verstehen« als Frauen verstanden werden.1043 Die medial im Kontext des SelbstBestG konstruierten Szenarien von Menschen, die sich spontan als Frauen bezeichnen und ungehindert in ein Frauenhaus eindringen, gehe »weit an den praktischen Gegebenheiten von Frauenhäusern vorbei«, in denen niemand, egal welchen Geschlechts einen direkten Zugang erhält und immer eine Einzelfall-Überprüfung stattfindet, die auf dem Urteilsvermögen ausgebildeter Fachkräfte beruht.1044 Die FHK betont in diesem Kontext, dass bei jeder Einzelfallprüfung »die Gegebenheiten der einzelnen Frauenhäuser (bspw. räumliche Bedingungen, Sicherheitsgrad, fachspezifische Kenntnisse des Personals etc.), die Bedürfnisse der gewaltbetroffenen Person und die Bedarfe der im Frauenhaus wohnenden Frauen in Einklang gebracht« werden.1045 Vor allem »Personen, die sich als trans*, inter* oder geschlechtlich nicht-binär verorten, sind in besonders hohem Maße durch geschlechtsbezogene Gewalt gefährdet und von ihr betroffen«.1046 Die FHK lehnt im Positionspapier ausdrücklich die zunehmende Aggressivität der geschlechterpolitischen Debatten im Zuge des SelbstBestG ab, da diese den ohnehin hürdenreichen und unzureichenden Zugang für die vulnerablen Gruppen der inter-, trans- und nicht-binärgeschlechtlichen Personen mit Gewalterfahrung zusätzlich vergrößert, statt sie abzubauen. Das Erzeugen einer künstlichen Konkurrenz sieht die FHK als »Schwächung aller beteiligten Parteien«, da so »Streben nach Gleichberechtigung« gefährdet wird, statt gemein-

1039 1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046

Initiative Geschlecht zählt (2022). Vgl. Schwarzer (2022): S. 10f. Vgl. Lembke (2020): S. 11. Vgl. Mangold (2020): S. 5. Frauenhaus-Koordinierung e. V. (2022a). Frauenhaus-Koordinierung e. V. (2022a). Frauenhaus-Koordinierung e. V. (2022b): S. 3. Frauenhaus-Koordinierung e. V. (2022b): S. 2.

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sam um mehr Ressourcen für einen umfassenden, passenden und bedarfsgerechten Gewaltschutz zu kämpfen.1047 Dass auch marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden können, zeigt eine Befürchtung des Psychologen Korte, der in einer Unterstützung des »transgeschlechtlichen Wunschs« einen Missbrauch erkennt, welcher dazu führe, die sexuelle Entwicklung zu unterdrücken, wodurch Homosexualität nicht mehr lebbar sei. Auch das LAZ folgt dieser These und vergleicht den Einsatz von Pubertätsblockern mit einer Konversionstherapie, da so die Identitätsentwicklung verzögert werde.1048 Im medialen Diskurs ist es vor allem die Zeitschrift EMMA, die ähnliche Befürchtungen äußert, indem die Verpflichtung zur transaffirmativen Behandlung als Konversionstherapie verstanden wird – ein Paradigma was darüber hinaus auch gesellschaftlich dazu führe, dass Menschen, welche eine Transgeschlechtlichkeit hinterfragen oder die Politik hinsichtlich ihrer Pläne zum SelbstBestG kritisieren, der Transfeindlichkeit beschuldigt werden und Sprechverbote auferlegt bekämen.1049 Schwarzer befürchtet, dass junge homosexuelle und geschlechterrollen-nonkonforme Frauen mit der Diagnose Transgeschlechtlichkeit konfrontiert werden oder diese gar selbst diagnostizieren, damit sie nicht als homosexuell gelten, worin Schwarzer ein »regelrechtes ›HomosexualitätsVerhinderungs-Programm‹« vermutet.1050 In diesem Kontext konnte die Analyse ermitteln, dass der cisfeministische Diskurs eine nonkonforme Geschlechterrolle mit einer lesbischen Sexualität gleichsetzt, was die gelebte sexuelle Identität der Sissy, die im Gegensatz zur männlich konnotierten Butch sehr feminin in Erscheinung tritt, und die Tomboy-Identität, womit eine burschikose, aber heterosexuell begehrende Frau umschrieben wird, in Frage stellt. Der Schutz vor übereilten oder riskanten Entscheidungen wird unter anderem vom Bundestagsabgeordneten der CDU Henrichmann in der Bundestagsdebatte benannt, da er den Schutz der Menschen vor sich selbst und vor übereilten Entscheidungen als staatliche Pflicht versteht. Henrichmann geht so weit, mit einer »Flut an irreversiblen Operationen« rechnen zu müssen, die dann nicht nur bereut werden, sondern die auch nicht mehr korrigierbar seien.1051 Hier wird ein Schreckensszenario erzeugt, welches wie bereits im vorausgehenden Text geschildert, mit aktuellen Fallzahlen kaum haltbar ist, da seit dem Wegfall der PÄ-Hürde einer geschlechtsangleichenden Operation immer weniger Menschen diese im Zusammenhang mit einer PÄ durchführen lassen. Besonders konfliktreich erscheint die Frage danach, ob bereits Minderjährige eine PÄ beantragen dürfen bzw. ab welchem Alter diese dann möglich sein sollte. Das Alter von 14 Jahren wird mit der Persönlichkeitsentwicklung begründet, jedoch eingeräumt, dass es auch ab dem 14. Lebensjahr geschäftsunfähige Kinder geben kann.1052 Da Menschen ab dem

1047 1048 1049 1050 1051 1052

Frauenhaus-Koordinierung e. V. (2022b): S. 3. Vgl. Korte (2016): S. 51; Lesbisches Aktionszentrum reloaded e. V. (2020): S. 6. Vgl. Schwarzer (2022): S. 10f. Schwarzer (2022): S. 15. Vgl. Henrichmann, Bundestagsdebatte (2020). Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019): S. 25.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Alter des 14. Lebensjahrs strafmündig sind, sollten sie nach Trans*Recht e. V. auch »geschlechtsmündig« sein.1053 Hier ist anzumerken, dass alle Gesetzentwürfe bei Minderjährigen auf eine Beratung oder sogar eine Begutachtung bestehen und somit kein Kind oder kein*e Jugendliche*r übereilt eine PÄ beantragen kann. Dennoch vermutet die Women’s Human Rights Campaign im SelbstBestG und GiG eine Gefahr für Minderjährige und homosexuelle Menschen und auch Korte sieht diese Gefahr, allerdings nicht im Gesetz begründet, sondern in unwissenden Sorgeberechtigten, die durch die familiäre umsorgende Beziehung keine objektive Entscheidung treffen könnten.1054 Die Eltern unterdessen zeigen als Elterninitiativen im medialen Diskurs vor allem eine Angst vor dem Verlust weiter Teile ihres Sorgerechts, welches sie im Kontext einer vermeintlichen sozialen Ansteckung mit Transgeschlechtlichkeit gemäß des ROGD-Konzepts skandalisieren.1055 Ein Konzept, was auch durch Korte vertreten wird.1056 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in den meisten Befürchtungen keine Unterscheidung zwischen VÄ und PÄ gemacht wird, ebenso keine Unterscheidung zwischen VÄ/PÄ und geschlechtsangleichenden Maßnahmen; so haben geschlechtsangleichende Maßnahmen durchaus andere Auswirkungen und dementsprechend andere Hürden als eine VÄ/PÄ. Das Angstnarrativ gegenüber Schutzbefohlenen findet im Diskurs um das SelbstBestG deutlich weniger Eingang als im Diskurs um ein Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsangleichenden Operationen. In diesem Zusammenhang verweist Plett darauf, dass das Elternrecht bereits im aktuellen Recht des BGB dann begrenzt werden darf, wenn das Kindeswohl tangiert wird. Allerdings appelliert sie auch, dass es durchaus strittig ist, ob geschlechtsvereindeutigende Operationen an Kleinkindern und Säuglingen dem Kindeswohl entsprechen.1057 Diese Streitigkeit dürfte sich durch die Problematik ergeben, dass es durchaus eine lebenserhaltende medizinische Notwendigkeit für Operationen geben kann und – darüber hinaus etwas gewichtiger – auch Ärzt*innen nicht ausreichend ausgebildet und sensibilisiert werden,1058 weshalb die Geburt eines intergeschlechtlichen Säuglings allzu oft als »psychosozialer Notfall« betrachtet wird.1059 Plett geht diese Problematik gekonnt aus einer anderen Perspektive an; sie hinterfragt die rechtliche Einheit, mit der Eltern und ihre Kinder im Gesetz konstruiert werden. Zum einen sind Kinder ab ihrer Geburt ein neuer Mensch mit eigenen Rechten und als solche von ihren Eltern und deren Rechten getrennt zu betrachten.1060 Im Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern mit varianter Geschlechtsentwicklung ist erstaunlich, dass hier einige Stellungnahmen kosmetische Operationen im frühsten Kindesalter mit einer besseren persönlichen wie gesellschaftlichen Akzeptanz rechtfertigen, die wahlweise die Gesellschaft davon abhalten soll, das Kind auszugrenzen, 1053 Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 5. 1054 Vgl. Korte (2020): S. 5. 1055 Vgl. Ehe-Familie-Leben e. V.; Initiative Elternaktion (2021): S. 24; www.parentsofrogdkids.com (letzter Zugriff: 10.10.2022); www.transteens-sorge-berechtigt.net (letzter Zugriff: 10.10.2022); Louis (2022d): S. 177ff. 1056 Vgl. Louis (2022c): S. 115. 1057 Vgl. Plett (2021j): S. 202. 1058 Vgl. Plett (2021j): S. 202. 1059 Vgl. Plett (2021j): S. 205. 1060 Vgl. Plett (2021j): S. 202.

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oder das Kind in der geschlechtlichen Identifizierung unterstützen soll, während diese bei transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen gleichzeitig abgelehnt wird, da sie in den gesunden Körper irreversibel eingriffen. Der gesunde Körper wird hier nicht als Körper ohne medizinische Indikation, sondern als geschlechtlicher Normkörper konstruiert. Auch im Gesetzentwurf zum Schutz vor Konversionsbehandlungen wird das Schutznarrativ aufgerufen, da es Stellungnahmen gibt, welche die Geschlechtsidentität aus dem Gesetz begrifflich herausnehmen möchten, da sie zur Gefahr für die selbstbestimmte Sexualität werde. Oft wird dies damit begründet, dass zu schnell affirmativ ein Wunsch auf Geschlechtswechsel vermutet wird, um so eine Homosexualität auszuschließen oder zu unterdrücken. Indem also die Geschlechtsidentität fokussiert werde, führe das dazu, dass die gleichgeschlechtliche Sexualität in den Hintergrund gerate und so die Gefahr bestehe, dass die Sexualität unterdrückt werde, wenn die Geschlechtsidentität affirmativ unterstützt wird. In dieser Argumentation wird die geschlechtliche Identität als vermeintlicher Gegner der sexuellen Identität konstruiert. Hier bleibt anzumerken, dass die sexuelle Identität sowohl die sexuelle Orientierung, das sexuelle Begehren, aber auch die geschlechtliche Identität und die Geschlechterrolle umfasst. Dennoch gibt es Bemühungen einer Unterscheidung, indem unterstellt wird, die sexuelle Orientierung sei stabil, während die geschlechtliche Identität ein Leben lang erarbeitet werde. Im Begründungsteil des Gesetzentwurfs KonvBehSchG wird dieses Gesetz damit begründet, dass weder die sexuelle Orientierung noch die Geschlechtsidentität Krankheiten sein, weshalb sie auch keiner Behandlung bedürften. Die BundesPsychotherapeuten-Kammer spricht in diesem Zusammenhang in ihrer Stellungnahme bereits von Varianten der sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität, wodurch auch vormals binäre und als eindeutig bezeichnete Geschlechter/Sexualitäten unter den Begriff der Varianz fallen. Einen Schutz vor einem Übergriff durch andere in das Persönlichkeitsrecht fordert bspw. Trans*Rechte e. V., da im Gesetzentwurf der regierungsbildenden Koalition die Ehepartner*innen im Rahmen einer PÄ angehört werden sollen, wodurch der Schutz der Familie höher bewertet wird als der Persönlichkeitsschutz.1061 Aus diesem Grund benennt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das SelbstBestG als ein Gesetz, das vor Fremdbestimmung und Diskriminierung schützt, indem es die Selbstbestimmung gesetzlich verankere.1062 Einen weiteren Missbrauch befürchten Standesbeamt*innen, da bei allzu häufigem Wechsel des Personenstandes eine Überforderung der Bürger*innenservice-Stellen erfolgen würde.1063

Exkurs: Der Schutzraum als Angstnarrativ Das Narrativ, Frauen vor dem gewaltsamen Eindringen von Menschen mit Penis in Schutzräume zu schützen, ist wirkmächtiger als zunächst vermutet. In der Tat geschieht hier eine wirkmächtige Perspektivverschiebung, indem der Fokus vom besseren Schutz von transgeschlechtlichen Frauen vor sexualisierter Gewalt auf den vermeintlich 1061 Vgl. Trans*Recht e. V. (2019): S. 6f. 1062 Vgl. Lehmann, Bundestagsdebatte (2020). 1063 Vgl. Althoff et al. (2017): S. 29.

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bedrohten Zustand vom Schutz von Frauen gelenkt wird. Studien wie die LesMigrasStudie oder die EU-LGBT-Forschung hingegen konnten zeigen, dass sowohl die körperliche als auch die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und transgeschlechtlichen Frauen nahezu gleiche prozentuale Anteile erhalten. So werden transgeschlechtliche Frauen in öffentlichen Sanitäreinrichtungen (Toiletten, Duschen und Umkleidekabinen) besonders häufig einem schonungslosen und exotisierenden Blick ausgesetzt, wodurch eine besondere Vulnerabilität erzeugt wird. In diesem Kontext ist eine Exklusion aus geschützten Sanitäreinrichtungen schwerwiegend, da transgeschlechtliche Frauen vor allem in reinen Männer-Toiletten sexualisierte Übergriffe und Gewalt erleben, welche von einer verbalen Belästigung über sexuelle Bedrängung bis zum Corrective Rape reichen.1064 Die Studienlage zur Umsetzung von Unisex-Toiletten ist hingegen dünn, da hierzu Daten vor der Umsetzung und nach der Umsetzung vergleichend analysiert werden müssen. Da in Deutschland bisher keine flächendeckenden Unisex-Toiletten umgesetzt wurden, muss auf Forschung aus anderen Ländern zurückgegriffen werden. Eine 2018 veröffentlichte Studie aus den USA konnte zeigen, dass es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich sexueller Übergriffe sowie körperlicher und sexualisierter Gewalt vor und nach der Umsetzung von Unisex-Toiletten gab. Eine Leerstelle ergibt sich in dieser Studie dadurch, dass die Polizeikriminalitätsstatistiken, welche als Daten zugrunde gelegt wurden, nicht zwischen Frauen und transgeschlechtlichen Frauen unterschieden.1065 Neben den Frauen-Toiletten wurden auch Frauen-Saunen als Schutzraum benannt. Am 6. Juni 2022 hat der Podcast »Splitterfasernackt« – ein Podcast-Format, das Nacktheit normalisieren will und deswegen in einer Sauna stattfindet – eine Folge mit Tessa Ganserer aufgenommen, wobei dies durch Ganserer selbst initiiert wurde, die die Podcast-Macherinnen darauf hinwies, dass Saunen nicht für jeden so offenstehen, wie es der Podcast suggeriert. Ganserer nimmt somit konkret Bezug auf die aktuellen Diskurse um Schutzräume und Transfeindlichkeit, indem sie den Podcast als Plattform nutzt, um selbstbestimmt Sichtbarkeit für Transfeindlichkeit und ebenso Sensibilisierung für die aktuellen Diskurse zu schaffen. Ganserer klärt in dem Podcast über die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht auf und ebenso über die neuen politischen Maßnahmen zur Entstigmatisierung und Entpathologisierung von transgeschlechtlichen Menschen als auch über die transnegative und -feindliche Gegenwehr, gegen diese politischen Bestrebungen. Ganserer schildert in dem Podcast, dass sie seit Jahren nicht mehr in einer öffentlichen Sauna war. Wenngleich sie gerne saunieren würde, sieht sie diesen Ort als befangenen Ort für bestimmte Identitäten an. Saunen sind ein Ort der Sichtbarkeit, wenngleich die Etikette eine Unsichtbarkeit erfordert, indem saunierende Menschen dazu angehalten werden, bei sich zu sein, niemanden anzustarren, anzufassen oder zu belästigen. Manche Menschen sind durch ihr vermeintliches Abweichen von der Norm sichtbarer als andere Menschen; das sind bspw. die dicken, die schwarzen, die behinderten und u.a. auch die transgeschlechtlichen Menschen, die in der Sauna aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung unübersehbar erscheinen und einem exotisierenden

1064 Vgl. LesMigras (2012); European Union Agency for fundamental rights (2014). 1065 Vgl. Hasenbush (2018).

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und skandalisierenden Blick ausgesetzt werden. Diese machtvollen Blicke haben zur Folge, dass manche Menschen unbefangen die Sauna besuchen, während andere aus Angst auf das Hobby und Wohlbefinden verzichten oder mit dem Gefühl großer Unsicherheit und ebenfalls Unbehagens in die Sauna gehen. Kommen dazu noch Narrative, in denen transgeschlechtliche Menschen als feindliche Eindringlinge in Frauen-Saunen verstanden werden, wird ein regulärer Besuch verunmöglicht, wie Ganserer mittels eines Instagram-Post verdeutlicht und damit auch unter ihren Follower*innen einen Nerv trifft: »Auch hier greifen typische Vermeidungsstrategien. Wenn Menschen an bestimmten Orten Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung erfahren, dann versuchen Sie, diese Orte zu meiden. Diskriminierungserfahren und auch die Angst vor Diskriminierung wirken sich auf das psychische Wohlergehen aus.«1066 »Ich vermisse das Schwimmbad sehr. Es ist total wichtig in den ›Debatten‹ um unsere Existenz in öffentlichen Räumenden Fokus wieder von der vermeidlichen Gefahr die von trans Menschen ausgeht, wieder darauf zu lenken, dass Umkleiden/Schwimmbäder/Saunas/Toiletten die Orte sind an denen uns besonders oft Gewalt angetan wird.«1067 Dass Tessa Ganserer nun in diesem Sauna-Podcast-Format über ihre negativen Erfahrungen und Empfindungen bezüglich der Transfeindlichkeit im Kontext eines Saunabesuchs spricht und dies inklusive der symbolischen Darstellungen mittels dreier Fotos von Ganserer im Handtuch in der Sauna inszeniert, sie sozusagen den Elefanten im Porzellanladen mimt, all das ist ein Akt der Widersetzung und Emanzipation von den transfeindlichen Narrativen des aktuellen Diskurses. Wenngleich diese Repräsentation einen wichtigen Diskursbeitrag darstellt, bleibt die Reichweite aus – eine Reichweite, die bspw. skandalisierende und exotisierende Beiträge über Transgeschlechtlichkeit erhalten. Im Kontext der Sauna könnten durchaus andere Regelungen getroffen werden, die Rücksicht auf die Bedürfnisse von Betroffenen mit sexualisierten Gewalterfahrungen nehmen, indem bspw. eine Verdeckung der Genitalien als Regel für bestimmte Saunen formuliert wird oder zusätzlich mehrere Saunen für Einzelpersonen bzw. Kleingruppen zeitlich begrenzt zur privaten Nutzung reservierbar sind. Einen weiteren Schutzraum stellen Frauen-Gefängnisse dar. Während es in Deutschland für nicht-binäre, inter-, a- und transgeschlechtliche Menschen noch keine einheitlichen Regelungen für die Unterbringungen in einer Strafanstalt gibt, finden sich diese in anderen Ländern durchaus. In den deutschen Medien finden diese Regelungen meist dann Erwähnung, wenn es um eine Problematisierung geht. So bspw. der Fall von Demi Minor, die 2022 in die deutschen Schlagzeilen geriet, weil sie zwei Mitinsassinnen schwängerte.1068 Abgesehen von einer sehr verkürzten Darstellung wurden Vermutungen aufgestellt, die sich als falsch herausstellten; so wurde keine Verlegung beantragt, weil Minor ihre Mitinsassinnen schwängerte, sondern weil das entsprechende Frauengefängnis nach sexuellen Übergriffen von Wärtern auf inhaftierte Frauen geschlossen werden musste. Auch verzichtete der Artikel darauf, zu erwähnen, dass Minor mit den

1066 Ganserer, Instagram. 1067 blackflagroger, Instagram. 1068 Vgl. https://www.bild.de/news/ausland/news-ausland/in-den-usa-trans-insassin-schwaengert-z wei-gefangene-80730688.bild.html (letzter Zugriff: 20.11.2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

schwangeren Frauen konsensuellen Geschlechtsverkehr hatte. In Gefängnissen kommt es regelmäßig zu sexuellen Beziehungen zwischen den Inhaftierten, wo ist also hier das Problem? Das Missy Magazin fand erstaunlich passende und prägnante Worte für Gefängnisse, welche dort als »institutionalisierte Extremformen der gesellschaftlichen Normierung« bezeichnet wurden.1069 Schwangerschaften in Gefängnissen würden die gesellschaftliche Normvorstellung bzw. die Vorstellung von dem, was gesellschaftlich als erwünscht gilt, in mehrfacher Hinsicht durchbrechen. Zum einen sind Schwangerschaften in Strafvollzugsanstalten für sich genommen ein Normbruch, zum anderen aber vor allem, dass eine Frau eine weitere Frau schwängert. Obwohl dieser Fall keine sexualisierte Gewalt darstellt, wurde er in den Medien vor allem hinsichtlich der Gefahr für Schutzräume von Frauen besprochen. In Deutschland ist es noch der Regelfall, dass transgeschlechtliche Personen anhand ihrer Genitalien einem Gefängnis zugeteilt werden, was wiederrum bedeutet, dass zuvor eine – in den meisten Fällen nicht erwünschte – medizinische Untersuchung stattfindet, welche cisgeschlechtliche Personen nicht über sich ergehen lassen müssen. In Berlin wurde 2022 das Strafvollzugsgesetz geändert und ermöglicht nun eine Mitbestimmung der inhaftierten transgeschlechtlichen Personen hinsichtlich der Haftanstalt. Auch die Rechtswissenschaftlerin Ulrike Lembke äußerte sich im Kontext der Bundestagsanhörung zum Strafvollzug und schlussfolgert: »Denn der Strafvollzug nur für Frauen hat auch große Nachteile. Dadurch, dass sehr wenige Frauen im Strafvollzug sitzen, sind sie sehr weit entfernt von ihren Familien oder Menschen, die sie besuchen können und sie haben in solchem Strafvollzug oft nur ein sehr eingeschränktes Angebot von Aus- und Weiterbildung, das überdies von Geschlechterstereotypen geprägt ist, sprich: sie werden für typische Frauenberufe ausgebildet.«1070 Lembke verweist in diesem Kontext auf ein Projekt in Hamburg mit integriertem Strafvollzug, welches sehr erfolgreich war, da hier auf die Gefahren geschlechtsspezifischer Gewalt und auf Stereotypisierung Rücksicht genommen wurde. Final bleibt im Kontext der Schutznarrative darauf hinzuweisen, dass das Angstnarrativ, welches Frauen durch das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht als gefährdet konstruiert, das Feindbild der Transweiblichkeit (Mann-zu-Frau-Passing) erzeugt, während jenes Angstnarrativ, welches Kinder und Jugendliche entlang des ROGD Konzeptes als gefährdet imaginiert, vor allem Transmännlichkeit (Frau-zu-Mann-Passing) als Feindbild aufbaut.

4.3.3 Gleichstellung vs. Dekonstruktion Wie im vorausgehenden Kapitel bereits als Angst identifiziert, wird entlang von SelbstBestG und GiG eine Gefährdung der Gleichstellung befürchtet. Sobald Geschlecht als Geschlechtsidentität verstanden werde, könnten Männer Förderungen für Frauen beantragen und bekämen so Ressourcen, die ursprünglich als Nachteilsausgleich gedacht wa-

1069 Schmacht (2019). 1070 Deutscher Bundestag (2020b): S. 24.

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ren.1071 Auch sei die Gleichstellung in Gefahr, weil so keine Identifizierung und Datenvalidierung von Diskriminierung und Benachteiligung mehr möglich sei.1072 Nicht bedacht wird, dass durch das SelbstBestG die Monopolstellung der bisher binären Geschlechterordnung wegfallen würde, weshalb dauerhaft auch die Privilegierung von Menschen mit Penis oder jene von Menschen, die sich selbst als kongruent zwischen Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität wahrnehmen, abgebaut wird, wodurch auch die Hierarchisierung der Geschlechter instabil wird, was sich nachhaltig auf den gesellschaftlichen (Hetero-)Sexismus auswirken wird. Als unbenannter Gegenspieler der Gleichstellung kann daher die Dekonstruktion des Geschlechts im Rahmen der Gesetzentwürfe SelbstBestG und GiG identifiziert werden, die aber nicht allen schnell genug oder weit genug gehe. So wird bspw. kritisiert, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs weitere geplante Reformen, bspw. des Abstammungsrechts, angedeutet werden, gleichzeitig aber daran festgehalten werde, »dass die bisherige untragbare Situation zementiert wird«.1073 Besonders häufig wurde die Gefährdung der Frauenquote ins Feld geführt. So setzt sich bspw. die Initiative »Geschlecht zählt« dafür ein, dass gesetzlich weiterhin körperliche Merkmale darüber entscheiden, welcher Geschlechtseintrag einer Person offensteht, und begründet diese Notwendigkeit mit dem Schutz der Frauenquote. Wie die Entscheidung entlang von körperlichen Merkmalen genau aussehen soll, erklärt die Initiative hingegen nicht. Körper sind verschieden, manche Körper haben Brüste und einen Penis, manche haben keinen Penis und keine Brüste, manche können gebären, andere sind gebärunfähig und menstruieren trotzdem, die meisten Körper können erst ab einem gewissen individuell verschiedenen Alter menstruieren und hören damit mal früher oder später auf, das Gleiche gilt für Erektionen, die für eine (auch gewaltvolle) Penetration benötigt werden, auch diese ist körperlich verschieden. Der Geschlechtseintrag determiniert nur noch wenige Gesetze und alle bisher aufgezählten Straftaten werden bspw. nicht tangiert; es ist also vollkommen egal, ob eine Frau oder ein Mann sexualisierte Gewalt oder Übergriffigkeit erlebt und ob diese von einem Mann oder einer Frau ausgeht, denn bestraft werden diese Handlungen unabhängig vom Geschlecht. Diskriminierung wird in der Regel durch Statistiken festgehalten und diese arbeiten mit Selbstauskünften, so wie es das SelbstBestG ebenfalls beabsichtigt. Die Mutter- und Vaterrolle stellen beide Geschlechterrollen dar, die vor allem von den cisfeministischen Akteuren selbst abgelehnt werden und nur für die christlich-konservativen Akteure mit traditionellem Familienbild – des Mannes als arbeitstätigem Ernährer und der Frau als unbezahlter CareArbeiterin – von großer Bedeutung sind. In diesem Fall, das zeigt der Diskurs, müssen sich die Akteure unter der geschlechterbinären Flagge noch einig werden, denn feministische Forderungen werden sich in einer christlich-konservativen Gesellschaftsordnung nicht mehr stellen lassen, geschweige denn, dass die Frauenstimmen des Diskurses noch über ihre repräsentativen Posten verfügen, um Gehör in der Gesellschaft zu erhalten. Trotz alledem hält die Initiative »Geschlecht zählt« an ihren Forderungen fest und führt dazu die – durch das SelbstBestG bedrohte – Frauenquote an:

1071 Vgl. Korte (2020): S. 4; Wermann (2020): S. 2; Becker (2020): S. 6 und S. 8. 1072 Vgl. Lesbisches Aktionszentrum (LAZ) reloaded e. V. (2020): S. 2. 1073 Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen – OII Germany e. V. (2019): S. 3.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

»Wie dieses Gesetz sich besonders auf geschlechtsspezifische Statistiken auswirken würde, lässt sich bereits am Fall des grünen Bundestagsabgeordneten Markus (Tessa) Ganserer ablesen. Bündnis 90/Die Grünen haben ihm per parteiinternem Frauenstatut ermöglicht, als die selbstdefinierte ›Frau‹ ›Tessa‹ auf einem sicheren Listenplatz in den Bundestag einzuziehen. In der repräsentativen Statistik des Bundestags wird Ganserer, personenstandrechtlich ein Mann, nun als Frau gezählt. Gegen das Vorgehen der Grünen und seine Wahl haben zahlreiche Frauen Einspruch beim Bundestag eingelegt.«1074 Die Zeitschrift EMMA bietet der Initiative Raum und lanciert einen Beitrag mit dem Titel »Ganserer: Die Quotenfrau« und skandiert dort: »Der physische und juristische Mann M[…]/Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im Bundestag – auf einem Frauenquotenplatz.«1075 Genauer betrachtet geht die Beweisführung der Initiative und der EMMA nicht auf, aber um das darzulegen, ist es nötig, das deutsche Wahlsystem zu betrachten. Bei jeder Wahl haben Bürger*innen die Möglichkeit zwei Stimmen abzugeben, dabei geht die erste Stimme an Direktkandidat*innen und die Zweitstimme an die Partei. Mit der Erststimme können Direktmandate erworben werden, während mit der Zweitstimme die Sitze im Bundestag unter all jenen Parteien verteilt werden, die mindestens 5 % gültige Zweitstimmen erhalten oder über die Erststimmen mindestens drei Direktmandate erzielen. Die Sitzplätze im Bundestag werden nun im Anschluss an die Direktmandatsplätze über die Landeslisten der Parteien vergeben, die dadurch ein Listenmandat und somit einen Sitz im Bundestag erhalten.1076 Die Reihenfolge auf den Listenplätzen wird parteiintern geregelt; so bspw. bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen wie folgt: »Wesentlich ist die Mindestparität von Frauen in allen Parteigremien und auf Wahllisten und die Förderung von Frauen innerhalb der Gremien und Strukturen von Bündnis 90/Die Grünen NRW. Von dem Begriff ›Frau‹ werden alle erfasst, die sich so definieren.«1077 Der Deutsche Bundestag hat wiederrum keine Frauenquote, weshalb die Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im März 2022 einen Antrag (20/1023) für die Einsetzung einer Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit gestellt haben.1078 Der Abschlussbericht der Kommission wird im Juni 2023 erwartet, jedoch zeigen die bisher diskutierten Ansätze bzgl. einer Umsetzbarkeit, dass sich zwei Lager gebildet haben, die sich wahlweise für »Soft Law Ansätze«, bspw. »die Honorierung von Vätern, die Elternzeit nehmen« und verbindliche Selbstregulierung, oder für »Hard Law Ansätze«, bspw. eine »paritätsabhängige Mandatszuteilung«, aussprechen.1079 Demnach sitz Tessa Ganserer nicht auf einem Bundestag-Frauenquoten-Platz, sondern strenggenommen auf einem Paritäten-

1074 https://geschlecht-zaehlt.de/ueber-die-initiative/ (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1075 https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185 (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1076 Vgl. https://www.bmi.bund.de/DE/themen/verfassung/wahlrecht/bundestagswahlrecht/bundes tagswahlrecht-node.html (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1077 https://gruene-nrw.de/partei/satzungen-und-co/frauenstatut/ (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1078 Vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/20/010/2001023.pdf (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1079 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw41-pa-wahlrechtskommission-91346 4 (letzter Zugriff: 20.11.2022).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Listenplatz der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Besonders interessant wird es, wenn hier der statistische Frauenanteil im Bundestag insgesamt betrachtet wird. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die durch die Initiative »Geschlecht zählt« bezichtigt wird, die »Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung […] durch ein queeres Verständnis von Feminismus und Politik«1080 zunichte zu machen, da Tessa Ganserer trotz männlichklassifiziertem Personenstand als Frau gelistet wird, hat mit Abstand den höchsten prozentualen Frauenanteil mit 59,32 % im 20. Deutschen Bundestag (und 56,72 % im 19. Deutschen Bundestag (Tabelle 1 und Tabelle 2)). Ginge es der Initiative »Geschlecht zählt« also um die Frauenquote, so wären die AfD mit aktuell 12,82 % oder die CDU/CSU mit 23,35 % geeignetere Endgegner im Kampf um Frauenrechte. Die Schlussfolgerung der Initiative »Geschlecht zählt«, »Alle Bestrebungen, den Frauenanteil in politischen Gremien zu erhöhen, werden so auf höchster Ebene ad absurdum geführt«,1081 kann durch diesen kleinen Exkurs also im wahrsten Sinn zurückgewiesen bzw. der AfD, CDU und FDP vorgetragen werden.

Tabelle 1: Sitzverteilung des 19. Deutschen Bundestages1082 Partei

Frauen

Frauen in %

Männer

Männer in %

gesamt

CDU/CSU

51

20,73

195

79,27

246

SPD

67

44,08

85

55,92

152

AfD

9

10,23

79

89,77

88

FDP

19

23,75

61

76,25

80

Die Linke

37

53,63

32

46,37

69

Bündnis 90/ Die Grünen

38

56,72

29

43,28

67

fraktionslos

2

28,57

5

71,43

7

1080 https://geschlecht-zaehlt.de/ueber-die-initiative/ (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1081 Vgl. https://geschlecht-zaehlt.de/wahl-2021-frauen-erheben-einspruch/ (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1082 Vgl. hinsichtlich der Daten: https://www.bundestag.de/webarchiv/abgeordnete/biografien19/md b_zahlen_19/frauen_maenner-529508 (letzter Zugriff: 20.11.2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Tabelle 2: Sitzverteilung des 20. Deutschen Bundestages1083 Partei

Frauen

Frauen in %

Männer

Männer in %

gesamt

SPD

86

41,75

120

58,25

206

CDU/CSU

46

23,35

151

76,65

197

Bündnis 90/ Die Grünen

70

59,32

48

40,68

118

FDP

23

25

69

75

92

AfD

10

12,82

68

87,18

78

Die Linke

21

53,85

18

46,15

39

fraktionslos

1

16,67

5

83,33

6

Vor allem die AfD bemüht sich im Bundestag darum, Transgeschlechtlichkeit als Gefahr für die Frauenquote auszulegen, allerdings bemüht sich die AfD ebenfalls darum, die Frauenquote abzuschaffen; so riefen sie jüngst die Initiative »Qualität ohne Quote« ins Leben, welche eine Quotenregelung als Bevormundung von Frauen auslegt, die zudem einen gesellschaftlichen Keil zwischen Männer und Frauen schlage. Auch fordert die Initiative, den weiblichen Kinderwunsch zu fördern und Vater-Mutter-Kind-Familien zu unterstützen.1084 Unschwer zu erkennen ist der argumentative Spagat, den die AfD durch ihren selbst konstruierten Widerspruch aufführen muss. Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Adressierung; auf der einen Seite möchte die Partei in der traditionellchristlichen Wähler*innenschaft Stimmen sammeln und bedarf somit des traditionellen Familienbildes, welches durch arbeitende Frauen, allen voran aber durch Menschen, die von der heteronormativen Ordnung abweichen, gefährdet wird. Auf der anderen Seite bleiben die weiblichen Wählerinnen zu gewinnen, die vor allem durch die Angstnarrative gelockt werden sollen, indem transgeschlechtliche Frauen als Männer konstruiert werden, die den Personenstandwechsel ausnutzen, um feministisch erkämpfte Gleichberechtigung von innen heraus zu zersetzen.

4.3.4 Begutachtungs-/Beratungspflicht vs. Unterstützungsangebot Die Gesetzentwürfe der regierungsbildenden Koalition aus CDU/CSU und SPD halten an einer Beratungspflicht inklusive vorausgesetzter Bescheinigung für transgeschlechtliche Antragsteller*innen einer PÄ und an einer Begutachtungspflicht für intergeschlechtliche Antragsteller*innen einer PÄ fest. Im Gegensatz dazu setzen das SelbstBestG und das GiG keine der beiden Verpflichtungen voraus, sichern aber ein gesetzlich verankertes Beratungsangebot zu, welches im Gegenteil zu der Beratung im Gesetzentwurf der regierungsbildenden Koalition allen Menschen offenstehe. Wiesmann, Bundestagsabgeordnete der CDU, hält die Beratungspflicht bspw. deswegen für sinnvoll, weil ein Mensch

1083 Vgl. hinsichtlich der Daten: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzverteilung_20wp (letzter Zugriff: 20.11.2022). 1084 https://www.qualitaet-ohne-quote.de/ (letzter Zugriff: 20.11.2022).

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Das Selbstbestimmungsgesetz

im Rahmen einer PÄ eine Neuorientierung vornehme und dieser Prozess von ausgebildeten Personen mit Ahnung hinsichtlich somatischer und psychischer Prozesse begleitet werden müsse, um der transgeschlechtlichen Person dabei zu helfen Entscheidungen zu treffen.1085 Ähnlich, aber deutlich konsequenter, betont der Psychologe Korte, dass Menschen bei derart großen Entscheidungen, welche die eigene Lebenswirklichkeit massiv verändern, immer der externen und qualifizierten Hilfe bedürften. Hierin kann eine diskursive Strategie erkannt werden, da mittels der Festigung der medizinisch-psychologischen Begutachtungspraxis die Vorherrschaft der Psycholog*innen sowie Mediziner*innen im Diskurs und damit im gesellschaftlichen Allgemeinwissen gefestigt werden kann. Deutlich mehr Stellungnahmen sprechen sich gegen eine Pflicht zur Begutachtung oder Beratung aus. Ein Argument in diesem Zusammenhang ist, dass die Grundannahme einer Beratung ad absurdum geführt werde, da eine Zwangsberatung die Vertrauensbildung zwischen Rataufsuchenden und Beratenden erschwert werde. Zudem könnte die Angst vor einer negativen Beurteilung auf dem Beratungsschein verhindern alle Fragen und Sorgen offen anzusprechen: »Dieses Abhängigkeitsverhältnis macht eine echte Beratung – klientenzentriert, lösungsorientiert und auf Augenhöhe – unmöglich.«1086 Es entstünden Machtdisparitäten. Eine Begutachtung würde darüber hinaus eine Diagnose erfordern, wodurch erneut ein Krankheitsbild geschaffen werde.1087 Der Deutsche Juristinnenbund befürchtet zudem, dass die Gerichte mittels Begutachtungs-/ Beratungspflicht in ihrer Entscheidungsgewalt subordiniert würden.1088 Eine Begutachtung wird auch rechtswissenschaftlich kritisiert, da mit ihr kein Geschlecht feststellbar sei, sofern der Gesetzgeber hier keine eindeutige Geschlechtsdefinition vorlegt, sondern die Begutachtung ausschließlich die Glaubhaftigkeit des Personenstandsregisters herstellen soll.1089 Insgesamt wird das juristische Festhalten an der Geschlechtsklassifizierung als gesellschaftlicher Ordnungskategorie und Humandifferenzierung im Personenstand abgelehnt, da es keine allgemeingültige und stabile Geschlechtsdefinition gebe, ein solches Gesetz aber nur gerechtfertigt sei, wenn es ausreichend begründet sei und Rechtssicherheit gewährleiste.1090 Hinsichtlich des optionalen Unterstützungsangebots von SelbstBestG und GiG gibt es in den meisten Stellungnahmen Zuspruch, mit Ausnahme jener Positionen, welche einen Missbrauch erwarten oder weiterhin bei Trans- und Intergeschlechtlichkeit an einem Krankheitsbild festhalten, welches eine Begutachtung/ Therapeutisierung erfordere. Keine Stellungnahme beanstandete unterdessen, dass eine Beratung nur noch in Form einer Peer-Beratung stattfinden solle. Hier muss problematisiert werden, dass dies grundsätzlich nicht begründet wird. Eine Beratungsstelle, die allen Menschen offensteht, müsste im Sinne einer Peer-Beratung alle Geschlechter repräsentieren. Zudem ist es schwer nachvollziehbar, warum hier auf eine gemeinsame 1085 Vgl. Wiesmann, Bundestagsdebatte (2020). 1086 Trans*Recht e. V. (2019): S. 4. 1087 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (2019): S. 2; vgl. Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (2020): S. 2; vgl. Bundesärztekammer (2020): S. 6. 1088 Vgl. Deutscher Juristinnenbund (2019): S. 2. 1089 Vgl. Mangold et al. (2019): S. 13. 1090 Vgl. Deutscher Städtetag (2020): S. 2.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

»Betroffenheit« bestanden wird, statt eine zur Beratung befähigende Qualifizierung zu fordern oder besser noch, danach zu fordern, dass ein interdisziplinäres Beratungsteam zusammengesetzt wird, welches in der Lage ist medizinische, juristische, psychologische und soziale Unterstützungsangebote zu vereinen. Im Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern mit varianter Geschlechtsentwicklung wird darauf hingewiesen, dass alle Persönlichkeitsfaktoren – also auch Sexualität und Geschlecht – auf die Bestätigung der Umwelt angewiesen sind. Als besonders gravierend werden deshalb Eingriffe in die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung bei Minderjährigen gesehen, da sich diese in einer besonders sensiblen Phase der Entwicklung befänden. Aus diesem Grund wird hier eine umfassende Beratung gefordert, wobei diese durchaus von deutlich mehr Diskursakteuren als verpflichtend akzeptiert wird, als es bei der insgesamt stark abgelehnten Beratungspflicht hinsichtlich einer PÄ in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit der Fall war. Bezüglich der ROGD-These wurde ebenfalls vermehrt das Thema der Selbstdiagnose lanciert. So wurde von vielen Akteuren behauptet, durch das Internet kämen Jugendliche schnell auf die Idee, sich selbst als transgeschlechtlich zu diagnostizieren, wobei dies jedoch nur fachlich entsprechendes ärztliches Personal beurteilen könne. Der Psychologe Kurt Seikowski untersuchte die Aussagen von 1234 transgeschlechtlichen Menschen, die im Zeitraum von 1988 bis 2015 das Universitätsklinikum Leipzig aufsuchten: »Dabei fiel zunächst auf, dass sich Frau-zu-Mann-Transsexuelle deutlich früher um die Lösung ihres Identitätsproblems bemühen als Mann-zu-Frau-Transsexuelle.« Das Durchschnittsalter der Frau-zu-Mann-Transsexuellen betrug beim Erstkontakt 26,4 Jahre, bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen jedoch 35,5 Jahre. »Das ist auch verständlich und nachvollziehbar, da diese Personen aufgrund der Identifikation durch die bereits in der Kindheit praktizierte männliche Kleidung deutlich weniger Verdrängungsversuche unternehmen müssen als die Personen, die als Mann geboren wurden, sich aber wie eine Frau fühlen und meist nur heimlich erste Versuche in der weiblichen Kleidung unternehmen.«1091 Diese psychotherapeutische Wahrnehmung widerspricht der Kortes, dass es auffällig sei, dass es plötzlich so viele junge Transmänner im Verhältnis zu jungen Transfrauen gäbe. Der Psychologe Seikowski erkennt in der Wissensgesellschaft, mit ihren zahlreichen wissenschaftlich-fachlichen Expertisen und ebenso erfahrungsbasierten Selbstauskünften, die zunehmende Möglichkeit, dem eigenen Befinden und den eigenen Bedürfnissen eine Begrifflichkeit zu geben: »Viele Transsexuelle sind zunehmend in der Lage, die eigene Situation selbst analysieren zu können. Dadurch kann es jedoch auch zu Kompetenzkonflikten mit den sich dafür zuständig fühlenden Fachleuten kommen. Hier wäre eine zunehmende Zusammenarbeit von Fachleuten mit Betroffenen zu wünschen, um in Zukunft Konflikte und Missverständnisse mehr als bisher zu vermeiden.«1092

1091 Seikowski (2016): S. 303. 1092 Seikowski (2016): S. 302.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Die Aussage Seikowskis steht somit diametral jener von Korte entgegen, der Selbstdiagnosen als etwas prinzipiell Schlechtes und Unhaltbares auslegt. Hier kann vertiefend darauf hingewiesen werden, dass jede Therapie und jeder Gang in eine ärztliche Praxis mit einer Selbstdiagnose beginnt, dass irgendetwas mit dem Körper oder der Psyche nicht mehr in Ordnung ist und einer genaueren Betrachtung bedarf. Selbstdiagnosen bedeuten Selbsterhaltung und den Wunsch auf Expertise, wodurch sie keineswegs im Widerspruch zur wissenschaftlichen Diagnose gesehen werden sollten, sondern als ein Teil dieser oder genauer, als die Grundlage dieser. Eine Psychotherapie hält Seikowski nur dann für zielführend, wenn diese von einer transgeschlechtlichen Person gewünscht wird. Hier sei jedoch zu unterscheiden, welche Bedürfnisse die entsprechende Person in die Therapie führen, ob es sich um Bedürfnisse im Kontext der Transgeschlechtlichkeit handelt oder um die allgemeine psychische Gesundheit.1093 Zu guter Letzt bleibt darauf zu verweisen, dass auch heute schon die Begutachtung von transgeschlechtlichen Menschen im Rahmen der gesetzlich geforderten Bedingungen für einen Personenstandswechsel entlang von Selbstauskünften stattfindet, da es keine weiteren belastbaren Instrumente zum Nachweis einer Identität gibt, als die Aussagen der Person selbst.

4.3.5 Menschenwürde: Selbstbestimmung vs. Kontrolle Als weiteres Gegensatzpaar werden die persönliche Selbstbestimmung und die staatliche Kontrolle diskursiv hergestellt. Auch in diesem Rahmen wird auf mögliche persönliche Fehlentscheidungen hingewiesen und damit das Recht des Staates gestärkt, in rein persönliche Entscheidungen eingreifen zu können, demnach auch persönliche Entscheidungen begleiten und überwachen zu dürfen. Problematisch gestaltet sich in diesem Zusammenhang, dass dies nur Entscheidungen betrifft, die von einer willkürlich gesetzten gesellschaftlichen Norm abweichen. So reglementiert der Staat das Adoptieren von Kindern, schaut, dass die Eltern keine psychischen oder medizinischen Krankheiten haben, die sie von ihrem Sorgeauftrag abhalten können, dass sie nicht zu alt sind, während diese Hürden beim biologischen Zeugungsakt nicht gleichermaßen anfallen. Auch bei Eheschließungen finden sich Beispiele, denn während regulär Paare beim Standesamt das Aufgebot bestellen können und erhalten werden, müssen künftige Ehepartner*innen mit verschiedenen Nationalitäten oder Aufenthaltstiteln eine Reihe an Überprüfungen über sich ergehen lassen. Dementsprechend kann festgehalten werden, dass eine Selbstbestimmung staatlich nur dann unterstützt und zugestanden wird, wenn es sich um einen gesellschaftlichen Normbereich handelt – sollte jedoch dieser Normbereich verlassen werden, rechtfertigt dies eine staatliche Kontrolle. Problematisch ist nur, dass dieser Sachverhalt nicht explizit benannt wird. Einige Stellungnahmen führen in diesem Kontext eine Verletzung der Menschenwürde an. Baer erkennt die Menschenwürde als eine über die individuelle Würde hinausgehende dignitas, da diese mehr umfasse als rollenbezogene Anstandserwartungen. Volker Schürmann verweist darauf, dass es ein gewisses Paradoxon sei, einerseits die Würde des Menschen als unverlierbares Gut, als rechtlich versicherte Mitgift zu verstehen

1093 Vgl. Seikowski (2016): S. 308.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

und gleichzeitig von einer Entwürdigung, also dem Verlust der Menschenwürde zu sprechen.1094 Baer spricht von einer Verletzung der Menschenwürde, weil diese eben nicht verlustig sei gleichzeitig aber darauf verweise, dass sie einem Angriff ausgesetzt, eine Vulnerabilität erzeugt. Die Menschenwürde ist mit Baer darüber hinaus nur eine quasi-juridische, da sie normativ funktioniert und nicht regelmäßig zu begründen sei, aber immer auf juristische Texte referiere, – bspw. die Menschenrechtserklärung Art. 1 »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« – und von dieser weitere würdige Praxen ableitet und unwürdige Praxen kritisiert würden.1095 Entlang der begrifflichen Verwendung erfolge zudem eine Bedeutungsverschiebung: »Was als Verletzung der Menschenwürde thematisiert wird, ist auch das, was vorher anders oder nicht genannt worden ist und was nicht anders als mit ›Menschenwürde‹ benannt werden kann. Die Menschenwürde ist ein Residuum für die Einordnung von Unrechtserfahrungen, die anderswo keinen Ort finden.«1096 Der Rückgriff auf die Menschenwürde dient somit als Metapher und drückt in Absolutheit und mittels skandalisierender Wirkung die Unrechtbehandlung aus und hat die appellative Funktion einen Missstand zu beheben, da dieser nie gegen eine Einzelperson, sondern gegen die Menschheit im Ganzen gehe. Neben dieser Referenzfunktion habe die Menschenwürde auch eine juristische Funktion, wobei in diesem Zusammenhang die juristische Exegese auseinander gehe, da die einen die Menschenwürde als Grundrecht verstehen und die anderen darin mehr ein Prinzip erkennen.1097 Christoph Enders erkennt die Menschenwürde als ein Recht, Rechte zu haben.1098 Im Grundgesetz Art. 1 Abs. 1 »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt« erkennt auch Baer eine Fundamentalnorm, da diese durch Art. 1 Abs. 2 »Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt« entlang der Verwendung des darum als Voraussetzung für alle nachfolgenden Grundrechte zu verstehen sei. Somit erhält die Würde des Menschen einen Wertcharakter, welcher jedoch das Problem mit sich bringe, dass er sich auf eine Wertordnung beziehe, welche als pluralistische und entwickelnde einer hermeneutischen Deutung bedürfe.1099 Aus diesem Grund, so Baer, falle »eine Deutung von Menschenwürde als Wert sehr weit hinter das zurück, was Grundrechte eigentlich leisten sollen, denn ein Wert lässt sich dogmatisch kaum aktivieren.«1100 Baer sieht hierin den Grund dafür, warum das BVerfG immer wieder darauf hinweist, dass kein Grundrecht isoliert betrachtet werden könne, sondern immer in Abwägung mit den Rechten und Interessen anderer betrachtet werden darf, weshalb das Grundrecht Menschenwürde als ein abwägungsoffenes Grundrecht gelten müsse.1101 Diese Abwägung erkennt Baer jedoch nicht im Aushandeln

1094 1095 1096 1097 1098 1099 1100 1101

Vgl. Schürmann (2014): S. 802. Vgl. Baer (2005): S. 572. Baer (2005): S. 573. Vgl. Baer (2005): S. 575. Vgl. Enders (1997): S. 501ff. Vgl. Baer (2005): S. 578. Baer (2005): S. 579. Vgl. Baer (2005): S. 579.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

darum, was Menschenwürde ist, sondern im Abwägen, ob es zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung entlang der Verletzung der Menschenwürde kommt, bspw. durch Missachtung, Demütigung, Schmähung, staatlicher Willkür oder die Negierung der Gleichheit.1102 In diesen Beispielen müsse demnach ausgehandelt werden, ob bspw. die Missachtung auch eine Verletzung der Würde des Menschen darstellt. Schürmann erkennt in der Menschenwürde hingegen die Deklaration einer »unaustauschbare[n] Einmaligkeit der Person«, die mit Art. 2 Abs. 2 GG als Persönlichkeit benannt und in ihrer Entfaltung gleichfalls unter Schutz gestellt wird.1103 Keineswegs seien Schutz der Menschenwürde und Schutz der Persönlichkeit das Gleiche oder austauschbar, da im Gegensatz zur Menschwürde, als einer qua Geburt rechtlich zugesicherten Eigenschaft, die dem Menschsein Ausdruck verleiht, die Personalität auf den Status einer Person verweist, den sie aufgrund persönlicher Merkmale erhält, die durchaus kulturalisiert oder naturalisiert determiniert sein können.1104 Dementsprechend sichert die Menschenwürde als Grundrecht das Recht auf Rechte, was einem Individuum den Status einer Person erst zugesteht, und das Recht darauf, dass der demokratische Staat – dem die Grundrechte als Verfassung zugrunde liegen – Gesetze des Zusammenlebens hervorbringt, welche die Würde achten sowie garantieren und die Würde bei Verletzung mittels Rechtsprechung wiederhergestellt wird. Die Personalität hingegen muss sich erst entwickeln, was der demokratische Staat mittels Grundgesetzes in Achtung der Menschenwürde in Art. 2 Abs. 1 unter Schutz stellt.1105 Das Geschlecht ist somit Teil der Personalität1106 und wird durch die allgemeine Menschenwürde entlang der Persönlichkeitsentfaltung vor dem ungewünschten Einwirken von außen geschützt. In diesem Zusammenhang kann ein staatlicher Eingriff als Kontrolle von persönlichen Entscheidungen die Persönlichkeitsentfaltung durchaus beeinträchtigen, allen voran dann, wenn die Kontrolle nur normabweichende Entscheidungen betrifft.

4.3.6 Gesetzeskonflikte Wie bereits im zweiten Kapitel dargestellt, gibt es einige angrenzende Rechtsbereiche, die zu beachten sind, ggf. durch ihre Existenz auch zu Gesetzeskonflikten führen. Be1102 1103 1104 1105

Vgl. Baer (2005): S. 584. Schürmann (2014): S. 801. Vgl. Schürmann (2014): S. 804. Dies lässt sich hervorragend mit der Behindertenrechtskonvention und der Kinderrechtskonvention verdeutlichen, da hier die Würde des Menschen in besonderer Weise berücksichtigt wurde, da Menschen mit Behinderung als Personen einer Würdeverletzung ausgesetzt wurden, die sie in ihrer Personalität als Menschen mit Defekten an der freien Persönlichkeitsentwicklung hinderten (bspw. durch Unterbringung in Heimen, durch heimliche Verabreichung von Verhütungsmitteln etc.). »Die Behindertenrechtskonvention stellt in einer solchen historischen Situation nachdrücklich heraus, dass die Unterstützung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die Behinderte erwarten dürfen, Ausdruck einer Menschenrechtspolitik zu sein hat, nicht aber Gnadenbrot einer Wohlfahrtspolitik« (Schürmann [2014]: S. 810). Kinder werden somit einer Würdeverletzung ausgesetzt, die sie in ihrer Personalität infantilisiert, sie als unmündig zeichnet, wodurch ihre Persönlichkeitsentwicklung immer in Abhängigkeit zu ihren Erziehungsberechtigten und somit nicht selbstbestimmt ist. 1106 Vgl. Schürmann (2014): S. 811.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

sonders konfliktreich erscheinen in den Stellungnahmen das Abstammungsgesetz und damit zusammenhängend die Elternschaft. Hinsichtlich der Elternschaft werden die Mutterrolle und Vaterrolle klar an körperliche Merkmale gebunden, wenngleich es sich hier eigentlich um gesellschaftliche Rollen handelt, die aus der sozialen Interaktion abgeleitet werden. Im Fall von Transgeschlechtlichkeit führt die klassische Elternschaft zu einer Offenbarung der Transgeschlechtlichkeit, indem gebärende Väter als Mütter eingetragen werden und zeugende Mütter als Väter eingetragen werden. Bei Intergeschlechtlichkeit besteht bisher gar keine biologisch abgeleitete Elternschaft, wodurch die biologisch abgeleitete Elternschaft entkräftet wird und intergeschlechtliche Personen ebenfalls geschlechtlich binarisiert werden, da sie entlang der Fortpflanzungsorgane ähnlich wie transgeschlechtliche Personen zwangseingeteilt würden. Das wiederrum bedeutet für trans- wie intergeschlechtliche Menschen eine Offenbarung ihrer von der Geschlechtsidentität abweichenden Geschlechtsklassifizierung, vor welcher sie gesetzlich durch alle Gesetzentwürfe eigentlich geschützt werden sollten. Weiter wird problematisiert, dass die Gesetze vergessen, dass es Menschen gibt, die sowohl inter- als auch transgeschlechtlich sind, wodurch neue Rechtsunsicherheiten entstehen. Hinsichtlich des Abstammungsgesetzes haben Menschen ein Recht auf die Auskunft über ihre Abstammung. Im Fall von trans- bzw. intergeschlechtlichen Eltern bedeutet dies, dass ihre geschlechtliche Biografie offenbart wird. Dieses Problem könnte durch eine Überarbeitung der Gesetzgebung behoben werden, indem nicht mehr in Mutter und Vater unterschieden wird, sondern in Elternteil 1 und Elternteil 2. Das Bundeskabinett hat am 18. November 2022 den Aktionsplan »Queer leben« beschlossen. Elternschaft wird dort weiterhin als Mutter- und/oder Vaterschaft betitelt, wobei die Kategorien im Falle einer personenstandsrechtlichen Änderung frei gewählt werden dürfen und folglich auch zwei gleichberechtigte Mütter oder Väter gesetzlich zulassen, ohne dies über eine StiefkindAdoption erwirken zu müssen.1107 Dem in einigen Stellungnahmen geäußerten Konflikt zwischen dem staatlichen Gleichstellungsauftrag und dem Recht auf Selbstbestimmung muss hingegen widersprochen werden. Selbst wenn ein Mann missbräuchliche Absichten hätte und mittels PÄ in den Genuss einer Frauenförderungsmaßnahme kommen würde, so müsse diese Person mit einer erheblichen Schlechterstellung ihres gesellschaftlichen Status rechnen, da transgeschlechtliche Personen nach wie vor unverhältnismäßig oft von Diskriminierungen und Gewalterfahrungen betroffen sind.

4.4 Diskurs-Strategie Während die Diskursarenen die inhaltlichen Erkenntnisse zusammengefasst haben, sollen nun auch die Diskurs-Strategien betrachten werden, die in den Diskursbeiträgen ermittelt wurden. Neben der Konstruktion des Sozialen – in diesem Fall Geschlecht, Trans- und Intergeschlechtlichkeit – muss auch auf die Diskurssprache eingegangen werden. Abschließend zeigen sich entlang des Netz-Aktivismus eine gezielte Desinformation und damit verbundene Polarisierungstendenzen im Gesellschaftlichen. 1107 Vgl. Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (2022): S. 4.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

4.4.1 Konstruktionen Transgeschlechtlichkeit wird entweder als reine Handlung beschrieben, bspw. als der Geschlechtswechsel oder die Änderung des Personenstandes, oder aber mit dem Leiden am eigenen Körper und dem Wunsch nach einer geschlechtsangleichen Operation definiert. Es finden sich auch Stellungnahmen, die Transgeschlechtlichkeit als Lebensweise bezeichnen, die dadurch existiert, dass es Menschen gibt, die in der Binarität als Norm keinen Platz zugewiesen bekommen. Andere bezeichnen Transgeschlechtlichkeit als gesellschaftliches Phänomen, dass sich daraus ergebe, dass Menschen einer falschen Geschlechtskategorie zugewiesen wurden und sich mit dieser nicht identifizieren. Allerdings gibt es auch heteronormative Diskursakteure, die Transgeschlechtlichkeit entweder als Symptome einer anderen Wurzel, bspw. der Unterdrückung der eigenen Homosexualität, der Internalisierung von Frauenfeindlichkeit oder der Nachahmung bezeichnen, während andere Transgeschlechtlichkeit als Störung und Abweichung deklarieren und eine Pathologisierung vornehmen, indem Transgeschlechtlichkeit als psychische Krankheit oder bereits embryonale Fehlentwicklung definiert wird. Im Diskurs wird also deutlich, dass es ein Ringen um die begrifflichen Auslegungen von Trans- wie Intergeschlechtlichkeit, von Weiblichkeit wie Männlichkeit und darüber hinaus ein Ringen um Qualifizierungen und Deutungshoheiten gibt. Dabei finden sich immer wieder utilitaristische Argumentationen, welche das Wohlbefinden einer Mehrheit zugunsten des Wohlbefindens einer Minderheit gefährden. Im Diskurs muss aber auch festgestellt werden, dass es weder innerhalb medizinischer noch soziologischer oder psychologischer Fachkreise Einigkeit über die Definition des Geschlechts gibt, geschweige denn, dass es eine allgemeine Einigung zwischen den Disziplinen gibt. Was die Analyse jedoch zeigen konnte ist, dass eine vermeintliche Eindeutigkeit der Geschlechterbinarität entlang einer biologischen Essenz nur durch die Konstruktion einer körperlichen Uneindeutigkeit bei Intergeschlechtlichkeit erzeugt werden konnte, indem die im Aussehen außerordentlich variablen Genitalen bei intergeschlechtlichen Menschen als fehlgebildet und korrekturbedürftig beschrieben wurden. So konnte ein gesellschaftliches Ideal durch die Stigmatisierung einzelner Körper einen Normalismus produzieren, welcher geschlechtliche Eindeutigkeit vermeintlich beweisbar macht. Indem wiederrum der menschliche Körper anisogam binärgeschlechtlich differenziert wird, eröffnet sich erst die Zuweisung von Geschlechterstereotypen und -rollen, bspw. der gebärfreudigen Mutter, wodurch ein gesellschaftlicher Normdruck bei all jenen Menschen erzeugt wird, die diesen Eigenschaften und Erwartungen nicht entsprechen. Eine Erkenntnis, die in cisfeministischer Argumentation gänzlich fehlt und auf die Aussage verkürzt wird, dass der Körper unbestreitbar Geschlecht abbilde und vollkommen unabhängig von einer sozialen Erwartung sei, indem eine klare Abgrenzung von Natur und Kultur vorgenommen wird, die im Alltag schnell widerlegbar ist, da Menschen das, was naturgegeben ist, ausdeuten und sich entlang der Ausdeutung entwickeln, was einer psychischen Integrationsleistung entspricht, die immer entlang externer Bezugspunkte verläuft und demnach auf ein Wechselverhältnis von Natur und Kultur verweist, das nicht verlassen werden kann. Dementsprechend

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

ist es problematisch den Körper als eindeutige Geschlechtsdetermination1108 zu bezeichnen, da sich Personen mit diesem identifizieren müssen – allerdings ist es auch problematisch, die Geschlechtsidentität als unveränderbar und unbeeinflussbares1109 Persönlichkeitsmerkmal zu kennzeichnen, da die Persönlichkeit im Wechselverhältnis mit der Umwelt – also Gesellschaft und Körper – entwickelt wird und sich beide stetig verändern. Geschlechterrolle, Geschlechtsidentität, Körpergeschlecht und Geschlechtsklassifikation werden als strikt voneinander differenziert verstanden und gegeneinander in ihrer Bedeutsamkeit ausgespielt, statt sie in Verschränkung aufeinander bezogen und sich gegenseitig bedingend zu erkennen. Aus diesem Grund ist eine monokausale Ätiologie in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit ebenso verfehlt. In diesem Sinne entlang einer psychischen Störung auf ein gestörtes Körperbild und ein Leiden am falschen Körper definitorisch zu beharren, verkürzt das Phänomen, um so das binäre Erklärungsmuster vor dem gesellschaftlichen Wandel und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen in seiner Legitimität zu schützen, indem vereindeutigt wird, was einstmals von der vermeintlichen Eindeutigkeit abwich und nun als das Andere die Norm bekräftigen soll, und auch das Ringen um den Begriff der Intergeschlechtlichkeit, welcher aus queer-feministischer Perspektive auch biologisiert wird, wenn er als Beweis einer natürlich-gegebenen Geschlechtervielfalt gegen die binäre Ordnung ins Feld geführt wird, während die cisfeministische Position in Intergeschlechtlichkeit eine Störung bzw. Fehlentwicklung der biologischen Binarität erkennt. Geschlecht im Allgemeinen und Trans- wie Intergeschlechtlichkeit im Speziellen als Spektrum verstanden, eignen sich demnach nicht als Rechtskategorie, welche verlässlich und sicher ihren Geltungsbereich einhegen muss, um so eine eindeutige Rechtsfolge zu gewährleisten. In diesem Kontext nehmen einige Akteure ihre Argumentation als Ursprung für neue Konstruktionen nicht wahr: Alice Schwarzer denkt ihre Thesen nicht bis zum Ende durch und fragt auch nicht danach, welche Konsequenzen sich aus der Verschränkung der ROGD-Thesen und dem Schutzraum-Angstnarrativ ergeben. So fordert Schwarzer entlang des Schutzraum-Angstnarrativs weiterhin, dass transgeschlechtliche Frauen ihren Körper anpassen lassen müssen, womit Schwarzer ebenfalls echte von unechter Transgeschlechtlichkeit getrennt konstruiert und jene transgeschlechtliche Personen als echt bezeichnet, die ein »Leiden am falschen Körper« verspüren, weshalb sie diesen korrigieren wollen, während sie alle anderen – allen voran die transgeschlechtlichen Frauen – als potenziell mit gefährlichem Penis bewaffnet in Schutzräume eindringen sieht. Auf der anderen Seite nutzt Schwarzer das ROGD-Konzept und konstatiert, dass junge transgeschlechtliche Männer nicht transgeschlechtlichen seien und es sich stattdessen um junge Frauen handle, die an ihren Geschlechterrollen leiden, unter anderem an der Nicht-Erfüllbarkeit von Schönheitsnormen, die zu einem Gefühl führen würden, am Körper zu leiden. Hier allerdings beißt sich die Katze Schwarzer in ihren selbstkonstruierten Schwanz, denn sie selbst setzt das Leiden im und am Körper als Mindesterfüllung voraus, damit es sich per definitionem um Transgeschlechtlichkeit handelt. Das Gleiche gilt für Alexander Korte. Wäre das ROGD-Konzept auch nur im Geringsten existent, so würden beide Akteure dieses Phänomen mit ihren »Meinungen« verstärken. 1108 Vgl. Korte (2020): S. 4. 1109 Vgl. Adamietz; Bager (2016): S. 38.

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Interessant ist auch, wie sich Begriffe hinsichtlich ihrer Bedeutung verändern. So wurde der Begriff »genitalvereindeutigende Operation« ursprünglich bezüglich der Operationen an intergeschlechtlichen Personen verwendet, da die Operationen dazu dienten, das Geschlecht aus einem mehrdeutigen in einen eindeutigen Zustand chirurgisch zu modellieren. Der Begriff »genitalangleichende Operation« hingegen zielte auf Operationen ab, die dazu dienten, das Körpergeschlecht von transgeschlechtlichen Personen mit Transitionswunsch an ihre Geschlechtswahrnehmung anzugleichen. Vor allem in den Stellungnahmen zum Gesetzentwurf für einen Schutz von Kindern mit varianter Geschlechtsentwicklung erfolgt eine Neudefinition der Begriffe: Zunächst subsummierte der Gesetzentwurf mit dem Begriff »geschlechtsverändernder Eingriff« beide Begriffe, weshalb die vornehmliche Kritik hier Unschärfe unterstellte. Unter Vereindeutigung wird in dem Gesetzentwurf die Korrektur von vermeintlichen Fehlbildungen verstanden, was ebenfalls in den Stellungnahmen kritisiert wurde, da implizit eine Norm geschaffen werde, während jedoch keine rechtliche Differenzierung vorgenommen wird, ab wann von einer Fehlbildung respektive Normbildung gesprochen werden kann. Die Stellungnahmen verwenden die Begriffe nahezu übereinstimmend wie folgt: •



geschlechtsangleichende Eingriffe: hormonelle wie chirurgische Maßnahmen, um den Körper an der gesellschaftlichen Norm auszurichten, die nicht selbstbestimmt sind. geschlechtsvereindeutigende Eingriffe: hormonelle wie chirurgische Maßnahmen, die dazu dienen den Körper selbstbestimmt an das empfundene Geschlecht nach außen sichtbar anzupassen.

Selbstbestimmung wird mehrheitlich als Rückzug des Staates aus individuellen Entscheidungen oder Lebensentwürfen verstanden. Teilweise unterscheiden sich die Stellungnahmen in diesem Punkt darin, ob beispielsweise Eltern, Kinder oder Ehepartner*innen ein Recht auf Einwirken in individuelle Entscheidungen und Lebensentwürfe hätten. Eine Vielzahl der Stellungnahmen bezieht sich in Bezug auf die Selbstbestimmung auch kritisch auf die Deutungshoheit der Medizin und das Einwirken von gesellschaftlichen Normen, vor welchen ein Gesetz alle Menschen schützen müsste.

4.4.2 Diskurssprache Sprache sollte nach Pierre Bourdieu in ihrer symbolischen Wirkung nicht unterschätzt werden, da sie maßgeblich die Konstruktion der Wirklichkeit bedingt: »Über die Strukturierung der Wahrnehmung, die die sozialen Akteure von der sozialen Welt haben, trägt das Benennen zur Strukturierung dieser Welt selbst bei, und zwar umso grundlegender, je allgemeiner es anerkannt, das heißt autorisiert ist.«1110 Bourdieu verweist darauf, dass es nicht die einzelnen Wörter sind, welchen eine Macht innewohnt, sondern die Nutzung von Worten in Kombination und je nach Situation die außersprachliche Macht erzeugt: »Die Macht der Wörter ist nichts anderes als die delegierte Macht des Sprechers, und 1110 Bourdieu (1990): S. 71.

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seine Worte – das heißt untrennbar der Gegenstand seines Diskurses und seine Art zu Sprechen – sind allenfalls ein Beweis – neben anderen – der Delegationsgarantie, mit der er versehen ist.«1111 Würde der Annahme einer Neutralität der Wörter gefolgt, so müsste diese im Moment der Nutzung aufgegeben werden, da – um eine bestimmte Wirkung zu erzielen – bestimmte Wörter aus einer Vielfalt an Worten selektiert wurden. Bereits im Prozess der Klassifikation, in welchem Phänomene begrifflich erfasst werden, zeigt sich, dass Wörter nicht neutral sind, sondern willkürlich festgelegt werden etwas zu beschreiben, was ebenfalls nicht natürlich gegeben, sondern gesellschaftlich ausgedeutet ist. Reicht ein Wort nicht aus, um das Phänomen zu fassen, oder erweist sich dieses als wenig adäquat, werden weitere Wörter eingeführt, die durchaus in einen Bedeutungsstreit geraten können, was nach Bourdieu einen Verweis auf »Machtverhältnisse im Feld der Auseinandersetzung um die legitime Grenzziehung« darstellt.1112 Das jeweilige klassifizierende Wort bzw. die herrschende Definition wird vor allem dann anerkannt, wenn sie von anerkannten Autoritäten bestätigt wird.1113 Klassifikationen als solche sind ambivalent, denn auf der einen Seite schaffen sie Sichtbarkeiten, während sie auf der anderen Seite vor allem die Marginalisierung sichtbar machen und nicht die Repräsentation real existierender, distinkt wahrnehmbarer Gruppen ermöglichen.1114 Erst einmal sichtbar gemacht, bestimmt die Klassifikation die Wahrnehmung der Welt und kann – sofern sie von der Selbstwahrnehmung abweicht – als Fremdklassifizierung durchaus bekämpft werden.1115 Im vorliegenden Diskurs um das SelbstBestG konnten diese Kämpfe um die sprachliche Wirkung entlang von Fremd- und Selbstklassifikationen mehrfach ermittelt werden. Sei es die penible Kritik an gewählten sprachlichen Ausdrücken in den Gesetzentwürfen (bspw. »Körperbild« oder »Geschlechtsangleichung«1116 ) oder das Ringen um die sprachliche Bezeichnung der Klassifikation (»Transsexuell«, »Transsex«, »Transgeschlechtlichkeit«, »Transgender« oder »Geschlechtsinkongruenz«, »Geschlechtsdysphorie«) und die Definitionen, wenn Geschlecht bspw. wahlweise als biologisch, sozial oder psychologisch determiniert verstanden wird und Transgeschlechtlichkeit entweder als Inkongruenz von Fremd- und Selbstklassifikation oder als das krankhafte Erleben eines falschen Körpers verstanden wird. In diesem Zusammenhang wird vor allem über das bewusste Einsetzen von Begriffen, die von queerfeministischer Seite abgelehnt werden, eine Wirkung erzeugt. Diese sprachliche Strategie wurde vor allem im medialen Diskurs, vereinzelt aber auch im gesetzlichen und politischen Diskurs entdeckt, bspw. in den Stellungnahmen von Alexander Korte und der Womens Right Campaign oder in den Bundestagsbeiträgen der AfD. Das Benennen von Transgeschlechtlichkeit als psychische Krankheit und der 1111 1112 1113 1114 1115 1116

Bourdieu (1990): S. 73. Bourdieu (1990): S. 98. Vgl. Bourdieu (1990): S. 97. Vgl. Bourdieu (1990): S. 99. Vgl. Bourdieu (1990): S. 99. Im Fall des Körperbildes lag die Kritik darin, dass damit die psychische Vorstellung vom eigenen Körper und eben nicht der physische Körper gemeint sind und Menschen im Rahmen ihrer Transition somit nicht mehr zu berücksichtigen wären. Im Fall der Geschlechtsangleichung ging die Kritik darauf ein, dass eine genitalverändernde Operation nicht das Geschlecht, sondern das Genital verändert.

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Intergeschlechtlichkeit als Störung oder Syndrom nehmen eine Pathologisierung vor, welche das bezeichnete Gegenüber bewusst stigmatisiert. Im medialen Diskurs fanden sich zudem Infragestellungen von Transgeschlechtlichkeit, indem Formulierungen wie »möchte sein«, »glaubt zu sein« oder »wäre gern« darauf verweisen, dass es sich um Wunschvorstellungen handelt, die nichts an der Realität des Geschlechts ändern werden. Auch das Aufdecken der ursprünglichen Geschlechtsklassifikation, durch Aussagen wie »wurde als Junge/Mädchen geboren« oder die Nennung des Deadname (abgelegter Name) nehmen soziale Platzierungen vor und missachten bewusst die Persönlichkeitsrechte des sprachlichen Gegenübers. All diese Beispiele lassen sich mit Paul Sailer-Wlasits als Verbalradikalismus verstehen: »Dort, wo Sprachhandlungen beginnen, zur Verletzungsgefahr durch Sprache zu werden, brechen Konkurrenzverhältnisse auf zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Gebot des Schutzes der Menschenwürde.«1117 Indem Sprache genutzt wird, um weitestgehend straffrei zwischenmenschliche (Intimitäts-)Grenzen zu überschreiten, wird Sprache radikal und das Wort zur Tat: »Sobald der Sprechende beginnt, sein Gegenüber zu bestimmen und auf bestimmte Identitäten festzulegen, übertritt er eine bedeutsame Grenze. Letztlich fehlt nur noch die explizite Herabwürdigung und das Definieren des Anderen als Gefahr für das je Eigene, damit definitiv Verletzungsgefahr besteht – sei es durch Sprache (zunächst) und physisch (in der Folge).«1118 Somit wird das Wort selbst dann zur Tat, wenn es sich nicht um eine Straftat wie eine Beleidigung oder Hassrede (Hate Speech) handelt. Mit besonderer Ambition wird der Verbalradikalismus dann als das Recht auf freie Meinungsäußerung deklariert und die eigene Extremposition als demokratische Partizipation verklärt. »Der Übergang vom Wort zur Tat bleibt jedoch ein qualitativer Sprung. Dieser ist nicht aus einer einzigen Ursache herleitbar, sondern entspricht Vorgängen von sich gegenseitig verstärkenden Sprechakten, kumulativen Wirkungen von Sprachhandlungen, aus semantischen Auf- und Überladungen und aus daraus ableitbaren Handlungsanweisungen.«1119 Doch es bleibt nicht beim Äußern, sondern wird zur sprachlichen Strategie, wenn bspw. medienwirksam ein Vortrag einer der Verfasserinnen des Welt-Beitrags zum ÖRR inszeniert wird, da es den Anschein hat, dass dieser Vortrag einzig zu dem Zweck gehalten wird, die erhitzte Debatte zum Implodieren zu bringen, da die Kritik am Vortrag und ein mögliches Absagen als Cancel Culture benennbar werden und somit der Vortrag als Motor einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung dient, indem im Anschluss von allen cisfeministischen Akteuren darauf beharrt werden kann, der Vorfall der Vortragsabsage und späteren Vortragsverschiebung sei ein Beweis für die starke Translobby und Genderideologie, die in diesem Land herrscht.1120 Eine Ideologie meint eine dogmatische Haltung, die darauf beharrt, dass 1117 1118 1119 1120

Sailer-Wlasits (2019). Sailer-Wlasits (2019). Sailer-Wlasits (2019). In diesem Fall bezieht sich das Beispiel auf den Vortrag der Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die im Juli 2022 an der Humboldt Universität Berlin ihren Vortrag »Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt« halten wollte. Kurz zuvor erschien der vielfach kritisierte Welt-Gastbeitrag, in dem auch Vollbrecht mitwirkte, ohne eine Expertise für die besprochenen Inhalte zu besitzen. Der zunächst auf Grundlage vielfältiger Kritik abgesagte Vortrag wurde nachgeholt, wobei die Vortragende, die als Wissenschaftlerin

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das eigene Weltverständnis, die eigene Ausdeutung die einzig wahre, einzig legitime sei. Im Diskus konnte innerhalb der queerfeministischen Position keine Haltung als allumfassend zustimmungswürdig und alle Aussagen determinierend festgestellt werden. Anders sieht es bei der cisfeministischen Position aus, die Geschlecht allumfassend als biologisch determiniert binär versteht und alle weiteren Deutungsangebote als unwissenschaftlich, falsch oder als Lügen bezeichnet. In diesem Kontext geschieht ein Angriff auf das Existenzrecht aller von der Binarität abweichenden Geschlechter und muss mit Judith Butler als Hate Speech (Hass Rede) verortet werden. Nach Butler bringt Sprache mittels Anrufung das Individuum hervor, erkennt es an oder missachtet es, beraubt es seiner einzigartigen Existenz: »Die sprachlichen Bezeichnungen, die die Anerkennung ermöglichen, sind ihrerseits konventional, d.h. die Effekte und Instrumente eines gesellschaftlichen Rituals, die oftmals durch Ausschluss und Gewalt über die sprachlichen Bedingungen einer Überlebensfähigkeit der Subjekte entscheiden.«1121 Butler verknüpft die Sprachhandlung hier mit der Verantwortlichkeit des Sprechenden, womit weniger die moralische Ebene umfasst wird, also die Frage danach, ob ein Wort als Diskriminierungswort verstanden wird, sondern auf die ethische Ebene abgezielt wird, in jeder Sprachsituation kontextabhängig zu überlegen, ob ein Wort verletzen könnte, und dementsprechend nach geeigneteren Worten zu suchen.1122 Die Verantwortlichkeit liegt somit in der Sprachmacht, denn: »durch den Namen, den man erhält, wird man nicht einfach nur festgelegt. Insofern dieser Name verletzend ist, wird man zugleich herabgesetzt und erniedrigt«.1123 Nach Butler trägt jedes Wort das Potenzial verletzend zu sein, je nachdem, wem gegenüber und wie es gebraucht wird. Das liegt Butler zufolge daran, dass in der Benennung ein vorläufiger ontologischer Status verliehen wird.1124 So kann es auch dazu kommen, dass Menschen eine Benennung – bspw. als transgeschlechtlich – beibehalten, weil sie sich selberst damit zum Ausdruck bringen können und eine gesellschaftliche Existenz erlangen, wenngleich sie den Effekt der Veranderung durch diese Benennung – demnach auch das Markieren eines Abweichens von der Norm – strikt ablehnen. Butler definiert Hass Rede daher als Anrufung durch anstößige Begriffe, mit denen ein diskursiver Ort der Gewalt abgesteckt wird, wobei diese Gewalt »jeder Äußerung, die sie gleichsam in Szene setzt« vorausgeht.1125 Somit gelten nicht nur Beleidigungen und Diskriminierungen als Hass Rede, sondern alle sprachlichen Formen von Verletzungen, somit auch Beschreibungen, die als verletzend gelten, da sie mittels Benennung eine konstituierende Macht entfalten.1126 Demnach ist

1121 1122 1123 1124 1125 1126

auf ihre Wissenschaftsfreiheit beharrte, es dann ablehnte, der wissenschaftlichen Kultur entsprechend Fragen zu beantworten oder an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Die vehemente Kritik an Vollbrecht führt nach Eigenaussage der Biologiedoktorandin dazu, dass sie sich nicht mehr sicher fühlt, weshalb sie einen Spendenaufruf startete, um gegen Verleumdungen zu klagen (htt ps://www.gofundme.com/f/rechtshilfe-marieluise-vollbrecht). Auch hier geht Vollbrecht diskursstrategisch mittels Täter-Opfer-Umkehr vor. Butler (2006): S. 16. Vgl. Butler (2006): S. 50. Butler (2006): S. 10. Vgl. Butler (2006): S. 48. Butler (2006): S. 49. Vgl. Butler (2006): S. 52f.

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das bewusste Verwenden von stigmatisierenden oder pathologisierenden Begriffen, wie es innerhalb den geschlechterkonservativen Positionen üblich ist, nach Butler klar dem Spektrum der Hass Rede zuzuordnen. Während einige Akteure im SelbstBestG hier unken, ihnen sei die stigmatisierende Wirkmacht nicht bewusst gewesen und dass sie ausschließlich medizinische Begriffe verwendet haben, kann bei Akteuren wie Alexander Korte und Alice Schwarzer durch ihr Tätigkeitsfeld davon ausgegangen werden, dass sie über dieses Wissen verfügen. Am Beispiel Kortes sind es demnach bewusst gewählte Worte wie »Störung der körperlich-sexuellen Entwicklung (vormals Intersexualität […]) und Menschen mit geschlechtsbezogenen Identitätskonflikt (Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie, Transsexualität)«1127 . Dies kann unter anderem damit bewiesen werden, dass Korte durchaus andere adäquatere Begriffe zur Hand hat und diese sogar gleichzeitig benennt, indem er bspw. von »Störungen/›Varianten‹ der Geschlechtsentwicklung (DSD)«1128 spricht und so den Begriff Störung als neutralen und somit legitimen Begriff einzuführen sucht. Eine ähnliche sprachliche Strategie Kortes zielt auf die Vermischung und Synonymisierung von Begriffen wie Gender und Geschlechterrolle, da nur so die eigene Argumentation glaubwürdig wird. Der Vorwurf, es handle sich um Verbalradikalismus oder Hass Rede, bleibt jedoch prekär, da die Gegenseite strategisch vorgeht, indem sie vornehmlich mehrdeutige Aussagen tätigt, welche dann je nach Wirkung relativierbar sind und sich somit jedem Prädikat einer Bewertung/Beurteilung entziehen. Diese Strategie muss in dem Vorhaben kontextualisiert werden, mittels anschlussfähiger Themen bisher liberale oder konservativ-unpolitische Bürger*innen zu mobilisieren. Indem Geschlecht und Sexualität thematisch gewählt werden, ist im Prinzip jede Person innerhalb der Gesellschaft angesprochen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie von Abou-Chadi et al., in welcher Social-Media-Beiträge politischer Parteien hinsichtlich des Keywords gender untersucht wurden.1129 Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass vor allem rechte und konservative Parteien unter den Stichworten »Gender-Ideologie«, »Woke« und »Cancel Culture« Geschlecht und sexuelle Identität als Instrument für eine politische Mobilisierung entdeckt haben und mittels konstruierter Bedrohungsnarrative vor allem die vermeintlich interventionistische Bildungspolitik der »Trans-Lobby« anvisieren, die sich darum bemühe, traditionelle Familien und heterosexuelle wie binärgeschlechtliche Lebensformen abzuschaffen. Zudem konnte die Studie nachweisen, dass vor allem geschlechterkonservative Positionen Geschlecht zum Thema ihrer Politik machen, während geschlechterplurale Positionen Geschlecht deutlich weniger thematisieren.1130 Vermeintlicher Schutz von traditionellen Familien bedeutet immer auch eine Reproduktion von stereotypen Geschlechterrollen, weshalb Feministinnen sich überlegen sollten, ob sie Allianzen mit rechten Mobilmachungen eingehen wollen, die sich mit dem Vorwurf der Gender-Ideologien als anschlussfähigem Thema vor allem darum bemühen, rechte Ideologien in der breiten Öffentlichkeit offen thematisieren zu können, ohne dabei

1127 1128 1129 1130

Korte (2020): S. 2. Korte (2020): S. 6. Vgl. Abou-Chadi et al. (2021): S. 311. Vgl. Abou-Chadi et al. (2021): S. 312f.

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als rechtspolitische Akteure in Erscheinung zu treten. Das Gleiche gilt für die Ablehnung der Sexualpädagogik, die ebenfalls in Verbindung mit der vermeintlichen Trans*Lobby verstanden wird, welche Kindern und Jugendlichen entgegen ihrer natürlichen Geschlechtlichkeit und Sexualität widernatürliche, traumatisierende oder abartige sexuelle wie geschlechtliche Lebensweisen aufzwinge, um diese so gemäß einer »Gender-Ideologie« umzuerziehen.1131 Das so geschaffene Bedrohungsszenario legitimiert vermeintlich eine Gegenwehr, die jedoch vielmehr einen Angriff darstellt, da es die Bedrohung gar nicht gibt, denn sonst wären nach jahrzehntelanger Unterrichtung heteronormativer Inhalte Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit usw. nicht mehr existent. Auch hier müssen sich schwul-lesbische Interessenverbände und Akteure fragen, ob ein Schulterschluss nicht vielmehr gegen das eigene Existenzrecht schießt.1132 Neben den Verbalradikalismen, die zu einer Verrohrung der Sprache im politischen Diskurs führen, finden sich auch personalisierte Angriffe, wenn bspw. einzelne Personen der gegnerischen Partei, welche in höchstpersönlicher Weise mit dem Sachgegenstand verbunden sind, als Stellvertreter*innen für die vermeintliche Ursache des Konflikts ins politische Schlaglicht gezerrt werden. Als Beispiel finden sich hier die unsäglichen Demütigungen, die Tessa Ganserer als Stellvertreterin einer vermeintlichen Trans-Lobby und Sven Lehmann als Stellvertreter einer vermeintlichen Queer-Ideologie über sich ergehen lassen müssen – selbst in einem institutionell durch Konventionen des gemäßigten Miteinanders geprägten Raum wie dem Bundestag. Durch die Aktivierung von Angst-Narrativen in Verbindung mit Verbalradikalismen und Hass Rede wird eine Moral-Panik erzeugt. »Moral Panic«, dt. moralische Panik ist ein Begriff von Stanley Cohen (1972), mit welchem er jenes Phänomen kennzeichnet, bei dem Personengruppen oder -kategorien innerhalb der Öffentlichkeit als Bedrohung der moralischen gesellschaftlichen Ordnung wahrgenommen werden und ihnen die Schuld für einen moralischen Werteverfall zugeschrieben wird. Cohen erkannt bereits 1972 in seinem Werk »Folk Devils and Moral Panics«, dass die moralische Panik einer eigensinnigen Dynamik folge. So zeige sich in den Medien eine Sensationslust, deren Fokus vor allem problemorientiert sei und schlechte Zukunftsprognosen ausstellt, was zur Folge habe, dass Menschen den Wunsch nach sozialer Kontrolle entwickeln. Dies wiederrum habe zur Folge, dass die gesellschaftliche Feindseligkeit, bspw. Belästigungen und Gewalt gegenüber der vermeintlich gefährlichen Personengruppe, zunehme und sich Initiativen vermeintlich aus Besorgnis heraus gründen, welche die Rechte der entsprechenden Personenkategorie einschränken wollen.

4.4.3 Netz-Aktivismus Im SelbstBestG-Diskurs konnte mit dem Netz-Aktivismus ein weiterer Befund herausgearbeitet werden, der hier nur angerissen werden kann und prinzipiell einer eigenen Analyse bedürfte. Dieser Netz-Aktivismus drang in den öffentlichen Medien-Diskurs, als die Presse vermehrt über die Verschiebung eines universitätsinternen Vortrags der

1131 Siehe das Dossier zum passenden Weltartikel von Korte, Vollbrecht et al. 1132 Vgl. bspw. die LGB-Allianz und Alice Schwarzer.

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Promovendin Marie Luise Vollbrecht im Rahmen der »Langen Nacht der Wissenschaften« an der Humboldt Universität Berlin berichtete und dies nicht immer entlang der Fakten. Schnell war die Rede von einer Absage und ebenso einer Cancel-Culture seitens des Arbeitskreises kritischer Jurist*innen (akj Berlin). Der Arbeitskreis hatte im Vorfeld des geplanten Vollbrecht-Vortrags zu Gegenprotesten aufgerufen und dies unter anderem damit begründet, dass Vollbrecht, die als Biologie-Promovendin zu Fischen forscht, nun einen Vortrag mit dem Titel »Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt« halten wolle und sich im Vorfeld mehrfach transfeindlich auf Twitter äußerte, wobei dies verschränkt betrachtet werden müsse, da Vollbrecht ebenfalls Mit-Autorin des umstrittenen und aktivistisch-motivierten Dossiers gegen den ÖRR Rundfunk sei: »Dass die HU Berlin einer bekanntermaßen trans*feindlichen Referentin eine Bühne bietet, ist skandalös! Marie-Luise Vollbrecht hat als Co-Autorin eines Artikels in der Welt bereits deutlich gemacht, was sie von geschlechtlicher Selbstbestimmung hält: Sie vertritt eine überkommene biologistische und starr zweigeschlechtliche Sichtweise, die heute auch in der Biologie eine Randmeinung darstellt«,1133 schlussfolgerte Stefanie Richter, die Pressesprecherin des akj Berlin. In einer Stellungnahme im Nachgang der Proteste, welche nunmehr als Cancel-Culture-Vorwurf (Zensur-Vorwurf) in sämtlichen Medien ausgerufen wurden, erwiderte der akj Berlin, dass in diesem Kontext die Meinungsfreiheit mit der Widerspruchsfreiheit verwechselt werde: »Marie-Luise Vollbrecht hat das Recht, ihre Thesen mit jedwedem Publikum zu teilen, das sich diese anhören will. Sie hat allerdings keinen Anspruch darauf, dies unwidersprochen und im Senatssaal der HU zu tun. Des Weiteren verwechseln sie Meinungen mit Tatsachen. Vollbrecht plante keine Meinungsdarstellung ihrer Anschauungen zum Thema Geschlecht, sondern vielmehr eine Darstellung von (angeblichen) Tatsachen. Tatsachen sind allerdings nur soweit von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt, wie sie einer gewissen faktischen Grundlage nicht entbehren. Das kann von Vollbrechts Thesen nicht behauptet werden.«1134 Der Zensur-Vorwurf darf in seiner Wirkmächtigkeit nicht unterschätzt werden, da Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit im Kontext deutscher Geschichte beide hart erkämpfte Rechte sind. Die Verschiebung des Vortrags wurde von Vollbrecht und ihrem Dossier-Umfeld nachfolgend genutzt, um mittels Zensur-Vorwurf das eigene geschlechterbinäre Denksystem in den Medien sichtbar und hörbar zu machen. In Folge dessen etablierte sich schnell der Hashtag #MarieHatRecht auf Twitter. Es dauerte nicht lange, bis Vollbrecht erneut mit transnegativen Äußerungen auf Twitter aktiv wurde, und so schrieb Vollbrecht unter die Verlinkung eines Artikels mit dem Thema »Transidentität/Transsexualität im Nationalsozialismus«: »Ich hasse dieses Narrativ.

1133 https://akj.rewi.hu-berlin.de/index.php?post=studierende-geschlossen-gegen-transfeindlichkei t-n-gegenprotest-gegen-marie-luise-vollbrecht (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1134 https://akj.rewi.hu-berlin.de/index.php?post=statement-zum-protest-des-akj-gegen-transfeind lichkeit (letzter Zugriff: 1.12.2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Es verspottet die wahren Opfer der NS Verbrechen« und auf Kritik an dieser Aussage führte Vollbrecht fort: »Was konnten Juden tun [sic] der Vernichtung zu entgehen? Und was konnten Transsexuelle tun. [sic] Vielleicht kommst du drauf [sic] was du grade hier durchscheinen lässt.«1135 Als Reaktion darauf etablierte sich der Hashtag #MarieLeugnetNS-Verbrechen, da es – so Dana Mahr – eine Strategie der neuen Rechten sei, »Opfergruppen des Nationalsozialismus miteinander zu vergleichen, um sich dann mit einem Hinweis auf die jüdischen Opfer ablehnend gegenüber diesen Gruppen zu äußern und diese Ablehnung als moralisch überlegen zu stilisieren.«1136 Vollbrecht sammelte daraufhin per Crowdfunding Spenden für Rechtshilfe, um »rechtliche Schritte gegen Verleumdungen im Zusammenhang mit meinem abgesagten Vortrag über Biologie und die Evolution der zwei Geschlechter« zu ergreifen.1137 Und so dauerte es nicht lange, bis Vollbrecht in Vertretung des Medienanwalts Ralf Höcker unter anderem den Bundesverband trans* und den dgti e. V. abmahnte,1138 die ihrerseits nun den Weg der Klage gingen. Nachdem Vollbrecht zunächst den ersten Prozess gewann, urteilte das Landgericht Köln am 9.11.2022, dass der Hashtag hinzunehmen sei, da der Tweet »dahin gehend zu verstehen [ist], dass es sich bei transsexuellen Menschen nicht um Opfer von NS-Verbrechen handelt« und somit leugnet, dass auch Transvestiten und transgeschlechtliche Personen Opfer von NS-Verbrechen waren.1139 Vollbrecht selbst beklagt täglich, wie sehr sie unter den – in der Tat oftmals sehr feindlichen, diffamierenden – Widersprüchen ihrer Person gegenüber leidet, allerdings muss hier betont werden, dass Vollbrecht nicht nur die Öffentlichkeit gesucht hat, sondern dort auf ihrer Plattform mittels transnegativer und -feindlicher Aussagen ein Klima des Hasses geschaffen hat, also damit rechnen musste, dass andere dieses Klima ähnlich hasserfüllt zurückspiegeln. In diesem Kontext bleibt der Hinweis, dass Hass als Wurzel von Diskriminierungen niemals mit Hass zu bekämpfen ist, da dies die Wurzel selbst reproduziert, allerdings die Opferkonstruktion Vollbrechts in diesem Kontext als Strategie verstanden werden kann, da so das Interesse an ihrer Person anhält. Die Verbreitung eines Hashtags bedeutet nicht nur eine bessere Vernetzung, sondern ebenso eine politische Haltung in einem Schlagwort zum Ausdruck zu bringen und demgemäß schneller verbreiten zu können. Als »Ausdrucksformen gesellschaftlicher Positionen« müssen Hashtags als politische Handlungsformen verstanden werden, die zur digitalen Sichtbarkeit verhelfen:1140 »Grundlegendes Ziel einer Bündelung von Tweets unter einem Hashtag im Rahmen von Protestaktionen ist es, durch die inhaltliche Sammlung von Tweets eine neue oder andere Sichtweise zu etablieren […].«1141 Da vor allem das Internet im Fokus der ROGD-These steht und als Ort der Manipulation von 1135 Beide Kommentare: Twitter, Frau Summer, @Froillein_VogelV. 1136 https://www.fr.de/politik/vollbrecht-transfeindlichkeit-leugnung-von-ns-verbrechen-expertinn en-zur-causa-vollbrecht-91912793.html (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1137 https://www.gofundme.com/f/rechtshilfe-marieluise-vollbrecht (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1138 https://www.schwulissimo.de/neuigkeiten/der-streit-um-das-geschlecht-fall-vollbrecht-humbol dt-universitaet-droht-eine-klage (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1139 https://www.tagesspiegel.de/berlin/prozess-um-tweet-zu-ns-verbrechen-umstrittene-biologinder-humboldt-uni-unterliegt-vor-gericht-8863906.html (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1140 Koster (2020): S. 443. 1141 Koster (2020): S. 444.

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Jugendlichen betrachtet wird, wie bspw. der Welt-Gastbeitrag und das dazugehörige Dossier offenbaren, handelt sich bei dem #MarieHatRecht um eine vermeintliche Wieder-Aneignung eines öffentlichen Raumes. Der Hashtag #MarieHatRecht verweist zunächst nicht offensichtlich auf die politische Haltung der binären Geschlechterordnung. Allerdings unterstreicht der Hashtag den Verdacht, dass die Verschiebung des Vortrags im Nachgang von den Unterstützer*innen Vollbrechts als Aktivismus genutzt wurde und so besonders schnell auf den vermeintlichen Vorfall des Cancelings aufmerksam gemacht werden konnte. Die Mischung aus Skandalisierung und Hashtag-Verbreitung kennzeichnen den Netz-Aktivismus der cisfeministischen Akteure. Weitere Hashtags sind #TeamBiologie, #BiologieZaehlt, #TeamRealität, #GenderIdeologie, #GenderGaga welche inhaltlich das geschlechterbinäre Denkmuster wiedergeben, indem geschlechtliche Binarität als Wahrheit der Natur benannt wird und Varianten als Abweichungen, nicht aber als neues Geschlecht verstanden werden. Die Hashtags #GayNotQueer, #LesbenHabenKeinenPenis, #FrauenSagenNein summieren rein identitätspolitische Inhalte, die Exklusion fordern; so bspw. die Exklusion von transgeschlechtlichen Frauen aus Frauenräumen (Frauenhäuser, Saunen, Toiletten und Umkleiden), aber auch aus lesbischen Räumen, mit dem Verweis, nicht mit einem Penis konfrontiert werden zu wollen. Weitere Hashtags wie #Pubertaetsblocker, #Umerziehung, #Fruehsexualisierung und #lgbtPropaganda beziehen sich inhaltlich auf die Abschaffung der Aufklärung von Kindern und Jugendlichen über Geschlecht und Sexualität. Der Hashtag-Aktivismus sollte nicht unterschätzt werden, da Einzelne durch das Markieren oder Retweeten von Beiträgen »am Erfahrungsaustausch teil[nehmen] und versuchen so gemeinsam diskursiven Wandel herbeizufuhren«.1142 Die – in Selbstaussage vermeintlich durch eine Minderheit unterdrückte Mehrheit – hat im digitalen Raum die Sprachmacht und -gewalt inne. Keiner der Hashtags ließ Rückschlüsse auf tatsächlich erlebte Negativerfahrungen zu, vielmehr wurden Mythen und Vorurteile verbreitet, die auf vermeintlich zukünftige Gewaltfälle durch transgeschlechtliche Personen hinweisen, die jedoch nicht durch Quellen belegt werden können. Die verschriftlichten Ängste werden als solche nicht benannt, sondern als reale Tatvorgänge beschrieben, wodurch eine Reihe an Falschinformationen auf Twitter kursieren. Ein weiteres großes Thema ist das Undoxing, was zunächst vor allem transgeschlechtliche Personen traf, indem deren Klarnamen und Meldeadressen offen gepostet wurden, und im weiteren Verlauf als Gegenreaktion nun auch cisfeministischen Personen wiederfährt. Der Netzaktivismus durch die geschlechterbinären Akteure konstruiert auf Twitter eine populistische Gegenöffentlichkeit. Toralf Staud definiert die Gegenöffentlichkeit als »ein dynamisches Universum abgeschotteter Informationsveröffentlichung und -rezeption, in dem ein eigenes Bild der Wirklichkeit konstruiert wird.«1143 So verweisen die Hashtags #TeamRealität und #GenderIdeologie auf die Wahrnehmung, Medien und Staat würden die Wahrheit unterdrücken, um eine ideologische Sichtweise gegen die Mehrheit durchzusetzen, worauf unter anderem die Hashtags #Umerziehung und #lgbtPropaganda Bezug nehmen. Der Netz-Aktivismus zeigt mit der Aneignung von 1142 Fielitz; Steammler (2020): S. 431. 1143 Staud (2016).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

Hashtags der geschlechterpluralen Akteure ebenfalls den Versuch öffentliche Räume zu besetzen, um sich so als Gegenöffentlichkeit1144 gegen die »vorherrschende Öffentlichkeit« zu formieren und unbedarfte Menschen zu informieren und aufzuklären, um diese vor der mutmaßlichen Gender-/Queer-Ideologie zu schützen. Somit ergänzt der Netz-Aktivismus die Öffentlichkeitsarbeit von Gruppierungen wie der Demo für Alle. Auch queerfeministische Akteure nutzen auf Twitter Hashtags: #TSGabschaffen, #Queerfeindlichkeit und #Transfeindlichkeit bemühen sich um eine Aufklärung über Diskriminierungen und Vorurteile, beziehen sich jedoch inhaltlich oft auf transfeindliche Inhalte der zuvor skizzierten Hashtags. Zudem finden sich hier deutlich weniger Tweets, als unter den geschlechterbinären und cisfeministischen Hashtags, was erneut darauf schließen lässt, dass es den großen Transaktivismus als breite Bewegung nicht gibt. Unter den Hashtags #MarieLeugnetNSVerbrechen, #Frühsexualisierung, #Umerziehung finden sich Gegenreden und Protest gegen die transnegativen und -feindlichen Äußerungen der geschlechterbinären und cisfeministischen Akteure. Vor allem der Hashtag #MarieLeugnetNSVerbrechen bekam wie zuvor beschrieben eine breite mediale Öffentlichkeit. »In digitalen Gesellschaften, in denen die Produktion, Kontrolle und Zirkulation von Informationen eine zentrale Herrschaftskomponente darstellt [sic], erscheinen die verschiedenen Kommunikationsräume im Internet zusehends als Orte der öffentlichen Auseinandersetzung.«1145 Geschlechterbinäre Denksysteme erhalten durch den digitalen Aktivismus von konservativen, cisfeministischen, christlich-fundamentalen Akteuren eine größere politische Handlungsfähigkeit, als queere Akteure, weshalb der Vorwurf des Ausgeliefertseins gegenüber einer Trans-Lobby eine Falschbehauptung darstellt. Neben dem Hashtag-Aktivismus finden sich weitere digitale Aktivismus-Formate; so bspw. der Klick-Aktivismus als »individuelle Produktion und Verbreitung von politischen Aussagen und Meinungen in den Teilöffentlichkeiten sozialer Medien«1146 und der Kampagnen-Aktivismus als »eigenständige Berichterstattung«, als »das gezielte Produzieren und Verbreiten von Medieninhalten, -formaten und -materialen bleiben« als »probate Mittel für die Mobilisierung«.1147 Auch hinsichtlich des Klick-Aktivismus – also bspw. das Spendensammeln (siehe die Causa Vollbrecht) oder die Eröffnung von Petitionen (bspw. Initiative Geschlecht Zählt) – und hinsichtlich des KampagnenAktivismus – bspw. das Dossier gegen den ÖRR und die Canceling-Behauptung im Zuge der Verschiebung des Vollbrecht-Vortrags – zeigen sich die geschlechterbinären Akteure deutlich aktiver. Während auf Twitter vor allem geschlechterbinäre Akteure eine Plattform finden, sieht es bei Instagram anders aus. Hier finden sich viele transgeschlechtliche Menschen, welche die Öffentlichkeit suchen, um politisch auf Transfeindlichkeit aufmerksam zu machen und darüber hinaus Bildungsarbeit zu leisten, indem sie über Transgeschlechtlichkeit aufklären. Prägnant zu nennen wären hier hanahavanna, paulninusnaujoks, Tessa Ganserer und FaulenzA. Alle nutzen dabei andere Strategien; sei es FaulenzA als

1144 1145 1146 1147

Vgl. zum Gegenöffentlichkeitsbegriff: Schwaiger (2022); Niehr (2019). Fielitz; Steammler (2020): S. 428. Fielitz; Steammler (2020): S. 430. Fielitz; Steammler (2020): S. 433.

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transweibliche Rapperin, die mitunter über ihre transgeschlechtlichen Erfahrungen rappt, sei es hanahavanna, die vor allem in Talkrunden die Transfeindlichkeit anprangert, oder paulninusnaujoks, der mit seinem Roman »Männer und Zerbrechlichkeiten« auch der Frage nachgeht, wie transmännliche Männlichkeit in der Gesellschaft einen Platz finden kann.

4.4.4 Desinformation und Polarisierungstendenzen Die Bundesregierung spricht von einer Desinformation, wenn Falschinformationen das Ziel haben, »Menschen vorsätzlich zu täuschen oder zu beeinflussen und gezielt verbreitet werden«.1148 Weiter weist die Bundesregierung darauf hin, dass Desinformationen so täuschend echt wirken können, weil sie nicht immer frei erfunden sind, sondern sich auf – aus dem Zusammenhang gerissene – zugespitzte Informationen beziehen, die wesentliche Informationen weglassen und so einen falschen Eindruck erzeugen. Vor allem die Angstnarrative im Diskurs entsprechen Desinformationen, sei es – bezogen auf Kinder und Jugendliche – die Falschinformation, dass diese durch das SelbstBestG eine genitalangleichende Operation und Hormonbehandlung erhalten, oder in Bezug auf Frauentoiletten, -saunen und -umkleiden, dass diese Ort durch die Möglichkeit eines hürdenarmen Personenstandwechsels zur potenziellen Gefahr für Frauen würden. Aber auch in dem Angstnarrativ der gefälschten Frauenquoten finden sich eine Reihe an Falschbehauptungen; bspw., dass Tessa Ganserer auf einem Frauenquoten-Platz im Bundestag sitze, wobei es bisher (Stand 2022) keine solche Frauenquote im Bundestag gibt. Ebenfalls die fehlende Belegbarkeit von Tatsachen-Behauptungen und die – zu großen Teilen – einseitige Mediendarstellung, in welcher vor allem problematisierende, skandalisierende und exotisierende Thesen immer gleicher Akteure des geschlechterbinären Denkmusters (so bspw. Korte, Schwarzer, Engelken, Vollbrecht usw.) vorgetragen werden, verweisen auf eine Desinformation der Bevölkerung in Bezug auf das SelbstBestG, Diese Desinformation setzt sich ihrerseits aus einer strukturellen Verbreitung von Falschinformationen zusammen, mit der Absicht Angst in der Bevölkerung zu erzeugen, das Bild zu vermitteln, es handle sich bei der geplanten Gesetzgebung um eine Unverhältnismäßigkeit. Eine Desinformation, die derart verdichtet ist, kommt einer gezielten Täuschungsabsicht gleich. Eine Falschinformation sollte jedoch nicht mit einer gezielten Lüge verwechselt werden, da zum einen nicht nachvollziehbar ist, woher die Falschinformation stammt, welche durch die Personen geäußert werden. Möglicherweise greift eine Person aufgrund eines Bestätigungsfehlers (confirmation bias) auf eine selbst recherchierte Falschinformation zurück, gerade weil sich durch diesen Rückgriff ihr geschlechterbinäres Denkmuster zu bestätigen scheint und sich so sehr gut in die eigene Argumentationslogik fügt, oder die Falschinformation hat bei der Person selbst das Gefühl der Angst hervorgerufen, weshalb sie diese nun umso mehr verbreitet. Problematischer sind hingegen wissenschaftlich arbeitende Personen, die durchaus in der Lage sein sollten, eine Behauptung einer Tatsachenprüfung zu unterziehen und diese entlang aller wissenschaft1148 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/umgang-mit-desinformation/was-ist-desinf ormation-1875148 (letzter Zugriff: 20.11.2022).

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

licher Erkenntnisse zu überprüfen. Im vorliegenden Themenbereich müsste die Antwort dann lauten, dass es keine übereinstimmende Tatsachenbehauptung geben kann, bzw. das Konstrukt »Geschlecht« derart komplex ist, dass es mehrperspektivisch kaum einzuhegen ist. Treten Akteure hingegen als vermeintliche Expert*innen auf und umkämpfen ohne Belegbarkeit ihre Aussagen als Fakten, verläuft dies an der Grenze zur Demagogie. Bereits Hannah Arendt erkannte, dass Meinungen leicht zu widerlegen sind, während behauptete Tatsachen oft hartnäckig seien: »Die Schwierigkeit liegt darin, daß Tatsachenwahrheit wie alle Wahrheiten einen Gültigkeitsanspruch stellt, der jede Debatte ausschließt, und die Diskussion, der Austausch und Streit der Meinungen, macht das eigentliche Wesen allen politischen Lebens aus.«1149 Politisches Denken hingegen ist als repräsentatives Denken daran geknüpft, dass das Denken anderer auch präsent ist: »Eine Meinung bilde ich mir, indem ich eine bestimmte Sache von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachte, indem ich mir die Standpunkte der Abwesenden vergegenwärtige und sie so mitrepräsentiere.«1150 Arendt unternahm hier jedoch keineswegs den Versuch, Meinungen über Fakten zu stellen, vielmehr kritisiert Arendt die Tatsachenbehauptung als Strategie, einen Diskurs als letztgültig für beendet zu erklären, womit zwangsläufig Exklusionen erzeugt werden. Interessanterweise bedienen sich ausschließlich die geschlechterbinären Akteure dieser Strategie, während die geschlechterpluralen Akteure immer wieder darauf hinweisen, dass das SelbstBestG nichts an den Geschlechterkategorien »Frau/Mann« ändern wird, dass diese nach wie vor als identitäre Heimaten zur Verfügung stehen, abgesehen davon, dass sie ihre Exklusivität verlieren, da die Deutungshoheit über die eigene geschlechtliche Heimat nun bei jeder Person selbst liege. Und auch Niklas Luhmann verweist in seinem Werk »Die Politik der Gesellschaft« bereits auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen hin, welche aus der Zunahme gesellschaftlicher Komplexität hervorgehen und schlussfolgert: »Das neue Problem wird neu formiert mit der neuen Unterscheidung von strengem Wissen (epistéme) und Meinungswissen (dóxa). Im ersten Bereich kann niemand beanspruchen, auf wahre Weise eine andere Meinung zu vertreten; seine Meinung kann widerlegt werden. Im Bereich des Meinungswissens dagegen gibt es das übliche, von den meisten geteilte Meinen, das man jedoch durch eine geeignete Technik provozieren und gegebenenfalls ins Wanken bringen kann, um Terrain für andere Meinungen freizulegen.«1151 Die Falschinformationen im Diskurs knüpfen an das bisher strukturell hervorgebrachte binäre Geschlechterwissen an und versuchen mittels Desinformation eine Bevorzugung des Meinungswissen zu erzeugen, indem Zensurvorwürfe (Cancel-Culture) die in Gefahr geratene Meinungsfreiheit fokussieren, während im Diskurs so unbemerkt Falschinformationen als Meinungswissen gefestigt werden können.

1149 Arendt (1972): S. 61. 1150 Arendt (1972): S. 61. 1151 Luhmann (2000): S. 271f.

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Das »Kompetenznetzwerk Hass im Netz« hat die Prozesshaftigkeit in der Verbreitung von Desinformationen untersucht und fünf Phasen herausgearbeitet:1152 (1) Zunächst erfolgt in Phase eins eine Initiation, das heißt, es gibt ein bestimmtes Ereignis, weshalb Ideolog*innen, Medien oder Interessenverbände beginnen Desinformationen zu entwickeln. Im vorliegenden Diskurs ist der SelbstBestG-Entwurf das Ereignis, welches als Grundlage für die Desinformationskampagne dient. (2) Es erfolgt die Produktion von Desinformationen als zweite Phase, wobei hier auch auf bereits existierende Desinformationen aus anderen Kontexten zurückgegriffen werden kann. Im vorliegenden Diskurs wird deutlich, dass verschiedene Akteure entsprechend ihrer gesellschaftlichen oder beruflichen Rolle ebenso verschiedene Falschformationen anbieten – so arbeitet die CisFeministin Schwarzer mit Falschinformationen zu Frauenrechten; bspw. mit der Behauptung, Frauenräume seien nun in Gefahr, während Mediziner wie Korte das ROGD-Konzept als Tatsachenbehauptung anbieten, wenngleich dieses mehrfach widerlegt wurde, und Biologinnen wie Vollbrecht, die Zweigeschlechtlichkeit als vermeintlich natürliche Tatsache ins Feld führen. (3) In der dritten Phase erfolgt das Platzieren, indem die Falschbehauptungen gezielt veröffentlicht werden, um so eine entsprechende Wirkung zu erzielen. Die geschlechterbinären Akteure suchen im vorliegenden Diskurs die breite Öffentlichkeit und lancieren wahlweise in Onlineund Print-Medien wie EMMA, Welt usw. und ebenso mittels Netzaktivismus (Causa Vollbrecht) auf Internetplattformen wie Twitter, die mittels kurz gehaltenen und somit prägnanten Aussagen und re-tweet-Möglichkeit eine rasche Verbreitung finden. (4) Ein Vorgang, der in Phase vier überleitet: das Verbreiten. Hier werden die Desinformationen geteilt, kommentiert, geliket und empfohlen. Dadurch erhalten sie in kürzester Zeit eine sehr große Reichweite, da mittels Micro-Targeting Inhalte passgenau auf die Nutzer*innen zugeschnitten angeboten werden und so der Confirmation Bias aktiviert wird. (5) Das überführt in die fünfte Phase, die Phase der Beeinflussung, indem Menschen die Desinformation aufnehmen und sich gegen diese positionieren – wie bspw. die geschlechterpluralen Akteure – oder diese als Meinung übernehmen bzw. sie in ihre Haltungen und Einstellungen integrieren und damit die gesellschaftliche Realität ausdeuten. Das Kompetenznetzwerk weist darauf hin, dass Desinformationen als Phänomen keineswegs neu seien, allerdings im digitalen Raum eine ganz andere Wirkung entfalten, da digitale technologische Strukturen »zumeist so gebaut [sind], dass intransparente Algorithmen Inhalte personalisiert ausspielen und Meinungen sich somit gegenseitig in so genannten Echokammern verstärken«.1153 So bemühen sich Desinformationen darum, die eigene Wahrheit als einzige zu erzeugen, wodurch langfristig zwei Lager entstehen; jenes Lager, dass diese Wahrheit als einzig richtige akzeptiert, und jenes, dass diese Wahrheit als falsch bezeichnet. Durch den Netzaktivismus und das dominante Auftreten mancher geschlechterbinärer Akteure wird unteressen ein Bedrohungsgefühl bei jenen Menschen erzeugt, auf deren Rücken dieser Kampf um Wahrheit geführt wird, da

1152 https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/infografik-desinformation/ 20.11.2022). 1153 Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz (2022): S. 4.

(letzter

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4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

trans- und intergeschlechtliche, aber auch a- und nicht-binär-geschlechtliche Menschen verstärkter Exklusion und zunehmender Feindlichkeit ausgesetzt werden: »Gibt es keine geteilte Wahrheit – oder auch kein Bestreben danach – bleiben einander ausschließende Positionen nebeneinander stehen, Dialog wird unmöglich. […] Gleichzeitig bereitet ein absoluter Wahrheitsbegriff den Weg für Dogmatismus, Autoritarismus und Intoleranz. Wichtig in einer Demokratie sind die gemeinsame Suche nach sinnvollen Perspektiven auf gesellschaftliche Wirklichkeit und der respektvolle Umgang mit Unterschiedlichkeit.«1154 Wenngleich es sich bei den aktiven Akteuren mit geschlechterbinärem Denksystem um eine kleine Gruppe handelt, so konnte die Analyse des digitalen Netzwerks Twitter beweisen, dass es lohnenswert ist, in der gesellschaftlichen Mitte, gekennzeichnet von einem sehr unterschiedlichen Geschlechterwissen, um Befürworter*innen für die geschlechterbinären Denkmuster zu werben. So entsteht im Gesamteindruck eine bewusst gesteuerte Polarisierung der Einstellungen innerhalb der Bevölkerung, die sich in Extremform auch in einer Zunahme von Transfeindlichkeit niederschlägt und zusätzlich den Eindruck schafft, dass die politischen Parteipositionen von SPD, FDP, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen einheitlich und ohne eigene Positionierungen scheinen, wodurch für Menschen mit geschlechterbinärer Einstellung nur noch die CDU/CSU und die AfD wählbar erscheinen. Die Polarisierung auf gesellschaftlicher Ebene vermag es also, die vormalige Polarisierung auf parteipolitischer Ebene zu kompensieren, indem in populistischer Manier mittels Skandalisierung der Parteipolitik als Top Down Entscheidungsinstanz ein vermeintlicher Gegensatz zu den Bedürfnissen der Wähler*innen konstruiert wird, wodurch diese politisch mobilisiert werden. Dass die Mobilisierung – wie unsere Analyse zeigen konnte – hauptsächlich entlang von Falschinformationen oder stark verkürzten Theorien erfolgt, ist für viele Bürger*innen nicht direkt ersichtlich. Roose konstatiert in diesem Zusammenhang, dass es eine endlose Anzahl politischer Fragen gibt, bei denen die Meinungen auseinander gehen können, und gerade spezielle Einzelfragen eine große Bedeutung erlangen können, weil diese Kontroversen über Grundsätzliches entfesseln.1155 Schmelzle unterscheidet auf horizontaler Achse die themenbezogene von der gruppenbezogenen Polarisierung. Letztere generiert sich über Sympathien und Antisympathien, bspw. dass AfD-Wähler*innen eine generelle Ablehnung gegenüber Bündnis 90/ Die Grünen-Wähler*innen zeigen,1156 aber auch in der Zunahme von Hass Rede. PaaschColberg und Strippel verstehen »Hate Speech aus empirisch-analytischer Perspektive sowohl als Ausdruck als auch als Katalysator gesellschaftlicher Polarisierung«.1157 Mittels Hass Rede lasse sich nicht nur eine Polarisierung zum Ausdruck bringen, sondern gar eine Spaltung der Gesellschaft herbeiführen. Themenbezogen entzündet sich die Polarisierung unterdessen an Sachfragen und aktiviert politische Überzeugungen. Auf der vertikalen Achse finden sich Polarisierungen zwischen der vermeintlichen politischen Elite,

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Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz (2022): S. 5. Vgl. Roose (2022): S. 300. Vgl. Roose (2022): S. 305ff. Paasch-Colberg; Strippel (2022): S. 388.

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welche über die breite Bevölkerung entscheidet.1158 Der vorliegende Diskurs zeigt beide Polarisierungsebenen, so findet sich entlang des Sachgegenstandes SelbstBestG eine Polarisierung von geschlechterbinärem und geschlechterpluralem Denksystem, welche sowohl im Bundestag als auch in der breiten medialen Öffentlichkeit zu Tage tritt, während die Polarisierung von politischer Elite und breiter Bevölkerung vor allem in der medialen Öffentlichkeit, bspw. der Zeitschrift Welt oder dem digitalen Netzwerk Twitter, erzeugt wird. Einzelne Akteure nutzen diese Polarisierung nun, um die demokratische Legitimität anzuzweifeln, was eine erneute Prekarisierung von Minderheiten bedeutet, da nun noch weniger sichergestellt werden kann, »dass die Interessen der jeweiligen Minderheit im weiteren Verlauf des demokratischen Prozesses weiter Gehör finden« und »die Mehrheit Zurückhaltung bei dem Gebrauch ihrer Macht übt«.1159 Schmelzle knüpft hier an die regulative Idee der Gemeinwohlorientierung an, welche besagt, »dass demokratische Herrschaft auch gegenüber dem politischen Gegner rechtfertigungsbedürftig bleibt und Entscheidungen intersubjektiv nachvollziehbar begründet werden müssen.«1160 Im Fall des SelbstBestG gibt der Staat die Herrschaft über das Geschlecht, einem höchst privaten Gestaltungsbereich, ab und überlässt die Individuen einer Selbstregulation. Dass nun einige politische Akteure darum bemüht sind, an dieser Herrschaft festzuhalten, sie dazu aber kein Mandat haben, »private Egoismen mit den Mitteln der öffentlichen Gewalt zu verfolgen«, widerspricht diesem Ideal der Gemeinwohlorientierung.1161

4.5 Transnegativität und Transfeindlichkeit im Kontext der Diskurse Autonomie aus dem Altgriechischen autós (Selbst) und nómos (Gesetz) übersetzt, bedeutet die Selbstgesetzgebung bzw. Selbstbestimmung. Das SelbstBestG greift im Titel mit dem Begriff der Selbstbestimmung einen wichtigen Parameter des aktuellen Zeitgeschehens aufs, der neben weiteren Parametern als Zeichen der Individualisierung gesehen werden muss und Anerkennungsverhältnisse nicht nur offener gestaltet, sondern auch prekarisiert. Während die vorgegebenen gesellschaftlich anerkannten Kategorien – im Falle des Geschlechts die Kategorien männlich/weiblich – an gesellschaftliche Erwartungen gebunden wurden, die bei Erfüllung Anerkennung und Inklusion bedeuteten und bei Nicht-Erfüllung in der Regel zu Missachtung und Exklusion führten, bedeutet Autonomie in diesem Kontext eine Freisetzung des Individuums aus vormals gesetzlich gefestigten sozialen Bedingungen (dejure) und ein gesellschaftliches Neu-Arrangement der Anerkennungsverhältnisse (defacto). Menschen haben durch Autonomie demnach mehr Möglichkeiten ihre Persönlichkeit frei zu entfalten, gleichzeitig entbehren sie jedoch auch zuverlässige Anerkennungsarrangements, mittels derer sie eine zufriedenstellende Beziehung zu ihrer sozialen Umwelt und zu sich selbst herstellen können. Die daraus hervorgehenden Unsicherheiten treffen alle Menschen, allerdings nicht gleichermaßen stark. Dejure Freisetzung ist nicht mit einer defacto Freisetzung gleichzustellen

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Vgl. Schmelzle (2021): S. 52. Schmelzle (2021): S. 53. Schmelzle (2021): S. 53. Schmelzle (2021): S. 53.

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und so kommt es, dass manche Menschen zwar Verunsicherung über die gesellschaftlichen Veränderung im Kontext der dejure Autonomie verspüren, während andere die Unsicherheit am eigenen Leib erfahren, indem Diskriminierungen und Gewalterfahrungen als defacto Versuche, die alte Ordnung wiederherzustellen, bestehen bleiben und ebenfalls in die Eigenverantwortung gelegt werden, statt sie als Gesellschaftsaufgabe zu betrachten. Während das Transsexuellengesetz die Rechtlosigkeit transgeschlechtlicher Menschen beendete, ist das Selbstbestimmungsgesetz eine Freisetzung aus verfassungsunkonformen gesetzlichen Vorgaben, welche ausschließlich transgeschlechtliche Menschen staatlich regulierten. Nunmehr gilt es also für alle transgeschlechtlichen Menschen, ohne Vorgaben und ohne Musterweg die gesellschaftliche Anerkennung der eigenen Geschlechtlichkeit zu erzielen. Auch der Schutz vor Diskriminierung und Gewalt wird prekarisiert, indem nun ein Rechtfertigungszwang entsteht. Welche Sanitärnutzung steht nun offen und wird die Diskriminierungserfahrung als solche anerkannt? All diese Bereiche bleiben von der Freisetzung nicht unbetroffen. Transgeschlechtliche Menschen werden häufig als Ursache für Unsicherheiten hinsichtlich der geschlechtlichen Wahrnehmung verstanden, wenngleich sie selbst die Binarität mit ihrer Existenz nicht immer in Frage stellen, sondern lediglich das Klassifikationssystem hinterfragen, das mittels Fremdzuschreibung zu falschen geschlechtlichen Eingruppierungen führt. Eingruppierungen sind zunächst auf Kategorisierungen angewiesen. Die soziale Vereinbarung von gesellschaftlich geteilten Kategorien dient hierbei der kognitiven Erleichterung und kann als schnell abrufbarer Ordnungsrahmen auch in komplexen Situationen die Interaktion erleichtern. So sehr Kategorisierungen zunehmend als einengend und unpassend empfunden werden, so haben sie dennoch einen Nutzen, denn ohne Kategorisierung müssten Menschen sich häufiger ausruhen und würden wie Säuglinge alle zwei Stunden schlafen. Mentale Abkürzungen sind jedoch in einer derart pluralisiert Welt nicht in der Lage individuelle Informationen abzurufen, weshalb sich immer mehr Kategorien herausbilden, die als adäquatere Sammelbezeichnung gesehen werden.1162 Alle Kategorisierungen sind darauf angewiesen, erkennbar zu sein, weshalb nach Eigenschaften und Merkmalen gesucht wird, mittels derer die Personen innerhalb der Kategorie versämtlicht werden können. Das bedeutet auch eine Abgrenzung von anderen Gruppen, wobei der anderen Gruppe häufig im Prozess einer Veranderung negative Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Stereotype können dabei aus tatsächlichen Annahmen oder aus Vermutungen resultieren.1163 Während Kategorisierung und Stereotypisierung als wechselseitiger Prozess auf der kognitiven Ebene wirken, wirken Vorurteile auf der affektiven Ebene, da sie eine Bewertungsdimension enthalten. Indem Eigenschaften negativ bewertet werden, können daraus Antipathien entwickelt werden, wenngleich – und das sagt bereits der Begriff des Vorurteils aus – diese Antipathien nicht auf Grundlage eines selbsterworbenen Wissens erzeugt werden, sondern schon im Vorfeld aktiv sind, die während der Sozialisation vermittelt wurden und sich häufig an gesellschaftlichen Normen orientieren.1164 Führen Vorurteile von der Ebene des Denken und Fühlens in eine Handlung, bspw. in eine Ausgrenzung, 1162 Vgl. Klauer (2020): S. 24ff. 1163 Vgl. Petersen; Six (2020): S. 21f. 1164 Vgl. Zick (1997): S. 150ff.

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Gewalt oder Würdeverletzung, wird die konative Ebene erreicht und es kann von einer Diskriminierung gesprochen werden.1165 Prinzipiell kann jeder Mensch diskriminiert werden, allerdings gibt es bestimmte Differenzkategorien, welche historisch auf eine anhaltende strukturelle Diskriminierung verweisen und eine historisch gewachsene Diskriminierungsart bilden; exemplarisch zu nennen wären hier Rassismus, Disableismus und Sexismus.1166 So wird bei einer Diskriminierung von Frauen – entlang der historischen Entrechtungen und teilweise auch Verfolgung – von Sexismus gesprochen. Unter Heterosexismus werden wiederrum alle Diskriminierungen verstanden, die sich gegen jene Menschen wenden, die von der Heteronormativität abweichen. Unter der Diskriminierungsart Heterosexismus finden sich verschiedene benachteiligte Personengruppen, so kann erneut bspw. zwischen Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit unterschieden werden.

4.5.1 Transnegativität und Transfeindlichkeit Vormals etablierte sich der Phobie-Begriff, allerdings handelt es bei einer Diskriminierung nicht um eine Angststörung, weshalb sich zunehmend der Begriff der Feindlichkeit etabliert. Von diesem zu unterscheiden ist der Begriff der Negativität, welcher sich nicht auf Diskriminierungen, sondern auf Vorurteile bezieht. Bezogen auf Transgeschlechtlichkeit kann demnach zwischen Transnegativität und Transfeindlichkeit unterschieden werden. In Zeiten einer pluralisierten Gesellschaft bringt das geschlechterbinäre Denkmuster vermehrt Transnegativitäten und -feindlichkeiten hervor. Transnegativität wäre bspw. die Wahrnehmung von transgeschlechtlichen Frauen als nicht-richtige oder nichtechte Frauen vice versa. Auch die pauschale Angst davor, dass Frauen mit einem Penis potenzielle Sexualstraftäterinnen sind, entspricht einer Transnegativität, ebenso wie die generalisierende Annahme, dass nur Menschen mit dem Erleben »eines falschen Körpers« wirkliche und echte transgeschlechtliche Personen seien, muss hier als transnegativ verstanden werden, genauso wie die Annahme, dass sich in den letzten Jahren extrem viele junge transgeschlechtliche Männer outen, was jedoch nie mit statistisch überprüfbaren Zahlen belegt wird. Alle diese Beispiele finden sich in dem vorliegenden Diskurs in vielfältiger Ausprägung und sind sehr schnell erkennbar an ihrer Bewertungsdimension, wenn bspw. von »Angst« gesprochen wird, von »wirklichen«, »echten«, »wahren« Frauen/Männern. Führt diese Transnegativität in eine Interaktion über, dann wird von Transfeindlichkeit gesprochen. Wird bspw. transgeschlechtlichen Männern abgesprochen, transgeschlechtlich zu sein, und stattdessen darauf geschlossen, dass jene die zugewiesene Geschlechterrolle ablehnen, und deswegen nach einer gründlichen Therapie gefordert, dann handelt es sich um eine Diskriminierung von transgeschlechtlichen Männern. Wird transgeschlechtlichen Frauen der Zutritt zu Frauenräumen verwehrt, weil sie möglicherweise einen Penis haben und diesen gewaltvoll als Waffe einsetzen, dann ist auch dies eine Diskriminierung. Auch die Ablehnung einen transgeschlechtlichen Menschen als Frau oder als Mann anzuerkennen, diesem also die geschlechtliche

1165 Vgl. Scherr (2016): S. 7ff. 1166 Vgl. Scherr (2016): S. 17ff.

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Existenz abzusprechen, stellt als Würdeverletzung eine Diskriminierung dar und dementsprechend eine Transfeindlichkeit. Die vorliegenden Erkenntnisse aus der Diskursanalyse zeigen, dass eine Differenzierung zwischen Feindlichkeit gegenüber Transweiblichkeiten und Feindlichkeit gegenüber Transmännlichlichkeiten nötig ist. Im Diskurs wurden bspw. unterschiedliche Falschbehauptungen angeboten, indem Transmännlichkeit mittels ROGD-Konzepts infantilisiert und Transweiblichkeit als Gefahr für Frauen zum Feindbild konstruiert wurde. »Wie andere Frauen auch, so sind trans* Frauen im erhöhten Maße Opfer von sexueller Gewalt. Nicht selten kommt es in diesen Fällen jedoch bei den Tätern zu einer zusätzlichen Aggressivität, wenn ihnen klar wird, dass das Opfer trans* ist. Immer wieder führt dies dazu, dass die Täter die Opfer ermorden. Lange Zeit ist dies vor Gerichten als ›mildernder Umstand‹ für die Täter bewertet worden. In den USA wurde hierfür der Begriff der ›gay panic defense‹ oder ›trans panic defense‹ geprägt: Es herrscht die Vorstellung, dass die Gewalttat eines Mannes verständlicher erscheint, wenn er ›herausfindet‹, dass die Frau, mit der er es zu tun hatte, (in seiner Vorstellung und auch der Vorstellung eines Großteils der Gesellschaft) ›eigentlich ein Mann‹ ist.«1167 Jagiella konstatiert, dass auch transgeschlechtliche Männer von Misogynie betroffen seien, da die patriarchalen Vorstellungen transgeschlechtliche Männlichkeit nicht als Männlichkeit akzeptieren und deprivilegieren: »Trans* Männer definieren mit ihrer Existenz eine neue Männlichkeit, die für klassische, misogyne, patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit eine Bedrohung darstellen könnte.«1168 Jagiella wünscht sich daher eine Abkehr von Identitätspolitiken hin zu solidarischen Forderungen. Dies begründet Jagiella damit, dass Identitäten im Allgemeinen immer höchst subjektiv sind und es so zu endlosen Streitereien kommt.1169 Hier vergisst Jagiella, dass Identitäten soziale Platzierungen darstellen und erst von einem sozial anerkannten Platz im sozialen Raum Solidarität eingefordert werden kann. Jagiella selbst argumentiert ebenfalls identitätspolitisch, wenn ein Perspektivwechsel gefordert wird, ohne dabei zu fragen, was passieren kann, wenn Damentoiletten von transgeschlechtlichen Frauen besucht werden, sondern danach zu fragen, was es bedeuten würde, wenn eine transgeschlechtliche Frau »gezwungen wäre, eine Herrentoilette zu benutzen«.1170 In dieser Forderung wird ein Ringen um einen anerkannten sozialen Platz deutlich, da nicht mehr nach Frauen in Damentoiletten gefragt wird, die möglicherweise durch eindringende Männer sexualisierter Gewalt ausgesetzt werden, sondern danach, wie es mit transgeschlechtlichen Frauen ist, die auf Herrentoiletten sexualisierten Übergriffen und Gewalt ausgesetzt werden. Erst durch diese Perspektivverschiebung wird die Identitätskategorie Trans* sichtbar und sagbar in dem zuvor binären Angstnarrativ.

1167 1168 1169 1170

Jagiella (2021): S. 11. Jagiella (2021): S. 11. Vgl. Jagiella (2021): S. 13. Jagiella (2021): S. 13.

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Majewski benennt die verbale Gewalt als eine Feindlichkeit, die viele transgeschlechtliche Menschen kennen, wenn bspw. Beschimpfungen wie »Tunte«, »Dreckshomo« oder »Schwuchtel« geäußert werden: »Diese Form der Aggression richtet sich vornehmlich gegen ›als trans weiblich gelesene‹ Menschen, trans Frauen, als verweiblichte Jungs gelesene Männer […]. Die Erfahrungen von als ›trans gelesenen‹ Menschen mit weiblich konnotierten Körpern, also beispielsweise trans Männer, weisen entsprechend der Misogynie unserer Gesellschaft vornehmlich einen anderen Inhalt der Gewalt auf: Die Vergewaltigungsandrohung.«1171 Im vorausgehenden Kapitel konnten innerhalb des Diskurses sowohl Verbalradikalismen als auch Hass-Sprache herausgearbeitet werden. Besonders wirkmächtig wurde Misgendering gegenüber Realpersonen verwendet. Einige Stimmen mit geschlechterbinärem Denkmuster zeigen sich vor allem gegenüber des Misgenderings als künftiger Ordnungswidrigkeit widerständig. Hierin kann der Versuch erkannt werden, selbst die binär-assimilierten transgeschlechtlichen Menschen eben nicht als Norm anerkennen zu müssen. Daria Majewski schreibt hinsichtlich der Bedeutung des Friedenschließens mit der transgeschlechtlichen Lebensgeschichte: »Eine Anpassung von trans Menschen an gesellschaftliche Konventionen ist zwar individuell möglich und kann zu Erfolgen führen, etwa wenn trans Menschen ihre Transitionsgeschichte unsichtbar machen und als ›normale‹ Männer und Frauen unbehelligt leben. Dabei gilt es zu beachten, dass diese Möglichkeit nicht nur Selbstverwirklichungscharakter hat, sondern für nicht wenige Menschen eine Überlebensstrategie darstellt. Dies kann man als Gewaltprävention durch Anpassung bezeichnen.«1172 Wenn also in der Louis/Schwarzer Herausgeberschaft durch Louis die Aussage erfolgt, dass in »Orwell’scher Neusprech-Manier das Leben vor der Transition des transitionierten Menschen quasi ausgelöscht« werde,1173 so muss dies als besonders gewaltvoller transfeindlicher Übergriff gesehen werden, der transgeschlechtlichen Menschen die Coping-Strategien verunmöglicht, da diese in den Kontext einer Täuschung des Gegenübers gestellt werden und so als eine unsoziale Strategie des zwischenmenschlichen Kontakts diese Überlebensstrategie verunmöglicht wird. Die transgeschlechtliche Rapperin FaulenzA berichtet von unsolidarischen Ausschlüssen aus Frauenräumen, weshalb auch Frauen mittels Trans*misogynie patriarchale Strukturen reproduzieren.1174 So schildert FaulenzA weiter, dass es immer noch ein unzureichendes Bewusstsein bzgl. diskriminierendem Verhalten gegenüber transgeschlechtlichen Personen innerhalb der queerfeministischen Community gäbe, auch würden die cisgeschlechtlichen Privilegien nicht reflektiert; darunter bspw. unbedarft schwimmen zu gehen, ohne nachzudenken die Toiletten zu nutzen usw.1175 Paul Ninus

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Majewski (2016): S. 184. Majewski (2016): S. 185. Louis (2022a): S. 27. Vgl. FaulenzA (2017): S. 13. Vgl. FaulenzA (2017): S. 14; S. 117.

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Naujoks ergänzt diese Beispiele um die Deprivilegierungs-Erfahrung von transgeschlechtlichen Menschen; bspw. wenn es um solche Situationen gehe, »wenn an der Supermarktkasse, der Hausärzt*innen Praxis, der Corona-Test-Station, der Fahrkarten- oder Polizeikontrolle der Verdacht auf Urkundenfälschung aufkommt, weil Persona und Personalien vermeintlich nicht übereinstimmen«.1176 FaulenzA schildert, dass transweibliche Personen häufiger nicht als Frauen gelesen werden, da sie – anders als transmännliche Personen – nicht von den großen Veränderungen der Hormoneinnahme profitieren. So würden transmännliche Personen von Hormonen profitieren, indem ihnen ein Bart wachse und die Stimme tiefer werde, während transweibliche Personen die oft schon tiefe Stimme trotz Hormoneinnahme behalten und auch der Bart bestehen bleibt. Transweiblichkeit sei somit sichtbarer und dadurch auch vulnerabler.1177 Dadurch, dass transgeschlechtliche Frauen häufiger von Klassismus betroffen sind, könnten sie sich die notwendigen plastischen Korrekturen nicht leisten und bleiben somit als transgeschlechtlich sichtbar:1178 »Wenn Du arm bist, hast du weniger Chancen auf ein Passing, und wenn du kein Passing hast, hast du weniger Chancen auf eine gute Arbeit.«1179 Doch auch Naujoks kennt die Verschränkung von Transfeindlichkeit und Klassismus aus der eigenen transmännlichen Lebensgeschichte: »So fing mein neues Leben mit flacher Brust an; ohne Job, ohne Geld, kurze Zeit später ohne Wohnung. Es folgten Trennungen von Bezugspersonen, doch ein Kreis von Menschen gab mir durchgehend Halt, fing ich auf und unterstützte mich.«1180 Besonders schmerzvoll ist nach FaulenzA die Erfahrung, dass Transweiblichkeit immer ausgeschlossen werde, entweder, weil der Körper als zu wenig weiblich gelesen werde, oder aber die Kleidung und Schminke als zu feminin und somit Stereotype reproduzierend gekennzeichnet werde, was FaulenzA als Feminitätsfeindlichkeit differenziert.1181 »Wenn eine cisFrau behaarte Beine hat, ist sie eine feministische Vorkämpferin. Bei einer trans*Frau sind behaarte Beine … na? … ›männlich‹!«1182 »Wenn eine cisFrau laut, selbstbewusst und raumeinnehmend im Plenum (Gesprächskreis) ist, dann wird das als emanzipiert, empowert und stark wahrgenommen. Aber wenn eine trans*Frau es schafft, im Plenum laut ihre Meinung zu sagen, dann ist sie dominant, mackerig und eben ›männlich‹.«1183 FaulenzA begründet dies mit einem internalisierten Selbsthass: »Eine Freundin hat es einmal so ausgedrückt, dass manche cisFrauen ihre weibliche Rolle ablehnen und sie diese Ablehnung dann auf transFrauen projizieren.«1184 FaulenzA selbst schildert, dass

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Naujoks (2022): S. 35. Vgl. FaulenzA (2017): S. 21. Vgl. FaulenzA (2017): S. 26. FaulenzA (2017): S. 28. Naujoks (2022): S. 9f. Vgl. FaulenzA (2017): S. 39. FaulenzA (2017): S. 45. FaulenzA (2017): S. 49. FaulenzA (2017): S. 40.

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sie keinen FLT*I*-Raum besucht habe, aus Angst vor den diskriminierenden Erfahrungen.1185 So schildert sie bspw. die Wahrnehmung, dass manche Frauenräume lieber transmännlichen als transweiblichen Personen Zutritt gewähren, was darauf verweist, dass Transweiblichkeit eigentlich als Männlichkeit und Transmännlichkeit eigentlich als Weiblichkeit gelesen werde, womit die geschlechtliche Existenz aberkannt werde. Oft geschehe dies mit der Begründung, die Personen seien weiblich oder männlich sozialisiert, ganz oft allerdings auch mit der Begründung, die Genitalien würden die Geschlechtlichkeit bestimmen, je nachdem, welches Passing bisher vollzogen wurde.1186 »Auch zeigt sich hier wieder das Cis-Privileg, definieren zu können, was und wer ›männlich‹ ist und wer ›weiblich‹«.1187 FaulenzA macht in diesem Kontext deutlich, dass grade die Sozialisation von transgeschlechtlichen Personen häufig als besonders schmerzhaft und gewaltvoll wahrgenommen wurde, da einige transgeschlechtliche Menschen schon früh wissen, dass sie dem sozialisierten Geschlecht nicht entsprechen und sich dennoch den gesellschaftlichen Vorgaben fügen müssen, um Anerkennung zu erhalten.1188 »Auch hatte ich nie Zugang zu empowernder Mädchenarbeit. Trans*weibliche Sozialisation heißt eben oft Diskriminierung ohne Support.«1189 Den Ausschluss aus Frauenräumen bezeichnet FaulenzA unterdessen als Reproduktion von Herrschaftsstrukturen, während sie durchaus verstehen könne, dass Frauen einen Raum frei von cismännlicher Unterdrückung brauchen, könne sie jedoch nicht verstehen, wieso dieser Raum jene Menschen ausschließt, die ebenfalls unter patriarchalen Strukturen leiden. FaulenzA vergleicht diese – für sie absurde – Haltung mit rassistischen Strukturen: »Es ist zum Beispiel auch vollkommen legitim, wenn sich Black People and People of Colour ohne weiße Menschen treffen. Es geht aber nicht klar, wenn sich weiße Menschen treffen und Black People and People of Colour ausschließen wollen.«1190 Und auch Naujoks schildert Ausschlüsse, sowohl aus lesbischen als auch aus schwulen Räumen: »Ich erinnere mich noch sehr genau an die ablehnenden Lesben, die absolut gar nichts davon hielten, als ich mich 2012 als trans Person outete und mich das spüren ließen. Ich habe erlebt, dass schwule Männer mich als Mann gänzlich ablehnten, fetischisierten oder Gewalt ausübten. In vielen Räumen, die offen für alle Geschlechter (abseits der cis Männlichkeit) sind, bin ich aufgrund meines Erscheinungsbilds nicht willkommen, obwohl sie eigentlich sichere Räume u.a. für trans Männlichkeiten sein wollen.«1191 Während FaulenzA in ihrem Buch vor allem die Trans*misogynie schildert, wird in Paul Ninus Naujoks Buch die Feindlichkeit gegenüber Transmännlichkeit thematisiert, die sich sowohl aus einem diskriminierenden Verhalten entlang der toxischen Männlichkeit gegen die Repräsentation von transgeschlechtlicher Männlichkeit richtet, aber auch

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Vgl. FaulenzA (2017): S. 41. Vgl. FaulenzA (2017): S. 56; S. 60. FaulenzA (2017): S. 60. Vgl. FaulenzA (2017): S. 62. FaulenzA (2017): S. 64. FaulenzA (2017): S. 66. Naujoks (2022): S. 42.

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in einer misogynen Feindlichkeit, indem Transmännlichkeit weiterhin als Weiblichkeit gelesen und abgewertet wird. Genau wie es FaulenzA vermutet, schildert Naujoks aber auch, dass transmännliche Personen gegenüber transweiblichen Personen eine Vielzahl an Privilegien genießen.1192 Ebenso sprechen beide von einer Exotisierung, da ihre Transgeschlechtlichkeit in Situationen eine besondere Relevanz erhält, in denen Geschlechtlichkeit im Allgemeinen eher nebensächlich wäre.1193 Besonders erhellend ist Naujoks Schilderung, dass er zunächst »versuchte, eine Lesbe zu sein«,1194 womit – wenn auch aus einer Einzelerfahrung bzw. -sicht – allen Vorurteilen widersprochen wird, es handle sich bei Transmännlichkeit um den Wunsch, nicht lesbisch zu sein, da hier vielmehr der Wunsch zu erkennen ist, nicht transmännlich zu sein.1195 Ebenfalls ähnlich zu FaulenzAs Schilderungen, welche hinsichtlich der Hürden bei einer Personenstandsänderung von einer Zwangstherapie spricht, schildert Naujoks die finanziellen Hürden im Kontext einer Personenstandsänderung und die Zumutung, vor Gericht die eigene Existenz erneut beweisen zu müssen, nach all den zuvor erfolgten Beweisen.1196 Naujoks hat den Personenstand daher noch nicht geändert, obwohl eine körperliche Transition schon fortgeschritten ist.1197 Durch die Inkongruenz aus optischer Erscheinung und Personenstand ergeben sich laut Naujoks im Alltag viele Zwangsouting-Situationen bspw. dann, wenn er eine Männertoilette oder Männerumkleide aufsucht. Auch das geliebte Fußballspielen musste Naujoks aufgeben, da er mit einem weiblichen Geschlechtseintrag im Personenstand nicht mehr im Männerteam spielen durfte. Auch im Internat wurde er im Mädchenbereich untergebracht, was sich angesichts des zwingenden Alltagstest als inadäquat herausstellte, weshalb Naujoks in einem katholischen Klosterstübchen untergebracht werden musste,1198 was im Übrigen auf eine lange Tradition verweist, da Klöster oft zum Rückzugsort für Menschen wurden, die von der Geschlechternorm abwichen. Naujoks schildert, dass vor allem der Alltagstest traumatisierend war: »da ich zu Beginn des Verfahrens von der Gesellschaft als weiblich gelesen wurde und mich damit mehreren Gefahren aussetzen musste. Ich wurde auf der Straße angespunkt [sic] und einmal ging es so weit, dass mir Gewalt in einem Schwimmbad in den Männerduschen widerfuhr. Gleichzeitig erlebte ich dadurch mehrfache Absprache meiner Identität, Beleidigungen und ich lebte eine Rolle, von der ich wusste, dass sie gewaltsam und toxisch für uns alle ist«,1199 womit Naujoks die stereotype Männlichkeitsvorstellung meint, welche er im Alltagstest zwangläufig bestätigen musste, um als Echt wahrgenommen zu werden. Weiter schildert Naujoks den Fall, dass die Krankenkasse mit dem Vornamenswechsel überfordert

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Vgl. FaulenzA (2017): S. 20; vgl. Naujoks (2022): S. 45. Vgl. FaulenzA (2017): S. 34; vgl. Naujoks (2022): S. 25f. Naujoks (2022): S. 14. Vgl. Naujoks (2022): S. 15. Vgl. FaulenzA (2017): S. 30; vgl. Naujoks (2022): S. 49ff. Vgl. Naujoks (2022): S. 15. Vgl. Naujoks (2022): S. 21f. Naujoks (2022): S. 22f.

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war und so zwei verschiedene Personenkarteien anlegte, wovon eine letztlich geschlossen wurde, da keine Geldeingänge verbucht werden konnten, was schließlich dazu führte, dass Naujoks wegen fehlender Krankenversicherung exmatrikuliert wurde. Sicherlich ein besonderer Einzelfall, der letztlich aber eindeutig auf die fehlende Sensibilität gegenüber und das nicht vorhandene Wissen über Transgeschlechtlichkeit zurückzuführen ist.1200 René_Rain Hornstein definiert mit Anne Bishop Verbündete (Allys) als Menschen, welche ihre unverdienten Privilegien erkennen, entlang von gesellschaftlich-strukturellen Ungerechtigkeiten reflektieren und anschließend ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und versuchen die Strukturen zu verändern.1201 »Ihr Handeln ist also darauf ausgerichtet, systemische Ungerechtigkeit abzuschaffen. Sie wissen dabei, dass sie ohne eigenes Zutun mit Privilegien ausgestattet wurden, einfach weil der Zufall es wollte.«1202 Hornstein weist darauf hin, wie wichtig es ist, die verschiedenen Ebenen der Unterdrückung zu kennen, und dass sich Verbündete demnach ein Wissen auf strukturell-institutioneller, individueller und symbolischer Ebene erarbeiten müssen, um Transnegativität und -feindlichkeit zu erkennen.1203 Demnach wäre es ein Anfang, verschiedene Zugänge zu Ressourcen zu betrachten und sich um eine faire Verteilung zu bemühen, also nicht die Frage danach zu stellen, ob transgeschlechtliche Frauen Zutritt zu Frauenhäusern haben dürfen, sondern zu gewährleisten, dass es ausreichend Plätze in Frauenhäusern gibt, welche die Privatsphäre schützen und zielgruppenspezifisch arbeiten; bspw. haben Menschen mit Kindern andere Bedürfnisse, als jene ohne Kinder, chronisch Kranke andere Bedürfnisse, als Gesunde, und Menschen mit sexualisierter Gewalterfahrung andere Bedürfnisse, als jene mit körperlicher oder jene mit psychischer Gewalterfahrung. FaulenzA geht hier einen Schritt weiter und fordert alle Allies dazu auf, solche Räume, die Ausschlüsse produzieren, zu boykottieren.1204 Auf individueller Ebene würde bereits helfen, Pronomen zu erfragen und dem Gegenüber in der geschlechtlichen Selbstbestimmung gerecht zu werden, auf Hinweise bzgl. diskriminierenden Verhaltens nicht abweisend, sondern offen und lernfähig zu reagieren. Hornstein formuliert dementsprechend, dass es die erste Bedingung für TransVerbündete sei, »ansprechbar für Rückmeldungen zu ihrem Verhalten zu werden«.1205 Auch für FaulenzA ist es sehr wichtig, dass Allies bereit sind, zuzuhören und Kritik anzunehmen, da nur dann eine Chance zur Veränderung gegeben sei.1206 Ein solidarisches Einschreiten sei wichtig, wobei auch FaulenzA weiß, dass dies gar nicht so einfach ist, da manche Person sich selbst wehren kann und möchte – so wäre ein erstmaliges Nachfragen sinnvoll, ob alles okay ist oder ob Unterstützung gewünscht ist.1207 Der Widerstand gegen einen Diskriminierungshinweis ist nach Hornstein für viele bereits marginalisierte und somit sozial geschwächte Menschen sehr anstrengend, weil sie überfordern, 1200 1201 1202 1203 1204 1205 1206 1207

Vgl. Naujoks (2022): S. 34. Vgl. Hornstein (2021): S. 16. Hornstein (2021): S. 17. Vgl. Hornstein (2021): S. 18. Vgl. FaulenzA (2017): S. 119. Hornstein (2021): S. 19. Vgl. FaulenzA (2017): S. 122. Vgl. FaulenzA (2017): S. 123.

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Missachtung reproduzieren und häufig mit Täter-Opfer-Umkehrungsnarrativen arbeiten und so die Aufmerksamkeit erneut auf die privilegierte Person gerichtet wird. Hornstein empfiehlt nach ungewollt diskriminierendem Verhalten nach dem Empfinden des Gegenübers zu fragen und sicher zu stellen, dass es dem*der Anderen gut geht. »Im Alltag ständig Diskriminierungen ausgesetzt zu sein, ist energiezehrend und belastend. Dementsprechend können Trans*-Verbündete für trans* Personen entlasten, wenn sie in diskriminierenden Situationen intervenieren.«1208 Intervenieren bedeutet jedoch nicht Deutungshoheiten zu erstreiten, sondern das diskriminierende Verhalten zu beenden. Eine Aufklärung darüber, was genau diskriminierend war, sollte also auf Formulierungen verzichten, die Aussagen über die Anliegen, die Betroffenheit oder die Wünsche von transgeschlechtlichen Menschen formulieren. All dies können cisgeschlechtliche Menschen nicht nachempfinden, wobei zusätzlich diese Belange insgesamt höchst individuell und von transgeschlechtlicher Person zu transgeschlechtlicher Person unterschiedlich sein können. Fehlt das Wissen über Transgeschlechtlichkeit und ebenso das Wissen über den Zusammenhang von Klassifikationen, Stereotypen und Vorurteilen mit Diskriminierungen, kann die zunächst gefühlte Unsicherheit dazu führen, dass transgeschlechtliche Menschen in der Gesellschaft strukturelle Benachteiligungen erleben; bspw. indem sie einen erschwerten oder verwehrten Zugang zum Arbeits- und Wohnmarkt erhalten, dadurch häufiger von finanzieller und sozialer Armut betroffen sind. So verwundert es kaum, dass laut Studienerkenntnissen der European Union Agency for Fundamental Rights (2020) nur 31 % der transgeschlechtlichen Personen am Arbeitsplatz vollkommen geoutet sind. 35 % gaben sogar an, am Arbeitsplatz Angst vor Gewalt und Belästigung zu haben. Benachteiligung auf der Stellensuche erlebten 36 %, auf der Wohnungssuche waren es 22 %. Der LSVD hat hinsichtlich der vielfältigen Diskriminierungserfahrungen eine Übersicht erarbeitet; so gab das Bundesinnenministerium für das Jahr 2020 insgesamt 204 Straftaten im Unterthemenfeld »Geschlecht/sexuelle Identität« bekannt, worunter 40 Gewaltdelikte gelistet wurden. Im Jahr 2021 wurden im gleichen Unterthemenfeld 340 Fälle und darunter 57 Gewalttaten gelistet. Das ist eine Steigerung um fast 67 % bei den Gesamt-Straftaten und um 42 % bei den Gewalttaten. Gemessen an den Meldungen in den Medien muss mit einem erneuten Anstieg für 2022 gerechnet werden.1209 Dass die verschärften, teils transnegativen und -feindlichen Aussagen im Diskurs eine Steigerung der Straftaten bedingen, kann ohne gründliche Forschung nicht nachgewiesen werden, allerdings ist evident, dass in einem sich steigernden Klima der Gewalt und des Hasses, ein Diskurs, der auf Verbalradikalismen und Hass Rede setzt und Menschen in ihrer Existenz anzweifelt, nicht förderlich zur gesellschaftlichen Befriedung ist. Dass bereits 2021 die LSBTI-feindlichen Straftaten laut Polizeibehörden eine deutliche Steigerung zeigen – Hasskriminalität steigt bei sexueller Orientierung um 50 Prozent und bei Geschlecht um 66 Prozent – und sich in der ersten Jahreshälfte

1208 Hornstein (2021): S. 21. 1209 Vgl. https://www.lsvd.de/de/ct/3958-Alltag-Homophobe-und-transfeindliche-Gewaltvorfaelle-in -Deutschland; vgl. https://www.lsvd.de/de/ct/2391-lsbti-in-deutschland-erfahrungen-mit-diskri minierung-und-gewalt (letzter Zugriff: 20.06.2022).

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2022 anhand eines Totschlags an einem transgeschlechtlichen Mann und eines versuchten Totschlags an einer transgeschlechtlichen Frau eine nochmalige Verschärfung queerfeindlicher Übergriffe zeigt, veranlasst das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) zur Aktivierung des Arbeitsgremiums »Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt«: »Dieses wird über konkrete Handlungsempfehlungen beraten. Insbesondere wird es darum gehen, wie das Hellfeld vergrößert werden kann, und welche Möglichkeiten bestehen, die Sensibilität und Prävention in Bezug auf homound transfeindliche Taten zu vergrößern.«1210 Im Mai 2020 wurden durch die EU-Grundrechteagentur (FRA) die Ergebnisse ihrer LGBTI-Survey veröffentlicht, an der auch 16.000 Menschen aus Deutschland teilnahmen. Transgeschlechtliche Befragte gaben an, dass sie es in der Öffentlichkeit vermeiden mit dem*der Partner*in Händchen zu halten (33 %), auch vermeiden sie bestimmte Plätze und Orte, aus der Angst Gewalt zu erleben oder belästigt zu werden (31 %). 59 % der transgeschlechtlichen Befragten gab an, dass sie in den letzten fünf Jahren angegriffen wurden, wobei die Täter*innen von den Befragten mehrheitlich dem männlichen Geschlecht zugeschrieben wurden. Auch wurde nach den Folgen der Hasskriminalität gefragt; so gaben 10 % der transgeschlechtlichen Befragten an, dass sie medizinisch versorgt werden mussten und 6 % sogar arbeitsunfähig waren. Weitere 31 % hatten nach Übergriffen Angst in die Öffentlichkeit zu gehen und 55 % berichteten von psychischen Belastungen, Angst und Depressionen im Zuge der erlebten Hasskriminalität. Besonders bedauerlich ist der Studienbefund, dass nur 12 % die Straftaten anzeigten, was unter anderem mit Angst begründet wurde. Dabei handelte es sich konkret um die Angst vor der Polizei (33 %) oder fehlendes Vertrauen in diese (30 %), aber auch die Angst vor dem Täter (15 %), weitere glaubten hingegen, dass eine Anzeige nicht zu einer Bestrafung führe (39 %) oder schämten sich zu sehr den Vorfall zu schildern (12 %).1211 Der Zusammenschluss #UsToo, dem 130 Organisationen angeschlossen sind, setzt sich aufgrund der Studienergebnisse gegen alle Formen von geschlechterbezogener Gewalt ein und hat ein Manifest für eine inklusive und umfassende geschlechterfokussierte Gewaltpolitik für alle Geschlechter veröffentlicht. Die EU wird in diesem Manifest dazu aufgefordert, einen integrativen Ansatz im Kontext der Prävention und Intervention von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verfolgen. Dieser integrative Ansatz umfasst nicht nur den Einbezug von trans- wie intergeschlechtlichen Personen oder nicht-binären und ageschlechtlichen Menschen, sondern ebenso eine intersektionale Ausrichtung, in der rassifizierte, klassifizierte, lesbische Frauen und jene mit Behinderung in besonderer Weise berücksichtigt werden. Unter anderem listet das Bündnis #UsToo auch bisher vernachlässigte Gewaltverhältnisse auf; so bspw. Gewalt im Kontext der Sexarbeit, Zwangsabtreibungen, -verhütungen, -sterilisationen im Kontext Behinderung oder partnerschaftlicher Gewalt, genitale Verstümmelungen im Kontext

1210 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/09/queerfeindleiche-hassk riminalitaet-bekaempfen.html (letzter Zugriff: 1.12.2022). 1211 Vgl. https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/lgbti_survey_-_general_qa_de.pdf (letzter Zugriff: 20.06.2022).

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Intergeschlechtlichkeit und erzwungene Unfruchtbarkeit und Genitaloperation im Kontext Transgeschlechtlichkeit.1212

4.5.2 Homonormativität Dass Transfeindlichkeit kein Trend ist, wie es bspw. Jan Böhmermann sarkastisch formulierte, zeigt sich an der zunehmenden Transfeindlichkeit innerhalb schwullesbischer Communities seit den 2010er Jahren. Besonders fatal sind zunehmend transfeindliche Narrative in der queeren Szene, bspw. Aussagen wie »Lesben haben keinen Penis« (RadFem Berlin) oder »schwul aber nicht queer« (LGB Allianz). In diesem Kontext hat sich mit Homonormativität ein neuer Fachbegriff etabliert. Lisa Duggan beschreibt Homonormativität als »a politics that does not contest dominant heteronormative assumptions and institutions but upholds and sustains them while promising the possibility of a demobilized gay constituency and a privatized, depoliticized gayculture anchored in domesticity and consumption«.1213 Indem heteronormative Annahmen eben nicht durch schwul-lesbische Identitäten infrage gestellt werden, die so in den Bereich des Normalen respektive Heteronormativen zu assimilieren versuchen, werde jedoch auch die schwul-lesbische Sphäre eingehegt, die innerhalb der Heteronormativität weiterhin als das Andere, das Perverse der Norm konstruiert werde. Ähnlich der »keine Promo für Homo-Referenden«, die Homosexualität in der privaten Sphäre tolerierten, aber diese aus der öffentlichen Sphäre fernhalten wollten, indem diese weder gefördert noch sichtbar werden sollten,1214 finden sich nun auch in schwul-lesbischen Verbindungen Narrative, welche Transgeschlechtlichkeit in die private Sphäre verweisen und aus schwul-lesbischen Zusammenhängen exkludieren. So schreiben bspw. die »RadFem Berlin«, bezogen auf den Schutz von Lesben: »Wir fordern, dass Frauen ihre Sexualität frei ausleben können, ohne den starken Druck der Zwangsheterosexualität, der von den traditionellen patriarchalen Institutionen ausgeübt wird, und ohne die neuen ›modernen Konversionstherapien‹, die durch die Agenda der Transaktivisten als ›Fortschritt‹ getarnt werden und die Existenz von ›Frauen mit Penis‹ gewährleisten. Wir fordern ein Ende der Schikanen, die Lesben dazu zwingen, Männer mit ›Identitäten‹ als Frauen zu akzeptieren. Wir fordern ein Ende der Vergewaltigungskultur und der extremen Homophobie durch das Dogma, dass Sex ›nicht existiert, sondern ein Konstrukt ist‹, ebenso wie die sexuellen Orientierungen.«1215 Und ebenso die LAZ Reloaded spricht von einem Verlust von öffentlichen Lesbenräumen aufgrund der »Banalisierung des Geschlechts«: »Zunächst ist hierzu anzumerken, dass bei der Zusammenfassung verschiedener Minderheitengruppen in einer ›Buchstabensuppe‹ (LGBTI) etwaige Interessengegensätze zwischen diesen Gruppen ignoriert werden. Das ist auch hier der Fall: Homosexuelle, 1212 1213 1214 1215

Vgl. #UsToo (2022): S. 2ff. Duggan (2002): S. 179. Vgl. Duggan (2002): S. 181. https://radfemberlin.de/manifest (letzter Zugriff: 24.10.2022).

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insbesondere lesbische Frauen, haben mit Menschen, welche sich von ihrem Geburtsgeschlecht abwenden wollen (sog. ›transgeschlechtliche‹ Personen), nichts gemein, da ihre Diskriminierung neben der sexuellen Orientierung auf ihrem biologischen Geschlecht als Frauen beruht. Ihre Interessen in Bezug auf Anti-Diskriminierung entsprechen daher in erster Linie denen aller Frauen und erst in zweiter Linie denen anderer Gruppen von ›LGBTI‹ oder können sogar im Gegensatz dazu stehen: Sog. ›transgeschlechtliche Personen‹ wollen z.B. das ihnen eigene abgelehnte Geschlecht, welches – noch – Beweisfunktion im öffentlichen Rechtsverkehr hat, beliebig wechseln oder sogar abschaffen.«1216 Und auch die LGB-Allianz fordert Homonormativität ein, wenn sie fordern: »Mittlerweile werden gleichgeschlechtlich liebende Leute meist in einen Topf geworden mit der Trans- und Queer-Bewegung, doch wir als LGB haben unsere eigenen Bedürfnisse und das Recht, uns selbst zu definieren. Die großen Verbände in Deutschland haben nach dem Erreichen der Ehe für Alle darin versagt, sich weiterhin für die Rechte von Schwulen, Lesben und Bisexuellen einzusetzen. Alles ist jetzt ›queer‹ – dass es gleichgeschlechtlich liebende Menschen gibt, und dass wir nicht ›queer‹ sind, wird dabei vergessen. Wir stellen uns daher auf, für unsere Rechte als Lesben, Schwule und Bisexuelle einzutreten.«1217 Die Orientierung an konventionalisierten Vorstellungen über Weiblichkeit und Männlichkeit ermöglicht den Akteuren auf der einen Seite eine breitere Anschlussmöglichkeit und damit eine kurzfristige Verbesserung der eigenen sozialen Platzierung, da schwullesbische Themen so mit feministischen Themen vernetzbar erscheinen und eine Gemeinsamkeit aufrufen, die ihrerseits Solidaritäten entwickeln kann. Auf der anderen Seite erfolgt nach Duggan durch die Abgrenzung bzw. den Ausschluss von queeren Lebensformen eine Spaltung der LGBTI*Q-Bewegung und somit auch eine Entpolitisierung. Duggan weist darauf hin, dass das Konstrukt der Homosexualität als natürliches und angeborenes Begehren im Gegensatz zur Transgeschlechtlichkeit als frei gewählte Identifizierung dazu führe, Homosexualität als das natürliche Andere nicht mehr angreifbar zu machen, da die Sexualität unfreiwillig und keinesfalls gewählt sei.1218 So können homosexuelle Personen mittels Anpassung an heteronormative Ideale von eben jener Norm profitieren, indem heteronormative Strukturen selbst von dem vermeintlich Anderen dieser Norm bestätigt und reproduziert werden: »The privacy-in-public claimsand publicizing strategies of ›the gay movement‹ are rejected in favor of public recognition of a domesticated, depoliticized privacy. The democratic diversity of proliferating forms of sexual dissidence is rejected in favor of the naturalized variation of a fixed minority arrayed around a state-endorsed heterosexual pri-macy and prestige.«1219 Nach Antke Engel ermöglicht die Bestätigung der Heteronormativität – und damit zusammenhängend die Selbstakzeptanz als Differenz zur Norm – zur »gefeierten Differenz 1216 https://www.laz-reloaded.de/hass-und-hetze-gegen-lsbti-wirksam-bekaempfen_stellungnahm e/ (letzter Zugriff: 24.10.2022). 1217 https://lgballiance.de/about/ (letzter Zugriff: 24.10.2022). 1218 Vgl. Duggan (2002): S. 185. 1219 Duggan (2002): S. 190.

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zu werden und als Vorbilder der Anpassung Anerkennung [zu] erhalten«.1220 Bilder der »gefeierten Differenz« bieten sich als »Agenten in hegemonialen Kämpfen« an, da sie die gesellschaftliche Vorstellung dessen beeinflussen, was als Norm gilt.1221 Für Engel ist nicht nur die Zustimmung zu hegemonialen Herrschaftsverhältnissen wie der Heteronormativität und Binarität für eine Reproduktion dieser verantwortlich, sondern ebenso die Nicht-Anfechtung. Stimmen Schwule, Lesben und Bisexuelle also der Binarität zu, so verweigern sie auch eine Anfechtung der Heteronormativität, da beides nur in einem Wechselverhältnis existieren kann.1222 Profitieren die Identitäten von ihrer Teilzustimmung und Nicht-Anfechtung, da sie für ihre Positionierung gesellschaftlichen Zuspruch und Anerkennung erhalten, so kann laut Engel von »projektiver Integration« gesprochen werden, womit Engel »eine spätmoderne Form der Gouvernementalität« meint, »die darauf beruht, dass die Einzelnen sich aktiv und mittels virtuosen Managements ihrer jeweiligen Besonderheit in die Gesellschaft einarbeiten und qua Subjektivierung an den Herrschaftsrelationen teilhaben.«1223 Dabei werden sie jedoch nicht vollends anerkannt, sondern mittels ihrer Differenz sozial integriert, die so als herrschaftsstabilisierend verstanden werden muss. Diese Integration ist jedoch nur möglich, da das vermeintlich Andere durch seine Teilzustimmung und Nicht-Anfechtung eine Gemeinsamkeit aufruft, die eine gänzliche Ablehnung verunmöglicht. Interessanterweise wird in der Transnegativität und -feindlichkeit auch das Moment der transgeschlechtlich-projektiven Integration aufgerufen, wenn transgeschlechtliche Menschen sich der Binarität unterwerfen, indem sie eine genitalangleichende Operation vollziehen, darauf verzichten »echte Frauen« oder »echte Männer« sein zu wollen und stattdessen das Leben in der geschlechtlichen Nische als Individualschicksal annehmen. In diesem Kontext kann an die transgeschlechtlichen Personen in Alice Schwarzers Herausgeberschaft erinnert werden, die dort nur zu Wort kamen, weil sie sich selbst entweder als psychisch kranke oder unechte Frau stilisieren und somit als Stellvertreter*innen die transnegativen Thesen als Wahrheiten bestätigen sollen. Die projektive Integration ist jedoch keine Einverleibung des Anderen, da der Andere von der Norm vielmehr vereinnahmt statt aufgenommen wird.1224 Neu sind die identitätspolitischen Kämpfe innerhalb der LGBATI*q-Community keineswegs. Bereits in den 1970er Jahren gab es in der westdeutschen Schwulenbewegung den »Tuntenstreit«, welcher begrifflich die Kämpfe darum auszeichnete, wie auffällig und damit sichtbar Schwule sein dürfen.1225 Patsy l’Amour laLove kennzeichnet die Angst davor, als schwuler Mann aufzufallen, und somit den Wunsch nach Normalisierung, als ein Kennzeichen für einen verinnerlichten Selbsthass: »Das Symptom, das aufgrund der anhaltenden Feindseligkeit entsteht, ist der kontinuierliche Versuch, die eigene Differenz zu verleugnen.«1226 Auch diese Thesen sind nicht neu, denn bereits im Jahr 2012

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Engel 2009: S. 56f. Engel 2009: S. 15. Vgl. Engel 2009: S. 34. Engel 2009: S. 138. Vgl. Engel 2009: S. 50. Vgl. Griffiths (2012): S. 144ff. l’Amour laLove (2016): S. 15.

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konstatiert Jan Feddersen unter Berufung auf die Sexualwissenschaftlerin Sophinette Becker, dass das Gefühl transgeschlechtlich zu sein, die eigene Leugnung oder Unterdrückung des homosexuellen Begehrens repräsentiere. Ohne auf die vielen Expertisen einzugehen, welche derlei Thesen widerlegen, schließt Feddersen daraus: »Wer ein Coming-out fürchtet, wer nicht möchte, ein Leben als Homosexueller zu verbringen, könnte psychisch so disponiert sein, lieber eine Operation zur Geschlechtsumwandlung zu bevorzugen. Ich nenne das: einen Wunsch nach Verstümmelung im Namen einer Identität, die in unserer Community gern transsexuell genannt wird – und als eigenständige sexuelle Andersartigkeit gilt.«1227 Eine Unterstützung für hormonelle Behandlungen und genitalverändernde Operationen sollte nach Feddersen daher nicht zu stark ausfallen. Unter Betonung werden Männer, die Männer begehren, von Feddersen als nicht krank, sondern gesund bezeichnet, während er bei transgeschlechtlichen Menschen zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt. Die Ablehnung von transgeschlechtlichen Frauen ist laut einigen lesbischen Frauen im vorliegenden SelbstBestG-Diskurs – in Anlehnung an Patsy l’Amour laLoves Selbsthass-Konzept – ein Kennzeichen für die »Ablehnung der eigenen unliebsam unnormalen Anteile«.1228 Bereits Till Amelung macht auf Bündnisse mit rechten Akteuren aufmerksam, da 2015 im rechten Jugendmagazin »Blaue Narzisse« ein Beitrag einer transgeschlechtlichen Frau erschien, die sich gegen queere poststrukturalistische Geschlechtertheorien wendet, da diese mit ihrer Negation der binären Geschlechternormen transgeschlechtlichen Menschen die Existenz nehmen, die sich selbst als konventionell weiblich oder männlich definieren und eine Genitalangleichung als Lösung sehen. Während Amelung diese Aussagen nicht kritisiert, wird immerhin die rechtspolitische Plattform kritisiert.1229 Amelung selbst ist als transgeschlechtlicher Mann unterdessen ein Beispiel für die Konstruktion von Transnormativitäten, wenn er schreibt: »Ich bin kein transgeschlechtlicher Mann, weil ich eine politische Botschaft habe, sondern weil ich ein Mann bin, dessen Körper nicht zu seinem Geschlecht passte.«1230 Mit einer solchen Formulierung wird Transgeschlechtlichkeit auf die Inkongruenz von Körper und Geschlecht verkürzt, die nicht durch eine fehlerhafte Fremdzuschreibung im Klassifikationsakt erzeugt wird, sondern durch die fehlerhafte Selbstidentifikation im Körper. Wenngleich dies für einige transgeschlechtliche Menschen als vollkommen adäquate Beschreibung erscheint, ist Transgeschlechtlichkeit ein deutlich vielschichtigeres Phänomen und umfasst ebenso Personen, die ihren Geschlechtseintrag als unpassend für ihren Körper empfinden und auch jene, welche die Transgeschlechtlichkeit als politische Identität wahrnehmen. Im weiteren Verlauf verwendet auch Amelung den Begriff des TransTrends, indem er konsequent zwischen transgeschlechtlichen Menschen, als jenen die ihren Körper als falsch empfinden, und imaginierten transgeschlechtlichen Menschen, als jenen die gerne Teil der queeren Subkultur sein wollen, unterscheidet: »Das ›Andersseins‹, das durch die subkulturelle Prägung aber jede Individualität vermissen

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Feddersen (2012): S. 20. l’Amour laLove (2016): S. 17. Vgl. Amelung (2016): S. 176. Amelung (2016): S. 178.

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lässt, wird in so einer queeren Subkultur zur Währung. Viele Menschen mit transgeschlechtlicher Thematik verstehen ihr Anliegen jedoch nicht als Trend […].«1231 Es ist somit kaum verwunderlich, dass Amelung ein willkommener Interviewpartner für die EMMA ist und von Louis aufgrund seiner Ablehnung gegenüber affirmativen Ansätzen eine Huldigung erfährt.1232 Patsy l’Amour laLove lehnt den Begriff des Homonormalismus unterdessen konsequent ab, da es schließlich eine Heteronormativität sei, die aus Gründen des internalisierten Selbsthasses auch in LGBATI*q-Communities reproduziert werde.1233 In der Transfeindlichkeit findet sich jedoch neben der Selbstnormalisierung ein weiterer Moment mit der Dämonisierung des geschlechtlich-veruneindeutigten Anderen, indem die Frau mit Penis zur Gefahr wird oder der Mann mit Vulvina zum abstoßenden nicht begehrbaren Objekt. Während also der Selbsthass ein Ausdruck der Heteronormativität ist, ist die Exklusion von Transgeschlechtlichkeit aus lesbischen und schwulen Räumen vielmehr ein Ausdruck von der hochstilisierten Selbstidentifikation als Frau mit Vulvina, die Frauen mit Vulvina begehrt, sich selbst als Begehrensobjekt dieser versteht, und somit ein Penis diese Selbstidentifikation stören würde, wodurch schließlich Homonormativität erzeugt wird. Unter dem Aspekt des Selbsthasses darf auch das historisch mit dem TSG institutionalisierte Feindbild des*der Transsexuellen nicht vergessen werden, der*die mittels PÄ nicht mehr in Verdacht geriet homosexuell zu sein. Hier wurden staatlich verordnet zwei von der gesellschaftlichen Norm abweichende Personengruppen hierarchisiert, indem es Homosexuelle gab, die als pervers und mittels §175 bis 1994 kriminell gesellschaftlich stigmatisiert wurden und jene Menschen, die diesem Stigma entkommen konnten, indem sie durch das TSG ab 1981 eine PÄ vollziehen und sich so zwar nicht der gesellschaftlichen Ächtung entziehen, allerdings straffrei leben konnten. Die soeben geschilderte Historizität lässt sich bspw. in Daria Majewskis Aussage wiederfinden, wenngleich die Aussage eine klare Abgrenzung zwischen gesellschaftlichem öffentlichem Raum und queerem privatem Raum vornimmt, entlang dessen die eigene Erfahrung verdeutlicht wird: »›Dreckshomo‹ und ›Queerikone‹ stehen beispielhaft für ein Spannungsfeld, in welchem sich trans Menschen befinden: die transfeindliche Gesellschaft, welche ihnen suggeriert, falsch, pervers, verrückt zu sein, auf der einen Seite. Subkulturen, welche sich voller Begeisterung auf trans Menschen werfen, auf der anderen Seite.«1234 Vor allem das Cis-sein beschreibt Majewski aufgrund der damit verbundenen Privilegierung als schambesetzt, weshalb die Selbstbezeichnung als queer oder trans eine verlockende Alternative böte: »So wundert es nicht, dass der Überbegriff ›trans‹ von immer mehr Menschen beansprucht wird, um sich selbst in queeren Kontexten aufzuwerten.«1235 Was in diesem frühen Diskurs um die Aneignung der transgeschlechtlichen Selbstbezeichnung jedoch im Gegensatz zum aktuellen Diskurs vorherrscht, ist das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung für die jeweils individuelle Erfahrung und Geschlechtergeschichte; so schreibt Majewski ebenfalls:

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Amelung (2016): S. 179. https://www.emma.de/artikel/es-nimmt-absurde-formen-337379 (letzter Zugriff: 20.06.2022). Vgl. l’Amour laLove (2016): S. 19. Majewski (2106): S. 182f. Majewski (2106): S. 189.

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»Der löbliche Wunsch nach respektvollem Umgang miteinander, der in queeren Räumen diskutiert wird, endet nicht selten in einer autoritären Sehnsucht, die restriktive Verhaltensregeln zur Folge hat. Und so finden sich immer wieder Workshops, Vorträge und Handreichungen, die Anleitungen bieten sollen, wie man respektvoll mit trans Menschen umzugehen hat, obgleich trans eben nicht gleich trans ist. Die viel beschworene queere Identitätskritik, die ›Queer‹ zu versprechen sucht, mündet in Identitätspolitiken.«1236 Auch die jährlich erscheinende Herausgeberschaft »Initiative Queer Nations« sticht mit teils homonormativen und/oder homonationalen Beiträgen hervor, welche die anhaltenden Anti-Queer-Monologe der Kreischreihe fortsetzen. Auch hier werden Vergleiche mit rechtspolitischer Haltung abgelehnt und der Vorwurf der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zurückgewiesen. Eszter Kováts meint in der Kritik an queeren Forderungen eine Psychologisierung zu erkennen: »Die Gleichsetzung von Kritik an bestimmten feministischen oder LSBT-Forderungen mit Misogynie, Homophobie, Transphobie, Queerphobie oder Genderphobie ist eine übliche Einordnung des Phänomens. […] Eine solche Pathologisierung erkennt politische Ansichten und Bestrebungen nicht als seriös an, reduziert Ungleichheiten fälschlicherweise auf Vorgange in den Köpfen und nimmt einen ›Eins-zu-eins-Kurzschluss von sozialer Position und inhaltlicher Position‹ vor – statt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen.«1237 Kaum eine Seite später beharrt Kováts darauf, dass es nicht das Anliegen des Beitrags sei, Rechtspopulismus zu rechtfertigen, relativiert dies jedoch kaum ein paar Sätze später mit dem üblichen großen »aber«, da die Forschung nicht wirklich über den rechtspopulistischen Vorwurf der Gender-Ideologie forsche, sondern »sozialpsychologisch und aus der Position des Rechthabens« argumentiere.1238 Die queerfeministische Interpretation, es sei eine Wertedebatte zwischen Progressiven und Konservativen oder Demokraten und Antidemokraten, führe nach Kováts zu einer gesellschaftlichen Polarisierung, indem sie den Rechten dazu diene, »sich als vermeintlich normal, familienfreundlich und traditionell orientiert gegenüber den kosmopolitischen und familienfeindlichen ›Pervertierten‹ zu positionieren; und für die Progressiven dazu, sich als fortschrittlich und jenen überlegen zu inszenieren, die angeblich Europas dunkle Zeiten zurückbringen wollen«.1239 Hier findet eine Umkehrung/Umdeutung der queerfeministischen Kritik statt, welche mehrfach auf die Anknüpfbarkeit rechtspopulistischer Akteure an cisfeministische Narrative hingewiesen hat. Vor allem aber sei es Kováts zufolge fatal, immer neue Menschenrechte zu definieren; bspw., dass das »Geschlecht (Gender) immer öfter als das gefühlte Geschlecht interpretiert und als solches als Menschenrecht deklariert« werde und so als eigentlich gesellschaftliche Frage

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Majewski (2106): S. 189. Kováts (2021): S. 132. Kováts (2021): S. 133. Kováts (2021): S. 136.

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»aus dem Kreis der legitim diskutierbaren Fragen herausgenommen. Und wer sie doch diskutiert, ob auf radikalfeministischer Basis oder eben ideologiekritisch, und sich anschaut, woher diese Forderungen kommen und wie sie mit materiellen Verhältnissen zusammenhängen, wird schnell als rechts, mindestens rechtsoffen, menschenfeindlich, homophob, queerphob, transphob oder TERF (trans-exclusionary radical feminist) abgekanzelt«.1240 Die biologische Zweigeschlechtlichkeit – welche laut Kováts nicht durch die Existenz der Intergeschlechtlichkeit in Frage gestellt werde – zugunsten einer Gender-Theorie aufzugeben, sei unterdessen »Realitätsfremd«, da diese Forderung an der Bereitschaft mangelt, sich mit den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft auseinander zu setzen.1241 Stattdessen fände eine queere Lobbyarbeit statt, durch die »Gender in immer mehr EU-Dokumenten und in LSBT-thematischen Sensibilisierungsmaterialien für das subjektiv empfundene, gefühlte Geschlecht, für die Geschlechtsidentität« stehe.1242 Auch hier wird strategisch populistisch argumentiert, indem utilitaristisch die vermeintlich durch eine Minderheit unterdrückte Mehrheit an ihrer Lebensführung gehindert werde. Alexander Zinn fühlt sich hingegen als cisgeschlechtliche Person vom Queerfeminismus diskriminiert und sieht sich selbst damit in einer Reihe mit Birgit Kelle und Jan Feddersen, die alle nur eines wollten, nämlich »Kritik üben, aus der Reihe tanzen, einen eigenen Kopf beweisen«.1243 Dem queerfeministischen Gegenspieler wirft Zinn unterdessen vor: »Statt den Diskurs zu suchen, auf Kritik mit Argumenten zu antworten, besteht man auf Unterwerfungsgesten und fordert Entschuldigungen für angeblich verletzte Gefühle. Wer sich nicht beugt, muss mit Ausladung, Ausgrenzung und öffentlicher Denunziation als homo- und, inzwischen fast schlimmer, transphob rechnen.«1244 Im Diskurs um Transgeschlechtlichkeit würden die queerfeministischen Akteure vor allem die »Verweigerung der rationalen Auseinandersetzung« zeigen, indem sie die Cancel-Culture politikfähig machen und die Opferkultur überstilisieren.1245 Die im populistischen Duktus gestellte Frage, wie es so weit kommen konnte, wird selbstredend direkt von Zinn selbst beantwortet: »Die seit einigen Jahren zu beobachtende Orientierungslosigkeit der Interessenverbände hat sie zu einem leichten Opfer radikaler Ideologen werden lassen. Pragmatische Politik-ansätze wurden zurückgedrängt, stattdessen übernahmen Akteure das Ruder, die in den akademischen Blasen der Universitäten in Fragen von Queer Theory, Postkolonialismus und intersektionaler Diskriminierung geschult worden sind. Mangels anderer Berufsaussichten drängen solche Absolventen bevorzugt in Nichtregierungsorganisationen und Medien, wo sie in den letzten Jahren an vielen Stellen tonangebend werden konnten.«1246

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Kováts (2021): S. 136f. Vgl. Kováts (2021): S. 139f. Kováts (2021): S. 146. Zinn (2022): S. 17. Zinn (2022): S. 17. Zinn (2022): S. 18. Zinn (2022): S. 20.

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Um die radikal ideologischen Züge jener Theorien zu beweisen, bemüht sich Zinn um einen Vergleich des antisemitischen, antifeministischen und dem Nationalsozialismus nicht abgeneigten Hans Blüher mit Judith Butler, wobei die Theorien letzterer nun die Welt vor einen neuen vermeintlichen Abgrund stellen würde. Jan Feddersen, einer der Herausgeber*innen, kritisiert im Sammelband der »Initiative Queer Nations« ebenfalls den Begriff queer, da dieser das Wort schwul ersetze und dieses so aus der öffentlichen Wahrnehmung verweise: »Die Entschwulung der Sprache zugunsten des Wörtchens »queer« bedeutet, alles in allem, nicht nur die Entkörperlichung der Bilder, die mit »schwul« aufgerufen werden; in ›queer‹ ist alles getilgt, was an Begehren eben im Sexuellen unhintergehbar, mit Freud gesprochen, triebschicksalhaft ist. Queer umreist insofern eine Normativierung eines Lebensstils nicht der Ähnlichkeit mit heterosexuellen Praxen, sondern als ihr Gegenteil, eben ›ganz und gar anders‹, konstitutiv nonheteronormativ: ›queer‹ – ein Stilangebot als Alternative zum Leben der eigenen Eltern.«1247 Auch Feddersen ist gegen Identitätspolitik, die er selbst aber in seiner Kritik am QueerBegriff höchst selbst betreibt, da ein Kampf um Sichtbarkeit schwuler Identität ein identitätspolitisches Bestreben darstellt. Auch vertreten im Sammelband »Jahrbuch Sexualitäten 2022« sind l’Amour laLove und zwei weitere Autor*innen des »Beißreflexe«-Sammelbandes. Anliegen des Beitrags ist es, dass fünfjährige Jubiläum des Sammelbandes zu feiern und dabei vor allem die positiven Errungenschaften hervorzuheben, da – in Selbstbeschreibung – der »Druck im queeraktivistischen Kessel« herausgelassen wurde und ein Diskurs gegen den »dogmatischen Muff« der letzten Jahre eröffnet wurde: »Viele Wege von vorher miteinander verbundenen Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Kommiliton*innen trennten sich während der Diskussionen rund um »Beißreflexe«, doch im Gegenzug bildeten sich auch neue Netzwerke unter all denen, die über die queeren Irrwege nicht mehr schweigen mochten.«1248 Den Kritiker*innen des Beißreflexe-Sammelbandes wird pauschal vorgeworfen, sie hätten das Buch nie gelesen, hielten es dennoch für problematisch. Auch dieser Vorwurf ähnelt einer populistischen Strategie, indem Menschen etwas vorgeworfen wird, was sie nur schwerlich entkräften können, da vermutlich nicht einmal das Benennen von Zitaten ausreicht, um zu beweisen, es wirklich ganz gelesen, geschweige denn verstanden zu haben. Eine Strategie, die mit den Fußnoten 4, 5 und 6 bestätigt wird, da hier auf Professor*innen verwiesen wird, die den Sammelband durchaus mit Belegen aus der Quelle kritisiert haben, denen dennoch die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird: »Professor*innen, von denen man einen anderen Umgang mit dem Text erwarten sollte, äußerten sich über das Buch ›Beißreflexe‹, ohne Belege für ihre Behauptungen anzuführen: von Heinz-Jürgen Voß über Elisabeth Tuider bis hin zu Sabine Hark und Judith Butler.«1249 Die »beleglose Behauptung« muss hier synonym für »unliebsame Kritik« verstanden werden und entspricht in diesem Kontext dem, was die Autor*innen des Beitrags in ihren sonstigen Beiträgen so gerne kritisieren: Cancel-Culture. Vor allem aber wehren sich die Verfasser*innen gegen die 1247 Feddersen (2021): S. 215f. 1248 l’Amour laLove et al. (2022): S. 143. 1249 l’Amour laLove et al. (2022): S. 144.

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Vergleiche mit rechter Politik, welche hier exemplarisch an Paula Irene Villa verhandelt werden, und die sie als »trostlose[n] Tiefpunkt einer Debatte [bezeichnen], die die Vielfalt an Kritikpunkten aus ›Beißreflexe‹ ebenso wie aus dem ›EMMA‹-Dossier gekonnt umschiffte«.1250 In diesem Kontext könnte nun der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gespiegelt werden, da Villa in ihrem Beitrag Punkt für Punkt den anklagenden Beitrag von Vukadinović nach Thesen durchgeht und erwidert.1251 Abschließend machen die Verfassenden noch deutlich, worum es ihnen eigentlich gelegen war und weshalb dann auch populistische Strategien sinnvoll erscheinen, da »nun auch Menschen Auseinandersetzungen mit[bekommen], die zuvor eher auf linke, queere Kreise beschränkt blieben.« Jan Feddersen schließt mit einem Beitrag an den vorausgehenden Beitrag an und skizziert in seinem Beitrag, gegen wen sich der Sammelband »Beißreflexe« richtete: »Die ›Beißreflexe‹, deren Autor*innenriege selbst fast durchweg aus akademischen Kontexten sich rekrutierte, […] sind selbst aus jenen universitär-intellektuellen Glutherden hervorgegangen, die sie gemeinsam einer ätzenden Kritik in diesem Sammelband unterziehen.«1252 Schließlich richte sich der Sammelband vor allem gegen das queertheoretische Framing von Judith Butler. Auch diese individualisierten Kämpfe gegen Einzelpersonen finden sich im aktuellen Diskurs, wenngleich sie sich jetzt gegen greifbare und dadurch besonders verletzbare Personen wie Tessa Ganserer richten, die nicht für ihre Theorie, sondern ihre Identität in Misskredit gezogen werden. In der Tat zeigen sowohl die cisfeministische als auch die queerfeministische Seite identitätspolitisch Bestrebungen, in dem sie um Anerkennung ihrer teils sexuelle, teils geschlechtlichen Identität, aber auch ihrer theoretischen Heimat kämpfen, wobei letztere maßgeblich an der Wahrnehmung von Identitäten beteiligt ist. Auch finden sich auf beiden Seiten Betroffenheitsbekundungen. Allerdings, und das muss hier nochmals betont werden, finden sich nur bei den geschlechterbinären respektive cisfeministischen Akteuren Exklusionsbestrebungen, indem Identitäten oder Theorie diffamiert oder erst gar nicht in ihrer Existenz anerkannt werden, während die geschlechterpluralen Akteure um eine umfassende Inklusion bemüht sind, die angemessen auf eine pluralisierte Gesellschaft reagiert. Die Queer Nations Veröffentlichung und die Kreischreihe, beginnend mit dem Sammelband »Beißreflexe«, waren nicht die ersten Auseinandersetzungen aus der LGBATIQ*q-Community mit der Queer Theorie. Bereits 2021 erschien der Sammelband »Queer zur Norm. Leben jenseits einer schwulen oder lesbischen Identität« von Bodo Niendel und Volker Weiß, welcher in Analogie zum Sammelband »Queering – Lesarten, Positionen und Reflexionen zur Queer Theorie« aus dem Jahr 2008 von Andreas Pretzel und Volker Weiß verstanden werden kann. In beiden Bänden wird der Frage nachgegangen, was der Wechsel von schwul-lesbischen Anerkennungskämpfen hin zu queerer Gesellschaftskritik für die bestehenden Anerkennungsverhältnisse und anhaltenden Kämpfe bedeutet. So schlussfolgern Niendel und Weiß in der Einleitung:

1250 l’Amour laLove et al. (2022): S. 147. 1251 Vgl. Villa (2017). 1252 Feddersen (2022): S. 156.

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»Im Prozess der Emanzipation haben sich – im Gegen- und Miteinander von Politik und Medien hetero- wie homosexueller Provenienz – homosexuelle Normen herausgebildet, die bestimmte Schwule und Lesben ausgrenzen und andere ›queere‹ Lebensweisen unsichtbar machen. […] Wie die bürgerrechtlich orientierte Schwulen- und Lesbenpolitik zu Recht auf Ihre Erfolge verweisen kann, so wird von queerpolitischer Seite zu Recht gefragt, ob diese Erfolge nicht auch auf (Selbst)Normalisierungsstrategien seitens der Schwulen und Lesben beruhen.«1253 So kann Schirmer in einem Beitrag die Widersprüche innerhalb der LGBATIQ*q-Community am Beispiel der »Drag King« Szene innerhalb lesbischer Kreise verdeutlichen. Auf der einen Seite sei der Drag King eine genuin lesbische Praxis, welche bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als »Kesse Väter« in Erscheinung trat und als Praxis darum bemüht sei, alltägliche geschlechtliche Wahrnehmung bewusst zu entfremden, anzueignen und so zu ent-selbstverständlichen bzw. die strikte, naturalisierte Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen, während auf der anderen Seite ein Geschlechtsverrat im Raum steht und die Gefahr vermutet wird, dass toxisch männliche Verhaltensweisen und damit patriarchale Strukturen in lesbische Räume hineingetragen werden.1254 Gleichzeitig müsse auch die Dimension der gesellschaftlichen Stigmatisierung von lesbischen Identitäten betrachtet werden, da entlang der herrschenden Normen die Weiblichkeit lesbischer Frauen infrage gestellt wurde, indem »Frauen eine eigenständige, aktive, nicht-reproduktive Sexualität« abgesprochen wurde und diese als vermännlicht galten.1255 Drag Kings1256 , so scheint es, bestätigen nun dieses stigmatisierende Vorurteil und erfahren aus diesem Grund Ablehnung, da eine – wenn auch »in lesbischen Zusammenhängen« entwickelte und gelebte – männlich-codierte »Inszenierung […] zunehmend als Resultat verinnerlichter ideologischer Zuschreibungen« galt und als solche männliches Rollenverhalten und heterosexuelle Normen kopierte.1257 Vor allem queer-theoretische Überlegungen räumen mit derlei Vorurteilen auf und bewerten Femme- und Butch-Praktiken nun als politisch aktivistisch: »Insbesondere die Butch avancierte im Zuge dieser Neubewertung teils zur heroischen Figur der als solche sichtbaren und damit Anfeindungen und Drohungen riskierenden Lesbe und – im Horizont von ›queer‹ – als Figur der Destabilisierung der zweigeschlechtlichen Ordnung.«1258 Drag Kinging erzeugt so nach Schirmer den Widerspruch von vermeintlich distanzloser Identifizierung mit Männlichkeit und vermeintlich postfeministischer Praxis, welche alle stereotypen Geschlechtlichkeiten hinter sich lässt.1259 Tietz bezieht seinen Artikel auf die Herausforderungen der CSDParaden; diese seien zwar auf der einen Seite ein Ausdruck von zunehmender Fähigkeit 1253 1254 1255 1256

Niendel; Weiß (2012): S. 8. Vgl. Schirmer (2012): S. 12ff. Schirmer (2012): S. 17. Für manche ist Drag King eine lesbische Identität, die vom Zwang zur Weiblichkeit/Männlichkeit entlastet und eine positive Selbstidentifikation ermöglicht. So gibt es Menschen, die für heterosexuelle Frauen nicht männlich genug sind, während sie für homosexuelle Frauen zu wenig weiblich sind. Das liegt nach Schirmer daran, »dass lesbische und schwule Normen immer auch Geschlechternormen waren und sind« (Schirmer [2012]: S. 27). 1257 Schirmer (2012): S. 18. 1258 Schirmer (2012): S. 19. 1259 Vgl. Schirmer (2012): S. 21.

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zur Selbstorganisation und Mobilisierung, auf der anderen Seite aber auch einer Professionalisierung unterworfen, die basis-demokratische Planung unmöglich macht, wodurch sie Gefahr laufen, einige Interessen und Bedürfnisse nicht zu erfassen und demnach nicht zu repräsentieren.1260 Aus diesem Grund formieren sich alternative CSD-Paraden, welche weitere Ungleichheiten repräsentieren, die dann als Gegenaktion all jene Interessen und Bedürfnisse der vermeintlich hegemonial-organisierten CSD’s aussparen. Tietz stellt hier die Erzeugung eines Paradoxons fest: »Es ist daher wichtig, die mögliche Gleichzeitigkeit und Vermischung von Subversion und Affirmation zu beachten. Pride-Veranstaltungen können daher – paradox gesagt – als ›konforme Subversion‹ oder ›subversive Konformität‹ verstanden werden.«1261 Auch Niendels Beitrag, der als Erwiderung von Butlers Ablehnung des CSD-Zivilcouragepreis gelesen werden kann, erkennt zunächst einige wichtige queer-theoretische Forderungen an; so bspw., dass durchaus eine moralische Panik vor allem in Bezug auf türkische queers in der LGBATIQ*q-Community wahrzunehmen sei, die als »gewaltbereite und homophobe Migranten identifiziert« wurden, während gleichzeitig ein westliches Überlegenheitsgefühl entlang einer toleranten Gesellschaft erzeugt wurde.1262 Mit ihrer Ablehnung und Kritik habe Butler jedoch einen wunden Punkt getroffen, da sie nicht nur die Normen, sondern ebenso die daraus hervorgehenden Subjekte hinterfragt,1263 die wahlweise intelligibel waren oder als Abjekte verworfen wurden, gelegentlich als letztere in Anerkennung der eigenen Existenz als Abweichung der Norm eine instabile, jederzeit aufkündbare Intelligibilität erhalten konnten. Niendel unterzieht Butlers theoretische Wendung von der Geschlechterforschung hin zur Ungleichheitsforschung und damit einhergehend dem Wandel ihrer Texte von theoretischer zu politischer Agenda einer umfassenden Kritik, die jedoch auf Augenhöhe und durch Anerkennung Butlers wissenschaftlicher Arbeit geprägt ist. In einem weiteren Sammelbandbeitrag fragt Kay danach, wie sich der Wandel von Selbstbezeichnungen vollziehen konnte. So wird in dem Beitrag nachgezeichnet, dass die Wiederaneignung der – vormals als Stigmawörter und Beleidigung genutzten – Begriffe zunächst zu der Selbstbezeichnung schwul und lesbisch führte,1264 die aber nur teilweise genutzt und von vielen weiterhin gemieden wurde, die ihrerseits als Selbstbezeichnung lieber das englische Wort Gay nutzten, welches sich jedoch vorwiegend auf das Schwul-Sein bezog und daher schnell durch den Begriff »queer« abgelöst wurde.1265 Unter queer verstanden sich jedoch nicht nur schwule und lesbische Liebens- und Lebensweisen, sondern weitere Identitäten, die – wahlweise oder verschränkt – nicht den gesellschaftlich binären oder heterosexuellen Erwartungen entsprechen konnten oder wollten. Dies führt zu zwei recht gegensätzlichen Entwicklungen; denn während sich nunmehr eine Reihe von Menschen als queer identifizieren konnte, die nicht so recht in die schwul-lesbischen-Communities passten, sahen sich viele Lesben und Schwulen ei-

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Vgl. Tietz (2012): S. 45ff. Tietz (2012): S. 53. Niendel (2012): S. 67. Vgl. Niendel (2012): S. 71. Vgl. Kay (2012): S. 81. Vgl. Kay (2012): S. 83.

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nem inflationären Gebrauch des Queer-Begriffs ausgesetzt, wodurch Queer eine unklare Bedeutung habe und lesbische und schwule Identitäten weniger sichtbar wurden.1266 Der Diskurs zwischen 2010 und 2016 innerhalb der queeren- respektive LGBATI*qCommunity zeigt im Gegensatz zum Mainstreamdiskurs ab 2022 eine Differenziertheit, die allerdings durch die sogenannte Kreischreihe ab 2017 aufgegeben wird und dadurch gekennzeichnet ist, als Feindbild vor allem jene Menschen zu adressieren, die durch Transnegativität und -feindlichkeit bereits einer kräftezehrenden Umwelt ausgesetzt sind. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Sammelbandes »Selbsthass und Emanzipation« radikalisiert sich der bis hierhin gemäßigte Ton und das forschende Anliegen, die neuen Herausforderungen eines theoretisch wie aktivistischen Paradigmenwechsels zu ermitteln, als l’Amour laLove den Sammelband »Beißreflexe« veröffentlicht, der rasch zu kontroversen Diskussionen führte. Die Kontroversen nicht aufgreifend, bescheinigt das Vorwort zur vierten Auflage ausschließlich positive Resonanz und berichtet »von dem großen Andrang von Leuten, die die autoritäre Wendung von Queer satthaben«.1267 Queerfeminismus – der vermeintlich neue Gegner perverser queerer Kritik – entstehe in digitalen Bubbles, in denen queerfeministische Aktivist*innen Kontakt zu einander aufnehmen und ihre Positionen teilen. Auch schreibt l’Amour laLove, dass sich queere Kritik nicht mehr auf die feindliche Umwelt, sondern nach innen auf bürgerliche Homosexuelle beziehe und »Queere Aktivist_innen ziehen hierbei häufig besonders enge, ideologische Grenzen«.1268 Der Queer-Aktivismus wird generalisiert als Unfähigkeit zur Selbstkritik beschrieben, wobei jede Kritik von außen abgewehrt werde, indem Kritiker*innen »der rechten Seite zugeschrieben werden«.1269 Solche Aussagen müssen aus heutiger Sicht als Einladung an rechte Akteure verstanden werden, mittels Querfront-Taktik auch den Zusammenschluss mit queeren Menschen zu suchen. Als Querfront werden Zusammenschlüsse bezeichnet, bei denen es zu einer Vermischung von linkspolitischen und rechtspolitischen Themen oder Akteuren kommt, ebenso wird damit die Übernahme vormals linker respektive rechter Strategien verstanden. Volker Weiß bezeichnet die Querfront als Allianz von Populist*innen, wobei der Begriff selbst nicht neu sei, sondern in den 1930er Jahren als eine Bezeichnung für »ein politisches Zweckbündnis rechter und linker Gruppen« war.1270 Nun sei die Querfront vor allem an Narrativen wie »wir von unten gegen die Mächtigen von oben« zu erkennen. Dieses Narrativ findet sich im vorliegenden Diskurs vor allem in utilitaristischen Aussagen, wenn die Behauptung im Raum steht, dass eine gemutmaßte kleine Minderheit das Leben der großen Mehrheit diktiere oder aber Wissenschaften wie die Gender Studies mit ihrer vermeintlichen Ideologie die Bevölkerung indoktrinieren wollen. Weiß schlussfolgert, dass sich die Bestrebung der Querfront auf eine Befreiung und Befriedung der Massen richtet und ähnlich ihres historischen Ursprungs auch die neuzeitliche Querfront »die Frage der Massenintegration im autoritären Staat […] als eines der dring-

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Vgl. Kay (2012): S. 84f. l’Amour laLove (2017): S. 18. l’Amour laLove (2017): S. 12. l’Amour laLove (2017): S. 21. Weiß (2020): S. 227.

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lichsten Probleme der Zeit« galt.1271 Weiß mahnt jedoch, dass es rechtspopulistischen Akteuren keineswegs um wahrhafte Bündnisse gehe, »sondern um die Ausschaltung des Gegners«, weshalb eine Verbindung zu einer Querfront für niemanden eine Option darstellen sollte.1272 Wenn also cisfeministische Akteure neuerdings Twitter und weitere soziale Netzwerke überlagern, dann verweist dies auf eine Übernahme vormals queerfeministischer Strategien. l’Amour laLoves Äußerung muss hier als Einladung verstanden werden, da sie sich nicht von rechtspolitischen Positionen distanziert, sondern mit dem Queerfeminismus/-aktivismus ein gemeinsames Feindbild anbietet. l’Amour laLove kennzeichnet dieses neue Feindbild hingegen als Bußkultur, indem Selbstpositionierungen die eigene Privilegierung offenlegen sollen, kulturelle Aneignung in einem öffentlichen Akt der Selbstdemütigung (in diesem Fall Dreadlocks) abgelegt wird, und als Verblendung, da der Islam unkritisch dem Christentum gleichgestellt werde:1273 »Die Autorität wird sozusagen nach innen gewendet. Besonders weiße Queers sollen erzogen werden und sie bekunden in den Bußritualen ihren Will zur Erziehung sowie die Einsicht, dass sie auf ewig schuldig bleiben, öffentlich und mit möglichst sichtbarem schlechten Gewissen.«1274 Hier überschneiden sich homonormative mit homonationalistischen Tendenzen, welche die gesamte Herausgeberschaft prägen und künftige Erscheinungen der sogenannten »Kreischreihe« dominieren. Homonationalismus zeichnet sich nach Jasbir Puar durch das Konstrukt des unzivilisierten, untolerant-homophoben, muslimisch-migratisierten Anderen aus, vor welchem homosexuelle Interessen geschützt werden müssen.1275 El-Tayeb sieht im Anschluss daran vor allem weiße Schwule und Lesben ebenso als einen Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft an, welcher vom Migratismus in der Form einer Stärkung seiner Rechte profitiert,1276 worauf sich auch Judith Butler und Carolin Emcke beziehen. So lehnt Butler 2010 den »Preis für Zivilcourage« – verliehen vom CSD Berlin – mit den Worten »von dieser rassistischen Komplizenschaft muss ich mich distanzieren« ab, während sich Emcke 2016 bei der Verleihung des »Friedenspreis des deutschen Buchhandels« positioniert, indem sie schlussfolgert, dass »Homosexuelle vor allem dann wahrgenommen und als Menschen mit Rechten verteidigt werden, wenn sie sich als Spielfiguren in der feindseligen Kampagne gegen Muslime einsetzen lassen«.1277 l’Amour laLove kritisiert mit Vehemenz – ohne den Begriff zu verwenden – die vermeintliche Cancel-Culture, die sich bei genauem Hinsehen als Intervention in rassistische, transfeindliche, islamfeindliche usw. Interaktionen beschreiben lässt und somit als gesellschaftlicher Lernprozess ebenso kostbar wie nervenaufreibend sein kann. Dies generalisiert als autoritär, sektiererisch und moralinsauer zu betrachten, ist eine sehr einseitige Analyse. Erstaunlich ist in diesem Kontext auch, dass der Intersektionalitätsansatz als Gleichschaltung verstanden wird,1278 wobei der Intersektionalitätsansatz 1271 1272 1273 1274 1275 1276 1277 1278

Weiß (2020): S. 229. Weiß (2020): S. 239. Vgl. l’Amour laLove (2017): S. 24ff. l’Amour laLove (2017): S. 28. Vgl. Puar (2006): S. 9ff. Vgl. El-Tayeb (2003). Butler (2010); Emcke (2016). Vgl. l’Amour laLove (2017): S. 32.

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genau diese Verkürzung der Diskriminierungserfahrungen von Personen als Einfachoder Mehrfachdiskriminierung – von einer oder mehrerer Diskriminierungsarten ausgehend – aufheben möchte, indem individuell verschränkte Differenzlinien im Diskriminierungsakt als verschränkt adressiert verstanden werden. Auch die Behauptung, der Intersektionalitätsansatz würde Diskriminierungsarten hierarchisieren und im Queer-Aktivismus dazu führen, dass Rassismus und Transfeindlichkeit als schlimmer gelten und Homofeindlichkeit in dieser »Diskriminierungsolympiade« zwar existiere, aber weniger wichtig sei,1279 lassen sich aus wissenschaftlicher Sicht keineswegs als umfassendes Konzept der Intersektionalität kennzeichnen, die genau einer solchen Hierarchisierung entgegenwirken will. l’Amour laLove kennzeichnet neue Konzepte wie die »Community Accountability«, »Definitionsmacht«, »Safe Spaces« und »TriggerWarnungen« als Kennzeichen einer grundsätzlichen Verdächtigung, an der sich die GutBöse-Dichotomie und damit das Freund-Feind-Denken im Queer-Aktivismus ablesen lassen. Das Freund-Feind-Denken nutzt und reproduziert l’Amour laLove im eigenen Sammelbandbeitrag strategisch im gleichen Duktus.1280 Die Kritik an Normen innerhalb der queeren Community kennzeichnet l’Amour laLove als Neid, da sie den Wunsch widerspiegeln würden, den eigenen Ausschluss entlang von Normen zuzumuten, auch jenen, die durch die Normen Anerkennung erfahren, sodass diese ebenfalls das eigene Leid erfahren mögen.1281 Mit derlei Argumentationslogiken wird die Homonormativität gestärkt und jede Kritik an Feindseligkeiten innerhalb der schwul-lesbischen Gemeinschaft als Neidempfinden jener zurückgewiesen, die die Feindlichkeiten zu spüren bekommen. In einem weiteren Beitrag fällt der Begriff der Identitätspolitik in Misskredit und wird als Gegenteil zu den Emanzipationskämpfen von klar definierten Gruppen konstruiert: »Neben die alten Selbstbezeichnungen von Homosexuellen als Schwule und Lesben und die – zumindest begrifflich – ebenfalls etablierten Bisexuellen treten die Geschlechtsidentifizierungen trans*, inter und agender […] Nach gängigem queerem Lippenbekenntnis jedoch stehen alle Identitäten so gleichberechtigt wie unverbunden nebeneinander. Demnach hat die klassische Lesbe nicht mehr und nicht weniger Anlass, für ihre Rechte zu streiten […]«,1282 was Koschka Linkerhand als Geburtsstunde des Queer-Aktivismus und Todesstoß der »in die Jahre gekommenen Frauen- und Lesbenbewegung« kennzeichnet.1283 Dieser Beitrag sucht im Gegensatz zu den weiteren Beiträgen auch nach Gemeinsamkeiten und solidarischen Bündnismöglichkeiten und schließt mit der Vermutung, dass alle Feminist*innen geeint werden durch den »Wunsch, dass Geschlecht und Sexualität einmal keine gesellschaftlich überdeterminierten, hierarchisierenden Kategorien mehr wären und stattdessen mit unendlichen Möglichkeiten von Lust und Freiheit verbunden sein

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l’Amour laLove (2017): S. 33. Vgl. l’Amour laLove (2017): S. 35. l’Amour laLove (2017): S. 44. Linkerhand (2017): S. 56f. Linkerhand (2017): S. 59.

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können«.1284 Ein weiterer Beitrag kritisiert vor allem den Begriff der Homonormativität, welcher begrifflich eine Parallele zur Heteronormativität aufruft, welche Heterosexualität strukturell in der Gesellschaft als Norm verankere, wovon bei Homosexualität keineswegs die Rede sein könne.1285 Homonormativität verweist im Sinne Duggans jedoch vielmehr auf das Phänomen, dass auch queere Gemeinschaften von einer strukturellen Norm gekennzeichnet sind, die bestimmte Identitäten und damit verbundene Eigenschaften privilegiert und mittels Ausschlüssen des vermeintlich Anderen – bspw. des nicht-binärgeschlechtlichen oder muslimischen Anderen – exkludiert. Gefolgt wird dieser Beitrag von Vojin Saša Vukadinović, ebenfalls bekannt durch einen EMMA-Beitrag mit dem Titel »Gender Studies. Die Sargnägel des Feminismus?« aus dem Jahr 2017. In diesem Beitrag wendet sich Vukadinović gegen den Studiengang Gender Studies, dem die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird, indem einzelne Vertreter*innen hervorgehoben und der »Verblödung« ihrer Studierenden bezichtigt werden.1286 Paula Villa, Gender Studies Professorin, antwortet auf die Zensur-Vorwürfe in einem Beitrag im queerfeministischen »Missy Magazine«: »Wir kennen das aus der Selbstveropferung populistischer Rhetorik. ›Man darf nix mehr sagen‹, schallt es dann laut aus verschiedenen gut hörbaren Kanälen, hier nun aus der ›EMMA‹«, womit auch Villa ihr Bedauern über die neuen Allianzen aus Feminismus und Populismus ausdrückt.1287 In der Beißreflexe-Herausgeberschaft wendet sich die Kritik Vukadinovićs Beitrags von den Gender Studies ab und dem Queerfeminismus als erweitertem Arm der Gender Studies zu. Besonderes Augenmerk erhalten hier der Netzfeminismus und namentlich ebenso Hengameh Yaghoobifarah, Kübra Gümüşay, Anne Wizorek, Margarete Stokowski und allen voran Judith Butler. Die Kritik richtet sich gegen Thesen der zuvor genannten, in denen diese darauf hinweisen, dass die eigene Verstricktheit in fundamentalistisch-islamische Sichtweisen gegenüber queeren Personen nicht unsichtbar bleiben dürfe und dass Kolonialisierung und weiße (hetero-)sexistische Strukturen nur miteinander verwoben verstanden werden können. Vukadinovićs Abwehr des eigenen Verstricktseins erinnert mitunter an AfD-Sprechweisen, wenn Vukadinović bspw. Butler als »Burka-Versteherin«1288 herausstellt und Gümüşay menschlich auf eine »Kopftuchträgerin«1289 verkürzt. Auch in den nachfolgenden Jahren wird in den Erscheinungen der Kreischreihe weiter ausgeführt, was noch auf der radikal feministischen Zunge brennt. So bspw. im Sammelband »Freiheit ist keine Metapher«, wenn Naida Pintul schreibt: »Gesellschaftlich wird man auf biologisch-materiellen Grundlagen als Frau oder als Mann sozialisiert; wachsende gesellschaftspolitische Sensibilisierung gegenüber Inter- und Transsexualität ändert hieran nichts. Reproduktionsarbeit […] ist untrennbar

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Linkerhand (2017): S. 64. Vgl. Wolf (2017): S. 146. Vgl. Vukadinović (2017b): S. 69. Villa (2017). Vukadinović (2017a): S. 160. Vukadinović (2017a): S. 157. So zum Beispiel Alice Weidel, die im Bundestag schlussfolgerte: »Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.« (https:// www.youtube.com/watch?v=ZEGj1T0pnR0 [letzter Zugriff: 20.06.2022]).

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verbunden mit dem biologisch weiblichen Körper. Dieser Körper wird in globaler Perspektive unterdrückt durch den Umgang mit Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und weiblicher Anatomie.«1290 Subtext ist hier, dass weder inter- noch transgeschlechtliche Menschen menstruieren, schwanger sein oder gebären können – im Gegenteil, trans- und intergeschlechtliche Körper werden ihrer körperlichen Existenz beraubt. Wo wäre in dem ernstzunehmenden Bedürfnis nach Schutz vor Unterdrückung etwas verloren, wenn die Formulierung wie folgt aussähe: »Menstruierende, schwangere, gebärende Körper werden gesellschaftlich unterdrückt.« Die Aussage bliebe benennbar und gleich, nur dass sich hier geschlechterbinäre wie geschlechterplurale Deutungsmuster zu gleichen Teilen anschließen könnten. Das alles ist ein Zeichen dafür, dass sich der Diskurs strukturell festigt und die vorgetragenen Thesen den Rahmen des Sagbaren in seiner Erweiterung gedehnt halten. Auch in dem Sammelband »Irrweg« wird der – von einigen queerfeministischen Akteuren vorgetragene – Vorwurf der cisgeschlechtlichen Privilegierung abgewiesen; so schreibt Amelung: »Der Vorwurf von Privilegien bleibt, wie allzu oft, auch hier auf der anklagenden Ebene. Man zeigt auf das, was jemand anderes hat und was einem selbst fehlt. Mit ›check your privilege‹ wird von denen, die haben, nunmehr erwartet, dass sie selbst bekennen, etwas zu haben, was andere nicht haben. Derlei Praktiken sind vor allem durch Neid gespeist.«1291 Doch was können trans- und intergeschlechtliche, nichtbinär- und ageschlechtliche Menschen tun, damit die Dokumentationen und Belege ihrer Deprivilegierung eine cisgeschlechtliche Privilegierung nachweisen und nicht nur anklagen. Reicht es nicht aus, zu zeigen, dass im Alltag Barrieren errichtet werden, sei es die Abweisung beim Betreten einer geschlechtsspezifischen Toilette oder das häufig geforderte Vorlegen von Ausweisdokumenten, wenn der Name und die optische Wahrnehmung nicht übereinstimmen. Den Neid beschreibt Amelung wenige Seiten später so: »Cis-Menschen sind die Projektionsfläche der Sehnsüchte.«1292 Diese Aussage ist ein Exempel für die Verkürzung der Transgeschlechtlichkeit auf jene Personen, die nicht nur den Personenstand wechseln wollen, sondern sich optisch an gängigen Geschlechterstereotypen orientierend verändern möchten und aus diesem Grund hormonelle wie chirurgische Eingriffe vornehmen. Die Personengruppe der transgeschlechtlichen Menschen ist aber keineswegs derart homogen, wie bereits mehrfach in Studien aufgezeigt.1293 Was in der Kreischreihe des Querverlags in nahezu allen Beiträgen deutlich wird, ist die Angst, dass die eigenen Interessen nicht mehr berücksichtigt werden, wenn andere, neue Interessen Eingang in queere Räume erhalten. Statt aber der Frage nachzugehen, wie die neuen Interessen und Bedürfnisse möglicherweise auch umfassend als GroßInteressengemeinschaft artikuliert und erstritten werden können, werden neue Feindschaften kultiviert und umfassend gegen eine heraufbeschworene Vereinheitlichung der queeren Akteure mobil gemacht, während queeraktivistische/-feministische Akteure 1290 1291 1292 1293

Pintul (2018): S. 252. Amelung (2020): S. 200. Amelung (2020): S. 202. Vgl. Hamm; Sauer (2014): S. 11; Adamietz; Bager (2016): S. 221.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

wie ein Abszess abgekapselt und als Feindbild ebenfalls generalisiert werden. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, so formulierten Hark und Butler in einem Zeit-Beitrag zum Beißreflexe-Sammelband: »Um der Zurschaustellung eigener moralischer Überlegenheit willen bedienen sich diese Autoren einer Strategie, die – mit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt fatalen Folgen – zu Prozessen der Entsolidarisierung beiträgt. Indem sie der Empörung den Vorzug geben, vor dem Ausloten der Aporien von Solidarität, betreiben sie das Geschäft der Herrschaft, das anzuprangern sie vorgeblich angetreten sind.«1294 Wieso also kann nicht danach gefragt werden, wie es möglich wird, queere Identität anzuerkennen und gleichzeitig schwule oder lesbische Sichtbarkeit sicherzustellen, den Schutz von Frauen zu einem individualisierten Schutz von strukturell benachteiligten Menschen zu erweitern, indem jede Person, die Gewalt und Belästigung erfährt, einen Hafen der Sicherheit zugewiesen bekommt. Statt also gegen ein Gesetz für mehr Selbstbestimmung zu kämpfen, sollte für eine umfassende staatliche Verantwortungsübernahme gekämpft werden, indem mehr Ressourcen zum Schutz von vulnerablen Personen eingefordert werden. Stattdessen wird die Ablehnung von Disziplinen (bspw. Gender und Queer Studies sowie Poststrukturalismus), das Duell von Denkmustern (geschlechterbinär versus geschlechterplural) und der Kampf zwischen AktivismusSchulen (Cisfeminismus versus Queerfeminismus) auf dem Rücken von trans- und ebenso intergeschlechtlichen wie nicht-binären und ageschlechtlichen Menschen ausgetragen, die ihrerseits von einer Welle des Hasses erfasst werden. Abschließend sollten Heteronormativität und Binarität hier in einem Wechselverhältnis stehend verstanden werden, da Sexualität ohne Geschlechtsklassifizierung nicht klassifizierbar wäre. Sexualitäten werden demnach durch die dichotom konstruierten Geschlechtskörper diskursiv hervorgebracht und auch die binäre Vorstellung des Geschlechts wird durch die Heterosexualität essentialisiert. Die Binarität ist demnach immer in die Heteronormativität eingelassen, so wie die Heteronormativität immer in die Binarität eingelassen ist.1295 Foucault beschreibt diese Verschränkung unter dem Begriff des Sexualitätsdispositivs, da sich die sexuelle Orientierung der Heterosexualität nur als sexuelles Begehren zwischen zwei Polen beschreiben lasse.1296 Mit Bublitz lässt sich bis hierhin zusammenfassen, »dass die dualistisch konstituierte Zweigeschlechtlichkeit, biologisch begründet, genealogisch als ein Hegemonialmodell verstanden werden muss, das sich in historischen Auseinandersetzungen durchgesetzt hat, und dass es historisch andere Formen der Geschlechtlichkeit, der Homosexualität und Transsexualität gegeben hat, die historisch eingeebnet wurden in ein Modell der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit«.1297

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Butler; Hark (2017). Vgl. Honegger (1991); Laqueuer (1992); Bublitz (1998); Bublitz (2009): S. 257f. Vgl. Foucault (1977b): S. 141ff.; S. 177ff. Bublitz (1998): S. 30.

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Butler beschreibt diese Verschränkung mit dem Begriff der »heterosexuellen Matrix«, welche auf den Annahmen, dass Menschen nur eines von zwei dichotomen Geschlechtern haben, sich mit diesem identifizieren und gegengeschlechtlich Begehren, Intelligibilität (soziale Anerkennung) verleiht: »Die Instituierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität erfordert und reguliert die Geschlechtsidentität (gender) als binäre Beziehung, in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet. Diese Differenzierung vollendet sich durch die Praktiken des heterosexuellen Begehrens. Der Akt, die beiden entgegengesetzten Momente zu differenzieren, führt dazu, daß sich jeder der Terme festigt bzw. jeweils eine innere Kohärenz von anatomischem Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren gewinnt.«1298 »Geschlechtsnormen wirken, indem sie die Verkörperung bestimmter Ideale von Weiblichkeit und Männlichkeit verlangen, die fast immer mit der Idealisierung der heterosexuellen Bindung in Zusammenhang stehen.«1299 Da die Queer Theorie dieses Normalitätsregime kritisiert, gerät auch die Homosexualität als stabilisierendes Moment der heteronormativen und geschlechterbinären Gesellschaftsordnung in den Fokus. So bringt jeder Individualisierungsprozess als Selbstbestimmung eine Unbestimmtheit in die Geschlechter- wie Sexualitätsordnung,1300 auch wenn sich bspw. maskulinisierte Lesben als »Butch« identifizieren und davon jene feminisierte Lesben als »Femmes« unterschieden werden, reproduziert dies auf der einen Seite die binäre Wahrnehmung von Geschlecht, entkoppelt auf der anderen Seite jedoch die Sexualität von ihrer Verschränkung mit dem Körpergeschlecht und führt so zu einer Veruneindeutigung. Was jedoch durch die queere Aufforderung zur Selbstkritik auf dem Spiel steht, ist die – bis hier hin – errungene Akzeptanz: »Prozesse der Individualisierung und der Selbstverortung in Normalitätsfeldern und -klassen und Prozesse der flexiblen Sicherung der Gesellschaft sind von Anfang an gleich konstitutiv«.1301 Und so erscheint die Selbstkritik als Unsicherheit im Gegensatz zur Selbstnormalisierung, welche Normalität als persönliche Leistung erzeugt, jedoch gleichzeitig das Moment der Verunsicherung in sich trägt, da ein Scheitern zum individuellen Risiko gehört. Wer also die Binarität – aus einer von der heteronormativen Ordnung abweichenden sozialen Platzierung – stärkt und sich so um Anerkennung bemüht, der trägt das individuelle Risiko, dass die nunmehr gestärkte Binarität ihrerseits die Heteronormativität stärkt. Beharren also Lesben darauf, richtige Frauen zu sein, so beharren sie auf ihr Recht, den Status der nicht-richtigen Sexualität verlassen zu können, wenn sie auf ihre Rechte als richtige Frauen verweisen und so die eigene Normalität produzieren, wenngleich sie als lesbische Frauen markiert bleiben, im Gegensatz zu heterosexuellen Frauen, die einfach nur Frauen sind. Es bleibt also abzuwarten, ob die homonormativen Elemente im SelbstBestG-Diskurs am Ende nicht genau jene sind, die gemeinsam

1298 1299 1300 1301

Butler (1991): S. 46. Butler (1997): S. 318. Vgl. Bublitz (2009): S. 256f. Bublitz (2009): S. 258.

4. Die Diskurse um das Selbstbestimmungsgesetz und weitere Gesetzentwürfe

errungene Anerkennung, Rechte und Räume gefährden und weitestgehend unbemerkt wirken können, während der Fokus einzig auf queerfeministische Akteure und transgeschlechtliche Menschen gerichtet wird. Und so kann abschließend mit TransInterQueer konstatiert werden: »Wir sind es müde, dass Theoriedebatten auf unserem Rücken ausgetragen werden, insbesondere solange die Lebensverhältnisse und unsere Lebenserfahrungen sich nicht mit der (bisher weitestgehend imaginierten) neuen, schönen queeren Welt decken. Nur nochmal kurz zur Rekapitulation: fast alle zentralen Forderungen der immer noch sehr jungen und fragilen Trans*-Bewegung sind nach wie vor nicht erfüllt […] Schlimmer noch: zunehmend geraten auch Trans*-Verbände und Personen auf rechte Feindeslisten und in den Fokus der AfD (vgl. u.a. kleine Anfrage BT-Drs. 19/8259). Sie werden zur Zielscheibe rechtspopulistischer Verleumdungskampagnen, die eine Definanzierung der überhaupt erst kürzlich ansatzweise finanzierten Bewegung und ebenso eine Einschüchterung zum Ziel haben.«1302 TransInterQueer schließt aus, dass es für die Stimme queerer Menschen, die Transgeschlechtlichkeit ablehnen oder sich von einer geschlechtlichen Selbstbestimmung bedroht fühlen, einen Resonanzraum geben müsse. Diese Menschen verbreiten Feindlichkeiten und produzieren Ausschlüsse. Stattdessen sei es sinnvoller danach zu fragen, wie Räume für alle Menschen besser geschützt werden können, statt einzelne zu privilegieren. Zudem stehen die Männlichkeit oder die Weiblichkeit der cisgeschlechtlichen queeren Menschen nicht in Abrede, nur weil transgeschlechtliche Menschen endlich rechtlich anerkannt werden: »Wer es besorgniserregend findet, wenn es mehr trans* Kinder und Jugendliche geben sollte, hat ein klares Verständnis von (höher bewerteter) Cis-Norm im Vergleich zur ›abnormalen‹, abgewerteten geschlechtlichen Vielfalt. Übrigens, kleiner Tipp an Korte, man kann auch trans* sein ohne seinen Körper abzulehnen – es gibt viele glückliche Frauen mit Penis und glückliche Männer mit Vulva. Letztere sollen sogar gebären und sich trotzdem nicht weniger als Vater fühlen können.«1303

1302 TransInterQueer (2020). 1303 Ebd.

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5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

Letzter – auf die Diskursanalyse aufbauende – Schritt ist die Frage nach den Selbstund Fremdpositionierungen, aus welchen Identitätsangebote und Anerkennungsbedürfnisse hervorgehen und die Frage danach, ob Transformationsdynamiken erkennbar sind. Wie bereits dargestellt, wird Transformation entlang von Anerkennungskämpfen ermöglicht. Aus diesem Grund sollten die Ergebnisse des Analysekapitels nun theoretisch eingebettet werden. Beginnend mit der Trennung von dem Politischen und der Politik soll der Widerstreit der Lebensformen als Anerkennungskampf im Bereich der identitätspolitischen Bestrebung verortet werden, während das SelbstBestG als eine aus diesen Kämpfen hervorgehende Identitätspolitik begriffen wird. Abschließend erfolgt entlang der Unterscheidung von dejure und defacto ein kurzes Fazit mit Ausblick auf mögliche neue Ansätze.

5.1 Das Politische und die Politik Sowohl die politischen Debatten inklusive der vorausgehenden Gesetzentwürfe und den damit zusammenhängenden Stellungnahmen als auch die Urteile des BVerfG verweisen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine Neuerung des TSG oder die Berücksichtigung von bisher nicht berücksichtigen Fakten zwingend notwendig machen. Wissenschaft, so scheint es, wird von allen Konfliktparteien und Machtinstanzen zur einzigen und letzten Wahrheitsinstanz erhoben. Alexander Bogner leitet entlang der Wissensproduktion (bspw. in der Universität, aber auch in Instituten) und der Vermittlung von (Lehrbuch-)Wissen (bspw. an Universität und an Schulen) die Legitimierung des »(Experten-)Wissen[s] als höchste Entscheidungsinstanz in vielen politischen Kontroversen« her.1 Die gesellschaftliche Wertschätzung des Expertenwissens bezieht sich nicht nur auf den Bereich der Politik, sondern ebenso auf die Wirtschaft, das Recht und die Populärkultur.2 »Es herrscht der unbedingte Glaube daran, dass Wissen bes1 2

Bogner (2021): S. 8. Vgl. Bogner (2021): S. 9.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

ser ist als Nichtwissen, dass rationale Analysen dem intuitiven Erleben überlegen ist [sic] und das Bewusstsein über dem Sein steht.«3 Giddens unterdessen vermutet den Grund für ein größeres Vertrauen in das Expertenwissen in der Pluralisierung des Wissens, weshalb es immer weniger geteiltes Allgemeinwissen und dafür eine Ausdifferenzierung des Spezialwissens gibt, wodurch die Menschen verunsichert wären und auf Expertenwissen vertrauten. Dieses Vertrauen jedoch sei ein gesellschaftliches Phänomen, das auf »vagen Teileinsichten in die gegebene ›Wissensgrundlage‹« beruhe.4 Aus diesem Grund konnte sich nach Giddens ein Expert*innen-System etablieren, welches neben einer kontinuierlichen Wissensproduktion auch die Beratung durch Fachleute (bspw. Rechtsanwält*innen, Mediziner*innen, Handwerker*innen der verschiedensten Zünfte) etablierte. Dieses Expert*innen-System reproduziert das unwissende Vertrauen, wodurch nicht jede Einzelperson jeden Sachverhalt oder jedes gesellschaftliche Phänomen überprüfen muss. Das Fachwissen über Geschlecht – u.a. dass es zwecks Fortpflanzung binär und konsistent sei – führt zu einer im Vertrauen auf dieses Wissen angelegten Erwartungshaltung.5 Giddens erkennt, dass Vertrauen immer mit Kontingenz verknüpft ist und somit eine gewisse Erwartbarkeit suggeriert werde, die Zuverlässigkeit auch bezüglich des Funktionierens eines Systems oder den Handlungen von Einzelpersonen vermittelt.6 Auch Donna Haraway unterstützt diese Annahme, da sie davon ausgeht, dass Wissenschaft durch ihre Sprache etwas Einheitliches und Unzweideutiges repräsentiert. »Jedoch weist gerade der zusammengesetzte Charakter bedeutender Begriffe in ›der‹ Wissenschaft auf eine kaum eingedämmte und dissonante Uneinheitlichkeit hin« schlussfolgert Haraway und meint damit bspw. »die Bezeichnungen der sich überlappenden Diskurse und ihre Wissensobjekte«.7 Haraway geht davon aus, dass bspw. Körper keineswegs präexistent sind: »Körper als Wissensobjekte sind materiell-semiotische Erzeugungsknoten. Ihre Grenzen materialisieren sich in sozialer Interaktion.«8 Wissenschaftliche Objektivität sei in diesem Zusammenhang ein riskantes Vorhaben, da das Wissensobjekt aus »verschiedenen konkurrierenden biologischen Körper[n]« besteht. Diese Bandbreite an Vielfalt werde verkürzt auf dichotome Konstrukte, welche jeweils ein natürliches und daher unmarkiertes und ein abweichendes und somit markiertes Objekt hervorbringen.9 »Der markierte organische Körper stellte einen entscheidenden Ort kultureller und politischer Auseinandersetzung dar.«10 Mit Haraway könnten identitätspolitische Bestrebungen als »verschiedenartige, miteinander verbundene, politische und biomedizinische Erzählungen« beschrieben werden,11 welche die Form »humanistischer Befreiungsdiskurse« annehmen.12 In diesem Kontext verweist auch Bogner darauf, dass Wissen keineswegs eindeutig sei, dass selbst 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Bogner (2021): S. 11f. Giddens (1996): S. 40. Vgl. Giddens (1996): S. 45. Vgl. Giddens (1996): S. 48. Haraway (1995): S. 161. Haraway (1995): S. 171. Vgl. Haraway (1995): S. 172f. Haraway (1995): S. 173. Haraway (1995): S. 173. Haraway (1995): S. 174.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

»der Versuch, etwas zu verstehen, das Objekt des Verstehens verändert (Heisenbergs Unschärferelation)«13 und dass die Analyse dem zunächst uneindeutigen Analyseobjekt einen bestimmten Zustand bzw. bestimmte Eigenschaften zuschreibt.14 Hier knüpft Bogner an Foucault an, der bereits schlussfolgerte »[…] die Wahrheit ist um die Form des wissenschaftlichen Diskurses und die Institutionen, die ihn produzieren, zentriert; sie ist ständigen ökonomischen und politischen Anforderungen ausgesetzt […] schließlich ist sie Einsatz zahlreicher politischer Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Konfrontationen (›ideologischer Kämpfe‹).«15 Foucault warnt davor, der These einer Repräsentation der Macht anheim zu fallen, welche davon ausgeht, dass »der individuelle Wille im oder durch den allgemeinen Willen repräsentiert werden könnte.«16 Genauso wenig sei es dann ein Einzelner, wie der Ehemann, der Manager, der Wissenschaftler, der die Staatsmacht repräsentiert, indem er den einzelnen unterdrückt. Foucault geht davon aus, dass die Gesamtheit der Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft das Politische konstituieren, während die Politik als eine globale Strategie zu verstehen sei, welche die Kräfteverhältnisse zu koordinieren und finalisieren vermag. Jedes Kräfteverhältnis wiederrum stellt eine Machtbeziehung dar und verweist auf ein politisches Feld in dem dieses wirkt.17 Politisches Wissen entsteht dadurch, dass die Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt wird und nach Maßnahmen zur Lenkung dieser gesucht werde. Dieses Phänomen benennt Foucault als »Regierung«.18 Die Regierung als Lenkung der Macht sei jedoch klar zu unterscheiden von der Gouvernementalität, welche als Instrument »das Verhalten einer Gruppe von Individuen immer stärker ins Blickfeld der Machtausübung von Herrschern« geraten läßt.19 Entlang der Einsetzung der Gouvernementalität wurde die Bevölkerung nicht mehr als Gesamtheit von Rechtssubjekten oder Arbeitskräften betrachtet, sondern als menschliche Spezies mit spezifischen Verhaltensweisen oder Einstellungen.20 Die Bevölkerung wurde als »ein Ensemble von Lebewesen mit spezifischen biologischen und pathologischen Merkmalen« erkannt, »für die jeweils spezifische Wissensbereiche und Techniken zuständig waren«, welche Foucault als Bio-Politik bezeichnet.21 Jean-Francois Lyotard hat in seiner Diskurstheorie ebenfalls das Politische von der Politik unterschieden und auch die Wissenschaft – in seiner Theorie eine Diskursart von vielen – reflektiert. Die Politik ist nach Lyotard keine Diskursart und dementsprechend auch nicht die höchste Antwort auf alle Schlüsselfragen. Vielmehr sei sie die Drohung eines Widerstreits: »Sie ist keine Diskursart, sondern deren Vielfalt, die Mannigfaltigkeit der Zwecke und insbesondere die Frage nach der Verkettung.«22 Lyotard erkennt in dem Verketten von Diskursarten zu einem Widerstreit und dem damit verbundenen Entscheiden dieses Widerstreits das Soziale 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Bogner (2021): S. 12. Vgl. Bogner (2021): S. 13. Foucault (1978): S. 52. Foucault (2003c): S. 304. Vgl. Foucault (2003c): S. 305. Vgl. Foucault (2003i): S. 900. Vgl. Foucault (2003i): S. 902. Vgl. Foucault (2003i): S. 904. Vgl. Foucault (2003i): S. 905. Lyotard (1987): S. 230.

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als das immer neu zu fällende Urteil.23 Das Politische unterdessen erkennt Lyotard in der Verkettung von Sätzen, die als Spieleinsatz in den Widerstreit gehen.24 Die Politik hingegen bleibt der Anlass zum Widerstreit, aus welchem schließlich Hegemonien von Diskursarten hervorgehen und eine Wirklichkeit ermittelt wird.25 Die Wissenschaft als eine von vielen Diskursarten könne also genau wie die Politik nicht per se als höchste Antwort auf alle Schlüsselarten der verschiedenen Diskursarten verstanden werden, da eine Diskursart immer Teil des Gesamten aller Diskursarten ist und ihr Spieleinsatz somit nur ein Einsatz unter vielen.26 Die Wissenschaft kann sich im Widerstreit jedoch hegemonial durchsetzen, was aber stets revidierbar bleibe. Entlang dieser Überlegungen sei also fraglich, ob das (Experten-)Wissen halten kann, was gesellschaftlich und politisch erwartet wird. Bogner nennt dieses Phänomen »epistemische Konsenspolitik« und meint damit die Überzeugung, »dass Expertenwissen die einzig zu(ver)lässige Grundlage für rationale, fortschrittliche Politik ist.«27 Das Politische identifiziert Bogner deshalb in der Falsifizierbarkeit des (Experten-)Wissens: »So institutionalisiert die Demokratie einen Markt der Meinungen, auf dem sich im gemeinsamen Ringen, so die klassische Vorstellung, eine Position verfestigt, die den isolierten Einzelmeinungen gegenüber überlegen ist.«28 In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wird die Wahrheit nach Bogner zu einer relativen Angelegenheit: »Andersdenkende und konkurrierende Parteien werden als legitime Rivalen oder sogar als notwendiges Korrektiv verstanden.«29 Dies klingt nach einem Widerspruch, denn einerseits vertraut die Politik auf (Expert*innen-)Wissen und schafft eine epistemische Konsenspolitik, setzt aber gleichzeitig auf die »Skepsis, Selbstkritik und ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber absoluten Wahrheitsansprüchen«30 im eigenen Volk. Bogner schlussfolgert daher, dass die Politik durchaus darum wisse, dass es verallgemeinerbare und/oder absolute Wahrheiten nicht gibt und jedes Wissen nicht der Wahrheit letzter Schluss ist, wodurch Entscheidungen revidierbar bleiben und das Konzept der Demokratie als andauernder Prozess gestärkt wird.31 Dennoch würde die Politik sich damit zufriedengeben, das als wahr zu würdigen, was im Ergebnis von gesellschaftlichen Deutungskämpfen übrigbliebe. Dies wiederrum folge der Vorstellung, dass die individuelle Freiheit nur durch das Recht auf produktiven Dissens zu erreichen sei: »Und Dissens wird nur dann produktiv, wenn er zur Auseinandersetzung reizt. Jede Auseinandersetzung aber hat zur Voraussetzung, dass man in derselben Welt, in derselben Wirklichkeit lebt.«32 Daraus leitet Bogner in Anlehnung an Paul Feyerabend ein funktionalistisches Argument für objektive Wahrheiten ab, denn »offene Gesellschaf-

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Lyotard (1987): S. 233. Vgl. Lyotard (1987): S. 234. Vgl. Lyotard (1987): S. 236; S. 246. Vgl. Lyotard (1987): S. 230. Bogner (2021): S. 26. Bogner (2021): S. 52. Bogner (2021): S. 52f. Bogner (2021): S. 53. Vgl. Bogner (2021): S. 53. Bogner (2021): S. 54.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

ten sind nur im Modus dauerhafter Bewegung stabilisierbar.«33 Diese Bewegung lasse sich über Konflikte erzeugen und für diese sei die Annahme objektiver Wahrheiten ein passender Motor. Ein Gegenargument sei unterdessen das Wahrheitsproblem, welches sich in der geteilten Wirklichkeit zeige, indem sich die Tatsachenbehauptungen erst an der Realität messen müssten, um nicht als reine Meinungsäußerung ihr Dasein zu fristen. Dies führe jedoch dazu, dass sich der Konflikt zum dauerhaften Streit verewige, da die ständige Tatsachenprüfung nicht abschließbar und überwindbar sei: »Die Indifferenz gegenüber Wahrheit führt in eine Gesellschaft (zurück), die den Kampf aller gegen alle zu entfesseln droht. Konflikte, so lässt sich erwarten, werden in dieser Gesellschaft auf der Grundlage der Macht, nicht aber auf der Grundlage von besserem Wissen überwunden.«34 Es gäbe aber auch nichts, so Bogner, was eine epistemische Überlegenheit rechtfertige, da ein neues Ideensystem eine andere Ontologie, andere Entitäten und damit ein anderes Wissen bedinge. Zudem gebe es darüber hinaus plurale Werte und Ideale – was Feyerabend als Multioptionalität bezeichnet –, wodurch jede Wissensbehauptung erst einmal gleichgut wäre, da sie nicht von einer gemeinsamen Basis bewertet werden könne:35 »So resultiert die scharfe Kritik an den Experten in einer kritiklosen Idealisierung der Laien.«36 All dies bedeutet jedoch kein Ende der Wahrheitsfindung, da die Gesellschaft ohne diese in unzählige Wissensgemeinschaften zerfallen würde, die sich voneinander abschotten und die freie Gesellschaft als solche gefährden und »mangels gemeinsamer Kommunikationsgrundlage entweder einen indifferenten Relativismus pflegen oder in unauflöslicher Feindschaften miteinander leben müssten«,37 weil die verschiedenen Wahrheiten nicht als weitere Perspektiven bewusst, sondern als Falsch und Lüge exkludiert werden. Werden Tatsachen als solche akzeptiert, da sie dem Zweck gerecht werden, den sinnhaften Aufbau der Welt mittels Orientierung verstehbar zu machen, würde dies nur so lange gewährleistet, bis die Tatsachen als Konstruktionen verstanden werden.38 Werden sie als Konstruktionen bewusst, haben sie ihre Selbstverständlichkeit verloren und ihr Referenzrahmen wurde erweitert, sodass weiteres Wissen um die Stellung der Tatsache konkurriert.39 Nach Bogner ist vor allem die offizielle Beratungsfunktion von Ethik-Kommissionen für die Politik keine Bereicherung hinsichtlich der Entscheidungsfindung, sondern vielmehr sei dadurch eine Entparlamentarisierung zu erwarten, da es, wo es (Expert*innen-)Wissen gibt, keine Politiker*innen mehr braucht:40 »Die Hauptsorge gilt daher dem epistemischen Feudalismus in Gestalt unkontrollierter Expertenmacht.«41 Ohne das unabhängige (Expert*innen-)Wissen fehlt der Politik jedoch die legitimatorische Macht und obwohl die Expert*innen keine Entscheidungsmacht haben, erhalten sie Definitionshoheit, mit der sie Entscheidungsprozesse maßgeblich gestalten können. 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Bogner (2021): S. 56. Bogner (2021): S. 56. Vgl. Bogner (2021): S. 63. Bogner (2021): S. 63. Bogner (2021): S. 64. Vgl. Bogner (2021): S. 70f. Vgl. Bogner (2021): S. 71. Vgl. Bogner (2021): S. 70. Bogner (2021): S. 78.

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Der Politik bleibt, so Bogner, nur das Problem-Framing.42 Bezogen auf das SelbstBestG wird für ein neues Gesetz zur Ablösung des – in Teilen nicht verfassungsgemäßen – TSG ebenfalls Experten*innen-Wissen eingeholt, nicht aber zu der Frage, ob es überhaupt eine gesetzlich verankerte Geschlechtsklassifizierung geben muss. Die Politik bestimmt daher als Problem-Framing des vorliegenden Diskurses die regelrechte Reglementierung des Geschlechts qua Gesetz, nicht aber die Frage danach, ob es eine regelrechte Reglementierung des Geschlechts im Gesetz überhaupt braucht. Durch das ProblemFraming kann die Politik ihr Selbstverständnis als Machtinstanz somit reproduzieren. Flügel-Martinsen definiert Politik daher als die institutionelle Dimension, welche eine existierende politische Ordnung umfasst, wohingegen das Politische die praktische Dimension sei, die Institutionen mittels Deutungskampf hinterfragt oder neue Institutionen hervorbringt.43 Das Politische hinterfrage die gegebenen Weltverhältnisse und ermögliche die Erkämpfung anderer Weisen der politischen Subjektivierung. Somit könnte die Subjektivierung innerhalb diskursiver Machtfelder – ohne dabei die hegemonialen Subjektangebote anzunehmen – bereits im Feld des Politischen verortet werden.44 Thomas Bedorf übersetzt eine Forderung von Philippe Lacoue-Labarthe und Jean-Luc Nancy ins Deutsche, um damit treffend die Differenz der Theoreme zu umfassen: »Indem wir vom Politischen sprechen, wollen wir gerade nicht die Politik bezeichnen.«45 Bedorf definiert die Politik als das Realisierbare in der gesellschaftlichen Ordnung und das Politische als die Neuvermessung dieser Ordnung.46 Das Politische wird in diesem Sinn zum normativen Maßstab für die durch die Politik bereits bestehende Ordnung und ebenso für die angestrebte Ordnung:47 »Was jenseits des Gesellschaftlich-Reproduktiven in der Gemeinsamkeit der menschlichen Pluralität behandelt werden kann, ist politisch in dem Sinne, dass es sich der Herrschaft der Notwendigkeit in allem Ökonomischen entzieht.«48 Das Politische als der demokratische Bereich des menschlichen Agierens wirkt auf die Gesetzgebung ein, indem der Wille des Volkes in der Demokratie durch die Politik repräsentiert wird und letztere die gesellschaftlichen Lebensweisen in eine Rechtsauffassung transferiere.49 Ulrich Beck erkennt durch einen Aufsatz von Wassily Kandinsky, dass es einen Wandel von einer »entweder-oder« Grundhaltung zu einer »und« Mentalität gebe.50 Allerdings zeige sich eine erstaunliche gesellschaftliche Reaktion auf diesen Wandel: »Viele ängstigt das Globale, Diffuse, die Konturlosigkeit des und. Die Ent-Fremdung des Fremden und damit die Ent-Eignung des Eigenen, die das und unfreiwillig herstellt, wird als Bedrohung erlebt.«51 Statt sich auf das »und« einzulassen, sehnen sich die Menschen nach dem »entweder-oder«, während gleichzeitig ein »und« gelebt werde. Dadurch, so 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Bogner (2021): S. 78. Vgl. Flügel-Martinsen (2019): S. 454. Vgl. Flügel-Martinsen (2019): S. 456. Bedorf (2010): S. 14. Vgl. Bedorf (2010): S. 14. Vgl. Bedorf (2010): S. 16. Bedorf (2010): S. 17. Vgl. Kaufmann (2021): S. 374. Vgl. Beck (1993): S. 9. Beck (1993): S. 11.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

Beck, entstehe das Politische.52 Das SelbstBestG kann in diesem Zusammenhang exemplarisch die Theorie Becks bestätigen, da die bisherige gesetzliche Ordnung nur zwei Geschlechtskategorien eröffnet, entweder die Weibliche oder die Männliche, während im Alltag weit darüber hinaus trans- und intergeschlechtliche, ageschlechtliche und nichtbinäre Geschlechter existieren und gelebt werden, wodurch entlang von Klagen vor dem BVerfG eine Neuordnung der gesetzlichen Geschlechtskategorie erwirkt wurde, die nun durch das SelbstBestG in ein und überführt werden könnte. Das Politische, so Beck weiter, sollte jedoch nicht einfach als politisches Handeln verstanden werden, da es dann entstehe, wenn die gängigen Begriffe und Konzepte erodieren und Situationen nicht mehr erfassbar sind.53 Infolgedessen entstehen laut Beck Zurechnungskonflikte, welche gesellschaftliche Leerstellen in die sichere gesellschaftliche Ordnung integrieren können, bspw. entlang des SelbstBestG, um einen Diskriminierungsschutz abzusichern. Diese werden jedoch durch Verteilungskonflikte überlagert, da sie bspw. von einer durch die Zurechnungskonflikte erzeugten Gefährdungslage ausgehen.54 Im Fall des SelbstBestG finden sich diese Zurechnungskonflikte in Form der Befürchtung, die Gleichstellungspolitik würde damit abgeschafft oder die Rechte von Dritten missachtet. Eine derartige Überlagerung führt mit Beck zu einer »Entzauberung der kollektiven und gruppenspezifischen Sinnquellen.«55 Diese Entzauberung der Sinnquellen fördert jedoch die Definitionsleistung der Individuen, weshalb ein Individualisierungsprozess entfacht werde. Dieser Individualisierungsprozess sei aber nicht im Sinn von Simmel, Durkheim und Weber zu verstehen und meint nicht das Herauslösen des Menschen aus religiösen oder ständischen Gemeinschaften, sondern die Herauslösung des Menschen aus der Industriegesellschaft in die »Turbulenzen der Weltrisikogesellschaft«.56 Genauer betrachtet erkennt Beck, dass der Mensch durch immer widersprüchlichere Phänomene und aufgrund der größeren Komplexität moderner Gesellschaften mit immer höheren persönlichen Risiken im Rahmen von individuellen Entscheidungen konfrontiert wird, deren Ausgang einzig und allein in der individuellen Verantwortung liegt. Die derzeit getroffenen politischen Entscheidungen führen also in eine Politik, die das Risiko institutionalisiert. Durch das Zerbrechen der ehemals gültigen Legitimationen, gerät zwangsläufig jeder unter Dauerverdacht.57 Beck schlussfolgert, dass die Gesellschaft zwar in einer Welt des und lebt, aber noch in den Kategorien des entwederoder denkt.58 Aus diesem Grund muss sich das nunmehr freigesetzte Individuum abseits anerkannter Rollen, Institutionen und anerkanntem Wissen orientieren und im Bereich des Politischen die eigene Subjektivität entfalten.59 Durch diesen Sachverhalt entstehen Konflikte, welche Machtmonopole umkämpfen oder restriktiv verteidigen, wodurch diese entweder eröffnet oder verschärft würden.60 Nach Beck geht dies sogar so weit, 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. Beck (1993): S. 11. Vgl. Beck (1993): S. 18. Vgl. Beck (1993): S. 37. Beck (1993): S. 38. Vgl. Beck (1993): S. 39. Vgl. Beck (1993): S. 41. Vgl. Beck (1993): S. 61. Vgl. Beck (1993): S. 63f. Vgl. Beck (1993): S. 66.

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dass die ehemals »eindeutigen, abgrenzbaren und politisch konträren oder kontradiktorischen Großgruppen-Kategorien« darüber streiten »wie diese Großlagen zu begreifen und empirisch und politisch zu bestimmen und auszudeuten sind«.61 Dadurch würden sich die sozialen Klassen immer weiter auflösen, während die sozialen Ungleichheiten bestehen bleiben, wodurch es zu »einer Verschärfung sozialer Ungleichheit [kommt], die nun nicht mehr in lebenslang lebensweltlich identifizierbaren Großlagen verläuft, sondern (lebens)zeitlich, räumlich und sozial zersplittert wird«.62 Anstatt einen Konflikt mit einer stabilen Interessengruppe zu führen, würde dieser jedoch entlang einer themenzentrierten Öffentlichkeit vollzogen.63 Dies müsse zwangsläufig dazu führen, dass nur noch zwischen Gut und Böse, zwischen Freund und Feind unterschieden werde, da die Kontrahenten nicht mehr klar benennbar seien.64 Die Freund-Feind-Wahrnehmung unterstützt das Gefährdungsnarrativ, denn »der Feind erzwingt kraft seiner existenziellen Bedrohung die Verteidigung, den Verteidigungskonsens.«65 Die durch den Konsens erzeugte Gemeinschaft mit geteilter Ordnung sei demnach mehr als eine Gegenreaktion zu verstehen, welche die Sicherheit verteidigt. Als Feinde, so Beck, glauben beide das Recht auf ihrer Seite zu haben, sie legen Gesetze, Parlamentsbeschlüsse oder soziale Zustimmung als Insignien der Legitimation vor. Zudem werde in der Bedrohung eine »hergestellte Zugewiesenheit« erzeugt.66 Feindbilder seien zudem leichter herzustellen als ein demokratisch erzeugter Konsens, was nach Beck die Demokratie bedrohe.67 Zusätzlich erzeugt das Feindnarrativ eine Autorität, da die Feindposition nur einseitig verstanden wird: »Das Feindbild macht den Fremden zum Feind, hebt aber die Aktivität seines Schöpfers zugleich auf und besagt: Er ist der Feind, der mich bedroht, nicht mein Feindbild ihn.«68 Das Politische bemüht sich nach Beck also darum, eine Lösung zu erzwingen, während in der Politik bewusst wäre, dass es nicht nur eine Lösung gibt.69 Aus diesem Grund lehnt Beck die parlamentarische Demokratie auch nicht ab, da er die funktionale Notwendigkeit in Parlament, Exekutive und Verwaltung erkennt, welche den Prozess einer jeden politischen Willensbildung organisieren. Allerdings, so schränkt auch Beck seine eigene These ein, sei die personelle Führung der Politik autoritär und stehe somit diametral der Entörtlichung der Politik durch das Politische entgegen, welche eine gewisse Demokratisierung bewirke.70 Dass das Politische als wahrgenommene Demokratie jedoch die herrschenden Verhältnisse verrücken und kritisieren kann, das sei auch ein Kennzeichen für eine erfolgreiche Demokratie und dementsprechend für eine demokratische Politik, da dem Politischen ausreichend Raum gegeben werde.71 Beck erkennt hier drei Ebenen des Politikwissens: Polity umfasse die institutionelle 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Beck (1993): S. 73. Beck (1993): S. 77. Vgl. Beck (1993): S. 78. Vgl. Beck (1993): S. 74. Beck (1993): S. 131. Vgl. Beck (1993): S. 132. Vgl. Beck (1993): S. 133. Beck (1993): S. 134. Vgl. Beck (2016): S. 312. Vgl. Beck (2016): S. 314. Vgl. Beck (2016): S. 315.

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Verfassung, Policy die politischen Programme, welche die gesellschaftliche Ordnung (re-)produzieren und Politics die politischen Auseinandersetzungen um Macht. Diese Ebenen ergänzt Beck um die vierte Ebene, die der Subpolitik. Hier verortet Beck jene Akteure, die auf den anderen Ebenen nicht präsent sind, aber dennoch um die Gestaltungsmacht im Bereich des Politischen konkurrieren.72 Neben der politischen Macht erkennt auch Foucault eine Submacht, welche er in den ganzen kleinen Machtformen, den kleinen Institutionen erkennt.73 Aus dieser Submacht entstanden diverse Wissensformen, welche dazu beitragen, die Individuen über Normalisierung zu ordnen.74 Auf Ebene der beckschen Subpolitik mobilisieren »die verschiedenen Gruppen und Ebenen der Entscheidungsfindung und -beteiligung die Mittel des Rechtsstaates gegeneinander.«75 Dieser Prozess hat mit Beck jedoch eine Kehrseite, da sich weder Macht noch Gegenmacht durchsetzen können und so eine Ohnmacht entstehe, welche er als »Vorform einer ungeregelten, anarchistischen Selbstbegrenzung und Selbstkontrolle« bezeichnet.76 Genau jetzt stellt Beck die einfache der reflexiven Politik gegenüber, denn während die regelgeleitete Politik ein bestimmtes Wissen hervorbringt, würde die regelverändernde Subpolitik die Selbstanwendung bedeuten:77 »So zeichnen sich an den Wegweisungen der mit Identitätsfragen aufgeladenen ›Körperpolitik‹ Glaubenskriege zwischen feindlichen Lebensstilgruppen ab.«78 Die veränderten Machtverhältnisse zeigten sich beispielsweise darin, dass die Politik den Gerichten den Status der Kontrollinstanzen von politischen Entscheidungen zuteilt, was sich insbesondere darin erkennen lasse, »das Richter ihre ›richterliche Unabhängigkeit‹ auch gegen den politischen Strich wahrnehmen […] und [Bürger] ihre Rechte notfalls auch gegen den Staat vor Gericht einzuklagen versuchen«.79 Gerichte, aber auch die Medizin werden von Beck im Bereich der Subpolitik verortet, da sie Mitbestimmung und Kontrollmöglichkeiten aktivieren und dadurch die Entscheidungskompetenz der Parlamente schwächen.80 Allen voran die Gerichte gelten neuzeitlich als Austragungsort des Politischen, was dazu führt, dass nunmehr unabhängige Richter*innen den Entscheidungsraum betreten und eine Urteilsfindung politisiert werde. Der Staat unterdessen befinde sich immer öfter auf der Anklagebank.81 Dass überhaupt eine Novellierung des TSG und somit eine Neubewertung der Ordnungskategorie Geschlecht im politischen Raum steht, ist im vorliegenden Diskurs ganz klar auf verfassungsrechtliche Klagen von Einzelpersonen zurückzuführen, die ihrerseits dazu geführt haben, dass Einzelstimmen ganze Interessengruppen vertreten und auf institutionell legitimiertem Parkett vor dem BVerfG ihr Anliegen zur Geltung bringen. Auf der anderen Seite gebe es die Medizin, die weniger im Bereich des Politischen instrumentalisiert 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Beck (1993): S. 162. Vgl. Foucault (2002b): S. 766. Vgl. Foucault (2002b): S. 767. Beck (1993): S. 168. Beck (1993): S. 168. Vgl. Beck (1993): S. 193. Beck (1993): S. 240. Beck (2016): S. 316. Vgl. Beck (2016): S. 316. Vgl. Beck (2016): S. 319.

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werde, sondern durch ihr Vordringen in immer mehr Lebensbereiche zur höchsten Legitimierungsinstanz avanciere. So würde »die Handlungsstruktur des (medizinischen) ›Fortschritts‹ als Normalität zustimmungsloser Umwälzung gesellschaftlicher Lebensbedingungen« auserkoren.82 Im Fall der Transgeschlechtlichkeit standen die Diagnosemethoden und damit das Konstrukt noch vor der gesellschaftlichen Möglichkeit einer PÄ, weshalb die medizinischen Möglichkeiten durchaus den Grundstein für die Notwendigkeit einer PÄ und somit des TSG darstellen. Aus diesem Grund spricht Beck von einer Politik der vollendeten Tatsachen, da die Medizin bei der Umsetzung und Erprobung medizinischer Innovation nicht auf die öffentliche Kritik und ethische Debatten warten muss, welche entscheiden was das medizinische Personal darf.83 Welcher medizinische Fortschritt als gesellschaftlich wünschenswert gilt, hat nach Beck keinen sozialen Ort der Entscheidung: »Auf diese Weise entsteht und erhält sich zugleich ein völliges Ungleichgewicht zwischen externen Diskussionen und Kontrollen und interner Definitionsmacht medizinischer Praxis.«84 Beck überträgt diesen Sachverhalt auf die Politik, um die Widersinnigkeit dieser Praxis zu verdeutlichen. So wäre es in der Politik unmöglich erst nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes über dieses grundlegend zu beraten, einzig mit der Begründung, dass dann erst die Folgen des Gesetzes absehbar seien.85 Aus diesem Grund könne die Medizin als Subpolitik verstanden werden, da eine zustimmungslose Durchsetzung medizinischer Erkenntnis und Praxis existiere.86 Die politische Macht der Medizin zeigt sich im Fall der Transgeschlechtlichkeit in der Begutachtungspflicht (Diagnostik) und Behandlungspflicht (Therapie), im Fall der Intergeschlechtlichkeit ausschließlich in der Diagnostik: »Naturbeherrschung wird in ihrer Generalisierung unterderhand im wahrsten Sinne des Wortes zur technischen Subjektbeherrschung – ohne daß allerdings die kulturellen Maßstäbe aufgeklärter Subjektivität der diese Beherrschung ursprünglich einmal dienen sollte, noch existierten.«87 Durch medizinisch produzierte Tatbestände, ist der Mensch neuen, vor dem medizinischen Fortschritt nicht verfügbaren Entscheidungssituationen ausgesetzt, die ein neues menschliches Welt- und Selbstverständnis produzieren. Letzteres führt zu einer Gesellschaft, in die sich die medizinische Gestaltungs- und Entscheidungsmacht immer tiefer wurzelt und durch den Zusammenschluss von Wissenschaft, Ausbildung und Praxis als Strategie der Reproduktion gefestigt wird.88 Doch durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in anderen Disziplinen wurde ein anhaltender gesellschaftlicher Lernprozess angestoßen, welcher Geschlechtlichkeit fernab der Binarität nicht mehr pauschal als Krankheit ansieht, zudem hat sich parallel das Verständnis von Krankheit verändert, indem nicht mehr ärztliches Personal darüber bestimmt, ob eine Krankheit vorliegt, sondern der subjektive Leidensdruck. Umso verständlicher ist im Zuge des SelbstBestG der vehemente Protest und Widerstand durch Mediziner*innen wie Alexander Korte,

82 83 84 85 86 87 88

Beck (2016): S. 334. Vgl. Beck (2016): S. 335. Beck (2016): S. 336. Vgl. Beck (2016): S. 336. Vgl. Beck (2016): S. 337. Beck (2016): S. 335. Vgl. Beck (2016): S. 340.

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die diese historisch erworbene und lange Zeit unhinterfragte Macht durch die neue Gesetzgebung entbehren müssen. Den Unterschied von Subpolitik und Politik macht Beck wie folgt deutlich: »Die demokratisch legitimierte Politik verfügt mit ihrem Einflußinstrumentarium Recht, Geld und Information […] über indirekte Machtmittel, deren »lange Durchsetzungsstrecken« (Implementation) zusätzliche Kontroll-, Korrektur- und Abschwächungsmöglichkeiten bietet. Demgegenüber ist die Subpolitik des Fortschritts von implementationsloser Direktheit.«89 In der praktischen Umsetzung der Subpolitik vermischen sich Exekutive und Legislative, woraus sich eine undifferenzierte Handlungsvollmacht ergibt.90 Einen weiteren Unterschied erkennt Beck darin, dass in der Subpolitik, anders als in der Politik Bewusstsein und Wirkung auseinanderfallen, da die gesellschaftliche Veränderung und der Einfluss nicht mehr korrelieren.91 Auf die Phänomene Trans- und Intergeschlechtlichkeit bezogen hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein derart verändert, dass beide nicht mehr als Krankheit und behandelbar angesehen werden, während die Medizin an ihrer Begutachtungs- und Therapie-Machtstellung festhält. Mit Foucault konstituiert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse also die Politik, welche die Kräfteverhältnisse zu koordinieren und ordnen versucht. Allerdings determiniert die Politik in dieser Logik nicht in letzter Instanz das Kraftverhältnis, da dieses immer auf eine Machtbeziehung und somit auf ein politisches Feld verweist und Möglichkeitsbedingungen wie Wirkungen in sich trägt: »Sagt man, daß ›alles politisch‹ ist, so spricht man von der Allgegenwart der Kräfteverhältnisse und ihrer Immanenz in einem politischen Feld.«92 Foucault unterscheidet hier die Politik von dem Politischen, indem er die Machtbeziehungen als das Politische und die Politik als das Instrument der Koordination von Kräfteverhältnissen benennt. »Man ›fingiert‹ Geschichte von einer politischen Realität aus, die sie wahr macht, man fingiert eine Politik, die noch nicht existiert, von einer historischen Wahrheit aus.«93 Neben dem Politischen definiert Foucault eine weitere Ebene; die der Politisierung, welche jenen Vorgang umfasst, nicht nur eine politische Position zu ergreifen, sondern darüberhinausgehend, dass sich Individuen der Machttechniken entgegensetzen und neue Formen des Politischen entwickeln.94 Foucault differenziert zwischen einer Politisierung und dem Einnehmen einer politischen Position, während die Einnahme einer politischen Position auf altbekanntes zurückgreift, sei es die Politisierung, die neues ausdenkt und hervorbringt.95 Während die Politik also eine Tätigkeit umfasst, welche neue Gesetze oder Regeln hervorbringt, ist das Politische eine Reaktion auf die daraus hervorgehende gesellschaftliche Ordnung:96 »Das Politische wäre vielmehr die Potentialität des gemeinsamen Handelns gegenüber der Politik als Ausdruck der Steuerung der gemeinsamen Belange, wozu es der Vielen nicht bedarf, weil sie idealtypisch letztlich einem Einzelnen übertragen 89 90 91 92 93 94 95 96

Beck (2016): S. 337f. Vgl. Beck (2016): S. 338. Vgl. Beck (2016): S. 342. Foucault (1978): S. 112f. Foucault (1978): S. 117. Vgl. Foucault (1978): S. 113. Vgl. Foucault (2003c): S. 306. Vgl. Bedorf (2010): S. 17.

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werden kann.«97 In Form des Politischen eröffnet sich somit ein Erscheinungsraum, welcher ein gemeinschaftliches Handeln erst ermöglicht. Allerdings, so Bedorf, handle es sich bei dem Politischen nicht um das Realisieren eines Zweckes, wie bspw. eine Verteidigung von Lebensformen oder kollektiven Identitäten, wenngleich diese ebenfalls durch gesetzliche wie politische Regulation ein Teil der herrschenden Ordnung darstellen.98 »Das Politische ist nicht nur die Möglichkeitsbedingung für Politik, sondern auch und vor allem ihr kritischer Maßstab.«99 Durch einen Konflikt zwischen zwei Parteien kann der Raum des Politischen eröffnet werden, indem dann fernab des gültigen Rahmens der Politik um Anerkennung von Rechten duelliert wird und die Ergebnisse dieses Kampfes in die Erneuerung der politischen Ordnung überführen.100 In diesem Zusammenhang wird der Freund-Feind-Dualismus zur Vorbedingung des Politischen: »Jede diskursiv erzeugte Identität bestimmt sich durch eine Grenze, die das Innen von einem Außen trennt. Gegenüber dem Außen bestimmt sich die Identität durch eine Logik der Differenz, die das Eigene durch ein Anderes, das das Eigene nicht ist, konstituiert. Nach innen homogenisiert eine Logik der Äquivalenz die internen Differenzen, indem sie diese gleich- und von dem Außen absetzt.«101 Der daraus hervorgehende Antagonismus wird nicht als gesellschaftliche Ordnung verstanden, sondern als »fundamentale Unterscheidung, ohne dass zureichende Gründe für diese Unterscheidung gegeben werden könnten«.102 Als Freund gilt folglich, wer zu dem konstruierten Wir zählt,103 während jene als Feind gelten, die das Wir nicht akzeptieren. Kurt Röttgers betont jedoch, dass es auch eine Position außerhalb des Wirs gibt, welche nicht als Feind gilt, sondern lediglich als das Diskursfremde bezeichnet wird.104 Im Falle eines Konfliktes gelten diese Diskursfremde als mobilisierbare Freunde und mögliche Bündnispartner*innen.105 »Das Politische bestimmt sich mithin als Begriff für einen polemischen Antagonismus. Die Politik hingegen bezieht sich auf ›die ›ontische‹ Ebene‹ und umfasst die ›Gesamtheit der Diskurse, Institutionen und Praktiken […]‹, deren Ziel es ist, eine Ordnung herzustellen und menschliches Zusammenleben in einem Kontext zu organisieren, der aufgrund der Präsenz des ›Politischen‹ immer konfliktuell ist.«106 Dieses Zitat verdeutlicht das Politische in seiner Unabschließbarkeit, da es bei einer Letztbegründung in die Politik übergehen würde. Alle politischen Identitäten, die sich im Kampffeld des Politischen bewegen, operieren unter prekären Bedingungen, da sie

97 98 99 100 101 102 103 104 105 106

Bedorf (2010): S. 18. Vgl. Bedorf (2010): S. 18. Bedorf (2010): S. 19. Vgl. Bedorf (2010): S. 20. Bedorf (2010): S. 21f. Bedorf (2010): S. 22. Vgl. Röttgers (2010): S. 41. Vgl. Röttgers (2010): S. 48. Vgl. Röttgers (2010): S. 49. Bedorf (2010): S. 22.

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kein Teil der gesellschaftlich anerkannten Ordnung darstellen und somit als besonders vulnerabel gelten müssen. Politik wird somit zu der legitimierten Verteilung von Anerkennung und einem damit verbundenen gesellschaftlichen Status. Das Politische bekäme so die Eigenschaft, diese Verteilung zu unterbrechen und die gesellschaftliche Ordnung infrage zu stellen, um so eine neue politische Ordnung zu ermöglichen. Dies sei aber nur möglich, wenn das Politische die Regeln des Verteilungssystems insgesamt nicht infrage stelle.107 Im Politischen »werden Überschüsse über die herrschenden Repräsentationen und Seinsordnungen sichtbar, die sich in deren Vokabular nicht präsentieren.«108 In diesem Zusammenhang erhalten die Subjekte im Raum des Politischen die Möglichkeit, sich als Subjekte selbst zu erzeugen, indem sie Anerkennung im Rahmen der herrschenden Repräsentation einfordern, wodurch ein Interessenkonflikt in das Feld der Politik eingeht.109 In dem Moment, wo es im Bereich der Politik einen Konsens gibt, schließt sich demnach auch der Bereich des Politischen. Einen anderen Ansatz verfolgt Chantal Mouffe, wenn sie die Dimension des Politischen als demokratischere anerkannt und daraus eine Theorie der prozeduralen Demokratie entwickelt. Die Politik würde so zu einem geschützten Möglichkeitsraum für eine Artikulation des Politischen, was Mouffe als radikale Demokratie bezeichnet.110 Hier knüpft Mouffe an Hannah Arendt an, die das Politische als eine »immerwährende[n] Bühne interpretiert, auf der es gewissermaßen nur ein Auftreten, aber kein Abtreten gibt«,111 wodurch es eben nicht durch den Abschluss erlischt, wenngleich neue Gesetze oder Ordnungen erwirkt wurden. Mouffe erschließt in der aktuellen gesellschaftlichen Ordnung daher eine Hegemonie, wodurch die ihr innewohnenden Machtverhältnisse in den Fokus rücken. Mouffes Theorie entsprechend kann es daher keinen Konsens ohne Exklusion geben.112 Auch Mouffe erkennt den Bereich des Politischen als Antagonismus und die Politik als Institution, welche die gesellschaftliche Ordnung und Organisation bedinge. Allerdings, so Mouffe, kennt auch die Politik Praktiken, die im konfliktreichen Raum des Politischen mitwirken.113 Eine solche Mitwirkung kann im vorliegenden Diskurs in der Anhörung von Stellungnahmen gesehen werden. Mouffe betont in diesem Zusammenhang, dass der Politik jedoch angeraten sei, die Konflikte nicht als antagonistische Kämpfe zu akzeptieren, sondern nach Möglichkeiten zu suchen, diese auf die agonistische Ebene zu heben, damit aus Gegner*innen Kontrahent*innen werden und somit nicht mehr die Vernichtung der anderen Position erzielt werden soll, sondern beide Parteien um die Hegemonie streiten.114 Statt einen Konsens zum Ziel zu machen, sollte nach Mouffe die Pluralisierung von Hegemonien angestrebt werden.115 Der Konsens festige unterdessen eine Hegemonie, welche systematisch die Alternativen ausgrenze: »Die Dinge könnten immer auch anders liegen, und jede Ordnung basiert auf dem Ausschluss 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Vgl. Bedorf (2010): S. 25. Bedorf (2010): S. 26. Vgl. Bedorf (2010): S. 27. Vgl. Bedorf (2010): S. 23. Arendt (2002): S. 249. Vgl. Mouffe (2014): S. 11. Vgl. Mouffe (2014): S. 12. Vgl. Mouffe (2014): S. 12. Vgl. Mouffe (2014): S. 13.

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anderer Möglichkeiten.«116 Nach Mouffe sei deshalb ein liberales Pluralismusverständnis problematisch, da dieses der Annahme folgt, dass es zwar viele verschiedene Werte und Bedürfnisse gibt, die jedoch in eine Gemeinschaft übergehen können, welche einem harmonischen, anerkennenden und konfliktfreien Grundsatz folgt.117 Doch Mouffe hakt hier ein und betont erneut, dass die antagonistische Dimension der Gesellschaft nicht einfach wegzudenken, zu ignorieren oder wegzuwünschen sei.118 Das Politische ist nach Mouffe die Dimension des Antagonismus, welche nicht eliminiert werden könne, wohingegen die Politik das Ensemble an Praktiken und Institutionen umfasst, das eine Organisation des menschlichen Zusammenlebens vornimmt. Beides steht mit Mouffe im Wechselverhältnis, da die Bestrebung der Politik in der Regel konfliktträchtig ist und somit auf das Politische verweist:119 »Echte politische Fragen schließen immer Entscheidungen ein, die eine Wahl zwischen gegensätzlichen Alternativen erfordern.«120 Die daraus hervorgehenden Konflikte offenbaren die Dimension des Antagonismus, welcher für menschliche Gesellschaften kennzeichnend ist. Mouffe erkennt in demokratischen Theorien zwei vorherrschende Ansätze: einen aggregativen Ansatz, mit dem die eigenen Interessen durchgesetzt werden sollen, und einen deliberativen Ansatz, welcher sich auf moralische Überlegungen bezieht.121 Mouffe stellt diesen Ansätzen den agonistischen Ansatz entgegen, mit welchem Konflikte nicht eliminiert, sondern lebendig gehalten werden. Das sei die Basis dafür, dass aus Feind*innen und Gegner*innen (Antagonismus) Kontrahent*innen (Agonismus) werden, wodurch ein Kampf um Anerkennung zum Kampf um den Zugang zur Anerkennung umgewandelt wird, in welchem der*die Gegner*in nicht vernichtet werden muss.122 Fehlt hingegen der Widerstreit politisch-demokratischer Positionen, da alle gegnerisch-moralischen Werte eliminiert wurden, entsteht eine Konsensorientierung die zur Entfremdung führen würde, da für eine politische Identifizierung mit Mouffe immer klar unterscheidbare demokratische Positionen erkennbar sein müssen.123 Somit sollte der Widerstreit von Lebensformen für Mouffe die perfekte Grundlage für einen Kampf um Anerkennung sein. Allerdings bleibt im nächsten Kapitel neben der Frage, was überhaupt Lebensformen sind, die Frage offen, ob die im Kurs beteiligten Lebensformen sich gegenseitig als Kontrahent*innen oder als Gegner*innen wahrnehmen.

116 117 118 119 120 121 122 123

Mouffe (2014): S. 22. Vgl. Mouffe (2014): S. 23f. Vgl. Mouffe (2014): S. 24. Vgl. Mouffe (2014): S. 22f. Mouffe (2014): S. 23. Vgl. Mouffe (2014): S. 27. Vgl. Mouffe (2014): S. 28. Vgl. Mouffe (2014): S. 29.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

5.2 Widerstreit der Lebensformen: Anerkennungskampf und identitätspolitische Bestrebungen Um die vorausgehende Frage zu beantworten, soll nun ein Verständnis davon erarbeitet werden, was Lebensformen sind und wie sich der Kampf um Anerkennung vom Widerstreit bezüglich des Zugangs zur Anerkennung unterscheidet.

5.2.1 Lebensformen Die Lebensform ist nach Bauman eine Formation »der Gleichdenkenden und sich gleich Verhaltenden, eine Gemeinschaft der Gleichheit – die, wenn das ihr zugrunde liegende Verhalten in großem Maßstab repliziert bzw. kopiert wird, einer individuell gewählten Identität jene feste Grundlage zu verschaffen scheint«.124 Lebensformen entbinden das Individuum von der individuellen Entscheidung, da sie in der Lebensform als vielfältig Nachgeahmte ihre idiosynkratische Substanz verlieren und dem Einzelnen, der nun in der Menge aufgeht, eine »Sicherheit verleihende Solidität, die ihnen als Einzelfall nicht zu eigen wäre, vom eindrucksvollen Gewicht der Masse«125 verleihen.126 Nach Burkhard Liebsch sind Lebensformen »Ordnungen menschlicher Koexistenz«, welche sich entlang der Praxis des Zusammenlebens aus sich selbst heraus reproduzieren und damit nicht auf »konventionelle, rechtliche oder politisch geregelte Formen stützen«.127 Obwohl die zuletzt genannten Ordnungen also nachlassen und Lebensformen sich nicht darauf stützen können, müssen sie sich der Herausforderung stellen, ihr Zusammenleben dennoch zu bewältigen. »So ist vielfach von Lebensformen die Rede, die ungeachtet einer weit gehenden Entkonventionalisierung tradierter Formen des Zusammenlebens Weisen lebenspraktischer Koexistenz bezeichnen, ohne die wir aufhören würden, ›soziale‹ Wesen zu sein.«128 Dieser Zustand führt nach Liebsch dazu, dass Menschen sich bemühen, ihre Identität mittels Individualisierung neu zu definieren und sich gegen Unvereinbares abzugrenzen.129 Eine These, die – wie das nächste Unterkapitel zeigen wird – durchaus sehr treffend ist. Eine Individualisierung ist jedoch nach Beck keine Lebensform, sondern eine Form der Lebensführung/-gestaltung, da der Mensch aus traditionellen und somit verbindlichen Vorgaben als freigesetzt gilt und letztlich nur in sozialstaatliche Regelungen eingebettet sei. Beck erkennt das Format der Lebensführung vor allem in der

124 Bauman (2009): S. 79f. 125 Bauman (2009): S. 80. 126 Interessanterweise ist Bauman davon überzeugt, dass es Lebensweisen und -formen gibt, die in ihrem Zusammenleben anderen ethisch überlegen seien. Das herauszufinden wäre aber nur möglich, »indem jede die gleiche Chance erhält, ihre Argumente vorzubringen und ihre Sache darzulegen« (Bauman [2009]: S. 97). Per se die Fortpflanzungsfähigkeit als Begründung für die ethische Überlegenheit der heteronormativen Lebensform zu nennen ist in diesem Zusammenhang ohne Sinn, da sich erst zeigen müsste, wie sich die queere Lebensform nach vollumfassender rechtlicher wie gesellschaftlicher Anerkennung hinsichtlich der Fortpflanzung verhält. 127 Liebsch (2003): S. 17. 128 Liebsch (2003): S. 18. 129 Vgl. Liebsch (2003): S. 18.

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Notwendigkeit trotz des Wegfalls der Selbstverständlichkeiten »für sich selbst und miteinander neue ›Selbstverständlichkeiten‹ zu finden und zu erfinden.«130 Mit Hitzler gesprochen wird die Normalbiografie zur Wahlbiografie.131 Den Sozialstaat erkennt Beck hingegen als »Versuchsanordnung zur Konditionierung ichbezogener Lebensweisen«.132 Dass das Soziale bei der Individualisierung auf der Strecke bleibe, sei nur eine Sichtweise, so Beck.133 Nach Joachim Renn ist der Lebensformbegriff unscharf, da er durch eine vielfältige Verwendung in Erscheinung tritt, weshalb auch Renn schlussfolgert, dass dieser Begriff eine Grundlage für politisch funktionalisierte Selbstabgrenzung von sozialen Einheiten darstellt, welche dann »selektiv und projizierend Grenzen konstituiert, nicht aber einfach schon bestehende Grenzen repräsentiert«.134 In dieser begrifflichen Unschärfe würde der Lebensformbegriff daher dem Enttraditionalisierungsschub der Moderne gerecht werden. Soziale Lagen, so Renn, sind schon lange nicht mehr auf kulturelle Orientierungen oder politische Einstellungen zurückzuführen.135 Dennoch schlussfolgert Rahel Jaeggi: »Lebensformen sind kulturell geprägte Formen menschlichen Zusammenlebens, ›Ordnungen menschlicher Koexistenz‹, die ein ›Ensemble von Praktiken und Orientierungen‹, aber auch deren institutionelle Manifestationen und Materialisierungen umfassen.«136 Renn hingegen verzichtet auf den Kulturbegriff und bezeichnet Lebensformen als soziokulturelle Einheiten, die durch die moderne Vergesellschaftung jedoch nicht mehr mit sich selbst identisch seien, »sondern differenzierungskontaminiert, reflexiv und hoch veränderlich«.137 Mit Renn wären Lebensformen Formen der Vergemeinschaftung, wobei diese keine formalen Organisationen darstellen, ebenso keine selbstgewählten konkreten Explikationen, sondern eine kollektive Übereinstimmungen in Praxis und Wissensbestand.138 Jaeggi ergänzt in ihrer Definition der Lebensformen, dass diese sich als intersubjektiv ausgeprägte gesellschaftliche Lebensform von der Lebensweise unterscheiden, da sie keine individuelle Entscheidung sind: »Einer geschlechtsspezifischen Verhaltensordnung beispielsweise zu folgen oder sie zu verweigern ist eine Disposition, die individuell gar nicht verfügbar ist, sofern diese auf sozial verfassten Verhaltensmustern und Bedeutungen beruht.«139 Renn geht davon aus, dass Individualisierungsprozesse und Kontrasterfahrungen dazu führen, dass Menschen nicht ausschließlich in einer soziokulturellen Lebensform heimisch seien, wodurch sich auch die Bindung des Individuums und der sozialen Lebensform verändert. Ein Verlust der sozialen Existenz könne dadurch abgewendet werden, dass sich der Mensch einer anderen Lebensform zuwendet, wodurch der Einzelne auch weniger eine Ächtung oder Sanktion fürchten müsse, da die impliziten Regeln 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139

Beck (1993): S. 151. Vgl. Beck (1993): S. 152. Beck (1993): S. 154. Vgl. Beck (1993): S. 159. Renn (2003): S. 86. Vgl. Renn (2003): S. 87. Jaeggi (2014): S. 20f. Renn (2003): S. 83. Vgl. Renn (2003): S. 95. Jaeggi (2014): S. 22.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

in der Praxis der Lebensform an normativer Alternativlosigkeit verlieren.140 Allerdings räumt Renn ein, dass Differenzkategorien wie Geschlecht, Sexualität, Migration, Hautfarbe dadurch ebenfalls als Normen und Rechtfertigung für eine Lebensform entfesselt werden und, wenngleich emanzipiert von sozialen Zwängen, stets in diese eingebunden sind und so »zur Munition in Verteilungskämpfen umgerüstet werden«.141 In Zusammenschau kommt Renn zu dem Schluss: »Wenn es eine moderne Lebensform gibt, so ist sie die dynamische Metaform, in der sich die expliziten Regeln moderner Vergesellschaftung durch das Nadelöhr des individuellen impliziten Wissens stetig auf dem Wege zugleich der Ausbildung und der Auflösung sozialer Lebensformen befindet.«142 Auch Jaeggi nimmt auf diese Thesen Bezug und schlussfolgert: »Lebensformen sind komplex strukturierte Bündel (oder Ensembles) sozialer Praktiken, die darauf gerichtet sind, Probleme zu lösen, die ihrerseits historisch kontextualisiert und normativ verfasst sind.«143 Habermas bezeichnet die Rechtsordnung daher als den »Ausdruck einer partikularen Lebensform, nicht nur einer Spiegelung des universellen Gehalts der Grundrechte«.144 Die Lebensform ist nach Habermas das generalisierte Selbstverständnis und die daraus hervorgehende Praxis eines Kollektivs. Dazu gehört neben einer politischen Selbstverständigung auch die Auseinandersetzung über eine bestimmte Kultur, den gewünschten Umgang miteinander und mit der Natur usw.145 Allerdings beziehen sich die sozialen Praktiken nach Jaeggi vielfältig aufeinander und bilden im Gegensatz zu der habermasschen Annahme kein organisches Ganzes, welches geschlossen wäre. Vielmehr sind Lebensformen offen und wandelbar.146 Lebensformen gelten für Jaeggi somit als soziale Ordnungen, da sie eine menschliche Koexistenz ermöglichen.147 Dadurch sind Lebensformen auch durch die Existenz von Alternativen gekennzeichnet.148 »Alltagssprachlich drückt sich in der Thematisierung von Lebensformen ein Interesse an den alltäglichen, lebensbestimmenden Orientierungen und den informellen Weisen der Lebensgestaltung aus, die eine Gesellschaft prägen, ein Interesse daran also, wie Menschen leben, was sie tun und wie sie es tun.«149 In diesem Fall würden Lebensformen das Defizitäre mittels Normen lösen, die immer wirksam werden, wenn »Dinge nicht von selbst geschehen«.150 Normen ermöglichen einer Lebensform Praktiken vorzugeben, 140 141 142 143 144 145

146 147 148 149 150

Vgl. Renn (2003): S. 100f. Renn (2003): S. 101. Renn (2003): S. 101f. Jaeggi (2014): S. 58. Habermas (1996): S. 250f. Vgl. Habermas (1996): S. 251. »Weil ethisch-politische Fragen ein unvermeidlicher Bestandteil der Politik sind und weil entsprechende Regelungen die kollektive Identität der Staatsbürgernation zum Ausdruck bringen, können sich an ihnen Kulturkämpfe entzünden, in denen sich miβachtete Minoritäten gegen eine unempfindliche Mehrheitskultur zur Wehr setzen« (Habermas [1996]: S. 251f.). Mit diesem Exkurs bemüht sich Habermas um ein Verständnis der Rechtsordnung, die nicht Auslöser für die Kulturkämpfe sei, sondern vielmehr ein Ergebnis dieses demokratischen Prozesses um die Verwirklichung von Grundrechten (vgl. Habermas [1996]: S. 252). Vgl. Jaeggi (2014): S. 65. Vgl. Jaeggi (2014): S. 77. Vgl. Jaeggi (2014): S. 67. Vgl. Jaeggi (2014): S. 69. Vgl. Jaeggi (2014): S. 144.

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welche den Menschen angemessene Weisen der Teilhabe vorgeben, wodurch sich die Lebensform als solche selbst bestätigt und reproduziert.151 »Allerdings wirken Normen in Lebensformen nicht nur, indem sie innerhalb von sozialen Interaktionen manches explizit verbieten, anderes erlauben. Sie wirken auch implizit. Und sie definieren und etablieren allererst die innerhalb einer Lebensform denkbaren Verhaltensweisen, indem sie den mit ihr gegebenen Möglichkeitsraum des Handelns selbst normativ strukturieren.«152 Normen sind erkennbar, wenn etwas richtig oder falsch gemacht werden kann, sie also präskriptiv das menschliche Handeln leiten. Damit unterscheidet sich das normgemäße Handeln deutlich vom regelmäßigen Verhalten, denn letzteres gibt keine Handlungsregeln vor und führt damit nicht automatisch zu Anerkennungsverhältnissen. Normen brauchen zudem ein alternatives Verhalten, welches die Norm begründet und rechtfertigt.153 Normen gelten somit als änderbar, wodurch sie auch veränderbar sind. Während die Norm der Heteronormativität also veränderbar ist, ist Sexualität nicht änderbar, wenngleich sie sich wandeln kann, so kann von außen keine Änderung herbeigeführt werden, wodurch diese sich jeder Entscheidung entzieht. Mit Hegel unterscheidet Jaeggi daher den Begriff von der empirischen Wirklichkeit, indem sie darauf verweist, dass einem Gegenstand durchaus wesentliche, ihn typischerweise bestimmende Eigenschaften fehlen können, »ohne dass er aufhörte, eine Instanziierung dieses Gegenstands zu sein«.154 In diesem Moment spricht Hegel davon, dass ein Unterschied zwischen dem Begriff und seiner Verwirklichung entsteht.155 Diese Thesen können auf die cisfeministische Logik des »Mann im Frauenpelz« bezogen werden. Hier wird weiterhin der Mann als Begriff wahlweise mit biologischen Eigenschaften, als Phallus der sexualisierten Gewalt, der in Schutzräume von Frauen eindringt, oder mit sozialen Eigenschaften, als unterdrückender Phallus, der entlang seiner Sozialisierung toxisches Verhalten oder dominantes Redeverhalten zur Unterdrückung von Frauen nutzt, wobei es sich schließlich gar nicht um einen Mann handelt, sondern unlängst um eine Frau. Begriff und Eigenschaft fallen auseinander, wobei die Zuschreibung der Eigenschaft einzig der Rekonstruktion des für richtig erachteten Begriffs dient. Das Auseinanderfallen von Begriff und Gegenstand sei jedoch nur dann zu problematisieren, wenn der Begriff keiner begrifflichen, sondern einer definitorischen Haltung entspricht.156 Jaeggi beschreibt Lebensformen »als fluide, historisch variable und gestaltbare Gebilde«,157 wodurch sie sich jeder definitorischen Haltung entziehen. Und so kommt Jaeggi auf die Frage: »Warum lassen wir, wenn ein soziales Gebilde nicht seinem Begriff entspricht, nicht den Begriff fallen, statt das Gebilde als defizitär zu kritisieren?«158 Oder es weicht den Begriff derart auf, dass keine definitorische Haltung diesen zu determinieren vermag, was im Prinzip der Funktion des SelbstBestG entspricht. »Eine Lebensform, die ihrem Begriff nicht entspricht, erfüllt ihre ethisch verfasste Funktion nicht so, wie diese 151 152 153 154 155 156 157 158

Vgl. Jaeggi (2014): S. 149. Jaeggi (2014): S. 150. Vgl. Jaeggi (2014): S. 144–148. Jaeggi (2014): S. 183. Vgl. Jaeggi (2014): S. 184. Vgl. Jaeggi (2014): S. 185. Jaeggi (2014): S. 188. Jaeggi (2014): S. 191.

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sich vor dem Hintergrund einer spezifischen Problemlösungsgeschichte herausgebildet hat.«159 So ist eine Regulierung der Verwandtschaft durch den Personenstand aus dieser Sicht obsolet, immerhin ist es mittels Reproduktionsmedizin möglich, aus drei Erbteilen eine Eizelle zu befruchten. Reproduktionstechnologien stehen somit im Allgemeinen als soziale Praktik konträr zum Regulierungsansinnen durch den Personenstand. Jan Weyand und Gerd Sebald erkennen im Handeln und Wissen zwei grundlegende Bestandteile jeder Lebensform, da beide Modi dem Menschen einen Weltzugang ermöglichen. Zudem stünden beide in einem Wechselverhältnis, da aus jedem Handeln Wissen entstehen könne und durch neues Wissen so ein alternatives Handeln ermöglicht werde.160 Lebensformen sind demnach eingespielte Handlungsweisen, welche einen gewissen Deutungsrahmen herstellen. Und auch Renn bezeichnet die Lebensformen als »pragmatische Horizonte aus eingespielten Handlungs- und Sprechweisen, die eine holistische Grundlage des Netzes aus praktischen Gewissheiten bilden«.161 Allerdings könne die Handlungspraxis den Menschen vor Handlungsprobleme stellen, welche dann mittels eines Denkprozesses neues Wissen erarbeiten müssen.162 Nach Jaeggi sind Lebensformen daher auch als Lösungen von Problemen zu verstehen, da diese durch neues Wissen zur Problemlösungsinstanz avancieren. Gelingt die Problemlösung, kann daraus eine neue Lebensform resultieren: »Lebensformen sind also, meiner These nach, Resultat eines konfliktgesteuerten sozialen Transformationsprozesses, dessen Rationalität nur vor dem Hintergrund dieser Geschichte als Problemlösungsgeschichte zu beurteilen ist.«163 Misslingt die Problemlösung, können Lebensformen »als Ensembles solcher Praktiken defizitär sein«,164 woraus gesellschaftliche Kosten entstehen können, da das Scheitern dann in eine ethisch-funktionale Krise überführt.165 Nach Jaeggi braucht es demnach einen Lernprozess, welcher das bereits Gelernte durchdringt und individuelle wie überindividuelle Lernprozesse anstößt.166 Werden Probleme erst gar nicht wahrgenommen oder eine Problemlösung als nicht wichtig erachtet, dann führt Jaeggi dies auf Lernblockaden zurück, welche verantwortlich dafür seien, Begriffe angemessen zu reflektieren und diese kollektiv zu gestalten, statt sie als Einzelschicksale in die Einzelverantwortung zu übertragen.167 Das SelbstBestG ist noch im Bereich der inneren Kritik zu verstehen, da es eine Rekonstruktion vornimmt und keine Transformation. Am Scheitern des SelbstBestG kann jedoch eine Lernblockade diagnostiziert werden. Allerdings kann dieser Prozess eine immanente Kritik einleiten. So kritisch wie Beck und Foucault die Wissenschaft hinsichtlich der Politik betrachten, so kritisch sieht Jaeggi den Wunsch der Wissenschaft, die Lebensformen in einem Nebeneinander zu ordnen, um so ein konfliktfreies und gerechtes Zusammenleben

159 160 161 162 163 164 165 166 167

Jaeggi (2014): S. 195. Vgl. Weyland; Sebald (2012): S. 7. Renn (2012): S. 99. Vgl. Weyland; Sebald (2012): S. 11. Jaeggi (2014): S. 313. Jaeggi (2014): S. 142; S. 314. Vgl. Jaeggi (2014): S. 319. Jaeggi (2014): S. 323; S. 327f. Vgl. Jaeggi (2014): S. 332f.; S. 407.

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miteinander zu bewirken.168 Eine Übereinstimmung sei unterdessen nicht so leicht herzustellen, da Lebensformen von fundamentalen Unterschieden hinsichtlich der Weltauffassungen und ethischen Überzeugungen geprägt seien. Gleichzeitig gilt ein allzu hinterfragender Austausch als übergriffig und die Selbstbestimmung beschneidend. Die fehlende Möglichkeit zur Kritik offenbare die »liberale black box«: »Wir erklären damit etwas, das »öffentliche Bedeutung« hat, vorschnell zur unhintergehbaren Identitätsfrage und entziehen damit Themenbereiche der rationalen Argumentation, die man aus dem Einzugsbereich demokratisch-kollektiver Selbstbestimmung nicht herauslösen sollte.«169 Aus diesem Grund formuliert Jaeggi eine Kritik der Lebensformen, die einen Widerstreit der Lebensformen zivilisieren kann.

5.2.2 Anerkennung(skämpfe) Axel Honneth hat in Verschränkung von George Herbert Meads Theorien zur Intersubjektivität und Georg Wilhelm Friedrich Hegels unvollendeter Anerkennungstheorie eine umfassende Theorie der gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse erarbeitet. In seiner Anerkennungstheorie unterscheidet Honneth drei Ebenen; die Liebe, das Recht und die Solidarität.170 Für die vorliegende Thematik sind vor allem die Anerkennungsverhältnisse des Rechts und der Solidarität von Bedeutung. Honneth erkennt die wechselseitige Anerkennung als Rechtspersonen als wichtigste Grundlage dafür, als Träger von individuellen Ansprüchen im intersubjektiven Handeln anerkannt zu werden.171 Mit Mead kann Honneth aufzeigen, dass die Übernahme der verallgemeinerten Normen und Werte durch das einzelne Subjekt und sein Wunsch sich selbst als Individuum hervorzubringen zu einem moralischen Konflikt führen, da ein Spannungsverhältnis aus dem Gesamtwillen auf der einen Seite und der Individuierung auf der anderen Seite entsteht. Die Identitätsentwicklung ist mit Mead in ihrer Verwirklichung immer auf den generalisierten Anderen und an die Beziehung zu anderen gebunden.172 Wird der Wunsch auf Selbstverwirklichung verwehrt, bleibt die Anerkennung aus und so kommt es zu einem Konflikt zwischen Subjekt und Umwelt, welcher sich auf zwei Ebenen ausdrückt; der Infragestellung der Gesetze, welche die Anerkennung verteilen, und dem Drang zur Verwirklichung der Identität. Zwischen diesen Ebenen entsteht nach Honneth ein Kampf um Anerkennung.173 Dieser Kampf wird immer dadurch begründet, dass ein Individuum entlang starrer Konventionen an der Realisierung seiner Selbstverwirklichung gehindert wird und dazu gezwungen ist, einen Appell an die Rechtsgemeinschaft zu richten.174 Nach Mead ist das »die Art und Weise, in der sich die Gesellschaft weiterentwickelt […]«.175

168 169 170 171 172 173 174 175

Vgl. Jaeggi (2014): S. 10. Jaeggi (2014): S. 10. Vgl. Honneth (2016): S. 153ff.; S. 173ff.; S. 196f. Vgl. Honneth (2016): S. 129f. Vgl. Honneth (2016): S. 132; vgl. Mead (1973): S. 248. Vgl. Honneth (2016): S. 132. Vgl. Honneth (2016): S. 133f. Mead (1973): S. 211.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

Für Honneth ist das Rechtssystem von den Normen der Gemeinschaft geprägt und eine Zustimmung zu diesem Rechtssystem ermöglicht den Subjekten ein wechselseitiges Erkennen als Rechtsträger. »Eine solche Bestimmung enthält aber weder Angaben über die Art der Rechte, die dem einzelnen individuell zustehen, noch über den Begründungsmodus, kraft dessen sie innerhalb der Gesellschaft erzeugt werden […].«176 Durch einen historischen Prozess spaltete sich in der Moderne entlang von Pluralisierung und Individualisierung das Rechtsverhältnis in die Anerkennung der Rechtsperson und die Anerkennung entlang der sozialen Wertschätzung.177 Während die rechtliche Ordnung jeden Menschen als solchen anerkennt und gleichbehandelt, bemisst sich die soziale Wertschätzung an der Anerkennung von individuellen Leistungen.178 Wird beides zusammen als moderndes Rechtsverhältnis verstanden, umfasst der Kampf um Anerkennung immer beide Ebenen. Während ein Mensch im ersten Fall – entlang der allgemeinen Eigenschaft ein Gesellschaftsmitglied zu sein – Anerkennung erhält, welche den Mensch erst zu einer Person mit Rechten macht, wird im zweiten Fall die Anerkennung über besondere Eigenschaft verliehen, die den Mensch als einzigartige Person im Unterschied zu anderen kennzeichnet.179 Daraus ergibt sich die Unterteilung in dejure und defacto, da dejure alle Menschen als gleiche dieselben Rechte erhalten, aber sie defacto mittels ihrer Unterschiede unterschiedliche soziale Anerkennung erhalten. Eine weitere Unterscheidung der Rechte innerhalb der Rechtswissenschaft ist die Differenzierung zwischen liberalen Freiheitsrechten, politischen Teilnahmerechten und sozialen Wohlfahrtsrechten. Während die Freiheitsrechte Personen in ihrer Freiheit, Lebensgestaltung und ihrem Eigentum vor dem Eingreifen des Staates schützen, sind die beiden anderen Rechte als Garantien des Staates zu verstehen, die Teilhabe am Willensbildungsprozess und die faire Verteilung von Gütern zu erzielen.180 Vor allem die politischen Teilnahmerechte erkennt Honneth als Boden des Kampfes um Anerkennung, da die Durchsetzung neuer Rechte stets mittels Verweis auf die vollwertige Mitgliedschaft und damit zusammenhängend das Recht auf Partizipation erzielt wurde.181 Aus diesem Anerkennungsverhältnis geht die Selbstachtung hervor; indem das Subjekt erkennt, dass seine Handlungen und Äußerungen von anderen geachtet werden, kann es sich selbst in seiner eigenen Autonomie begreifen.182 Demnach müssen Rechte als Instrument der Handlungsermächtigung verstanden werden, die ihrem Träger als symbolisches Ausdrucksmittel soziale Wirksamkeit zuteilwerden lassen.183 Vorenthaltende Anerkennung oder Missachtung hingegen verhindert eine Handlungsermächtigung und führt zu einer rechtlichen Deprivilegierung,184 welche mittels Entrechtung die soziale Integrität infragestellt.185 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185

Honneth (2016): S. 176. Vgl. Honneth (2016): S. 179. Vgl. Honneth (2016): S. 180f. Vgl. Honneth (2016): S. 183. Vgl. Honneth (2016): S. 186. Vgl. Honneth (2016): S. 188. Vgl. Honneth (2016): S. 192. Vgl. Honneth (2016): S. 194. Vgl. Honneth (2016): S. 195. Vgl. Honneth (2016): S. 211.

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Anders als die Ebene des Rechts ermöglicht die Solidarität Anerkennung durch eine soziale Wertschätzung der individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften. Welche Fähigkeiten und Eigenschaften als wertvoll erachtet werden, geht aus den Idealen und Überzeugungen einer Lebensform hervor und wurde demnach wie Gesetze intersubjektiv bestimmt.186 Honneth erkennt hier eine Pluralisierung der Werte entlang der Pluralisierung der Lebensweisen und -formen, wodurch die Wertschätzung ebenfalls einen individualisierten Charakter erhält.187 Vor allem aber sei das Subjekt auf seine Gruppenzugehörigkeiten zurückgeworfen, da zwecks Ordnung der sozialen Verhältnisse Menschen gruppiert werden und diese Gruppen mit Eigenschaften stereotypisiert werden. Dadurch sei die moderne Gesellschaft von einem permanenten Kampf um Anerkennung gekennzeichnet, »indem die verschiedenen Gruppen mit den Mitteln symbolischer Gewalt versuchen, unter Bezug auf die allgemeinen Zielsetzungen den Wert der mit ihrer Lebensweise verknüpften Fähigkeiten anzuheben.«188 Nancy Fraser und Axel Honneth haben sich in einem Streitdialog über die Theoreme Anerkennung und Umverteilung auseinandergesetzt und neben einigen unvereinbaren Standpunkten gemeinschaftlich der These zugestimmt, dass Anerkennung »von zentraler Bedeutung für die Analyse von Kämpfen um Identität und Differenz« ist.189 Anerkennung wird laut beiden zur normativen Basis der politischen Ansprüche, weil der Begriff »die individuelle Autonomie von intersubjektiver Zustimmung« und »die moralischen Belange einer Vielzahl von gegenwärtigen Konflikten zu erfassen vermag«.190 Während Honneth vor allem Anerkennungsdefizite und einen daraus resultierenden Kampf als den Grund für eine Politisierung der kollektiven Identitäten erkennt, beharrt Fraser darauf, dass die Pluralisierung zu neuen Gerechtigkeitsdefiziten und damit zu Umverteilungskämpfen führe, die diese Politisierung bedingen.191 Fraser unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Verteilungsgerechtigkeitstypen; der erste Typus fordert nach einer gerechten Ressourcenverteilung und der zweite Typus verlangt eine soziale Gerechtigkeit, welche gekennzeichnet ist durch eine gleichzeitige Herstellung von Gleichstellung und Anerkennung von Differenzen.192 Bezogen auf den Analysegegenstand wäre Geschlecht als Ressource so zu verstehen, da eine fehlende rechtliche Benennbarkeit oder eine falsche Eingruppierung ein Ressourcendefizit darstellen, bspw. wäre durch eine rechtliche Ressourcenumverteilung ein besserer Diskriminierungsschutz zu verwirklichen, wodurch im alltäglichen Leben Barrieren abgebaut werden, indem Personalien und optische Wirkung nicht mehr auseinanderfallen, was auch eine Erleichterung im Rahmen der Sanitärnutzung bedeuten würde. Die soziale Gerechtigkeit beziehe sich vor allem auf die soziale Anerkennung, welche bspw. verschiedene Lebensrealitäten anerkennt, aber auch auf die Forderung nach einer Wissensvermittlung in Bildungseinrichtungen auf symbolischer Ebene. Beide Ebenen werden im SelbstBestG berück-

186 187 188 189 190 191 192

Vgl. Honneth (2016): S. 144. Vgl. Honneth (2016): S. 198. Honneth (2016): S. 205f. Fraser; Honneth (2003): S. 7. Fraser; Honneth (2003): S. 7. Vgl. Fraser; Honneth (2003): S. 8f. Vgl. Fraser (2003): S. 15.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

sichtigt, indem die Geschlechterkategorien vielfältiger und veränderlich werden und zusätzlich eine umfassende individuelle wie gesellschaftliche Beratung und Wissensvermittlung eingeplant wird. Umverteilung ziele im Gegensatz zur Anerkennung auf eine Umstrukturierung ab, während Anerkennungskämpfe einen symbolischen Wandel herbeiführen.193 In dieser Sichtweise bleibt offen, ob eine symbolische Privilegierung – bspw. durch unterschiedliche Rechte – auch umverteilt werden könne, da soziale Anerkennung entlang einer ungleichen Gesetzgebung ebenso eine strukturelle Verankerung erzeugt. Fraser konstatiert in diesem Kontext, dass es durchaus eine Institutionalisierung von kulturellen Wertmustern gebe, die ihrerseits die gesellschaftliche Statusordnung begründen und zu Ungleichheiten führen können.194 Aus diesem Grund schlägt auch Fraser vor, dass eine Politik der Umverteilung mit einer Politik der Anerkennung verschränkt werden müssen.195 Charles Taylor erkennt in der Forderung nach Anerkennung ebenfalls ein Thema für die Politik.196 Taylor definiert Identität im Zusammenhang mit Anerkennung als ein Selbstverständnis der Menschen, da die Annahme besteht, die Identität werde durch Anerkennung, Aberkennung und Verkennung geprägt:197 »Nichtanerkennung oder Verkennung kann Leiden verursachen, kann eine Form von Unterdrückung sein, kann den anderen in ein falsches, deformiertes Dasein einschließen. […] So gesehen, zeugt Nicht-Anerkennung oder Verkennung des anderen nicht bloß von einem Mangel an gebührendem Respekt. Sie kann auch schmerzhafte Wunden hinterlassen, sie kann ihren Opfern einen lähmenden Selbsthaß aufbürden.«198 Taylor bezeichnet Anerkennung daher nicht als Ausdruck von Höflichkeit, sondern als menschliches Grundbedürfnis.199 Den Zusammenhang von Anerkennung und Identität zieht Taylor aus dem dialogischen Charakter menschlicher Existenz, welcher darauf verweist, dass eine Identität immer in der Interaktion mit anderen und der Lebenswelt ausgehandelt wird:200 »Wir bestimmen unsere Identität stets im Dialog und manchmal sogar im Kampf mit dem, was unsere »signifikanten Anderen« in uns sehen wollen.«201 Dies stehe im Widerspruch zum monologischen Ideal, welches den Glauben umfasst, dass nur das Selbst bestimme, wer es sei und wie es sein Leben führt. Von einer Identität zu sprechen beinhaltet somit immer einen inneren Dialog des Subjekts mit sich selbst und einen äußeren Dialog, bei welchem das Subjekt sich selbst in Aushandlung mit einem signifikanten Anderen erlebt.202 Taylor liefert auch eine Erklärung dafür, warum Anerkennung erst heute zu einem Problem politischen Ausmaßes wird, die er darin findet, dass die Anerkennung lange 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202

Vgl. Fraser (2003): S. 22f. Vgl. Fraser (2003): S. 29f. Vgl. Fraser (2003): S. 37. Vgl. Taylor (2012): S. 13. Vgl. Taylor (2012): S. 13. Taylor (2012): S. 13f. Vgl. Taylor (2012): S. 14. Vgl. Taylor (2012): S. 19. Taylor (2012): S. 20. Vgl. Taylor (2012): S. 21.

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Zeit »ein fester Bestandteil der gesellschaftlich abgeleiteten Identität [war], weil diese Identität auf gesellschaftlichen Kategorien beruhte, die niemand anzweifelte«.203 Dementsprechend ist nicht das Bedürfnis nach Anerkennung neu, sondern lediglich das Problem, dass Anerkennung scheitern kann, was maßgeblich damit zusammenhängt, dass sich die gesellschaftlichen Kategorien pluralisieren und weniger damit, dass sie offener oder ambiger werden.204 Taylor bezieht sich vor allem auf die öffentliche Sphäre der Anerkennungsverhältnisse, die er im Kernbereich der Politik verortet.205 Die Politik habe die Auffassung einer universalistischen und gleichzeitig differenziellen Basis, welcher zufolge »jeder Mensch um seiner unverwechselbaren Identität willen anerkannt werden« soll und diese Menschen gleichzeitig durch die Würde – die alle Menschen universell als gleiche betrachtet – an Rechten und Freiheiten miteinander gleich seien. Eine daraus hervorgehende Politik der Differenz und der Gleichheit erkennt individuelle Ungleichheit an und wehrt Ungleichbehandlung – bspw. in Form von Diskriminierungen – ab.206 Diese zwei politischen Ebenen führen nach Taylor zwangsläufig zum Konflikt, da das Besondere anerkannt werden soll, dies aber im Widerspruch zum »differenz-blinden« Verhalten im Sinne der Gleichachtung steht.207 Taylor geht in diesem Zusammenhang auch auf den Vorwurf gegenüber einer differenz-blinden Haltung der Gesellschaft ein, in welchem der Verdacht geäußert wird, diese dejure Haltung führe defacto zu einer Wirklichkeit, in der sich die hegemoniale Kultur uneingeschränkt durchsetzen könne und die Minorisierten zur Assimilation gezwungen würden.208 Dejure begründet das moderne Recht »zwar staatlich sanktionierte Verhältnisse intersubjektiver Anerkennung, die daraus abgeleiteten Rechte sichern aber die versehrbare Integrität jeweils einzelner Rechtssubjekte.«209 Aus dieser Aussage geht hervor, dass nicht eine kollektive Identität geschützt wird, sondern nur die individuelle Rechtsperson, wobei die rechtliche Integrität des Einzelnen durchaus von den rechtlichen Anerkennungsverhältnissen abhänge.210 Daher stellt Habermas die Frage, ob »eine derart individualistisch angelegte Theorie der Rechte jenen Kämpfen um Anerkennung gerecht werden« kann,211 wenn die Kämpfe vorwiegend darauf beruhen, marginalisierte kollektive Identitäten gegenüber hegemonialer Unterdrückung zu behaupten. In diesem Zusammenhang bringt Habermas den Rechtsstaat zur Sprache, welcher in der Verschränkung aus Rechtsordnung und demokratischem Prozess durchaus eine individualistische Rechtssicherheit mit dem Kampf kollektiver Identitäten – welche Habermas als kulturelle Lebensformen bezeichnet – um rechtliche Anerkennung vereinen kann.212 Habermas erkennt im Recht die letzte Instanz, welche die Integrität des Menschen gewährleistet, wobei auch er darauf hinweist, dass die wechselseitige 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212

Taylor (2012): S. 22. Vgl. Taylor (2012): S. 23. Vgl. Taylor (2012): S. 24. Vgl. Taylor (2012): S. 25. Vgl. Taylor (2012): S. 29. Vgl. Taylor (2012): S. 30. Habermas (1996): S. 234; Habermas (2012): S. 123. Vgl. Habermas (2012): S. 123. Habermas (2012): S. 123. Vgl. Habermas (2012): S. 124ff.

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Anerkennung durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt werde.213 Somit versteht Habermas das Recht immer in Hinblick auf neue gesellschaftliche Bedürfnisse und Interessenlagen, wodurch das Recht den Endpunkt der gesellschaftlichen Kämpfe um Rechte darstellt:214 »in den politischen Arenen stehen sich kollektive Aktoren gegenüber, die über kollektive Ziele und um die Verteilung kollektiver Güter streiten. Nur vor Gericht und im juristischen Diskurs geht es unmittelbar um einklagbare individuelle Rechte.«215 Habermas bezeichnet den Kampf um Anerkennung daher als »Kampf gegen die Unterdrückung von Kollektiven, denen gleiche soziale Lebenschancen vorenthalten werden«216 , und als Kampf um »die Gleichberechtigung kultureller Lebensformen«.217 Im Sinne Habermas schlussfolgert auch Gesine Fuchs, dass die Verfassung inklusive der Grundrechte nicht nur das gesellschaftliche Zusammenleben und – mit diesem verbundene – Konflikte verbindlich regelt, sondern dieses auch eine Ressource darstellt, »derer sich Einzelpersonen und Akteure gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bedienen können, um ihre Ziele zu verfolgen«.218 Recht wird so zum Mittel, demokratisch die unausweichlich aufkommenden Konflikte gewaltfrei zu lösen. Wobei die Lösung in der Regel nur eine Konfliktpartei zufriedenstellt und somit neue Konflikte eine neue Rechtsprechung herausfordern können. Allerdings vermerkt Fuchs kritisch, dass Rechtsprechungen immer Einzelfälle fokussieren, wodurch sie strukturelle Probleme individualisieren, was durchaus eine Hürde darstellt, wenn es um systematische und strukturelle Veränderungen geht. Anders verhält es sich mit der Rechtsmobilisierung, wenn bspw. die strategische Prozessführung mit einem prozessbegleitenden Aktivismus, der sich auf die Wissensvermittlung und das Schaffen eines Rechtsbewusstseins konzentriert, dazu genutzt wird, strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Doch auch die strategische Prozessführung unterliegt der zentralen Voraussetzung, dass das rechtlich eingeforderte Anliegen externalisierbar ist, es also eine Person oder Institution gibt, die zur Verantwortung gezogen werden kann. Im Fall der Verfassungsbeschwerde wird das Grundgesetz und somit der Staat in der Verantwortlichkeit erkannt,219 weshalb sie sich nach Stefan Thierse für eine Mobilisierung des Rechts eignen, da sie die verfassungsrechtliche »Überprüfung staatlichen Handelns als Teil der politischen Gelegenheitsstruktur […] zur Durchsetzung politischer Kurskorrekturen von organisierten Interessen« konzeptualisiert.220 Rechtswissenschaftlich sei die Verfassungsbeschwerde ein außerordentlicher Grundrechtsbehelf, der als zentrale Voraussetzung zur Verfassungsbeschwerde die unmittelbare Betroffenheit erfordert: »Aus Sicht der Beschwerdeführer ist das sicherlich wichtigste Motiv, eine Entscheidung zu erwirken, die einen als verfassungswidrig gehaltenen Eingriff in die Grundrechte heilt.«221 Somit ist die Verfassungsbeschwerde durchaus ein Instrument, um politische 213 214 215 216 217 218 219 220 221

Vgl. Habermas (1996): S. 234. Vgl. Habermas (1996): S. 235. Habermas (1996): S. 234. Habermas (1996): S. 235. Habermas (1996): S. 236. Fuchs (2019): S. 243. Vgl. Fuchs (2019): S. 245f. Thierse (2020): S. 555. Thierse (2020): S. 556.

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Entscheidungen zu revidieren und politisch Einfluss zu nehmen. Aus diesem Grund stellt Thierse die These auf, dass Verfassungsbeschwerden vor allem für zivilgesellschaftliche Interessengruppen von großem Interesse seien, da so wahlweise der Status Quo abgeschafft oder verteidigt werden kann, wodurch die Verfassungsbeschwerde als Mittel des Rechts als sozialer Aktivismus genutzt wird.222 Die Verfassungsbeschwerde ist nach Erhard Blankenburg daher eine »Nebenbühne der Politik und Klagemauer von Bürgern«,223 die dann als politische Mobilisierung nutzbar gemacht werden kann, indem weitere Bürger*innen zur Beteiligung animiert werden und so dem Anliegen Bedeutung und Dringlichkeit zuschreiben, indem der Konflikt ausgeweitet wird.224 Das wiederrum suggeriert, dass die Verfassungsbeschwerden durchaus die öffentliche Meinung beeinflussen können, indem mittels partikularer Interessen ein medial vermittelter Diskurs entfacht wird, welcher das gesellschaftliche Meinungsklima ändern kann.225 Im vorliegenden Diskurs kann diese Mobilmachung jedoch nicht entdeckt werden, da die Verfassungsbeschwerden in der Regel erst im Nachgang eines BVerfG-Beschlusses mittels Berichterstattung referiert wurden, wobei hier betont werden muss, dass es sich nicht um eine breite Öffentlichkeit handelte, und somit weder von einem breiten Trans*-Aktivismus noch von Trans*-Lobbyismus ausgegangen werden kann. Fuchs verweist darauf, dass die strategische Prozessführung auch an die sozialen wie politischen Rahmenbedingungen gebunden ist, die bereits ein Bewusstsein für die Forderungen aufweisen müssen. Vor allem in der Rechtsmobilisierung für Geschlechtergleichheit erkennt Fuchs eine lange Tradition, da diese »häufig transnational und in breitere soziale Bewegungen und advokatorische Strategien für Gleichstellung eingebunden« sei226 und benennt die Verfassungsbeschwerden bzgl. des TSG als Musterbeispiel für eine strategische Prozessführung, die jedoch ohne eine Mobilisierung stattfand: »Diese Beispiele zeigen, dass der Rechtsweg für eine kleine Minderheit essenziell war, um in den Genuss von Grundrechten zu kommen, auch weil sie zu klein und marginalisiert ist, um eine starke Lobby aufzubauen: Es war für sie leichter, rechtliches als politisches Gehör zu finden. Der Rechtsweg kann eine Alternative sein, wenn AgendaSetting und Politikformulierung an Parlament und Regierung scheitern.«227 Damit widerspricht auch Fuchs all jenen Menschen, die hartnäckig von einer Translobby und einer Transbewegung sprechen. Nun zeigt die vorliegende Diskursanalyse auch, dass es zu der Problemstellung kommen kann, dass sich Gesetze überlagern, sie sich vermeintlich gegenseitig negieren oder entkräften. Jaeggi erkennt hinsichtlich der Krise einer Lebensform, dass diese durch unterschiedliche praxiskonstitutive Normen erzeugt werden kann, welche nicht gemeinschaftlich verwirklicht werden können, da sie die Verwirklichung

222 223 224 225 226 227

Vgl. Thierse (2020): S. 557. Blankenburg (1998): S. 217. Vgl. Thierse (2020): S. 558f. Vgl. Thierse (2020): S. 561. Fuchs (2019): S. 250. Fuchs (2019): S. 252.

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der anderen Lebensform verhindern würden oder ein gleichzeitiges Bestehen nicht möglich wäre.228 Dies könnte auf die Problematik der umkämpften Frauenrechte bezogen werden, die eine gänzliche Abwendung von einer rechtlich erforderlichen Geschlechterklassifikation verunmöglichen, aber auch in Definitionsnot geraten, wenn die Geschlechtsklassifikation frei wählbar ist. So sind viele Frauenrechte (bspw. der Mutterschutz) an die Dimension des Sex gebunden. Dieses Verständnis selbst ist Teil eines historisch vergangenen Lösungsprozesses, in dem Frauen für ihre Rechte und gegen eine Ungleichbehandlung kämpften, aber auch auf die Vulnerabilität entlang eines abgewerteten Körpers aufmerksam machten und durch die Vereindeutigung des weiblichen Geschlechtskörpers (sex) die Uneindeutigkeit von Geschlechtskörpern (sex) verwarfen. Mit Jaeggi gesprochen wird die Uneindeutigkeit jedoch zum inneren Feind, »weil er für das »Verdrängte« der siegreichen Position selbst steht, die wiederum ihre (widersprüchliche) Stabilität durch die Verdrängung dieser Seite ihrer selbst gewinnt. Als Resultat einer Spaltung und Entzweiung sind beide Seiten vereinseitigt übriggeblieben; sie können die Angewiesenheit aufeinander nicht (mehr) realisieren und spannungsfrei interagieren. Hier hält sich ein Teil für das Ganze, während sich gleichzeitig zeigen lässt, dass dieser Teil unabhängig vom anderen – von dem was er ausschließt, wogegen er sich abgrenzt – nicht (gut) bestehen kann.«229 Gleichzeitig wäre es durchaus möglich ein neues rechtliches Verständnis zu entwickeln, indem eine strukturelle Transformation angestrebt wird. Wie das aussehen kann, soll im Ausblick festgehalten werden.

5.2.3 Kampf oder Widerstreit? Bereits um 1900 erkennt Simmel im Kampf, den er zeitweise auch Streit oder Konflikt nennt, eine wichtige Komponente der sozialen Bedeutung, welche die Interessengemeinschaften erst ermögliche. Daher fragt Simmel danach, ob ein Kampf bereits eine Vergesellschaftungsform ist: »Der Kampf selbst ist schon die Auslösung der Spannung zwischen den Gegensätzen; daß er auf den Frieden ausgeht.«230 Durch den Kampf käme die gesellschaftliche Entwicklung der Gemeinschaft zu Gute: »Eine Gruppe, die schlechthin zentripetal und harmonisch, bloß »Vereinigung« wäre, ist nicht nur empirisch unwirklich, sondern sie würde auch keinen eigentlichen Lebensprozeß aufweisen.«231 Statt davon auszugehen, dass Harmonie und Disharmonie ein dualistisches Gegensatzpaar darstellen und sie dadurch als negativ oder positiv zu beurteilen wären, sollte von einer Wechselwirkung des Lebendigen ausgegangen werden.232 Simmel hält es für einen Irrschluss, den Konflikt als negativen Pol des Sozialen zu verstehen, denn dieser Irrschluss gehe seinerseits aus einem Allgemeinverständnis hervor, welches Einheit

228 229 230 231 232

Vgl. Jaeggi (2014): S. 378. Jaeggi (2014): S. 382. Simmel (2018): S. 284. Simmel (2018): S. 285. Vgl. Simmel (2018): S. 286.

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als Übereinstimmung missversteht.233 Der Konflikt mit seiner Dimension einer Opposition gebe dem Individuum vielmehr ein Gefühl davon, nicht gänzlich unterdrückt zu sein, wodurch es sich in der Lage sieht, mittels Widerstand die sozialen Verhältnisse zu korrigieren:234 »Dann ist eben die Opposition ein Glied des Verhältnisses selbst, sie verwächst zu völlig gleichen Rechten […]« und ist imstande ein »ideelles Machtgefühl« herzustellen.235 »Wenn demnach die streitmäßigen Beziehungen auch nicht für sich allein ein gesellschaftliches Gebilde ergeben, sondern immer nur in der Korrelation mit vereinheitlichenden Energien, so daß beide zusammen erst die konkrete Lebenseinheit der Gruppe ausmachen – so unterscheiden sich die ersteren insofern kaum von den sonstigen Beziehungsformen.«236 Allerdings sind Kämpfe nicht ausschließlich auf eine soziale Vergesellschaftung gerichtet, da sie häufig die Vernichtung des Gegenübers fordern237 und mitunter aus purer Kampfeslust geführt werden.238 Eine Vernichtung kann bspw. mittels Diskriminierung erfolgen oder sich in dem Wunsch äußeren, den*die Andere*n Beherrschen zu wollen. In Bezug auf den Diskurs um das SelbstBestG finden sich beide Formen. Indem einige Psycholog*innen an der Diagnosestellung und Therapeutisierung festhalten, wollen sie das Konstrukt der Transgeschlechtlichkeit beherrschen und werden so zu Gatekeepern des Geschlechts. Die Ablehnung durch cisfeministische Positionen, transgeschlechtliche Personen als gesetzliche Frauen oder Männer anzuerkennen, ist im Bereich der Diskriminierung zu verorten, da entlang dessen der Zugang zu Räumen verwehrt wird. In allen Fällen wird die Vergesellschaftung blockiert. Simmel benennt dies als »die eigentümliche Erscheinung des sozialen Hasses, d.h. des Hasses gegen einen Gruppenangehörigen.«239 Simmel führt mit dem Rechtsstreit ein Paradebeispiel für eine Vergesellschaftung an:240 »Während sonst selbst in den wildesten Kämpfen noch irgend etwas Subjektives, irgend eine bloß schicksalsmäßige Wendung, […] möglich ist, wird als solches hier durch die Sachlichkeit ausgeschlossen, mit der eben der Kampf und sonst absolut nichts vor sich geht. Diese Ausscheidung alles dessen, was nicht Streit ist, aus dem Rechtsstreit kann freilich zu einem Formalismus des Kampfes führen, der sich dem Inhalt gegenüber selbstständig macht.«241 Ein weiteres Beispiel ist für Simmel der politische Kampf, da hier das Kampfthema und die Teilnahme an den oppositionellen Konfliktparteien durch das gleiche Interesse an der Gemeinschaftlichkeit gekennzeichnet sind.242 Simmel hält es daher für entscheidend, dass ein Kampf im Wesen einer Konkurrenz entspricht und somit nur indirekt ein 233 234 235 236 237 238 239

Vgl. Simmel (2018): S. 287. Vgl. Simmel (2018): S. 289f. Simmel (2018): S. 290. Simmel (2018): S. 291. Vgl. Simmel (2018): S. 295. Vgl. Simmel (2018): S. 297. Simmel (2018): S. 317. Das Rächen wiederrum wäre ein Kampf aus reiner Kampfeslust und zielt ebenfalls nicht auf ein soziales Verhältnis ab. 240 Vgl. Simmel (2018): S. 305. 241 Simmel (2018): S. 305f. 242 Vgl. Simmel (2018): S. 310.

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Kampf ist, weil er die gegnerische Partei eben nicht schädigen will. Mit Konkurrenz definiert Simmel »solche Kämpfe, die in den parallelen Bemühungen beider Parteien um einen und denselben Kampfpreis bestehen.«243 Wichtig zu ergänzen ist hier, dass der Kampfpreis niemals ausschließlich in der Hand nur einer der Parteien liegt, sondern ihnen gleichermaßen zugänglich ist. Bezogen auf den Kampf um Ungerechtigkeit wirkt diese These erstmal irritierend, jedoch kann keine Kampfpartei Gerechtigkeit als Preis für sich ganz allein beanspruchen, da Gerechtigkeit ein Ideal ist, um welches immer gerungen wird, bspw. dann, wenn Privilegien zur Diskussion stehen. Mittels dieser Sichtweise sollte deutlich werden, dass nicht um eine Privilegierung gerungen wird, was mit einer Deprivilegierung des Streitpartners einhergehen würde, sondern um Gerechtigkeit und gleiche Teilhabe: »Für jenes spricht die Vermutung überall da, wo die Vergesellschaftung nicht von einem gemeinsamen terminus ad quem, sondern einem gemeinsamen terminus a quo, einer einheitlichen Wurzel ausgeht.«244 Anders als der Kampf von Einzelpersonen gegeneinander, ist der Kampf zwischen Gruppen dem Sozialprinzip, also dem einheitlichen Interesse der Gemeinschaft untergeordnet:245 »Die moderne Konkurrenz, die man als den Kampf Aller gegen Alle kennzeichnet, ist doch zugleich der Kampf Aller um Alle […] ein Ringen der Wenigen um die Vielen wie der Vielen um die Wenigen.«246 Verliert die Gruppe jedoch die verbindenden Prinzipien des Konfliktes aus den Augen, werde es problematisch, weil der Konflikt dann als Kriegszustand verstanden wird und die eigene Existenz als gefährdet wahrgenommen wird, worin Simmel eine Intoleranz gegenüber den Konfliktpartner*innen erkennt.247 Auch diese These kann im Diskurs um das SelbstBestG bestätigt werden, da bspw. von einigen Psycholog*innen die Behauptung aufgestellt wurde, dass die Geschlechterkategorien von der Allgemeinheit akzeptiert würden und diese somit vor allzu eiligen Personenstandswechselnden geschützt werden müsste, darüber hinaus cisfeministische Positionen zu bedenken geben, dass Frauen vor falschen Frauen und durch diese möglicherweise verübte sexuelle Übergriffe in der Zukunft geschützt werden müssten. Simmel betont in diesem Zusammenhang, dass eine Herstellung des Friedens dann ausschließlich durch einen Sieg, statt einer Einigung zu erzielen sei.248 Im Gegensatz zu Foucault, der von Diskursen als Kampfarenen spricht, verwendet Jean-Francois Lyotard den Begriff des Widerstreits und steht damit in der Tradition Simmels, der den Kampf zugunsten eines Wettstreits verlagert wissen wollte. Ähnlich wie Foucault und Beck erkennt auch Lyotard in der Moderne den Drang die Wissenschaft als besonders glaubwürdig zu erkennen und ihr den Rang einer Zeug*innenschaft zuzuschreiben. »Genauer gesagt ist dies der Wissenschaftsstaat; die Realität erkennt er nur als methodisch ermittelt, und er verfügt über das Monopol der Ermittlungsverfahren bezüglich der Realität.«249 Die moderne Art des Denkens begreife Wirklichkeit nicht

243 244 245 246 247 248 249

Simmel (2018): S. 323. Simmel (2018): S. 333. Vgl. Simmel (2018): S. 337. Simmel (2018): S. 328. Vgl. Simmel (2018): S. 355. Vgl. Simmel (2018): S. 373f. Lyotard (1987): S. 19.

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mehr als etwas Gegebenes schlussfolgert Lyotard. Aus diesem Grund werde sie mittels Ermittlungsverfahren überprüft.250 Die Menschen hätten unterdessen eine umgekehrte Vorstellung von der Wirklichkeit: »Ein Ding ist wirklich, meinen wir, wenn es existiert, selbst wenn niemand seine Existenz verifizieren kann; so nennen wir einen Tisch wirklich, wenn er immer da ist, auch wenn sich keine Zeugen am entsprechenden Ort aufhalten.«251 Mit einer Beweisführung ließe sich die Existenz demnach nicht erschließen, da es bereits falsch sei, vom ontologische Argument auszugehen: »Jede Aussage über die Wirklichkeit setzt diese bereits voraus.«252 Diese Thesen lassen Lyotard schließen, dass auch die Opfer, bzw. die Betroffenen des ontologischen Arguments nicht mehr als Zeug*innen gelten, solange eine Betroffenheit nicht wissenschaftlich erwiesen sei. Dies gelte für die Tat, ebenso wie für den Status der Betroffenen.253 Bezogen auf Transgeschlechtlichkeit müsste diese nicht nur anerkannt werden, sondern ebenso anerkannt werden, dass die Selbstdefinition der Person das Geschlecht bestimmt, um entlang dessen bspw. die Offenbarung oder das Misgendern als Tat benennen zu können. Allerdings ist sich – wie im vorliegenden Diskurs deutlich wurde – weder die Wissenschaft noch die Politik einig über den Status. »Nun ist es vielleicht unmöglich zu ermitteln, daß der Referent eines Satzes keine derartige Eigenschaft hat, wenn man nicht wiederrum das Recht zur Widerlegung desjenigen Satzes besitzt, demzufolge er diese Eigenschaft innehat.«254 Mit Lyotard gesprochen, müsste jedoch erst jemand die Anklage erheben und beweisen, dass eine Person keine Frau oder kein Mann ist. Das Unbestimmte, so Lyotard, lasse sich jedoch nicht beweisen. Solange es keine Einigung über die wahre Essenz des Geschlechts als Kategorie gibt, solange könnte auch niemand die Anklage erheben, jemand sei keine Frau oder kein Mann: »Wie könnte man, was nicht ist, nachweisen, ohne zu kritisieren, was es ist?«255 Das SelbstBestG wäre demnach nur dann ein Gesetz gemäß der individuellen Selbstbestimmung, wenn es eben keine Feststellung darüber macht, was Geschlecht ist und wann Geschlecht ist. Nach Lyotard verweist der Widerstreit anders als der Rechtsstreit auf zwei Parteien, deren Konflikt nicht mittels eines Urteils beigelegt werden kann, sondern nur dann, wenn eine Partei sich durchsetzt und die andere innerhalb dieser Durchsetzung kein Gehör findet. »Widerstreit [différend] möchte ich den Fall nennen, in dem der Kläger seiner Beweismittel beraubt ist und dadurch zum Opfer wird.«256 Das Gericht könne zwar den Streit zwischen Kläger*in und Angeklagter*m beilegen, jedoch nicht zwischen Subjekten und ihren differenten Normsystemen/Ordnungsrahmen.257 Den Unterschied zwischen Rechtsstreit und Widerstreit erkennt Lyotard demnach in der Inkommensurabilität der differenten Normsysteme bzw. Deutungsrahmen, wodurch kein Urteil eines 250 251 252 253 254 255 256 257

Vgl. Lyotard (1987): S. 26. Lyotard (1987): S. 64. Lyotard (1987): S. 64. Vgl. Lyotard (1987): S. 20. Lyotard (1987): S. 26. Lyotard (1987): S. 27. Lyotard (1987): S. 27. Lyotard schreibt dazu konkret: »Denn der Widerstreit ist keine Streitsache, dass Wirtschafts- und Sozialrecht kann zwar den Rechtsstreit zwischen den Wirtschaftspartnern schlichten, nicht aber den Widerstreit zwischen Arbeitskraft und Kapital« (Lyotard [1987]: S. 28).

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Gerichts es vermag, beide Argumentationen und die dazugehörigen Werte zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss würde eine Partei des Streits immer ausgeschlossen und als nicht legitime zurückgelassen. Das wahre Unrecht geschähe mit Lyotard jedoch dadurch, dass ein und dieselbe Rechtsregel auf die differenten Streitparteien angewendet werde, obwohl eine oder sogar beide diese Rechtsregel nicht als die ihre anerkennen.258 Lyotard geht noch einen Schritt weiter und erkennt im Recht die Ausschließung einer Diskursart und die Erhebung der einen über alle anderen, womit nach ihm das Soziale als das zu fällende Urteil im Widerstreit eliminiert werde.259 Daher erkennt Lyotard in jedem neu geschaffenen Recht ein ebenso neugeschaffenes Unrecht, da es eine*n Konfliktpartner*in inklusive seiner Normsysteme und Wertsystem ausschließt und als unrechtmäßig definiert.260 Bezogen auf den vorliegenden Diskurs ist es also möglich dejure mittels Rechtsstreites die Bestätigung zu bekommen, dass ein gängiges Gesetz gegen die Verfassung in Form des Grundgesetzes verstößt, es ist aber nicht möglich, die entsprechende Anerkennung als Frau oder als Mann als intergeschlechtlich oder nicht-binär zu erhalten, welche defacto durch die Heteronormativität geregelt wird. Lyotard definiert einen instabilen Zustand im Widerstreit als Moment, »in dem etwas, das in Sätze gebracht werden können muß, noch darauf wartet.«261 Indem die Parteien im Widerstreit auf eine Setzung warten, wird dieses Warten als Unrecht empfunden. Würde sich der Widerstreit auf eine nachgewiesene Wirklichkeit beziehen, dann, so Lyotard, wäre es kein Wider- sondern ein Rechtsstreit, wenn aber der Gegenstand in der Wirklichkeit nicht angewiesen werden könne, dann gäbe es überhaupt keinen Streit.262 Dementsprechend kann Geschlecht als nicht eindeutig zu bestimmende Kategorie nicht als Rechtsstreit verhandelt werden, allerdings verführt die Existenz von geschlechtlicher Selbstbeschreibungen und Fremdzuschreibungen einen Widerstreit zu führen. Hiermit bezeichnet Lyotard den Widerstreit als eine Diskursart, die weder in einem juristischen noch in einem gerichtlichen Diskurs artikuliert werden könne.263 Auch Liebsch und Straub erkennen einen »Formwandel des Sozialen«, weshalb sie danach fragen, wie ein sozial-heterogenes Zusammenleben realisierbar ist, welche Systeme es dafür bedarf und wodurch dieses bedroht wird. Als Bedrohung kennzeichnen beide scheinbar nicht-integrierbare Widersprüche und Differenzierungen, aber auch eine Homogenisierung wird als Bedrohung erkannt, da diese Ein- und Ausschlüsse produziert. Aus diesem Grund käme es zwangsläufig zu einem Widerstreit der Lebensformen, da diese durch Temporalisierung und Dynamisierung einen inneren Widerstreit erleben, welcher die Zugehörigkeit nach Innen und die Abgrenzung nach Außen erschwert.264 Dieser zunächst innere Widerstreit setzt sich nun zwischen heterogenen Lebensformen fort, wodurch die sozialen Verhältnisse erodieren, da Orientierungen und

258 259 260 261 262 263 264

Vgl. Lyotard (1987): S. 9; S. 237; S. 261. Vgl. Lyotard (1987): S. 233. Vgl. Lyotard (1987): S. 234. Lyotard (1987): S. 33. Vgl. Lyotard (1987): S. 56. Vgl. Lyotard (1987): S. 60. Vgl. Liebsch; Straub (2003): S. 9.

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Praktiken inkommensurabel erscheinen und folglich nicht miteinander verträglich sind. Nach Liebsch gefährdet die Komponente der »letzten Entscheidung« als letztinstanzliche Wahrheit verstanden den Widerstreit, da dieser so in eine Feindschaft übergehen kann.265 Der Widerstreit würde folglich als Existenzkampf verstanden, wobei hier außer Acht gerate, dass auch die eigene Lebensform und damit zusammenhängende Werte in diesen Existenzkampf verstrickt sind, wodurch die eigene Existenz zur Debatte steht.266 Wenn Liebsch vom Widerstreit der Lebensformen spricht, ist damit ein innerer oder äußerer Konflikt von verkörperten Überzeugungen gemeint.267 Der innere wie der äußere Widerstand von Lebensformen bedeuten neue Herausforderungen für das politische Handeln und ebenso für den Umgang mit sozialen Konflikten. Gegensätzliche Überzeugungen, konträre Meinungen und daraus resultierende Feindschaften können Zugehörigkeiten aufkündigen und Existenzen gefährden. »Wir müssen heute aber erkennen, dass durch solche Gesetze allein soziale Integration unter der Bedingung von vielfach miteinander verschränkten Lebensformen im Widerstreit nicht gewährleistet ist. Die Grenzen der Verrechtlichung des sozialen Lebens selber verweisen uns so auf die Frage nach den ›Motiven‹ des Zusammenlebens unter Bedingungen nicht geleugneten Widerstreits miteinander konfrontierter Identitäten zurück.«268 Hartmut Rosa spricht im Zusammenhang eines Widerstreits der Lebensformen von Inkommensurabilität: »Inkommensurabilität sollte daher definiert werden als das Verhältnis zweier Systeme, deren Begriffe oder Bedeutungseinheiten sich nicht adäquat, d.h. nach den Vorgaben der logischen Einschließung, Ausschließung und Überschneidung, ineinander übersetzen lassen, so dass sich das im einen System Intendierte nicht restlos in der vorgegebenen Begriffs- und Bedeutungsmatrix des anderen Systems darstellen lässt.«269 Die Verstehenshorizonte lassen sich dementsprechend wegen ihrer Inkommensurabilität nicht vergleichen, weshalb es eines kontextgebundenen Verstehens bedarf. Lebensformen haben unterschiedliche teils konkurrierende Deutungsrahmen, wodurch ein Verstehen mittels eines Vergleichs auch ausgeschlossen werden kann.270 Selbst die sogenannte Selbstinterpretation orientiert sich an der Lebensform, indem sie an deren Selbstkonzepten, Wertmustern und sozialen Praktiken anknüpft und damit die Selbstinterpretation intersubjektiv erzeugt wird.271 Um eine andere Lebensform zu verstehen sollte diese also nicht entlang des eigenen Verstehenshorizonts gedeutet werden. Problematisch ist nach Rosa nur, dass es keine neutrale Deutungsperspektive gibt.272

265 266 267 268 269 270 271 272

Vgl. Liebsch (2003): S. 34. Vgl. Liebsch (2003): S. 35f. Vgl. Liebsch (2003): S. 13. Liebsch; Straub (2003): S. 11. Rosa (2003): S. 48. Vgl. Rosa (2003): S. 53. Vgl. Rosa (2003): S. 58. Vgl. Rosa (2003): S. 62.

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Mit Rosa entsteht eine Feindschaft zwischen den Lebensformen demnach dadurch, dass sie inkommensurable kognitive wie moralische Bedeutungshorizonte haben und davon überzeugt sind, dass nur der jeweils eigene ontologisch fundiert ist, weshalb die andere Lebensform diesen schließlich beständig verletzt. »Sofern Menschen natürlicherweise annehmen (müssen), dass das, was aus ihrer Sicht ›wahrhaft‹ gar (oder wahr oder schön) ist, auch per se und schlechthin gut ist, müssen sie auch annehmen, dass die Regeln und Normen, welche aus diesem Guten folgen, intelligibel sind und von allen befolgt und verstanden werden sollten.«273 Dies hat ebenfalls Auswirkungen auf politische Entscheidungen, konstatiert Rosa, da diese auf Basis des Verstehenshorizonts der politischen Entscheidungsträger*innen getroffen werden und sich an deren kognitiv-moralischen Landkarten orientieren. Dies sei der Grund, warum sich Lebensformen als unfähig erweisen, von anderen Lebensformen zu lernen.274 Aufgrund der Inkommensurabilität der Verstehenshorizonte müsse nach Rosa eine neue gemeinsame Vergleichsdimension entwickelt werden, »welche die Differenzen zwischen den beiden Kulturen artikuliert und akzentuiert und dabei niemals frei von ethnozentrischen Elementen sein kann, jedoch beide Horizonte durch die Aufnahme neuer, zuvor vielleicht unvorstellbarer qualitativer Kontraste zu erweitern vermag.«275 Die widersprüchlichen moralischen Landkarten sollten mittels der Erstellung einer Zusatzkarte kontrastiert werden, um die unterschiedlichen Verstehenshorizonte sichtbar zu machen.276 Durch diesen Vergleich erkennt Rosa die Chance, die unreflektierten Zonen der eigenen »Lebensform zu erkennen und für andere Möglichkeiten (oder Verhaltensdimensionen) sensibilisiert zu werden«.277 Auch Liebsch empfiehlt eine Abkehr vom Kampf um Werte und stattdessen den Widerstreit der Erfahrungsansprüche zugrunde zu legen, welcher dann unterschiedliche Geltungsansprüche artikulierbar macht: »Wenn ich sehe, was der Andere nicht sieht, mag ich ihm meine Wahrnehmung erklären und die seinige korrigieren wollen, so ich sie für falsch erachte. Wenn das aber zu keiner Übereinstimmung führt, bleibt nichts anderes übrig, als den Befund der NichtÜbereinstimmung oder der Unvereinbarkeit als solchen gelten zu lassen. Die subjektive Wahrheit meiner Wahrnehmung bedeutet dann nicht zugleich die Unwahrheit der widerstreitenden Wahrnehmung des Anderen.«278 Im vorausgehenden Diskurs um das SelbstBestG kann der Streit zwischen queer- und cisfeministische Positionen diesen Kampf um die letztinstanzliche Wahrheit deutlich machen. Für den Cisfeminismus wird der vermeintliche Feind bis auf die Existenzberechtigung bekämpft, was sich unteranderem an der sprachlichen Verweigerung zeigt, wenn Frauen als natürliche oder rechtliche Männer benannt werden oder von einer anderen Wahrheit gesprochen wird. Hier zeigt sich auch, dass die Feststellung von Ilse

273 274 275 276 277 278

Rosa (2003): S. 64. Vgl. Rosa (2003): S. 72. Rosa (2003): S. 73. Vgl. Rosa (2003): S. 73. Rosa (2003): S. 78. Liebsch (2003): S. 38.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Lenz, es gäbe nicht den einen Feminismus, sondern eine »Vielfalt von Ansätzen«, zutrifft und somit prinzipiell von Feminismen gesprochen werden müsste.279 Lenz differenziert in diesem Zusammenhang vor allem die Differenzfeminismen und die transformativen Feminismen. Während die Differenzfeminist*innen die Geschlechtsunterschiede betonen, jedoch eine Chancengleichheit erstreiten, erkennen die transformativen Feminist*innen die geschlechtliche Ungleichheit in den gesellschaftlichen Strukturen – bspw. der Binarität und Heteronormativität – begründet und wollen diese verändern.280 Der queere Feminismus wäre dementsprechend ein Ableger des transformativen Feminismus.281 Auch Sabine Hark und Paula-Irene Villa konstatieren, dass es den einen Feminismus nie gegeben hat, nicht einmal in der ersten Frauenbewegung, in welcher radikalfeministische Positionen auf differenzfeministische und bürgerlich-gemäßigte Positionen trafen.282 Die schwer nachvollziehbaren Allianzen, zwischen Feminist*innen und rechten Akteuren sind auch nach Hark und Villa nicht neu. Im Zuge der Kölner Silvesternacht konnte Alice Schwarzer sich bereits im Schulterschluss mit rechtspopulistischen Positionen wiederfinden, wenn sie von »den Folgen der falschen Toleranz« spricht und das Patriarchat und damit einhergehend die Unterdrückung von Frauen wie sexualisierte Gewalt als Migrationseffekt muslimischer Zuwanderung auslegt.283 Das Bündnis, das in diesen Fällen eingegangen werde, sei aber kein ausdrückliches Bündnis zwischen Feminist*innen und Nationalist*innen, vielmehr wurden feministische Forderungen zunächst instrumentalisiert, um so nationalistische Forderungen zu transportieren, die sonst kaum Gehör in der Gesellschaft fänden.284 Nun aber scheint es so, als ob Schwarzer in einer Zeit, in welcher im Allgemeinverständnis die Gleichstellung von Frauen und Männern bereits erreicht sei, die nunmehr salonfähig gewordenen nationalistischen Narrative oder – wie im vorliegenden Diskurs – die genderfeindlichen Narrative instrumentalisiert, um Feminismus wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Und auch die von Hark und Villa möglicherweise vorschnell formulierte Ausnahme »für Kreuzzüge gegen die sogenannte ›Gender-Ideologie‹ ist Schwarzer nicht bekannt« muss zurückgenommen werden, da der Diskurs um das SelbstBestG zeigt, dass der Schulterschluss mit rechts-nationalen Positionen eben doch weniger unbewusst ist, als er zu Zeiten der Kölner-Silvesternacht-Diskurse noch wirkte. Hark und Villa beschreiben den Feminismus von Schwarzer daher als toxisch und fundamentalistisch, da er mit gewaltvollen Abstraktionen manche Phänomene aufbläht und andere in die Unsichtbarkeit verlagert.285 Dass es den einen großen Trans-Aktivismus bzw. -Lobbyismus und die Gender-Ideologie nicht gibt, konnte bspw. Tanja Vogler mit ihrer Forschung zu queerem Aktivismus 279 280 281 282 283

Vgl. Lenz (2019): S. 231. Vgl. Lenz (2019): S. 233; S. 237. Vgl. Lenz (2019): S. 239. Vgl. Hark; Villa (2017): S. 79. Vgl. Hark; Villa (2017): S. 77; S. 81. In Rückgriff auf die Soziologin Sara Farris benennen Hark und Villa den Feminismus, der mit islamfeindlichen und xenophoben Inhalten feministische Politik betreibt, als Femonationalismus (vgl. Hark; Villa [2017]: S. 86). 284 Vgl. Hark; Villa (2017): S. 87. 285 Vgl. Hark; Villa (2017): S. 78.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

nachzeichnen. Vielmehr handelt es sich um vielfältige Selbstdefinitionen mit individuellen Problemlagen und daraus hervorgehenden Forderungen. Wenn sich ein kollektives Wir situiert, dann vor allem als solidarisches Wir,286 das eine queere Haltung teilt, sofern queer lediglich als Überbegriff für ein Handeln steht, das eine kritische Beziehung zur Norm einnimmt:287 »Die subjektiven Bedeutungen, die die Aktivist*innen dem queeren Wir ihrer Gemeinschaften zuordnen, knüpfen mitunter an Aspekte des diskursiv hergestellten Wir der jeweiligen Projekte an.«288 In diesem Kontext konnte Vogler herausarbeiten, dass queerer Aktivismus vor allem über eine affektive Verbundenheit entsteht mit jenen, die existenziell bedroht sind.289 Dass also Bündnisse geschaffen werden, heißt keineswegs, dass damit auch eindeutige Identitäten formuliert werden, sondern lediglich, dass als queeres Bündnis die Möglichkeit zur subversiven Politik eröffnet wird.290 Queer hat als Begriff ein subversives Potenzial, weil er eben keine Identitätspolitik zulässt und so den Anerkennungskampf um Rechte und Teilhabe fokussiert, wodurch die individuellen Identitätslabels in den Hintergrund geraten. In diesem Kontext kann im Diskurs um das SelbstBestG durch die geschlechterbinären Vertreter*innen eine Politik zugunsten von eindeutigen Identitätskonstruktionen festgestellt werden, während die geschlechterpluralen Vertreter*innen sich um eine Dekonstruktion von starren Identitätskonstrukten und damit einhergehend um allumfassende Menschenrechte bemühen. Geht es um die Anerkennung als Identitäten, also bspw. die Anerkennung von intergeschlechtlichen Personen als Geschlecht und somit um eine Erweiterung des Geschlechterverständnisses, dann handelt es sich um eine andere Identitätspolitik als jene der geschlechterbinären Position, die dogmatisch auf Geschlechterbinarität beharrt und Intergeschlechtlichkeit als biologische Entwicklungsstörung versteht. In diesem Moment wäre eine Differenzierung von inklusiver und exklusiver Identitätspolitik sinnvoll. Auch Jaeggi geht von einer gesellschaftlich insgesamt konfliktreichen Umbruchssituation aus, die ihrerseits zu Spannungen und Konfrontationen zwischen den Lebensformen führt. Allzu oft, das erkennt Jaeggi ebenfalls, gehe es bei dem Konflikt um die jeweilige Grundorientierung der Lebensformen, wodurch auch in Jaeggis Verständnis die einzelne Lebensform in eine Selbstverständigungskrise geraten kann und dadurch eine Suchbewegung eröffnet wird, die einen kollektiven Emanzipationsprozess startet.291 »Lebensformen sind, diesem Verständnis nach, nicht nur Gegenstand, sondern immer auch Resultat von Auseinandersetzungen.«292 Genau dies liefert mit Jaeggi jedoch eine Möglichkeit dazu, Lebensformen zu kritisieren, da jeder artikulierte Geltungsanaspruch in diesem Emanzipationsprozess auf eine interne Krise innerhalb der Lebensform verweist.293 Diese internen Konflikte werden bspw. durch kollektive Rechtfertigungen, aber auch durch individuelle Selbstbeschränkungen sichtbar, bspw. durch die Einklammerung von Lebensweisen. Diese werden als Argumentationsgrundlage genutzt und so ein 286 287 288 289 290 291 292 293

Vgl. Vogler (2022): S. 289. Vgl. Vogler (2022): S. 302. Vogler (2022): S. 302. Vgl. Vogler (2022): S. 316. Vgl. Vogler (2022): S. 304. Vgl. Jaeggi (2014): S. 11f. Jaeggi (2014): S. 13. Vgl. Jaeggi (2014): S. 13f.

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Schutz vor einer konkurrierenden Lebensform konstruiert.294 Im Diskurs um das SelbstBestG finden sich alle drei Kennzeichen: die individuelle Selbstbeschränkung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Geschlechtskategorie der Frauen auf ihre Gebärfähigkeit und ihre Vulnerabilität gegenüber sexualisierter Gewalt beschränkt wird, wodurch Frausein entlang des Merkmals der Geschlechtsorgane eingeklammert wird. Als kollektive Rechtfertigung für den Ausschluss von transgeschlechtlichen Frauen wird die Statistik vorgebracht, welche Gleichstellungslücken aufzeigen kann, aber nur sofern das Geschlecht nicht nach Belieben gewechselt werden kann. Neben dem Konflikt zwischen queer- und cisfeministischer Position findet sich auch noch der Konflikt von wissenschaftlicher Expertise und Betroffenensicht; hier wird die Ausbildung einer kollektiven Rechtfertigung als Begründung für eine objektivere Haltung der Wissenschaft vorgetragen, die individuelle Selbstbeschränkung erfolgt unterdessen in der Form, dass es um ein Therapeutisieren geht und somit auf eine politisch-emanzipative Haltung in dem Diskurs verzichtet werde, wodurch kategorisch die Betroffenen in ihrer Selbstdiagnose ausgeklammert werden. Jaeggi benennt dieses Phänomen als Sittlichkeit einer Lebensform, welche jedoch keine Allgemeinverbindlichkeit besitzen kann, da die gesellschaftliche Entwicklung zur Individualisierung, Pluralisierung und Reflexivität die Idee von Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung hervorbringt und somit diametral einer für alle verbindlichen Normativität entgegensteht.295 Die Binarität stückweise zu öffnen, ohne jedoch die Heteronormativität zu kritisieren, führt zu weiteren Konflikten und zeigt einen gescheiterten Lernprozess, der dazu führt, die Grenzen der Anerkennung von Lebensformen nicht zu öffnen, jedoch die Grenzen der Duldung hart zu umkämpfen. Von der internen Kritik, welche das Selbstverständnis und damit zusammenhängende Normen und Ideale kritisiert, indem die Kritik diese als nicht erfüllt oder nicht berücksichtigt kennzeichnet, und so nachweist, dass die soziale Praxis innerhalb der Lebensform nicht dem Ideal dieser entspricht, unterscheidet Jaeggi die externe Kritik, welche nicht von innen, sondern von außen an eine Lebensform herangetragen wird und die soziale Praxis an einem von außen an diese herangetragenen Ideal bemisst.296 Mittels des durch die externe Kritik erzeugten Bewusstseins und der durch die interne Kritik erzeugten Rekonstruktion, kann eine immanente Kritik erzielt werden: »Eine solche immanente Kritik, setzt bei den Ansprüchen und Bedingungen [einer Lebensform oder sozialen Formation] an, reagiert auf die in dieser auftauchenden Probleme und Krisen und gewinnt gerade daraus das transformative Potenzial, das über die in Frage stehenden Praktiken hinausreicht und auf deren Veränderung zielt.«297 Kritik setzt dementsprechend am Konflikt oder an der Krise an, nicht an der Lebensform als solcher.298 »Die Kritik von Lebensformen thematisiert nicht nur unser Handeln, also das, was wir tun (sollen), sondern den Bezugsrahmen, in dem wir handeln und uns orientieren.«299 Jede Handlungsweise kann gelingen oder misslingen und

294 295 296 297 298 299

Vgl. Jaeggi (2014): S. 30. Vgl. Jaeggi (2014): S. 30. Vgl. Jaeggi (2015): S. 88f. Jaeggi (2015): S. 92. Vgl. Jaeggi (2014): S. 14. Jaeggi (2014): S. 26.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

sie kann angemessen oder unangemessen sein, weshalb sie sich zum Objekt von Kritik qualifiziert.300 So werden bspw. auch die PÄ oder die geschlechtsangleichende Operation als Praktik kritisierbar, ähnlich wie Schönheitsideale, die sich entlang des Wunsches abzunehmen oder sich zu schminken zeigen. »Das gilt auch für die Kritik von Lebensformen. Wir kritisieren eine Lebensform, sofern sie nicht nur anders ist, als sie sein könnte, sondern auch anders, als sie sein sollte. Lebensformen bewegen sich in einem Raum des Handelns und der Gründe, einem Raum, in dem Menschen etwas tun und dabei etwas richtig oder falsch machen können.«301 Kritik ist also an den Prozess der Transformation gebunden, da nur das kritisierbar ist, was auch als veränderbar gilt. Die Kritik kann mit Jaeggi intern, extern oder immanent vollzogen werden.302 Den Körper oder die Sexualität zu kritisieren, ist somit widersinnig, jedoch kann die Heteronormativität und damit die Binarität des Geschlechts, welche institutionell durch Gesetze und Räumlichkeiten gefestigt wird, als Lebensform kritisiert werden. Was in diesem Kontext oft vergessen werde, so Henning Röhr, ist, dass auch Konflikte ihre Gestalt verändern, da auch sie der Pluralisierung und Individualisierung unterliegen und seit geraumer Zeit eben nicht mehr als zeitlich begrenzt und überwindbar gelten. Allerdings, das räumt Röhr ein, wird ihre endgültige Lösung immer noch als Instrument zur Herstellung von Harmonie idealisiert. Röhr schlägt daher vor, dass Konflikte als dauerhafter und integraler Bestandteil des Sozialen in der pluralisierten Gesellschaft verstanden werden, wodurch die Ebene des Widerstreits eröffnet wird.303 Deshalb spricht Röhr davon, eine Zivilisierung von Konflikten gesellschaftlich zu erzielen.304 In diesem Kontext können der dialogische Ansatz von Fraser und die radikale Demokratie nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe möglicherweise interessant sein. Frasers dialogischer Ansatz fokussiert eine wechselseitige Auseinandersetzung aller Beteiligter, »sobald es darum geht, politische Auseinandersetzungen zum Problem der Verteilung und der Anerkennung demokratischen zu führen«.305 Statt also die »unzureichend anerkannten Subjekte selbst entscheiden« zu lassen, »ob und wie sie sie angemessen anzuerkennen seien, so daß die, deren Selbstachtung auf dem Spiel steht, das letzte Wort in der Sache haben sollten, die zu deren Wahrung erfordert ist«, oder die Übergabe dieser Entscheidung an vermeintlich, weil wissenschaftlich arbeitende Expert*innen, die objektiv analysieren, was das Beste für Alle sei, sollten identitätspolitische Fragen in einem »demokratisch verfahrenden öffentlichen Diskussionsforum« ausgehandelt werden.306 Statt also der monologischen Stellungnahme von Betroffenen und der Expertise von Wissenschaftler*innen, soll dialogisch ein Konsens gefunden werden, welcher jedoch als unabgeschlossen und revidierbar gelten muss, um für spätere Anfechtungen offen zu bleiben.307 Fraser fordert hier eine Änderung innerhalb der sozialen Praxis, die nicht mehr nur Forderungen der 1. Ordnung auf Umverteilung/Anerkennung stellen soll, 300 301 302 303 304 305 306 307

Vgl. Jaeggi (2014): S. 139. Jaeggi (2014): S. 139f. Jaeggi (2014): S. 134. Vgl. Röhr (2003): S. 506. Vgl. Röhr (2003): S. 509. Fraser (2003): S. 63f. Fraser (2003a): S. 64. Vgl. Fraser (2003): S. 64.

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sondern auch durch Forderungen 2. Ordnung die Bedingungen kritisiert, wie über Forderungen der 1. Ordnung entschieden wird: »Wenn also jemand in der Öffentlichkeit vorbringt, daß die Bedingungen für eine genuin öffentliche Auseinandersetzung momentan nicht gegeben sind, bringt er die Reflexivität demokratischer Gerechtigkeit im Prozeß ihrer praktischen Herstellung zum Ausdruck.«308 Während die Kämpfe um Anerkennung zwar auf eine pluralistische Werteordnung verweisen und darauf, dass der Kampf dynamisch und partizipatorisch ist, wird allzu oft übersehen, dass nicht alle diese Kämpfe die gleichen Voraussetzungen für alle Menschen schaffen, um gleichberechtigt zu partizipieren.309 Weiter wird nach Fraser allzu oft verkannt, dass ein Individuum nicht ausschließlich nur einer Statusgruppe zugewiesen werden kann: »Vielmehr sind die Individuen so etwas wie Schnittpunkte, an denen sich die mannigfaltigen und zueinander querliegenden Achsen benachteiligt und zugleich auf anderen bevorzugt, führen sie im modernen Regime ihre Kämpfe.«310 Auch das lässt sich an der Analyse verdeutlichen, die zeigt, dass eine Person durchaus durch die Möglichkeit einer PÄ in ihrer Individualität anerkannt wird, diese Anerkennung allerdings verwehrt wird, sobald die Person ein Kind gebiert oder zeugt und in der falschen Rollenzuschreibung als Vater/Mutter adressiert wird. Laclau/Mouffe starten ihre Theorie zur radikalen Demokratie auch mit einem Blick in aktuelle Konflikte und bezeichnen die damit zusammenhängenden Grenzziehungen des Sozialen als Stellungskrieg.311 Die aktuelle Hegemonie ist nach Laclau/Mouffe keine Allmacht, vielmehr zeigt sie sich nur vielfältig in Form von Verdichtungspunkten innerhalb der Gesellschaftsformation. Solche Verdichtungspunkte können unter anderem Gesetze darstellen. Das Soziale wird als unendlicher Raum verstanden, in dem sich gelegentlich hegemoniale Knotenpunkte bilden, da soziale Beziehungen auf ein einheitliches Prinzip beschränkt werden.312 So kann die Eheschließung als das einheitliche Prinzip der Monogamie-Hegemonie und der binäre Personenstand als das einheitliche Prinzip der Heteronormativität-Hegemonie verstanden werden. Laclau/Mouffe differenzieren hier jedoch, dass die Gesellschaftsformation auf der einen Seite empirisch sei, allerdings können sich entlang der hegemonialen Formationen innerhalb der Gesellschaftsformen Totalitäten artikulieren.313 Jede Totalität wiederrum spaltet die Gesellschaftsformation und erzeugt einen Antagonismus,314 da die hegemonialen Formationen Unterordnungsverhältnisse hervorbringen, die zu sozialen Kämpfen führen können und deren »Ziel die Transformation eines sozialen Verhältnisses ist, das ein Subjekt in einem Verhältnis der Unterordnung konstruiert.«315 Mit Laclau/Mouffe sind Diskurse und aus ihnen hervorgehende Bedingungen die Ausgangspunkte für kollektive Handlungen und somit auch für soziale Kämpfe. »Unsere These ist, daß erst ab dem Moment, als der demokratische Diskurs in der Lage war, 308 309 310 311 312 313 314 315

Fraser (2003): S. 65. Vgl. Fraser (2003): S. 80. Fraser (2003): S. 80. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 178. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 181. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 185. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 186. Laclau; Mouffe (2012): S. 193.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

die verschiedenen Widerstandsformen gegen die Unterordnung zu artikulieren, die Bedingungen der Möglichkeit des Kampfes gegen die verschiedenen Typen von Ungleichheit existierten.«316 Dem stehen staatliche Interventionen – bspw. Gesetze und Gesetzgebungsverfahren – diametral gegenüber, da diese dadurch gekennzeichnet sind, dass sie soziale Verhältnisse regulieren und sogar weitergehend spezifische soziale Verhältnisse als Institutionsweisen hervorbringen. Letztere zeigen sich nach Laclau/Mouffe jedoch erst, wenn sie mittels Kampfes in das Öffentliche treten: »das Auftauchen eines als ›positive Freiheit‹ bezeichneten neuen Rechtstypus hat ebenfalls den herrschenden common sense grundlegend transformiert und dadurch einer ganzen Reihe von Forderungen nach Ökonomischer Gleichheit und dem Insistieren auf neue soziale Rechte und Legitimität verliehen.«317 Unter radikaler Demokratie verstehen Laclau/Mouffe daher »die Vervielfachung der politischen Räume und das Verhindern von Machtkonzentrationen an einem Punkt.318 […] Ein demokratischer Kampf kann einen gewissen Raum, in dem er sich entwickelt, autonomisieren und Äquivalenzeffekte mit anderen Kämpfen in einem anderen politischen Raum produzieren. Es ist diese Pluralität des Sozialen, mit der das Projekt für eine radikale Demokratie verknüpft ist.«319 Das demokratische Ideal geht von einer Verknüpfung von menschlicher Natur und politischem Raum aus; eine Verknüpfung, die durch das moderne freigesetzte Subjekt und die diskursive Pluralität aufgelöst wurde, wodurch soziale Verhältnisse zwangsläufig politisiert werden.320 Das führt dazu, dass nur kollektive Akteure demokratisch um ihre Rechte kämpfen können, wodurch Rechte nicht individualistisch begründet werden können:321 »Es ist niemals möglich, individuelle Rechte isoliert zu definieren, sondern sie können nur im Kontext sozialer Verhältnisse festgelegt werden, die bestimmte Subjektpositionen definieren. Folglich betrifft die Frage von Rechten immer andere Subjekte, die an demselben sozialen Verhältnis teilnehmen.«322

5.2.4 Das Identitätspolitische Um sich dem Identitätspolitischen begrifflich zu nähern, sollte eine Unterscheidung von Identität und kollektiver Identität vorgenommen werden. Joachim Renn und Jürgen Straub sprechen von Identität, als einem »normativen Anspruch, den Personen an sich und andere stellen«.323 Zudem unterliege die Identität einem Paradoxon, da sie, wenngleich sie unabschließbar ist, dennoch dauerhaft angestrebt werde.324 Somit ist eine Identität also keineswegs eine stabile Einheit, sondern beweglich.325 »Wer eine Person 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325

Laclau; Mouffe (2012): S. 195. Laclau; Mouffe (2012): S. 204. Laclau; Mouffe (2012): S. 221. Laclau; Mouffe (2012): S. 224. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 224f. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 227f. Laclau; Mouffe (2012): S. 228f. Renn; Straub (2002): S. 11. Vgl. Renn; Straub (2002): S. 10. Vgl. Renn; Straub (2002): S. 13.

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ist und sein möchte, zeigt sich in ihrer tagtäglichen Praxis«,326 womit das Selbstverhältnis von den Deutungs- und Interpretationsleistungen abhängig wird. Mit Renn/Straub wird die Identität somit zwischen Selbsterkenntnis und Selbstregulation ausgehandelt, wobei das Selbstverhältnis niemals rein deskriptiv ist, sondern vom sozialen Kontext abhängig, da es auf die soziale Anerkennung angewiesen sei.327 Entlang dieser Thesen entwickeln Renn/Straub den Begriff der transitorischen Identität, da sich die Identität damit konfrontiert sieht, sich selbst in verschiedenen Zusammenhängen, aber auch in widersprüchlichen Richtungen oder aber durch verschiedene Lebensweisen, zum Existieren zu bringen.328 Das Individuum ist also der Aufgabe einer Selbstrealisierung ausgesetzt, da es anhaltend mit der sozialen Differenzierung in Verschränkung mit der Veränderlichkeit von Personen konfrontiert wird.329 Die Identität und somit auch die geschlechtliche Identität werden zu einem Entwurf; eine Sichtweise, welche die Sicht auf die Identität als essentielle und unveränderliche Basis des Menschen ablöst. Straub definiert »›Identität‹ als jene Einheit und Nämlichkeit einer Person […], welche auf aktive, psychische Synthetisierungs- oder Integrationsleistungen zurückzuführen ist, durch die sich die betreffende Person der Kontinuität und Kohärenz ihrer Lebenspraxis zu vergewissern sucht.«330 Die Identität wäre somit im Gegensatz zur Lebensform ein steter Begleiter, da sie in »einer beschleunigten, dynamisierten Zeit, die Erfahrung des eigenen Selbst, ja der Wirklichkeit überhaupt, als Möglichkeitsraum«331 ermöglicht. Weiter sei die Identität von der Individualität zu unterscheiden: »Wer sich als unverwechselbares Individuum fühlt, kann gleichwohl Identitätsprobleme haben, und wer sich mit sich selbst identisch weiß und selbstständig zu handeln vermag, mag sich gleichwohl als ein von anderen ununterscheidbarer Einzelner vorkommen.«332 Allerdings sind Individualität und Identität nicht voneinander abhängig, sondern ein Widerpart zueinander: »Das Individuelle erscheint in dieser Perspektive als das prinzipiell nicht identifizierbare und auch in die personale Identität nicht integrierbare.«333 Demnach kann das Individuum unvorhersehbar, unerwartet und einzigartig sein, während die Identität als Einheit, kontinuierlich und kohärent erscheint.334 Jan Assmann unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen individueller Identität (Teil des Ichs) und personaler Identität. Das Bewusstsein des Einzelnen, sich von anderen zu unterscheiden, und der Selbstbezug zum eigenen Leib, bzw. die daraus hervorgehende Unverwechselbarkeit und Unersetzbarkeit, kennzeichnen die individuelle Identität, die somit die Kontingenz des Lebens kennzeichnet. Die personale Identität hingegen umfasst die Eingliederung des Einzelnen in das Sozialgefüge, womit ebenfalls die auszufüllenden Rollen gemeint sind. Dadurch ist die personale Identität in besonderer

326 327 328 329 330 331 332 333 334

Renn, Straub (2002): S. 14. Renn; Straub (2002): S. 2. Vgl. Renn; Straub (2002): S. 17. Vgl. Renn; Straub (2002): S. 23. Straub (1998): S. 75. Straub (1998): S. 89. Straub (1998): S. 78. Straub (1998): S. 79. Vgl. Straub (1998): S. 80.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

Weise an die soziale Anerkennung geknüpft.335 Vor allem die personale Identität kann in Anlehnung an Mead nicht ohne Kommunikation und Interaktion gebildet werden, da der*die Einzelne nicht nur die Verantwortung für sein*ihr eigenes Handeln übernimmt, sondern ebenso Erwartungen an sein*ihr Gegenüber richtet. Aus diesem Grund stellt Assmann den Bedarf einer gemeinsamen Sinnwelt heraus, die ihrerseits jedoch noch nicht einer kollektiven Identität entspricht.336 Wolfgang Schmidt erkennt in der Annahme, dass Identität immer in der Differenzerfahrung gebildet wird, jedoch auch Schranken für die Identitätsbildung, da sich die Identitätssuche, wenngleich sie immer dialogisch und nie monologisch ist, dennoch an der Authentizität des Ich und nicht des Wir orientiert. Dabei sei sie gekennzeichnet von einer »Bewegung zwischen Anerkennung und Abstoßung, Kampf und Konfliktbewältigung«.337 Das moderne – nach Individualisierung, Selbstverwirklichung und Autonomie strebende – Individuum ist damit auf gesellschaftliche Anerkennung angewiesen, während es gleichzeitig der Doktrin »erkenne Dich selbst und bleibe Dir treu« verpflichtet bleibt und bei Ausbleiben dieser »zerstörerische Konflikte von Ich-Behauptung, Selbsthaß und Agressivität [sic] auf die, von denen man abhängig ist«, entstehen können.338 Durch diesen Widerspruch entstehen identitätspolitische Bestrebungen. Mit Erikson entwickelt sich die Ich-Identität ebenfalls entlang einer sozialen Realität, die Erikson jedoch als kollektive Identität bezeichnet.339 Der psychosoziale Prozess der Identitätsbildung ermöglicht dem Individuum, sich mit einer – »von seiner einzigartigen Geschichte geprägten Werten« – Gemeinschaft als Selbst zu identifizieren.340 »Die Gemeinschaft fühlt sich ihrerseits durch das Individuum ›anerkannt‹, wenn es […] Wert auf ihre Anerkennung legt. Sie kann sich denn auch an einem Individuum, das auf sie keinen Wert zu legen scheint, für solche Mißachtung grausam rächen.«341 An dieser Stelle steigt Assmann mit einer Kritik an der Definition der kollektiven Identität ein: »Den ›Sozialkörper‹ gibt es nicht im Sinne sichtbarer, greifbarer Wirklichkeit. Er ist eine Metapher, eine imaginäre Größe, ein soziales Konstrukt. Als solches aber gehört er durchaus der Wirklichkeit an.«342 Die kollektive Identität ist nach Assmann vielmehr eine Wir-Identität, welche als Gruppe auf die Identifikation der einzelnen Mitglieder mit dieser Gruppe angewiesen sei. In diesem Sinn ist die grundlegende Bedingung einer jeden kollektiven Identität, dass diese einer Selbstbeschreibung folgt und dadurch legitimiert ist, dass Individuen sich zu dieser bekennen, denn »eine kollektive Identität ist nach unserem Verständnis reflexiv gewordene gesellschaftliche Zugehörigkeit.«343 Interessanterweise zieht Assmann zum Vergleich die Geschlechterklassifikation beispielshafterweise als Ausgangslage für

335 336 337 338 339 340 341 342 343

Vgl. Assmann (1992): S. 131f. Vgl. Assmann (1992): S. 135. Schmidt (1994): S. 366. Schmidt (1994): S. 366. Vgl. Erikson (2007): S. 17. Erikson (2007): S. 124f. Erikson (2007): S. 140. Assmann (1992): S. 132. Assmann (1992): S. 134.

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eine kollektive Identität heran. Prinzipiell gehöre jeder Mensch einem der beiden Geschlechter an, dies sei aber erst einmal nur eine klassifikatorische Zugehörigkeit und keinesfalls schon eine Kollektive Identität. Erst wenn entlang der Zugehörigkeit ein Wir-Bewusstsein mit Solidaritätsbekundung eröffnet werde, dass darüber hinaus handlungsleitend sei und ein mitgliedschaftliches Selbstbild erzeuge, dann könne nach Assmann von kollektiver Identität gesprochen werden. Im Feminismus erkennt Assmann diese Kollektive Identität, da hier durch die Bewusstmachung einer gemeinsamen Lage Zugehörigkeit spürbar werde und sich ein »solidarisch handelndes Kollektivsubjekt«344 entwickeln könne. Die weibliche kollektive Identität brauche jedoch einen Antagonismus, den Gegenpart des Männlichen als Kontrastierung, zur »Reflexivwerdung und Steigerung von Grundstrukturen und damit zur Genese von kollektiver« Identität.345 Entlang dieser Theorie wird deutlich, weshalb Teile des Feminismus Transgeschlechtlichkeit mit großer Skepsis und teilweise Feindlichkeit gegenüberstehen. Zum einen unterliegt die Geschlechtsklassifikation – als Grundlage des Zugehörigkeitsgefühls und der daraus hervorgehenden Bildung einer kollektiven Identität – einer Essentialisierung, da die kategorialen Eigenschaften »männlich« und »weiblich« mittels Zuschreibung und entlang eines Biologismus erzeugt werden, weshalb eine Klassifikation nicht selbstbeschreibend ist und zudem streng limitiert, da so die körperliche Essenz darüber entscheidet, wer in welcher Klasse ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln darf. Zum anderen ist ein daraus entstehendes Zugehörigkeitsgefühl somit immer an das biologistische Konstrukt gebunden, da die Wir-Gruppe durch ihre Solidaritätsbekundung gegenüber der Klassifikation diese als Wurzel ihrer Zugehörigkeit anerkennt, reproduziert und die unsichtbare Grenze zur antagonistischen Klassifikation der Männer zieht. Das Übertreten der Grenzen wird als feindlich wahrgenommen – sei es aus der eigenen Gruppe heraus, in diesem Fall handelt es sich dann eben um Verräter*innen des Kollektivs, oder sei es aus der antagonistischen Gruppe heraus, dann jedoch handelt es sich um Eindringlinge, die möglicherweise die kollektive Identität unterwandern. Aus diesen beiden Richtungen ergeben sich folglich die beiden Argumentationslinien; die Eigenen sind entlang eines paternalistischen Diskurses vor der grenzüberschreitenden Transgeschlechtlichkeit zu schützen, indem die Grenze mittels Grenzposten abgesichert wird – bspw. durch Gesetze wie dem SelbstBestG oder dem TSG mit einer gesetzlichen Begutachtungspflicht, welche die Individuen dazu anhält, ihre Identifizierung zu hinterfragen und bestenfalls in den Schoß des Kollektivs zurückkehren. Die Anderen unterdessen rufen bei der Eigengruppe Sicherheitsdiskurse auf, da sie als Eindringlinge die Grenzen, welche dem Schutz des Kollektivs dienen. Bauman verweist darauf, dass sich die Lebenswelten unterscheiden und somit zwangsläufig unterschiedliche Lebenserfahrungen und Bedürfnisse hervorgebracht werden,346 woraus verschiedene Lebensformen und Zugehörigkeiten entstehen. Bauman vermutet hier den Ursprung der Identitätskämpfe. Als weiteren Aspekt benennt Bauman das Phänomen, dass sich Menschenrechte zwar an einzelne Individuen richten, diese allerdings nur im Kollektiv erkämpft und verteidigt werden können. Für 344 Assmann (1992): S. 134. 345 Assmann (1992): S. 134. 346 Vgl. Bauman (2009): S. 78.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

diese Kollektive wiederrum bedarf es der Definition von Grenzen, welche mittels der Differenzierung begründet werden, und es bedarf der Überwachung der Übergänge dieser Grenzen.347 Auch mit Mouffe können kollektive Identitäten nur im Kontext des Individualismus verstanden werden, da Identität nur möglich ist, wenn sie als Differenz konstruiert wird. Zugeschriebene wie selbstbenannte Identität arbeiten immer mit der Exklusion von Differenz, denn was in die eine Kategorie gehört, kann nicht ebenso in der anderen Kategorie beheimatet sein. Genau hierin erkennt Mouffe einen machtvollen Akt: »Wenn wir uns bewusst machen, das Identitäten immer relational sind und die Affirmation einer Differenz – das heißt der Wahrnehmung von etwas »Anderem« als Konstitution des ›Außen‹ – eine Vorbedingung für die Existenz jedweder Identität darstellt, so können wir meiner Ansicht nach verstehen, weshalb es in der Politik, deren Gegenstand stets kollektive Identitäten sind, um die Konstitution eines ›Wir‹ geht, das als Vorbedingung für seine Existenz die Abgrenzung von einem ›Sie‹ voraussetzt.«348 Allerdings müsse diese Wir/Sie-Unterscheidung nicht antagonistisch sein und kann Unterschiede anerkennen, wenngleich nach Mouffe diese Unterscheidung leicht in eine Freund/Feind-Unterscheidung kippen kann: »Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass eben das, was die Ausbildung politischer Identitäten ermöglicht, zugleich die Unmöglichkeit einer Gesellschaft bedingt, in der Antagonismus eliminiert werden kann.«349 In diesem Kontext erwähnt auch Bauman, dass ebenso die Identitätskonstruktion ein unabgeschlossener Prozess sei und sich dies auf identitätspolitische Antagonismen auswirke, somit »fürchten jedoch die an Identitätskämpfen Beteiligten den Sieg mehr als noch so viele Niederlagen«.350 Vielmehr dienten die Anerkennungskriege, wie Bauman sie nennt, dazu, zu ermitteln »wie weit man den Gegner von seinem jetzigen Standpunkt zurückdrängen kann und inwieweit er sich überzeugen, zwingen oder erpressen läßt, einige seiner Vorurteile abzulegen bzw. einen Teil der gestellten Forderungen zu erfüllen.«351 Nach Burkhard/Liebsch müssen kollektive Identitäten heute allerdings als Mehrfachzugehörigkeiten in Form multipler Zugehörigkeiten und als Herausforderung im Rahmen jeder Identitätsarbeit verstanden werden: »Identität als eine von Personen aspirierte Synthese ›innerer‹, diachroner und synchroner Differenz und Heterogenität kann – heute weniger als je zuvor – nicht mehr als substanziell bestimmte, stabile oder gar unverbrüchliche Einheit begriffen werden. Sie ist

347 348 349 350 351

Vgl. Bauman (2009): S. 93. Mouffe (2014): S. 26. Mouffe (2014): S. 26. Bauman (2009): S. 80. Bauman (2009): S. 92. Jedoch ist es mit Bauman häufig nicht eine aktuelle Unterdrückung, welche zu Identitätskämpfen führt, sondern es handelt sich um relative Deprivation, welche zu den Besserungsversuchen führt. Demnach handelt es sich beim Ursprung der Proteste nicht um akut schlechte Lebensbedingungen, stattdessen werden die Lebensbedingungen an den Lebensbedingungen anderer bemessen und entlang dieses Vergleichs als ungerecht empfunden. Die Deprivation wird demnach als Abweichung von der Norm wahrgenommen (vgl. Bauman [2009]: S. 102).

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im Übrigen ein – bekanntlich umstrittenes – normatives Projekt, niemals jedoch eine abschließend ›realisierte‹ Struktur. Auf die (Identitäts-)Frage – ›wer bin ich und wer möchte ich sein?‹ – gibt es für Angehörige moderner Gesellschaften keine letzte Antwort, Diese Frage ist schon wegen des für jede moderne Identität einer Person konstitutiven Selbstentzugs nicht vollständig und definitiv zu beantworten. Sie verweist nicht zuletzt auf sich widerstreitende Lebensformen und deren Wandel.«352 Bezogen auf die rechtlichen Diskurse um Geschlecht kann in diesem Sinne erkannt werden, dass die Geschlechtsidentität immer mehr von der sexuellen Identität durchdrungen wird und zudem Geschlecht als Ordnungskategorie nicht nur vielfältiger, sondern ebenso unbestimmter wahrgenommen wird. Und auch Bauman schlussfolgert in diesem Zusammenhang, dass durch die Unabschließbarkeit der Identität und einer durch die Moderne bedingte flexible Zugehörigkeit zwangsläufig neue Kämpfe und Schauplätze hervorgehen, welche erneut die Grenzen zu verschieben vermögen. Problematisch ist jedoch der Prozess der Individualisierung, welcher nach Bauman dazu führt, dass gesellschaftliche Problemlagen individuell erlitten und bewältigt werden müssen, wodurch die Grundlage zur Bildung von Kollektiven verloren geht.353 Ein weiteres Problem entgeht Bauman, da selbst bei der Bildung einer Interessengruppe das Beharren auf individuelle Differenz die Eigengruppe zersetzt: verlieren die Zugehörigkeiten an Glaubwürdigkeit, dann steigt das Bedürfnis »nach ›Identitätsgeschichten‹, in denen ›wir uns selbst erzählen, wo wir herkommen, wer wir heute sind und wohin wir gehen‹; diese Geschichten sind unabdingbar, um das Gefühl von Sicherheit wiederherzustellen.«354 Ob diese Identitätsgeschichten authentisch oder glaubhaft sind, kann immer wieder zum Ausgangspunkt von kleineren Identitätskämpfen werden. Daher müssen diese Identitätsgeschichten immer wieder neu ausgehandelt werden, um die Zustimmung der beteiligten Individuen zu behalten.355 »Wenn ziemlich reale individuelle Schwächen und Gebrechen zum Kraftquell einer (imaginierten) Gemeinschaft werden, resultiert das in einer konservativen Ideologie (›zurück zu den Wurzeln‹) und einer Praxis der Ausschließung (›sie‹ als kollektive Bedrohung für ›uns‹)«356 , um die imaginierte Gemeinschaft in eine reale zu verwandeln. Weiter arbeitet Bauman einen folgenschweren Widerspruch heraus, indem er darauf verweist, dass herkömmliche Gemeinschaften zerfallen und sich immer mehr auflösen, während Minderheiten-Gemeinschaften kontinuierlich Zugehörigkeiten reproduzieren.357 Für Bauman ist es ein Kennzeichen der flüchtigen Moderne, dass sich Individuen nur zu einem bestimmten Zweck als Gemeinschaften versammeln; einem Zweck, 352 353 354 355

Liebsch; Straub (2003): S. 11. Vgl. Bauman (2009): S. 105. Bauman (2009): S. 120. Vgl. Bauman (2009): S. 121. Diese Identitätsgeschichten müssen grundlegend von den Selbstentäußerungszwängen von heteronormativitätsabweichenden Lebens- wie Liebensweisen verstanden werden, da die Identitätsgeschichten einer intersubjektiven Selbstvergewisserung dienen, während die Selbstentäußerungszwänge einer Beichte entsprechen, mittels derer die vermeintlich normabweichenden Individuen Abbitte leisten (vgl. Raczuhn [2018]: S. 393f.). 356 Bauman (2009): S. 122. 357 Bauman selb sieht in dieser Zugehörigkeit jedoch keine freie Entscheidung, da mächtige Kollektive diese Gruppenzugehörigkeiten zuweisen (vgl. Bauman [2009]: S. 109).

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der durch ein gemeinsam geteiltes Interesse bestimmt ist und somit als Schnittmenge aus vielen Einzelinteressen nur eine sehr kurze zeitlich begrenzte Gültigkeit habe. Sobald das Ziel erreicht sei, würden sie sich so schnell verflüchtigen, wie sie sich zusammenfanden.358 In Bezug auf den SelbstBestG-Diskurs zeigt sich diese These, sobald die Diskurse miteinander verglichen werden, und so finden sich durchaus die gleichen Akteure in unterschiedlichen Bündnissen zusammen, je nachdem, ob es sich um das Gesetz zum Schutz vor genitalverändernden Operationen oder das SelbstBestG oder aber das Konversionstherapieschutzgesetz handelt. Das Bilden von Schicksalsgemeinschaften sei unterdessen eine höchst entmutigende Aufgabe, da sich die Schicksals-Individualisten damit auseinandersetzen müssten, dass sich individuelle Beschwerden nicht addieren lassen.359 Obwohl es also auch in Zukunft eine Ähnlichkeit von gemachten Erfahrungen geben wird, glaubt Bauman, dass Gemeinschaften keine Lebensformen mehr herausbilden, sondern »in Zukunft ein Leben als artifizielles Randphänomen des endlosen Spiels der Individualität fristen werden, ohne dabei irgendwelche Identitäten zu definieren oder zu formen.«360 Ähnlich skeptisch schaut Beck auf die neuen Bündnisse, allerdings erkennt er hier weniger eine Verflüchtigung, sondern sieht in den Zweckgemeinschaften im Rahmen der Risikogesellschaft Bündnisse entlang einer Gefährdungsgemeinsamkeit.361 »An die Stelle des Wertsystems der »ungleichen« Gesellschaft tritt also das Wertsystem der ›unsicheren‹ Gesellschaft.«362 So könne entlang der gemeinsamen Angst eine Solidarität entstehen. Solidarität wird auch von Sabine Hark et al. aufgriffen: »Wer Solidarität mit Anderen fordert und davon überzeugt ist, dass es Politik aus Solidarität, in Solidarität geben kann und geben sollte, sieht die Anderen als Gegenüber und Bezugspunkt von moralischen Ansprüchen, politischen Rechten und affektiven Bindungen.«363 Solidarität dürfe sich aber nicht aus den besonderen Eigenschaften der Anderen oder deren Erfahrungswissen ableiten, sondern aus dem eigenen Bewusstsein, dass das Selbst mit dem Anderen das Allgemeine nur teilt, keiner von beiden aber je den alleinigen Besitz dessen ergreifen kann. Neben der Forderung nach Anerkennung und Selbstbestimmung gehe es vor allem in demokratischen Diskursen um Rechte und dadurch unterdrückte oder hervorgebrachte Bedingungen von Teilhabe und Selbstbestimmung: »Und immer geht es in all diesen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auch um die ethische Frage, wie zu leben sei und ob es für diese Frage allgemeingültige Antworten geben kann.«364 Daher sprechen Hark et al. vom »umkämpften Allgemeinen«, was neben einer Pluralisierung von Zugehörigkeiten und damit zusammenhängenden sozialen Konflikten darauf verweist, dass das vormals selbstverständliche und eindeutige Allgemeine abhandengekommen ist.365 Begriffe wie Interessenkonflikte und Identitätspolitik seien unterdessen nicht dazu geeignet, das Phänomen des umkämpften Allgemeinen und daraus 358 359 360 361 362 363 364 365

Vgl. Bauman (2003): S. 234ff. Vgl. Bauman (2003): S. 46f. Bauman (2003): S. 32. Vgl. Beck (2016): S. 63. Beck (2016): S. 65. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 99. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 99. Vgl. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 100.

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hervorgehende Solidaritäten und neu entstehende Gemeinsamkeiten zu erfassen.366 Gesellschaftliche Phänomene wie Diskriminierung und Marginalisierung verweisen darauf, dass das Allgemeine vor allem dazu dient, partikulare Interesse zu verdecken und damit zusammenhängende Privilegierungen entlang eines Utilitarismus zu legitimieren.367 Die daraus hervorgehende konstitutive Umkämpftheit des Allgemeinen sei aber keineswegs ein demokratisches Hindernis, sondern vielmehr eine »Bedingung für die Politik in heterogenen Gesellschaften«.368 Nach Bauman wird unter Individualisierung auch nicht mehr die Bildung einer eigenen Identität im Kontext einer kollektiven Identität verstanden, sondern die »zwingende und obligatorische Selbstbestimmung«369 in einem »Reich der individuellen Wahlfreiheit«.370 Bauman widerspricht auch Beck, der mit seiner Theorie des modernen Unds nachzeichnete, dass die Moderne neue Identitätskategorien hervorbringen musste, da die, die es bereits gibt, nicht ausreichten. Bauman sieht darin das Phänomen der Unübersichtlichkeit, wodurch das Individuum kein Risiko habe, sondern lernen müsse, sich selbst zu behaupten.371 Da dieser Umstand zu einer Ohnmacht führen könne, bemühen sich die Individuen um Zweckgemeinschaften, was allerdings mit Bauman zu einer Leerstelle führt: »Die Koordination und Bündelung individueller Beschwerden zu gemeinsamen Interessen und ihre Überführung in gemeinsames Handeln ist eine entmutigende Aufgabe, da sich die häufigsten Probleme, mit denen die Schicksals-Individualisten konfrontiert sind, nicht addieren lassen.«372 Das SelbstBestG ist im Sinne der flüchtigen Moderne also auch als ein flüchtiges Gesetz zu verstehen, was der Eigenschaft der fortwährenden Veränderung und der Vielzahl an Identitätskategorien entspricht, die aus dem Zwang zur Individualisierung hervorgehen. Weiter bemüht es sich mittels einer Gesetzmäßigkeit dennoch um Deregulation, indem die individuelle Selbstbestimmung den gesellschaftlich durch Gesetze verübten Zwang verflüssigen soll. Statt von kollektiven Identitäten als Ort von Gemeinschaft auszugehen, sollte die Gemeinschaft als Vergemeinschaftung entlang gleicher Sorgen, Ängste und auch gleichen Hasses gedacht werden und wäre nach Bauman nichts anderes, »als der Nagel, an dem eine Reihe vereinzelter Individuen vorübergehend ihre vereinzelten Ängste aufhängen«.373 Anthony Giddens erkennt, dass die Individualisierung als ein subjektiver Vorgang in einen subversiv politischen Vorgang transformiert wird, jedoch sei nicht das »reflexive Projekt des Selbst« subversiv, sondern der Zwang zur Individualisierung.374 Giddens schlägt aus diesem Grund vor, zwischen »emancipatory politics« und »life politic« zu unterscheiden. Dass sich das Individuum aus den dogmatischen Imperativen – bspw. aus tradierten Strukturen oder Institutionen – loslöst und so das menschliche Handeln von

366 367 368 369 370 371 372 373 374

Vgl. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 103. Vgl. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 100. Hark; Jaeggi; Kerner; Meißner; Saar (2015): S. 102. Bauman (2003): S. 43. Bauman (2003): S. 45. Vgl. Bauman (2003): S. 46. Bauman (2003): S. 46f. Bauman (2003): S. 49. Vgl. Giddens (1991): S. 209.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

bestehenden Zwängen befreit wird, bezeichnet Giddens als »emancipatory politics«.375 »Liberty is to be achieved through the progressive emancipation of the individual, in conjunction with the liberal state, rather than through a projected process of revolutionary upheaval.«376 Allerdings, so Giddens, können die »emancipatory politics« zu einer Reaktion im Sinne eines konservativen Denkens führen, welches die Entfesselung des Individuums aus der gemeinschaftlichen Bindung problematisiert. Wenngleich sich das Individuum mittels Emanzipation gegenüber der Gemeinschaft ermächtigt, bezieht sich die Ermächtigung nur auf die Zwänge, welche die Gemeinschaft auf das Individuum richtet: »I define emancipatory politics as a generic outlook concerned above all with liberating individuals and groups from constraints which adversely affect their life chances.«377 Die »emancipatory politics« wären demnach eine Befreiung von Unterdrückung, welche als Auslöser immer auf einem Unrechtsverständnis basiert, welches einen transformativen Prozess anregt, sich aus der Unterdrückung zu befreien.378 Giddens appelliert jedoch: »Emancipatory politics only achieves a more substantive content when it is focused on divisions between human beings.«379 Giddens bezieht sich hier auf die Spaltung der Menschen in privilegierte und deprivilegierte Gruppen, welche durch die »emancipatory politics« aufgehoben werden soll. Hier sollte Kritik an Giddens Machtbegriff eröffnet werden, da Macht nach Giddens als »the capability of an individual or group to exert its will over others«380 zu verstehen ist, was nach Foucault vielmehr der Herrschaft entsprechen würde, die – im Gegensatz zu Macht – von einer Person oder Gruppe besessen werden kann, während Macht lediglich blockiert werden kann. Allerdings, das muss eingeräumt werden, geht es Giddens hier nicht um Macht, sondern um ungleich verteilte Ressourcen. Darunter fallen unter anderem gleiche Rechte und gleiche Zugänge zu den verschiedenen Lebensbereichen wie Eigentum.381 »Emancipatory politics makes primary the imperatives of justice, equality and participation.«382 Gerechtigkeit, Gleichheit und Partizipation werden somit als Gegensatz von Unterdrückung verstanden. Vor allem Giddens forciert die Möglichkeit, dass jene Gruppen oder Einzelpersonen dazu ermächtigt werden, Entscheidungen zu treffen, die sie maßgeblich betreffen. Emanzipation sei jedoch nicht damit zu verwechseln, dass sich Gruppen oder Einzelpersonen innerhalb des durch die gemeinschaftlichen Zwänge gesetzten Rahmens frei entwickeln und partizipieren. Ein solcher Rahmen wäre bspw. die Binarität oder Heteronormativität. Im Gegenteil: »We cannot legislate in advance as to how people will live in such a social order: this must be left to them, when it actually comes into being. […] Emancipation means that collective life is organised in such a way that the individual is capable – in some sense or another – of free and independent action

375 376 377 378 379 380 381

Vgl. Giddens (1991): S. 210. Giddens (1991): S. 210. Giddens (1991): S. 210. Vgl. Giddens (1991): S. 211. Giddens (1991): S. 211. Giddens (1991): S. 211. Vgl. Giddens (1991): S. 212. Die Ungleichverteilung führe dazu, dass viele zu Gunsten weniger begrenzt werden. 382 Giddens (1991): S. 212.

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in the environments of her social life.«383 Gleichfalls ist aber auch die Freiheit des Einzelnen im Sinne Giddens entlang der gesellschaftlichen Verantwortung eingeschränkt, da die Freiheit des Einzelnen voraussetzt, kollektive Verpflichtungen anzuerkennen und sich gegenüber anderen verantwortlich zu verhalten sowie diese anzuerkennen. In einer späteren Schrift erkennt auch Honneth in den vielfältigen Emanzipationsbewegungen eine Forderung nach Anerkennung der kollektiven Identität und den Eigenschaften, welche mit der kollektiven Identität assoziiert werden.384 Honneth erkennt in diesen Emanzipationsbewegungen das »wachsende[n] Interesse an Fragen der Qualität unserer Lebensformen«385 und lehnt Frasers Sicht auf Anerkennung ab, da diese Anerkennung auf gemeinsame Wertüberzeugungen beschränke.386 In der Tat kann Honneths Kritik im Diskurs um das SelbstBestG in Abgleich mit weiteren Diskursen, bspw. dem Konversionsschutzgesetz, dem 3. Pers.-St. und dem Gesetz zum Schutz vor genitalverändernden Maßnahmen nachvollzogen und bestätigt werden. Insgesamt wird Kritik an der heteronormativen Lebensform artikuliert und gleichermaßen eine Emanzipation der geschlechterpluralen Lebensform erzeugt. Honneth erkennt daher weniger einen Kampf um die Anerkennung der marginalisierten Gruppen in ihrer einzigartigen kollektiven Identität, als vielmehr den Kampf gegen die Wurzeln der Marginalisierung, indem das institutionalisierte Wertgefüge, »das konstitutiv auf die idealisierten Eigenschaften des männlichen, weißen und heterosexuellen Bürgers zugeschnitten ist«387 in der Kritik steht und als Ursache für die Respekt- und Anerkennungsverweigerung der eigenen Lebensform verantwortlich gemacht wird. Somit erkennt Honneth in dem Identitätspolitischen eine soziale Entwicklungstendenz der Gegenwart.388 Honneth sieht als Ursprung »der Erfahrung des Entzugs von sozialer Anerkennung, von Entwürdigung und Mißachtung« ein gesellschaftlich verursachtes Leid und Unrecht.389 Honneth hält es für essentiell, die Ursachen sozialen Unrechtsempfindens herauszuarbeiten: »die Subjekte gelten gleichsam als unbekannte, gesichtslose Wesen genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich zu sozialen Bewegungen vereinigt haben, deren politische Zielsetzungen dann ihre normativen Orientierungen öffentlich zu erkennen geben.«390 Es gelte die normativen Erwartungen herauszuarbeiten, welche die Subjekte gegenüber der Gesellschaft haben, da »jede Gesellschaft aus der Sicht ihrer Mitglieder insofern rechtfertigungsbedürftig ist, als sie eine Reihe von normativen Kriterien erfüllen können muß, die sich aus tiefsitzenden Ansprüchen an den sozialen interaktionszusammenhang ergeben.«391 Honneth wirft unter anderem Fraser vor, soziale Kämpfe unnötig zu kulturalisieren, obwohl die meisten identitätspolitischen Forderungen entweder Diskriminierungen beseitigen wollen oder die Ausübung allgemeiner Rechte einfordern und nicht nur die Anerkennung und Wertschätzung der 383 384 385 386 387 388 389 390 391

Giddens (1991): S. 213. Vgl. Honneth (2003): S. 132. Honneth (2003): S. 136. Vgl. Honneth (2003): S. 137. Honneth (2003): S. 139f. Vgl. Honneth (2003): S. 148. Vgl. Honneth (2003): S. 156. Honneth (2003): S. 152. Honneth (2003): S. 152.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

eigenen kollektiven Identität.392 Und wenn die Betrachtung auf Forderungen wie einer gender-gerechten Sprache, der Ehe für Alle oder das SelbstBestG gerichtet wird, findet sich tatsächlich eher die Forderung nach einer Abschaffung von hegemonialen Normen, die nur für wenige Menschen gelten – bspw. die Schriftnorm des generischen Maskulinums für alle Menschen zu verwenden oder Heterosexualität als normale Sexualität und die Binarität als Norm des Geschlechts zu definieren. Einzig die Einforderung eines 3. Pers.-St. fordert danach, die kollektive intergeschlechtliche Identität in ihrer Einzigartigkeit zu schätzen, da hier Intergeschlechtlichkeit als eigenes Geschlecht bzw. Geschlechtsspektrum anerkannt werden soll, wodurch die Binarität zwar aufgebrochen wird, nicht jedoch ihre Wurzel, die Biologisierung des Geschlechts. Dennoch ist letztere Forderung durchaus auch im Fall der übrigen Forderungen zu finden, da sowohl der Feminismus als auch die queere Bewegung, also u.a. homosexuelle wie transgeschlechtliche Menschen, zunächst eine kollektive Identität für sich einforderten und so ein Selbstverständnis herausarbeiten konnten, was ihnen »erlaubt, sich selber gleichsam in einer Front mit jenen […] Gruppen zu sehen, die um die Respektierung ihrer […] Eigenständigkeit kämpfen«.393 Hier unterscheidet Honneth entlang der Thesen von Bernhard Peters zwischen den Ebenen individualistisch und kommunal. Die individualistische Ebene umfasst identitätspolitische Bestrebungen, bei denen sich Einzelpersonen rechtlich um die Verbesserung ihrer Lage als Mitglied einer Gruppe bemühen; so bspw. geschehen 1980, als eine transgeschlechtliche Person die Möglichkeit zur PÄ einklagte, wovon schließlich alle transgeschlechtlichen Menschen profitierten. Ähnlich verhält es sich mit der Klage einer Person, die sich gegen die PÄ-Bedingungen der geschlechtsangleichenden Operation und Unfruchtbarmachung wehrte. Die kommunale Ebene bezieht sich auf Forderungen der Gesamtgruppe. Als Beispiel können hier verschiedene Positionen im Diskurs – genauer innerhalb der Stellungnahmen – angeführt werden, die zwar von Einzelpersonen verfasst sind, die aber aus einer Institution, einem Verein heraus oder im Namen einer Gruppe sprechen und Forderungen stellen. Allerdings sind beide Fälle im identitätspolitischen Kampf nach Honneth als gleichwertig zu bewerten, da entlang des Gleichheitsprinzips die Beseitigung von Hindernissen oder Benachteiligungen eingefordert werden, welche sich auf die Eigenschaften einer sozialen Gruppe beziehen und kritisieren, dass die Mehrheit der Bevölkerung durch die Benachteiligung einzelner Gruppen privilegiert werde.394 »Die moralische Grammatik der Konflikte, die heute im Inneren der liberaldemokratischen Staaten um »identitätspolitische« Fragen geführt werden, ist im wesentlichen durch das Anerkennungsprinzip der Rechtsgleichheit bestimmt: Ob sich eine Forderung nun auf den Schutz vor kulturgefährdenden Eingriffen, die Beseitigung von gruppenspezifischen Diskriminierungen oder unterstützenden Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der besonderen Lebensform bezieht.«395

392 393 394 395

Vgl. Honneth (2003): S. 191. Honneth (2003): S. 192. Honneth (2003): S. 194. Honneth (2003): S. 200f.

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Bauman eröffnet einen weiteren Grund dafür, warum Identitäten identitätspolitische Forderungen stellen, indem er im Aufbau einer jeden gesellschaftlichen Ordnungen und eines jeden gesellschaftlichen Fortschritts als unvermeidlichen Nebeneffekt die Produktion von menschlichem Abfall erkennt: »jede gesellschaftliche Ordnung stuft einen Teil ihrer Bevölkerung als »deplatziert«, »ungeeignet« und »unerwünscht« ein.396 […] »Überflüssig« zu sein bedeutet, überzählig und nutzlos zu sein, nicht gebraucht zu werden – wie auch immer der Nutz- und Gebrauchswert beschaffen sein mag, der den Standard für Nützlichkeit und Entbehrlichkeit liefert.«397 Bezogen auf Geschlecht und Sexualität wird mittels der Fortpflanzung das Konstrukt der Nützlichkeit definiert und mittels des Fortbestandes der Menschheit in seiner Entbehrlichkeit legitimiert. Durch solche Nützlichkeits- und Entbehrlichkeitskonstrukte wird jedoch eine Haltung erzeugt, mittels derer es für manche Menschen keine Rechtfertigung mehr hinsichtlich ihrer Existenz gibt.398 Auch Judith Butler greift mit ihrer Theorie der kulturellen Intelligibilität das Begehren nach Anerkennung auf und zeigt, dass vor allem soziale Normen darüber entscheiden, wer anerkennt (intelligibel) wird und wer als Verworfener (Abjekt) gilt. Abjekte sind mit Butler Personen, die durch ihr normdifferentes Verhalten mittels gesellschaftlichen Ausschlusses als Verworfene konstruiert sind.399 Intelligible Geschlechter sind nach Butler also jene, die der heterosexuellen Matrix entsprechen, welche der Grundannahme folgt, dass Geschlechtsidentität, Geschlechtskörper und Begehren in einem Zusammenhang stehen:400 »›Kohärenz‹ und ›Kontinuität‹ der ›Person‹ sind keine logischen oder analytischen Merkmale der Persönlichkeit, sondern eher gesellschaftlich instituierte und aufrechterhaltene Normen der Intelligibilität. Da aber die ›Identität‹ durch die stabilisierenden Konzepte ›Geschlecht‹ (sex), ›Geschlechtsidentität‹ (gender) und ›Sexualität‹ abgesichert wird, sieht sich umgekehrt der Begriff der ›Person‹ in Frage gestellt, sobald in der Kultur ›inkohärent‹ oder ›diskontinuierlich‹ geschlechtlich bestimmte Wesen auftauchen, die Personen zu sein scheinen, ohne den gesellschaftlich hervorgebrachten Geschlechter-Normen (gendered norms) kultureller Intelligibilität zu entsprechen, durch die Personen definiert sind.«401 Butler erkennt also nur in der Unterwerfung unter die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit für das Individuum eine Möglichkeit handlungsfähig zu werden und selbstbestimmt zu leben. Unterwirft sich das Individuum nicht, so läuft es Gefahr keine Anerkennung zu erhalten und verworfen zu werden. Der Akt der Verwerfung ist nach Bauman in der Moderne jedoch willkürlicher geworden, da vor der Aufforderung zur Individualisierung zumindest Bedingungen für eine Anerkennung vice versa Missachtung formuliert wurden. Dies war nach Bauman früher keineswegs besser, jedoch verweist er

396 397 398 399 400 401

Bauman (2005): S. 12. Bauman (2005): S. 20f. Vgl. Bauman (2005): S. 21. Vgl. Butler (2009): S. 10f., vgl. Butler (1991): 38f.; Butler (1997): 23f. Vgl. Butler (2015): S. 74. Butler (1991): S. 38.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

darauf, dass es früher noch deutlich markierte Rückkehrpfade gab, die dem Individuum den Weg zum vollwertigen Mitglied der Gesellschaft aufzeigten.402 Durch die Ordnung und Planung des gesellschaftlichen Zusammenlebens würden jene Lebewesen als Überflüssige extrahiert, die als »seltsame Gestalten, Bösewichter, Hybridformen, die scheinbar klar einschließende/ausschließende Kategorien auf die Probe stellen.«403 Dabei erzeugt der menschliche Abfall ebenso sein positives Gegenteil, indem das Wertvolle nun von allem Wertlosen, »das Besser aus dem Schlechteren, das Überlegene aus dem Unterlegenen«404 , befreit würde. Der Versuch einer jeden Ordnung ist es also, das Chaos zu bändigen und für alles, das nicht am richtigen Ort ist, einen entsprechenden Platz zu finden.405 In diesem Zusammenhang kann ein SelbstBestG, was weiterhin am Geschlecht als sozialer Ordnungskategorie festhält, als Versuch einer Ordnung verstanden werden, die keineswegs um eine Anerkennung von Verworfenen bemüht ist, sondern einzig an der Bändigung des Chaos Interesse zeigt. »Ein ordentlicher Raum ist ein Regeln unterliegender Raum, und die Regel wird zur Regel, indem sie verbietet und ausschließt. Das Gesetz wird zum Gesetz, indem es aus dem Bereich der erlaubten Handlung das herausnimmt, was man ohne die Existenz des Gesetzes tun dürfte – und diejenigen, die es tun würden, in den Zustand der Gesetzlosigkeit verweist.«406 Der Stellungskrieg, welchen Laclau/Mouffe beschreiben, führt ebenfalls zu Verbannungen aus dem Sozialen und gleichzeitig zu der Erzeugung von Einschlüssen. Genau wie Bauman sprechen sie von Bedeutungsüberschüssen des Sozialen, welche nicht rationalisierbar wirken und somit zwangsläufig zu Verbannungen führen. Um im Sozialen verankert zu bleiben, müssten die handelnden Akteure kämpfen, obwohl es nach Laclau/ Mouffe eine endgültige Verankerung im Sozialen nicht gibt. Aus diesem Grund greifen sie auf den Begriff des Stellungskrieges von Gramsci zurück. Dadurch, dass es keine endgültige Verankerung im Sozialen gebe, entstünde eine radikale Vieldeutigkeit, welche das Subjekt selbst transzendentalisiere. Eine Hegemonie lässt sich so nicht mehr nachvollziehen und der Kampf bekommt die Möglichkeit die geltenden Demarkationslinien zu verschieben.407 Nach Laclau/Mouffe hängen Identitäten »von bestimmten präzisen sozialen und politischen Existenzbedingungen« ab, somit muss zwangsläufig ein hegemonialer Kampf geführt werden, wenn die Freiheit und Autonomie erstritten oder verteidigt werden sollen. Und auch Laclau/Mouffe verweisen darauf, dass es sich um einen wechselseitigen Prozess handelt, weil hegemoniale Kämpfe zu neuen sozialen und politischen Existenzbedingungen führen,408 und Transformationen, die ihrerseits wieder »neue Formen radikaler Subjektivität ausbilden, und zwar indem Unterordnungsverhältnisse, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage gestellt worden waren, als äußerlicher Zwang und deshalb als Formen von Unterdrückung« wahrgenommen werden.409 In Bezug auf den 3. 402 403 404 405 406 407 408 409

Vgl. Bauman (2005): S. 27. Bauman (2005): S. 46. Bauman (2005): S. 36. Vgl. Bauman (2005): S. 47. Bauman (2005): S. 47. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 178. Laclau; Mouffe (2012): S. 183. Vgl. Laclau; Mouffe (2012): S. 199.

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Pers.-St. ergibt sich hier bspw. jenes Unterordnungsverhältnis, das die Anerkennung von Intergeschlechtlichkeit dazu führt, dass der Körper erneut entlang eines Biologismus essentialisiert wird und dadurch alle jene intergeschlechtlichen Menschen untergeordnet werden, die sich selbst binär einteilen und nun zu transgeschlechtlichen Handlungsweisen gezwungen werden, um ihren Personenstand zu ändern. »In diesem Fall kann eine Subjektposition zum Ort eines Antagonismus werden, weil sie durch Praxen und Diskurse negiert wird, weil sie durch Praxen und Diskurse negiert wird, die neue Formen von Ungleichheit hervorbringen.«410 Allerdings seien die vervielfältigten Antagonismen mit einer Infragestellung von Unterordnungsverhältnissen verknüpft, wodurch Laclau/ Mouffe die Möglichkeit zu einer demokratischen Revolution erkennen, da jeder Antagonismus neue Widerstandsformen hervorbringt und somit auch eine »erkennbare Tendenz zur Aufwertung von ›Differenzen‹ und Bildung neuer Identitäten«.411 Jedoch sei erkennbar, dass hier nicht die Gleichheit vorherrsche, sondern die Autonomie, und damit wäre erklärbar, wieso »Widerstandsformen nicht in kollektiven Kämpfen, sondern über einen zunehmenden Individualismus« vollzogen würden.412 Dies könnte mitunter eine Erklärung dafür sein, weshalb es immer neue Aufspaltungen kollektiver Kämpfe gibt – bspw. die Aufspaltung des Feminismus in Cis- und Queerfeminismus – und aus diesen Aufspaltungen gleichsam neue Antagonismen hervorgehen. In Rückgriff auf die Tendenz, dass »Geschlecht zunehmend entbiologisiert und stattdessen als eine Identitätsform betrachtet wird«,413 stellt Bettina Heintz fest, »dass um Personenkategorisierungen, die an biologischen Markern ansetzen, ein diskursiver Kampf entbrannt ist«,414 der ebenso auf eine »Politisierung kategorialer Zuschreibungen«415 schließen lässt. Heintz ist sich sicher, dass – abgesehen von der Staatsangehörigkeit – zugeschriebene Personenmerkmale wie das Geschlecht »als soziale Platzanweiser an Bedeutung verloren« haben,416 schränkt diese These aber dadurch ein, dass es deshalb besonders erklärungsbedürftig sei, warum sie trotz dieses gesellschaftlichen Funktionsverlustes eine derart hohe Aufmerksamkeit erzielen und zum »Ansatzpunkt identitätspolitischer Bewegungen« werden konnten.417 Heintz fragt nach dem Verhältnis von kategorialer Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Position, bzw. wie Zugehörigkeiten als soziale Platzanweiser fungieren.418 Ebenfalls im Rückgriff auf Luhmann erkennt Heintz die Durchsetzung funktionaler Differenzierung verschränkt mit einer Gleichheitssemantik, unter der jede Exklusion weiterhin Inklusion erzeuge: »Es ist erlaubt oder sogar geboten, zwischen verschiedenen Arten von Personen zu unterscheiden und ihnen unter Umständen auch Sonderrechte zuzubilligen, es ist aber illegitim, aus der Unterscheidung eine Ungleichbehand-

410 411 412 413 414 415 416 417 418

Laclau; Mouffe (2012): S. 200. Laclau; Mouffe (2012): S. 206. Laclau; Mouffe (2012): S. 206. Heintz (2017): S. 80. Heintz (2017): S. 79. Heintz (2017): S. 80. Heintz (2017): S. 80. Vgl. Heintz (2017): S. 81. Vgl. Heintz (2017): S. 82.

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lung abzuleiten.«419 Das wiederrum kennzeichne ein schweres Unterfangen, indem der gesellschaftliche Gleichheitsanspruch mit der Anerkennung von Differenz in Einklang gebracht werden müsse. Interessanterweise führt Heintz das Überschreiten kategorialer Grenzen von Einzelpersonen – bspw. transgeschlechtlicher Personen wie Caitlyn Jenner – als Beweis dafür an, dass die kategorialen Grenzen selbst »nicht natural gegeben, sondern sozial gemacht sind und deshalb auch überschritten werden können«,420 wenngleich sie einschränkt, dass es dadurch nicht zu einer Aufhebung der kategorialen Unterscheidung kommt, vielmehr mit dem Grenzübergang weiterhin in einem kategorialen Koordinatensystem verbleibe und lediglich der Interpretationsrahmen verändert werde, der vorher die Zugehörigkeit biologische begründete.421 Dieser These muss entgegengesetzt werden, dass der Interpretationsrahmen nicht verändert, sondern lediglich erweitert wurde, jedoch weiterhin, wie die Analyse zeigen konnte, die biologischen Annahmen über das Geschlecht entscheiden, wer als wahrhaftige*r Frau*Mann angesehen wird und wer als Kopie dessen gilt, ohne dass in Erwägung gezogen wird, dass alle Menschen – auch jene, die die biologische Annahmen vermeintlich bestätigen – (cisgeschlechtliche) Kopien sind. Heintz erkennt in identitätspolitischen Bewegungen ein neues Merkmal dafür, dass Benachteiligung entlang einer kollektiven Identität problematisiert wird.422 Gleichzeitig habe sich die Problematisierung im Fokus von der sozio-ökonomischen Benachteiligung auf die gesellschaftliche Anerkennung verschoben, womit sie auf Frasers These verweist, die »postsozialistischen Konflikte« hätten dazu geführt, dass die Gruppenidentität das Klasseninteresse als politische Mobilisierung verdrängt habe: »Cultural domination supplants exploitation as the fundamental injustice. And cultural recognition displaces socioeconomic redistribution as the remedy for injustice and the goal of political struggle.«423

5.3 Identitätspolitik Bauman stellt die Behauptung auf, dass sich die emanzipatorische Politik mit einem zerfallenden Staat konfrontiert sieht.424 Dies wird nach Bauman darin deutlich, dass sich der öffentliche Raum wegen der Kolonialisierung des Öffentlichen durch das Private entleere. Nur dann, wenn die privaten Sorgen auch als öffentliche Angelegenheit verstanden werden, könne ein Befreiungskampf um die individuelle Freiheit entstehen.425 »Es geht heute um die kollektive Wiederaneignung eines privatisierten utopischen Entwurfs individualisierter ›Life-Politics‹, um so die Umrisse einer Vision der ›guten‹ und ›gerechten‹ Gesellschaft skizzieren zu können.«426 Die »life politics« gehen nach Giddens aus den »emancipatory politics« hervor, da die Emanzipation aus gemeinschaftlichen Zwängen 419 420 421 422 423 424 425 426

Heintz (2017): S. 82. Heintz (2017): S. 89. Vgl. Heintz (2017): S. 89. Vgl. Heintz (2017): S. 95. Fraser (1995): S. 63. Vgl. Bauman (2003): S. 62. Vgl. Bauman (2003): S. 65. Bauman (2003): S. 65f.

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Handlungsautonomie einfordert. Während also die »emancipatory politics« eine Politik zur Erweiterung der Lebenschancen darstellen, handelt es sich bei den »life politics« um eine Politik der Selbstverwirklichung: »life politics concerns political issues which flow from processes of self-actualisation in posttraditional contexts.«427 Das Individuum erkennt im Individualisierungszwang die gesellschaftlich vorgegebenen Klassifikationen und versteht, dass selbst das Intime, Persönliche wie Geschlecht und Sexualität politisch ist. In dieser Auseinandersetzung wird das eigene tägliche Leben durch die staatlichen Ordnungsstrukturen überlagert wahrgenommen. Im Rahmen der Emanzipation und der angestrebten Loslösung von den gesellschaftlichen Zwängen werden dann neue Praktiken erprobt, um zu ermitteln, ob diese genutzt werden können, um die Grenzen der staatlichen Ordnung zu verschieben.428 Wenn bspw. homosexuelle Paare Pflegekinder aufnehmen und diese angemessen sozialisieren, kommt automatisch die Frage danach auf, wieso sie keine Kinder adoptieren können. Durch das (Er)Leben von Alternativen, welche die eigenen Bedürfnisse erfüllen, stellen die Individuen fest, dass ihnen Ressourcen verwehrt werden und fordern diese nun im Rahmen der »life politics« ein.429 Giddens erkennt einen weiteren wichtigen Aspekt der »emancipatory politics« darin, dass diese zu einer Loslösung des Körpers aus der Essentialisierung der Natur und somit zu einer Loslösung des Individuums aus einer nicht veränderbaren Gegebenheit geführt haben. Erstaunlicherweise führen die »life politics« nun dazu, dass sich das Individuum in seiner Identitätssuche erneut dem Körper zuwendet, indem es für diesen eine Selbstdefinition »unfettered by the rules and expectations of society« fordert.430 Indem Giddens von einem weitem und engen Politikbegriff spricht, unterscheidet auch er das Politische und die Politik. Die Politik »refers to processes of decision-making within the governmental sphere of the state« und das Politische »sees as political any modes of decision-making which are concerned with settling debates or conflicts where opposing interests or values clash. Life politics is politics in both of these senses«.431 Die demokratische Regierung wäre nicht in der Lage für eine breite soziale Gemeinschaft Entscheidungen zu treffen, ohne diese dabei einzubeziehen. Bei den »life politics« handelt es sich deshalb um »questions of rights and obligations, and the state thus far continues to be the main administrative locus within which these are settled in law. Life-political issues are likely to assume greater and greater importance in the public and juridical arenas of states.«432 Sicherlich behält Giddens hiermit recht, da sich identitätspolitische Forderungen nicht einfach in bestehende politische Rahmenbedingungen einfügen lassen, wodurch zwangläufig neue politische Formen gefordert werden; diese lassen sich als Identitätspolitik bezeichnen.433 Allerdings weist Giddens daraufhin, dass

427 428 429 430 431 432 433

Giddens (1991): S. 214. Vgl. Giddens (1991): S. 215f. Vgl. Giddens (1991): S. 217. Giddens (1991): S. 218. Giddens (1991): S. 226. Giddens (1991): S. 226. Vgl. Giddens (1991): S. 228.

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jede Identitätspolitik neue identitätspolitische Bestrebungen freisetzen wird: »Emancipatory politics will not come to an end as life politics moves to claim more of the overall political agenda; virtually all questions of life politics also raise problems of an emancipatory sort.«434 Die Forderung nach sozialer Anerkennung bezeichnet Fraser als Identitätspolitik,435 und unterscheidet zwischen der affirmativen und transformativen Strategie, welche im Sinne einer Politik der Anerkennung für Umverteilung sorgen können. Bei der affirmativen Strategie gehe es darum, »unfaire Wirkungen gesellschaftlicher Strukturen zu korrigieren, ohne die zugrundeliegenden sozialen Strukturen, die sie hervorbringen, anzugreifen«, während die transformative Strategie »ungerechte Wirkungen gerade durch Restrukturierung des zugrundeliegenden allgemeinen Rahmens zu beseitigen« versuche.436 Versuche, bestehende und abgewertete Identitäten aufzuwerten, wären nach Fraser eine affirmative Strategie, während die Dekonstruktion der symbolischen Gegensätze entlang dieser bestehenden Identitäten der transformativen Strategie entspricht. Die Forderungen der cisgeschlechtlichen und geschlechterbinären Positionen im Diskurs um das SelbstBestG entsprechen somit einer affirmativen Strategie, während die queerfeministischen und geschlechterpluralen Strategien eine Transformation des Geschlechterverständnisses fordern. Das SelbstBestG selbst könnte als erster Meilenstein auf dem Weg zur Dekonstruktion des Geschlechts verstanden werden, da es die Essentialisierung entlang eines Biologismus aufbricht und somit Geschlecht seiner wirkmächtigsten Explikation beraubt. Statt die individuelle Selbstachtung durch Aufwertung der Identitätskategorien zu heben, müsse die bestehende Statusdifferenzierung destabilisiert und die Selbstidentität aller Individuen verändert werden.437 In diesem Sinn müsste jedoch auch das SelbstBestG zunächst als affirmative Strategie verstanden werden, da es weiterhin an der Ordnungskategorie Geschlecht festhält und somit Statushierarchien Tor und Tür öffnet, während ein gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als staatliche Ordnungskategorie die geschlechtliche Identität defacto nicht abschafft, aber durch die dejure Abschaffung weniger wirkmächtig hinsichtlich der Zuschreibung eines Status werden lässt. Allerdings, so wendet Fraser selbst ein, müsse dies nicht zwangsläufig zur Anerkennung führen, wenn mit der transformativen Strategie Depolitisierung einhergehe, die dafür sorgt, dass »öffentlich hervorstechende Antagonismen in eine private Geschmacks- oder Glaubensfrage« transferiert würden.438 Affirmative Strategien hingegen laufen Gefahr kollektive Identitäten zu verdinglichen und eine Gruppenidentität zu festigen, entlang derer ein Selbstverständnis des einzelnen Individuums erschwert wird.439 In diesem Zusammenhang verweist Fraser darauf, dass Affirmation und Transformation niemals absolut, sondern kontextabhängig gesehen werden sollten, wodurch 434 Giddens (1991): S. 228. 435 Wobei es hier nach Fraser vor allem um die Anerkennung einer Gruppe in ihrer Besonderheit gehe, womit queere Identitätspolitik aus dem Diskurs eher verdrängt werde, da dieser um eine Dekonstruktion der Unterschiede gehe (vgl. Fraser [2003]: S. 21f.). 436 Fraser (2003): S. 102. 437 Vgl. Fraser (2003): S. 104. 438 Fraser (2003): S. 105. 439 Vgl. Fraser (2003): S. 106.

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selbst eine affirmative Strategie Reformen anstoßen kann, die transformativ wirken.440 Dies erkennt auch Bauman und schlussfolgert, dass die Anerkennung von Lebensweisen und Lebensformen niemals das Ende eines Identitätskampfes sein wird, sondern immer den Beginn eines neuen politischen Aushandlungsprozess bedeutet.441 Zunächst eröffnet also das Identitätspolitische einen Erscheinungsraum für ein gemeinschaftliches Handeln, dass darauf ausgerichtet ist, die Lebensformen, welche durch gesetzliche oder politische Regulationen als ein Teil der herrschenden Ordnung verstanden werden, zu verteidigen, zu vervielfältigen oder in ihrer Auslegung zu novellieren. Daher schlussfolgert Jaeggi, dass sich das Identitätspolitische immer um Deutungshoheiten bemüht, die schließlich mittels Identitätspolitik die gesellschaftliche Hegemonie ändern.442 Und auch Jaeggi geht davon aus, dass die durch die Identitätspolitik veränderten sozialen Verhältnisse und normativen Erwartungen neue Problemlagen hervorgebracht werden und sich die Lebensformen wandeln. »Und dass sie sich verändern, hat wiederrum Konsequenzen in dem sozialen Feld, in dem sie auftreten.« Als Folge resultiert ein neuer Bedarf nach Anerkennung oder Dauerhaftigkeit und somit Identitätspolitiken. Jaeggi erkennt vor allem in dem Bedürfnis nach einer Explikation von Begriffen den Wunsch nach Identitätspolitik: »Was man nicht explizit kennt, kann man, so scheint es jedenfalls, nicht so leicht ändern. Und was selbstverständlich ist, dafür braucht man keine Gründe – und so können Gegengründe hier auch nicht wirksam werden.«443 Erst wenn eine Lebensform als Alternative benannt wird, könne sie demnach als different zu bestehenden Lebensformen angesehen werden. Das Zitat verdeutlicht, warum die Heteronormativität trotz dargebotener Alternative so widerständig ist. Erst wenn eine Störung auftritt und den routinierten Ablauf der heteronormativen Lebensform problematisch werden lässt, können das implizite Wissen und die damit verbundenen Selbstverständlichkeiten bewusstwerden. Für Menschen, die der Heteronormativität entsprechen, ist die Konfrontation mit anderen Liebensweisen irritierend, da das bisher »für selbstverständlich Gehaltene überhaupt erst hervortreten« konnte.444 In diesen Störmomenten, so Jaeggi, werden die Praktiken der eigenen Lebensform bewusst und reflektiert. Diese Momente können zu einer Selbstkritik führen, aber genauso gut die Lebensform in ihrem Selbstverständnis aktualisieren. Anders als Lyotard bezeichnet Jaeggi den Moment der Unbestimmtheit als eine Krise, welche als Lösung der Herstellung von Bestimmtheit bedarf. Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit würden viele Menschen in eine Krise versetzen, da es ihnen nicht mehr möglich ist einen Zusammenhang herzustellen, welchen sie jedoch brauchen, um zu verstehen und handlungsmächtig zu bleiben. Insofern wäre die naheliegendste Lösung des Problems, eine Reintegration des Widersprüchlichen, Mehrdeutigen oder Uneindeuti-

440 Fraser (2003): S. 108. 441 Sollte jedoch »von vornherein die Überlegenheit einiger Teilnehmer und die Inferiorität anderer« unterstellt werden, ist kein politischer Prozess durchführbar (vgl. Bauman [2009]: S. 166). Diese Inferiorität wurde im SelbstBestG-Diskurs bspw. transgeschlechtlichen Frauen unterstellt, denen das Frausein aberkannt wurde. 442 Vgl. Jaeggi (2014): S. 56. 443 Jaeggi (2014): S. 127. 444 Vgl. Jaeggi (2014): S. 129.

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gen in das Bezugssystem.445 In diesem Zusammenhang kann identitätspolitisches Bestreben als aus einer Uneindeutigkeit entstehend verstanden werden und dem Interesse der Herstellung einer Eindeutigkeit verpflichtet sein. So ist das Individuum zwar allgemein als freigesetztes individualisiertes verstanden, aber als solches hinsichtlich des Geschlechts keineswegs selbstbestimmt. Das wiederrum führt zu Fehldeutungen und damit einhergehenden Fehlentwicklungen, welche nach Jaeggi dazu führen, dass die Individuen nicht mehr wissen, wie sie sich selbst verstehen.446 So kann bspw. die fehlende rechtliche Klarheit darüber, wie Geschlecht definiert wird, dazu führen, dass einige den Maßstab Sex anlegen, während andere mit dem Maßstab Gender argumentieren. Aus diesem Grund erkennt Jaeggi vollkommen richtig, dass Krisen immer auch »den Deutungsrahmen einer Lebensform affizieren«.447 Antje Schrupp positioniert sich gegen die Identitätspolitik und wünscht sich stattdessen eine Stärkung des Identitätspolitischen. Schrupp eröffnet ihre Position damit, dass die Streit- und Konfliktkultur verloren gegangen sei, obwohl dies in einer pluralen Gesellschaft wichtiger denn je sei, da es mehr Differenzen gibt, welche gemeinschaftlich ausgehandelt werden müssten: »Konflikte über unterschiedliche Lebenswelten und Beziehungsformen zum Beispiel. Über Wohlstandsverteilung und Gerechtigkeit. Über Geschlechterrollen. Über eine Vielzahl von Alltäglichkeiten, zum Beispiel auch zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen. Eine freiheitliche Gesellschaft ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen oder die bunte Vielfalt von Merci. Sie ist anstrengend, weil man sich dauernd mit anderen Menschen über alles Mögliche verständigen muss.«448 Jeder Beschluss durch die Politik, jedes Gesetz könne dazu führen, diesen wichtigen Diskurs par ordre zu unterdrücken. Andererseits gibt es minorisierte Gruppen, die unter der Ignoranz der majorisierten Gruppen leiden und Diskriminierungen erfahren, während die majorisierten Gruppen sich des Konfliktes verwehren, um so ihre Privilegien zu behalten. Schrupp kritisiert ebenso die Bestrebungen, dass Diskurse um gesellschaftliche Konflikte nur Menschen vorbehalten würden, die von diesen Konflikten betroffen seien, da es sich schließlich um gesellschaftliche Konflikte handle, die bestenfalls von der Gemeinschaft getragen würden.449 Ein Konflikt ist nach alltagssprachlicher Definition ein »Aufeinanderprallen von widerstreitenden Auffassungen, Interessen«450 und dementsprechend ist Schrupp recht zu geben, dass bestenfalls alle Interessenparteien an dem Diskurs beteiligt sein sollten. Problematisch werde diese Haltung nach Schrupp ebenfalls dann, wenn ein Konflikt mit Krieg gleichgesetzt werde und nicht die Verständigung um zwei widerstreitende Auffassung fokussiert wird, sondern die Vernichtung einer der beiden.451 Politik, so Schrupp, verkomme so zum Machtkampf und führe da-

445 446 447 448 449 450 451

Vgl. Jaeggi (2014): S. 357f. Vgl. Jaeggi (2014): S. 359. Jaeggi (2014): S. 367. Schrupp (2017). Vgl. Schrupp (2017). https://www.duden.de/rechtschreibung/Konflikt (letzter Zugriff: 28.12.2021). Vgl. Schrupp (2017).

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zu, dass Andersdenkende zu Feinden werden und Argumente zu Tabuzonen: »Mit dem Ergebnis, dass sich manche kaum noch trauen, überhaupt etwas zu sagen, aus Angst vor dem nächsten Fettnäpfchen. […] wo Konflikte Kriege sind, ist die Angst vor dem Diskurs nur folgerichtig.«452 Als Grund dafür benennen Susanne Baer und Sarah Elsuni die identitäre Gruppenbildung, welche ebenfalls zu einem Problem hinsichtlich der Verschränkung aus Identitätspolitik und Recht werde: »Dort besteht ein besonderes Problem des Gruppismus, also der Gefahr der Essentialisierung und der Normalisierung dominanter Erfahrungen durch die rechtlich fixierte Bildung von Gruppen(Identitäten)«.453 In diesem Zusammenhang bezeichnet Teresa Koloma Beck das »Wir« als besonders wirkmächtiges politisches Personalpronomen, da es in der Lage sei eine Homogenität zu unterstellen, selbst da, wo diese nicht vorhanden ist. Diese auch im vorliegenden Diskurs häufig genutzte Strategie kann somit eine Herrschaftsgeste darstellen, welche »die Position oder Erfahrung der_s Sprechenden als Norm unterstellt.«454 Es sei daher wichtig zu reflektieren, dass die plurale Gesellschaft in einem hohen Maß dynamisch ist und immer wieder die Frage nach dem gesellschaftlich Verbindenden zu stellen. »Plurale Gesellschaften bergen das Versprechen auf eine in Vielfalt geteilte Welt. Sie rechnen mit der Unterschiedlichkeit der Menschen und wollen Verschiedenheit nicht einebnen, sondern ermöglichen.«455 Aus diesem Grund ist in einer pluralen Gesellschaft darauf zu achten, dass »das Wir nie selbstverständlich vorausgesetzt werden kann und dass Gespräche unter den Bedingungen der Verschiedenheit bisweilen besonderer Achtsamkeit bedürfen.«456 Auch mache der selbstverständliche Gebrauch des Wir, bspw. um Menschen in Diskussionen für Zustimmung zu mobilisieren, dafür blind, dass sich Realitäten wandeln, denn: »WirFormulierungen bringen nicht nur Vorstellungen von der Welt zum Ausdruck. Ihre Verwendung bringt die Welt als sozialen Ort mit hervor.«457 Und auch Marion Detjen setzt auf die Vielfalt, wenn sie unter Rückgriff auf das humboldtsche Ideal schlussfolgert: »Erst eine Gemeinschaft von freien, selbstbewussten, differenten Individuen macht auch einen guten Staat« aus.458 Detjen geht noch einen Schritt weiter und benennt dies als Grundlage für die eigene Persönlichkeitsentwicklung, die schließlich erst durch Vielfalt möglich werde, da so das Ich sich selbst als solches erkennen könne. Dies spiegele sich nach Detjen auch in den Grundgesetzen wieder, die unter Art. 2 Abs. 1 zusichern, dass jeder das »Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […]« habe, wobei dies im Anschluss eingeschränkt werde, da dies nur gelte »[…] soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.«459 Dass sich einige Menschen zusammenfinden und gegen die Vielfalt ins Felde ziehen, liege daran, dass diese dazu führe, dass konventionale Identitätskategorien relativiert und infrage gestellt werden. 452 453 454 455 456 457 458 459

Schrupp (2017). Baer; Elsuni (2021): S. 300. Koloma Beck (2021). Koloma Beck (2021). Koloma Beck (2021). Koloma Beck (2021). Detjen (2018). Detjen (2018).

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Dies wiederrum verändert die eigenen Handlungsmöglichkeiten und wird als Freiheitsverlust wahrgenommen, wenngleich es sich um einen Freiheitszugewinn für alle handelt. Lindemann bezeichnet Identitätspolitik deswegen als Gesellschaftskritik, welche Anerkennung für individuelle wie kollektive Identitäten fordert. Doch Lindemann mahnt auch, dass es nicht darum gehen dürfe, in jeder Interaktion nach Schwachstellen zu suchen, die möglicherweise dazu führen können, dass jemand diese Anerkennung verwehrt werden könnte, sondern darum, existierende Diskriminierungen und Missachtung von Identitäten zu lokalisieren und zu beheben. Weiter differenziert Lindemann die anthropologischen Bestimmungen, die der Identitätspolitik zugrunde liegen: (1) erstens ist jeder Mensch als frei anzusehen, (2) zweitens ist jeder Mensch ein kulturbildendes Wesen, wodurch er heterogene kulturelle Selbstverständnisse ausbilden könne und (3) drittens ist der Mensch auch ein natürliches Wesen, was eine je individuelle Natur mit sich bringe. Vor allem die letzte Bestimmung werde jedoch allzu häufig ausgeblendet, wenn Identitätspolitik zur Kritik führt. Lindemann schlussfolgert jedoch in Anlehnung an Lyotard, dass alle drei Bestimmungen nie zur gleichen Zeit wirken und sie vielmehr das Diskursfeld abstecken, wodurch der Mensch als Wesen nicht festlegbar sei: »Weil in dieser Kritik aber immer wieder auch das Wesen des Menschen verhandelt wird, wird die Debatte so erbittert geführt, denn es geht darum, wie wir uns alle verstehen sollen. Wenn es gelänge, dauerhaft ein bestimmtes Verständnis vom Menschen gesellschaftlich durchzusetzen, wäre dies die Legitimation dafür, die Gesellschaft in einer bestimmten Weise zu formen. Solange es umstritten ist, was der Mensch ist und die Synthese zweier Grundannahmen die dritte stets ausschließt, kann jeder Formungsversuch immer wieder legitimerweise und erfolgreich kritisiert werden.«460

5.4 Dejure ist nicht Defacto Bauman erkennt in der Gesetzgebung ein gesellschaftliches Instrument der Inklusion und Exklusion, da sie mitbestimmt, ob jemand als ein Teil der Gesellschaft anerkannt wird oder nicht. Dadurch, dass das Gesetz als universelle Kategorie auch Ausgeschlossenes und Ausgenommenes formuliert, geht die Gesetzgebung der Ontologie der menschlichen Welt voraus. Was dejure ausgeschlossen ist, muss sich demnach defacto selbst regulieren.461 Da aber niemand einen Befehl zum Ausschluss gibt und somit nicht nachweisbar ist, dass die menschlichen Kollateralschäden geplant sind, braucht auch niemand für die Verworfenen der Gesellschaft die Verantwortung übernehmen.462 Im Umkehrschluss stehen nun die Ausgeschlossenen vor der herausfordernden Aufgabe, die eigene Existenz selbst zu sichern. Allerdings, so Bauman, seien sie durch die Exklusion ihres Selbstvertrauens und ihrer Selbstachtung beraubt, wobei beide für das soziale

460 Lindemann (2021). 461 Vgl. Bauman (2005): S. 48. 462 Vgl. Bauman (2005): S. 58.

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Überleben essentiell sind. »Sie haben keinen Anlaß, feinsinnige Unterscheidungen zwischen intendiertem Leid und selbstverschuldeten Elend anzustellen.«463 Somit werden Exklusion und Inklusion, Diskriminierung und Anerkennung individualisiert. Mit Beck folgt die Individualisierung drei Momenten: »Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (»Freisetzungsdimension«), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (»Entzauberungsdimension«) und – womit die Bedeutung des Begriffs gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird – eine neue Art der sozialen Einbindung (»Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension«).«464 Allerdings komme eine zweite Dimension hinzu, welche die objektive Lebenslage und das subjektive Bewusstsein umfasse, wodurch in Bezug auf die Freisetzungsdimension der*die Einzelne sein*ihre eigene*r Produzent*in der lebensweltlichen Reproduktion des Sozialen wird.465 Bezüglich der Entzauberungsdimension wird das Individuum standardisiert und muss marktabhängige Individuallagen meistern. Beck schlussfolgert daher, dass die Institutionalisierung zudem die Grenzen von Privatem und Öffentlichem aufhebe, weshalb Beck von institutionsabhängigen Individuallagen spricht, während alles außerhalb der Institution zum Diesseits der Individualbiographie werde.466 Doch auch mit der Freisetzung des Individuums wird dieses nicht von allen Zwängen entbunden: »So wird gerade die individualisierte Privatexistenz immer nachdrücklicher und offensichtlicher von Verhältnissen und Bedingungen abhängig, die sich ihrem Zugriff vollständig entziehen. Parallel entstehen Konflikt-, Risiko- und Problemlagen, die sich ihrem Ursprung und Zuschnitt nach gegen jede individuelle Bearbeitung sperren. Diese umfassen bekanntlich so ziemlich alles, was gesellschaftlich und politisch diskutiert wird und umstritten ist.«467 Die verselbstständigte individuelle Existenzführung wird demnach durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gehemmt. Und so kann mit dem vorliegenden Diskurs um das Selbstbestimmungsgesetz ebenfalls erkannt werden, dass die Gesellschaft als Gemeinschaft aus der Verpflichtung entlassen wird, da das Individuum sich geschlechtlich selbst regeln muss und die Beratungspflicht vor allem darauf abzielt, diese Selbstregelung von vermeintlichen Expert*innen absichern zu lassen. Auch für Beck entsteht durch das freigesetzte Individuum und die an Normalbiografien orientierte Institutionalisierung ein Gegensatz: »Sie wirken auf das von den amtlichen Normalitätsstandards »abweichende« Leben normativ pädagogisch disziplinierend ein. Sie werden zu den Beschwörern und Verfechtern der ehemaligen Sicherheiten, die nur noch für einen kleiner werdenden Teil 463 464 465 466 467

Bauman (2005): S. 59. Beck (2016): S. 206. Vgl. Beck (2016): S. 209. Vgl. Beck (2016): S. 210. Beck (2016): S. 211.

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der Bevölkerung gelten. So verschärfen sich die Gegensätze zwischen institutionell entworfener und gesellschaftlich geltender ›Normalität‹.«468 Beck schlussfolgert daher, dass das – aus einer individualisierten Gesellschaft hervorgehende – Kollektivschicksal, in die Sphäre des Privaten übertritt und somit als Individualkonflikt bearbeitet werden müsse.469 In diesem Kontext reagiert das SelbstBestG sozusagen auf die gesellschaftliche Schieflage, womit das SelbstBestG ein Zeichen für eine weiter voranschreitende Individualisierung ist, da die Menschen aus der vorgegebenen Geschlechterordnung herausgelöst werden und Geschlecht zur privaten Entscheidung wird. Bereits vor den Bestrebungen wurde diese Entscheidungsfreiheit gesellschaftlich erstritten, wobei die alte Gesetzgebung als Versperrung gegenüber neuen Lebensmöglichkeiten galt oder eine bestimmte, in diesem Fall die heteronormative Lebensform, nahezu vorgab, wie es die bisherigen festdefinierten rechtlichen Vorgaben für die dritte Option oder die PÄ (TSG) offenbaren. »In der individualisierten Gesellschaft muß der einzelne entsprechend bei Strafe seiner permanenten Benachteiligung lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in bezug [sic] auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen.«470 Dadurch, dass das für das eigene Überleben ein ichzentriertes Weltbild entwickelt werden muss, sieht Beck das Verhältnis von Gesellschaft und Ich auf den Kopf gestellt. Bauman führt noch einen weiteren Aspekt an, indem er schlussfolgert, dass es kein pauschales Recht auf eine gesellschaftliche Wertschätzung gebe. Anerkennungskriege und aus diesen hervorgehende Gleichheitsforderungen bezögen sich viel mehr auf das Schaffen fairer Bedingungen bzgl. des Strebens nach gesellschaftlicher Wertschätzung.471 Identitätskämpfe sollten also dejure Hindernisse benennen, die es mittels fairer Bedingung ermöglichen defacto nach Wertschätzung zu streben.472 Das SelbstBestG könnte als ein solcher Abbau von dejure Barrieren verstanden werden. Auch nach Taylor bedeutet eine Forderung nach Anerkennung keineswegs, dass alle Kulturen (in diesem Zusammenhang gleichbedeutend mit Lebensformen) geschätzt werden müssen; anerkennen bedeutet vielmehr, sie als gleichwertig zu erkennen, anstatt von einer hegemonialen Position heraus Kulturen (Lebensformen) zu marginalisieren und ihnen einen niedrigeren Status zuzuweisen. »Man trifft dann keine Urteile im eigentlichen Sinne, die richtig oder falsch sein können; man drückt nur Gefallen oder Mißfallen aus, man fühlt sich einer anderen Kultur verbunden oder man lehnt sie ab.«473 Das Macht-Hierarchieverhältnis führt defacto dazu, dass ein Urteil im Sinne von richtig und falsch herablassend ist, auch wenn es positiv ausfällt.474 Das liegt daran, dass selbst ein positives Werturteil homogenisierend wirken kann, da andere Lebensformen in die

468 469 470 471 472 473 474

Beck (2016): S. 215. Vgl. Beck (2016): S. 216. Beck (2016): S. 217. Vgl. Bauman (2009): S. 96. Vgl. Bauman (2009): S. 97. Taylor (2012): S. 56. Vgl. Taylor (2012): S. 57.

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Wertmaßstäbe der bewertenden Position hineingezwungen werden und so die Politik der Differenz mittels positivem Urteil eine Assimilation herbeiführt, wodurch alle differenten Lebensformen angeglichen werden. Taylor kommt daher zu dem Schluss: »In dieser Gestalt ist die Forderung nach gleichheitlicher Anerkennung nicht annehmbar.«475 Anders steht es um Gerichtsurteile, die nach Habermas dejure durchaus ein Werturteil fällen, »das im Rahmen einer konkreten Wertordnung eine sich darin artikulierende Lebensform mehr oder weniger angemessen reflektiert, aber gar nicht mehr auf die Alternative bezogen ist, ob die gefällte Entscheidung richtig oder falsch ist.«476 Wird diese Aussage auf die Urteile des BVerfG transferiert, wird der Wandel der Lebensform besonders deutlich. Mehrfach betont das BVerfG in den Urteilsbegründungen, dass seit 1980 – dem Jahr der Einführung des TSG – neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Annahme führen, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt und sich darüber hinaus auch die gesellschaftlichen Lebensweisen geändert hätten. In der Durchsetzung von Menschenrechten verlieren sich nach Bauman jedoch die Bürgerrechte: »Die Hoffnung, den Status als Individuum de jure jemals in einen de facto Status zu überführen (also über die Ressourcen der Selbstbestimmung zu verfügen), schwindet zusehends.«477 Das liege daran, dass es ohne eine autonome Gesellschaft keine autonomen Individuen geben kann und eine gesellschaftliche Autonomie die Anstrengung aller Beteiligten bedeute und nicht nur die Anstrengung der Einzelindividuen im Kampf um ihre Menschenrechte. »Wenn Individualisierung für die Gemeinwohlorientierung und eine entsprechend orientierte Politik Probleme erzeugt, dann vor allem deswegen, weil die Anliegen und Bedenken der Individuen als Individuen den öffentlichen Raum bis zum Überlaufen anfüllen, weil sie mit dem Anspruch auftreten, als Individuen die einzig legitimen Akteure in diesem Raum zu sein und mit harten Ellenbogen alles andere aus der öffentlichen Sphäre verdrängen.«478 Das führe dazu, dass die dejure freien, gleichberechtigten Individuen defacto keine Möglichkeit haben ihre Beschwerde zu verlautbaren, da das Ergreifen der dejure Zusicherung defacto in die Eigenaufgabe, also in den Bereich der vermehrten privaten Anstrengungen gelegt wird:479 »Daher die große Nachfrage nach individuell nutzbaren Nägeln, an denen verängstige Individuen gemeinsam ihre Sorgen aufhängen können – und sei es nur für einen kurzen Moment.«480 Auch Beck spricht im Zusammenspiel von Modernisierung und Gegenmodernisierung von einer Ablösung der durch die Moderne aufgeworfenen Fragen zu einer hergestellten Fraglosigkeit durch die Gegenmoderne, was Baumans große Nachfrage nach einem Masterplan erklären könnte. Als Beispiel dafür benennt Beck das gesellschaftliche wie wissenschaftliche Bemühen, Geschlecht

475 476 477 478 479 480

Taylor (2012): S. 58. Habermas (1996): S. 366. Bauman (2003): S. 53. Bauman (2003): S. 49. Vgl. Bauman (2003): S. 50. Bauman (2003): S. 51.

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zu naturalisieren481 und eine – mit Foucaults Worten – wahre geschlechtliche Essenz zu finden. Beck schlussfolgert deshalb, dass die Ambivalenzen des und zu einer Renaissance des entweder-oder führen: »Das und kann das entweder-oder nur so lange tolerieren, wie das entweder-oder nicht das und abschafft oder verleugnet. Das entweder-oder aber radiert das und aus. Also – wenn es Spitz auf Knopf steht – herrscht zwischen und und entweder-oder nicht und, sondern entweder-oder.«482 Während das und die alten Grenzen – bspw. Geschlechtergrenzen – aufhebt, schafft das entweder-oder diese Grenzen neu.483 »Man sagt ›Natur‹, aber meint, betreibt – und zwar dadurch – Naturalisierung. Genauer: Renaturalisierung, weil diese Vernatürlichung auf die Infragestellung reagiert.«484 Nach Beck wird Natur so zur Politik, indem die Gesellschaft naturalisiert wird und so die Entscheidungsnatur entsteht, welche »die Erzeugung von Tat-Sachen, Tat-Körpern« ermöglicht.485 »Hier wird durch Schöpfungspolitik eine Welt der lebenden Wesen geschaffen, die ihren Herstellungscharakter in dem körperlichen Zwang, den sie dar- und herstellt, verbergen kann.486 […] Natur ›legitimiert‹ nicht, […] sie absorbiert Entscheidungen, verwandelt Entscheidungen in Nichtentscheidungen«487 und gleichzeitig ist genau diese Natur im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit angekommen.488 Dabei sei es der Mensch, der sich in seinem Bewusstsein als Natur denke und nicht im Sinne der Reproduzierbarkeit.489 »Entscheidungen, möglicherweise unentscheidbare Entscheidungen, also keineswegs freie, sondern erzwungene, abgerungene Entscheidungen unter Vorgabe, die in Dilemmata hineinführen, aber eben Entscheidungen, die den einzelnen als einzelnen ins Zentrum rücken und traditionale Lebens- und Verkehrsformen mißlohnen.«490 Bauman geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet aufbauend auf Becks Thesen den Körper in Anbetracht der Flüchtigen Moderne als das Langlebigste, was den Menschen umgibt; er sei »gleichsam zum Rückzugsgebiet von Kontinuität und Langlebigkeit geworden«, daher ist der Körper »die letzte Verteidigungslinie der Sicherheit und die ist dem dauernden Beschuß feindlicher Kräfte ausgesetzt« und die Grenze zwischen Körper und Außenwelt werde so »die am schärfsten bewachte unserer Welt«.491 Auch Habermas differenziert zwischen dejure und defacto, indem er den Unterschied zwischen Rechtsnorm (dejure) und Moralnorm (defacto) herausarbeitet. Die Moralnorm regelt die gesellschaftliche Interaktion zwischen Subjekten, während die Rechtsnorm die Interaktionszusammenhänge einer konkreten Gesellschaft umfasst, womit sie im Gegensatz zur Moral die Zielsetzung des politischen Willens enthält.492

481 482 483 484 485 486 487 488 489 490 491 492

Vgl. Beck (1993): S. 102f. Beck (1993): S. 99. Vgl. Beck (1993): S. 100. Beck (1993): S. 101. Beck (1993): S. 179. Beck (1993): S. 179. Beck (1993): S. 138. Vgl. Beck (1993): S. 139. Vgl. Beck (1993): S. 140. Beck (1993): S. 154. Bauman (2003): S. 215. Vgl. Habermas (1996): S. 250.

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Habermas erkennt den Ursprung aktueller Wertkonflikte resultierend aus der Koexistenz verschiedener Interpretationsgemeinschaften (die auf geteilten Einstellungen und Haltungen basieren können, auch ideologischen), Subkulturen und Lebensformen innerhalb Deutschlands in den Rechtsverhältnissen, welche aus ihrer Historizität heraus dejure den vorherrschenden Ethos der Mehrheitskultur tragen und so defacto zu Ungleichbehandlungen von marginalisierten Kollektiven führen.493 In diesem Zusammenhang konnte mit der vorliegenden Diskursanalyse des rechtlich-politischen SelbstBestG-Diskurses gezeigt werden, wie die heteronormative geschlechterbinäre durch eine geschlechterplurale Lebensform abgelöst wird und sich somit das aktuelle politische Selbstverständnis gegenüber dem politischen Selbstverständnis der Gesellschaft im Jahr der Inkraftsetzung des TSG 1981 stark verändert hat. Darüber hinaus wurden weitere Deutungskämpfe markiert, bspw. der Kampf gegen eine patriarchale Lebensform, welcher jedoch mit einer Auflösung der heteronormativen Lebensform eine Delegitimierung des eigenen Kampfes um Schutz und Anerkennung befürchtet. Indem der Kampf gegen die patriarchale Lebensform nur auf Grundlage einer Anerkennung der heteronormativen Lebensform und ansonsten alternativlos konstruiert wird, kann auch die Bestrebung, das diskursive Gegenüber als Gegnerschaft zu verstehen, bestätigt werden. Diese Alternativlosigkeit konnte jedoch als instrumentelles Konstrukt offenbart werden, da die gesetzliche Anerkennung einer geschlechterpluralen Lebensform auch die patriarchale Lebensform nachhaltig schwächen würde. Der Diskurs zeigt aber auch das unangefochtene politische Selbstverständnis der Gesellschaft als demokratische Lebensform, da die hohe Teilhabe am Diskurs mittels Stellungnahmen auf eine Rechtmäßigkeit der deutschen Verfassung und des politischen Entscheidungsprozesses verweist. Als Leerstelle und somit im Bereich der Unsagbarkeit zu verorten ist die im Diskurs nicht artikulierte Forderung, dass Geschlecht als personenstandsrechtliche Ordnungskategorie abzuschaffen. Dies konnte entlang der Stellungnahmen damit begründet werden, dass Gerechtigkeitsfragen nicht differenzblind sein dürfen, um Ungleichbehandlungen weiter identifizierbar zu machen, vor Diskriminierungen zu schützen und Maßnahmen zur Gleichbehandlung herbeizuführen. In einer defacto grundsätzlich hierarchisch aufgebauten Gesellschaft sei es einer kategorialen Hierarchie oder einer Statushierarchie geschuldet, und ist es dejure schwer, auf Differenzierungen zu verzichten und gleichzeitig der pluralen Lebenswelt juristisch gerecht zu werden. »Am Ende wird unklar, ob die Entfremdung einer ökonomisch und sozial gesicherten Existenz nicht größer war als die Entfremdung, die in dem ökonomisch ungesicherten Ringen um neue Lebensformen liegen.«494 Sozial gesicherte Existenzen bedeuten neben der dejure zugsicherten sozialen Positionierung und damit verbundenen Rechten defacto die Zuschreibung von Rollen und Eigenschaften. Diese Festschreibung führt auf der einen Seite zur Inklusion, die jedoch immer entlang einer Exklusion auf Kosten anderer, verworfener Identitäten (Abjekte) geschieht. Während ein Ringen um neue Lebensformen zwar eine große Unsicherheit dejure mit sich bringt, bleiben sie defacto offen, fluide und verhandelbar. Das wiederrum kann auch erklären, warum immer neue Lebensformen entstehen. Dieser Prozess kann laut 493 Vgl. Habermas (1996): S. 325. 494 Beck (2016): S. 151.

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Beck eine Eigendynamik entwickeln und vielfältige Erscheinungsformen annehmen, indem bspw. das Private politisch aufgeladen wird, wodurch »die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit« ausgedehnt wird oder zerfließt.495 Soziokulturelle Lebensformen dringen in das gesellschaftlich-politische Gefüge, was sich nach Beck in einer permanenten Praxis des Andersmachens äußert.496 Diese führe zu einer Suche nach der eigenen Identität, womit die Pflichten der neuen Selbstführung offenbart werden. Jeder Mensch, so Beck, habe die Pflicht zur Selbstaufklärung und Selbstbefreiung.497 Das wiederrum erklärt die größeren gesetzlichen Freiheiten bei gleichzeitiger Beratungspflicht.498 »Die Isolation der gegeneinander verselbständigten Privatexistenzen kann vielmehr durch verschiedenartigste Ereignisse und Entwicklungen gesellschaftlichpolitisch durchbrochen werden.«499 Aus diesem Grund werden nach Beck punktuelle, situations- und themenspezifische Koalitionen gebildet, die unterschiedliche Gruppierungen und unterschiedliche Lager zusammenbringen: »Koalitionen sind in diesem Sinne situations- und personenabhängige Zweckbündnisse im individuellen Existenzkampf auf den verschiedenen gesellschaftlich vorgegebenen Kampfschauplätzen.«500 Daher schlussfolgert Beck: »Die entstehende Sozialstruktur wird anfällig für massenmedial forcierte Modethemen und Konfliktmoden.«501 Konfliktlinien entstehen immer häufiger entlang von Klassifizierungen, zugeschriebenen Eigenschaften und daraus hervorgehender Differenzierungen.502 Somit entziehen sich die daraus hervorgehenden sozialen Ungleichheiten dem Leistungsprinzip, wodurch ihnen die Legitimation der Selbstverschuldung nicht zugrunde gelegt werden kann. Stattdessen wird die Differenzierung entlang einer Biologisierung oder Kulturalisierung essentialisiert. »Diese historisch entstandene Gemengelage von neuem Bewußtsein und alten Lagen ist in doppeltem Sinne explosiv.«503 Die dejure zugesicherte Gleichheit wird defacto durch Ungleichheitspraxen nicht umgesetzt. Habermas verweist aus diesem Grund eindringlich darauf, dass die »erstrebte Angleichung faktischer Lebenslagen und Machtpositionen nicht zu ›normalisierenden‹ Eingriffen von der Art führen, daβ die präsumtiven Nutznieβer in ihrem Spielraum für eine autonome Lebensgestaltung wiederum eingeschränkt werden.«504 Volker Schürmann spricht dejure von dem Grundrecht auf Menschenwürde und defacto von dem Verlust dieser Würde als empirischen Befund.505 Nach Habermas sollte die defacto erwartete soziale Gerechtigkeit deshalb dejure gesichert werden, jedoch nicht in Form einer radikalen Umverteilung zu neuen Ungerechtigkeiten führen. Habermas sieht

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Vgl. Beck (2016): S. 155. Vgl. Beck (2016): S. 156. Vgl. Beck (2016): S. 157. Das Gleiche gilt für die Beratungspflicht im Kontext eines Schwangerschaftsabbruchwunsches. Beck (2016): S. 159. Beck (2016): S. 159. Beck (2016): S. 159. Vgl. Beck (2016): S. 159. Beck (2016): S. 162. Habermas (1996): S. 300. Vgl. Schürmann (2014): S. 802.

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vor allem in den Klassifikationen der Geschlechterrollen und daraus hervorgehenden geschlechtsabhängigen Differenzen eine nachhaltige Berührung des kulturellen Selbstverständnisses der Gesellschaft: »Aus juristischer Sicht besteht ein Grund für diese reflexiv erzeugte Diskriminierung in den überverallgemeinernden Klassifikationen für benachteiligende Situationen und benachteiligte Personengruppen. Diese »falschen« Klassifikationen führen nämlich zu »normalisierenden« Eingriffen in die Lebensführung, die den intendierten Schadensausgleich in erneute Diskriminierung, also Freiheitsverbürgung in Freiheitsentzug umschlagen lassen.«506 Daher sei ein öffentlicher Streit in der politischen Öffentlichkeit um die Interpretation und daraus hervorgehende Bedürfnisse angemessen.507 Das Aushalten von anderen Lebensformen, die der eigenen möglicherweise idealisierten Lebensform widersprechen, ist nach Habermas verbindlicher Teil der egalitären Rechtsgemeinschaft. Somit sei ein Dulden dejure die Grundlage des gegenseitigen Respekts von Rechtspersonen,508 während defacto die Möglichkeit zur moralischen Auseinandersetzung besteht:509 »Wenn Gerechtigkeitsfragen das ethische Selbstverständnis konkurrierender Lebensformen nicht transzendieren können und existenziell relevante Wertkonflikte, also Gegnerschaften, durch alle strittigen politischen Fragen hindurchgreifen, enden wir nämlich in letzter Konsequenz bei einem […] Verständnis von Politik«,510 indem politische Konflikte als moralische betrachtet und Politik als Gegnerschaft verstanden werden muss, die nur noch einen Machtkampf darstellt, statt gemeinschaftliche Lösungen zu finden. Dem setzt Habermas sein Diskursverständnis als Entscheidungsverfahren mit der Perspektive entgegen, dass Teilnehmer*innen sich gegenseitig in politischen Diskursen überzeugen und voneinander lernen können.511 Habermas erkennt daher die Notwendigkeit gemeinsame Überzeugungen herauszuarbeiten, da wir in einer komplexerwerdenden Gesellschaft mit pluralen Lebensformen und Weltanschauungen leben, welche eine existentielle Herausforderung darstellen.512 In diesem Zusammenhang kann der vorliegende Diskurs um das SelbstBestG als ein Zeugnis des gegenwärtigen gesellschaftlichen Lernprozesses verstanden werden, wenngleich – und das räumt Habermas durchaus selbst ein – dieser Lernprozess von immer mehr Menschen als reine Zumutung empfunden wird. Aus diesem Grund fordert Habermas nach einem höheren Maß normativer Rechtfertigungen. Auch Sacksofsky fragt nach der im Vorfeld erläuterten strategischen Prozessführung und welche Rolle Verfassungsgerichte spielen, wenn es bspw. um die Diskriminierungsbekämpfung geht. Dazu untersucht sie die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, wobei sie ihren Fokus hier auf das Rechtfertigungsnarrativ der Geschlechterordnung

506 507 508 509 510 511 512

Habermas (1996): S. 301. Vgl. Habermas (1996): S. 302. Vgl. Habermas (1996): S. 319. Vgl. Habermas (1996): S. 320. Habermas (1996): S. 322. Vgl. Habermas (1996): S. 322f. Vgl. Habermas (1996): S. 331.

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legt. Die Rechtsordnung ist ein Teil der normativen Ordnung einer Gesellschaft und wie jede normative Ordnung bedarf auch sie einer Rechtfertigung, insbesondere dann, wenn sie diskriminierende Strukturen hervorbringt, die sich gesellschaftlich einschreiben. Dass eine Rechtfertigung erforderlich wird, liegt zum einen daran, dass Ungleichbehandlungen gesellschaftlich nicht akzeptiert werden, zum anderen stellt eine staatliche Herrschaft ohne Akzeptanz in der Bevölkerung eine Unterdrückung dar, die mit den Werten der Demokratie nicht vereinbar ist.513 Nach Rainer Forst und Klaus Günther ist die Rechtfertigung ein Mittel der rationalen Überzeugungsbildung, welches Anerkennung von normativen Ordnungen erzielt.514 »Jedoch weist jedes tradierte Rechtfertigungsnarrativ, jede sedimentierte Legitimation, immer zugleich über die Faktizität einer bestehenden Ordnung hinaus und bietet so Anknüpfungspunkte für Kritik, Zurückweisung oder Widerstand.«515 Einstmals überzeugende Rechtfertigungen können jedoch ihre Überzeugungskraft einbüßen und als Rechtfertigung somit ausgedient haben. Für die Kritik, Zurückweisung oder den Widerstand sind nach Forst/Günther reflexive Meta-Prinzipien erforderlich, welche den sozialen Raum eröffnen, in dem Rechtfertigungsansprüche erhoben werden. Eine Institution, die diese Meta-Prinzipien hervorgebracht hat, ist das BVerfG, welches mit der Verfassungsklage ein Verfahren ermöglicht, das einen diskursiven Raum öffnet, indem Menschen »ihre Kämpfe um normative Ordnungen als einen Streit über rechtfertigende Gründe austragen können«.516 Forst/ Günther erkennen in gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikt keineswegs die einfache Verfolgung von Interessen zur Besserung des eigenen gesellschaftlichen Status, sondern das Artikulieren von Unrechtserfahrungen innerhalb einer normativen Ordnung.517 Es geht also nicht um einzelne Normen, die als Unrecht empfunden werden, sondern um Konventionen, die als ein Komplex aus Normen auf ein langwieriges Kompromissbildungsverfahren verweisen, das aus Konfliktarenen hervorgeht und neue Konfliktarenen öffnet.518 Diese normativen Ordnungen müssen gerechtfertigt werden, damit sie als gültig und verbindlich erlebt werden. Das heißt, Normen gehen aus der diskursiven Verständigung hervor und sind somit keineswegs naturwüchsig. Doch seit den Studien von Foucault und Butler ist vor allem für die Geschlechter- und Sexualitätsnormen klar, dass diese als kostbare Regeln gesellschaftlich gehütet werden, da sie nicht nur unterdrückend wirken, sondern auch identitätsstiftend sein können. Und auch Forst/Günther schlussfolgern, dass eine explizite Thematisierung des Geltungsanspruchs der normativen Ordnung, »als Infragestellung einer ganzen Lebensform mit dem Risiko des kollektiven Identitätsverlustes« erscheinen kann.519 Sacksofsky kommt bezüglich der Geschlechterordnung zu dem Schluss, dass vor allem die Fortpflanzungsbegründung als biologistische Essentialisierung des Geschlechts

513 514 515 516 517 518 519

Vgl. Sacksofsky (2021): S. 605f. Vgl. Günther; Forst (2011): S. 11. Forst; Günther (2011): S. 11f. Forst; Günther (2011): S. 12. Vgl. Forst; Günther (2011): S. 13. Vgl. Forst; Günther (2011): S. 16. Forst; Günther (2011): S. 18.

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keine ausreichende Rechtfertigung mehr darstelle, da in der pluralisierten Gesellschaft vielfach auf Reproduktionstechnologien zurückgegriffen wird, die wahlweise fernab von Paarnormen, Geschlecht und Sexualität eine Fortpflanzung ermöglichen oder verhindern. Die vermeintlich natürliche Ordnung, welche Butler als heterosexuelle Matrix beschreibt, verliert in der Gesellschaft also ihren Allgemeingültigkeitsanspruch. Immer mehr Studien zeigen, dass Geschlecht nicht rein biologistisch betrachtet werden kann, sondern auch die Kultur eine große Deutungsrolle einnimmt und die universalistische biologistisch-essentialistische Geschlechterordnung selbst ein Konstrukt ihrer Zeit sei, somit auch die Historizität eine Rolle spiele.520 Verfassungsgerichte haben nach Sacksofsky in jenen Momenten, in denen die Rechtsordnung nicht mehr auf eine allgemein akzeptierte Rechtfertigung verweisen kann, die Aufgabe, Korrekturbedarfe sichtbar zu machen und sicher zu stellen, »dass die aus der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes resultierenden verfassungsrechtlichen Bindungen eingehalten werden«.521 Das bedeutet, dass Verfassungsklagen nur darüber entscheiden können, ob die entsprechenden Gesetzgebungen demokratischen Prinzipien folgen und den Menschen die gleichen grundlegenden Rechte zukommen, während das Verfassungsgericht keine konkreten Maßnahmen benennt, wie die Gesetzgebung auszusehen hat, sondern dies entlang der Aussprache von Empfehlungen an den politischen Prozess überträgt. Als verfassungsgerichtlichen Grundsatz benennt Sacksofsky in diesem Zusammenhang »Wo kein Kläger, da kein Richter«,522 da das Verfassungsgericht zwar letztinstanzlich verbindliche und endgültige Entscheidungen trifft, jedoch nur dann, wenn Bürger*innen eine Verfassungsbeschwerde einreichen, in welcher sie ihre grundrechtlich garantierten Freiheiten gegenüber dem Staat durchzusetzen versuchen. Wenngleich nach Sacksofsky auch Verfassungsrichter*innen »nicht vollkommen von den gesellschaftlich verbreiteten Rechtfertigungsnarrativen« losgelöst sind, so sind sie dazu verpflichtet, diese hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Legitimation zu reflektieren.523 In diesem Kontext kann es dann auch vorkommen, dass eine normative Ordnung entlang anderer normativer Ordnung gelockert oder gefestigt wird; wie bspw. das TSG damit begründet wurde, transgeschlechtliche Menschen, welche der heteronormativen Ordnung entsprechen, vor der Kriminalisierung aufgrund einer vermuteten Homosexualität zu schützen,524 und auch die ursprüngliche Verfassungsklage, welche das TSG final zu Fall brachte (1 BvR 3295/07), richtete sich nicht gegen das TSG, sondern gegen den § 1 Lebenspartnerschaftsgesetz, mit dem Ziel eine Ehe für Alle zu erreichen, dem das BVerfG nicht stattgab, jedoch die Begründung der Antragstellerin anerkannte, aufgrund des Alters nicht den PÄ-Voraussetzungen entsprechen zu können.525 Nicht nur die normative Ordnung muss legitimiert werden, auch die normativen Ansprüche, welche einer Kritik an der normativen Ordnung zugrunde liegen, müssen ge520 521 522 523 524 525

Vgl. Sacksofsky (2021): S. 607. Sacksofsky (2021): S. 609. Sacksofsky (2021): S. 613. Sacksofsky (2021): S. 619. Vgl. Sacksofsky (2021): S. 621. § 1 Lebenspartnerschaftsgesetz erlaubt eine Lebenspartnerschaft nur zwischen gleichgeschlechtlichen Personen, andernfalls stünde der Antragstellerin, die mit männlichem Personenstandseintrag als Frau in einer lesbischen Beziehung lebt, die Ehe offen.

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rechtfertigt sein. In beiden Fällen greifen soziale Akteure häufig auf Metanarrative zurück, welche Forst/Günther als große Legitimationserzählungen einstufen. Sacksofsky verweist in diesem Kontext darauf, dass sich das BVerfG in erheblichem Umfang auf die Wissenschaft beruft, indem es bspw. Sachverständige anhört,526 um sich so vor der Kritik zu schützen, die Gesetzestexte anhand rein subjektiver Interpretationen auszulegen.527 Im vorliegenden Diskurs finden sich auf der Seite der Rechtfertigung der normativen Ordnung allen voran biologistische Essentialisierungen, während auf der Kritikseite vor allem kulturelle Werte, wie die Menschenrechte und -würde sowie die Freiheit bzw. der Verlust dieser, die Kritik rechtfertigen.528 Forst nennt die diskursiven Kämpfe – wie wir sie auch in dieser Arbeit verstehen – »Kämpfe um Macht«, welche sich darum drehen, dass sich Menschen selbst oder die Gruppe, der sie angehören, im Raum neu- oder repositionieren wollen, indem sie die Rechtfertigungsmöglichkeiten anderer beeinflussen.529 Vor allem der »politische Raum ist von Machtkonflikten durchzogen, die im Wesentlichen Kämpfe um Rechtfertigungsmacht sind«, wobei eine Durchsetzung einer bestimmten Rechtfertigungsordnung nicht dauerhaft zu verstehen ist, sondern einer Hegemonie entspricht, die immer als Kehrseite die verworfenen Alternativen in sich trägt.530 Kritik an der hegemonialen Ordnung wird nach Forst oft ideologisch klassifiziert, indem in Verteidigung der normativen Ordnung behauptet wird, dass von den Kritiker*innen eine vermeintliche Gefahr mit Falschbehauptungen verdeckt werde. In diesem Moment entsteht nach Forst eine Rechtfertigungskrise, da die Kriterien für stichhaltige Rechtfertigungen verloren gingen. Genau dieser Vorwurf kann in der cisfeministischen Behauptung wiedergefunden werden, es gebe eine Transgender-Ideologie, welche allen voran Kinder und Jugendliche, aber auch die Politik und Medien beeinflusse. Forst/Günther verweisen dementsprechend darauf, dass normative Ordnungen entlang von Machtverhältnissen gegen Kritik immunisiert werden: »Macht über andere zu haben setzt voraus, im geteilten Raum der Rechtfertigungen eine bestimmte Position des Anerkanntseins einzunehmen – was zu Herrschaft stabilisiert werden kann.«531 Unter den Diskursakteuren, welche die normative Ordnung und somit das TSG erhalten wollen, finden sich derartige Bemühungen mit der je individuellen Machtposition, die normative Ordnung zu stabilisieren. So bemüht sich der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Korte immer wieder darum, seine medizinische Expertise ins Feld zu führen und sich als Stellvertreter der Medizin in ihrer Ganzheit zu positionieren, wenngleich es eine Vielzahl an Mediziner*innen und Biolog*innen gibt, die Korte widersprechen. Auch die Feministin Schwarzer bemüht sich darum, ihre Expertise als treibende Kraft der zweiten Welle der Frauenbewegung und somit sich selbst als Sprachrohr des Feminismus zu installieren, während auch hier viele feministische Stimmen Schwarzer widersprechen.

526 527 528 529 530 531

Vgl. Sacksofsky (2021): S. 623f. Vgl. Sacksofsky (2021): S. 628. Vgl. Forst (2021): S. 19. Vgl. Forst (2021): S. 83. Forst (2021): S. 92. Forst; Günther (2011): S. 21.

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Im Kontext der Rechtfertigungspflicht von gesellschaftlichen Ordnungen muss es als erstaunlich angesehen werden, dass der Diskurs um das SelbstBestG kaum Eingang in die alltagsweltliche Presse findet, wenngleich sich in ihm der Wandel des politischen Selbstverständnisses der Gesellschaft offenbart und es um Gerechtigkeitsfragen geht, welche eine Konsenserwartung beherbergen, die defacto hinsichtlich der pluralen Lebensformen schlicht nicht erreichbar ist und somit nur dejure in Form von rechtlicher Anerkennung des Pluralismus von Lebensformen umsetzbar ist. Offen bleibt also abschließend die Frage, wie eine rechtliche Anerkennung des Pluralismus aussehen kann.

5.5 Ein theoretisch-utopischer Ausblick Die Politik der allgemeinen Menschenwürde, ist für Taylor im Zusammenhang mit Immanuel Kants Verständnis vor allem die Autonomie des Menschen, selbst zu entscheiden, welche Vorstellung vom guten Leben er*sie hat, während die Politik der Gleichheit (Taylor nennt diese Gleichachtung) in Bezug auf die Idee des guten Lebens neutral bleiben müsse, »sie muß sich darauf beschränken zu gewährleisten, daß die Bürger, gleichgültig, welche Anschauungen sie haben, fair miteinander umgehen und daß der Staat alle gleich behandelt«.532 Selbstbestimmung definiert Taylor unterdessen als Selbstausdruck der freien Entscheidung. Die Politik der Gleichheit geht demnach von einem Recht aus, welches gleichförmig ist und Rechte als Regeln erkennt, die keine Ausnahmen zulassen, wodurch das Recht als solches misstrauisch gegenüber kollektiven Bestrebungen sein sollte, während die Politik der Differenz darauf besteht, die Rechte auf die Produktion von Normen und daraus hervorgehenden Ungleichheiten zu befragen.533 Taylor stellt die Vermutung auf, dass Gesellschaften immer durchlässiger werden und durch diese Durchlässigkeit immer mehr Menschen ein Leben in der Diaspora leben.534 Durch ein Recht auf Selbstbestimmung und den Wegfall von immer mehr reglementierenden Grenzziehungen würde die Gesellschaft vor eine große Herausforderung gestellt: »Die Herausforderung besteht darin, daß wir uns mit ihrem Gefühl von Marginalisierung auseinandersetzen müssen, ohne unsere politischen Grundprinzipien nachhaltig aufs Spiel zu setzen.«535 Stattdessen aber werden die Auseinandersetzung gescheut, weshalb Fraser in der »gegenwärtige[n] Konjunktur der Kämpfe um Anerkennung« einen »unaufhaltsamen Wiederaufstieg einer statusorientierten Politik« erkennt.536 Eine Humandifferenzierung – wie jene der geschlechtlichen Unterscheidung von Mann und Frau – erleichtert eine darauf aufbauende Hierarchisierung. Eine Statushierarchie im Sinne Frasers Theorie entsteht bspw. durch die Privilegierung des Körpergeschlechts gegenüber der Geschlechtsidentität, welche entlang eines Biologismus durchgesetzt wird, da diese als beweisbar und somit essentiell verstanden wird.

532 533 534 535 536

Taylor (2012): S. 43. Vgl. Taylor (2012): S. 47. Vgl. Taylor (2012): S. 49. Taylor (2012): S. 50. Fraser (2003): S. 122.

5. Das Selbstbestimmungsgesetz zwischen Anerkennungskampf und Identitätspolitik

Wieso ein gänzlicher Wegfall der Geschlechtskategorie als Teil des Personenstands in den Bereich des Unsagbaren verwiesen wird, kann entlang der Stellungnahmen nur teilweise ergründet werden. Im Fall der cisfeministischen Positionen wird das Geschlecht – allen voran die Kategorie der Frau – als Notwendigkeit für Gleichstellungsmaßnahmen und Diskriminierungsschutz benannt. Auf der Seite der Interessenverbände trans- wie intergeschlechtlicher Menschen wird keine Begründung geliefert, jedoch kann hier die Vermutung aufgestellt werden, dass eine Anerkennung von Trans- wie Intergeschlechtlichkeit dejure den Kampf um Anerkennung defacto erleichtern würde, indem transwie intergeschlechtliche Menschen auf ihren nun legitimierten Rechtsstatus verweisen könnten. In dem am 24.11.2021 veröffentlichten Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wurde die finale Abschaffung des TSG und die Umsetzung eines Selbstbestimmungsgesetzes verabredet. Unter dem Abschnitt »Queeres Leben« steht: »Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden. Wir werden im Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung 120 Umgehungsmöglichkeiten beseitigen. Für Trans- und Inter-Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind, richten wir einen Entschädigungsfonds ein. Wir werden die Strafausnahmen in § 5 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen aufheben und ein vollständiges Verbot auch von Konversionsbehandlungen an Erwachsenen prüfen.«537 Am 30.06.2022 verkündete die neue Regierung – die Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP – die Umsetzung des SelbstBestG bis Mitte 2023. Im pünktlich zur Pressekonferenz veröffentlichten Eckpunktepapier wird die Schaffung des SelbstBestG mit der Vereinheitlichung der bisher uneinheitlichen Rechtsprechung von PÄ bei trans- wie intergeschlechtlichen Personen begründet.538 Das vorgestellte Eckpunktepapier dient somit weiterhin lediglich als Diskursbeitrag, mit dem finalen Entwurf des SelbstBestG wird im Frühjahr/Sommer 2023 gerechnet, wobei dieser im Bundestag nicht zustimmungspflichtig sein wird. Das liegt unter anderem daran, dass das Gesetz auf der Ebene des Verwaltungsrechtes verbleibt und nicht mehr – wie die Gesetzentwürfe der vorausgehenden Jahre – anvisiert, auch gesundheitspolitische Rechte umfassend mit einzubeziehen. Im Rahmen der Verkündung stellten das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Papier mit häufig gestellten Fragen (FAQ) zum SelbstBestG vor. Dort heißt es im ersten Satz: »Selbstbestimmt leben zu können ist fundamental für alle Menschen. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung 537 Koalitionsvertrag (2021): S. 119. 538 Vgl. Bundesministerium der Justiz; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022b): S. 1f.

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gehören zu den von unserem Grundgesetz garantierten Rechten«.539 Entlang dieser Auffassung wird der Wegfall der diskriminierenden Begutachtungen im Falle einer PÄ begründet und ebenso die Verallgemeinerung der Gesetzgebung, da nicht nur trans- wie intergeschlechtliche Menschen von einer Fremdbestimmung betroffen sind. Bei der Verkündung durch den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wurde besonders betont, dass die Gesetzgebung keine gesetzliche Regelung für genitalverändernde und körperangleichende operative wie hormonelle Maßnahmen enthalten werde, da diese im Bereich der fachmedizinischen Expertise lägen. Stattdessen werden Fragen der Kostenübernahme medizinischer und therapeutischer Maßnahmen entkoppelt über das Gesundheitsministerium geregelt. Das SelbstBestG verzichtet dementsprechend auch auf Gutachten und Beratungen, welche bisher den Zugang zur VÄ/PÄ regulierten, wodurch Psycholog*innen und Mediziner*innen ihren Gate Keeper Status aufgeben müssen und eine Änderung somit auch nicht-binär- und ageschlechtlichen Menschen offensteht. Weiter wurde angekündigt, dass der Offenbarungsschutz künftig festgelegte Sanktionen wie Bußgelder vorsieht. Offen bleibt, wie Elternschaft geregelt wird, da hier eine Offenbarung unumgänglich wäre, wenn Gebärende als Mütter und Zeugende als Väter eingetragen werden und diese familiäre Rollenzuweisungen nicht dem gewählten Personenstand entsprechen. Hier verweist die Regierung auf künftige Änderungen im Abstammungsrecht, welches grundlegend reformiert werden solle. Für die Übergangszeit wurde jedoch eine Interimslösung angekündigt.540 Ab dem 14. Lebensjahr dürfen Jugendliche eigenständig eine Erklärung für eine PÄ abgeben, und sofern ihre Eltern nicht zustimmen, trifft das Familiengericht eine Entscheidung im Sinne des Kindeswohl. Wenngleich diese Formulierung bessere Voraussetzungen schafft, als sie zuvor im TSG zu finden waren, bleibt zu problematisieren, dass weder das Familiengericht noch die Jugendämter ausreichend mit der Geschlechter-Thematik vertraut sind und nur unzureichend über Fachwissen verfügen, wodurch Entscheidungen möglicherweise vorurteilsgeleitet sein werden. Hier müsste der Staat zusichern, dass es für entsprechende Richter*innen und Jugend-Hilfssysteme verpflichtende Fortbildungen in den Themenbereichen Geschlecht und Sexualität gibt. Auch der Zusatz, es würde eine Stärkung der kostenlosen, ergebnisoffenen Beratungen anvisiert, ist in diesem Kontext unzureichend, da dies abermals ausschließlich auf Antragstellende einer PÄ bezogen bleibt, Entscheidungsträger*innen jedoch unangetastet lässt. Das SelbstBestG-FAQ benennt die Geschlechtsidentität als Essenz der Geschlechtszugehörigkeit, wobei auch hier auf die medizinische Expertise Bezug genommen wird, da das FAQ an dieser Stelle die Einschätzung der Bundesärztekammer referiert, die Geschlecht von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wahrnimmt.541 Während

539 Bundesministerium der Justiz; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022a): S. 1. 540 Vgl. Bundesministerium der Justiz; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022b): S. 3f. 541 Vgl. Bundesministerium der Justiz; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022a): S. 3f.

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das Gesetz rechtlich nun also einige zuvor gut bewachte Grenzen hinsichtlich des Geschlechts frei gibt, dass Individuum sozusagen dejure aus der gesetzlichen Geschlechterordnung freigesetzt wird, zeigt der Diskurs um die Umsetzung des Gesetzes und einzelne Formulierungen bzw. Kernbereiche, dass die Grenzen defacto nach wie vor stark umkämpft sind. Auch darauf geht das FAQ ein, indem die wichtigsten Kernthesen der Gegner*innen des SelbstBestG aufgegriffen und widerlegt werden. In diesem Kontext wird darauf verwiesen, dass Gleichstellungsdaten in der Regel bereits auf Selbstauskünften beruhen, somit die neue Gesetzgebung in diesem Fall keine Veränderung darstellt. Auch die Frauenschutzräume werden thematisiert und in diesem Kontext darauf verwiesen, dass die Aufnahme in ein Frauenhaus nicht staatlich geregelt sei, sondern über die jeweiligen Leitenden entschieden wird, und es bereits Aufnahmestellen explizit für transgeschlechtliche Frauen gibt. Eine missbräuchliche PÄ hält der Gesetzgeber für unwahrscheinlich, da Strafverfolgung nach wie vor möglich sei, zudem ein bürokratisch hoher Aufwand erforderlich ist, der keinerlei Vorteile für nicht-trans-/intergeschlechtliche Menschen bringe.542 Die Regierung zeigt sich mit der Umsetzung des SelbstBestG gegenüber dem Lobbyismus von medizinischer und cisfeministischer Seite aus gefestigt, da der Staat als Gesetzgeber hier als letztgültige Instanz entschieden hat, die Kriterien zur Ordnung der Gesellschaft selbst zu bestimmen, wenngleich Geschlecht als solches nicht durch den Staat klar definiert wird und somit weiterhin für den Diskurs offenbleibt. Die Umsetzung des SelbstBestG fordert jedoch erneut Kritiker*innen heraus, welche vor allem Jugendliche im Alter von 14 Jahren als unfähig befinden, über das eigene Geschlecht bestimmen zu können. Interessant ist in diesem Kontext, dass die Sozialisationsforschung innerhalb der Erziehungs- und Sozialwissenschaften ebenso wie die Entwicklungspsychologie seit vielen Jahrzehnten darauf verweisen, wie wichtig es für Kinder und Jugendliche ist, ihrer Entwicklung ergebnisoffenen und unterstützend zu begegnen. Darüber hinaus haben einschlägige Soziologen gezeigt, dass die Identität fluide, weil flexibilisiert, dereguliert und liberalisiert (Zygmunt Bauman und Anthony Giddens) sei, zudem transitorisch, weil unabgeschlossen und veränderbar (Jürgen Straub und Joachim Renn). Neuere soziologische Studien zeigen zudem, dass die Identität auch als multiple verstanden werden kann, da die Identifikationsangebote derart dynamisch seien (Jürgen Straub) und auch eine Verkettung mehrerer Identitäten möglich ist, wodurch Identitäten als hybride verstanden werden können (Andreas Reckwitz) oder gemessen an der Rollendifferenzierung durchaus auch als situativ artikulierbar (Hartmut Rosa). Es ist also kaum nachvollziehbar, warum eine PÄ nur von volljährigen Bürger*innen vorgenommen werden sollte, die in ihrer Entwicklung als gleichermaßen offen wahrgenommen werden können wie Kinder und Jugendliche, zumal das SelbstBestG durchaus den erneuten, sogar mehrfachen Wechsel des Personenstandes anerkennt, wodurch die PÄ reversibel ist. Das SelbstBestG als politisches Ziel ist, wie gezeigt wurde, emanzipativ zwar ein Gewinn, überlässt aber die Individuen damit gradewegs in ihre individuelle Verantwortlichkeit, wenn die Auseinandersetzung um Geschlecht und die Frage, »was 542 Vgl. Bundesministerium der Justiz; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022a): S. 4ff.

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das Geschlecht ist und wieso es ist«, nicht mehr als öffentliche Angelegenheit verstanden werden, sondern zum Kampffeld des Privaten. Aus diesem Grund ist es geboten, Geschlecht als Humandifferenzierung und Ordnungskategorie von Macht-/ Hierarchieverhältnissen wieder in den öffentlichen Raum zu tragen und der Gemeinschaft die Verantwortungsübernahme abzutreten, Diskriminierung als Versagen der Gemeinschaft zu verstehen und nicht als individuell verschuldete. Ebenso fatal wäre es entlang des SelbstBestG das »Postgender-Zeitalter« auszurufen. Die Phänomenologin Ute Gahlings bezeichnet Postgender als Ziel des »Degenderings«, durch welches die Geschlechterdifferenz unbenennbar werde. Sie mahnt, dass lebensweltliche Erfahrungen in Beliebigkeit aufgelöst würden: »Fatal an dieser Entwicklung ist, dass Lebens- und Erfahrungsweisen aus dem Blick geraten, die nach wie vor oder sogar auf neue Weise mit Geschlechtlichkeit verbunden sind, aber noch nicht zureichend verstanden sind und nicht zuletzt deshalb auch Fragen im Bereich von Ethik, Politik und Lebenskunst aufwerfen.«543 Als typische Erfahrungsweisen bezeichnet Gahlings biografische Umbrüche wie Thelarche (Brustwachstum) oder Menarche (erste Menstruation), Fruchtbarkeit und Schwangerschaft oder analog dazu die Spermarche (erster Samenerguss), Bartwuchs und die Erektion, wobei neben der Erfahrung einer körperlichen Veränderung auch eine soziale Veränderung spürbar wird, da die körperlichen Veränderung eine Verhaltensänderung mit sich bringen, indem Hygieneartikel und Büstenhalter gekauft werden müssen, eine Rasur erfolgt oder Verhütungsmittel relevant werden. Die lebensweltliche Erfahrung bettet diese Erfahrungen in eine etablierte Geschlechtermatrix ein. Aus der Verschränkung geht nach Gahlings eine geschlechtliche Leiblichkeit hervor, aus der durchaus auch Leidensformen und Lebensmöglichkeiten hervortreten.544 Geschlechtlichkeit erzeuge somit eine existenzielle Betroffenheit. Aus diesem Grund erkennt Gahlings in den juristischen Novellierungen bzgl. Geschlecht (z.B. der rechtlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts), dass daraus völlig andere Herausforderungen an das geschlechtliche Selbstverständnis hervorgehen, als über die geschlechtlichen Standardfolien »weiblich« und »männlich«.545 In diesem Zusammenhang sei es problematisch, startend vom biologischen Determinismus über eine rein kulturelle Essentialisierung hin zum Wunsch nach einem Postgender, den Geschlechtskörper und damit auch den Geschlechtsleib auszuklammern. Problematisch erscheint in diesem Kontext jedoch, dass ein Geschlechtsleib noch viel weniger als ein Geschlechtskörper generalisierbar ist, da Erfahrungen immer subjektiv sind und nicht ausschließlich auf das Geschlecht beziehbar, sondern in Verschränkung mit weiteren Existenzweisen wie bspw. Lebensalter und Sozialstatus verstanden werden müssen und stark von kulturellen wie ökonomischen Einflüssen abhängen. Der Geschlechtsleib wäre demnach, durch die erlebten Erfahrungen keineswegs frei wählbar und werde im Widerstreit von Natur und Kultur vergessen: »Neben sex und gender wird damit eine weitere, wesentliche Dimension geschlechtlicher Existenz erschlossen.«546 Diese Schlussfolgerung bedarf jedoch als Grundannahme, dass Geschlecht als Identitätskategorie an die

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Gahlings (2017): S. 118. Vgl. Gahlings (2017): S. 119. Vgl. Gahlings (2017): S. 120. Gahlings (2017): S. 125.

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reproduktiven Fähigkeiten gebunden wird, da diese maßgeblich die Erfahrungen beeinflussen, mit denen Gahlings ihre Theorie entfaltet. Wie zuvor beschrieben, entsteht der Geschlechtsleib durch die Erfahrung, welche körperliche Veränderungen mit lebensgeschichtlichen Situationen verschränkt und so nach Gahlings neben der Selbstwahrnehmung auch die Fremdwahrnehmung beeinflusst.547 Durch die kulturelle Ebene könnten so auch gruppenspezifische Gefühlslagen entstehen, die nicht grundsätzlich verallgemeinerbar sind, aber gleichsam wirkmächtig gegenüber dem Individuum.548 In Anbetracht des Widerspruchs, dass sich die Geschlechterrollen zwar immer mehr angleichen, es jedoch immer noch Sexismus und somit geschlechtliche Diskriminierungserfahrungen gibt, hält Gahlings eine Dekonstruktion von Geschlecht (degendering) für fatal: »Das ist kein guter Zustand in einer Welt, in der anderenorts gender noch überwiegend fest zementiert ist und Heteronormativität nicht einmal reflektiert wird.«549 Statt einer Dekonstruktion, fordert Gahlings daher eine Gesellschaft, »die heteronormative Zurichtungen und vermeidbares Leiden an der Geschlechtlichkeit« überwindet.550 Ebenfalls phänomenologisch argumentiert Joerg H. Y. Fehige, wenn er die leibliche Verfasstheit als konstitutives Moment der Sozialwelt versteht.551 Fehige erkennt in der Frage nach der realen Essenz (Natur vs. Kultur) eine epistemologische Frage, da sich diese um eine begriffliche Erfassung und damit zusammenhängend um eine Verhältnisbestimmung bemüht.552 Fehige wendet sich aus dieser theoretischen Richtung dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit zu: »Im Visier habe ich besonders die etablierte Überzeugung, dass im Fall der Transsexualität sich eine originäre, nur aus der Perspektive der Ersten Person zugängliche Geschlechtsidentität gegen eine als unpassend empfundene Klassifikation aus der Perspektive der Dritten Person behauptet. Diese Überzeugung scheint sich angesichts der Irritation einzustellen, die daraus erwächst, dass im Fall der Transsexualität der geschlechtliche Körper im biologischen Sinn nicht mehr als Garant oder Verankerungspunkt der Geschlechtsidentität zu fungieren vermag. Die entstandene Leerstelle wird seitens des Essentialisten mit einer angeborenen, im Innern des Menschen schlummernden Geschlechtsidentität gefüllt.«553 Fehige wendet sich also gegen die Vorstellung einer Inkongruenz, welche Transgeschlechtlichkeit als mangelnde Übereinstimmung von zugeschriebenem Körpergeschlecht und empfundener Geschlechtsidentität konstruiert, vielmehr ließe sich das,

547 548 549 550 551 552 553

Vgl. Gahlings (2017): S. 129. Vgl. Gahlings (2017): S. 130. Gahlings (2017): S. 136. Gahlings (2017): S. 136. Vgl. Fehige (2009): S. 758. Vgl. Fehige (2009): S. 762. Fehige (2009): S. 758.

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was Fehige im Phänomen der Transgeschlechtlichkeit erkennt, als Eigenmütigkeit554 bezeichnen: »Eine Person Ρ ist transsexuell, wenn Ρ (i) auf Grund einer sexuellen Eigenwahrnehmung (ii) eine Geschlechtsidentität behauptet, dem eine Irritation seitens der sozialen Umwelt von Ρ korrespondiert und (iii) von einer Entfremdung bei Ρ zum eigenen geschlechtlichen Körper im biologischen Sinn begleitet wird, was Ρ zu der Überzeugung bringt, den falschen geschlechtlichen Körper im biologischen Sinn zu haben.«555 Diese generalisierte Annahme würde bedeuten, dass sich eine Person durchaus in Selbstprädikation der Fremdprädikation widersetzt, jedoch entlang des Wunschs nach körperlicher Transformation oder PÄ der gesellschaftlichen Erwartungshaltung fügt. Das würde aber voraussetzen, dass die Geschlechtsidentität in keinem Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung stehe, um somit als Selbstprädikation zu gelten hat. Gilt die Geschlechtsidentität als verschränkt mit einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung und gleichzeitig als selbstbestimmt, so muss im Umkehrschluss das Körpergeschlecht ebenso selbstbestimmt behandelt werden, geht es doch mittels Naturalisierung eine Verschränkung mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung ein. »Es ist nicht so, als ob der Transsexuelle vom geschlechtlichen Körper im biologischen Sinne einfach absieht, um genuiner sexueller Eigenwahrnehmung Raum zu verschaffen. Transsexuelle Menschen widersetzen sich vielmehr einem bestimmten Begründungsverhältnis, das gemäß dem Begriffsrahmen gilt, innerhalb dessen sich die Fremdprädikation bewegt […]«556 und bei transgeschlechtlichen Personen eine existenzielle Krise auslöst. Dass Transgeschlechtlichkeit jedoch auch nicht entlang rein physischer Bedingungen erklärbar ist, ergibt sich daraus, dass hier die Geschlechtsidentität nicht aus dem Körpergeschlecht hervorgeht, womit den Bedingungen die notwendige Kausalität fehle.557 Allerdings, das räumt auch Fehige ein, handle es sich bei einer vermeintlichen Essenz des Geschlechts zunächst um eine Überzeugung und die ließe sich nicht »mittels kausaler Beziehungen erklären, sondern nur mittels Rechtfertigungsbeziehungen.«558 Diese Rechtfertigungsbeziehung ergibt sich, indem andere Überzeugungen begrifflich herangezogen werden und sozusagen ein System der Überzeugungen bilden, was einem Holismus entspricht, da davon ausgegangen wird, dass nur das Ganze und nicht die einzelnen Teile Phänomene erklären können.559 Hier wird verständlich, wieso der Widerstreit

554 Dieser von uns gewählte Neologismus (Eigenmütigkeit) soll mittels des Adjektivs eigen als etwas, »was jemandem selbst gehört«, und des Suffixes -mütig, was auf eine Ableitung verweist, sowie mittels des Suffixes -keit, welches eine Substantivierung vornimmt, auf Transgeschlechtlichkeit als eigenmütig, also als eine vom Geschlechtskörper abgeleitete Geschlechtsidentität, verweisen, die jedoch anders als eine Einmütigkeit keine Übereinstimmung von Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität voraussetzt. 555 Fehige (2009): S. 765. 556 Fehige (2009): S. 766. 557 Vgl. Fehige (2009): S. 768. 558 Fehige (2009): S. 768. 559 Vgl. Fehige (2009): S. 769.

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zwischen Natur und Kultur ein grundsätzlicher ist, da hier die Überzeugungen entweder von einem natürlichen oder einem nicht-natürlichem (sozialen) System abgeleitet werden und dies keine Verschränkung aus Sozialem und Natürlichem zulässt, anders gesagt, die Sichtweise, das Soziale sei natürlich, die Natur als Bedingung verstärkt, und die Sichtweise, die Natur sei sozial, das Soziale als Bedingung verstärkt. In dieser Hinsicht muss es als – von vorneherein – vergeblicher Versuch angesehen werden, dass die eine Seite die andere überzeugt. Auf dieser Ebene eine rechtliche Lösung zu finden ist aussichtslos. Ebenso aussichtslos ist es mit Fehige, die Ordnungskategorie Geschlecht entlang eines reproduktionsfähigen Körpers zu legitimieren, nur weil daraus neue Menschen hervorgehen und diese in ein verwandtschaftliches Verhältnis gesetzt werden müssten: »Die reproduktionsfähigen Körperteile erscheinen so als der Dreh- und Angelpunkt, um den geschlechtlichen Körper im biologischen Sinn in der Welt vorfinden zu lassen.«560 Diese Rechtfertigung würde bedeuten, dass der biologische Sinn überhaupt nur dann eine Existenz als Mensch hervorbringt, wenn dieser der Reproduktion fähig ist, wodurch alle Existenzen ohne Reproduktionsfähigkeit aus dem Bereich des Menschlichen zu verweisen wären. Rechtlich gesehen ist dies nicht möglich, da eine Existenz qua Geburt – noch weit bevor ermittelbar ist, ob diese reproduktionsfähig ist – Würde zugesprochen bekommt, und es also nicht möglich ist, jemanden wegen fehlender Reproduktionsfähigkeit aus dem Bereich des Menschlichen zu verweisen. In diesem Zusammenhang wäre in kommenden Gesetzentwürfen für ein SelbstBestG der aktuell regierenden Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu berücksichtigen, dass es nun aufgrund neuer Methoden innerhalb der Reproduktionsmedizin möglich ist, ein Embryo mit dem Erbmaterial aus drei »biologischen Eltern« zu zeugen und erfolgreich zu gebären.561 Dementsprechend wären die Verwandtschaftsverhältnisse und Elternschaft rechtlich neu auszuhandeln. Bezüglich einer rechtlichen Definition des Geschlechts wäre nach Lyotard eine Verkettung von Namen und Bedeutung nur durch Rekurrierung auf eine Erfahrung möglich. Die perzeptive Wahrnehmung, welche Lyotard beispielhaft anführt, geht von der These aus, dass je nach Blickwinkel, aus dem betrachtet wird, das Betrachtete eine andere Erscheinung habe. Somit wird ein Referent immer in seiner aktuellen Erscheinung als auch in seiner aktuell möglichen Erscheinung betrachtet. »Auf diese Weise bilden sich ›Objekt‹ und ›Subjekt‹ gemeinsam an den beiden Polen des Blickfeldes.«562 Dieser Ansatz Lyotards könnte das Problem des Widerstreits lösen, indem beide Sichtweisen als 560 Fehige (2009): S. 776. 561 Bei der Methode wird ein Teil des Erbguts in der Eizelle der einen Person, welche an einer mitochondrialen Erkrankung leidet, durch eine entkernte Spender-Eizelle mit gesunden Mitochondrien eingesetzt (vgl. Ärzteblatt [2017]; Zeit-Online [2016]). Bereits 2015 wurde ein ähnliches Verfahren mit bereits befruchteten Eizellen erfolgreich durchgeführt, was jedoch moralische Bedenken bei manchen Eltern hervorruft, da Embryonen so – wenngleich in einem sehr frühen Entwicklungsstadium – als Ausschuss-Humanressource entsorgt werden (vgl. Zeit-Online [2015]). Auch wenn dieses Verfahren in Deutschland nicht erlaubt ist, so werden sich Menschen mit deutscher Nationalität und Kinderwunsch sicher nicht davon abhalten lassen, im Ausland diese vielversprechende Behandlung in Anspruch zu nehmen. 562 Lyotard (1987): S. 85.

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gleichwertige und gleichzeitig nicht gleiche Sichtweisen auf Geschlecht betrachtet würden. In Selbstbeschreibung erkennt ein Subjekt sich bspw. als Frau und wird durch die Zuschreibung als männliches Objekt gelesen. Hierin würden sich einfach nur zwei differente Erfahrungsräume öffnen, die zu unterschiedlichen Erscheinungen des Referenten führen, nicht aber zu der Anzweiflung der Bedeutung des Referenten per se. »Die Wirklichkeit läßt sich also nicht durch einen Satz ausdrücken wie: x ist derart, sondern durch einen Satz wie: x ist so und so.«563 Das liege daran, dass die Wirklichkeit immer nur eine aktuelle Beschreibung und somit keine absolute für alle verbindlichen Wahrheit ist. Die Wirklichkeit zu behaupten, bedürfe demnach der Einsicht, sie nur unter dem einen Aspekt gesehen zu haben, aber zu erkennen, dass es noch viele weitere Möglichkeiten einer Wirklichkeit gibt,564 die Bedeutung sich also nie auf reale Eigenschaften eines Referenten einschränken lässt. Die Bedeutungsinflation ließe sich nur durch die Anwendung von Validierungsregeln einschränken, was bedeutet; wenn eine Behauptung aufgestellt würde, so müsse diese Behauptung auch belegbar sein.565 Im Fall von Geschlecht wäre eine Beurteilung mittels Fremdzuschreibung nur dann zulässig, wenn gesagt wird, ich nehme Person X als Frau wahr, nicht zulässig wäre es zu behaupten, Person X ist eine Frau, denn dafür hat die zuschreibende Person keinen Beweis, für ihre eigene Wahrnehmung hingegen schon. Dementsprechend wäre zwar nach wie vor zu überlegen, ob Geschlecht weiterhin als rechtliche Ordnungskategorie gebraucht wird und dies entsprechend zu begründen, dabei aber darauf zu verzichten, das von einer vorausgehenden Klärung abhängig zu machen, welche Essenz Geschlecht hat. Die bloße Existenz von trans-, nichtbinär- und ageschlechtlichen Personen zeigt, dass ein bestimmtes Körpergeschlecht keinesfalls zwangsläufig eine bestimmte Geschlechtsidentität hervorbringt.566 Mit Baumans Theorie der Flüchtigen Moderne kann hier auf den sinnbildenden Begriff der Flüssigkeit zurückgegriffen werden. Eine Flüssigkeit ist im Gegensatz zum festen Körper nicht in ihrer Position fixiert, sondern entspricht mit ihrer fließenden Bewegung einer fortwährenden Veränderung.567 »Während Festkörper eine klare räumliche Ausdehnung haben und die Auswirkungen der Zeit neutralisieren und damit deren Bedeutung verringern (tatsächlich widerstehen sie dem Zeitfluß oder lassen ihn irrelevant scheinen), behalten Flüssigkeiten auf Dauer keine feste Form; sie sind jederzeit bereit und geneigt, sie zu verändern.«568 Bauman erkennt hier einen wichtigen Unterschied, denn während der Raum den Körper bestimmt, sei die Flüssigkeit ausschließlich zeitabhängig. Auf das vorliegende Thema und den Konflikt zwischen sex und gender übertragen, zeigt der Geschlechtskörper eine Begrenzung, bspw. durch die Gesetzgebung, während die Geschlechtsidentität mit der Zeit im Fluss veränderbar erscheint. Bauman beschreibt die Moderne als derart flexibilisiert, dereguliert und liberalisiert, wodurch sie die Eigenschaften einer Flüssigkeit habe, weil alle bestehenden Verhältnis563 564 565 566

Lyotard (1987): S. 85f. Vgl. Lyotard (1987): S. 86. Vgl. Lyotard (1987): S. 90. Ähnlich verhält es sich mit der Heteronormativität, welche zwecks Fortpflanzung mittels einer Naturalisierung das gegengeschlechtliche Begehren normalisiert, wobei die Existenz von homo-, aund bisexuellen Menschen zeigt, dass die Fortpflanzung trotz ihrer Existenz gesichert ist. 567 Vgl. Bauman (2003): S. 7. 568 Bauman (2003): S. 8.

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se und Ordnungen aufgelöst scheinen und »jene Verbindlichkeiten, die Individuen in kollektiven Projekten zusammenschweißen – die kommunikativen Muster und Strukturen der Handlungskoordination, die individuelle Lebenspläne an kollektives politisches Handeln binden« schwinden.569 Bauman erkennt darin die Wurzel für viele Konflikte, da den Menschen die Bezüge fehlten, derer sie für die individuelle Selbstkonstruktion jedoch bedürften: »Keiner kennt das Ziel, es ist beweglich geworden, man muß mehrmals die Richtung ändern, bevor man ans Ende kommt, und dieses Ende ist das Ende des individuellen Lebens.«570 Die gesellschaftlichen Orientierungsmuster haben an Verbindlichkeit eingebüßt, das – in gegenseitige Verpflichtung Eingebunden- – Sein werde deswegen als schädlich empfunden, der soziale Zusammenhalt zerfalle und es kommt zu sozialer Desintegration.571 Das Bilden kleinster gemeinschaftlicher Zweckeinheiten kann als ein Versuch sozialer Reintegration verstanden werden und der Kampf um Anerkennung der kollektiven Identität dieser Zweckeinheit als Versuch neue Orientierungsmuster zu finden. Einen vielversprechenden Ansatz liefert in diesem Kontext Christel Baltes-Löhr. Auch sie hält den Streit zwischen Biologie und Konstruktion als Determinante und als Geschlechtsdefinition nicht für ausreichend, da mittels Benennung keineswegs ein Beweis für die wahre Essenz erbracht werde.572 Eine bipolare, dazu antagonistische Geschlechterordnung wird diesen Widerstreit nicht lösen, so Baltes-Löhr. Vielmehr dränge sich dadurch die Frage nach dem Richtigen bzw. dem Falschen auf.573 Stattdessen beschreibt Baltes-Löhr Geschlecht daher als Kontinuum, welches vier Dimensionen umfasst; (1) das Physische (Materie), (2) das Psychische (Empfinden), (3) das Soziale (Verhalten) und (4) das Sexuelle (Begehren).574 Die Notwendigkeit, das Geschlechterverständnis neu zu justieren, ergebe sich aus dem Paradigmenwechsel im Geschlechterdiskurs, welcher von einer binär-heteronormativen Gesellschaftsordnung entlang der Pluralität von Geschlechterkörpern und -verhältnissen neues Wissen hervorbringe.575 Vor dieser bipolaren antagonistische Anordnung würden plurale Lebensformen als Bedrohung wahrgenommen. In der Denkfigur des Kontinuums erkennt Baltes-Löhr die Chance, dass Vielfalt nicht mehr als Abweichung von der Norm, sondern die Norm als Teil der Vielfalt auf einem Kontinuum angeordnet ist.576 Vor allem aber würde die Denkfigur des Kontinuums der Verschränkung der Dimensionen gerecht, indem sich die dadurch hervorgehende Variabilität des Geschlechts vorstellen lasse, da das Kontinuum polypolar zu verstehen sei.577 Mit dem Begriff der Polypolarität umfasst Baltes-Löhr, »dass je nach lebensbiographischen und zeithistorischen Abschnitten und je nach kulturellem Kontext das eine

569 570 571 572 573 574 575 576 577

Bauman (2003): S. 12. Bauman (2003): S. 14. Vgl. Bauman (2003): S. 14; S. 21f. Vgl. Baltes-Löhr (2017): S. 11. Vgl. Baltes-Löhr (2017): S. 12. Vgl. Baltes-Löhr (2016): S. 74. Vgl. Baltes-Löhr (2016): S. 75. Vgl. Baltes-Löhr (2016): S. 81. Vgl. Baltes-Löhr (2016): S. 82.

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oder das andere Geschlecht oder auch kein Geschlecht als Ordnungspol, als Orientierungspunkt für einzelne Menschen, Gruppen und Gesellschaften aufscheinen und wirkmächtig werden.«578 Die Polypolarität hebt das Zentrum und seine Peripherie als feste Bezugspunkte auf, während das Kontinuum dennoch die Identität als kontinuierlich, wenngleich fluide Zusammenhängend darstellen lässt. Dementsprechend wäre Geschlecht nicht mehr greifbar, bliebe aber benennbar und verhielte sich begrifflich ähnlich wie der Begriff Heimat, welcher sich auf eine konkrete Örtlichkeit (Materie) beziehen kann oder auf ein Gefühl von örtlicher Verbundenheit (Empfinden), als das, wo einem die Menschen vertraut sind (Verhalten), oder als Phantasie von Zugehörigkeit (Begehren). Geschlecht als Heimat zu verstehen, könnte eine Erkenntnis daraus sein, dass Heimat etwas ist, was von jedem Menschen individuell verstanden wird, und durchaus immer wieder dem Versuch der Eingrenzung und Einhegung ausgesetzt ist.

5.6 Ein Weg in die Praxis: Critical Cisness im Alltag und in der Politik Während die Identifikation auf individueller Ebene angesiedelt wird, sind es die Eingrenzung und Einhegung, die gesellschaftlich und somit auf struktureller Ebene ausgehandelt werden. Im Übertrag der Ergebnisse der vorausliegenden Analysen in die Praxis ist es daher sinnvoll Mikro und Makro Ebene getrennt voneinander zu betrachten.

5.6.1 Mikro-Ebene: Critical Cisness579 Paula-Irene Villa verweist darauf, dass selbst die Selbstverständlichkeit der Wirklichkeit als Ausdruck sozialer Verhältnisse verstanden werden muss, also nicht als »unverfügbares So-Sein«, sondern als das »umkämpfte, immer vorläufige Ergebnis sozialer Dynamiken«.580 Die sozialen Dynamiken zeigen sich nach Villa bspw. darin, dass manche Gruppen über eine große Handlungs- und somit Definitionsmacht verfügen, während andere nicht einmal gehört werden. So verwundert es nicht, dass Villa auch den geschlechtlichen Kategorien ihr So-Sein abspricht: »Die ›Frau‹ ist die eine Seite einer Geschlechterdifferenzierung, die aus Biologischem wie Kulturellem besteht. […] ›Frau‹ ist eingelassen in eine biosoziale Differenzierung mit auch physiologischen und bedingt verfügbaren somatischen Dimensionen, die selbst kulturell gedeutet und historisch konstituiert sind.«581 Was hier sperrig und abstrakt klingt, ist gleichzeitig real, indem die Geschlechtskategorien erlebt werden; mal als Identifikation, weil sie passend scheinen, mal als Desidentifikation, weil sie nicht passend sind, mal als Ausschluss, weil sie vorenthalten werden:

578 Baltes-Löhr (2017): S. 13. 579 Bereits 2021 habe ich mit Studierenden den Begriff entwickelt und erste Überlegungen angestellt, wie eine Critical Cisness Praxis aussehen kann (Vanagas [2021]: S. 17ff.). Eine Monografie mit einer grundlegenden Darstellung des Konzepts erscheint in Bälde. 580 Villa (2022): S. 251. 581 Villa (2022): S. 254.

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»Die Geschlechterdifferenz als Diskurs und verobjektivierte Gesellschaftsstruktur ordnet Menschen, ihre Praxen und ihre Körperlichkeit in kaum zu überschätzender Weise ein und zu. Dies geschieht mit viel administrativem Aufwand und mit einer relevanten Dosis an diskursivem beziehungsweise rechtlichem Zwang und unter Anwendung zum Teil real-körperlicher Gewalt.«582 Die Geschlechtskategorien sind mit Villa somit unverfügbares So-Sein, welches sich jedoch nicht von allein realisiert, sondern »ein Ordnungsmuster von enormer Wirkmächtigkeit« und damit ein verfügbar machendes Sollen-Sein.583 Andrea Maihofer erkennt in diesem Zusammenhang »das Verhältnis von Selbstaffirmierung und Veranderung als zentrale Mechanismen der Reproduktion westlicher bürgerlicher Gesellschafts- und Geschlechterordnungen«.584 Die Veranderung, welche in Bezug auf das Geschlecht mittels Zweiteilung in das eine (Mann) und das andere (Frau) teilt, schafft das Differente erst. Durch die Phänomene der Inter- und Transgeschlechtlichkeit erfuhr die binäre Geschlechtereinteilung nun eine weitere Differenzierung in das Normale, weil im Rahmen der Binarität stattfindende, und das Unnormale, das von dieser als natürlich und selbstverständlich gesetzten Binarität abweicht. Auf Grundlage der Veranderung kann nun die Selbstaffirmierung als »ein aktiver, selbstbestimmter Akt der Selbstpositionierung des Subjekts« vollzogen werden.585 Wenngleich im vorliegenden Diskurs die Existenz von trans- und intergeschlechtlichen Personen infrage gestellt wird, braucht es diese vermeintlich »unnormalen« Existenzweisen, um das Selbst als normal zu bejahen und Geschlecht positiv zu stilisieren. Wird die Kategorie Frau als das Andere der Kategorie Mann erzeugt, so entsteht ein Machtungleichgewicht zwischen den Kategorien, was im Patriarchat zum Ausdruck gebracht wird. Die Differenzierung zwischen Normal (Binär) und Unnormal (Nicht-Binär) verstärkt die Ursprungsdifferenzierung, da hier die Binarität essentialisiert und als selbstverständlich verstanden auch die Hierarchisierung der Geschlechterkategorien bestätigt, was wiederrum ebenso dem Patriarchat zugutekommt. Schließen sich Feminist*innen also der Ablehnung des SelbstBestG an, da sie die Binarität als natürlich gegeben konstruieren und als objektive Wahrheit definieren, stimmen sie damit im Umkehrschluss dem Patriarchat zu. Dass sich Feministinnen wie Alice Schwarzer hierbei auf Simone de Beauvoir berufen, ist höchst irritierend, da Beauvoir bereits 1949 darauf hinwies, dass die Zweiteilung »durch keine empirische Gegebenheit bedingt« ist.586 Maihofer zeigt also auf, dass selbst dann, wenn mittels Wir-Bezug der Feminismus die Gruppe der Frauen hegemonial besser stellen will, dies die Machtverhältnisse verstetigt, indem diese Besserstellung nur auf Kosten einer Deprivilegierung anderer stattfinden kann. Im vermeintlichen Kampf gegen das SelbstBestG wird jedoch mittels dieser Deprivilegierung keine Macht-Umverteilung zwischen den binären Kategorien Frau und Mann erzeugt, sondern die Kategorie Frau privilegiert, indem die vermeintliche Abweichung von der bi582 583 584 585 586

Villa (2022): S. 254. Villa (2022): S. 260. Maihofer (2014): S. 319. Maihofer (2014): S. 320. Beauvoir (2005): S. 12.

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nären Norm, also trans- wie intergeschlechtliche Personen, als Feind- und Angstbilder konstruiert werden, und dadurch bezweckt wird, Frauen wieder zum Thema der Gleichberechtigung zu machen und Frauen-Anliegen gesellschaftlich zu fokussieren. Dadurch also, dass Selbstaffirmierung und Veranderung eine dialektische Beziehung darstellen, verläuft die Selbststilisierung nach Maihofer immer über die Veranderung.587 Für die Kategorie Frau bedeutet das, dass sie als das Andere der Kategorie Mann, dieser aufgrund der Abwertung zur positiven Selbststilisierung verhilft, und sofern die Kategorie Frau mittels Veranderung der nicht-binären Geschlechtsweisen in Form einer Abwertung durch Existenzverweigerung dann zu einer positiven Selbststilisierung findet, gibt sie den Kelch der patriarchalen Unterdrückung weiter, statt die patriarchalen Strukturen selbst anzugreifen. Indem also transgeschlechtlichen Männern die Männlichkeit abgesprochen wird und transgeschlechtlichen Frauen pauschal unterstellt wird, ihr eventuell vorhandener Penis könne zur männlichen Waffe werden, erfolgt keine Umverteilung der Macht und Besserstellung der Kategorie Frau, sondern wird die Machtstellung der Kategorie Mann reproduziert. »Deshalb ist es problematisch, wenn der Fokus, wie häufig, vor allem auf der kritischen Analyse der Veranderungen liegt. Im Gegenteil, gilt es die Prozesse der Selbstaffirmierung stärker als ›eigenständige‹ Prozesse in die Analyse und Konzeptionalisierung einzubeziehen«.588 Doch wie kann diese dialektische Beziehung aus Veranderung und Selbstaffirmierung als Ursprung der Subjektivierungsweise, also der Beheimatung des Selbst in einer (geschlechtlichen) Identität, überwunden werden? Maihofer schlägt hier vor, die hegemoniale (Selbst-)Kritik zum unabdingbaren Moment der emanzipatorischen Praxis zu machen, denn: »In der selbstkritischen Reflexion auf das hegemoniale epistemische Regime, das das eigene Denken konstituiert, wird erkennbar, wie sehr die eigenen Wissens- und Lebensformen immer zugleich Teil gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsmechanismen sind. Aus diesem Grund ist Hegemonie(selbst)kritik, die Kritik an den herrschenden Weisen des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns unabdingbar für Kritik als emanzipatorischer Praxis.«589 Wir schlagen in diesem Kontext vor, aus bereits existierenden emanzipatorischen Praxen zu lernen, bspw. von der rassismuskritischen Praxis »Critical Whiteness«, die den Fokus vom Rassismusobjekt zum Rassismussubjekt richtet und mittels Selbstkritik rassistische Strukturen verändern will. So zeigt bspw. bell hooks auf, dass eine Einstellungsänderung dazu führen kann, die Welt mit anderen Augen zu sehen und andere nicht mit der eigenen Weißheit zu terrorisieren, sondern die Fähigkeit zu entwickeln, zu verstehen, wie die eigene »kulturelle Praxis die weiße Vorherrschaft fortschreibt, ohne damit lähmende Schuld oder Abwehr auszulösen«.590 Bezogen auf das Geschlecht möchten wir nun das Konzept »Critical Cisness« einführen, indem also nicht das vermeintlich Andere, sondern das geschlechtliche Selbst in

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Vgl. Maihofer (2014): S. 323. Maihofer (2014): S. 328. Maihofer (2014): S. 330. bell hooks (1994): S. 220.

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die Verantwortung genommen und kritisch reflektiert wird. »Critical Cisness« fordert einen Vierschritt vom Selbst; Antizipieren, Kritisieren, Reflektieren und Refigurieren. Die Ebene der Antizipation zielt auf die eigene Erwartungshaltung ab, indem diese sich nicht am schlechtesten Ausgangsszenario ausrichtet, sondern danach strebt, gemeinsam einen Weg zu finden, der für alle Gleichberechtigung garantiert. Zudem sollte die Erwartungshaltung für neues Wissen oder neue Lebensrealitäten offen sein und nicht als Gefahr für die eigene Lebensrealität begriffen werden. Antizipation bedeutet also nicht wie geläufig eine Vorausnahme oder ein Zuvorkommen und damit ein Übergehen der Anliegen meiner Gegenüber, sondern viel mehr das Vorweggreifen einer offenen und positiven Erwartungshaltung, die überhaupt erst einen gleichberechtigten interaktiven Prozess ermöglicht. Die Ebene der Kritik und der Reflexion werden nun detaillierter dargestellt um darauf aufbauend über eine mögliche Refiguration nachzudenken. »Critical Cisness« entspricht einer Haltung und somit weniger einem konkreten Verhalten, das sich durch Regeln oder Methoden anleiten und durchführen ließe. Als Haltung erzeugt das Konzept Wirkungen, die sich aber im Vorfeld nicht planen lassen. Bevor eine selbstkritische Haltung eingenommen werden kann, bedarf es zunächst einer Kritik; bspw. eine Kritik der Widersprüche zwischen dem humanistischen Ideal und der sozial benachteiligenden Praxis, zwischen dem eigenen Wunsch nach Selbstbestimmung und dem Abwehren des selbstbestimmten Verhaltens anderer. Kritik bedeutet aus dem altgriechischen übersetzt Urteilsvermögen, der Duden differenziert dies noch in die prüfende Beurteilung und die Chance zur Weiterentwicklung. Während Immanuel Kant in der Kritik die Kunst der Beurteilung erkennt, nimmt René Descartes in der Kritik den Zweifel wahr.591 Auch neuere Philosoph*innen befassen sich mit der Frage danach, was Kritik ist, so versteht Michel Foucault darunter »ein bestimmtes Verhältnis zu dem, was existiert, zu dem, was man weiß, zu dem, was man macht, ein Verhältnis zur Gesellschaft, zur Kultur […].«592 Für Foucault ist Kritik das Gegenstück zur Regierung des Selbst, die durch Konventionalisierungen, Gesetze und Normen das Selbst im Handeln steuert. Somit wäre Kritik auch »die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden«.593 Darauf aufbauend erkennt Judith Butler in der Kritik die Chance, Distanz zu den Selbstverständlichkeiten einzunehmen, indem nicht einfach der Moral gefolgt wird, sondern eine Selbstpositionierung erfolgt, die moralische Ansichten aktiv annimmt oder ablehnt, und so der Bereich des ethischen Handelns eröffnet wird.594 In diesem Sinne überführt Kritik immer in eine Praxis, welche Grenzen aufzeigt, sich in Beziehung zu den Grenzen setzt und ebenso die Begrenzung anderer durch das Selbst wahrnimmt. Mit Rahel Jaeggi werden Menschen nahezu zur Kritik angeregt, wenn bspw. die Ideale einer Gemeinschaft sich nicht mehr in der zwischenmenschlichen Praxis wiederfinden oder mit Rainer Forst gesprochen dann, wenn die Ideale einer Gemeinschaft nicht mehr ausreichend gerechtfertigt bzw. legitimiert sind.595

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Vgl. Kant (1999): S. 20f., vgl. Descartes (2001): S. 31. Foucault (1992): S. 8. Foucault (1992): S. 12. Vgl. Butler (2002): S. 253f. Vgl. Jaeggi (2015): S. 89; vgl. Forst (2013): S. 22ff.

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Demnach ermöglicht Kritik eine Selbstpositionierung gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen – zu denen auch Normen wie Gesetze gehören – und befähigt zu einem Selbstreflexionsprozess, mit dem ich meinen sozialen Platz mit dem anderer vergleichen kann und in den sozialen Verhältnissen Macht- und Hierarchieverhältnisse entdecke, die zu unterschiedlichen Privilegierungen oder Marginalisierungen führen und sich wechselseitig bedingen. Kritik kann aufgrund des sich eröffnenden Reflexionsprozesses auch als Möglichkeit zur Übernahme von Verantwortung verstanden werden. Butler hat in diesem Kontext herausgearbeitet, dass das eigene Leben immer stellvertretend für die Leben der Anderen verstanden werden muss, was den Kern von Sozialität umschreibt. Das eigene Leben steht immer in Abhängigkeit zum Leben der Anderen, was bedeutet, dass ich mich selbst gefährde, wenn ich das Leben anderer nicht bewahre.596 Das bedeutet jedoch auch, dass die Art und Weise, wie ich mich definiere, ebenso den Anderen definiert, weshalb Sabine Hark und Paula Irene Villa eine Selbstreflexion mit der Kritik des eigenen Standorts und des eigenen Wissen beginnen, entlang dessen Urteile auch über andere gefällt werden. Dazu gehört auch die Rechtfertigung vor sich selbst, welchen »Evidenzen und Plausibilitäten vordergründig gegebener, nicht-verhandelbarer, identitätsbasierter Differenzen« gefolgt wird.597 Hark und Villa verweisen darauf, dass soziale Positionen etwas mit Menschen machen, indem sie Erfahrungen vorstrukturieren und Handlungsmöglichkeiten eingrenzen, was dazu führt, dass manche Menschen genau deswegen allumfassend partizipieren können, während sich andere um ihre Existenz sorgen.598 Wer schließlich von sich behauptet ein humanistisches Weltbild zu pflegen, der*die sollte die eigenen Befürchtungen und Identitätsängste nicht mittels Ausschluss der ambigen und unbekannten Lebensentwürfe bearbeiten, sondern sich selbst im sozialen Raum neu positionieren, indem die eigenen Verwundbarkeiten jenen Verwundbarkeiten der Anderen – die ebenfalls um ihre Identität ringen – als gleich verstanden werden.599 Ein erster Schritt wäre es, all die Lebens- wie Liebensweisen, die unter dem anisogamen Ausschluss leiden, nicht unter dem Vielfaltsbegriff zu subsumieren und damit weiterhin die unangefochtene Norm zu entlasten, da sie so unmarkiert bleibt und sich der Kritik entzieht. Wie in der ersten Hälfte des zweiten Kapitels deutlich wurde, unterliegt das Geschlechtsverständnis einem Wandel und ist somit nicht genuin, sondern entspricht einem Entwurfscharakter. Durch die verschiedenen Deutungsrahmen, welche die Wahrnehmung und Darstellung von Geschlecht bedingen, ob es nun kulturell, biologisch oder möglicherweise verschränkt betrachtet wird, ist Geschlechterwissen niemals ein apriorisches Wissen, sondern immer standort- und erfahrungsabhängig. Aus diesem Grund sollte auch die Geschlechterordnung einer Refiguration unterzogen werden, indem die Gesellschaft neu geordnet wird. Das Ringen um eine Definition des Geschlechts führt anhaltend zu gesellschaftlichen Spannungen und zeigt auf, dass es als gesellschaftliche Ordnungskategorie nicht ausreichend gerechtfertigt ist und Geschlecht somit als sozialer Platzanweiser im sozialen Raum keine Berechtigung mehr

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Vgl. Butler (2012): S. 692f. Vgl. Hark; Villa (2017): S. 24. Vgl. Hark; Villa (2017): S. 26. Vgl. Hark; Villa (2017): S. 28.

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hat. Die Refiguration wird keineswegs künstlich erzeugt, da die bereits existierenden gesellschaftlichen Spannungen sie unlängst anstoßen, indem biologistische und kulturalistische Deutungsrahmen miteinander duellieren und eine Verortung des Selbst im sozialen Raum für alle Menschen erschweren. »Der Begriff der Refiguration lenkt den Blick auf die Frage nach dem durch Spannungen bewirkten Umbau gesellschaftlicher Ordnung und damit auch der Ordnungsprinzipien […] Dieser Prozess ergibt sich aus dem Zusammenstoß, der Spannung und dem Konflikt zwischen den Logiken unterschiedlicher Figurationen, die alltägliches Handeln, Emotionen, Imaginationen ebenso durchziehen wie Institutionen und Objektivierungen.«600 Die Refiguration bezieht sich also auf einen »Qualitätswechsel des Sozialen«, indem sie auf die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Deutungsrahmen und damit verbundenen Spannungen reagiert. Aus der Forderung nach einer Refiguration ergeben sich zwei praktische Stränge der »Critical Cisness«, indem Geschlecht in seiner Wirkmacht und somit als determinierendes Identitätsmerkmal entkräftet wird, was sich durch Hirschauers Konzept des »Undoing Gender« erreichen lässt, und indem Geschlechterhierarchien bewusst gemacht werden, demnach eingewirkt wird in die Prozesse der Privilegierung und damit zusammenhängend der Marginalisierung, was das »Allyship« Konzept leisten kann. Das »Undoing Gender« Konzept bemüht sich darum, die internalisierte Geschlechterrolle und interaktiv hergestellte Geschlechterdifferenz aufzubrechen, was nicht bedeutet, das Geschlecht als Identitätskategorie abzuschaffen, sondern vielmehr die Wirkmacht von Geschlecht zu reduzieren. Hirschauer greift hier auf die Systemtheorie Luhmanns zurück, die zeigt, dass das gesellschaftliche System effizienter arbeitet, wenn es funktional differenziert ist, statt entlang einer sozialen Schichtung zu differenzieren, wodurch für Hirschauer die Frage aufkommt, »warum eine Gesellschaft, die offenbar strukturelle Arrangements hervorgebracht hat, die Geschlechtsneutralität ermöglichen, diese Möglichkeiten nicht ausschöpft«.601 Beispielhaft für »Undoing Gender« könnte das Schaffen von Uni-Sex-Toiletten sein, der Verzicht auf eine geschlechtliche Anrede in eMails und Briefen, das Abschaffen der Geschlechtsabfrage auf Fragebögen bei Ämtern und Ärzt*innen, was in den allermeisten Fällen statistischen Zwecken dient und nicht sachdienlich ist. In all diesen Beispielen würde nach Hirschauer durch eine kleine Änderung auf die interaktive Aktualisierung des Geschlechts verzichtet, wodurch dieses nicht mehr als alltägliche Essenz internalisiert und die Möglichkeit zur Neutralisierung des Geschlechts eröffnet wird. Ein weiteres Beispiel wäre die anonymisierte Bewerbung, wodurch das Geschlecht für Berufe an Bedeutung verliert und so für alle die Berufswahl freier und selbstbestimmter wird.602 Nach Hirschauer würde die Reduktion der geschlechtlichen Adressierung im Alltag zwar nicht dazu führen, dass Geschlecht als Kategorie und Ordnungskonzept gänzlich verschwindet, aber sie würde unwichtiger werden. Das wiederrum hat einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung von 600 Löw; Knoblauch (2021): S. 31f. 601 Hirschauer (2001): S. 211. 602 Vgl. Hirschauer (2001): S. 217ff.

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Geschlechtsdiskriminierungen, indem die Benennung der Geschlechtskategorie etwas Außerordentliches darstellen würde und bewusster wahrgenommen wird. Darüber hinaus geschehen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts durch die »Etablierung der Geschlechtszugehörigkeit als Mitgliedschaftskategorie«, welche Individuen als kulturelle Objekte konstituiert, »die für Eigenschaftszuschreibungen tauglich sind – jene Stereotype von Männlichkeit und Weiblichkeit«, die schließlich auch die Geschlechterrolle eingrenzen und kaum Raum für individuelles Gestalten dieser lässt.603 Das »Allyship« Konzept setzt die vorausgehende Kritik ebenfalls aktiv in eine politische Praxis um. Der englische Begriff »Allyship« kann mit »Bündnis« ins Deutsche übersetzt werden. Somit wäre ein Ally als »Verbündete*r« jemand, die*der »gewisse strukturelle Privilegien besitzt und sich mit Menschen verbündet, die diese Privilegien nicht haben, sondern Diskriminierung erfahren«.604 Es geht also um eine Art der Verantwortungsübernahme, indem erkannt wird, dass die eigenen Privilegien daher rühren, dass anderen Menschen der Zugang zu Ressourcen verwehrt wird. »Allyship« sollte nicht als Hilfestellung missverstanden werden, sondern als Schuldbewusstsein in ein verantwortungsvolles Handeln überführen. Ein »Ally« ist demnach keine dauerhafte Identitätskategorie, sondern im Sinne Layla Saads eine Praxis, in der immer wieder auf ein Neues ausgelotet wird, welchen Vorteil ich daraus ziehe, der Norm zu entsprechen.605 Jamie Washington und Nancy J. Evans formulieren in diesem Kontext vier Stufen: die Bewusstwerdung, dass die eigene Lebensrealität nicht der Lebensrealität anderer entspricht; die Wissensaneignung über Diskriminierungspraxen und -wirkungen; das Erlernen von Kompetenzen, dieses Wissen in die Praxis zu transferieren; und final das Handeln gegen Unterdrückungen.606 »Allyship« solidarisiert sich mit marginalisierten Menschen, indem die eigenen Ressourcen geteilt werden, also bspw. darauf verzichtet wird, auf exklusive Vorrechte zu beharren, bspw. Begriffe wie Frau, Mutter, Betroffene nur für sich zu reklamieren und sie anderen nicht gleichermaßen zuzugestehen, womit Ausschlüsse aus Schutzräumen propagiert werden. Die eigene Lebensrealität als einzigartig zu verstehen, ermöglicht es auch ohne großen Gedankenspagat, sich selbst mittels biologistischem Deutungsrahmen zu identifizieren, während andere Lebensrealität davon unberührt bleiben und sich entsprechend des je eigenen Deutungsrahmens identifizieren können. Dass eine Person mit Penis sich als Frau versteht, hat somit keine Auswirkungen auf mein eigenes Verständnis als Frau, welches ich von dem Besitz eines Uterus und Brüsten ableite, und vice versa. Das adäquate Ansprechen meines Gegenübers gewährleistet das adäquate Ansprechen meiner Person, eine pauschale Ablehnung der geschlechter-gerechten Sprache oder des Abfragens von Pronomen entsprechen dem Scheitern dieses Prinzips, ebenso wie die Forderung nach einer gesetzlich bindenden Vorgabe dieser Interaktionsregeln das Aushandeln einer Refiguration erschwert. Die vier Schritte des »Critical Cisness« Konzepts müssen als unabgeschlossen gelten, jede institutionell verbindliche Umsetzung würde den offenen

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Vgl. Hirschauer (2001): S. 219. Bönkost (2021): S. 2. Vgl. Saad (2020): S. 125f. Washington; Evans (1991): S. 200.

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gesellschaftlichen Lernprozess behindern. Aus diesem Grund muss auch die institutionell-strukturelle Ebene für eine Refiguration geöffnet werden.

5.6.2 Meso-Ebene: Sichtbarkeiten und Braves Spaces Der Nationale Aktionsplan sexuelle und geschlechtliche Vielfalt hat den Nachholbedarf hinsichtlich einer umfassenden Wissensvermittlung dargestellt, doch Sichtbarkeiten und Sagbarkeiten entstehen nicht nur entlang der Vermittlung eines Geschlechter- und Sexualitätenwissens, sondern ebenso entlang einer kulturellen Wahrnehmbarkeit. Ein bedeutender Schritt wäre eine umfassende Repräsentation von geschlechterpluralen Lebensweisen in Filmen und im Fernsehen, wobei hier durchaus darauf zu achten wäre, dass es sich um eine gelebte Vielfalt und nicht ausschließlich um problemzentrierte oder normalisierende Darstellungen handelt. So konnte Raczuhn nachweisen, dass Filmproduktionen durchaus an dem Thema Transgeschlechtlichkeit Interesse zeigen, vor allem Mainstream-Filme in der Darstellung aber immer wieder auf Vorurteile zurückgreifen und so das Bild der Transgeschlechtlichkeit als »Rede vom falschen Körper« reproduzieren und transgeschlechtlichen Menschen eine Beichtpraxis auferlegen, mittels der sie gesellschaftlich ihr Outing ritualisieren sollen.607 Stattdessen braucht es Filme und Fernsehformate, aber auch eine Literaturlandschaft, von der Kinder- wie Jugend- bis zur Erwachsenenliteratur, welche Transgeschlechtlichkeit nicht exotisieren, stigmatisieren und instrumentalisieren, sondern einen wertschätzenden Inhalt mit transgeschlechtlichen Protagonist*innen liefern, die nicht auf ihre Transgeschlechtlichkeit verkürzt oder mittels dieser generalisiert werden. Dass Verlage durchaus in der Lage sind trans-, inter-, nicht-binäre- und ageschlechtliche Menschen in Anerkennung ihrer Geschlechtlichkeit zu unterstützen, zeigt die Verleihung des Deutschen Buchpreises. Der Preis wurde im Jahr 2022 für den Roman »Blutbuch« von der nicht-binären Person Kim de l’Horizon verliehen, was damit begründet wurde, dass dieser Roman inhaltlich der Frage nachgehe, welche Narrative »es für einen Körper [gibt], der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht«.608 Es darf auf der symbolischen Ebene aber nicht bei den Sichtbarkeiten und Sagbarkeiten aufhören, es muss gesellschaftlich ein neues Miteinander ermittelt werden, dass sich der besonderen Verletzbarkeit von Menschen, die der Heteronormativität und Binarität nicht entsprechen können oder wollen, bewusst ist. Wenngleich es gesellschaftlich wichtig ist Safe Spaces (Schutzräume) zur Verfügung zu stellen und diese auch als solche zu respektieren, bedarf es einer Veränderung öffentlicher Plätze, die allzu häufig beim Verlassen der Safe Spaces zu Angsträumen werden. Das Brave Space Konzept kann in diesem Kontext ein guter Ansatz sein. Der – ins Deutsche übersetzte – mutige Raum fokussiert die Herausforderungen von Interaktionen im Kontext von Verletzbarkeiten und adressiert gleichzeitig die Lernfähigkeit der cisgeschlechtlichen Menschen. Der Brave Space sollte ein fehlerfreundlicher Lernraum sein, in dem Menschen mit unterschiedlichsten Wahrnehmungen und Erfahrungen in einem Dialog voneinander lernen, die Bedürfnisse der anderen und ebenso die eigenen zu erkunden, während die 607 Vgl. Raczuhn (2018): S. 392ff.; S. 435. 608 https://www.deutscher-buchpreis.de/nominiert (letzter Zugriff: 10.12.2022).

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Akteure sich gleichzeitig darüber bewusst sind, dass dieser Raum keine Garantie dafür geben kann, gänzlich frei von Vorurteilen, Diskriminierungen und Verletzungen zu sein. Somit kann ein Brave Space einen Safe Space nicht ersetzen, sondern bemüht sich um eine gesellschaftliche Sensibilisierung, indem verbindliche Regeln des Zusammenlebens gemeinschaftlich und situativ erarbeitet werden.609 Strafgesetze zeigen, dass selbst Gesetze, Normen und moralische Ansichten nicht in der Lage sind, Straftaten und Diskriminierungen zu verhindern, umso wichtiger ist es, dass sich die Gesellschaft dauerhaft um einen Lernprozess bemüht, der nicht problem-, sondern lösungsorientiert auf neue Konfliktsituationen reagiert. So könnten im vorliegenden Diskurs gemeinschaftlich mehr Ressourcen für einen umfassenden Schutz von allen gewaltvoll unterdrückten Menschen erstritten werden. Auch hinsichtlich der Umkleidekabinen, Toiletten und Duschen müssen Konzepte entwickelt werden, damit diese Bereiche umfassend die Intimsphäre aller Menschen schützen und einen Raum ohne Angst darstellen. In Saunen könnte zu bestimmten Uhrzeiten eine Handtuchpflicht für Genitalien eingeführt werden, damit Menschen mit Erfahrungen der sexualisierten Gewalt vor einem möglichen Trigger geschützt werden.

5.6.3 Makro-Ebene: Rechtfertigung dejure und Antidiskriminierungsschutz defacto Gesetze entsprechen einer Machtordnung, da sie in nicht unerheblichem Ausmaß auf die gesellschaftliche Struktur einwirken. Jede Machtordnung sollte nach Rainer Forst ausreichend gerechtfertigt sein, da sonst in der Gesellschaft ein Gefühl von Unzufriedenheit entsteht und die entsprechende Ordnung als besonders einengend oder als wenig sinnhaft empfunden wird.610 »Jedoch weist jedes tradierte Rechtfertigungsnarrativ, jede sedimentierte Legitimation, immer zugleich über die Faktizität einer bestehenden Ordnung hinaus und bietet so Anknüpfungspunkte für Kritik, Zurückweisung oder Widerstand.«611 Für die Kritik, Zurückweisung oder den Widerstand sind nach Forst und Günther reflexive Meta-Prinzipien erforderlich, welche den sozialen Raum eröffnen, in dem Rechtfertigungsansprüche erhoben werden. Eine Institution, die diese Meta-Prinzipien hervorgebracht hat, ist das BVerfG, welches mit der Verfassungsklage ein Verfahren ermöglicht, das einen diskursiven Raum öffnet, in dem Menschen »ihre Kämpfe um normative Ordnungen als einen Streit über rechtfertigende Gründe austragen können«.612 Forst und Günther erkennen im gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikt keineswegs die einfache Verfolgung von Interessen zur Besserung des eigenen gesellschaftlichen Status, sondern das Artikulieren von Unrechtserfahrungen innerhalb einer normativen Ordnung.613 Es geht also nicht um einzelne Normen, die als Unrecht empfunden

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Vgl. Hearn (2016); vgl. Arao; Clemens (2013). Vgl. Forst (2013): S. 22ff. Forst; Günther (2011): S. 11f. Forst; Günther (2011): S. 12. Vgl. Forst; Günther (2011): S. 13.

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werden, sondern um Konventionen, die als ein Komplex aus Normen auf ein langwieriges Kompromissbildungsverfahren verweisen, das aus Konfliktarenen hervorgeht und neue Konfliktarenen öffnet.614 Diese normativen Ordnungen müssen gerechtfertigt werden, damit sie als gültig und verbindlich erlebt werden. Das heißt, Normen gehen aus diskursiver Verständigung hervor und sind somit keineswegs naturwüchsig. Doch seit den Studien von Michel Foucault und Judith Butler ist vor allem für Geschlechter- und Sexualitätsnormen klar, dass diese als kostbare Regeln gesellschaftlich gehütet werden, da sie nicht nur unterdrückend, sondern auch identitätsstiftend wirken. Und auch Forst und Günther schlussfolgern, dass eine explizite Thematisierung des Geltungsanspruchs der normativen Ordnung »als Infragestellung einer ganzen Lebensform mit dem Risiko des kollektiven Identitätsverlustes« erscheinen kann.615 Nicht nur die normative Ordnung muss legitimiert werden, auch die normativen Ansprüche, welche einer Kritik an der normativen Ordnung zugrunde liegen, müssen gerechtfertigt sein. In beiden Fällen greifen soziale Akteure häufig auf Metanarrative zurück, welche Forst und Günther als große Legitimationserzählungen einstufen. Im vorliegenden Diskurs finden sich auf der Seite der Rechtfertigung der normativen Ordnung allen voran biologistische Essentialisierungen, während auf der Kritikseite vor allem kulturelle Werte, wie die Menschenrechte und -würde sowie die Freiheit bzw. der Verlust dieser, die Kritik rechtfertigen.616 Forst nennt die diskursiven Kämpfe, wie wir sie in dieser Arbeit betiteln, als »Kämpfe um Macht«, welche sich darum drehen, dass sich Menschen selbst oder die Gruppe, der sie angehören, im Raum neu- oder repositionieren wollen, indem sie die Rechtfertigungsmöglichkeiten anderer beeinflussen.617 Vor allem der »politische Raum ist von Machtkonflikten durchzogen, die im Wesentlichen Kämpfe um Rechtfertigungsmacht sind«, wobei die Durchsetzung einer bestimmten Rechtfertigungsordnung nicht dauerhaft zu verstehen ist, sondern einer Hegemonie entspricht, die immer als Kehrseite die verworfenen Alternativen in sich trägt.618 Kritik an der hegemonialen Ordnung wird nach Forst oft ideologisch klassifiziert, indem in Verteidigung der normativen Ordnung behauptet wird, dass von den Kritiker*innen eine vermeintliche Gefahr mit Fake News verdeckt werde. In diesem Moment entsteht nach Forst eine Rechtfertigungskrise, da die Kriterien für stichhaltige Rechtfertigungen verloren gingen. Dem Staat wäre in diesem Kontext dazu geraten, mehr plebiszitäre Beteiligungsformate umzusetzen, indem Denkwerkstätten allen Diskursakteuren einen Raum geben, verschiedene wissenschaftliche Perspektiven und darüber hinaus auch interessenspezifische Anliegen vorzustellen und miteinander auszuhandeln, während das Ergebnis dieser Denkwerkstätten für die Gesamtgesellschaft transparent und leicht verständlich aufbereitet wird. Erst so kann garantiert werden, dass alle Akteure im Diskurs ein Gehör finden und sich nicht ausschließlich jene im Diskurs durchsetzen, die inhaltlich weniger überzeugen, sondern vielmehr rhetorisch überreden, indem sie Ängste schüren und Bedrohungen konstruieren.

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Vgl. Forst; Günther (2011): S. 16. Forst; Günther (2011): S. 18. Vgl. Forst (2021): S. 19. Vgl. Forst (2021): S. 83. Forst (2021): S. 92.

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Neben der anhaltenden Rechtfertigung von gesellschaftlichen Ordnungskategorien bedarf es einer umfassenden Bildung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, um die Vielzahl an Gesetzesänderungen gesellschaftlich bekannt zu machen und umfassend über deren Legitimierung und Umsetzung aufzuklären, allem voran jedoch um sicher zu stellen, dass die Anerkennungsverhältnisse dejure auch defacto in der Gesellschaft ihre Wirkung zeigen. In diesem Zusammenhang wurden bereits politische Weichen gestellt; so entschied am 15. Dezember 2019 der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag nach Anhörung von sechs Sachverständigen, den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geforderten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt umzusetzen. Einzig der Sachverständige Christian Spaemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Österreich, sprach sich gegen die Umsetzung aus, da er im Antrag ein »großangelegtes Umerziehungsprogramm im Dienste einer auf die Spitze getriebenen Vorstellung von Nichtdiskriminierung« sieht, der einzig darauf abziele, den »heterosexuellen Mainstream zu kippen«. Die restlichen Sachverständigen betonten, dass LSBTI eine besonders diskriminierungsgefährdete Gruppe darstellen, und begrüßten den Aktionsplan.619 Die Forderung nach einem bundesweiten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt fußt zunächst auf der Feststellung, dass es trotz gesellschaftlicher und rechtlicher Fortschritte immer noch zu Anfeindungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen von LSBTI in Deutschland kommt. Daher fordert der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, »einen bundesweiten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt unter enger Beteiligung der LSBTI-Verbände zu entwickeln und zu verabschieden. Dieser soll aufbauend auf Erfahrungen aus den Ländern klar formulierte Ziele und Maßnahmen – darunter auch Selbstverpflichtungen der öffentlichen Stellen – enthalten und finanziell mit 35 Millionen Euro pro Jahr abgesichert sein«.620 Maßgebliche Ziele des Aktionsplans sind die Sicherstellung der gesellschaftlichen Teilhabe, der Sicherheit, der Aufklärung, der Gesundheit und der Gleichberechtigung sowie die Unterstützung von LSBTI auf internationaler Ebene. Dezidiert wird die Einfügung der »sexuellen Identität« in den Art. 3 Abs. 3 GG gefordert, um so ein besseres Ermitteln und Verfolgen von Diskriminierungen zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft müsse zudem stärker mit den Themen LSBTI-Feindlichkeit und Diskriminierungen im Allgemeinen konfrontiert und aufgeklärt werden. In diesem Rahmen wird auch eine umfassende

619 Vorgestellt wurde der Aktionsplan bereits am 7. Juni 2019 und wurde von einem von der AfD geforderten Aktionsplan »Babys willkommen heißen, Familie leben – Bundesweiter Aktionsplan für Familie, Ehe und Kinder« flankiert, welcher die Forderungen aus dem Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ad absurdum führt, indem eine Förderung der traditionellen heteronormativen Familie eingefordert wird. Neben nachvollziehbaren Forderungen, bspw. dem Schutz von Alleinerziehenden oder kinderreichen Familien vor Diskriminierung, finden sich vor allem Exklusionen der queeren Lebensweise, wenn bspw. geschlussfolgert wird, »nur aus der Partnerschaft und der Liebe zwischen Mann und Frau entstehen auf natürlichem Wege Kinder«, weshalb die AfD fordert, dass die Bundesregierung für traditionell heteronormative Familien werben müsse (vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/19/106/1910632.pdf [letzter Zugriff: 13.07.2020]). 620 Bündnis 90/Die Grünen (2019): S. 2.

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Erinnerungsarbeit gefordert, welche die Verfolgung von LSBTI in Deutschland aufarbeitet und Informationen für die Bürger*innen bereitstellt. Hinsichtlich der Verbesserung der Sicherheit wird eine umfassende Fortbildung von Polizei und Justiz gefordert, um so eine Sensibilisierung gegenüber Hassverbrechen zu sichern. Zivilgesellschaftlich wird nach einer umfassenden Aufklärung an Bildungseinrichtungen gefordert, die maßgeblich durch das Bundesprogramm »Demokratie leben!« koordiniert werden soll, indem vor allem »Aus- und Fortbildung von Pädagog*innen, (Schul-)Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen sowie von in Jugendarbeit und Jugendhilfe Beschäftigten« gewährleistet werden.621 Diese Forderung wird vor allem den besonderen Ansprüchen des Jugendalters gerecht, da ein Coming-Out im Durchschnitt in diese Lebenszeitspanne fällt: »Gemeinsam mit den Bundesländern soll darauf hingewirkt werden, dass die Jugendhilfeeinrichtungen und -maßnahmen durchgehend der Akzeptanz der Vielfalt unterschiedlicher sexueller und geschlechtlicher Identitäten und Lebensweisen Rechnung tragen, gegenüber dem Problem LSBTI-Feindlichkeit und Mehrfachdiskriminierung sensibilisiert werden sowie dass sie befähigt werden, diesem entgegenzuwirken und auf ein diskriminierungsfreies Umfeld für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche hinzuarbeiten.«622 Hinsichtlich der Gesundheit wird eine Entstigmatisierung und Entpathologisierung von LSBTI gefordert. Als Beispiele werden die genitalvereindeutigenden Operationen an intergeschlechtlichen Kindern, die Stigmatisierung von HIV-infizierten Homosexuellen und der Schutz vor Konversionsbehandlungen benannt. Die Forderungen nach Gleichberechtigungen zielen vor allem auf juristische Maßnahmen ab; so wird nach einer Reform des Abstammungsrechtes gefordert und ein »familienrechtliches Institut der elterlichen Mitverantwortung« befürwortet, »das Beziehungen von in Patchwork- und Regenbogenfamilien lebenden Kindern und deren sozialen Eltern stärkt«, womit der »Realität mehrelternschaftlicher Konstellationen Rechnung getragen und Rechtssicherheit auch für Regenbogenfamilien geschaffen« wird.623 Der Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) wurde nachfolgend im Januar 2022 von der Bundesregierung als erster Beauftragter für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ausgewählt. Als Queer-Beauftragter der Bundesregierung wird Lehmann künftig die Umsetzung des Aktionsplans zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt koordinieren und darüber hinaus die queer-politischen Vorhaben des Koalitionsvertrags umsetzen, worunter die Abschaffung des TSG und die Gleichstellung von homosexuellen Eltern mit heterosexuellen Eltern sowie damit zusammenhängend die Novellierung des Abstammungsgesetzes fällt. Im Mai 2022 wurde daraufhin im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eine Bundesservicestelle Queeres Leben angesiedelt, die bis Ende des Jahres jedoch noch keine Arbeitsinhalte oder -schwerpunkte benannt hat. Eine weitere rechtliche Forderung im Aktionsplan entspricht der Forderung nach einer Änderung des 621 Bündnis 90/Die Grünen (2019): S. 5. 622 Bündnis 90/Die Grünen (2019): S. 5. 623 Bündnis 90/Die Grünen (2019): S. 6.

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Grundgesetzes; so forderten bereits 2019 die Fraktionen der Opposition FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen unter Vorlage eines Gesetzentwurfs die Einfügung des Merkmals der sexuellen Identität in Art. 3 Abs. 2 GG. Erstaunlich an dem Gesetzentwurf ist das verkürzte Definitionsverständnis, das im Gegensatz zu wissenschaftlichen Definitionen oder weiteren gesetzlich verankerten Richtlinien sexuelle Identität nicht als sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in Gesamtheit versteht, sondern »im engeren Sinne, das heißt als ein andauerndes Muster emotionaler, romantischer oder sexueller Anziehung zu Personen eines bestimmten oder verschiedener Geschlechter und Teil der Identität eines Menschen«, was somit »insbesondere Hetero-, Homo-, Bi- und Pansexualität, aber auch Asexualität« umfasst.624 Diese individuelle Begriffsausdeutung wird damit begründet, dass trans- wie intergeschlechtliche Menschen bereits durch das Merkmal des Geschlechts im Art. 3 Abs. 3 GG abgesichert würden. Bisher konnte sich für die Änderung jedoch keine breite Zustimmung im Bundestag finden, weshalb der Antrag abgelehnt wurde. In der Analyse der Stellungnahmen zu den verschiedenen Gesetzentwürfen zeigen alle Stellungnahmen, dass Deutschland eine Beratungslandschaft braucht, um den Schutz aller Lebens- und Liebensweisen zu gewährleisten und alle Menschen hinsichtlich des Wechsels von heteronormativer geschlechterbinärer zu geschlechterpluraler Lebensform in ihrer sexuellen wie geschlechtlichen Entfaltung zu unterstützen. Ferner erkennen auch wir den durch die Stellungnahmen mehrfach geäußerten Bedarf an Schulungen und fachspezifischen Qualifizierungen von Berufsgruppen mit vulnerablen Zielgruppen. Aus diesem Grund schlagen wir interdisziplinär besetzte Beratungszentralen in allen kleinen Großstädten (100.000 bis 500.000 Einwohner*innen) und in Ballungsgebieten mit mehreren nah beieinanderliegenden Großstädten (ab 500.000 Einwohner*innen) vor, die ebenfalls die dezentrale Beratungslandschaft im Umland organisieren, strukturieren, evaluieren und fachkundig unterstützen sowie hinsichtlich des aktuellen Wissenstandes fortbilden. Diese Beratungskoordinationsstellen sollten Mitarbeitende aus folgenden Fachgruppen in Festanstellung bündeln: Medizin (Endokrinologie, Urologie, Gynäkologie, Chirurgie), Psychologie, (Geschlechter-)Soziologie, Soziale Arbeit bzw. Sozialpädagogik, Rechtswissenschaften sowie Personen aus der Peer-Community (also trans- wie inter- und a- wie nicht-binär-geschlechtliche Personen, aber ebenfalls bi-, homo- und asexuelle Personen). Nur entlang dieser interdisziplinären Zusammenarbeit ist eine umfassende Beratung von Betroffenen, von Interessierten und allen voran von den untergeordneten Beratungsstellen möglich. Auch für Fortbildungen, wissenschaftliche Studien und Veröffentlichungen kann in einem derart interdisziplinären Team die Multiperspektivität garantiert und ein möglichst weitreichender Diskursraum ermöglicht werden.

624 FDP; Die Linke; Bündnis 90/Die Grünen (2019): S. 5.

6. Fazit Girls will be boys and boys will be girls It’s a mixed up, muddled up, shook up world (The Kinks – Lola)

Wenngleich der Diskurs um das SelbstBestG immer noch keine institutionalisierte rechtliche Anerkennung als Identitätspolitik, d.h. als verallgemeinerter Konsens erhalten hat, somit nach wie vor offen ist und auf der Ebene der identitätspolitischen Bestrebungen wahlweise auf eine Umsetzung gewartet wird oder versucht wird diese zu verhindern, denken wir, dass der Diskurs für unsere Analyse, die im Jahr 2019 startete und nun im Dezember 2022 enden soll, durchaus am Punkt seiner Sättigung angekommen ist. Zur Beantwortung der Forschungsfrage, inwiefern die rechtlichen Diskurse um Transgeschlechtlichkeit zu einer Transformation des Geschlechterwissens und zur Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit führen und welche Machtbeziehungen sich innerhalb des politischen Interdiskurses ergeben, erfolgt daher nun eine verschränkte Zusammenfassung aus den Analyse- wie Theorieerkenntnissen. Gesetzlich findet einerseits eine Reessentialisierung des Geschlechts als biologisch determiniert statt, da Intergeschlechtlichkeit als eigenständige Geschlechtskategorie anerkannt wird und Transgeschlechtlichkeit weiterhin entlang von vermeintlich eindeutigen geschlechtlichen Körpern mit abweichender Geschlechtsidentität verstanden wird. Andererseits wird Geschlecht in den BVerfG- Beschlüssen als von außen zugeordnet verstanden und die Klassifizierung als kulturell offengelegt. Das Konzept der Humandifferenzierung konnte hier verdeutlichen, dass der Prozess des Differenzierens Menschen auseinanderhält, sie trennt und dies auf die Ursache von jeder Diskriminierung verweist, da die Unterteilung und eine damit einhergehende Ungleichbehandlung, mitunter entlang eines fehlenden gemeinschaftlichen Zusammenhalts – der entlang der identitätspolitischen Betrachtungen nachgewiesen werden konnte – begünstigt werden kann. Auch an der Gesetzgebung, die sich auf Transgeschlechtlichkeit bezieht, und den damit einhergehenden Kontroversen konnte dies sehr gut verdeutlicht werden. Es wurde gezeigt, dass der Konstruktionscharakter der Humandifferenzierung dazu führt, dass Kategorien auf Dauer immer brüchiger werden, da Menschen sich entlang dieser Kategorien selbstverorten oder von diesen distanzieren und diese Praxis so zu neuen kategorialen Zuschreibung führt, welche wiederum zu Uneindeutigkeiten oder

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Hybridisierung führen können, wodurch neue Unterscheidungen meist innerhalb einer Kategorie fällig werden, welche die Kategorisierung vor dem Totalzerfall schützt. Werden die Grenzen der Kategorien durchlässig, so kann von einem diasporischen Selbstverhältnis gesprochen werden, welches als Antithese zur identitären Heimat bzw. der kategorialen Beheimatung verstanden werden muss. Luhmanns Konzept der Exklusionsindividualität konnte verdeutlichen, dass Kategorien jedoch nicht mehr dazu dienen, dem Menschen eine Gemeinschaft zu ermöglichen, sondern als Differenzkategorien Pflichten und Rollen innerhalb des Funktionssystems zuzuweisen, während sich das Rechtssystem immer mehr darauf spezialisiert, Träger*innen dieser Pflichten in Verantwortung zu nehmen, falls das Funktionssystem aus den Fugen gerät, statt die Differenzierung als Ursprung dessen zu kritisieren. Weiter konnte theoretisch ermittelt werden, dass Geschlecht mittels Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung interaktiv hergestellt wird. Die Interaktion verläuft jedoch routiniert, wodurch sie selten bewusst wahrgenommen wird und somit schwer reflektierbar ist. Erst durch vermeintliche Normbrüche bricht die Routine auf und fordert eine Zuwendung. Transgeschlechtliche Menschen verhalten sich jedoch geschlechtlich nicht falsch, sondern nur anders als die Gesellschaft Geschlecht gewohnheitsmäßig praktiziert. Geschlechterdarstellung und -wahrnehmung stehen plötzlich im Allgemeinen zur Disposition und somit auch Geschlecht als staatliche Ordnungskategorie. Mit dem Konzept der Humandifferenzierung konnte hier aufgezeigt werden, warum eine solche Ordnung – also die Unterscheidung von Menschen in Form von sozialen Zugehörigkeiten mit festen Eigenschaften – problematisch ist, denn aus der Humandifferenzierung werden zwangsläufig Selbst- und Fremdkategorisierungskonflikte erwachsen. Gleichzeitig konnte jedoch auch aufgezeigt werden, dass Menschen entlang von Kategorisierungen ihre Umwelt ordnen und sich somit kognitiv entlasten. Zudem bietet eine Selbstverortung das Gefühl des gesellschaftlichen Eingebundenseins. Transgeschlechtlichkeit wird in dieser Arbeit demnach als soziale Praxis des Geschlechtskategorienwechsels verstanden, welche auf eine Desidentifizierung mit dem zugeschriebenen Geschlecht zurückgeführt wird und gleichermaßen dem Prozess der geschlechtlichen Identifizierung innerhalb der Geschlechterordnung entspricht. Das SelbstBestG gibt indessen keine Begriffsbestimmung für Transgeschlechtlichkeit oder für das Geschlecht preis, während die alternativen Gesetzentwürfe eine solche Konstruktion durchaus unternehmen. In BVerfG-Urteilen und juristischen Kommentaren wird eine Auslegung zwar vorgenommen, findet jedoch in den Gesetzen selbst keinen Niederschlag. Lediglich das Familienrecht definiert die Rolle der Mutter und des Vaters weiterhin entlang von Gebär- und Zeugungsfähigkeit. Transgeschlechtlichkeit unterliegt in den Diskursen entweder einer Pathologisierung, indem psychische oder biologische Dispositionen unterstellt werden, die bisher in wissenschaftlichen Studien jedoch nicht ausreichend verifiziert wurden, oder es unterliegt einem Definitionsstreit um die Definition des Geschlechts, welches entweder als biologisch, psychologisch oder sozial determiniert konstruiert wird.1 Der medizinische Diskurs ist von einer fehlenden Übereinstimmung gekennzeichnet. Während die 1

In der Triade aus Recht, Medizin und Kostenträgern konnte zudem eine Verantwortungsübertragung und Rollenverschiebung entdeckt werden.

6. Fazit

meisten Stimmen den soziologischen Thesen folgen, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt sei, gibt es wenige, dafür umso lautere und gesprächige Psycholog*innen, Biolog*innen und Mediziner*innen, sowie cisfeministische Stimmen, welche die Ansicht vertreten, dass das Geschlecht biologisch klar verifizierbar und die Binarität eine biologische Tatsache sei. In diesem Zusammenhang wird von Intergeschlechtlichkeit als Fehlbildung und von Transgeschlechtlichkeit als Körperbildstörung gesprochen, demnach entweder eine biologische oder psychische Pathologisierung vorgenommen. In diesen Positionen wird Geschlecht als eindeutig bestimmbar und maßgeblich von der Fortpflanzungsfunktion abhängig gedacht. In diesem Kontext sind Falschbehauptungen eine wesentliche Strategie, um die eigene Weltdeutung als einzig wahre darzustellen. Dazu gehört auch, dass die gegnerische Position als unglaubwürdig dargestellt wird, da sich diese lediglich auf die Identifikation mit einem Geschlecht beziehe, welche aber nicht verifizierbar oder validierbar sei. Interessant ist unterdessen, dass es nur wenige Beiträge gibt, die eine Sex-Gender-Verschränkung im Diskurs vertreten, indem sie von einer biosozialen Natur oder einer soziobiologischen Kultur sprechen, wenn sie sich auf die Definition des Geschlechts beziehen. Somit handelt es sich hierbei um eine marginalisierte, sich im Diskurs kaum durchsetzende Position, die davon ausgeht, dass Geschlecht das Resultat eines wechselseitigen Einflusses von Organismus und Umwelt ist. Gemessen an den Analyseergebnissen sticht die mediale Berichterstattung heraus, da diese durch Desinformationen und Lobbyismus von wenigen Akteuren des geschlechterbinären Denkmusters geprägt ist. Dies steht im Kontrast zu dem demokratisch-partizipativen Gesetzgebungsprozess, der alle Perspektiven durch die Praxis der Stellungnahmen miteinbezieht und mit Ausnahme der AfD von wertschätzenden und anerkennenden Bundestagsdebatten geprägt ist, die sich darum bemühen, die Perspektiven vormals entrechteter Personengruppen nun mehr anerkennend zu berücksichtigen. In den Mediendiskursen unterdessen bemühen sich Akteure wie u.a. Schwarzer, Louis, Engelken, Vollbrecht und Korte mit einer Verrohung der Sprache, dem Utilitarismus-Konstrukt und einer Desinformationskampagne eine gesellschaftliche Polarisierung zu erzeugen und den demokratischen Prozess zu unterlaufen, um die eigenen Interessen politisch durchzusetzen. Diese Interessen reichen von der Sicherung der eigenen Position bzw. der beruflichen Rolle – in diesem Sinn betreiben Korte und Vollbrecht politischen Aktivismus im Eigeninteresse, da sie dadurch mehr Reichweite erhalten und/oder ihren Status als Expert*innen stärken – bis zur politischen Lobbyarbeit für die AfD, die mittels einer problemorientierten Thematisierung verschiedener gesellschaftlicher Konfliktfelder Wähler*innen-Stimmen fernab der üblichen Zielgruppe, auch in der bürgerlich-gemäßigten Mitte anspricht. Die geschlechterbinären Akteure bieten jedoch keine Lösungen für die vermeintlichen Probleme an, vielmehr versuchen sie diese mittels Top-DownStrategie zu unterdrücken. Transgeschlechtlichkeit soll weiterhin als unnormal verstanden werden und stigmatisiert bleiben, damit ein Outing verunmöglicht wird, und jene, die sich möglicherweise outen wollen, mittels Therapien zum Nachdenken angeregt werden sollen, ob ihr Empfinden nicht möglicherweise doch irregeleitet ist. Die geschlechterpluralen Akteure unterdessen wollen eine Lösung, die einem gesellschaftlichen Kompromiss entspricht, indem die Geschlechterkategorien Mann und Frau als Pole existent bleiben und ein Dazwischen und Darüberhinaus rechtlich anerkannt wird, dem jedoch

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Das Selbstbestimmungsgesetz

keine Hürden in den Weg gestellt werden dürfen. Nicht-Binär- und A-geschlechtliche Menschen finden in dem Diskurs kein Gehör, selbst transgeschlechtliche Personen kommen deutlich weniger oft zu Wort als die Akteure mit geschlechterbinärem Denkmuster. Besonders erstaunlich war in diesem Kontext die Ablehnung selbst aus LGB-Communities, die ihrerseits auf eine Homonormativität mit langer Entstehungsgeschichte verweisen. Eine weitere Position findet sich in jenen Diskursbeiträgen, die darum bemüht sind, jedwede Pathologisierung und Essentialisierung aufzubrechen und Transgeschlechtlichkeit als gesellschaftlichem Phänomen zur Anerkennung verhelfen wollen. Hier wird die biologische Determination von Geschlecht wahlweise durch die Existenz transgeschlechtlicher Menschen gestützt, indem darauf verwiesen wird, dass jene diese Binarität grade nicht infrage stellen, weil sie sich klar als Mann oder Frau definieren, oder sie wird anhand von Transgeschlechtlichkeit als Normalismus kritisiert, indem aufgezeigt wird, dass durch die Pathologisierung von Transgeschlechtlichkeit eine Abweichung konstruiert wird. Auch die Quote der Persister/Desister wird wahlweise für und gegen das SelbstBestG benutzt; bspw. werden die Desister als Beweis angeführt, dass eine Transgeschlechtlichkeit nicht von einer außenstehenden Person begutachtet werden kann, ebenfalls werden Desister als Beweis dafür angesehen, dass ein SelbstBestG zu vorschnellen Transitionen führen würde. Frau-Sein wird vor allem in cisfeministischen Positionen an biologische Merkmale gebunden, welche kumulativ aus Eierstöcken, Gebärmutter, Vagina, Vulva, Brüsten und daraus abgeleitet der Fähigkeit zu Menstruieren und Kinder gebären zu können bestehen. In diesen Diskursbeiträgen geht es somit vor allem um die Folgen eines Verlustes von eindeutigen und geschlechtsklassifizierenden körperlichen Eigenschaften und einem damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Status. Auch übereinstimmend wird von den cisfeministischen Akteuren der Verlust von Sicherheit vor sexualisierten Gewalttaten und die gefährdete Gleichstellung benannt. Die cisfeministischen Positionen müssen insgesamt als sehr laut beschrieben werden, da sie als Sprachrohr vor allem die Zeitschrift EMMA nutzen, darüber hinaus ebenso die Initiative #GeschlechtZählt gegründet haben und mittels Netz-Aktivismus bspw. durch Vollbrecht, nun mehr eine weitere Person der Öffentlichkeit erschaffen konnte, die für geschlechterbinäre Denkmuster wirbt. Transgeschlechtlichkeit wird von cisfeministischen Akteuren als Flucht vor dem Terror der Geschlechterrollen konstruiert oder als Resultat von Misogynie und Sexismus verstanden, wodurch es als eigenständiges gesellschaftliches Phänomen negiert wird. Weiter wird sogar von einem Hype bzw. Trans-Trend gesprochen, der auf der fehlenden Auseinandersetzung mit bodyistischen Schönheitsidealen beruhe, wodurch fehlende Attraktivität und homosexuelle Anziehung zu Transgeschlechtlichkeit führen würden. Affirmative therapeutische Maßnahmen bei transgeschlechtlichen Personen werden von cisfeministischen Akteuren mit Konversionsbehandlungen gleichgesetzt, da durch diese ein Hinterfragen des Transitionswunsches nicht mehr möglich sei. In diesem Zusammenhang wird eine Gefährdung des Weiblichen durch patriarchale Enteignung vermutet und die Kategorien Geschlecht und Sexualität gegeneinander ausgespielt, indem lesbische Homosexualität als gefährdet konstruiert wird, da Transgeschlechtlichkeit homosexuelle Menschen eliminieren würde, statt die eigentliche Wurzel – einen Geschlechterrollendruck – zu bekämpfen. Auch dieses Narrativ muss kritisch in seiner Historizität

6. Fazit

betrachtet werden, da das TSG einstmals darum bemüht war, Menschen vor einer Kriminalisierung entlang einer vermeintlichen Homosexualität zu schützen. Positive Gutachten im Rahmen des TSG werden daher als heteronormierend bezeichnet, da sie lesbische Frauen eliminieren würden. Das Leiden an einem Geschlechterrollendruck und das Ablehnen von Geschlechtsklassifizierungen müssen jedoch nicht als Gegensätze verstanden werden; beide resultieren aus einer Missachtung der persönlichen Selbstbestimmung und einem Eingriff in die Identitätsentwicklung, allerdings bedeutet die Zurückweisung der fremdbestimmten Geschlechtsklassifikation nicht, dass das Übernehmen einer Geschlechterrolle als erdrückend wahrgenommen wird. Zudem muss hier kritisch betrachten werden, dass biologische Fakten konstruiert werden, denen eine wissenschaftliche Objektivität zugeschrieben wird, wodurch individuelle Selbstbeschreibungen aus dem Bereich der Wahrheit verwiesen werden. Weiter wird ein Utilitarismus benannt, welcher in trans- wie intergeschlechtlichen Menschen eine Minderheit erkennt, zugunsten derer die Mehrheit zurückstecken und sich verändern müsse. Auch wird von Denk- und Sprechverboten gesprochen, die von einer Trans-Lobby erzeugt würden. Zusätzlich werden neue Differenzierungen vorgenommen, wenn von Transsexuellen – jene Personen mit psychischen Leiden, welche behandelt werden müssten – und von Transgendern – jene Personen, die sich eine falsche Klassifizierung nur einredeten, und die nicht ernst genommen werden dürften – gesprochen wird. Zunächst erscheint der inkonsequente Schutz vor genitalvereindeutigenden Operationen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen bei gleichzeitig vehementem Schutz vor genitalverändernden Operationen an transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen als Doppelmoral. Entlang des geschlechterbinären Denksystems ist diese Argumentation allerdings durchaus sinngemäß und konsequent, da mit einem Verbot genitalverändernder Operationen bei transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen Geschlecht renaturalisiert wird, da dieses Schutznarrativ transgeschlechtliche Körper narrativ als gesunde Körper hervorhebt, wenn formuliert wird, dass diese vor Eingriffen geschützt werden müssen, während die Möglichkeit zur genitalverändernden Operation bei intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen einer Normalisierung entspricht, indem intergeschlechtliche Körper als von einer binären Norm abweichend und somit korrekturbedürftig konstruiert werden. Auch hinsichtlich des Gesetzgebungsprozesses zum Schutz vor Konversionshandlungen finden sich ähnliche Argumentationsmuster, wenn bspw. gefordert wird, dass ein Verbot von Konversionsbehandlungen nur auf Homosexualität, nicht aber auf Transgeschlechtlichkeit zu beziehen sei. Hier allerdings verlässt das geschlechterbinäre Denksystem die binär-heteronormative Narration, indem Homosexualität als gesellschaftlich normalisierte Sexualität nicht hinsichtlich der anisogamen Grundannahme problematisiert wird, sondern sexuelles Begehren und Geschlecht naturalisiert verstanden werden, die beide nicht veränderbare Konstanten darstellen, weshalb eine Therapie bei transgeschlechtlichen Personen sich nicht auf das Geschlecht höchstselbst beziehe, sondern auf die Geschlechtsidentitätsstörung, die dazu führe, dass das vermeintlich natürliche Geschlecht abgelehnt werde. Aus diesem Grund findet sich in der narrativen Argumentation ein vehementer Rückgriff auf den pathologisierenden Begriff Geschlechtsdysphorie und eine Ablehnung des Begriffs der Geschlechtsinkongruenz.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Insgesamt müssen diese Konstruktionen als identitätspolitische Kämpfe verstanden werden, da die cisfeministische Position einen Bedeutungsverlust durch eine Abkehr von der Essentialisierung des Geschlechts entlang biologischer und kulturalisierender Begründung befürchtet und so dem Diskurssubjekt Frau die wichtigste legitimierende Grundlage geraubt würde. Als legitimierende Grundlage galten bisher der weibliche Geschlechtskörper und die daraus hervorgehende gesellschaftliche Vulnerabilität. Letztere wurde mittels Sicherheitsnarrativ mehrfach im Diskurs vorgetragen. Dass dies ein alter Streit ist, zeigt die Dispositivanalyse von Bührmann, in welcher sie die Frauenbewegung im 19 Jhd. untersucht hat und feststellen konnte, dass es dort ein Ringen von biologisierenden und kulturalisierenden Geschlechterlogiken im Kampf um das Geschlechterverständnis gab, welches eine Logik des Wechselverhältnis aus biologisierenden und kulturalisierenden Elementen hervorbrachte und Erziehung und damit Sozialisation als wichtigstes Instrument verstand, um die hegemonial weibliche Subjektivierungsweise zu überwinden. Letzteres Instrument wird vor allem in dem Wunsch von SelbstBestG und GiG nach Beratungsstellen sichtbar, die nicht nur individuelle Fragestellungen in Einzelgesprächen bearbeiten, sondern ebenso als pädagogische Instanzen und Institutionen der Erwachsenenbildung verstanden werden sollen. Durch ebendiese Aufklärung sollen Diskriminierungen abgebaut und gesellschaftliche Anerkennung aufgebaut werden.2 Nun könnte von den aufmerksamen Leser*innen die Frage gestellt werden, woran wir festmachen, dass es sich bei den geäußerten Ängsten um Identitätspolitik handelt und eben nicht nur um Gefühle der Angst, welche es ernst zu nehmen gilt. All die Seiten, welche innerhalb der Zeitschrift EMMA für eine negative Darstellung von Transgeschlechtlichkeit verwendet wurden, von der die Geschlechtskategorie Frau positiv abgegrenzt wurde, hätten dafür genutzt werden können, über Geschlechterrollen und Schönheitsnormen aufzuklären und einen kritischen Umgang mit beidem zu erzielen. All die Zeit, die ein Korte in der Presse darauf verwendet hat, seine Sorge über zu viele transgeschlechtliche Männer zu äußern, hätte er darüber reden können, die Defizite in der Therapie-Landschaft anzuprangern, damit alle Menschen, die eine Therapie wünschen, auch eine erhalten. Auch Engelken hätte die vielen Seiten ihres 2022 erschienen Buches als Politikerin nutzen können, um eine umfassende Gleichstellung zu fordern, darunter auch die Forderung nach mehr Schutzräumen. Die genannten Akteure nutzen für ihre Identitätspolitik im beckschen Sinn die Institution der Subpolitik, da sie mit Hilfe der Medien und vermeintlich auf Grundlage der Medizin gegen die staatliche Politik um Geltungsmacht im Bereich des Politischen konkurrieren und dies im vorliegenden Diskurs auf dem Rücken transgeschlechtlicher Personen tun. Es handelt sich demnach nicht um Kämpfe der Gleichstellung oder des Schutzes, sondern um Kämpfe entlang der 2

Die Wirkmacht solcher Instrumente wurde ebenfalls in dem national-konservativ regierten Ungarn entdeckt, woraufhin Präsident Viktor Orbán am 16.06.2021 ein Gesetz zur Einschränkung des Informationsrechts von Jugendlichen bezüglich Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit beschloss, welches am 24.06.2021 in Kraft trat, mit dem Ziel, dass Kinder und Jugendliche Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit so nicht als Normalität wahrnehmen sollten (vgl. Tagesschau [2021]: Orban hält am LGBTQ-Gesetz fest. Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/ungarns-p raesident-orban-will-gesetz-zur-homsexualitaet-nicht-zuruecknehmen-101.html [letzter Zugriff: 25.06.2021]).

6. Fazit

Geschlechtergrenzen, indem Geschlecht mittels Biologisierung reessentialisiert und rekonstruiert werden soll. Der Appell mittels Angstnarrativen muss in diesem Kontext als strategisches Instrument verstanden werden, um für das identitätspolitische Bestreben größtmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Statt einen Dialog zu führen, monologisieren die Diskursteilnehmer*innen, was sicherlich durch die Rahmenbedingungen der politischen Agenda-Setzung im Kontext der Gesetzgebungsverfahren erzeugt wird. Statt also miteinander zu sprechen – einander zuzuhören, aufeinander einzugehen, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln – monologisieren die Diskursakteure, indem sie ihre Meinungen kundtun, um eben diese gesellschaftlich durchzusetzen. In einem solch engen Rahmen wird es nahezu unmöglich einen gesellschaftlichen Lernprozess anzustoßen. Statt also im Dialog nach Wegen zu suchen, sucht der politische Diskurs nach Wahrheiten. In diesem Kontext erfolgt häufig eine Umkehr der gesellschaftlichen Marginalisierung, wenn cisgeschlechtliche Menschen behaupten, es handle sich bei dem geplanten SelbstBestG um Partikularinteressen, denen sich die Allgemeinheit nun zu unterwerfen habe. In diesem Kontext wird häufig die eigene Forderung nach einer universellen Gleichheit ins Feld geführt, die jedoch immer stark eingegrenzt und an den Grenzen umkämpft ist. Problematisch bleibt weiterhin, dass die Beratung ausschließlich durch transgeschlechtliche Personen durchgeführt werden soll. Dies folgt der Annahme, dass diese Personen besonders befähigt zur Beratung seien, weil sie selbst transgeschlechtlich sind. Mit Foucault bedeutet dies, dass sich Menschen entlang eines Diskurssubjektes subjektiviert haben, was jedoch immer individuell und nicht verallgemeinernd bei allen Menschen gleich vollzogen wird. Somit wäre die eigene Transgeschlechtlichkeit keineswegs eine nachvollziehbare Begründung für die besondere Befähigung zur Beratung. Stattdessen würde sie wieder zu einem neuen Othering führen, da die Personen in ihrer Beratungsrolle dauerhaft in ihrer Transgeschlechtlichkeit verharren würde, wobei das Präfix Trans- und die diskursive Praxis des Personenstandswechsels schon darauf verweisen, dass es sich vor allem um einen Prozess handelt, welcher schließlich in Binarität überführt und männliche wie weibliche Subjekte ausbildet. In der Beratungsrolle müsse das weibliche oder männliche Geschlecht demnach erneut infrage gestellt werden, da die Professionalisierung mit dem Durchlaufen einer transgeschlechtlichen Subjektivierungsweise begründet wird. Eigene gesellschaftliche Verhältnisse lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Verhältnisse des zu beratenden Gegenübers zu. In einer beratenden Rolle wird diese Schwelle schnell überschritten und Herrschaftsverhältnisse reproduziert.3 Weiter hat die Analyse auch transgeschlechtliche Personen offenbart, die wie Amelung durchaus transnegative, in Teilen auch transfeindliche Äußerungen in den Diskurs hineintragen. Im Kontext von homonormativen Tendenzen wäre eine Peer-Beratung sicherlich nicht als ergebnisoffen und affirmativ zu garantieren. Im Diskurs unberücksichtigt bleibt die Möglichkeit, ein Gesetz zu schaffen, das in der Lage ist alle individuellen Rechtsansprüche zu bündeln und das weder Kinderrechte unter die Elternrechte stellt (siehe 3. Pers.-St., bzw. genitalangleichende Operationen) noch vice versa das Elternrecht unter das Kinderrecht (siehe transgeschlechtliche Elternschaft). Statt utilitaristischer Abwägung von individuellen Rechten, wäre eine um3

Vgl. Barta; Schrader (2021): S. 149.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

fassende Dekonstruktion des rechtlichen Geschlechts denkbar, welche Elternschaft im BGB entlang von genetischer und psychischer Elternrolle unterscheidet, bspw. geneticae parentum/biological descensus PARS I; II; III und descensus animi PARS I; II; III., und daran bestimmte Pflichten und Rechte knüpft, statt an die geschlechtliche Elternrolle. In diesem Sinne würden auch Frauen in ihrer Selbstbestimmung und Gleichstellung unterstützt, da nicht mehr mittels Gebärfähigkeit eine reproduktiv-sorgende Tätigkeit essentialisiert wird und Männer durchaus in die Verpflichtung zu nehmen wären. Weiter würden auch die Rechte von Männern gestärkt, die sich entlang solch einer – bestenfalls umfassenden – Regelung ihr Erziehungsrecht im Arbeitssektor nicht erstreiten müssen, was schließlich auch einen erheblichen Anteil der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt aushebeln würde, da das Vorurteil nicht mehr greift, dass Frauen wegen der reproduktiven Sorgearbeit häufiger im Beruf ausfallen als Männer. Weiter würden homosexuelle Menschen auch abstammungsrechtlich mit heterosexuellen Menschen gleichgestellt. Der Diskurs erzeugt einen Erkenntnisgegenstand und konstituiert so Diskurssubjekte, während das Dispositiv entlang der Subjektivierung Praxen hervorbringt, die Menschen zu Subjekten machen und welche mit Bührmann als Subjektivierungsweisen bezeichnet werden.4 Der nunmehr historische Diskurs über Transgeschlechtlichkeit führte zu dem Wissen, dass es Menschen gibt, die eine Inkongruenz zwischen ihrer Geschlechtsklassifikation und ihrer eigenen Geschlechtswahrnehmung empfinden, welches den Wunsch auf eine Anpassung der Geschlechtsklassifikation und des Geschlechtskörpers begründet. Ein Wissen, das im Jahr 1981 mit dem – zu diesem Zeitpunkt im internationalen Vergleich überaus fortschrittlichen – TSG eine Institutionalisierung erfährt, wodurch einerseits eine gesetzliche wie gesellschaftliche Anerkennung von Transgeschlechtlichkeit erfolgte, allerdings entlang der starren Reglementierung – bspw. eine zweijährige Therapie durchlaufen zu müssen, an deren Ende zwei unabhängige Sachgutachten klären mussten, ob das Personenstandwechselansinnen und die Transgeschlechtlichkeit sich bestätigen lassen, worauf dann die Verpflichtung zur genitalangleichenden Operation und dauerhaften Unfruchtbarkeit erfolgte, bevor der Personenstand und damit die Geschlechtsklassifikation endlich geändert werden konnten – ebenso ein Machtverhältnis erzeugt wird, da diese Regulierungsvorgaben die heteronormative Ordnung nicht gefährdeten, sondern entlang der Unterdrückung einzelner zu ihrer Reproduktion führten. Durch das TSG wurden demnach diskursive Praxen und ein Diskurssubjekt hervorgebracht, welches durch Menschen angeeignet werden konnte und in Befolgung der Praxen als Subjektivierungsweise die transgeschlechtliche Person selbst erst erschafft. Spannend ist in diesem Kontext, dass nach dem Wegfall von § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG eine nicht unerhebliche Anzahl an transgeschlechtlichen Personen auf die geschlechtsangleichende Operation verzichtet, demnach auch die Rede vom falschen Körper als diskursiv erzeugtes Narrativ seine Allmacht verloren hat. Somit befinden wir uns durch das Außerkraftsetzen von Teilen des TSG durch das BVerfG und dem Aufruf an die Regulierungsinstanz »die Politik möge eine Novellierung des TSG« vornehmen, an der Schwelle zu neuen Subjektivierungsweisen, die aus dem diskursiv transformierten Wissen hervorgehen. 4

Vgl. Bührmann (2004): S. 39.

6. Fazit

Während der 3. Pers.-St. die Biologisierung des Geschlechts nicht infragestellt und somit auch nicht das daran geknüpfte Ordnungsbestreben des Staates delegitimiert, kann in dem Versuch das SelbstBestG oder das GiG durchzusetzen genau diese Infragestellung der biologisierenden Geschlechterdefinition festgestellt werden, die zwangsläufig durch eine Selbstwahl des Geschlechts auch das Ordnungsinteresse des Staates ad absurdum führen würde. Während der 3. Pers.-St. die vormalige Rechtslosigkeit intergeschlechtlicher Personen aufhebt und ihnen einen adäquaten Rechtsstatus zuweist, erfolgt, bezogen auf transgeschlechtliche Personen, eine Verweigerung der Selbstbestimmung des Geschlechtseintrags – wenn dafür keine Regulierungsvorgaben erfüllt wurden – eine sekundäre Rechtslosigkeit, da sie nicht als selbstbestimmte Rechtssubjekte gelten, sondern als beratungswürdige, hilfsbedürftige Verworfene rechtlich infantilisiert werden. Intergeschlechtlichkeit kann demnach als erste Diskontinuität, als erster Bruch im Geschlechterdispositiv angesehen werden, wobei dies gleichzeitig entlang der Reproduktion einer Biologisierung des Geschlechts zu keiner Transformation führt. Die Gesetzentwürfe zur rechtlichen Neuregelung von Transgeschlechtlichkeit setzen an der Diskontinuität an, welche durch den 3. Pers.-St. erzeugt wurde, und ringen so um eine Transformation des Geschlechterdispositivs. Die von Foucault angesprochene Polyvalenz findet sich ebenfalls im Diskurs um Transgeschlechtlichkeit. Einerseits bestätigt Transgeschlechtlichkeit die Zweigeschlechternorm, da die PÄ einen Wechsel der Geschlechtsklassifikation von einer rechtmäßigen Ordnungskategorie (bspw. Mann) in die andere rechtmäßige Ordnungskategorie (bspw. Frau) vornimmt. Andererseits birgt dieser Transfer Brüche und Diskontinuitäten, da er der vermeintlichen Natürlichkeit der Ordnungskategorie Geschlecht zuwiderläuft. Mit Habermas konnte im vorausgehenden Kapitel gezeigt werden, dass das System der Rechte – ähnlich der Justitia – gegenüber ungleichen Lebensbindungen und kulturellen Differenzen die Augen verschließt.5 Erst dann, wenn dem Rechtssubjekt eine intersubjektivistische Identität zugeschrieben wird, die Position der Rechtsperson also auf ein Kollektiv generalisiert wird, könne diese Lesart verschwinden:6 »Unter dieser Prämisse verlangt eine richtig verstandene Theorie der Rechte genau die Politik der Anerkennung, die die Integrität des Einzelnen auch in seinen identitätsbildenden Lebenszusammenhängen schützt.«7 Neben der Ungleichheit von Lebenschancen erzeugt die Humandifferenzierung gleichzeitig eine Gleichheit von Lebensstilen.8 »Individualisierung besteht eben auch aus einer Multiplizierung von Optionen der Selbst- und Fremdkategorisierung, die in ihrer Relevanz miteinander konkurrieren. Es ist alles eine Frage von Kontexten.«9 In diesem Zusammenhang wurde innerhalb der Analyse klar, warum transgeschlechtliche Personen wollen, dass die Geschlechtskategorien allgemein verbindlich frei wählbar werden und das soziale Phänomen der Transgeschlechtlichkeit im Gesetz keine Sonderregelung erhält.

5 6 7 8 9

Vgl. Habermas (1996): S. 239. Vgl. Habermas (1996): S. 240. Habermas (1996): S. 240. Vgl. Hirschauer (2017): S. 38. Hirschauer (2017): S. 34.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Mit Habermas kann der Kampf um das SelbstBestG als ein Kampf um Anerkennung kollektiver Identitäten im Kontext der Mehrheitskultur verstanden werden, da es sich um eine »Emanzipationsbewegung [handelt], deren kollektive politische Ziele in erster Linie kulturell definiert sind, obgleich immer auch soziale und ökonomische Ungleichheiten sowie politische Abhängigkeiten im Spiel sind«.10 Plett erkennt in der ungleichen Verteilung von Rechten ebenfalls eine ungleiche gesellschaftliche Verteilung von Macht. Dies könne den Sachverhalt erklären, warum es vor allem in Bezug auf die deprivilegierten und marginalisierten geschlechtlichen wie sexuellen Lebensformen eine derart große Anstrengung bedarf, die – unter dem Gleichheitsprinzip prinzipiell zugestandenen, jedoch entlang des bürgerlichen Patriarchats aberkannten – Rechte einzufordern: »Wer weniger Rechte hat, hat zugleich weniger Macht, ist ein Stück ohnmächtig. Wer hingegen im Besitz der Macht ist, hat wenig Veranlassung, selbst initiativ zu werden, um anderen zur Zuerkennung und/oder Wahrung von Rechten zu verhelfen, selbst wenn es von der Verfassung verlangt wird. Damit bleibt es bei der Ohnmacht einzelner.«11 Die herrschende Kultur hingegen ist geprägt von Heteronormativität, wodurch Geschlecht und Sexualität in asymmetrischer Weise interpretiert werden, weshalb auch die Gleichberechtigung in eine Schieflage gerät. Habermas erkennt in derartigen Emanzipationsbewegungen eine Infragestellung des Werteregisters der gesamten Gesellschaft und somit eine öffentliche Problematisierung, die ins Private hineinreicht. Gleichzeitig würden die Emanzipationsbewegungen keine Umkehrung des asymmetrischen Gesellschaftsverhältnis verlangen, sondern sich um eine Überwindung einer illegitimen Spaltung der Gesellschaft, im vorliegenden Fall entlang einer Humandifferenzierung bemühen, wobei dies durchaus das Selbstverständnis der Mehrheitskultur berührt, die einer Änderungen des eigenen Selbstverständnis mitunter vorbehalten gegenübersteht.12 Bauman vermittelt diese These mit einer Zug-Metaphorik: »Wenn man in einem stehenden Zug sitzt und den Zug am Bahnsteig nebenan losfahren sieht, glaubt man zuweilen, der eigene Zug habe sich in Bewegung gesetzt.«13 Übertragen auf das Thema bedeutet dies: nur weil ein anderer Mensch den ihm zugewiesenen Geschlechtseintrag ablehnt, ändert dies nichts an meinem geschlechtlichen Empfinden. Das Gefühl sich in Bewegung zu setzen entspricht dann einer Irritation meiner Annahme von Essentialität des Geschlechts. »Ein ähnlicher Fall von optischer Täuschung liegt vor, wenn man sich selbst für das einzig Solide im Getümmel einer Welt hält, deren vorgeblich feste Bestandteile ständig Form und Standort wechseln.«14 Ich darf also genauso wenig glauben, dass ich mich nicht ändere, wenn um mich herum Identitätskämpfe um die Essentialisierung und Ontologisierung des Geschlechts ausgeführt werden. Wie gezeigt werden konnte, erlebt die Juridifizierung zwar eine Individualisierung, indem soziale Kämpfe mittels strategischer Prozessführung geführt und nicht mehr im Feld der Politik verortet werden, allerdings können diese verrechtlichten Diskurse mit

10 11 12 13 14

Habermas (1996): S. 243. Plett (2021p): S. 346. Vgl. Habermas (1996): S. 244. Bauman (2009): S. 175. Bauman (2009): S. 175f.

6. Fazit

ihren identitätspolitischen Effekten durchaus zu neuen Identitätspolitiken führen. Gesetze sind als solche ein Kennzeichen von Lebensformen als Ordnungen menschlicher Koexistenzen und ordnen demnach auch Identitäten und wie diese miteinander interagieren. Allerdings beziehen sich identitätspolitische Bestrebungen auf die Aushandlung der symbolischen Ordnung (Sichtbar- und Sagbarkeiten, Anerkennung), die Ressourcenverteilung und Ausdifferenzierung, während der Widerstreit der Lebensformen um Überzeugungen und Weltorientierungen (Deutungsrahmen) entbrennt. Während also die um Vorherrschaft duellierenden Deutungsmuster auf die Koexistenz von geschlechterbinärer und geschlechterpluraler Lebensform verweisen, verweist der Streit zwischen cisfeministischen und queerfeministischen Akteuren auf identitätspolitische Kämpfe, die sich um eine Konstruktion von Geschlecht, Trans-, Inter-, A- und Nicht-Binär-Geschlechtlichkeit bemühen. Während queerfeministische identitätspolitische Bestrebung um eine umfassende Inklusion und Verflüssigung der Geschlechterkategorien kämpfen, ist der Kampf von Cisfeminist*innen von Exklusionsbestrebungen gekennzeichnet, die dazu führen, dass selbst bisher eindeutig als weiblich klassifizierte Personen – bspw. jene ohne Brüste, mit vergrößerter Klitoris, Bartwuchs oder jene ohne Gebärfähigkeit – Gefahr laufen, aus den Exklusivweiblichkeiten herauszufallen. Weiter konnte auch ein zunehmender Widerstreit aus demokratischer und totalitaristischer Lebensform festgestellt werden, da es Akteure mit geschlechterbinärem Denkmuster gibt, die den demokratischen Gesetzgebungsprozess nicht anerkennen und mittels Desinformationskampagne eine Polarisierung der Gesellschaft erzeugen. In diesem Kontext wird immer wieder der Zensurvorwurf entlang einer vermeintlichen CancelCulture ausgerufen. Cancel-Culture bezieht sich auf gesellschaftliche Phänomene, die vom Kritisieren bis zum Anprangern des Gegenübers reichen und sich darum bemühen, dass die gesagten Thesen nicht ohne Widerspruch im Raum des Sagbaren stehen bleiben, mal durch Wiederaneignung des sprachlichen Raums, mal durch das MundtotMachen des Gegenübers. Erstaunlich ist hier, dass die vermeintlich Mundtoten aus ihrer gecancelten Position heraus immer noch sehr viel und sehr laut sprechen dürfen und im Diskurs mit ihren skandalisierenden Äußerungen den Rahmen des Sagbaren derart überdehnen, dass Transfeindlichkeiten normalisiert werden und utilitaristische Argumentationen die bereits Marginalisierten erneut prekarisieren. Der Diskurs zeigt im Bereich der Politik demnach das unangefochtene politische Selbstverständnis als demokratische Lebensform, da die hohe Teilhabe an den Diskursen mittels Stellungnahmen auf eine Rechtmäßigkeit der deutschen Verfassung und des politischen Entscheidungsprozesses verweist – wenngleich die OECD diesen stetig bemängelt –, während im Bereich des Politischen eine Zunahme demokratiefeindlicher Kräfte zu erkennen ist, die eine totalitäre Lebensform vertreten und sich darum bemühen, demokratische Prozesse zu unterwandern. Die Meinungsfreiheit ist eine für Deutschland besonders wichtige Freiheit und deswegen ist es ebenso wichtig, darauf aufmerksam zu machen, wenn diese bspw. von geschlechterbinären Akteuren dafür missbraucht wird, Falschbehauptungen und Desinformationen zu verbreiten, Diese Annahmen erkannte bereits Foucault und beschreibt in seiner Diskurstheorie die Machtbeziehungen und Kräfteverhältnisse, die zu einer Konfrontation und einem Kampf führen, indem um die Vorherrschaft eines Wissens und um das Durchsetzen von Wahrheiten gerungen wird. Diesen Anerkennungs- und Definitionskampf histo-

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Das Selbstbestimmungsgesetz

risch zu erfassen, bezeichnet Foucault als Genealogie. Deshalb erkannte Foucault den Diskurs als Ort symbolischer Kämpfe, in dem um Positionierungen und Anerkennung gerungen wird und Konflikte ausgetragen werden. Aus diesen diskursiven Arenen geht eine Spezialisierung des Wissens hervor, welches einer Monopolisierung entspricht, entlang derer Privilegierungen und Ressourcen verteilt werden. Letzteres unterdessen führt zu neuen Anerkennungskämpfen und somit identitätspolitischen Bestrebungen, welche einen subkulturellen Diskurs herbeiführen. Bublitz verweist deswegen in ihrer Auseinandersetzung mit Foucaults Diskurstheorie auf Transformationsprozesse, die vor allem durch eine Produktion von symbolischen Überschüssen angeregt wird. Diese Überschussproduktionen finden sich auch im SelbstBestG und in den BVerfG-Urteilen. Obwohl es um die Novellierung oder den Wegfall des TSG geht, wird des Weiteren um die Definition bzw. Auslegung von Geschlecht gerungen, nicht zuletzt deswegen, weil das BVerfG mehrfach die Geschlechtsidentität als Legitimation für eine PÄ und somit als grundlegend für das geschlechtliche Selbstverständnis anerkannt hat. Hier konnten die wissenschaftlichen Thesen Bührmanns Aufschluss geben, da diese aussagen, dass es keine Subjektivierungsweisen gibt, die nicht über Dispositive erzeugt wurden.15 Geschlecht ist demnach ein Dispositiv, aus welchem Geschlechtlichkeiten wie männlich, weiblich und intergeschlechtlich hervorgehen, das also eine Klassifizierung des Körpers möglich macht. Dass hier nur drei Geschlechtlichkeiten angeboten werden, liegt an dem Macht-Wissen-Komplex, der das Geschlechterdispositiv erzeugt. In der vorliegenden Analyse konnte gezeigt werden, dass die parallel verlaufenden gesetzlichen Diskurse zum Umgang mit intergeschlechtlichen Personen (2017) und transgeschlechtlichen Personen (2020) anhaltende Essentialisierung in Form einer Biologisierung produzieren. Während – die entlang von medizinischen Kriterien feststellbare – Intergeschlechtlichkeit einen eigenen Platz im PStG erhält und aufgrund der biologisch-körperlichen Klassifizierbarkeit als dem männlichen und weiblichen Geschlecht ebenbürtig anerkannt wird, erfolgt eine Abgrenzung der Transgeschlechtlichkeit, die weiterhin vom PStG ausgegrenzt und in einer separaten gesetzlichen Regelung an eine Reihe von Erfüllungspflichten gebunden wird, die als Beweispflicht des PersonenstandwechselWunsches, nicht aber des wahren Geschlechtes gelten müssen. Der politische Interdiskurs um eine gesetzliche Regelung der Transgeschlechtlichkeit verweist somit mehrfach auf das Geschlechterdispositiv. Bührmann erkannte entlang des sozialwissenschaftlichantiessentialistischen Konsens eine veränderte Geschlechtlichkeit, die nun im »Feld des Entscheidbaren und zu Entscheidenden« selbstbestimmt zu gestalten sei.16 Die Selbstbestimmung als Feld der subjektiven Freiheit wurde von Honneth in verschiedene Freiheitsvorstellungen unterteilt. Negative Freiheit wird von Honneth entlang Hobbes und Hegel als ein Freisein von äußeren aber ebenso inneren Zwängen beschrieben, indem Menschen befähigt sind »sich kraft eines Willensentschlusses von all jenen ›Bedürfnissen, Begierden und Trieben‹ zu distanzieren, die als Einschränkung der Unabhängigkeit des Ich erfahren werden können«.17 Eine rechtliche Freiheit bedeute für die Individuen in diesem Kontext demnach »nicht durch äußere Widerstände daran 15 16 17

Vgl. Bührmann (2004): S. 24. Bührmann (2019): S. 504. Honneth (2017): S. 23.

6. Fazit

gehindert zu werden, ihre selbstgesetzten Ziele zu realisieren«.18 Ergänzend zu dieser Form der Freiheit erläutert Honneth die optionale Freiheit als Akt der Selbstbestimmung »als eine reflektierte Wahl zwischen ihrerseits unverfügbaren Neigungen oder Handlungsimpulsen«,19 was dementsprechend einem »staatlich geschützten Spielraum zur Erkundung ihrer Vorlieben, Präferenzen und Absichten einräumen«.20 Das TSG entspricht gemessen an diesen beiden Freiheitstypen einer optionalen Freiheit, da im Vergleich zu einer Verwehrung eines geschlechtlichen Personenstandwechsels hier ein staatliches Angebot zur Selbstverwirklichung eröffnet wird. Eine negative Freiheit des Geschlechts würde eine absolute Deregulierung des Geschlechts bedeuten, bspw. in der Form, dass der Staat auf den Geschlechtseintrag verzichtet und so die subjektive Freiheit als negative Freiheit versteht, wodurch nach Honneth das Risiko eines Leidens an Unbestimmtheit entsteht. Allerdings, so unsere Vermutung, würde eine Deregulierung auf der dejure-Ebene nicht zwangsläufig zu einer Deregulierung auf der defactoEbene führen. Mit Honneth schafft das Selbstbestimmungsgesetz nun eine reflexive Freiheit, indem »die individuellen Absichten der Selbstbestimmung soziale Gestalt annehmen und intersubjektiv zur Verwirklichung kommen«.21 Statt also sich selbst überlassen zu sein und möglicherweise in ein Außerhalb der Gemeinschaft verlagert zu werden, institutionalisiert das SelbstBestG das Recht auf geschlechtliche Selbstverwirklichung dejure innerhalb der gemeinschaftlich erzeugten Handlungssysteme defacto. Der Wechsel von Lex Transsex zu Lex Sex verweist somit auch einen Wandel des gesellschaftlichen Freiheitsverständnisses. Eine unkontrollierte Selbstbestimmung des Geschlechtes würde jedoch dem gesellschaftlichen Ordnungsbestreben der Politik zuwiderlaufen und irgendwann diese Ordnung aushebeln, wodurch eine Ablehnung des grundsätzlichen Verzichts auf die Ordnungskategorie Geschlecht erklärbar wird. Somit muss festgehalten werden: »Die gesellschaftliche Relevanz von Unterscheidungen lässt sich nicht allein an politischen Kämpfen ablesen.«22 Auch Hirschauers Konzept der Humandifferenzierung konnte verdeutlichen, dass erst die Selektion aus einer Reihe konkurrierender Differenzierungen den Unterschied schafft.23 Demgemäß würde das SelbstBestG mit seiner Auswahlmöglichkeit die Geschlechtskategorien nicht verflüssigen, sondern festigen. Wirklich subversiv wäre demnach nur das Aufheben eines gesellschaftlichen Ordnungssystems entlang des Geschlechts. Mittels Foucaults Studien zur Gouvernementalität (Regierung) konnte aufgezeigt werden, dass das Ordnen der Menschen in Gruppen (Humandifferenzierung) vor allem dazu dient, das Einzelverhalten der Menschen entlang einer Gruppenzuordnung besser lenken zu können. Wie im geschlechtertheoretischen Kapitel gezeigt werden konnte, unternimmt die queere Identitätskritik hier einen den identitätspolitischen Bestrebungen gegensätzlichen Ansatz. Statt eine rechtliche wie soziale Anerkennung von homogenisierten Identitätsgruppierungen zu fordern, werden die Ausschlüsse und

18 19 20 21 22 23

Honneth (2011): S. 44. Honneth (2017): S. 24. Honneth (2011): S. 129. Honneth (2011): S. 233. Hirschauer (2017): S. 34. Vgl. Hirschauer; Boll (2017): S. 12.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Homogenisierungen der Identitätspolitik kritisiert, welche die Möglichkeit zu Veränderung der Identitäten verhindern.24 Während also die progressiv-radikalen Kräfte im Kampf um Anerkennung die Überwindung der totalitären Denkfiguren, bspw. des Geschlechts fordern, erkennen die traditionell-konservativen Kräfte ein Zeichen für eine tiefgreifende Krise, welcher entgegen zu wirken sei.25 Die Politik als institutionalisierte gesellschaftliche Ordnung gerät durch das Politische jedoch in Kritik, wenn die – aus ihr hervorgehenden – gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichen, alle gesellschaftlichen Lebensformen und -weisen adäquat zu repräsentieren. Zeigt sich durch die Pluralisierung menschlicher Existenz, dass bisherige Konzepte, Begriffe und Explikationen zur Beschreibung vielfältiger Lebensformen nicht ausreichen, kommen mittels Zurechnungskonflikt Forderungen nach einer Erweiterung und Anerkennung dieser auf. Das SelbstBestG kann also als Antwort auf einen Anerkennungskampf verstanden werden. In diesem Zusammenhang wurde mit Giddens Theorie der »emancipatory politics« und »life politics« eine Differenzierung der habermaschen Emanzipationsbewegungen aufgezeigt. Während die »emancipatory politics« eine Politik der Bewältigung von Ungleichheiten darstellt, sind die »life politics« also eine Politik der Selbstverwirklichung.26 Allerdings mahnt Giddens, dass eine Befreiung von Ungleichheiten noch lange nicht bedeutet frei im Sinne eines selbstbestimmten Lebens zu leben und genau deswegen müssten beide Ebenen unterschieden werden. Das identitätspolitische Bestreben ist die defacto Forderung nach dem Abbau von Ungleichheiten (frei von) und dem Aufbau von Möglichkeiten der Selbstbestimmung (frei zu), die noch offen im Diskurs verhandelt werden. Die Identitätspolitik hingegen ist der Abschluss des Diskurses, indem die Forderungen in einer Zusicherung der Selbstbestimmung dejure festgehalten werden. Es konnte auch gezeigt werden, dass die Wissenschaft im Politischen wie in der Politik zur Wahrheitsinstanz erhoben wird. Die Diskursakteure zeigen je nach Fachdisziplin ein großes Maß an Lobbyismus. Die Mediziner*innen ringen um jene Vormachtstellung, welche sie bisher bzgl. der Geschlechtsbestimmung und -korrektur innehatten und die gefährdet erscheint. Soziolog*innen bemühen sich unterdessen darum, dass soziologische Erkenntnisse über das Geschlecht im Diskurs das gleiche Gehör finden wie medizinische Deutungen. Psycholog*innen wollen wahlweise mehr in den Beratungsprozess einbezogen werden oder die ausschließliche Berechtigung, um die Entscheidungen eines Entscheidungsträgers begleiten zu dürfen. Interessenverbände fordern, dass gar keine Fachdisziplinen an der Beratung beteiligt werden, da eine Entpathologisierung nur dann möglich sei, wenn die Deutungshoheit ausschließlich bei Betroffenen läge. Damit wird deutlich, dass Geschlecht eben nicht ausschließlich von Menschen ausgehandelt wird, die selbst ein geschlechtliches (Miss-)Empfinden erleben, sondern ebenso wissenschaftliche Fakten in den Diskurs getragen werden, welche die eigenen geschlechtlichen Erfahrungen vermeintlich belegen und so zu Tatsachen erheben. Allerdings ist das wissenschaftliche Expertenwissen nicht in der Lage eine Tatsache zu ermitteln, sondern vielmehr soziale

24 25 26

Vgl. Laufenberg (2019): S. 335. Vgl. Habermas (1996): S. 246. Vgl. Giddens (1996): S. 192.

6. Fazit

Phänomene entlang von Konstruktionen zu beschreiben, wodurch das Expertenwissen in Diskursen einzig der epistemischen Konsenspolitik dienlich ist. Es konnte mit Foucaults zahlreichen Studien gezeigt werden, dass sich Forschung und Recht immer mehr verschränken, die Politik nur noch den strukturellen Rahmen für die Gesetzgebung liefert und Gesetze einen Kodex der Normalisierung vorlegen. Diese Erkenntnisse lassen die Unterscheidung von dejure und defacto sinnvoll erscheinen, da eine Normalisierung durch Gesetze zwangläufig zur Kollision menschlichen Verhaltens mit dem Rechtssystem führt. Im Diskurs gäbe es nach Foucault »strategische Spiele aus Handlungen und Reaktionen, Fragen und Antworten, Beherrschungsversuchen und Ausweichmanövern, das heißt Kampf«.27 Hier konnte mit den Begriffen Identitätspolitik und dem identitätspolitischen Bestreben angeschlossen werden, welche durch die Unterscheidung von dem Politischen und der Politik zudem gewinnbringend differenziert werden konnten. Während erstere Ebene die Anerkennungskämpfe und den Widerstreit umfasst, ist letztere die Ebene der politischen wie rechtlichen Entscheidungen, Urteile und Gesetze, welche eine gesellschaftliche Ordnung institutionalisieren. In diesem Zusammenhang sollte die Unterscheidung von dejure als Rechtsnorm und defacto als Sozialnorm verdeutlichen, dass es zwar eine Wechselwirkung der beiden Ebenen gibt, jedoch die Rechtsnorm die soziale Norm nie in Gänze determiniert, während die transformative Kraft der sozialen Norm ebenfalls begrenzt ist und nicht automatisch zu neuen Gesetzen führt. Habermas erkennt den Ursprung der aktuellen Wertekonflikte resultierend aus der Koexistenz verschiedener Interpretationsgemeinschaften,28 Subkulturen und Lebensformen innerhalb Deutschlands, die im Spannungsverhältnis zu den Rechtsverhältnissen stehen, welche aus ihrer Historizität heraus dejure den vorherrschenden Ethos der Mehrheitskultur tragen und so defacto zu Ungleichbehandlungen von marginalisierten Kollektiven führen.29 In diesem Zusammenhang konnte mit der vorliegenden Diskursanalyse des rechtlich-politischen Diskurses des SelbstBestG gezeigt werden, wie die heteronormative und geschlechterbinäre Lebensform zusehends durch eine sexualitätsvielfältige und geschlechterplurale Lebensform abgelöst wird und sich somit das aktuelle politische Selbstverständnis gegenüber dem politischen Selbstverständnis der Gesellschaft im Jahr der Inkraftsetzung des TSG 1981 stark verändert hat.30

27 28 29 30

Foucault (2002b): S. 670. Welche durchaus auf geteilten Einstellungen und Haltungen basieren können, auch ideologischen. Vgl. Habermas (1996): S. 325. Habermas bezieht seine Theorie ebenfalls auf den subjektiven Ermessensraum im Kontext von Gerichtsurteilen: »Das Urteil ist dann selbst ein Werturteil, das im Rahmen einer konkreten Wertordnung eine sich darin artikulierende Lebensform mehr oder weniger angemessen reflektiert, aber gar nicht mehr auf die Alternative bezogen ist, ob die gefällte Entscheidung richtig oder falsch ist« (Habermas [1996]: S. 366). Wird diese Aussage auf die Urteile des BVerfG transferiert, wird der Wandel der Lebensform besonders deutlich. Mehrfach betont das BVerfG in der Urteilsbegründung, dass seit 1981 – dem Jahr der Einführung des TSG – neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Annahme führen, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt und sich darüber hinaus auch die gesellschaftlichen Lebensweisen geändert hätten.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

Darüber hinaus wurden weitere Deutungskämpfe markiert; bspw. der Kampf gegen eine patriarchale Lebensform, welcher jedoch mit einer Auflösung der heteronormativ-geschlechterbinären Lebensform eine Delegitimierung des eigenen Kampfes um Schutz und Anerkennung befürchtet. Indem der Kampf gegen die patriarchale Lebensform nur auf Grundlage einer Anerkennung der heteronormativ-geschlechterbinären Lebensform und ansonsten als alternativlos konstruiert wird, kann auch die Bestrebung, das diskursive Gegenüber als Gegnerschaft zu verstehen, bestätigt werden. Diese Alternativlosigkeit konnte jedoch als instrumentelles Konstrukt offenbart werden, da die gesetzliche Anerkennung einer sexualitätsvielfältigen und geschlechterpluralen Lebensform auch die patriarchale Lebensform nachhaltig schwächen würde. Als Leerstelle und somit im Bereich der Unsagbarkeit zu verorten ist die im Diskurs nicht artikulierte Forderung, das Geschlecht als personenstandsrechtliche Ordnungskategorie abzuschaffen. Dies konnte entlang der Stellungnahmen damit begründet werden, dass Gerechtigkeitsfragen nicht differenzblind sein dürfen, um Ungleichbehandlungen weiter identifizierbar zu machen, vor Diskriminierungen zu schützen und Maßnahmen zur Gleichbehandlung herbeizuführen. In einer defacto grundsätzlich hierarchisch aufgebauten Gesellschaft – sei es einer kategorialen Hierarchie oder einer Statushierarchie geschuldet – ist es dejure schwer, auf Differenzierungen zu verzichten und gleichzeitig der pluralen Lebenswelt juristisch gerecht zu werden. Habermas erkennt daher die Notwendigkeit, gemeinsame Überzeugungen herauszuarbeiten, da wir in einer komplexer-werdenden Gesellschaft mit pluralen Lebensformen und Weltanschauungen leben, wobei diese für ihn eine existentielle Herausforderung darstellen.31 In diesem Zusammenhang kann der vorliegende Diskurs um das SelbstBestG als ein Zeugnis des gegenwärtigen gesellschaftlichen Lernprozesses verstanden werden, wenngleich – und das räumt Habermas durchaus selbst ein – dieser Lernprozess von immer mehr Menschen als reine Zumutung empfunden wird. Aus diesem Grund fordert Habermas nach einem höheren Maß normativer Rechtfertigungen. Und in der Tat muss es als erstaunlich angesehen werden, dass der Diskurs um das SelbstBestG kaum Eingang in die alltagsweltliche Presse findet, wenngleich sich in ihm der Wandel des politischen Selbstverständnisses der Gesellschaft offenbart und es um Gerechtigkeitsfragen geht, welche immer eine Konsenserwartung beherbergen, die defacto hinsichtlich der pluralen Lebensform schlicht nicht erreichbar ist und somit nur dejure in Form von rechtlicher Anerkennung des Pluralismus von Lebensformen umsetzbar ist. Habermas sieht vor allem in den Klassifikationen der Geschlechterrollen und daraus hervorgehenden geschlechtsabhängigen Differenzen eine nachhaltige Berührung des kulturellen Selbstverständnisses der Gesellschaft: »Aus juristischer Sicht besteht ein Grund für diese reflexiv erzeugte Diskriminierung in den überverallgemeinernden Klassifikationen für benachteiligende Situationen und benachteiligte Personengruppen. Diese »falschen« Klassifikationen führen nämlich zu »normalisierenden« Eingriffen in die Lebensführung, die den intendierten Schadens-

31

Vgl. Habermas (1996): S. 331.

6. Fazit

ausgleich in erneute Diskriminierung, also Freiheitsverbürgung in Freiheitsentzug umschlagen lassen.«32 Daher sei ein öffentlicher Streit in der politischen Öffentlichkeit um die Interpretation und daraus hervorgehenden Bedürfnissen angemessen.33 Das Aushalten von anderen Lebensformen, die der eigenen möglicherweise idealisierten Lebensform widersprechen, ist nach Habermas verbindlicher Teil der egalitären Rechtsgemeinschaft. Somit sei ein Dulden dejure die Grundlage des gegenseitigen Respekts von Rechtspersonen,34 während defacto die Möglichkeit zur moralischen Auseinandersetzung besteht.35 »Wenn Gerechtigkeitsfragen das ethische Selbstverständnis konkurrierender Lebensformen nicht transzendieren können und existenziell relevante Wertkonflikte, also Gegnerschaften, durch alle strittigen politischen Fragen hindurchgreifen, enden wir nämlich in letzter Konsequenz bei einem […] Verständnis von Politik«, bei welchem politische Konflikte als moralische betrachtet und Politik als Gegnerschaft verstanden werden muss, die nur noch einen Machtkampf darstellt, statt gemeinschaftliche Lösungen zu finden.36 Auch Sophie Domres kommt nach einer diskursiven Sprachanalyse zu dem Schluss, dass die Kriegsmetapher nicht bloß eine Metapher ist, die den Widerstreit der Einstellungen zum Thema Geschlecht veranschaulichen soll, sondern es sich um ein Framing handelt, mittels dessen der Diskursrahmen sprachlich hergestellt wird. Krieg – so konnte auch ihre Analyse darstellen – bedeutet immer den Wunsch nach Vernichtung des Feindes. Diese stilistisch anmutende Sprache verweist auch darauf, dass die emanzipativen Forderungen als Angriff gegen die hegemoniale Ordnung wahrgenommen werden, selbst dann, wenn ein Gleichgewicht zwischen den Kräfteverhältnissen hergestellt wird.37 Die Gleichstellung von trans- und inter-, a- und nicht-binärgeschlechtlich Menschen mit heteronormativ binärgeschlechtlichen Personen führt keinen Krieg gegen einen Feind, sondern einen Kampf um die eigene Existenz. Deshalb setzt Habermas der Kriegsanleihe sein Diskursverständnis als Entscheidungsverfahren mit der Perspektive entgegen, dass Teilnehmende sich gegenseitig in politischen Diskursen überzeugen und voneinander lernen können.38 Weiterhin ist unklar, warum in allen Gesetzentwürfen die kleine Lösung des TSG verworfen wird. Stets werden die Entwicklung und Entdeckung der eigenen Persönlichkeit ebenfalls auf das Geschlecht bezogen, was durch eine Unterscheidung zwischen kleiner und großer Lösung durchaus anerkannt wurde. Das Erleben des eigenen Geschlechts kann durch die optische Veränderung entdeckt und entwickelt werden, indem der Kleidungsstil verändert wird, Schminke genutzt wird, die Haare anders gestylt werden, aber auch der Vorname spielt eine wichtige Rolle, denn während die optischen Veränderungen vor allem auf die Außenwirkung abzielen, kann die Anpassung des Vornamens die

32 33 34 35 36 37 38

Habermas (1996): S. 301. Vgl. Habermas (1996): S. 302. Vgl. Habermas (1996): S. 319. Vgl. Habermas (1996): S. 320. Habermas (1996): S. 322. Vgl. Domres (2021). Vgl. Habermas (1996): S. 322f.

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Selbstwirksamkeit stimulieren. Während eine PÄ meist mit einem bürokratischen Kraftakt verbunden ist – so müssen Zeugnisse, Personalausweise usw. neu angefordert werden – kann die VÄ erstmal als Übergangsstadium gelten, in welchem sich die Personen selbst erkunden können. Dies würde auch dem Prozess des Passings gerecht werden. Mit Nancy Fraser möchten wir den dialogischen Ansatz für eine kommende Gesetzgebung vorgeschlagen. Statt mittels monologischer Stellungnahmen und vorabgeschriebenen Bundestagsreden und Expert*innenvorträgen, sollte ein öffentliches Diskussionsforum allen Beteiligten demokratisch-partizipativ die gleichen Voraussetzungen schaffen. Zudem sollte die politische Rahmung nicht ausschließlich der Frage nachgehen, wie Geschlecht künftig rechtlich zu verstehen sei, sondern auch die Frage stellen, ob es des Geschlechts als Ordnungskategorie überhaupt noch bedarf. Als Abschluss dieses wissenschaftlichen Beitrags wird – entlang Siguschs Theorie des Liquid Gender39 , welches in der Lage ist dem kulturellen Wandel und der Vielfältigkeit des Geschlechts gerecht zu werden, und dem Verständnis von Geschlecht als Kontinuum von Baltes-Löhr – eine rechtliche Abkehr von der politischen Ordnungskategorie des Geschlechts vorgeschlagen. Neuzeitlich werden biometrische Daten in der Sicherheitspolitik immer wichtiger und im Personalausweis wie Reisepass bereits verpflichtend abgefragt. Das biometrische Foto, der digitale Fingerabdruck, all diese Neuerungen machen die Geschlechtskategorie als Ordnungskriterium unlängst obsolet.40 In den Analysen konnte festgestellt werden, dass das Geschlecht als Ordnungskategorie weitestgehend nicht gerechtfertigt oder legitimiert ist, sondern vielmehr ein Ringen um die Ausdeutung des Geschlechts vollzogen wird. Vor allem gesetzgebende und gesellschaftsordnende Begriffe bedürfen einer Rechtfertigung und Legitimierung, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass auch das SelbstBestG nicht das Ende der Reise Richtung Gleichberechtigung und Freiheit darstellt. Mit großer Gewissheit kann davon ausgegangen werden, dass durch eine Umsetzung des SelbstBestG erneut identitätspolitische Bestrebungen entstehen werden, da sich geschlechterbinäre und geschlechterplurale Denkmuster weiterhin gesellschaftlich als vermeintlich unvereinbare Weltsichten gegenüberstehen. Vor allem aber kann das SelbstBestG seine emanzipatorische Wirkung dejure nur entfalten, wenn auch auf defacto Ebene an einer Gleichberechtigung gearbeitet wird. Aus diesem Grund kommen auch wir zu dem Schluss, dass es eines besseren Antidiskriminierungsschutzes hinsichtlich nicht-heteronormativer Sexualitäten und Geschlechter bedarf und somit einer umfassenden Bildung, die nicht nur aufklärt, sondern auch dazu befähigt die eigene Identität als eine stabile zu erleben, wenngleich die Kategorien, in denen diese beheimatet ist, immer instabiler werden. Aus diesem Grund hoffen wir auf eine Gesellschaft mit der Befähigung, vermeintliche Selbstverständlichkeiten auf ihre Legitimierung und Rechtfertigung zu prüfen.

39 40

Vgl. Sigusch (2013): S. 187. Abschließend soll hier darauf verwiesen werden, dass biometrische Daten durchaus kritisch zu betrachten sind.

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Das Selbstbestimmungsgesetz

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Dank

Zunächst möchten wir Nadine Sengstock danken, die uns ihr grandioses Bild »Kirschgarten (I love my bottom)« als Cover zur Verfügung gestellt hat. Nadine ist eine begnadete Künstlerin und Studentin der Düsseldorfer Kunstakademie und betrachtet in ihrer Kunst archivarisch und mit naturforscherischem Blick zivilisatorische Artefakte, so auch in der Bilderreihe »Bodybilder«, welcher auch das Bild auf dem Cover entspringt. Indem sie die Artefakte um ein Vielfaches ihrer eigentlichen Größe vergrößert und sie zunehmend abstrahiert, kann der Wunsch des Gewöhnlichen nach Einzigartigkeit zum Ausdruck gebracht und so mittels Abstrahierung eine geschlechterunspezifische Wirkung ausgedrückt werden. Auch wollen wir Marvin Gärtner danken, der uns mit seiner gründlichen Lektüre grammatikalisch, aber ebenso inhaltlich bereichert hat. Marvin ist Theologiestudent mit großer Expertise in den Queer Studies und somit geübt darin, vermeintlich Gegensätzliches zum Gegenstand der eigenen Forschung zu machen und in seiner Vielseitigkeit zu analysieren. Final darf ein großer Dank an Anja Ostrowski nicht fehlen, die uns auf das Thema aufmerksam gemacht hat, da sie als Netzwerkkoordinatorin für Antidiskriminierungsarbeit in den Diskurs förmlich hineingerissen wurde. Ihre Standhaftigkeit gegenüber radikalen Versuchen kommunale Akteure mittels Falschbehauptungen zum Lobbyismus zu motivieren wird uns immer ein Vorbild sein.

Gender & Queer Studies Hannah Fitsch, Inka Greusing, Ina Kerner, Hanna Meißner, Aline Oloff (Hg.)

Der Welt eine neue Wirklichkeit geben Feministische und queertheoretische Interventionen 2022, 284 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-6168-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6168-6

Yener Bayramoglu, María do Mar Castro Varela

Post/pandemisches Leben Eine neue Theorie der Fragilität 2021, 208 S., kart., 6 SW-Abbildungen 19,50 € (DE), 978-3-8376-5938-2 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5938-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5938-2

bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Nivedita Prasad (Hg.)

Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung Formen und Interventionsstrategien 2021, 334 S., kart., 3 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5281-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5281-3 ISBN 978-3-7328-5281-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Gender & Queer Studies Katrin Huxel, Juliane Karakayali, Ewa Palenga-Möllenbeck, Marianne Schmidbaur, Kyoko Shinozaki, Tina Spies, Linda Supik, Elisabeth Tuider (Hg.)

Postmigrantisch gelesen Transnationalität, Gender, Care 2020, 328 S., kart., 7 SW-Abbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-4728-0 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4728-4

Ralph J. Poole

Queer Turkey Transnational Poetics of Desire 2022, 262 p., pb., col. ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5060-0 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5060-4

Eliane Kurz

Intersektionalität in feministischer Praxis Differenzkonzepte und ihre Umsetzung in feministischen Gruppen 2022, 332 S., kart. 39,00 € (DE), 978-3-8376-6218-4 E-Book: PDF: 38,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6218-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de