Das Recht der Staatskirchenverträge: Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach [1 ed.] 9783428525805, 9783428125807

Alexander Hollerbach ist in Deutschland der Fachmann für Konkordate und Kirchenverträge. Seit seiner Habilitationsschrif

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Das Recht der Staatskirchenverträge: Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach [1 ed.]
 9783428525805, 9783428125807

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Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 46

Das Recht der Staatskirchenverträge Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach Herausgegeben von Stefan Mückl

Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN MÜCKL (Hrsg.)

Das Recht der Staatskirchenverträge

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Alexander Hollerbach · Josef Isensee Joseph Listl · Wolfgang Loschelder · Hans Maier · Paul Mikat Stefan Muckel · Wolfgang Rüfner · Christian Starck

Band 46

Das Recht der Staatskirchenverträge Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach

Herausgegeben von

Stefan Mückl

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-12580-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Geleitwort des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender Alexander Hollerbach ist in Deutschland der Fachmann für Konkordate und Kirchenverträge. Seine Habilitationsschrift „Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahre 1965 war eine Pionierleistung. Sie stellte erstmals in der Nachkriegszeit das Recht der Konkordate und Kirchenverträge in Deutschland die Konfessionsgrenzen übersteigend systematisch dar. Hollerbach hat sich zu dem Thema immer wieder wissenschaftlich geäußert. Zu praktischen Einzelfragen hat er in zahlreichen Gutachten Stellung bezogen und nach der Wiedervereinigung bei den Verhandlungen über Verträge mit den neuen Ländern – insbesondere bei den Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen – wertvolle Hilfe geleistet. Er hat damit die neuere Epoche des Staatskirchenvertragsrechts in Deutschland aktiv mitgestaltet. Sein Sinn für Gerechtigkeit und Ausgewogenheit bewahrte ihn vor extremen Forderungen und Lösungen. Im konfessionell gespaltenen Deutschland mußte immer auf die Parität der großen Kirchen geachtet werden. Hollerbach war sich dessen stets bewußt, ohne die manchmal unterschiedliche Interessenlage der Kirchen zu vernachlässigen. Die in dieser Schrift publizierten Vorträge jüngerer Vertreter des Staatskirchenrechts aus dem Colloquium zum 75. Geburtstag von Alexander Hollerbach zeigen sehr deutlich die Wirkung seiner Arbeit auf dem Spezialgebiet, auf dem er besonderen wissenschaftlichen Ruhm erlangt hat. Alexander Hollerbachs Werk reicht freilich weit über die Staatskirchenverträge hinaus. Er hat das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt, dem Kirchenrecht Wege gewiesen und zahlreiche gewichtige Beiträge zur Rechtsphilosophie, zur Rechtsgeschichte und zum Staats- und Verwaltungsrecht geliefert. Die Verbindung von Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie war ihm stets ein besonderes Anliegen. Die katholische Kirche in Deutschland und die Weltkirche sind Alexander Hollerbach zu großem Dank verpflichtet.

+ Erwin Josef Ender Apostolischer Nuntius

Vorwort Das Recht der Kirchen- und Staatskirchenverträge hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Deutschland wie in Europa eine ebenso bemerkenswerte wie unerwartete Renaissance erfahren. Das Zeitalter der Konkordate (und Verträge) ist keineswegs „passé“ (Alain Boyer): In Deutschland haben inzwischen sämtliche der „neuen“ Bundesländer Verträge mit der Katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen sowie mit den jüdischen Kultusgemeinden abgeschlossen. Desgleichen haben zahlreiche mittel- und osteuropäische Staaten ihr Verhältnis zur Katholischen Kirche durch Konkordate und Verträge mit dem Heiligen Stuhl auf eine neue Grundlage gestellt; teilweise haben sich auch vertragsrechtliche Strukturen zu anderen kirchlichen Vertragspartnern herausgebildet. Diese Entwicklungen machen eine eingehende und umfassende Bestandsaufnahme und Analyse des Rechts der Staatskirchenverträge lohnend und notwendig. Um so mehr gilt dies, als dem Institut des Vertrags ungebrochene Attraktivität zukommt, wie diverse rechtspolitische Bestrebungen nach Abschlüssen mit muslimischen Gemeinschaften offenbaren. Auch im innerkirchlichen Bereich wachsen Anwendungsbereich und Bedeutung der Handlungsform, führt man sich die aktuellen Diskussionen um Verbindungs-, Föderations- und Fusionsverträge im evangelischen Bereich vor Augen. Die wissenschaftliche Behandlung der Materie hat dabei tiefer anzusetzen: Über die Bestandsaufnahme und Analyse hinaus müssen die Grundlagen des Staatskirchenvertragsrechts erneut in den Blick treten – was ist der Legitimationsgrund der Kooperation von Staat und Kirche im religiös neutralen Staat? Die Beiträge dieses Bandes wurden im Sommer 2006 als Vorträge bei einem Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach in der Nähe von Freiburg gehalten. Das Colloquium führte, um dem generationenübergreifenden Interesse am Staatskirchen(vertrags)recht Ausdruck zu verleihen, Vertreter der jüngeren Generation zusammen – einmal, um mit Alexander Hollerbach einen Gelehrten zu ehren, der nach 1989 selbst aktiv an der Schaffung der Staatskirchenverträge und ihrer Fortentwicklung maßgeblich beteiligt war, zum anderen um gerade in seiner Gegenwart und unter seiner Beteiligung das wissenschaftliche Gespräch in

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Vorwort

einer Disziplin zu führen, die er wie kein zweiter in Deutschland begleitet und geprägt hat. Dieser Band legt die Vorträge in erweiterter und vertiefter Form der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vor. Dafür, daß dies möglich wurde, ist vielfältiger Dank abzustatten: Er gilt zunächst Herrn Professor Dr. Wolfgang Rüfner sowie den weiteren Herausgebern der „Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen“ für die ehrenvolle Aufnahme des Bandes in die Reihe. Der Verband der Diözesen Deutschlands und das Erzbistum Freiburg haben Colloquium wie Veröffentlichung in großzügiger Weise gefördert. Aufrichtiger Dank hierfür gebührt den Institutionen ebenso wie ihren Repräsentanten, P. Dr. Hans Langendörfer (Bonn) sowie Generalvikar Prälat Dr. Fridolin Keck (Freiburg). Für die angenehme und reibungslose Zusammenarbeit gilt schließlich dem Verlag Duncker & Humblot herzlicher Dank. Freiburg, 29. Juni 2007

Stefan Mückl

Inhaltsverzeichnis Stefan Mückl Alexander Hollerbach und das Recht der Staatskirchenverträge . . . . . . . . . . .

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Arnd Uhle Codex und Konkordat. Die Lehre der katholischen Kirche über das Verhältnis von Staat und Kirche im Spiegel des neueren Vertragsstaatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Ulrich Anke Die Stellung der Kirchenverträge im evangelischen Kirchenrecht . . . . . . . . .

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Michael Germann Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ansgar Hense „Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit?“ . . . . . . . . .

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Balázs Schanda Neues Konkordatsrecht in Ost-Mitteleuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alexander Hollerbach und das Recht der Staatskirchenverträge Von Stefan Mückl I. Dimensionen der Befassung Alexander Hollerbachs mit der Materie 1. Der wissenschaftliche Autor Seit über vier Jahrzehnten ist das Recht der Staatskirchenverträge einer der (wenn nicht: der) zentralen Schwerpunkte im wissenschaftlichen Werk von Alexander Hollerbach. Bereits seine erste Äußerung zu dieser Materie, die 1964 vorgelegte und 1965 veröffentlichte Freiburger Habilitationsschrift „Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland“, erfüllt alle Kriterien und Maßstäbe, welche die Bewertung der Schrift als „grundlegend“ rechtfertigen. Seither hat Alexander Hollerbach die Thematik immer wieder behandelt. Dabei hat er sich aber keineswegs auf die bloße Wiederholung seiner Überlegungen sowie die schlichte Aktualisierung ihrer rechtstatsächlichen Grundlagen beschränkt. Vielmehr hat er die Materie immer tiefer durchdrungen – später, wovon noch zu sprechen sein wird, auch praktisch mitgestaltet – und damit sein eigenes Werk gewissermaßen fortlaufend „verfeinert“. Ausgehend von der in der Habilitationsschrift geleisteten Grundlegung – von der Dokumentation des Vertragsstoffs über die Systematisierung durch Terminologie und Typologie gipfelnd in der Erarbeitung eines „allgemeinen Teils“ des Vertragsrechts – hat Alexander Hollerbach mehrfach kompakte Darstellungen vorgelegt, welche den Leser im ureigenen Sinn des Wortes orientieren. Hierbei denkt man zunächst an den einschlägigen Beitrag in beiden Auflagen des „Handbuchs des Staatskirchenrechts“1 sowie die entsprechenden Ausführungen bei der Gesamtdarstellung des deutschen Staatskirchenrechts im „Handbuch des Staatsrechts“2. Einen weiteren 1 Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Ernst Friesenhahn/Ulrich Scheuner (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), Band I, 1. Aufl. 1974, S. 267, sowie in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR I, 2. Aufl. 1994, S. 253.

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(schwer-)gewichtigen – auch im Abstand von über fast vier Jahrzehnten noch mit großem Gewinn zu lesenden – Beitrag hat Alexander Hollerbach 1968 im „Jahrbuch des öffentlichen Rechts“ publiziert3. Unter dem (allzu) bescheidenen Titel „Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts“ werden zunächst die fundamentalen Verschiebungen im Bereich der katholischen Kirche entfaltet, welche das II. Vatikanische Konzil für das Verhältnis von Staat und Kirche im allgemeinen sowie für Legitimation und Praxis der Konkordate im besonderen bewirkt hatte. Den Schwerpunkt jenes Berichts legt Alexander Hollerbach auf die (von ihm später so bezeichnete) „Konkordatsgeographie“4, in welcher er von dem ihm so vertrauten deutschen über den als „klassisch“ zu bezeichnenden südeuropäischen Bereich ausgehend bis nach Mittel- und Südamerika gelangt sowie das seinerzeit kommunistische Ost-Mitteleuropa ebenso einbezieht wie das gerade erst postkoloniale Tunesien. Bei aller fortdauernden Bedeutung jenes Berichts im Grundsätzlichen bedarf er doch, wie Alexander Hollerbach selbst (sogar mit der Verstärkung „dringend“) festgestellt hat5, einer Fortschreibung. Diese hätte vor allem die Renaissance des Rechts der Staatskirchenverträge seit dem Fall des Kommunismus in den Staaten Mittel-Ost- und Osteuropas zu verarbeiten und daraus gegebenenfalls Rückschlüsse auf die Materie insgesamt zu ziehen. Alexander Hollerbach hat nicht nur die erwähnte Feststellung getroffen und zur Abhilfe des bestehenden Mankos das – glücklicherweise öffentliche – Versprechen abgegeben, einen erneuten Bericht vorzulegen. Einen ersten Vorgeschmack, gleichsam einen Appetitanreger, worauf sich die „Zunft“ einstellen und freuen darf, hat er in der dem Versprechensempfänger Peter Häberle gewidmeten Festschrift bereits geliefert – unter dem hintergründigen Titel „Aspekte“ (nicht etwa: „Prolegomena“) „der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts“6. Auf die zahlreichen Ausführungen zum Recht der Staatskirchenverträge in Gesamtdarstellungen des Staatskirchenrechts kann hier nur pauschal verwiesen werden – neben den schon erwähnten im „Handbuch des Staats2 Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Band VI, 1. Aufl. 1989 sowie (inhaltlich unverändert) 2. Aufl. 2001, § 138 Rn. 48 ff. 3 Hollerbach, Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts, JöR n. F. 17 (1968), S. 117. 4 Hollerbach, Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 821 (824). 5 Hierzu sowie zum Folgenden Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821. 6 Ebd.

Alexander Hollerbach und das Recht der Staatskirchenverträge

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rechts“ soll wenigstens aber noch das Alexander Hollerbach bereits 1967 anvertraute Staatsrechtslehrerreferat genannt werden7. Hervorhebung verdienen allemal die diversen profunden Einzeluntersuchungen zu bestimmten Konkordaten bzw. Einzelfragen: So zum Badischen Konkordat in der Gedächtnisschrift für Hermann Conrad 8, zu den Lateranverträgen in der Römischen Quartalschrift9 und zum Treueid in der Festschrift für Klaus Obermayer10. In diesen Kontext gehören auch Untersuchungen zu verschiedenen Staatskirchenverträgen und Konkordaten einer bestimmten Epoche, so zu den evangelischen Kirchenverträgen in Deutschland in der Festschrift für Konrad Repgen11, zum Vertragsstaatskirchenrecht im Prozeß nach der Wiedervereinigung Deutschlands12 sowie zur Konkordatspolitik im Pontifikat von Papst Johannes Paul II. 13. Das Bild des wissenschaftlichen Autors Alexander Hollerbach wäre unvollständig, würden seine zum Stichwort „Konkordat“ erarbeiteten LexikonArtikel unerwähnt bleiben. In ihnen – im „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“14, im „Staatslexikon der Görres-Gesellschaft“15 sowie in „Religion in Geschichte und Gegenwart“16 – begegnet dem Interessierten 7 Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (76 ff.) = in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Alexander Hollerbach, Ausgewählte Schriften, 2006, S. 253 (269 ff.). – Gewichtig ferner die Kommentierung zu Art. 8 im von Paul Feuchte herausgegebenen Kommentar zur „Verfassung des Landes BadenWürttemberg“, 1987. 8 Hollerbach, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: Gerhard Kleinheyer/Paul Mikat (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, 1979, S. 283. 9 Hollerbach, Die Lateranverträge im Rahmen der neueren Konkordatsgeschichte, Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 75 (1980), S. 51. 10 Hollerbach, Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Richard Bartlsperger/Dirk Ehlers/Werner Hofmann/Dietrich Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, 1986, S. 193. 11 Hollerbach, Verträge des Staates mit den evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Dieter Albrecht/Hans-Günter Hockerts/Paul Mikat/Rudolf Morsey (Hrsg.), Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, 1983, S. 565. 12 Hollerbach, Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, KuR 1995, S. 1 (= Nr. 120, S. 1). 13 Hollerbach, Concordati e accordi concordatari in Germania sotto il pontificato di Giovanni Paolo II, Quaderni di diritto e politica ecclesiastica 1999, fasc. 1 (April), S. 73. 14 Hrsg. von Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann, Band 2, 1978, Sp. 1070. 15 Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Band 10, 1970, Sp. 536, sowie 7. Aufl., Band 3, 1987, Sp. 620; dort auch die Artikel „Konkordatslehrstühle“ (Sp. 625), „Reichskonkordat“ (Sp. 789) und „Staatskirchenverträge“ (Sp. 186).

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Alexander Hollerbach in der „Nußschale“: Auf naturgemäß knapp bemessenem Raum bietet er dichte und kompakte Information, vermittelt die historische Entwicklung ebenso wie die legitimatorische Basis der Materie und liefert eine Fülle von Anregungen zum weiteren Nachdenken. Eine besondere Tugend der wissenschaftlichen Arbeit Alexander Hollerbachs muß gerade hier dankbar hervorgehoben werden – die Redlichkeit („Fairneß“) gegenüber dem Leser: Der Wissenschaftler erwähnt selbstredend seine eigenen Anschauungen und Überzeugungen, vermerkt es aber auch, wenn sich diese im rechtlichen Diskurs nicht vollends haben durchsetzen können. 2. Der akademische Lehrer Alexander Hollerbach hat insgesamt sechs Dissertationen betreut17, welche unmittelbar Gegenstände des Rechts der Staatskirchenverträge zum Thema hatten. Bezeichnend dabei ist, daß keine dieser Arbeiten sich auf (im Regelfall von ihm selbst) bereits ausgetretenen Pfaden bewegt, sondern alle vielmehr spezielle Fragen behandeln und damit auch manche der verborgeneren Winkel der Materie ausleuchten. Wohl kein anderer Umstand kann die enge Verbundenheit des akademischen Lehrers mit dem sujet treffender belegen als der Umstand, daß die erste unter der Ägide von Alexander Hollerbach gefertigte Dissertation einer konkordatsrechtlichen Themenstellung gewidmet ist. Als einzige weist sie einen grundsätzlichen Zugriff auf: Hans Reis wurde 1966 mit einer Arbeit über „Konkordat und Kirchenvertrag in der Staatsverfassung“ in Mannheim promoviert18. Auf den ersten Blick weniger spektakulär nehmen sich demgegenüber andere Arbeiten aus, die spezielle Einzelfragen (die Konkordatsprofessuren19) oder einzelne Verträge (die evangelischen Kirchenverträge mit Schleswig-Holstein20 und Rheinland-Pfalz21 sowie die hessischen Bistumsverträge22) behandeln. Ihr Wert ruht gewissermaßen schon in sich selbst: Zumeist sind es die einzigen eingehenden Untersuchungen, die dem 16 Hrsg. von Hans Dieter Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel, 4. Aufl., Band 4, 2001, Sp. 1599; dort auch die Artikel „Lateranverträge“ (Band 5, 2002, Sp. 114), „Politische Klausel“ (Band 6, 2003, Sp. 1468) und „Reichskonkordat“ (Band 7, 2004, Sp. 223). 17 Aufstellung sämtlicher von Hollerbach betreuten Dissertationen nunmehr in: Robbers (Hrsg., FN 7), S. 582. 18 Hans Reis, Konkordat und Kirchenvertrag in der Staatsverfassung, JöR n. F. 17 (1968), S. 165. 19 Konrad Tilmann, Die sogenannten Konkordatsprofessuren, 1971. 20 Irene Matthiessen, Der Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag vom 23. April 1957, 1987. 21 Reinhard Schwarz, Der Rheinland-Pfälzische Kirchenvertrag vom 31. März 1962, 1970.

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betreffenden Gegenstand wissenschaftlich zuteil wurden. Die in der Auflistung noch fehlende Dissertation, auch sie von der Freiburger Fakultät angenommen, hatte vor über drei Jahrzehnten ein Thema behandelt, das unverändert aktuell und praktisch bedeutsam ist – die zwischenkirchlichen Verträge23. 3. Der beratende Gutachter Der Wissenschaftler Alexander Hollerbach hat sich gerade in seiner „Königsdisziplin“ niemals auf den Elfenbeinturm beschränkt. Von seinem Wirken profitierten und profitieren seit nunmehr über vier Jahrzehnten nicht nur Fachkollegen, Studenten und ein zunehmend größer werdender Kreis akademischer Schüler, sondern auch die Praxis in Staat und Kirche. „Breiten Raum“ hätten diese Tätigkeiten in „Hollerbachs Wirken“ eingenommen, bilanzierte – mit dem Hang zum Understatement – Konrad Hesse in seiner Würdigung zu Alexander Hollerbachs 70. Geburtstag24. Diese Dimension entfaltet in zweifacher Hinsicht eine enorme Spannweite: Sachlich reicht sie von der diskreten rechtlichen Beratung (der heute so in Mode gekommenen Publikation von Gutachten stand er mit ersichtlich deutlicher Reserve gegenüber25) bis hin zur gestalterischen Mitwirkung. Institutionell war Alexander Hollerbach bereit, jedem Rede und Rat zu erteilen, der darum nachsuchte – von der Apostolischen Nuntiatur über die Bischofskonferenz bis hin zur Freiburger Erzdiözese und zur eigenen Pfarrei26. Die verdiente und folgerichtige Auszeichnung für diese Vielfalt des Einsatzes erfolgte am 20. August 1994, als Papst Johannes Paul II. an Alexander Hollerbach das Komturkreuz des Gregoriusordens verlieh27 – allgemein nur als billig angesehen28. Aus dem Metier des staatskirchenvertragsrechtlichen Ratgebers Alexander Hollerbach seien nur zwei exemplarische Belege herausgegriffen. Der dis22 Gisela Lenz, Die Rechtsbeziehung zwischen dem Land Hessen und der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Bistumsverträge vom 9. März 1963 und 29. März 1974, 1987. 23 Volker Kaiser, Zwischenkirchliche Verträge, 1972. – Dazu der Beitrag von Hans Ulrich Anke, Die Stellung der Kirchenverträge im evangelischen Kirchenrecht, in diesem Band, S. 59. 24 Konrad Hesse, Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, AöR 126 (2001), S. 1 (8). 25 Seltene (nicht staatskirchenvertragsrechtliche) Ausnahme: Alexander Hollerbach/Christoph Gramm, Staatliche Ersatzleistungen für den evangelischen Religionsunterricht, ZevKR 36 (1991), S. 17. 26 Hesse, AöR 126 (2001), S. 1 (8). 27 AAS 86 (1994), S. 1020. 28 So letztlich (wohl) auch die launige Laudatio von Peter Häberle, Alexander Hollerbach – 65 Jahre, KuR 1996, S. 115 (119) (= Nr. 980, S. 42 [46]).

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krete Berater begegnet etwa im Jahr 1988, als im Zusammenhang mit der langwierigen und nicht immer spannungsfreien Nachfolgeregelung für den verstorbenen Kölner Erzbischof Joseph Cardinal Höffner die staatliche Seite – die Landesregierungen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz als Rechtsnachfolger des Freistaates Preußen – die Expertise von Alexander Hollerbach einholte. Bezeichnenderweise hat er selbst um diesen Vorgang kein Aufheben gemacht; er ist uns aus außerjuristischen Quellen andeutungsweise überliefert29. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde Alexander Hollerbach weitergehend bei der gestaltenden Mitwirkung benötigt: Bei den Verhandlungen des 1997 unterzeichneten und in Kraft getretenen Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen30 war er maßgeblich auf Seiten der Apostolischen Nuntiatur beteiligt31. Daß er auch in dieser Phase weiter „klassisch“ beratend tätig war – etwa 1991 in Gestalt eines Kurzgutachtens für den Generalvikar des Bischofs von Berlin zur Frage der Fortgeltung des Preußischen Konkordats für das Land Brandenburg – verdanken wir zwar nicht seiner Offenbarung, aber dem Spürsinn eines jungen Doktoranden32. II. Grundlegungen Den „Grundstein“ (Konrad Hesse) seiner Befassung mit dem Staatskirchenvertragsrecht hat Alexander Hollerbach bereits in seiner Habilitationsschrift „Verträge zwischen Staat und Kirche“ gesetzt. So sehr es zutrifft, daß er diesen in den Jahren und Jahrzehnten danach immer sorgfältiger behauen hat, lohnt es doch, ein wenig bei den Grundlegungen selbst zu verweilen, welche bereits jene Schrift vorgenommen hat. 1. Wissenschaftliche Situation jener Jahre Die Pionierleistung der Habilitationsschrift tritt um so deutlicher hervor, blickt man auf die staatskirchen(vertrags)rechtlichen Verhältnisse jener Jahre und ihre Rezeption in der Staats(kirchen)rechtswissenschaft: Das 29

Gerhard Hartmann, Der Bischof, 1990, S. 136, sowie Daniel Deckers, Der Kardinal, 2002, S. 298. – Der Sache nach ging es um die Auslegung der Art. 6 (Verfahren der Bischofswahl) und 13 (Freundschaftsklausel) des Preußischen Konkordats von 1929. 30 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997, AAS 89 (1997), S. 756 = ThürGVBl S. 266. 31 Hesse, AöR 126 (2001), S. 1 (8); (seltenes) Selbstzeugnis: Hollerbach, Diskussionsbeitrag, Essener Gespräche 37 (2003), S. 154 f. 32 Arne Kupke, Die Entwicklung des deutschen „Religionsverfassungsrechts“ nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern, 2004, S. 245 ff. (Abdruck des Gutachtens).

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deutsche Staatskirchenvertragsrecht befand sich gerade in der zweiten Phase seiner Entwicklung33. Die erste Phase – die Weimarer Vertragsära – lag in der Vergangenheit und war mit dem Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 endgültig abgeschlossen. In jener zweiten Phase wurden ab Mitte der 1950er Jahre mehrere evangelische Kirchenverträge – auf Länderebene mit Niedersachsen (1955), Schleswig-Holstein (1957), Hessen (1960) und Rheinland-Pfalz (1962) sowie auf Bundesebene der Militärseelsorgevertrag mit der EKD (1957) – abgeschlossen. Diese rechtstatsächliche Basis erklärt den – von Alexander Hollerbach Jahrzehnte später benannten – Umstand, daß die staatskirchenrechtliche Diskussion der 1950er Jahre im wesentlichen von protestantischen Autoren geprägt wurde (Rudolf Smend, Ulrich Scheuner, Johannes Heckel, Arnold Köttgen und Konrad Hesse)34, wohingegen die katholischen Stimmen „durch den lang anhaltenden Streit um die Fortgeltung des Reichskonkordats in starkem Maße gebunden“ waren35. Selbstredend gibt es auch in jenen Jahren gewichtige Äußerungen aus dem corpus Catholicorum, so etwa von Hans Peters und zunehmend von Paul Mikat. Indes dominiert weithin eine beharrend-defensive Tendenz: In seiner eindrucksvollen Darbietung zu „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ im 1960 erschienenen Handbuch „Die Grundrechte“ thematisiert Mikat das Staatskirchenvertragsrecht auf wenigen Seiten allein unter dem Aspekt der Fortgeltung der Abmachungen aus Weimarer Zeit unter dem Grundgesetz. Die neuere Vertragsentwicklung seit Mitte der 1950er Jahre bleibt hingegen außerhalb der Wahrnehmung36. Überhaupt fehlte in jenen Jahren eine umfassende, primär dogmatisch-systematisch angelegte Untersuchung zum Recht der Staatskirchenverträge, zumal eine Konkordate und Kirchenverträge gleichermaßen in den Blick nehmende. Am ehesten entsprach die Bonner Dissertation von Ernst Rudolf Huber mit dem Titel „Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich“ diesem Anforderungsprofil – nur war sie 1930 und damit noch mit33

Periodisierung bei Stefan Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, S. 223 ff. 34 Speziell zum Vertragsrecht (am Beispiel des „Loccumer Vertrags“ mit Niedersachsen) Rudolf Smend, Der niedersächsische Kirchenvertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, JZ 1956, S. 50; Ulrich Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrags von Kloster Loccum, ZevKR 6 (1956/57), S. 8. 35 Hollerbach, Zum staatskirchenrechtlichen Diskurs im deutschen Katholizismus der Nachkriegszeit, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 341. 36 Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Karl-August Bettermann/Hans Carl Nipperdey/Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band IV/1, 1960, S. 111 (120 ff.).

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ten in der ersten Phase des deutschen Staatskirchenvertragsrechts entstanden. Auch die unmittelbare Nachkriegszeit hatte keine Gesamtdarstellungen zutage gefördert: Adalbert Erler resümierte allein den überkommenen Konkordatsbestand37, Joseph H. Kaiser legte eine Studie über ein Spezialproblem38 und Alfons Maria Stickler eine weitere über die rechtshistorische Entwicklung vor39. 2. Rechtsnatur der Konkordate Herkömmlicherweise wird den Konkordaten – verstanden als den „Staatskirchenverträgen, die in feierlicher diplomatischer Form zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat abgeschlossen werden und die dazu bestimmt sind, mit dem Ziele eines geordneten Zusammenlebens von Staat und Kirche alle Gegenstände gemeinsamen Interesses auf Dauer rechtlich zu regeln, soweit sie einer Regelung durch Vertrag bedürfen und dafür reif sind“40 – die Rechtsnatur von völkerrechtlichen Verträgen beigemessen. Diese in der Kanonistik wie in der Völkerrechtslehre ausgeformte Auffassung41 hatte sich auch im deutschen Staatsrecht als herrschend herausgebildet42. Dem trat nun Alexander Hollerbach – in Anlehnung an ältere deutsche Stimmen43 sowie zeitgenössische Ansätze im italienischen Schrifttum – in seiner Habilitationsschrift entgegen. Der „Ort der juristischen Kommunikation zwischen Staat und Kirche“ sei nicht das Völkerrecht, sondern ein durch die Verträge selbst konstituiertes Recht, ein „Staat-Kirche-Recht“ oder „ius inter ecclesiam et rem publicam“. Das so verstandene „Vertragsstaatskirchenrecht“ sei ein Rechtsbereich sui generis, der die Dualität von Staatsverfassung und Kirchenordnung wahre, ohne aber den „Umweg über das Völkerrecht einschlagen“ zu müssen44. Als Konsequenzen dieser Sicht 37

Adalbert Erler, Die gegenwärtige Konkordatslage in Deutschland, SJZ 1946, S. 197; vgl. ferner die schmale Abhandlung von Franz Tibor Hollós, Die gegenwärtige Rechtsstellung der katholischen Kirche in Deutschland auf Grund des Reichskonkordats und der Länderkonkordate, 1948. 38 Joseph Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, 1949. 39 Alfons Maria Stickler, Der Konkordatsgedanke in rechtsgeschichtlicher Schau, ÖAKR 8 (1957), S. 25. 40 Hollerbach, JöR n. F. 17 (1968), S. 117 (119 f.). 41 Nachw. der zeitgenössischen Literatur bei Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 101 m. Fn. 6, 7. 42 Max Fleischmann, Die völkerrechtliche Stellung des Reiches und der Länder, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930, S. 209 (216 ff.); Rudolf Smend, Reichskonkordat und Schulgesetzgebung, JZ 1956, S. 265; aus der Praxis BVerfGE 6, 309 (330 ff.). 43 Namentlich Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, 1911, S. 153 ff. 44 Hollerbach (FN 41), S. 100 f.

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benennt Alexander Hollerbach den Vorzug der rechtssystematischen Vereinfachung: Die bisherige Trennung zwischen Konkordaten stricto sensu und Verträgen zwischen Staat und Bischöfen werde damit ebenso obsolet wie diejenige zwischen katholischen und protestantischen Staatskirchenverträgen45. Bekanntlich ist die überwiegende Ansicht diesem Neuansatz ebenso wenig gefolgt wie die staatskirchenvertragliche Praxis. Freilich werden die somit fortbestehenden Divergenzen in der Rechtsnatur gegenüber den materiellen Gemeinsamkeiten wenig herausgestellt – dafür hat wiederum Alexander Hollerbach die prägnante Formel gefunden, die völkerrechtliche Qualität der Konkordate sei eine bloße „Dreingabe“, ein Superadditum46. Mag ein derartiger pragmatischer Blick auch für den konkreten „Vertragsalltag“ taugen, bleiben doch unverändert dogmatische Brüche bestehen, deren Behebung seinerzeit das Anliegen des Neuansatzes gewesen war. Einstweilen läßt sich mit Matthias Jestaedt festhalten, die Zuordnung der Konkordate zum Völkerrecht erfolge faute de mieux47. III. Staatskirchenverträge in der Situation des religiösen und politischen Umbruchs Das Beziehungsgefüge zwischen Staat und Kirche ist ein in jedem Gemeinwesen regelungsbedürftiger Komplex. Im Laufe der Geschichte hat es immer wieder Wandlungen, Umgestaltungen, Brüche und Neubeginne erfahren. Die Probe auf das Exempel bildet dabei die Situation des Umbruchs: Die tendenziell gegenläufigen Pole „Staat“ und „Kirche“ können überaus unterschiedlich einander zugeordnet sein – vom einen Extrem der engen Symbiose bis hin zu dem anderen der feindseligen Bekämpfung. Interessant ist nun, wie das Institut des Staatskirchenvertrags in derartigen Lagen des Umbruchs zu wirken vermag. Wissenschaftlich ohnedies, in einer Konstellation aber auch praktisch, hat Alexander Hollerbach derartige Prozesse begleitet: 1. Der Prozeß der transición in Spanien In Spanien hatte der Staat im Jahr 1953 ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen48. Dessen Konzeption beinhaltete eine der Extremlagen, die enge Symbiose von Staat und Kirche: Der Estado español war 45

Ebd., S. 104. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 70. 47 Matthias Jestaedt, Universale Kirche und nationaler Verfassungsstaat, Essener Gespräche 37 (2003), S. 87 (106 ff., 113 [Zitat]). 48 AAS 45 (1953), S. 625; deutscher Text bei Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800, 1964, S. 481. 46

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als konfessioneller, d. h. katholischer Staat konzipiert, der anderen Bekenntnissen allein die Freiheit des Glaubens und der privaten Kultusausübung gewährleistete. Hinsichtlich der Bischofsernennungen verfügte der Staat über das Nominationsprivileg49, umgekehrt stand der Kirche ein weitreichendes privilegium fori et immunitatis zu50. Das gesamte Bildungswesen war in formeller wie materieller Hinsicht konfessionalisiert51, die Kirche wurde im Wege jährlicher Zuweisungen aus Haushaltsmitteln staatlich alimentiert52. Alexander Hollerbach hatte dieses Konkordat in seinem Bericht von 1968 als „ein pactum unionis par excellence“ charakterisiert, es sei „der Prototyp eines maximalistisch-integralistischen Konkordats, das der Kirche ein Höchstmaß an Rechten in der Ordnung des konfessionell geprägten Gemeinwesens gewährt, das sie aber auch an die Ketten des katholischen Staatskirchentums legt“53. Im Zeitpunkt jener Wertung waren bereits die Grundlagen eines Konkordats derartigen Zuschnitts überaus fraglich geworden. Die Vorreiterrolle übernahm dabei die Kirche selbst: In den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils hatte die Kirche eine vernehmbare Neuakzentuierung ihres Verhält49

Aufgrund Art. VII und VIII § 2 des Konkordats von 1953 (FN 48) i. V. m. dem Acuerdo sobre el modo de ejercicio del privilegio de presentación entre el Gobierno español y la Santa Sede vom 7. Juni 1941 (AAS 33 [1941], S. 480; deutscher Text bei Schöppe [FN 48], S. 441) wurden Bischöfe nach folgendem Verfahren bestimmt: Päpstliche Nuntiatur und spanisches Außenministerium erstellten gemeinsam eine Liste von sechs Kandidaten. Unter Würdigung dieser Liste übersandte der Heilige Stuhl dem Staatsoberhaupt eine weitere Liste mit drei Namen, aus welcher dieses dem Papst einen Kandidaten verbindlich zur Ernennung vorschlug. 50 Nach Art. XVI des Konkordats von 1953 (FN 48) bedurfte die Strafverfolgung von Priestern und Ordensleuten der vorherigen Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität, die Prozesse waren nichtöffentlich, Freiheitsstrafen konnten in kirchlichen Häusern verbüßt werden. 51 Näher Art. XXVI des Konkordats von 1953 (FN 48): Nach Abs. 1 war in sämtlichen, staatlichen wie nichtstaatlichen Lehranstalten der Unterricht an den Prinzipien der Lehre und Moral der katholischen Kirche auszurichten (materielle Konfessionalisierung); Abs. 2 räumte den jeweiligen Ordinarien ein Überwachungsrecht (misión de vigilancia) über diese Lehranstalten im Hinblick auf die Reinheit des Glaubens, der guten Sitten und der religiösen Erziehung ein (formelle Konfessionalisierung). 52 Art. XIX § 2 des Konkordats von 1953 (FN 48). Legitimation dieser Staatsleistungen war die Würdigung des „Beitrag(s) für die Arbeit der Kirche zugunsten der Nation“ (Satz 1). – Freilich war schon 1953 dieses Zuweisungsmodell als Interimslösung bis zur „Schaffung eines angemessenen kirchlichen Vermögens zur Ausstattung des Gottesdienstes und des Klerus“ konzipiert (Art. XIX § 1) gewesen, wodurch die großflächigen Enteignungen der Kirche im 19. Jahrhundert (eingehend dazu Francisco Tomás y Valiente, El marco político de la desamortización en España, 2. Aufl. 1972) kompensiert werden sollten. 53 Hollerbach, JöR n. F. 17 (1968), S. 117 (130).

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nisses zum Staat vorgenommen54, was nicht ohne Rückwirkungen auf das tradierte Verständnis von Funktion und Bedeutung der Konkordate bleiben konnte. Diese Abänderung der theoretischen Legitimationsbasis der Konkordate hat Alexander Hollerbach, ebenfalls in seinem Konkordatsbericht von 1968, in aller Klarheit herausgearbeitet und dabei auch nicht mit leiser, aber spürbarer Kritik an der überkommenen, zuletzt in der ganzen Autorität von Alfredo Cardinal Ottaviani zusammengefaßten55, Lehre gespart56. Die aus der Veränderung der kirchlichen Rahmenbedingungen sich ergebenden Konsequenzen (auch sie wurden deutlich benannt57) ließen bekanntlich noch ein Jahrzehnt auf sich warten. Erst der Tod des Staatchefs im Jahr 1975 ermöglichte eine grundsätzlich neue Lösung: In der Sache wurde das Konkordat von 1953 im Wege der Novation abgelöst. Freilich geschah dies nicht im Wege eines (auch formal so bezeichneten) neuen Konkordats, sondern vielmehr über insgesamt fünf Einzelabkommen – sämtlich als „Vereinbarung“ (acuerdo) bezeichnet – in den Jahren 1976 und 1979. Das Basisabkommen von 1976, bereits acht Monate nach dem entscheidenden Wandel auf staatlicher Seite vereinbart, beendete die stärksten Auswüchse des konfessionalistischen Konzepts des alten Konkordats: Der Staat verzichtete auf sein Nominationsprivileg, die Kirche auf ihre Exemtionsprivilegien58. Die weitere Entwicklung war seinerzeit noch nicht absehbar, zumal auch der Prozeß der Verfassunggebung noch im Fluß war. In dieser offenen Situation präsentierte Alexander Hollerbach auf einem von den Päpstlichen Universitäten Comillas und Salamanca veranstalteten Hispanisch-Deutschen Symposion den dogmatischen und praktischen Stand des deutschen Staatskirchenvertragsrechts59. Durchaus denkbar 54 Gegenseitige Unabhängigkeit beider Gewalten auf ihrem je eigenen Gebiet bei gleichzeitiger gedeihlicher Zusammenarbeit (Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, AAS 58 [1966], S. 1025 [1099], Nr. 76); Anerkennung der Religionsfreiheit als Bestandteil der politischen Ordnung sowie Freiheit der Kirche als Grundlage der Beziehung zwischen beiden Gewalten (Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, AAS 58 [1966], S. 929 [930 f., 933 f.], Nr. 2 und 6). – Näher zu dieser Neuakzentuierung Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, 1978, S. 208 ff. 55 Alaphridus Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, Band 2, 4. Aufl. 1960, S. 259 ff.; dazu Listl (FN 54), S. 37 f.; ferner Gerald Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, 1993, S. 29 f. 56 Hollerbach, JöR n. F. 17 (1968), S. 117 (122 ff.). 57 Ebd. 58 Art. I und II des Acuerdo entre la Santa Sede y el Estado Español, AAS 68 (1976), S. 509. 59 Hollerbach, El sistema de concordatos y convenios eclesiásticos, in: Constitución y relaciones Iglesia-Estado en la actualidad. Actas del Simposio hispano-

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erscheint, daß die dort geäußerten Überlegungen auch ihren Niederschlag im weiteren Geschehensablauf gefunden haben, lassen sich doch generell deutliche Anleihen des nach der transición geschaffenen spanischen Staatskirchenrechts an den deutschen Bestimmungen ausmachen. Der Prozeß der konkordatären Novation war 1979 mit vier Einzelabkommen – über juristische Angelegenheiten, das Bildungswesen und kulturelle Angelegenheiten, die Militärseelsorge sowie über wirtschaftliche Angelegenheiten – abgeschlossen60. Sie bilden nach ganz überwiegender Ansicht im spanischen Schrifttum mit dem Basiskonkordat von 1976 ein GesamtKonkordat, welches seiner Rechtsnatur nach einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt61. Bemerkenswert sind zwei Aspekte in der weiteren Entwicklung des spanischen Konkordatsrechts, die auch Folgewirkungen auf die Fortbildung des Rechts der Staatskirchenverträge insgesamt entfalten könnten: – Zum einen ist die Materie auch in Spanien kein reines Konkordatsrecht mehr: Im Jahr 1992 hat der Staat Kooperationsverträge mit drei nichtkatholischen Religionsgemeinschaften abgeschlossen, nämlich mit dem Verband der Evangelischen Religionsgemeinschaften, mit dem Verband der Israelitischen Gemeinschaften und mit dem Verband der Islamischen Kommission62. Bei ihnen handelt es sich, wie in Deutschland bei den alemán organizado por las Universidades Pontificias de Comillas y Salamanca (Madrid, 13–15 marzo 1978), 1978, S. 179. 60 Die vier Verträge (Acuerdo entre el Estado español y la Santa Sede, sobre asuntos jurídicos, Acuerdo entre el Estado español y la Santa Sede, sobre enseñanza y asuntos culturales, Acuerdo entre el Estado español y la Santa Sede, sobre la asistencia religiosa a las Fuerzas Armadas y servicio militar de clérigos y religiosos, Acuerdo entre el Estado español y la Santa Sede, sobre asuntos económicos) wurden am 3. Januar 1979 abgeschlossen, am 4. Dezember 1979 ratifiziert und traten am gleichen Tag in Kraft. – Abdruck der Verträge: AAS 72 (1980), S. 29; deutscher Text in ArchKathKR 148 (1979), S. 560. Zusammenfassend Mückl (FN 33), S. 319 ff. 61 Statt aller Pedro Lombardía/Juan Fornés, Fuentes del Derecho Eclesiástico Español, in: Javier Ferrer Ortiz (Hrsg.), Derecho Eclesiástico del Estado Español, 4. Aufl. 1996, S. 69 (90 ff.). 62 Acuerdo de cooperación del Estado español con la Federación de Entidades Religiosas Evangélicas de España; Acuerdo de cooperación del Estado español con la Federación de Comunidades Israelitas de España; Acuerdo de cooperación del Estado español con la Comisión Islámica de España. Alle drei Verträge wurden vom Justizminister am 28. April 1992 unterzeichnet und durch jeweils eigenes Gesetz (Leyes 24, 25, 26/1992) am 10. November 1992 vom Parlament ratifiziert (Boletín Official del Estado Nr. 272 v. 12.11.1992). – Zu ihnen umfassend Javier Martínez-Torrón, Separatismo y cooperación en los acuerdos del Estado con las minorías religiosas, 1994; aus der deutschen Literatur im Überblick Mückl (FN 33), S. 321 ff.

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Verträgen mit nichtkatholischen Partnern, nicht um völkerrechtliche Verträge63. Die markantesten Unterschiede bestehen hingegen einmal im Vertragsschluß mit einem islamischen Partner, zum anderen in der Konzeption des Vertragsschlusses mit Dachverbänden64. – Zum zweiten sehen die Verträge mit dem Heiligen Stuhl verschiedentlich „heruntergezonte“ Vertragsschlußkompetenzen über Einzelfragen vor. Seitens der Kirche agiert dann die Bischofskonferenz, für den Staat das zuständige Ministerium65. Hier könnte sich ein abgestuftes Modell im Recht der Staatskirchenverträge herausbilden, in dem die grundlegenden Materien unverändert der kodifikatorischen Abmachung unterfallen, über die näheren Modalitäten der Durchführung hingegen dezentralisiert und dekonzentriert entschieden wird. 2. Konkordate mit „neuen“ Bundesländern Genau umgekehrt stellte sich zu Beginn der 1990er Jahre die Situation in den (immer noch) sog. „neuen“ Bundesländern dar: Die friedliche Revolution des Spätherbstes 1989 und die Wiedervereinigung Deutschlands beendeten die Jahrzehnte der Teilung und der kommunistischen Diktatur mit ihrer dezidiert kirchenfeindlichen Ausrichtung. Die neugebildeten Länder traten mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 gem. Art. 23 GG a. F. dem Geltungsbereich des Grundgesetzes, und damit auch dessen freiheitlichem Staatskirchenrecht, bei. Damit hätten – rein formal gesehen – die bestehenden vertragsrechtlichen Abmachungen wieder aufleben können, durchweg das Reichskonkordat von 1933 und für die meisten Gebiete das Preußenkonkordat von 1929. In der Zeit der kommunistischen Diktatur waren sie, wiewohl in der Rechtswirk63

Lombardía/Fornés, in: Ferrer Ortiz (Hrsg., FN 61), S. 69 (100). Der evangelische Verband besteht aus 435, der israelitische aus 11 und der islamische aus 33 einzelnen Vereinigungen. Allerdings gehören speziell der Islamischen Kommission bei weitem nicht alle (oder auch nur die meisten) der spanischen islamischen Vereinigungen an; kritisch zur Konzeption des Vertragsschlusses mit Dachverbänden Ivan Ibán, Staat und Kirche in Spanien, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, S. 151 (161). 65 Eine ausdrückliche Delegation bestimmter Sachmaterien auf einen zwischen Staat und Bischofskonferenz abzuschließenden Vertrag findet sich teilweise in den acuerdos des Jahres 1979 (FN 60), so etwa in Art. IV § 2 des Acuerdo sobre asuntos jurídicos; Art. VII und XIX des Acuerdo sobre enseñanza y asuntos culturales. Darüber hinaus bestehen – im Rahmen ihrer Zuständigkeiten (zumeist: Denkmalpflege) – Vertragsschlußkompetenzen der Comunidades Autónomas, s. Andrés Corsino Álvarez Cortina, Función práctica de los Acuerdos Iglesia-Comunidades autónomas en materia de patrimonio histórico-artístico, Anuario del Derecho Eclesiástico del Estado 4 (1988), S. 265. 64

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lichkeit außer acht gelassen, zu keinem Zeitpunkt beendet worden, obwohl (wenige) interessierte Stimmen dies nach der Wiedervereinigung behaupteten66. Eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse im Wege des Vertragsschlusses erwies sich freilich aus mehreren Gründen als angebracht: Die nahezu sechs Jahrzehnte währende Mißachtung bzw. Nichtbeachtung geltender vertraglicher Bindungen erforderte zunächst die grundsätzliche Feststellung ihrer unveränderten Fortgeltung. Auf der anderen Seite bedurften konkrete Vertragsinhalte auch der Anpassung an die tatsächlich und rechtlich gewandelte Situation. Und vor allem galt es, die Zirkumskription der Bistümer neu zu ordnen, bestanden doch im Beitrittsgebiet lediglich zwei Diözesen (Berlin und Dresden-Meißen), während die übrigen Gebiete rechtlich unverändert Teile anderer (Erz-)Diözesen waren (Paderborn, Würzburg, Fulda, Hildesheim und Osnabrück). Dieses enorme Arbeitsprogramm wurde bekanntlich in zwei großen Schritten bewältigt. Sie sind an dieser Stelle – in Anbetracht eines der Materie speziell gewidmeten Beitrags67 – nur in den wesentlichen Zügen zu skizzieren: Mit den Bistumserrichtungsverträgen von 1994 wurden die kirchlichen Zirkumskriptionen im Beitrittsgebiet (sowie gleichfalls in Teilen der Stamm-Bundesrepublik) grundlegend neu verfaßt. Der Heilige Stuhl errichtete, mit Zustimmung der jeweiligen Bundesländer, die Bistümer Magdeburg, Görlitz und Erfurt sowie das Erzbistum Hamburg68. In allen dieser Verträge wurde, jeweils schon in der Präambel, die (Fort-)Geltung des Reichskonkordats festgehalten, während sich hinsichtlich des Preußenkonkordats, wohl in Erwartung neu abzuschließender Länderkonkordate, die zurückhaltendere Formulierung „in Würdigung des“ sowie der Zusatz „soweit es die Länder bindet“ findet69. Von Interesse sind in den Errich66 Ludwig Renck, Die neuen Bundesländer und das Reichskonkordat, NVwZ 1994, S. 770. 67 Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Staatskirchenvertragsrecht, in diesem Band, S. 91. 68 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Freistaat Sachsen über die Errichtung des Bistums Magdeburg vom 13. April 1994, AAS 87 (1995), S. 129; Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg sowie dem Freistaat Sachsen über die Errichtung des Bistums Görlitz vom 4. Mai 1994, AAS 87 (1995), S. 138; Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen über die Errichtung des Bistums Erfurt vom 14. Juni 1994, AAS 87 (1995), S. 145; Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg vom 22. September 1994, AAS 87 (1995), S. 154. 69 Anders Vertrag über die Errichtung des Erzbistums Hamburg (FN 68): „Unbeschadet einer Fortgeltung des“.

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tungsverträgen vor allem die Modalitäten der Bischofsbestellung. Seit jeher liegen sie in der Schnittmenge von Staatskirchenrecht und Kirchenrecht70, speziell hier zeigen sich gleichermaßen Momente der Fortschreibung wie der Fortentwicklung: Durchweg übernommen71 wird das in Art. 6 des Preußenkonkordats72 geregelte Wahlrecht der betreffenden Domkapitel73 aus einer vom Heiligen Stuhl erstellten Dreierliste74. Diese Grundentscheidung weicht einerseits vom universalkirchenrechtlichen Regelfall des freien päpstlichen Ernennungsrechts ab75, stellt sich auf der anderen Seite aber, worauf Alexander Hollerbach hingewiesen hat, als die „notwendige Konsequenz aus der von kirchlicher Seite unmißverständlich ausgesprochenen Überzeugung von der Fortgeltung von Reichskonkordat und Preußischem Konkordat“76 dar. Von den „klassischen“ Ingerenzmechanismen des Staates bei der Bischofsbestellung77 wird die politische Klausel78 70 Thomas Gergen, Die Bischofsbestellung nach katholischem Kirchenrecht und deutschem Staatskirchenrecht – Verlauf und Probleme des Zusammenspiels zweier Rechtsquellen, ÖARR 52 (2005), S. 38. 71 Art. 3 der Verträge über die Errichtung der Bistümer Magdeburg, Görlitz und Erfurt (FN 68) enthalten jeweils einen Verweis auf Art. 6 des Preußenkonkordats; eigenständige Regelung: Art. 6 Abs. 1 des Vertrags über die Errichtung des Erzbistums Hamburg (FN 68). 72 Zur Genese Erwin Gatz, Zum Ringen um das Bischofswahlrecht in Deutschland vom Ende der Monarchie (1918) bis zum Abschluß des Preußischen Konkordates (1929), Römische Quartalschrift 100 (2005), S. 97; ders., Zur Besetzung von Bistümern gemäß dem Preußischen Konkordat von 1929, Römische Quartalsschrift 98 (2003), S. 210. 73 Allgemein Stephan Haering, Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag, 2004, S. 163. 74 Georg May, Listen von Bischofskandidaten in den deutschen Konkordaten und Kirchenverträgen, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, 1999, S. 739. 75 Die beiden kirchenrechtlichen Kodifikationen des 20. Jahrhunderts haben das freie päpstliche Ernennungsrecht abermals festgehalten (c. 329 § 2 CIC/1917 sowie c. 377 § 1 CIC/1983). – Die in der letztgenannten Bestimmung gleichberechtigt aufgeführte Ernennungsmodalität der päpstlichen Bestätigung einer rechtmäßigen Wahl ist eine regional auf den deutschen Sprachraum beschränkte und quantitativ wenig bedeutsame Ausnahme (keine 30 der weltweit über 2500 Diözesen sind hiervon betroffen). Generell zum Thema Joseph Listl, Die Besetzung der Bischofsstühle, in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat, 2. Halbband, 1996, S. 886; sowie Peter Landau, Der Papst und die Besetzung der Bischofsstühle, ZevKR 37 (1992), S. 241. 76 Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat, 1998, S. 15. 77 Allgemein Dietrich Pirson, Der Verfassungsstaat der Gegenwart und die Bischofsernennungen. BayVBl 1996, S. 641; speziell hinsichtlich der neuen Bundesländer Stephan Haering, Staatliche Beteiligung an der Besetzung kirchlicher Ämter,

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nur noch teilweise79, der bischöfliche Treueid hingegen überhaupt nicht mehr angewendet80. Der zweite große Schritt bei der Neukonzeption des Konkordatsrechts in den neuen Bundesländern erfolgte in den Jahren 1996 bis 2003, in welchen durchweg „Landeskonkordate“ abgeschlossen wurden. Der Sache nach trifft diese Qualifizierung von Alexander Hollerbach fraglos zu81, genügen doch die Vereinbarungen infolge ihrer kodifikatorischen Natur der tradierten Konkordatsdefinition82. Gleichwohl werden sie, neuerer kurialer Praxis entsprechend, lediglich als „Verträge“ bezeichnet83: Der Begriff „Konkordat“ ist nunmehr augenscheinlich allein der umfassenden Regelung der Beziehungen zwischen den souveränen Völkerrechtssubjekten „Staat“ und „Heiliger Stuhl“ vorbehalten. Vereinbarungen mit Nicht-Völkerrechtssubjekten (wie den deutschen Ländern) erhalten demgegenüber, ebenso wie nichtkodifikatorische Vereinbarungen (wie die Bistumserrichtungsverträge), Bezeichnungen wie „Vertrag“ oder auch „Übereinkommen“84. In inhaltlicher Hinsicht orientieren sich diese Landeskonkordate – naturgemäß – an den Vorbildern des überkommenen Vertragsrechts, stellen aber, wie Alexander Hollerbach plastisch formulierte, „nicht nur deren Abklatsch“ dar85. Ohne auch hier in die Einzelheiten zu gehen, sei nur darauf verwiesen, daß sachliche Modifikationen wiederum im Zusammenhang mit der Frage nach der Fortgeltung von Preußen- und Reichskonkordat stehen: Obgleich diese schon nach gutachterlichen Äußerungen von Alexander Hollerbach eindeutig zu bejahen war, enthält der unter seiner beratenden Mitwirin: ders. (Hrsg.), Gnade und Recht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Geburtstags, 1999, S. 293. 78 Aus neuerer Zeit dazu Wolfgang Rüfner, Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen, in: FS Listl zum 75. Geburtstag (FN 73), S. 783. 79 Für die Bistümer Magdeburg, Görlitz und Erfurt folgt dies aus dem pauschalen Verweis auf Art. 6 des Preußenkonkordats in Art. 3 des jeweiligen Vertrages (FN 68); Art. 6 Abs. 2 des Vertrags über die Errichtung des Erzbistums Hamburg (FN 68) sieht nur eine rechtzeitige Information der betroffenen Landesregierungen vor. 80 Hinsichtlich der Bistümer Magdeburg, Görlitz und Erfurt haben die Vertragspartner die Nichtanwendung von Art. 16 des Reichskonkordats vereinbart (Schlußprotokoll zu Art. 3 des jeweiligen Vertrags [FN 68]). Im Fall des Erzbistums Hamburg haben die staatlichen Vertragspartner förmlich auf die Ableistung des Treueides verzichtet (Art. 7 des Vertrags über die Errichtung des Erzbistums Hamburg [FN 68]). 81 Hollerbach (FN 76), S. 16. 82 Siehe oben FN 40. 83 Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (823). 84 In der (neben der deutschen gleichfalls verbindlichen) italienischen Fassung accordo, im Lateinischen conventio. 85 Hollerbach (FN 76), S. 13.

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kung entstandene Vertrag des Heiligen Stuhls mit dem Freistaat Thüringen eine differenzierte Lösung: Nach dessen Art. 30 besteht ein grundsätzlicher Anwendungsvorrang zugunsten des neuen Vertrags. Zudem statuiert das Schlußprotokoll eine Nichtanwendung bestimmter Regelungsmaterien des Reichskonkordats („soweit es . . . den Freistaat Thüringen bindet“), welche der neue Vertrag nicht mehr enthält: Hierbei handelt es sich um die ausbildungsmäßigen Anforderungen an geistliche Ordensobere (Art. 15 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3), den Regelfall der Bekenntnisschule (Art. 23, 24) sowie die „Entpolitisierungsklausel“ des Art. 32. Jene Bestimmungen sind folglich obsolet – der Schritt zur organischen Fortentwicklung des überkommenen Vertragsrecht unter veränderten Vorzeichen wurde dank der sachkundigen Beratung von Alexander Hollerbach erfolgreich gesetzt. Er selbst hat dies einmal mehr mit großer Zurückhaltung bilanziert: es sei „damit gelungen, erneut aufgetretene Verkrampfungen in der leidigen Fortgeltungsfrage zu lösen, freilich unter strikter Beschränkung auf den Kompetenzbereich des betroffenen Landes“86. IV. Entwicklungsmöglichkeiten des Staatskirchenvertragsrechts in der Zukunft Das Konkordatsrecht ist entgegen anderslautendem (Wunsch-)Denken87 weit davon entfernt, ein „Auslaufmodell“ praktikabler und praktizierter Gestaltungsinstrumente des Beziehungsgefüges zwischen Staat und Kirche zu sein. Vielmehr greifen in jüngerer Zeit seine Anwendungsfelder weit über das bisher Geläufige hinaus: Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Verträge, welche der Heilige Stuhl mit dem Staat Israel88 sowie mit der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO)89 abgeschlossen hat 86

Ebd., S. 16. Zuletzt etwa Ludwig Renck, Rechtsstellungsgesetze für Bekenntnisgemeinschaften, ZRP 2006, S. 87. 88 Fundamental Agreement between the Holy See and the State of Israel v. 30. Dezember 1993, AAS 86 (1994), S. 716; sowie ein weiteres Abkommen hinsichtlich der Rechtspersönlichkeit kirchlicher Einrichtungen im Heiligen Land: Agreement between the Holy See and the State of Israel Pursuant to Article 3 § 3 of the Fundamental Agreement between the Holy See and the State of Israel (also referred to as the „Legal Personality Agreement“ v. 10. November 1997, AAS 91 (1999), S. 490; dazu Marshall Breger (Hrsg.), The Vatican-Israel Accords, 2004; Helmuth Pree, Der Grundlagenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel (1993) im Kontext der neueren Konkordate, in: FS Rüfner (FN 35), S. 639. 89 Basic Agreement between the Holy See and the Palestine Liberation Organization v. 15. Februar 2000, AAS 92 (2000), S. 853; dazu Leonard Hammer, The Holy See-PLO Basic Agreement in Light of the Holy See-Israel Fundamental Agreement, in: Breger (Hrsg., FN 88), S. 150. 87

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– beide fanden naturgemäß die analytische Aufmerksamkeit von Alexander Hollerbach 90. Hierzulande gerät indes eine andere Frage zunehmend in den Blick des konkordatsrechtlichen Interesses: Lägen in Anbetracht der ubiquitären „Europäisierung“ sämtlicher Rechtsmaterien91 auch vertragliche Abmachungen zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und der Europäischen Union andererseits im Bereich des juristisch Möglichen und des praktisch Realisierbaren? Wiederum war es Alexander Hollerbach, der überhaupt auf das Thema hingewiesen und die Rechtslage nach dem kanonischen Recht erläutert hat92. Stehen Aufbereitung der Materie und Diskussion der Frage auch noch in ihren Anfängen, lassen sich immerhin schon erste Konturen aufzeigen93. In formeller Hinsicht wäre das Eingehen vertraglicher Beziehungen zwischen Union und Kirche ohne größere Schwierigkeiten zu bewerkstelligen. Am einfachsten verhält es sich dabei für die katholische Kirche: Schon 1983 hat sie in ihrem internen Recht, über die klassischen Konkordatsvorstellungen hinausgehend, die Möglichkeit vorgesehen, außer mit Staaten auch mit „andere(n) politische(n) Gemeinschaften“ Konkordate abzuschließen (c. 3 CIC/1983), wovon bemerkenswerterweise im Jahre 2000 in Gestalt eines Kooperationsvertrags mit der Organisation Afrikanischer Staaten (OAU) Gebrauch gemacht wurde94. Im geltenden Gemeinschaftsrecht bildet die vom Europäischen Gerichtshof rechtsfortbildend zu Art. 300 EGV entwickelte implizite Vertragsschlußkompetenz den entscheidenden Ansatzpunkt. Sie berechtigt die Gemeinschaft, sofern ihr im Innenverhältnis ein Kompetenztitel für ein Sachgebiet zukommt, auch ohne vorherigen internen Rechtsetzungsakt eine entsprechende Außenkompetenz wahrzunehmen, sofern dies zur Erreichung des jeweiligen Ziels der Gemeinschaft notwendig ist95. Allerdings betrifft diese implizite Kompetenz, wie schon der Anwen90

Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (825 f.). Entfaltung für das Staatskirchenrecht bei Mückl (FN 33). 92 Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (837). 93 Näher Mückl (FN 33), S. 499 ff.; ferner hilfreich Ivan Ibán, Concordates in the European Union, in: Katholieke Universiteit Leuven, Faculteit Kerkelijk Recht (Hrsg.), Canon Law, Consultation and Consolation, 2003, S. 99. 94 Cooperation Agreement between the Organization of African Unity (OAU) and the Holy See v. 19. Oktober 2000, AAS 93 (2001), S. 15. 95 Grdl. EuGH, Slg. 1971, 263, Tz. 22 – AETR; nachfolgend insbes. Slg. 1977, 741, Tz. 4 – Stillegungsfonds; aus der Literatur Martin Nettesheim, Kompetenzen, in: Armin von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 415 (436 ff.); Rudolf Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 678. – Beabsichtigte Kodifikation im (einstweilen gescheiterten) „Verfassungsvertrag“ in Art. III-323 Abs. 1: „Die Union kann mit . . . Drittstaaten oder . . . internationalen Organisationen Übereinkünfte schließen, sofern dies in der Verfassung vorgesehen ist oder wenn der 91

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dungsbereich des Art. 300 EGV, allein völkerrechtliche Verträge, wobei der Begriff „Staaten oder internationale Organisationen“ weit auszulegen ist und jedwede (auch partielle) Völkerrechtssubjekte umfaßt96. Demnach deckt also auch das Gemeinschaftsrecht dem Grunde nach eine völkerrechtliche Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhl (zu dem ohnedies bereits seit 1970 diplomatische Beziehungen bestehen97). Im Ergebnis ebenfalls möglich sind vertragliche Beziehungen zwischen der Union und anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften; auch hier existieren seit geraumer Zeit Repräsentanzen auf europäischer Ebene98. Da diesen keine Völkerrechtssubjektivität zukommt, könnten derartige vertragliche Vereinbarungen allerdings nicht auf der Ebene des Völkerrechts abgeschlossen werden99, ihre Rechtsnatur wäre vielmehr allgemeiner öffentlich-rechtlicher Natur100. In materieller Hinsicht müßten sich etwaige Vertragsinhalte – selbstverständlich – im Rahmen der kompetentiellen Zuständigkeiten der Gemeinschaft halten. Dieser ist zwar durchaus umfangreicher als es allgemeiner wie verbreiteter juristischer Wahrnehmung entspricht101. Gleichwohl wird es nach dem gegenwärtigen Integrationsstand nicht zu kodifikatorischen Abmachungen, wie sie dem klassischen Konkordatsverständnis zugrunde liegen, kommen. Immerhin drängen sich mehrere Sachbereiche als naheliegende Regelungsgegenstände auf102: An erster Stelle hätte hierbei eine Bekräftigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die explizite VerAbschluß einer Übereinkunft im Rahmen der Politik der Union zur Verwirklichung eines der in der Verfassung festgesetzten Ziele erforderlich ist . . .“. 96 Allgemein Kirsten Schmalenbach, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 300 EGV Rn. 26; im Hinblick auf den Heiligen Stuhl Hans Krück, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 300 EGV Rn. 11; Gerhard Robbers, Europarecht und die Kirchen, in: HdbStKirchR I, 2. Aufl. 1994 (FN 1), S. 315 (331); Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (837); Hans Michael Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, S. 493; ähnlich Heinrich de Wall, Neue Entwicklungen im europäischen Staatskirchenrecht, ZevKR 47 (2002), S. 205 (218). 97 Näher Noël Treanor, Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Perspektive der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, in: Burkhard Kämper/Michael Schlagheck (Hrsg.), Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung, 2002, S. 123 (125); Felix Leinemann, Kirchenlobby auf Brüsseler Parkett, ZMV 2001, S. 2. 98 Joachim Christoph, Interessenvertretung der evangelischen Kirchen bei der Europäischen Union, ZevKR 47 (2002), S. 249. 99 Mückl (FN 33), S. 500 m. w. Nachw. 100 Ihre Zulässigkeit setzen Art. 238, 288 EGV voraus; s. aus der Literatur Albert Bleckmann, Der Verwaltungsvertrag als Handlungsmittel der Europäischen Gemeinschaften, DVBl 1981, S. 889. 101 Eingehend Mückl (FN 33), S. 427 ff. 102 Siehe auch Gerhard Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepu-

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ankerung des (schon gegenwärtig auch gemeinschaftsrechtlich nachweisbaren103) kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu stehen. Die – nach gegenwärtiger Rechtslage häufigen – Absicherungen einzelner kirchlicher Tätigkeitsfelder allein durch sekundärrechtliche Ausnahmeklauseln104 bieten sich gleichfalls für eine auch vertragsrechtliche Regelung an. Das Tableau vervollständigen könnten prozedurale Vorgaben hinsichtlich eines institutionalisierten Dialogs entsprechend der Formulierung im „Verfassungsvertrag“105 sowie die klassische konkordatsrechtliche Rücksichtnahme- und Freundschaftsklausel (die dann auf manche nicht immer zur Gänze ausgegorenen Deklamationen des Europäischen Parlaments und seiner Ausschüsse106 mäßigende Wirkungen entfalten würde). In der Sache ließe sich also zwar weniger als ein „volles“ Konkordat, aber doch mehr als nur ein „Torso“ erzielen107 – ob das allerdings auch politisch-praktisch zu realisieren wäre, ist eher zurückhaltend zu beurteilen108. V. Grundlinien im staatskirchenvertragsrechtlichen Werk von Alexander Hollerbach Bildet man aus all diesen Einzelbeobachtungen die Summe, so offenbaren sich übergreifende Grundlinien, welche die jahrzehntelange Befassung Alexander Hollerbachs mit der Materie prägen. Sie erschließen sich zumal aus der umfassenden Einordnung des Instituts des Staatskirchenvertrags in die Rechts- und Staatsordnung, welche Alexander Hollerbach über die präzise dogmatisch-systematische Aufbereitung hinaus ein besonderes Anliegen war und ist. Bei der entscheidenden Grundlegung – der Herausarbeitung der Legitimitätsvoraussetzungen des Instituts – zeigte er immer deutlicher auf, daß Staatskirchenverträge eine Verfassungsausprägung darstellen, nicht aber (wie noch in den 1960er Jahren verbreitet angenommen) dem blik Deutschland, Essener Gespräche 27 (1993), S. 81 (98), sowie (zurückhaltender) Heinig (FN 96), S. 494. 103 Mückl (FN 33), S. 434 f., 475 f. 104 Eingehend Mückl (FN 33), S. 462 ff., 466 ff. 105 Art. I-52 Abs. 3 VVE: „Die Union pflegt in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.“. 106 Etwa: Entschließung zu den Sekten in Europa, ABl. EG, Nr. C v. 18.3.1996, S. 31 oder – extremer – „Entschließung des Europäischen Parlaments zu Frauen und Fundamentalismus“ vom 13. März 2002 (Europäisches Parlament, Dokument A5-0365/2001). 107 So aber de Wall, ZevKR 47 (2002), S. 205 (218). 108 Übereinstimmende Skepsis bekunden Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (837 f.); Ibán (FN 93), S. 99 (144 ff.); de Wall, ZevKR 47 (2002), S. 205 (217).

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Gedanken einer „Koordination“ zweier gleichberechtigter und souveräner Mächte entspringen. Mit dieser Grundlegung kommt ihnen auch – und gerade – im demokratischen Verfassungsstaat eine weiterhin bedeutende, möglicherweise in ihrer Bedeutung noch zunehmende Rolle zu: Unverkennbar ist seit geraumer Zeit die Tendenz in zahlreichen Bereichen des Staats- und Verwaltungsrechts, rechtliche Verbindlichkeit zwischen Staat und Bürger nicht im Wege der einseitigen hoheitlichen Regelung zu erzielen, sondern den Weg kooperativer Verständigung zu gehen109. Infolge der schon längeren Praxis vermag das Staatskirchenvertragsrecht diesen Entwicklungen Impulse zu verleihen. Ausgerechnet hier den Rückzug zur einseitigen staatlichen Regelung durch Gesetz zu postulieren110, bedeutete nicht nur einen anachronistischen Rückfall in das 19. Jahrhundert, sondern käme auch einer (ansonsten – zu Recht! – bekämpften111) Abkoppelung der staatskirchenrechtlichen von der allgemeinen staats- und verwaltungsrechtlichen Dogmatik gleich. Gerade dieser letztgenannte Aspekt war Alexander Hollerbach stets wichtig: das Staatskirchenrecht nicht als Materie zu verstehen und zu bearbeiten, welche alleine in der Vergangenheit beheimatet ist, sondern ihr vielmehr – bei aller sie prägenden Historizität – den Anschluß an veränderte tatsächliche Verhältnisse sowie an neue Entwicklungen in der Wissenschaft des Öffentlichen Rechts zu verschaffen. Ein Beispiel dafür bietet wiederum das Konkordatsrecht. Als die gesamte Materie noch als nahezu ausschließlich in den Kontext des Staates eingebettet begriffen wurde (Staatskirchenrecht), verstand Alexander Hollerbach seine breitangelegte Analyse des Konkordatsrechts schon als „Beitrag zur staatskirchenrechtlichen Rechtsvergleichung“112. Augenscheinlich war dem Konkordatsrecht dabei eine exemplarische Bedeutung bei der erweiterten Perspektive des Staatskirchenrechts insgesamt zugedacht, hatte doch Alexander Hollerbach schon zuvor, bei seinem Staatsrechtslehrerreferat von 1967, das anzugehende Projekt „vergleichendes Staatskirchenrecht“ angemahnt113. Nach der Aufbereitung des 109 Grdl. Ernst-Hasso Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), S. 389; später Joachim Burmeister/Walter Krebs, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 190, 248; monographisch etwa Philipp Herder-Dorneich (Hrsg.), Vom Hoheitsstaat zum Konsensualstaat, 1996; Rüdiger Voigt (Hrsg.), Der kooperative Staat, 1995; jüngst Max Reicherzer, Authentische Gesetzgebung, 2006; Stefan Schnöckel, „Negotiated Rulemaking“ in den USA und normvertretende Absprachen in Deutschland, 2005. 110 Nachw. FN 87. 111 Wegweisend Helmut Quaritsch, Zurück zur juristischen Methode im Staatskirchenrecht, NJW 1967, 764; von „kritischen“ Stimmen immer wieder gerne zitiert. 112 Hollerbach, JöR n. F. 17 (1968), S. 117 (120). 113 Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (67 m. Fn. 53); spätere Plädoyers: ders., Entwicklungen im Verhältnis von Staat und Kirche, in: Hans-Peter Schneider/

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naturgemäß überaus umfangreichen Rechtsstoffes durch verdienstvolle Länderberichte in den 1990er Jahren114 konnte das Postulat in der jüngeren Vergangenheit durch zwei Habilitationsschriften eingelöst werden115; auch sie verhalten sich – naturgemäß, wenngleich mit unterschiedlicher Tendenz116 – zum Recht der Konkordate und Staatskirchenverträge. Damit ist ein Anliegen von Alexander Hollerbach von der nachrückenden wissenschaftlichen Generation angenommen und aufgegriffen worden. Auch ihr ist bewußt, daß ein dem Gedanken der Parität verpflichtetes Staatskirchenvertragsrecht sich einerseits aus historischen Wurzeln speist, welche es nicht zu verstecken und verleugnen braucht, anderseits auch schon bisher neuen Herausforderungen mit Flexibilität zu begegnen wußte. Aus beidem resultiert die anhaltende Bedeutung der Materie, die ihr auch künftig zuteil werden wird, sofern Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker sowie staatliche und kirchliche Seite eine wesentliche Erkenntnis der jahrzehntelangen Befassung Alexander Hollerbachs mit dem Recht der Staatskirchenverträge weiterhin bedenken: „Das geschichtsträchtige Instrument des Konkordats ist kein überlebtes Relikt vergangener Zeiten; es hat sich als anpassungsfähig erwiesen und hat die Chance, sich auch in Zukunft zu bewähren. Ein Konkordat ist freilich nur legitim, wenn es in den Dienst der Freiheit der Kirche und der fairen Zusammenarbeit von Staat und Kirche gestellt wird.“117

Rudolf Steinberg (Hrsg.), Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und Richterkunst, 1989, S. 73 (84: „Auch im staatskirchenrechtlichen Bereich ist Intensivierung der Rechtsvergleichung gefordert, zumindest auf europäischer Ebene.“); ders. (FN 76), S. 9 („Bemühungen um Rechtsvergleichung mußten intensiviert werden“). 114 Robbers (Hrsg. FN 64); die 1. Aufl. erschien 1995, die 2. Aufl. 2005. 115 Mückl (FN 33) sowie Christian Walter, Religionsverfassungsrecht, 2006. 116 Einerseits Mückl (FN 33), S. 223 ff., 496 ff.; andererseits Walter (FN 115), S. 594 ff. 117 Hollerbach, in: RGG (FN 16), Sp. 1599 (1603).

Codex und Konkordat Die Lehre der katholischen Kirche über das Verhältnis von Staat und Kirche im Spiegel des neueren Vertragsstaatskirchenrechts* Von Arnd Uhle Die Lehre der katholischen Kirche über das Verhältnis von Staat und Kirche1 wird bestimmt durch die Darlegungen des kirchlichen Lehramts und verdichtet im katholischen Kirchenrecht. In dessen Zentrum steht für die lateinische Westkirche – auf der Grundlage der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils – der Codex Iuris Canonici (CIC) vom 25. Januar 19832. Zwar weist der neue Codex von 1983 ebenso wenig wie vor ihm der Codex von 1917 einen zusammenhängenden Abschnitt mit systematisch geordneten Aussagen über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat auf, enthält also keinen eigenständigen Abschnitt über das nachkonziliare * Das Manuskript des nachfolgend abgedruckten Beitrags wurde am 1. August 2006 abgeschlossen. 1 Hierzu und zum Folgenden: Gerald Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, 1993, passim; Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), Band I, 2. Aufl. 1994, S. 111; Joseph Listl, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: ders./Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des Katholischen Kirchenrechts (HdbKathKR), 2. Aufl. 1999, S. 1239; im Überblick ders., Artikel „Kirche und Staat“, in: Walter Kasper (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Band V, 3. Aufl. 1996, Sp. 1498 (1500 ff.); zuletzt hierzu Arnd Uhle, Staat – Kirche – Kultur, 2004, S. 16 ff. 2 Vgl. Hans Barion, Artikel „Kirche und Staat (katholische Lehre)“, in: Kurt Galling (Hrsg.), Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), Bd. 3, 3. Aufl. 1959, Sp. 1336. – Der Codex Iuris Canonici wurde amtlich promulgiert in: AAS 75 (1983), Pars II; zu Entstehungsgeschichte, Tendenzen und Systematik des CIC Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht, 13. Aufl. 1991, Band 1, S. 49, sowie Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR (FN 1), S. 49. Für die katholischen Ostkirchen, die gegenüber der lateinischen Westkirche eigenständige kirchenrechtliche Traditionen aufweisen, gilt der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, promulgiert am 18. Oktober 1990, in: AAS 82 (1990), S. 103; zur Entstehungsgeschichte sowie zum Aufbau und zu weiteren Aspekten des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium näher Richard Potz, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: HdbKathKR (FN 1), S. 77.

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Ius Publicum Ecclesiasticum. Gleichwohl entwirft er mittels der einzelnen Bestimmungen letztlich einen in sich geschlossenen Strukturplan der Kirche, der das katholische Verständnis über das Verhältnis von Kirche und Staat zum Ausdruck bringt. So betrachtet, enthält er geradezu die Zusammenfassung aller grundsätzlichen kanonischen Normen zu diesem Verhältnis von Kirche und Staat3 – und zwar unbelastet von jedem Kompromiss mit Dritten, d. h. namentlich auch ungeachtet der vertragsstaatskirchenrechtlichen Durchsetzbarkeit der kirchenrechtlichen Auffassungen. Die kirchenrechtlichen Determinanten des Verhältnisses von Staat und Kirche sucht die katholische Kirche weltweit – mittlerweile auch über den klassischen Konkordatsraum Europas hinaus – in einer Vielzahl von Verträgen mit den verschiedensten Staaten der Welt zu realisieren und zu sichern; dies trifft nach wie vor – und seit der Wiedervereinigung nochmals verstärkt – auch auf Deutschland zu4. Daher gilt der Befund, mit dem vor über vierzig Jahren Alexander Hollerbach seine Habilitationsschrift eröffnet hat, auch in der Gegenwart: „In der Bundesrepublik Deutschland gehören vertragliche Abmachungen zwischen Staat und Kirche zu den Erscheinungsformen der alltäglichen Rechtswirklichkeit“5. Derartige vertragliche Abmachungen – vom Reichskonkordat bis hin zu den ersten Verträgen mit westdeutschen Bundesländern, von den nach der Wiedervereinigung geschlosse3 Vgl. Barion, in: RGG (FN 2), Sp. 1336; Joseph Listl, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (12); Mikat, in: HdbStKirchR I (FN 1), S. 111 (143 f.). 4 Alexander Hollerbach, Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt, Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 821 (824 ff.); zum Vertragsstaatskirchenrecht nach der deutschen Wiedervereinigung vgl. auch ders., Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR I (FN 1), S. 254 (263 ff.). – In terminologischer Hinsicht ist anzumerken, dass sich der Heilige Stuhl in seiner neueren Vertragspraxis gegenüber der Bezeichnung dieser Verträge als „Konkordate“ zurückhaltend zeigt. Obwohl namentlich die mit den östlichen Bundesländern nach der Wiedervereinigung geschlossenen Verträge der Sache nach kodifikatorische Verträge darstellen, mithin Konkordate im engeren Sinne der Bezeichnung sind, hat es der Heilige Stuhl abgelehnt, sie als solche zu bezeichnen. Im Hintergrund der Terminologie steht offenbar sein Bestreben, die Bezeichnung „Konkordat“ zukünftig nicht mehr für Verträge mit Teilstaaten zu verwenden, sondern sie Grundsatzabkommen mit den jeweiligen Zentralstaaten vorzubehalten; vgl. Hermann Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, in: KarlHermann Kästner/Knut Wolfgang Nörr/Klaus Schlaich (Hrsg.), Festschrift für Martin Heckel zum 70. Geburtstag, 1999, S. 463 (466); s. auch Hollerbach, a. a. O. S. 821 (822 f.). 5 Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 1.

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nen Verträgen mit den fünf östlichen Bundesländern bis hin zu der neuen Generation der westdeutschen Staatskirchenverträge, wie sie jüngst mit Bremen und Hamburg geschlossen werden konnten – legen aus Sicht der katholischen Kirche Zeugnis davon ab, welche Facetten ihres kirchenrechtlich fixierten Verständnisses vom Verhältnis von Staat und Kirche mit Wirkung auch für den weltlichen Rechtskreis gesichert und konkretisiert, entfaltet und ergänzt werden können, kurz: in welchen Sachfragen, die diesem Themenkreis entstammen, zwischen der katholischen Kirche und dem modernen freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat Konsens besteht. Erörtert werden die kirchenrechtlichen Vorstellungen über das Verhältnis von Kirche und Staat wie auch ihre vertragsstaatskirchenrechtliche Sicherung und Konkretisierung in Deutschland im Folgenden hinsichtlich jener Grundfestlegungen, die aus Sicht des CIC für ein gedeihliches Verhältnis von Staat und Kirche entscheidend sind: zunächst hinsichtlich der Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat, insbesondere hinsichtlich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (hierzu sub I.), hernach hinsichtlich der Gewähr religiöser Freiheit (hierzu sub II.), sodann hinsichtlich der staatlichen Neutralität (hierzu sub III.) und schließlich hinsichtlich der Möglichkeiten einer freundschaftlichen Kooperation von Kirche und Staat (hierzu sub IV.). Auf der Grundlage dieser Erörterungen lässt sich in einem letzten Schritt der Frage nachgehen, ob und inwiefern die kirchenrechtlichen Vorgaben im Vertragsstaatskirchenrecht der Gegenwart gesichert und konkretisiert sind (hierzu sub V.). I. Die Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat – Insbesondere zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Werden demzufolge in einem ersten Schritt zunächst die katholischen Vorstellungen über die Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat und insbesondere das kirchliche Selbstbestimmungsrecht betrachtet, so ist als Ausgangspunkt der diesbezüglichen Vorstellungen des CIC6 hervorzuheben, dass im Zweiten Vatikanischen Konzil die Kirche als Glaubens-, Heils- und Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit begriffen7 und sie damit zugleich als geistgewirkte Gemeinschaft wie auch als rechtlich verfasster, durch hierarchische Organe nach innen wie nach außen handelnder gesellschaftlicher Verband verstanden wird8; ihr Ziel und ihre Sendung gehören 6 Vgl. hierzu Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (17 ff., zusammenfassend S. 30). 7 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, AAS 57 (1967), S. 5, Nr. 8. 8 Listl, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239.

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diesem Selbstbildnis zufolge der religiösen Ordnung an mit der sich hieraus ergebenden Konsequenz, dass sich die Kirche für den ausschließlich politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich – mithin für das zeitliche Gemeinwohl9 – grundsätzlich als unzuständig betrachtet10. In der Konsequenz dieser Sichtweise werden geistliche und weltliche Ordnung sowie geistliche und weltliche Macht – mithin Kirche und Staat – als wesensverschieden verstanden11. Aus diesem Wesensunterschied von Kirche und Staat resultiert nach kirchlicher Lehre die gegenseitige Unabhängigkeit beider Mächte im Allgemeinen wie die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber der staatlichen Gewalt im Besonderen; das Zweite Vatikanische Konzil spricht explizit davon, dass die „politische Gemeinschaft und die Kirche (. . .) auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom (sind)“12. Die gleichsam klassische Formulierung dieses Verständnisses stammt freilich nicht vom Zweiten Vatikanischen Konzil, sondern von Papst Leo XIII., der – acht Jahrzehnte vor dem Zweiten Vatikanum – in seiner berühmt gewordenen Enzyklika Immortale Dei über die christliche Staatsordnung vom 1. Januar 1885 ausführt: „So hat also Gott die Sorge für das Menschengeschlecht zwei Gewalten zugeteilt, der kirchlichen und der staatlichen. Der einen obliegt die Sorge für die göttlichen Belange, der anderen für die menschlichen Belange. Jede ist in ihrer Art die höchste. Jede hat bestimmte Grenzen, innerhalb derer sie sich bewegt, Grenzen, die sich aus dem Wesen und dem nächsten Zweck jeder der beiden Gewalten ergeben“13. Eine ihrer jüngsten Bestätigungen findet diese Sichtweise in der von der Kongregation für die Glaubenslehre vorgelegten „Lehrmäßige(n) Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben“ vom 24. November 200214. In ihr wird die „Autonomie der zivilen und politischen Sphäre gegenüber der religiösen und kirchlichen (. . .) Sphäre“ als ein umfassend akzeptierter und anerkannter Wert und damit als Selbstverständ9

II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, AAS 58 (1966), S. 929, Nr. 2, 3, 4 und 7. 10 II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution Gaudium et spes, AAS 58 (1966), S. 1025, Nr. 42,2. 11 Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, 1978, S. 221 ff.; ders., Essener Gespräche 19 (1985), 9 (30); ders., in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1242 ff.). 12 II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution Gaudium et spes, AAS 58 (1966), S. 1025, Nr. 76, 3; vgl. hierzu auch Paul Mikat, Kirche und Staat, in: ders., Religionsrechtliche Schriften, Band 1, 1974, S. 265 (288 f.). 13 Leo XIII., Enzyklika Immortale Dei, ASS 18 (1885/86), S. 161. 14 Im Internet abrufbar unter: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ cfaithdocuments/rc_con_ cfaith_doc_20021124_politica_ge.html. Zu ihr etwa Robert Spaemann, Der gefährliche Irrtum des ethischen Relativismus, in: L’Osservatore Romano, Nr. 6 vom 7. Februar 2003, S. 12; Lothar Roos, Wahre und falsche „Laizität“, Die Neue Ordnung 2003, S. 223; Uhle (FN 1), S. 28 ff.

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lichkeit betrachtet, die nach Auffassung der katholischen Kirche – so wörtlich – zu den „Errungenschaften der Zivilisation“ gehört15. Diese Position ist im Vertragsstaatskirchenrecht vielfältig gesichert16. So basieren sämtliche Verträge in offenkundiger, wenngleich zum Teil in unausgesprochener Weise auf der Grundannahme einer wesenhaften Unterscheidung von Staat und Kirche; es ist dies gleichsam die ihnen gemeinsame, unverzichtbare Grundannahme, die einen Vertragsschluss zwischen beiden Parteien überhaupt erst plausibel macht. Auch dort, wo dieser Wesensunterschied – wie etwa im Reichskonkordat aus dem Jahre 193317 oder in den Verträgen mit dem Freistaat Sachsen und dem Freistaat Thüringen aus den Jahren 199618 bzw. 199719 – nicht explizit thematisiert wird, liegt sie diesen Abkommen daher doch in deutlich sichtbarer Weise zugrunde. Teilweise wird sie aber auch explizit in einigen jüngeren Verträgen – dort regelmäßig in der Präambel – angesprochen. So weisen etwa die Präambeln der in den Jahren 1997 und 2005 abgeschlossenen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Mecklenburg-Vorpommern20 und Hamburg21 explizit darauf hin, dass der Vertragsschluss „im Bewusstsein der Eigenständigkeit von Staat und Kirche“ erfolge; die Präambel des zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg im Jahre 2003 geschlossenen Vertrages formuliert, dass das Verhältnis von Staat und Kirche „von Eigenständigkeit und Zusammenarbeit“ geprägt sei22, und die Präambel des sachsen-anhaltinischen Vertrages aus dem Jahre 1998 führt aus23, dass dem Vertrag die 15

Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßige Note (FN 14), Nr. 6. Zusätzlich zu den Sicherungen des Verfassungsrechts; vgl. dazu Uhle (FN 1), S. 53 ff. 17 Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (RGBl. II, S. 679), abgedruckt bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 1987, S. 34. – Zur Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats vgl. die Einführung von Listl, ebd., S. 27 ff., sowie BVerfGE 6, 309. 18 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 (GVBl. 1997, S. 17), abgedruckt bei Guido Burger (Hrsg.), Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, 2000, S. 83; dazu Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420; Guido Burger, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2.7.1996, LKV 1997, S. 317; vgl. hierzu ferner Weber, in: FS Heckel (FN 4), S. 463. 19 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997 (GVBl. S. 266), abgedruckt bei Burger (FN 18), S. 170; vgl. dazu Weber, in: FS Heckel (FN 4), S. 463. 20 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (GVBl. 1998, S. 3), abgedruckt bei Burger (FN 18), S. 54; vgl. hierzu Holger Kremser, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15.9.1997, LKV 1998, S. 300; Weber, in: FS Heckel (FN 4), S. 463 (467). 21 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005 (GVBl. 2006, S. 435). 16

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Beachtung des „Grundsatzes der gegenseitigen Unabhängigkeit von Kirche und Staat“ zugrunde liege. Der Codex Iuris Canonici von 1983 zieht aus dieser kirchenrechtlich postulierten und vertragsstaatskirchenrechtlich abgesicherten Eigenständigkeit und Unabhängigkeit die kirchenrechtlichen Konsequenzen. So wird die Eigenständigkeit der Kirche und ihrer Rechtsordnung gegenüber dem Staat vielfältig hervorgehoben24, etwa dadurch, dass ausgeführt wird, dass sich der katholischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl kraft göttlicher Anordnung der Charakter einer moralischen Person eigne und ihr bzw. ihm Rechtsfähigkeit zustehe25: Die Kirche wird damit als Institution mit göttlich angeordneter Rechtspersönlichkeit begriffen26, die nicht lediglich unabhängig von jeder weltlichen Macht durch Jesus Christus errichtet, sondern von diesem auch mit allen Rechten ausgestattet sei, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötige; hierbei geht der CIC davon aus, dass die detaillierte und verbindliche Bestimmung dieser Rechte auf Erden allein der Kirche obliegt27. Namentlich und ebenfalls unter Berufung auf göttliche Anordnung nimmt die katholische Kirche für sich das Recht in Anspruch, unabhängig von einer weltlichen Macht ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu regeln. Innerkirchlich wird das so postulierte Selbstbestimmungsrecht 22 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 (GVBl. 2004, S. 223); zu diesem Vertrag vgl. Ludwig Renck, Bemerkungen zum Konkordat das Landes Brandenburg mit dem Hl. Stuhl, LKV 2004, S. 250; ders., Das Konkordat des Landes Brandenburg mit dem Heiligen Stuhl, NJ 2005, S. 20. – Mit „Glaubensfreiheit und Eigenständigkeit“ ist amtlich Art. 1 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003 (GBl. 2004, S. 151) überschrieben, auch wenn dort inhaltlich Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geregelt werden. 23 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998 (GVBl. S. 161), abgedruckt bei Burger (FN 18), S. 130; vgl. hierzu Harald von Bose, Neue Entwicklungen im Staatskirchenrecht – Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt, LKV 1998, S. 295; Weber, in: FS Heckel (FN 4), S. 463 (467). 24 Zur Eigenrechtsmacht der Kirche im Spiegel der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils Listl, Kirche und Staat (FN 11), S. 222 ff. 25 So can. 113 § 1. Zur katholischen Kirche als „persona moralis“ eingehend und m. w. Nachw. Göbel (FN 1), S. 104 ff.; zum Verhältnis der Termini „persona moralis“ und „persona iuridica“ im CIC 1983 auch Helmut Schnizer, Kanonisches Recht und Theorie der juristischen Person?, ÖAKR 36 (1986), S. 323; ders., Rechtssubjektivität und Konkordat, in: Hans Paarhammer/Franz Pototschnig/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), 60 Jahre Österreichisches Konkordat, 1994, S. 485; vgl. auch Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (18). 26 Vgl. Listl, Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR (FN 1), S. 102 (111 f.); zur Rechtspersönlichkeit nach kanonischem Recht näher Franz Pototschnig, Rechtspersönlichkeit und rechtserhebliches Geschehen, in: HdbKathKR (FN 1), S. 136. 27 Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (18).

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durch die Leitungsgewalt ausgefüllt28, die in prinzipiell einheitlicher Weise beim Papst liegt; diese Leitungsgewalt wird zwar nach gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt unterschieden, ist indessen grundsätzlich nicht getrennten Organen zugeordnet (Beschränkung des katholischen Kirchenrechts auf eine Gewaltenunterscheidung ohne Gewaltentrennung)29. Vertragsstaatskirchenrechtlich wird dieses kirchlicherseits in Anspruch genommene und kirchenrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht, das in Deutschland gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV bereits verfassungsrechtlich verbürgt ist, allgemein anerkannt und umfassend gesichert. Die entsprechenden Bestimmungen ressortieren dabei nicht bzw. nicht nur in den Präambeln, sondern in eigenständigen Regelungen. Das gilt auch dann, wenn vereinzelte Verträge – wie etwa die bereits erwähnten Verträge des Heiligen Stuhls mit Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg – bereits in ihren Präambeln darauf hinweisen, dass der Vertragsschluss „im gegenseitigen Respekt vor (dem) Selbstbestimmungsrecht“ sowohl der Kirche als auch des Staates erfolge30; denn auch in den Verträgen, die eine solche Präambelfassung enthalten, findet sich zusätzlich eine selbständige Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts31. Diese knüpft weithin an die Formulierung des Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV an und lautet bereits im Reichskonkordat dahingehend, dass das Recht der katholischen Kirche anerkannt wird, „innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen“32. Namentlich auch in den jüngeren staatskirchenrechtlichen Verträgen wird zumeist in enger Anlehnung an den Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV dessen Gewährleistungsinhalt übernommen, wobei die entsprechende vertragliche Regelung vielfach unmittelbar im systematischen 28 Can. 129 § 1; zur Ausübung der Leitungsvollmacht näher Helmuth Pree, Die Ausübung der Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR (FN 1), S. 156; zu den Trägern der obersten Leitungsgewalt s. Libero Gerosa, Die Träger der obersten Leitungsvollmacht, ebd., S. 326; zum Papst als Träger der Primatialgewalt s. den Überblick bei Hugo Schwendenwein, Der Papst, ebd., S. 331. 29 Freilich werden in der Praxis überwiegend die verwaltende und die rechtsprechende Tätigkeit von verschiedenen Organen ausgeübt. Vgl. hierzu Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (19). 30 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (FN 20); vgl. auch die nahezu identische Formulierung des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005 (FN 21). 31 So exemplarisch etwa in Art. 2 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (FN 20); Art. 2 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005 (FN 21). 32 So Art. 1 Abs. 2 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (FN 17).

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Kontext der Gewährleistung der Freiheit für die katholische Religion normiert wird; so verfährt neben den Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und Sachsen33, Sachsen-Anhalt34 und Brandenburg35 namentlich etwa der unter beratender Mitwirkung von Alexander Hollerbach im Jahre 1997 geschlossene Vertrag mit Thüringen36, ferner der Vertrag mit Bremen aus dem Jahre 200337 und schließlich der Vertrag mit Hamburg aus dem Jahre 200538. Ausfluss dieses, damit auch vertragsstaatskirchenrechtlich abgesicherten Selbstbestimmungsrechts sind nach kirchenrechtlicher Auffassung zunächst umfassende kirchliche Lehr- und Regelungsbefugnisse in allen Fragen, die das katholische Bekenntnis betreffen, sodann aber auch weitere Einzelrechte der Kirche. Zu ihnen gehört u. a. die uneingeschränkte Ämterhoheit der katholischen Kirche, namentlich das Recht des Papstes zur freien und alleinigen Ernennung der Bischöfe39; der CIC schließt explizit und nachdrücklich die Einräumung von Rechten und Privilegien an weltliche Autoritäten in Bezug auf Wahl, Präsentation oder Designation von Bischöfen für die Zukunft aus40. Ferner weist der Codex dem Papst das unabhängige Recht zu, Gesandte zu ernennen und zu den Teilkirchen in den verschiedenen Nationen bzw. Regionen zu entsenden, zu versetzen oder abzuberufen41. Auch diese kirchenrechtlich fixierte Ämterhoheit ist in Deutschland vertragsstaatskirchenrechtlich prinzipiell gesichert42. Allerdings hat es in Bezug auf sie in den Formulierungen der Verträge, die unter der Geltung des Grundgesetzes geschlossen wurden, im Vergleich zu den Bestimmungen des Reichskonkordats durchaus markante Veränderungen gegeben. Bestimmt etwa noch das Reichskonkordat, dass die Kirche zwar grundsätzlich das freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden besitzt, dass indessen Einschränkungen aus früheren Konkordaten Bestand haben – weshalb hiernach Regelungen wie namentlich die des Konkordates mit Preußen von 33

Nachw. FN 18; Art. 1 Abs. 3 des Vertrages. Nachw. FN 23; Art. 1 Abs. 2 des Vertrages. 35 Nachw. FN 22; Art. 1 Abs. 2 des Vertrages. 36 Nachw. FN 19; Art. 1 Abs. 2 des Vertrages. 37 Nachw. FN 22; Art. 1 Abs. 2 des Vertrages. 38 Nachw. FN 21; Art. 2 des Vertrages (im Anschluss an die Gewährleistung der Religionsfreiheit in Art. 1). 39 Zur Definition des kirchlichen Amtes vgl. can. 145. 40 So can. 377 § 5; zum bischöflichen Dienst aus der Sicht des kanonischen Rechts näher Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR (FN 1), S. 425. 41 So can. 362. 42 Zusätzlich zu ihrer verfassungsrechtlichen Gewähr gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV. 34

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1929 fortgelten, demzufolge dem Domkapitel bei Bischofsernennungen ein Wahlrecht zusteht und für die Bischofsernennung die sog. politische Klausel gilt43 – und dass die Bischöfe bei Amtsantritt zudem einen Treueid gegenüber dem Staat zu leisten haben44, so betonen die jüngeren staatskirchenrechtlichen Verträge deutlicher die kirchliche Ämterhoheit. Gängige Formulierungen sind insofern – unter unverkennbarer Anlehnung an den Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV –, dass die katholische Kirche ihre Ämter ohne Mitwirkung das Landes oder der bürgerlichen Gemeinden verleiht bzw. dass sie bei der Besetzung ihrer Ämter frei ist; derartige Regelungen enthalten u. a. etwa die Verträge mit Mecklenburg-Vorpommern45, Sachsen-Anhalt46, Brandenburg47, Bremen48 und Hamburg49; in den Schlussprotokollen der Verträge finden sich ergänzend zum Teil explizite Klarstellungen, dass die jeweiligen Länder namentlich auf die Anwendung der gegenläufigen Bestimmungen des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen vom 14. Juni 1929, soweit sie sich auf die Mitwirkung des jeweiligen Landes beziehen, verzichten50. Abweichungen 43 Art. 14 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (FN 17) i. V. m. Art. 6 Abs. 1 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen vom 14. Juni 1929 (Preußische Gesetzessammlung S. 152), abgedruckt bei Listl (FN 17), S. 709. – Art. 6 Abs. 1 dieses sog. Preußenkonkordats wiederum sieht für die Besetzung eines Bischofsamtes vor, dass der Heilige Stuhl unter Würdigung von Vorschlägen aus den jeweiligen Bistümern drei Personen benennt, aus denen das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel dann in freier und geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof wählt. Zudem wird festgelegt, dass der Heilige Stuhl niemanden zum Erzbischof bzw. zum Bischof bestellen wird, „von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen“ (sog. politische Klausel). Zur politischen Klausel näher Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten, 1939; Joseph Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, 1949. 44 Art. 16 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (FN 17). Hierzu Ulrike DahlKeller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat, 1994. 45 Nachw. FN 20; Art. 15 Abs. 1 des Vertrages. 46 Nachw. FN 23; Art. 12 Abs. 1 des Vertrages. 47 Nachw. FN 22; Art. 3 des Vertrages. 48 Nachw. FN 22; Art. 3 des Vertrages. 49 Nachw. FN 21; Art. 2 Abs. 2 des Vertrages. 50 So etwa Abs. 1 des Schlussprotokolls zu Art. 12 Abs. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998 (FN 23); Abs. 2 des Schlussprotokolls zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 (FN 22); Abs. 4 des Schlussprotokolls zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003 (FN 22). Für Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ergibt sich dies bereits aus dem Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land MecklenburgVorpommern und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg vom 22. September 1994 (GVBl. MV 1994, S. 1027),

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bezüglich dieser Rücknahme der staatlichen Beteiligungsrechte enthalten in Bezug auf die Besetzung der Bischofsstühle wie auch hinsichtlich der politischen Klausel indessen der sächsische51 und der thüringische Kirchenvertrag52, die an den entsprechenden Regelungen des Preußenkonkordats festhalten. Auch wenn vor diesem Hintergrund in den einzelnen Verträgen die Regelungen hinsichtlich der staatlichen Mitwirkungsrechte bei der kirchlichen Ämterbesetzung variieren, ist die Tendenz zur Stärkung der kirchlichen Ämterhoheit doch unverkennbar. Sie wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass ein durchgängiges Merkmal des hier betrachteten jüngeren Vertragsstaatskirchenrechts in dem Verzicht auf den durch das Reichskonkordat vorgeschriebenen Treueid der Diözesanbischöfe besteht; freilich finden sich die entsprechenden Verzichtserklärungen überwiegend – mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt53 und Bremen54 – nicht erst in den hier erörterabgedruckt bei Burger (FN 18), S. 50, vgl. insofern Art. 6. Die Gesetzesmaterialien halten insofern ausdrücklich fest, dass „die bisherige politische Klausel (. . .) auf eine Informationsverpflichtung der Kirche zurückgeführt (wird), wie sie einer fairen Partnerschaft entspricht“ (LT-Drs. MV 1/4449, S. 16). 51 Nachw. FN 18; Art. 13 des Vertrages ordnet in seinem Abs. 1 an, dass sich die Besetzung kirchlicher Ämter in den Bistümern Görlitz und Magdeburg nach den Bestimmungen der jeweiligen Verträge über die Bistumserrichtung richtet, die ihrerseits – jeweils in Art. 3 – die Regelungen des Art. 6 des Preußischen Konkordats über das Verfahren der Besetzung der Bischofsämter sowie die sog. politische Klausel aufrechterhalten; vgl. Klaus Weber/Rolf Raum, Die Besetzung kirchlicher Ämter nach dem katholischen Kirchenvertrag Sachsen vom 2. Juli 1996, ArchKathKR 165 (1996), S. 414 (422 ff.). In seinem Abs. 2 bestimmt Art. 13 sodann, dass für die Besetzung des Bischofsamtes und der Kanonikate des Domkapitels im Bistum Dresden-Meißen Art. 14 des Reichskonkordats gilt, was im Schlussprotokoll zu Art. 13 dieses Vertrages dahingehend präzisiert wird, dass hiermit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats gemeint sei. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats findet bezüglich der Besetzung des Bischofsamtes „für das Bistum Meißen die für den Metropolitansitz der oberrheinischen Kirchenprovinz Freiburg getroffene Regelung entsprechende Anwendung“, wodurch auf Art. III des Badischen Konkordats vom 12. Oktober 1932 verwiesen wird, das hinsichtlich der Besetzung eines Bischofsamtes ähnliche, freilich nicht identische Regelungen wie Art. 6 des Preußenkonkordats enthält; vgl. hierzu Weber/Raum, ebd., S. 414 (427 ff.). 52 Nachw. FN 19; Art. 5 Abs. 1 des Vertrages etwa verweist – trotz der üblichen Grundsatzbestimmung des Art. 1 Abs. 2 S. 2 – für die Besetzung des Amtes des Bischofs von Erfurt auf Art. 6 des Preußenkonkordats. Dieser gilt gem Art. 5 Abs. 2 Satz 1 auch für die Besetzung des Bischofsamtes in Fulda. Eine Sonderregelung enthält Art. 5 Abs. 2 Satz 2 sodann im Hinblick auf das Bischofsamt in DresdenMeißen, für das wiederum auf Art. III Abs. 1 des Badischen Konkordats vom 12. Oktober 1932 verwiesen wird; zu der insofern geltenden Regelung vgl. vorstehend FN 51 m. w. Nachw. 53 Abs. 2 des Schlussprotokolls zu Art. 12 Abs. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998 (FN 23). 54 Abs. 5 des Schlussprotokolls zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003 (FN 22).

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ten Kirchenverträgen, sondern bereits in den ihnen vorausgegangenen Bistumserrichtungsverträgen55. In den hier beleuchteten Staatskirchenverträgen wird entweder dieser Verzicht nochmals wiederholt56 oder dadurch bestätigt, dass diese Verträge explizit darauf hinweisen, die Bistumserrichtungsverträge unberührt zu lassen57. Neben dieser, damit auch vertragsstaatskirchenrechtlich weithin anerkannten Ämterhoheit folgt aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nach dem CIC ferner das Recht der Kirche, zur Verwirklichung der ihr eigenen Zwecke Vermögen, sog. zeitliche Güter, zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern58; zu den kirchlichen Aufgaben, die einen derartigen Vermögensbesitz rechtfertigen, zählt das Kirchenrecht u. a. die geordnete Feier der Heiligen Messe, die Sicherung des angemessenen Lebensunterhaltes der Kleriker und der übrigen Kirchenbediensteten sowie die Betreuung religiöser und karitativer Werke59. Ausdrücklich wendet sich der Codex gegen jede Diskriminierung kirchlicher Einrichtungen auf dem Gebiet des Kirchenvermögens60; zu den Rechten der Kirche zählt er nicht nur, dass sie für ihre Zwecke Kollekten abhalten darf, sondern auch, dass sie 55 Art. 7 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land SchleswigHolstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg vom 22. September 1994 (FN 50); Schlussprotokoll zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und dem Freistaat Sachsen über die Errichtung des Bistums Magdeburg vom 13. April 1994 (SächsGVBl. 1994, S. 1046), abgedruckt bei Burger (FN 18), S. 126; Abs. 2 des Schlussprotokolls zu Art. 3 des Staatsvertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen über die Errichtung des Bistums Erfurt vom 14. Juni 1994 (GVBl. 1994, S. 790); Schlussprotokoll zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen sowie dem Land Brandenburg über die Errichtung des Bistums Görlitz vom 4. Mai 1994 (SächsGVBl. 1994, S. 1059), abgedruckt bei Burger, ebd., S. 34; zur Auffassung des neueren Schrifttums zum Treueid vgl. Dahl-Keller (FN 44), S. 200 ff. 56 So verfährt etwa Abs. 3 des Schlussprotokolls zu Art. 3 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 (FN 22) und das Schlussprotokoll zu Art. 13 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 (FN 18). 57 So etwa Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 30 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997 (FN 19); Art. 25 Abs. 2 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (FN 20). 58 Hierzu eingehend Helmuth Pree, Grundfragen kirchlichen Vermögensrechts, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1041; Richard Potz, Der Erwerb von Kirchenvermögen, ebd., S. 1068; Richard Puza, Die Verwaltung des Kirchenvermögens, ebd., S. 1093; ders., Rechtsgeschäfte über das Kirchenvermögen, ebd., S. 1103 – jeweils m. w. Nachw. 59 So can. 1254 §§ 1 und 2. 60 So can. 1259.

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von den Gläubigen diejenigen Zuwendungen fordern kann, die ihr für die Verfolgung der Zwecke notwendig erscheinen61. Das Kirchenrecht geht auf der Grundlage dieser Normen davon aus, dass im Regelfall der erforderliche Finanzbedarf der katholischen Kirche durch die Zuwendungen der Gläubigen gedeckt werden kann, wobei im Einzelnen die von der Bischofskonferenz erlassenen Normen maßgeblich sind62. Auch diese kirchenrechtlichen Vorstellungen sind vertragsstaatskirchenrechtlich umfänglich abgesichert63. Bereits das Reichskonkordat gewährleistet der katholischen Kirche in Deutschland das Eigentum nach Maßgabe der allgemeinen Staatsgesetze, enthält Bestimmungen für den Fall der Ablösung von Staatsleistungen an die katholische Kirche und anerkennt zudem das Recht der Kirche, Steuern zu erheben64. An diese Regelungen knüpfen in teilweise sehr detaillierter Weise hinsichtlich des Inhalts, wenngleich nicht hinsichtlich der Formulierung, auch die jüngeren Staatkirchenverträge an. So gewährleistet exemplarisch etwa der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen aus dem Jahre 1997 das Eigentum und andere Vermögensrechte der katholischen Kirche und ihrer Vereine nach Maßgabe von Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV und regelt überdies, dass bei der eventuellen Anwendung enteignungsrechtlicher Vorschriften die Landesbehörden auf die kirchlichen Belange Rücksicht nehmen werden65. Hier findet sich auch eine Regelung für den Fall, dass die Kirche oder ihre religiösen Vereine in Fällen der Enteignung oder Veräußerung kirchlicher Grundstücke beabsichtigen, gleichwertige Ersatzgrundstücke zu erwerben; in derartigen Fällen bestimmt der Vertrag, dass „die Landesbehörden ihnen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen entgegenkommen“66. Ferner enthält der Vertrag eine Regelung, derzufolge der Freistaat Thüringen an die katholische Kirche einen jährlichen Gesamtzuschuss zahlt, wobei die Kirche im Gegenzug den Freistaat von allen Verpflichtungen zu Geld- und Sachleistungen an die Kirchengemeinden bzw. Pfarreien, insbesondere aus Baulastpflichten, freistellt. Für eine spätere Ablösung dieser Staatsleistungen des Freistaates wird auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV verwiesen67. Zudem wird die Berechtigung der Bistümer und 61

So can. 1260. Vgl. zu diesem Themenkomplex Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1078. – Speziell zur Kirchensteuer vgl. aus der Fülle der Literatur näher Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, 4. Aufl. 2006, insbes. S. 62 ff. 63 Zusätzlich zu den Verbürgungen namentlich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 WRV und Art. 137 Abs. 6 WRV. 64 Siehe Art. 17, 18 und das Schlussprotokoll zu Art. 13 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (FN 17). 65 Nachw. FN 19; Art. 19 Abs. 1 und 2 S. 1 des Vertrages. 66 Art. 19 Abs. 2 S. 2 des Vertrages. 62

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Kirchengemeinden bzw. Pfarreien und Gesamtverbände verbürgt, nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern, insbesondere auch Kirchgeld, zu erheben68; bezüglich der Verwaltung der Kirchensteuer wird bestimmt, dass auf Antrag der Bistümer das zuständige Ministerium die Verwaltung der anerkannten Kirchensteuern den Finanzämtern zu übertragen hat und der Freistaat für diese Verwaltung eine Vergütung erhält, deren Höhe sich nach dem vereinnahmten Kirchensteueraufkommen richtet69. Garantiert wird schließlich auch die Berechtigung der Bistümer und ihrer Kirchengemeinden bzw. Pfarreien, von ihren Mitgliedern, unabhängig von Kirchensteuern und Kirchgeld, Spenden und andere freiwillige Leistungen für kirchliche Zwecke zu erbitten; für die Bistümer und ihre karitativen Einrichtungen gelten insofern alljährlich zwei allgemeine öffentliche Hausund Straßensammlungen für kirchliche Zwecke als genehmigt70. Ähnliche, ebenso detaillierte, wenngleich nicht identische Regelungen enthalten die Verträge des Heiligen Stuhls mit den anderen ostdeutschen Bundesländern, mithin mit Sachsen71, Mecklenburg-Vorpommern72, Sachsen-Anhalt73 und Brandenburg74. Hinsichtlich der beiden jüngsten westdeutschen Kirchenverträge mit Bremen und Hamburg fällt auf, dass sie zwar die vielfältig Verwendung findenden Bestimmungen zur Gewährleistung des kirchlichen Eigentums, zur Berechtigung der Kirchensteuererhebung u. ä. enthalten, dass sie indessen Regelungen zu pauschalierten Staatsleistungen an die katholische Kirche – wie sie etwa in den nach der Wiedervereinigung geschlossenen Verträgen mit den ostdeutschen Bundesländern enthalten sind – nicht enthalten, sondern lediglich sachspezifische Förderungen vorsehen75. Aus der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und ihrem Selbstbestimmungsrecht resultieren indessen dem CIC zufolge nicht nur die kirchliche Ämterhoheit sowie das Recht, Kirchenvermögen zu erwerben, zu verwalten und zu veräußern; der Codex lässt erkennen, dass er hieraus weitere Rechte der Kirche ableitet, u. a. im Bereich des Bildungswesens76. So spricht er unter gleichzeitiger Ablehnung eines staatlichen Schulmonopols der Kirche 67

Art. 23 Abs. 1 und 7 des Vertrages. Art. 25 des Vertrages. 69 Art. 26 des Vertrages. 70 Art. 27 des Vertrages. 71 Nachw. FN 18; s. etwa Art. 16, 17, 20, 21, 22 und 24 des Vertrages. 72 Nachw. FN 20; Art. 16, 18, 19 und 20 des Vertrages. 73 Nachw. FN 23; Art. 15, 18, 19 und 22 des Vertrages. 74 Nachw. FN 22; Art. 12, 15, 16, 17, 18 und 19 des Vertrages. 75 Zu diesen vgl. etwa Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und 2, Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 2 S. 2 sowie Art. 15 Abs. 3 S. 1 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen (FN 22) bzw. Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2, Art. 10 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 5 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg (FN 21). 68

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das Recht zu, Schulen jeder Art sowie Universitäten zu gründen und zu leiten77. Demgemäß betrachtet die katholische Kirche nicht die staatliche Einheitsschule, sondern ein plurales Schulwesen, in dem freie Schulen in Koexistenz und Konkurrenz zu den öffentlichen Schulen stehen, als den anzustrebenden und einer freiheitlich verfassten Gesellschaft angemessenen Zustand. Der Religionsunterricht und die katholische Erziehung, die in Schulen jeglicher Art vermittelt oder auf sonstige Weise geleistet werden sollen, unterstehen dabei der kirchlichen Autorität78; insbesondere bedarf derjenige, der Religionsunterricht erteilt oder im Namen der Kirche eine Lehrtätigkeit – etwa an einer Hochschule – ausübt, hierzu einer Sendungsbzw. Lehrbeauftragung der zuständigen kirchlichen Autorität79. Diese kirchenrechtlichen Vorgaben erfahren im Vertragsstaatskirchenrecht der Gegenwart eine weitgehende Sicherung. Bereits das Reichskonkordat bestimmt u. a., dass der Religionsunterricht namentlich in Volks- und Berufsschulen sowie in Mittelschulen und höheren Lehrveranstaltungen ordentliches Lehrfach ist, das in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilt wird80; zudem ordnet es an, dass bei der Anstellung katholischer Religionslehrer eine Verständigung zwischen dem Bischof und der Landesregierung über die Person des Lehrers stattfindet, wobei Lehrer, die wegen ihrer Lehre oder sittlichen Führung vom Bischof zur weiteren Erteilung des Religionsunterrichts für ungeeignet erklärt worden sind, nicht als Religionslehrer verwendet werden dürfen81. Weiter wird im Reichskonkordat die Einrichtung katholischer Bekenntnisschulen bzw. katholischer Volksschulen geregelt, und den Orden und religiösen Kongregationen das Recht zur Unterhaltung von Privatschulen ebenso verbürgt, wie der Bestand der katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen und das kirchliche Recht zur Errichtung von Lehranstalten für den Klerus sowie von Priesterseminaren gewährleistet wird82. Ähnlich umfangreiche Bestimmungen zu diesem Fragenkreis enthalten auch die jüngeren staatskirchenrechtlichen Verträge – exemplarisch etwa der bereits angeführte Vertrag des Heiligen Stuhls mit dem Freistaat Sachsen aus dem Jahre 1996. Hiernach gewährleistet der Freistaat „die Erteilung eines regelmäßigen katholischen 76 Hierzu näher Franz Pototschnig, Das Bildungswesen, in: HdbKathKR (FN 1), S. 721. 77 Vgl. can. 800 § 1 und can. 807. 78 So can. 804. 79 So can. 805 und can. 812; s. hierzu näher den Überblick bei Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR (FN 1), S. 734; Georg May, Die Hochschulen, ebd., S. 749. 80 Nachw. FN 17; Art. 21 des Reichskonkordats. 81 Art. 22 des Reichskonkordats. 82 Art. 23, 24 und 25, Art. 19 sowie Art. 20 des Reichskonkordats.

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Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen“, gibt als dessen Gegenstand „die Vermittlung der katholischen Glaubensund Sittenlehre“ an und bestimmt als dessen Ziel, dass er „zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft motivieren (soll)“83. Ausdrücklich wird angeordnet, dass die Richtlinien, Lehrpläne und Lehrbücher für den katholischen Religionsunterricht der kirchlichen Zustimmung bedürfen84. Lehrkräfte im Fach der katholischen Religion benötigen zudem vor ihrer ersten Anstellung ausdrücklich eine Bevollmächtigung zur Erteilung des Religionsunterrichts durch den zuständigen Diözesanbischof (missio canonica)85. Sodann wird bestimmt, dass die katholische Kirche einschließlich der ihr zugehörenden Orden und Kongregationen sowie anderer kirchlicher Einrichtungen das Recht hat, Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage einzurichten und zu betreiben86. Hinsichtlich der theologischen Hochschulausbildung wird ausdrücklich gewährleistet, dass diese der Lehre und den Grundsätzen der katholischen Kirche entspricht und dass Professoren bzw. Hochschuldozenten für katholische Theologie und katholische Religionspädagogik „erst berufen oder eingestellt (werden), wenn sich das zuständige Staatsministerium bei dem zuständigen Diözesanbischof vergewissert hat, dass im Hinblick auf Lehre und Lebenswandel keine Bedenken bestehen“87. Schließlich wird das Recht der Kirche anerkannt, eigene Ausbildungsstätten, insbesondere für Theologen, Religionspädagogen, Kirchenmusiker, Sozial- und Gemeindepädagogen sowie vergleichbare Berufe einzurichten88 und die Freiheit der Kirche, in der Erwachsenenbildung tätig zu sein, gewährleistet89. Ähnliche Regelungen enthalten auch die sonstigen, nach der Wiedervereinigung geschlossenen Staatskirchenverträge, namentlich die Verträge, die der Heilige Stuhl mit Thüringen90, Sachsen-Anhalt91, Mecklenburg-Vorpommern92 und Hamburg93 geschlossen hat, im Falle der Verträge von Brandenburg94 und Bre83

Nachw. FN 18; Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und 2 des Vertrages. Art. 3 Abs. 2 S. 3 des Vertrages. 85 Art. 3 Abs. 3 des Vertrages. 86 Art. 4 des Vertrages. 87 Art. 5 des Vertrages. 88 Art. 6 des Vertrages. 89 Art. 7 des Vertrages. 90 Nachw. FN 19; s. hierzu Art. 8 bis 13 des Vertrages. 91 Nachw. FN 23; s. hierzu Art. 4 bis 9 des Vertrages. 92 Nachw. FN 20; s. hierzu Art. 4 bis 6 des Vertrages. 93 Nachw. FN 21; s. hierzu Art. 5 bis 7 des Vertrages. 94 Nachw. FN 22; s. hierzu Art. 4 bis 6 des Vertrages: So wird in Art. 4 lediglich das Recht der Kirche gewährleistet, regelmäßig katholischen Religionsunterricht in den Räumen der öffentlich getragenen Schulen zu erteilen. Dieser „soll“ in die regelmäßige Unterrichtszeit integriert werden. Im Schlussprotokoll wird hinsichtlich 84

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men95 freilich mit dem Unterschied, dass sich dort jeweils abweichende Regelungen in Bezug auf den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach finden; die Hintergründe sind bekannt96. II. Die Verpflichtung des Staates zur Gewähr religiöser Freiheit Neben der Sicherung der Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat sowie dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht misst die katholische Kirche besondere Bedeutung der staatlichen Gewähr von Religionsfreiheit zu97. Die Aussagen des Codex Iuris Canonici setzen diesbezüglich einen Staat voraus, der auf der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als der Voraussetzung bürgerlicher Freiheitsrechte beruht und der seinen Bürgern die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grund- und Freiheitsrechte nicht nur dem Buchstaben der Verfassung nach, sondern auch effektiv gewährt98. Entscheidend für das katholische Verständnis der Religionsfreiheit in der Gegenwart ist die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils99. In dieser bekennt sich die katholische des Religionsunterrichts ausdrücklich vermerkt, dass diese Verständigung die unterschiedlichen Rechtsauffassungen über die Frage, welche Stellung dem Religionsunterricht nach dem Grundgesetz in den öffentlich getragenen Schulen zukommt, unberührt lässt. Im Übrigen enthält dieser Vertrag in seinem Art. 5 Bestimmungen zum katholischen Bildungswesen, inklusive des Rechts zur Errichtung und zum Betreiben von Hochschulen und Schulen in eigener Trägerschaft auf konfessioneller Grundlage; nicht voll geregelt wird die theologische Ausbildung an den Hochschulen des Landes, da Art. 6 sich insofern darauf beschränkt, für den Fall einer entsprechenden Einrichtung eines solchen Studienganges eine gesonderte Vereinbarung zwischen der katholischen Kirche und dem Land Brandenburg zu treffen. 95 Nachw. FN 22; s. hierzu Art. 4 bis 7 des Vertrages; in Art. 4 wird bezüglich des Themenfeldes „Religionsunterricht“ lediglich normiert, dass die Kirche das Recht hat, an ihren Schulen anstelle des Unterrichts in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage konfessionellen Religionsunterricht zu erteilen. Das Schlussprotokoll vermerkt, dass die Kirche die in der bremischen Landesverfassung insofern bestehende Sonderstellung des Unterrichts in biblischer Geschichte unbeschadet ihrer grundsätzlichen Auffassung zur Kenntnis nimmt, dass das Zusammenwirken von Staat und Kirche im Schulwesen den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach i. S. d. Art. 7 Abs. 3 GG an den öffentlichen Schulen erfordert. 96 Hierzu näher: Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl. 2004, Art. 141 GG Rn. 1 ff., 4 ff. – Zur sog. „Bremer Klausel“ des Art. 141 GG und ihrer Anwendbarkeit im Land Brandenburg näher Arnd Uhle, Das brandenburgische Lehrfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ – ein verfassungskonformes Substitut für den Religionsunterricht?, KuR 1996, S. 15; ders., Die Verfassungsgarantie des Religionsunterrichts und ihre territoriale Reichweite, DÖV 1997, S. 409. 97 Vgl. hierzu Listl, Kirche und Staat (FN 11), S. 208 ff. 98 Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (31).

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Kirche – ohne ihren dogmatischen Wahrheitsanspruch aufzugeben100 und zu einer Zeit, in der in einer Reihe von Staaten noch eine Staatsreligion bestanden hat101 – auf dem Fundament der Würde der menschlichen Person ihrerseits zur staatlichen Verbürgung des Menschen- bzw. Grundrechts der vollen und allgemeinen Religionsfreiheit102 und betrachtet den Staat als verpflichtet, die volle Religionsfreiheit zu gewähren103: „Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat (. . .). Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird“104. In der Konsequenz dieser Sichtweise liegt, dass die Kirche die Religionsfreiheit nicht nur für Katholiken bzw. Christen, sondern für alle Menschen einfordert105. Das Konzil definiert die Religionsfreiheit wie folgt: „Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, ge99

Nachw. oben in FN 9. Vgl. diesbezüglich II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae (FN 9), Nr. 1: Die „einzig wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten“. (. . .) Die Religionsfreiheit lässt „die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht des Menschen und der Gesellschaft gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet.“ 101 Vgl. etwa die seinerzeit diesbezüglich bestehende Lage in Spanien, Portugal oder auch Italien. 102 Zur Verankerung der Religionsfreiheit in der Menschenwürde vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae (FN 9), Nr. 2 und 9: „Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet (. . .).“ Zum (gegenläufigen) Freiheitsentwurf aus der päpstlichen Perspektive des 19. Jahrhunderts eingehend Josef Isensee, Die katholische Kritik an den Menschenrechten, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Robert Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 138. – Zum Verhältnis der katholischen Kirche zur Menschenrechtsidee Peter Krämer, Die Idee der Menschenrechte und Grundrechte in der katholischen Tradition, ÖAKR 37 (1987), S. 229. 103 Hierzu näher Peter Krämer, Religionsfreiheit in der Kirche, 1981; Gerhard Luf, Glaubensfreiheit und Glaubensbekenntnis, in: HdbKathKR (FN 1), S. 700; vgl. auch Mikat, in: HdbStKirchR I (FN 1), S. 111 (135 ff.); zum Folgenden näher auch Listl, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1250 ff.). 104 II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae (FN 9), Nr. 2. 105 Siehe ebd., Nr. 13: Die Christen haben „wie die übrigen Menschen das bürgerliche Recht, daß sie nach ihrem Gewissen leben dürfen und daran nicht gehindert werden. So steht also die Freiheit der Kirche im Einklang mit jener religiösen Freiheit, die für alle Menschen und Gemeinschaften als ein Recht anzuerkennen und in der juristischen Ordnung zu verankern ist.“ 100

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gen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln“106. Bedeutsam ist, dass der dieser Erklärung zugrunde liegende Begriff der Religionsfreiheit einerseits die positive wie auch die negative Facette der Religionsfreiheit sowie zudem nicht nur die individuelle Religionsfreiheit, sondern auch die korporative Religionsfreiheit umfasst. Zu den Einzelelementen des Grundrechts der korporativen Religionsfreiheit rechnet das Zweite Vatikanische Konzil sämtliche Lebensvollzüge der Kirche, zu der u. a. die öffentliche Religionsausübung im Sinne der Kultusfreiheit, die Missionsfreiheit, die Freiheit zur Verbreitung der katholischen Soziallehre, das Recht zur Betätigung auf dem Gebiet der Caritas und vieles mehr gehören107. Schließlich betont das Konzil bei alledem die Bedeutung des Umstands, dass „der Grundsatz der Religionsfreiheit nicht nur mit Worten proklamiert oder durch Gesetz festgelegt, sondern auch ernstlich in die Praxis überführt ist und in Geltung steht“108; nachhaltig weist es darauf hin, dass es erforderlich ist, „dass überall auf Erden die Religionsfreiheit einen wirksamen Rechtsschutz genießt und dass die höchsten Pflichten und Rechte der Menschen, ihr religiöses Leben in der Gesellschaft in Freiheit zu gestalten, wohl beachtet werden“109. Damit unterscheidet sich die katholische Lehre der Gegenwart deutlich von der ablehnenden Haltung gegenüber den Grundrechten der Religionsund der Meinungsfreiheit, die namentlich die Päpste im 19. Jahrhundert eingenommen haben110; auch wenn diese Position noch bis zur 1963 veröffentlichten Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. bzw. bis zum 106

Ebd., Nr. 2. Vgl. dazu ebd., Nr. 4, 5, 6; Listl, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1251 f.). 108 Ebd., Nr. 13. 109 Ebd., Nr. 15. 110 So verurteilte etwa Papst Pius IX. im Syllabus Errorum von 1864 Auffassungen, die die Religions- und Meinungsfreiheit guthießen; hierzu Andreas Fleckl, Religionsfreiheit, in: Konrad Breitsching/Wilhelm Rees (Hrsg.), Tradition – Wegweisung in die Zukunft, Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag, 2001, S. 481 (504 ff.). Auch Papst Leo XIII. wandte sich in den Enzykliken Immortale Dei vom 1. November 1885 und Libertas praestantissimum vom 20. Juni 1888 gegen die Meinungsfreiheit, nicht ohne jedoch auch Ansätze zu Toleranz und Duldung gegenüber Andersgläubigen zu präsentieren; kritisch: Walter Kasper, Art. Religionsfreiheit – II. Katholische Kirche, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl. 1988, Band IV, Sp. 825 (826). Ihren Grund hatte diese Haltung – trotz der vielfältigen Anknüpfungspunkte für eine theologische Fundierung der Menschenrechte – in dem Umstand, dass Menschenrechte tatbestandlich auch ein Handeln gegen göttliche Gebote erfassen, diese Gebote indessen nach der Lehre der katholischen Kirche unbedingt gelten, weshalb es gegenläufige Freiheitsrechte nicht geben können sollte. Vgl. hierzu auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat – Gesellschaft – Kirche, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilband 15, 1982, S. 5 (17, 25 f.); Isensee, in: Böckenförde/Spaemann (FN 102), S. 138. Zum 107

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Zweiten Vatikanischen Konzil vorherrschte, lassen sich freilich bereits in der Zeit des Zweiten Weltkriegs Anzeichen für eine Wende in den lehramtlichen Verlautbarungen finden111. Sie gipfeln schließlich in der erörterten Konzilserklärung, die nunmehr die in der christlichen Tradition vielfältig bestehenden Anlagen für eine theologische Begründung der Menschenrechte und damit für die Anerkennung des bürgerlichen Rechts auf Religionsfreiheit fruchtbar macht112. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sämtliche Staatskirchenverträge die Religionsfreiheit thematisieren bzw. verbürgen. Das Reichskonkordat bestimmt diesbezüglich – freilich lediglich im Hinblick auf die katholische Religion, mithin nicht allgemeingültig – gleich in seinem ersten Artikel, dass die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion gewährleistet sei und ergänzt dies um eine Bestimmung, derzufolge der Heilige Stuhl in seinem Verkehr und seiner Korrespondenz mit den Bischöfen, dem Klerus und den übrigen Angehörigen der Kirche volle Freiheit genießt – ebenso wie die Bischöfe und sonstigen Diözesanbehörden für ihren Verkehr mit ihren Gläubigen113; zudem wird gewährleistet, dass die Betätigung von Orden und religiösen Genossenschaften in der Seelsorge, im Unterricht, in Krankenpflege und karitativer Arbeit keinen besonderen Beschränkungen des Staates unterliegt und dass die Militär- und Anstaltsseelsorge ermöglicht wird114. Auch die neueren Staatskirchenverträge setzen eine entsprechende Gewährleistung an den Anfang ihrer Bestimmungen und entfalten sie in detaillierter Weise, verbinden allerdings diese spezifische Freiheitsverbürgung für die katholische Religion zum Teil in den Präambeln der Verträge mit einem Bekenntnis zur allgemeinen Religionsfreiheit. So bekennt sich exemplarisch etwa der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahre 1997 in seiner Präambel zur „Achtung vor der Religionsfreiheit des Verhältnis zwischen sittlicher Pflicht zur Wahrheitssuche und bürgerlicher Religionsfreiheit nach der Lehre des Konzils vgl. auch nachfolgend FN 112. 111 Vgl. Konrad Breitsching, Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung, in: FS Mühlsteiger (FN 110), S. 191 (195 f.). 112 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae (FN 9), Nr. 1. Wie diese Erklärung gleich zu Beginn in ihren ersten Worten verdeutlicht, gründet diese Wende in der Betonung der Würde des Einzelnen, aus der zwar auch weiterhin die sittliche Pflicht des Menschen zur Suche nach der religiösen Wahrheit gefolgert wird, aus der indessen nunmehr zugleich die Unvereinbarkeit von jeglichem Zwang bei dieser Wahrheitssuche und daher ein bürgerliches Recht auf Religionsfreiheit abgeleitet wird. 113 Nachw. FN 17; Art. 1 und 4 des Reichskonkordats. – Eingeschränkt wird freilich durch das Reichskonkordat die politische Einflussnahme der Kirche dadurch, dass im dortigen Art. 32 nicht nur die Betätigung von Geistlichen und Ordensleuten in politischen Parteien, sondern bereits die Mitgliedschaft in diesen untersagt wird. 114 Art. 15, 27 und 28 des Reichskonkordats.

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Einzelnen“ und zu „dem gemeinsamen Anliegen, die Menschenwürde und die Menschenrechte zu achten und zu schützen“115 – ein Bekenntnis, das hernach in der ersten Vertragsbestimmung und damit an zentraler Stelle bezüglich der Religionsfreiheit auf den katholischen Vertragspartner hin konkretisiert wird. Die entsprechende Formulierung der Religionsfreiheit lautet etwa in dem katholischen Kirchenvertrag Mecklenburg-Vorpommerns: „Das Land gewährt der Freiheit, den katholischen Glauben zu bekennen und auszuüben und dem karitativen Wirken der katholischen Kirche den Schutz durch Verfassung und Gesetz“116. Ebenso wird die Anstaltsseelsorge geregelt; diesbezüglich ordnet der Vertrag etwa an, dass in „öffentlichen Krankenhäusern, Heimen, Justizvollzugsanstalten, Polizeiausbildungsstätten und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen die Kirche seelsorgerlich tätig wird“ und dass sie „zu Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen berechtigt (ist)“117; weiterhin wird bestimmt, dass die Kirche und ihre Einrichtungen in Erfüllung ihres Auftrages Aufgaben als anerkannte Träger der freien Jugendhilfe sowie Aufgaben der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege wahrnehmen118. Zudem wird u. a. etwa die Verpflichtung des Landes verbürgt, „darauf hinzuwirken, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die privaten Rundfunkveranstalter der Kirche angemessene Sendezeiten für die Übertragung gottesdienstlicher Handlungen und Feierlichkeiten sowie von Sendungen über Fragen des kirchlichen Auftrags gewähren“; auch soll die Kirche in den Aufsichtsgremien angemessen vertreten sein119. Entsprechende Bestimmungen kennen – mit gewissen Varianten in Formulierung wie Inhalt – auch die übrigen jüngeren staatskirchenrechtlichen Verträge; dies gilt namentlich für die Verträge des Heiligen Stuhls mit dem Freistaat Sachsen120, Thüringen121, Sachsen-Anhalt122 und Brandenburg123 sowie die Verträge mit Bremen124 und Hamburg125. 115 So die Präambel des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern (FN 20); angesprochen wird das Grundrecht der Religionsfreiheit zudem etwa in der Präambel der Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Sachsen-Anhalt (FN 23) und Brandenburg (FN 22) sowie der Freien und Hansestadt Hamburg (FN 21). 116 Nachw. FN 20; Art. 1 des Vertrages. 117 Art. 8 des Vertrages. 118 Art. 10 Abs. 1 und 2 des Vertrages. 119 Art. 12 des Vertrages. 120 Nachw. FN 18; vgl. Art. 1, 7, 9, 11 und 12 des Vertrages. 121 Nachw. FN 19; vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 14 bis 16 des Vertrages. 122 Nachw. FN 23; Art. 1 Abs. 1, Art. 8 bis 11 des Vertrages. 123 Nachw. FN 22; Art. 1 Abs. 1, Art. 7, 8 und 10 des Vertrages. 124 Nachw. FN 22; Art. 1 Abs. 1, Art. 8 sowie Art. 10 bis 12 des Vertrages. Speziell geregelt ist in diesem Vertrag – was nicht zum allgemein üblichen „Hausgut“ derartiger Verträge zählt – namentlich die Zusammenarbeit von Stadt und Kirche in Tageseinrichtungen für Kinder.

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III. Die Anerkennung der Grundsätze der religiösen Neutralität des Staates und der Parität Bereits mit der postulierten Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat sowie mit der Anerkennung der Religionsfreiheit wird die Auffassung der katholischen Kirche verdeutlicht, dass der moderne Staat kein konfessioneller Staat mehr sein kann, sondern ein religiös und weltanschaulich neutraler Staat zu sein hat, der den Religionen und Religionsgemeinschaften mit Parität begegnet126. Damit unterscheidet sich die katholische Lehre der Gegenwart deutlich von den noch im 19. und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein artikulierten kirchlichen Verlautbarungen, die von der Vorstellung eines konfessionellen Staates geprägt waren. Hiernach war ein „katholischer Staat“ als solcher verpflichtet, die „wahre“, d. h. hier: die katholische Religion zur Grundlage der staatlichen Tätigkeit zu erheben; gefordert wurde insofern eine umfassende katholische Identität des Staates. Hinsichtlich der nunmehr kirchlicherseits anerkannten Grundsätze staatlicher Neutralität und Parität unterstreicht das Konzil, dass die Kirche „ihre Hoffnungen nicht auf Privilegien (setzt), die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden“, ja, es formuliert, dass die Kirche „sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten (wird), wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern“127. Gleichwohl bedeutet die religiöse Neutralität des Staates nach Auffassung des Zweiten Vatikanischen Konzils keine staatlich verordnete religiöse Indifferenz, sondern lässt – unter Wahrung des Grundsatzes religionsrechtlicher Parität – Raum für eine Förderung der Religion durch den freiheitlichen Verfassungsstaat, die als erforderlich betrachtet wird128. Vertragsstaatskirchenrechtlich werden die Grundsätze der religiösen Neutralität und Parität des modernen Staates dadurch umgesetzt, dass die Verträge zwar keine dezidierte Regelung zur staatlichen Neutralität enthalten, indessen zunehmend entsprechende Bestimmungen über die Parität aufweisen. Sie gehen daher ganz offenkundig von der Annahme aus, dass sich die 125

Nachw. FN 21; Art. 1, Art. 8, 10 und 11 des Vertrages. Dazu Listl, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1251). 127 II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Gaudium et spes (FN 10), Nr. 76. 128 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae (FN 9), Nr. 6: „Die Staatsgewalt muss also durch gerechte Gesetze und durch andere geeignete Mittel den Schutz der religiösen Freiheit aller Bürger wirksam und tatkräftig übernehmen und für die Förderung des religiösen Lebens günstige Bedingungen schaffen, damit die Bürger auch wirklich in der Lage sind, ihre religiösen Rechte auszuüben (. . .)“; ausdrücklich so auch Listl, Kirche und Staat (FN 11), S. 216 ff.; ders., in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1251). 126

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staatliche Neutralität gerade in der Parität gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften verwirklicht. Ohne eine selbständige Klausel zur Parität zu enthalten, weist etwa der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen aus dem Jahre 1996 am Rande der sog. Freundschaftsklausel darauf hin, dass etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten – u. a. „über die Einhaltung des Paritätsgebotes im Zusammenhang mit Regelungen dieses Vertrages“ – auf freundschaftliche Weise beigelegt werden; damit bringt dieser Vertrag implizit ebenso die staatliche wie auch die kirchliche Anerkennung des Grundsatzes der Parität zum Ausdruck129. Deutlicher wird der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und MecklenburgVorpommern aus dem Jahre 1997; er enthält eine selbständige Bestimmung zur Parität, die in concreto regelt, dass für den Fall, dass „das Land anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften über diesen Vertrag hinausgehende Rechte und Leistungen gewährt, (. . .) die Vertragspartner gemeinsam prüfen (werden), ob wegen des Grundsatzes der Parität Änderungen dieses Vertrages sachgerecht sind“130. Nahezu identisch formuliert auch der Vertrag des Heiligen Stuhls mit Sachsen-Anhalt aus dem Jahre 1998131. Damit scheint ein Trend gesetzt, der sich in den jüngeren Verträgen durchzusetzen scheint, denn entsprechende Klauseln sind zwischenzeitlich etwa auch in die Verträge mit Brandenburg132, Bremen133 und Hamburg134 eingeflossen. Interessant ist hierbei, dass die Prüfung, ob im Lichte der Parität eine Änderung der Verträge geboten ist, dem Wortlaut der Bestimmungen zufolge nur dann erfolgen soll, wenn anderen Religionsgemeinschaften über diese Verträge hinausgehende Leistungen und Rechte zugesagt werden, nicht aber, wenn diese Leistungen und Rechte hinter den Verträgen mit dem Heiligen Stuhl zurückbleiben. IV. Die kirchliche Bereitschaft zur Kooperation mit dem Staat Das Zweite Vatikanische Konzil und ihm nachfolgend der Codex von 1983 betonen indessen nicht lediglich die vorstehend erörterten und vertragsstaatskirchenrechtlich in Deutschland weitgehend konsentierten materiellen Grundsätze für die Ordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat, 129 Nachw. FN 18; Art. 26. – Früher Vorläufer: Art. VI des Vertrages zwischen dem Land Hessen und den Bistümern Fulda, Limburg und Mainz sowie dem Erzbistum Paderborn vom 9. März 1963 (GVBl. I S. 102), abgedruckt bei Listl (FN 17), S. 744. Diese Bestimmung hat freilich (noch) lediglich die Parität im Hinblick auf die evangelischen Landeskirchen im Blick. 130 Nachw. FN 20; Art. 23 des Vertrages. 131 Nachw. FN 23; Art. 23 des Vertrages. 132 Nachw. FN 22; Art. 24 des Vertrages. 133 Nachw. FN 22; Art. 23 des Vertrages. 134 Nachw. FN 21; Art. 20 des Vertrages.

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sondern heben gleichermaßen auch die Bereitschaft der katholischen Kirche zur Kooperation mit dem Staat hervor135. Diese Bereitschaft gründet maßgeblich in der Erwägung, dass sich Kirche und Staat aus denselben Menschen zusammensetzen und denselben Menschen zu dienen haben, wenngleich in je verschiedener Hinsicht sowie in Verfolgung unterschiedlicher Aufgabenstellungen und Zielsetzungen136. Den besten Weg zur Regelung klärungsbedürftiger Fragen erblickt die katholische Kirche hierbei in der Verständigung, verkörpert in dem Abschluss von Konkordaten bzw. sonstigen Verträgen zwischen Staat und Kirche – eine Sichtweise, die ihre Bestätigung in der neueren Entwicklung des Vertragsstaatskirchenrechts nach der deutschen Wiedervereinigung findet137 und die eindrucksvoll die 1968 von Alexander Hollerbach ausgesprochene Prognose bestätigt hat, das Ende des konstantinischen Zeitalters bedeute noch nicht das Ende der Konkordate138. Die hohe kirchliche Wertschätzung des Konkordatsrechts bringt der Codex Iuris Canonici von 1983 dadurch zum Ausdruck, dass dessen Regelungen die vom Heiligen Stuhl mit Staaten und anderen politischen Gemeinschaften geschlossenen Konkordate unberührt lassen. Der Codex statuiert damit den unbedingten Vorrang des Konkordatsrechts vor entgegenstehendem kirchlichen Recht139. Die Realisierung dieser kirchenrechtlichen Vorstellungen findet ihren sichtbarsten Ausdruck in der jüngeren Entwicklung des Vertragsstaatskirchenrechts seit der deutschen Wiedervereinigung. Doch nicht nur die Tatsache, dass es auch weiterhin in Deutschland zum Abschluss von staatskirchenrechtlichen Verträgen kommt, bestätigt den Konsens über die Zusammenarbeit von Staat und Kirche, sondern auch die inhaltliche Ausgestaltung der einschlägigen Vertragsbestimmungen verdeutlicht die diesbezügliche prinzipielle Einigkeit. Dies gilt zunächst für den Umstand, dass die Verträge zum Teil bereits in ihren Präambeln dezidiert auf die „Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ von Staat und Kirche hinweisen140. Darüber hinaus beziehen 135

Vgl. Mikat, in: HdbStKirchR I (FN 1), S. 111 (137 ff., insbes. 140). Zur Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen Kirche und Staat im Spiegel der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils Listl, Kirche und Staat (FN 11), S. 228 ff. 136 Vgl. insoweit II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Gaudium et spes (FN 10), Nr. 76; hierzu m. w. Nachw. auch Listl, in: HdbKathKR (FN 1), S. 1239 (1252). 137 Hierzu Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR I (FN 1), S. 253 (254 ff.). 138 Alexander Hollerbach, Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts, JöR n. F. 17 (1968), S. 117 (156). 139 So can. 3. Hierzu näher Listl, Essener Gespräche 19 (1985), S. 9 (17 f.). 140 Siehe die Präambeln der Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern (FN 20) und Brandenburg (FN 22) sowie der Freien und Hansestadt Hamburg (FN 21); vgl. auch die Präambel des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (FN 18), die von einer partnerschaft-

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sich selbständige vertragliche Regelungen regelmäßig zum einen auf Modalitäten dieser Zusammenarbeit und zum anderen auf sog. Freundschaftsklauseln, denen zufolge für den Fall, dass sich in Zukunft wegen der Auslegung oder Anwendung einer vertraglichen Bestimmung Meinungsverschiedenheiten ergeben sollten, der Heilige Stuhl und das jeweilige Land eine freundschaftliche Lösung herbeiführen werden. So findet sich etwa im Reichskonkordat neben der Bestimmung, dass um der Pflege der guten Beziehung zwischen Heiligem Stuhl und Deutschem Reich willen wie bisher ein Apostolischer Nuntius in der Hauptstadt des Reiches und ein Botschafter des Reiches beim Heiligen Stuhl residieren sollen, auch eine entsprechende Freundschaftsklausel141. Derartige Regelungen enthalten namentlich auch die jüngeren, nach der Wiedervereinigung geschlossenen Verträge, wobei die Bestimmungen über das Zusammenwirken im Vergleich zu der Bestimmung des Reichskonkordats zum Teil detaillierter ausfallen. So bestimmt etwa der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land MecklenburgVorpommern aus dem Jahre 1997, dass sich die Landesregierung und die Diözesanbischöfe regelmäßig zur Klärung von Fragen und zur Vertiefung ihrer Beziehungen treffen, dass die Landesregierung die Erzbischöfe von Gesetzgebungsvorhaben und Programmen, die die Belange der Kirche unmittelbar berühren, unterrichtet und dass die (Erz-)Bischöfe einen gemeinsamen ständigen Beauftragten am Sitz der Landesregierung bestellen; überdies wird durch eine Freundschaftsklausel sichergestellt, dass die Vertragsparteien „eine in Zukunft zwischen ihnen etwa entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beseitigen (werden)“142. Parallelvorschriften enthalten die jüngeren Verträge, die der Heilige Stuhl mit dem Freistaat Sachsen143, mit Sachsen-Anhalt144, mit Brandenburg145 und Thüringen146 sowie mit Bremen147 und Hamburg148 abgeschlossen hat. Die lichen Regelung der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat spricht; vgl. ferner die Präambel des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen (FN 19), die die Festigung und Förderung des Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und dem Freistaat Thüringen in freundschaftlichem Geist als Motiv für die dauerhafte Regelung im nachfolgenden Vertrag angibt; ähnlich auch die Präambeln der Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Sachsen-Anhalt (FN 23) sowie Bremen (FN 22). 141 Nachw. FN 17; Art. 3 und Art. 33 Abs. 2 des Reichskonkordats. Zu den Freundschaftsklauseln näher Alexander Hollerbach, Artikel „Freundschaftsklausel“, in: Axel Frhr. von Campenhausen/Ilona Riedel-Spangenberger/Reinhold Sebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 1, 2000, S. 724 f. 142 Nachw. FN 20; Art. 3 und 24 des Vertrages. 143 Nachw. FN 18; Art. 2 und 26 des Vertrages. 144 Nachw. FN 23; Art. 2 und 24 des Vertrages. 145 Nachw. FN 22; Art. 22 und 23 des Vertrages. 146 Nachw. FN 19; Art. 29 und 31 des Vertrages.

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Freundschaftsklauseln werden häufig ergänzt um Bestimmungen der Präambeln, in denen als Zweck des Vertragsabschlusses ausgeführt wird, die Beziehungen zwischen dem jeweils vertragschließenden Land und der katholischen Kirche in freundschaftlichem Geist zu festigen und zu fördern149. V. Fazit Wird vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen das Verhältnis von Kirche und Staat nach katholischer, insbesondere kirchenrechtlich fixierter Lehre und vertragsstaatskirchenrechtlicher Rechtslage einem Vergleich unterzogen, so fällt ins Auge, dass die Postulate der Wesensverschiedenheit sowie der grundsätzlichen Trennung von Kirche und Staat, der Achtung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, der individuellen und korporativen Religionsfreiheit sowie schließlich der Pflicht des Staates zu religiöser bzw. weltanschaulicher Neutralität und Parität in weitgehender Übereinstimmung durch das Kirchen- wie auch das Vertragsstaatskirchenrecht, kurz: durch Codex und Konkordat(e) anerkannt werden. Dies bedeutet nicht, dass das Entstehen neuer oder die Aktualisierung alter Konflikte hierdurch ausgeschlossen wäre; ein exemplarischer Hinweis etwa auf das Kreuz in der Schule verdeutlicht dies zur Genüge. Doch jedenfalls bezüglich der grundsätzlich-strukturellen Ausgestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat konvergieren die jeweiligen kirchen- und vertragsstaatskirchenrechtlichen Bestimmungen in einem derart hohen Maße, dass auf der Grundlage dieses prinzipiellen staatskirchenrechtlichen Grundkonsenses entsprechende Divergenzen in Einzelfragen geklärt werden können150. Der vorstehende Befund einer weitgehenden Konvergenz kirchen- und vertragsstaatskirchenrechtlicher Grundsatzpositionen könnte auf den ersten 147

Nachw. FN 22; Art. 22 und 24 des Vertrages. Nachw. FN 21; Art. 4 und 21 des Vertrages. 149 Vgl. insofern stellvertretend etwa die Präambel des Reichskonkordats (FN 17) „. . . von dem gemeinsamen Wunsche geleitet, die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern. . . .“ sowie die Präambel des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (FN 18) „. . . das Verhältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und der katholischen Kirche in freundschaftlichem Geist zu festigen und zu fördern“; dieser Formulierung entsprechen die Präambeln der Verträge mit SachsenAnhalt (FN 23) und Thüringen (FN 19), auch die Präambeln der Verträge mit Brandenburg (FN 22) und Bremen (FN 22). Die Präambel des Vertrages zwischen Hamburg und dem Heiligen Stuhl (FN 21) formuliert, dass der Vertragsschluss „in dem Wunsch (erfolge), die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und der Freien und Hansestadt Hamburg im Geiste freiheitlicher Partnerschaft zu festigen und fortzuentwickeln“. 150 Uhle (FN 1), S. 16 ff., 53 ff., 63 f. 148

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Blick dazu verleiten, für die kirchenrechtliche Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat und für ihre vertragsstaatskirchenrechtliche Umsetzung auf eine markige Formulierung von Ulrich Stutz zurückzugreifen, der im Jahre 1930 in Bezug auf den Codex von 1917 den Satz geprägt hat: „Durch die Konkordate marschiert der Codex“151. Indessen gibt es für eine solche Feststellung heute keine Rechtfertigung mehr. Denn zu den Abschlüssen der Verträge zwischen Staat und Kirche kommt es nicht, weil der deutsche Staat bereit wäre, dem Codex der katholischen Kirche vertragliche Anerkennung zu gewähren, sondern deshalb, weil das Verständnis von Kirche und Staat über die Wesenselemente und die Grundsätze ihres Verhältnisses konvergiert und ein beiderseitiges Interesse an derartigen Verträgen besteht. Daher „marschiert“ durch die modernen Konkordate bei Lichte betrachtet nicht der Codex, sondern die europäische Kulturidentität, die in einem mühsamen und langwierigen, von vielfältigen Rück- und Fortschritten geprägten Ringen zwischen geistlicher und weltlicher Macht zu deren Unterscheidung und Trennung, zur Anerkennung der staatlichen Verpflichtung zur Gewähr von Religionsfreiheit, zur staatlichen Neutralität und Parität sowie zu einem Bemühen um ein partnerschaftliches Zusammenwirken beider Potenzen geführt hat152. Dass die jeweiligen, das Verhältnis von Kirche und Staat im Prinzipiellen betreffenden rechtlichen Regelungen in derart hohem Maße konvergieren, ist, so betrachtet, Ausdruck eines über zwei Jahrtausende gewachsenen, staatskirchenrechtlichen Grundkonsenses, der sich nicht nur im Verfassungs- und Gesetzes-, sondern auch im Vertragsrecht niederschlägt153. Wenn die Anzeichen der Zeit nicht trügen, dann wird seine Bewahrung unter veränderten Umständen – namentlich angesichts der zahlenmäßig starken Präsenz kulturfremder Religionen in Deutschland – die zentrale staatskirchenrechtliche Herausforderung der Zukunft sein154. Für die Bewältigung dieser Herausforderung kann das deutsche Vertragsstaatskirchenrecht auf einem Fundament aufbauen, das Alexander Hollerbach Wesentliches verdankt. 151

Ulrich Stutz, Konkordat und Codex, 1930, S. 21. Zur historischen Entstehung dieser europäischen und damit auch deutschen Kulturidentität ausführlich Arnd Uhle, Freiheitlicher Verfassungsstaat und kulturelle Identität, 2004, S. 108 ff.; ders. (FN 1), S. 65 ff. 153 Uhle (FN 1), S. 15 ff. und 65 ff. 154 Zur Herausforderung des Islam Arnd Uhle, Die Integration des Islam in das deutsche Staatskirchenrecht der Gegenwart, in: Christian Walter/Hans Michael Heinig (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, S. 299; ders., (FN 1), S. 155 ff. – Zur Zukunftsfähigkeit des Staatskirchenrechts am Beispiel des Körperschaftsstatus ders., Ein „rätselhafter Ehrentitel“? Die dogmatischen Konturen des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV und die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: Otto Depenheuer/Markus Heintzen/Matthias Jestaedt/ Peter Axer (Hrsg.), Staat im Wort, Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 1033. 152

Die Stellung der Kirchenverträge im evangelischen Kirchenrecht Von Hans Ulrich Anke Alexander Hollerbach hat sich in seiner Habilitationsschrift „Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland“ ausführlich mit den im Vortragstitel aufgegriffenen Fragen auseinandergesetzt. Das zentrale vierte Kapitel behandelt den „Ort der Staatskirchenverträge im Rechtssystem“ und ihren Rechtscharakter1. Dazu hat er „das Wesen von Staat und Kirche“ im Hinblick auf „die Frage nach dem Rechts- und Vertragsbegriff“2 gemäß dem jeweiligen Selbstverständnis der Vertragspartner entfaltet. Dies führte Hollerbach zu grundlegenden Fragen des evangelischen Kirchenrechts, an Hand derer er das Verhältnis des Vertragsrechts zur Kirchenordnung3 und zum kirchlichen Rechtsquellensystem insgesamt4 bestimmte. In der Folgezeit sind Fragen der Staatskirchenverträge im wesentlichen aus der Perspektive des staatlichen Rechts aufgearbeitet worden, während eine kirchenrechtliche Verortung – wenn überhaupt – eher nebenbei mitabgehandelt wurde. Gut vierzig Jahre nach seiner Habilitationsschrift sollen diese Fragen und die Antworten von Hollerbach in einem ersten Teil im Lichte der zwischenzeitlichen Entwicklungen wieder aufgegriffen werden. In einem zweiten Teil soll der Bogen vom Vertragsstaatskirchenrecht zu den „föderativen Kirchenverträgen“ geschlagen werden, die derzeit vor allem im Rahmen von Strukturreformen diskutiert werden5. Ganz ausgeblendet bleiben müssen hier andere zwischenkirchliche Vereinbarungen6 sowie das 1 Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 83–176. 2 So der Titel des Abschnitts § 12 II von Hollerbach (FN 1), S. IX, 89 ff. 3 Hollerbach (FN 1), S. 106 ff. 4 Hollerbach (FN 1), S. 153 ff. 5 Vgl. nur die Beiträge der „Hannoveraner Initiative Evangelisches Kirchenrecht“, die sich auf der Tagung 2006 in Hildesheim unter der Moderation von Hans Michael Heinig und Stephan Schaede mit „Kooperationen, (Kon-)Föderationen und Fusionen“ auseinandergesetzt hat, veröffentlicht unter http://www.ekd.de/ekd_ kirchen/hannoveraner_initiative.html. 6 Einen systematisierten Überblick über die älteren Vereinbarungen bietet Volker Kaiser, Zwischenkirchliche Verträge, 1972, S. 40–99.

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Vertragsrecht, das kirchliche Körperschaften innerhalb einer Landeskirche insbesondere zur gemeinsamen Wahrnehmung von Aufgaben schließen7. I. Staatskirchenverträge und evangelisches Kirchenrecht 1. Die kirchenrechtliche Einordnung der Staatskirchenverträge bei Alexander Hollerbach Hollerbach ist von der Frage ausgegangen, ob zwischen Staat und Kirche überhaupt juristische Kommunikation möglich sei. Dazu bestand Anlaß. Prominente Stimmen in der Kirchenrechtslehre und Rechtstheologie hatten Staat und Kirche als „inkommensurable Größen“ dargestellt8. Staatsrecht und Kirchenrecht seien ganz verschieden9. Für Hollerbach liegt die Möglichkeit gemeinsamer juristischer Kommunikation in einem gemeinsamen Rechtsbegriff. Trotz aller Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichem Recht mit ihren je eigenen und grundverschiedenen Aufgaben, Begründungen und Prinzipien hätten Staat und Kirche „an einem gemeinsamen, wenngleich nur dialektisch faßbaren Rechtsbegriff teil“10. Kirchliches Recht sei wie staatliches Recht menschliches Recht zur zeitgebundenen Ordnung des Zusammenlebens. Dabei stellt Hollerbach heraus, daß ungeachtet vieler Unterschiedlichkeiten für das evangelische Kirchenrecht im Kern „eine nahe strukturelle Verwandtschaft mit der katholischen Konzeption“ bestehe. Aus dem Auftrag der Kirche ergäben sich die „Leitgesichtspunkte der Eigenständigkeit der Kirche und ihres Rechts sowie des Öffentlichkeitsauftrags“, wonach die Kirche zum Zeugnis in und zum Dienst an der Welt berufen sei11. Die Sorge um ihre Eigenständigkeit und um ihren Öffentlichkeitsauftrag müßte auch die evangelische Kirche in ihrem Verhältnis zum Staat nach „geordne7 Diesen Verträgen kommt im Rahmen der weiter zu entwickelnden Strukturreformen in den Landeskirchen erhebliche Bedeutung zu. Ihre rechtlichen Grundlagen sind freilich – anders als das hier behandelte Staatskirchenvertragsrecht und das föderative Vertragsrecht – in Kirchenverfassung und Kirchengesetzen detailliert ausgestaltet, vgl. nur Art. 26 Abs. 2 KiVerf Hannover, §§ 92 ff. Kirchengemeindeordnung Hannover und § 92 Kirchenkreisordnung Hannover. 8 Hollerbach (FN 1), S. 89 f., verweist dazu auf: Ulrich Stutz, Art. Kirchenrecht, in: Josef Kohler (Hrsg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. V, 7. Aufl. 1914, S. 275 (394 ff.); Johannes Heckel, Der Vertrag des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931, Theologische Blätter 11 (1932), Sp. 193 (196 f.). 9 Karl Barth, Ordnung der Gemeinde, 1955, S. 75. 10 Hollerbach (FN 1), S. 95. 11 Ebd., S. 115 f.

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ter Einigung“, d. h. nach vertraglicher Rechtsgestaltung, streben lassen und zugleich vor einem „unangemessenen Privilegien-, Anspruchs- oder juristischen Sicherheitsdenken“ bewahren12. Hollerbach hat daraus für das evangelische Kirchenrecht einen „Vertragsauftrag“ entwickelt, zu einer Vertragspartnerschaft mit dem Staat zu kommen13. Dieser greife eine „‚gemeinem‘ deutschen evangelischen Kirchenrecht entsprechende Rechtsüberzeugung“ auf. Denn einige, wenn auch nur wenige Kirchenverfassungen rechneten ausdrücklich zumindest im Rahmen von verfahrensbezogenen Kompetenznormen zur Beteiligung der Landessynode „mit Verträgen als dem angemessenen Gestaltungsmittel für die staatlich-kirchlichen Beziehungen“14. So seien Kirchenverträge nicht nur theologisch legitim. Vielmehr sei die evangelische Kirche wo irgend möglich aufgerufen, ihr Verhältnis zum Staat durch Vertragsrecht auszugestalten15. Als je für sich eigenständige Rechtssubjekte könnten Staat und Kirchen durch Willenseinigung gemeinsam verbindlich Vertragsrecht schaffen16. Diese begründeten eine Koordinationsrechtsordnung, die so im Ganzen weder dem Staatsrecht noch dem Kirchenrecht angehöre. Vielmehr liege ihr Rechtsgrund in der Verklammerung von Staatsverfassung und Kirchenordnung, die ein selbständiges staatlich-kirchliches Zwischenrecht schaffe17. Ihr komme im Verhältnis zum einfachen Kirchengesetz und zu untergeordneten Rechtsquellen Vorrang zu18. Entzogen bleiben vertraglicher Verfügung aber die Rechtssätze, die „jenen inneren Kreis von kirchlichem Recht anzeigen, der im ius divinum gründet“19. Dazu zählt Hollerbach die „Strukturelemente des Priestertums aller Gläubigen und des ministeriums verbi divini publicum sowie die notae externae der Kirche“20, letztere mit dem Augsburger Bekenntnis (CA VII) gesprochen, die reine Predigt des Evangeliums und die rechte Sakramentsverwaltung.

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Ebd., S. 116 f. Ebd., S. 87, 117. 14 Ebd., S. 88. 15 Ebd., S. 117. 16 Ebd., S. 94–96. 17 Ebd., S. 100 f., 157 f., 176; ders., Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 138 Rn. 69; ders., Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), Bd. I, 2. Aufl. 1994, S. 253 (273 ff.). 18 Hollerbach (FN 1), S. 159 ff. 19 Ebd., S. 118, 163 f. 20 Ebd., S. 118. 13

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2. Die Einordnung der Staatskirchenverträge in der kirchlichen Rechtsquellenlehre Hat das Kirchenvertragsrecht nun (s)einen Ort im evangelischen Kirchenrecht und sei es über eine Verklammerung mit dem staatlichen Recht in einer besonderen Koordinationsordnung? Oder – das wäre die Alternative und würde den Vortrag schnell abkürzen – handelt es sich allein um Staatskirchenrecht i. e. S., staatliches Recht speziell für die evangelischen Kirchen21? Zieht man die einschlägigen Überblicksartikel zu den Rechtsquellen des Kirchenrechts22 zu Rate, können Zweifel an einer kirchenrechtlichen Verortung aufkommen. Denn diese zählen zu den Rechtsquellen des evangelischen Kirchenrechts nur Kirchenverfassungen, Kirchengesetze und sog. Notverordnungen, Verordnungen und Satzungen sowie Gewohnheitsrecht. Lebensordnungen und Agenden sind gesondert berücksichtigt. Z. T. werden auch noch die Verwaltungsvorschriften und das Richterrecht angeführt. Die Kirchenverträge aber werden mit keinem Wort erwähnt, weder die evangelischen Kirchenverträge mit staatlichen Vertragspartnern noch das zwischenkirchliche Vertragsrecht. Auch wenn „die Rechtsquellenlehre des evangelischen Kirchenrechts . . . nicht sehr entwickelt“ sein mag23, ist der Befund doch symptomatisch. Die evangelischen Kirchenverträge mit dem Staat werden mittlerweile vornehmlich aus der Perspektive des staatlichen Rechts analysiert24. Dies gilt selbst für die aktuellen Überblicksartikel in den einschlägigen Lexika25. Dabei 21 Zur Abgrenzung vgl. Dietrich Pirson, Art. Kirchenrecht II. 1. Gegenwart, ev., in: Hans Dieter Betz (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), Bd. IV, 4. Aufl. 2001, Sp. 1276. 22 Werner Heun, Art. Kirchenrechtsquellen, Kirchengesetzgebung, in: ders./Martin Honecker/Martin Morlok/Joachim Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon (EvStL), 2006, Sp. 1218; Heinrich de Wall, Art. Kirchenrecht, Ev., in: Axel Frhr. von Campenhausen/Ilona Riedel-Spangenberger/Reinhold Sebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht (LKStKR), Bd. II, 2002, S. 501 (502); Arno Schilberg, Art. Rechtsquellen, Ev., in: LKStKR III, 2004, S. 365; Klaus Schlaich, Art. Kirchenrechtsquellen II. ev., in: Gerhard Krause/Gerhard Müller (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. XIX, 1990, S. 45; Gerhard Grethlein/Hartmut Böttcher/Werner Hofmann/Hans-Peter Hübner, Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, 1994, S. 388 ff. 23 Schlaich, in: TRE XIX (FN 22), S. 45; Heun, in: EvStL 2006 (FN 22), Sp. 1218. 24 Aus jüngerer Zeit vgl. nur Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286; Stefan Muckel, Der Staatskirchenvertrag als Instrument zur Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche, in: Reiner Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001, S. 23; David Wengenroth, Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, 2001. 25 Hans Ulrich Anke, Art. Vertragsstaatskirchenrecht, in: EvStL 2006 (FN 22), Sp. 2599 (2602 ff.); Frhr. von Campenhausen, Art. Staatskirchenvertrag, in:

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zählt zum evangelischen Kirchenrecht auch nach der Rechtsquellenlehre „das von einer ev. Kirche kraft ihrer Selbstbestimmung gesetzte oder anerkannte Recht, das der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten dient“26. Nun haben die evangelischen Vertragspartner die Kirchenverträge nicht nur in freier Selbstbestimmung anerkannt. Vielmehr haben sie diese zusammen mit dem Staat auf Grund ihrer nicht vom staatlichen Recht abgeleiteten, sondern im kirchlichen Auftrag gründenden Eigenrechtsmacht ausgehandelt, ausgestaltet und rechtlich in Kraft gesetzt. Letzteres geschieht i. d. R. durch förmliche Zustimmungsgesetze. Diese räumen dem Vertragsrecht zugleich den Rang einfachen Gesetzesrechts ein, das als solches die kirchlichen Organe bindet. Die kirchenrechtliche Einordnung allein durch die Zustimmungsgesetze wird dem Kirchenvertragsrecht aber nicht gerecht. Zum einen ist für das Wirksamwerden von Staatskirchenverträgen nicht zwingend eine Zustimmung in Form eines Kirchengesetzes notwendig. Bei einigen Staatskirchenverträgen gaben die synodalen Organe ihre Zustimmung nicht in Gesetzesform, sondern durch schlichten Beschluß27. Zum anderen erschöpfen sich die rechtlichen Wirkungen staatskirchenvertraglicher Bindungen nicht in ihrer kirchengesetzlichen Umsetzung. So bleibt allemal das Verhältnis zwischen Staatskirchenvertrag und Kirchengesetz für spätere vertragswidrige Gesetze im evangelischen Kirchenrecht zu klären28. 3. Die kirchenverfassungsrechtliche Einordnung der Staatskirchenverträge Hollerbach hat für seine Arbeit die ausdrücklichen Regelungen zu den Staatskirchenverträgen in Kirchenordnungen und Kirchenverfassungen analysiert. Hier sind keine wesentlich neuen Entwicklungen aufzuzeigen. Nur LKStKR III (FN 22), S. 590 (592 f.); Ehlers, Art. Kirchenverträge, Ev., in: LKStKR II (FN 22), S. 541 (542); Michael Germann, Art. Kirchenverträge, in: RGG IV (FN 21), Sp. 1360 (1362 f.). 26 de Wall, in: LKStKR II (FN 22), S. 501, in Abgrenzung zu „dem durch den Staat gesetzten, das Verhältnis von Staat und Kirche regelnden Staatskirchenrecht“. 27 Hollerbach (FN 1), S. 156 f., 225 f., m. Nachw. einschlägiger Zustimmungsbeschlüsse. Demgegenüber geht Erich Ruppel, Kirchenvertragsrecht, 1996, S. 125, generell von der Notwendigkeit eines förmlichen Gesetzes auch auf Seiten der kirchlichen Vertragspartner aus. Ein kirchliches Zustimmungsgesetz ist jedenfalls dann erforderlich, wenn mit dem Vertragsrecht Gesetzesrecht abgeändert werden soll. 28 Direkte Konfliktfälle dürften freilich in der Praxis selten entstehen. I. d. R. lassen sich Streitigkeiten durch vertragsfreundliche Gesetzesauslegung ausräumen; vgl. zu der entsprechenden Problematik beim staatlichen Gesetzgeber: Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, 2000, S. 178 ff.; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (300 ff.).

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ganz wenige Kirchenverfassungen bzw. Kirchenordnungen enthalten überhaupt Regelungen zu Kirchenverträgen29. Diese betreffen dann freilich zumeist sowohl die Verträge mit dem Staat als auch das Vertragsrecht mit anderen Kirchen. Und sie beschränken sich i. d. R. darauf, die vertragliche Handlungsform in der Verfassung zu verankern30 bzw. die Entscheidung über solche Kirchenverträge der Synode31, z. T. ausdrücklich einer kirchengesetzlichen Regelung vorzubehalten32. Immerhin findet danach die Handlungsform des Vertrags für die rechtliche Gestaltung des Verhältnisses der Kirche zum Staat vereinzelt ausdrückliche Anerkennung in Kirchenverfassungen. Dies gilt ganz abgeschwächt in mittelbarer Form auch für andere Verfahrens- und Kompetenznormen, wie für Art. 62 Abs. 3 KiVerf Hannover, der dem Landesbischof die Vertretung der Landeskirche beim Abschluß von Verträgen vorbehält, die der Zustimmung durch Gesetz bedürfen. Genauere Erkenntnisse für eine Einordnung der Staatskirchenverträge lassen sich aus diesem Normmaterial nur begrenzt ableiten. Immerhin ergibt sich aus der kirchenverfassungsrechtlichen Anerkennung einer staatskirchenvertraglichen Gestaltung des Verhältnisses der Kirche zum Staat zugleich die verfassungsrechtliche Vorgabe für die kirchlichen Körperschaften und Organe, die Vertragsbindungen bei ihrem Wirken einzuhalten33. Besonders deutlich kommt die verfassungsrechtliche Pflicht vertragsgemäßen Handelns in § 3 Abs. 2 GO Baden zum Ausdruck. Denn dieser sieht vor, daß eine Beschränkung der „Selbständigkeit der Landeskirche . . . gegenüber anderen öffentlichen Körperschaften“ neben dem für alle geltenden Gesetz nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV „nur durch vertragliche Vereinbarungen“ zulässig ist. Offen bleibt dabei aber zum einen die kirchenverfassungsrechtliche Einordnung bei den Landeskirchen, bei denen ausdrückliche Regelungen in der Kirchenverfassung fehlen. Zum anderen wird auch aus dem Wortlaut und der Stellung der nachgewiesenen Normen 29 Art. 3 Abs. 2 GO Baden; Art. 7 KiVerf Bayern; Art. 3 Abs. 2 GO EKD; Art. 68 Abs. 1 lit. i) Verf. Nordelbien; Art. 90 Nr. 13 GO Oldenburg; Art. 29 Abs. 1 lit. b) Verf. Schaumburg-Lippe. 30 Art. 3 Abs. 2 GO EKD; § 3 Abs. 2 GO Baden; Art. 7 S. 1 KiVerf Bayern. 31 Art. 90 Nr. 13 GO Oldenburg. 32 Art. 68 Abs. 1 lit. i), Abs. 2 Verf. Nordelbien; Art. 29 Abs. 1 lit. b) Verf. Schaumburg-Lippe. 33 Vgl. Ulrich Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: Heinz Brunotte/Konrad Müller/Rudolf Smend (Hrsg.), Festschrift für Erich Ruppel, 1968, S. 312 (321); Siegfried Grundmann, Art. Vertragskirchenrecht, in: Hermann Kunst/Roman Herzog/Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.), EvStL, 2. Aufl. 1975, Sp. 2757 (2760); ders., Das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Vertragskirchenrechts, ÖAKR 13 (1962), S. 281 (297) (= in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht, 1969, S. 298 [314]).

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im Verfassungsgefüge nicht abschließend deutlich, inwieweit die Vertragsbindungen dem kirchlichen Gesetzgeber den Erlaß vertragswidriger Gesetzes- und Verfassungsnormen untersagen bzw. entziehen. Lediglich die Kirchenverfassung von Bayern weist eine materielle Vorgabe aus. Sie stellt die Vertragspartnerschaft mit dem Staat unter den Vorbehalt, daß solches Vertragsrecht „die Erfüllung des kirchlichen Auftrags nicht beschränken“ darf34. Demgegenüber fehlt es i. ü. an Regelungen zum Verhältnis der vertraglichen zu anderen kirchlichen Rechtsquellen, wie sie etwa das kanonische Recht kennt. So räumt das kanonische Recht in c. 3 als formaler Kollisionsnorm den Staat-Kirche-Vereinbarungen des Heiligen Stuhls den Rang einer dem CIC selbst vorgehenden Rechtsquelle ein35. Dieser Vorrang steht allerdings unter dem für die katholische Kirche unaufgebbaren Vorbehalt des göttlichen Rechts und seiner im CIC positivierten Normen36. Über die kollisionsrechtliche Einordnung hinaus enthält das kanonische Recht noch weitere Regelungen zu den Staatskirchenverträgen, insbesondere im Hinblick auf die Abschlußkompetenzen und Verfahrensfragen37. Freilich ist selbst vor dem Hintergrund von c. 365 § 1 CIC/1983, der das Völkerrecht in Bezug nimmt, die rechtliche Qualifikation der Konkordate nicht vollständig geklärt38. Für das evangelische Kirchenrecht bleibt jedenfalls festzuhalten, daß den Kirchenverfassungen so etwas wie ein „Konkordatsprogramm“39 fremd ist40. Hollerbach hat zwar über die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 GO EKD41 und § 3 Abs. 2 GO Baden42 für den gesamten evangelischen Bereich einen 34

Art. 7 S. 2 KiVerf Bayern. Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: Joseph Listl/ders. (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts (HdbKathKR), 2. Aufl. 1999, S. 49 (72); Richard Puza, Kirchenrechtliche Probleme konkordatärer Vereinbarungen, ThQ 160 (1980), S. 122; Gerald Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, 1993, S. 147 und 152. 36 Hollerbach (FN 1), S. 114 f. und 132; Göbel (FN 35), S. 152; vgl. weiter Joseph Listl, Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR (FN 35), S. 102 (111 ff.). 37 Dazu m. w. Nachw. Göbel (FN 35), S. 148 ff. 38 Vgl. nur den Überblick bei Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (272 ff.); Anke (FN 28), S. 123–131, 175–178. 39 So Hollerbach, Kirche – Staat – Gesellschaft – Völkergemeinschaft: Erwägungen zum 3. Kapitel des Entwurfs einer Lex ecclesiae Fundamentalis, in: Heribert Heinemann/Horst Herrmann/Paul Mikat (Hrsg.), Diaconia et ius. Festgabe für Heinrich Flatten zum 65. Geburtstag, 1973, S. 315 (318). 40 Hollerbach (FN 1), S. 117. 41 „Die Regelung ihres Verhältnisses zum Staat bleibt einem Übereinkommen vorbehalten“. 42 „Die Selbständigkeit der Landeskirche wird gegenüber anderen öffentlichen Körperschaften nur beschränkt durch vertragliche Vereinbarungen und durch das für 35

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„Vertragsauftrag“ abgeleitet43, d. h. einen verfassungsrechtlichen Auftrag an die Kirche, sich in ihrem Verhältnis zum Staat um vertragliche Ausgestaltung zu bemühen. Abgesehen davon, daß nach dem Wortlaut beider Bestimmungen auch andere staatskirchenrechtliche Vorgaben zulässig bleiben44, gelten diese verfassungsrechtlichen Grundaussagen nur für den jeweils begrenzten Bereich der Badischen Landeskirche bzw. der EKD. Davon geht auch Hollerbach selbst aus. Denn für den von ihm postulierten kirchenrechtlichen Verfassungsauftrag, eine vertragsstaatskirchenrechtliche Partnerschaft mit dem Staat zu erreichen, stellt er auf eine „‚gemeinem‘ deutschen evangelischen Kirchenrecht entsprechende Rechtsüberzeugung“ ab. 4. Die Einordnung der Staatskirchenverträge unter Berücksichtigung kirchenrechtlicher Eigenständigkeit und staatsrechtlicher Säkularität Hollerbach hat die kirchenrechtliche Verortung des Staatskirchenvertragsrechts ebenso wie die Annahme eines „Vertragsauftrags“ aus der Analyse der Eigenständigkeit und Eigengeartetheit des evangelischen Kirchenrechts gewonnen45. Er konnte dabei auf die Ergebnisse gründlicher Grundlagenarbeit im evangelischen Kirchenrecht46, u. a. auch seines Lehrers Erik Wolf 47, aufbauen48. Dazu gehörte die Einsicht, daß entgegen der oft zitierten These von Rudolf Sohm 49 Kirchenrecht auch in der evangelischen Kirche nicht alle geltende Gesetz, soweit dieses Gesetz nicht im Widerspruch steht zum Auftrag der Kirche“. 43 Hollerbach (FN 1), S. 87 f. und 117 f. 44 Vgl. zu Baden: Otto Friedrich, Einführung in das Kirchenrecht, 2. Aufl. 1978, S. 332; für die EKD: Heinz Brunotte, Die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1954, S. 137 f. 45 Hollerbach (FN 1), S. 89–93, 115–119. 46 Vgl. Rudolf Smend, Wissenschafts- und Gestaltprobleme des evangelischen Kirchenrechts, ZevKR 6 (1957/58), S. 225; Grundmann, Das evangelische Kirchenrecht von Sohm bis zur Gegenwart, in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht (FN 33), S. 18; aktuelle Kurzüberblicke u. a. bei: Germann, Art. Kirchenrechtswissenschaft, Ev., in: LKStKR II (FN 22), S. 507; Honnecker, Art. Kirchenrecht (Th), in: EvStL (FN 22), Sp. 1201 (1206); Christoph Link, Rechtstheologische Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, ZevKR 45 (2000), S. 73; Gerhard Robbers, Art. Kirchenrecht (J), in: EvStL (FN 22), Sp. 1196 (1199 f.); de Wall, in: LKStKR II (FN 22), S. 501; Arne Ziekow, Rechtstheologie – Eine Annäherung, ZevKR 51 (2006), S. 309. 47 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 1961; weitere Grundlagenentwürfe: Johannes Heckel, Lex Charitatis, 1953; Hans Dombois, Das Recht der Gnade, 3 Bände, 1961–1983. 48 Hollerbach (FN 1), S. 93. 49 Kirchenrecht I, 1892, S. 1 und 700: „Das Kirchenrecht steht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch“.

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mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch steht50. Spätestens nach den Erfahrungen des Kirchenkampfes war zudem die Erkenntnis gefestigt, daß evangelisches Kirchenrecht eigenständig gegenüber staatlichem Recht auszugestalten ist51. Zwar bleibt die rechtliche Ordnung der Kirche nach evangelischem Verständnis Menschenwerk, menschliche Satzung. Aber für diese ist nicht allein pragmatische Zweckmäßigkeit maßgeblich, sondern ihre dienende Funktion, dem kirchlichen Verkündigungsauftrag in der Welt zur Wirksamkeit zu verhelfen52. Die Barmer Theologische Erklärung aus dem Mai 1934 hat diese Grundaussagen prägnant zusammengefaßt. So muß die Kirche Jesu Christi auch mit ihrer äußeren „Ordnung mitten in der Welt der Sünde . . . bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist“. Sie darf sich nicht „dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen anpassen“ (3. These). Das Kirchenrecht bleibt dienend darauf bezogen, den Verkündigungsauftrag der Kirche möglichst optimal zur Entfaltung zu bringen. Die Kirche muß sich dabei auf ihren Verkündigungsauftrag beschränken und darf sich nicht „staatliche Art, staatliche Aufgaben oder staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden“ (5. These). Diese Rückbesinnung, daß die Kirche ihre rechtliche Ordnung ganz in ihre eigene Verantwortung nehmen muß, hat auch die vertraglichen Gestaltungsaufgaben der Kirche im Verhältnis zum Staat nachhaltig geprägt53. Hollerbach hat – wie oben dargestellt – daraus den Schluß gezogen, daß die Staatskirchenverträge durch die Verklammerung von Staatsverfassung und Kirchenordnung ein selbständiges staatlich-kirchliches Zwischenrecht schafften54. Mit diesem Ansatz, auf eine weitere Rechtsquelle abzustellen, „die ausschließlich weder dem staatlichen noch auch dem kirchlichen Bereich zugeordnet werden kann“55, stimmen viele evangelische Kirchenrechtslehrer 50

Hollerbach (FN 1), S. 93, in Anknüpfung u. a. an Wolf (FN 47), S. 492 ff. Vgl. nur de Wall, in: LKStKR II (FN 22), S. 501. 52 Vgl. Germann, Kriterien für die Gestaltung einer evangelischen Kirchenverfassung, in: epd-Dokumentation Nr. 49/2006 v. 21. November 2006, S. 24 (25 f.): „Das Kirchenrecht ist die Form, in der sich die Gemeinschaft der Getauften auf die Verheißung der Gegenwart Gottes hin darüber verständigt, welches kirchliche Handeln als geistlich angezeigt verantwortet werden soll.“ (S. 26); vgl. weiter Schlaich, Kirchenrecht und Kirche – Grundfragen einer Verhältnisbestimmung heute, ZevKR 28 (1983), S. 337 (354 ff., 368); Ziekow, ZevKR 51 (2006), S. 309 (319 ff.). 53 Grundmann, in: Abhandlungen zum Kirchenrecht (FN 33), S. 298 (304 f., 311–315); Frhr. von Campenhausen, Der Loccumer Vertrag – ein Leuchtturm des Staatskirchenrechts, in: Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hrsg.), In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, 2005, S. 57 (60). 54 Hollerbach (FN 1), S. 100 f., 157 f., 176 f.; ders., in: HStR VI (FN 17), § 138 Rn. 69; ders., in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (273 ff.). 55 Robbers, Staatliches Recht und Kirchenrecht, in: Gerhard Rau/Hans-Richard Reuter/Klaus Schlaich (Hrsg.), Das Recht der Kirche, Bd. I, 1997, S. 474 (492). 51

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überein56. Sie untermauern dies u. a. auch mit den verfassungsrechtlichen Pflichten des Staates, zu Gunsten der evangelischen Vertragspartner aus Gründen der Parität vergleichbare Rechtsbindungen wie bei den katholischen Konkordaten zu begründen57. Bei der konkreten Einordnung freilich zeigt sich ein buntes Meinungsspektrum: So werden die Verträge z. T. als „quasivölkerrechtliche“ behandelt58 oder z. B. auf einer das staatliche Recht transzendierenden Ebene59 bzw. einer „Zone des Öffentlichen“60 angesiedelt. Die Beschreibung der auftragsbezogenen Eigenständigkeit und Eigengeartetheit evangelischen Kirchenrechts gegenüber staatlichem Recht hat heute nach wie vor Gültigkeit. Sie ist in den evangelischen Kirchenverfassungen vorausgesetzt und vielfach ausdrücklich aufgegriffen. Diese bildet damit weiterhin die Basis für die rechtliche Kommunikation zwischen Staat und Kirche in den Staatskirchenverträgen. Nur zu den Konsequenzen, die daraus für den Ort der Staatskirchenverträge im Rechtssystem und für ihren Rechtscharakter zu ziehen sind, haben sich neue Anfragen und Lösungsvorschläge ergeben. Diese setzen bei den staatskirchenrechtlichen Vorgaben des staatlichen Verfassungsrechts an. Mit Verweis auf die staatliche Säkularität zweifeln sie die rechtlichen Bindungsmöglichkeiten des Staates auf überweltlichen Grundlagen an61. Danach bliebe als rechtliche Grundlage für Staatskirchenvertragsschlüsse nurmehr die Völkerrechtsordnung oder die staatliche Rechtsordnung. Die Völkerrechtsordnung scheidet aber für die evangelischen Kirchenverträge von vornherein aus, weil es den kirchlichen Vertragspartnern an der Völkerrechtsfähigkeit fehlt.

56 Scheuner, in: FS Ruppel (FN 33), S. 312 (324); Grundmann, in: EvStL (FN 33), Sp. 2757 (2760 f.); Überblick m. Nachw. bei Frhr. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 143, Fn. 10. 57 Vgl. nur Dietrich Pirson, Art. Vertragsstaatskirchenrecht, in: Roman Herzog/ Hermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, EvStL, Bd. II, 3. Aufl. 1987, Sp. 3814 (3823). 58 Martin Heckel, „In Verantwortung vor Gott und den Menschen . . .“ – Staatskirchenrecht und Kulturverfassung des Grundgesetzes 1949–1989, in: Knut Wolfgang Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990, S. 1 (22); Johannes Depenbrock, Fortgeltung der Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern unter besonderer Berücksichtigung der Verträge mit den evangelischen Landeskirchen, ZevKR 38 (1993), S. 413 (419 f.). 59 Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 521 (528). 60 Ulrich Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages vom Kloster Loccum, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (19 f.). 61 Anke (FN 28), S. 143–150; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (294 ff.); Ludwig Renck, Bemerkungen zu den sog. Staatskirchenverträgen, ThürVBl 1995, S. 31 (33 f.); ders., Der sogenannte Rang der Kirchenverträge, DÖV 1997, S. 929 (932).

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Innerhalb der staatlichen Rechtsordnung könnten die Staatskirchenverträge als verfassungsgewohnheitsrechtlich anerkannte Verträge sui generis62, als staatsrechtliche Verträge63 oder als Verwaltungsverträge64 qualifiziert werden. Einer Einordnung als Verwaltungsvertrag stehen aber schon der erklärte Wille der Vertragspartner und die staatsvertraglichen Formen entgegen, mit denen die Verträge geschlossen und in Geltung gesetzt werden65. Eine Einordnung als Verträge „sui generis“ klärt für sich noch in keiner Weise die wesentlichen Fragen zum Rechtscharakter der Verträge. Dazu bedarf es schon noch näherer Qualifizierung des staatskirchenvertraglichen Verfassungsgewohnheitsrechts, wie andererseits bei der Charakterisierung der Staatskirchenverträge als Staatsverträge deren Besonderheiten und grundlegende Abweichungen gegenüber den klassischen Staatsverträgen u. a. in den Fragen des Zustandekommens, der Bindungswirkungen und der Rechtskontrolle in Anknüpfung an die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen im Staat aufgearbeitet sind66. Die Diskussion kann an dieser Stelle nicht vertieft werden67. Für die hiesige kirchenrechtliche Fragestellung ist vor allem von Bedeutung, ob die Verortung im staatlichen Recht als Staatsverträge besonderer Art bzw. nach Verfassungsgewohnheitsrecht den kirchenrechtlichen Anforderungen insbesondere aus den Kirchenverfassungen an die eigenverantwortliche und auftragsbezogene Gestaltung der äußeren Ordnung der Kirche auch im Verhältnis zum Staat entspricht. Immerhin steht die staatliche Rechtsordnung inklusive ihrer vertraglichen Gestaltungsformen grundsätzlich auch für kirchenrechtlich verantwortetes Handeln den Kirchen offen68. Denn nach evangelischem Verständnis setzt die Eigenständigkeit des Kirchenrechts funktionsbezogen bei der Gestaltung des Verkündigungsauftrags an und 62 Morlok, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 2000, Art. 140 Rn. 47; Hans Michael Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, S. 251 f. 63 Anke (FN 28), S. 161 ff.; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (298 ff.). 64 Helmut Quaritsch, Kirchenvertrag und Staatsgesetz, in: Hans Peter Ipsen (Hrsg.), Hamburger Festschrift für Friedrich Schack, 1966, S. 125. 65 Heinig (FN 62), S. 250; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (297 f.). 66 Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (298 ff.). Bei Anke (FN 28), S. 164 ff., wird dabei die Befugnis des Staates zur Beschränkung der Kirchenfreiheit durch das für alle geltende Gesetz nach Abwägung mit der Kirchenfreiheit selbst bei staatskirchenvertraglich begründeten Ansprüchen der Kirche anerkannt. Dann aber ist nicht recht verständlich, warum diese Qualifizierung der Staatskirchenverträge „ein Residuum der Koordinationslehre“ darstellen soll, so aber Heinig (FN 62), S. 251. 67 Hinsichtlich der praktischen Konsequenzen, etwa für die Frage der Bindungswirkungen, gibt es ohnehin viele Gemeinsamkeiten, vgl. dazu Anke, in: EvStL (FN 22), Sp. 2599 (2602 ff.). 68 Überblick bei Anke (FN 28), S. 151 ff.

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stellt sich nicht als geschlossenes System im gleichrangigen Gegenüber zur staatlichen Ordnung im Sinne der societas perfecta-Lehre dar69. So gibt es im Kirchenrecht vielfältige Erscheinungsformen, in denen staatliches Recht kraft kirchlichen Rechtsaktes insbesondere durch ausdrückliche Verweisungen oder Anknüpfungen, aber auch „kraft gemeinsamen Rechtsaktes“ Geltung erlangt70. Beim Zustandekommen der Staatskirchenverträge entscheiden die Kirchen jedenfalls frei und ganz in eigener Verantwortung darüber, ob sie ausgehandelte Verträge mit dem Staat in Kraft setzen. Verfahren, Zuständigkeit und Zulässigkeit der einzelnen Inhalte richten sich nach dem jeweiligen landeskirchlichen Verfassungsrecht71. Probleme ergeben sich auch nicht aus den Bindungswirkungen72. Die Verträge verpflichten die kirchlichen Vertragspartner gegenüber dem Staat mitsamt allen ihren Organen, ihren Auftrag entsprechend den Vertragsinhalten wahrzunehmen. Das Vertragsrecht gilt grundsätzlich im staatlichen Recht auch für und gegen die kirchlichen Vertragspartner selbst bei abweichenden kirchengesetzlichen Bestimmungen. Diese grundsätzliche Bindung des kirchlichen Wirkens an die Staatskirchenverträge ist schon mit der Anerkennung des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstrumentes in den Kirchenverfassungen akzeptiert, unabhängig von der Frage, auf welcher Ebene die Vertragsbindungen anzusiedeln sind73. Zugleich aber ist mit der Verortung der Staatskirchenverträge im staatlichen Recht der Weg frei, im Kirchenrecht von den Vertragsbestimmungen durch Kirchengesetz abzuweichen, wenn das im Hinblick auf die unverfügbare kirchliche Auftragswahrnehmung erforderlich ist. Dies entspricht dem Vorbehalt, den Art. 7 S. 2 KiVerf Bayern ausdrücklich für die vertragliche Ausgestaltung des StaatKirche-Verhältnisses aufstellt. Nach den Erkenntnissen über die Eigenständigkeit kirchlichen Rechts und die grundsätzliche Unverfügbarkeit der äußeren Ordnung des Verkündigungsauftrags gilt dieser Vorbehalt generell im evangelischen Kirchenrecht. Hollerbach hat in ähnlicher Weise die „Strukturelemente des Priestertums aller Gläubigen und des ministeriums verbi divini publicum sowie die notae externae der Kirche“ für „jeder vertraglichen Verfügung entzogen“ erklärt74. 69 Vgl. de Wall, Art. Ius Publicum Ecclesiasticum, Ev., in: LKStKR II (FN 22), S. 338; ausführlich Schlaich, ZevKR 28 (1983), S. 337. 70 Robbers, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg., FN 55), S. 474 (484 ff.). 71 Siehe bereits oben I. 3. 72 Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (300). 73 Vgl. Scheuner, in: FS Ruppel (FN 33), S. 312 (321); Grundmann, in: EvStL (FN 33), Sp. 2757 (2760). 74 Hollerbach (FN 1), S. 118, hat diese Unverfügbarkeit aus dem Vorrang des Göttlichen Rechts hergeleitet. Diesen Begriff sehen evangelische Theologie und evangelische Kirchenrechtslehre, zumal lutherischer Prägung, skeptisch, weil das

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Verhält sich im Konfliktfall der kirchliche Vertragspartner vertragswidrig, um nicht in Widerspruch zum kirchlichen Verkündigungsauftrag zu treten, muß er gegenüber dem staatlichen Vertragspartner um eine entsprechende Vertragsanpassung nachsuchen. Dafür sehen die Staatskirchenverträge mit Revisions- und Freundschaftsklauseln einschlägige Verfahrensweisen zu partnerschaftlicher Problemlösung vor75. Gelingt eine gemeinschaftliche Vertragsanpassung nicht, bleibt nur eine verwaltungsgerichtliche Anpassung im Hinblick auf säkularstaatliche Regelungen, wie die Kürzung oder der Wegfall von staatlicher Kirchenförderung. Ein Wirken der Kirche, das im Widerspruch zu ihrem Auftrag steht, kann der Staat nicht durchsetzen76. Diese Überlegungen sind freilich ganz theoretischer Natur77, weil zumindest unter der Geltung des Grundgesetzes solche Fallgestaltungen nicht aufgetreten sind und auch in Zukunft allenfalls in krassen Ausnahmesituationen vorstellbar sind. Im Ergebnis stellen sich die Staatskirchenverträge als Rechtsquellen des staatlichen Rechts dar, die von den Kirchen im Kirchenrecht vollumfänglich mitgestaltet und mitverantwortet werden. Ihre formelle Rückbindung in das Kirchenrecht erfahren diese Verträge, auch dort, wo ausdrückliche Regelungen der Kirchenverfassung fehlen, durch die kirchlichen Zustimmungsbeschlüsse bzw. -gesetze zu den Verträgen. Die Verträge binden alle kirchlichen Organe einschließlich des Gesetzgebers. Zur Durchsetzung des kirchenrechtlichen Vorbehalts, daß die Erfüllung des kirchlichen Auftrags nicht beschränkt werden darf, sind ggf. notwendige Vertragsanpassungen interessenausgleichend auszugestalten, wie andersherum auch der staatliche Vertragspartner auf Grund seiner Gemeinwohlverantwortung Vertragsänderungen in Abwägung zu den Interessen der Kirche durchsetzen kann78. 5. Die Einordnung der Staatskirchenverträge in der Vertragspraxis Erkenntnisse für die Einordnung und kirchenrechtliche Qualifizierung lassen sich schließlich noch aus den einzelnen Vertragsabschlüssen und den zu Grunde liegenden Motiven der kirchlichen Vertragspartner herausEvangelium nicht im Sinne von Rechtsbefehlen zu verstehen sei, vgl. nur Pirson, Art. Ius divinum, Ev., in: LKStKR II (FN 22), S. 328; Ralf Dreier, Göttliches und menschliches Recht, ZevKR 32 (1987), S. 289. 75 Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (279 ff.). 76 Anke (FN 28), S. 359 ff. 77 Vgl. auch Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (287). 78 Zu dem staatlichen Kompetenzvorbehalt und der verhältniswahrenden Vertragsanpassung: Anke (FN 28), S. 164–171 und 205–209; Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (304 ff.); Heinig (FN 62), S. 252 ff.

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arbeiten. Eine gründliche Analyse der Vertragswerke79 und der dazugehörigen Materialien unter dieser Fragestellung erscheint lohnenswert. Sie ist aber in diesem Rahmen nicht leistbar. Ein kurzer Überblick muß deshalb genügen. Bei den ersten evangelischen Kirchenverträgen in Bayern (1924)80, Preußen (1931) und Baden (1932)81 stand ganz im Vordergrund, die Vertragsbindungen aus der Parallele zu den Konkordaten mit der katholischen Kirche heraus zu begründen und zu qualifizieren82. Auch in den Inhalten und Formulierungen orientieren sich diese Verträge maßgeblich an den konkordatären Vorgängern83. Die Vertragsabschlüsse waren geprägt von dem Bemühen auf staatlicher wie auf kirchlicher Seite, der evangelischen Kirche dieselben Rechte einzuräumen, wie der Staat sie der katholischen Kirche in den Konkordaten gewährte84. Diese Motive ebenso wie die daraus gezogenen Konsequenzen für die rechtliche Stellung der Kirchenverträge berücksichtigten vornehmlich die Perspektive des Staates und seiner staatskirchenrechtlichen Verpflichtungen, aus Paritätsgründen für vergleichbare Rechtsverhältnisse zu sorgen. Demgegenüber bleiben die eigenen Gestaltungsanliegen des evangelischen Kirchenrechts, für eine auftragsgemäße Ordnung des Wirkens auch im Verhältnis zum Staat zu sorgen, eher im Hintergrund85. Etwaige Bedenken gegen eine staatskirchenvertragliche Gestaltung der Beziehungen zum Staat galten auch in den kirchlichen Beratungen vornehmlich der Sorge um die Gestaltungsfreiheiten des staatlichen Gesetzgebers, u. a. im Hinblick auf Bindungen an Vertragszusagen gegen79 Die älteren Verträge sind mit Fundstellennachweisen abgedruckt bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde, 1987. Die meisten Verträge aus den neuen Ländern sind abgedruckt bei Guido Burger (Hrsg.), Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, 2000. 80 Dazu Hugo Maser, Evangelische Kirche im demokratischen Staat, 1983. 81 Dazu Otto Friedrich, Der evangelische Kirchenvertrag mit dem Freistaat Baden, 1933. 82 Friedrich (FN 81), S. 47 ff., zu den politischen Anliegen, sowie S. 60 ff., zur Diskussion über die Rechtsnatur und die Gleichwertigkeit der ersten evangelischen Kirchenverträge mit den Konkordaten, vgl. weiter nur Grundmann, Staat und Kirche in Bayern, BayVBl 1962, S. 1 (= in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht [FN 33], S. 411 [416], m. umfangr. Nachw. aus der Zeit der Weimarer Republik). 83 Frhr. von Campenhausen, in: Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hrsg., FN 53), S. 57 (59); Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 2000, S. 121–130, 135–156. 84 Friedrich (FN 44), S. 645 f., ders. (FN 81), S. 49, und Hollerbach, Streiflichter zur Entstehungsgeschichte der Badischen Staatskirchenverträge von 1932, ZRG Kan. Abt. 92 (1975), S. 324 (334), bringen die damaligen Forderungen der Badischen Landeskirche auf folgende Kurzformel: „Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit“ mit dem Badischen Konkordat! 85 Maser (FN 80), S. 141 f.

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über der katholischen Kirche86. Selbst der Streit um Inhalte wurde in erster Linie im Hinblick auf die staatliche Aufgabenwahrnehmung geführt, insbesondere in der Schulpolitik87. Unter der Geltung des Grundgesetzes wandelte sich die Lage grundlegend. Die Vorreiterrolle für die vertragliche Ausgestaltung des neuen verfassungsrechtlichen Rahmens übernahmen nun die Vertragspartnerschaften zwischen Staat und evangelischen Kirchen88. Prägend war hier der Loccumer Vertrag von 1955 zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Kirchen in Niedersachsen89. Zwar ging die Initiative auch hier zunächst von staatlicher Seite, dem Ministerpräsidenten Kopf, aus90. Gleichwohl konnten die evangelischen Landeskirchen ihre Chance nutzen, ganz unabhängig von Konkordatsvorbildern einen Vertrag zu schaffen, „der wirklich zum ersten Male die besonderen Züge der evangelischen kirchenrechtlichen Probleme und Terminologie zeigt“ (Scheuner)91. In der Präambel wird zu den leitenden Motiven ausdrücklich das Anliegen vorangestellt, „in Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit“92 den Preußischen Evangelischen Kirchenvertrag von 1931 „unter Wahrung der Rechte der Kirchen im Sinne echter freiheitlicher Ordnung fortzubilden“. Damit steht im Vordergrund der Vertragsmotive, konsequent das eigenständige Wirken der evangelischen Kirchen im freiheitlichen Staat vertraglich auszugestalten, also der Eigenständigkeit und Eigengeartetheit kirchlichen Wirkens und ihres Rechts durch die staatskirchenvertragliche Ordnung Rechnung zu tragen. Diese Linie hat sich in den alsbald dem Loccumer Vorbild zeitlich und inhaltlich folgenden evangelischen Kirchenverträgen von Schleswig-Holstein (1957)93, Hessen (1960)94 und Rheinland-Pfalz (1962) durchgezogen95. 86

So z. B. eine Entschließung der badischen Landessynode vom 19. März 1927, abgedruckt mit weiteren Beiträgen bei Friedrich (FN 81), S. 52 f.; für Bayern vgl. Maser (FN 80), S. 135 ff., 151 ff. 87 Für Bayern vgl. Maser, ebd., S. 155 ff.; für Baden Friedrich, ebd., S. 58 f., der aber auch kirchliche Einwände gegen die Regelungen zur Besetzung der evangelisch-theologischen Lehrstühle bzw. gegen die politische Klausel (S. 82 ff.) ausweist. 88 Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 56), S. 45 mit Fn. 43 und S. 142. 89 Frhr. von Campenhausen, in: Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hrsg., FN 53), S. 57 (61 ff.). 90 Hans Otte, Die Entstehung des Loccumer Vertrags, ebd., S. 23. 91 Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (2). 92 Ruppel (FN 27), S. 134 ff., stellt heraus, daß der „Öffentlichkeitsauftrag“ und die „Eigenständigkeit“ der Kirche mit dem Loccumer Vertrag erstmalig Eingang in Rechtstexte gefunden haben. 93 Dazu Irene Marie Matthiessen, Der Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag vom 23. April 1957, 1987.

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Sie hat sich schließlich konsequent bis zu den jüngsten Kirchenverträgen von Bremen (2001)96, Hamburg (2005)97 und Berlin (2006) fortgesetzt. Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung in den neuen Bundesländern gewesen98. Denn hier hat sich die staatskirchenvertragliche Gestaltung trotz gänzlich anderer Ausgangsbedingungen mit weitgehend gleichen Gestaltungsanliegen und Inhalten wie in den früheren Verträgen durchgesetzt99. Frühzeitig hatten die Kirchenjuristen unter Mithilfe aus den westlichen Landeskirchen die Übernahme solcher staatskirchenvertraglicher Gestaltung vorbereitet100. In den kirchlichen Beratungen gab es nur vereinzelt und dann i. d. R. eher verhalten grundsätzliche Anfragen an das Vertragsinstrument101. Die kirchlichen Verhandlungspartner betonten bei den eigenen Vertragszielen besonders die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit kirchlichen Wirkens gegenüber dem Staat102. Diese Gestaltungsanliegen sind dann auch bei den Präambeln der evangelischen Kirchenverträge viel stärker zum Ausdruck gekommen103 als bei den anderen Staatskirchenverträgen in den neuen Ländern. Die Präambel des Güstrower Vertrages von 1994 bringt für Mecklenburg-Vorpommern diese Gestaltungsmotive auch aus der Perspek94

Dazu Hans-Ulrich Klose, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960, 1966. 95 Frhr. von Campenhausen, in: Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen (Hrsg., FN 53), S. 57 (68 ff.). 96 Dazu Siegbert Wesner, Evangelischer Kirchenvertrag Bremen, ZevKR 47 (2002), S. 670. 97 Dazu Leopold Turowski, Staat und Kirche in neuzeitlicher Perspektive – Staatskirchenverträge mit der Freien und Hansestadt Hamburg, KuR 2006, S. 16. 98 Hollerbach, Vertragskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, KuR 1995, S. 1 (= Nr. 120, S. 1); Frhr. von Campenhausen, Vier neue Staatskirchenverträge in vier neuen Ländern, NVwZ 1995, S. 757; de Wall, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, ThLZ 126 (2001), Sp. 1117. 99 Vgl. Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 56), S. 47 ff. m. w. Nachw.; Anke (FN 28), S. 39–63. 100 Beispielhaft sei auf die Niederschrift über die Sitzung der Arbeitsgemeinschaft „Staatskirchenrecht“ vom 16. Januar 1991 im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen hingewiesen, abgedruckt in: Tillmanns (Hrsg., FN 24), S. 169. 101 Vgl. z. B. die Nachweise bei Jürgen Bergmann, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen und dem Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 aus der Sicht der evangelischen Landeskirchen, in: Tillmanns (Hrsg., FN 24), S. 132 m. Fn. 5. 102 Hartmut Johnsen, Die Evangelischen Kirchenverträge in den neuen Bundesländern – ihr Zustandekommen und ihre praktische Anwendung, ZevKR 43 (1998), S. 182 (188, 194). 103 Jeweils 1. Spiegelstrich Präambel evKV LSA und ThürevKV, 3.–5. Spiegelstrich Präambel evKVMV sowie jeweils 4. Spiegelstrich Präambel evKV Sachsen und BbgevKV.

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tive des kirchlichen Rechts prägnant in Formulierungen auf den Punkt, die bis in den Wortlaut hinein an die sog. Demokratiedenkschrift der EKD von 1985104 erinnern: Sie geht vom „Bewußtsein der Unterschiedlichkeit des geistlichen Auftrags der Kirchen und der weltlichen Aufgaben des Staates“ aus. Und sie sieht vor diesem Hintergrund den Abschluß des Staatskirchenvertrags als Konsequenz aus „der Überzeugung, daß die Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation gebietet“. Die Entwicklung hat gezeigt, daß die evangelische Kirche unter der Geltung des Grundgesetzes sich zunehmend der freiheitlichen Gestaltungsmöglichkeiten in der demokratischen Staatsform bewußt geworden ist. Jahrzehnte vor der sog. Demokratiedenkschrift der EKD, die das Verhältnis des einzelnen Christen und der kirchlichen Verkündigung zum freiheitlichen Staat aufgearbeitet hat, hat das Kirchenrecht den „Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“105 konsequent angenommen. Mit dem Abschluß der Kirchenverträge haben die Kirchen die neuen Angebote und Aufgaben des freien Wirkens der Kirche in freiheitlicher Ordnung angenommen und ausgestaltet. Die konsequente Ausbreitung der Staatskirchenverträge hat dazu geführt, daß die evangelischen Kirchen heute praktisch flächendekkend ihre Beziehungen zum Staat staatskirchenvertraglich ausgestalten106. Das hat eindrucksvoll den von Hollerbach schon 1965 herausgearbeiteten kirchenrechtlichen „Vertragsauftrag“107 bestätigt. Aus dieser Entwicklung läßt sich in der Tat nun eine „‚gemeinem‘ deutschen evangelischen Kirchen104 Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe, 1985, S. 12 f.: „Die klare Unterscheidung zwischen dem geistlichen Auftrag der Kirche und dem weltlichen Auftrag des Staates ist die bleibende Voraussetzung für die Bereitschaft zur Demokratie . . . Erst die Unterscheidung zwischen dem Auftrag der Kirche und dem Auftrag des Staates erlaubt und ermöglicht eine positive Beziehung zwischen beiden. . . . Weil die demokratische Staatsform sich selbst solche Grenzen als verbindlich setzt, kann und soll eine positive Beziehung von Staat und Kirche in der Demokratie auch konkret wahrgenommen und gestaltet werden“. 105 So der Untertitel der Denkschrift aus 1985 (FN 104). 106 Nur für das Saarland und für Württemberg gibt es bislang keine umfassenden Kirchenverträge mit evangelischen Landeskirchen. Für Württemberg sind derzeit Verhandlungen aber schon weit vorangeschritten. 107 Hollerbach (FN 1), S. 117, 87 f. Zuvor hatte schon Johannes Heckel, „Das für alle geltende Gesetz“, VerwArch 37 (1932), S. 280 (287 f.), herausgearbeitet, daß „mit dem Sieg des Vertragsgedankens . . . eine neue Ära des Staatskirchenrechts angebrochen“ sei. Dies beruhte freilich auf dem Koordinationsdenken: „Das Merkmal dieser Epoche ist die grundsätzliche Anerkennung der Koordination des Staates und der Kirche auf ihren beiderseitigen Lebensgebieten. Aus dieser Anerkennung folgt die Verwendung der für das Koordinationsrechtssystem typischen Form des Vertrages zur Regelung wichtiger gemeinsamer Beziehungen.“; dem folgend: Grundmann, in: Abhandlungen zum Kirchenrecht (FN 33), S. 298 (311 f.).

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recht entsprechende Rechtsüberzeugung“ ableiten, möglichst eine vertragsstaatskirchenrechtliche Partnerschaft mit dem Staat zu erreichen, wo dies der kirchlichen Auftragswahrnehmung dient. Zugleich haben die Vertragspartner immer deutlicher herausgestellt, daß sie die staatskirchenvertraglichen Bindungen innerhalb und auf der Grundlage der staatlichen Rechtsordnung eingehen108. Dies wiederum bestätigt die Einordnung der Verträge als staatliche Rechtsquellen mit kirchenrechtlicher Rückbindung. II. Föderative Kirchenverträge im evangelischen Kirchenrecht Zu dem zwischenkirchlichen Vertragsrecht ist in den bisherigen Ausführungen einiges schon angeklungen. In Anlehnung an Begriffe aus dem staatlichen Recht wurde dieser Bereich der Kirchenverträge auch „kooperativer Föderalismus“ genannt109. Die aktuellen Überblicke zu den Rechtsquellen des evangelischen Kirchenrechts behandeln auch diesen Bereich des Kirchenvertragsrechts allenfalls am Rande110. In den einschlägigen Lexika finden sich unter den Stichworten „Kirchenverträge“111 und „Vertragskirchenrecht“112 nur Hinweise zum Vertragsstaatskirchenrecht. Im Verfassungsrecht der Gliedkirchen ist das föderative Vertragsrecht wenig ausgestaltet. In der Regel wird es nur bei der Regelung von Mitwirkungsbefugnissen kirchlicher Organe, insbesondere der Synoden, dann zumeist im gleichen Zuge wie das Vertragsstaatskirchenrecht behandelt113. Oder es wird als besonderes Gestaltungsinstrument für einzelne Aufgabenbereiche erwähnt114. 108

Für die Staatskirchenverträge der neuen Länder Anke (FN 28), S. 160 f. Johann Frank, Möglichkeiten und Formen gesamtkirchlicher Rechtsetzung, ZevKR 15 (1970), S. 113 (134); ders., Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, ZevKR 16 (1971), S. 343 (355 f.). 110 Vgl. Heun, in: EvStL (FN 22), Sp. 1218 f.; de Wall, in: LKStKR II (FN 22), S. 502; Schilberg, in: LKStKR III (FN 22), S. 365; Schlaich, in: TRE XIX (FN 22), S. 45; Grethlein/Böttcher/Hofmann/Hübner (FN 22) S. 388 ff. 111 Ehlers, in: LKStKR II (FN 25), S. 541; Germann, in: RGG IV (FN 21), Sp. 1360; Pirson, Art. Kirchenverträge, ev., in: Walter Kasper (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Bd. VI, 3. Aufl. 1997, Sp. 81; so auch die Verweisungen in: EvStL (FN 22), Sp. 1248. Der Begriff „Kirchenvertrag“ hat sich freilich als Bezeichnung für die Staatskirchenverträge mit den evangelischen Landeskirchen etabliert, vgl. Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 56), S. 45, 141; Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (254), der zugleich aber auf die begriffliche Überschneidung mit dem zwischenkirchlichen Vertragsrecht hinweist. 112 Frhr. von Campenhausen, in: LKStKR III (FN 25), S. 808 f.; so auch die Verweisungen in: EvStL (FN 22), Sp. 2596. 113 Art. 68 Abs. 1 lit. i) Verf. Nordelbien; Art. 90 Nr. 13 GO Oldenburg; Art. 29 Abs. 1 lit. b) Verf. Schaumburg-Lippe; vgl. weiter Art. 21 Abs. 4 GO EKD; Art. 107 KirchenO Pommern; § 84 Abs. 2 Satz 2 KiVerf Ev.-ref. (Leer); §§ 3 Abs. 2, 124 Abs. 2 Nr. 5 GO Baden, Art. 62 Abs. 3 KiVerf Hannover. 109

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Und doch sind die Verträge für die kirchenrechtliche Praxis von großer Bedeutung. Die territoriale und bekenntnisbezogene Zersplitterung des deutschen Protestantismus ruft ein großes Maß an Kooperationsbedürfnissen hervor. Diese reichen von partieller Zusammenarbeit bei sog. übergemeindlichen Einrichtungen wie der Vikarsausbildung in Predigerseminaren, dem Betrieb von Fachhochschulen, Missionswerken oder Versorgungsanstalten und Pensionskassen bis hin zu Föderationen und Fusionen ganzer Landeskirchen oder gliedkirchlicher Zusammenschlüsse115. Zur Regelung dieser vielfältigen Kooperationen aber fehlt es selbst bei bekenntnisgleichen Kirchen oft an übergreifender Gesetzgebungskompetenz für die Ordnung gemeinsamer Aufgabenwahrnehmung. Von einem universalkirchlichen Gesetzgeber ist schon gar nicht zu sprechen. Diese Lücke schließt das zwischenkirchliche Vertragsrecht. 1. Staatskirchenverträge als Grundlage für föderatives Kirchenvertragsrecht Scheuner 116 und Hollerbach 117 haben früh auf den Zusammenhang der Staatskirchenverträge mit föderativer, zwischenkirchlicher Kooperation hingewiesen: Aus den Staatskirchenverträgen selbst ergeben sich Vertragsbindungen unter den am Vertragsabschluß mit dem Land beteiligten Landeskirchen118. Diese bringen die gemeinsame Verbundenheit durch gemeinsame institutionelle Einrichtungen, u. a. zur Vertretung der gemeinsamen Anliegen gegenüber dem Land und zur Wahrnehmung des kirchlichen Steuererhebungsrechts, mit sich. Auch schaffen sie einen finanziellen Ausgleich, u. a. bei der Verteilung der Staatsleistungen. Aus einer solchen Vertragspartnerschaft können dann noch engere vertragsrechtliche Kooperationen erwachsen119. Denn mit dem Abschluß von Staatskirchenverträgen in den Ländern 114 Vgl. Art. 4 Abs. 2 GO EKD (zu den gliedkirchlichen Vereinbarungen für den Dienst der Verkündigung und der Sakramentsverwaltung); Art. 15 Abs. 2 S. 2 GO EKD (Vereinbarungen mit den Werken der Inneren Mission); Art. 21 Abs. 4 GO EKD (Vereinbarungen zur Angliederung bekenntnisverwandter kirchlicher Gemeinschaften an die EKD); § 5 Abs. 4 GO Baden (Vereinbarungen zur Kirchenmitgliedschaft); Art. 107 (Vereinbarungen über Grenzänderungen) und 153 KirchenO Pommern (Vereinbarungen mit den Missionsgesellschaften); § 84 Abs. 2 KiVerf Ev.-ref. (Leer) (Vereinbarungen zur kirchlichen Rechtspflege). 115 Einen Überblick gibt Jörg Winter, Aufgabenfelder und Rechtsformen landeskirchlicher Kooperation, ZevKR 45 (2000), S. 341 (342 ff.). 116 Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (2). 117 Hollerbach (FN 1), S. 66 f., 71 ff. 118 Ruppel (FN 27), S. 140; Johnsen, ZevKR 43 (1998), S. 182 (188 f., 206 f.). 119 Hollerbach (FN 1), S. 72 f. m. Nachw. einschlägiger Verträge; Anke (FN 28), S. 366–371.

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erkennen die Kirchen auch an, daß die staatlichen Grenzen für ihr Wirken in Staat und Gesellschaft relevant sind. So haben sich z. B. die evangelischen Kirchen in Niedersachen im Loccumer Vertrag von 1955 zur „gemeinsamen Verantwortung für den evangelischen Teil der niedersächsischen Bevölkerung“ bekannt. Erwachsen ist daraus eine Vertragspartnerschaft auch unter den fünf am Vertrag beteiligten Landeskirchen. Diese führte, wenn auch nur nach und mit bis heute nachwirkenden Mühen, zur Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, einem „kirchenrechtlichen Verband“ auf kirchenvertraglicher Grundlage (§ 1 Abs. 1 KonfVertrag)120. Andere zwischenkirchliche Verträge haben echte Zusammenschlüsse mehrerer Landeskirchen zu einer neuen Landeskirche geboren, z. T. aber nicht ausschließlich und auch nicht immer in unmittelbarer Anknüpfung an staatskirchenvertragliche Partnerschaften. So sind in vergleichsweise jüngerer Zeit die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche121 und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz122 entstanden. In Mitteldeutschland haben sich auf vertraglicher Basis die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen zu einer „Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland“ zusammengeschlossen, für die aktuell weiter die Frage nach einem vollständigen Zusammenschluß beider Landeskirchen ansteht123. In Mecklenburg-Vorpommern nähern sich die am Güstrower Vertrag beteiligten Landeskirchen, die Pommersche Evangelische Kirche und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs, so weit an, daß ein Zusammenschluß wahrscheinlicher wird124. 120 Vgl. Frank, ZevKR 15 (1970), S. 113 (137, 140); ders., ZevKR 16 (1971), S. 343 (345 ff., 353 f.). 121 Dietrich Katzenstein, Der Zusammenschluß der nordelbischen Kirchen, ZevKR 16 (1971), S. 359; Christian Karsten, Der Nordelbische Kirchenvertrag vom 21. Mai 1970, ZevKR 16 (1971), S. 375. 122 Martin Richter, Grundordnung und Neubildungsvertrag für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, ZevKR 49 (2004), S. 739 (759 ff.). 123 Ausführlich dazu: Hans-Peter Hübner, Die Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland, ZevKR 51 (2006), S. 3; Germann, epd-Dokumentation Nr. 49/2006, S. 24, hat für die Gestaltung einer zukünftigen gemeinsamen Verfassung der Evangelischen Kirchen in Mitteldeutschland Kriterien und konkrete Gestaltungshinweise aufgearbeitet. Nachdem bei den zeitgleich tagenden Landessynoden die für den vollständigen Zusammenschluß erforderliche verfassungsändernde Mehrheit in der Kirchenprovinz Sachsen am 21. April 2007 knapp verfehlt wurde, arbeitet die Kirchenleitung der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland mit einem neuen Projektplan und ergänzenden Vorlagen daran, der Landessynode der Kirchenprovinz Sachsen den im Text unveränderten Vereinigungsvertrag auf der Herbstsynode 2007 erneut zur Zustimmung vorzulegen.

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Das Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“ zu den „Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ weist den Weg zu einer darüber sehr weit hinausgehenden grundlegenden Umgestaltung der Landeskirchen nach Anzahl und Struktur. Auch diese Vorschläge für eine Neuordnung, die zukünftig nurmehr 8 bis 12 Landeskirchen vorsehen, stellen auf die Bundesländer als geographische wie politische Bezugsgrößen ab125. Im Zuge dieser Neustrukturierung treten die neu gebildeten Landeskirchen die Rechtsnachfolge der bisherigen Landeskirchen an und damit in alle Rechte und Pflichten aus den Staatskirchenverträgen ein126. Eine derartige Rechtsnachfolge eröffnet den staatlichen Vertragspartnern nicht die Möglichkeit, sich unter Berufung auf die sog. clausula rebus sic stantibus bzw. den Wegfall der Geschäftsgrundlage von den staatskirchenvertraglichen Bindungen zu lösen. Denn die Staatskirchenverträge regeln umfassend das Verhältnis des jeweiligen Landes zu allen Landeskirchen im Hoheitsgebiet, ohne die verfassungsrechtlich gewährleistete öffentlich-rechtliche Organisationsgewalt der Landeskirchen127 im Hinblick auf ihre territorialen Strukturen zu beschränken128.

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Die Lutherische Welt-Information titelte am 23. Juni 2006 unter Hinweis auf die für Anfang August 2006 geplante erste gemeinsame Tagung der Landessynoden: „Lutherische Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern planen Fusion. Gemeinsame Kirche ist einzig sinnvolle Lösung“. Darüber hinaus haben die beiden Landeskirchen aber auch eine Kooperationsvereinbarung mit der Nordelbischen EvangelischLutherischen Kirche geschlossen (ABl. NEK 2000, S. 198), die eine weitgehende Abstimmung zwischen den Kirchen und u. a. eine schrittweise Angleichung „auf allen Gebieten der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung“ vorsieht. Die Entwicklung kann auch auf die Bildung einer „Nordkirche“ aus diesen drei Landeskirchen hinauslaufen. 125 Hrsg. vom Kirchenamt der EKD, 2006, S. 26 f., 93 f.; dazu: Heinig, Evangelische Kirchen zwischen Kooperation, Föderation und Fusion, Arbeitspapier für die Hannoveraner Initiative Evangelisches Kirchenrecht (FN 5). 126 de Wall, Einheit im Bekenntnis und Territorialer Partikularismus – Staatskirchenrechtliche Aspekte der Einheit der Evangelischen Kirche, Essener Gespräche 37 (2003), S. 123 (125 f.); Hollerbach (FN 1), S. 289 f. 127 Dazu näher Rainer Mainusch, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zur kirchlichen Organisationsgewalt, ZevKR 49 (2004), S. 285; Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 56), S. 285 ff. 128 Vgl. Carl Hermann Ule, Über die Anwendung der clausula rebus sic stantibus auf Kirchenverträge, in: Hans Spanner/Peter Lerche/Hans Zacher/Peter Badura/ Axel Frhr. von Campenhausen (Hrsg.), Festgabe für Theodor Maunz, 1971, S. 415 (433 f.).

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2. Grundsätze des föderativen Kirchenvertragsrechts Auch gliedkirchliche Zusammenschlüsse haben auf vertraglicher Grundlage fusioniert, so die Evangelische Kirche der Union und die Arnoldshainer Konferenz zur Union evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland129. In all den genannten Kooperationen, Föderationen und Zusammenschlüssen hat das Vertragsinstrument den Prozeß des Zusammenwachsens mit ermöglicht und gestaltet. Hier sind freilich noch einige grundsätzliche Fragen zu den genauen Möglichkeiten und Grenzen für eine Neubestimmung kirchlicher Ordnung durch Kirchenverträge nicht abschließend geklärt130. In praktischer Hinsicht ist etwa zu bedenken, daß bei allem Streben nach mehr Gemeinsamkeit und Kooperation das zwischenkirchliche Vertragsrecht nicht ausufern und das evangelische Kirchenrecht nicht in eine Vielzahl unterschiedlichster Kooperationsvereinbarungen atomisieren sollte. Aus der Perspektive der Kirchenrechtslehre erscheint insbesondere das Verhältnis der vertraglichen Ordnung zu anderen Rechtsquellen der einzelnen Vertragspartner klärungsbedürftig131. In diesem Zusammenhang ist zunächst der Rechtsboden für die Verträge aufzuarbeiten, die genaue rechtliche Grundlage, „welche . . . den Vereinbarungen rechtliche Verbindlichkeit vermittelt“132. Ausgeblendet sollen dabei einmal die Vereinbarungen bleiben, die wie bei Finanz- und Versorgungsfragen u. ä. allein auf einen welt129 Dazu Burkhard Guntau, Art. Union Ev. Kirchen (UEK) (J), in: EvStL (FN 22), Sp. 2503; Wilhelm Hüffmeier, Art. Union Ev. Kirchen (UEK) (Th), ebd., Sp. 2506; Christoph Thiele, Art. Union ev. Kirchen in der Ev. Kirche in Deutschland (UEK), LKStKR III (FN 22), S. 731; Winter, Die UEK als Beitrag zur Strukturreform der EKD, ZevKR 49 (2004), S. 239. 130 Rudolf Smend, Grundsätzliche Rechtsbeziehungen der Landeskirchen untereinander, in: Siegfried Grundmann (Hrsg.), Für Kirche und Recht. Festschrift für Johannes Heckel, 1959, S. 184 (192), charakterisierte die Beziehungen zwischen den evangelischen Landeskirchen als „eigentümliches positives Verhältnis der Zusammenarbeit“. Freilich sah er die rechtliche Verbindlichkeit skeptisch (S. 192 ff.): „Die Kirchen wollen unzweideutig ihr sozusagen extrakonstitutionelles Miteinander nicht einer lex scripta unterstellen“ (S. 192), „soweit sie nicht auf einem rechtsgeschäftlichen Titel beruhen und Rechtsverhältnissen des weltlichen Rechts strukturgleich sind“ (S. 193). 131 Zu älteren Ansätzen: Hans Liermann, Deutsches Evangelisches Kirchenrecht, 1933, S. 118 f., hat das zwischenkirchliche Vertragsrecht wie insgesamt das zwischenkirchliche Recht genossenschaftsrechtlich qualifiziert. Kaiser (FN 6), S. 153–165, ergänzt dies mit koordinationsrechtlichen Aspekten. 132 Pirson, Die Ökumenizität des Kirchenrechts, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg., FN 55), S. 499 (511), sieht darin „ein schwieriges, rechtstheoretisches Problem . . ., das freilich für die zwischenkirchliche Praxis möglicherweise eine geringe Rolle spielt und als Problem nicht so sehr bewußt ist“; aus der älteren Literatur: Kaiser (FN 6); Gustav Steckelmann, Die Verträge zwischen den evangelischen Landeskirchen in Deutschland, 1931.

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lichen Ausgleich von säkularen Belangen gerichtet sind. Für diese mag die weltliche Rechtsordnung im öffentlichen oder im bürgerlichen Recht hinreichende vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten bereitstellen133. Für die Verträge über eine gemeinsame Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags aber zwingen die Erkenntnisse über die bekenntnisbezogene Eigenständigkeit und Eigengeartetheit des kirchlichen Rechts134 zu einer Grundlegung im kirchlichen Recht. Ansatzpunkt ist zunächst das kirchliche Verfassungsrecht der vertragsschließenden Kirchen. Denn dieses gibt, ebenso wie bei den Staatskirchenverträgen, den rechtlichen Rahmen für die Vertragsschlüsse der Kirchen vor. Die bereits angeführten Bestimmungen der Grundordnung der EKD135 und der Landeskirchen136 zeigen, daß zwischenkirchliches Vertragsrecht ausdrücklich in den Verfassungen anerkannt ist. Mit der Anerkennung ist zugleich die grundsätzliche Verpflichtung für alle kirchlichen Organe vorgegeben, die Vertragsbindungen einzuhalten. Freilich sind mit der Begründung der Vertragstreue aus dem jeweils eigenen Verfassungsrecht der einzelnen Vertragspartner weder die originäre Bindungswirkung der Verträge noch deren rechtliche Grundlagen geklärt. Das Verfassungsrecht einzelner am Vertragsschluß beteiligter Landeskirchen oder gliedkirchlicher Zusammenschlüsse gilt beim Abschluß zwischenkirchlicher Verträge i. d. R. nicht übergreifend für alle Vertragspartner. So haben die föderativen Kirchenverträge ihre Grundlage in einer Rechtsgemeinschaft, die über die partikularkirchliche Verfaßtheit der einzelnen Landeskirchen hinausweist. Dafür könnte sich zunächst das Recht der EKD anbieten. Denn nach Art. 21 GO EKD sind die Landeskirchen Gliedkirchen der EKD. Und die Landeskirchen stellen ihrerseits in ihrem Verfassungsrecht ausdrücklich ihren Status als Gliedkirche der EKD und ihre Verpflichtung gegenüber „der bestehenden Gemeinschaft in der deutschen evangelischen Christenheit“ heraus137. Art. 5 GO EKD weist darüber hinaus die Ordnung der Beziehungen zwischen den Gliedkirchen ebenso wie deren Verhältnis zur EKD als eine „Ordnung der Brüderlichkeit“ aus. Daraus lassen sich aber nicht in gleicher Weise wie für die Vertragsschlüsse zwischen Bundesländern gemeinsame verfassungsrechtliche Grundsätze aus dem Bundesstaatsprinzip 133

Vgl. bereits Smend, in: FS Heckel (FN 130), S. 184 (186 f.). Siehe oben I. 4. 135 Art. 4 Abs. 2, 15 Abs. 2 S. 2 und 21 Abs. 4 GO EKD. 136 §§ 3 Abs. 2, 5 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 GO Baden; Art. 62 Abs. 3 KiVerf Hannover; Art. 68 Abs. 1 lit. i) Verf. Nordelbien; Art. 90 Nr. 13 GO Oldenburg; Art. 107 und 153 KirchenO Pommern; Art. 29 Abs. 1 lit. b) Verf. SchaumburgLippe; § 84 Abs. 2 KiVerf Ev.-ref. (Leer). 137 So beispielhaft Art. 4 Abs. 2 KiVerf Hannover. 134

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nach Art. 20 Abs. 1 GG138 ableiten139. Denn die EKD hat derzeit nur wenige, sachlich ganz eng begrenzte Kompetenzen im Verhältnis zu den Landeskirchen. Sie schränkt im übrigen die kirchliche Eigenständigkeit der Landeskirchen nicht ein und bildet auch keinen übergeordneten verfassungsrechtlichen Rahmen im Sinne einer Bundeskirche für das weitere Wirken der Landeskirchen140. Erst recht fehlt es an einer gemeinsamen Rechtsordnung für Verträge mit kirchlichen Vertragspartnern außerhalb der EKD. Aber auch hier weist das partikularkirchliche Verfassungsrecht141 den Weg zu zwischenkirchlicher Kooperation142. Mangels rechtlicher Verfaßtheit einer übergeordneten Rechtsgemeinschaft muß deshalb auf die einzelnen Vertragsabschlüsse selbst zurückgegriffen werden. Diese schaffen eine über die einzelnen Landeskirchen hinausgehende kirchenrechtliche Rechtsgemeinschaft, in der die Vertragspartner auf der Ebene der Gleichordnung die geregelten Gemeinsamkeiten als verbindlich anerkennen. Der Verpflichtungsgrund liegt dabei in der gemeinsamen Überzeugung, daß sie den ihnen aufgegebenen kirchlichen Auftrag in der vertraglichen Gemeinschaft besser wahrnehmen können als in fortdauernder Separierung143. Diese Verträge stellen sich als echte koordinationsrechtliche Ordnungen dar144. Für diese sind grundsätzlich übergeordnete externe Streitschlichtungs- und -entscheidungsregelungen weder vorgegeben noch verabredet145, allerdings sehr wohl von den beteiligten kirchlichen Vertragspartnern im Einzelfall gestaltbar.

138 Überblick bei: Walter Rudolf, Kooperation im Bundesstaat, in: HStR IV, 2. Aufl. 1999, § 105. 139 Auch die Kommentierung von Brunotte (FN 44), S. 149 f., weist in eine ganz andere Richtung: Art. 5 soll die Gliedkirchen wie die EKD anhalten, ihre Rechtsbeziehungen nicht nach den Grundsätzen weltlichen Rechts zu gestalten, sondern nach den wesentlich davon zu unterscheidenden Grundsätzen des kirchlichen Rechts in „gegenseitiger brüderlicher Verpflichtung . . ., die unmittelbar aus dem Wesen der Kirche abgeleitet wird“. 140 Burkhard Guntau, Art. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), in: LKStKR (FN 22), Bd. I, 2000, S. 645; Winter, Art. Landeskirche (J), in: EvStL (FN 22), Sp. 1386 (1389). 141 Beispielhaft sei Art. 4 Abs. 1 und 3 KiVerf Hannover angeführt: Verbundenheit mit den evangelisch-lutherischen Kirchen in aller Welt und Teilnahme an der Zusammenarbeit der christlichen Kirchen in aller Welt. 142 Pirson, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg., FN 55), S. 499 (507 ff.). 143 Pirson, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg., FN 55), S. 499 (512 f.); vgl. weiter zum Vertrag als Gestaltungsinstrument für die ökumenischen Beziehungen: Albert Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 3. Aufl. 1992, S. 178 ff. 144 Vgl. Kaiser (FN 6), S. 148 f., 153 ff.; Paul Schoen, Die Rechtsgrundlagen der Verträge zwischen Staat und Kirche und der Verträge der Kirchen untereinander, AöR 21 (1931), S. 317 (341, 361 f.); Steckelmann (FN 132), S. 31.

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Auch das Kirchengerichtsgesetz der EKD (KiGG EKD) und die damit verbundene Einführung eines Verfassungsgerichtshofs (Art. 32, 32a bis c GO EKD)146 haben keine allgemeine Zuständigkeit für Schiedsentscheidungen bei föderativen Vertragsstreitigkeiten eingeführt147. Allenfalls ließe sich die Statthaftigkeit eines Organstreitverfahrens zwischen den an einem Vertrag beteiligten Gliedkirchen nach § 25 KiGG EKD über die Auslegung von Art. 5 GO EKD begründen, soweit Vorgaben für verbindliche Konfliktentscheidungen bei föderativem Kirchenvertragsrecht aus Art. 5 GO EKD selbst zu gewinnen wären. Das aber ist, wie gezeigt, nicht der Fall. Ihre Verpflichtungskraft beziehen die Kirchenverträge gerade daraus, daß die Vertragspartner aus dem Auftrag der Kirche heraus sich auf das gemeinsam vereinbarte kirchliche Handeln als das geistlich angezeigte verständigt haben. Um der Wirksamkeit des kirchlichen Auftrags willen sind die Vertragspartner gehalten, den Vertragsbestimmungen in ihrem Wirken auch tatsächlich zu entsprechen. Deshalb kommt der partnerschaftlichen Konfliktregelung, die u. a. in Freundschaftsklauseln ihren ausdrücklichen Niederschlag finden kann, besondere Bedeutung zu. Dies wiederum wird der Vorgabe nach Art. 5 GO EKD gerecht, die zwischenkirchlichen Beziehungen im brüderlichen Geiste zu gestalten und zu pflegen. Als zentraler Grundsatz bleibt festzuhalten: Für die evangelischen Partikularkirchen ist der zwischenkirchliche Vertrag neben und oft auch vor der Verfassungsgebung bei neuen kirchlichen Zusammenschlüssen das folgerichtige Gestaltungsmittel des kirchlichen Rechts, mit dem sie untereinander ihre Gemeinschaft stärken, ihre Zusammenarbeit verbessern und im günstigsten Fall Kirchengemeinschaft rechtlich ausgestalten können. Dazu werden die Kirchen durch ihre eigenen verfassungsrechtlichen Vorgaben angehalten, die Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in Deutschland wie in der weiteren Ökumene zu stärken.

145 Kaiser (FN 6), S. 248–257; vgl. viel weitergehend noch Smend, in: FS Heckel (FN 130), S. 184 (187, 192 ff.), mit Zweifeln an der rechtlichen Verbindlichkeit überhaupt. 146 ABl. EKD 2003, S. 408; dazu ausführlich Guntau, Die Neuordnung der Rechtspflege in der Ev. Kirche in Deutschland durch das Kirchengesetz über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland, ZevKR 51 (2006), S. 327. 147 Immerhin ließe sich über § 6 Abs. 1 KiGG EKD durch Kirchengesetz (!) der beteiligten Gliedkirchen eine Erweiterung der Zuständigkeit mit Zustimmung des Rates der EKD begründen, oder über eine Gesetzesänderung nach Art. 32 Abs. 3 und 4 GO EKD.

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3. Die Verbindungsverträge zur EKD-Strukturreform als Anwendungsbeispiel Bei der aktuellen Strukturreform148 für das Zusammenwirken der Landeskirchen „oberhalb ihrer selbst“ konnten die Grundsätze des föderativen Kirchenvertragsrechts fruchtbar gemacht werden. a) Der Ansatz „Reform ist nötig – Reform ist möglich“ In der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte sich seit langem die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Kooperation der Landeskirchen extrem komplexe Strukturen aufweist. Diese binden nach innen außerordentlich viel Kraft in einem hohen Abstimmungsaufwand. Und nach außen führen sie zu einem diffusen Erscheinungsbild, das insgesamt die kirchliche Präsenz in der Öffentlichkeit erheblich schwächt. Der Präsident des hannoverschen Landeskirchenamtes Eckhart von Vietinghoff hat diese Schwächen der überkommenen Strukturen für das gemeinschaftliche Wirken der Landeskirchen in „ganz persönlich verantworteten unfrisierten Gedanken zu verbesserungsbedürftiger Kooperation aller Landeskirchen innerhalb der EKD“ aufgegriffen149. Er hat ein neues integratives Modell für die Gemeinschaft der Landeskirchen mit einem konkreten Verfahrens- und Zeitplan zur Umsetzung bis zum 1. Januar 2006 vorgeschlagen. Auch schon zuvor150 gab es neben schonungsloser Diagnose Vorschläge für konkrete Strukturverbesserungen: So hatte etwa der badische Landesbischof Klaus Engelhardt als Ratsvorsitzender der EKD vorgeschlagen, daß die Unierten Kirchen und die VELKD als „Arbeitsgemeinschaften“ innerhalb der EKD mitarbeiten151. In ähnlicher Weise schwebte selbst zu Gründungszeiten der VELKD Heinz Brunotte vor, „die leitenden Organe der Vereinigten Lutherischen Kirche in die leitenden Organe der EKD einzubauen“152. 148 Vgl. die Überblicke bei Hermann Barth/Christoph Thiele, Art. Evangelische Kirche in Deutschland, in: EvStL (FN 22), Sp. 525 (528); Christian Heckel, Die aktuelle Strukturreform der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihre Vorgeschichte, ZRG 123 Kan. Abt. 92 (2006), S. 603; Michael Droege, Zur Einheit im deutschen Protestantismus – Kirchliche Zusammenschlüsse in der Strukturreform, Arbeitspapier für die Hannoveraner Initiative Evangelisches Kirchenrecht (FN 5). 149 Eckhart von Vietinghoff, Reform ist nötig – Reform ist möglich, in: epd-Dokumentation Nr. 6a/2002, S. 4. 150 Zur Vorgeschichte: Chr. Heckel, ZRG 123 Kan. Abt. 92 (2006), S. 603 (603 ff., 609–617). 151 Bericht über die II. Tagung der 9. EKD-Synode vom 2.–7. November 1997 in Wetzlar, S. 45; ähnlich zuvor schon Vorschläge der Landeskirchen aus Württemberg und Oldenburg, vgl. Winter, ZevKR 45 (2000), S. 341 (350 f.). 152 Heinz Brunotte, Einheit und Gliederung der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: ders., Bekenntnis und Kirchenverfassung, 1977, S. 121: Die Personeniden-

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b) Der Kirchenvertrag als Gestaltungsinstrument im Reformprozeß Rechtstechnisch wären die Strukturreformen insbesondere mit einer Änderung der EKD-Grundordnung möglich gewesen. Auf Seiten lutherischer Kirchen kam freilich die Sorge auf, wie sich das lutherische Bekenntnis in solchen Strukturen wirksam entfalten könne153. So überwog selbst bei engagierten Befürwortern lange Zeit die Skepsis, ob solche Vorschläge zu einer Stärkung der Gemeinschaft der Landeskirchen auf der Ebene der EKD „ernsthaft aufgegriffen werden, schon wegen der Fülle unterschiedlicher Gesichtspunkte, die nur schwer miteinander zu harmonisieren sind“154. Vor diesem Hintergrund zielt der aktuelle Ansatz für die EKD-Strukturreform zwar inhaltlich nach wie vor darauf ab, „eine integrative Struktur (zu) schaffen, die die jeweiligen konfessionellen Profile nach innen wie nach außen achtet, aber zugleich innerhalb eines einzigen Systems kontinuierlich und verbindlich . . . aufeinander bezieht“155. Aber mit dem sog. Verbindungsmodell156 ist nun der Weg über eine vertragliche Ausgestaltung des Reformwerks eingeschlagen worden. Das Vertragsinstrument ermöglicht allen gliedkirchlichen Zusammenschlüssen, ihre jeweiligen Anliegen in die Gestaltung einer neuen Gemeinschaft der Landeskirchen in der EKD einzubringen. Deshalb sieht ein neuer Art. 21a der Grundordnung der EKD157 nun nicht nur ausdrücklich vor, daß die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse ihren Auftrag in der EKD wahrnehmen können. Sondern er schreibt zugleich vor, daß diese Verbindung „durch Vertrag geregelt“ wird (Abs. 2). In der EKD-Strukturreform hat das Vertragsinstrument den Prozeß des Zusammenwachsens nicht nur mit ermöglicht und gestaltet. Es hat zugleich einige Fragen zu den Besonderheiten des Vertragsinstrumentes als Rechtsquelle des evangelischen Kirchenrechts aufgeworfen. Die Frage nach dem gemeinsamen Rechtsboden für die Verbindungsverträge haben die Vertragspartner geklärt, indem sie mit den Verträgen zugleich durch entsprechende Verfassungsänderungen in Art. 21a GO EKD n. F. und Art. 7 Abs. 2 Verf tität sollte sowohl für die Synoden als auch für den Rat bzw. die Kirchenleitung sowie für die Kirchenkanzlei, das spätere Kirchenamt, gelten. 153 Vgl. nur Hans Christian Knuth, Die Gestalt der Kirche ergibt sich aus ihrem Auftrag – Zur Struktur evangelischer Kirchen in Deutschland, in: epd-Dokumentation Nr. 13/2002, S. 4; ders., Gefahr der Gigantomanie – Die konfessionellen Zusammenschlüsse, die es in der EKD gibt, sind notwendig, in: epd-Dokumentation Nr. 28/2002, S. 39; Friedrich Hauschildt, Erwägungen zu den Strukturüberlegungen für die evangelischen Kirchen in Deutschland, in: epd-Dokumentation Nr. 43/2002, S. 20. 154 Winter, ZevKR 45 (2000), S. 341 (353). 155 von Vietinghoff, epd-Dokumentation Nr. 6a/2002, S. 9. 156 Chr. Heckel, ZRG 123 Kan. Abt. 92 (2006), S. 603 (621 ff.). 157 Ebenso wie in Art. 7 Abs. 2 Verf VELKD n. F.

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VELKD n. F. die Grundordnung der EKD als übergeordnete gemeinsame rechtliche Grundlage sowohl für die Vertragsbindungen als auch für die jeweilige Aufgabenwahrnehmung bestimmt haben. Weitere Fragen betreffen das Verfahren in Konfliktfällen bzw. beim Inkrafttreten. In der Lutherischen Generalsynode kam das Anliegen auf, verbindliche Konfliktlösungsverfahren unter Hinzuziehung externer Dritter im Vertrag zwischen der EKD und der VELKD zu verankern158. Diesem Verhandlungsauftrag sind die Vertragskommissionen zunächst nicht nachgekommen. Sie haben statt dessen auf die Freundschaftsklauseln (§ 12 Vertrag-UEK; § 15 Vertrag-VELKD) verwiesen, die eine Pflicht der Vertragspartner zu freundschaftlicher, d. h. einvernehmlicher Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung des Vertrags begründen. Freilich ist in der Begründung zu den Verträgen der Hinweis auf die Möglichkeit eines schiedsgerichtlichen Verfahrens zur Konfliktlösung verblieben159. Allerdings dürfte ein Organstreitverfahren nach § 25 KiGG EKD über die Auslegung von Art. 21a GO EKD n. F. jedenfalls im Hinblick auf die grundlegenden Fragen im Zusammenhang mit den Verbindungsverträgen, wie insbesondere der Bindungswirkung, statthaft sein. Denn in Art. 21a GO EKD n. F. sind die wesentlichen Vorgaben für die Verbindung von VELKD und UEK mit der EKD, für die Auftragswahrnehmung von VELKD und UEK in der EKD und ihrer Ausgestaltung in den Verbindungsverträgen verfassungsrechtlich verankert. Und nach § 25 Abs. 1 S. 1 KiGG EKD sind auch die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse antragsberechtigt. Unsicherheiten bei den Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Verträge zeigt die Aufforderung des Lutherischen Kirchenamtes vom 19. Dezember 2005160, die Zustimmung in den einzelnen Gliedkirchen der VELKD „mit der für verfassungsrechtliche Bestimmungen üblichen qualifizierten Mehrheit in den Landessynoden oder ggf. anderen Organen . . . zu treffen“, weil „es sich bei dem Kirchengesetz um eine Materie des Verfassungsrechts handelt“. Die Verfahrensregelungen über die Zustimmung in den Landeskirchen richten sich freilich nach dem jeweiligen gliedkirchlichen Verfassungsrecht. Für dieses aber bedeutet die Zustimmung zur Umsetzung der Strukturreform i. d. R. keine Verfassungsänderung161. 158

Entschließung zur Strukturdebatte (Drs. 40/2004 der Generalsynode der VELKD mit Drs. 19/2004). 159 S. 46 und 55 der Vorlage. 160 Tgb.-Nr.: 2997.IX.160. 161 Beispielhaft sei hier für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers auf Art. 127 Abs. 4 KiVerf hingewiesen: Erklärung der Zustimmung durch das Landeskirchenamt mit Zustimmung des Kirchensenates und Einverständnis der Landessynode, d. h. nicht durch Zustimmungsgesetz und schon gar nicht durch Verfassungsänderung.

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c) Der Inhalt der Verträge im Überblick Mit den Verträgen über die Verbindung der EKD mit der UEK und der VELKD sowie den dazu beschlossenen Kirchengesetzen zur Umsetzung der Strukturreform162 werden die Reformanliegen erfüllt und die Gemeinschaft der Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland gestärkt. Die Zusammenarbeit wird erheblich gestrafft und eine profiliertere Präsenz des deutschen Protestantismus in Gesellschaft und Öffentlichkeit ermöglicht. Dem dienen die vielfältigen Verbindungen bei der Aufgabenwahrnehmung. Die Synoden werden personenidentisch besetzt und in der Regel zeitlich verbunden (§ 4 Vertrag-VELKD). Das Kirchenamt der EKD dient der Erfüllung der Aufgaben von EKD, UEK und VELKD und gewährleistet mit einer Amtsstelle der VELKD auch die Wahrnehmung besonderer Anforderungen der VELKD (§ 5 Vertrag-UEK; §§ 6 f. Vertrag-VELKD). Das lutherische Bekenntnis kann sich wirkungsvoll innerhalb der EKD entfalten. Die VELKD bleibt Kirche im theologischen und rechtlichen Sinn163. Sie gewinnt umfängliche Initiativ-, Gestaltungs- und Prüfungsrechte hinzu (§ 5 Vertrag-VELKD zur Kirchenkonferenz, § 8 Vertrag-VELKD zum Kirchenamt), mit denen sie auf die Arbeit der EKD und deren Organe verbindlich einwirken kann. Für die UEK sind entsprechende Gestaltungspotentiale eröffnet (§§ 4, 6 Vertrag-UEK). Sie entscheidet selbständig darüber, ob und inwieweit sie diese angesichts ihres eigenen Auftrags zur Stärkung der EKD164 ausfüllen will165. Die Verbindungsverträge sind dynamisch auf eine konsequente Stärkung der Gemeinschaft der Landeskirchen in der EKD ausgerichtet. Dies ist in beiden Verträgen in der Präambel als Leitmotiv, in § 1 bei den grundlegenden Zielen und in § 2 Abs. 4 bei den Grundsätzen des Zusammenwirkens verankert. Die Berichtspflicht nach § 14 (Vertrag-UEK) bzw. § 17 (VertragVELKD) der Verträge gewährleistet, daß diese Ziele und ihre Umsetzung nicht aus dem Blick geraten. Dabei gilt es, auf eine Stärkung der gemeinschaftlichen Aufgabenwahrnehmung und auf einen profilierten theologischen Austausch zu drängen, insbesondere in Bereichen wie der Ökumene162 Kirchengesetz der EKD vom 10. November 2005, ABl. EKD 2005, S. 549; Verordnung des Rates der EKD über das Inkrafttreten vom 9. Dezember 2006, ABl. EKD 2007, S. 1; Kirchengesetz der VELKD vom 18. Oktober 2005, ABl. VELKD VII, S. 306. 163 Christoph, Art. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (J), in: EvStL (FN 22), Sp. 2536 (2538). 164 Vgl. nur § 7 des Vertrags über die Bildung einer Union evangelischer Kirchen in der EKD vom 26. Februar 2003, ABl. EKD 2003, S. 315. 165 Winter, ZevKR 49 (2004), S. 239; Guntau, in: EvStL (FN 22), Sp. 2506; Hüffmeier, ebd., Sp. 2508.

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arbeit, in denen nach gemeinsamer Einschätzung der Vertragspartner noch erhebliche „Doppelarbeit und -strukturen abzubauen“ sind (§ 10 VertragUEK; §§ 12 f. Vertrag-VELKD). Das Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“ zu den „Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ weist für eine solche Stärkung der Gemeinschaft der Landeskirchen die programmatische Richtung166: „Die Gemeinschaft der Gliedkirchen in der EKD (verständigt sich) auf einige Dienstleistungszentren . . ., in denen sich verwaltungstechnisches Know-how im Blick auf Beihilfe-, Steuer-, Abrechnungsfragen, im Blick auf das Meldewesen und die Statistik des kirchlichen Lebens oder andere Aufgaben ebenso professionell wie effektiv konzentrieren läßt“. Kompetenzzentren sollen „kompetent und dienstleistungsbereit im Blick auf zentrale kirchliche Handlungsfelder spezifische Inhalte des EvangelischSeins für alle Landeskirchen entwickeln und vermitteln“. „Kirchengebäude mit gesamtdeutscher protestantischer Ausstrahlung (sollen) die Chance erhalten, mit (finanzieller Hilfe der Gemeinschaft aller Gliedkirchen) vorbildliche, herausragende und innovative evangelische Kirchenarbeit sichtbar zu machen“. III. Zusammenfassung Für das evangelische Kirchenrecht ist das Vertragsinstrument die angemessene Handlungsform, die staatlich-kirchlichen Beziehungen kooperativ auszugestalten. Praktisch alle Landeskirchen haben ihre Beziehungen zum Staat staatskirchenvertraglich geregelt. Die Entwicklungen haben auf eindrucksvolle Weise Hollerbachs kirchenrechtliche Analysen bestätigt, wonach eine „‚gemeinem‘ deutschen evangelischen Kirchenrecht entsprechende Rechtsüberzeugung“ besteht, im Verhältnis zum Staat nach „geordneter Einigung“ zu streben. Sieht man die Staatskirchenverträge mit Rücksicht auf die Säkularität im staatlichen Recht verortet, bleibt die formelle Rückbindung in das Kirchenrecht durch die kirchlichen Zustimmungsbeschlüsse zu den Verträgen gewährleistet. Zudem stehen die Verträge unter dem kirchenrechtlichen Vorbehalt, die Erfüllung des kirchlichen Auftrags nicht zu beschränken. Auch bei den zwischenkirchlichen Gestaltungsanliegen kommt dem Vertragsinstrument in der Praxis des evangelischen Kirchenrechts eine herausragende Rolle zu. Die Gemeinschaft der Landeskirchen in der EKD wird durch die Verbindungsverträge der EKD mit der UEK und der VELKD 166 Kirchenamt der EKD (Hrsg., FN 125), S. 99 f.; vgl. weiter Christoph Görisch, Kirchenbünde und EKD, Arbeitspapier für die Hannoveraner Initiative Evangelisches Kirchenrecht (FN 5).

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erheblich gestärkt. Die zunehmenden Kooperations- und Föderationsbedürfnisse der Landeskirchen untereinander lassen sich kirchenvertraglich angemessen gestalten. Mit Hollerbach ist der seit einiger Zeit leicht vernachlässigten Rechtsquelle des Kirchenvertrags eine etwas aufmerksamere Begleitung durch die evangelische Kirchenrechtslehre zu wünschen167.

167 Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 17), S. 253 (254, Fn. 4). Insbesondere für das föderative Kirchenvertragsrecht wäre eine aktuelle Aufarbeitung zu den Möglichkeiten und Grenzen des kirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments anhand der jüngeren Verträge wünschenswert. Germann, epd-Dokumentation Nr. 49/2006, S. 24 (30), zeigt eine Reihe von Fragen im Zusammenhang der Bildung einer Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland auf, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zu den kirchlichen Zusammenschlüssen der VELKD und der UEK.

Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer: Eine dritte Generation im Vertragsstaatskirchenrecht Von Michael Germann Der Titel enthält eine These: Die Verträge, die die Neuen Bundesländer nach 1990 mit Religionsgemeinschaften geschlossen haben1, lassen sich zu 1 In der Literatur behandelt vor allem von Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, 2000; Harald von Bose, Neue Entwicklungen im Staatskirchenrecht: Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt, LKV 1998, S. 295; Axel Frhr. von Campenhausen, Vier neue Staatskirchenverträge in vier neuen Ländern, NVwZ 1995, S. 757; ders., Der Güstrower Vertrag – Ein Schritt zur Normalisierung des Verhältnisses von Staat und Kirche, LKV 1995, S. 233; Stephan Haering, Die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern aus den Jahren 1994 bis 1998, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, 1999, S. 761; Steffen Heitmann, Der Katholische Kirchenvertrag Sachsen, NJW 1997, S. 1420; Alexander Hollerbach, Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, KuR 1995, S. 1 (= Nr. 120, S. 1); Hartmut Johnsen, Die Evangelischen Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern – ihr Zustandekommen und ihre praktische Anwendung, ZevKR 43 (1998), S. 182; Gebhard Rudolf Keuffel, Staatskirchenverträge in der Praxis: offene Fragen bei der Umsetzung von Staatskirchenverträgen unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Sachsen-Anhalt, 2003; Stefan Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001; Holger Kremser, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15.9.1997, LKV 1998, S. 300; Hartmut Kreß, Die evangelischen Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern – Tragfähig für die Rolle in der säkularen Gesellschaft?, Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 1997, S. 23; Richard Puza, Kirche und Staat – Vertragliche Partnerschaft mit Zukunft, NVwZ 1995, S. 460; Richard Puza/Abraham Peter Kustermann (Hrsg.), Neue Verträge zwischen Kirche und Staat, 1996; Ronny Raith, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997, KuR 2003, S. 141 (= Nr. 120, S. 65); Dagmar Steuer-Flieser, Die Konkordate mit den neuen Bundesländern – Ausdruck eines partnerschaftlichen Miteinanders im pluralen Europa von heute, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 841; Reiner Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001; Axel Vulpius, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt aus der Sicht der Verwaltung, LKV 1994, S. 277; ders., Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt unter besonderer Berücksichtigung der Nihil obstat-Frage, JöR n. F. 43 (1995), S. 327; ders., Verträge mit der Jüdischen Gemeinschaft in den neuen

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einer „neuen Generation“ zusammenfassen. Sie stehen also in einer Kontinuität mit den ihnen vorausgehenden Generationen, aber zugleich stehen sie für einen Neuanfang, in dem das Nachgeborene das Ererbte prüft, sich seiner Orientierungsmarken und Vorbilder neu vergewissert, auf eigenen Füßen zu stehen kommt. Wohlgemerkt muß der Antritt einer neuen Generation kein Bruch sein. Eine neue Generation kann die Stufe einer Evolution markieren, die unspektakulär bereits die alte Generation verändert hat. Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer machen schon insofern nicht alles neu, als sie das Vertragsstaatskirchenrecht2 der Alten Bundesländer ja keineswegs ablösen. Kein Generationswechsel steht zur Debatte, sondern das Hinzutreten einer neuen Generation.

I. Entwicklungsstufen des Vertragsstaatskirchenrechts vor 1990 Um von einer „dritten“ Generation reden zu können3, muß man irgendwo zu zählen beginnen. Die Anfangszäsur dürfte für Deutschland die Trennung von Staat und Kirche 1918 sein. Sie definierte verfassungsrechtlich die Ländern, NVwZ 1996, S. 759; ders., Der Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinde Sachsen-Anhalt, KuR 1998, S. 221 (= Nr. 120, S. 25); ders., Betrachtungen zu den evangelischen Kirchenverträgen in den neuen Ländern, in: Christoph Grabenwarter/Norbert Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 216; Hermann Weber, Der Wittenberger Vertrag – Ein Loccum für die Neuen Bundesländer?, NVwZ 1994, S. 759, gekürzte Fassung in: Herta Däubler-Gmelin/Klaus Kinkel/Hans Meyer/Helmut Simon (Hrsg.), Gegenrede: Aufklärung – Kritik – Öffentlichkeit. Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994, S. 99; ders., Der Thüringer Evangelische Kirchenvertrag, in: Burkhardt Ziemske/Theo Langheid/Heinrich Wilms/Görg Haverkate (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik. Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, 1997, S. 1009; ders., Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, in: Karl-Hermann Kästner/Knut Wolfgang Nörr/Klaus Schlaich (Hrsg.), Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, 1999, S. 463; ders., Der Vertrag des Landes Brandenburg mit der Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg, LKV 2006, S. 9. – Die Vertragstexte bis 2000 sind zusammengestellt bei Guido Burger (Hrsg.), Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern – Textsammlung – Verfassungen und Staatskirchenverträge. Staatskirchenrecht in Polen, Tschechien und Ungarn, 2000 (nicht in jedem Detail zuverlässig). 2 Zur Terminologie Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), Bd. 1, 2. Aufl. 1994, S. 253 (254). 3 Ähnlich bereits Stefan Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005, S. 223, der von „drei historischen Phasen“ spricht, und Axel Vulpius, Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den Neuen Ländern, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission (Hrsg.), Religionsfreiheit, 1996, S. 61 (62): „drei Vertragswellen“.

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wechselseitige Unabhängigkeit, vermöge derer Staat und Kirche einander auf der Ebene eines Staatsvertrags begegnen. Davor waren vertragliche Handlungsformen zwar nicht begrifflich ausgeschlossen, zumal im Verhältnis zu den nicht staatskirchlich eingebundenen, ja selbst zu den unter dem staatskirchlichen Dach etablierten kirchlichen Rechtssubjekten4. Gleichwohl scheint der Gedanke an Staatskirchenverträge eine Form und ein Maß kirchlicher Selbständigkeit zu suchen, das er vor der verfassungsrechtlichen Festschreibung nur im Völkerrecht vorfand5. Das beschränkte die Vertragspraxis notwendig auf die Konkordate mit dem Heiligen Stuhl6. – Noch weiter entfernt von unseren Ansätzen ist das Konkordatsrecht des Mittelalters, das die Entstehung sowohl des modernen Völkerrechts als auch des modernen Staatsrechts noch vor sich hatte. Erst in der Weimarer Republik also konnte eine erste Generation von Staatskirchenverträgen im heute maßgeblichen Sinn entstehen. Die Konkordate der Freistaaten Bayern (29. März 1924), Preußen (14. Juni 1929) und Baden (12. Oktober 1932)7 verwendeten das völkerrechtliche Gewand wei4 Hollerbach, Verträge des Staates mit den evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Dieter Albrecht/Hans Günter Hockerts/Paul Mikat/Rudolf Morsey (Hrsg.), Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, 1983, S. 565 (566); Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, 1981 (Nachdruck 1993), S. 891, 903 f.; Ulrich Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: Heinz Brunotte/Konrad Müller/Rudolf Smend (Hrsg.), Festschrift für Erich Ruppel zum 65. Geburtstag, 1968, S. 312 (= in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, hrsg. von Joseph Listl, 1973, S. 355 [361 m. w. Nachw.]). Strenger noch Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Erste Hälfte: Einleitung und allgemeiner Teil, 1894, S. 236: „Innerhalb der evangelischen Landeskirchen ist durch die Identität der Subjekte von Staats- und Kirchengewalt eine (. . .) Rechtsbildung auf der Grundlage vertragsmäßiger Festsetzungen zwischen beiden Gewalten ausgeschlossen.“ 5 Eingehend zu den Hemmungen des Vertragsgedankens selbst nach dem Übergang von der rechtsunfähigen evangelischen Staatskirche zur rechtsfähigen Landeskirche Johannes Heckel, Der Vertrag des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931, in: Theologische Blätter 11 (1932), Sp. 193 (= in: ders., Das blinde, undeutliche Wort „Kirche“. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Siegfried Grundmann, 1964, S. 572 [572–578]). – Es dürfte dementsprechend kein Zufall sein, daß auch den heute bestehenden Staatskirchensystemen Staatskirchenverträge fremd sind; für England etwa siehe Mückl (FN 3), S. 77. 6 Einen Überblick über die Konkordate des 19. Jahrhunderts gibt Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 8–15 m. Nachw.; siehe dazu aber auch seine Kritik gegen die Einordnung in das Völkerrecht aus einer metakonstitutionellen Perspektive auf die Trennung und Inkommensurabilität von Staat und Kirche, S. 96–106; siehe ferner dens., Artikel „Konkordat“, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 3, 7. Aufl. 1987, Sp. 620; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, 2. Aufl. 1967 (Nachdruck 1990), S. 409 f., 412, 416–450; Bd. II, 3. Aufl. 1988, S. 205; Bd. III, 3. Aufl. 1988, S. 190 f., 195–198, 200–203.

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ter, umkleideten damit aber doch eine neue systematische Funktion der vertraglichen Regelung. Es ging nun darum, nach dem Wegfall der Staatskirchenhoheit und vor dem Hintergrund der Trennung von Staat und Kirche die Erwartungen zu sichern, die beide Seiten einander jeweils entgegenbrachten8. Dieser neue Ansatz konnte und mußte nunmehr paritätisch auch auf die evangelische Kirche erstreckt werden, so daß den genannten Konkordaten jeweils auch ein Kirchenvertrag mit den evangelischen Landeskirchen auf dem Fuß folgte: in Bayern mit einem Abstand von gerade einem guten halben Jahr (15. November 1924), in Preußen nach knapp zwei Jahren (11. Mai 1931), in Baden nach einem Monat (14. November 1932)9. Es war die Zeit der zögernden Entwöhnung von einer Korrelation zwischen 7 „Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern“ vom 29. März 1924, abgedruckt in: Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, Bd. I, S. 289; „Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle“ vom 14. Juni 1929, abgedruckt ebd., Bd. II, S. 709; „Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden“ vom 12. Oktober 1932, abgedruckt ebd., Bd. I, S. 136. Siehe dazu aus der Literatur Dieter Golombek, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929), 1970; Alexander Hollerbach, Streiflichter zur Entstehungsgeschichte der Badischen Staatskirchenverträge von 1932, ZRG 92 Kan. Abt. 61 (1975), S. 324; dens., Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: Gerd Kleinheyer/Paul Mikat (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, 1979, S. 283 (= in: ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Gerhard Robbers, 2006, S. 401); Ernst Rudolf Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, 1930; ders. (FN 4), S. 912–924, 928 f., 930–934; Susanne Plück, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, 1984. 8 Ulrich Stutz, Konkordat und Codex, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, 1930, S. 688 (699), sprach vom System der „vertrags- oder konkordatsgesicherten autonomen Trennungskirche“ als einem „ganz neue(n) Typ des Verhältnisses von Staat und Kirche“ mit „einer Kirche, die nicht mehr als Staats- oder als Landeskirche, sondern als eine von mehreren mit öffentlicher Korporationsqualität ausgestatteten Religionsgemeinschaften im Staate das Rückgrat diesem gegenüber durch einen mit ihm geschlossenen Vertrag gestärkt erhält und sich als vertragsgesichert gegenüber den anderen Religionsgesellschaften, auch denen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechtes anerkannt sind, stark abhebt.“ 9 „Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins“ vom 15. November 1924, abgedruckt in: Listl (FN 7), Bd. I, S. 508; „Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen“ vom 11. Mai 1931, abgedruckt ebd., Bd. II, S. 760; „Vertrag zwischen dem Freistaat Baden und der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens“ vom 14. November 1932, abgedruckt ebd., Bd. I, S. 215. Siehe dazu aus der Literatur Otto Friedrich, Der evangelische Kirchenvertrag mit dem Freistaat Baden mit einer Einführung und Erläuterungen, 1933; J. Heckel, in: Gesammelte Aufsätze (FN 5), S. 572; Hans Liermann, Das evangelische Konkordat, AöR 13 (1927), S. 381; sowie nochmals Hollerbach (FN 7), ZRG 92 Kan. Abt. 61 (1975), S. 324; dens., in: FS Repgen (FN 4), S. 565 (567–573); Huber (FN 4), S. 913–918, 924– 927, 929–934.

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kirchlichem Sonderrecht und staatlicher Sonderaufsicht10, deren Nachklänge man in dieser ersten Generation der Staatskirchenverträge noch ahnen kann11. Das Reichskonkordat vom 20. Juli 193312 schließt sie ab, „janusköpfig“13 zurückblickend auf die Staatskirchenverträge in der Weimarer Republik und vorausblickend auf das zunehmend diskordante Ringen mit der nationalsozialistischen Kirchenpolitik. Die Staatskirchenverträge, die die Länder der alten Bundesrepublik geschlossen haben, beginnend mit dem Loccumer Vertrag vom 19. März 195514, setzen sich als eine zweite Generation von den in der Weimarer Republik geschlossenen Verträgen ab. Ohne Bruch wohlgemerkt mit dem Bestand dieser Altverträge, die ja fortgalten und in deren Regelungsansätze sich die neuen Verträge einfügen konnten15, präsentierte sich das Vertragsstaatskirchenrecht jetzt im Licht der Koordinationslehre als das eigentliche Medium der Rechtskommunikation zwischen Staat und Kirche. Denn die Vorstellung, daß Staat und Kirche einander als gleichursprüngliche und da10 „Korrelatentheorie“: Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933 (Nachdruck 1960), Art. 137 Anm. 5 (S. 636–639); Paul Schoen, Der Staat und die Religionsgesellschaften in der Gegenwart, VerwArch 29 (1922), S. 1 (20 f.); w. Nachw. bei Christoph Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 2000, S. 108. 11 Charakteristisch etwa die Aufzählung der „Gründe für den Vertragsschluß“ in der Regierungsbegründung zum Badischen Kirchenvertrag: „1. Klärung wesentlicher, unklar gewordener rechtlicher Beziehungen“, „2. Verstärkung der verfassungsmäßigen Sicherung der kirchlichen Rechtsstellung“, „3. Berücksichtigung gewisser, im geltenden Recht übergangener Interessen der Vertragsschließenden“, „4. Erfordernis der paritätischen Behandlung der beiden großen Religionsgesellschaften Badens“; abgedruckt in: Listl (FN 7), Bd. I, S. 222 (235). Dem entspricht der Motivbefund – und zwar auf seiten der Gegner wie auf seiten der Befürworter von Staatskirchenverträgen – etwa bei Golombek (FN 7), S. 21–45, 114 f. und passim. Aus der zeitgenössischen Literatur siehe Friedrich (FN 9), S. 34–47, 47–60, 65 f.; J. Heckel, in: Gesammelte Aufsätze (FN 5), S. 572 (578–589); allgemein Hans Liermann, Staat, Kirche und Konkordat, 1931, S. 13 ff.; sowie nochmals Stutz (FN 8), S. 688 (697– 699). 12 Dazu Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, 1972. 13 Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (256). 14 Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955, abgedruckt in: Listl (FN 7), Bd. II, S. 109. 15 Die suggestive Rede von einer Anknüpfung „an vorkonstitutionelle Vorbilder“ bei Ludwig Renck, Anmerkungen zum Vertrag zwischen dem Lande Thüringen und den Evangelischen Kirchen, ThürVBl 1999, S. 6, vergaloppiert sich hier doppelt: Erstens war die Verfassungslage ja durch Art. 140 GG positiv-rechtlich die gleiche wie in der Weimarer Republik, die ihrerseits gerade im Vertragsstaatskirchenrecht nicht an „vorkonstitutionelle Vorbilder“ anknüpfen konnte (s. o.); zweitens meinte man die unter dem Grundgesetz geschlossenen Staatskirchenverträge insoweit vom Weimarer Vorbild lösen zu sollen, als man einen Bedeutungswandel der durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel annahm.

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mit je souveräne und ebenbürtige, prinzipiell gleichgeordnete Gewalten begegnen, entzog das Staat-Kirche-Verhältnis der Regelung durch das staatliche Gesetz und forderte an ihrer Stelle das vertragliche Einvernehmen16. Im Wortlaut des Loccumer Vertrags ist das nicht unbedingt abzulesen, aber in seinem Verständnis durch die Zeitgenossen17. Dem Vorbild des Loccumer Vertrags folgten die evangelischen Kirchenverträge in Schleswig-Holstein (23. April 1957), Hessen (18. Februar 1960) und Rheinland-Pfalz (31. März 1962)18. Bei der Fortschreibung und Ergänzung der Konkordate mit dem 16 Alfred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie, 1965, S. 41; Grundmann, Das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Vertragskirchenrechts, ÖAKR 13 (1962), S. 281 (294, 299 f.) (= in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht, hrsg. von Reinhold Zippelius/Knut Wolfgang Nörr/Wilhelm Steinmüller/Christoph Link/Gerhard Tröger, 1969, S. 298); Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, 1956, S. 62, 72; ders., Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, JöR n. F. 10 (1961), S. 3 (32 f.) (= in: ders., Ausgewählte Schriften, 1984, S. 355); Heiner Marré, Zur Koordination von Staat und Kirche, DVBl 1966, S. 10 (11); Georg May, Der Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Landeskirchen vom 31. März 1962, ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (63); Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Karl August Bettermann/Hans Carl Nipperdey/Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. IV/1, 1960, S. 111 (= in: ders., Religionsrechtliche Schriften, hrsg. von Joseph Listl, 1974, S. 29 [51, 63 f.]); ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik, 1964 (= in: ders., Religionsrechtliche Schriften, ebd., S. 163 [168 f., 179 f.]). Als eine andeutungsweise Vorwegnahme dieser Vorstellung erscheinen Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche (FN 7), S. 55–58, 77–79, 83–85, 209–213; Schoen, Die Rechtsgrundlagen der Verträge zwischen Staat und Kirche und der Verträge der Kirchen untereinander, AöR 21 (1932), S. 317 (341–346, 355–358); Gegenposition: Liermann (FN 9), AöR 13 (1927), S. 381 (390–395, 430 f.). 17 Tastend, den qualitativen Unterschied zu den Verträgen aus Weimarer Zeit herausstreichend Rudolf Smend, Der Niedersächsische Kirchenvertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, JZ 1956, S. 50; außerdem Grundmann (FN 16), ÖAKR 13 (1962), S. 281 (296 f., 299); Hesse (FN 16), JöR n. F. 10 (1961), S. 3 (32–35); May (FN 16), ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (69 f.); Konrad Müller, Der Loccumer evangelische Kirchenvertrag als Spiegel der staatskirchenrechtlichen Lage in der Bundesrepublik, DÖV 1955, S. 421 (422 f.); Werner Thieme, Der Vertrag von Kloster Loccum, DVBl 1955, S. 273 (274); zwischen kirchlicher und staatlicher Perspektive differenzierend, die Koordinationstheorie bestreitend Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (= in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht [FN 4], S. 301 [301–303, 307–311, 318 f., 319–323, 324 f. mit Fn. 81]). Siehe ferner die erst postum herausgegebene Gesamtdarstellung von Erich Ruppel, Kirchenvertragsrecht. Eine Erläuterung des Staatskirchenrechts der neueren Kirchenverträge [1959 ff.], hrsg. von Jürgen Kaulitz/Arno Schilberg, 1996, S. 55–74, 110–115, 123, 134. Die Motivlage der Akteure selbst ist eher von einem atmosphärischen als von einem rechtsdogmatischen Aufbruch bestimmt; sie wird nachgezeichnet bei Hollerbach, in: FS Repgen (FN 4), S. 565 (574–576); Arno Schilberg, Der Loccumer Vertrag. Entstehung und Folgen, in: Klaus Erich Pollmann (Hrsg.), Kirche in den fünfziger Jahren, 1997, S. 89 (96–101, 106 f.).

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Heiligen Stuhl und bei der vertraglichen Regelung einzelner Fragen mit den römisch-katholischen Diözesen mag die kirchenpolitische Pragmatik im Vordergrund gestanden haben19; ihr theoretischer Kontext war gleichfalls noch die Koordinationslehre. Die Staatskirchenverträge der zweiten Generation haben die Staatskirchenrechtstheorie ihrer Entstehungszeit, die Koordinationslehre, allerdings überlebt. Die Koordinationslehre mußte ja der Einsicht weichen, daß es eben doch nicht etwa ein Hoheitsanspruch ist, mit dem die Kirchen der staatlichen Hoheitsgewalt gegenüberstehen, sondern ihre grundrechtlich gewährleistete Freiheit als innerstaatliche Rechtssubjekte. Dieser Umschwung in der Staatskirchenrechtswissenschaft ist besonders auf der Staatsrechtslehrertagung von 1967 mit den Referaten von Martin Heckel und Alexander Hollerbach deutlich geworden20. Die Überwindung der Koordinationslehre stellte das Vertragsstaatskirchenrecht unter neue Prämissen. Es bedurfte einer neuen Begründung gegen den Zweifel, ob sich das Paktieren zwischen Staat und Kirche mit der Einheit der demokratischen Willensbildung vertrage oder ob es demgegenüber nicht vielmehr „demokratisch zumindest suspekt“21 sei. Diese Begründung ist die Staatskirchenrechtslehre nicht schuldig ge18

Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein vom 23. April 1957, abgedruckt in: Listl (FN 7), Bd. II, S. 665; Vertrag des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen in Hessen vom 18. Februar 1960, abgedruckt ebd., Bd. I, S. 802; Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in RheinlandPfalz vom 31. März 1962, abgedruckt ebd., Bd. II, S. 487. Aus der Literatur: nochmals Ruppel (FN 17 – Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hessen); May (FN 16), ArchKathKR 132 (1963), S. 61. 19 Siehe die Darstellung bei Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (260 f.), sowie zeitgenössisch Ruppel, Konkordat und Ergänzungsvertrag zum Evangelischen Kirchenvertrag in Niedersachsen, DVBl 1966, S. 207. – Dabei konnte der Loccumer Vertrag auch die Forderung nach einer katholischen Neukodifikation auslösen, siehe May (FN 16), ArchKathKR 132 (1963), S. 61 (70–74): „Gerade im Fall des niedersächsischen Kirchenvertrages, der in so ausgesprochener Weise die Nähe des Staates zu den evangelischen Kirchen betont, sich gleichsam Arm in Arm mit ihnen zeigt, kann die verletzte Parität nicht mehr bloß durch tatsächliche Gleichbehandlung, sondern nur durch ein förmliches Abkommen wiederhergestellt werden.“ (S. 74). 20 Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 5, besonders 23 f. (= in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von Klaus Schlaich, Bd. I, 1989, S. 402); Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 57, besonders 69 f., 73 f., 78 f. (= in: ders., Ausgewählte Schriften [FN 7], S. 253). 21 So Hermann Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, 1970, S. 50; ähnlich Helmut Quaritsch, Kirchenvertrag und Staatsgesetz, in: Hamburger Festschrift für Friedrich Schack, 1966, S. 125; sowie noch Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69 (80 f.).

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blieben. Sie hat den Staatskirchenvertrag als verfassungsrechtlich zulässiges, verfassungstheoretisch konsistentes und verfassungspolitisch sachgerechtes Instrument in die freiheitsgegründete Sicht des Staatskirchenrechts eingeordnet22. Das Vertragsstaatskirchenrecht der zweiten, der Loccumer Generation hat die Auswechslung seiner Prämissen dementsprechend unbeschadet überstanden. Es gab keinen Anlaß, es politisch oder gerichtlich auf die Probe zu stellen. Es bewährte seine Lebensfähigkeit darin, daß es behutsam fortgeschrieben und ergänzt, nicht zuletzt auch auf kleinere Religionsgemeinschaften ausgeweitet wurde23. Doch sein Impetus zur vertraglichen Kodifikation des Staatskirchenrechts, zum „großen Wurf“ nach Loccumer Vorbild, war zum Abschluß gekommen und schien seine Zeit gehabt zu haben. II. Der Aufschwung des Vertragsstaatskirchenrechts nach 1990 Als 1990 die fünf neuen Bundesländer das Grundgesetz und sein freiheitliches Staatskirchenrecht übernahmen, erwartete mancher wohl, daß sich das Überkommene nun doch bald als überlebt erweisen würde. Das hätte gerade für das Vertragsstaatskirchenrecht so gesehen werden können: Wenn die Verhältnisse, die jenen Impetus zum Abschluß der geltenden Staatskirchenverträge des Loccumer Modells ausgelöst hatten, schon in den Alten Bundesländern als passé24 gelten konnten, wie weit erst waren die soziolo22

Repräsentativ, sein genanntes Grundsatzreferat (FN 20) vertiefend, Hollerbach, Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Ernst Friesenhahn/ Ulrich Scheuner (Hrsg.), HdbStKirchR I, 1. Aufl. 1974, S. 267 (276–282); fortgeschrieben in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (266–272); ferner ders., Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 138 Rn. 60–67. – Diese Deutung konvergiert mit den Impulsen, die das Zweite Vatikanische Konzil der weltweit zu beobachtenden „neuen Konkordatsepoche“ gegeben hat, so Hollerbach, Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts, in: FS Häberle (FN 1), S. 821 (830 f.) (= in: ders., Ausgewählte Schriften [FN 7], S. 445). – Sogar jemand, der die Gründe der neueren Literatur für die Legitimität der Staatskirchenverträge „nur apologetisch und meist nur in Nebenbemerkungen“ findet, muß Hollerbachs „besonders ausführliche Verteidigung“ von diesem Vorwurf ausnehmen: Czermak (FN 21), Der Staat 39 (2000), S. 69 (76 m. Fn. 26). 23 Zusammenfassend m. Nachw. Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (261 f.). 24 Mit entferntem Anklang an Alain Boyer, Le droit des religions en France, 1993, S. 70, Fn. 1: „Le temps des concordats est passé . . .“ Doch hinter diesem Satz steht bezeichnenderweise ein Konkordatsbild, das von ganz anderen Erfahrungen herkommt als von Weimar und Loccum: „la France est un des seuls pays où le chef de l’Etat continue à nommer des évêques, comme c’est le cas pour l’archevêque de Strasbourg et l’évêque de Metz dans le cadre du statut local. L’Eglise se souvient des compromissions avec des Etats totalitaires, facilitées ou entraînées par les concordats. Elle apprécie la liberté que signifie la séparation qu’elle ne rejette plus sur

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gischen Gegebenheiten und politischen Mentalitäten in den Neuen Bundesländern davon entfernt25! In der DDR hatte der Staat die weltanschaulich interessierte gesellschaftliche Ausgrenzung der Kirche, wo sie ihm opportun erschien, als „Trennung“ von Staat und Kirche ausgegeben; auf seiten der Kirche war die Erfahrung staatlicher Übergriffe ein Hindernis für die Vorstellung, für ihr Wirken ein womöglich förmliches Einvernehmen mit dem Staat suchen zu können, ohne die kirchliche Unabhängigkeit zu gefährden. Aus solcher Perspektive hätte das Vertragsstaatskirchenrecht nochmals als Überrest eines volkskirchlichen Überschwangs der altbundesrepublikanischen Nachkriegszeit erscheinen können, der nun durch ein „modernes“, einseitig vom Staat zu setzendes Religionsverwaltungsrecht abzulösen sei26. Um so heller hebt sich davon ab, was stattdessen geschah. Die neuen Landesverfassungen nahmen das grundgesetzliche Staatskirchenrecht nicht nur passiv hin, sondern griffen es aktiv auf und schrieben es mit eigenen Akzenten fort27. Dabei fand auch die Regelung gemeinsamer Belange durch Verträge zwischen dem Land und Religionsgemeinschaften eine ausdrückliche Anerkennung28. Die Praxis hat das flächendeckend in Staatskirchenverträge umgesetzt. Den Beginn machte 1993 (am 15. September) der „Wittenberger Vertrag“ des Landes Sachsen-Anhalt mit den evangelischen Kirchen. Ihm folgten in dichter Reihe noch 1993 (am 1. November) der Vertrag des Freistaats Thüringen mit der Jüdischen Landesgemeinde, 1994 am 20. Januar der „Güstrower Vertrag“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit den evangelischen Kirchen, am 15. März der Vertrag Thüringens mit den evangelischen Kirchen, acht Tage später der Vertrag Sachsen-Anhalts mit der Jüdischen Gemeinschaft, am Tag darauf der Vertrag des Freistaats Sachsen mit den evangelischen Kirchen, am 6. Juni 1994 mit den Jüdischen Gemeinden29. Das sind sieben Verträge in neun Monaten. Mit der le plan dogmatique depuis Vatican II. L’Eglise n’a plus de prétention hégémonique sur la société mais elle veut participer, avoir son mot à dire.“ 25 Weber (FN 1), NVwZ 1994, S. 759 (766) – wiederholt von dems., in: FS Kriele (FN 1), S. 1009 (1034 f.); dems., in: FS Heckel (FN 1), S. 463 (493) – zweifelt deshalb daran, ob das Instrument des Staatskirchenvertrags zukunftsträchtig sei „oder ob ihm durch die geschilderten Veränderungen nicht doch – zumindest für die Zukunft und für die neuen Bundesländer – die in der alten Bundesrepublik vielleicht noch vorhandene Legitimationsgrundlage entzogen“ sei. Einer ist sich dessen ganz sicher: Renck (FN 15), ThürVBl 1999, S. 6 (7, 10, 12). 26 In diese Richtung etwa Czermak (FN 21), Der Staat 39 (2000), S. 69 (83 f., 85); Knut Walf, Wie sinnvoll sind heute noch Konkordate und Kirchenverträge?, in: Puza/Kustermann (FN 1), S. 121 (124–130). 27 Claudio Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999. 28 Die betreffenden Verfassungsbestimmungen sind zusammengestellt bei Hollerbach (FN 1), KuR 1995, 1 (3) = Nr. 120, S. 1 (3). 29 Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt vom 15. September 1993 (GVBl 1994 S. 173); Vertrag zwischen

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römisch-katholischen Kirche wurden in dieser ersten Phase zunächst Bistumserrichtungsverträge geschlossen30. – Weiter ging es am 14. Juni 1996 mit dem Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Jüdischen Landesverband31. Am 2. Juli 1996 folgte das erste Konkordat, der erste Vollvertrag des Heiligen Stuhls mit einem Neuen Bundesland, nämlich dem Freistaat Sachsen32. Am 8. November 1996 schloß auch Brandenburg, der Nachzügler, endlich seinen Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen33. 1997 und 1998 kamen die Konkordate mit Thüringen (11. Juni 1997), Mecklenburg-Vorpommern (15. September 1997) und Sachsen-Anhalt (15. Januar 1998) dazu34. Den vergleichsweise späten Abschluß hat wiederum Brandenburg vollbracht, seiner Nachzüglerrolle treu, mit dem Konkordat vom 12. November 200335 und schließlich mit dem Vertrag mit der Jüdischen Gemeinde vom 11. Januar 200536. dem Freistaat Thüringen und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen vom 1. November 1993 (GVBl S. 758), geändert am 18. Februar 1999 (GVBl S. 252); Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994 (GVBl S. 560); Vertrag des Freistaats Thüringen mit den Evangelischen Kirchen in Thüringen vom 15. März 1994 (GVBl S. 509); Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt vom 23. März 1994 (GVBl S. 795), inzwischen fortgeschrieben im Vertrag vom 20. März 2006 (GVBl S. 469); Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Kirchen im Freistaat Sachsen vom 24. März 1994 (GVBl S. 1253); Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 7. Juni 1994 (GVBl S. 1346). 30 Zusammengestellt bei Anke (FN 1), S. 19 ff.; Texte bei Burger (FN 1). Zu den Bistumserrichtungsverträgen Haering, in: FS Listl (FN 1), S. 761 (767–778). Eine Einzelstudie bietet Christian Halm, Die Errichtung des Erzbistums und der Kirchenprovinz Hamburg durch Vertrag vom 22. September 1994, 2000. 31 Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern mit (sic) dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juni 1996 (GVBl S. 557). 32 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996 (GVBl 1997 S. 18). Vorgestellt von Heitmann (FN 1), NJW 1997, S. 1420; monographisch Korta (FN 1). 33 Vertrag zwischen dem Land Brandenburg und den evangelischen Landeskirchen in Brandenburg vom 8. November 1996 (GVBl I 1997 S. 4). 34 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997 (GVBl S. 266); Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (GVBl 1998 S. 28); Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998 (GVBl S. 161). 35 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 (GVBl I 2004 S. 223), in Kraft getreten am 26. Mai 2004 (vgl. GVBl I S. 390). 36 Vertrag vom 11. Januar 2005 zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg (GVBl I S. 158).

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Damit ist das Verhältnis zwischen den Neuen Bundesländern zur römisch-katholischen Kirche, zu den evangelischen Landeskirchen und zu den Jüdischen Gemeinden binnen weniger Jahre flächendeckend durch Staatskirchenverträge geregelt worden. Berlin hat – mit ähnlicher Verzögerung wie Brandenburg – an diesem neuen Durchbruch des Vertragsstaatskirchenrechts teilgenommen37. Auch die Alten Bundesländer sind zu neuen Verträgen angeregt worden38. Diese Entwicklung nach 1990 ist eine Erfolgsgeschichte des Staatskirchenvertrags als Regelungsinstrument. Das wird durch eine entsprechende Entwicklung in anderen europäischen Ländern, insbesondere auch einigen osteuropäischen Ländern, bestätigt39. 37 Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 19. November 1993 (GVBl 1994 S. 68); Vertrag des Landes Berlin mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 20. Februar 2006 (GVBl S. 715). 38 Chronologisch seit 1990: Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein – Körperschaft des öffentlichen Rechts –, dem Landesverband der Jüdischen Kultusgemeinden von Westfalen – Körperschaft des öffentlichen Rechts – und der Synagogen-Gemeinde Köln – Körperschaft des öffentlichen Rechts – vom 1. Dezember 1992 (GVBl 1993 S. 315), zuletzt geändert am 3. Juli 2001 (GVBl S. 457); Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern vom 14. August 1997 (GVBl 1998 S. 30), zuletzt geändert am 2. August 2003 (GVBl S. 517); Staatsvertrag über die Förderung jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein vom 29. Januar 1998 (GVBl S. 154); Vertrag zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von RheinlandPfalz – Körperschaft des öffentlichen Rechts – vom 3. Dezember 1999 (GVBl 2000 S. 96); Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen vom 11. Oktober 2001 (GBl S. 473); Vertrag der Freien Hansestadt Bremen mit den Evangelischen Kirchen in Bremen vom 31. Oktober 2001 (GBl 2002 S. 15); Vertrag zwischen dem Saarland und der Synagogengemeinde Saar – Körperschaft des öffentlichen Rechts – vom 14. November 2001 (ABl S. 527); Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003 (GBl 2004 S. 151); Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005 (GVBl 2006 S. 436); Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 29. November 2005 (GVBl 2006 S. 430). 39 Aru ¯ nas Baublys, Das Verhältnis von Staat und Kirchen in Litauen, ZevKR 50 (2005), S. 501 (508, 510 f.); Vitalino Canas, Staat und Kirche in Portugal, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, S. 477 (484, 491 f.); Silvio Ferrari, Staat und Kirche in Italien, ebd., S. 229 (233 f., 238 f.); Iván C. Ibán, Staat und Kirche in Spanien, ebd., S. 151 (156–158); Jffllius Filo, Das Verhältnis von Staat und Kirchen in der Slowakei, ZevKR 50 (2005), S. 527 (533 f.); Richard Puza, Stichworte zum Konkordat des Heiligen Stuhles mit Polen, in: ders./Kustermann (FN 1), S. 109; Remigiusz Soban´ski, Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen, in: Burkhard Kämper/Michael Schlagheck (Hrsg.), Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung, 2002, S. 25 (26–30); im Zuge eines umfassenden Rechtsvergleichs Mückl

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III. Die Kontinuität der Vertragsthemen Die Kontinuität dieser dritten Generation von Staatskirchenverträgen mit den vorausgegangenen Generationen erweist sich außer in der Handlungsform auch in den Vertragsinhalten40. Sie greifen den bekannten Kanon der Gegenstände auf: Sie bekräftigen die Verfassungsgarantien der Religionsfreiheit, des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, des Kirchenvermögens und der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsrechte, sie bestätigen und regeln die Erhebung der Kirchensteuer, bereinigen bestehende Staatsleistungen und Baulasten, entflechten die Rechtsverhältnisse an kirchlich genutzten Gebäuden, stimmen die kirchliche Organisationsgewalt mit dem staatlichen Recht ab, bringen kirchliche und staatliche Belange im Schulwesen zum Ausgleich, sichern die Theologischen Fakultäten in ihrem Bestand und ihrer konfessionellen Bindung, regeln die Berücksichtigung der Kirchen im Feiertagsrecht, im Rundfunkrecht, im Sammlungsrecht, im Denkmalschutzrecht, im Stiftungsrecht, im Friedhofsrecht, und so weiter. Daß die neuen Staatskirchenverträge unterhalb dieser äußeren Kontinuität den Prämissenwandel seit Loccum aufnehmen, wird nur an einzelnen Regelungsdetails sichtbar. Hier ist die größere Zurückhaltung mit der „Politischen Klausel“41 und der Verzicht auf den Treueid der Bischöfe42 zu nennen43. Bemerkenswert44 ist etwa auch die Präambel des Güstrower Vertrags (FN 3), S. 63 f. (Italien, Osteuropa), 317–323, 380 (Spanien). – Über die über Europa hinaus auch Lateinamerika, Asien und Afrika erfassende „Konkordatsgeographie“ seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im einzelnen Hollerbach, in: FS Häberle (FN 22), S. 821 (824–829). 40 Hollerbach (FN 1), KuR 1995, S. 1 (4) = Nr. 120, S. 1 (4). 41 Zu ihr kurz und bündig Hollerbach, Artikel „Politische Klausel“, in: Hans Dieter Betz/Don S. Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), Bd. 6, 4. Aufl. 2003, Sp. 1468 m. w. Nachw.; ferner ders., Staat und Bischofsamt, in: Gisbert Greshake (Hrsg.), Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, 1991, S. 51 (54 f., m. w. Nachw. S. 51); Anke (FN 1), S. 374–377; Johnsen (FN 1), ZevKR 43 (1998), S. 182 (204–206). 42 Anke (FN 1), S. 372–374. Allgemein dazu Ulrike Marga Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat, 1994; Hollerbach, Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Richard Bartlsperger/Dirk Ehlers/Werner Hofmann/Dietrich Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat Kirche Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, 1986, S. 193. 43 Für die Zirkumskriptionsverträge Hollerbach (FN 1), KuR 1995, S. 1 (9) = Nr. 120, S. 1 (9). – Zu weiteren Aspekten von Bose (FN 1), LKV 1998, S. 295 (298 f.); Kreß (FN 1); Vulpius (FN 1), JöR n. F. 43 (1995), S. 327 (330–332, 353 f.); Weber (FN 1), NVwZ 1994, S. 759 (764–766). 44 Kritisch Dietrich Pirson, Gegenstand und Rechtsqualität von Verträgen zwischen Staat und Kirche, in: Puza/Kustermann (FN 1), S. 31 (41): „Es besteht die unselige Neigung, zur Würdigung der Kirchenverträge den Blick auf die Formu-

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von 1994, der die Präambel des Loccumer Vertrags von 1955 in neu akzentuierter Form fortführt: Während der Loccumer Vertrag die „gemeinsame Verantwortung für den evangelischen Teil der (. . .) Bevölkerung“ hervorhebt und mit der „Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen“ verknüpft, bekundet der Güstrower Vertrag die „Überzeugung, daß die Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation gebietet“, und würdigt dabei nur die „Bedeutung, die christlicher Glaube, kirchliches Leben und diakonischer Dienst im religiös neutralen Staat für das Gemeinwohl und den Gemeinsinn der Bürger haben“45. – Abgesehen von solchen zwar bemerkenswerten, aber punktuellen Verschiebungen setzen sich die Staatskirchenverträge der dritten Generation inhaltlich nicht auffällig von ihren Vorgängern ab.

IV. Die ratio des Vertragsstaatskirchenrechts der dritten Generation: nicht „Koordination“, sondern Freiheit Vielleicht mußte sich deshalb ein alter Soupçon gegen das Vertragsstaatskirchenrecht noch einmal provoziert fühlen: Stellen diese vertraglichen Beziehungen eine neue Nähe zwischen Staat und Kirche her, fallen sie atavistisch hinter eine fortschrittliche Distanzierung des religiös indifferenten Staates von allem Religiösen zurück, restaurieren und pflegen sie anachronistische Privilegien der sogenannten „Großkirchen“, paktiert hier das staatliche Establishment mit klerikalen Interessen an Macht und Geld? Es wäre verwunderlich gewesen, wenn die neuen Verträge nicht verurteilt worden wären als – um einen notorischen Partisanen gegen die von ihm so genannte „herrschende Lehre“ zu zitieren – ein „Produkt staatskirchenrechtlicher Desorientierung, kirchlicher Anpassungsschwierigkeiten, historischer Unbeweglichkeit und einer Bekenntnispolitik, der der Zugang zu den Voraussetzungen und Implikationen des grundgesetzlichen Bekenntnisrechts schwerfällt“46. lierungen in den Präambeln zu lenken.“ Es geht ihm aber nur darum zu betonen, daß den Vertragspräambeln keine „verfassungsgestaltende Wirkung“ beigemessen werden darf (S. 41–43). Darin ist ihm zuzustimmen. 45 Dazu Frhr. von Campenhausen (FN 1), NVwZ 1995, S. 757 (758); ders. (FN 1), LKV 1995, S. 233 (234). Ähnlich die Beobachtungen von Weber (FN 1), NVwZ 1994, S. 759 (760). – Zur Motivlage siehe beispielsweise Johnsen (FN 1), ZevKR 43 (1998), S. 182; Vulpius, Die Verhandlungen über den Evangelischen Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt vom 15. September 1993, in: Erco von Dietze (Hrsg.), Kirche als grenzüberschreitende Gemeinschaft. Eine Freundesgabe für Dr. Hartmut Johnsen, 1994, S. 29; ders. (FN 1), LKV 1994, S. 277 f. 46 So Renck (FN 15), ThürVBl 1999, S. 6 (12). Seine Gründe teilen ihre Überzeugungskraft mit seiner Prognose, wonach die Staatskirchenverträge den Untergang

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Wer aus dieser Richtung schießt, liegt wahrscheinlich noch in den Schützengräben des Kampfes gegen die theoretischen Überhöhungen der Koordinationslehre bis zu den frühen 1960er Jahren47. Er träfe damit vielleicht das historische Verständnis der Vertragsschlüsse nach dem Loccumer Modell. Er übersieht aber, daß sein Schützengraben längst nicht mehr an der Front ist. Schon das Vertragsstaatskirchenrecht der Loccumer Generation konnte, wie erwähnt, in der Staatskirchenrechtslehre von den Prämissen der Koordinationslehre gelöst werden. Es diente nicht mehr der Kommunikation zwischen „Hoheiten“, sondern der Kommunikation zwischen Hoheit und Freiheit. Wenn auch die Vertragsform es nach wie vor nahelegt, von „Koordination“ zu sprechen, ist deren Gegenstand ein anderer als nach den Vorstellungen der Koordinationslehre: Koordiniert werden eben nicht zwei Hoheitsansprüche, sondern die staatlich-hoheitliche Gemeinwohlverantwortung und das kirchliche Freiheitsinteresse. Hier hat auch das Vertragsstaatskirchenrecht in den Neuen Bundesländern nach 1990 seinen Neuansatz gesucht und gefunden, den wir zum Ausweis der „dritten Generation“ machen können. Es kann als ein allgemeines Merkmal des deutschen Staatskirchenrechts gelten, daß seine Rechtsinstitute sich durch konstruktive Umdeutung an wechselnde Prämissen anzupassen fähig sind. Wesentliche kirchliche Rechtspositionen und Wirkungsmöglichkeiten, welche die Koordinationslehre auf eine kirchliche „Hoheit“ stützen wollte, lassen sich unter dem Grundgesetz bruchlos der kirchlichen Freiheit zuordnen48. Mag zum Beispiel der Religionsunterricht an staatlichen Schulen, nachdem er unter den Prämissen des Staatskirchentums ein Instrument der staatlichen cura religionis gewesen war, unter den Prämissen der Koordinationslehre als eine Teilhabe der Kirche an der Schulhoheit des Staates verstanden worden sein – unter den der „neuen staatsrechtlichen Ordnung des religiösen Lebens“ und eine „neue Isolierung“ der Kirchen bewirken würden (ebd.). 47 Deutlich bei Renck, Der sogenannte Rang der Kirchenverträge, DÖV 1997, S. 929 (932 f.); ders. (FN 15), ThürVBl 1999, S. 6 (8), und öfter. 48 Allgemein Josef Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: FS Listl (FN 1), S. 67 (71 f.): „Weil traditionale Legitimation derzeit keine Erfolgschance hat, bedarf es der funktionalen: aus Lebens- und Leistungsbedürfnissen des heutigen Gemeinwesens. Eine wesentliche rechtsdogmatische Vorleistung einer solchen Legitimation (freilich nicht die Legitimation selbst) liegt in der Interpretation der hergebrachten Einrichtungen des Staatskirchenrechts aus dem Kontext des gegenwärtigen Verfassungsstaates. (. . .) Den Anstoß zu einer solchen Neubewertung gibt Joseph Listl, der das Staatskirchenrecht mit der Religionsfreiheit verknüpft und von diesem Grundrecht her interpretiert. Das Staatskirchenrecht erweist sich als Medium zur Ausübung der Religionsfreiheit, gleichsam sein (sic) institutionelles Gerüst. Damit erhalten die überkommenen Institutionen eine neue raison d’être. (. . .) In dieser Sicht lösen sich grundsätzliche Widersprüche auf, die prima facie aufscheinen mögen.“

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Prämissen eines freiheitsgegründeten Staatskirchenrechts wird er nicht hinfällig, wenn man ihn richtig als Integration der Freiheit zu religiöser Erziehung in den umfassenden staatlichen Erziehungsauftrag erkennt. Mag nun eben auch der Staatskirchenvertrag, nachdem er unter den Prämissen des Staatskirchentums ein Instrument der Privilegierung und unter den Prämissen der Korrelatentheorie ein Instrument fortgesetzter Sonderverbindungen sein konnte, unter koordinationstheoretischen Prämissen als ein Medium der Kommunikation zwischen „Hoheiten“ erschienen sein – unter den Prämissen eines freiheitsgegründeten Staatskirchenrechts bleibt er auch für die Kommunikation zwischen staatlicher Hoheit und kirchlicher Freiheit ein probates Medium. V. Die ratio des Vertragsstaatskirchenrechts der dritten Generation: nicht „Identitätsperpetuierung“, sondern Freiheit Die ratio des Vertragsstaatskirchenrechts ist damit die des Staatskirchenrechts überhaupt. So wie sich an ihr (der ratio der staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen) die Lesarten etwa des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV scheiden49, so scheiden sich an ihr auch zwei mögliche Lesarten des Vertragsstaatskirchenrechts. Als Medium der Kommunikation zwischen staatlicher Hoheit und kirchlicher Freiheit versteht es sich von einem Staatskirchenrecht her, welches religiöse Freiheit um ihrer selbst willen fördert und mit konvergenten und divergenten Gemeinwohlbelangen koordiniert50. Doch von einem Staatskirchenrecht her, welches in einer „verborgenen funktionalen Dimension“ religiöse Freiheit um des Staates willen in den Dienst nimmt, müßte das Vertragsstaatskirchenrecht noch einmal anders gedeutet werden. Um 49 Für eine funktionelle Ausrichtung auf eine optimale Entfaltung der Religionsfreiheit: BVerfGE 102, 370 (387); ferner – unter anderen – Hans Michael Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, S. 265–269, 497; Isensee, in: FS Listl (FN 48), S. 67 (82); Stefan Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, 2004, S. 197–289; Heinrich de Wall, Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Deutschland, in: Kämper/Schlagheck (FN 39), S. 85 (88 f.); Christian Walter, Religionsverfassungsrecht, 2006, S. 562 f., 565 f., 591 f., dort besonders deutlich eingebettet in ein Konzept des „grundrechtsorientierten Religionsverfassungsrechts“, S. 3, 194–201, 242–244, 546 f., 551–554, 605 f., 607–610. – Dagegen für eine funktionelle Ausrichtung auf die „Pflege von Gemeinschaftsinteressen im Bereich des Öffentlichen“, näher die „Stabilisierung und Perpetuierung der kulturellen Identität“ (siehe sogleich im Text) Arnd Uhle, Staat – Kirche – Kultur, 2004, S. 134 f. m. w. Nachw. – In diese Richtung zuvor beispielsweise Christian Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, S. 538 (547); Paul Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 651 (667–669, 682–684). 50 Walter (FN 49), S. 594–605.

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eine solche Indienstnahme geht es, wenn alles, worauf nicht schon die Religionsfreiheit einen Anspruch gibt, als „institutionelle Vergünstigung“ allein dem Zweck der „Pflege und Förderung“, „Stärkung und Erneuerung“ der „abendländischen Kulturidentität“, „der generationenübergreifenden Perpetuierung und Stabilisierung der kulturellen Identität“ zu- und untergeordnet wird51. Für das Vertragsstaatskirchenrecht hieße das: „Durch das Konkordat marschiert die europäische Kulturidentität“52. In einem auf diesen Zweck ausgerichteten Vertragsstaatskirchenrecht ginge es nicht mehr um das eben beschriebene „Rendez-vous“ öffentlicher Gemeinwohlinteressen und kirchlicher Freiheitsinteressen, sondern um ein „do ut des“ zwischen dem Staat als Auftraggeber und der Kirche als Auftragnehmer. In einer solchen Deutung läge eine Gefahr sowohl für die kirchliche Freiheit als auch für die Integrationskraft der staatlichen Gemeinwohlpflege. Die Gefahr für die kirchliche Freiheit ist nicht so offensichtlich, da der Kirche hier nichts gegen ihren Willen aufgedrängt wird. Auch entsprechende Bedingungen für einen Zugang zur vertraglichen Regelung verletzen nicht unmittelbar das Freiheitsrecht der Kirche, denn ein Anspruch auf Vertragsschluß kann daraus nicht abgeleitet werden. Gleichwohl macht es für die Kirche einen Unterschied, ob ihr Freiheitsinteresse als ein opus proprium im Staatskirchenvertrag zur Geltung kommt oder ob es über seinen Nutzen für das opus alienum der „abendländischen Kulturidentität“ wahrgenommen wird, ob es als Zweck oder als Mittel – oder gar als Zahlungsmittel – Gegenstand des Staatskirchenvertrags ist53. Eine Gefahr für die Integrationskraft der staatlichen Gemeinwohlpflege auf der anderen Seite soll nicht etwa prinzipiell darin gesehen werden, daß der Zugang zu besonderen Wirkungsmöglichkeiten durch Gemeinwohlkriterien konditioniert ist: negativ, indem ein gemeinwohlschädlicher Freiheitsgebrauch in seine Schranken gewiesen wird, und positiv, indem einem gemeinwohldienlichen Freiheitsge51 Uhle (FN 49), S. 131–147; die zitierten Formulierungen finden sich – allerdings ohne Bezug auf das Vertragsstaatskirchenrecht – vor allem auf S. 131, 133, 139, 140, 142. Siehe außerdem dens., Freiheitlicher Verfassungsstaat und kulturelle Identität, 2004, S. 454–458: dort wird diese Zweckbestimmung konstruiert aus einem „Staatsziel der Vitalität und Dauerhaftigkeit der freiheitlichen Verfassungsordnung“ (S. 354–406), das aus den Verfassungsschutzbestimmungen abgeleitet, recht kurzerhand in einen auf „Vorsorge“ für des Bürgers „Willen zur Verfassung“ gerichteten „Verfassungsschutz im weiteren Sinne“ ausgedehnt (S. 402 f.) und in einen „Identitätsvorbehalt“ für jegliches fördernde Staatshandeln gewendet wird (S. 420, 439–450). 52 Arnd Uhle, in diesem Band, S. 33 (58), in Abwandlung eines Zitats von Stutz (FN 8), S. 706 (über die Konkordate nach 1917: „Auch in ihnen und durch sie marschiert der Codex.“). 53 In die gleiche Richtung für den öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus Isensee, in: FS Listl (FN 48), S. 67 (82 f.).

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brauch ein besonderer Entfaltungsraum eröffnet und vorbehalten wird. Die Förderung des Gemeinwohldienlichen ist notwendig selektiv und im Ergebnis auch exklusiv. Aber was um eines unmittelbaren Gemeinwohlnutzens willen förderungswürdig ist, sind bestimmte Leistungen, nicht ihre Motivation54 und nicht ihre Träger als solche. Die Motivation und die sozio-kulturellen Antriebe für gemeinwohlorientiertes Handeln lassen sich zu den Voraussetzungen zählen, von denen der Verfassungsstaat lebt, die er aber nicht schaffen oder garantieren kann, ohne seine Freiheitlichkeit zu verlieren55. Man mag das, was hier wirkt, in einer Formel wie der „abendländischen“ oder „europäischen Kulturidentität“ zusammenfassen. Der Staat aber vergäße die berühmte Unzugänglichkeit seiner Voraussetzungen, wenn er unmittelbar die „Perpetuierung und Stabilisierung der abendländischen Kulturidentität“ zum Fördergegenstand und Selektionskriterium machte. Der Staatskirchenvertrag dient deshalb nicht dazu, die vertragsschließende Kirche als „Kulturträger“, ihre Lehre und ihren Glauben als kulturellen Motivationsfaktor aufzuwerten, die Kirche gleichsam „ad personam“ als Agentin des Gemeinwohls öffentlich auszuzeichnen. Das geschieht in der Staatskirchenvertragspraxis ja auch nicht. Es werden bestimmte Absprachen über bestimmte Belange getroffen56. Nur teilweise haben diese Absprachen Gemeinwohlinteressen unmittelbar zum Gegenstand. Überwiegend zielen sie darauf, für bestimmte Berührungsfelder kirchlichen Handelns mit Gemeinwohlinteressen die Verantwortungsbereiche gegeneinander abzugrenzen. Soweit es darum geht, die Möglichkeiten gemeinwohldienlichen Wirkens über die bloße Freiheitsgewährung hinaus zu fördern, ist zwischen dem, was der Kirche vertraglich gesichert wird, und dem, was sich der Staat für 54 Insoweit übereinstimmend Uhle (FN 49), S. 142, der andererseits doch nicht umhinkann, für den „Zutritt zu den institutionellen staatskirchenrechtlichen Vergünstigungen“ zu fordern, daß die Religionsgemeinschaft unter anderem „bereit“ ist, „die für das Verhältnis von Kirche bzw. Religion und Staat konstitutiven Grundsätze – Religionsfreiheit, säkulares Welt- und Staatsverständnis, verfassungsstaatliche Neutralität und Parität – unzweideutig zu stärken und generationenübergreifend zu erneuern“ (S. 146 f.) – das ist mehr als eine „tatsächliche“ Wirkung ihres Handelns. 55 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien, Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, S. 75 (= in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2006, S. 92 [112] sowie in: ders., Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit, 2004, S. 213 [229]): „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ 56 Hollerbach (FN 1), KuR 1995, S. 1 (11) = Nr. 120, S. 1 (11): Es „dürfte eher der Vertrag als Element der konkreten Verständigung bis ins Detail hinein im Vordergrund stehen, ferner auch der Gesichtspunkt der förmlichen Anerkennung von Institutionen, die sich nicht dem Staat verdanken, sondern die ihr die säkulare Dimension überschreitendes Proprium haben.“

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das Gemeinwohl davon erwartet, ein unmittelbarer sachlicher Konnex ablesbar: Gefördert wird eben ein bestimmtes Tun um seiner bestimmten Wirkungen willen. Im übrigen aber ist Regelungsgegenstand die Verwirklichung kirchlicher Freiheit: Sie wird zum einen um ihrer selbst willen gegen Umdeutung, Mißachtung und Derogation gesichert, zum anderen um der staatlichen Gemeinwohlverantwortung willen an Maßgaben für ihre verträgliche Ausübung gebunden. Die einvernehmliche Regelungsform bewahrt gerade im Hinblick auf diese Maßgaben den Staat vor Übergriffen aus Unkenntnis des kirchlichen Selbstverständnisses, indem sie ihn einer authentischen und zugleich verläßlichen Artikulation des kirchlichen Selbstverständnisses vergewissert. So entfaltet der Staatskirchenvertrag seine Absicherungs-, Kooperations-, Förder- und Verpflichtungsfunktion57 um der gemeinwohlverträglichen und gemeinwohldienlichen Verwirklichung kirchlicher Freiheit willen. Es ist damit keineswegs in Frage gestellt, daß die staatskirchenvertragliche Gewährleistung und Förderung kirchlichen Wirkens generell mit Erwartungen für das Gemeinwohl verbunden ist58: Wenn die Kirche ihr opus proprium treibt, das Evangelium verkündigt und dem Nächsten dient, wird sie zur kulturellen Identität des Gemeinwesens, zu Bürgersinn und verantwortlicher Weltgestaltung beitragen. Doch diese Erwartungen müssen aus dem Blickwinkel des Staates über die religiöse und kirchliche Freiheit vermittelt bleiben, sie müssen beim öffentlichen Interesse am Freiheitsgebrauch als solchem haltmachen. Für sie gilt somit nichts prinzipiell anderes als für die Erwartungen an den öffentlichen Gebrauch der Meinungsfreiheit für den demokratischen Diskurs, an den Gebrauch der Freiheit zu Ehe und Familie für eine gedeihliche Mikrostruktur und die generative Zukunft unserer Gesellschaft, an den Gebrauch der Berufs- und Eigentumsfreiheit für ihr wirtschaftliches Wohlergehen, an den Gebrauch der Wissenschaftsfreiheit für ihre Aufgeklärtheit. Die Funktionalisierung der Freiheit durch den Staat für das Gemeinwohl würde ihr den Charakter als Freiheit nehmen, sie ihrem Eigensinn entfremden und so Gefahr laufen, sie in paradoxer Fehlwirkung gerade für die an sie gerichteten Verfassungserwartungen unfruchtbar zu machen. Nur mittelbar also, nur über die kirchliche Freiheit vermittelt59, kann sich die ratio staatskirchenvertraglicher Kirchenförderung auf das kulturstaatliche und republikanische Gemeinwohl richten. 57 So differenziert bei Anke (FN 1), zunächst aufgezählt, S. 62 f., dann jeweils erläutert, S. 68–217, 218–315, 316–352, 353–404. 58 Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, Essener Gespräche 25 (1991), S. 104. 59 Für die religiöse und kirchliche Freiheit: Heinig (FN 49), S. 262–265, 269 f.; Magen (FN 49), S. 153–189; de Wall, in: Kämper/Schlagheck (FN 49), S. 85 (86);

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VI. Der Beitrag einer freiheitsbezogenen Deutung des Vertragsstaatskirchenrechts zu seiner dogmatischen und praktischen Bewährung In seiner freiheitsbezogenen Deutung wird das Vertragsstaatskirchenrecht seine Bewährungsproben am besten bestehen. Seine dogmatische Bewährungsprobe ist nach wie vor die Frage nach der Bindung des Gesetzgebers. Alexander Hollerbach antwortet darauf mit der „rechtspolitischen Forderung“ nach einer „klaren rangbestimmenden Verfassungsnorm“, die erst der „Eigenart und spezifischen Funktion des Staatskirchenvertragsrechts“ gerecht würde60. Zu Recht lehnt Hollerbach den sonst meistens beschrittenen Ausweg ab, dualistisch zwischen der staatsrechtlichen Ungebundenheit und der vertragsrechtlichen Gebundenheit des Gesetzgebers zu unterscheiden, wonach der Gesetzgeber sich über den Vertrag hinwegsetzen könne, aber nicht dürfe61. Dieser Unterscheidung steht die notwendige Einheit des Rechtsschlusses innerhalb des normativen Stufenbaus im Verfassungsstaat entgegen. Deshalb kommt es darauf an, die Vertragsbindung des Gesetzgebers in seinen verfassungsrechtlichen Bindungen zu verankern. Wo die Verfassung sie nicht in einer besonderen Regelung zum Ausdruck bringt, kommt es auf die Erschließung einer ungeschriebenen Verfassungsnorm mit den Methoden der Verfassungsauslegung an. Hierbei spielt die Teleologie des Vertragsstaatskirchenrechts eine entscheidende Rolle: Eine staatsbezogene Einordnung des Vertragsstaatskirchenrechts wird für eine Bindung des Gesetzgebers keinen Grund sehen können; im Gegenteil muß die Förderung der Kirchen als Kulturstabilisatoren in seiner Disposition bleiben. Demgegenüber bietet die freiheitsbezogene Deutung des Vertragsstaatskirchenrechts den Durchgriff zur Bindung des Gesetzgebers an Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht (zusätzlich zu den besonderen Garantien der Vertragsbindung, wie sie aus den Landesverfassungen62 ableitbar sind). Vielleicht wird man nicht die Bindung an die Vertragsform als solche Walter (FN 49), S. 552 f. – Im Ansatz ebenso Isensee (FN 58), Essener Gespräche 25 (1991) S. 104 (111 f., 114, 118–120, 122 f.). 60 Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (277); in feinen Nuancen entwickelt: ders., Verträge (FN 6), S. 160: „Primat des Vertragsrechts“; ders. (FN 20), VVDStRL 26 (1968), S. 57 (83 f.): „jedenfalls als rechtspolitische Forderung“. Verkannt von Renck (FN 47), DÖV 1997, S. 929 (937); andeutungsweise eingeordnet von Czermak (FN 21), Der Staat 39 (2000), S. 69 (72). 61 Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht (FN 4), S. 355 (368–372); Frhr. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 147. Kritisch dagegen Hollerbach (FN 20), VVDStRL 26 (1968), S. 57 (82 f.); ders., in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (276 f.). 62 Siehe oben bei FN 28.

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im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht verankern können63, aber doch die Bindung an die freiheitsbezogenen, freiheitssichernden und freiheitsgestaltenden Vertragsregelungen. Eine praktische Bewährungsprobe des Vertragsstaatskirchenrechts ist die Veränderung der geregelten Verhältnisse. Um sie zu bewältigen, ist nichts anderes gefragt als eine methodengerechte Anwendung des Vertragsrechts einschließlich seiner Vollzugs- und Anpassungsinstrumente, sodann unter Umständen eine besonnene Vertragsfortschreibung, beides unter dem Primat der Vertragsbindung. Welche Herausforderungen damit verbunden sein können, erweist sich auch schon im jungen Vertragsstaatskirchenrecht der Neuen Bundesländer. Zu denken ist hier an die Veränderung der Verhältnisse, welche dem Staatsvertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinschaft zugrundegelegt worden waren. In der Annahme, man werde es immer mit jüdischen Einheitsgemeinden zu tun haben, die die verschiedenen Richtungen des Judentums integrieren, hatte man die Teilhabe an der vertraglichen Förderung des jüdischen Gemeindelebens schlicht an das Tatbestandsmerkmal „jüdisch“ gebunden. Als es anders kam und eine neuentstandene Gemeinde ein abweichendes Verständnis des „Jüdischen“ geltend machte, wankte die Geschäftsgrundlage des Vertrags. Die Diskrepanz zwischen den Förderabsichten des Staates und der beschränkten Integrationskraft seines Vertragspartners wurde vom Bundesverwaltungsgericht notdürftig überdeckt, indem es dem, was der jüdische Vertragspartner für „jüdisch“ hielt, einen von Staats wegen erfundenen, empirischen Begriff des „Jüdischen“ entgegensetzte64. Das würde zu jenem Staatskirchenrechtsverständnis passen, das 63 So der Ansatz von Anke (FN 1), S. 204–210, jedenfalls für die „Bindungen bei Eingreifen des staatlichen Kompetenzvorbehalts“. Die diesem Vorbehalt wiederum vorausliegende Vertragsbindung des Gesetzgebers leitet er hingegen noch daraus ab, daß die Verfassung mit der Entscheidung für „staatsvertragliche Bindungsmöglichkeiten“ eine „Kollisionsentscheidung“ getroffen habe (S. 189–192). Daß dies unmittelbar aus der Übernahme des Staatskirchenrechts der Weimarer Reichsverfassung herausgelesen werden könnte (S. 24), bedürfte aber noch einer näheren Begründung. – Einen überlegenswerten Ansatz bei der Selbstbindung des Gesetzgebers kraft Vertrauensschutzprinzips entwickelt David Wengenroth, Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, 2001, S. 189–192; in die gleiche Richtung auch Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 (303, 305 f.). 64 BVerwGE 116, 86. Dafür erntete es den Beifall fast der gesamten Staatskirchenrechtswissenschaft: Hartmut Maurer, JZ 2002, S. 1104; Frhr. von Campenhausen, Rechtsprobleme der Grundrechtsförderung jüdischer Gemeinden durch staatliche Leistungen, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 67 (73–77); Vulpius, Charakter einer jüdischen Gemeinde, LKV 2004, S. 496 f.; Weber,

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die institutionelle Förderung des religiösen Lebens von der Selbstbestimmung seiner Träger absetzt. Wer dagegen die ratio des Vertragsstaatskirchenrechts in der Kommunikation zwischen staatlicher Gemeinwohlförderung und religionsgemeinschaftlicher Selbstbestimmung erkennt, der wird eine solche Diskrepanz zwischen beidem anders auflösen. Er wird fordern, daß die Vertragsbeziehungen den veränderten Verhältnissen angepaßt werden. Der paritätische Zugang zur unveränderten Förderung des Staates muß so definiert werden, daß er nicht über die Selbstbestimmung eines anderen Vertragspartners hinweggeht. Im genannten Fall hat sich inzwischen die Stärke des Vertragsstaatskirchenrechts darin gezeigt, daß eine auch für die Zukunft tragfähige Lösung in einer Vertragsanpassung gesucht worden ist65; zwar war das politisch mühsam aufgrund der gegebenen Umstände, zwar lehnen sich die Änderungen auch so sehr an die durch die Rechtsprechung vorgegebene Vertragsauslegung an, daß sie mit der Behebung des einen Problems wohl zwei neue entstehen lassen könnten – aber letztlich wird sich auch in diesem Vorgang das Instrument des Staatskirchenvertrags bewährt haben. Ein anderes Beispiel für die praktischen Herausforderungen, die sich dem Vertragsstaatskirchenrecht in den Neuen Bundesländern stellen, sind Strukturveränderungen unter den evangelischen Landeskirchen. Die evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen haben eine Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland (EKM) gebildet, die einen wachsenden Bestand an Aufgaben beider Landeskirchen übertragen bekommt und vielleicht einmal zu einer neuen, vereinigten Landeskirche in Mitteldeutschland erstarken wird. In Mecklenburg und Pommern wird ebenfalls über einen Zusammenschluß der evangelischen Landeskirchen nachgedacht. Die künftige kirchliche Organisationsgestalt wird im Wege der Rechtsnachfolge ohne weiteres in die Vertragsbeziehungen eintreten. Aber es kann auch Anlaß geben, über eine Vertragsfortschreibung nachzudenken. Staatsleistungen an jüdische Religionsgemeinschaften, in: Lerke Osterloh/Karsten Schmidt/ders. (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung. Festschrift für Peter Selmer zum 70. Geburtstag, 2004, S. 259 (283). – Gebunden sah sich das OVG LSA, LKV 2006, S. 36 (37). Nachspiel: BVerwG, LKV 2006, S. 35 f.; BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 2 BvR 1348/05 – (Nichtannahme ohne Gründe). – Vereinzelt geblieben ist die Gegenstimme: Michael Germann, DVBl 2002, S. 988; de Wall/ Germann, Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Art. 32 Verf. LSA), in: Michael Kilian (Hrsg.), Verfassungshandbuch Sachsen-Anhalt, 2004, S. 542 (569–571); noch anders Claus Dieter Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Grundrechtsordnung, 2003, S. 129 f.; darauf wiederum Germann, Der Staat 43 (2004), S. 491 (495). 65 Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt vom 20. März 2006 (GVBl S. 469).

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Der Gedanke an vertragliche Neuerungen beschwört zuweilen die Sorge um das Erreichte herauf. Das Denken in politischen Kategorien fördert das Gefühl, daß ein Staatskirchenvertrag etwas Einmaliges ist. Man rechnet ihn gerne einem besonderen historischen Augenblick zu, in dem das Parlament – je nach politischem Standort des Betrachters – entweder dieses eine Mal schwach geworden sei oder aber den unwiederholbaren Kairos genutzt habe. Das ist aus politischer Sicht verständlich und realistisch. Aber die Einsicht in die freiheits- und gemeinwohloptimierende Funktion des Staatskirchenvertrags sollte ihn belastbarer machen. Sie kann dazu beitragen, daß der Abschluß und die Anpassung von Staatskirchenverträgen die Aura des Außergewöhnlichen ablegen und zu Routinevorgängen66 werden, ohne daß sich die eine Seite zum Terraingewinn herausgefordert und die andere Seite von Verlustangst befallen fühlt. Zu den praktischen Bewährungsproben des Vertragsstaatskirchenrechts in den Neuen Bundesländern kann man noch einmal besonders die Aufgabe rechnen, die unter dem DDR-Recht verwahrlosten bürgerlichen Rechtsverhältnisse der Kirchen in die Rechtssicherheit zu überführen. Vor diesem historischen Hintergrund gewinnen unter anderem diejenigen Artikel der Staatskirchenverträge dritter Generation ein besonderes Profil, die die altrechtlichen Staatsleistungsansprüche konsolidieren und bereinigen. Wie wichtig das ist, zeigt die Rechtsprechung zu kommunalen Altverbindlichkeiten. Danach sollen alle Ansprüche gegen frühere kommunale Rechtsträger in der DDR durch den Neuaufbau der kommunalen Selbstverwaltung im Mai 1990 nachfolge- und entschädigungslos gestrichen worden sein67. Ohne jede Differenzierung nach der Herkunft der Ansprüche, ohne Rücksicht auf das Bekenntnis des Nachwende-Gesetzgebers zu Rechtsstaat und Eigentumsschutz, ohne Bemühung um eine konsistente Auslegung der Kontinuitäts- und Überleitungsregelungen, ohne Reflexion auf die Prämissen der späteren Landesverfassungen und Staatskirchenverträge unterstellt der Bundesgerichtshof eine mitgiftreiche, aber schuldenfreie Schaumgeburt der Kommunen auf der einen, eine heimliche und entschädigungslose Enteignung der Altgläubiger auf der anderen Seite. Davon sind gegebenenfalls auch kirchliche Altgläubiger betroffen. Es bleibt zu hoffen, daß die weitere Entwicklung der Rechtsprechung durch eine differenzierte Analyse von Rechtsnachfolgetatbeständen wieder die Tür zu rechtsstaatlicher Kontinuität findet. Für einige Altrechtsverhältnisse immerhin haben Staatskirchenverträge Rechtssicherheit geschaffen. Wenn absehbar gewesen wäre, wie weit 66 Im Sinne der „alltäglichen Rechtswirklichkeit“, der vertragliche Abmachungen zwischen Staat und Kirche zugehören: Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 2), S. 253 (263). 67 BGHZ 127, 285; BGH, LKV 1997, S. 303; BGH, SächsVBl 2006, S. 211; BGHZ 164, 361; 165, 159.

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sich die Rechtsprechung noch einmal von der rechtsstaatlichen Kontinuitätsgewähr entfernen würde, hätten die Staatskirchenverträge ihre Kontinuitätsprämissen in der Vertragsgestaltung vielleicht breiter befestigt. VII. Die Zukunftsfähigkeit eines freiheitsbezogenen Vertragsstaatskirchenrechts Die Staatskirchenverträge der dritten Generation beleben die Grundidee des Vertragsstaatskirchenrechts, religiöse Selbstbestimmung und öffentliches Gemeinwohl miteinander zu optimieren. Sie tritt im gesellschaftlichen Kontext der Neuen Bundesländer besonders klar hervor: Die vertragliche Kommunikation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften um der Freiheit und des Gemeinwohls willen ist nicht an einen soziologischen Bestand ungebrochener „volkskirchlicher Verhältnisse“ gebunden68, sie ist der Konsistenzprobe säkularer Staatlichkeit gewachsen und auf die Bewältigung von Veränderungen angelegt. Mit diesen Merkmalen legen die Staatskirchenverträge in den Neuen Bundesländern vielleicht die Spur zu einem neuen Bewährungsfeld der vertraglichen Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, nämlich zu einer vertraglichen Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und muslimischen Gemeinden oder Verbänden. Sie stößt bekanntlich auf das Problem, daß die Muslime in Deutschland noch keine vertragsfähigen Körperschaften auf Landes- oder gar Bundesebene ausgebildet haben. Einen demgegenüber vielversprechenden Anfang unternimmt derzeit die Landeshauptstadt Wiesbaden, indem sie kommunale Integrationsvereinbarungen mit den sich vor Ort organisierenden Muslimen anstrebt. Wenn sich muslimische Gemeinden zusammenfinden, um Rechtssubjektivität im Vertragsverhältnis auszubilden, so könnte ein solches Vertragsrecht die religionsgemeinschaftliche Selbstorganisation der Muslime „von unten nach oben“ anstoßen. Mit diesem Anstoß könnte es etwas weitreichendes zur Integration des Islam in die Formen des deutschen Staatskirchenrechts beitragen. Damit erwiese es die Integrationskraft des freiheitlichen Staatskirchenrechts überhaupt – und dürfte eine „vierte Generation“ des Vertragsstaatskirchenrechts genannt werden.

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Hollerbach (FN 1), KuR 1995, S. 1 (11) = Nr. 120, S. 1 (11 f.).

Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit? Überlegungen zu Grund und Grenzen in rechtsvergleichender Perspektive Von Ansgar Hense

A. Das deutsche Staatskirchenvertragsrecht zwischen Routine und neuer Herausforderung: Der Islam in der Bundesrepublik Deutschland „Die Grundentscheidungen der Nachkriegszeit werden in allen Gegenwartsgesellschaften revidiert, aber die politische Kultur verläuft, was ihre Problemwahrnehmungen und Ordnungsauffassungen betrifft, immer noch in den Bahnen, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Errungenschaften der verschiedenen Nachkriegsgenerationen ausgestaltet haben“1. Dieses Zitat des Soziologen der „Generation Berlin“2, Heinz Bude, erweckt – auf das Recht der Staatskirchenverträge bezogen – den Anschein, dieses Handlungsinstrument alt aussehen zu lassen. Daß Staatskirchenverträge sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg als auch bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit ein probates, zeitadäquates Instrument gewesen sind3, hat als wissenschaftlicher Begleiter Alexander Hollerbach immer wieder nachweisen können4. Die drei „Generationen“ des bisherigen Vertragsstaatskirchen1

Heinz Bude, Das Altern von Institutionen, in: Joachim Fischer/Hans Joas (Hrsg.), Kunst, Macht und Institution. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, 2003, S. 221. 2 Bude, Generation Berlin, 2001. 3 Als Überblicksdarstellungen seien nur genannt: Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 270 ff.; Axel Frhr. von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 141 ff.; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2006, Rn. 60 ff. Dezidierte Gegenposition dazu aber: Ludwig Renck, Rechtsstellungsgesetze für Bekenntnisgemeinschaften, ZRP 2006, S. 87. Zur neueren Entwicklung in Deutschland nach 1989 grundlegend insbesondere Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, 2000. 4 Vgl. nur Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965; ders., Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Ulrich Scheuner/Ernst Friesenhahn (Hrsg.), Handbuch des

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rechts5, die bis jetzt die flexible Kontinuität und evolutive Anpassungsfähigkeit des Vertragsrechts im Verhältnis von Staat und Kirche markieren, stehen aktuell vor einer weiteren Herausforderung, die Michael Germann zu Recht als mögliche „vierte Generation“ des Vertragsstaatskirchenrechts bezeichnet: Verträge mit Muslimen. Solche Vereinbarungen des Staates mit islamischen Organisationen sind aktuell noch keine Wirklichkeit, sondern werden erst vorsichtig als Handlungsoption diskutiert. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hat bei den Jubiläen „50 Jahre Loccumer Vertrag“ und „40 Jahre Niedersächsisches Konkordat“ sowie in einem Buch einen Staatsvertrag mit den Muslimen gefordert6. Jüngst ist ihm der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Ole von Beust, darin gefolgt, nachdem die in Hamburg lebenden Muslime einen solchen Vertrag angeregt hatten7. Ministerpräsident Wulff geht davon aus, daß sich ein Dialog nur dann ergebe, wenn man sich auf gleicher Augenhöhe begegne8. Er ist der Auffassung, daß die etablierte Mehrheit sich nicht nur auf ein Dulden beschränken oder das Entgegenkommen auf einen bestimmten Punkt begrenzen könne. Andererseits dürfe im Gegenzug die muslimische Minderheit nicht darauf beharren, ihre Tradition aus den Herkunftsländern ohne Aufmerksamkeit für das neue Umfeld und ohne Anpassungsbereitschaft einfach nur zu reproduzieren9. Wulff hält den Vertragsweg unter dem Leitgesichtspunkt eines „in Freiheit verbunden(seins)“ für ein erfolgreiches Modell, das ebenfalls mit einer „muslimischen Glaubensgemeinschaft“ eingegangen werden könne, wenngleich er einräumt, daß bisher der autorisierte Staatskirchenrechts (HdbStKirchR), Bd. 1, 1. Aufl. 1974, S. 215; ders., Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Dietrich Pirson/Joseph Listl (Hrsg.), HdbStKirchR I, 2. Aufl. 1994, S. 253; ders., Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, KuR 1995, S. 1; ders., Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Alexander Blankennagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 821. 5 So die plastische Kennzeichnung und Analyse von Michael Germann, Die Staatskirchenverträge der neuen Bundesländer, in diesem Band, S. 91. 6 Karl Hugo Pruys/Christian Wulff, Deutschland kommt voran, 2006, S. 145 ff. 7 Vgl. die kurze Notiz in: FAZ Nr. 232 vom 6. Oktober 2006, S. 6. – Ein solches Abkommen, das die Beziehungen des Bundeslandes Hamburg zu seinen Muslimen verbindlich regeln soll, hat Ramazan Ucar anläßlich des Iftar-Empfangs des Bündnisses der islamischen Gemeinden in Norddeutschland e. V. am 4. Oktober 2006 vorgeschlagen (http://www.big-nord.de, Zugriff am 8.12.2006); eine Initiative, die der Hamburger Erste Bürgermeister durchaus positiv aufgenommen hat. Das Thema war auch Gegenstand eines vom Hamburger Forum christlicher Juristen unter Leitung des Diözesanjustitiars Schmiemann am 22. Januar 2007 veranstalteten Fachgesprächs. 8 Pruys/Wulff (FN 6), S. 147. 9 Pruys/Wulff, ebd.

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Ansprechpartner dafür fehle10. Auch der nordrhein-westfälische Landtag beschäftigte sich schon 2004 mit den rechtlichen Voraussetzungen eines Vertrages mit den muslimischen Verbänden11. Die Landtagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen hatte gefordert, daß sich alle muslimischen Glaubensgemeinschaften und ihre Mitglieder in ein (zentrales) Moscheeregister eintragen sollten, um dadurch eine Repräsentanz aller Muslime in Nordrhein-Westfalen zu kreieren, mit der u. U. eine vertragliche Vereinbarung geschlossen werden könne. Schließlich projektiert auch die als Prozeß institutionalisierte Islam-Konferenz unter der Leitung des Bundesinnenministers eine Vereinbarung des Staates mit den Muslimen. Anfangs sollte das Ergebnis des Gesprächsprozesses in einen „Gesellschaftsvertrag“ münden, der zentrale Fragen des Zusammenlebens zwischen deutscher Aufnahmegesellschaft und der muslimischen Bevölkerung Deutschlands regelt. Mittlerweile ist der Gesellschaftsvertrag durch den weniger ambitionierten Topos eines breit angelegten Konsenses12 ersetzt worden, an dessen Ende nach wie vor wohl das Ziel einer vertraglichen Übereinkunft steht13, ohne daß zu Beginn des Kommunikationsprozesses genaue Vorstellungen über deren Möglichkeit und präzise Zielsetzung bestehen14. Angesichts multireligiöser Differenzierung15 kann eine „sinnstiftende Unruhe“16 festgestellt werden, die die Zukunftsfähigkeit17 und Flexibilität 10

Pruys/Wulff, ebd., S. 148. Auf die Frage, was zu einem Vertrag mit den Muslimen benötigt werde, antwortet Wulff, daß ein autorisierter, repräsentativer Verhandlungs- und Vertragspartner erforderlich sei, mit dem ein grundlegender Staatsvertrag im Land geschlossen werden könne und mit dem die Lehrpläne und die Lehrerausbildung beraten werden könnten, ebd., S. 149. 11 Grundlegend dazu das Rechtsgutachten im Auftrag des parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienstes von de Wall, Die Zukunft des Islam in der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und Nordrhein-Westfalens, Dezember 2004 (http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_I/I.5/PBGD/Archiv_ Veroeffentlichungen_der_13.WP / Islam / Zukunft_d.Islam_i.d.staatl._Ordnung,_Dez 2004.pdf). 12 Bemerkenswerte Kritik: Karl-Heinz Bohrer, Der Konsens-Staat, in: MERKUR 56 (2002), Heft 639, S. 623. 13 Zum theoretischen Verhältnis von Konsens und Vertrag Axel Tschentscher, Der Konsensbegriff in Vertrags- und Diskurstheorien, Rechtstheorie 34 (2002), S. 43. 14 Bemerkenswert Patrick Bahners, Formsuche – Nach der Konferenz: Ein Konkordat mit dem Islam?, in: FAZ Nr. 226 vom 28. September 2006, S. 37. 15 Aufschlußreich das vom Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Volkhard Krech) betreute Projekt zur religiösen Pluralität im Bundesland Nordrhein-Westfalen („Religion plural“); siehe dazu die Homepage: http://www.religion-plural.org. 16 In Anlehnung an Georg Essen, Sinnstiftende Unruhe im System des Rechts, 2004. 17 Josef Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: ders./Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staat, was des Staates ist – der

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des deutschen Staatskirchenrechts auf eine Probe stellt und sich nicht nur terminologisch auswirkt18. Nicht wenige sehen das Staatskirchenrecht an einem Scheideweg19. Gerade die große Gruppe der Muslime in der Bundesrepublik und die spezifischen religionsrechtlichen Fragen, die sich aus deren Präsenz ergeben – was sich nicht zuletzt an den Gerichtsentscheidungen zum Kopftuch oder zum Schächten zeigt –, werfen erhebliche Fragestellungen auf20, die bestehende Ordnungsmuster und -konfigurationen auf ihre „flexible Kontinuität“21 hin austesten und ggf. neu verorten lassen. Die Herausforderung an die staatskirchenrechtliche Ordnung des Grundgesetzes stellt sich aber nicht nur aus der Perspektive dieser Bevölkerungsgruppe, die sich in einer Minderheitenposition befindet und durch nicht unerhebliche Empfindlichkeiten bei ihren Religionsanhängern geprägt ist, sondern manifestiert sich auch in dem Umstand, daß die Bundesrepublik Deutschland eher einem „volkskirchlichen Missionsland“ (Ivo Zeiger) gleicht22 und Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, 1999, S. 67. 18 Zu der von Peter Häberle und Paul Mikat schon in den 1970er Jahren propagierten terminologischen Neuumschreibung in ein Religionsrecht bzw. Religionsverfassungsrecht siehe aus der Feder des Jubilars: Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: Winfried Aymans/Karl Theodor Geringer (Hrsg.), Iuri canonico promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag, 1994, S. 869; ders., Art. Staatskirchenrecht, in: Walter Kasper (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, 3. Aufl. 2000, Sp. 900. – Die Bezeichnungsfrage wirkt sich mittel- oder unmittelbar z. B. in der Studienliteratur aus: Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 3); Classen (FN 3). Aus der Gattung der Habilitationsschriften siehe einerseits Stefan Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005, andererseits Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006. Begriffs- und entwicklungsgeschichtliche Problematisierung bei Ansgar Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, in: Andreas Haratsch/Norbert Janz/Sonja Rademacher/Stefanie Schmahl/Norman Weiß (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im modernen Staat, 2001, S. 9 m. w. Nachw. sowie Hans Michael Heinig/Christian Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, 2007. 19 Vgl. Hermann Weber, Staatskirchenrecht am Scheideweg – Kopftuchstreit ohne Ende?, Recht und Politik 40 (2004), S. 82. 20 Sehr hilfreich nach wie vor Theodor Lemmen, Muslime in Deutschland, 2001. Im übrigen ist die Literatur zur Gesamtsituation wie zu einzelnen religions(verfassungs)rechtlichen Fragestellungen mittlerweile kaum noch zu überschauen. Pars pro toto seien trotzdem genannt: Thorsten Schneiders/Lamya Kaddor (Hrsg.), Muslime im Rechtsstaat, 2005. Hilfreich auch Mathias Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen, 2. Aufl. 2001; sowie dessen für das österreichische Innenministerium verfaßte Gesamtstudie „Perspektiven und Herausforderungen in der Integration muslimischer BürgerInnen in Österreich“, Januar 2006. Hier insbesondere den Teil „Zur öffentlichrechtlichen Situation von Muslimen in ausgewählten europäischen Ländern“ (http://www.bmi.gv.at / downloadarea / asyl_fremdenwesen / Perspektiven_ Herausforderungen.pdf). 21 Hense, Flexible Kontinuität, Herder-Korrespondenz 51 (1997), S. 136.

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die religionssoziologische Präsenz und öffentliche Rolle der großen christlichen Kirchen Veränderungen unterliegt23. Das hohe Konfliktpotential religiöser Interessen bezeichnet schlaglichtartig die Herausforderungen, vor denen der Staat und die Gesellschaft stehen24, ist aber keineswegs auf Rechtsfragen beschränkt, die die Muslime betreffen25. Changierend zwischen einer tieferen Trennung von Staat und Religion oder einer größeren religionsintegrativen Öffnung der deutschen Rechtsordnung werden Orientierungspunkte und Stabilisatoren gesucht. Vor der Herausforderung einer „rechtlichen Gleichstellung des Islam in Deutschland“26 stellt sich auch die Frage, ob und inwieweit ein Vertrag mit muslimischen Organisationen den staatskirchenvertragsrechtlichen Ordnungsvorstellungen in Deutschland entsprechen kann. Wenn Staatskirchenverträge den religiösen Frieden garantieren27, könnte in einer Vereinbarung mit den Muslimen eine große Chance und fast eine religionspolitische Notwendigkeit liegen, an der sich die kulturintegrative Kraft28 der deutschen Verfassungs- und Rechtsordnung bewähren könnte und die dem Pfad29 des deutschen Religionsverfassungsrechts beson22

Dazu Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (62) = ders., in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Ausgewählte Schriften, 2006, S. 253 (261). 23 Aus dem ebenfalls kaum noch übersehbaren Schrifttum siehe nur Michael Ebertz, Erosion der Gnadenanstalt?, 1998; ders., Kirche im Gegenwind, 4. Aufl. 2001. 24 Dies betrifft auch das Verhältnis der Religionen untereinander. Die beiden großen Kirchen setzten sich eingehend etwa mit der Situation der Muslime und deren Integration auseinander und scheuen nicht, kritische Punkte zu benennen: Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Klarheit und gute Nachbarschaft: Christen und Muslime in Deutschland, 2006; Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Christen und Muslime in Deutschland, 2003. Bemerkenswert aus interreligiöser Perspektive MUREST – Multireligiöse Studiengruppe (Hrsg.), Handbuch interreligiöser Dialog, 2006. 25 Dies wird bei allen Diskussionen, die sehr stark islamzentriert sind, nicht immer gesehen. Als aktuelles Beispiel läßt sich anführen: Anhänger religiöser Denominationen entziehen ihre Kinder beispielsweise der allgemeinen Schulpflicht und wollen wegen der von ihnen propagierten wortgetreuen Bibelauslegung ein kreationistisches Weltbild im Biologieunterricht verankert wissen. Siehe dazu BVerfG, BayVBl 2006, 633; diese Entscheidung kritisch würdigend Christoph Möllers, Schule geht vor Kirche, FAZ Nr. 175 vom 31. Juli 2006, S. 31. 26 Siehe mit dieser Intention im einzelnen die Fragen aus der Großen Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 29. Juni 2006, BT-Drs. 16/2085. 27 In diesem Sinne Joseph Listl, „Konkordate garantieren den religiösen Frieden“, KNA-Interview Nr. 54 vom 12. Oktober 1994. 28 Friedhelm Hufen, Die kulturintegrative Kraft der Verfassung, in: Herta Däubler-Gmelin/Klaus Kinkel/Hans Meyer/Helmut Simon (Hrsg.), Gegenrede: Aufklärung – Kritik – Öffentlichkeit. Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994, S. 115.

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ders entspräche30. Wo Grund und Grenzen eines vertraglichen Arrangements mit muslimischen Verbänden in der Bundesrepublik Deutschland liegen können, ist nachfolgend zu erörtern.

B. Vorbilder und aktuelle Entwürfe für einen „muslimischen Staatsvertrag“ Im deutschen Vertragsstaatskirchenrecht sind bis jetzt Vereinbarungen mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften – mit Ausnahme der jüdischen – nicht vorgekommen. Es ist demnach aufschlußreich, den rechtsvergleichenden Blick in andere europäische Staaten zu richten, in denen das Instrument des Vertrages zur Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religion einen ebenso festen Ort gewonnen hat31, wie es für die deutsche religionsverfassungsrechtliche Ordnung kennzeichnend ist, bevor auf einen aktuellen, ungewöhnlichen Entwurf in Deutschland beschreibend eingegangen werden soll. I. Rechtsvergleichende Perspektive 1. Das spanische Kooperationsabkommen von 1992 Die auf Kooperation basierende staatskirchenrechtliche Ordnung des Königreichs Spanien manifestiert sich in zahlreichen Abkommen zwischen dem Staat und den Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften32. Als charakteristische Rechtsquelle des spanischen Staatskirchenrechts sind diese Abkommen33 Regelungsthema sowohl des spanischen Verfassungsrechts als auch des Organgesetzes über die Religionsfreiheit. Der spanische Staat ist danach verfassungsrechtlich gehalten, die religiösen Anschauungen der spanischen Gesellschaft zu berücksichtigen und kooperative Beziehungen zur Katholi29 Zur Traditionsgebundenheit institutioneller Ordnungslogiken siehe besonders Matthias Koenig, Pfadabhängigkeit und institutioneller Wandel im deutschen Religionsrecht, in: Heinig/Walter (Hrsg., FN 18), S. 91. 30 „Religionsrecht ist kontraktgeprägt“, so die Feststellung von Hans Michael Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, S. 244. Siehe auch Hollerbach (FN 4), S. 126. 31 So das Résumé bei Hollerbach, in: FS Häberle (FN 4), S. 821 (837). 32 Dazu und zum Folgenden eingehend Mückl (FN 18), S. 314 ff. m. w. Nachw. – Zur ersten Orientierung Ivan Ibán, Staat und Kirche in Spanien, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, S. 151. Weiterhin Javier Martinez-Torrón, The Legal Status of Islam in Spain, in: Silvio Ferrari/Anthony Bradney (Hrsg.), Islam and European Legal Systems, 2000, S. 47. 33 Alle Vereinbarungen werden als Vertrag (Acuerdo) bezeichnet; Mückl (FN 18), S. 317.

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schen Kirche und zu den sonstigen Konfessionen zu unterhalten34. Abkommen mit Religionsgemeinschaften besitzen zwar eine verfassungsrechtliche Grundlage, ohne daß die Schaffung kooperativer Beziehungen von Verfassungs wegen allein auf vertragliche Arrangements festgelegt wäre35. Das Organgesetz, das den spanischen Staat zu einer effektiven Verwirklichung der Religionsfreiheit verpflichtet, normiert und konkretisiert in seinem Art. 7 die näheren Modalitäten einer vertraglichen Übereinkunft zwischen Staat und Religionsgemeinschaft. Nach dieser Bestimmung besteht die Möglichkeit, daß Kooperationen mit religiösen Konfessionen durch Verträge oder Vereinbarungen verwirklicht werden, sofern die Glaubensgemeinschaft in das vom Justizministerium geführte öffentliche Religionsregister36 eingetragen ist und es sich um eine Religion handelt, die in Spanien „offenkundig verwurzelt“ ist37. Neben den mit der Katholischen Kirche geschlossenen Verträgen hat der spanische Staat im Jahr 1992 drei weitere Kooperationsabkommen mit nichtkatholischen Religionen geschlossen38. Das „Besondere und Neue an der spanischen Haltung“ ist39, daß die Verträge nicht mit einzelnen Vereinigungen geschlossen wurden, sondern, daß Vertragspartner Dachverbände der jeweiligen Religion sind. Soziologisch wird in dem spanischen Modell ein System zur öffentlichen Anerkennung in drei Stufen gesehen, das unmittelbar mit dem „Religionsvertragsrecht“ zusammenhängt und darauf bezogen ist40 und sich insofern von dem deutschen Ordnungsmodell unterscheidet, das auf den Rechtsstatus abstellt. Die untere Stufe „öffentlicher Anerkennung“ nehmen die Glaubensgemeinschaften ein, die nur öffentlich registriert sind; durch die Registrierung erlangen sie Rechtsfähigkeit und die Befugnis, interne Angelegenheiten selbständig zu regeln41. Auf der mittleren Stufe befinden sich die Glaubens34 Art. 16 Abs. 3 Spanische Verfassung. Näher dazu Reiner Tillmanns, Das Verhältnis von Staat und Kirche im spanischen Verfassungsrecht aus deutscher Perspektive, in: Klaus Stern/Peter Tettinger (Hrsg.), Europäische Verfassung im Werden, 2006, S. 147 (163 ff.). 35 Tillmanns, ebd., S. 147 (168 f.). 36 Dazu Tillmanns, ebd., S. 147 (165 ff.). 37 Indiz dafür ist neben dem Wirkungsbereich der Religion die Zahl ihrer Mitglieder; näher Mückl (FN 18), S. 322. Siehe auch Rosa María Martínez de Codes, Christentum und Islam in Spanien, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 183 (189 f.); Tillmanns, in: Stern/Tettinger (Hrsg., FN 34), S. 147 (168 f.). 38 Mückl (FN 18), S. 322 f. m. w. Nachw.; Martínez de Codes, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 183 (190). 39 So Martínez de Codes, ebd. 40 Instruktiv Koenig, Repräsentanzmodelle des Islam in europäischen Staaten, in: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hrsg.), Dokumentation: Islam einbürgern, 2005, S. 19 (22).

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gemeinschaften bzw. deren Dachverbände, die neben der öffentlichen Registrierung auch eine erkennbare, offenkundige Verwurzelung in der spanischen Gesellschaft besitzen und demnach als Vertragspartner für die von der spanischen Rechtsordnung vorgesehenen Kooperationsabkommen in Betracht kommen. Die obere Stufe ist der Katholischen Kirche vorbehalten, ohne daß sie dadurch zur Staatsreligion wird. Die mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Verträge sind völkerrechtliche Verträge, die nach Maßgabe von Art. 93 ff. der Spanischen Verfassung innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit erlangen, während die Kooperationsabkommen mit den nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften durch Zustimmungsgesetz in die staatliche Rechtsordnung transformiert werden und somit zu einer „Gesetzesbindung inter et erga omnes“ führen42. Die Verortung der muslimischen Glaubensgemeinschaft auf der mittleren Ebene des spanischen Anerkennungssystems ist der langen islamischen Präsenz auf spanischem Boden geschuldet und stellt eine im Vergleich zu anderen europäischen Staaten bestehende spanische Besonderheit dar43. Etwa 1% der spanischen Bevölkerung sind muslimisch, und ca. 236 muslimische Vereine und Verbände haben sich bis 2004 öffentlich registrieren lassen44. Der Kooperationsvertrag zwischen dem Königreich Spanien und der „Comisión Islámica de España“ (Islamische Kommission Spaniens) vom 28. April 1992 regelt vielfältige Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion45, wobei seine Regelungen „praktisch identisch“ sind mit den anderen Kooperationsvereinbarungen, die der spanische Staat gleichzeitig mit den anderen nichtkatholischen Religionsgemeinschaften geschlossen hat46. Bemerkenswert ist der erwähnte Umstand, daß der spanische Staat nur eine einzige muslimische Organisation als repräsentativen Ansprechpartner akzeptieren und nur mit dieser einen Kooperationsvertrag abschließen wollte. 41 Zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Registrierung näher Mückl (FN 18), S. 337 f. m. w. Nachw. 42 Mückl, ebd., S. 321, 323. 43 Zu diesem Punkt siehe nur Martínez de Codes, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 189 (190 f. m. w. Nachw.). 44 Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (22). Dies bedeutet im Vergleich zu 1998 eine nicht unbeträchtliche Steigerung; 1998 waren 99 islamische Gemeinschaften registriert und zwei Bahá’í, zu diesen Zahlen Ibán, in: Robbers (Hrsg., FN 32), S. 151 (160). 45 Eine nicht autorisierte deutsche Übersetzung und der spanische Text finden sich etwa in: CIBEDO 9 (1995), S. 58 (spanisch), 64 (deutsch). Siehe zu diesem Vertrag Martinez-Torrón, in: Ferrari/Bradney (Hrsg., FN 32), S. 47 (50 ff.). Kurz informierend Lemmen (FN 20), S. 178 f.; Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (23). 46 Ibán, in: Robbers (Hrsg., FN 32), S. 151 (161).

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Die Islamische Kommission Spaniens wurde zu diesem Zweck aus zwei unterschiedlichen muslimischen Verbänden gebildet47. Die staatlich geforderte Repräsentativität der spanischen Muslime in Form der Islamischen Kommission wird sehr unterschiedlich beurteilt48. Destinatäre des islamischen Kooperationsabkommens und der darin vereinbarten Rechte sind nur die muslimischen Gemeinschaften, die in das öffentliche Religionsregister eingetragen sind und ihre Zugehörigkeit zur Islamischen Kommission Spaniens erklärt haben oder Teil eines ihrer Mitgliedsvereine sind. Anteil an den vertragsrechtlichen Positionen haben schätzungsweise nur 30% der in Spanien ansässigen islamischen Gemeinschaften49. Ist eine islamische Gemeinschaft nicht mittelbar oder unmittelbar der Islamischen Kommission zugehörig, fällt sie automatisch aus dem Geltungsbereich des Kooperationsvertrages heraus. Die Regelungen des islamischen Kooperationsvertrages betreffen im einzelnen: Der Schutz der islamischen Kultstätten und Moscheen wird gewährleistet (Art. 4–7). Nach Art. 8 haben die begünstigten muslimischen Gemeinschaften einen Anspruch darauf, daß z. B. auf städtischen Friedhöfen Flächen für islamische Begräbnisse reserviert werden und die Einhaltung der Bestattungsriten ermöglicht wird. Ausführlich werden Aufgaben und Zuständigkeit der religiösen Leiter und Imame geregelt (Art. 9–13). Eine Besonderheit betrifft die Regelung familienrechtlicher Fragen, insbesondere der Eheschließung (Art. 15–18)50. Darüber hinaus werden verschiedene Aspekte religiöser Betreuung von Muslimen in Internaten, Gefängnissen, Krankenhäusern und anderen institutionellen Einrichtungsformen (Art. 19–21) sowie beim Militär (Art. 26–31) geregelt. Weitgehende Regelungen zum islamischen Religionsunterricht enthalten Art. 26–31, die 1996 durch ein zusätz47

Nico Landmann, Der Islam in der Diaspora, in: Werner Ende/Udo Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart, 5. Aufl. 2005, S. 560 (567). – 1989 wurde der mehrheitlich aus spanischen Konvertiten bestehende Dachverband der Föderation der Union islamischer Vereinigungen („Federación Española de Entidades Religiosas Islámicas“ [FEERI]) gegründet, dem 1990 die Union der islamischen Gemeinschaften („Unión de Comunidades Islámicas de España“ [UCIDE]) gegenüber trat, die vorrangig aus Studenten bestand, die aus dem Nahen Osten stammen, und die enge Verbindungen zur Muslimbruderschaft unterhält. Dazu Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (22 f.). 48 Während die Vertreter der UCIDE das spanische Modell als vorbildhaft rühmen, nimmt die FEERI eine kritische Haltung gegenüber dem spanischen Weg ein und bezweifelt die Repräsentativität der Islamischen Kommission. Vgl. nur Martínez de Codes, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 189 (193 f.). 49 So die Zahlenangabe bei Martínez de Codes, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 189 (196). 50 Wegen der in Spanien nicht vorgeschriebenen obligatorischen zivilen (Voraus-) Trauung ist eine solche Regelung notwendig.

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liches, insbesondere die Vergütung der Lehrer betreffendes Abkommen ergänzt wurden51. Ebenfalls werden Regelungen über steuerrechtliche Fragen (Steuervergünstigungen) getroffen (Art. 32–36)52. Schließlich regelt der Vertrag auch arbeitszeitrechtliche Fragen (Freistellung für die Gebetszeiten [Art. 37]) und den Schutz islamischer Feiertage (Art. 38). Das Kooperationsabkommen mündet in eine Bestimmung zur gemeinsamen Verantwortung für das kulturhistorische islamische Erbe Spaniens (Art. 39). So euphorisch einige den „spanischen Weg“ mittels eines islamischen Kooperationsvertrages begrüßen, so zurückhaltend wird die Vertragswirklichkeit beurteilt, weil ein mangelnder politischer Wille festgestellt wird, das Vertragswerk mit Leben zu füllen53. Darüber hinaus führen Zwistigkeiten zwischen den islamischen Vereinigungen unter dem gemeinsamen Dach immer wieder zu Schwierigkeiten, die die für „den Islam“ per se bestehenden Probleme bei der Schaffung eines Minimums organisatorischer und institutioneller Verfaßtheit noch vergrößern. Schließlich weist der Religionssoziologe Koenig nicht ohne Grund darauf hin, daß zwischen der Logik einer staatlich forcierten Institutionalisierung des Islams und den Bedürfnissen der muslimischen Bevölkerung Diskrepanzen bestehen: die für die religiösen und sozialen Bedürfnisse wichtigen örtlichen Strukturen gehen verloren, wenn einem Dachverband gleichsam ein Repräsentationsmonopol zugestanden wird, zumal die örtlichen Gemeinschaften eine bestätigende Verbindung zur übergreifenden Organisationsstruktur benötigen, um an den Rechtspositionen des Kooperationsvertrages partizipieren zu können54. Dadurch verlieren örtliche Ansprechpartner ihre Legitimität. 2. Der italienische Entwurf aus dem Jahre 1994 Ähnlich wie die spanische Verfassung enthält auch Art. 8 Abs. 3 der italienischen Verfassung ein Kooperationsgebot, das vorrangige Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Minderheitskonfession aufgrund von Vereinbarungen (intese) vorsieht55. Die katholische Kirche nimmt eine Sonder51

Vgl. Martínez de Codes, Gewissen und Freiheit 57 (2001), S. 189 (198). Auf die Erhebung einer Art „Kirchensteuer“ hat die Islamische Kommission genauso verzichtet wie die jüdischen und protestantischen Gemeinschaften. 53 So die Feststellung bei Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (23 m. w. Nachw.). 54 Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (24). 55 Die Bestimmung lautet: (1) Alle religiösen Bekenntnisse sind vor dem Gesetz gleichermaßen frei. (2) Die nichtkatholischen Konfessionen haben das Recht, sich nach eigenen Satzungen eine Ordnung zu geben, soweit diese nicht der staatlichen Rechtsordnung widerspricht. (3) Ihre Beziehungen zum Staat werden auf Grund von Übereinkommen mit den jeweiligen Vertretungen gesetzlich geregelt. Zur Rechts52

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stellung ein, mit ihr ist ein Vertrag (accordo) geschlossen worden56. Der italienische Staat hat mit einer Reihe von Minderheitenreligionen – nicht ganz treffend als Minderheitenkonfessionen bezeichnet – Vereinbarungen getroffen57 und damit deren rechtliche Stellung verbessert58. Die Regelungen sind jeweils auf die entsprechende Religionsgemeinschaft zugeschnitten. Nicht ohne Grund wird Italien und seiner Rechtsordnung attestiert, daß es das für religiöse Minderheiten „günstigste“ Land sei59. Die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen italienischem Staat und Religionsgemeinschaften ist gekennzeichnet durch ein System gestufter Parität, dessen abstufendes Differenzierungskriterium im Vertragsstaatskirchenrecht liegt: Die katholische Kirche nimmt mit ihrem Vertrag eine Sonderstellung ein, darüber hinaus werden confessioni „con intesa“ und confessioni „senza intesa“ unterschieden60. Richard Puza attestiert dem italienischen Religionsrecht eine ähnliche Präferenz für den Vertrag, wie sie auch dem deutschen System eigen sei61. Trotz dieser für Minderheitsreligionen in einem vorrangig katholisch geprägten Land sehr günstigen Situation ist ein Abkommen mit den Muslimen (intesa islamica) bis zum heuten Tag nicht realisiert worden, obwohl die Muslime aufgrund der Wanderungsbewegungen in Europa (auch) in Italien zur soziokulturellen Realität gehören62. Nach Schätzungen des italienischen Innenministeriums leben aktuell in Italien ca. 1,5 Mio. Muslime, die vorwielage in Italien siehe orientierend Silvio Ferrari, in: Robbers (Hrsg., FN 32), S. 229. Weiterhin Richard Puza, Das staatliche Religionsrecht in Italien, in: ders./Abraham Peter Kustermann, Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 59 (67 f., zur Rechtsnatur der intese, die nicht hinreichend geklärt ist). 56 „Accordo tra la Santa Sede e la Repubblica Italiana che apporta modificazioni al Concordato Lateranese“ vom 18. Februar 1984, abgedruckt in: José T. Martín de Agar, Raccolta di Concordati 1950–1999, 2000, S. 553. 57 Seit den 1980er Jahren wurden folgende Vereinbarungen geschlossen und vom Parlament bestätigt: Waldenser (1984), Siebten-Tages-Adventisten (1986), Pfingstgemeinden (1986), Union der jüdischen Gemeinden (1987), Christliche Evangelische Baptisten Union (1993), Evangelisch-Lutherische Kirche (1993); zugänglich unter: http://www.olir.it/areetematiche/14/index.php. 58 Vgl. Luciano Musselli, Kirche, Staat und religiöse Minderheiten in Italien, ZRG Kan. Abt. 80 (1994), S. 464 (465). Siehe ferner Francesco Margiotta Broglio, Die neue staatskirchenrechtliche Gesetzgebung in Italien, in: Cesare Mirabelli/ Giorgio Feliciani/Carl Gerold Fürst/Helmuth Pree (Hrsg.), Winfried Schulz in Memoriam, Teil 2, 1999, S. 468. 59 In diesem Sinn etwa Massimo Introvigne, Religious Minorities in Italy, RSG 2 (2001), S. 127 (mit einer Fallstudie zu Scientology). 60 Puza, in: ders./Kustermann (Hrsg., FN 55), S. 59 (66 f., 73). 61 Puza, in: ders./Kustermann (Hrsg., FN 55), S. 59 (72). 62 Vgl. Stefano Allievi/Francesco Castro, The Islamic Presence in Italy: Social Rootedness and Legal Questions, in: Ferrari/Bradney (Hrsg., FN 32), S. 155.

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gend aus afrikanischen Staaten stammen und von denen nur ca. 50.000 die italienische Staatsbürgerschaft besitzen. 1994 hielt der italienische Rechtswissenschaftler Luciano Musselli einen solchen Vertrag für „im Moment realistischer Weise nicht vorstellbar“63. Als Gründe hierfür führte er an, daß der Islam sich mangels entsprechender Organe nicht nach außen hin repräsentieren könne. Weiterhin bestehe ein Bedenken „substanzieller Natur“: Normen des Islamischen Rechts wie z. B. die Legitimität der Polygamie seien mit Grundprinzipien der italienischen Rechtsordnung nicht vereinbar64. 1994 ist aber auch das Jahr, in dem gerade eine solches, auf Art. 8 Abs. 3 der italienischen Verfassung beruhendes Abkommen als Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert worden ist65. Das von der muslimischen Organisation „Union der islamischen Gemeinden und Organisationen in Italien“ (Unione delle Comunità ed Organizzazioni Islamiche in Italia [U.C.O.I.I.]) konzipierte Abkommen ist bis zum heutigen Tage nicht unterzeichnet worden66. Im April 2000 begehrte eine andere islamische Organisation, die sich als Islamische Religionsgemeinschaft Italiens (Comunità Religiosa Islamica [CO. RE. IS.] Italiana) bezeichnet, erneut den Abschluß eines Abkommens mit dem italienischen Staat67. Die CO. RE. IS. schloß sich damit einer Initiative der Buddhistischen Union in Italien an68. Auch dieser von der CO. RE. IS. stammende Entwurf ist bis heute nicht unterzeichnet worden. Als Gründe dafür, daß ein muslimisches Abkommen aktuell nicht realisierungsfähig ist, werden für die italienischen Verhältnisse muslimische Besonderheiten und damit verbundene praktische Schwierigkeiten angeführt. Dazu zählt etwa, daß die meisten muslimischen Gläubigen nicht italienische 63

Musselli, ZRG Kan. Abt. 80 (1994), S. 464 (466). Siehe auch dens., in: Puza/ Kustermann (Hrsg., FN 55), S. 79. 64 Musselli, ZRG Kan. Abt. 80 (1994), S. 464 (466); ders., in: Puza/Kustermann (Hrsg., FN 55), S. 79 (82), wobei er an dieser Stelle ebenso – im Vergleich mit Deutschland bemerkenswert – auf die Hindernisse des italienischen Staats eingeht, mit den Zeugen Jehovas eine Vereinbarung zu treffen. 65 Der Entwurf für ein Abkommen zwischen der Italienischen Republik und der U.C.O.I.I. (Unione delle Comunità ed Organizzazioni Islamiche in Italia/Union der islamischen Gemeinden und Organisationen in Italien) ist italienisch/deutsch abgedruckt in: CIBEDO 8 (1994), S. 112 (deutsch), 120 (italienisch). – Näher zu dem 1990 gegründeten Dachverband U.C.O.I.I. Allievi/Castro, in: Ferrari/Bradney (Hrsg., FN 32), S. 155 (166 f.). 66 Vgl. Allievi/Castro, ebd., S. 155 (167); siehe auch Lemmen (FN 20), S. 179. 67 Siehe die Vorstellung dieses Vorhabens und den Wortlaut (http://www.coreis. it, Zugriff am 16.12.2006). Der Entwurf aus 2000 geht wohl zurück auf einen aus dem Jahr 1998 stammenden Vorentwurf. Vgl. Lemmen (FN 20), S. 179, mit einem kurzen Hinweis. 68 Text dieses nicht unterzeichneten Abkommens: http://www.olir.it/ricerca/ index.php?Form_Document=187. Vgl. Ferrari, in: Robbers (Hrsg., FN 32), S. 229 (233).

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Staatsbürger sind69, der Bezug (einschließlich finanzieller Unterstützung) zu den Herkunftsländern nach wie vor prägend sei70, Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation und damit zusammenhängenden inhaltlichen Fragen71 bestünden u. a. m. Es wird aber angenommen, daß die momentan bestehenden Schwierigkeiten sich zukünftig lösen lassen. Der Islam in Italien sei eine im Vergleich mit anderen Religionsgemeinschaften recht junge Religion, die zur Zeit noch mehr einer „Bewegung“ denn einer Institution gleiche72. Aus diesem Grunde wird in der Literatur dem italienischen Staat momentan noch Zurückhaltung angeraten, um die komplexe und komplizierte Situation innerer Schwierigkeiten des Islams in Italien und deren externe Effekte zu analysieren73. Im Vergleich zu anderen Religionen und deren leichter behebbaren Organisationsschwierigkeiten stelle der Islam einen außergewöhnlichen Fall dar. Die Behebung dieser Organisationsschwierigkeiten könne den Muslimen ebensowenig erlassen werden, wie die Anpassung inakzeptabler islamischer Rechtsvorstellungen (z. B. die Verstoßung) an die italienische Rechtsordnung74. Beide Entwürfe sind mit 3075 bzw. 2776 Vertragsbestimmungen recht ausführlich. Während der U.C.O.I.I.-Entwurf 1994 eine umfangreiche, durch eine invocatio Dei eingeleitete Präambel dem Vertragstext voranstellt, verzichtet der CO.RE.IS.-Entwurf 2000 hierauf und sieht nur eine allgemeine Eingangsbestimmung vor (Art. 1), deren Regelungsgehalt dem einer Präambel ähnelt. Bemerkenswert ist, daß Art. 2 des CO.RE.IS.-Entwurfs 2000 die fünf Säulen des Islams als Essentialia ausdrücklich beschreibt. In beiden Entwürfen werden umfassend sämtliche Aspekte individueller und kollektiver Religionsfreiheit einschließlich der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit normiert77. Der CO.RE.IS.-Entwurf 2000 regelt im weiteren, wie im einzelnen die sich aus den sog. fünf Säulen des Islam ergebenden Verpflichtungen praktiziert werden können. Eine vergleichbare Regelungstechnik, die religiösen Grundpfeiler im Vertrag näher hinsichtlich der damit verbundenen Regelungsbedürfnisse zu entfalten, wählte der Entwurf aus dem Jahr 1994 nicht. Beide Vertragsentwürfe gehen auf die Bekleidung für muslimische Frauen auf Lichtbildern für amtliche Dokumente ein78. Ferner 69

Kritisch zu Zahlenspielereien Allievi/Castro, in: Ferrari/Bradney (Hrsg., FN 32), S. 155 (168). 70 Allievi/Castro, ebd., S. 155 (169). 71 Vgl. Allievi/Castro, ebd., S. 155 (z. B. 169, 177). 72 Vgl. Allievi/Castro, ebd. 73 So Allievi/Castro, ebd., S. 155 (171). 74 Allievi/Castro, ebd., S. 155 (177). 75 Entwurf der U.C.O.I.I. aus dem Jahr 1994. 76 Entwurf der CO.RE.IS. aus dem Jahr 2000. 77 Art. 1 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994 und Art. 3 CO.RE.IS.-Entwurf 2000.

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sind Bestimmungen des Feiertagsrechts vorgesehen79. Weitere Bestimmungen betreffen die Errichtung und den Schutz islamischer Kultstätten80. Auf islamische Besonderheiten im Bestattungsrecht wird ebenfalls eingegangen81. Bemerkenswert umfangreich werden die einzelnen Fragen der Seelsorge in den unterschiedlichen Einrichtungsformen (Krankenhäuser, Militär u. ä.) geregelt82. Entsprechendes gilt für den Bildungsbereich, insbesondere für Fragen des Religionsunterrichts und das Recht, islamische Schulen zu gründen83. Weitere Bestimmungen betreffen die Rechtsfähigkeit islamischer Organisationen nach italienischem Recht, wobei der U.C.O.I.I.-Entwurf 1994 organisationsrechtliche Aspekte vergleichsweise detailliert normiert84. Beide Vertragsentwürfe treffen umfangreiche Regelungen hinsichtlich der Ehe85. Während der U.C.O.I.I.-Entwurf 1994 darüber hinaus eingehend steuerrechtliche Fragen behandelt86, unterbleibt dies im CO.RE.IS.-Entwurf 2000 weitgehend. Die Gestaltung der Schlußbestimmungen verläuft dann wieder bei beiden Entwürfen identisch und in den üblichen Bahnen. Im November 2005 hat der italienische Innenminister einen „Rat für den Islam Italiens“ ins Leben gerufen, der die bedeutendsten Stimmen der islamischen Vielfalt in Italien unter einem Dach versammeln soll87. Die muslimischen Gruppierungen Italiens sollten eine „Charta der Werte und Prinzipien“ unterzeichnen88. Die – nicht unumstrittene – U.C.O.I.I.89 betrachtete dies als diskriminierend und versagte deshalb ihre Unterschrift. Mittlerweile ist zur Deeskalation ein „wissenschaftliches Komitee“ berufen geworden, 78 Art. 13 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; ausführlicher Art. 9 Abs. 1 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 79 Art. 3 und 4 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 15 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 80 Art. 14 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 11 und 12 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. Neben dem vermögensrechtlichen Schutz solcher Gebäude z. B. vor Enteignung werden die Voraussetzungen für das polizeiliche Betretungsrecht näher ausgeführt. 81 Art. 15 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 23 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 82 Art. 5, 7–9 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 16 ff. CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 83 Art. 10 und 11 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 20 und 21 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 84 Art. 17 ff. U.C.O.I.I.-Entwurf 1994 (Art. 20 speziell zur Registrierung als juristischer Person); Art. 10 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 85 Art. 12 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994; Art. 22 CO.RE.IS.-Entwurf 2000. 86 Art. 23 und 25 U.C.O.I.I.-Entwurf 1994. 87 Dazu und zum Folgenden Heinz-Joachim Fischer, Eine Charta für die Muslime, in: FAZ Nr. 231 vom 5. Oktober 2006, S. 2. 88 In der Charta geht es insbesondere um die Anerkennung der Rechte von Frauen und Homosexuellen. 89 Der Union wird vorgehalten, sie vertrete nicht die Mehrheit der in Italien lebenden Muslime und ihr gehörten einige zu radikale Gruppen an. Trotz dieser Vorbehalte scheint nach dem in FN 87 genannten Bericht die italienische Regierung die U.C.O.I.I. als maßgebliche Repräsentanz der Muslime in Italien zu akzeptieren.

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um die problematischen Punkte der Charta zu erörtern. Im Oktober 2006 traf sich der Rat mit staatlichen Vertretern zu einer Konferenz. In Italien wird aktuell weniger auf Vertragsabschlüsse mit muslimischen Gruppierungen gesetzt. Statt dessen werden dialogische Foren gebildet, um die muslimischen Gemeinschaften in offizielle Initiativen einzubinden. 3. „Frankreichs Uhren gehen anders“90: Der französische Ansatz binnenreligiöser Kooperation unter staatlicher Supervision Es ist Kennzeichen des französischen Religionsverfassungsrechts91, daß es kein Vertragssystem im Sinn kodifikatorischer Abmachungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften besitzt92. Die dem Prinzip der Laizität verpflichtete Französische Republik ging auch bei der Kooperation mit muslimischen Organisationen einen anderen Weg als Spanien und Italien93. Wie diese Länder hat sich auch Frankreich der großen Anzahl in Frankreich lebender Muslime (ca. 4,5–7 Mio.94) und der Unterschiedlichkeit muslimischer Gruppierungen stellen müssen95. Die französische Religionspolitik durchlief dabei verschiedene Entwicklungsstadien, um die Integration und Organisation des Islam als zweitgrößter Religion in Frankreich zu befördern96. Integrationsleitbild ist ein „Islam à la française“97, als dessen Motor 90 In verfremdender Anlehnung an die berühmte Studie des Historikers und Essayisten Herbert Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders (hrsg. von Irene Riesen/ Urs Bitterli), Gesammelte Werke, Bd. II, 2002. 91 Zur religionsverfassungsrechtlichen Lage Frankreichs näher Walter (FN 18), S. 69 ff., 162 ff.; Mückl (FN 18), S. 143 ff.; siehe auch Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 231 (238 ff.). 92 Näher Mückl (FN 18), S. 149 f. – 1994 hatte aber der französische Innenminister Charles Pasqua sich für eine vertragliche Übereinkunft ausgesprochen. Die Süddeutsche Zeitung (Nr. 227 vom 1./2./3. Oktober 1994, S. 8) titelte in einer kleinen Meldung: „Frankreichs Innenminister für ‚Konkordat‘ mit dem Islam“. 93 Ausführlich dazu die einzelnen Beiträge in: Alexandre Escudier (Hrsg.), Der Islam in Europa, 2003. 94 Die Zahlenangaben schwanken im einzelnen sehr; gesicherte Daten gibt es nicht. 95 Siehe etwa Constanze von Krosigk, Der Islam in Frankreich, 2000; ferner Landman, in: Ende/Steinbach (Hrsg., FN 47), S. 560 (573 ff.); Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (26 ff.). Speziell siehe auch Mohamed Mestiri, Status of Islam in the West and Challenge of Citizenship: The Situation of Muslims in France, in: Schneiders/Kaddor (Hrsg., FN 20) S. 89. – Nicht mehr ganz aktuell Brigitte Basdevant-Gaudement, The legal status of Islam in France, in: Ferrari/Bradney (Hrsg., FN 32), S. 97. 96 Umfassend nachgezeichnet bei von Krosigk (FN 95), insbes. S. 152 ff., 176 ff., 227 ff. 97 Näher von Krosigk, ebd., S. 153 ff. und passim.

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der französische Staat auftritt. Dies befindet sich durchaus in der religionsverfassungsrechtlichen Logik französischer Politik und knüpft an Vorgehensweisen gegenüber Juden und Protestanten seit Napoleon an98. Neben einer Unterstützung der muslimischen Reformfähigkeit liegt es im staatlichen Interesse, eine kollektive Organisation und Repräsentanz der Muslime in Frankreich als Ansprechpartner zu haben. Über längere Zeit nahm diese Funktion die – 1926 eingeweihte – Moschee von Paris (Grande Mosquée de Paris 99 ) wahr100. Da sie aber bei weitem nicht alle oder ein Großteil der muslimischen Organisationen hinter sich sammeln und damit repräsentieren konnte, suchten die französischen Regierungen seit den 1990er Jahren eine andere Möglichkeit einen sog. „gallikanischen Islam“ zu befördern, zumal die Fähigkeit muslimischer Selbstorganisation angesichts gravierender innerislamischer Differenzen keine Fortschritte machte101. Der 1993 von den Muslimen gegründete „Conseil représentatif des musulmans de France“102 überreichte 1995 eine „Charte du Culte musulman“, die in 37 Artikeln eine Art Bekenntnis der Muslime zur Französischen Republik und ihren Prinzipien enthielt103. Diese Charta wurde zwar von staatlichen Repräsentanten entgegengenommen, war aber keine vertragliche Absprache zwischen Staat und Religion104. Eine solche gibt es bis heute nicht. Statt dessen werden Konsultations- und Dialogprozesse institutionalisiert, die die Selbstorganisation muslimischer Gruppierungen auf gesamtstaatlicher Ebene befördern sollten. Die Vorgehensweise, die übrigens in der aktuellen Konzeption der deutschen Islamkonferenz einen Nachahmer gefunden hat105, führte 2002 98

„Nach der französischen Tradition, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts nach den Wirren der Revolution herausbildete, bestimmt der Staat die Verhandlungspartner, die er als Repräsentanten der Gemeinschaft betrachtet. Anschließend verschafft er ihnen Anerkennung und Ressourcen, mit denen sie sich eine Klientel aufbauen und ihre Aufgabe als Mittlerorganisation voll ausfüllen können“. So Rémy Leveau, Der Islam in Frankreich: Wandel und Kontinuitäten, in: Escudier (Hrsg., FN 93), S. 12 (20). Siehe auch Danièle Hervieu-Léger, Der Wandel der religiösen Landschaft Europas im Spiegel des Islam: Der Fall Frankreich, ebd., S. 26 (30). 99 Zu den entstehungsgeschichtlichen Hintergründen dieser hervorgehobenen Rolle siehe etwa Hervieu-Léger, ebd., S. 26. 100 Finanziert vom französischen Staat, vgl. Rohe, Studie „Perspektiven und Herausforderungen“ (FN 20), S. 26. 101 Ausführlich zu den Schwierigkeiten von Krosigk (FN 95), S. 227 ff. m. w. Nachw. 102 Näher von Krosigk, ebd., S. 234. 103 von Krosigk, ebd., S. 236 f. (in Fn. 676 eine kurze Inhaltsangabe dieser Muslimischen Charta). 104 Dazu, daß die Initiatoren die Charte durchaus als eine Art „Konkordat“ mit der Republik ansahen, siehe von Krosigk, ebd., S. 236 mit Fn. 676. 105 Der französische Innenminister hat zu einer Gesprächsrunde geladen, zu der nicht nur die großen muslimischen Organisationen in Frankreich eingeladen wurden,

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zur Schaffung einer zentralen Entscheidungsinstanz („Conseil français du culte musulman“ [CFCM]). Die Kreation dieser Institution erfolgte gleichsam unter staatlicher Assistenz, weniger unter etatistischer Intervention106. Die Institutionalisierung basiert auf einem Abkommen zwischen den einzelnen Organisationen, das im Dezember 2002 unterzeichnet wurde. Verbunden war dieser Prozeß mit einer Erklärung über die „ principes et fondements juridiques régissant les rapports entre les pouvoirs publics et le culte musulman“, die von den muslimischen Organisationen und dem französischen Innenminister unterzeichnet worden ist107. In dem Abkommen zur Schaffung des CFCM wurde die Zusammensetzung des Rates108 und dessen Aufgaben näher festgelegt109. Bemerkenswert sind die Wahlmodalitäten, die letztlich von der Größe der muslimischen Kultstätten abhängig ist110. Trotz der im April 2003 durchgeführten Wahlen111 zum CFCM und der damit verbundenen Legitimation eines großen Teils seiner Mitglieder erweist sich die Arbeit und Aufgabenstellung des Gremiums als der zentrale Ansprechpartner nach innen wie nach außen immer wieder als schwierig112. Eine abschließende Bewertung wird aktuell noch nicht vorgenommen113. sondern auch islamische Persönlichkeiten. Vgl. von Krosigk, ebd., S. 254, Fn. 736 mit näheren Angaben. 106 In diesem Sinne von Krosigk, ebd., S. 253 ff. 107 von Krosigk, ebd., S. 254, Fn. 736. – Der Erklärung von 2000 vorausgegangen war eine von der Regierung formulierte „Déclaration d’intention relative aux droits et aux devoirs des fidèles du culte musulman en France“, deren Annahme durch die muslimischen Organisationen Voraussetzung dafür war, daß sie an dem von der Regierung initiierten Konsultationsprozeß teilnehmen konnten. Dazu etwa Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (27 f.), Landmann, in: Ende/Steinbach (Hrsg., FN 47), S. 560 (576 f.). 108 Der Rat besteht zu zwei Dritteln aus demokratisch gewählten Mitgliedern und zu einem Drittel aus Vertretern der muslimischen Dachverbände und Einzelpersönlichkeiten. 109 Zu den Aufgaben zählen vorrangig kultisch-religiöse Fragen, etwa die Imamausbildung oder die Zertifikation von halal-Schlachtereien. Vgl. Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40) S. 19 (28). 110 Hervieu-Léger, in: Escudier (Hrsg., FN 93), S. 26 (35): „Die Wahl zu diesem Gremium soll nach dem Territorialprinzip auf zwei Ebenen erfolgen: ‚Jede muslimische Kultstätte, die von einem regulär angemeldeten Verein verwaltet wird, kann entsprechend ihrer Größe eine bestimmte Anzahl von Delegierten entsenden (. . .). Diese treten zu einer Regionalversammlung zusammen und wählen ihrerseits Delegierte, die auf nationaler Ebene die Generalversammlung bilden. Diese Generalversammlung wird als konstituierende Versammlung die Aufgabe haben, eine Vertretungsinstanz des muslimischen Kultus in Frankreich zu gründen‘“. 111 Aufschlußreich zu dem Procedere siehe nur den Artikel „Frankreich: Erster nationaler Islamrat gewählt“, in: Netzwerk Migration in Europa (Hrsg.), Migration und Bevölkerung, Ausgabe 04/03 (Mai 2003), S. 3. 112 Siehe Landmann, in: Ende/Steinbach (Hrsg., FN 47), S. 560 (577); Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (28). Zu dem „gewählten

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Zusammenfassend läßt sich der französische Weg dahingehend charakterisieren, daß der Staat zwar gegenwärtig keine förmlichen Vereinbarungen mit den Muslimen schließt, diese jedoch in einen Prozeß der Moderation und des kooperativen Dialogs einbindet114, um sowohl innerislamische Institutionalisierungsschwierigkeiten zu überwinden als auch gleichzeitig eine Form öffentlicher Anerkennung damit zu schaffen. Daß dies mit größerer etatistischer Intensität geschieht115, als dies bei den „angestammten“ Religionen in Frankreich der Fall ist116, überrascht angesichts der französischen Geschichte nicht117. Die französische Islam-Politik versucht eine Normalisierung à la française mittels einer Institutionalisierungserwartung an den Islam und die Schaffung einer nationalen islamischen Repräsentanz, die eine Regulierung top down ist118. 4. Österreich: Gesetze statt Vertrag? Wie in Frankreich gibt es auch in Österreich keinen Vertrag mit muslimischen Organisationen119. Kennzeichnend für die österreichische Rechtslage ist vielmehr, daß hier das Religionsrecht weitgehend durch Gesetze geregelt wird120. Eine vertragsrechtliche Tradition besteht in Österreich nicht und wurde auch bis jetzt nicht entwickelt. Die Verträge mit der katholischen Kirche121 sind die Ausnahme. Das österreichische Religionsrecht ist geprägt Islam“ und dessen Probleme siehe auch Hervieu-Léger, in: Escudier (Hrsg., FN 93), S. 26 (37 ff.). Ferner aufschlußreich Dorothea Hahn, Geld und Glaube der Imame, taz Nr. 7538 vom 13. Dezember 2004, S. 4. 113 Rohe, Studie „Perspektiven und Herausforderungen“ (FN 20), S. 27 f. 114 Symbolische Handlungen wie die Teilnahme am Neujahrsempfang des Staatspräsidenten zählen auch dazu. 115 Vgl. zu dieser Tendenz bei Rechtsstatusfragen Mückl (FN 18), S. 179. 116 Die Modifikationen diesbezüglich resümierend Mückl, ebd., S. 218 f. 117 War es doch der französische Staat, der die Gesellschaft formen mußte; zu der Tendenz vorrangiger staatlicher Steuerung und Konstituierung des gesellschaftlichen Zusammenhangs aus historischer Perspektive Pierre Rosanvallon, Der Staat in Frankreich, 2000, insbes. S. 68 ff. 118 So die plastische Kennzeichnung bei Claire de Galembert, Die öffentliche Islampolitik in Frankreich und Deutschland: Divergenzen und Konvergenzen, in: Escudier (Hrsg., FN 93), S. 46 (60 ff.). 119 Hilfreiche Übersicht zur Lösung religionsrechtlicher Probleme mit den Muslimen in Österreich siehe Rohe, Studie „Perspektiven und Herausforderungen“ (FN 20), S. 6 ff. m. w. Nachw. – Allgemein zum österreichischen Religionsrecht Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1992; Herbert Kalb/ Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, 2003. 120 Zum österreichischen Protestantengesetz als paktiertes Gesetz siehe nur Frhr. von Campenhausen/de Wall (FN 3), S. 147 m. w. Nachw. in Fn. 35. 121 Zu dem Konkordat von 1933 und nach 1945 geschlossenen Teilverträgen näher Kalb/Potz/Schinkele (FN 119), S. 455 ff. m. w. Nachw.

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durch die „Anerkennung“ von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Konzeption als „Anerkennungsrecht“ ist historisch bedingt122. Die weitgehende historische Konstanz wurde durch das Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften aus dem Jahr 1998123 modifiziert und um eine neue, zusätzliche institutionelle Kategorie ergänzt: Das Gesetz von 1998 beendete das „Alles oder Nichts-Prinzip“, wonach eine Religion Rechtspersönlichkeit nur als anerkannte Religionsgesellschaft erwerben konnte124; der Rechtsstatus der anerkannten Religionsgesellschaft ist öffentlich-rechtlich und entspricht ungefähr dem deutschen Körperschaftsstatus. Zusätzlich gibt es nunmehr ein „Sondervereinsrecht“ für religiöse Bekenntnisgemeinschaften, die staatlich eingetragen werden. Darüber hinaus besteht weiterhin die Möglichkeit für eine religiöse Gruppierung, sich nach dem allgemeinen Vereinsrecht zu konstituieren. Das österreichische System ist demnach dreistufig gegliedert und kennt als mittlere Kategorie zwischen anerkannter Religionsgesellschaft und einer privatrechtlich organisierten Glaubensgemeinschaft noch die abstrakte Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft125. Die Besonderheit der österreichischen Rechtslage ist, daß die „Islamische Glaubensgemeinschaft“ seit dem Islamgesetz vom 15. Juli 1912 über einen Rechtsstatus verfügt126. Dies ist der historischen Entwicklung geschuldet127. Die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft erfolgte, obgleich die erforderlichen Organisations122 Kalb, Die Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich, in: Richard Potz/Reinhard Kohlhofer (Hrsg.), Die „Anerkennung“ von Religionsgemeinschaften, 2002, S. 39 ff. (insbes. 40 ff. m. w. Nachw.). 123 Näher zu diesem Gesetz Schwendenwein, Das neue österreichische Gesetz über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften, in: FS Listl (FN 17), S. 309. 124 So Kalb/Potz/Schinkele, Religionsgemeinschaftsrecht, 1998, S. 19. Näher zu den religiösen Bekenntnisgemeinschaften auch dies. (FN 119), S. 115 ff. 125 Zu dieser Zwischenform der abstrakten Anerkennung, die dem deutschen Staatskirchenrecht nicht (mehr) geläufig ist, siehe die rechtsgleichende Untersuchung von Arne Kupke, Die abstrakte Anerkennung als privatrechtliche Religionsgemeinschaft in Österreich als Modell für Deutschland?, KuR 2000, S. 157 (= Nr. 220, S. 11). 126 Ausführlich dazu Kalb/Potz/Schinkele (FN 119), S. 623 ff.; Schwendenwein (FN 119), S. 811 ff. 127 Die Besetzung und Annexion Bosnien-Herzogowinas 1878 bzw. 1908 führte zu einem muslimisch geprägten Bevölkerungsteil im „Vielvölkerstaat“ Österreich. Da die Bosniaken zum Wehrdienst einberufen wurden, mußte ihre Loyalität durch eigene Militärseelsorger und das Islamgesetz von 1912 gesichert werden. Zum historischen Hintergrund und aktuellen Bedeutung des Gesetzes Johann Bair, Das Islamgesetz, 2002. – Nach 1918, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, sind eher allgemeine Migrationsbewegungen (Arbeiter, Studenten u. a.) ausschlaggebend für muslimische Bevölkerungsteile in Österreich.

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strukturen fehlten. Da die Voraussetzungen nach dem Anerkennungsgesetz von 1874128 eigentlich nicht vorlagen, bedurfte es des Islamgesetzes als gesetzliche Regelung eines Einzelfalls. Das Islamgesetz gewährt den Muslimen in Österreich prinzipiell vergleichbare Rechte und Pflichten wie den Katholiken. § 6 Abs. 2 des Gesetzes regelt, daß islamische Lehren, Einrichtungen und Gebräuche in Österreich nur soweit ausgeübt werden können, wie es den österreichischen Staatsgesetzen nicht zuwiderläuft. Bis zur Bildung der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ)129 1979 konnten die im österreichischen Islamgesetz gewährten Rechte nicht in Anspruch genommen werden, da es an einem institutionell-organisatorischen verfestigten Ansprechpartner fehlte; ebenso mangelte es an einem identifizierbaren Verpflichtungssubjekt. Die Beschränkung auf den hanefitischen Ritus wurde 1987 für verfassungswidrig erklärt130 und ist durch die Anerkennungsverordnung von 1988 auf alle islamischen Richtungen erweitert worden. Trotz der immer wieder auftretenden Spannungen innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft wird der österreichische Weg als ein nachahmenswertes Modell religionsrechtlicher Integration angesehen131. Mittlerweile scheint sich die Einschätzung zu wandeln oder zumindest neu zu akzentuieren. Die Spannungen zwischen den muslimischen Richtungen unterhalb des „Dachs“ IGGiÖ nehmen zu, da einzelne Richtungen dominieren wollen. Zudem wird die Monopolstellung der IGGiÖ mehr und mehr in Frage gestellt, obwohl alle Anhänger des Islams in Österreich (ca. 400.000) rein formal als Mitglieder der IGGiÖ angesehen werden132. Die österreichischen Aleviten sollen mittlerweile einen Antrag auf Anerkennung als eigene Religionsgemeinschaft gestellt haben. Ob die von den Muslimen selbst verfassungsgerichtlich erkämpfte bloße Erweiterung des Islamgesetzes auf andere als die hanefitische Richtung angemessen war, wird in Österreich angesichts dessen und anderer praktisch aufgetretener Probleme133 heute zunehmend diskutiert. 128

Näher Kalb/Potz/Schinkele (FN 124), S. 77 ff. Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gemäß dem Gesetz vom 15. Juli 1912, RGBl. Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams als Religionsgesellschaft, in der Fassung der Kundmachung BGBl. Nr. 164/1988 und der Verordnung BGBl. Nr. 466/1988 unter: http://www.derislam. at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=5. 130 Kalb/Potz/Schinkele (FN 119), S. 627 f. 131 Kalb/Potz/Schinkele, ebd., S. 627, 630. 132 Die Anzahl der – aktiven – Angehörigen der IGGiÖ weicht anscheinend signifikant von den in Österreich lebenden Muslimen ab. Die IGGiÖ wirbt auf ihrer Homepage um „aktive Mitglieder“ (http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen &pa=showpage&pid=2). 129

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II. Zwei Ansätze in Deutschland: zwischen staatlicher Konsens-Hilfe und klassischer Vertragslösung 1. Die deutsche Islam-Konferenz – institutionalisierte Problemanalyse und Konsensfindungsmodell? Der deutsche Weg einer Islam-Konferenz knüpft zum Teil an französische Vorgehensweisen an, ohne aber in die für Frankreich typische etatistische Handlungsweise zu verfallen. Die Konzeption geht insbesondere auf das Betreiben des Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble zurück, der sich – anders als eine Initiative seines Amtsvorgängers134 – jetzt für einen offenen-dialogischen Prozeß mit den Muslimen einsetzt135. Ziel der Konferenz ist es, Vertreter von Bund und Ländern mit organisierten muslimischen Verbänden an einen „Runden Tisch“ zu bringen, wobei auch die sehr große Gruppe (schätzungsweise 85–90%) der in Deutschland lebenden nicht organisierten Muslime136 durch herausragende Einzelpersönlichkeiten „repräsentiert“ werden soll. Aufgabe und Zwecksetzung der Großen Konferenz, die sich in thematische Arbeitsgruppen untergliedert, ist es, religionspraktische Schwierigkeiten auf ihre Lösungsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Ziel ist eine verbesserte Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft. Es soll überhaupt erst ein „Verhältnis zwischen Staat und muslimischen Gläubigen“ entwickelt werden137. Dieser Dialog soll Aufnahmeerwartungen, wie sie durch die grundgesetzliche Ordnung vorgegeben sind, z. B. hinsichtlich islamischer Wertevorstellungen und Organisationsprobleme behandeln, ohne in einen interreligiösen Dialog abzugleiten, der nicht staatliche Angelegenheit sein kann. Leitmotivisch – auch darin ein Anklang an das französische Vorbild – wird das Ziel in dem Topos „Muslime in Deutschland – deutsche Muslime“ zusammengefaßt138. 133 Z. B. Lehrmaterialien für den islamischen Religionsunterricht, in diesem Fach eingesetzte Lehrkräfte. 134 Zu dessen Aktivitäten siehe aber Phlipp Gessler/Barbara Wündisch, Herr Schily macht ein Angebot, taz Nr. 7538 vom 13. Dezember 2004, S. 4. – Der damalige Bundesinnenminister wollte sich an dem österreichischen Modell orientieren. 135 Programmatisch Wolfgang Schäuble, Muslime in Deutschland, FAZ Nr. 225 vom 27. September 2006, S. 9. – Im übrigen siehe nur die Darstellung auf der Homepage des Bundesinnenministeriums (http://www.bmi.bund.de/cln_028/ nn_122688/Internet/Navigation/DE/Themen/Deutsche__Islam__Konferenz/deutsche IslamKonferenz__node.html__nnn=true). 136 Zum „Organisationsgrad“ näher Johannes Kandel, Organisierter Islam in Deutschland und gesellschaftliche Integration, September 2004. Abrufbar unter http://www.fes-online-akademie.de / send_file.php / download / pdf / Kandel_Organisier ter_Islam.PDF. 137 Schäuble, FAZ Nr. 225 vom 27. September 2006, S. 9.

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2. „Weg vom Katzentisch“139: Der von der sog. „Islamischen Religionsgemeinschaft in Berlin“ initiierte Vertragsentwurf aus dem Jahr 2005 Nach italienischem Vorbild versucht in der Bundesrepublik Deutschland die „Islamische Religionsgemeinschaft in Berlin“ (IRB) mit einem eigenen Vertragsentwurf die Initiative zu ergreifen, um ihre religiösen Interessen mit dem Land Berlin zu regeln. Die Initiative der IRB führte bis jetzt nicht zu der Aufnahme der erhofften Vertragsverhandlungen. Der Präsident der IRB erhob im Februar 2006 vor dem Berliner Verwaltungsgericht Klage, um die Aufnahme der Vertragsverhandlungen zu erzwingen, die im August 2005 durch Übersendung eines Angebots auf Abschluß eines Staatsvertrags an den Berliner Senat begonnen werden sollten. Die Klage ist mittlerweile vom Verwaltungsgericht Berlin abgewiesen worden140. Die Übereinkunft sollte dazu dienen, die vielseitigen Beziehungen des Landes Berlin mit der Islamischen Religionsgemeinschaft zu ordnen, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und die Zuverlässigkeit des Umgangs miteinander zu garantieren141. Während eine Nachrichtenagenturmeldung von einer „unverdienten öffentlichen Resonanz“ für die nicht unumstrittene IRB sprach142, wird in der Tagespresse die Einschätzung zitiert, daß Untätigkeit für den Berliner Senat gefährlich werden könne143. Die IRB selbst hat sich durch einen Rechtsanwalt den Anspruch auf Abschluß eines Staatsvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland bzw. dem Land Berlin bestätigen lassen144. 138 Soweit von einer „staatlich anerkannten Religion“ (so Schäuble, ebd.) die Rede ist, bleibt unklar, was damit gemeint ist, da es diesen Typus nach deutschem Religionsverfassungsrecht nicht gibt. Vgl. Kupke, KuR 2000, S. 157 (= Nr. 220, S. 11). 139 So ein Titel in der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ vom 13. März 2006. 140 VG Berlin, Gerichtsbescheid v. 9. August 2006 – VG 27 A 55.06 –, n. v. 141 So der Präsident der IRB, Rechtsassessor Abdurrahim Vural, in seinem Schreiben an den Regierenden Bürgermeister von Berlin vom 11. August 2005. Dies und das weitere nachzulesen unter: http://www.islamische-religionsgemein schaft.de/pmwiki.php?n=IRG.Aktuelles. 142 So unter der Überschrift „Briefkastenfirma will Staatsvertrag mit Land Berlin einklagen“, KNA Informationsdienst – KNA-ID Nr. 12 vom 22. März 2006, S. 4. – Die KNA-Meldung schließt damit: „Der Sitz der IRB ist die Xantener Straße in Charlottenburg in einem Gewerbe- und Hotelgebäude, vom Gemeindeleben keine Spur. Einziger Hinweis ist das Schild an der Türklingel“. 143 So wird die Auffassung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland wiedergegeben in: „Der Tagesspiegel“ vom 13. März 2006. Dort heißt es zu dem Präsidenten der IRB, der vorher als Anwalt für die Islamische Föderation und die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den Berliner Schulen tätig war: „Weder Juristen der Senatsverwaltung für Bildung noch der von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hinzugezogene HU-Juraprofessor Bernhard Schlink konnten Vural stoppen“.

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Es ist hier nicht die Stelle, Entstehungsgeschichte, Erscheinungsform und Tätigkeit der IRB im einzelnen darzustellen und zu würdigen145, jedoch ist darauf hinzuweisen, daß der Rechtsstatus der IRB wohl nicht der einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist, selbst wenn sich auf der Homepage der IRB mehrere Gutachten zu dieser Frage finden und die IRB dort auch mit dem Zusatz „Körperschaft des Öffentlichen Rechts“ auftritt146. 144 Anspruch der Islamischen Religionsgemeinschaft K. d. ö. R. auf Abschluß eines Staatesvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland: Rechtsgutachten erstellt im Auftrag von der Islamischen Religionsgemeinschaft K. d. ö. R. durch Rechtsanwalt Mag. rer. publ. Enrico Spaeth vom 2. Oktober 2006. Diese Stellungnahme ist ebenfalls einsehbar auf der in FN 141 genannten Homepage. 145 Bemerkenswert ist die Rechtsstreitigkeit um eine über 75 Mio. DDR-Mark hohe Spende aus PDS-Vermögen an die IRB vom 28. Mai 1990. – Instruktiv nachgezeichnet im Sachbericht von EGMR, Urt. v. 5. Dezember 2002 (siehe http:// www.coe.int/t/d/menschenrechtsgerichtshof/dokumente_auf_deutsch/volltext/ent scheidungen/20021205_IslamRel_E.asp); in englischer Sprache auch in KirchE 41, 220. 146 Ohne an dieser Stelle die Qualifikation der IRB als Körperschaft des Öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 140 GG/137 Abs. 5 WRV in allen Einzelheiten und abschließend klären zu können, sind doch an der Rechtsauffassung ganz erhebliche Zweifel angebracht. Abgestellt wird auf eine staatliche Anerkennung durch den Ministerrat der DDR vom 1. März 1990. Statusrechtlich bedeutsam wird dieser Anerkennungsakt erst in Verbindung mit dem Kirchensteuergesetz der DDR (KirchStG DDR). Wie im Fall der Zeugen Jehovas, soll mit der Ministerratsanerkennung qua § 2 Nr. 4 KirchStG DDR automatisch der Körperschaftsstatus verliehen worden sein. Diese vom Prozeßvertreter der Zeugen Jehovas vertretene Auffassung (vgl. Hermann Weber, Körperschaftsstatus für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland, ZevKR 41 [1996], S. 173 [183 ff.]) hat sich in den gerichtlichen Auseinandersetzungen bei dieser Religionsgemeinschaft nicht durchsetzen können. – Vgl. VG Berlin, NVwZ 1994, S. 609; OVG Berlin, NVwZ 1996, S. 478. Die Zeugen Jehovas haben im weiteren diese Argumentation – wie sie aber nunmehr von der IRB vorrangig bemüht wird – nicht weiter verfolgt, sondern eine Erstverleihung des Körperschaftsstatus begehrt. Die von der IRB vertretene Rechtsauffassung erkennt zudem nicht hinreichend, daß bereits die staatliche Anerkennung durch den Ministerrat der DDR vom März 1990 problematisch ist. Die Anerkennungsmaßnahme stützte sich auf eine Rechtsgrundlage, die zum Zeitpunkt der Ministerratsanerkennung bereits außer Kraft gesetzt war. Weil sie ohne gesetzliche Grundlage erfolgte, war sie unwirksam. Schließlich wäre ggf. zu diskutieren, ob die IRB überhaupt eine Religionsgesellschaft/Religionsgemeinschaft i. S. d. Grundgesetzes ist. Soweit in Berlin – bestätigt durch BVerwGE 110, 326 – ein von der grundgesetzlichen Linie (Art. 7 Abs. 3 GG) abweichendes Begriffsverständnis zum Terminus „Religionsgemeinschaft“ vertreten wird, ist dies nicht verallgemeinerungsfähig. Die Rechtslage in Berlin ist bedingt durch die Ausnahmevorschrift des Art. 141 GG. Eine eingehende Überprüfung der Religionsgemeinschaftseigenschaft der IRB kann an dieser Stelle nicht erfolgen, sie müßte auch religionswissenschaftlich nachgewiesen werden. Sicherlich nicht ausreichend ist die Selbstbezeichnung, vgl. BVerfGE 83, 341 (1. Leitsatz und 353). – Das Vereinsregister weist die IRB als eingetragenen Verein aus. Vgl. Lemmen (FN 20), S. 298; BayVerfGH,

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Der als „Vertrag“ bezeichnete Entwurf umfaßt 19 Artikel. Dem Vertragsentwurf vorangestellt ist eine Präambel, in der die Beweggründe der IRB zum Abschluß eines solchen Vertrags über deren Beziehung zum Land Berlin niedergelegt sind. Während in Art. 1 des Entwurfs die Glaubensfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht sowie das Ämterrecht geregelt werden soll, enthält Art. 2 Bestimmungen zum islamischen Feiertagstagsrecht. Über das Sozialwesen der IRB heißt es in Art. 3, daß sie das Recht zu Errichtung und Betrieb „karitativer“ Einrichtungen besitzt und bei der Vergabe von Fördermitteln in gleicher Weise wie andere Träger berücksichtigt werden soll. Umfassend soll die sog. Anstaltsseelsorge in Art. 4 des Vertragsentwurfs geregelt werden, wobei die Beachtung der islamischen Speisevorschriften bei der anstaltsmäßigen Unterbringung ebenso sichergestellt werden soll wie das Besuchsrecht von Seelsorgern dort. Um die „religiöse Versorgung“ in den Anstalten gewährleisten zu können, wird die Befragung der betreffenden Person nach ihrer Religionszugehörigkeit bei der Aufnahme in die Einrichtung für notwendig gehalten und die Weitergabe ihrer Personalien an den zuständigen Seelsorger festgeschrieben, sofern die Betroffenen damit einverstanden sind. Art. 5 soll das Seelsorgegeheimnis in den Verfahren, die dem Landesrecht unterliegen, durch ein Zeugnisverweigerungsrecht absichern. Die Vertretung der IRB in Rundfunkanstalten und die Einräumung von Sendezeiten soll Art. 6 des Entwurfs absichern. Art. 7 bis 9 betreffen die Eigentumsgarantie, die Gebührenbefreiung und das Recht zu Straßen- und Haussammlungen. Weiterhin enthält der Vertragsentwurf weitreichende Vorschläge, das Gebiet der Staatsleistungen an die IRB zu regeln; hierbei soll sich das Land Berlin z. B. mit einem jährlichen Zuschuß von 1 Mio. Euro „zum Zwecke des Aufbaus und der Aufrechterhaltung islamischen Gemeinschaftslebens in Berlin“ beteiligen (Art. 14 Abs. 1), ferner wird ein einmaliger Zuschuß in Höhe von 5 Mio. Euro für die Errichtung von Kulturhäusern u. ä. begehrt (Art. 14 Abs. 4) sowie ein jährlicher Zuschuß zu Bau- und Unterhaltungskosten für die „religiösen Gebäude“ (Art. 14 Abs. 3). Darüber hinaus sieht Art. 13 des Entwurfs Landeszuschüsse für den islamischen Religionsunterricht und die Arbeit der islamischen Ersatzschule vor. Weitere Regelungen des Vertragsentwurfs betreffen das Meldewesen und die Übermittlung von Datensätzen aus dem Melderegister (Art. 10), das Recht zur Anlage und Betrieb islamischer Friedhöfe und die Verpflichtung des Landes, dies durch Zuwendungen zu unterstützen (Art. 11). Dem Bildungswesen widmet sich Art. 12 des Vertragsentwurfs, in dem nähere Modalitäten des islamischen Religionsunterrichts, aber auch das Recht zur Errichtung und Betrieb eigener Schulen oder Bildungseinrichtungen als Bestandteil des pluralistischen Bildungssystems normiert werden solEntsch. v. 15. Januar 2007 – Vf. 11-VII-05 –, Entscheidungsgründe unter IV. 1. (www.bayern.verfassungsgerichtshof.de/11-VII-05-Entscheidung.htm).

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len. Der Vertragsentwurf endet mit Bestimmungen über das Zusammenwirken zwischen dem Land Berlin und der IRB (etwa bei Gesetzgebungsverfahren u. ä., Art. 15), der Freundschaftsklausel bei Meinungsverschiedenheiten über Auslegung, Anwendung oder Fortbildung der Vertragsbestimmungen und einer Norm über die Parität, die u. U. eine Vertragsanpassung erforderlich werden lassen kann, wenn in einem anderen Vertrag einer Religionsgemeinschaft weitergehende Rechte zugebilligt werden sollten. Ohne diesen Vertragsentwurf in allen Einzelheiten hier würdigen zu können, ist auffallend, daß der Verfasser des Textentwurfs sich weitgehend an geschlossene Verträge – etwa mit der evangelischen Kirche147 – anlehnt. Nur wenige Bestimmungen erweisen sich als Adaption auf islamische Besonderheiten. Irritierend ist an einigen Stellen die Verwendung eines Vokabulars, das eher mit den christlichen Kirchen verbunden wird, z. B. karitative Einrichtung, Konfessionszugehörigkeit u. ä. m. Bemerkenswert ist weiterhin, daß die IRB auf eine vertragliche Zusicherung des von ihr beanspruchten Körperschaftsstatus verzichtet. Mit nur geringen Modifikationen – z. B. hinsichtlich des Religionsunterrichts – hat die IRB einen ähnlichen Vertragsentwurf an die Bundeskanzlerin geschickt. Soweit dabei aber in der Pressemitteilung der IRB vom 4. April 2006 angegeben wird, daß man sich in Inhalt und Form an dem mit dem Zentralrat der Juden 2003 geschlossenen Staatsvertrag148 orientiere, so ist dies nicht ganz korrekt, weil der Textentwurf der IRB inhaltlich weit über den jüdischen Staatsvertrag hinausgeht. 147 Zu nennen ist hier insbesondere der Evangelische Kirchenvertrag Brandenburg (GVBl. 1997 I S. 4). 148 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland vom 27. Januar 2003 (BGBl. I S. 1597). Es erscheint fragwürdig, ob der Bund überhaupt die Kompetenz zum Abschluß des Vertrags besaß. Abgeleitet wird die Kompetenz des Bundes daraus, daß es sich um einen die gesamtstaatliche Repräsentation betreffenden Regelungsgegenstand handelt, für den dem Bund kraft Natur der Sache die Zuständigkeit zukomme: Im Vertrag werde die Förderung einer solchen nichtstaatlichen Organisation normiert, „die für das Bundesgebiet als Ganzes von Bedeutung (ist) und ihrer Art nach nicht durch ein Land wirksam gefördert werden (kann), zumal hier einer gesamtstaatlichen Verantwortung Rechnung getragen wird“ (BT-Drs. 15/879, S. 13). Diese Argumentation knüpft an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an (BVerfGE 10, 20 [41]). In dieser Entscheidung wurde – ausnahmsweise – die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes für einen Bereich aus dem Kultursektor angenommen. Näher zu diesem Topos Udo Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 7 (21). Zum speziellen, sehr delikaten Problem der innerreligionsgemeinschaftlichen Verteilung von Staatsleistungen zwischen orthodoxen und liberalen Gemeinden siehe Kyrill-Alexander Schwarz, Die Verteilung der Finanzmittel aus dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland geschlossenen Staatsvertrag, RSG 6 (2005), S. 123 m. w. Nachw.

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III. Zwischenrésumé Der exemplarische, rechtsvergleichende Blick nach Spanien, Italien, Frankreich und Österreich sowie die Betrachtung aktueller Entwicklungen in Deutschland fallen ernüchternd aus. Vertragliche Handlungsmuster zur Regelung des Verhältnisses von Staat und Islam haben sich bis jetzt nicht wirklich etablieren können. Die rechtsvergleichende Perspektive zeigte weniger Lösungsmodelle denn Problemfelder. Ob belastbare vertragliche Übereinkommen zukünftig möglich sein werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, daß zuerst ein Konsens zwischen Staat und Islam über grundlegende Werte des religiös-weltanschaulich neutralen Staats erzielt wird. Schließlich stehen die Muslime selbst in allen Ländern vor Organisationsherausforderungen, um stabile Formen zu erreichen, die die Heterogenität des organisierten Islam mit Blick auf die Perspektiven Ethnien (Herkunftsland-Bezogenheit: Türken, Araber u. a.), religiöse Grundrichtungen (Schiiten, Sunniten u. a.), religiös politische Orientierungen (konservativ, säkular, islamistisch) und Organisationstypen (Vereine und Verbände – zentralistisch, dezentral oder „föderalistisch“)149 zu einer islamadäquaten Organisationsform führen. Gerade dies scheint aber die Quadratur des Kreises zu sein, zumal ein Großteil der Muslime nicht organisiert ist.

C. Religionsrechtliche Problempunkte eines Staatsvertrags mit muslimischen Organisationen I. Herausforderung „muslimischer Vertrag“ 1. Der Vertrag als bewährtes Instrumentarium Bewegt sich das deutsche Recht der Staatskirchenverträge mit den beiden christlichen Kirchen150 und etwa den jüdischen Gemeinschaften in eingespielten Bahnen151, so ist ein „muslimischer Staatsvertrag“ terra incognita und mit sämtlichen Rechtsproblemen konfrontiert, die sich aus muslimischen Spezifika bei der Einordnung in das grundgesetzliche System des Verhältnisses von Staat und Religion ergeben152. Obgleich die vertrags149

Vgl. Kandel (FN 136), S. 2 (unter Ziff. 3). Allgemein zum Vertragsstaatskirchenrecht als Rechtsquelle Stefan Korioth, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), GG, Art. 140 Rn. 22 ff. 151 Allgemein zu letzterem Axel Vulpius, Verträge mit der Jüdischen Gemeinschaft in den neuen Bundesländern, NVwZ 1996, S. 759; ders., Der Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinde Sachsen-Anhalt, KuR 1998, S. 221 (= Nr. 120, S. 25). 150

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rechtliche Kooperation im Religions(verfassungs)recht von Kritikern mit dem Verdikt „koordinationsrechtliches Relikt“153 belegt wird, hat Ulrich Scheuner – vor Jahren schon – teilweise vorausschauend konstatieren können, daß die „Neigung zu vertraglichen Abmachungen“ allgemein zunehme154. Eines Nachdenkens über die grundsätzliche Zulässigkeit des Regelungsinstruments Vertrag im Staatskirchenrecht bedarf es nicht mehr155. Als Ausgleichs- und Verständigungsmittel156 haben sich die vertraglichen Abmachungen zwischen Staat und einzelnen Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Als probates Mittel erweist sich das Vertragsstaatskirchenrecht darüber hinaus als anschlußfähig, wenn es um aktuelle Rechtsentwicklungen geht. Wie in anderen Rechtsbereichen auch157, kann das Verhältnis von Staat-Kirche-Religion sogar als Vorreiter für eine Entwicklung genommen werden, die Regelungssachverhalte zwischen Staat und Gesellschaft nicht einseitiger staatlicher Regelung überlassen will, sondern durch vertragliche Abmachungen austariert. Der „kooperative Staat“158 ist demnach immer auch ein „paktierender Staat“. Aber das 152 Einen Überblick vermitteln etwa Arnd Uhle, Die Integration des Islam in das Staatskirchenrecht der Gegenwart, in: Heinig/Walter (Hrsg., FN 18), S. 299; Werner Heun, Integration des Islam, ebd., S. 339. Weiterhin Stefan Muckel, Der Islam im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Hartmut Kreß (Hrsg.), Religionsfreiheit als Leitbild, 2004, S. 119. – Ferner Adel Theodor Khoury/Peter Heine/ Janbernd Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft, 2000. 153 So Ludwig Renck, Der sogenannte Rang der Kirchenverträge, DÖV 1997, S. 929 (932). 154 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz, in: HdbStKirchR I, 1. Aufl. (FN 4), S. 5 (49). Zwar hat sich nicht ganz – wie von Scheuner festgestellt – die Tendenz zu Verträgen des Staats mit sozialen Kräften wie Gewerkschaften oder Verbänden bewahrheitet, die Handlungsform Vertrag dürfte sich bei der Interaktion mit intermediären Akteuren nicht vollends durchgesetzt haben. Gleichwohl gibt es immer wieder ein eher nichtförmliches Paktieren mit gesellschaftlichen Kräften. Jedoch nimmt das Vertragsmodell insgesamt in neuerer Zeit bei verwaltungsrechtlichen Reformdiskussionen wieder einen nicht unerheblichen Aufschwung. Pars pro toto aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive Gunnar Folke Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts, Rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten erstellt im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Juni 2001. 155 Vgl. Walter (FN 18), S. 595; Dirk Ehlers, Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 286 (310 f.); ausführlich Muckel, Der Staatskirchenvertrag als Instrument zur Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001, S. 23; siehe auch de Wall (FN 11), passim. 156 So Scheuner, in: HdbStKirchR I, 1. Aufl. (FN 4), S. 5 (48 f.). 157 Zu der Vorreiterrolle des Verhältnisses von Staat und Kirche bei sozialen Dienstleistungen für den Dritten Sektor exemplarisch Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht im Dritten Sektor, in: Non Profit Law Yearbook 2002, S. 1.

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traditional geprägte Vertragsstaatskirchenrecht unterscheidet sich angesichts seiner hochgradigen Formalität grundlegend von informellen Verhandlungslösungen oder dem Phänomen normvorbereitender Absprachen159, wie sie den politischen Alltag gegenwärtig nicht selten kennzeichnen160. Die Berliner Islamkonferenz hat von dem eher weichen Konzept mit der hochtrabenden Titulierung „Gesellschaftsvertrag“ Abstand genommen, jedoch wird es vielleicht in der Logik dieses Kommunikations- und Integrationsprozesses liegen, am Ende einen Konsens auch schriftlich zu fixieren. Ob dies zwangsläufig in ein „Konkordat“ – wie in der Tagespresse vermutet161 – münden wird, ist eine offene Frage, die sich gegenwärtig nicht abschließend beantworten läßt. Nachfolgend sollen einige Grundlinien, Grundprobleme und Herausforderungen vertraglicher Absprachen mit muslimischen Organisationen bedacht werden, um die Realisierungsfähigkeit ein wenig auszuloten. 2. Integration durch Vertrag? Die Herausforderung von Staatskirchenverträgen bestand seit jeher im Kontakt und in der Kooperation zweier Ordnungsmächte, die sich „auf gleicher Augenhöhe“ gegenüberstehen, miteinander kommunizieren und doch „jeweils ihre eigene, oft unterschiedliche Auffassung behalten“162. Eine Voraussetzung für kooperatives Geschehen ist aber, daß die Wertungen zwischen den beiden Mächten Staat und Religion nicht durch einen garstig breiten Graben getrennt werden, der sich letztlich nicht überbrücken läßt163. Wie der Topos Integration durch Verfassung164 zum verfassungstheore158 Dazu instruktiv Erhard Treutner, Verhandlungsstaat oder kooperativer Staat?, 2. Aufl. 2000. 159 Weitergehend zu dieser grundsätzlichen Tendenz informaler Absprachen mit Bindungswirkung im Handeln des Staates Friedrich Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 37, insbes. Rn. 28 ff., 39 ff. 160 Vgl. Walter (FN 18), S. 595 m. w. Nachw. 161 Vgl. oben FN 14. 162 Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: Heinz Brunotte/Konrad Müller/Rudolf Smend (Hrsg.), Festschrift für Erich Ruppel zum 65. Geburtstag, 1968, S. 312 (321). 163 Zu diesem wichtigen Gesichtspunkt siehe insbesondere Wolfgang Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat, in: Joachim Bohnert/Christof Gramm/ Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Alfred Rinken/Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 691. 164 Hans Vorländer (Hrsg.), Integration durch Verfassung, 2002. – Insbesondere Gary S. Schaal, Vier normative Konzepte von Integration qua Verfassung, in: ebd., S. 71 m. w. Nachw. Umfassend zur Thematik auch Uhle, in: HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 82 Rn. 1 ff.

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tischen, politikwissenschaftlichen Gemeingut gezählt wird, so könnte die „Integration durch Vertrag“ als eine Option des deutschen Religionsverfassungsrechts angesehen werden, zumal die Politik seit 2005 eine „Integration mit R für Religion“ propagiert165. Die nicht zu unterschätzende Herausforderung eines „muslimischen Vertrags“ besteht darin, eine vielleicht (noch) „uneuropäische Religion“166 in eine durch bestimmte Muster und Leitvorstellungen geprägte religionsrechtliche Ordnung zu integrieren. Die konkrete Herausforderung zielt dabei in zwei Richtungen: Einerseits, die Erfolge der grundgesetzlichen und kirchenvertragsrechtlichen Ordnung zu bewahren, andererseits kreativ die Einbettung der Muslime in die bestehenden Ordnungskonfigurationen zu befördern, soweit dies möglich ist. Die nicht zu unterschätzenden Probleme liegen darin, daß aktuell auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen „symbolische Anerkennungskämpfe“167 geführt werden, die den Vertrag als Integrationsinstrumentarium in Frage stellen können. 3. Konkordat, Kirchenvertrag oder religions(verfassungs)rechtlicher Vertrag: Rechtsnatur und Bezeichnungsfrage – nur eine Frage der Symbolik? a) Rechtsnatur der Staatskirchenverträge – eine fast unendliche Geschichte Die Frage nach der Rechtsnatur eines Staatskirchenvertrags ist keine quantité négligeable. Über die Rechtsnatur und die Bindungswirkung des traditionellen Staatskirchenvertrags werden weitreichende Grundsatzdiskussionen geführt und unterschiedlichste Lösungsansätze vertreten168. Das Spektrum der Rechtsnatur-Kategorien reicht vom Verwaltungsvertrag169 über den Staatsvertrag hin zur Qualifikation als Vertrag eigener Art. Wäh165 Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August 2005, S. 221 ff. 166 Vgl. José Casanova, Einwanderung und der neue religiöse Pluralismus, Leviathan 2006, S. 182 (189 u. ö.). 167 Koenig, in: Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg., FN 40), S. 19 (21). 168 Aus dem Schrifttum siehe – neben den Publikationen des Jubilars – etwa: Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (292 ff.); ders., Die Bindungswirkung von Staatskirchenverträgen, in: Max Emanuel Geis/Dieter Lorenz (Hrsg.), Staat – Kirche – Verwaltung: Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 333; Walter (FN 18), S. 594 ff.; Heinig (FN 30), S. 244 ff. 169 Insbesondere Renck, DÖV 1997, S. 927; Gerhard Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 69.

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rend die Einordnung als Verwaltungsvertrag als nicht gegenstandsadäquat zurückgewiesen wird, bereitet die Qualifikation als Staatsvertrag Probleme. Es hat sich in der Rechtsordnung des Bundes und der Länder kein umfassendes Recht der Staatsverträge ausgebildet170. Soweit sich das Konzept von Staatsverträgen aber gerade im bundesstaatlichen Zusammenwirken als Ergebnis des Grundsatzes der Bundestreue171 als zulässig erwiesen hat und vielfältig praktiziert wird, so ergeben sich Anfragen für das Vertragsstaatskirchenrecht. Anders als den einzelnen Bundesländern kann den Kirchen oder Religionsgemeinschaften unzweifelhaft keine Staatsqualität attestiert werden. Diese mangelnde Staatsqualität muß nicht dazu führen, die Besonderheiten des Vertragsstaatskirchenrechts auf die Ebene rein verwaltungsrechtlicher Verträge herunterzuzonen172. Zum einen ist dieser Vertragstyp durch den Inhalt besonders qualifiziert und zum anderen darf seine rechtsetzende Eigenschaft nicht übersehen werden173. Die Rechtsquelleneigenschaft wird durch die Transformation in die innerstaatliche Rechtsordnung besiegelt. Der einen Staatsvertrag ebenso wie einen Staatskirchenvertrag kennzeichnende Rang manifestiert sich darin, daß dem Vertragsschluß der Gesetzgeber zustimmen muß und der Vertrag durch gesetzgeberischen Akt in die Rechtsordnung transformiert wird174. In dem Transformationsakt durch den Gesetzgeber liegt auch das Abgrenzungskriterium zu einem Verwaltungsabkommen175. Die Mitwirkung der den staatlichen Normen prinzipiell unterworfenen Religionsgemeinschaften bei der Rechtsgestaltung176 170 Zu Ansätzen und Konzeptionen siehe näher Christoph Vedder, Intraföderale Staatsverträge als Instrumente der Rechtsetzung im Bundesstaat, 1996; Hans Schneider, Verträge zwischen Gliedstaaten im Bundesstaat, VVDStRL 19 (1961), S. 1. 171 Grundlegend dazu im allgemeinen wie hinsichtlich der Staatsverträge Hartmut Bauer, Die Bundestreue, 1992, insbes. S. 359 ff. m. w. Nachw. 172 Vgl. nur Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (298). 173 In Anlehnung an Adolf Julius Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, (Neudruck 1999), S. 109 f. 174 Vgl. aus dem Spektrum der Landesverfassungen: Art. 23 Abs. 2 LV NRW (dazu etwa Jörg Ennuschat, in: Wolfgang Löwer/Peter Tettinger [Hrsg.], Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2002, Art. 23 Rn. 11 ff.); Art. 72 Abs. 2 BayVerf, Art. 67 Satz 2 HessLV und insbesondere Art. 8 LV BW. Zu der letzten Bestimmung siehe insbesondere Hollerbach, in: Paul Feuchte (Hrsg.), Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Art. 8 Rn. 1 ff. – Näher zu Rangfragen Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (298 ff. m. w. Nachw.). 175 Vgl. Hollerbach, Verträge (FN 4), S. 210 ff. Von der Regierung ohne parlamentarische Mitwirkung geschlossene Verwaltungsabkommen auf dem Gebiete des Religionsverfassungsrechts widmen sich Einzelfragen und zielen somit nicht auf eine Gesamtregelung der Rechtsfragen zwischen Staat und Religion ab. Beispielhaft siehe das Protokoll über die Vereinbarung zwischen der Griechisch-OrthodoxenMetropolie von Deutschland und der Unterrichtsverwaltung des Landes NordrheinWestfalen über die Einführung griechisch-orthodoxen Religionsunterrichts vom 3. Juli

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ist Kennzeichen der Staatskirchenverträge und tangiert deren Rechtsquelleneigenschaft nicht177. Beide Vertragstypen stehen in enger Beziehung zum Verfassungsrecht. Wie etwa der Rundfunkstaatsvertrag die grundgesetzliche Ordnung des Rundfunkwesens ausgestaltet und ausformt, so wird dies seit jeher auch im Religionsverfassungsrecht durch Konkordate und Kirchenverträge entsprechend praktiziert. Es sprechen sicherlich gute Gründe dafür, zwischen den Staatsverträgen der bundesstaatlichen Ordnung und den im Verfassungsrecht wurzelnden Staatskirchenverträgen zu unterscheiden178, wenngleich rechtsdogmatisch zwischen beiden Typen durchaus erhebliche Ähnlichkeiten bestehen dürften. Die Unterscheidung beider Vertragssphären läßt die Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften dann als einen gesonderten Vertragstyp erscheinen. Als sui generis-Lösung wird der Vertrag zwischen Staat und Religionsgemeinschaft in zwei Varianten vertreten: Zum einen als Sonderrechtsvertrag, dessen rechtliches Fundament in einem Zwischenreich von Völkerrecht und Verfassungsrecht wurzelt, weil er die vom Staat respektierte und im Grundgesetz normierte Eigenrechtsmacht der Religionsgemeinschaften koordinierend ausgestalten soll179. Zum anderen in der Variante, die den Vertrag zwischen Staat und Religionsgemeinschaft als verfassungsgewohnheitsrechtlich anerkannten Vertragstyp in die grundgesetzliche Ordnung zu implementieren sucht180. Beide Auffassungen haben – bei allen bestehenden Divergenzen in der rechtlichen Konstruktion – einen Vertrag im Visier, der grundsätzliche, aus der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes resultierende Aspekte regeln soll und sich damit über verwaltungsrechtliche Verträge erhebt und trotz gewisser Unterschiede in seiner rechtlichen Begründung und Wirkweise in die Nähe von Staatsverträgen gelangt.

1985, abgedruckt in: Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1987, S. 394. 176 Zu der Mitwirkung von „Rechtsnormunterworfenen“ etwa Merkl (FN 173), S. 111. 177 Diese wird nur von wenigen wiederholt in Zweifel gezogen, ist im übrigen aber unbestritten und wird praktisch entsprechend gehandhabt. 178 So Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (298); vgl. auch Walter (FN 18), S. 600; Heinig (FN 30), S. 251, der in der Charakterisierung der Staatskirchenverträge als Staatsverträge ein „Residuum der Koordinationslehre“ erblickt. 179 Vgl. Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 253 (275). Kritisch dazu Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (295 f.); Walter (FN 18), S. 599. 180 Insbesondere Heinig (FN 30), S. 251 ff.; Walter (FN 18), S. 600 ff.

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b) Bezeichnungsfrage Bezeichnungsfragen haben etwas Symbolisches und sollten vielleicht hinsichtlich ihrer rechtsdogmatischen Folgen nicht überschätzt werden. Geringzuschätzen sind sie aber auch nicht. Gerade bei der avisierten Integrationsaufgabe durch Regelungsstrukturen des Staatskirchenrechts oder Religions(verfassungs)rechts könnten jenseits detaillierter Rechtsfragen gerade Aspekte des Symbolischen von großer Bedeutung sein181. Es verwundert deshalb nicht, wenn die überkommenen Kennzeichnungen des Rechtsgebiets – als Vertragsstaatskirchenrecht u. ä. m. – und der Verträge selbst – als (Staats-)Kirchenvertrag, Konkordat – in der sich pluralisierenden Religionslandschaft der Bundesrepublik Deutschland als nicht mehr adäquat empfunden werden. Christian Walter schlägt deshalb den Begriff des „religionsverfassungsrechtlichen Vertrages“ vor, weil der Terminus Vertrag – auch in Abgrenzung zum verwaltungsrechtlichen Vertrag i. S. d. §§ 54 ff. VwVfG – letztlich zu blaß erscheine182. Der Vorteil der Bezeichnung „religionsverfassungsrechtlicher Vertrag“ mag gegenüber einer Titulierung als „religionsrechtlicher Vertrag“ darin liegen, daß die Ebene des Grundsätzlichen und der verfassungsrechtliche Bezug terminologisch besser zum Ausdruck gelangen. Der religionsverfassungsrechtliche Vertrag wäre dann das Pendant zum traditionellen Staatskirchenvertrag, dessen Vertragsschluß auf der staatlichen Seite die Zustimmung des Gesetzgebers bzw. des Parlaments benötigt (Art. 23 Abs. 2 LV NRW; Art. 72 Abs. 2 BayVerf) und sich demnach von anderen Vereinbarungen (z. B. Verwaltungsabkommen o. ä.) unterscheidet183. II. Mögliche Regelungsgegenstände und Probleme eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags mit muslimischen Organisationen Die gegenwärtigen Staatskirchenverträge wollen die wesentlichen, d. h. grundlegenden Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion mit Blick auf besondere religionsgemeinschaftliche Bedürfnisse regeln. Die Wesentlichkeit der Verträge resultiert daraus, daß sie bloß punktuelle Rechtssätze 181 Zum Religionsrecht als symbolischem Recht siehe nur Robbers, VVDStRL 59 (2000), S. 231 (232); siehe auch die Diskussion ebd.: S. 342 (Morlok) und 361 (Robbers). Näher zur symbolischen Dimension der Verfassung: Vorländer, Integration durch Verfassung?, in: ders. (Hrsg., FN 164), S. 9; André Brodocz, Chancen konstitutioneller Identitätsstiftung, ebd., S. 101 ff. Umfassend ders., Die symbolische Dimension der Verfassung, 2003. 182 Walter (FN 18), S. 601, 606. Ähnlich, nur in der Wendung „religionsrechtlicher Vertrag“ Heinig (FN 30), S. 246 u. ö. 183 Statt vieler Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (288).

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und Rechtspositionen zu einem geordneten Gefüge zusammenfassen wollen. Die übergreifende Zusammenfassung dient der Ausformung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen und stellt demnach ein Stück Verfassungsentfaltung durch Vertrag dar. Religionsverfassungsrechtliche Verträge sind vom Verfassungsrecht abhängig und werden im wesentlichen durch die konstitutionelle Ordnung des Verhältnisses von Staat und Religion dirigiert. Dies muß aber keineswegs zur bloßen Wiederholung verfassungsrechtlicher Bestimmungen führen, sondern dient häufig der Konkretisierung der notwendig allgemeinen Verfassungsbestimmungen; die ausformulierten Vertragsbestimmungen überführen die verfassungsrechtlichen Verbürgungen in konkrete, abgrenzbare Rechte und Pflichten. Aber selbst wenn Vertragsbestimmungen nur den Verfassungswortlaut wiederholen, ist dies nicht funktionslos, wie der staatskirchenvertragsrechtliche Schutz der Sonn- und Feiertagsgarantie (Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV) gezeigt hat, weil die vertragsrechtliche Absicherung zum Transformationsriemen für die gerichtliche Durchsetzung einer Rechtsposition werden kann184. Übergreifende, die Gesamtrechtslage konkretisierende Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften werden als kodifikatorische Verträge185 oder Statusverträge186 bezeichnet. Hans Ulrich Anke hat die funktionalen Mechanismen und Regelungsgehalte plastisch in vier Grundmotive zusammengefaßt: Kooperation, Absicherung/Perpetuierung, Verpflichtung/Einwirkung und Förderung187. Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften führen zu einem Rechtsverhältnis, das die Interessenlagen auf beiden Seiten zu einem Gefüge zusammenführt, dessen Grundmotiv die compositio amicabilis ist. Die Verträge regulieren unter Hinzuziehung der begünstigten bzw. normunterworfenen Religionsgemeinschaften ein Stück weit selbst die normative Deutungsoffenheit der Verfassung und auch einfachgesetzlicher Bestimmungen. Welche Regelungsmaterien für Verträge mit muslimischen Organisationen möglicherweise in Betracht kommen, soll nachfolgend nur in einzelnen Aspekten nachgezeichnet werden188, wobei denkbare Probleme kursorisch 184 Vgl. OVG MV NVwZ 2000, S. 948; siehe ausführlich zu diesem Punkt de Wall, Zum subjektiven Recht der Kirchen auf den Sonntagsschutz, NVwZ 2000, S. 857 (860 ff.). 185 Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 253 (285); vgl. auch Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (312). 186 Vgl. Hollerbach, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 253 (286). Anderer Sinngehalt des Terminus aber im Völker- oder Verwaltungsrecht, dazu Eckart Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980; Franz Reimer, Mehrseitige Verwaltungsverträge, VerwArch 94 (2003), S. 543 (560). 187 Umfassend Anke (FN 3), S. 62 f., 68 ff., 218 ff., 316 ff., 353 ff. 188 Umfassend bereits de Wall (FN 11). Siehe auch Rohe, Islam und deutsche Rechtsordnung, in: Haus der kirchlichen Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (Hrsg.), Wieviel Institution braucht Religion?, 2. Aufl. 2004,

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anzudeuten sind. Bemerkenswert ist, daß in These 20 der „Islamischen Charta“ des Zentralrats der Muslime von 2002189 ein Forderungskatalog formuliert ist190. 1. Freiheitsgewährleistung und Statusfragen a) Religionsfreiheit und Eigenständigkeitsgarantie Die Gewährleistung der Religionsfreiheit ist durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als unteilbares, menschenrechtlich fundiertes Grundrecht abgesichert, so daß eine wiederholte Erwähnung in einem religionsverfassungsrechtlichen Vertrag überflüssig erscheint. Es ist aber durchaus anerkannt, daß selbst textliche Wiederholungen einem eigenen Regelungsgehalt nicht zuwiderlaufen müssen191. Zum einen wäre ein Statusvertrag ohne ausdrückliche Verbürgung des „Muttergrundrechts“ Religionsfreiheit unvollständig, zum anderen besitzt – worauf jüngst Oliver Lepsius hingewiesen hat – die Erwähnung der Religionsfreiheit gerade für Minderheiten eine Bedeutung, die im bisherigen staatskirchenrechtlichen Verständnis weitgehend unberücksichtigt blieb192: Das weite, durch die Rechtsprechung des BundesverfasS. 5 (17 ff.); Lemmen (FN 20), S. 129 ff. – Übersicht zu Rechtsfragen des Islams in der deutschen Rechtsordnung Oebbecke, Das deutsche Recht und der Islam, in: Khoury/Heine/ders. (Hrsg., FN 152), S. 287; Muckel, in: Kreß (Hrsg., FN 152), S. 119. 189 Im Internet abrufbar unter http://zentralrat.de/3035.php. – Umfassende Würdigung dazu bei Johannes Kandel, Islamische Charta: Fragen und Anmerkungen, 2002 (www.fes-online-akademie.de); Alexandra Petersohn, Der Islam „ante portas“, ZRP 2002, S. 521. 190 Artikel 20 lautet: „Darüber hinaus sieht der Zentralrat seine Aufgabe darin, den in Deutschland lebenden Muslimen in Kooperation mit allen anderen islamischen Institutionen eine würdige muslimische Lebensweise im Rahmen des Grundgesetzes und des geltenden Rechts zu ermöglichen. Dazu gehören u. a.: Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts, Einrichtung von Lehrstühlen zur akademischen Ausbildung islamischer Religionslehrer und Vorbeter (Imame), Genehmigung des Baus innerstädtischer Moscheen, Erlaubnis des lautsprecherverstärkten Gebetsrufs, Respektierung islamischer Bekleidungsvorschriften in Schulen und Behörden, Beteiligung von Muslimen an den Aufsichtsgremien der Medien, Vollzug des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten, Beschäftigung muslimischer Militärbetreuer, muslimische Betreuung in medizinischen und sozialen Einrichtungen, staatlicher Schutz der beiden islamischen Feiertage, Einrichtung muslimischer Friedhöfe und Grabfelder“. 191 Ehlers, ZevKR 46 (2001), S. 286 (313). 192 Oliver Lepsius, Religion und Verfassung im Vergleich: Deutschland, Frankreich, USA, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg.), Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion?, 2006, S. 19 (22 ff.); ders., Religionsfreiheit als Minderheitenrecht in Deutschland, Frankreich und den USA, Leviathan 2006, S. 321 (insbes. 328 ff.).

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sungsgerichts193 unterstützte Freiheitsverständnis begreife „die Religion nicht aus der Perspektive der Minderheit, sondern der Mehrheit“194. Ohne die These, daß die Religionsfreiheit in Deutschland weniger als individuelles Minderheitenrecht ausgestaltet, denn auf die Bedürfnisse der christlichen Mehrheitskirchen ausgerichtet sei, hier im einzelnen – auch angesichts möglicher Änderungen in der extensiven Verfassungsrechtsprechung195 – diskutieren zu können196, so ist doch die Garantie der Religionsfreiheit gerade für solche Personengruppen – auch hinsichtlich der individuellen Gewährleistungsrichtung – ohne Zweifel von besonderer Bedeutung197. Eine bloß textliche Wiederholung des Regelungsgehalts von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dürfte aber nicht ausreichend sein, weil gerade die austarierende Regelung zu bestimmten religiösen Handlungen und Bräuchen gemeinsames Ordnungsziel einer vertraglichen Übereinkunft sein sollte. Konkret werden die Regelungsaspekte der Religionsfreiheit z. B. im Moscheebau und Muezzin-Ruf, in der Religionsausübung in öffentlichen Einrichtungen198 (die Regelungsthemen reichen eventuell von der Beachtung von Speisevorschriften199 bis hin zu herkömmlichen Kultushandlungen), bei 193 Seit der sog. Lumpensammler-Entscheidung BVerfGE 24, 236 (245, 246). Das Urteil ist maßgeblich beeinflußt durch ein Gutachten von Scheuner, Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG: Rechtsgutachten (1967), in: Listl (Hrsg.), Schriften zum Staatskirchenrecht, 1973, S. 55. 194 Lepsius, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg., FN 192), S. 19 (24), ders., Leviathan 2006, S. 321 (330). 195 Es lassen sich bemerkenswerte Tendenzen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts feststellen, die die seit der Lumpensammler-Entscheidung (BVerfGE 24, 236) vorgenommene extensive Interpretation des Schutzbereichs von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG relativieren wollen, beginnend mit der Bahá’í-Entscheidung (BVerfGE 83, 341), fortgesetzt in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten (BVerfGE 104, 337, siehe auch E 105, 279). Art. 4 wäre bei vielen Handlungen allenfalls noch „schutzbereichsverstärkend“ heranzuziehen, wenn es um deren religiösen Gehalt ginge. Damit verbunden ist die Bestrebung, den Schutzbereich der Religionsfreiheit stärker zu konturieren und von der Tendenz abzukehren, Art. 4 GG als allgemeine religiöse Handlungsfreiheit aufzufassen. Zur Kritik an der neueren Rechtsprechung siehe nur Wolfram Höfling, Kopernikanische Wende rückwärts?, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 329 m. w. Nachw. Siehe auch Gregor Kirchhof, Grundrechte und Wirklichkeit: Freiheit und Gleichheit aus der Realität begreifen, 2007, S. 23 ff. m. w. Nachw. 196 Es kennzeichnet die religionsfreiheitliche Ordnung des Grundgesetzes wohl beides: Die Individualität und die Institutionalität. Die in den 1990er Jahren weitgehend judizierte Befreiung vom Sportunterricht diente aber z. B. dem Minderheitenschutz. 197 Zum Grundrecht der Religionsfreiheit als „Integrationsmaßstab“ siehe grundlegend Heiner Bielefeldt, Muslime im säkularen Rechtsstaat, 2003. 198 Die durch die Föderalismusreform bedingte Zuständigkeit der Länder etwa für den Strafvollzug verlagert diese Regelungsmaterie in die Kompetenz der Länder.

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Befreiungen von der Schulpflicht aus religiösen Gründen (Sportunterricht, Klassenfahrten, religiöse Feiertage)200 und vielen anderen Phänomenen des religiösen Lebens201. Sie können auch Fragen des Schächtens202 oder die Zulässigkeit des Kopftuchs staatlicher Lehrerinnen203 betreffen. Eine denkbare Regelung der Religionsfreiheit könnte in einem Vertrag mit muslimischen Organisationen vielleicht eine andere Funktion haben als in Verträgen mit christlichen Kirchen. Dies betrifft die Anerkennung der Religionsfreiheit der anderen ebenso wie die Verständigung darüber, was aus muslimischer Perspektive zum religiös motivierten Handeln zu zählen ist, wie es in der staatlichen Rechtsordnung unter das Freiheitsrecht des Art. 4 GG subsumiert werden kann und welche Grenzen die staatliche Rechtsordnung der Religionsausübung zu setzen hat. Die damit verbundenen Fragen sind hinsichtlich der Muslime von allergrößtem Konfliktpotential. Ihre Klärungsbedürftigkeit ergibt sich aus einer Reihe von Problemen, die nicht selten in der Frage nach dem Verhältnis von Scharia und staatlicher Rechtsordnung kulminiert204. Sie resultiert aus einer häufig problematischen Abgrenzung eines Handelns mit religiösem Charakter von einem Handeln eher allgemeinpolitischer Natur205 und berührt damit ein Grundproblem, das für eine Rechtsordnung, die auf einer fundamentalen Scheidung zwischen religiöser und weltlicher Sphäre wurzelt, von konstitutiver und existentieller Bedeutung ist. Ob es denkbar wäre, daß ein Vertrag Selbstbeschränkungen muslimischer Religionsausübung vorsieht, etwa Rücksichtnahme beim Moschee-Bau und Ein erster Problemzugriff vor der Folie der bundesrechtlichen Regelungen im StVollzG: Vigor Fröhmcke, Muslime im Strafvollzug, 2005. 199 Vgl. BVerwGE 57, 215 (zu § 18 SoldatenG und Schweinefleischverbot für Muslime); vgl. Oebbecke, in: Khoury/Heine/ders. (Hrsg., FN 152), S. 287 (303 f.). 200 Ausführlich Thorsten Anger, Islam in der Schule, 2003, S. 205 ff., 229 ff., 238 ff.; Oebbecke, in: Khoury/Heine/ders. (Hrsg., FN 152), S. 287 (308 ff.). 201 Zu den religiösen Grundpflichten eines Muslims (Glaubensbekenntnis, Pflichtgebet, Pflichtabgabe, Fasten und Pilgerfahrt) etwa: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz (Hrsg., FN 24), Tz. 135 ff. 202 Vgl. BVerfGE 104, 337; siehe jetzt auch BVerwG, NVwZ 2007, S. 461. Das BVerwG stellt nunmehr klar, daß selbst der Tierschutz als Staatsziel nicht a priori das betäubungslose Schächten unterbinde. Instruktiv zur Thematik Gernot Sydow, Ausnahmegenehmigung für das Schächten, Jura 2002, S. 615. 203 Die Literatur zu dieser Frage ist mittlerweile unüberschaubar. 204 Hintergrund dieses Aspekts sind sog. Scharia-Vorbehalte und die lediglich „grundsätzliche Anerkennung“ lokaler Rechtsordnungen. Vgl. Petersohn, ZRP 2002, S. 521 (524). Zur Scharia im Rahmen des Grundgesetzes siehe Bielefeldt (FN 197), S. 94 ff.; orientierend zur Scharia Rohe (FN 20), S. 21 ff. und passim. 205 Heun, in: Heinig/Walter (Hrsg., FN 18), S. 339 (341 ff.); Uhle, ebd., S. 299 (309 f., 315).

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Muezzin-Ruf auf die baulich-kulturelle Umgebung oder die Anerkennung der staatlichen Schulpflicht, zumal die Gerichte die Befreiung aus religiös motivierten Gründen zunehmend zurückweisen, mag eine diskutable Frage sein. Sie zeigt auch an, wie weit viele Aspekte der Religionsfreiheit momentan noch von der „Vertragsreife“ entfernt sind bzw. welcher Verständigungsbedarf in diesen Punkten besteht. Für eine vertragliche Regelung der Religionsfreiheit wird es grundsätzlich nicht als erforderlich angesehen, daß es sich bei der Gruppierung um eine Religionsgemeinschaft bzw. Religionsgesellschaft im grundgesetzlichen Sinn handelt206, da die kollektive Ausübung der Religionsfreiheit207 nach Art. 4 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG nicht von dieser Organisationsform abhängt. Gleichwohl ist es nicht nur sinnvoll, sondern für die Feststellung einer Handlungsform als Religionsausübung sicherlich erforderlich, daß sich Religion mindestens auf eine soziale Gruppe zurückführen läßt208, die religiös sprachfähig ist, um religiös verbindliche Vorgaben machen zu können209. Die religiöse Gruppierung muß vielleicht nicht Religionsgemeinschaft im Sinn des deutschen Staatskirchenrechts sein210. Aber die Identifikationsmöglichkeit als überindividuelle Institution „Glaubensgemeinschaft“ ist Voraussetzung dafür, daß die Gruppierung als Referenz für die Glaubhaftmachung auch individueller Handlungsweisen als Religionsausübung herangezogen werden kann. Die Religionsfreiheit ist mehr als eine bloße grundrechtlich verbürgte Handlungsoption von Individuen. Wenn die Religionsfreiheit Gegenstand einer vertraglichen Übereinkunft werden soll, setzt dies die Befugnis des Vertragspartners auf Religionsseite zur „Verteilung realer Freiheitschancen“211 voraus. Der Nachweis eines solchen Mandats und der Beleg dafür, für wen ggf. Rechte und Pflichten der konkretisieren206 Anders wäre es, wenn die Wahrnehmung der Religionsfreiheit darauf basierte, daß die einzelnen Handlungsmöglichkeiten oder -formen sich auf eine von einer Religionsgemeinschaft getragene Überzeugung zurückführen lassen müßten. Zur Kritik an einer solchen Schutzbereichsbegrenzung siehe Walter (FN 18), S. 502 ff. 207 Davon ist grundsätzlich auch die religiöse Vereinigungsfreiheit umfaßt, deren gesonderte Regelung sich aber u. U. ebenfalls als empfehlenswert erweisen könnte. 208 Zu diesem gruppenbezogenen, d. h. überindividuellen Religionsverständnis siehe etwa Classen (FN 3), Rn. 89 ff., 158 f. Siehe auch mit im Einzelnen unterschiedlichen Akzenten, die hier nicht weiter diskutiert werden sollen: Mückl, Religionsfreiheit und Sonderstatusverhältnisse, Der Staat 40 (2001), S. 96 (114 ff.); Heinig (FN 30), S. 59, 64. 209 Vgl. BVerfGE 104, 337 (353 f.); BVerwGE 112, 227 (234 f.). 210 Die irritierende Wirkung, die von BVerfGE 104, 337 in der Schächtproblematik ausging, lag in der verfassungskonformen Auslegung des einfachgesetzlichen Terminus „Religionsgemeinschaft“ in § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG als „Glaubensgemeinschaft“. Aus dieser verfassungskonformen Auslegung läßt sich aber nicht der Umkehrschluß ziehen, daß nunmehr jede Glaubensgemeinschaft als Religionsgemeinschaft/Religionsgesellschaft im Sinn des Grundgesetzes anzusehen ist.

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den Umschreibung religiöser Freiheit im Grundsatz gelten sollen, werden essentialia negotii eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags sein. Für eine den Regelungsgehalt von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV wiederholende Vereinbarung würde eine bloß überindividuelle Gruppierung nicht ausreichen. Vertragliche Regelungen zur Eigenständigkeit religiöser Gruppierungen, die ein institutionelles Selbstbestimmungsrecht verbürgen und näher ausformen sollen, setzen von Verfassungs wegen eine Religionsgesellschaft voraus212. b) Statusverleihung durch Vertrag? Die Regelung von Statusfragen ist im Recht der Staatskirchenverträge verbreitet und üblich. Sie ist aber abhängig von den verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV getroffenen – geschriebenen oder „stillschweigend mitgeschriebenen“213 – Vorgaben214. Ungeachtet der Frage, ob der Körperschaftsstatus einer muslimischen Gruppierung adäquat ist, wird ein religionsverfassungsrechtlicher Vertrag nicht die Verleihungsvoraussetzungen des Art. 140 GG/137 Abs. 5 S. 2 WRV in der vom Bundesverfassungsgericht seit der Zeugen Jehovas-Entscheidung verbindlich interpretierten Form unterlaufen und einen leichteren Erwerb dieses Rechtsstatus konzedieren können. Ein religionsverfassungsrechtlicher Vertrag ist keine überverfassungsrechtliche Zuschneidemöglichkeit für das „rechtlich-weltliche Kleid“ (Alexander Hollerbach) des Körperschaftsstatus, sondern an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden. Ebensowenig kann durch ein Beschneiden der mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Rechtspositionen (sog. „Körperschaftsstatus light“) dieser Status zu reduzierten Bedingungen vertragsrechtlich gewährt werden. Im übrigen ist der Körperschaftsstatus vorrangig davon abhängig, daß die einzelne religiöse Gruppierung als Religionsgesellschaft qualifiziert werden kann. 211 Vgl. zu diesem von Hans-Uwe Erichsen stammenden Topos Rainer Wahl, Die doppelte Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts, DVBl 1996, S. 641 (645). 212 Zum für die grundgesetzliche Ordnung konstitutiven Merkmal Religionsgesellschaft/Religionsgemeinschaft siehe unten C. III. 2. 213 Hollerbach, Urteilsanmerkung zu BVerwG Urteil vom 26. Juni 1997 – 7 C 11.96 –, JZ 1997, S. 1117 (1118). 214 Grundlegende Analyse zu diesem Rechtsstatus – vor dem Hintergrund von BVerfGE 102, 370 – Stefan Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, 2004. Siehe auch Heinig (FN 30). Speziell zum Körperschaftsstatus für muslimische Gruppierungen siehe aus dem umfangreichen Schrifttum nur: Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, S. 311. Problemübersicht auch bei Mückl (FN 18), S. 251 ff. m. w. Nachw. Ferner Lemmen (FN 20), S. 177 ff. m. w. Nachw.

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2. Mögliche „Gemeinsame Angelegenheiten“ zwischen Staat und Islam Das Recht der sog. „res mixtae“ umfaßt einen weiten Kreis von Tätigkeitsfeldern, in denen Staat und Religion(sgemeinschaften) auf Kooperation angewiesen sind215. In dem sensiblen Feld der gemeinsamen Angelegenheiten fallen staatliche Einrichtungen mit religiösen Interessen zusammen, beides ist wechselseitig miteinander verwoben, und demnach die Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaft unbedingt erforderlich. Für die Integration des Islam werden der Schul- und Hochschulbereich von großer Bedeutung sein. a) Islamischer Religionsunterricht – Religionslehrer – Lehrerausbildung an staatlichen Universitäten Dem Schulbereich wird bei der Vermeidung religiöser „Parallelgesellschaften“ große Bedeutung zugemessen216. Die besondere Integrationsaufgabe Schule manifestiert sich in der Diskussion um die Einführung eines Unterrichtsfachs „Islamischer Religionsunterricht“217 ebenso wie in der religionsmotivierten Befreiung vom Sportunterricht oder von Klassenfahrten. Ohne die Facetten aller Problempunkte hier darstellen zu können, die mit der Einführung eines Unterrichtsfachs „Islamischer Religionsunterricht“ verbunden sind, wäre eine vertragliche Regelung der mit diesem Unterrichtsfach zusammenhängenden Gesichtspunkte eine klassische Materie für einen religionsverfassungsrechtlichen Vertrag, der noch nicht einmal ein Statusvertrag im genannten Sinn sein müßte. Die Bestimmungen müßten 215 Zum deskriptiven Begriff der res mixtae nur Ehlers, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 32 (1987), S. 158 (insbes. 171 ff.). 216 Siehe aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BVerfG, BayVBl 2006, S. 633 (634). – Skeptisch zum Terminus Parallelgesellschaft mit guten Gründen Kandel (FN 136), S. 10 (unter Ziff. 17). 217 Aus dem überreichen Schrifttum zu den einzelnen Konzepten und Modellversuchen: Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.), Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen in Deutschland, 2000; Rolf Busch (Hrsg.), Integration und Religion, 2000; Urs Baumann (Hrsg.), Islamischer Religionsunterricht, 2. Aufl. 2002; Simone Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an deutschen Schulen, 2003; Anger (FN 200), S. 299 ff., 350 ff.; Axel Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen, 2003; Myrian Dietrich, Islamischer Religionsunterricht, 2006; Stefan Reichmuth/ Mark Bodenstein/Michael Kiefer/Birgit Väth (Hrsg.), Staatlicher Islamunterricht in Deutschland, 2006; Umfassend nunmehr die Beiträge in: Wolfgang Bock (Hrsg.), Islamischer Religionsunterricht?, 2006.

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ein breites Regelungsfeld abdecken: dies reicht von den mit dem Unterricht selbst zusammenhängenden Aspekten wie Lehrplangestaltung, didaktische Konzeption der Unterrichtsmaterialien bis hin zu der Frage, wer kommt als Lehrpersonal für diesen Unterricht in Betracht, welche Voraussetzungen muß die betreffende Person erfüllen, damit sie islamischen Religionsunterricht erteilen darf, bis hin zu der Lehrkräfteausbildung an der staatlichen Hochschule218. Damit erstreckt sich der Regelungsbereich noch auf Regelungsthemen, die über den eigentlichen Gewährleistungsbereich des Art. 7 Abs. 3 GG hinausgehen, aber doch gleichsam als Aspekte eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes gelesen werden können219, woraus sich wiederum ihre Regelungsbedürftigkeit ergibt. Die mit Art. 7 Abs. 3 GG verbundenen rechtlichen wie praktischen Fragen kulminieren beim islamischen Religionsunterricht darin, ob muslimische Gruppierungen oder Organisationen unter den Begriff „Religionsgemeinschaft“ zu subsumieren sind. Gerne wird in Diskussionen immer wieder darauf verwiesen, daß Art. 7 Abs. 3 GG von Religionsgemeinschaft spreche, während sich die eher institutionellen Gewährleistungen der Grundgesetzes in Art. 140 GG i. V. m. den Bestimmungen der WRV auf Religionsgesellschaften bezögen. Teilweise wird eine „Religionsunterrichtsgemeinschaft“ für ausreichend angesehen220. Es erscheint aber zweifelhaft, ob zwischen Religionsgemeinschaft und Religionsgesellschaft wirklich ein derart gravierender Unterschied besteht, der ein abweichendes Begriffsverständnis rechtfertigen würde221. Die Rechtsprechung folgt dem nicht222. 218 Frage z. B.: Muß die Lehrerausbildung in gesonderten Fakultäten, in Instituten erfolgen oder reichen einzelne Lehrstühle aus? Näher Katrin Janke, Institutionalisierter Islam an staatlichen Hochschulen, 2005, insbes. S. 5 ff. zu Bestrebungen in den Ländern zu Errichtung und Einrichtung theologischer oder religionswissenschaftlicher Lehrstühle zu diesem Zweck. Zu den ersten Initiativen der Lehrerausbildung an staatlichen Hochschulen (Erlangen, Münster, Osnabrück und Frankfurt am Main) siehe auch Dietrich (FN 217), S. 133 ff. 219 Zur Lehrerausbildung als Grundrechtsvoraussetzungsschutz siehe z. B. Christoph Link, Religionsunterricht, in: HdbStKirchR II (FN 4), S. 439 (473). Janke (FN 218), S. 42 ff., 90, 124, begründet den Anspruch zudem mit dem Grundsatz der Parität. Zu dem Topos des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes in anderem Zusammenhang Schoch, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (187 m. w. Nachw.). 220 Hans Markus Heimann, Alternative Organisationsformen islamischen Religionsunterrichts, DÖV 2003, S. 238 (242). Es erscheint angesichts der „konfessionellen Gebundenheit und Positivität“ eines grundgesetzlichen Religionsunterrichts fraglich, ob eine Gruppierung, die nicht im Vollsinne Religionsgemeinschaft ist, konzeptionelle Aspekte des Religionsunterrichts wirklich verantworten kann. Funktionell dürfte dies unmöglich sein, weil eine solche Organisation nicht die religiöstheologische Kompetenz und Sprechfähigkeit besitzt, um die religiösen Interessen gegenüber dem religiös neutralen Staat zu vermitteln.

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Dies schließt aber nicht aus, daß es hinter der Begriffsfassade zu Neujustierungen kommen kann, wie sich schon an der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage arbeitsteiliger muslimischer Dachverbände als Religionsgemeinschaft i. S. d. Art. 7 Abs. 3 GG zeigt223. Bevor aber die integrative Aufgabe der Schule hinsichtlich einer religiösen Erziehung von muslimischen Kindern wegen der mangelnden Organisation muslimischer Verbände oder Vereine scheitert, könnte das Angebot eines „Islamunterrichts“ unterhalb der Schwelle von Art. 7 Abs. 3 GG integrationsförderlicher sein. In einem solchen Fall ergibt sich aber eine Vielzahl von regelungsbedürftigen Aspekten für den weltanschaulich neutralen Staat, so daß eine vertragliche Regelung gerade in diesem Punkt wünschenswert sein könnte. Ob sie in Form eines religiösen Verwaltungsabkommens oder eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags erfolgt, mag auch eine religionspolitisch-symbolische Frage sein. b) Gründung freier Schulen und deren Finanzierung Für die christlichen Kirchen wie auch Weltanschauungsgemeinschaften ist das Recht zur Gründung freier Schulen von großer Bedeutung224. Art. 7 Abs. 4 GG setzt nicht voraus, daß es sich um eine Religionsgemeinschaft handelt, sondern gewährt auch anderen gesellschaftlichen Gruppen dem Grunde nach das Recht, freie Schulen zu gründen225. Muslimische Schulen sind grundsätzlich möglich. Ein separiertes islamisches Schulwesen läuft aber der Integrationsaufgabe des Bildungswesens zuwider226 und begegnet deshalb großen Bedenken. Die Gründung „privater Volksschulen“ ist für muslimische Gruppierungen nicht einfach möglich227. Die Gründung einer privaten Ersatzgrundschule 221 Die Entscheidung zum Berliner Religionsunterricht (BVerwGE 110, 326) ist wegen ihres besonderen rechtlichen Grundes in der Ausnahmebestimmung des Art. 141 GG in diesem Punkt nicht verallgemeinerungsfähig. 222 BVerwGE 123, 49 (54). 223 BVerwGE 123, 49 (57 ff.). Vgl. dazu eingehend Mückl, Islamischer Religionsunterricht – zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2005, RdJB 2005, S. 513. 224 Dazu und zum Folgenden umfassend Tillmanns, Die Freiheit der Privatschulen nach dem Grundgesetz, 2006. 225 Nicht mehr ganz aktuelle Beispiele zu muslimischen Schulen bei Lemmen (FN 20), S. 163 ff. 226 Durchaus skeptisch das Résumé bei Thomas Günther, Zur Zulässigkeit der Errichtung privater Volksschulen als Bekenntnisschulen religiös-ethnischer Minderheiten nach Art. 7 Abs. 5 GG, 2006, S. 280 f. 227 Speziell zu dieser Bestimmung Josef Isensee, Private islamische Bekenntnisschulen: Zur Ausnahme vom Verfassungsprinzip der für allen gemeinsamen Grund-

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nach Art. 7 Abs. 5 GG als islamische Bekenntnisschule setzt eine Religionsgemeinschaft voraus228. Das „Privatschulrecht“ ist eine übliche Materie des Vertragsstaatskirchenrechts. Regelungsgegenstand sind aber meistens nur die grundsätzlichen Fragen und nicht die näheren Aspekte der Privatschulfreiheit, die durch den Landesgesetzgeber näher ausgeformt werden229. c) Feiertagsrecht Der Schutz des Sonn- und Feiertagsrechts ist ebenfalls eine klassische Materie des Vertragsstaatskirchenrechts und könnte hinsichtlich muslimischer Feiertage ein denkbarer Vertragsgegenstand sein, etwa um feiertagsrechtliche Freistellungsansprüche zu verbürgen. Gerade das Sonn- und Feiertagsrecht ist wegen der Einteilung sozialer Zeit bedeutungsvoll für Fragen kultureller, gesellschaftlicher Identität230. Die durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV markierte Position des Sonntags läßt sich vertragsrechtlich nicht zugunsten des muslimischen Freitags einfachhin verschieben. Der verfassungsrechtlichen Garantie des Sonntags kommt eine Sperrwirkung zu231. Ebenso lassen sich die herkömmlichen anerkannten Feiertage, die – mit Ausnahme der Feiertage 1. Mai und 3. Oktober – sämtlich auf christliche Feste zurückgehen, nicht einfach „pulverisieren“, wenngleich sie nicht von absoluter verfassungsrechtlicher Dignität sind, weil sie der Disposition des Landesgesetzgebers unterfallen. Dies schließt aber nicht aus, daß Feiertage von Minderheitenreligionen geschützt werden. Ein solcher Schutz ist schon jetzt z. B. hinsichtlich jüdischer Feiertage sowohl durch Gesetz232 als auch durch religionsverfassungsrechtliche Verträge233 vorgesehen. Entsprechenschule, in: FS Rüfner (FN 195), S. 355 m. w. Nachw. – Umfassend zu dem Problemkreis islamische Grundschule Günther (FN 226). 228 Isensee, in: FS Rüfner (FN 195), S. 355 (371). Ferner Günther (FN 226), S. 203 ff. m. w. Nachw. 229 Näher Tillmanns (FN 224), S. 14 ff., 24 ff., 38 ff. m. w. Nachw. 230 Peter Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätsmerkmale des Verfassungsstaates, 1987; ders., Der Sonntag als Verfassungsprinzip, 2. Aufl. 2006. – In diesem Kontext auch Uhle, Freiheitlicher Verfassungsstaat und kulturelle Identität, 2004, S. 292 ff. m. w. Nachw.; ferner Stollmann, Der Sonn- und Feiertagsschutz nach dem Grundgesetz, 2003. 231 Vgl. dazu Stollmann, Islamische Feiertage in Deutschland, NVwZ 2005, S. 1394. 232 § 6a SaarlFeiertagsG; § 9 FeiertagsG NRW; Art. 6 BayFeiertagsG. Siehe auch § 8 Abs. 1 lit. e bis k Bremer Gesetz über die Sonn- und Feiertage. 233 Vgl. Art. 4 des Vertrags des Landes Sachsen Anhalt mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt vom 20. März 2006, GVBl. S. 468.

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des ließe sich für muslimische Feiertage vertraglich regeln. Aber auch hier stellt sich das Problem, ob die muslimische(n) Gruppierung(en) als Religionsgemeinschaft qualifiziert werden müßten, um über diese Frage disponieren zu können. Zu den religiösen Feiertagen, die keine gesetzlich anerkannten allgemeinen Feiertage sind234, zählen nur die Feiertage von Kirchen und Religionsgesellschaften235. Der Schutz der religiösen Feiertage wird dadurch gewährleistet, daß den Angehörigen der Religionsgemeinschaft Gelegenheit zum Besuch der religiösen Feiern eingeräumt wird, sofern nicht betriebliche Gründe dem entgegenstehen236. Ob pauschal auf die religiösen Feiertage einer Religionsgemeinschaft verwiesen wird237, die Feiertage ausdrücklich gesetzlich aufgezählt werden238 oder eine Landesregierung zur feiertagsrechtlichen Festlegung eines religiösen Feiertags ermächtigt wird239, ist von Land zu Land unterschiedlich. Daß es sich um Feiertage einer Religionsgemeinschaft handeln muß, ist feiertagsrechtliches Gemeingut. d) Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen – Zeugnisverweigerungsrechte Die Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen ist zwar in Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV verfassungsrechtlich fundiert, aber regelmäßig Gegenstand der herkömmlichen Staatskirchenverträge. Auf den ersten Blick wird man die seelsorgerische Versorgung von Muslimen in entsprechenden Einrichtungsformen anerkennen können. Wie die Seelsorge im einzelnen beschaffen sein muß, könnte auf den zweiten Blick aber fragwürdig werden. Kennt der Islam eine explizit religiöse Pastoral, die sich von sozialfürsorgerischem240 Engagement unterscheidet? Gibt es bei den Muslimen spezielle Amtspersonen, denen die Seelsorge obliegt? Reicht es ggf. aus, 234 Ältere Rechtsbestimmungen sprechen allgemein von einem kirchlichen Feiertag, erstrecken sie aber auch auf die Feiertage von Religionsgemeinschaften, siehe etwa § 2 Abs. 1 Berliner Gesetz über die Sonn- und Feiertage. 235 § 2 Abs. 4 BbgFeiertagsG; § 2 Abs. 1 Berliner Gesetz über die Sonn- und Feiertage. 236 Vgl. § 7 BbgFeiertagsG. 237 Dies geschieht nicht selten dadurch, daß es sich um Feiertage der Kirchen oder einer „anerkannten Religionsgemeinschaft“ handeln muß. Vgl. z. B. § 3 HambFeiertagsG, § 7 Abs. 1 BbgFeiertagsG. 238 § 3 Abs. 1 ThürFeiertagsG; § 7 NdsFeiertagsG. 239 Bemerkenswert § 3 Abs. 2 SächsFG: Bei der Festlegung darf die Staatsregierung berücksichtigen, ob hierfür aufgrund der Bedeutung einer Religionsgemeinschaft nach Tradition oder Mitgliederzahl ein Bedürfnis besteht. 240 Siehe zu dieser Abgrenzung BGHSt 37, 138, sowie BVerfG, NJW 2007, S. 1865 (1866 f.).

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Muslimen einen Gebetsraum zur Verfügung zu stellen, in dem sie ihre Gebete verrichten können? Die Art und Weise sowie der Umfang der speziellen Seelsorge in staatlichen Anstalten ist sicherlich ein tauglicher Vertragsgegenstand, damit die regelungsbedürftigen Aspekte hinsichtlich der speziell muslimischen Erfordernisse präzisiert werden. Grundsätzlich erscheint es aber fraglich, ob das Seelsorgekonzept der christlichen Kirchen als Referenz für eine Analogie zugunsten der Muslime herangezogen werden kann. Hier besteht sowohl Informations- als auch Verständigungsbedarf, bevor es zu einer vertraglichen Regelung kommen kann. Das Problem zeigt sich auch in der Frage, ob die vertragliche Vereinbarung eines Seelsorgegeheimnisses und eines darauf basierenden Zeugnisverweigerungsrechts mit islamischen Vorstellungen konvergiert. Gibt es eine dem christlichen Beicht- und Seelsorgegeheimnis korrespondierende Schweigeverpflichtung im Islam? Dies wäre aber Voraussetzung dafür, daß substantiiert ein dem Seelsorgegeheimnis entsprechender Schutz beansprucht werden könnte241. Da der Islam – mit Ausnahme der Schiiten – nicht hierarchisch konstituiert ist, Imame eher theologisch gebildete muslimische Laien sind, die nicht einer amtlichen Beauftragung und daraus resultierenden Amtspflichten unterfallen, ist eine allzu schnelle, gut gemeinte Übertragung dieser Regelungskonzeption fragwürdig. Ungeachtet einer religionsrechtlichen Vorschrift zur Verschwiegenheit muß es sich bei dem seelsorgerisch tätigen Betreuer um den Funktionsträger einer Religionsgemeinschaft handeln. Eine solche institutionelle Rückkoppelung des religiösen Betreuers und religionsrechtliche Betrauung ist erforderlich, damit dieser Aspekt überhaupt Gegenstand eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrages werden könnte. Zudem wird überwiegend angenommen, daß etwa das Zeugnisverweigerungsrecht nur dem Bediensteten einer Religionsgemeinschaft zugebilligt werden kann, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfaßt ist242. Ob sich dies etwa aus der Strafprozeßordnung zweifelsfrei ergibt, wird aber teilweise in Zweifel gezogen243. Ein entsprechendes Problem ergibt sich auch für das Gefahrenabwehrrecht244. Auch bei dem möglichen Regelungspunkt Zeugnisverweigerungsrecht ergeben sich eine Viel241

Zur Beichte und dem beichtähnlichen Gespräch als in der Menschenwürde fundierter Aspekt der Religionsfreiheit BVerfGE 109, 279 (322). 242 § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO stellt auf die Geistlicheneigenschaft ab, wozu in der Literatur nur die „Amtspersonen“ einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft gezählt werden. Statt vieler Lutz Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung – Kommentar, 49. Aufl. 2006, § 53 Rn. 12 m. w. Nachw. 243 Kritisch z. B. Walter Fischedick, Die Zeugnisverweigerungsrechte von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, 2006, S. 95 ff., 109 ff. – Siehe aber jetzt BVerfG, NJW 2007, S. 1365 (1366). 244 Ablehnend gegenüber einer Beschränkung auf „Geistliche“ von korporierten Religionsgemeinschaften auch im Polizeirecht etwa Jochen Zühlcke, Der Schutz

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zahl von Fragen, die keineswegs als geklärt betrachtet werden können und hinsichtlich möglicher Grenzen auszutarieren sind245. e) Sonstige Materien Weitere denkbare Regelungsthemen eines muslimischen Vertrags könnten das Friedhofs- und Bestattungsrecht sein, zumal es gerade in diesem Bereich muslimische Spezifika (Bestattungsarten und -rituale) gibt246, die von deutschen Regelungsstrukturen abweichen und auch durch die Liberalisierungstendenzen in diesem Rechtsgebiet vielleicht nicht aufgefangen werden247. Für die Anlage eines Friedhofs ist es bestattungsrechtlich in der Regel erforderlich, daß eine korporierte Religionsgemeinschaft handelt248, es sei denn, daß das Landesrecht private Rechtsträger zuließe249. Ein weiterer Gesichtspunkt könnte das Rundfunkwesen sein. Hier käme zum einen in Betracht, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu verpflichten, angemessene Sendezeiten zur Übertragung religiöser Sendungen muslimischen Inhalts einzuräumen. Es muß sich dann um eine muslimische Religionsgemeinschaft handeln, die den religiösen Gehalt der Sendungen gestaltet und verantwortet. Bemerkenswert ist eine Vorschrift, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zur Achtung der sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung verpflichtet250. Eine solche Verpflichtung wird aber nur allgemein sittlich-religiöse Gefühle, weniger spezielle Empfindlichkeiten schützen können. von besonderen Vertrauensverhältnisse im Polizeirecht der Länder, 2004, S. 115 f. m. w. Nachw. 245 Allgemein könnte sich auch aus staatlicher Sicht ein Interesse ergeben, den religiösen Geheimnisschutz zu differenzieren und unterschiedlich zu gewichten, je nachdem ob es um Strafverfolgung oder präventive Maßnahmen geht. Hierbei könnte gerade bei der präventiven Verbrechensbekämpfung die staatliche Schutzverpflichtung eine besondere Bedeutung erlangen. 246 Dazu kurze Information in: Hannes-Rainer Müller-Hannemann (Hrsg.), Lexikon Friedhofs- und Bestattungsrecht, 2002, S. 235 ff. (zur islamischen Bestattung). Siehe auch Lemmen (FN 20), S. 157 ff.; Muckel, in: Kreß (Hrsg., FN 152), S. 119 (122 ff.) m. w. Nachw. 247 Dies betrifft insbesondere die dem deutschen Bestattungsrecht eigenen Regelungen zur Sargpflicht. 248 Durchaus typisch in diesem Punkt § 1 Abs. 2 BestG NRW. Vgl. nur Tade Matthias Spranger, Bestattungsgesetz Nordrhein-Westfalen – Kommentar, 2003, § 1 Anm. II.2. 249 Vgl. etwa § 1 Abs. 4 BestG NRW. Zu Privatisierungsoptionen siehe Spranger (FN 248), § 1 Anm. III., VI. m. w. Nachw. 250 I. d. S. Art. 24 S. 2 Evangelischer Kirchenvertrag Berlin vom 20. Februar 2006, GVBl. S. 715.

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Praktische wie rechtliche Fragen wirft weiterhin die Berücksichtigung muslimischer Organisationen in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten auf, weil die Rundfunkstaatsverträge nicht die Berücksichtigung sämtlicher Religionsgemeinschaften vorsehen, sondern nur ausgewählter. Zwar gibt es in der Bundesrepublik eine große Anzahl von Bürgern muslimischen Glaubens, doch nur ein vergleichsweise geringer Teil ist momentan in Moscheevereinen, Verbänden oder anderen Einrichtungsformen organisiert, so daß keine Organisation sich momentan wohl zahlenmäßig nachweisbar wirklich als Repräsentant einer großen Gruppe von Muslimen gerieren kann. 3. Neubegründung von Staatsleistungen und sog. Kirchengutsgarantie Besonderer Regelungsgegenstand sämtlicher Staatskirchenverträge sind die sog. Staatsleistungen als fortlaufende, regelmäßig wiederkehrende vermögenswerte Leistungen251. Sie können sowohl in Zuschüssen oder vergleichbaren Zuwendungen bestehen (positive Staatsleistungen) als auch in Steuervergünstigungen252 (negative Staatsleistungen). Verfassungsrechtlich dirigiert wird dieser Sektor durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 und 2 WRV. Für muslimische Staatsverträge ergibt sich die Frage, ob überhaupt neue Staatsleistungen durch Vertrag begründet werden dürfen. Nur wenige nehmen ein prinzipielles Neubegründungsverbot für Staatsleistungen an. Die überwiegende Auffassung hält die Begründung neuer Staatsleistungsverpflichtungen zumindest grundgesetzlich für nicht ausgeschlossen253. Grundsätzlich muß es sich aber um eine Religionsgesellschaft handeln, wobei der Körperschaftsstatus zwar eine finanzielle Besserstellung rechtfertigt, sie aber keineswegs einfordert254. Schließlich sehen einige Staatskirchenverträge sogar ausdrücklich Gebührenbefreiungen vor, die ansonsten nicht als (negative) Staatsleistung qualifiziert werden255 und deshalb aus dem Schutz251 Allgemein dazu Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 1009; Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004. 252 Vgl. dazu umfassend Peter Axer, ArchKathKR 156 (1987), S. 460 m.w. Nachw. 253 Isensee, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 1009 (1057 ff.); Droege (FN 251), S. 244 ff. – Siehe auch zu diesem Punkt de Wall (FN 11), S. 79 f. 254 Isensee, in: HdbStKirchR I (FN 4), S. 1009 (1025). 255 Näher BVerfGE 19, 1 (14 ff. – zu Gerichtsgebühren); vgl. auch Droege (FN 251), S. 194 ff. m. w. Nachw. Als Spezialfrage siehe Jürgen Schmidt-Räntsch, Gerichtskostenfreiheit für Kirchen beim Bundesgerichtshof, ZfIB 2006, S. 360. Dieses Problem wurde jüngst bei einer muslimischen Glaubensgemeinde relevant, die als eingetragener Verein organisiert und Trägerin einer Moschee in Berlin ist. Die Gemeinde geriert sich als Untergliederung der IRB in Berlin (zu ihr oben B. II.).

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regime des Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 WRV ausscheiden. Ungeachtet der Sonderstellung von Staatsleistungen im deutschen Staatskirchenrecht ist es dem Staat unbenommen, muslimische Gruppierungen im Rahmen einer sozialstaatlich-kulturellen Aufgabenverpflichtung auf gesetzlicher Grundlage256 zu subventionieren257; ein Vertrag über solche Leistungen müßte kein staatsrechtlicher Vertrag sein. Soll die staatliche Leistungsverpflichtung an eine religiöse Gruppierung aber auch den Haushaltsgesetzgeber über einen längeren Zeitraum binden, müßte die Zuwendungsvereinbarung über die Staatsleistung durch Gesetz in das Landesrecht transformiert werden258. Die sog. Kirchengutgarantie nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV könnte auch für die muslimischen Organisationen interessant sein, weil durch die Bestimmung nicht nur das religiöse Gut von Religionsgesellschaften, sondern auch von religiösen Vereinen geschützt wird. Der Regelungsgehalt wird aber dadurch relativiert, daß diese Verfassungsbestimmung muslimischen Vereinen beim Schutz ihrer sächlichen Grundlagen etwa für die Religionsausübung oder religiösen Wohlfahrtspflege keine zusätzlichen Rechtspositionen wie Nutzungsrechte o. ä. hinzufügt, sondern lediglich den Bestand nach Maßgabe der vorhandenen rechtlichen Qualität absichert259. Da z. B. solche althergebrachten Rechte für Muslime kaum bestehen dürften, ist eine Regelung dieses Aspekts eher irrelevant.

III. Besteht ein Anspruch auf Abschluß eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags? Die Handlungsform des Vertrages wird als besonders zielgenaues Instrument aufgefaßt, den Sachbereich von Staat und Religion auszugestalten. Grundsätzlich sind Verträge mit den Religionsgemeinschaften, denen der Großteil der religiös gebundenen Bevölkerung angehört, in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur eine bloße Option, sondern religionsverfassungsrechtliche Normalität. Damit stellt sich aber die Frage, ob es etwa einen rechtlichen Anspruch muslimischer Gruppierungen auf Abschluß eines reliBGH, NJW-RR 2007, S. 644, nimmt keine Stellung zum Rechtsstatus der IRB, sondern führt unter Hinweis auf eine Verordnung aus dem Jahr 1883 aus, daß die Gerichtskostenfreiheit vor dem obersten Gerichtshof nur den Trägern von Kirchen- und Kulturzwecken dienendem Vermögen zukommt, soweit sie bedürftig sind. Da die Bedürftigkeit im konkreten Verfahren nicht nachgewiesen wurde, wurde die Erinnerung des Beklagten zurückgewiesen. 256 In der Regel liegt die Rechtsgrundlage im formellen Haushaltsgesetz. 257 Zu dieser Option de Wall (FN 11), S. 80 f. 258 Vgl. de Wall (FN 11), S. 38. 259 BVerfGE 99, 100 (Leitsatz 2).

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gionsverfassungsrechtlichen Vertrages gibt und welche institutionell-organisatorischen Voraussetzungen an die konkrete Gruppierung zu stellen sind, damit sie Vertragspartner sein kann. 1. Kontrahierungszwang im Religionsverfassungsrecht? Der Blick nach Italien, auch das Bemühen der IRB oder die tastenden Initiativen in Hamburg zeigen, daß es nicht selten die Religionen sind, die sich mit einer Vertragsofferte an den Staat wenden. Damit stellt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Abschluß eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung nur an einer Stelle die Frage des Kontrahierungszwangs bei Staatskirchenverträgen gestreift und in einem obiter dictum lapidar festgestellt, daß es „völlig im Belieben des Staates (stehe), ob und mit welchen Kirchen er Verträgen schließen will“260. Mit Ausnahme vielleicht des Art. 109 Abs. 2 Satz 2 SächsLV wird die Handlungsform des Vertrages den Bundesländern nicht vorrangig verfassungsrechtlich vorgegeben. Ein Vorrang vertraglicher Regelungen in diesem Sachbereich besteht demzufolge regelmäßig nicht261, so daß es grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Bundeslandes liegt, einen Vertrag zu schließen. Daß religionsverfassungsrechtliche Verträge geschlossen werden dürfen, ist unbestritten, ob es zu Vertragsverhandlungen und einem Vertragsabschluß kommt, somit eher eine Frage des religionspolitischen Wollens. Das Ermessen des Landes kann allenfalls durch den religionsverfassungsrechtlichen Grundsatz der Parität eingeschränkt werden. Der Paritätsgrundsatz ist aber kein staatskirchenrechtliches Planierinstrument262. Martin Heckel hat zu Recht herausgestellt, daß der Paritätsgrundsatz janusköpfig sei und gleichermaßen egalisierend wie differenzierend wirke. Eine Reduzierung des Vertragsschlußermessens „auf Null“ wird gegenwärtig zwar nicht a priori ausgeschlossen, ist aber letztlich immer eine 260

BVerfGE 19, 1 (12). Siehe jetzt auch VG Berlin (FN 140). Deutlich kommt die Gleichgewichtigkeit von Gesetz und Vertrag etwa in Art. 59 Abs. 1 HessLV zum Ausdruck. Entsprechendes gilt für Art. 23 LV NRW oder Art. 8 LV BW. 262 In Anlehnung an Martin Heckel, Gleichheit oder Privilegien, 1993, S. 24. Sehr bemerkenswertes Plädoyer für ein „Diversity Management“ statt formaler Gleichbehandlung der Religionen bei Karl-Heinz Ladeur/Ino Augsberg, Toleranz – Religion – Recht: Die Herausforderung des „neutralen“ Staates durch neue Formen von Religiösität in der postmodernen Gesellschaft, 2007, S. 91 ff. und passim. Eine Rechtfertigung für eine Differenzierung wird etwa darin gesehen, daß Religionen und Gruppen von Religionsangehörigen die prinzipielle Scheidung zwischen weltlicher und religiöser Sphäre akzeptieren müssen. Siehe auch Luca di Balsi, Relativierung der Relativierung: Plädoyer für eine Revision der Gleichbehandlungen der Religionen, in: Sinn und Form 2005, S. 193. 261

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Frage konkreter Einzelfälle und Vergleichbarkeiten. Als zulässige Differenzierungskriterien lassen sich u. U. folgende Aspekte heranziehen: reale, nachweisbare Größe einer religiösen Gruppierung, der Grad ihrer öffentlichen Wirksamkeit, ihre kultur- und sozialpolitische Stellung in der Gesellschaft und nicht zuletzt ihr rechtlicher Status. Die große Anzahl von Muslimen in der Bundesrepublik Deutschland wäre ein erstes Indiz dafür, daß es einen „Vertragsbedarf“ geben könnte. Jedoch gibt es eine Vielzahl muslimischer Organisationen, bei denen nicht hinreichende Klarheit darüber besteht, wie groß wirklich die Zahl der Muslime ist, für die sie sprechen können. Die Repräsentativität von Dachverbänden ist nicht selten fragwürdig. Eine Organisation, bei der unklar ist, für wen sie überhaupt sprechen und rechtlich verbindlich nach außen handeln kann, ist ein sicheres Indiz dafür, daß der Staat ermessensfehlerfrei einen Vertragsschluß ablehnen kann263. Der Paritätsgrundsatz könnte die Option zum Vertragsschluß nur dann zu einer Vertragsverpflichtung verdichten, wenn es sich um vergleichbare Personengruppen handelt. Eine Anlehnung an die bisherigen Staatskirchenverträge mit den christlichen Kirchen muß schon deshalb ausscheiden, weil muslimische Gruppierungen sich gravierend von Kirchen unterscheiden264. Gleichfalls läßt sich durch den Hinweis auf die Jüdischen Verträge keine paritätische Verpflichtungssituation konstruieren. Selbst wenn die jüdischen Gemeinden und Dachverbände weniger Mitglieder haben als es Schätzungen nach Muslime in Deutschland gibt, so scheiden sie doch als Vergleichspunkt wegen der historischen Besonderheiten in der Regel aus265. Schließlich läßt sich allein aus dem öffentlich-rechtlichen Status einer Religionsgemeinschaft nicht die zwingende Konsequenz folgern, daß mit ihr ein religionsverfassungsrechtlicher Vertrag geschlossen werden müsse. 263 Es muß sich nicht einmal um eine Mikroorganisation handeln. Siehe im Übrigen zu diesem Punkt die Entscheidung des VG Berlin (FN 140). Das Verwaltungsgericht rügt, daß die IRB keinen Nachweis über die genaue Anzahl ihrer natürlichen Mitglieder geben konnte, sondern lediglich eine Mitgliederliste vorlegen konnte, auf der nur die Mitgliedschaft juristischer Personen – darunter nur (!) elf Moscheevereine – verzeichnet war. 264 Dies heben gerade muslimische Gruppierungen immer wieder hervor, wenn sie sich dem vermeintlichen „Verkirchlichungserfordernis“ des deutschen Staatskirchenrechts widersetzen. Ob die grundgesetzliche Ordnung von Staat und Religion wirklich „Verkirchlichung“ voraussetzt, erscheint zweifelhaft. Nicht zu leugnen ist aber, daß etwa Art. 140 GG von einem gewissen Organisationsgrad ausgeht und auch ausgehen muß. Siehe im übrigen VG Berlin (FN 140), das zu Recht darauf hinweist, daß das Land Berlin keineswegs mit allen Religionsgemeinschaften in Berlin vertragliche Beziehungen unterhalte und somit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu gewärtigen sei. 265 Die besondere historische Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland war maßgebliche Legitimation für den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden im Jahr 2003, die sich auch kompetenzrechtlich auswirkte.

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Resümierend kann festgehalten werden, daß ein Anspruch auf Abschluß eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrages zwar vielleicht nicht auszuschließen ist, aber in der Regel nicht durchschlagen dürfte. Sollte dann mit einer muslimischen Gruppierung ein Vertrag geschlossen werden, könnte dies aber Auswirkungen auf möglicherweise noch andere bestehende Gruppierungen haben, die vertragsrechtlich nicht beteiligt sind, aber partizipieren möchten. Hier könnte unter Umständen der Paritätsgrundsatz zum Tragen kommen, so daß ein staatliches Interesse daran besteht, alle potentiellen Vertragspartner an einem Vertrag zu beteiligen, wenn die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede – z. B. in religiöser Hinsicht – nicht von so erheblichem Gewicht sind, daß dies wieder eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Nur zu vermerken sei schließlich, daß der Abschluß eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags für sich genommen noch nicht dessen Verbindlichkeit begründet. Diese setzt die parlamentarische Mitwirkung in Form des Zustimmungsgesetzes voraus, so daß der möglicherweise konstruierbare Kontrahierungszwang mit einem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Normerlaß verbunden sein müßte. Dessen Herleitung aus dem Grundgesetz erscheint aber fragwürdig, da dieser Anspruch den demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgeber binden müßte.

2. Die Frage aller Fragen: Wer kann auf Religionsseite Vertragspartner sein? Während die staatliche Zuständigkeit sich nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung richtet, so stellt sich die Frage, mit wem ein Land266 ggf. einen religionsverfassungsrechtlichen Vertrag schließen kann und soll. Die Frage des Könnens wird durch materiell-rechtliche Vorgaben dirigiert, die in der starken institutionellen Ausrichtung des deutschen Religionsverfassungsrechts wurzeln. Ankerpunkt für Statusverträge ist dabei die Fundamentalvoraussetzung „Religionsgemeinschaft“. Daran schließt sich die Frage an, ob der Staat weitere Voraussetzungen an den Partner eines möglichen religionsverfassungsrechtlichen Vertrages stellen darf.

266 Die weitaus überwiegende Zahl religionsverfassungsrechtlicher Materien ist „Hausgut“ der Bundesländer; der Jüdische Staatsvertrag von 2003 ist kompetenzrechtlich vielleicht sogar zweifelhaft, und nur wegen der besonderen historischen Verpflichtung – mit Vorbehalten – zu rechtfertigen.

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a) Basisvoraussetzung: Religionsgemeinschaft/-gesellschaft Als Partner eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrages, der nicht nur punktuelle Gesichtspunkte, sondern grundlegende Aspekte auf Dauer stabil regeln will, kommt nur eine Institution in Betracht, die diesem Regelungsanliegen gerecht werden kann. Es gehört zu den Grundlinien des deutschen Religionsverfassungsrechts, daß es durch einen nicht geringen Grad an Institutionalität geprägt ist, der sich letztlich vor allem entwicklungsgeschichtlich erklären läßt und aufgrund dieser Pfadabhängigkeit insbesondere auf die seit alters angestammten christlichen Kirchen appliziert, ohne aber auf diese beschränkt zu sein. Das Religionsverfassungsrecht ist insofern entwicklungsoffen und durch flexible Kontinuität gekennzeichnet. Gerade bei der Aufgabe, „den Islam“ als relativ junge „Migrantenreligion“ in das religionsverfassungsrechtliche Gefüge des Grundgesetzes zu integrieren, stellt sich die Frage: „Wieviel Institution braucht Religion?“267. Teilweise wird dieses Anliegen mit dem Einwand abgewiesen, daß eine „Verkirchlichung des Islams“ verlangt werde. Religionsverfassungsrechtliche Anforderungen lassen sich aber nicht dadurch desavouieren, daß Normen und Rechtsbegriffe Anforderungen enthalten, die nach binärer Codierung dazu führen, daß tatbestandliche Voraussetzungen für eine Rechtsfolge erfüllt werden müssen. Die Norm kann zwar Anpassungen oder auch Erweiterungen erfahren, weil eine Norm keine Attacke auf die Wirklichkeit sein soll268, sie muß aber, da an ihren Text Rechtsfolgen geknüpft sind und Rechtsbegriffen eine Ordnungs- und Stabilisierungsfunktion zukommt, definierbar bleiben. Wenn etwa Werner Heun konstatiert, daß dem Islam bzw. nicht wenigen Phänomenen muslimischen Lebens wegen ihrer eigenen Strukturen die institutionellen Gewährleistungen der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung praktisch verschlossen bleiben müssen269, so ist dies nicht a priori ein Defekt der rechtlichen Ordnung oder Diskriminierung einer Religion, sondern möglicherweise eine Konsequenz der Subsumtion der tatsächlichen Verhältnisse unter die Normen. Basisvoraussetzung eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags ist es, daß Vertragspartner regelmäßig eine Religionsgesellschaft sein muß, weil die meisten Regelungsthemen eine solche Institution voraussetzen. Religionsgemeinschaft und Religionsgesellschaft werden nach deutschem Staatskirchenrecht synonym verwandt; zwischen beiden Begriffen besteht 267 Vgl. zu dieser Frage: Haus der kirchlichen Dienste (Hrsg.), Wieviel Institution? (FN 188). 268 So ein Diktum von Friedrich Müller, Normbereiche von Einzelgrundrechten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968, Vorwort. 269 Heun, in: Heinig/Walter (Hrsg., FN 18), S. 339 (341).

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kein Unterschied270. Der Begriff Religionsgesellschaft ist Grund- und Schlüsselbegriff des deutschen Religionsverfassungsrechts. Er ist rechtsformunabhängig271 und wird anders als im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 nicht definiert272. Dies hat nicht zur Konsequenz, daß der Begriff konturenlos und beliebig interpretierbar wäre. Als maßgeblich gilt nach wie von Anschütz gegebene klassische Definition: „‚Religionsgesellschaft‘ ist ein die Angehörigen eines und desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse (. . .) – für ein Gebiet (Land, Teile eines Landes, mehrer Länder, das Reichsgebiet) zusammenfassender Verband zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben“273. Diese Definition hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst erst wieder bestätigt274. Sie ist auch Ausgangspunkt für neuere Interpretationen, die diese Formel häufig nur in moderneren Wendungen variieren275. Gerade hinsichtlich muslimischer Gruppierungen wird diskutiert, ob aus der Anschütz’schen Formel das personale Element einer Religionsgemeinschaft sich zwingend in der Mitgliedschaft einzelner Individuen in einer Religionsgemeinschaft zeigen muß. Einige halten eine eher anstaltliche Organisation mit einer minimalen Mitgliederzahl und einem unbestimmten Nutzerkreis für möglich276, während andere für die Schaffung 270 Classen (FN 3), Rn. 239; Magen, in: Dieter Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. II, 2002, Art. 140 Rn. 59. 271 Vgl. BVerfGE 83, 341 (355). 272 Teil II Titel I § 10 ff. PrALR. Religionsgesellschaften im Sinne des Landrechts waren nicht nur sog. Kirchengesellschaften, sondern auch die geistlichen Gesellschaften (z. B. Orden und ordensähnliche Kongregationen). Das Allgemeine Landrecht unterschied weiterhin die ausdrücklich staatlich aufgenommenen von den bloß geduldeten oder den unerlaubten Kirchengesellschaften. Art. 13 der Preußischen Verfassungsurkunde (1850) subsumierte später die geistlichen Gesellschaften nicht mehr unter den Oberbegriff der Religionsgesellschaften, und auch Art. 124 Abs. 1 S. 3 WRV unterschied die religiösen Vereine und Gesellschaften von den Religionsgemeinschaften. Instruktiv Korioth, Die Entwicklung der Rechtsformen von Religionsgemeinschaften in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hans Kippenberg/ Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Die verrechtlichte Religion, 2005, S. 109. 273 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl. 1933, Anm. 2 zu Art. 137 (= S. 633). Vgl. auch Muckel, DÖV 1995, S. 311 (312). 274 BVerwGE 123, 49 (54) unter Hinweis auf BVerwGE 99, 1 (3). 275 Ralf Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz, Der Staat 39 (2000), S. 49; Bodo Pieroth/Christoph Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“?, JuS 2002, S. 937; Heinig (FN 30), S. 65 ff. Umfassend und grundlegend zum Problemkreis Muckel, Wann ist eine Gemeinschaft Religionsgemeinschaft?, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag, 2004, S. 715. 276 Emmanuel Vahiud Towfigh, Die rechtliche Verfassung von Religionsgemeinschaften, 2006, S. 127, 131 ff. – Kritisch zu mitgliedschaftlichen Strukturen auch

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eines religiösen Mitgliedschaftsrechts auch bei Muslimen plädieren277, obwohl diese Religion keine objektiv feststellbaren Kriterien der Zugehörigkeit zum Islam in Form von Aufnahmeriten, Registereintragungen o. ä. verfügt278. Weiterhin stellt sich bei eher arbeiteilig organisierten Verbänden das Problem, ob der Dachverband mit seinen Unterorganisationen insgesamt Religionsgemeinschaft sein kann und/oder ob ggf. seine Mitgliedsverbände jeweils Religionsgemeinschaft sein müssen. Der klassischen Definition wird nicht selten entgegengehalten, daß sie für Muslime nicht erfüllbar sei, da die Begriffsbestimmung zu sehr auf organisatorische Voraussetzungen abstelle. Aus diesen Schwierigkeiten zu folgern, auf jegliche Definitionsmerkmale zu verzichten, ist rechtsdogmatisch nicht schlüssig, weil das Vorliegen einer Religionsgemeinschaft normative Voraussetzung dafür ist, bestimmte verfassungsrechtliche Gewährleistungen wie den Religionsunterricht, das Selbstbestimmungsrecht u. ä. m. wahrnehmen zu können. Die muslimischen Organisationsschwierigkeiten beruhen auf keinem islamisch begründeten Verbot der Selbstorganisation279. Die Verfassungsrechtsordnung wie auch die einfachgesetzlichen Bestimmungen erwarten formale Zusammenschlüsse von einzelnen Mitgliedern oder Mitgliedsgruppen, die sich zu zweckorientierter Aufgabenerfüllung zusammenfinden280. Die Aufgabenerfüllung setzt voraus, daß es z. B. Mitgliedschaftsregeln, Organe und Instanzen, Normierungs-, Führungs- und Verwaltungskompetenzen gibt281. Es gehört wesentlich zu einer Religionsgemeinschaft, daß ihre Anhänger Teil der formalen Organisation sind. „Würde sich nur die faktisch handelnde Kernorganisation rechtlich organisieren, könnten ihr die Anhänger staatlicherseits nicht zugerechnet werden, da sie mit den Mitteln des Rechts nicht identifizierbar sind“282. Das ist der Grund, weshalb die Qualifikation als Religionsgemeinschaft immer auf einem „personalen Classen (FN 3), Rn. 380; siehe auch Magen, in: Umbach/Clemens (Hrsg., FN 270), Art. 140 Rn. 60, der unter Hinweis auf BVerfGE 83, 341 (353) es auch für möglich hält, daß nur das Leitungsgremium vereinsmäßig organisiert ist. Ob dies verallgemeinerungsfähig ist, darf bezweifelt werden, zumal sich das Gericht lediglich mit den Art. 137 Abs. 2 und 4 WRV auseinanderzusetzen hatte (vgl. Classen [FN 3], Rn. 375). 277 Vgl. Heinig (FN 30), S. 66 f., 72 f. Zur Notwendigkeit eines solchen Mitgliedschaftsrechts aus Regelungszusammenhängen näher Muckel, in: FS Listl (FN 275), S. 715 (732 f., 736 ff., 740 f.). 278 Lemmen, Wer kann für wen sprechen?, Herder-Korrespondenz 59 (2005), S. 182 (183). 279 Vgl. dazu – und insgesamt sehr instruktiv – nur Rohe, in: Haus der kirchlichen Dienste (Hrsg., FN 188), S. 5 (8). 280 Im Anschluß an Karl-Siegbert Rehberg, Institutionen, Kognitionen und Symbole, in: Andrea Maurer/Michael Schmid (Hrsg.), Neuer Institutionalismus, 2002, S. 39 (49). 281 Rehberg, ebd. Siehe auch Magen (FN 214), S. 264 ff. 282 Magen (FN 214), S. 265.

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Substrat“ aufruhen muß. Das BVerwG beharrt in diesem Punkt nicht darauf, daß sich nur natürliche Personen zu einer Religionsgemeinschaft zusammenschließen können und die Einzelpersonen immer unmittelbar Mitglieder der Religionsgemeinschaft sein müssen283. Vielmehr läßt das Gericht es zu, daß es einen arbeitsteilig, mehrstufig organisierten Verband geben kann. Zumindest der untere Verband muß sich aber auf einen Zusammenschluß von natürlichen Personen beziehen und darf dabei nicht nur eine Organisation sein, die sich partiellen religiösen Zwecken widmet. Wenngleich klare und nachprüfbare Regeln über die Aufnahme in die islamische „Glaubensgemeinschaft“ Schwierigkeiten bereiten, wird es nicht ausreichen, sich etwa hinsichtlich des Religionsunterrichts mit der Mitgliedschaft der Eltern oder sogar nur eines Elternteils zu begnügen und beim schulpflichtigen Kind eine Zugehörigkeit bloß zu vermuten284. Zur Transparenz ist es erforderlich, daß es klare und nachprüfbare Regelungen der Zugehörigkeit zu den „örtlichen Religionsstrukturen“ gibt285. Die Herausbildung z. B. eines adäquaten Mitgliedschaftsrechts wird muslimischen Gruppierungen nicht – oder jedenfalls nur in sehr eng begrenzbaren Ausnahmefällen – zu erlassen sein, weil hinsichtlich der Religionszugehörigkeit keine Unsicherheiten bestehen dürfen286. Die Frage, wer kann für wen sprechen, muß sich für den Staat beantworten und nicht bloß schätzen oder vermuten lassen. Unklarheiten, Unsicherheiten der Zurechenbarkeit gehen zu Lasten der jeweiligen Glaubensgemeinschaft; die Ausbildung eines religionseigenen Mitgliedschaftsrechts ist deshalb grundsätzlich eine religionsverfassungsrechtliche Obliegenheit und im Eigeninteresse der Gemeinschaft. Zur Qualifikation eines arbeitsteilig agierenden Verbandes als Religionsgemeinschaft gehört es, daß die Mitgliedsvereine untereinander nicht völlig unverbunden sind und die Dachverbandsebene nicht auf rein koordinierende Aufgaben oder die Funktion, als Ansprechpartner zu dienen, beschränkt sein darf. Es muß sich um einen einheitlichen religiösen „Gesamtorganismus“ handeln. Die Dachverbandsebene trägt zur Identität des Gesamtsorganismus bei und übt wesentliche Aufgaben aus. Dies setzt ihre religiös-theologische Sprachfähigkeit und Autorität zu verbindlichen Glaubensaussagen 283

Anders als das BVerwG aber Muckel, in: FS Listl (FN 275), S. 715 (736 ff., 740 ff.). 284 So aber BVerwGE 123, 49 (71 f.). 285 Hierbei sind die Regelungen zum elterlichen Sorgerecht, insbesondere das Gesetz über die religiöse Kindererziehung einzuhalten. Eine Vollmitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten zu den möglicherweise als „e. V.“ organisierten Ortsverbänden wird man nicht verlangen können. 286 A. A. aber etwa Classen (FN 3), Rn. 377, 380. – Die Offenheit der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung als Vehikel dafür zu nehmen, die Rechtsanwendung großzügig zu handhaben, erscheint auf den ersten Blick plausibel. Ob dies aber zwingend ist, dürfte fragwürdig sein. Siehe oben im Text unter C. III. 2. a).

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voraus. Somit obliegt der obersten, überörtlichen Ebene eine Gesamtverantwortung dafür, Gemeinsamkeit und Umfassendheit der Religion zu repräsentieren. Das Bundesverwaltungsgericht avisiert bei der Definition der Religionsgemeinschaft eine vermittelnde Lösung, die Organisationsschwierigkeiten muslimischer Gruppierungen Rechnung tragen will, ohne die grundgesetzlichen Organisationsvoraussetzungen zu sprengen. Ohne die Merkmale der Religionsgemeinschaft zu nivellieren, soll es ermöglicht werden, einerseits vertikale und horizontale Ebene innerhalb eines Dachverbandes arbeitsteilig zu gestalten, andererseits beide Ebenen strukturell im Sinne eines religiösen Gesamtorganismus zu verkoppeln. Die Ausbildung von Organisationsstrukturen, die dem Rechnung tragen, ist ebenfalls eine religionsverfassungsrechtliche Obliegenheit. Die Schwierigkeiten liegen im Detail und können hier nicht einmal ansatzweise dargestellt werden. Die islamischen Verbände bzw. kooperativen Zusammenschlüsse und Glaubensrichtungen sind so mannigfaltig287, daß sich die Qualifikation als Religionsgemeinschaft nicht pauschal beantworten läßt. Das Bundesverwaltungsgericht hat letztlich auch nicht die Dachverbände per se als Religionsgemeinschaft bezeichnet, sondern nur den Weg eröffnet, ggf. arbeitsteilig organisierte Strukturen als solche zu qualifizieren und im übrigen zur rechtskräftigen Entscheidung an das OVG NRW zurückverwiesen. Probleme bereitet der Umstand, daß der Organisationsgrad von Muslimen Schätzungen zufolge unter 20% liegt, ohne daß dies ein Ausschlußgrund für Kooperationen sein muß288. Die Repräsentativität von Akteuren wird durch diesen Umstand gleichwohl relativiert und kann von der staatlichen Seite entsprechend gewürdigt werden. Wie im einzelnen die religiöse Sprachfähigkeit einer Gruppierung organisiert wird, bleibt ihrem Selbstverständnis überlassen. Um als Religionsgemeinschaft qualifiziert werden zu können, muß die Religion die zentrale Zwecksetzung sein, zumal Religionsgemeinschaften nicht einfach soziale Gruppen sind, die zufällig einen gemeinsamen Glauben besitzen und an gemeinsamen Ritualen teilnehmen. Deshalb ist auch das Ziel eines längeren Bestehens konstitutives Element einer Religionsgemeinschaft289. Es läßt sich momentan – bei allen Vorbehalten im Einzelfall – nur die Tendenzaussage treffen, daß bislang wohl keine muslimische Gruppierung – als Einzelgruppe oder Verband – als Religionsgemeinschaft qualifiziert werden kann290. Die weitere Entwicklung ist aber offen. 287 Vgl. dazu die umfassende, anhand der Register recherchierte Übersicht bei Lemmen (FN 20), S. 52 ff.; ders., Islamische Vereine und Verbände in Deutschland, 2002. 288 Lemmen, Herder-Korrespondenz 59 (2005), S. 182 (183 f.). 289 Pieroth/Görisch, JuS 2002, S. 937 (939).

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b) Lassen sich an den religiösen Vertragspartner besondere Anforderungen stellen? aa) Körperschaftsstatus Die Frage, ob religionsverfassungsrechtliche Statusverträge nur mit korporierten Religionsgemeinschaften oder auch mit privatrechtlich organisierten geschlossen werden können, wird in der Literatur bis jetzt kaum diskutiert291. Die bisherige Praxis könnte ein Indiz dafür sein, sie läge auch in der Konsequenz der zweistufigen Parität, die nur zwischen korporierten und nicht-korporierten Religionsgemeinschaften differenziert; die Zwischenstufe „anerkannte Religionsgesellschaft“ ist unter dem Grundgesetz hinfällig geworden292. Gegen den Körperschaftsstatus als Voraussetzung für einen religionsverfassungsrechtlichen Vertrag spricht, daß die meisten grundgesetzlichen Gewährleistungen nicht von diesem Rechtsstatus abhängen; seine Bedeutung erfährt er eher aus den einzelnen, einfachgesetzlichen Regelungsmaterien, die häufig293 den Körperschaftsstatus zur Voraussetzung machen. bb) Vertragswürde Wenn man die von Hans Ulrich Anke herausgearbeiteten Grundfunktionen als Anker nimmt, läßt sich u. U. aus der Perpetuierungsfunktion eine „Staatsvertragswürde“ ableiten294. Staatsvertragswürde impliziert für Anke eine einem Staat vergleichbare eigenständige Entscheidungsmacht. Zuvör290 Vgl. bzgl. Art. 7 Abs. 3 GG die Feststellung in: Muslime in Baden-Württemberg. Bericht für den Ministerrat vom 15. März 2005, S. 46. Eine etwas andere Beurteilung ergibt sich evtl. bei den Aleviten und Bahá’í, wobei deren Zurechung zum Islam wieder nicht eindeutig ist. Siehe dazu Ursula Spuler-Stegemann, Ist die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. eine Religionsgemeinschaft? Religionswissenschaftliches Gutachten erstattet dem Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, Juli 2003. Ähnliches hat für die Bahá’í zu gelten: Eingehend Towfigh (FN 276), insbes. S. 144 f. 291 de Wall (FN 11), S. 16. 292 Friedrich Besch, Der Begriff der anerkannten Religionsgemeinschaft im deutschen Staatskirchenrecht unter besonderer Berücksichtigung des Staatskirchenrechts der Länder Bayern und Baden-Württemberg, 1965, insbes. S. 19 ff., 58 ff., 77 ff., 101 ff., 140 f. – Besch weist zu Recht darauf hin, daß es sich bei dieser Terminologie um ein historisches Relikt, rechtlich aber um eine inhaltlose Formel handele, soweit sie in aktuellen Rechtstexten (z. B. im Feiertagsrecht einiger Länder) noch Verwendung finde. Eine „anerkannte Religionsgemeinschaft“ sei auch nicht mit einer korporierten gleichzusetzen. Siehe auch Kupke, KuR 2000, S. 157 (= 220, S. 11). 293 Es gibt auch Ausnahmen wie z. B. § 118 BetrVG.

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derst ist damit eine Anfrage an islamische Selbstorganisation verbunden, die hinsichtlich ihrer „Außenhülle“ die religionsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Erwartungen an eine dauerhaft stabile, transparente und vielleicht auch repräsentative Organisation erfüllt, die religiös-theologisch sprachfähig ist und damit als Ansprechpartner des Staates fungieren kann. Es muß sich keineswegs um eine monolithische Organisation handeln, die sämtliche Muslime zusammenfaßt, aber es wird im Interesse des Staates als Vertragspartner liegen, nicht mit einer Vielzahl von Mikrogruppierungen Einzelverträge zu schließen. Auch muslimische Organisationen, über deren Mitgliederzahl Unklarheit besteht, sind als Vertragspartner nicht attraktiv. Hinsichtlich der Integration des Islams in die religionsverfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes zirkulieren weitere Topoi wie Staatsloyalität oder Verfassungskompatibilität. Während das Bundesverfassungsgericht dem zusätzlichen Kriterium der Staatsloyalität bei der Verleihung des Körperschaftsstatus eine strenge Absage erteilt hat, muß die Berücksichtigung dieses Umstands bei einem religionsverfassungsrechtlichen Vertrag vielleicht nicht von vornherein ausgeschlossen werden; Regelungsgegenstand in Form einer näher umschriebenen Verpflichtungsbestimmung wird sie allemal werden können. Der Staat als Vertragspartner könnte sie jedenfalls zur Voraussetzung eines Vertragsschlusses machen, da es einen religionsverfassungsrechtlichen Kontrahierungszwang grundsätzlich nicht gibt. Die Pointe eines solchen Vertrags läge vielmehr darin – dies sei nur angedeutet – die Staatsloyalität durch Vertragsverhandlungen herzustellen und durch einen Vertragsschluß mit einer entsprechenden Bestimmung zu besiegeln. Muslimische Gruppierungen werden sich hier aber der Anfrage ausgesetzt sehen, ob sie den Grundsatz pacta sunt servanda295 akzeptieren296. Eventuell bedarf es bei solchen Verträgen eines besonderen Vertragssicherungssystems, das es nicht bei der herkömmlichen Freundschaftsklausel beläßt. Zumindest wird sich die Verfassungskompatibilität297 vertraglich festschreiben lassen, die z. B. gerade für Unterrichtsinhalte bedeutungsvoll sein kann. 294 Dazu Anke (FN 3), S. 118 f. Vorher schon i. d. S. Hollerbach, Die Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts, Essener Gespräche 1 (1969), S. 46 (65 f.). Sehr kritisch dazu de Wall (FN 11), S. 34 ff. 295 de Wall (FN 11), S. 35 f. interpretiert die „Vertragswürde“ als andere Umschreibung für die Anerkennung des Grundsatzes pacta sunt servanda. 296 Die Unterscheidung der Welt nach der klassisch islamischen Lehre soll in zwei Häuser erfolgen: Das „Haus des Islam“ und das „Haus der Ungläubigen“ (auch: „Haus des Krieges“). Neuere Rechtsentwicklungen ergänzen und mildern die Bipolarität durch ein drittes Haus, das als „Haus des Vertrages“ bezeichnet wird. Dieses dritte Haus wurde aber immer wieder nur als Zwischenlösung angesehen, so daß Verträge mit Ungläubigen nach Islamischen Recht nicht als Dauerlösung fungieren können. Vgl. Petersohn, ZRP 2002, S. 521 (522); Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Klarheit und gute Nachbarschaft (FN 24), S. 43 f.

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D. Ausblick Es mag angesichts der mit den Muslimen verbundenen Integrationsaufgabe verführerisch sein, daß Staatskirchenverträge die Aufgabe zugeschrieben wurde, Kulturkämpfe zu vermeiden298. Ob religionsverfassungsrechtliche Statusverträge mit ihnen in absehbarer Zeit zur Normalität werden, darf jedoch bezweifelt werden. Ein Blick in das europäische Ausland bestärkt die Skepsis. Solch „große Verträge“ sind rechtlich nicht a priori unmöglich, aber eine Vielzahl juristischer und tatsächlicher Fragen sind hier offen. Eine vierte Generation von Staatskirchenverträgen ist allenfalls schemenhaft am Horizont erkennbar. Wenngleich muslimische Staatsverträge noch nicht zur Erscheinungsform der alltäglichen Rechtswirklichkeit geworden sind, so sind sie doch eine Herausforderung an die deutsche religionsverfassungsrechtliche Ordnung. Eine „Integration mit R wie Religion“ steht dabei vor der Schwierigkeit, xenophobe Schauerphantasien ebenso zu vermeiden wie blauäugiges Gutmenschentum. Die Maxime „lieber blauäugig als blind“299 wird kein probater Handlungsmaßstab sein. Anderseits wird ein religiöses Gefahrenabwehrrecht300 vor dem Problem stehen, keine „Politik des Verdachts“ zu kultivieren301. Die religionsverfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes mit ihrer Option des Vertragsstaatskirchenrechts ist ein Weichensteller, der Freiheit und institutionelle Arrangements ermöglicht, aber auch Anpassungen und Bindungen an die rechtlichen Fundamente und organisatorischen Voraussetzungen einfordert302. Der historisch-genetische Horizont der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik 297

Christian Waldhoff, Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit in Deutschland, in: Otto Depenheuer/Ilyas Dogan/Osman Can (Hrsg.), Zwischen Säkularität und Laizismus, 2005, S. 81 (94); zu grundgesetzlich fundierten kulturellen Kompatibilitätsanforderungen siehe auch Uhle, Staat – Kirche – Kultur, 2004, S. 141 f., 143. 298 Vgl. die Hinweise bei Hollerbach (FN 4), S. 75, 78. 299 Kritisch zu dieser Vorgehensweise siehe nur Kandel, „Lieber blauäugig als blind?“, 2003. 300 Kandel (FN 136), S. 14 (unter Ziff. 25). 301 Zu diesen Problemen Michael Bommes, Einleitung: Migrations- und Integrationspolitik zwischen institutioneller Anpassung und Abwehr, in: ders./Werner Schiffauer (Hrsg.), Migrationsreport 2006, S. 9; siehe auch Werner Schiffauer, Verwaltet Sicherheit – Präventionspolitik und Integration, ebd., S. 113 m. w. Nachw. 302 Solche Anpassungen mußte z. B. auch die katholische Kirche an die deutsche staatskirchenrechtliche Ordnung erbringen. Das deutsche staatskirchenrechtliche System ist eher protestantisch geprägt. Die Anpassung konnte die katholische Kirche erbringen, ohne dadurch einen religiösen Substanzverlust zu erleiden. Zum Problem siehe die Hinweise bei Hermann Weber, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, 1966, S. 105 f. m. w. Nachw. Diese historische Reminiszenz ist auch ein Beleg dafür, daß solche Erwartungen nicht a priori unmöglich oder unzumutbar sind.

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Deutschland wurzelt in religiös-konfessionellen Konfrontationen, die nur dadurch gelöst werden konnten, daß die Konflikte verrechtlicht wurden303. Vertragliche Regelungen sind hierbei sicherlich ein probates Instrument und insofern keineswegs obsolet. Sie erfahren durch die Diskussionen über „muslimische Staatsverträge“ geradezu neue Legitimität. Nicht auszuschließen sind aber auch Neujustierungen innerhalb dieses Rechtsgebiets bei neuen Vertragsschlüssen. Es ist denkbar, daß neuere religionsverfassungsrechtliche Verträge die Pflichtigkeiten stärker betonen und entsprechende Bestimmungen ausbauen, insbesondere in den Fällen, in denen mit einer „neuen“ Religion ein Vertrag geschlossen werden soll. Problematisch wird es, wenn Vertragsentwürfe wie derjenige der IRB die Staatskirchenverträge mit den christlichen Kirchen 1 : 1 abschreiben und nur geringfügig anpassen. Die ansonsten perhorreszierte „Verkirchlichung des Islam“ wird durch solch nachahmendes Vorgehen selbst ad absurdum geführt. Nicht unberücksichtigt bleiben kann, daß es eine ganz erhebliche Differenz zwischen organisierten und nicht organisierten Muslimen gibt. Es wird die nahe und ferne Zukunft zeigen, ob muslimische Statusverträge realisierungsfähig sind. Bis zu „großen Verträgen“ kann es aber durchaus integrationsförderlich sein, kleine vertragliche Abmachungen – vielleicht nicht nur in der Form des Verwaltungsabkommens, sondern auch eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags – etwa zur Thematik Islamunterricht zu treffen. Bis es aber zu Verträgen kommen kann, sind prozedurale Konsensfindungen erforderlich304. Die Deutsche Islam-Konferenz institutionalisiert einen – wohl nicht nur symbolischen – Prozeß zur Aufarbeitung von Konsensproblemen und ist möglicherweise Vorstufe zu einem Vertrag. Selbst wenn aktuell muslimische Staatsverträge eher unwahrscheinlich erscheinen, ist doch das Nachdenken über sie ein kleiner Beitrag zur religionsverfassungsrechtlichen Integrationsarbeit.

303 Vgl. zu einzelnen historischen Aspekten Heinz Schilling, Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations- und Konfessionsgeschichte, 2002, sowie die grundlegenden historischen wie aktuellrechtlichen Beiträge von Heckel, Gesammelte Schriften, Bd. I–V, 1989–2004. 304 Bemerkenswert Erhard Denniger, Recht und rechtliche Verfahren als Klammer in einer multikulturellen Gesellschaft, in: Rainer Maria Kiesow/Regina Ogorek/ Spiros Simitis (Hrsg.), Summa: Dieter Simon zum 70. Geburtstag, 2005, S. 117.

Neues Konkordatsrecht in Ost-Mitteleuropa Von Balázs Schanda Der Heilige Stuhl spielt seit der Wende in Ost-Mitteleuropa eine aktive Rolle in der Neugestaltung des Staatskirchenrechts. Da die päpstliche Diplomatie universal präsent ist und ihre Forderungen von dem Glaubensauftrag der Kirche bestimmt sind, ist die Entwicklung der bilateralen völkerrechtlichen Beziehungen des Heiligen Stuhls nicht nur von lokalem Interesse. Konkordatsrechtliche Verträge, die die Lage der Kirche in bestimmten Ländern regeln, sind auch Ausdruck theologischer Reflexionen. I. Diplomatische Beziehungen Nach der Wende haben alle „neue Demokratien“ diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl aufgenommen. Die Länder mit katholischer Tradition (Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien und Ungarn, aber auch die Tschechische Republik) sowie seit dem Papstbesuch im Jahre 1999 das mehrheitlich orthodoxe Rumänien gewähren dem Nuntius auch den Ehrenvorrang; Bulgarien, Estland und Lettland dagegen nicht. Die Beziehungen zum Heiligen Stuhl sind nicht immer reibungsfrei. Es gibt weiterhin Kräfte auch im Ost-Mitteleuropa, die sich sowohl gegen die kirchliche Präsenz in der Öffentlichkeit als auch gegen den Einfluß des Heiligen Stuhls wehren. Bemerkenswerterweise zeigen postkommunistische Parteien jedoch oft mehr Respekt gegenüber der Kirche und der Religion als laizistische, liberale Kräfte, die – um ihre gesellschaftliche Positionierung zu profilieren – antiklerikale Vorurteile lebendig halten. Gerade das Tauziehen um die Ratifizierung von konkordatsrechtlichen Verträgen illustriert die sich ergebenden Spannungen: Das polnische Konkordat1 – der erste umfassende Vertrag in der Region – wurde 1993 am Ende der Amtszeit der Mitte-Rechts-Regierung unterzeichnet; die darauf folgende, postkommunistische Mitte-Links-Regierung verzögerte die Ratifizierung, so daß das Konkordat erst eine ganze Legislaturperiode später, im Jahre 1998, ratifiziert wurde. In Slowenien mußte das Verfassungsgericht den Weg zur Ratifizierung in einem vorbeugenden Normenkontrollverfahren 1

AAS 90 (1998), S. 310.

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ebnen. In der Tschechischen Republik hat das Parlament die Ratifizierung des Vertrags – der den größten Respekt gegenüber der staatlichen Souveränität zeigt – im Jahre 2003 verweigert. Die Slowakei hat den Grundvertrag2 in einem Rekordtempo ratifiziert: der Vertrag wurde am 24. November 2000 unterzeichnet und bereits am 18. Dezember 2000 ratifiziert. Eines der darauf folgenden Abkommen – zur Sicherung der Gewissensfreiheit der Katholiken – führte jedoch zum Zerfall der Regierungskoalition, zur Auflösung des Parlaments und zu Neuwahlen im Jahre 2006. II. Die konkordatsrechtliche Entwicklung Wie auch Alexander Hollerbach feststellt3, ist es bemerkenswert, daß der Heilige Stuhl nach der Wende ein ganzes Netz von Verträgen mit früher kommunistisch dominierten Ländern unter Dach und Fach gebracht hat. Dies gilt auch für Länder, wo Katholiken nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung ausmachen und in denen keine konkordatsrechtliche Tradition bestand, wie z. B. Albanien4, Estland5 oder Kasachstan6. Den ersten Vertrag in der Region hat Ungarn mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet7: am 9. Februar 1990 – wenige Tage nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes über die Religionsfreiheit, jedoch noch vor der Verkündung dieses Gesetzes – hat der Vertrag festgelegt, daß die Lage der Kirche in Ungarn grundsätzlich durch den neuen Codex Iuris Canonici und das ungarische Gesetz geregelt ist. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen an sich hätte die Vertragsform nicht erzwungen, die Volksrepublik Ungarn aber hat im 1964 eine Teilvereinbarung mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen8, und diese mußte beseitigt werden9. Dieses Dokument wurde damals von dem späteren Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli unter2

AAS 93 (2001), S. 136. Alexander Hollerbach, Religion et droit en dialogue: l’élément contractuel dans la coopération entre l’état et les communautés religieuses, in: Richard Puza/Norman Doe (Hrsg.), Religion and Law in Dialogue: Covenantal and Non-Covenantal Cooperation between State and Religion in Europe, 2006, S. 285 (289). 4 AAS 94 (2002), S. 660. 5 Notenwechsel am 12. März 1999, s. AAS 91 (1999), S. 414. 6 Der Vertrag wurde am 24. September 1998 unterzeichnet und 1999 ratifiziert, s. AAS 92 (2000), S. 316. Es ist zu bemerken, daß der Heilige Stuhl bereits in der Zwischenkriegszeit versucht hat, die Rechte der katholischen Minderheiten durch Konkordate zu sichern, so z. B. im Konkordat mit Rumänien (1927) oder im (nicht ratifizierten) Konkordat mit Jugoslawien (1935). 7 In Ungarn kundgetan im Gesetzesblatt Magyar Közlöny 1990/35; nicht veröffentlicht in den AAS. 8 Das Abkommen regelte die staatliche Mitwirkung bei Bischofsernennungen, den Treueid der Kleriker und die Stellung des Päpstlichen Ungarischen Institutes in 3

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zeichnet, der durch den neuen Vertrag persönlich ein Symbol der Ostpolitik beseitigen konnte. Die darauf folgenden Verträge gehen viel mehr ins Detail und wurden oft von dem Außenminister sowie dem Apostolischen Nuntius des betroffenen Landes unterzeichnet. Zwar ist der Vertrag mit Ungarn der erste nach der Wende in der Region, die kohärente Vertragsentwicklung – was Inhalt, Struktur und Stil angeht – beginnt aber eigentlich mit dem polnischen Konkordat. Von den zehn neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am 1. Mai 2004 aufgenommen wurden, ist Zypern der einzige Staat, der keinen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen hat, während die Mehrheit der „alten“ Mitglieder keine Konkordate hat. III. Terminologische Bestandsaufname Während einige Autoren alle durch den Heiligen Stuhl stipulierten völkerrechtlichen Verträge Konkordate nennen10, unterscheiden andere zwischen einem engeren und einem weiteren Konkordatsbegriff, wobei ein Konkordat im engeren Sinne ein umfassender und feierlicher Vertrag ist, im weiteren Sinne jedoch alle vom Heiligen Stuhl mit Staaten und internationalen Organisationen abgeschlossenen Verträge als Konkordate bezeichnet werden können11. Weitere Autoren betrachten nur diejenigen Verträge des Heiligen Stuhls als Konkordate, die explizit diese Bezeichnung tragen – andere Typen konkordatärer Vereinbarungen werden bewußt anders bezeichnet12. Was die gewählten Formen der konkordatären Vereinbarungen der neuen Epoche betrifft, herrscht eine große Vielfalt – vom Notenwechsel (Estland) bis zum Konkordat (Polen). Die konkrete Lage in den einzelnen Ost-Mitteleuropäischen Ländern ist wie folgt: Ein Konkordat – einen ausdrücklich so bezeichneten, auf die Dauer gerichteten, umfassenden und feierlichen Vertrag – hat nur Polen abgeschlossen. Die Slowakei hat einen Grundlagenvertrag und drei weitere Abkommen (davon zwei ratifiziert)13; Litauen14 wie Rom. Dem Dokument („atto“) wurde ein Protokoll beigefügt, mit einer langen Liste von Fragen, in denen die Parteien ihre abweichenden Standpunkte festlegten. 9 Agostino Casaroli, Il martirio della pazienza. La Santa Sede e i paesi comunisti (1963–89), 2000, S. 95. 10 Franz Heribert Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, 1975, S. 316. 11 José T. Martín de Agar, Raccolta di concordati 1950–1999, 2000, S. 10. 12 Péter Erdo ˝ , Egyházjog, 1992, S. 63. 13 Zum Grundvertrag s. oben FN 2. Weitere Verträge: Vertrag über die Militärseelsorge vom 21. August 2002, AAS 95 (2003), S. 176; Vertrag über die Zusam-

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auch Kroatien15 haben mit dem Vatikan je drei, in ihrer Gesamtheit umfassende Verträge gleichzeitig abgeschlossen. Lettland16 und Slowenien17 haben mit dem Heiligen Stuhl je einen umfassenden Vertrag geschlossen. Wie bereits erwähnt, wurde die Lage der kleinen katholischen Gemeinschaft in Estland durch einen Notenwechsel gefestigt. Nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Religionsfreiheit hat auch die Tschechische Republik einen umfassenden Vertrag mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen; die Ratifizierung steht hierbei allerdings noch aus, da sie vom Parlament abgelehnt wurde18. Ungarn hat nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwei weitere Verträge – zur Militärseelsorge19 und zu den finanziellen Angelegenheiten20 – mit dem Heiligen Stuhl geschlossen, jedoch keinen umfassenden Vertrag21. Mit Albanien hat der Heilige Stuhl ein Abkommen22, mit Bosnien-Herzegowina einen Grundlagenvertrag abgeschlossen23. Die Wahl der Terminologie zeigt, daß die formale Bezeichnung „Konkordat“ meist vermieden wurde. Die Flexibilität des Heiligen Stuhls könnte dabei der Entkräftung von Vorurteilen dienen, die Konkordate oft als Zeimenarbeit im Bereich des Erziehungswesens vom 13. Mai 2004, AAS 97 (2005), S. 51; sowie der – noch nicht ratifizierte – Vertrag über die Gewissensfreiheit der Katholiken. Ein weiterer Vertrag zur Kirchenfinanzierung ist im Grundvertrag noch vorgesehen. 14 Getrennte Verträge wurden über rechtliche Fragen, über die Zusammenarbeit im Unterrichtswesen und im Bereich der Kultur, sowie im Bereich der Militärseelsorge und der seelsorgerischen Betreuung von Soldaten geschlossen. Alle drei Verträge wurden am 5. Mai 2000 unterzeichnet und am 16. September 2000 ratifiziert: AAS 92 (2000), S. 783, 795, 809. 15 Auch mit Kroatien schloß der Heilige Stuhl separate Verträge über rechtliche Fragen, über die Zusammenarbeit im Bereich des Unterrichtswesens und der Kultur sowie über die seelsorgerische Betreuung von Soldaten und Polizisten ab. Alle drei Verträge wurden am 19. Dezember 1996 unterzeichnet und am 9. April 1997 ratifiziert: AAS 89 (1997), S. 277, 287, 297. 16 Das Abkommen wurde am 8. November 2000 unterzeichnet, AAS 95 (2003), S. 102. 17 Das Abkommen wurde am 14. Dezember 2001 unterzeichnet und nach einer Prüfung seitens des slowenischen Verfassungsgerichts ratifiziert am 28. Mai 2004. 18 Jir ˇí Tretera, Concordatarian agreements and public agreements in the Czech State Ecclesiastical Law, in: Puza/Doe (Hrsg., FN 3), S. 33 (37). 19 AAS 86 (1994), S. 574. 20 AAS 90 (1998), S. 330. 21 Péter Erdo ˝ , Accords bilatéraux entre le Saint-Siège et la Hongrie, in: Revue d’éthique et de théologie morale „Le Supplément“, Nr. 199 (décembre 1996), S. 121; ders., Accordo tra la Santa Sede e la Repubblica d’Ungheria, Ius Ecclesiae 10 (1998), S. 652. 22 Das Abkommen wurde am 23. März 2002 unterzeichnet, s. AAS 94 (2002), S. 660. 23 Das Abkommen wurde 19. April 2006 unterzeichnet.

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chen der privilegierten Stellung der katholischen Kirche betrachten24. Zur Regelform der konkordatsrechtlichen Verträge wurde der „accordo“ oder „agreement“, eventuell mit der Ergänzung „accordo fondamentale“ oder „accordo base“25. Während der Grundvertrag mit der Slowakei der Struktur des polnischen Konkordates folgt, sieht er die erwähnten weiteren Teilabkommen vor. Unter den anderen Abkommen findet man umfassende Verträge (wie z. B. mit Lettland), aber auch Teilvereinbarungen, die nur einen abgrenzten Themenkreis regeln (wie z. B. der Finanzvertrag mit Ungarn). Was den Stil der Verträge angeht, scheinen die Verträge mit Lettland, Slowenien oder der Tschechischen Republik zurückhaltender im Vergleich zu der Feierlichkeit des polnischen Konkordates oder zu den Grundverträgen mit Kroatien, Litauen und der Slowakei. Der ungarische Vertrag zu finanziellen Fragen zeichnet sich durch seine besonders technische Natur aus. IV. Inhalt der Verträge 1. Religionsfreiheit, Organisationsfreiheit, Rechtspersönlichkeit Wechselseitige Anerkennung und Religionsfreiheit gelten als Ausgangspunkt der Verträge. Konkretisiert wird dies im Hinblick der Erfahrungen der jüngeren Geschichte: da die religiöse Organisationsfreiheit in der ganzen Region – oft nach josephinischen Prämissen – stark beeinträchtigt wurde, galt deren Wiederherstellung als oberste Priorität. Aber die ausdrückliche Festlegung des Rechtes der katholischen Kinder, auch während organisierter Ferienlager an der Sonntagsmesse teilzunehmen26, spiegelt typische Ereignisse des realen Sozialismus wider. Sonntagsschutz und kirchliche Feiertage werden in den Verträgen mit Kroatien, Litauen, Polen und der Slowakei festgelegt, in den sonst umfassenden Verträgen mit Lettland, Slowenien oder der Tschechischen Republik fehlen diese Gegenstände. Die Verträge erwähnen meistens, daß die Errichtung, Änderung bzw. Abschaffung der Bistümer ausschließliches Recht der Kirche ist. Bischöfe sol24 Es ist zu bemerken, daß konkordatsrechtliche Verträge mit dem Titel „Konkordat“ seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nur mit Niedersachsen (1965), Kolumbien (1973), Polen (1993) und Portugal (2004) unterzeichnet wurden. 25 Auch die Verträge mit den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland (Sachsen 1996, AAS 89 [1997], S. 613; Thüringen 1997, AAS 89 [1997], S. 756; Mecklenburg-Vorpommern 1997, AAS 90 [1998], S. 98; Sachsen-Anhalt 1998, AAS 90 [1998], S. 470; Brandenburg 2003, AAS 96 [2004], S. 625), oder die besonders wichtigen Verträge mit dem Staat Israel (1993, AAS 86 [1994], S. 716, sowie 1997, AAS 91 [1999], S. 490) und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (2000, AAS 92 [2000], S. 853) wurden so bezeichnet. 26 Art. 13 des Polnischen Konkordats (FN 1).

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len Staatsbürger sein in Lettland27, Litauen28 und Polen29, während andere Staaten dies nach den neueren Verträgen nicht mehr verlangen. Kandidaten für das Bischofsamt werden aus Höflichkeit der Regierung (Estland, Kroatien, Polen, Slowakei) oder dem Staatsoberhaupt (Albanien30, Lettland, Litauen) vertraulich mitgeteilt – anscheinend sind die tschechische und die slowenische Regierung weder an der Person der zukünftigen Bischöfe noch an ihrer Staatsangehörigkeit interessiert. Bemerkenswert ist die Regelung des slowakischen Grundvertrages, nach der es der Regierung verwehrt ist, eine Meinung zur Person des Kandidaten zu äußern31. Die Verträge mit der Tschechischen Republik32, Litauen33, Polen34, der Slowakei35 und Slowenien36 legen fest, daß die Bistumsgrenzen die Staatsgrenzen nicht überschreiten sollen: neben Staatsbürgerschaftsklauseln sind diese Vorschriften Reminiszenzen staatlicher Souveränitätsvorstellungen, die aber vom Heiligen Stuhl nach Bedarf respektiert werden. Wo aber keine staatlichen Forderungen dieser Natur vorgebracht wurden, sind diese im Konkordatsrecht üblichen Bestimmungen entfallen. Wie das Zweite Vatikanische Konzil37 und das nachkonziliare Kirchenrecht38 es vorsehen, gewähren die Vereinbarungen den Zivilbehörden keinerlei Rechte, die Bischofsernennungen zu beeinflussen. Bedenken allgemeiner politischer Natur gegen den Kandidaten des Militärordinarius kann die ungarische Regierung erheben39 – in Litauen, Kroatien oder der Slowakei, wo es besondere Verträge zur Militärseelsorge gibt, gilt statt dessen die allgemeine Regel der Notifikation40. 27

Art. 5 des Vertrages mit Lettland (FN 16). Art. 6 des Vertrages über rechtliche Angelegenheiten (FN 14). 29 Art. 6 des Polnischen Konkordats (FN 1). 30 Gem. Art. 5 des Vertrages mit Albanien (FN 4) erfolgt die Mitteilung durch das Außenministerium. 31 Art. 6 des Slowakischen Grundvertrags (FN 2). 32 Art. 3 des (nicht ratifizierten) Vertrages mit der Tschechischen Republik (FN 18). 33 Art. 5 des litauischen Vertrages über rechtliche Angelegenheiten (FN 14). 34 Art. 6 des Polnischen Konkordats (FN 1). 35 Art. 3 des Slowakischen Grundvertrags (FN 2). 36 Art. 4 des Vertrages mit Slowenien (FN 17). 37 II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, AAS 58 (1966), S. 673, Nr. 19 und 20. 38 c. 377 § 5 CIC/1983. 39 Art. II des Ungarischen Vertrages über die Militärseelsorge (FN 19). 40 Eine abweichende Lösung – mit Rücksicht auf die historischen Rechte – gilt im nachkonziliaren Konkordatsrecht für Spanien, wo der Militärordinarius dem Papst vom König präsentiert wird. Der König wählt den Kandidaten aus einer Dreierliste, die von der apostolischen Nuntiatur und dem spanischen Außenministerium 28

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Gemäß den Verträgen genießen kanonische juristische Personen Rechtspersönlichkeit in Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei und in Slowenien. Um die Rechtspersönlichkeit tatsächlich zu erlangen, müssen kirchliche juristische Personen bei den zuständigen staatlichen Stelle entweder registriert (Albanien41, Estland, Slowenien) oder angemeldet werden (Lettland, Litauen, Polen); die Anerkennung in der Slowakei scheint aber automatisch zu sein. In Kroatien werden kirchliche Einrichtungen, die nach dem kanonischen Recht Rechtspersönlichkeit haben, als öffentlichrechtliche Rechtspersonen anerkannt42. Die Rechtspersönlichkeit allgemein – und damit die Möglichkeit, im eigenen Namen Eigentum zu erwerben – gehört nicht zu den Angelegenheiten, bei denen die Staaten heute kleinlich wären. 2. Betätigungsfreiheit und Finanzierung Alle Verträge sichern die freie Ausübung der katholischen Religion sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit. Auch die freie Kommunikation zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ortskirchen wird gewährleistet43 – die ausdrückliche Festlegung solcher Selbstverständlichkeiten spiegelt die Erfahrungen des sozialistischen Josephinismus. Die Verträge lassen die landesspezifische Lage nicht außer acht: In Albanien44 und Estland45 zum Beispiel sorgen sie für die Möglichkeit, daß der Bischof bzw. apostolische Administrator ausländische Priester, Ordensleute und Laien ins Land einlädt; sie sollen Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsbewilligung erhalten, um an der pastoralen Tätigkeit der Kirche teilnehmen zu können. Religionsunterricht, Unterrichtswesen und theologischen Fakultäten gehören zu den klassischen Angelegenheiten des Konkordatrechts. Die Verträge gehen vom Recht der Eltern aus, die religiöse Erziehung ihre Kinder zu bestimmen. Religionsunterricht hat grundsätzlich seinen Weg in die Schule gefunden. Detailfragen sind von Land zur Land verschieden; die Bischofskonferenz und die zuständige Behörde einigen sich über die Lehrpläne in Lettland und Litauen46, während in Polen die zuständige kirchliche Stelle im Einvernehmen vorgestellt wird: Accordo tra la Santa Sede e lo Stato Spagnolo circa l’assistenza religiosa alle forze armate ed il servizio militare degli ecclesiastici e religiosi, AAS 72 (1980), S. 47. 41 Art. 2 des Vertrages mit Albanien (FN 4). 42 Art. 2 des kroatischen Vertrages über rechtliche Angelegenheiten (FN 15). 43 Siehe nur Art. 4 des Polnischen Konkordats (FN 1) und Art. 4 des Slowakischen Grundvertrages (FN 2). 44 Art. 6 des Vertrages mit Albanien (FN 4). 45 Art. 6 des Vertrages mit Estland (FN 5).

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den Inhalt und die Textbücher des Religionsunterrichtes bestimmt und dies den Behörden einfach bekannt gibt47. Eine Art missio canonica wird von den Religionslehrern in Lettland (von der Bischofskonferenz)48, in Litauen und Polen49 (von der zuständigen kirchlichen Behörde) bzw. von der „katholischen Kirche“ in der Slowakei50 verlangt. Die von der Kirche getragenen Schulen haben das Recht auf gleiche Finanzierung wie öffentliche Schulen in Ungarn51, Litauen52 und der Slowakei53; finanzielle Unterstützung ist vorgesehen in Lettland54 und in Polen, wo die Kriterien durch Gesetzesrecht zu bestimmen sind55. Slowenien unterstützt kirchliche Schulen wie Privatschulen56. Eigentum und Finanzen gehören nach dem Zerfall der kommunistischen Regime zu den heiklen Themen. Die Lage ist in allen Ländern verschieden, die Vereinbarungen – mit Ausnahme des Vertrages mit Ungarn aus dem Jahre 1997, der gerade die finanziellen Fragen und die Entschädigungsfrage regeln wollte – schweigen entweder über diese Themen, vertagen die Fragen auf spätere Abkommen mit dem Heiligen Stuhl57 bzw. der Bischofskonferenz58 oder verweisen sie an gemischte Kommissionen59. Für die Aufrechterhaltung des kulturellen Erbes werden staatliche Subventionen in mehreren Ländern vorgesehen60.

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Art. 15 des Vertrages mit Lettland (FN 16); Art. 6 des litauischen Vertrages zur Zusammenarbeit im Unterrichtswesen (FN 14). 47 Art. 12 des Polnischen Konkordats (FN 1). 48 Art. 15 des Vertrages mit Lettland (FN 16). 49 Art. 12 des Polnischen Konkordats (FN 1); Art. 3 § 2 des litauischen Vertrages zur Zusammenarbeit im Unterrichtswesen (FN 14). 50 Art. 13 des Slowakischen Grundvertrages (FN 2); Art. III § 1 des Vertrages über die Zusammenarbeit im Bereich des Erziehungswesens (FN 13). 51 Teil I, Art. 2 des ungarischen Vertrages über finanzielle Angelegenheiten (FN 20). 52 Art. 9 des litauischen Vertrages zur Zusammenarbeit in Unterrichtswesen und Kultur (FN 14). 53 Art. 13 des Slowakischen Grundvertrages (FN 2); Art. I § 8 des Vertrages über die Zusammenarbeit im Bereich des Erziehungswesens (FN 13). 54 Art. 19 des Vertrages mit Lettland (FN 16). 55 Art. 14 des Polnischen Konkordats (FN 1). 56 Art. 10 des Vertrages mit Slowenien (FN 17). 57 So Art. 20 des Slowakischen Grundvertrages (FN 2). 58 So Art. 10 des Vertrages mit Lettland (FN 16). 59 So Art. 22 des Polnischen Konkordats (FN 1). 60 Art. 22 des Polnischen Konkordats (FN 1); Art. 12 des (nicht ratifizierten) Vertrages mit der Tschechischen Republik (FN 18); Teil I, Art. 4 des ungarischen Vertrages über finanzielle Angelegenheiten (FN 20).

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3. Eherecht Die kanonische Ehe hat zivilrechtliche Wirkung in Estland61, Lettland62, Litauen63, Polen64 und der Slowakei65, aber auch die Tschechen haben die Wahl zwischen kirchlicher oder bürgerlicher Trauung. Die Slowakei und Litauen – sowie Italien, Spanien und auch Kroatien – erkennen auch die Nichtigkeitsurteile der kirchlichen Gerichte an. In Polen jedoch hängen die zivilrechtlichen Folgen der kanonischen Ehe von dem ausdrücklichen Wunsch der Brautleute ab, und hinsichtlich der Problematik Ehescheidung/ Ehenichtigkeit gilt die Trennung des staatlichen und des kanonischen Rechts. In Ungarn und Slowenien blieb das Eherecht weiterhin völlig getrennt; es ist zu bemerken, daß es sich dabei um Länder handelt, in denen die obligatorische Zivilehe nicht erst in der kommunistischen Nachkriegszeit eingeführt wurde, sondern bereits eine längere Tradition aufweist. Das polnische Konkordat wie auch der Grundvertrag mit der Slowakei legen auch fest, daß die Vertragspartner zur Verteidigung der Institution Ehe und Familie zusammenarbeiten. Das Eherecht zeigt, daß der Heilige Stuhl sich äußerst flexibel zu den Vertragspartnern gestellt hat: er akzeptierte, die nationalen Eigenarten beachtend, die verschiedensten Lösungen. V. Bewertung Für die generelle Bevorzugung konkordatsrechtlicher Lösungen in den EU-Beitrittsländern können verschiedene Gründe genannt werden. In manchen Staaten, die schon vor der kommunistischen Zeit ein Konkordat mit dem Vatikan geschlossen hatten, spielte die Tradition eine Rolle. In einigen neuen Staaten, wie etwa der Slowakei, stellt die Beziehung zur katholischen Kirche einen bedeutenden Faktor der nationalen Identität dar. Ein wichtiger Faktor war auch die den gesamtem Raum kennzeichnende Übergangslage mit der damit teils einhergehenden mangelnden Rechtssicherheit. Der Heilige Stuhl erstrebte keine Privilegien für sich, sondern versuchte, die Kirche vor der tagespolitischen Unsicherheit zu schonen und oft auch nur, die bereits gesetzlich zugesicherten Rechte zusätzlich vertraglich zu sichern. Um61 § 8 des Vertrages mit Estland (FN 5): „Marriages celebrated in the Catholic Church, upon registration and for which a certificate of marriage has been issued by the civil registry office, have civil effect.“ 62 Art. 8 des Vertrages mit Lettland (FN 16). 63 Art. 13 des litauischen Vertrages zu Rechtsfragen (FN 14). 64 Art. 10 des Polnischen Konkordats (FN 1). 65 Art. 10 des Slowakischen Grundvertrages (FN 2).

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strittene Fragen wurden oft späteren Verhandlungen und Verträgen zugewiesen: bereits festlegbare Verständigungen wurden nicht um strittiger Detailfragen willen riskiert66. Die Verträge wurden zumeist von den Apostolischen Nuntien ausgehandelt. Der Nuntius im Baltikum, Erzbischof Erwin Josef Ender, handelte, nachdem er in allen drei baltischen Republiken Verträge unter Dach und Fach gebracht hatte, als neuer Nuntius in Prag auch den Vertrag mit der Tschechischen Regierung aus. Neben der Person des Nuntius haben Bischofskonferenzen den Inhalt der Verträge mitgeprägt: in die Verhandlungsdelegationen des Heiligen Stuhls wurden oft Bischöfe und auch Fachleute aus dem eigenen Land entsandt, die sich in der Lage gut auskannten. Der zeitlichen und geographischen Nähe zufolge ist die „Verwandtschaft“ zwischen bestimmten Verträgen auffällig. So sind etwa die kroatischen, lettischen und slowakischen Verträge zur Militärseelsorge fast identisch mit dem ungarischen Vertrag67. Die Vereinbarung mit Lettland deckt sich etwa mit dem Inhalt der Vereinbarungen mit Litauen, sie ist jedoch in einem einzigen Dokument zusammengefaßt. Der Grundvertrag mit der Slowakei ist an das polnische Konkordat angelehnt. Der Ton der Verträge zeigt feine Unterschiede, von besonderer Nähe (vor allem Polen) und Entgegenkommen bis hin zu distanzierterer Haltung (etwa Slowenien). In dieser Hinsicht sind zumal die Präambeln aussagekräftig. Nationale Besonderheiten kommen jedoch nicht nur in den Präambeln vor, es gibt sehr wohl Angelegenheiten, die nur in einigen oder gar in einem Land von Interesse sind68. Was den Inhalt der Verträge angeht, zeigte aber der Heilige Stuhl größte Flexibilität: Die Lösungen ändern sich von Land zu Land. Der Heilige Stuhl war bereit, auf ganz übliche Vertragsthemen zu verzichten, um errungene Vereinbarungen festlegen zu können. Der mit Slowenien unterzeichnete Vertrag deckt sich etwa mit dem ersten Teil des Vertrages über rechtliche Beziehungen mit Kroatien. Eherecht oder Sonntagsschutz sind übliche Vertragsthemen, die aber in manchen Verträgen nicht einmal erwähnt werden. 66 Z. B. wurden finanzielle Fragen sowohl in der Slowakei als auch in Lettland vertagt – die Verträge dazu sind noch nicht in Sicht. Andere Verträge sehen den Abschluß von Detail-Vereinbarungen mit der Bischofskonferenz vor, wie z. B. der Finanzvertrag in Ungarn. 67 Ein bemerkenswerter Unterschied ist, daß die ungarische Regierung das Recht hat, Bedenken gegen den Kandidaten für das Amt des Militärordinarius zu erheben, während andere Regierungen dieses Recht nicht haben. Gemeinsamkeiten ergeben sich auch aus dem universalen Kirchenrecht, da alle Verträge die Anwendung der Apostolischen Konstitution Spirituali militum curae vom 21. April 1986 (AAS 78 [1986], S. 481) vorsehen. 68 So die Würdigung des Nationalheiligtums Aglona, s. Art. 11 des Vertrages mit Lettland (FN 16).

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Da demokratische Rechtsstaaten die Religionsgemeinschaften je nach ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit grundsätzlich gleich behandeln, bedeutet die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls keine Sonderstellung für die katholische Kirche in den betroffenen Ländern, aber die konkordatsrechtlich festgelegten Errungenschaften kommen auch anderen Konfessionen zugute. Auf diese Weise verschafft der Heilige Stuhl der katholischen Kirche keine Privilegien, er übernimmt aber eine besondere Verantwortung für die Religionsfreiheit im allgemeinen sowie für konkrete kirchliche Forderungen im einzelnen.

Autorenverzeichnis Privatdozent Dr. Stefan Mückl, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Professor Dr. Arnd Uhle, Technische Universität Dresden Oberlandeskirchenrat Dr. Hans Ulrich Anke, Landeskirchenamt der Evangelischlutherischen Landeskirche Hannover Professor Dr. Michael Germann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Privatdozent Dr. Ansgar Hense, Technische Universität Dresden/Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands Professor Dr. Balázs Schanda, Katholische Universität Péter Pázmány, Budapest