Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit: Forderungen an das Öffentliche Recht der Gegenwart aus der geschichtlichen Entwicklung des Staatsabwehranspruchs [1 ed.] 9783428505395, 9783428105397

Gegenstand dieser Monographie sind die rechtliche Dimension und die Tragweite des Freiheitsbegriffs. Der Autor sucht ein

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Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit: Forderungen an das Öffentliche Recht der Gegenwart aus der geschichtlichen Entwicklung des Staatsabwehranspruchs [1 ed.]
 9783428505395, 9783428105397

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BERTRAND M A L M E N D I E R

Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 915

Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit Forderungen an das Öffentliche Recht der Gegenwart aus der geschichtlichen Entwicklung des Staatsabwehranspruchs

Von

Bertrand Malmendier

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2000 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10539-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Denn für den Bürger macht es einen Unterschied aus, ob das ihm zugedachte Stück Brot ihm vom Gesetzgeber bereitgelegt worden ist, oder ob er es sich von der Verwaltungsbehörde vom Laib muß zuschneiden lassen. Fritz Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Auflage 1928, S. 174.

Vorwort Freiheit und Abwehransprüche, zudem unter Einbeziehung ihrer historischen Dimension, sind Begriffe, die synonym stehen für eine kaum eingrenzbare Weite des Themas und für eine ungeheure Fülle des zu bewältigenden Materials. Die 1994 begonnene Untersuchung, die sich mit historischen und dogmatischen Aspekten des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs befaßt, konnte gleichwohl nach zahlreichen ausbildungsbedingten und beruflichen Unterbrechungen 1999 der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin vorgelegt werden. Sie wurde im Wintersemester 2000/01 als Dissertation angenommen. Die Studie hat sich zum Ziel gesetzt, dem Leser einen aus derselben Feder geschriebenen Gesamtüberblick über die Entwicklung des Staatsabwehranspruchs zu verschaffen, ohne sich mit Details zu überladen, ohne dem Leser aber auch vorzuenthalten, worauf sich die geschichtliche Interpretation gründet. Ob dieser Kompromiß gelungen ist, hat alleine der Leser zu entscheiden. Mein akademischer Lehrer Christian Pestalozzi2 hat meine Forschungen betreut und das Zweitgutachten übernommen, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ihm auch an dieser Stelle nochmals meinen aufrichtigen Dank für die vielfältige wissenschaftliche und persönliche Förderung auszudrücken, die ich von ihm erfahren habe. Großen Dank schulde ich auch Professor Dr. Uwe Wesel, der die Last des Erstgutachtens auf sich genommen hat und mit seiner ebenso unkomplizierten wie unkonventionellen, gleichwohl weiterhelfenden und kritischen Art dem Vorhaben zu einem schnellen und erfrischenden Ende verholfen hat. Professor Dr. Philip Kunig hat mir schon während des Studiums mit Rat zur Seite gestanden, und auch als Doktorand konnte ich mich auf seine Hilfsbereitschaft stets verlassen. Stete Diskussionsbereitschaft fand ich bei den Kollegen und Kolleginnen des Instituts für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht der Freien Universität Berlin. Die Damen Mörtz-Rawak und Meier haben mir bei der Beschaffung von Quellen, bei der Vorbereitung des Manuskripts und bei der Drucklegung wertvolle Hilfe geleistet. Die Studie kritisch begleitet und sich hierzu viel Zeit genommen haben schließlich meine Eltern. A l l ihnen sei herzlich gedankt! Überhaupt erst ermöglicht wurde die Forschung durch eine Institution, die in letzter Zeit nach einem neuen Selbstverständnis sucht. Der Beitrag der Studienstiftung des deutschen Volkes läßt sich dennoch bei weitem nicht auf eine finanzielle Förderung reduzieren. Bleibende Freundschaften und

8

Vorwort

Einblicke weit über den doch so beschränkten juristischen Tellerrand verdanke ich ihr. Beeindruckt hat mich der beispiellose Unbürokratismus, an den ich nach den Erfahrungen im Referendariat kaum noch zu hoffen wagte. Mein Vertrauensdozent Reiner Haussherr hat es stets verstanden, der monotonen Fachsimpelei durch Ausflüge in die Kunst willkommene Abwechslung zu verschaffen. Doch gilt mein besonderer Dank dem Lande Berlin, das mir durch die Gewährung von Sonderurlaub nicht nur die Zeit für die Anfertigung dieser Studie verschaffte. Der Vorsitzende der Prüfungskommission meines Assessorexamens, Herr Staatssekretär a.D. Diethard Rauskolb, rundete meine Eindrücke des Staatsdienstes passend ab und erleichterte erheblich meine persönliche Entscheidung, welche berufliche Schiene ich nicht einschlagen sollte. Berlin, im Herbst 2002

Bertrand Malmendier

Inhaltsübersicht Einleitung I. Themeneingrenzung II. Historische Aspekte der Studie 1. Wechselwirkungen zwischen Geschichte und Recht 2. Vom Sinn rechtsgeschichtlicher Untersuchungen 3. Methodologische Vorbemerkungen III. Dogmatische Aspekte der Studie 1. Integrierende Methode 2. Ein Beitrag zur Materialisierung des subjektiven öffentlichen Rechts . . . . 3. Ein Beitrag zum heutigen Grundrechtsverständnis 4. Ein Beitrag zur Praxis des Verwaltungsprozesses

19 19 21 21 22 24 26 26 27 33 35

Erster Teil Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee I.

Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat im 18. Jahrhundert 1. Die „wohlerworbenen Rechte" als subjektive Rechtspositionen des einzelnen 2. Der Eingriff in wohlerworbene Rechte durch die Obrigkeit und seine Folgen 3. Die Fiskustheorie 4. Recht zwischen zwei Zeiten II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert 1. Entwicklungslinien 2. Das staatliche Umfeld der Reformen 3. Die neuen Grundrechte 4. Die alten wohlerworbenen Rechte 5. Die Brücke zum heutigen Staatsabwehranspruch 6. Der Freiheitseingriff und seine Folgen

37 38 40 63 86 116 120 120 122 134 172 189 326

Zweiter Teil Von der Kammerjustiz zur Verwaltungsgerichtsbarkeit I.

377

Der Rechtsschutz vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 378 1. Die preußische Kammeijustiz und ordentliche Gerichtsbarkeit bis 1808. . 379

10

Inhaltsübersicht

2. Die Reichsgerichtsbarkeit bis 1806 3. Die Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichte (1808) 4. Die Entwicklung der Administrativjustiz seit 1808 5. Die Renaissance der ordentlichen Gerichtsbarkeit II. Der Rechtsschutz seit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 1. Die Justitiabilität staatlichen Handelns 2. Objektive Rechtsordnung versus subjektives Recht 3. Die Rechtsschutzformen und der Entscheidungsinhalt

385 402 404 417 424 429 433 457

Literatur- und Quellen Verzeichnis

461

Rechtsquellenindex

513

Namen- und Sachverzeichnis

521

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Themeneingrenzung II. Historische Aspekte der Studie 1. Wechselwirkungen zwischen Geschichte und Recht 2. Vom Sinn rechtsgeschichtlicher Untersuchungen 3. Methodologische Vorbemerkungen III. Dogmatische Aspekte der Studie 1. Integrierende Methode 2. Ein Beitrag zur Materialisierung des subjektiven öffentlichen Rechts . . . . 3. Ein Beitrag zum heutigen Grundrechtsverständnis 4. Ein Beitrag zur Praxis des Verwaltungsprozesses

19 19 21 21 22 24 26 26 27 33 35

Erster Teil

I.

Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

37

Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat im 18. Jahrhundert 1. Die „wohlerworbenen Rechte" als subjektive Rechtspositionen des einzelnen a) Natürliche und bürgerliche Freiheit b) Subjektive öffentliche und private Rechte c) Wohlerworbene Rechte in der Rechtsordnung d) Heutige Parallelen und Unterschiede 2. Der Eingriff in wohlerworbene Rechte durch die Obrigkeit und seine Folgen a) Störende Handlungen des Landesherrn selbst aa) Majestäts- und Hoheitsrechte bb) Eintrittsrecht des Landesherrn cc) „The King can do no wrong" b) Störende Handlungen unterer Verwaltungsbehörden c) Störende Handlungen Privater 3. Die Fiskustheorie a) Otto Mayers „Dulde und liquidiere" b) Eine rechtsgeschichtliche Legende aa) Das differenzierte Anspruchssystem des absoluten Staates bb) Die Einheit des Staates cc) Fazit

38 40 45 54 57 60 63 65 74 75 75 78 80 86 87 89 89 89 101

12

nsverzeichnis

c) Die Wandlungen des Fiskusbegriffs aa) Der Fiskus als Staat bb) Der Fiskus als juristische Person des Privatrechts cc) Der Fiskus als Träger des staatlichen Vermögens dd) Der Fiskus als Privatrechtssubjekt d) Zur Obsoleszenz des Fiskusbegriffs 4. Recht zwischen zwei Zeiten II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert 1. Entwicklungslinien 2. Das staatliche Umfeld der Reformen a) Trennung von Staat und Gesellschaft b) „Dualistische" Verfassungsstrukturen 3. Die neuen Grundrechte a) Zwischen Liberalismus und Monarchismus aa) Frühkonstitutionelle Verfassungen bb) Die „PaulskirchenVerfassung" cc) Die Preußische Verfassungsgebung dd) Norddeutscher Bund und Deutsches Reich ee) Die Weimarer Reichs Verfassung b) Nachwirkungen der Pflichtenlehre c) Zur Wortschöpfung der Grundrechte" d) Leges imperfectae aa) Umsetzungsschwierigkeiten bb) Erste juristische Einlösungen 4. Die alten wohlerworbenen Rechte a) Ihre Kontinuität, ihre Wandlungen b) Der Gesetzesvollziehungsanspruch c) Justiz- und Administrativsachen 5. Die Brücke zum heutigen Staatsabwehranspruch a) Verfassungsmäßige Rechte und Gesetzespositivismus aa) Grundrechtseffektivität in der Rechtsprechung bb) Grundrechtseffektivität durch einfaches Gesetzesrecht cc) Die Allmacht des Gesetzesstaates b) „Schutznormtheorie" c) Umfassende Eingriffsfreiheit aa) Der status negativus bb) Zur Unterscheidung zwischen Freiheit und Recht cc) Der Staatsabwehranspruch am Ende des 19. Jahrhunderts d) § 127 Abs. 3 LVG e) Zwischen Stagnation und Innovation aa) Die Fortentwicklung der konstitutionellen Lehren bb) Die Bedeutung der Weimarer Grundrechte cc) Die Herausforderungen der neuen Verfassungsordnung

101 101 102 102 107 116 116 120 120 122 126 130 134 135 137 139 142 144 146 147 150 157 160 165 172 173 174 183 189 194 200 202 208 209 217 219 224 246 247 259 262 281 296

nsverzeichnis f) Nichts Neues aa) Die Entstehung der Individualrechtsschutzgarantie bb) Der Staatsabwehranspruch in der Verwaltungsgerichtsordnung . . . 6. Der Freiheitseingriff und seine Folgen a) Der (angeblich) „klassische" Eingriff aa) Eingriffe des Gesetzgebers bb) Eingriffe des Richters cc) Eingriffe in dreipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen dd) Gründe für die Annahme eines „klassischen" Eingriffs ee) Rückblick b) Die Fehlerhaftigkeit des staatlichen Handelns aa) Gesetze oder Verordnungen als Rechtmäßigkeitsmaßstab bb) Zur Unrechtsunfähigkeit des Regenten c) Der Anspruchsgegner

305 306 315 326 330 333 351 352 365 368 369 370 372 374

Zweiter Teil Von der Kammerjustiz zur Verwaltungsgerichtsbarkeit I.

377

Der Rechtsschutz vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 378 1. Die preußische Kammerjustiz und ordentliche Gerichtsbarkeit bis 1808. . 379 a) Die Klagebefugnis 382 b) Der Entscheidungsinhalt 384 2. Die Reichsgerichtsbarkeit bis 1806 385 a) Beklagter, Prüfungsdichte und Entscheidungsinhalt 388 b) Rechtliche und faktische Schranken der Reichsgerichtsbarkeit 392 aa) „Reichsfreie" und eximierte Landesteile 393 bb) Die Austräge 393 cc) Privilegia de non appellando 396 dd) Diskrepanzen zwischen Sein und Sollen 398 3. Die Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichte (1808) 402 4. Die Entwicklung der Administrativjustiz seit 1808 404 a) Die Administrativjustiz zwischen Exekutive und Judikative 405 aa) Das französische Vorbild 407 bb) Nord- und süddeutsches Modell 410 b) Die Beschwer 414 c) Der Entscheidungsinhalt 417 5. Die Renaissance der ordentlichen Gerichtsbarkeit 417 II. Der Rechtsschutz seit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 424 1. Die Justitiabilität staatlichen Handelns 429 2. Objektive Rechtsordnung versus subjektives Recht 433 a) Rudolf Gneists Konzeption 436 b) Funktionen gerichtlicher Verfahren 442

14

nsverzeichnis aa) „Formelle" Interessenklagen bb) Rechtsschutzklagen cc) „Materielle" Interessenklagen c) Ein Scheinstreit 3. Die Rechtsschutzformen und der Entscheidungsinhalt

443 443 444 447 457

Literatur- und Quellenverzeichnis

461

Rechtsquellenindex

513

Namen- und Sachverzeichnis

521

Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen, sofern sie nicht allgemein üblich oder aus sich heraus Abkürzungsverzeichnis der verständlich sind, denen von Hildebert Kirchner, Rechtssprache, 4. Auflage 1993, bis auf: AGB

Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1791 (zitiert nach der in der Königl. Hofbuchdruckerei gedruckten und 1791 in Berlin erschienenen Ausgabe)

AnlStVerhAbgH

Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten

ArchSozWiss.

Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik

Ausg.

Ausgabe

Bearb.

Bearbeiter

BayReglntBl.

Regierungs- und Intelligenz-Blatt für das Königreich Baiern

Bg.

Begründer

BGBl. NDB

Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes

BVerwGG

Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl. I, S. 625-635)

CCM

Corpus constitutionum Marchicarum

CJCG

Corpus Juris Confoederationis Germanicae, oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Nach officiellen Quellen herausgegeben von Philipp Anton Guido von Meyer, Ergänzt und bis auf die neueste Zeit fortgeführt von Heinrich Zoepfl, Zweiter Theil: Beschlüsse der Deutschen Bundesversammlung, 3. Auflage 1859.

E

Entwurf

Éd.

Edition

Eglfg.

Ergänzungslieferung

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl. II S. 766) i.d.F. des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (BGBl. II S. 1253/1256)

Einl.

Einleitung

EUV

Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (BGBl. II S. 1251)

F.A.Z.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

GStA PK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

HAbt.

Hauptabteilung

16 HChE

Abkürzungsverzeichnis Entwurf eines Grundgesetzes durch den Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen vom 23. August 1948 (Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, 1948, S. 61-85) Herausgeber Historische Zeitschrift

Hg. HZ Jb. f. d. Dogmatik d. heut, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen röm. u. dt. Privatrechts und deutschen Privatrechts Jahrbücher des Königlich Sächsischen OberverwaltungsJbSächsOVG gerichts Jura-Karteikarte JK Journal officiel de la République Française J.O. Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, KrO Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 (PrGS, Nr. 8080, S. 661-714) [Preußisches] Gesetz über die allgemeine LandesverwalLVG tung vom 30. Juli 1883 (PrGS, Nr. 8951, S. 195-236) Novum corpus conctitutionum Prussico-BrandenburgenNCC sium praecipue Marchicarum Norddeutscher Bund NDB [Preußisches] Gesetz über die Organisation der allgemeiOrgG nen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 (PrGS, Nr. 8731, S. 291-313) P.N. praenomen nescio (Vorname unbekannt) Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen StaaPrGS ten/Preußische Gesetzsammlung Sammlung der Drucksachen des Preußischen Landtags PrLT-Drucks. (Anlagen zu den Sitzungsberichten) Entscheidungen des Königlichen Geheimen Preußischen PrOTE Ober-Tribunals Entscheidungen des (Königlichen) Preußischen OberverPrOVGE waltungsgerichts PrVerf Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 (PrGS, Nr. 3212, S. 17-35) PVG [Preußisches] Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (PrGS, Nr. 13604, S. 77-94) Rep. Repositur RR Reichsrat Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich SachSächsGVBl. sen SächsOVG (Königlich) Sächsisches Oberverwaltungsgericht Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Slg. Europäischen Gemeinschaften

Abkürzungsverzeichnis StGHE

StNV

sz Τη. VDJT VDNV VStAussch. VerfGHG VwGG

WürttVGH WürttZRPfVw.

ZsRpflBraunschw. ZustG

Hans-Heinrich Lammers/Walter Simons (Hg.), Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main Süddeutsche Zeitung Textnummer Verhandlungen des Deutschen Juristentages Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung Niederschriften über die Verhandlungen des Staatenausschusses bzw. Reichsrats des Deutschen Reichs Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 10. Mai 1990 (GVB1. S. 122-134, ber. S. 231) [Preußisches] Gesetz, betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 (PrGS, Nr. 8337, S. 375-392) i.d.F. der Bek. vom 2. August 1880 (PrGS, Nr. 8733, S. 327-348) Württembergischer Verwaltungsgerichtshof Fr. Haller/Ed. Natter (Hg.), Württembergische Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung; von Heft 7 des XXIV. Jg. (1931) an: Württembergische Zeitschrift für Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege Adolf Dedekind (Hg.), Zeitschrift für Rechtspflege im Herzogthume Braunschweig [Preußisches] Gesetz, betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 vom 26. Juli 1876 (PrGS, Nr. 8446, S. 297-344)

Das Zeichen I in wörtlichen Zitaten weist auf einen Seitenumbruch im Original hin.

2 Malmendier

Einleitung I. Themeneingrenzung (1) Freiheit. Ein großes Wort. Schillernd, für die einen alles, für die anderen nichts sagend, von viel versprechenden Politikern nicht mehr mißbraucht als vom Egoismus politikverdrossener Bürger. Etymologisch ist die „Freyheit" mit den Wörtern „Friede" und „Freund" im Sinne eines geschützten, geschonten und liebenden Verhältnisses in Familie und Gemeinschaft eng verwandt 1 . Die Briten haben diesen Sinnzusammenhang im englischen freedom bis heute erhalten. Die Deutschen unterscheiden hingegen zwischen Friede und Freiheit. Ihre Unterscheidung hilft dem Juristen wenig: Schillernd war und ist die Freiheit auch im Recht. Wenn wir uns im folgenden mit ihr befassen wollen, dann nur mit einem bescheidenen Ausschnitt, und wohl nicht dem wichtigsten, in einem heute eher schwachen Staat, dem man eine Schlankheitskur verschrieben hat und dessen vordringlichste Aufgabe es werden könnte, die „reale" Freiheit des einzelnen vor seinen Mitmenschen durch staatliche Eingriffsreserven zu schützen, wenn einst öffentliche Aufgaben auf der Flucht vor der erdrückenden Finanzlast in einem Privatisierungsrausch zunehmend auf Private verlagert werden bis hin zu der Auffassung, der Staat sei nicht einmal verpflichtet, die innere und äußere Sicherheit durch eigene Organe zu gewährleisten 2, wenn die organisierte Kriminalität besser ausgestattet ist als manch ein Staatsanwalt und man sich fragen kann, wer wen „belauscht", wenn das Faustrecht jener „schlechthin konstituierenden" vierten Gewalt längst die öffentliche Meinung diktiert und den politischen Kurs nicht mehr nur beobachtet, sondern nunmehr maßgeblich gestaltet. Doch solange es diesen Staat geben wird, ob nun an Bulimie erkrankt oder an chronischem Gewichtsverlust leidend, ob nun ungeheuerlicher Leviathan oder friedliches Lamm, wird sich die Frage nach seiner Distanz zum Individuum stellen, einmal mehr, einmal weniger pointiert. Hierum soll es im folgenden gehen, wenn von verrechtlichter Freiheit die Rede ist. (2) Neu ist das Thema gewiß nicht. Abwehransprüche des einzelnen gegen den Staat, gerichtlich durchsetzbare Unterlassungs- und Beseitigungsan1

Dilcher, Freiheit (MA), in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, I. Band, 1971, Sp. 1228 (1229). 2 Lecheler, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, BayVBl. 1994, 555 (558). 2*

20

Einleitung

Sprüche, sind eine Errungenschaft des Konstitutionalismus. Die Hut an Judikatur und Literatur ist seitdem unübersehbar, - die Feststellung Klaus Sterns, wer für den Grundrechtsbereich Lückenlosigkeit erstrebe, „hätte nur zu lesen, zum Schreiben bliebe ihm keine Zeit mehr" 3 , trifft für den umfassenderen Bereich des subjektiven öffentlichen Rechts um so mehr zu - , und die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts entwickelt sich immer mehr zu kasuistischen SpezialWissenschaften des Besonderen Verwaltungsrechts. Was also kann eine weitere Arbeit über dieses alte Thema „Neues" bringen?, wird sich der Leser berechtigt fragen. (3) Sie kann Entscheidungen der Rechtsprechung systematisieren, - und wird zum Handbuch, ohne neue Erkenntnisse zu liefern. Sie kann eine ganz neue Grundlegung des subjektiven öffentlichen Rechts beabsichtigen, - und wird eine schon verschwommene Figur noch verschwommener machen, ohne je in der Praxis um den Preis der Rechtssicherheit Beachtung zu finden. Beides soll denn auch nicht versucht werden. Nicht Revolutionierung, sondern teilweise neue Belichtung und partiell andere Akzentuierung bestimmter Dimensionen des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs in seinem rechtshistorischen Kontext sind das Ziel dieser Arbeit. (4) Die Weite des Themas und das Ziel der Arbeit, dem Leser einen Gesamtüberblick über die vielschichtige Entwicklung des Staatsabwehranspruchs (und seiner Durchsetzbarkeit in der gerichtlichen Realität) zu verschaffen, machen es zum Teil erforderlich, auf Einzelheiten zu verzichten, sich nicht in Finessen zu verlieren und die Akzente auf das Wesentliche zu legen. Sich (in ihrem Umfang) von Habilitationen kaum noch unterscheidende Dissertationen von 400 Seiten und mehr sind heute keine Seltenheit mehr. Eine Dissertation von 1910 über die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage wies 42 Seiten auf, das Literaturverzeichnis 22 Veröffentlichungen 4 ; 1931 erschien eine Habilitationsschrift über das subjektive Recht, die aus 70 Seiten bestand und ein zweieinhalbseitiges Literaturverzeichnis vorwies 5 . Was damals keine Ausnahmeerscheinung war, entspricht heute dem Umfang von Hausarbeiten in juristischen Übungen. Vielleicht sind auch deswegen Juristen so unbeliebt (geworden), weil sie sich nicht (mehr) kurz fassen können und wollen 6 . Zugegeben, allzu kurz gibt sich die vorliegende Untersuchung auch nicht. Einen Mittelweg zu gehen hat sie versucht, der die großen geistesgeschichtlichen Entwicklungslinien um die erforderlichen 3

Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. VII. Poensgen, Die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage nach der württembergischen, preußischen, badischen und sächsischen Gesetzgebung. 5 Schantz, Das subjektive Recht als Bestandteil des allgemeinen Teils der Rechtsordnung. 6 Als eine Antwort auf Braun, Über die Unbeliebtheit des Juristen, JuS 1996, 287-290. 4

II.

i s c h e Aspekte der Studie

21

Details aus der täglichen Rechtspraxis ergänzt. Sie will die geschichtliche Entwicklung weder aus einer ausschließlich mikroskopischen Sicht noch aus einer von der Wirklichkeit abgehobenen Makroperspektive betrachten. Sich in Detailkenntnisse zu flüchten, ist zu einfach; sich an verallgemeinernden Interpretationen zu versuchen, ohne dem Leser mitzuteilen, worauf sie sich gründen, zu gefährlich. Ein gewisses geschichtliches und juristisches Vorverständnis des Lesers wird vorausgesetzt; die Studie so fließend und lebendig zu schreiben, daß sie auch vom rechtsgeschichtlich unvorgebildeten Leser prompt verstanden wird, war dem Verfasser als Juristen zu schwierig. Um die Lesbarkeit jedenfalls für rechtshistorisch Interessierte zu gewährleisten, wurde versucht, die Fußnoten auf ihre eigentliche Funktion zurückzuführen. Ob dies gelungen ist, hat allein der Leser zu entscheiden.

I I . Historische Aspekte der Studie 1. Wechselwirkungen zwischen Geschichte und Recht (5) Die Abhandlung verfolgt trotz ihrer isoliert-geschlossenen Darstellungsweise alleine den Zweck, zum besseren Verständnis des heutigen öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs beizutragen. Sie ist trotz ihrer geschichtswissenschaftlichen Methode nicht um ihrer selbst willen geschrieben, versteht sich lediglich als notwendiges Vorverständnis zur heutigen Rechtslage. Hieraus ergeben sich die in der Studie immer wieder auftauchenden Querverbindungen zur Gegenwart. Jede vertiefte Untersuchung des heutigen subjektiven öffentlichen Rechts wird zwangsläufig in die Weimarer Zeit zurückverweisen. Der Stand des Weimarer Staats- und Verwaltungsrechts wiederum erschließt sich nur demjenigen, der bereit ist, sich auf die Wurzeln der Weimarer Rechtswissenschaft im deutschen Konstitutionalismus weiterverweisen zu lassen. Unendlich holt einen die Vergangenheit indessen nicht ein: Das ausgehende 18. Jahrhundert markiert - wie in der Arbeit verdeutlicht werden wird - eine historische Zäsur, die sich auch im Recht und damit in seiner Geschichte manifestiert. (6) Sich nicht in Einzelheiten und Besonderheiten zu verlieren, um Überschaubarkeit, Verständlichkeit und Lesbarkeit zu gewährleisten, gleichwohl wissenschaftlich fundiert zu sein, war der kompromißhafte Leitgedanke dieser Studie. Um Nachsicht wird deshalb gebeten, wenn einzelne Epochen kürzer als andere dargestellt werden, diese Kürze zwangsläufig zur Gedrängtheit führt und der interessierte Leser auf weiterführende Nachweise in den Fußnoten verwiesen wird. Wenn einmal ein Entwicklungsaufriß genügt, ist ein anderes Mal eine genauere Schilderung nützlich. Während die vorkonstitutionelle Zeit linearartig skizziert werden konnte, erwies sich eine detailliertere Auseinandersetzung mit Gesetzgebung, Rechtsprechung und

22

Einleitung

Schrifttum um die Wende zum 20. Jahrhundert als unumgänglich. Dies nicht nur, weil in dieser Zeit en gros das Fundament des heutigen Verständnisses geschaffen wurde, sondern auch, weil heutzutage eine (freilich: oft unbewußte) Rückbesinnung auf Standpunkte stattfindet, die im letzten Jahrhundert zur gesicherten „herrschenden Meinung" zählten 7 . Das 19. Jahrhundert war in Deutschland ein juristisches Jahrhundert mit erheblichen Nachwirkungen in die heutige Zeit, positiven wie negativen8. (7) Das Geschichtliche an der Untersuchung eines Rechtsaspekts macht es ferner erforderlich, das Recht in sein allgemein^schichtliches Umfeld einzubinden. Der Staatsabwehranspruch wird in dieser Studie weder ausschließlich als dogmengeschichtliche Herausforderung noch alleine als philosophische Forderung des Vernunftsrechts, sondern als Bestandteil der gerichtlichen Wirklichkeit und damit des gelebten Rechts, der Rechtswirklichkeit begriffen. Seine juristische Umsetzung und Handhabung durch die in einem Gewaltmonopol dazu berufenen Stellen rückt in den Mittelpunkt des Interesses 9. Die ideengeschichtlichen Grundlagen und staatsphilosophischen Forderungen können nur, aber immerhin das geistige Klima und Umfeld dieses Transformationsprozesses erklären, der auf dem Richter lastete. Einen Mittelweg zu gehen, hat diese Studie versucht. Dogmengeschichtliche Finessen werden in das zeitgenössische Verständnis vom Menschen im Staat eingebettet. Vor diesem Hintergrund mag einem etwa die sich „unjuristisch" lesende Schilderung des deutschen Grundrechtskonstitutionalismus 1 0 etwas lang geraten erscheinen, zumal die Geschichte des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs keine Geschichte der Grund- und Menschenrechte ist, mögen diese auch eine seiner Grundlagen bilden. Sie soll indes lediglich das Gedächtnis auffrischen und das nötige geschichtliche, kulturelle und philosophische Vorverständnis für die Entwicklung der Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts im Spätkonstitutionalismus schaffen.

2. Vom Sinn rechtsgeschichtlicher Untersuchungen (8) Die Brauchbarkeit epochaler Untersuchungen zum Verständnis der Gegenwart wird teilweise bezweifelt. Die Ignoranzthese leugnet sie: Die Historie sei für die Gegenwart ohne Nutzen. Geschichte als überflüssige Wissenschaft, Geschichte des Rechts als überflüssiger Bestandteil der Rechtswissenschaft? Was das Verständnis des Rechts der Gegenwart anlangt, so erweist sich diese These aus mehreren Gründen als kaum haltbar. 7

Tn. 141. Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 462. 9 Siehe in diesem Zusammenhang auch Tn. 14. 10 Tn. 106-113. 8

II.

i s c h e Aspekte der Studie

23

Die Staats- und Verwaltungsgeschichte bringt nicht nur einen immateriellgeistigen, sondern auch einen materiell-praktischen Erlös. (9) Zunächst trägt sie wesentlich zur Bildung eines Vorverständnisses der staatlichen Gewalten und des einzelnen in Staat und Gesellschaft zum Kontext bei, in dem sich der heutige Staat bewegt. Die heutige Staatsform ist kein Zufall, sondern das Produkt eines langen Entwicklungsprozesses. Diese Staatsform in ihrer historischen Dimension zu erfassen, bleibt eine wesentliche Bedingung für richtige Rechtssetzung und -anwendung in der Gegenwart. Richtiges Recht setzt Distanz zum Recht voraus. Und die Geschichte des Rechts trägt zu dieser Distanzierung bei, indem sie heutige Erscheinungen anhand ihrer historischen Wurzeln immer wieder in Frage stellt. (10) Die geschichtliche Komponente der Staats- und Verwaltungswissenschaft spielt aber auch eine wesentliche Rolle bei der Interpretation einzelner Rechtsnormen der Gegenwart, auf die die Arbeit eingehen wird. Die „historische" Auslegungsmethode bildet im Kanon der vier klassischen Auslegungskriterien 11 einen wichtigen Maßstab zur Ermittlung des Sinngehalts eines Rechtsbegriffs. Sie greift nicht nur auf die im Gesetzgebungsverfahren geäußerten und in Protokollen, stenographischen Berichten und Drucksachen festgehaltenen Vorstellungen zurück, sondern versucht den Begriff auch aus den früheren sozialen, politischen und kulturellen Gegebenheiten heraus zu verstehen, wobei sie Entstehung und Entwicklung des Rechtsinstituts bedenkt, die der Gesetzgeber bei seiner Regelung vorfand. „Hier ist der Punkt, wo historische Forschungen in weitestem Sinne zu einem Hilfsmittel der juristischen Auslegung werden." 12 Auch derjenige also, der Rechtsanwendung als schlichte Technik, als bloßes Handwerk versteht, kommt an der Geschichte des Rechts nicht vorbei. Sonst bleibt er Geselle und wird nie Meister. (11) So hilft das geschichtliche Verständnis von Staat und Verwaltung nicht nur, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Auch überkommene Unklarheiten, die in früheren Zeiten ihre Wurzeln geschlagen haben, können mit seiner Hilfe offengelegt werden. Die Kenntnis der Vergangenheit ist insofern nicht nur für das Verständnis der Gegenwart, sondern auch für die Gestaltung der Zukunft behilflich. Wer die Frage „Woher kommen wir?" nicht stellen will, kann die Frage „Wohin gehen wir?" nicht beantworten 13 . Wir stehen nicht am optimalen Endpunkt einer langen, nun aber endlich abgeschlossenen Entwicklung, wir dürfen unser Zeitalter nicht glo11

V. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 1, 1840, S. 213 f. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 330. 13 In Anlehnung an Stolleis, Der geschichtsblinde Jurist ist gefährlich, F.A.Z. Nr. 19 vom 23. Januar 1996, S. 29. 12

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Einleitung

rifizieren, keiner „rechtsstaatlichen Hurra-Mentalität" 14 verfallen und uns von unserem Stolz nicht verblenden lassen, wie weit es doch unser Rechtsstaat im Vergleich zu vergangenen Zeiten gebracht habe. Sich von ganz anderen Prinzipien als dem Recht herleitende Umgangsformen der Verwaltung, aber auch des Gesetzgebers und der Richter sind kein ausschließliches Attribut des Obrigkeitsstaates. Sie kommen noch heute vor, häufiger als man meint, nur (meistens) rechtsstaatlich verpackt. Das (gemeinwohlverträgliche) Maximum individueller Sicherheit läßt sich endgültig nie erreichen. Dieser Idealzustand hängt nicht nur vom Recht, sondern auch und vor allem vom Umgang der dazu berufenen Menschen mit dem Recht ab. Unsere Nachfahren werden es einmal am nötigen Respekt vor dem heutigen Staatsabwehranspruch nicht vermissen lassen, sich aber innerlich mokieren, so wie wir heute über die Hülle ohne Kern des spätkonstitutionellen Gesetzesstaates.

3. Methodologische Vorbemerkungen (12) Nicht das Aufsuchen (rechts-)historisch aufschlußreicher Quellen, sondern ihre richtige Auswertung bildet die eigentlich interessante, aber auch problematische und schwierige Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Bei der vorgenommenen Auswertung von Quellen in der Zeit zwischen dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zu den Gründungsjahren Nachkriegsdeutschlands waren drei Grunderkenntnisse zu berücksichtigen, um Fehler bei der Analyse zu vermeiden: (13) Erstens: Sprache und damit auch Fachbegriffe wandeln sich. Erscheinungen des heutigen Rechts waren der Jurisprudenz vergangener Zeiten unbekannt oder hatten eine ganz andere Bedeutung. Rechtliche Erscheinungen früherer Zeiten lassen sich oft nicht unter heutige Rechtsbegriffe subsumieren. Das Geschichtsbild wird gleichwohl nicht verfälscht, wenn Institutionen von einst in Begriffen von heute erklärt werden. Dadurch wird der Begriff aber nicht zu einem solchen von damals. Er bleibt einer der heutigen Rechtswissenschaft. (14) Zweitens: Die Entwicklung des Rechts verlief damals wie heute in wechselseitiger Befruchtung von Wissenschaft und Praxis. Das geltende und gelebte Recht spiegelte sich jedoch alleine in Gesetz und Urteil der Machthabenden wider 1 5 . Reich und Länder waren Monarchien, nicht Aka14

Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1995, S. 109 (112). 15 Bemerkenswert bleibt, daß manch eine Untersuchung sich trotz zahlreicher und umfangreicher gerichtlicher Entscheidungssammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts ganz auf Analysen des Schrifttums beschränkt (Ein Realitätsdefizit konsta-

II.

i s c h e Aspekte der Studie

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demien 16 . Die Landesfürsten, ihre Behörden und ihre Gerichte regierten nicht nach staatstheoretischen Modellen; praktische Gesichtspunkte beherrschten ihr Handeln. Sie waren nicht die Exekutoren systematischer Lehrdarstellungen und noch weniger die Marionetten revolutionärer Reformkonzeptionen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind deshalb im Sinne einer Realgeschichte der täglichen Rechtspraxis in erster Linie die positiven Rechtsquellen und ihre Interpretation durch Gerichte. Rechtsgeschichte - als Recht unter geschichtlichen Aspekten und nicht Geschichte unter rechtlichen Aspekten - muß eine Geschichte der Rechtswirklichkeit, der Rechtsquellen und ihrer Handhabung bleiben, darf nicht alleine das ideologische, politische und soziale Umfeld der Rechtsordnung betrachten, darf aber auch nicht als Dogmengeschichte alleine die Entwicklung rechtlicher Institutionen klären, sondern muß Positivität und Idealität zueinander in Beziehung setzen. Eine Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Praxis war in zweierlei Hinsicht möglich: Einerseits konnten rechtspolitische Forderungen lange, wenn nicht immer, Staatsphilosophie bleiben. „Prediger in der Wüste" 1 7 gab es zahlreiche, viele verdursteten, einige fanden eine Oase. Andererseits konnten Gesetzgebung und Rechtsprechung akademische Streitereien beiseite lassen, überholen und beenden, in dem sie richtungweisend das Recht fortbildeten. Die erste Tendenz läßt sich besonders im aufgeklärten Absolutismus und Frühkonstitutionalismus, die zweite im Spätkonstitutionalismus beobachten. (15) Drittens: Die Genese des subjektiven öffentlichen Rechts verlief evolutionär, war im Kalender nicht punktuell, auf der Entwicklungsskala nicht kontinuierlich und auf der Landkarte nicht universell. Einen „freiheitlichen Urknall" hat es nie gegeben, vor allem nicht im deutschen Partikularismus. Staatsphilosophische Überlegungen und rechtspolitische Forderungen mußten lange reifen, ehe sie in positives Recht umgesetzt wurden. Mehrdeutige Überlappungen und ambivalente Mischformen waren in Zeiten des Umbruchs nicht selten. Frühe erste Ansätze, Tendenzen und Unikate in Gesetz und Urteil, erst recht in der Literatur, gestatten es (noch) nicht, von einem geltenden Rechtsprinzip zu sprechen. So wie es Forschritte gab, gab es auch Rückschritte. Der Anerkennung subjektiver Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat entsprach keine gerade Linie von der totalen tieren auch Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für Huber, 1973, S. 139 [159 Fn. 96], und Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Diestelkamp [Hg.], Die politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 157 [157-159]). 16 In Anlehnung an Hattenhauer, Das ALR im Widerstreit der Politik, in: Merten/Schreckenberger (Hg.), Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 27 (29). 17 Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band IV, 1977, S. 581.

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Einleitung

Rechtlosigkeit zur allumfassenden Freiheit. Und im deutschen Staatenbund bot sich ein inhaltlich und zeitlich uneinheitliches Bild. Die Entwicklung variierte von Land zu Land, je nach Stärke und Machtanspruch des Landesfürsten und je nach den staatstheoretischen Anschauungen und Einflüssen. Den Details aller deutschen Länder kann die Untersuchung nicht Rechnung tragen; die Entwicklung soll deshalb insbesondere am Beispiel Preußens dargestellt werden, dem (neben Österreich) einst größten deutschen Staat, dem es nach dem deutsch-französischen Krieg durch die „Prussifizierung" des Deutschen Reichs gelang, eine auch juristische Vormachtstellung auszubauen und dessen Rechtsquellen, Gerichtsentscheidungen und Parlamentaria noch heute relativ leicht ausfindig gemacht werden können. Der in Deutschland alles andere als transparente Lauf darf nicht verkannt werden, wenn der Geschichte durch eine wissenschaftlich unverzichtbare Periodisierung Gewalt angetan wird, um dem Leser (insbesondere anhand des preußischen Staats- und Verwaltungsrechts) einen Überblick der groben Entwicklungszüge unter Ausklammerung von Finessen zu vermitteln.

I I I . Dogmatische Aspekte der Studie 1. Integrierende Methode (16) Ursprünglich war vorgesehen, dem historischen Teil einen dogmatischen Teil folgen zu lassen, der unter Verwertung der geschichtlichen Erkenntnisse versuchen sollte, das geltende Recht zu erfassen und zu systematisieren, um die Forderung nach Schonung des einzelnen durch den Staat rechtstechnisch einzulösen. Während der historischen Untersuchungen hat es sich jedoch als zweckmäßiger erwiesen, eine integrierende Methode zu wählen und dogmatische Probleme des heutigen öffentlichen Rechts sogleich im historischen Teil mitabzuhandeln. So zeichnet die Untersuchung zum einen die Entwicklung zentraler Rechtsvorschriften, wie die Regelung der Individualrechtsschutzgarantie und der Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, bis in die heutige Zeit nach und verdeutlicht dabei, wie (sehr) die Neuregelung einer Gesetzgebungsmaterie auf Vorgängerbestimmungen aufbaute und was daraus für ihre Interpretation zu schließen ist. Zum anderen werden Problemstellungen zum öffentlichrechtlichen Abwehranspruch, die noch heute Fragen offen lassen, in ihrem rechtshistorischen Kontext abgehandelt, soweit sie bereits in der Genese des Staatsabwehranspruchs eine Rolle spielten. Nicht nur dargestellt, sondern auch einer Lösung zugeführt werden sollen jene heutigen wie damaligen Fragestellungen. Daß dieser Versuch in einer geschlossenen geschichtlichen Darstellung erfolgt, stellt ihren Wert für die heutige Rechtsanwendung nicht in Frage, solange nichts vage und unpräzis bleibt.

III. Dogmatische Aspekte der Studie

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2. Ein Beitrag zur Materialisierung des subjektiven öffentlichen Rechts (17) Ein Hauptanliegen dieser Abhandlung ist die „Reinigung" des Öffentlichen Rechts von Fern Wirkungen aktionenrechtlichen Denkens. Schon früh wird dem angehenden Verwaltungsrechtler das Prozeßrecht in die Wiege gelegt. Das hat sicherlich Vorteile, aber nicht nur. Die Sprache der Praxis birgt die Gefahr in sich, das materielle Recht rechtsschutzbezogen zu betrachten, ohne sich hinreichend Gedanken über die (nur) dienende Funktion des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens zu machen. Immer wieder ist die Sprache von Konkurrentenklagen, Nachbarklagen, wie generell von Drittklagen, obwohl Konkurrentenrechte, Nachbarrechte, wie generell Drittrechte gemeint sind. Immer wieder werden Rechte und rechtlich geschützte Interessen unkritisch gleichgesetzt, obwohl die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage der Durchsetzung materieller Reaktionsansprüche dient. Ein Recht muß in Zeiten der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel ohne prozessualen Mantel auskommen. Erst wenn man seinen materiellen Kern erfaßt hat, ist es - auch für den praktisch denkenden Verwaltungsrechtler - nur nebenbei und abschließend von Interesse, die Mittel einzubeziehen, die die Verwaltungsgerichtsordnung für seinen Schutz zur Verfügung stellt. Eine „Materialisierung" des subjektiven Rechts setzt seine Befreiung vom Prozeßrecht voraus. Wie im einzelnen noch darzulegen sein wird, beruhen viele Unklarheiten des subjektiven öffentlichen Abwehrrechts auf seiner Betrachtung durch die Brille des Verwaltungsprozeßrechts, die zur Vermischung prozessualer und materiellrechtlicher Aspekte führt. Diese „prozessuale Betrachtungsweise" des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs ist zum einen durch die Prozeßgesetze bedingt, allen voran die Verwaltungsgerichtsordnung, die sich das materielle Recht nach ihren praktischen Bedürfnissen „zurechtbiegen". Die gerichtliche Anfechtung eines Verwaltungsaktes soll nicht dann Erfolg haben, wenn der Kläger schlicht einen Anspruch auf Aufhebung der staatlichen Entscheidung hat. Vielmehr soll eine Klagebefugnis erforderlich sein, und begründet soll die Klage sein, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die prozessuale Betrachtung des materiellen Rechts mag auch historische Wurzeln haben. Im 19. Jahrhundert, in dem eine Verwaltungsgerichtsbarkeit im heutigen Sinne erst im Entstehen war, traf man häufig auf eine Verklammerung prozesssualer und materieller Elemente des subjektiven öffentlichen Rechts 18 : Subjektive Rechte des einzelnen seien gerichtlich durchsetzbare Positionen 19 . Schon früher war das Individual18 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 39, 79 f.; siehe ferner Tn. 382. 19 Umfassende Nachweise sogleich in Fn. 25.

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recht des Untertans gegen die Obrigkeit stets im Lichte der Rechtsschutzmöglichkeiten definiert worden: Die gemeinrechtliche Lehre vom wohlerworbenen Recht stand zugleich für die Justitiabilität staatlichen Handelns, ein Recht „wohl erworben" zu haben, Schloß automatisch das Recht ein, dieses vor Reichs- und Landesgerichten auch behaupten zu können 20 . Erst ihre Justizfähigkeit machte eine Position zum Recht. Man dachte nicht in materiellrechtlichen Kategorien, sondern definierte den Abwehranspruch von seiner Justitiabilität her. Das Verfahrensrecht war kein flankierendes Hilfsrecht, sondern das eigentlich interessante Recht und bildete mit der geschützten Rechtsposition eins. Die Schwierigkeit, zwischen Recht und Rechtsschutz in Zeiten zu unterscheiden, die keine verwaltungsgerichtliche Generalklausel kannten, zeigt sich ferner bei der Bestimmung, ob der Theorie vom (angeblichen) Fiskus 21 eine Verfahrens- oder aber materiellrechtliche Bedeutung zukommt. (18) Was sind schon subjektive Rechte wert, wenn man sie im Ernstfall nicht auch mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols durchsetzen kann, was nützt dem Bürger ein staatsfreier Raum, wenn der Verwaltung ein rechtsschutzfreier Raum zusteht? Diese Vermischung prozessualer und materieller Elemente findet denn auch in der „Zwangstheorie" Max Webers (18641920) ihren neuzeitlichen Höhepunkt. Von Recht (allerdings im objektiven Sinne) wollte er nur reden, wenn in der Gesellschaft ein eigens darauf eingestellter Erzwingungsstab existiert, der im Streitfall die Ordnung mit physischem oder psychischem Zwang durchsetzen kann 2 2 . Rudolph von Jhering (1818-1892) hatte das subjektive Privatrecht ganz im Sinne der heutigen „Schutznormtheorie" als rechtlich geschütztes Interesse definiert 23 , verstand unter dem rechtlich intendierten Schutz jedoch den Rechtsschutz, die Klage, als schützende Schale des Rechts 24 . Das so gedeutete subjektive Recht wurde alsbald ins Öffentliche Recht übernommen, wo sich die Verzahnung der materiellen Position mit den Klagemöglichkeiten bis ins 20. Jahrhundert hielt 2 5 , solange es keine generalklauselartige Rechtsschutz20

Tn. 30 und Tn. 388, 393. Der Pluralis wäre angebrachter (Tn. 76). 22 Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbband, 5. Aufl. 1976, S. 17-19. 23 Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Teil 3, 5. Aufl. 1906, S. 339. 24 A.a.O., S. 339; siehe auch dens., Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen, Jb. f. d. Dogmatik d. heut. röm. u. dt. Privatrechts 23 (1885), S. 155 (307). 25 Etwa (in chronologischer Folge) bei v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 423; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 106 (siehe aber auch S. 45 Fn. 2, 102 f., 351 und 358 f.); Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 73 f.; siehe auch seinen Grundriß des Reichsstaatsrechts, 4. Aufl. 1926, S. 197; Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht, Zweiter Teil, 1906, S. 23 f., 27; W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und 21

III. Dogmatische Aspekte der Studie

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garantie gab 2 6 , eine Auffassung, die nach dem Motto: „Der Kläger ist klagebefugt, wenn er die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend macht. Ein subjektives Recht steht ihm zu, wenn er klagen darf.", in einer petitio principii enden mußte 27 : Die Ermittlung eines subjektiven Rechts anhand des gewählten Rechtsschutzes reicht ins aktionenrechtliche Denken des römischen Rechts zurück. Dort machte erst die actio eine Position zum subjektiven Recht, die Klage war Ausdruck des Rechts im Zustand der Verteidigung, das latente Recht aktualisierte sich in der Klage und nahm ihre Gestalt an 2 8 . Im Privatrecht brachte erst Bernhard Windscheid (1817-1892), Zweckmässigkeitserwägung, 1913, S. 116 f.; Bierhoff, Die Reichs Verfassung und die Grundrechte, 1923, S. 7, für den die Annahme eines subjektiven (Grund-)Rechts voraussetzte, daß der einzelne „die ihm durch die Grundrechtsnorm bereitete günstige Rechtslage zu verwirklichen im Stande sein" müsse; Lemor, Subjektiv öffentliche Rechte und Reflexwirkungen objektiven Rechtes im deutschen und preußischen Recht, 1928, S. 10 f., 18, 28 f., für den die Klagbarkeit als „Erkennungsmittel" (S. 28) des subjektiven öffentlichen Rechts diente; Fülster, Grundriß des Verwaltungsrechts, Band I, 1929, S. 166; Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, in: Anschütz/Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1932, S. 607 (616 f., 620 f.), der zwischen einem weiteren und einem engeren Begriff, zwischen echten und unechten subjektiven Rechten unterscheiden wollte. Noch 1967 sah BVerwGE 27, 29 (31), das Charakteristikum des subjektiven Rechts darin, daß jemandem eine Rechtsposition derart eingeräumt wird, „daß sie gegebenenfalls auf dem Klagewege durchzusetzen ist". Die Auffassung Bauers, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 99, die Konkretisierung des Kriteriums der Rechtsmacht als gerichtliche Durchsetzbarkeit habe sich nicht nur bis ins 20. Jahrhundert gehalten, sondern sei deutlicher als bisher erst zur Weimarer Zeit erfolgt, dürfte angesichts der deutlichen Ausführungen Jherings (Geist des römischen Rechts [Fn. 23], S. 339; Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen [Fn. 24], S. 307) und einer bereits im Konstitutionalismus zu beobachtenden Kontinuität zu weit gehen. 26 Zögernd und erst in einer Zeit, in der die Existenz subjektiver öffentlicher Rechte kein Thema mehr war und man sich vertiefte Gedanken über ihren Begriff und ihre Entstehungsvoraussetzungen machen konnte, wurde die Klagbarkeit als konstituierendes Merkmal aufgegeben, etwa von Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 11 f., 55, und Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 173 f. In einer 1925 erschienenen Abhandlung hielt es Richter für „heute überwiegend anerkannt", daß die Klagemöglichkeit für das Vorliegen eines subjektiven Rechts gegen den Staat bedeutungslos ist (Das subjektive öffentliche Recht, AöR 49 [1925], S. 1 [30 Fn. 58]). 27 Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 287 (300); ders., Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 2. Aufl. 1968, S. 65; Naumann, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, In welcher Weise empfiehlt es sich, die Gesetzgebung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu vereinheitlichen?, in: VDJT 1950, 1951, S. D 18 (19). Diese Kritik war nicht neu. In einer 1895 erschienenen Monographie hat bereits O. Müller, Die Begriffe der Verwaltungsrechtspflege und des Verwaltungsstreitverfahrens nach preußischem Recht, S. 146, auf die Problematik hingewiesen.

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einer der bedeutendsten Vertreter der Pandektenwissenschaft, die Wende, der die actio als bloße „Hülle, die das Lebendige umkleidet" 2 9 , kennzeichnete. Liest man heute im Öffentlichen Recht Vorschriften wie die §§42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, deren antiquierter Wortlaut sich bis zur Paulskirchenverfassung von 1848/49 (und weiter) zurückverfolgen läßt 3 0 , kommen einem leichte Zweifel, ob die Bundesgesetzgebung noch immer römisches Recht rezipiert oder trotz des unveränderten Wortlauts doch etwas anderes ausdrücken wollte. Die nachfolgende Untersuchung wird trotz der recht jungen Unterscheidung zwischen Recht und Rechtsschutz versuchen, auch in der Darstellung der spätabsolutistischen und konstitutionellen Rechtsentwicklung beide auseinanderzuhalten; doch sollte der Leser trotz der durchgehenden Differenzierung zwischen Schutzgegenstand, Reaktionsanspruch und Justitiabilität nicht vergessen, daß diese Ausdifferenzierung erst sehr viel später abgeschlossen wurde. Freilich lassen sich oft erst anhand der gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten Schlüsse hinsichtlich des materiellen Rechts ziehen. Ein Staat, der den öffentlichrechtlichen Abwehranspruch von seiner Gerichtsbarkeit ausnimmt, eine staatliche Praxis, die sich von rechtsschutzfreundlichen Forderungen nicht beeindrucken läßt, geben dadurch ihre Einstellung zum Verhältnis des Bürgers zum Staat zu erkennen: Dieser soll vom Staat im Streitfall von Rechts wegen nichts verlangen, geschweige denn erzwingen können. Rechtsgeschichtliche Darstellungen des subjektiven öffentlichen Rechts 31 , die vorliegende Arbeit eingeschlossen, können und wollen deshalb die Unterscheidung zwischen Recht und Rechtsschutz nicht immer durchhalten. (19) Materialisierung des subjektiven Rechts bedeutet auch, es - unabhängig seiner Gestalt, die es im Prozeß annimmt - zu verallgemeinern. Die Belichtung des subjektiven öffentlichen Abwehrrechts von einem materiellen Ansatz her wird verdeutlichen, daß das Abwehrrecht vielleicht doch nicht an allzu vielen Erscheinungsformen leidet und es sich, nicht nur in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen, auf einen gemeinsamen Nen28

Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 4-8. Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 230. 30 Tn. 109. 31 Die wichtigsten: Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971; Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962; ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 3-20; speziell zur Entwicklung der Institutionen des Rechtsschutzes in Preußen Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914. 29

III. Dogmatische Aspekte der Studie

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ner zurückführen läßt, die verrechtlichte Freiheit. Gleichwohl ist der Staatsabwehranspruch vor terminologischen Klassifizierungen nicht verschont geblieben. Unter Zugrundelegung des Anspruchsinhalts will man zwischen Beseitigungsansprüchen, Unterlassungsansprüchen, Ansprüchen auf Aufhebung rechtswidriger belastender Verwaltungsakte, Vollzugsfolgenbeseitigungsansprüchen und schlichten (einfachen) Folgenbeseitigungsansprüchen unterscheiden 32 ; neuerdings tauchen, unter Zugrundelegung der Art des Eingriffs, weitere Wortschöpfungen auf wie „Immissionsabwehranspruch" 33 , „Fiskusabwehranspruch" 34 oder „Konkurrenten-" und Begünstigungsabwehranspruch 35 . Diese terminologische Vielfalt vermag die Existenz eines einheitlichen öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs mit identischen Voraussetzungen und Hindernissen nicht in Frage zu stellen: Das Öffentliche Recht kennt nur einen Abwehranspruch 36. Dieser Staatsabwehranspruch zielt von seinem Inhalt her gesehen entweder auf Unterlassung oder auf Beseitigung eines Freiheitseingriffs (oder auf beides) hin. Dabei stehen die Fachtermini „Unterlassung" und „Beseitigung" nicht für zwei unterschiedliche Arten von Abwehransprüchen, sondern umschreiben - bei weitgehend gleichbleibenden Anspruchsvoraussetzungen - lediglich die Mittel, mit denen im Einzelfall der staatliche Eingriff abgestellt wird. Die staatliche Beschneidung menschlicher Entfaltungsautonomie wird oft erst durch die Folgen des staatlichen Handelns spürbar. Zurechenbare Eingriffsfolgen prägen geradezu den Eingriff selbst. Der einheitlich zu beurteilende Freiheitseingriff drückt sich bei normativen Einschnitten nicht nur in der rechtlichen Belastung, sondern auch in den faktischen Folgen aus. Mit anderen Worten: Eine Abgrenzung zwischen der Abwehr der Störung und der Abwehr der Folgen der Störung ist nicht nur nicht angebracht, sondern nicht möglich, da gerade auch in den (zurechenbaren) Folgen der Eingriff liegt. Dadurch, daß ein Verwaltungsakt vollzogen wird, ändert sich an der Einheitlichkeit des Abwehranspruchs nichts, auch wenn die prozessuale Vorschrift des §113 Abs. 1 VwGO zwischen dem Verwaltungsakt (S. 1) und seinen Folgen (S. 2) unterscheiden will. Der Inhalt des Abwehranspruchs paßt sich nur im Einzelfall den Eigenarten der Freiheitsbeschränkung an, ohne daß dadurch eine wundersame Anspruchsmultiplikation stattfindet. Die Uniformität des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß dieser sich auf unterschiedliche Grundlagen stützen kann. Die Anspruchsstruktur ist, wie noch zu zeigen sein w i r d 3 7 , bei verfas32

So die Einteilung von Laubinger, Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, VerwArch. 80 (1989), S. 261 (299). 33 Engler, Der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch, 1995. 34 Erichsen, JK 1995, GO BW § 102/2. 35 P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 121 und 132. 36 In diesem Sinne auch Köckerbauer/Büllesbach, Der öffentlichrechtliche Unterlassungsanspruch, JuS 1991, 373 (379 f.).

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Einleitung

sungsrechtlich, einfachgesetzlich oder durch Einzelakt begründeten Rechtspositionen jeweils diesselbe. (20) Die Gestaltungsurteile der Gerichte des Öffentlichen Rechts bei Abwehrklagen (insbesondere § 95 Abs. 2 Hs. 1 BVerfGG 38 und § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) waren der Materialisierung des subjektiven öffentlichen Rechts nicht dienlich, die verfassungsgerichtliche Abstinenz hat sogar dafür gesorgt, daß die Frage des exakten Anspruchsinhalts von Grundrechten ins Verwaltungsrecht verdrängt wurde, das wiederum ohne hinreichende Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben die Frage zu beantworten versuchte. Die - nach einer zu beobachtenden Spaltung des subjektiven öffentlichen Rechts in verfassungs- und einfachrechtliche Individualpositionen - übriggebliebene und sich abschottende Grundrechtsdogmatik hat sich der Abdrängung des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs ins allgemeine Verwaltungsrecht gegenüber großzügig offen gezeigt: „Allen Verästelungen der Problematik" könne in einem allgemeinen Grundrechtsteil nicht nachgegangen werden, ist in einem großangelegten staatsrechtlichen Standardwerk zu lesen 39 . Die übriggebliebene Verwaltungsrechtsdogmatik ließ sich die Aufgabe nicht zuschieben und wußte sich ihr weiter zu erledigen: Beseitigung rechtswidrigen Verwaltungshandelns wird als Problem der Staatshaftung verstanden, obwohl das subjektive öffentliche Recht zum klassischen Repertoire des Allgemeinen Verwaltungsrechts gerechnet wird. Auf dieser Linie regelte § 3 des 1982 vom Bundesverfassungsgericht 40 für verfassungswidrig und nichtig erklärten Staatshaftungsgesetzes vom 26. Juni 1981 41 die Folgenbeseitigung, wenn „der Schaden in der Veränderung eines tatsächlichen Zustandes zum Nachteil des Geschädigten" besteht. Obwohl Staatshaftung im weitesten Sinne als Einstehenmüssen der öffentlichen Gewalt verstanden werden kann, rückte der (Folgen-)Beseitigungsanspruch im Staatshaftungsgesetz durch die sprachliche Assoziation mit dem Schadensrecht in bedenkliche Nähe von Sekundär- und Reparationsrechten, ohne einen Zusammenhang zur klassischen Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts mehr aufzuweisen. Um Sekundärrechte wird es hier nicht gehen. Alleine die „primäre" Abwendung bevorstehender und Abstellung eingetretener Freiheitsverletzungen wird Gegenstand der Untersuchung sein.

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Tn. 206-222. Der extensiv ausgelegte Begriff der „Entscheidung" erfaßt neben Richtersprüchen auch administrative (normative und reale) Einzelakte (Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, Rn. 69 zu § 12). 39 Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 622. 40 BVerfGE 61, 149-208. 41 BGBl. I, S. 553-562. 38

III. Dogmatische Aspekte der Studie

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(21) Ein materieller Ansatz als Ausgangspunkt wird versuchen, bislang nicht hinreichend belichtete Zusammenhänge zwischen Erscheinungen des Verwaltungsrechts und des Verfassungsrechts, etwa zum einen zwischen der „Schutznormtheorie" und dem Freiheitsprinzip oder zum anderen dem Freiheitsprinzip und negatorischen Abwehransprüchen vereinheitlichend darzustellen, um die gegenseitige Dependenz der Gesamtmaterie zu durchdringen. Man möchte diese Vereinheitlichung vielleicht vorschnell darin erblikken, den freiheitsbegründenden Schutzbereich dem Verfassungsrecht, die Schrankensystematik dem Verwaltungsrecht zuzurechnen. Doch wie es freiheitsbegründende Rechtsakte auf der unterverfassungsrechtlichen Ebene gibt, gibt es auch verfassungsunmittelbare und -immanente, im einfachen Recht nicht immer konkretisierte Freiheitsschranken. Aus der bisherigen Betonung mehr der Freiheit, weniger ihres rechtlichen Rahmens, wird der Leser vielleicht schon jetzt den zu segelnden Kurs am Horizont erkennen: Der expressis verbis nirgends gewährte öffentlichrechtliche Abwehranspruch ist ein Ausfluß aller freiheitsbegründenden Rechtsnormen, unabhängig von ihrer Stufung oder von ihrem Rang. Sprachlich sei schon in der Einleitung angeführt, daß der Staatsabwehranspruch, wie sich auch aus der Inhaltsübersicht dieser Studie leicht ersehen läßt, im Sinne eines zweistufigen Rechtsfolgenverständnisses freiheitsbegründender Normen 42, als negatorisches Hilfsrecht aufgefaßt und vom seinem materiellen und essentiellen Ausgangspunkt, - der Freiheit selbst - , unterschieden wird 4 3 . Daß die juristische Tragweite der Hilfsrechte nicht ohne Klärung ihres Schutzgegenstandes bestimmt werden kann, wie umgekehrt der Schutzgegenstand ohne Hilfsrechte wenig wert ist, bedarf keiner Präzisierung. Beide Aspekte werden deshalb behandelt werden müssen. Daher auch die mögliche Ambivalenz des Titels, - verrechtlichte Freiheit, Abwehranspruch. Erst die Würdigung beider macht eine anthropozentrisch orientierte Verfassungsordnung komplett.

3. Ein Beitrag zum heutigen Grundrechtsverständnis (22) Wenn Grundrechte ohne Zweifel in erster Linie dazu bestimmt sind, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern, wenn sie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind 4 4 und wenn sich der Jurist nicht den Blick dafür verstellen darf, daß es sich bei 42

Tn. 119. Anders etwa Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 566-569, der den Begriff des Abwehrrechts als grundrechtstheoretischen Gesamtbegriff verwendet, sich aber über die Verwechslungsgefahr im klaren ist. 44 BVerfGE 7, 198 (204). 43

3 Malmendier

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Einleitung

Grundrechten um wie auch immer gewährte und verbürgte Rechte handelt 4 5 , - also um Gegenstände des ureigensten Betätigungsfeldes des Juristen - , dann weisen Grund rechte die für jede Norm typische Rechtssatzstruktur auf: einen Tatbestand und eine Rechtsfolge. Doch mit der Erfassung dieser Rechtssatzstruktur tut sich die Grundrechtsinterpretation schwer. Sonst würde keine von der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns 46 bis zum richterrechtlich-gewohnheitsrechtlichen Fundament 47 reichende phantastische Palette unterschiedlichster Anspruchsgrundlagen angeboten und zumindest eine - die freiheitsgrundrechtliche - Grundlage des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs endgültig erkannt und gesichert sein. Es reicht nicht, auf der verfassungsrechtlichen Ebene mit erhobenem Zeigefinger zu betonen, die Grundrechte seien Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat - man muß auch auf der verwaltungs- und staatshaftungsrechtlichen Ebene die Folgerungen daraus ziehen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben rechtstechnisch einlösen. (23) Ohne Einbeziehung der schrankenausfüllenden einfachen Rechtsordnung bleibt der Grundrechtsschutz offen. Erst seine Wechselwirkung mit den Gesetzen verdeutlicht die verfassungsrechtliche Tragweite. Wenn die einfachen Gesetze einen Ausgleich zwischen der Freiheit des Individuums und den öffentlichen Belangen herstellen sollen, dann liegt es nahe, daß sie auch staatliche Macht begrenzen wollen. Sie wären dann Schutznormen zugunsten des einzelnen. Wozu dann den Rückweg zu den Grundrechten antreten? Anders gesagt: Die Untersuchung wird sich der Anspruchskonkurrenz im Öffentlichen Recht stellen und überlegen, ob unterverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlagen tatsächlich Anwendungsvorrang genießen. Es gibt Fälle, in denen die Beeinträchtigungsintensität für die Annahme eines Grundrechtseingriffs nicht genügt, die Eingriffsschwelle einer einfachrechtlich eingeräumten Schutzposition aber erreicht ist. Hier entsteht keine Konkurrenz. Umgekehrt gibt es aber auch Fälle, in denen die Störung die grundrechtliche Eingriffsschwelle nicht zu erreichen scheint, der beeinträchtigte Lebensbereich aber einfachgesetzlich ungeregelt geblieben ist. Hier 45

Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 566-569, 620 f. 46 BVerwGE 69, 366 (370). - In der Tat mag aus Art. 20 Abs. 3 GG die Verpflichtung der vollziehenden Gewalt abgeleitet werden, die rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen zu beseitigen. Daraus folgt aber nicht ohne weiteres ein korrespondierendes Recht des Betroffenen. Im Gegenteil, Art. 20 Abs. 3 GG stellt geradezu den Prototyp eines rein objektiven Rechtssatzes dar. 47 BVerwGE 94, 100 (103). - Die Erinnerung daran, daß eine Fortbildung des Rechts eine Lücke der geschriebenen Rechtsordnung voraussetzt, ist trivial. Die richterrechtliche Absicherung des Folgenbeseitigungsanspruchs birgt die Gefahr in sich, von der vorrangigen positiven Rechtsordnung abgehobene Anspruchsvoraussetzungen zu entwickeln.

III. Dogmatische Aspekte der Studie

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entsteht auch keine Konkurrenz, der einzelne scheint aber schutzlos gestellt. Es soll versucht werden, diese Fragestellungen der heutigen Grundrechtslehre, die mit der Anerkennung der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte einerseits und der Entwicklung der „Schutznormtheorie" andererseits entstehen mußten, einer Lösung zuzuführen.

4. Ein Beitrag zur Praxis des Verwaltungsprozesses (24) Eine Hoffnung dieser Arbeit liegt schließlich sicher darin, dem Leser näherzubringen, was jene „Rechte" des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und der §§42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 VwGO sind, zumindest für den Bereich der Abwehrklagen. Das dort auftauchende subjektive Recht zum „rein ordnungsbegrifflichen" 48 Freiwild zu erklären, geht am verfassungsrechtlichen Hintergrund und am gesetzlichen Befund vorbei: Immerhin ist der Begriff des Rechts zum Rechts-Begriff geworden, hat damit zumindest rechtstechnische Bedeutung als Determinante der Klagelegitimation, und vor allem: In einer freiheitlich-individualistisch ausgerichteten Grundordnung gehört er zu einem der „wichtigsten Grundbegriffe der Verwaltungsrechtswissenschaft" 49 , „zu den wesentlichen Strukturbegriffen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts" 50 und zum „Eckstein im Bau der rechtsstaatlichen Grundbegriffe und des Rechtssystems" 51 , - wenn er nicht deren Zentralbegriff ist. Er spielt tagtäglich in unzähligen Verwaltungsstreitverfahren eine Rolle, ohne daß über seine Wurzeln noch nachgedacht wird. Die Rechtsprechung behilft sich mit standardisierten Floskeln, deren Hintergründe sich einem ohne nähere Kenntnis der Entwicklung dieser weit vor das Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung zurückreichenden Judikatur nicht immer ohne weiteres erschließen. Ein gutes Beispiel bietet die abwechslungsreiche Entwicklung der Klagebefugnis im Bauplanungsrecht, der noch nachzugehen sein wird 5 2 . Auch in vielen anderen Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts hat eine Kasuistik ursprünglich aus der Rechtsordnung abgeleitete Rechtsfolgen abgelöst, die ihre langjährige Entwicklung verdeckt, ja 48

Weyreuther, Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes und die „dadurch" bewirkte Verletzung „in [...] Rechten" (§113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 VwGO), in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 681 (685 Fn. 15). 49 So bereits Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 1. 50 Ress, Das subjektive öffentliche Recht, in: Ermacora/Winkler/Koja/Rill/Funk (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 105. 51 Bühler, Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 269 (286). 52 Tn. 255-258. 3*

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Einleitung

sogar überholt und verdrängt und die zugrundeliegenden, auch historisch gewachsenen Wertungen nicht immer offenlegt. Die Wurzeln dieses richterlichen Rationalisierungsprozesses, der in der Praxis durchaus zu vernünftigen Ergebnis führen mag, reichen in andere Generationen zurück. Die Fundamentalentscheidung unserer Verfassungsordnung zugunsten subjektiver Individualrechte auf den Boden der täglichen Rechtsanwendung herunterzuholen, um sie juristisch einzulösen, bleibt die Aufgabe einer Rechtshandhabung, die sich in steter Wechselwirkung zwischen verfassungsrechtlichen Vorgaben und praktischen Bedürfnissen bewegt. Erschließen wird sich der Begriff des Rechts nur demjenigen, der bereit ist, zu hinterfragen, was Verfassungs- und Gesetzgeber mit diesem Zentralbegriff ausdrücken wollten und wie sie dazu kamen.

Erster Teil

Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee (25) Ansätze subjektiver Abwehrrechte des einzelnen gegenüber staatlichen Erscheinungsformen lassen sich ins Mittelalter zurückverfolgen; Frühformen finden sich bei eifriger Suche vielleicht auch schon bei den alten Griechen 53 . Zum Verständnis des Abwehranspruchs im gegenwärtigen und deutschen Öffentlichen Recht tragen diese mehr geschichtlichen als rechtsgeschichtlichen Recherchen kaum bei. Wenn im folgenden - insbesondere am Beispiel Preußens - die historische Entwicklung des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs dargestellt wird, dann soll an die jüngere Neuzeit angeknüpft werden, in der sich die Gewalt der Landesherren, nach dem Dreißigjährigen Krieg, etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts, nicht mehr in Grundherrschaft und in einem Konglomerat nach und nach besonders erworbener, inventarisierter und gebündelter besonderer Hoheitsrechte erschöpfte, sondern, gestützt auf den Gedanken universeller Souveränität, die die Macht einschließen sollte, eigene Zuständigkeiten auszuweiten oder einzuschränken, begann, sich allgemeiner Staatsaufgaben anzunehmen 54 . So entstand der absolute Staat, in dem sich eine hoheitliche Verwaltung im heutigen, „modernen" Sinne entwickelte. Erst mit dieser Ausbildung einer

53 Zu herrschaftlichen Erscheinungsformen und den Vorläufern öffentlichrechtlicher Abwehransprüche in vorstaatlichen Gesellschaften, in der Antike und im Mittelalter Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 26-32; Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 29 f.; Herzog, Staaten der Frühzeit, 2. Aufl. 1997, passim; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 81-84; Kleinhey er, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 7-9; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 1-9; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 25-38; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 15-30; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 57-67. 54 Zur Entwicklung der Souveränitätsidee und zur Überwindung mittelalterlicher Herrschaftsformen Anderson, Die Entstehung des absolutistischen Staates, 1979, passim; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, 1992, passim; Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, Rn. 1322 zu § 15; Stolleis, Die Idee des souveränen Staates, in: Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, Der Staat, Beiheft 11, 1996, S. 63-85; Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, 1975, passim.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

souveränen Staatlichkeit, die dirigierend und reglementierend das gesellschaftliche Leben zu beeinflussen suchte, verschärfte sich der Gegensatz zwischen Obrigkeit und Individuum, ohne den sich die Frage der Freiheit des einzelnen vom Staat nicht zuspitzen kann. Ausgeblendet bleiben das Mittelalter und die frühere Neuzeit, die Staatlichkeit im heutigen Sinne noch nicht kannten, aber auch spätere totalitäre Entwicklungen, die die Individualität außerhalb des Staates leugneten.

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat im 18. Jahrhundert (26) „L'État c'est m o i " 5 5 . Solche allumfassenden und selbstherrlichen Aussprüche waren nicht nur dem Sonnenkönig Frankreichs, Louis XIV. (1638-1715), eigen. Auch die preußischen Monarchen wußten ihren absoluten Herrschaftsanspruch zu umschreiben. „Wir sind doch Herr und König und können thun, was Wir wollen" 5 6 . Mit diesen imposanten Worten prägte der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm /. (1688-1740) die Identität von Staat und Souverän. Absolutismus bedeutete nicht nur eine uneingeschränkte Herrschaftsgewalt des Landesfürsten gegenüber den Untertanen. Er kennzeichnete auch, wie die Worte Louis XIV. verdeutlichen, die Konzentration und Zentralisation der Staatsgewalt in der Hand des Regenten unter Ausklammerung jeglicher Mitherrschaft. In seinem politischen Vermächtnis von 1722 schärfte Friedrich Wilhelm /. seinem Sohn ein, daß „ein Regente der mit honneur in die weldt Regiren will mus seine affehren alles selber tuhn" 5 7 . Der absolute Herrschaftsanspruch zielte auf funktionelle Verein55 Die Anekdote will, daß dieses Louis XIV. zugeschriebene Wort gefallen sein soll, als das Pariser Parlament 1655 Einwände gegen neue Finanzmaßregeln der Regierung im Interesse des Staates erhob; der jugendliche König soll daraufhin im Jagdkostüm mit der Reitgerte in der Hand in der Sitzung erschienen sein und sich mit der Erklärung, daß er der Staat sei, über alle Widerstände hinweggesetzt haben. - Zum Wahrheitsgehalt dieser Darstellung Härtung, L'État c'est moi, HZ 169 (1949), 1 (2 f.): Auf dem Totenbett soll der Sonnenkönig geäußert haben: „Je m'en vais, mais l'État demeurera toujours" (Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 [1955], 15 [27 f.]). 56 Friedrich Wilhelm /., Instruction und Reglement für das Generaldirectorium vom 20. Dezember 1722, in: Königliche Akademie der Wissenschaften (Hg.), Acta Borussica, Dritter Band, 1901, Nr. 280 S. 575 (649), und bei Härtung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung, Erster Teil, 1942, S. 18. 57 Instruction König Friedrich Wilhelms I. für seinen Nachfolger, eigenhändige Niederschrift vom 22. Januar bis 17. Februar 1722, in: Königliche Akademie der Wissenschaften (Hg.), ebenda, Nr. 249 S. 441 (444 f.) = Küntzel/Hass (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Band I, S. 69 (72). Friedrich II. (der Große), wußte dieses Vermächtnis zu verstehen: „Dans un État comme celui-ci il faut de nécéssité que le prince fasse ses affaires par lui-même" (Politisches Testament, April bis Juli 1752, mit Nachtrag vom 27. August 1752, in: Königliche Aka-

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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heitlichung und auf organisatorische Zentralisation allumfassender monarchischer Gewalt gegenüber den Unterworfenen. (27) Seinen wohl radikalsten Ausdruck fand der monarchische Absolutismus bei dem englischen Gelehrten Thomas Hobbes (1588-1679). Durch den englischen Bürgerkrieg, die in vielen Ländern tobenden Religionskriege, sein französisches Exil und den 30jährigen Krieg gezeichnet, entstand sein düsteres Menschenbild des homo homini lupus: Der Mensch sei von Natur zügel- und rücksichtslos. Seine räuberische Veranlagung führe zu einem „Krieg eines jeden gegen jeden" 5 8 . In den deutschen Territorialstaaten sah es zur selben Zeit nicht minder trostlos aus. Bis zum Westfälischen Frieden (1648) herrschten Selbsthilfe und Faustrecht - Deutschland wurde mit einer „Mördergrube" verglichen 59 - , und die überlebende Bevölkerung, die nicht durch den Krieg dezimiert worden war, verelendete in einem in seiner politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung um Jahrhunderte zurückgeworfenen verwüsteten Deutschland. Um diese Selbstvernichtung zu beenden, schlossen die Menschen, die im Naturzustand frei waren, nach der Staatstheorie Hobbes' einen Gesellschaftsvertrag. In einem Vereinigungsvertrag konstituierten sich die einzelnen zum Staate, einer Schutzanstalt gegen die Wolfsnatur des Menschen, um sich dann in einem Unterwerfungsvertrag gegenseitig ihrer natürlichen Freiheit zu begeben. Die einst freien Menschen begaben sich sozusagen freiwillig in Schutzhaft und wurden so zum Untertan 60 . Um der Sicherheit willen wurde alle Freiheit vernichtet. So entstand jener große Leviathan 61 . Den Einwand, daß er das Schicksal des einzelnen ganz in die Hand des absoluten Herrschers lege, meinte Hobbes vorweg nehmen zu können: (28) „Man mag hier aber einwenden, die Untertanen befänden sich in einer sehr elenden Lage, da sie den Begierden und anderen zügellosen Leiden) schaften dessen oder derer ausgesetzt seien, die eine so unbegrenzte Macht in Händen halten. [...] Sie bedenken nicht, daß der Zustand der Menschen nie ohne die eine oder die andere Unannehmlichkeit sein kann, und daß die größte, die in jeder Regierungsform dem Volk gewöhnlich zustoßen mag, kaum fühlbar ist, wenn man sie mit dem Elend und den schrecklichen Nöten vergleicht, die ein Bürgerkrieg oder die Zügellosigkeit herrenloser Menschen ohne Unterwerfung unter Gesetze und unter eine Zwangsgewalt, die ihre Hände von Raub und Rache abhält, mit sich bringen." 62 demie der Wissenschaften [Hg.], ebenda, Neunter Band, 1907, Nr. 218 S. 327 [368 f.] = Küntzel [Hg.], Die politischen Testamente der Hohenzollern, Band II, 1911, S. 1 [40]). 58 Hobbes, Leviathan, 1651, 13. Kapitel, S. 96. 59 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 195. 60 Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 8. Aufl. 1993, Rdnr. 127. 61 Hobbes, Leviathan, 1651, 17. Kapitel, S. 134.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

(29) Bezeichnenderweise schlossen die Menschen nach Hobbes' Staatslehre den Gesellschaftsvertrag untereinander ab. Der Herrscher, dem sie sich zum eigenen Schutze unterwarfen, war nicht vertragschließende Partei. Bei dem Gesellschaftsvertrag handelte es sich also nach der Konzeption Hobbes' um einen Vertrag zugunsten Dritter mit der Folge, daß der Herrscher nur berechtigt, nicht verpflichtet wurde. Da er nur Rechte hatte, konnte er kein Unrecht begehen, zumal die Bürger sich im voraus mit allen Handlungen des Staates einverstanden erklärt hatten 63 . Sein Wort war Gesetz und zugleich Recht. So entstand ein strenger Positivismus, der Positivität und Idealität insoweit systemwahrend miteinander vereinte, als der (formale) Wert des Rechts in einer das Chaos überwindenden Ordnungsfunktion gefunden wurde 64 . Diese Verschmelzung indes war nicht minder gefährlich als ein anarchisches Faustrecht, Bürgerkrieg und in Gottes Namen geführte Vernichtungsfeldzüge: Wer garantierte, daß nicht auch der Leviathan ein lupus war?

1. Die „wohlerworbenen Rechte" als subjektive Rechtspositionen des einzelnen (30) Die lebendige Wirklichkeit des Absolutismus ging freilich weder in England und Frankreich noch in den deutschen Territorialstaaten so weit wie die extremen Thesen von Hobbes. Seinen idealtypischen Absolutismus hat es nie gegeben 65 . Der Rechte eines einzigen Berechtigten, ansonsten nur Pflichten kennende reine Sklavenstaat ist in der Neuzeit nie Realität geworden. Die Annahme, der einzelne sei gegen die absolutistische Obrigkeit rechtlos und zum unbedingten Gehorsam verpflichtet gewesen, wäre zu kategorisch, um der Vielfalt des gelebten Absolutismus gerecht zu werden. Sie würde einen breiten Graben und eine tiefe Kluft, eine totale Diskontinuität zwischen dem fürstlichen Ständestaat und dem monarchischen, absoluten Staat unterstellen, obwohl es doch unwahrscheinlich erscheint, daß 62

Hobbes, Leviathan, 1651, 18. Kapitel, S. 143 f. Hobbes, Leviathan, 1651, 18. Kapitel, S. 139: „Es ist richtig, daß die Inhaber souveräner Gewalt unbillige Handlungen begehen können, nicht aber Ungerechtigkeit oder Unrecht im eigentlichen Sinn." 64 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 121-123. 65 Bezeichnenderweise richtete sich das in der Geschichtsschreibung immer wieder aus seinem Kontext gerissene Zitat des preußischen Soldatenkönigs, er sei doch Herr und König und könne tun, was er wolle (ο. Tn. 26), nicht an sein Volk, sondern - als Arbeitsanweisung (heute würde man sagen: Richtlinie oder Verwaltungsvorschrift) - an die Bediensteten des Gerenaldirektoriums, über deren bisherige Geschäftsführung er sich beklagte, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen, während er sich umgekehrt der „Liebe und Affection Unserer Unterhanen" sicher sein wollte (Instruction und Reglement für das Generaldirectorium vom 20. Dezember 1722 [Fn. 56], S. 651, und bei Härtung [Fn. 56], S. 14 f.). 63

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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sich die Stände ihre Vorrechte ohne weiteres nehmen ließen 66 . Sie würde in anachronistischer Weise mißachten, daß der monarchische, antiständische Absolutismus aus dem Königtum des Spätmittelalters im Bund mit dem Bürgertum gegen das Feudalsystem und den Adel entstanden ist. Es bliebe unverständlich, warum ausgerechnet das Bürgertum der Leidtragende dieser Entwicklung gewesen sein soll. Sie würde schließlich die schon damals große Zahl von normativen Bestimmungen außer acht lassen, deren Sinn es auch war, im Interesse der Untertanen die Machtausübung zu begrenzen, und dies selbst dann, wenn sie sich, nach Sprache und Verteiler zu urteilen, in erster Linie an Amtsträger richteten. Diese rechtlichen Grenzen, die der einzelne der - doch nicht so absoluten - Souveränität entgegenhalten konnte und von denen im folgenden die Rede sein soll, waren insbesondere die „wohlerworbenen Rechten" (iura quaesita). Wohlerworbene Rechte waren bestehende Rechte, die auch die Obrigkeit nicht ignorieren konnte. Ihnen entsprach der Prozeßbegriff der „Justizsache" (im Gegensatz zur Polizei- oder Regierungssache) und damit die Justitiabilität staatlichen Handelns: Zwischen dem wohlerworbenen Recht und der Justizsache bestand ein Automatismus, ein Recht wohl erworben zu haben, bedeutete zugleich, dieses vor den Reichs- und Landesgerichten auch verteidigen zu können 67 . (31) Überfliegt man das zeitgenössische wie heutige Schrifttum nach einer griffigen Definition dessen, was die wohlerworbenen Rechte waren, fällt einem schnell eine breite Palette ganz unterschiedlicher Erklärungen auf, die einen gemeinsamen Nenner nicht so recht erkennen lassen 68 . Die Deutungen reichen von vertraglich zwischen Landesherrn und Untertanen vereinbarten Rechten über die auf Privilegien oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Rechte 69 sowie das Eigentum 70 und - als Objekt des Eigentums - die Gesamtheit der Vermögenswerten Rechte 71 bis zur natürlichen Freiheit 7 2 . Dieses Sammelsurium ganz unterschiedlicher Deutungen der wohler66 67 68

fest.

Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 203. Tn. 388, 393. Dies stellte bereits Gierke , Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 192,

69 Ch. Wolff, Gesammelte Werke, II. Abteilung, Lateinische Schriften, Band 17, Jus Naturae, edidit et curavit Marcellus Thomannus, 1740, § 35, S. 26; Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382; BüIff, Das Verhältnis der Gerichte zu Staats- und Regierungssachen, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß n.F. 11 (1854), 305 (323). 70 Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (381). 71 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Rechts, 1986, S. 38; Birtsch, Eigentum und ständische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, Festschrift für Schieder, 1978, S. 59 (61).

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

worbenen Rechte kann nicht überraschen. Jeder Versuch, die iura quaesita in heutigen Rechtsbegriffen von ihrem Inhalt her zu erfassen, ist zum Scheitern verurteilt. Der mögliche Inhalt wohlerworbener Rechte war zu keiner Zeit scharf umrissen 73 - und konnte es auch nicht sein. Die Gemeinsamkeit der iura quaesita läßt sich nicht von ihrem Inhalt, sondern nur von der Art ihres Erwerbes her erfassen 74. „Wohlerworben" waren - nur solche, aber auch all jene - Rechtspositionen, die vermittels eines eigens darauf angelegten menschlichen Aktes, durch einen besonderen Titel erworben wurden 75 . Ob dieser besondere Vorgang, der zum Erwerb der Rechtsposition erforderlich war, in einem Gesetz oder Dekret, einem Mandat, einer Instruktion oder Verordnung, Order oder Verfügung, einem Vertrag, einem Edikt, Reskript oder Patent, einer Verleihung oder in einem sonstigen Akt lag, blieb gleichgültig und für die Annahme eines ius quaesitum ohne Relevanz. Dem (Einzelfall-)Gesetz kam in der Lehre des wohlerworbenen Rechts keine besondere Bedeutung zu, weil dem absoluten Landesherrn die Handlungsform offen stand, - weshalb es zunächst auch keinen festumrissenen Gesetzesbegriff gab: Nicht die Form, sondern der Wille des Regenten war in einem gewaltenvereinigenden monistischen System entscheidend, das (materielle 76 ) Gesetz war ein Hoheitsrecht wie andere auch, das begriffliche Verständnis fixierte sich nicht auf generell-abstrakte Anordnungen, 72

Henkes hierauf deutende Äußerung (Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 12) dürfte allerdings vielfach mißverstanden worden sein. Wie sich aus seinen folgenden Ausführungen ergibt, dürfte Henke (zu Recht) nur von einer rechtspolitischen Forderung der Staatslehre des ausgehenden 18. Jahrhunderts und der Rechtsphilosophie der Aufklärung de lege ferenda ausgehen, ohne die Justitiabilität von Freiheits Verletzungen in der Rechts Wirklichkeit zu unterstellen. 73 Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), 104 (108). 74 Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 410. 75 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 43; Feist, Die Entstehung des Verwaltungsrechts als Rechtsdisziplin, 1967, 8; Gierke, Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 192; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 164 f.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 31; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), 104 (108); Pirson, Jura quaesita, in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, II. Band, 1978, Sp. 472; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 181; Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, 1993, S. 321; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Band I, 1963, S. 25 (71 f.); Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 409 f.; Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 55 f.; zur zeitgenössischen Literatur siehe Fn. 69.

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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sondern umfaßte alle verbindlichen Anordnungen des Regenten, die Recht setzten, konkretisierten oder ausführten 77 . Im Gegensatz zu diesen durch besonderen Titel erlangten Rechtspositionen standen angeborene, natürliche oder auf allgemeinen Gesetzen beruhende Rechte, also Rechte, die universal waren, weil sie ohne weiteres, ohne daß es eines besonderen Erwerbsaktes bedurfte, dem Volk als Ganzem oder bestimmten Ständen zukamen 78 . (32) Ein Recht „wohl erworben" zu haben, machte seinen Inhaber gegenüber anderen Untertanen zum Privilegierten: Er hatte etwas, was andere nicht hatten, von dem alle anderen ausgeschlossen waren. Der Naturrechtler Christian Wolff (1679-1754) sprach denn auch nicht - obwohl er dasselbe meinte - vom ius quaesitum, sondern vom ius acquisitum: „Jus acquisitum jus singulare est" 7 9 . Der titulus acquirendi stand zugleich für die Ausrichtung des Erwerbs Vorgangs auf einen abgegrenzten Personenkreis. Wohlerworbene Rechte waren Sonderrechte der ständischen Gesellschaft gegen den im übrigen möglichen staatlichen Zugriff, die zu unterschiedlichen und abgestuften Eingriffsmöglichkeiten der absoluten Obrigkeit führten. Das Zusammenspiel jener auf Bewahrung des Hergebrachten gerichteten Eingriffsfestigkeit des Seinigen mit der auf Hemmung von Erneuerndem angelegten rechtlichen Irrelevanz der allgemeinen Freiheit 80 nahm dem vorbürgerlichen Staat seine Dynamik. Vor diesem Hintergrund des wohlerworbenen Rechts als Ordnungsmittel des Ständestaates erscheint es zweifelhaft, in der Exklusivität der Inhaber dogmengeschichtlich lediglich eine zwangsläufige Folge des Erwerbsaktes zu sehen 81 , ohne zugleich die ordnungspolitische Funktion hervorzuheben. Trotz des Grundkonsenses über das Erfordernis des be76 Einen formellen Gesetzesbegriff konnte es im monistischen Absolutismus nicht geben (Karpen, Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Gesetzesbegriffs in Deutschland, in: Gedächtnisschrift für Martens, 1987, S. 137 [142]). 77 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 106-108; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 141; Karpen, Verfassungsrechtliche Entwicklung des Gesetzesbegriffs in Deutschland, in: Gedächtnisschrift für Martens, 1987, S. 137 (139, 142). 78 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 111; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Erste Abteilung, Erstes bis Drittes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 336; aus neuerer Zeit: Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), 104 (108); Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 409 f.; Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 55 f. 79 Gesammelte Werke, II. Abteilung, Lateinische Schriften, Band 17, Jus Naturae, edidit et curavit Marcellus Thomannus, 1740, § 38, S. 27. 80 Kein wohlerworbenes Recht war die allgemeine Freiheit der Untertanen (eingehend dazu Tn. 34-37). 81 So Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 410.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

sonderen Titels muß sich die Abgrenzung zwischen allgemeinen und besonderen Rechten schon in der vorbürgerlichen Herrschaftsordnung als schwierig erwiesen haben, insbesondere wenn mehrere Untertanen durch generellere Regelungen begünstigt wurden. Denn auch allgemeine, naturrechtliche oder angeborene Rechte bedürfen zu ihrem Erwerb eines besonderen menschlichen Aktes, einer Rechtshandlung, die den Tatbestand des Rechts erfüllt 8 2 , und sei es nur die Geburt, wie Georg Jellinek (1851-1911) dargelegt hat, um abzuschließen: „Jedes Recht ist demnach ein erworbenes Recht." 83 Diese Grenzfälle verdeutlichen, daß hinter der Begrifflichkeit um das wohlerworbene Recht die Weitungsfrage stand, ob der Untertan auf den Bestand der ihm zugeordneten Positionen deshalb vertrauen durfte, weil ihn die Wirkungen des Eingriffs im Vergleich zu anderen ungleich hart und unzumutbar treffen würden, eine Beurteilung, wie sie später in der Enteignungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofes mit dem Sonderopfer vorgenommen wurde 84 . Nach dem zeitgenössischen Verständnis war es eben etwas anderes, ob, wenn der Feind sich einer Festung näherte, auf privaten Gärten und Äckern Schanzen angelegt oder Häuser niedergerissen wurden, damit sich der Feind dahinter nicht verstecken konnte, oder, sobald sich ein Viehsterben bemerkbar machte, alles gesunde Vieh desjenigen Bauern, bei dem einzelne Rinder verendet waren, notgeschlachtet und verscharrt wurde, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern und den übrigen Bauern ihr Vieh zu erhalten, oder ob der Landesfürst aus finanzpolitischen Erwägungen den Wert einer bestimmten Münzsorte entwertete, so daß Schuldner nunmehr leichtes Spiel hatten, Darlehen an ihre Gläubiger zurückzuzahlen (und dadurch wohlerworbene Recht entzogen wurden) oder ob, wenn im 82

Die Abgrenzungsunsicherheiten sind auf diese Erkenntnis zurückzuführen: Es blieb unklar, ob jener besondere menschliche Vorgang, an den Entstehung, Übertragung, Belastung, Veränderung oder Aufhebung des wohlerworbenen Rechts anknüpfte, gerade in Ansehung dieses Rechts, also in einem inneren (finalen) Zusammenhang mit dem Verfügungsvorgang stehen und gewissermaßen mit einem „Geschäftswillen" vorgenommen werden mußte, was man etwa bei der Zeugung eines Kindes hinsichtlich des elterlichen Erziehungsrechts, das Ch. Wolff als Beispiel eines wohlerworbenen Rechts aufführt (Gesammelte Werke, II. Abteilung, Lateinische Schriften, Band 17, Jus Naturae, edidit et curavit Marcellus Thomannus, 1740, § 35, S. 26), schwerlich wird annehmen können. 83 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 335; ebenso bereits Regelsberger, Pandekten, Erster Band, 1893, S. 440: „Jedes Recht ist ein erworbenes. Freilich wird nicht jeder Erwerb durch eine Handlung des Berechtigten vermittelt [...], nicht einmal überhaupt durch eine Handlung. [...] Der Erwerb kann sich zuweilen ohne, sogar gegen den Willen des Erwerbers vollziehen"; G. Meyer, Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895, S. 13 m.w.N.: „Jedes Recht hat den Charakter eines erworbenen Rechtes"; Anschütz, Der Ersatzanspruch aus Vermögensbeschädigung durch rechtmäßige Handhabung der Staatsgewalt, VerwArch. 5 (1897), S. 1 (10): „jedes Recht ist ein erworbenes". 84 BGHZ 6, 270 (279 f.).

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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eigenen Lande eine Hungersnot entstand oder mit einem Nachbarstaate Krieg geführt wurde, Gutsbesitzern die Ausfuhr von Getreide verboten wurde (und dadurch lediglich deren bloße Freiheit eingeschränkt wurde) 85 . Machte es aus der Sicht der Betroffenen indessen wirklich einen Unterschied aus, ob sie ruiniert wurden, weil ihre Schuldner Darlehen zu Billigstpreisen zurückzahlen konnten oder weil ihre Getreidevorräte in Silos verrotteten? (33) Diese und andere sich durch Judikatur und Literatur des vorbürgerlichen Staates durchziehenden Abgrenzungsunsicherheiten und Wertungswidersprüche sollten in einem sich anbahnenden neuen Zeitalter nicht mehr im Mittelpunkt des rechtswissenschaftlichen und praktischen Interesses stehen. Allenfalls einer inhaltlichen Neuinterpretation mußte die alte Begrifflichkeit zugänglich sein, bis auch die alte sprachliche Hülle vom neuen Kern entfernt werden konnte: In der nachabsolutistischen Zeit, mit der zunehmenden Egalisierung des Rechts im 19. Jahrhundert, mit der Einführung allgemeiner staatsbürgerlicher Rechte, mit der Begründung eines Vorbehaltsbereichs und der damit einhergehenden Fixierung des Gesetzesbegriffs, zersetzte sich dieses, einst über Jahrhunderte Schlüsselbegriff der Publizistik gewesene wohlerworbene Recht, bis es, nachdem die letzten feudalen Rechte abgebaut und überwunden waren, in seiner Bedeutung als Grundlage primärer Abwehrrechte als antiquierte Erscheinung zugunsten des allgemeinen gesetzlichen Rechts endgültig aus der Rechtsordnung verschwand und in seiner Bedeutung als Grundlage sekundärer Entschädigungsansprüche nur noch im Staatshaftungssrecht Erinnerungen hinterließ 86 . Übergangshalber, bis sich die „Freiheit-und-Eigentums-Formel" durchgesetzt hatte, wurden auch gesetzliche Rechte als wohlerworben angesehen87. a) Natürliche und bürgerliche

Freiheit

(34) Kein wohlerworbenes Recht war die allgemeine Freiheit 88. Das ius quaesitum, „das heißt, dasjenige Recht, welches nicht auf der natürlichen 85

Beispiele nach Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 1797, Erster Band, S. 382 f. und Zweiter Band, S. 458 f. 86 Erinnerungen, die nach dem aufgrund des „Naßauskiesungs-Beschlusses" vollzogenen „Etikettenwechsel" des Bundesgerichtshofes mit Wendung zur friderizianischen Anspruchsgrundlage wieder geweckt werden (BGHZ 90, 17 [29 f.]: Enteignungsgleicher Eingriff; 91, 20 [27 f.]: Enteignender Eingriff; dazu auch Tn. 68 Fn. 273). 87 Tn. 135, 141-143. 88 Feist, Die Entstehung des Verwaltungsrechts als Rechtsdisziplin, 1967, S. 8; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 164 f.; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 47 Fn. 67 und S. 71; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 38-44; Schwennicke, Die Entstehung der

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Freyheit beruht", wurde geradezu als Gegensatz zur Freiheit gedeutet 89 . Belegt wurde diese Erkenntnis durch die Publizistik immer wieder mit einem Satz Johann Stephan Pütters (1725-1807), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als berühmtester Vertreter des Reichsstaatsrechts gilt: „Jus quaesitum i.e. ni fallor quod, speciali titulo adquisitum, non ex sola libertate naturali obtinet" 9 0 . Die Freiheit war zwar schon der deutschen Publizistik des absolutistischen Zeitalters keine unbekannte, wenn auch im Vergleich zur englischen und französischen Staatslehre spätere Erscheinung. Die deutschen Naturrechtslehren, zunächst ganz im Dienst des Ausbaus absoluter Staatsgewalt, unterschieden zwischen natürlicher und bürgerlicher Freiheit. Die libertas naturalis existierte nur im vorstaatlichen Naturzustand. Mit dem vertraglichen Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft begab sich der Untertan seiner natürlichen Freiheit und Gleichheit und ordnete sich unter die staatlichen Gesetze 91 . In der staatlichen Rechtsordnung konnte der Naturzustand (und damit auch die natürliche Freiheit) keine rechtliche Bedeutung haben 92 . Wollte der Mensch frei und ungebunden sein, mußte „er wieder in seine Wälder zurückkehren, aber freylich ist er dann auch nicht viel mehr, als ein Waldmensch" 93 . (35) Die libertas naturalis unterlag der totalen Disposition der Gesetzgebung des Regenten: Sie schränkte nach damaligem Verständnis die Legislative nicht ein, die Untertanen hatten von vornherein nur die Freiheit, die nach den Gesetzen übrigblieb, während die natürliche Freiheit im transzendenten und vorpositiven status naturalis endgültig ruhte. Es war dies die libertas civilis als residuum libertatis naturalis 94. Sie war der Rest der naEinleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 333-341; Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 56; zur Mißdeutung der Ausführungen Henkes, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 12, siehe bereits Fn. 72; aus dem zeitgenössischen Schrifttum (in chronologischer Reihenfolge): Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382; v. Bülow/Hagemann, Prachtische Erörterungen aus allen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 138 f.; Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 112 f.; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 633. 89 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382. 90 Institutiones Iuris Publici Germanici, 2. Aufl. 1776, § 119, S. 112. 91 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Zusammenfassung, 1791/92, in: Conrad/ Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (17461798), 1960, S. 3 (64); Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 385 f. 92 Bielitz, Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Erster Band, 1823, Erl. der §§ 82-87 Einl., S. 194 f. 93 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 386. 94 Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, Editio II, 1742, Lib. II, lus gentium, § III, S. 347; Achenwall, lus Naturae, 4. Aufl. 1758-1759, Liber III, S. 89;

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türlichen Freiheit, geformt und gestaltet nach dem Willen des Herrschers. Aber auch gegenüber der verwaltenden Tätigkeit des absoluten Staates erfuhr die Freiheit keine Verrechtlichung in dem Sinne, daß sie als rechtsschutzfähige Erscheinung angesehen wurde. Die natürliche Freiheit schon deshalb nicht, weil sie im status civilis nicht (mehr) existierte. Und der nur im Rahmen der Gesetze, im status civilis oder politicus bestehenden bürgerlichen Freiheit sprach die Publizistik den für die Anerkennung als wohlerworbenes Recht erforderlichen Erwerbsvorgang (titulus acquirendi) ab: Jeder genoß sie im Rahmen der Gesetze, eines eigens auf ihre Begründung angelegten menschlichen Aktes bedurfte es nicht. Die Berufung auf die libertas civilis begründete - anders als die Berufung auf ein wohlerworbenes Recht - keine Justizsache95, deren Vorliegen für die Zulässigkeit einer Klage ausschlaggebend war 9 6 . Das Problem der Rechtsschutzfähigkeit der Freiheit wurde erst im Zeitalter der Aufklärung im rechtswissenschaftlichem Schrifttum diskutiert und blieb - sieht man von einigen Ausnahmen und Unklarheiten ab 9 7 , ohne zunächst von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Territorialstaaten und des Reichs aufgegriffen zu werden Staatsphilosophie98. Um die Wende zum 19. Jahrhundert war die Rechtsschutzfähigkeit der Freiheit in der Rechtspraxis alles andere als geklärt 99 . Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, 1775, § 215, S. 212 f. und § 232, S. 230; Bielitz, Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Erster Band, 1823, Erl. der §§ 82-87 Einl., S. 194 f. 95 Ρ reu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 47 Fn. 67 und S. 71; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 42 Fn. 76; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Band I, 1963, S. 25 (45). Aus dem zeitgenössischen Schrifttum exemplarisch Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 458, und v. Bülow/Hagemann, Practische Erörterungen aus allen Theilen Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 137-139. 96 Tn. 388, 393. 97 Zu ihnen Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 78 f. und Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 42, 88 f. 98 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 23 f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, , S. 14; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 103; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 38; zur zwiespältigen Rechtslage vor den Reichsgerichten Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 78 f. 99 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 78 f.; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 42; Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Noch vor der freiheitsfeindlichen Zeit des restaurativen Spätabsolutismus und während des Höhepunktes des preußischen Justizstaates Schloß § 40 Abs. 1 der preußischen Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanz-Behörden vom 26. Dezember 1808 1 0 0 , die die Kammerjustiz abschaffte und (freilich: nur für kurze Zeit bis zur Einführung der Adminstrativjustiz) die Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründete 101 , die richterliche Erkenntnis über Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der polizeilichen Anordnung grundsätzlich aus und ließ lediglich eine Entschädigungsklage zu, wenn sich die Klage „auf die allgemeine bürgerliche Freiheit und die Prinzipien vom freien Genuß seines Eigenthums" gründete 102 . (36) Die Bindung der Staatsgewalt an die Vernunft im aufgeklärten Absolutismus brachte juristische Begrenzungen für Eingriffe in die Freiheitssphäre des Untertans mit sich. Rechtsstaatliche Errungenschaften wie die Ausrichtung allen staatlichen Handelns an das Allgemeinwohl und die Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip waren das Ergebnis dieses Vernunftsrechts. Freiheitseingriffe wurden von der Staatswissenschaft nur insoweit als zulässig angesehen, als sie zur Verwirklichung des Staatszweckes erforderlich waren (utilitas et necessitas publica) 1 0 3 . Diese Schranken der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Diestelkamp (Hg.), Die politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 157 (177); Würtenberger, Verfassungsrechtliche Streitigkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Benda, 1995, S. 443 (450452). 100 PrGS 1806-1810, No. 63, S. 464-^80. 101 Τη. 411 f. 102 § 38 Abs. 1 Alt. 1 der Verordnung von 1808 (Fn. 100) erkannte allerdings mit der polizeilichen Verfügung, die „einer ausdrücklichen Disposition der Gesetze direkte entgegen läuft", - gemeint waren Fälle der Evidenz, „wenn eine Administrativgewalt völlig außerhalb ihres Amtskreises handelt" (Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Erste Abteilung, Erstes bis Drittes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 624) - eine weitere, neue Art gerichtlich durchsetzbarer Primärrechte zwischen den justizfähigen iura quaesita (§ 38 Abs. 1 Alt. 2) und der nicht rechtsschutzfähigen allgemeinen Freiheit (§ 40 Abs. 1) an. Diese Alternative war neu und deutete die im Frühkonstitutionalismus ansetzende Ersetzung des wohlerworbenen Rechts durch die allgemeine gesetzliche Befugnis (Tn. 136-143) und die damit einhergehende Wandlung der Justizsache an (Tn. 76 f., 144-147 und Tn. 414). 103 Es sei der große Grundsatz eines jeden Gesetzgebers, „die natürliche Freiheit der zur bürgerlichen Gesellschaft verbundenen Menschen nur so weit einzuschränken, als es der Zweck dieser Gesellschaft, nämlich äußere und innere Sicherheit, erfordert" (Svarez, Über den Einfluss der Gesetzgebung in die Aufklärung, 1789, in: Conrad/Kleinheyer [Hg.], Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez [1746-1798], 1960, S. 634 [634 f.]); die natürliche Freiheit des einzelnen solle nur soweit eingeschränkt werden, als es die Erreichung der Zwecke des Staates erfordere; „sobald das Gesetz weitergehe, sobald es unnütze Einschränkungen der natürlichen Freiheit enthalte, sobald fehle ihm der innere Grund seiner Rechtmäßigkeit"

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Staatsgewalt, die die Regierungsweise der aufgeklärten Herrscher zunächst im Wege einer freiwilligen Selbstbeschränkung beeinflußte, wurden auch nach und nach in die geschriebene Rechtsordnung aufgenommen und überwanden so die Schwelle zwischen moralischem Appell und Staatsphilosophie einerseits und geltendem Recht andererseits. Besonders deutlich wurde diese Entwicklung in § 79 Einl. AGB, dem Vorläufer, genauer: dem Versuch des 1794 in Kraft getretenen Allgemeinen Landrechts, der bestimmte, daß die Gesetze und Verordnungen des Staates die natürliche Freiheit und Rechte der Bürger nicht weiter einschränken dürften, als es der gemeinschaftliche Endzweck erfordere. Das Allgemeine Gesetzbuch, das im Frühjahr 1790 zum Druck gegeben wurde und am 1. Juni 1792 in Kraft treten sollte, wurde jedoch nie Gesetz, der König ordnete unter dem Eindruck des Höhepunkts der französischen Revolution und dem Einfluß antiaufklärerischer, ständischer und konservativer Stimmen 1 0 4 , die den Zweck eines an die Untertanen gerichteten Gesetzes darin erschöpft sahen, diesen Ge- und Verbote zur Kenntnis zu bringen, während das wissenschaftlich-systematisch geordnete Recht Sache des Juristenstandes bleiben sollte, und überhaupt das Anliegen eines Gesetzbuchs lediglich darin sahen, die vorhandenen Gesetze zu sammeln, zu bestimmen und zu ergänzen, nicht aber ohne dringenden Grund Neues einzuführen, vor allem nicht Pflichten des Landesherrn gegenüber seinem Staat festzulegen, durch die knapp gehaltene Kabinettsorder vom 18. April 1792 1 0 5 die Suspension der Gesetzgebung an. Während sich mancher Hoffnungen machte, das Projekt sei endgültig ge-

(Svarez, Privatrecht, Allgemeine Grundsätze des Rechts, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer, ebenda, S. 215 [231]). Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 381, betonte, daß dort, wo es das allgemeine Wohl nicht erfordere, „kein Regent berechtigt [ist] etwas zu befehlen; vielmehr muß er alsdann einem jeden Unterthan seine natürliche Freyheit lassen"; für Schneidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, 1775, § 217, S. 214 f., durfte die natürliche Freiheit nur insoweit eingeschränkt werden, als es eine „vernünftige Regierung" erfordere; „was der Endzwek des Staats nicht verlangt, ist der vernünftigen und natürlichen Freiheit des Bürgers überlassen". 104 In seiner Kabinetsorder (Fn. 105) bezog sich Friedrich Wilhelm II (17441797) namentlich auf den Immediat-Bericht des schlesischen Justizministers Adolph Albrecht Heinrich Leopold Freiherr von Danckelman(n) (1736-1807) vom 9. April 1792 (GStA PK, HAbt. I, Rep. 84, Abt. XVI, Bd. LXXXVIII, Nr. 2, Bl. 11 = Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, 52. Band [1838], S. 138-140), der sich gegen das vorgesehene Inkrafttreten des Gesetzbuchs mit der Begründung aussprach, „der Umfang dieses Werkes machet es [...] nicht wohl möglich, sich solches in einer so kurzen Zeit hinlänglich bekannt zu machen". 105 Allerhöchste Kabinetsordre vom 18. April 1792, die Suspension der Gesetzkraft des Allgemeinen Gesetzbuchs betreffend, in: GStA PK, HAbt. I, Rep. 84, Abt. XVI, Bd. LXXXVIII, Nr. 2, Bl. 10, Fol. 1 = Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, 52. Band (1838), S. 140-141. 4 Malmendier

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storben, suchten die Kodifikatoren durch eine unterrichtende Schrift den Einwand zu entkräften, das Volk habe keine Gelegenheit zum Kennenlernen des neuen Gesetzbuchs gehabt. Der Erwerb Süd-Preußens durch die zweite Teilung Polens 1793, in dem bislang kein gemeines römisches Recht gegolten hatte und nun die Frage entstand, welches Recht hier einzuführen sei, verschaffte dem Allgemeinen Gesetzbuch neue Resonanz. Im überarbeiteten und mit einem nicht so revolutionär klingenden Titel versehenen Allgemeinen Landrecht - der neue Name sollte zum einen andeuten, daß sich die Kodifikation nicht als allgemeines Gesetz an ein ganzes Volk, sondern als Recht lediglich an den Juristenstand wendete 106 , zum anderen, daß sie, wie die früheren Landrechte, weniger durchgreifende Neuerungen einführe, als das Bestehende zu wahren - 1 0 7 kam das Übermaßverbot zwar nicht mehr 106

Obwohl es ein Anliegen Friedrich des Großen gewesen war, das Recht seinen Untertanen näher zu bringen. So fand er es in der an seinen Großkanzler Johann Heinrich Casimir Graf von Carmer (1721-1801) gerichteten Allerhöchsten Königl. Cabints-Order vom 14. April 1780 die Verbesserung des Justitz-Wesens betreffend (NCC 6 [1776-1780], No. XIII, Sp. 1935-1944) sehr unschicklich, daß die Gesetze „größtenteils in einer Sprache geschrieben sind, welche diejenigen nicht verstehen, denen sie doch zu ihrer Richtschnur dienen sollen" und wies den Großkanzler an, darauf zu achten, „daß alle Gesetze für Unsere Staaten und Unterthanen in ihrer eigenen Sprache abgefaßt [...] werden" (Sp. 1940). 107 Die Überarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs zum Landrecht war schon aus Zeitgründen nicht so grundlegend, wie sie der anfängliche Widerstand hätte erwarten lassen können. Nachdem den Kodifikatoren im Zuge der Diskussion, welches Recht im neu erworbenen Süd-Preußen in Kraft gesetzt werden solle, durch Allerhöchste Kabinetsordre vom 17. November 1793, die Umarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs betreffend (GStA PK, HAbt. I, Rep. 84, Abt. XVI, Bd. LXXXVIII, Nr. 14, Bl. 45-46, Fol. 23 = Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung 52 [1838], S. 141-144), zunächst allgemein aufgegeben worden war, „alle Sätze, die das Staatsrecht und die Regierungsform betreffen, ingleichen alle neue, aus den bisher bestandenen Gesetzen nicht fließende und zu deren Bestimmung und Ergänzung nicht dienende Vorschriften" (GStA PK a.a.O. = Jahrbücher a.a.O. S. 141 f.) zu revidieren und die Kodifikatoren sich außerstande erklärten, bedenkliche Stellen des Gesetzbuchs zu erkennen und um bestimmte Angabe jener Vorschriften baten, begnügte sich die Kabinettsorder vom 18. Dezember 1793 (GStA PK, HAbt. I, Rep. 84, Abt. XVI, Bd. LXXXVIII, Nr. 21, Bl. 78, Fol. 35) damit, ein Dutzend staatsrechtlicher Bestimmungen zu benennen (§§ 6, 7, 9, 12, 77-79 Einl.; § 32 I 8; §§ 528 f. I 9; § 96 II 10 AGB) und setzte eine 14tägige Überarbeitungsfrist für den ersten und eine Monatsfrist für die übrigen drei Bände. Sieht man von dem oft überbewerteten - willkürliche Behandlungen drohten im Alltag des aufgeklärten Absolutismus weniger vom König als von der Verwaltungsbürokratie (ändern sollte sich dies erst durch die Kabinettsjustiz des 19. Jahrhunderts) - Machtspruchverbot ab (dazu auch Tn. 386 f.), waren die Änderungen eher unbedeutend und betrafen überwiegend nur die staatsrechtlichen Bestimmungen und auch hier oftmals nur Ausdruck und Begriffswahl. Das revidierte Allgemeine Landrecht wurde in Preußen denn auch nicht als etwas im Vergleich zum Allgemeinen Gesetzbuch grundlegend Neues angesehen, was sich auch daran zeigt, daß das 1794 gedruckte Landrecht als „zweyte Auflage"

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ganz so deutlich zum Ausdruck, war aber in der Ausrichtung allen staatlichen Handelns an der Staatsraison nach wie vor enthalten ( § § 2 und 4 I I 13 ALR108). (37) Auch fällt auf, daß natürliche und bürgerliche Freiheit im Allgemeinen Landrecht verschmelzen 109 : Von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte, angeborene und unverstaatlichte Rechte fanden in der natürlichen Freiheit ihre Grundlage (§§ 82, 83 Einl. ALR), § 505 I 9 A L R behandelte die Verjährung von „Rechten der natürlichen oder der allgemeinen bürgerlichen Freyheit". Geprägt durch die Woljfsche Naturrechtslehre, die sich des 1791 publizierten Allgemeinen Gesetzbuchs in der Buchhandlung des kön. preuß. geh. Comercien-Rathes Pauli erschien; in § 1 Einl. ALR blieb sogar die verpönte Bezeichnung „Gesetzbuch" erhalten. Insgesamt gesehen, war die Revision mit dem Austausch einiger neuer Seiten getan (die im Zuge der Revision des Allgemeinen Gesetzbuchs gemachten Korrekturen sind im einzelnen abgedruckt in der „zum Gebrauche für die Besitzer der ersten Auflage" - mit der „ersten Auflage" war das Allgemeine Gesetzbuch gemeint - verlegten „Anzeige der bey der Revision des Allgemeinen Gesetzbuchs auf Sr. Königlichen Majestät Allerhöchsten Befehl erfolgten Veränderungen" [diese Anzeige, die entsprechend ihrer Zielsetzung, den Besitzern des überarbeiteten Gesetzbuchs die Anschaffung des neuen Landrechts zu ersparen, auch selbständig erschienen sein dürfte [v. Rönne, Ergänzungen und Erläuterungen des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten durch Gesetzgebung und Wissenschaft, Erster Band, 7. Ausg. 1885, S. 6], ist in der undatierten Ausgabe von Gottfried Carl Nauck in Berlin, Erster Theil erster Band, S. 23-51, enthalten: sie wurde dem alten Text des Allgemeinen Gesetzbuchs vorgeheftet, wie auch dem alten Titelblatt das des neuen Landrechts vorgehaftet wurde; über die Korrekturen berichten ferner Klein, Nachricht von der Einführung des allgemeinen Preußischen Gesetzbuchs, unter dem Titel: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten 12 [1794], S. 191-196 und Siewert [Hg.], Materialien zur wissenschaftlichen Erklärung der neuesten allgemeinen preußischen Landesgesetze, Erstes Heft, 1800, S. 141182; zur Umwandelung des Allgemeinen Gesetzbuchs in das Allgemeine Landrecht Boeck, Die Schlußrevision des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten von 1794, 1966, passim; Hattenhauer, Das ALR im Widerstreit der Politik, in: Merten/Schreckenberger [Hg.], Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 27 [42 f.]; Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 48-61; A. Stölzel, Carl Gottlieb Svarez, 1885, S. 320403; Thieme, Allgemeines Landrecht, in: Erler/Kaufmann [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, I. Band, Sp. 99 [102-104]). 108 Das Allgemeine Landrecht wird in dieser Arbeit nach der Ausgabe von Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, zitiert. 109 Eine Entwicklung, die ebenso in den Veröffentlichungen und Vorträgen der Kodifikatoren des Allgemeinen Landrechts und im zeitgenössischen Schrifttum zu beobachten ist. Exemplarisch sei Svarez genannt, der aus der positiven Rechtsordnung ein „allgemeines Recht der natürlichen und bürgerlichen Freiheit, alles zu tun, was weder durch natürliche oder positive Gesetze verboten ist noch der Kränkung der Rechte eines andern gereicht", entwickelte (Privatrecht, Allgemeine Grundsätze des Rechts, S. 215 [259]; Hervorhebung hier). 4*

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zum Ziel gesetzt hatte, „zwischen der natürlichen und bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit die schönste Uebereinstimmung" zu erzeugen 110 , diente den Kodifikatoren des Landrechts der Naturzustand zur näheren Bestimmung der Grenzen der Wirksamkeit staatlicher Gewalt 1 1 1 , wodurch der natürlichen Freiheit und Gleichheit als Schranke obrigkeitlicher Macht unmittelbare rechtliche Bedeutung zukam; Gesetze, die diese Schranken nicht beachteten, sollten „unerlaubt und unverbindlich" sein 1 1 2 . Von einem pauschalen Freiheitsverzicht war keine Rede mehr; aus dem Gesellschaftsvertrag wurde abgeleitet, daß die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft „keineswegs die Absicht hatten noch haben konnten, auf ihre natürliche Freiheit ganz Verzicht zu tun und sich als Sklaven der bloßen Willkür eines unumschränkten Herrschers zu unterwerfen" 113 . In diesen präzisierenden Deutungen des Gesellschaftsvertrages durch die neuere Naturrechtslehre kam die Metamorphose der Gesellschaftsvertragslehren in der zweiten, aufgeklärten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck, in der die deutsche Grundrechtsentwicklung ihre Wurzeln schlug. Der status naturalis lieferte nicht nur negativ die Begründung für den Ausschluß von Rechten des einzelnen gegen den Landesherrn, sondern diente nunmehr positiv als Grundlage für die Entwicklung von Rechten des einzelnen gegen den Staat, ohne dadurch mit antiabsolutistischen Elementen aufgeladen zu werden 1 1 4 . Nicht mehr der Freiheitsverzicht, sondern der Umfang und die Grenzen dieses Verzichts standen im Mittelpunkt des Interesses; diese Freiheit des aufgeklärten Vernunftsrechts am Ende des 18. Jahrhunderts, - nannte man sie nun in Anlehnung an die tradierten naturrechtlichen Begriffe natürliche oder bürgerliche Freiheit oder führte man, wie die führende Persönlichkeit der preußischen Aufklärungsgesetzgebung und der wohl wichtigste Redakteur des Allgemeinen Landrechts, Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), mit einem „allgemeinen Recht der natürlichen und bürgerlichen Freiheit" 1 1 5 die alte Terminologie ad absurdum - , war kein kärglicher Rückstand des transzendenten Naturzustandes jenseits des juristisch Greifbaren mehr: Unter Aufgabe des Adjek110 Ch. Wolff, Gesammelte Werke, I. Abteilung, Deutsche Schriften, Band 19, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, 1754, Vorrede, [S. 5]. 111 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Zusammenfassung, 1791/92, in: Conrad/ Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (17461798), 1960, S. 3 (63-70). 112 Svarez, Privatrecht, [Von dem Privat- oder bürgerlichen Rechte überhaupt], 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), ebenda, S. 215 (219). 113 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Zusammenfassung, 1791/92, ebenda, S. 3 (65). 114 Zu diesem im Vergleich zum westeuropäischen Ausland gesonderten deutschen Weg, der im Konstitutionalismus im monarchischen Prinzip münden sollte, Tn. 100-102. 115 Privatrecht, Allgemeine Grundsätze des Rechts, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), ebenda, S. 215 (259).

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tivs „natürlich" entwickelte sich der ambivalente Freiheitsbegriff zu einer allgemeinen oder menschlichen Freiheit, die als einheitliche Erscheinung nach und nach Bestandteil der positiven Rechtsordnung wurde, bis in wenigen Jahrzehnten der Begriff der natürlichen Freiheit der Vergangenheit angehörte 116 . Neuere Forschungen zeigen sogar, daß das Reichskammergericht117 in den letzten Jahrzehnten seines Bestehens unter dem Einfluß dieser vernunftrechtlichen Ansätze die Freiheitssphäre des einzelnen außerhalb des Bereichs wohlerworbener Rechte schützte 118 . Nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen zu urteilen, läßt sich indessen weniger von einem systematisch aufbereiteten Neuansatz individueller Staatsabwehrrechte als von einem punktuellen Willkürschutz sprechen. Diesen tendenziellen Neuansatz auszubauen, gelang den Reichsgerichten in der Kürze der ihnen verbleibenden Zeit nicht mehr. Über punktuelle Neuorientierungen kamen auch die Landesgerichte nicht hinaus; so bezeichnete die preußische JurisdictionsCommission 1 1 9 in einer einmalig gebliebenen Entscheidung von 1795 die natürliche Freiheit als „negative Gerechtigkeit" 120 . Weil es sich insgesamt gesehen - sowohl auf Reichs- als auch erst recht auf Landesebene - um nicht mehr als punktuelle Erscheinungen, allenfalls Tendenzen handelte und zusammenfassend festgestellt werden muß, daß die Rechtsschutzfähigkeit der Freiheit in der gerichtlichen Praxis noch weit davon entfernt war, allgemein anerkannt zu sein, wird man diese ersten normativen Domestizierungsversuche allerdings erst und nur als objektivrechtliche Grenzen der Staatsgewalt

116

Birtsch, Eigentum und ständische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, Festschrift für Schieder, 1978, S. 59 (64); Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 2 f. zu Art. 2 I; Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1064); ders., Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 13 f.; Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, 1976, S. 117-119; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 147; Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 109 (132 f.); Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 56; Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Diestelkamp (Hg.), Die politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 157 (178). 117 Tn. 391. 118 Seeger, Die Extrajudizialappellation, 1992, S. 121; Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Diestelkamp (Hg.), Die politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 157 (passim). 119 Zum Aufgabenbereich dieses Kompetenzkonfliktentscheidungsgremiums Tn. 385. 120 Entscheidung vom 11. Juli 1795, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten 14 (1796), S. 349 (351).

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auffassen müssen, deren Verletzung kein materielles subjektives Abwehrrecht als Pendant begründete 121 . Diese zäsierende Gegenüberstellung des individuellen wohlerworbenen Rechts und der nicht rechtsschutzfähigen allgemeinen Freiheit kam im Allgemeinen Landrecht ebenfalls zum Ausdruck, das die nur marginal behandelte Freiheit deutlich geringer bewertete als die erworbenen Rechte und sie in ihren Wirkungen den unvollkommenen Rechten des § 86 Einl. A L R 1 2 2 gleichgestellte, die nicht durch die Gesetze unterstützt wurden und keine gerichtliche Klage begründeten. Auch wenn sich die subjektive Verrechtlichung der Freiheit anbahnte, so war dieser Anfang doch so lange praktisch wertlos, als die Freiheit nicht den wohlerworbenen Rechten als subjektive Rechtssposition vorbehaltlos gleichgestellt wurde. Diese Verzögerung zwischen der Anerkennung einer geschlossenen Sphäre von Freiheit und Eigentum und ihrer Subjektivierung sowie (im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzips 123 ) prozessualen Gleichstellung mit den wohlerworbenen Rechten sollte in der frühkonstitutionellen Epoche besonders deutlich werden 1 2 4 , teilweise Nachwirkungen bis in den Spätkonstitutionalismus haben und sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in dem (rein akademischen) „Etikettenstreit" widerspiegeln, ob es denn Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei, subjektive öffentliche Rechte zu schützen oder die objektive Rechtsordnung zu wahren 1 2 5 .

b) Subjektive öffentliche

und private Rechte

(38) Unter den Sammelbegriff der iura quaesita fielen nicht nur Rechtspositionen, die die Untertanen durch besonderen Akt des Landesherrn erworben hatten, also Positionen, die nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel subjektive öffentliche Rechte waren 1 2 6 . Wurde die Rechtsposition 121

Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 105 f.; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (146); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 103 f. 122 Gemeint waren Naturalobligationen (C. F. Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Band, 7. Aufl. 1878, Anm. 93 zu § 86 Einl.). 123 Tn. 438-440. 124 Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 104-111; zu dieser Entwicklung Tn. 127-133. 125 Tn. 443-471. 126 Birtsch, Eigentum und ständische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, Festschrift für Schieder, 1978, S. 59 (61, 63); Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 30; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaft belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 43 f.; Ρ reu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 71; v. Rimscha, Die

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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durch hoheitlichen Verleihungsakt begründet, war statt von wohlerworbenen Rechten teils von Privilegien die Rede. Privilegien waren kraft der gesetzgebenden Gewalt des Regenten hoheitlich erteilte und auf Dauer angelegte Ausnahmen vom geltenden Recht 1 2 7 ; betraf die Ausnahme punktuell nur einen Einzelfall, während sich der Untertan danach wieder an das für alle oder seinen Stand geltende Recht halten sollte, sprach man von einer Dispensation 128 . Durch Konzessionen - ebenfalls hoheitlich begründete wohlerworbene Rechte - wurden hingegen keine Ausnahmen vom Gesetz zugelassen; vielmehr wurde der Rechtskreis des einzelnen originär erweitert 129 . Ebenso wurden als iura quaesita Rechte eifaßt, die durch besonderen Titel von anderen Untertanen erworben wurden, wie Eigentum oder Forderungsrechte 1 3 0 . Die Ausübung der landesherrlichen Gewalt fand also auch in solchen Rechten ihre Schranken, bei deren Entstehung der Regent nicht beteiligt war, die nach heutigem Verständnis private Rechte waren. (39) Obwohl dem absolutistischen Staat - bedingt auch durch die Rezeption des römischen Rechts - eine Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht (ius publicum) und Privatrecht (ius privatum) durchaus bekannt w a r 1 3 1 , wurden die wohlerworbenen Rechte (und die aus ihrer Verletzung hervorgehenden Abwehrrechte 132 ) einheitlich der Privatrechtsordnung zugeGrundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 204; Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (381). 127 Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung, 1789, S. 180 f.; Svarez, Privatrecht, Allgemeine Grundsätze des Rechts, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 215 (240); Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 1797, Erster Band, S. 370, und Zweiter Band, S. 176-189; Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 272; v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 2 S. 283 f.). 128 Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, 1789, S. 181; v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 2); Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 176 mit Anm.; Leist Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 273. 129 Häberlin a.a.O. 130 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 32. 131 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 40 f.; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 3036; Feist, Die Entstehung des Verwaltungsrechts als Rechtsdisziplin, 1967, S. 11 f.; v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Erster Band, 1868, S. 642; Molitor, Über öffentliches Recht und Privatrecht, 1949, S. 11 f.; Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 14; Sellmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Band I, 1963, S. 25 (30 f.); Wyduckel, lus Publicum, 1984, S. 178-210.

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ordnet, unabhängig davon, ob am Erwerbsvorgang auch die Obrigkeit oder lediglich andere Untertanen beteiligt waren 1 3 3 . Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat und Rechte des einzelnen gegenüber anderen Untertanen waren einerlei, waren einartig und gleichwertig 134 . Hier wirkte das sogenannte Einrechtssystem des mittelalterlich-germanischen Rechts fort, das alle subjektivrechtlichen Beziehungen miteinander vermischte. Die Abgrenzung zwischen subjektivem öffentlichen und privaten Recht wurde nicht, wie heute, anhand des einschlägigen (Sonder-)Rechts vorgenommen, sondern vom Träger des Rechts her bestimmt: Private Rechte waren solche, die Privaten zustehen konnten, im Gegensatz zu den Hoheitsrechten, die lediglich der Landesherr innehatte 135 . So bildete sich ein Begriff des Priva132

Tn. 59 f. Allgemein zur Unterscheidung zwischen den geschützten Rechtsgütern und den aus ihrer Verletzung hervorgehenden Abwehrrechten Tn. 219. 133 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 41; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 49; Feist, Die Entstehung des Verwaltungsrechts als Rechtsdisziplin, 1967, S. 10; Molitor, Über öffentliches Recht und Privatrecht, 1949, S. 12; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (5); ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 173. Aus dem zurückblickenden Schrifttum des beginnenden 19. Jahrhunderts, dem die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem Recht nunmehr bekannt war, Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft, Dritter Band, 1831, S. 197 f. und Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 95 m. Fn. 2, jeweils m.w.N. aus dem zeitgenössischen Schrifttum. 134 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 46-49; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaft belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 231; v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 28 f.; Henke Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 10 f., 18; Molitor, Über öffentliches Recht und Privatrecht, 1949, S. 11 f.; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 181; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Band I, 1963, S. 25 (31); Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 113 f. 135 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 40 f.; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 49; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaft belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 228; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 181, 204; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 27 f.; ders., Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÖV 1963, 719 (720); ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (5); Sellmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwal-

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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ten und Öffentlichen Rechts im objektiven Sinne (als Regelungssysteme) und ein Begriff der Privatrechte im subjektiven Sinne als Gesamtheit der dem einzelnen zustehenden (öffentlichen oder privaten) Rechte heraus 136 . Die Bezeichnung wohlerworbene Rechte Privater trifft den Kern aus heutiger Sicht deshalb genauer als der herkömmliche Terminus der wohlerworbenen Privatrechte. c) Wohlerworbene

Rechte in der Rechtsordnung

(40) Die wohlerworbenen Rechte schlugen an den verschiedensten Stellen der Rechtsordnung ihre Wurzeln, ohne jedoch immer als solche bezeichnet worden zu sein. Das wichtigste Bekenntnis des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 für die Garantie wohlerworbener Rechte setzten die §§ 74, 75 Einl. A L R voraus, die den Begriff der einzelnen und besonderen Rechte sowie der Vorteile der Mitglieder des Staates dem des wohlerworbenen Rechts vorzogen; an anderer Stelle griff das Landrecht der Sache nach die Unterscheidung zwischen angeborenen oder allgemein verliehenen und durch besonderen Titel erworbenen Rechten auf (§ 82 Einl.), sprach hier jedoch nicht von wohlerworbenen, sondern von allgemeinen und besonderen Rechten (§§ 83, 84 Einl.) 1 3 7 . Die „Handtungsgerichtsbarkeit, Band I, 1963, S. 25 (63, 82 f.); Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, 1979, S. 24 Fn. 57. 136 Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 95 Fn. 2. 137 Die zeitgenössische Kommentarliteratur freilich, die die Verschmelzung von natürlicher und bürgerlicher Freiheit im Landrecht (Tn. 37) nicht wahrhaben wollte, sah zwischen den §§ 82-84 Einl. ALR und der Unterscheidung zwischen allgemeinen und wohlerworbenen Rechten keinen Zusammenhang: Obwohl die allgemeinen Rechte im Landrecht als positivem Gesetz behandelt und dort als „Rechte" bezeichnet wurden und obwohl sich Parallelen auch in den Kronprinzenvorträgen Svarez' aufdrängen, in denen er ausführte, die allgemeinen Rechte und Pflichten der Staatsbürger kämen einem jeden schon daher zu, weil er Mensch und Staatsbürger sei, während die besonderen „nicht allen, sondern nur einigen beigelegt werden können und also aus andern Quellen als der bloßen Eigenschaft eines Menschen und Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft fließen" (Privatrecht, Allgemeine Grundsätze des Rechts, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer [Hg.], Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez [1746-1798], 1960, S. 215 [258]), sprach man ihnen jede Bedeutung im gesellschaftlichen Zustand ab und legte § 83 Einl. ALR als Beschreibung des status naturalis aus; im status civilis könnten von vornherein nur die besonderen Rechte eine juristische Bedeutung haben (Bielitz, Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Erster Band, Erl. der §§ 82-87 Einl., S. 194 f.; C. F. Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Band, 7. Aufl. 1878, Anm. 90 zu § 83 Einl.; zur Bedeutung der §§ 82-87 Einl. ALR als Vorläufer der allgemeinen Handlungsfreiheit Tn. 197). Der Begriff des besonderen Rechts wurde - entsprechend der gemeinrechtlichen Lehre der iura singularia (dazu Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 273;

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lungen und Begebenheiten" der §§ 82, 85 Einl. A L R umschrieben den für die Annahme eines ius quaesitum erforderlichen Erwerbsvorgang 138 . § V I I I des Patentes, wegen Publication des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, vom 5. Februar 1794 1 3 9 , heute würde man es als Einführungsgesetz bezeichnen, regelte die Rückwirkung des neuen Landrechts und bestimmte, „daß ein jeder, welcher sich zur Zeit der Publikation dieses Landrechts in einem nach bisherigen Gesetzen gültigen und zu Recht beständigen Besitze irgend einer Sache, oder eines Rechts befindet, dabey gegen jedermann geschützt, und in dem Genüsse, oder in der Ausübung dieser seiner wohlerworbenen Gerechtsame, unter irgend einem aus dem neuen Landrechte entlehnten Vorwande nicht gestört, oder beeinträchtigt werden soll". § 1 Einl. AGO von 1793 machte die Zulässigkeit einer gerichtlichen Klage von einer Streitigkeit „über Sachen und Rechte, welchen einen Gegenstand des Privateigenthums ausmachen", abhängig und knüpfte damit ebenfalls der Sache nach an das einartige wohlerworbene Recht, an die wohlerworbenen Rechte Privater an, wurde aber im beginnenden, restaurativen 19. Jahrhundert zunehmend in einem ganz anderen Sinne ausgelegt 140 . Für die Eröffnung des Rechtsweges gegen polizeiliche Verfügungen kam es nach § 38 Abs. 1 der preußischen Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 1 4 1 darauf an, daß sich die Klage auf einen „speziellen Rechtstitel" gründete. Ein Schlußlicht stellten die „speziellen Rechtstitel" des § 2 und die „besonderen Rechte" des § 4 Abs. 1 des das Zeitalter der Administrativjustiz zur Vollendung bringenden preußischen Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 1 4 2 dar, über deren Verletzung ausnahmsweise nicht die vorgesetzte Verwaltungsbehörde, sondern (in engen Grenzen) die ordentlichen Gerichte entscheiden sollten, denen allerdings, durch die ähnliche Regelung in der Verordnung von 1808 vorgezeichnet, - anders als die gleichfalls in Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, 1789, S. 180) - , im Rahmen des § 84 Einl. ALR (anders möglicherweise im Kontext des § 75 Einl. ALR) weiter gedeutet als der der wohlerworbenen Rechte; unter „dem persönlichen Verhältnisse" wurde nicht jedes persönliche, zum Beispiel kontraktliche, sondern das standesrechtliche Verhältnis (Statusrecht) verstanden, so daß die besonderen Rechte als Standesrechte erschienen {Koch a.a.O., Anm. 91 zu § 84 Einl.). Ungeachtet der Auslegung der §§ 83, 84 Einl. ALR war der Begriff des wohlerworbenen Rechts als solcher dem Allgemeinen Landrecht durchaus bekannt, etwa in § 21 Einl., §§ 26, 32 I 8; die §§ 131-134 I 2 handelten vom Rechtserwerb. 138 Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, 1789, S. 219, zu § 91 E AGB. 139 NCC 1794, No. VIII, Sp. 1873-1888. 140 Tn. 83. 141 Fn. 100. 142 PrGS 1842, No. 2273, S. 192-194.

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§ 4 Abs. 1 des Gesetzes noch erwähnten „Privatrechte" - bereits eine wesentlich engere Bedeutung als das ius quaesitum zukam 1 4 3 . (41) Das wohlerworbene Recht verlor im fortschreitenden 19. Jahrhundert nach und nach an Bedeutung, zunächst der Sache nach, später auch terminologisch 144 . Zum einen, weil die Zulässigkeit einer Klage vor den (einzig bestehenden) ordentlichen Gerichten nicht mehr von der Beeinträchtigung eines wohlerworbenen Rechts, sondern von der sich durchsetzenden Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatrecht im heutigen Sinne abhängig gemacht wurde 1 4 5 , zum anderen, weil das allgemeine Freiheitsprinzip das wohlerworbene Recht zunehmend zurückdrängen sollte 1 4 6 . A m Ende dieser Entwicklung stand das heutige „Recht" der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 VwGO, etwa in § 127 Abs. 3 Nr. 1 LVG, der die Zulässigkeit der Anfechtungsklage beim Preußischen Oberverwaltungsgericht von der Rüge abhängig machte, daß die Verfügung den Kläger in seinen Rechten verletze 1 4 7 . Und so hatten wohlerworbene Rechte, nachdem diese Entwicklung ihren Abschluß gefunden hatte, mit der gemeinrechtlichen, auf den Akt des Erwerbes abstellenden Lehre der iura quaesita nichts mehr zu tun. So etwa die „wohlerworbenen Rechte der Beamten" des Art. 129 Abs. 1 S. 3 WRV, derer sich anfangs das Bundesverfassungsgericht bediente, um den Unterschied zwischen den unter der Geltung des Grundgesetzes zu berücksichtigenden hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) und der Weimarer Verfassungslage zu verdeutlichen 148 . Mit der Garantie der wohlerworbenen Beamtenrechte in der Verfassung wollte die Nationalversammlung die Beamtenschaft beruhigen, nachdem während der revolutionären Unruhen Gerüchte aufgekommen waren, das Berufsbeamtentum solle gänzlich abgeschafft werden 1 4 9 ; durch diese konstitutionelle Verankerung wurde es dem einfachen Reichs- und Landesgesetzgeber - anders als in der Vorkriegszeit - verwehrt, bestehende und künftige Beamtenverhältnisse in Abweichung vom Hergebrachten neu zu regeln, wenn dies eine Schmälerung subjektiver Rechte der Beamten nach sich gezogen hätte (Art. 76 W R V ) 1 5 0 . Bei allen Auslegungsschwierigkeiten, die dieser Verfas143

Tn. 139. Tn. 134-143. 145 Tn. 144-151. 146 Tn. 136-142. 147 Im einzelnen zu § 127 Abs. 3 LVG Tn. 224-233 und Tn. 443-471. 148 BVerfGE 3, 58 (137); 3, 288 (320 f.); 8, 332 (343); 15, 167 (195); 38, 1 (11); 43, 242 (278); 54, 363 (384 f.); 62, 374 (382 f.). 149 Diese Zielsetzung wurde während der Verfassungsberatungen insbesondere durch den Staatssekretär des Innern und späteren Reichsinnenminister Dr. Hugo Preuß (1860-1925) hervorgehoben, der den ersten Entwurf der Weimarer Reichsverfassung ausarbeitete (VDNV Bd. 328, S. 1632D; Bd. 336, S. 382). 150 RGZ 104, 58 (60 f.). 144

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sungsbestimmung auch noch zum Ende der Weimarer Republik anhafteten, war es doch angesichts dieser Entstehungsgeschichte opinio communis, daß die wohlerworbenen Beamtenrechte gerade auch gesetzlich begründete und allen Beamten zustehende (z.B. Alimentations-)Rechte erfassen sollten 1 5 1 . Das Reichsgericht lehnte die Ansicht, die wohlerworbenen Rechte des Art. 129 Abs. 1 S. 3 WRV seien nur diejenigen subjektiven Rechte, welche auf einem besonderen Rechtstitel beruhten, als zu eng a b 1 5 2 . Zum historischen Gehalt des Ausdrucks wiesen diese wohlerworbenen Beamtenrechte nur noch insoweit einen Zusammenhang auf, als sie mit der Anknüpfung an den althergebrachten Begriff das Dogma der (einfachgesetzlichen) Unentziehbarkeit aufgriffen und die Unverletzlichkeit der erlangten Rechtsposition hervorhoben und unterstrichen. d) Heutige Parallelen und Unterschiede (42) Das wohlerworbene Recht des absoluten Staates ständischer Ordnung läßt sich heute am ehesten mit einem öffentlichrechtlichen Besitzstand vergleichen und weist mit ihm Parallelen auf: Die erworbene Position begründete) kraft der in ihr enthaltenen Zusicherung des Staates, ihrem Inhaber den ungestörten Genuß im Rahmen der legalen oder administrativen Inhaltsbestimmung zu belassen, subjektive Abwehransprüche gegen ihre unberechtigte Entziehung oder Einschränkung, gerichtet auf Unterlassung oder Beseitigung der Störung 153 . Wie die Entziehung wohlerworbener Rechte es war, ist auch die Aufhebung öffentlichrechtlicher Besitzstände nur unter erschwerten Voraussetzungen und meistens nur gegen Entschädigung möglich. (43) Zu den heutigen Besitzständen bestand aber auch ein fundamentaler Unterschied, nämlich der, daß im absoluten Staat kein Anspruch auf seine Erteilung bestand und erst seine Gewährung Distanz vom Staat schuf, während heute der zu Unrecht versagten sogenannten Kontrollerlaubnis und damit fortbestehenden Beschränkung spontaner Betätigung das Freiheitsprinzip entgegensteht. Einst wurde die Freiheit, im Rahmen des Privilegs zu handeln, erst durch den speziellen Rechtstitel geschaffen, - was nicht er151

RGZ 134, 1 (8, 12); PrOVGE 87, 251 (254 f.); Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Nr. 3 f. zu Art. 129; Brand, Das Beamtenrecht, 3. Aufl. 1928, S. 126 f.; Daniels, Pflichten und Rechte der Beamten, in: Anschütz/Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1932, S. 41 (45-48); Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Erl. 4 b zu Art. 129; Solch, Insbesondere Besoldung und Hinterbliebenenversorgung, in: Anschütz/Thoma (Hg.), ebenda, S. 68 (74). 152 RGZ 134, 1 (12). 153 Zum Begriff und zur einheitlichen Struktur öffentlichrechtlicher Abwehransprüche im Öffentlichen Recht der Gegenwart Tn. 207-222; speziell zu Besitzständen als Rechtsgrundlage von Abwehrrechten Tn. 210.

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laubt war, wurde von Rechts wegen nicht geschützt - , heute besteht diese Freiheit schon im Vorfeld des Besitzstandes und artikuliert sich zu einem Abwehranspruch, wenn die Verwaltung vom Erlaubnisvorbehalt des präventiven Verbots zu Unrecht keinen Gebrauch macht, - was nicht verboten ist, bleibt von Verfassungs wegen erlaubt: Kraft der dem Besitzstand (verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich) vorgelagerten umfassenden allgemeinen Freiheit kann der Betroffene Beseitigung der Betätigungssperre durch Erlaubniserteilung verlangen. Der (prozessual mit der Verpflichtungsklage durchzusetzende) Anspruch auf Erteilung des begünstigenden Verwaltungsaktes ist also Folge des freiheitlichen Beseitigungsanspruchs, ohne daß dadurch Grundrechte von Abwehrrechten in Leistungsrechte umgedeutet würden 1 5 4 . Bei einem repressiven Verbot mit Befreiungsmöglichkeit ist die Lage der Sache nach nicht wesentlich anders. Hier betrachtet zwar der Gesetzgeber eine bestimmte Tätigkeit als besonders gefährlich oder mißbilligenswert und verbietet sie deshalb als sozialschädlich und gemeinwohlunverträglich schlechthin; anders als bei der Kontrollerlaubnis trifft das Gesetz eine materielle Aussage über die Betätigung, begnügt sich nicht damit, die Tätigkeit als grundsätzlich erlaubt einzustufen, lediglich die Spontaneität einzuschränken und die abschließende Entscheidung über im Einzelfall etwa greifende Hindernisse dem Verwaltungsverfahren zu überlassen. Die vom Gesetzgeber als gefährlich oder sozialschädlich eingestufte Tätigkeit ist bei der gebotenen Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen dem Verbotsgesetz und den Grundrechten des Betroffenen indessen nur insoweit aus dem vorverlagerten Gewährleistungsbereich der Freiheitsrechte herausgenommen, als im Einzelfall das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleibt und der einfachgesetzliche Verbotszweck greift. Ist das nicht der Fall, lebt das Freiheitsprinzip auf, dem auch ein gesetzlich meistens eingeräumtes Dispensermessen nichts entgegenhalten kann: Kraft seines öffentlichrechtlichen Reaktionsanspruchs kann der Betroffene Beseitigung der freiheitswidrigen Versagung durch Befreiung verlangen 155 . Ein gänzlich „freies" Ermes154 In diesem Sinne BVerfGE 20, 150 (155); Erichsen, Konkurrentenklagen im Öffentlichen Recht, Jura 1994, 385 (389); Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 4. Aufl. 2000, Rn. 21 zu § 15; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 17. Aufl. 2001, Rn. 62 f.; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 10. Aufl. 1997, Rn. 148. 155 BVerwGE 18, 247-254; BGH, NJW 1981, 982: Anspruch auf Erteilung einer Bauerlaubnis für nichtprivilegierte Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 2 BauGB); VG Hamburg, NVwZ 1985, 678; Breitbach, in: Ridder/Breitbach/Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, Rn. 32 zu § 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations· und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl. 1994, Rn. 40 zu § 16; Ott/ Wächtler, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz), 6. Aufl. 1996, Rn. 2 zu § 16; bedenklich hingegen die weiterreichende Ermessensprüfung durch OVG Münster, DVB1. 1994, 541 (544): Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für Versammlungen im befriedeten Bannkreis (§ 3 des Bannmeilengesetzes des Bundes und entsprechende Bestimmungen der Bannmeilengesetze der Länder).

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sen, das die Ausübung einer Tätigkeit ins Belieben der Verwaltung stellt, ist einer freiheitlichen Grundordnung wesensfremd: Die Versagung der Befreiung jenseits gesetzlich intendierter Hindernisse ist rechtswidrig. Daraus wird deutlich, daß der Unterschied zwischen präventivem und repressivem Verbot rein gradueller Natur ist: Da bei letzterem die öffentlichen Interessen gesetzlich wesentlich stärker gewichtet sind, unterliegt die Erteilung des Dispenses strengeren Voraussetzungen, so daß der einzelne in aller Regel nicht mit der Befreiung wird rechnen können. (44) Währenddessen konnten im absolutistischen Staat aus dem vorverlagerten Nichts auch keine Abwehrrechte erwachsen. Ohne Titel war der einzelne rechtlos: Er erhielt weder den Besitzstand, noch konnte er sich gegen obrigkeitliches Einschreiten wehren. (45) Ein Beispiel 1 5 6 mag dies zum Schluß verdeutlichen. Wer heute eine Apotheke betreiben will, bedarf nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen 157 einer Erlaubnis. Diese ergeht als gebundener Verwaltungsakt, wenn der Antragsteller bestimmte, in § 2 genannte Berufszulassungsvoraussetzungen erfüllt. Versagt ihm die zuständige Verwaltungsbehörde gleichwohl die Zulassung, steht dem Apotheker aufgrund der materiellen Legalität seiner Tätigkeit sowohl ein Abwehranspruch gegen die versagte Zulassung als auch gegen eine etwaige Untersagungsverfügung zu. Im absolutistischen Preußen war dies anders. Auch hier mußten Apotheker nach § 465 I I 8 A L R eine fachliche Qualifikation nachweisen. Doch entschied nach § 462 I I 8 A L R allein der Staat nach seinem freiem Ermessen über „das Recht, zur Anlegung neuer Apotheken Erlaubniß zu geben". Die Apothekenkonzession war einem Privileg gleichgestellt 158 , das vererblich w a r 1 5 9 und nur gegen Entschädigung entzogen werden konnte 1 6 0 . Betrieb ein fachlich versierter Akademiker eine Apotheke in einer unterversorgten Gegend ohne die staatliche Konzession, genügte die formelle Illegalität zum polizeilichen Einschreiten. Er konnte weder vom Staat die Erteilung einer Konzession verlangen, noch sich gegen eine Polizeiverfügung wehren. 156

In Anlehnung an Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 14 f. Vom 20. August 1960 (BGBl. I S. 697), i.d.F. der Bek. vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. August 1994 (BGBl. I S. 2189). 158 § 463 II 8 ALR. Die Begriffe Privileg und Konzession wurden in zeitgenössischen Quellen häufig synonym gebraucht, obwohl ihr Regelungsgehalt unterschiedlich war: Als Ausfluß der Gesetzgebungshoheit befreite das Privileg vom geltenden Recht, während die Konzession als Ausfluß der Oberaufsicht die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem geltenden Recht bescheinigte (v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin [Hg.], Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 [§ 2 S. 284]). 159 § 466 II 8 ALR. 160 § 70 Einl. ALR. 157

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2. Der Eingriff in wohlerworbene Rechte durch die Obrigkeit und seine Folgen (46) Die wohlerworbenen Rechte des einzelnen waren auch von der Obrigkeit zu beachten. Der absolute Staat konnte sich nicht ohne weiteres über sie hinwegsetzen, konnte nicht so tun, als existierten sie nicht. Die iura quaesita bildeten eine Schranke der staatlichen Machtvollkommenheit, eine rechtliche Grenze der Staatsgewalt. „Die Inhaber der Staatsgewalt dürfen den Unterthanen ihre wohlerworbenen Rechte [...] durch die Ausübung der Regierungsrechte weder gänzlich entziehen, noch überhaupt kränken" 1 6 1 ; „ [ . . . ] nie kann und darf sich doch die Fürsorge für das allgemeine Wohl dahin erstrecken, daß deshalb irgend jemandem sein wohl erworbenes Recht (ius quaesitum) [...] genommen werden k a n n " 1 6 2 ; bei der Ausübung obrigkeitlicher Aufgaben „müssen die bereits wohlerworbenen Eigentumsund andre Rechte der Bürger des Staates respektiert werden" 1 6 3 . Mußte der Staat von Rechts wegen auf die wohlerworbenen Rechte Rücksicht nehmen, so entstand die Frage nach den Folgen eines Eingriffs in diese Rechtspositionen, wie also der einzelne seine Rechte gegenüber der Obrigkeit zum Ausdruck bringen, wie er gegenüber dem Staat Recht behalten konnte. (47) Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war es im absoluten Staat noch nicht. Ein auf Beseitigung eines hoheitlichen Eingriffs in subjektive Rechtspositionen - der Begriff des Rechtseingriffs war dem zeitgenössischen Schrifttum vertraut 1 6 4 - gerichteter Abwehranspruch des einzelnen gegen den Staat setzt Unrecht voraus. Im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert aber war die Unrechtsfähigkeit des Staates noch nicht uneingeschränkt anerkannt. Andererseits war der Untertan auf der Primärebene nicht völlig rechtlos; seine Rechte gegen den Staat erschöpften sich nicht in Entschädigungsansprüchen auf der Sekundärebene. Der von Otto Mayer (1846-1924) geprägte Satz „Dulde und liquidiere." 1 6 5 trifft in der Allgemeinheit und Weite, die er ihm beigemessen sehen wollte - totale Rechtlosigkeit auf der Primärebene - 1 6 6 , sicherlich nicht zu. Eine ältere, auf O. Mayer zurückzuführende, zu undifferenzierte und pauschale Auffassung, wonach es im 161

Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 263 f. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382; zur Eingriffsfestigkeit von Priviligien - einer besonderen Art wohlerworbener Rechte (Tn. 38) - Zweiter Band, 1797, S. 177. 163 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Über das Recht der Polizei, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 3 (40). 164 Etwa bei Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 181, 184. 165 Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 53 Fn. 27. 166 Im einzelnen zur „Fiskustheorie" O. Mayers Tn. 66-68. 162

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Polizeistaat keine rechtliche Begrenzung der aboluten Staatsgewalt - „Das öffentliche Recht ist kein Recht" 1 6 7 - und damit auch keine Primärrechte des Untertans gegen den Staat gab 1 6 8 , hält einer rechtsgeschichtlichen Überprüfung nicht stand 1 6 9 . Das absolutistische Preußen kannte nicht nur moralische, sondern sehr wohl auch rechtliche und justitiable Grenzen der Staatsgewalt und damit Abwehransprüche des einzelnen auf der Primärebene. Die Staatsangehörigen waren nicht nur zum Objekt des Machtapparats degra167

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 47. Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Erstes Buch, 1950, S. 183; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band II, 1966, S. 234; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Auflage 1973, S. 23 f., 41 f.; v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Erster Band, 1868, S. 642-652; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1931, S. 84-88; Kohlmann, Das subjektiv-öffentliche Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch, 1964, S. 13; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 778, 785; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 24. Aufl. 1924, S. 38-54; Merk, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 8 (1950), S. 154 (155); Städter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 60 f.; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Staatsbürger und Staatsgewalt, Band I, 1963, S. 25 (36). 169 Die „Fiskustheorie" O. Mayers (Tn. 66-68) wurde insbesondere durch die Arbeiten Bullingers, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 201-219, und Rüfners, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 55 f., 62, 173 f., widerlegt; letzterer hat seine Thesen in seiner Abhandlung „Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts", in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 5 und 9 f., zusammengefaßt und ergänzt. Das neuere Schrifttum hat sich diesen Forschungsergebnissen weitestgehend angeschlossen: Achterberg, Strukturen der Geschichte des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, DÖV 1979, 737 (738); Coing, in: v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Einleitung und Allgemeiner Teil (§§ 1-89; Verschollenheitsgesetz), 12. Aufl. 1980, Rn. 5 zu § 89 (in der von Rawert bearbeiteten 13. Aufl. 1995, Rn. 9 zu § 89, fehlt hingegen der entscheidende, sich von der Fiskustheorie distanzierende Passus der Vorauflage); Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 76 f.; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 39-53; 76 f.; 94-99, 104 f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 19; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 156-177; Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 109 (134 f.); Freu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 47-51, 68-77; Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaß Verbots, 1995, S. 37; Schenke, in: Dolzer/Vogel (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 46. Lieferung 1982, Rn. 2 zu Art. 19 Abs. 4; Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, 1979, S. 25 Fn. 61; v. Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, 1983, S. 388 (404 f.); ders., Subjektiver Rechtsschutz und politische Freiheit in der vorkonstitutionellen Staatslehre Deutschlands, 1969, S. 2 f.; Willoweit, Die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 1 (6-15). 168

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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dierte Untertanen. Allerdings bedarf es der differenzierenden Klarstellung, daß die Unrechtsfähigkeit der Obrigkeit, eine unentbehrliche Voraussetzung des Abwehranspruchs, unterschiedlich zu beurteilen war, je nachdem welgehandelt hatte. cher Verwaltungsträger a) Störende Handlungen des Landesherrn selbst (48) Anordnungen des Landesherrn selbst (und der ihm unmittelbar unterstellten obersten Behörden, deren Beamte in seinem Namen handelt e n 1 7 0 ) konnten in der Tat nicht mit Erfolg angefochten werden. Der König mußte zwar die wohlerworbenen Rechte seiner Untertanen achten. Bei einer Kollision zwischen wohlerworbenen Rechten und dem gemeinen Wohl konnte sich der Herrscher jedoch auf ein Staatsnotrecht, das ius eminens, berufen und sich so über die wohlerworbenen Rechte hinwegsetzen 171 . Der Ausgleich zwischen beiden aus dem Naturrecht abgeleiteten Werten, die Garantie der wohlerworbenen Rechte und der Vorrang des Gemeinwohls, wurde in der Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs gefunden. Diese Folgen einer Kollision zwischen dem gemeinen Wohl und wohlerworbenen Rechten wurde 1794 auch im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten übernommen 172 . Darüber hinaus stand der Obrigkeit die Kompetenz zu, einen den wohlerworbenen Rechten immanenten Mißbrauchsvorbehalt im Einzelfall zu konkretisieren und Mißbräuche abzustellen (ius reformandi) 1 7 3 . (49) Die mangelnde Aussicht auf Erfolg von Klagen der Untertanen gegen ihren Landesherrn hatte nicht nur einen prozessualen Hintergrund, die vor den Landesgerichten zur Abweisung der Klage als unzulässig 174 170 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 94 f. Aus dem zeitgenössischen Schrifttum v. BiXlow/Hagemann, Practische Erörterungen aus allen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 139, die Verfügungen „vom Landesherrn selbst oder dessen nachgesetztem OberlandesPoliceycollegio" gleichsetzten. 171 Statt vieler Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 47-54 m.w.N. aus der Rechtsprechung der alten Reichsgerichte und dem zeitgenössischen Schrifttum. 172 §§ 70, 74, 75 Einl., §§4-7 111 ALR. 173 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Über das Recht der Oberaufsicht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 3 (46 f.). 174 V. Bülow/Hagemann, Practische Erörterungen aus allen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 140, zitieren zwei Entscheidungen des Celleschen Tribunals von 1788 und 1800, in denen Beschwerden gegen den Landesherrn und seine unmittelbar untergeordneten Beamten ob qualitatem causae (wegen der Natur der Sache) abgewiesen wurden. 5 Malmendier

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

führende Unklagbarkeit des Königs als oberster Gerichtsherr vor seinen eigenen Gerichten (und damit die Versagung des Rechtsweges und fehlende Justitiabilität der Streitigkeit) wurde in rechtlichen Bestimmungen und im zeitgenössischen Schrifttum immer wieder betont - , sondern auch eine materiellrechtliche Ursache: Die Unfehlbarkeit des Monarchen. Das Staatsnotrecht war, seiner Konzeption als außerordentliches 175 Recht entsprechend, zwar an enge materiellrechtliche Voraussetzungen gebunden. Die Besonderheit des ius eminens lag indessen darin, daß dem Regenten, in heutigen Begriffen gesprochen, eine Beurteilungsprärogative eingeräumt wurde 1 7 6 . Er entschied, wann das gemeine Wohl eine Aufopferung des einzelnen erforderte, wann im Sinne des § 74 Einl. A L R ein „wirklicher Widerspruch (Collision)" vorlag. Eine Nachprüfung der Voraussetzungen des ius eminens durch die Landesgerichte war ausgeschlossen177. Der Landesherr besaß das „Subsumtionsmonopol". Diese Prärogative wurde später auch in § 10 I 11 ALR positiviert, wonach die Beurteilung und Entscheidung, ob der Fall einer Notwendigkeit zum gemeinen Wohl vorhanden sei, dem Staatsoberhaupt vorbehalten blieb. Nicht anders verhielt es sich mit dem zum Recht der Oberaufsicht gerechneten ius reformandi, das der Obrigkeit das Recht einräumte, den Mißbrauch wohlerworbener Rechte abzustellen, und dessen Ausnahmecharakter ebenfalls betont wurde 1 7 8 . Es hätte sich mit der Stellung des Monarchen, der auch oberster Gerichtsherr war (§ 18 I I 17 ALR), nicht vertragen, wenn seine eigenen Landesgerichte sich eine Überprüfung seiner Anordnungen hätten anmaßen können 1 7 9 ; seine Souveränität wäre in 175

Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 46 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Auflage 1973, S. 23; Städter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 57; Stolleis, Staatsnotstand, in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, IV. Band, 1990, Sp. 1824. Aus dem zeitgenössischen Schrifttum Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382 und Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 264. 176 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 76 f.; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 30 f.; v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Erster Band, 1868, S. 643 f.; Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 20 Fn. 34; Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbots, 1995, S. 47 f.; Riifner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 62; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 100; Städter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 53. 177 Zur Nachprüfbarkeit durch die Reichsgerichte Tn. 395 f. 178 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, Über das Recht der Oberaufsicht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 3 (48).

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Frage gestellt worden, wenn er den Untertanen Rede und Antwort hätte stehen müssen 180 . (50) Die Folge dieser Diskrepanz zwischen den gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten und den materiellrechtlichen Bindungen des Landesherrn war, daß überall, wo sich der Regent auf das gemeine Wohl berief, die wohlerworbenen Rechte weichen mußten. Der im zeitgenössischen Schrifttum gelegentlich angetroffene Satz, „Der Regent ist nicht an die Gesetze gebunden" 181 , wollte nicht die absolute Staatsform als despotisch brandmarken, sondern nur jene landesherrliche Gestaltungs- und Beurteilungsfreiheit plastisch beschreiben. De iure war jede landesherrliche Anordnung, und wich sie vom bisher bestehenden Recht oder von der bislang üblichen Regierungspraxis ab, Gesetz. Der Wille des Regenten war oberstes Gesetz. Rex und lex waren austauschbare Begriffe („Si veut le roi, veut la loi."). Was der Landesherr im Namen des gemeinen Wohls wollte, war verbindlich. Ius eminens und ius reformandi, de iure auf besondere Ausnahmefälle beschränkt, konnten sich de facto zur umfassenden Staatsgewalt verschmelzen und ließen sich bald nicht mehr vom ius politiae 1 8 2 , einst besonderes, auf einem speziellen positivrechtlichen Titel beruhendes Hoheitsrecht, unterscheiden: Die einst gebündelten und katalogisierten einzelnen Hoheitsrechte wandelten sich zu einer einheitlichen Staatsgewalt, die umfassend im Dienst des öffentlichen Wohls schaltete und waltete 1 8 3 . Der absolute Herrscher definierte, was im öffentlichen Wohl lag. Und bald konnte er sich frei von allen rechtlichen Bindungen fühlen. (51) Der absolute Staat entwickelte sich zum Polizei- oder Wohlfahrtsstaat 184 . Unter dem Sammelbegriff der „Policey" verstand man (unter Ausklammerung der Finanz- und Militärverwaltung sowie der Justiz) alles, was heute den Gegenstand der inneren Verwaltung ausmacht. Das ius politiae 179

Strube, Neben-Stunden, Dritter Theil, 1761, S. 51; Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 409; v. Gönner; Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Zweiter Band, 2. Aufl. 1804, S. 22 f.; ders., Teutsches Staatsrecht, 1804, S. 480; v. Bülow/Hagemann, Practische Erörterungen aus allen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 139 f. 180 Strube, Rechtliche Bedenken, Zweiter Band, 1827, S. 312. 181 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 1797, Zweiter Band, S. 176. 182 Hierzu sogleich Tn. 51 f. 183 Achterberg, Strukturen der Geschichte des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, DÖV 1979, 737 (738); Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 40; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 23 f.; v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Erster Band, 1868, S. 643; Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 59 f. 184 Eingehend zum Polizei- und Staatszweckverständnis im 18. Jahrhundert Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, passim. 5*

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umfaßte die Fürsorge des Gemeinwohls sowohl in negativer als in positiver Hinsicht 1 8 5 , erfaßte Sicherheits- (Zwangs-) und Wohlfahrtspolizei (Hülfspolizei) gleichermaßen 186 . Policey bedeutete so viel „als die innerliche gute Einrichtung der Bürgerlichen Verfassung, und das Verhältniß zwischem der Obrigkeit und denen Unterthanen, wie auch dieser gesellschaftlichen Handel und Wandel unter einander, und zwar nur in so ferne, als dieses alles einen Einfluß in das Wohlseyn und die Aufnahme des gemeinen Weesens h a t " 1 8 7 . Bei einem solchen Begriffsverständnis ermächtigte die Polizeigewalt den absoluten Herrscher, in summa alles zu veranstalten, „was er zur Sicherheit, Bequemlichkeit, guter Zucht, Ordnung, Nahrung, Bevölkerung und Reichthum des Staats nur immer für dienlich erachtet" 188 . Ganz auf dieser Linie machte es § 3 I I 13 ALR zur Aufgabe des Landesherrn, dafür zu sorgen, daß den Einwohnern Mittel und Gelegenheit verschafft werden, um ihre Fähigkeiten und Kräfte zur Beförderung ihres Wohls zu entwikkeln. Zur Erreichung dieses Zwecks räumte § 4 I I 13 ALR dem Staatsoberhaupt alle Vorzüge und Rechte ein. Die Polizeibehörden hatten „nicht alleine allem vorzubeugen, und solches zu entfernen, was dem Staate und seinen Bürgern Gefahr oder Nachtheil bringen kann, mithin die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu treffen, sondern auch dafür zu sorgen, daß das allgemeine Wohl befördert und erhöhet werde, und jeder Staatsbürger Gelegenheit habe, seine Fähigkeiten und Kräfte in moralischer sowohl, als physischer Hinsicht alles auszubilden, und innerhalb der gesetzlichen Grenzen auf die ihm zuträglichste Weise anzuwenden" 189 . Bei einem solchen Polizei Verständnis wurden etwa die Volksbildung, der öffentliche Unterricht und die Kultur zur Polizeiaufgabe 1 9 0 . Dieser konturenlose Polizeibegriff sollte erst im späten 19. Jahrhundert durch das „Kreuzberg-Urteil" des Preußischen Oberverwaltungsgerichts von 1882 unter (nicht unfragwürdiger 191 ) Berufung auf § 10 I I 17 185

§ 3 S. 1 der preußischen Verordnung vom 26. Dezember 1808 (Fn. 100). Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 485 f. 187 V. Cramer, Wetzlarische Nebenstunden, Siebender Theil, 1757, S. 80. iss y Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechtes, Erster Theil, 2. Aufl. 1789, § 17 S. 33. 186

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§ 3 S. 2 der Verordnung von 1808 (Fn. 100). § 3 S. 3 der Verordnung von 1808 (Fn. 100). 191 Es entsprach freilich einer gängigen, sich auf die Materialien des Landrechts stützenden Ansicht, daß das Allgemeine Landrecht den von Pütter (Fn. 193) entwikkelten engeren Polizeibegriff aufgenommen und in § 10 II 17 ALR die polizeilichen Aufgaben unter Ausschluß der Wohlfahrtspolizei erschöpfend aufgezählt habe (Anschütz, Allgemeine Begriffe und Lehren des Verwaltungsrechts nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, PrVerwBl. 22 [1900/01]], 83 [85 f.]; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Branden-Preußen, 1914, S. 132; ders., Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 7; Schilling, Beiträge zur Entwicklung des Polizeibegriffs nach Preußischem Recht, VerwArch. 2 [1894], S. 474 [504190

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ALR eine materielle Eingrenzung erfahren, - unter Ausklammerung des Städtebaurechts - auf die Gefahrenabwehr beschränkt und dem heutigen 509]; anders demgegenüber Rosin, Der Begriff der Polizei und der Umfang des polizeilichen Verfügungs- und Verordnungsrechts in Preußen, VerwArch. 3 [1895], S. 249 [276-320]). Dem geschriebenen Text des Landrechts vermag man eine eindeutige und konsequente Auslagerung wohlfahrtsstaatlicher Aufgaben aus dem gemeinwohlorientierten Staatszweck allerdings nicht so recht zu entnehmen; § 10 II 17 ALR konnte ebenso dahin verstanden werden, daß auch die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, Aufgabe der Polizei sein sollte, während die Tätigkeit der Wohlfahrtspolizei - als Polizeiaufgabe - durch § 3 II 6 ALR (unverändert) gedeckt werden sollte. Svarez rechnete denn auch zu den Aufgaben der Landespolizei auch „Anstalten [...], wodurch gewissen Arten gemeinnütziger Kenntnisse erleichtert und befördert werden" (Allgemeines Staatsrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer [Hg.], Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez [1746-1798], 1960, S. 3 [67]) sowie „Gewerbe und Handel nach dem Zweck des gemeinen Besten zu leiten, für die Nahrung, Bequemlichkeit und das Vergnügen der Bürger zu sorgen" (ebenda, S. 134). Richtig ist allerdings, daß § 10 II 17 ALR unter Ausklammerung wohlfahrtstaatlicher Aspekte nur die Sicherheitspolizei zum Gegenstand hatte und mit dieser gewichtenden Trennung im Vergleich zur vorlandrechtlichen Lage eine Neuerung brachte, die das Bestreben andeutete, den unter der Bezeichnung der Polizei firmierenden umfassenden Dirigismus absoluter Herrscher zugunsten der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen - sogar der Bauern (§§ 147, 240 II 7 ALR) - zurückzufahren und ein an die Unterscheidung zwischen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei anknüpfendes abgestuftes Eingriffsinstrumentarium (Svarez, ebenda, S. 3 [40]) zu entwickeln. Ferner traten die aufgeklärten Kodifikatoren des Landrechts für eine Pflicht des Staates ein, einem jeden zu überlassen, „wie er durch die Anwendung [...] seiner Fähigkeiten und Kräfte seine Privatglückseligkeit nach seinen natürlichen Neigungen und Wünschen am besten befördern zu können vermeine" (Svarez a.a.O., S. 37) und sprachen dem einzelnen ein forum internum zu, dessen Reglementierung sich der Regent zu enthalten hatte (Svarez, Privatrecht, ebenda, S. 215 [231]). Gleichwohl fällt es angesichts der dargelegten Auslegungsunsicherheiten und der von denselben Kodifikatoren geäußerten Skepsis gegenüber der menschlichen Natur schwer zu glauben, daß dem Jahrhunderte währenden vorlandrechtlichen Polizeiverständnis in nur einer und dazu auch noch interpretationsbedürftigen Bestimmung kurzerhand ein Ende bereitet werden sollte (kritisch auch Hattenhauer, Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat, in: Wolff [Hg.], Das Preußische Allgemeine Landrecht, 1995, S. 49 [59]; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl. 1980, S. 203-205; Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: F. Ebel [Hg.], Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 109 [133 Fn. 139]; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 274-328; v. Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh [Hg.], Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, 1983, S. 388 [423-425]; Willoweit, Die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl, in: F. Ebel [Hg.], ebenda, S. 1 [12]; Winter, Der Polizeibegriff im preussischen öffentlichen Recht von 1808 bis 1914, 1977, S. 16 f.; zum Staatszweck des Landrechts aus entstehungsgeschichtlicher Sicht Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 299-316). Selbst Pütter war es nicht gelungen, unter Vermeidung von Widersprüchen die (Sicherheits-)Polizei von der übrigen in-

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Begriff der Polizei im materiellen Sinne zugeführt werden 1 9 2 , wie ihn bereits Pütter 193 über ein Jahrhundert früher entwickelt hatte und auf dessen Linie dann Wilhelm von Humboldt (1767-1835) für einen schlankeren Staat plädieren konnte, der nicht, auf eine polizeiliche Generalklausel gestützt, umfassend in die Lebensverhältnisse eingreifen dürfen sollte 1 9 4 . (52) Diese Allzuständigkeit des Wohlfahrtsstaates, die sowohl die Abwehr von Gefahren als auch die Beförderung des allgemeinen Wohls umfaßte, änderte sich unter dem Einfluß der Aufklärung in der täglichen Realität nicht von Grund auf. Der absolute Staat des ausgehenden 18. Jahrhunderts verstand sich zwar nicht als Willkürstaat. Er fühlte sich der Staatsraison verpflichtet. Der König wurde in den Worten Friedrichs IL (des Großen, 1712-1786) „der erste Diener des Staates" 195 . Dieser aufgeklärte neren Verwaltung klar zu scheiden: Der Polizei rechnete er auch Annexaufgaben zu, die heute dem Fiskalprivatrecht zugeordnet werden, wie die Einrichtung von Gebäuden, öffentlichen Häusern und anderen öffentlichen Anstalten, soweit sie im weitesten Sinne (sicherheits-)polizeilichen Zwecken dienten. Wie bei Pütter so war auch der Polizeibegriff des Allgemeinen Landrechts erst Ausdruck eines sich im Wandel befindlichen Staatszweckverständnisses. Er deutete eine künftige Entwicklung an, ohne sie selbst zur Vollendung zu bringen (zum Landrecht als Recht zwischen zwei Zeiten Tn. 95 f.). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich der in § 10 II 17 ALR entwicklungsfähige liberale Polizeibegriff vollends durch. Sonst hätte es des „Kreuzberg-Urteils" nicht bedurft. 192 PrOVGE 9, 353-384. Den Weg zu diesem engen Polizeibegriff hatte das Preußische Oberverwaltungsgericht bereits in zwei früheren Urteilen, vom 10. Dezember 1879 und vom 10. Juni 1880, geebnet (PrOVGE 6, 349-354; PrVerwBl. 1 [1879/80], S. 401-404). Bereits im letztgenannten Urteil ging es um eine Polizeiverordnung, die das Maß der Bebauung in der Umgebung des Kreuzbergs zum Schutze des auf diesem zur Erinnerung an die Siege der Freiheitskriege 1878 errichteten Nationaldenkmals reglementierte. Die im neunten Band der amtlichen Entscheidungssammlung abgedruckte und immer wieder - auch hier - zitierte Entscheidung stellt also schon das zweite „Kreuzberg-Urteil" dar. 193 Institutiones Iuris Publici Germanici, 2. Aufl. 1776, § 331, S. 350 f.; § 335, S. 356 f.: „[...] cura avertendi mala futura in statu rei publicae [...] dicitur ius politiae. [...] Promovendae salutis cura proprie non est politiae" (§ 331, S. 350/351). Dieser enge Polizeibegriff wurde vom zeitgenössischen Schrifttum nach und nach aufgenommen (exemplarisch Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 551-555). 194 Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 113: „Jede weitere, oder aus andren Gesichtspunkten gemachte Beschränkung der Privatfreiheit aber, liegt ausserhalb der Gränzen der Wirksamkeit des Staats." Auszüge seiner „Ideen" waren bereits 1792 in der Berlinischen Monatsschrift erschienen, vollständig wurde das Werk aber erst postum veröffentlicht. 195 Politisches Testament König Friedrichs II. von 1752, in: Königliche Akademie der Wissenschaften (Hg.), Acta Borussica, Neunter Band, 1907, Nr. 218 S. 327 (370) = Küntzel (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern nebst ergänzenden Aktenstücken, Band II, 1911, S. 1 (41): „Le souverain est le premier serviteur de l'État; il est bien payé pour qu'il soutienne la dignité de son caractère; mais

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Vernunftstaat blieb allerdings alles andere als freiheitsfreundlich. Er erkannte zwar dem einzelnen ein unantastbares forum internum z u 1 9 6 , ging aber - soweit es dann um sein sozialrelevantes Handeln ging - weiterhin von einem beschränkten Untertanenverstand aus 1 9 7 und griff im Namen des gemeinen Wohls umfassend in die Lebensverhältnisse ein, regelte bis ins Detail die gesellschaftliche Ordnung und behandelte die Untertanen als Unmündige, die im öffentlichen Interesse belehrt, dirigiert und kontrolliert werden mußten. Die Untertanen wurden zu ihrem eigenen Glück gezwungen. Alles, was der allgemeinen Wohlfahrt und damit dem Staatszweck dienlich war, durfte angeordnet und zwangsweise durchgesetzt werden. Und es war der Landesherr, der entschied, was zur Verbesserung des Zustandes der Untertanen nötig war. Gute Policey bedeutete nichts anderes als staatlichen Dirigismus. Der Wohlfahrtsstaat war ein Bevormundungsstaat 198. Die öffentliche Diskussion um den Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs zeigt zwar, daß in den gebildeten Schichten der preußischen Gesellschaft Ansätze eines neuen Staatsbewußtseins durchaus vorhanden waren, das auf eine stärkere Einschränkung der obrigkeitlichen Eingriffsbefugnisse drängte und der Wohlfahrtspolizei die Zwangsbefugnisse nehmen wollte 1 9 9 . Mehr als eine kontroverse Diskussion waren diese Anzeichen eines neuen, liberalen Zeitgeistes indessen zunächst nicht. Daß sich im Zeitalter der Aufklärung dieses Verständnis des Staatszweckes in der Praxis noch nicht grundlegend änderte, zeigt die preußische Verordnung von 1808 2 0 0 . Die im Allgemeinen Landrecht noch nicht angetroffene klarstellende, ja rechtfertigende Formulierung des weiten Polizeibegriffs in § 3 2 0 1 läßt sogar vermuten, daß ersten, den überkommenen konturenlosen Polizeibegriff einengenden Ansätzen im zeitgenössischen Schrifttum 2 0 2 eine deutliche Absage erteilt werden sollte.

on demande de lui qu'il travaille efficacement pour le bien de l'État et qu'il gouverne au moins avec attention des principales affaires." 196 Svarez, Privatrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 215 (217 f.). 197 Noch für Svarez lehrte die Erfahrung, „daß richtige Einsichten und wohlgeordnete Neigungen nur bei den wenigsten Menschen anzutreffen sind, daß der große Haufe nicht nach deutlichen Begriffen, sondern nach Eindrücken der Sinnlichkeit und tierischen Trieben handle" (Allgemeines Staatsrecht, 1791/92, in: Conrad/ Kleinheyer [Hg.], Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez [1746— 1798], 1960, S. 3 [64]). Zu diesem negativen Menschenbild der deutschen Staatslehre des 18. Jahrhunderts, das sich auch unter dem Einfluß der Aufklärung nicht änderte, Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (23 f.). 198 V. Gierke , Das deutsche Genossenschaftsrecht, Erster Band, 1868, S. 644. 199 Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 299-316. 200 Fn. 100. 201 Tn. 51. 202 Fn. 193.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

(53) Gleichwohl können und dürfen die „vorrechtsstaatlichen" Errungenschaften dieses absoluten Vernunftsstaates unter dem Einfluß der Aufklärung weder übersehen noch unterschätzt werden. Sie waren die Boten des Konstitutionalismus. Wenn auch der Vollständigkeitsanspruch des Allgemeinen Landrechts in seinem naiven Glauben an die Kraft systematischer Vernunft scheiterte 203 , so wurden doch zahlreiche ihm zugrunde gelegte Ideen, die man heute dem Topoi „Rechtsstaat" zuordnet, im Konstitutionalismus realisiert und bestehen noch heute: Das Landrecht hat Einsichten fixiert, die sich in Kulturstaaten als zeitlos erwiesen haben. Friedrich IL hat schon in seinen ersten Wochen als König mehr bewegt als viele Monarchen seiner Zeit während ihrer ganzen Regierungszeit. In der späteren Amtszeit des „Alten Fritz" setzte sich im aufgeklärten Absolutismus neben dem bereits angesprochenen Übermaßverbot 204 insbesondere die richterliche Unabhängigkeit durch 2 0 5 . Sie wurde zwar im Allgemeinen Landrecht nach dem gescheiterten Machtspruch verbot des § 6 Einl. AGB von 1791 nicht positiviert. Der Preußenkönig hatte jedoch postuliert, daß in den Gerichten das Gesetz sprechen und der Herrscher schweigen sollte 2 0 6 . Hieran hielt er sich weitgehend, sieht man von manchen (gutgemeinten) Rückfällen, insbesondere dem Prozeß des Müllers Arnold aus Pommerzig in der Neumark, in dem Friedrich IL vermeintliches Unrecht korrigieren wollte 2 0 7 , einmal ab, und sah von seinen bis in das 19. Jahrhundert allenfalls verpönten, aber nach damaligen Staatsverständnis allemal zulässigen Machtsprüchen ab, die 203

Tn. 95. Tn. 36. 205 Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten von 1794, 1958, S. 36-39; ders., Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598 (611 f.); Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794, 1995, S. 6; Merten, Rechtsstaatliche Anfänge im preußischen Absolutismus, DVB1. 1981, 701 (703-705); Ο. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1924, S. 41; dazu auch Tn. 386 f. 206 Politisches Testament König Friedrichs II. von 1752, in: Königliche Akademie der Wissenschaften (Hg.), Acta Borussica, Neunter Band, 1907, Nr. 218 S. 327 (330) = Küntzel (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern nebst ergänzenden Aktenstücken, Band II, 1911, S. 1 (3): „Je me suis résolu de ne jamais troubler les cours des procédures: c'est dans les tribunaux où les lois doivent parler et où le souverain doit se taire". Begründet wurde diese königliche Selbstbeschränkung a.a.O. - zumindest ausdrücklich - freilich weniger mit der Lehre der Teilung der Staatsgewalten als mit dem Hinweis, daß der große Umfang der Rechtssachen dem Herrscher seine ganze Zeit berauben würde, die er für seine Regierungssachen benötige (Acta Borussica a.a.O. S. 329 = Küntzel a.a.O. S. 2). 204

207

Zur Prozeßgeschichte und zu den Hintergründen des Machtspruchs Friedrichs des Großen Diesselhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984, passim; siehe auch Kleinhey er, Friedrich der Große und die Rechtspflege, in: Festschrift für Gaul, 1997, S. 301 (308-314).

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erst durch das Verbot der Kabinettsjustiz in den Verfassungen des konstitutionellen Deutschlands endgültig beseitigt wurden 2 0 8 . Diese königliche Selbstbeschränkung war es, die der Richterschaft ungeachtet des nicht zustandegekommenen § 6 Einl. AGB die Entwicklung eines neues Berufsethos ermöglichte und dem zur Norm verhelfen sollte, was der Preußenkönig in seinem Politischen Testament als Regierungsmaßstab proklamiert hatte. (54) Mittelalterliche Privilegien und Partikulargewalten wurden beseitigt, untaugliche Beweismittel aus der Rechtsordnung genommen und die Patrimonialgerichtsbarkeit weitgehend durch die Kabinettsjustiz ersetzt, die zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung beitrug, Justizübel eliminierte und Härten mittelalterlicher Strafjustiz milderte. Die im Allgemeinen Landrecht in zahlreichen - nachfolgend zum Teil genannten - Bestimmungen als Gesetzesziel zum Ausdruck kommenden Prinzipien der Rechtssicherheit und Bestimmtheit waren Vorläufer der Gesetzlichkeit der Verwaltung. Im Mittelpunkt dieser Kodifikation, die unter anderem in deutscher Sprache verfaßt war und sich, anders als frühere Gesetze und trotz des umbenannten Titels, nicht (nur) an die rechtsanwendenden Behörden und Gerichte, sondern (auch) unmittelbar an den einzelnen wandte, stand das rechtliche Verhältnis des einzelnen zum Staat und der einzelnen untereinander (§ 1 Einl. ALR). Dieses Rechtsverhältnis sollte alleine durch das Gesetz geregelt werden (§ 85 Einl. ALR). In dieser grundlegenden Entscheidung für das positive Recht und gegen das gemeine Gewohnheitsrecht ließ sich die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erkennen. Staatliches Handeln mußte durch Publikation voraussehbar sein (§ 10 Einl. ALR), Aufgabe der Gesetzgebung wurde es, „feste, sichere und fortdauernde Grundsätze über Recht und Unrecht festzustellen" 2 0 9 , die die Rückwirkung von Gesetzen ausschlossen ( § 1 4 Einl. ALR). Die Gleichheit vor dem Gesetz wurde sichtbar (§ 22 Einl. ALR), wenn sie auch durch ein ständisch bedingtes Prinzip abgestufter Rechtsfähigkeit relativiert wurde ( § 1 1 1 ALR), wie sich auch andere grundrechtsähnliche Erscheinungen (insbesondere die Glaubensfreiheit [§ 2 I I 11 ALR] und der Schutz des nasciturus [§ 10 I 1 ALR], aber auch die allgemeine Handlungsfreiheit [§ 87 Einl. ALR]) konstitutionell andeuteten. Freye Bürger sollten auch die Bauern sein, ihre Rechts- und Prozeßfähigkeit wurde betont, die Leibeigenschaft durch ein milderes dingliches Recht der Herrschaft und ein Züchtigungsrecht derselben ersetzt, die, unter Strafandrohung gegen die Herrschaft, eingehend geregelt wurden, um zumindest den gröbsten Übergriffen der Gutsherrn entgegenzuwirken (§§ 147-160, 227-239 I I 208

Tn. 387. Svarez, Über den Einfluss der Gesetzgebung in die Aufklärung, 1789, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 634 (635). 209

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7 ALR). Der Aufopferungsanspruch (§ 75 Einl. ALR) und der Grundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege" (§ 9 I I 20 ALR) wurden positiviert. Wenn § 7 Einl. A L R bestimmte, daß jeder Verordnungsentwurf, der besondere Rechte und Pflichten der Bürger bestimme oder die gemeinen Rechte abändere, ergänze oder erkläre, der Gesetzkommission „zur Prüfung" vorzulegen sei, dann war das um so mehr ein Affront gegen das Selbstverständnis absoluter Gesetzgeber, als jene Gewaltenverschränkung gerade für besonders sensible Gesetzgebungsmaterien gelten sollte; die Streichung des § 12 AGB im Zuge der Schlußrevision des Allgemeinen Landrechts 210 , der bestimmte, daß ein ohne derartige Prüfung gleichwohl bekannt gemachtes Gesetz „unverbindlich und ohne Wirkung" sei, verdeutlichte, daß die Mitwirkungsbefugnisse unter dem Allgemeinen Landrecht zwar nicht so empfindlich sein sollten, von ihnen die Wirksamkeit des neuen Gesetzes abhängig zu machen, vermochte aber den Ansatz zur Verlagerung ursprünglich königlicher Befugnisse auf andere Institutionen nicht zu kaschieren: Die nunmehr nur noch beratende und begutachtende Stimme der Gesetzkommission blieb ein erster Schritt zu einer Ausgewogenheit im Staat durch Verzahnung unterschiedlicher Gewaltenträger. Schließlich bahnte sich im Allgemeinen Landrecht der Dualismus zwischen Staat und Souverän an, auf den noch zurückzukommen sein w i r d 2 1 1 . aa) Majestäts- und Hoheitsrechte (55) Anordnungen des Landesherrn, für die er eine Beurteilungsprärogative besaß und gegen die sich die Untertanen folglich nicht wehren konnten, betrafen zunächst Majestät- und Hoheitsrechte, wie sie in den §§ 5 bis 16 I I 13 A L R legaldefiniert wurden, die lediglich schon zuvor geltendes Recht wiedergaben. Majestätsrechte waren danach etwa die auswärtige Gewalt, das Verteidigungswesen, das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, die Möglichkeit, Dispense von Gesetzen zu bewilligen, das Abolitions- und Begnadigungsrecht, das Vollstreckungssrecht bei Kapitalverbrechen, das Münz-, Maß- und Gewichtswesen und schließlich das Abgabenrecht. Ein Majestätsrecht war aber auch, obwohl in den §§ 5 ff. I I 13 A L R nicht ausdrücklich erwähnt, das ius eminens, wie sich aus § 10 I 11 ALR ergab und in § 9 des Reglements wegen Vertheilung der Geschäfte zwischen den Neuostpreussischen Landes-Collegiis vom 3. März 1797 2 1 2 unter Bezugnahme auf die §§ 70 Einl., 4 ff. I 11 A L R und in zwei Publicanda des Kammergerichts von 1816 und 1817 2 1 3 klargestellt wurde 2 1 4 .

210 211 212

Zur Schlußrevision Tn. 36. Tn. 75. NCC 1797, No. XVIII, Sp. 949-976.

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bb) Eintrittsrecht des Landesherrn (56) Wenn auch kein Majestäts- oder Hoheitsrecht im eigentlichen Sinne, so waren aber doch auch alle anderen Anordnungen, die der König selbst oder die ihm unmittelbar nachgeordneten und in seinem Namen handelnden Oberbehörden im Wege ihres Eintrittsrechts aussprachen, einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Der landesherrlichen Anordnung gegenüber hatte keine Behörde zu untersuchen, ob der König recht gehandelt hatte oder nicht 2 1 5 . Über seiner Anordnung stand kein irdischer Richter. Er selbst entschied über Recht und Unrecht.

cc) „The King can do no wrong" (57) In diesem Bereich landesherrlicher Anordnungen hatten die wohlerworbenen Rechte in der Tat keine Kraft mehr, ihre Garantie lief auf den Satz „Dulde und liquidiere." hinaus. Der Monarch unterlag zwar rechtlichen Schranken, bestimmte aber selbst letztverbindlich, wann das gemeine Wohl eine Aufopferung oder Beschränkung wohlerworbener Rechte erforderte. Seine die materiellrechtlichen Bindungen überlagernde Beurteilungsprärogative - sein Wille war oberste Rechtsquelle - wirkte sich dahin aus, daß er keine Rechts Verletzungen begehen konnte. Diese umfassende Diskrepanz zwischen materiellrechtlichen Bindungen und gerichtlicher Überprüfbarkeit, die zur Identität des Regenten mit dem Recht führte, begründete zwar nicht de iure, doch aber de facto seine Unrechtsunfähigkeit. Als Herr über Recht und Unrecht konnte er nicht rechtswidrig handeln, konnte er 0 1 f\ Λ1Τ ΛΙΟ kein Unrecht begehen : „The King can do no wrong" ' . Eingriffe 213 Publicandum des Königl. Kammergerichts vom 18. März 1816, die Fälle, in welchen kein gerichtlicher Proceß statt findet, Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung 7 (1816), S. 125-133 (125 f.) und vom 27. Mai 1817 wegen der Fälle, in welchen kein richterliches Verfahren eintritt, ebenda 10 (1817), S. 274-284 (275). 214 Rüfner; Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 55, 61 f. 215 Rüfner a.a.O., S. 62. Zeitgenössische Belege bereits in Fn. 174. 216 Kohl, Die Lehre von der Unrechtsfähigkeit des Staates, 1977, S. 27 f. 217 Die Bedeutung dieses Grundsatzes des englischen Staatsrechts blieb im Laufe der Geschichte mehrdeutig. Teils wurde er materiellrechtlich dahin gedeutet, daß der König kein Unrecht begehen könne, teils prozessual dahin, daß er lediglich gerichtliche Immunität genoß. Nachdem das Parlament seine Vorrangstellung ausgebaut hatte, wurde er (lediglich) im Sinne der Unverklagbarkeit gedeutet (Kohl a.a.O., S. 39-47). 218 Verdeutschte sprachliche Entsprechungen zu diesem Grundsatz des englischen Staatsrechts finden sich, soweit ersichtlich, erst später, nachdem die Unverletzlichkeit des Königs konstitutionell verankert wurde (z.B. in Art. 43 PrVerf [dazu Tn.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

des Souveräns in wohlerworbene Rechte waren stets rechtmäßig. Dabei war es nicht so, daß rechtswidrige Handlungen des Regenten nicht mehr als staatliche Handlungen behandelt wurden und auf diese Weise der Regent in seiner öffentlichen Funktion vor dem Vorwurf der Rechtswidrigkeit bewahrt wurde. Vielmehr war von vornherein die Verwirklichung von Unrecht durch den Landesherrn undenkbar, weil er bestimmte, was Recht und Unrecht war. Diese de facto bestehende Unrechtsunfähigkeit des Königs hatte also nichts mit einer ultra-vires-Doktrin zu tun, wonach die normative Festlegung des Wirkungskreises eines Trägers hoheitlicher Gewalt zu einer Begrenzung seiner Handlungsfähigkeit führt und die rechtswidrige Überschreitung dieses Wirkungskreises die Handlung zur Nichthandlung werden läßt 2 1 9 . Denn die Beurteilungsprärogative des Regenten führte dazu, daß seine Anordnungen gerade nicht ultra vires lagen. Seine Unrechtsunfähigkeit hatte natürlich auch nichts mit der Lehre vom Mandatskontrakt zu tun, die gerade den Fürsten schützen sollte, wonach Amtsträger nur das Mandat zu rechtmäßigem Handeln hatten und Überschreitungen des rechtlichen Dürfens contra mandatum kein Handeln des Organs, sondern des die Aufgabe wahrnehmenden und durch das Unrecht in den „Privatstand" tretenden Amtsträgers waren („Si excessit, privatus est.") 2 2 0 . Denn der König überschritt nicht sein Mandat und konnte deshalb auch nicht als Privatmann haftbar gemacht werden. (58) Gerade bei Anordnungen des Königs und seiner obersten, in seinem Namen handelnden Behörden kam der Aufopferungsentschädigung praktische Bedeutung zu. Denn sie wurde - wie heute - nur für rechtmäßiges Handeln gezahlt 2 2 1 . Trotz der Raum für Aufopferungsansprüche eröffnen377 f.]), und ohne eine gemeinsame sprachliche Linie erkennen zu lassen: Erst im Schrifttum des 19. Jahrhunderts trifft man auf Formeln wie „Der Souverän kann nicht Unrecht thun." (Zoepfl, Grundsaetze des allgemeinen und constitutionell-monarchischen Staatsrechts, Zweiter Abdruck 1841, S. 43 Fn. *]) und „Die Person des Königs ist sakrosankt." (Arndt, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, 7. Aufl. 1911, Anm. zu Art. 43 [S. 180]). In der vorkonstitutionellen Zeit wurden lediglich die Unfehlbarkeit und Unverklagbarkeit des Herrschers klargestellt (Tn. 48), ohne daß einem - soweit ersichtlich - hierfür plakative Formeln begegnen. 219 Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, 1977, S. 51; siehe auch Tn. 89. 220 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 188-193; Kohl, Die Lehre von der Unrechtsfähigkeit des Staates, 1977, S. 78-80; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 786; Malmendier, „Konfliktverteidigung" - ein neues Prozeßhindernis?, NJW 1997, 227 (234); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 7. 221 Siehe nur RGZ 140, 276 (283). Ungenau Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 34, und Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 61, die davon ausgehen, daß die Entschädigung sowohl bei rechtmäßigen als auch bei rechtswidrigen Eingriffen gewährt wurde. Rechtswidrige Eingriffe des Königs gab es nicht, und bei rechtswidrigen Eingriffen durch Unterbe-

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den umfassenden Kraft des landesherrlichen Willens und der de facto bestehenden Unrechtsunfähigkeit des Regenten sollen, nach neueren rechtsgeschichtlichen Untersuchungen zu urteilen, Entschädigungsansprüche in der gerichtlichen Praxis, insgesamt gesehen, eine relativ geringe Rolle gespielt haben 2 2 2 . Betroffene, deren wohlerworbenen Rechte beschnitten wurden, sahen sich also offensichtlich nicht gezwungen, eine finanzielle Genugtuung gerichtlich zu erstreiten. Dies wird nicht nur darauf zurückzuführen gewesen sein, daß sie von Amts wegen und stets in angemessener Höhe entschädigt wurden, noch darauf, daß die Obrigkeit aus finanzpolitischen Erwägungen vom ius eminens zurückhaltend Gebrauch machte 2 2 3 . Wenn ein Bedürfnis für Entschädigungsklagen nicht bestand, dann lag es (auch) daran, daß im absolutistischen Preußen nicht nur zahlreiche, sondern die allermeisten Verwaltungshandlungen - wenn auch nicht die des Königs selbst und seiner unmittelbar Untergebenen - dem Urteil der Rechtswidrigkeit durchaus ausgesetzt blieben und es deshalb oft an der zentralen materiellrechtlichen Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs fehlte. Gegen diese weitaus meisten obrigkeitlichen Anordnungen wehrten sich die Untertanen mit Abwehrklagen, die man heute als Anfechtungsklagen bezeichnen würde 2 2 4 .

Hörden bestanden nur Primäransprüche (Tn. 59 f.). Ein Zustand, wie ihn Fleiner und Städter vor Augen hatten, war erst mit dem umfassenden Ausschluß des Primärrechtsschutzes in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten denkbar, also während der Restauration (Tn. 76 f., 144-151, 413), in der es den ordentlichen Gerichten verboten wurde, über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes - auch als Vorfrage eines Staatshaftungsprozesses - zu urteilen. Doch scheint das preußische Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 (Fn. 142), das den Primärrechtsschutz gegen polizeiliche Verfügungen praktisch ausschloß, nur in den Fällen des § 5 eine Haftung für Unrecht vorgesehen zu haben. - § 4 Abs. 1 nannte als Entschädigungstatbestand nur die (rechtmäßige) Aufopferung für das gemeine Wohl, nicht den aufopferungsgleichen Eingriff. Und § 6 ließ eine Amtshaftungsklage nur zu, wenn die Verwaltungsbehörde zuvor die Verfügung als unzulässig aufgehoben hatte; dem Gericht war m.a.W. die Feststellung der Rechtswidrigkeit im übrigen nicht gestattet. „Der Richter hat überhaupt nicht zu prüfen, ob die polizeiliche Verfügung rechtmäßig war oder nicht. Er muß die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Verfügung ohne Prüfung annehmen, er hat nur die Frage seiner Prüfung zu unterziehen, ob aus einem derartigen rechtmäßigen Eingriff in Privatrechte ein Anspruch auf Entschädigung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften entspringe" (Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 188; Hervorhebung dort). Diese unwiderlegliche Vermutung der Rechtmäßigkeit führte dazu, daß auch nach dem Gesetz von 1842 weitestgehend keine Haftung für Unrecht bestand, allerdings - und dies war der Unterschied - auch kein Primärrechtsschutz. 222 Rüfner; Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 173 f. 223 Zur Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme des ius eminens sogleich Tn. 59. 224 Weitere Einzelheiten sogleich unter Tn. 59 f.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee b) Störende Handlungen unterer Verwaltungsbehörden

(59) Das Übergewicht des Primärrechtsschutzes hing nicht nur mit finanziellen Erwägungen zusammen, - nach dem militärischen Desaster von 1807 stiegen die Staatsschulden enorm an, Preußen hatte den Siegern 120 Millionen Franken Kontributionen zu zahlen 2 2 5 , hinzu kamen die hohen Kriegs- und Besatzungskosten, und bis 1820 erhöhte sich die Staatsverschuldung auf fast 220 Millionen Taler 2 2 6 - , sondern auch damit, daß die Beurteilungsprärogative ein Charakteristikum der nur dem Landesherrn vorbehaltenen Hoheitsrechte war. Unteren Verwaltungsbehörden, die dem König nicht unmittelbar nachgeordnet waren und nicht unmittelbar in seinem Namen handelten, - Behörden, ohne die auch der absolute Staat nicht auskam, „da es unmöglich ist, daß der Regent alle seine mannigfaltigen Rechte und Pflichten durch sich selbst und in eigener Person ausüben könne" 2 2 7 - , stand es nicht zu, abschließend und letztverbindlich unter Ausschluß der Gerichtsbehörden über die Notwendigkeit eines Eingriffs in wohlerworbene Rechte zugunsten des gemeinen Wohls zu befinden 228 . Sie entschieden nicht über Recht und Unrecht, sondern beschränkten sich auf den Vollzug der königlichen Gesetze und Anordnungen. Sie waren an das gesetzte Recht des absoluten Staatsapparats ohne Beurteilungsspielraum gebunden, durften insbesondere wohlerworbene Rechte der Untertanen nicht kränken und sahen sich so dem Vorwurf der Rechtswidrigkeit durchaus ausgesetzt 2 2 9 . Diesem rechtlichen Befund entsprach das politische Anliegen absoluter Herrscher, sich die „Liebe und Affection Unserer Unterthanen" zu erhalten und ihre Mißgunst wegen unangenehmer Verwaltungsmaßnahmen nicht auf sich, sondern auf die Bediensteten der Verwaltungsbehörden zu lenken 2 3 0 : Damals wie heute wurde das Gros der täglichen Verwaltungsangelegenheiten nicht vom Staatsoberhaupt selbst und seinem Stab, sondern 225 Edikt über die Finanzen des Staats und die neuen Einrichtungen wegen der Abgaben u.s.w. vom 27. Oktober 1810, PrGS 1810, No. 3, S. 25. 226 Verordnung wegen der künftigen Behandlung des gesamten StaatsschuldenWesens vom 17. Januar 1820, PrGS 1820, No. 577, S. 9 (10, 15). 227 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 3 (67). 228 Bei diesen unteren Verwaltungsstellen handelte es sich insbesondere um Gutsherrn, Domänenpächter und Städte (vgl. Tn. 60). 229 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 94-99; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 19; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 55; v. Unruh, Subjektiver Rechtsschutz und politische Freiheit in der vorkonstitutionellen Staatslehre Deutschlands, 1969, S. 2. 230 Instruktion und Reglement Friedrich Wilhelm /. für das Generaldirectorium vom 20. Dezember 1722 (Fn. 56), S. 650 f., und bei Härtung (Fn. 56), S. 14 f.

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von unteren Behörden erledigt. Gegen Anordnungen dieser unteren Verwaltungsstellen wehrte sich der einzelne nicht mit einer Entschädigungs-, sondern mit einer Anfechtungsklage im heutigen Sinne 2 3 1 . § 38 Abs. 1 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 2 3 2 kannte Primär- und Sekundärrechtsschutz gleichermaßen. Nur deshalb wird verständlich, warum sich § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 2 3 3 später gezwungen sah, die „Wiederherstellung des früheren Zustandes" bei Eingriffen in Privatrechte auszuschließen. Ja, es gab sogar vorbeugende Unterlassungsklagen 2 3 4 . Dieser prozessuale Befund, der keinen Zweifel über die Existenz einer Gerichtsbarkeit über den vorbürgerlichen Staat läßt, gibt den materiellrechtlichen Hintergrund zu erkennen. Gegen Handlungen der Unterbehörden, die einen rechtswidrigen Eingriff in wohlerworbene Rechte in Form der Beschränkung oder Entziehung enthielten, standen dem einzelnen primäre Abwehransprüche zu, die auf Aufhebung und Rückgängigmachung der verwaltungsbehördlichen Anordnung gerichtet waren. (60) Diese untere Verwaltung wurde von adeligen Gutsherrn, Domänenpächtern oder Städten wahrgenommen 235 . Bei Klagen gegen Handlungen dieser unteren Verwaltungsstellen entstand die Frage, gegen wen sie zu richten waren, wer Gegner des Abwehranspruchs war. Alle Staatsgewalt war im absoluten Staat beim König konzentriert (§ 1 I I 13 ALR). Das hätte es nahegelegt, die Klage gegen den König selbst zu richten. Doch in der Identifikation des Königs mit seinen Unterbehörden lag rechtlich die Gefahr, seine landesgerichtliche Immunität, seine de facto bestehende Unrechtsunfähigkeit in Frage zu stellen. Politisch hätte sie das Anliegen des Landesherrn mißachtet, die „Mißgunst wegen unangenehmer Verwaltungsmaßnahmen" 236 nicht auf sich, sondern auf die verantwortliche Behörde zu lenken. Deshalb mußte ein weiterer Anspruchsgegner her, der sich von der Person des Monarchen unterschied und für das damalige Staatsverständnis 231

Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 95; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (7); ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 55-57, 117 f., 173. 232 Fn. 100. 233 Fn. 142. 234 Wie Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 95, nachgewiesen hat. 235 Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 55. 236 Fn. 65.

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annehmbar war. Man fand ihn in der handelnden Verwaltungsstelle selbst und in dem Gebilde des Fiskus. Dies wird noch näher auszuführen sein 2 3 7 . c) Störende Handlungen Dritter (61) Mehrpolige Konfliktlagen - in denen sich der einzelne durch eine Handlung eines anderen Privaten gestört fühlt, die durch den Staat ermöglicht, gefördert oder sonst (mit-)veranlaßt wird - waren dem ausgehenden 18. Jahrhundert alles andere als unbekannt 238 . Die Rechtsordnung des Polizeistaates erstreckte sich seit langem - entsprechend einer schon im Mittelalter zu beobachtenden Entwicklung - auch auf bauliche und gewerbliche Anlagen. Auch das Allgemeine Landrecht kannte einzelne Genehmigungsvorbehalte. So waren etwa, um nur einige Beispiele zu nennen, die Errichtung neuer und die Verlegung alter Feuerstätten (§ 69 I 8 ALR), die Anlegung von Blitzableitern und die Errichtung bestimmter Türen, die Zugang zu öffentlichen Straßen verschafften (§ 80 I 8 ALR), erlaubnispflichtig; daß das Landrecht es im übrigen bei einer Anzeigepflicht beließ (§ 67 I 8), erklärt sich aus der Möglichkeit weiterreichenden und vorrangigen 239 Ortsrechts 240 . Die gewerbliche Betätigung außerhalb zunftrechtlicher Bindungen setzte - als Ausnahme zur gesetzlichen Regel - ein Privileg voraus (§ 224 I I 8 ALR); § 410 I I 8 A L R deutete mit seinem allgemeinen Erlaubnisvorbehalt für die Anlegung einer Fabrik den systembrechenden Übergang zur allgemeinen Gewerbefreiheit außerhalb des Zunft- und Privilegiensystems im sich anbahnenden industriellen Zeitalter a n 2 4 1 . Wer eine Mühle errichten wollte, mußte dies, ungeachtet einer darüber hinaus etwa erforderlichen Mühlengerechtigkeit (§ 229 I I 15 ALR), der Polizeibehörde anzeigen und sich nach ihren Weisungen richten (§§ 231, 232, 235 I I 15 ALR). (62) Nicht alle Genehmigungsvorbehalte im weitesten Sinne waren Ausdruck des Prinzips präventiver Gefahrenabwehr unter Einschluß des Schut237

Tn. 72-79. 238 Allgemein zur Entwicklung mehrpoliger Konfliktlagen im vorbürgerlichen Staat Gönnenwein, Die Anfänge des kommunalen Baurechts, in: Kunst und Recht, Festschrift für Fehr, 1948, S. 71 (113-128); Kloepfer/Franzius/Reinert, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 8-29; Ρ reu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 14-22; v. Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Jeserich/ Pohl/v. Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, 1983, S. 388 (406 f.). 239

§ 21 Einl. ALR. Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 15 Fn. 6. 241 Zu dieser Bestimmung im einzelnen Willoweit, Gewerbeprivileg und „natürliche" Gewerbefreiheit, in: Scherner/Willoweit (Hg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, S. 60 (95-99). 240

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zes privater Drittrechte. Viele Vorbehalte dienten von ihrer Zweckbestimmung her zumindest auch der staatlichen Gewinn- und Einnahmeerzielung. Angesprochen sind die Regalien (Regalrechte, iura regalia). Ursprünglich sämtliche katalogisierten Hoheitsrechte des Regenten umfassend, wurde dieser vielschichtige Begriff mit der Ausbildung der neuzeitlichen Staatsgewalt, die unter dem Einfluß der Souveränitätsidee zunehmend unveräußerliche Kompetenzen entwickelte 2 4 2 , ausdifferenziert: Den unveräußerlichen und unteilbaren regalia maiora (essentialia) wurden die nutzbaren, verleihbaren und verpfändbaren regalia minora (accidentialia) gegenübergestellt, bis dann im 19. Jahrhundert die - nach heutigem Verständnis: öffentlichen - Hoheitsrechte ganz aus dem Regalienbegriff ausgeschieden wurden und dieser auf die nutzbringenden Rechte beschränkt wurde 2 4 3 . Diese Unterscheidung findet sich auch im Allgemeinen Landrecht, das bereits nur noch den Begriff der niederen Regalien verwendete (§ 24 I I 14) und im übrigen statt von höheren Regalien von Majestätsrechten sprach (§§ 5-16 I I 13). Mit den niederen Regalien, denen eine die Staatsgewalt durch die Sicherung der nötigen finanziellen Ressourcen flankierende Funktion beigemessen wurde, gelang es der Obrigkeit, nach und nach die Herrschaft über zahlreiche natürliche Ressourcen in dem Sinne zu gewinnen, daß bestimmte wirtschaftliche Nutzungen als vom Gemeingebrauch ausgenommene erlaubnispflichtige Sondernutzungen begriffen wurden (§ 26 I I 14 ALR). Die Nutzung von Straßen zu anderen Zwecken als dem Reisen und Fortbringen seiner Sachen (§ 8 I I 15 ALR), die Nutzung schiffbarer Ströme (§ 38 I I 15 ALR), die Fischerei (§ 73 I I 15 ALR) und die Jagd (§ 30 I I 16 ALR), die Post (§ 141 I I 15 ALR), die Errichtung von Mühlen an öffentlichen Flüssen (§ 229 I I 15 ALR) und die Anlegung von Bergwerken (§§ 69-71 I I 16 ALR) sind einige Beispiele der in Preußen anerkannten niederen Regal i e n 2 4 4 , bei deren Verleihung eine Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter denkbar war. (63) Ein Konflikt des Vorhabenträgers und der von seinem Vorhaben Betroffenen drohte sowohl bei den rein polizeilich als auch den erwerbswirt242 Tn. 75. 243 w e g e n e r > Regalien, in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, IV. Band, Sp. 472 (472-476). 244 Dieses landrechtliche Regalienverständnis kann nicht ohne weiteres auf die anderen Territorialstaaten übertragen werden. Deutlich wird dies insbesondere beim Mühlenregal (§§ 229-247 II 15 ALR), zu dem im zeitgenössischen Schrifttum betont wurde, aus der Notwendigkeit der Einholung einer polizeilichen Erlaubnis könne kein Mühlenregal abgeleitet werden (.Mittermaier; Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Erste Abtheilung, 4. Aufl. 1830, § 239a, S. 641 f.), das Recht, Mühlen anzulegen, könne aber nach der besonderen Verfassung einzelner Länder zu den Hoheitsrechten gehören (v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Dritter Theil, 2. Aufl. 1803, S. 462 f.; Hervorhebung hier). 6 Malmendier

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schaftlich motivierten Handlungsverboten; eine Schmälerung erworbener Rechtspositionen Dritter drohte schließlich auch bei der Bewilligung von Privilegien und Dispensationen 245 . Wie verbreitet dreipolige Konfliktlagen auch in der vorindustriellen Gesellschaft des Ancien Régime waren, kann etwa anhand der minutiösen landrechtlichen 246 Regelung des Mühlenbaus dargestellt werden, die sich der typischen nachbarlichen Interessenkonflikte annahm. Wie bereits erwähnt 2 4 7 , setzte das Betreiben einer Wassermühle an einem öffentlichen Fluß eine obrigkeitliche Nutzungsverleihung voraus, überdies bedurfte es der Mitwirkung der Polizeibehörde bei Neuerrichtungen oder Änderungen. Windmühlen sowie Wassermühlen an privaten Rüssen konnte jeder als Ausfluß seines Eigentums anlegen, doch durften dadurch keine Befugnisse Dritter geschmälert werden (§§ 233 f. I I 15 ALR). Um die Verletzung von Rechten Dritter zu verhindern, - neben der Verhütung gemeinschädlicher Anlagen war dies die zweite Funktion des polizeilichen Instrumentariums 248 - , mußte der Mühlenberechtigte sein Vorhaben der Polizeibehörde anzeigen, ihr den Bauplan vorlegen und ihre weiteren Anweisungen abwarten (§ 235 I I 15 ALR). Das verfahrensrechtliche Erfordernis des § 236 I I 15 ALR, das die Polizeibehörde vor Erteilung der Erlaubnis verpflichtete, „die benachbarten Mühlenberechtigten, und Andre, welchen durch den neuen Bau, oder durch die Abänderung, Schaden erwachsen könnte", anzuhören, verdeutlicht, daß Positionen Dritter zum tatbestandlichen Prüfungsmaßstab und zu rechtlich geschützten Positionen, Rechtspositionen, wurden: Die Polizeibehörde mußte die Erlaubnis versagen, wenn durch den Mühlenbau Drittbefugnisse geschmälert wurden 2 4 9 . Typischerweise wiederkehrende Konfliktlagen waren in den §§ 237 f. I I 15 ALR zu drittschützenden Versagungstatbeständen verselbständigt, insbesondere war nach letzterer Vorschrift der Mühlenbau unzulässig, wenn dadurch den schon vorhandenen Mühlen das zu ihrem Betrieb erforderliche Wasser entzogen oder zu ihrem Nachteil zurückgestaut wurde. Über diese beiden Versagungsgründe war gemäß § 239 I I 15 A L R auf Widerspruch des Nachbarn - handelte es sich bei den Mühlengerechtigkeiten und -erlaubnissen um wohlerworbene Rechte und demgemäß bei Streitigkeiten über die Behinderung dieser Nutzungsrechte um Justizsachen - der Rechtsweg eröffnet, wobei sich, wie noch zu zeigen sein wird, die Klage 245

Zum Begriff Tn. 38. Zur Rechtslage in anderen Ländern v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Dritter Theil, 2. Aufl. 1803, S. 465 f. 247 Tn. 61. 248 V. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Dritter Theil, 2. Aufl. 1803, S. 463; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Erste Abtheilung, 4. Aufl. 1830, § 293a, S. 641. 249 Weitere Einzelheiten und Belege aus dem zeitgenössischen Schrifttum unter Tn. 65. 246

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nicht etwa gegen die Polizeibehörde, sondern gegen den Vorhabenträger richtete. Polizeiliche Regelungen in den §§ 243-247 I I 15 A L R sicherten durch ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme ein gedeihliches Nebeneinander mehrerer Nutzungen auf engerem Raum und waren Ausdruck eines störungspräventiven Schutzes privilegierter Anlagen. Mit der Freigabe des Müllergewerbes durch die preußische Reformgesetzgebung des beginnenden 19. Jahrunderts 250 konnten mehrpolige Konfliktlagen zwischen Privaten in einem öffentlichrechtlich geregelten Raum nicht abnehmen. Das Edikt wegen der Mühlen-Gerechtigkeit, und Aufhebung des Mühlen-Zwangs, des Bier- und Branntwein-Zwangs in der ganzen Monarchie, vom 28. Oktober 1810, das, wie das Landrecht, auf ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt setzte (§ 5 Abs. 2), regelte in § 8 Abs. 1 einen zweigliedrigen Versagungstatbestand, der die Versagung der Mühlenerlaubnis einerseits im öffentlichen Interesse (lit. a), andererseits auch bei der Verletzung nachbarlicher „Rechte" (lit. b i.V.m. § 7 2 5 1 ) kannte. Das wirtschaftspolitische Anliegen, Vorhabenträgern, modern gesprochen, Investitionssicherheit zu garantieren, mündete allerdings in einer „präclusivischen" achtwöchigen Widerspruchsfrist (§ 7 Abs. I ) 2 5 2 und im Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges gegen die Entscheidung der Genehmigungsbehörde (§ 8 Abs. 1). Hierin wurden die für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts typische Zurückdrängung entwicklungshinderlicher subjektiver Abwehrrechte und die Ausbildung der Administrativjustiz schon sehr frühzeitig siehtbar 2 5 3 . (64) Beeinträchtigungen Dritter, die durch erlaubnisfreie Nutzungen hervorgerufen wurden, konnten, auch wenn Polizeigesetze die Nutzungsausübung näher reglementierten, nach damaligem Verständnis mangels staatlicher Mitwirkung von vornherein der Obrigkeit nicht zugerechnet werden, so daß Konflikte zwischen Vorhabenträger und -nachbarn als zwischen diesen Betroffenen auszutragende Angelegenheit aufgefaßt wurde. Natürlich konnte sich der Dritte mit der Bitte an die Obrigkeit wenden, sie möge gegen den Vorhabenträger einschreiten. Ein weitergehendes Problembewußtsein, ob nicht zwischen dem Nachbarn und der Behörde hinsichtlich dieses drittbelastenden Einschreitens ein Rechtsverhältnis anzunehmen war, 250

Edikt wegen der Mühlen-Gerechtigkeit, und Aufhebung des Mühlen-Zwangs, des Bier- und Branntwein-Zwangs in der ganzen Monarchie, vom 28. Oktober 1810 (PrGS 1810, No. 10, S. 95-97). 251 Daß sich § 8 S. 1 lit. b des Ediktes auf § 6 (und nicht auf § 7) bezog, dürfte auf einen Druckfehler zurückzuführen gewesen sein. 252 Diese Präklusionsfrist wurde von den Gerichten zugunsten der Müller sehr großzügig gehandhabt und sollte sogar dann eingreifen, wenn die Mühlenerlaubnis nach dem Wortlaut des Bescheides „unbeschadet Rechte Dritter" erteilt wurde (PrOTE 7, 188-202). 253 Dazu eingehend Tn. 134-151. *

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ist im zeitgenössischen Schrifttum, soweit ersichtlich, indessen nicht festzustellen. Die Verletzung nachbarlicher Rechtspositionen ließ gegen den Vorhabenträger gerichtete Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche entstehen, die man nach heutigem Begriffsverständnis als privatrechtliche bezeichnen würde und deren privatrechtliche Natur man gegenwärtig besonders deutlich beim Rückzug des Staates aus einst ordnungsrechtlichen Materien, die ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt kannten, etwa bei der Entstaatlichung („Privatisierung") des Bauordnungsrechts durch die Umwandelung der Baugenehmigungspflicht in eine gesetzliche Genehmigungsfreistellung, beobachten kann 2 5 4 . Solche Konfliktlagen wurden denn auch in zeitgenössischen Darstellungen des Privatrechts eingehend erörtert 255 . (65) Bedurfte das Vorhaben hingegen einer obrigkeitlichen Zulassung im weitesten Sinne und hätte diese Zulassung zu einer Beeinträchtigung wohlerworbener Rechte Dritter geführt, durfte es nicht zugelassen werden. Dies ergab sich teils, wie eben gezeigt, aus der positiven Rechtsordnung, im übrigen folgte es aus der Garantie wohlerworbener Rechte. Die Drittschutzrichtung der iura quaesita galt nicht nur gegenüber Erlaubnissen, sondern ebenso gegenüber Privilegien 2 5 6 und der Verleihung von Nutzungsrechten 2 5 7 . Gleichwohl scheint nicht jede durch den begünstigten Privaten vermittelte Beeinträchtigung wohlerworbener Rechte Dritter infolge der Zulassung einer Anlage, eines Vorhabens oder einer sonstigen Tätigkeit durch die Obrigkeit dieser als von ihr zu verantwortender Zustand zugerechnet worden zu sein 2 5 8 . Die Zurechenbarkeit und damit Verantwortlichkeit der unteren staatlichen Behörden hing vom Regelungsgehalt der Zulassung ab. Während der Verleihung eines Privilegs eine für den Begünstigten konstitutive (auch: dritt-)gestaltende Wirkung beigemessen wurde, - die übrigen Untertanen mußten nach dem zeitgenössischen Verständnis das Privilegium wie ein Gesetz betrachten und durften nichts unternehmen, wodurch der 254 Dazu statt vieler Simon, Die neue Bayerische Bauordnung aus der Sicht der Praxis, BayVBl. 1994, 332 (336 f.). 255 Exemplarisch Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Erste Abtheilung, 4. Aufl. 1830, §§ 293-294. 256 Svarez, Privatrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 215 (239-242); v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 9 S. 288); Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 183 f.; Gönner, Teutsches Staatsrecht, 1804, § 294, S. 463. 257 V. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Dritter Theil, 2. Aufl. 1803, S. 463; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Erste Abtheilung, 4. Aufl. 1830, § 293a, S. 641. 258 Wie Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 20 f., allerdings nur mit Belegen aus dem zeitgenössischen Schrifttum, eingehender dargelegt hat.

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Begünstigte in der Ausübung seines Privilegs gestört worden wäre 2 5 9 - bescheinigten Konzessionen und Erlaubnisse lediglich die materielle Legalität des Vorhabens, seine Übereinstimmung mit Policeybestimmungen und wohlerworbenen Rechten Dritter 2 6 0 , und beließen es im übrigen bei den aus dem Eigentum fließenden Nutzungsmöglichkeiten (§ 65 I 8 ALR), ohne diese selbst erst zu schaffen. Bei solchen deklaratorischen Zulassungen blieben Drittrechte erhalten und wurden erst durch den Begünstigten gestört. Nicht die Obrigkeit, sondern der Private war nach diesem Verständnis verantwortlich und mußte folglich verklagt werden 2 6 1 . Anders bei den (stets) privatrechtsgestaltenden Privilegien. Doch soll auch hier, trotz der Legalisierungswirkung, - nach Wahl des betroffenen Dritten - der private Störer passivlegitimiert gewesen sein 2 6 2 ; dies mag folgenorientiert bei der Erteilung des Privilegs durch den Landesherrn selbst befürwortet worden sein, um Rechts(schutz)lücken zu schließen, zumal die Bewilligung von Privile259

V. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 7 S. 287); Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 274. 260 Zulassungen im weitesten Sinne waren im Gegensatz zur Erteilung eines Privilegs nicht Ausfluß der Gesetzgebungskompetenz, sondern der Oberaufsicht (dazu bereits Tn. 48). Der Regent dispensierte nicht vom Gesetz, sondern „bestätigte" die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Gesetz (v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin [Hg.], Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 [§ 2 S. 284]). 261 Kloepfer/Franzius/Reinert, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 27 Fn. 110; Preu y Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bauund Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 21. Aus der zeitgenössischen Literatur v. Bülow/Hagemann, Practische Erörterungen aus allen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, Vierter Band, 1804, S. 8-19, mit Jurisdiktionsnachweisen, die dem Benachbarten die „Actio negatoria" zuerkennen; wenn Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Erste Abtheilung, 4. Aufl. 1830, § 294, S. 642, jedem Mühlenerbauer riet, die Beiziehung sämtlicher Interessenten, die am betroffenen Wasser Nutzungen haben, nicht zu versäumen, um späteren Streitigkeiten auszuweichen, so machte dieser Rat insbesondere dann Sinn, wenn der Vorhabenträger mit einer gegen ihn gerichteten Klage rechnen mußte. Wenn v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 9 S. 288 f.) hervorhob, bei wohlerworbene Rechte Dritter beschneidenden Privilegien sei die Beschwerde im Wege Rechtens gegeben, die - je nach dem, ob Kaiser oder Landesfürst das Privileg erteilte - entweder bei den höchsten Reichsgerichten oder bei den reichsständischen Gerichten zu erheben war, so trug er dem Umstand nicht hinreichend Rechnung, daß in vielen Territorialstaaten die gesetzgebende Gewalt des Regenten nicht justitiabel war. 262 Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 20; auch Kloepfer/Franzius/Reinert, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 28, gehen davon aus, daß der Dritte gegen die seine Rechte verletzende Privilegienerteilung vorgehen konnte, führen allerdings nicht aus, wie dies möglich war, - durch Verklagen der Obrigkeit oder des Vorhabenträgers.

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gien wegen ihrer Strukturverwandschaft zur Gesetzgebungskompetenz ein Majestätsrecht war ( § 7 I I 13 ALR), so daß berechtigterweise die Frage entsteht, ob Streitigkeiten über die Privilegienerteilung mit unteren Behörden überhaupt denkbar waren 2 6 3 . Auffällig ist jedenfalls, daß dieses dualistische, strikt zwischen privatem Eigentum und öffentlicher Baupolizei unterscheidende Verständnis Nachwirkungen in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu Nachbarklagen im Spätkonstitutionalismus zeigte 2 6 4 .

3. Die Fiskustheorie (66) Die heutige Deutung des Fiskus als neben die Obrigkeit tretende Privatperson, gegen die der Untertan Ersatzansprüche geltend machen konnte, während er im übrigen - gegenüber der hoheitlich handelnden Staatsgewalt - rechtlos war, ist auf Otto Mayer zurückzuführen 265 . Seine Auffassung prägte bis in die heutige Zeit ein Bild der Rechtlosigkeit gegenüber dem Obrigkeitsstaat, das gemeinhin mit dem Terminus „Fiskustheorie" umschrieben w i r d 2 6 6 . Von der Vorstellung gefesselt, daß die Untertanen im absolutistischen Polizeistaat gegen alle hoheitlichen Anordnungen rechtlos waren und die obrigkeitlichen Machtsprüche anzunehmen hatten, sah er in der Erfindung des Fiskus als neben den Hoheitsträger tretende juristische Person des Privatrechts die Möglichkeit, den Untertanen Rechtsansprüche 263 Svarez, Privatrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 215 (240), betonte, die Erteilung eines Privilegii sei eine Handlung der gesetzgebenden Macht, „welche von niemandem als dem Landesherrn ausgeübt werden kann"; auch v. Florencourt, Privilegium, in: Häberlin (Hg.), Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Theil, 1795, S. 283 (§ 3 S. 284), hob hervor: „Nur der Regent kann Privilegien ertheilen". 264 Tn. 361-365. 265 Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 48-54. 266 Boehmer; Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Erstes Buch, 1950, S. 182 f.; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1993, Rn. 91 zu § 2; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 75 f.; Evers, Verfassungsrechtliche Bindungen fiskalischer Regierungs- und Verwaltungstätigkeit, NJW 1960, 2073 (2075); Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 33 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 10. Aufl. 1973, S. 112; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 3 f. zu § 2; Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunfähigkeit des Staates, 1977, S. 85; Lassar, Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht, 1921, S. 3 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, Rn. 4 zu § 2; Merk, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 8 (1950), S. 154 (155); Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil, 1956, S. 61; Neusser, Fiskus, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, I. Band, 1971, Sp. 1137 f.; Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 61 f.; Zeidler, Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, VVDStRL 19 (1961), S. 208 (221-225).

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zu sichern 267 . Der Staat erwies sich als Januskopf: Er setzte sich aus dem Hoheitsträger und dem Fiskus zusammen, die je für sich Rechtsfähigkeit besaßen. Der Souverän konnte alles, aber nicht ohne Entschädigung. Der de iure bestehenden unbegrenzten Machtbefugnis der Obrigkeit wurden mit dem Fiskus empfindliche Fesseln angelegt 268 . Der Fiskus wurde so zum „Prügeljungen für den Staat" 2 6 9 . Alle Garantie der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaat lief auf den Satz hinaus: Dulde und liquidiere 210. Das „Dulde" entspricht dem öffentlichrechtlichen Imperium, das „Liquidiere" dem privatrechtlichen Dominium. Auf eine (Alles-und-Nichts-)Formel gebracht: Der Polizeistaat kannte keine Primäransprüche des Untertans gegen den Hoheitsträger, sondern nur Sekundäransprüche gegen den Fiskus.

a) Otto Mayers „Dulde und liquidiere" (67) Nach dieser auf Otto Mayer zurückgehenden Konzeption lag die eigentliche Bedeutung der Lehre vom Fiskus in ihrer materiellrechtlichen Funktion. Mit der Erfindung einer juristischen Person des Privatrechts, die als gewöhnlicher Privatmann, selbst Untertan 271 , neben den Landesherrn trat, wurde ein Haftungssubjekt zugunsten des Untertans begründet, das den Entzug wohlerworbener Rechte finanziell ausgleichen konnte. Nicht der Monarch, sondern der Fiskus schuldete den Ausgleich. Diese Rechtsfähigkeit des Fiskus hatte verfahrensrechtliche Auswirkungen, indem der Staat durch den Fiskus parteifähig wurde und so vor den ordentlichen Gerichten verklagt werden konnte. (68) Für Otto Mayer hing, dies sei klarstellend bemerkt, die Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs nicht mit der Aufspaltung des Staates in eine doppelte Persönlichkeit zusammen. Für ihn war die Lehre vom Fiskus nicht zugleich (ungeschriebene) Grundlage für die zu leistende Entschädigung, sie hatte neben der Schaffung eines Haftungssubjektes keine weitere materiellrechtliche Bedeutung als Anspruchsgrundlage 272 Der Entschädigungsanspruch, wie er später in § 75 Einl. A L R positiviert wurde, war ein seit jeher geltender und - bis in die Gegenwart 273 - selbstverständlicher 267 268

(221). 269

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 53. Zeidler, Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, VVDStRL 19 (1961), S. 208

Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Zweiter Band, 2. Aufl. 1912, S. 501. 0. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 53 Fn. 27. 271 O. Mayer, a.a.O., S. 51: „Der Fiskus ist Untertan". 272 Der Fiskus sei „kraft zivilrechtlichen Rechtssatzes" zur Entschädigung verpflichtet (O. Mayer a.a.O., S. 53). 273 Seit dem „Naßauskiesungs-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 58, 300-353) will der Bundesgerichtshof die Rechtsgrundlage für Ent270

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Grundsatz des gemeinen deutschen Gewohnheitsrechts 274 , der im Landrecht lediglich wiederholt wurde 2 7 5 . Die Entschädigungspflicht folgte aus der Garantie der iura quaestio 276: Nach den naturrechtlichen Lehren hatte der Untertan im Gesellschaftsvertrag lediglich auf sein Recht, nicht auf dessen Wert verzichtet 277 . Die Fiskustheorie machte diesen allgemeinen Rechtsgrundsatz und später den § 75 Einl. ALR, die eigentlichen Anspruchsgrundlagen, nur für die absolutistische Staatsform annehmbar, indem sie die Unfehlbarkeit der selbstherrlichen Regenten durch die Erfindung eines minderwertigen Anspruchsgegners und Schuldners klarstellte. Anspruchsbegründende Bedeutung hatte sie nicht.

schädigungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs - wieder - im allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der über 200 Jahre alten §§ 74 und 75 Einl. ALR erblicken (BGHZ 90, 17 [29 f.]; 91, 20 [27 f.]). Die Anknüpfung an das Allgemeine Landrecht in staatshaftungsrechtlichen Entscheidungen ist nicht neu. Bereits in den ersten Jahren seiner Tätigkeit hatte das Gericht die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 140, 276 [283]) aufgegriffen, die Enteignung nur als einen Sonderfall der Aufopferung behandelt und Betroffenen infolgedessen unter Zugrundelegung der ratio legis der §§ 74, 75 Einl. ALR einen Entschädigungsanspruch für - rechtmäßige oder rechtswidrige - Eingriffe mit enteignenden oder aufopfernden Wirkungen zugesprochen (BGHZ, GrS 6, 270 [275 f., 290 f.]; 9, 83 [85 f.]; GrS 13, 88 [90 f.]). Bedenkt man diese langjährige reichsund bundesgerichtliche Tradition, wird verständlich, daß die Grundlage des Entschädigungsanspruchs nicht so sehr in einer „entsprechenden Anwendung" (BGHZ, GrS 13, 88 [90]) der über 200 Jahre alten und längst außer Kraft getretenen, dazu auch noch auf Preußen begrenzten Bestimmungen des Landrechts, sondern in einer langjährigen, richterrechtlich geprägten Spruchpraxis zu sehen ist. Die in der Rechtsprechung immer wieder bemühten §§ 74, 75 Einl. ALR zeugen also nicht von einem übertriebenen Positivismus, sondern stützen im Gegenteil einen couragierten Akt richterlicher Rechtsschöpfung ab. 274 Exemplarisch Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 382-385. 275 Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 177; v. Gerlach, Das Fortleben des Preußischen Allgemeinen Landrechts in der heutigen Rechtsprechung, in: Wolff (Hg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht, 1995, S. 265 (267 f.); Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 174, 177 f.; Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 323-325, 330 f. 276 Lübbe-Woljf, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (109); Pirson, Jura quaesita, in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, II. Band, 1978, Sp. 472 (474); Städter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 60 f. 277 Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 168; J. Kohl, Die Lehre von der Unrechtsfähigkeit des Staates, Ein Beitrag zur Dogmatik des öffentlichen Ersatzleistungsrechts, 1977, S. 83; Städter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 60.

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat b) Eine rechtsgeschichtliche

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Legende

(69) Daß Otto Mayers Vorstellungen den viel komplexeren geschichtlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden, geht bereits aus den Ausführungen zur Unrechtsunfähigkeit (nur) des Königs hervor 2 7 8 : aa) Das differenzierte Anspruchssystem des absoluten Staates (70) Die pauschale Annahme, dem absolutistischen Staate gegenüber habe es keine primären Abwehransprüche, sondern nur sekundäre Entschädigungsansprüche der Untertanen gegeben, läßt sich in dieser Allgemeinheit nicht halten. Wie gezeigt 2 7 9 , betraf die Rechtlosigkeit des Untertans nur die eigentlichen Anordnungen des Monarchen selbst, während sich der einzelne gegen (die sehr viel häufigeren) Verfügungen der Unterbehörden zur Wehr setzen und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit ihre Aufhebung verlangen konnte. Die Fiskustheorie Otto Mayers ist also nur insofern richtig, als es gegen - stets rechtmäßige - Hoheitsakte des Landesherrn selbst keine Abwehrrechte gab. Nur insoweit galt der Satz „Dulde und liquidiere" 2 8 0 . (71) Gegen Verfügungen der Unterbehörden konnte sich der Untertan nicht nur zur Wehr setzen. Er mußte es auch. Der Entschädigungsanspruch, wie er später in § 75 Einl. ALR seine Positivierung erfuhr, wurde nur bei rechtmäßiger Entziehung wohlerworbener Rechte gewährt. Daß die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs war, ergab sich aus § 74 Einl. ALR, an den § 75 unmittelbar anknüpfte. Nur im Falle einer Kollision der wohlerworbenen Rechte mit dem gemeinschaftlichen Wohl mußte der einzelne zurücktreten. Die Rechtslage war also im absolutistischen Staat nicht anders als heute, wie sie das Bundesverfassungsgericht im „Naßauskiesungs-Beschluß" deutlich hervorgehoben h a t 2 8 1 : Nur im Falle der Rechtmäßigkeit der Entziehung trat an die Stelle der Bestandsgarantie eine Weitgarantie 282 . bb) Die Einheit des Staates (72) Der eigentliche Einwand gegen Otto Mayers Fiskustheorie geht jedoch gegen die Deutung des Fiskus als bloßen Trägers staatlichen Vermögens, als juristisch in der Form des Privatrechts verselbständigten Porte278 279 280 281 282

Tn. 48-58. Tn. 59 f. Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 174. BVerfGE 58, 300 (323). Tn. 58.

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monnaies des Monarchen. Neuere rechtsgeschichtliche Untersuchungen zeigen nämlich, daß der Staat als Klagegegner im Rubrum von Urteilen durchweg als „Fiskus" unabhängig davon bezeichnet wurde, ob vor den Kammerkollegien oder vor den ordentlichen Gerichten gestritten wurde und unabhängig davon, ob es um Primär- oder um Sekundärrechte ging 2 8 3 . Diese Bezeichnung des Staates als Fiskus in Rechtsstreitigkeiten, in denen es nicht um Entschädigung, sondern um die Kassation einer verwaltungsbehördlichen Anordnung ging, also in Prozessen, die den heutigen Anfechtungsklagen vergleichbar sind, zeigt, daß der Fiskusbegriff in einem sehr viel weiteren Sinne verstanden wurde als dem eines bloßen Trägers staatlichen Vermögens 284 . Der Staat war Fiskus nicht nur in seiner Eigenschaft als Schuldner einer Aufopferungsentschädigung, sondern auch als Inhaber obrigkeitlicher Befugnisse. Er war Schuldner nicht nur als Vermögenssubjekt, sondern auch als Hoheitsträger. Nicht die Gegenüberstellung des Staates als Träger von öffentlichen Hoheitsrechten einerseits und von privatem Vermögen andererseits, sondern die Gegenüberstellung des Landesherrn einerseits und des Fiskus andererseits ist zutreffend 285 . Die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht war für die Kennzeichnung des Fiskus ohne Bedeutung. Im absolutistischen Preußen war der Begriff des Fiskus mit dem des Staates identisch, sofern nicht der Monarch persönlich handelte 286 . Wenn dem Untertan Primär- oder Sekundäransprüche gegen den Staat zustanden, waren dies solche gegen den Fiskus, nicht gegen den Monarchen. Diese Abgrenzung des absoluten Herrschers von seinen Unterbehörden wurde schon in der Allgemeinen Ordnung vom 21. Juni 1713, die Verbesserung des Justitz-Wesens betreffend, besonders deutl i c h 2 8 7 . Dort verordnete Friedrich Wilhelm /. die Justitiabilität aller Streitigkeiten zwischen seinem „Fisco" und den Staatsuntertanen und hob sich so von seinen Unterbehörden a b 2 8 8 . 283 Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (10 Fn. 36); ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 63 (mit Beispielen). 284 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 76; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 63. 285 Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 172. 286 Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 203-228; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 63. 287 CCM, II. Theil, I. Abtheil, No. CXXXI, Sp. 517-550. 288 A.a.O., Sp. 518 f.: „So meinen und verordnen Wir wohlbedächtlich I. Daß in allen Dingen und rechtlichen Handelungen zwischen Unserem Fisco an einer und zwischen Unseren Vasallen und Unterthanen an der anderen Seite, es sey der Fiscus selbst Actor oder Accusator, oder zur Assistentz denen Denuncianten zugegeben,

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(73) Dieses weite Verständnis vom Fiskus erklärt auch die Benennung einer für den Polizeistaat besonders charakteristischen Behörde, des ins 15. Jahrhundert zurückgehenden und 1809 aufgelösten Fiskalats 2* 9. Der Begriff des Fiskals dürfte aus dem französischen fiscal in die deutsche Rechtssprache eingeflossen sein 2 9 0 . Ursprünglich waren die einzelnen Fiskale, die 1704 dem Generalfiskal in Berlin unterstellt wurden, Vertreter der Vermögensinteressen des Landesherrn 291 . Doch bald entwickelte sich ihre Stellung - entsprechend der Lage in Frankreich 292 - zu einem umfassenden Gesetzeswächteramt, das als „alter ego des Königs" und Vertreter des öffentlichen Interesses sowohl gegenüber Behörden als auch gegenüber Untertanen über die Befolgung der landesherrlichen Anordnungen wachte 2 9 3 . Aufgabe des Fiskalats als Auge und Ohr des Königs wurde die allumfassende Auf-

insonderheit, wann Unser Interesse auf einigerley Weise dabey waltet, Unsere Judicia und Commissiones sich an dasselbe nicht binden, sondern lediglich die Justitz, als auf welche Sie geschworen und beeydiget seyn, zum Augenmerck haben sollen, ohne an darwieder lauffende Verordnungen, als welche allezeit vor erschlichen und mit dieser Unserer emstlichen Willens-Meinung streitend, zu halten, im mindesten sich zu kehren, und ohne sich dadurch von denen Wegen der Gerechtigkeit ablencken zu lassen [...]". 289 Die Kompetenzen des Fiskalats erschließen sich aus zahlreichen verstreuten landherrlichen Anordnungen, u.a. dem Reskript vom 30. Mai 1707, vermittelst dessen dem Ober-Appellations-Gerichte communiciret wird, was an den General-Fiscal Duhram wegen seiner Verrichtung bey demselben, rescribiret worden (CCM, II. Th., IV. Abth., No. XIX, Sp. 27-32), der Neu-verfaßten Cammer-Gerichts-Ordnung, in der Chur- und Marek Brandenburg, vom 1. März 1709 (CCM, II. Th., 1. Abth., No. CXIX, Sp. 357-500) und dem Edict vom 1. März 1748, wornach sich sämtliche Justiz-Collegia, in Beachtung Königlicher Befehle, Verordnungen und Reglements, nicht minder die Fiscäle in Ansehung ihres dabey concurrierenden Amts zu verhalten haben (CCM, Continuatio IV., No. IX, Sp. 35-38). 290 Zu den officiers de seigneurie, insbesondere den procureurs fiscaux, im Recht des Ancien Régime M. D. Dalloz Ainé/A. Dalloz, Répertoire méthodique et alphabétique de législation, de doctrine et de jurisprudence, Tome Trente-huitième, Nouvelle éd. 1857, p. 352 et 360 s.; Gallet , Officiers de seigneurie, dans: Bély, Dictionnaire de l'Ancien Régime, 1996, p. 927; ders., Justice seigneuriale, cf. supra, p. 715 s.; Lefèvre, Les avocats du roi, 1912, p. 10 s. Aus dem zeitgenössischen, vorrevolutionären Schrifttum Jousse, Traité de l'administration de la justice, Tome Premier, 1771, p. 630, wonach es zu den Aufgaben dieser Bediensteten gehörte, „à poursuivre la Manutention et l'Exécution des Lois et Ordonnances du Royaume, dans l'étendue de leurs Sièges; à procurer la sûreté publique, la punition des Crimes et la tranquillité des sujets du Roi, à veiller aux intérêts du Roi, à ceux du Public, des mineurs et autres personnes qui ne peuvent défendre leurs droits par elles-mêmes; à faire à ce sujet toutes réquisitions convenables; à poursuivre la vengeance des crimes"; siehe ferner p. 715-718. 291 Eb. Schmidt, Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates, 1980, S. 93. 292 Dazu bereits die Nachweise in Fn. 290. 293 Eb. Schmidt, Fiskalat und Strafprozeß, 1921, S. 136 f.

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sieht staatlicher Befehle, die sich auf die gesamte innere Verwaltung, die Strafrechtspflege, das Beamtentum und das staatliche Vermögen erstreckte, um die Aufmerksamkeit des Königs und damit der Gesetzgebung auf Mißstände zu lenken 2 9 4 . Die Fiskale hatten „auf Unsere hohe Regalia, Jura, und alle andere Uns zustehende Befugnisse und Gerechtsame, genaue Achtung zu geben, Unseren Nutzen und Frommen [...] zu suchen, und zu fodern, Schaden, Nachtheil und Gefahr zu verhüten, und demselben vorzukomm e n " 2 9 5 . Dem Generalfiskal wurde schon im beginnenden 18. Jahrhundert aufgetragen, Prozesse in seinem Namen zu führen 2 9 6 , was verdeutlicht, daß sich Abwehransprüche einzelner in der täglichen Rechtspraxis gegen ein vom Landesoberhaupt abgehobenes staatliches Gebilde richteten. (74) Zu dieser Weite verhalf dem Fiskus im preußischen Absolutismus auch das Regalienwesen 291. Eher unscheinbar rechnete § 1 I I 14 A L R entsprechend dem zeitgenössischen Verständnis auch die „Staatseinkünfte [...] aus nutzbaren Regalien" zum Begriff des Fiskus. Anspruchs- und Klagegegner in Regalienstreitigkeiten war in der preußischen Gerichtspraxis deshalb der Fiskus 2 9 8 . Welches Ausmaß der Fiskusbegriff durch die Einbeziehung der Regalien erhielt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß zahlreiche Zweige der heutigen Verwaltung, insbesondere der Wirtschaftsund Umweltverwaltung, damals zu den Regalien gerechnet wurden, die durch staatliche Nutzungsvorbehalte gekennzeichnet waren. Diese Verwaltungszweige wurden fiskalisch überlagert. Nicht nur die Einnahmen aus den nutzbaren Regalien, sondern auch ihre Verwaltung im weitesten Sinne waren Aufgabe des Fiskus (§§ 24-34 I I 14 ALR). Die niederen Regalien wurden zwar gerade nicht als Ausfluß der Souveränitätsidee aufgefaßt und sollten in der sich anbahnenden heutigen Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatrecht bald letzterem Rechtsgebiet zugeordnet werden 2 9 9 . Bis zu dieser Entwicklung im 19. Jahrhundert blieb aber das Regalienwesen neben erwerbswirtschaftlichen Aspekten auch von öffentlichen Interessen 294 Knolle, Fiskalat, in: Erler/Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, I. Band, 1971, Sp. 1134; Eb. Schmidt, Fiskalat und Strafprozeß, 1921, S. 114 f., 136-146. 295 § 1 der Cammer-Gerichts-Ordnung vom 1. März 1709 (Fn. 289), Sp. 387. 296 Rescript vom 30. Mai 1707 (Fn. 289), Sp. 30 f. 297 Dazu bereits Tn. 62. 298 Siehe etwa die Entscheidung der Jurisdictionscommission vom 10. Januar 1781, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten 8 (1791), S. 259-260 (S. 259 wird in den Annalen aufgrund eines Druckfehlers fälschlich mit S. 170 angegeben). Die Fundstelle verdanke ich den Recherchen Rüfners, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (10 Fn. 36), dort auch m.w.N. 299 Tn. 62.

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beherrscht. Zum einen wurde den niederen Regalien eine Hilfsfunktion im Hinblick auf die eigentlichen staatlichen Kompetenzen zugemessen, die darin lag, die nötigen finanziellen Ressourcen für diese Aufgaben sicherzustellen. Neben diesem finanz- und wirtschaftspolitischem Hintergrund beherrschten aber auch aufsichtsrechtliche Gesichtspunkte die Verleihung und Verwaltung der Nutzungsrechte. Die Hilfsfunktion der niederen Regalien und die noch nicht vollzogene Trennung zwischen hoheitlichen Aufsichtsbefugnissen und fiskalprivatrechtlichen Erwerbsmöglichkeiten führten bei der Verwaltung staatlicher Nutzungsrechte zur Verzahnung öffentlicher und privater Gesichtspunkte im heutigen Sinne. Das obrigkeitliche Verleihungsund Aufsichtsermessen wurde nicht nur durch finanzielle Erwägungen, sondern auch durch ordnungsrechtliche sowie wirtschafts- und umweltpolitische Aspekte motiviert. Auch durch diese Verzahnung privater und öffentlicher Interessen erhielt der Fiskus den Charakter einer umfassenden Aufsichtsbehörde, die dem einzelnen eben doch weitaus mehr als ein Privatmann gegenübertrat. (75) Der Fiskus im absolutistischen Preußen des 18. Jahrhunderts war ein erster Schritt zur Verselbständigung des Staates als juristischer Person und seiner Unterscheidung von der natürlichen und de facto unrechtsunfähigen Person des Monarchen. Er zeugte von dem sich im aufgeklärten Absolutismus anbahnenden, wenn auch nicht vollendeten Dualismus zwischen Staat und Souverän, der Absage an das „L'État c'est moi" und den Bestrebungen Friedrichs des Großen als Diener eines auch ihm übergeordneten Wesens, den Staat über seine Person zu stellen und das Verhältnis zwischen Staat und Monarch organschaftlich zu erklären 300 , wie sie später auch im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten Ausdruck fanden 3 0 1 . 300

Achterberg, Strukturen der Geschichte des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, DÖV 1979, 737 (738); Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598 (608); ders., Deutsche Rechtsgeschichte, Band II, 1966, S. 235; Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (27 f.); ders., L'État c'est moi, HZ 169 (1949), 1 (27 f.); Hattenhauer, Das ALR im Widerstreit der Politik, in: Merten/Schreckenberger (Hg.), Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 27 (43); E. Klein, Der preußische Absolutismus, in: Dietrich (Hg.), Preussen, Epochen und Probleme seiner Geschichte, 1964, S. 77 (96); Kleinheyer, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794, 1995, S. 19; Koselleck, Staat und Gesellschaft im preußischen Vormärz, 1962, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 1, 1981, S. 378 (381); Merten, Rechtsstaatliche Anfänge im preußischen Absolutismus, DVB1. 1981, 701 (703 f.); Quaritsch, Staat und Souveränität, Band 1, 1970, S. 479 f.; Eb. Schmidt, Beiträge zur Geschichte der preußischen Rechtsstaates, 1980, S. 96 f.; Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 402. 301 § 1 II 13 ALR, der das Staatsoberhaupt als Träger der Rechte und Pflichten des Staates bezeichnet. Subjekt der Staatsgewalt blieb also der Fürst, der eigene Befugnisse ausübte.

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Die damit zusammenhängende Idee der Abstraktion und Entpersonalisierung staatlicher Macht mußte die Frage aufwerfen, warum im Staat der König das einzige Organ zur Ausübung der Staatsgewalt sei und mußte Montesquieus Lehren der Gewaltenteilung angesichts des fehlenden „Gegengewichts der M a c h t " 3 0 2 zum Schritt von der Staatstheorie zum Verfassungsrecht verhelfen. Es waren Ideen, die allerdings erst in der zweiten, spätkonstitutionellen Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der endgültigen Anerkennung des Rechtspersönlichkeit des Staates 303 und der klaren Unterscheidung zwischen der juristischen Person des Staates als eines Trägers der Staatsgewalt und der natürlichen Person des Staatsoberhauptes als eines Organs des Staates 304 zu Ende gedacht werden sollten. Die anzuerkennende juristische Leistung dieses weiten Fiskusbegriffs lag also nicht (nur) in der Schaffung eines Haftungssubjekts und erst recht nicht in der Bereitstellung einer ungeschriebenen Grundlage für den Entschädigungsanspruch. Seine zweckbedingte Berechtigung lag in der umfassenden Sicherung eines für die damalige Staatsauffassung annehmbaren Anspruchsgegners, der nicht in der Person des Landesherrn selbst liegen durfte, sondern minderwertig sein mußte. Das hat Otto Mayer auch richtig erkannt, und hier liegt der zutreffende Kern seiner Fiskustheorie 305 . Diese Passivlegitimation betraf aber nicht nur die Sekundär-, sondern ebenso und vielmehr die Primärebene. Primäre Abwehranssprüche des Untertanen sollten sich nur gegen den Fiskus, nicht gegen den König richten. Wenn untergeordnete Behörden handelten, die, anders als der König, nicht letztverbindlich über Recht und Unrecht zu entscheiden hatten und durchaus dem Vorwurf der Rechtswidrigkeit ausgesetzt waren, bestand in der Anerkennung eines Abwehranspruchs gegen den Landesherrn als Träger der handelnden Behörde die Gefahr, daß der Unrechtsvorwurf den Landesherrn selbst trotz seiner Unfehlbarkeit traf. Die rechtswidrigen Handlungen der Unterbehörden wurden dem Monarchen deshalb nicht als eigene zugerechnet. Gegner eines Abwehranspruchs konnte nur der contra mandatum handelnde Beamte selbst, die Unterbehörde als solche 3 0 6 oder der vom Monarchen abgehobene Fiskus, eben der 302 Svarez, Allgemeines Staatsrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 453 (476). 303 Albrecht, Rezension über Maurenbrechers Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 4; v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 1 f., 221 f., 225-235; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1914, S. 169-172; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 32. 304 V. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 76-82; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1914, S. 552 f. 305 Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 51: „Nur durch die Ablösung einer damit in Zusammenhang bleibenden, aber minderwertigen juristischen Person konnte Zivilrecht und Zivilrechtspflege annehmbar gemacht werden".

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Staat, sein. Die in § 80 Einl. A L R schon 1794 für möglich gehaltenen „Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Oberhaupte des Staats, und seinen Unterthanen" dürften in Preußen nie Rechtswirklichkeit geworden sein 3 0 7 , wie überhaupt die Geschichte des Allgemeinen Landrechts nach seinem Inkrafttreten eine solche seiner fortschreitenden Entleerung i s t 3 0 8 . Verklagte der einzelne den Fiskus, so wurde der Monarch nicht durch den Fiskus prozeßfähig, der Fiskus handelte nicht als sein Beistand oder Vertreter. Der geltend gemachte Anspruch richtete sich vielmehr gegen den Fiskus als Staat.

306 Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 63 f., 172, hat herausgefunden, daß teilweise, wenn nicht der Fiskus verklagt wurde, die untergeordnete Behörde oder der handelnde landesherrliche Beamte als Anspruchsgegner herangezogen wurden. 307 Der Monarch (als natürliche Person) konnte nur verklagt werden, wenn er als Privatmann am allgemeinen Rechtsverkehr teilnahm (§ 18 II 13 ALR). Der normative Gehalt des § 80 Einl. ALR wurde sehr bald auf diese Aussage des § 18 II 13 ALR reduziert, wozu die Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831 (Fn. 358), S. 258, die Gerichte anhielt: „Zwischen dem Oberhaupte des Staats, als solchem, und den Unterthanen giebt es weder Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, noch ein Landesgericht, welches darüber zu entscheiden hätte" (dazu auch Tn. 83). Immerhin zeigt diese Kabinetsorder, daß Gerichte, gestützt auf § 80 Einl. ALR, zunächst Klagen von Untertanen gegen das Staatsoberhaupt in seiner hoheitlichen Eigenschaft für zulässig erachtet hatten (Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 282); auch das Kammergericht sah sich in dem Publicandum vom 18. März 1816 (Fn. 213), veranlaßt, den Gerichten in der Provinz eine Liste der Streitigkeiten aufzustellen, in denen der ordentliche Rechtsweg nicht eröffnet war, „da diejenigen Fälle, wo die Gesetze den Weg Rechtens oder den Rekurs an die ordentlichen Gerichte nicht gestatten, von den Gerichten nicht immer beobachtet worden, und oft Klagen über Gegenstände dieser Art zugelassen werden, welche hernach zu gegründeten Beschwerden Anlaß geben" (S. 125). Noch 1836 beschwerte sich das preußische Ministerium des Innern und der Polizei darüber, daß in abgabenrechtlichen Streitigkeiten über den Ausschluß des Rechtsweges noch immer Unklarheiten herrschten - und es somit offenbar doch zu gerichtlichen Erkenntnissen kam - , obwohl „ es nach der bestehenden Gesetzgebung keinem Zweifel unterliegt, daß die definitive Feststellung [...] nur im administrativen Wege erfolgen kann, und daß dabei im Allgemeinen der Weg Rechtens ausgeschlossen bleibt" (Verfügung des Königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei vom 24. Januar 1836, die Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Vertheilung der Kommunal-Lasten betreffend, Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung 47 [1836], S. 531-534 [532]). Im späteren 19. Jahrhundert, als die Rechtspersönlichkeit des Staates anerkannt war, bestand kein Bedürfnis für eine Haftung des Landesherrn selbst: Der Anspruch des einzelnen richtete sich gegen den Staat als juristische Person, der Regent als Staatsorgan blieb weiterhin (gerichtlich) unverantwortlich (v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 80; Tn. 377-381). 308 Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, S. 1 (23).

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(76) Ansätze zu einer Epoche des „Dulde und liquidiere", die den Vorstellungen Otto Mayers in etwa entsprachen, gab es erst später im beginnenden 19. Jahrhundert. Nur im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vollzog sich teilweise die - bildhafte und begriffsjuristisch wirkende - Aufspaltung des Staates in zwei juristische Personen, eine des Öffentlichen Rechts unter der Bezeichnung Staat und eine des Privatrechts mit dem Namen Fisk u s 3 0 9 , ohne daß diese Auffassung als „herrschend" bezeichnet werden könnte. Streitentscheidende Bedeutung wurde ihr in der Praxis nicht beigemessen; hier wurde sie, soweit ersichtlich, kaum zur Kenntnis, geschweige denn ernst genommen. Das Königliche Preußische Obertribunal hat im Gegenteil schon früh nicht nur die Aufteilung des staatlichen Vermögens in einzelne, rechtlich verselbständigte stationes fisci abgelehnt 310 , sondern darüber hinaus - trotz einiger mißverständlicher Entscheidungen 311 - die Einheit des Staates betont 3 1 2 ; in Staatshaftungsprozessen wurde von einer Haftung „des Staates" gesprochen 313 , und die Begriffe Staat und Fiskus wurden ersichtlich gleichbedeutend verwendet 314 . Diese Tendenz, Staat und Fiskus gleichzustellen, war bereits in Entscheidungen der preußischen Jurisdiktionskommission im 18. Jahrhundert zu beobachten 315 . Richtig ist allerdings, daß die Einführung der Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichte durch die preußische Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 3 1 6 zunehmend für unbefriedigend gehalten wurde und die preußische Gesetzgebung deshalb bald begann, den Primärrechtsschutz gegen zahlreiche Verwaltungsanordnungen, auch solche von unteren Behörden, immer häufiger und in immer weiterem Maße einzuschränken, wenn zunächst auch nicht gänzlich abzuschaffen, bis später ein Zustand erreicht war, der in etwa den Vorstellungen 309

Hatschek, Die rechtliche Stellung des Fiskus im Bürgerlichen Gesetzbuche, VerwArch. 7 (1899), S. 425 (428); C. F. Koch, Der Preußische Civilprozeß, 1848, S. 31; ders., Lehrbuch des Preußischen gemeinen Privatrechts, I. Band, 3. Aufl. 1857, S. 170; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 614, 641; Weyl, Der Fiskus im gegenwärtigen deutschen Privatrecht, in: Festgabe Hänel, 1907, S. 85 (124); mehrdeutig Risch, Fiskus, in: Bluntschli/Brater (Hg.), Deutsches Staats-Wörterbuch, Dritter Band, 1858, S. 530 (530 f.); v. Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Dritter Band, 4. Aufl. 1883, S. 583. 310 PrOTE 20, 19 (28); 32, 169 (173-175). 311 Wie zum Beispiel PrOTE 53, 31 (36). 312 PrOTE 20, 19 (28). 313 PrOTE 53, 31 (35-49); 61, 1 (2-14). 314 PrOTE 61, 1 (2-14). 315 Entscheidung der Jurisdictions-Commission vom 20. Januar 1785, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten 13 (1795), 5. 352 (353). 316 Fn. 100.

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Otto Mayers entsprach. Diese zunächst punktuelle gesetzgeberische Entwicklung zeigte sich frühzeitig insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts 3 1 7 , wo sich das Verbot jeder Art von Verwaltungsjustiz nicht einmal zwei Jahre gehalten hat, - der gänzliche Ausschluß des Rechtsweges erwies sich in Zeiten leerer Staatskassen als wirksamer als der heutige bloße Wegfall der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO) - , erfaßte aber etwa auch Entlassungsstreitigkeiten von Beamten 3 1 8 , Lehrern und 11Λ ΤΟΠ Geistlichen - hier ging es schlicht darum, „unwürdigen Subjekten" kurzen Prozeß zu machen - sowie Gehaltsstreitigkeiten von Beamten und Soldaten 321 , aber auch und schon sehr frühzeitig einzelne polizeiliche Streitigkeiten 3 2 2 , um sich dann in der Beschränkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf privatrechtliche Streitigkeiten im heutigen Sinne und Entschädigungsklagen zu verallgemeinern 323 . Schon im Jahre 1816 listete eine an die Provinzgerichte gerichtete Aufstellung des Kammergerichts 324 auf neun Sei317

§ 24 Abs. 2 des Ediktes über die Einführung einer allgemeinen GewerbeSteuer vom 28. Oktober 1810 (PrGS 1810, No. 9, S. 79-94); § 11 der Instruktion vom 6. Juni 1812 für die Centraikommission wegen Erhebung der Vermögens- und Einkommenssteuer nach dem Allerhöchst vollzogenen Edikt vom 24. Mai c (PrGS 1812, No. 102, S. 71-73); § 6 des Gesetzes wegen Einführung einer Klassensteuer vom 30. Mai 1820 (PrGS 1820, No. 617, S. 140-143); § 33 lit. b des Gesetzes wegen Entrichtung der Gewerbesteuer vom 30. Mai 1820 (PrGS 1820, No. 619, S. 147-164); Kabinetsorder vom 18. November 1828 zur Erläuterung der Rubriken des Stempel-Tarifs: „amtliche Ausfertigung" und „Gesuche", so wie der gesetzlichen Vorschriften wegen des Rechtsweges in stempelpflichtigen Angelegenheiten (PrGS 1829, No. 1173, S. 16). Schon § 78 II 15 ALR Schloß den Rechtsweg aus, wenn über die „Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen, denen sämmtliche Einwohner des Staats, oder alle Mitglieder einer gewissen Classe derselben, [...] unterworfen sind", gestritten wurde; nur (aber immerhin) wer eine Befreiung nachweisen konnte oder „über die Gebühr belastet" zu sein meinte, sollte prozessieren dürfen (§ 79 II 15 ALR). 318 Der Ausschluß des Rechtswegs gegen die Entlassung eines Beamten war bereits in § 46 Abs. 3 der Verordnung vom 26. Dezember 1808 (Fn. 100) geregelt. 319 Allerhöchste Kabinetsorder vom 12. April 1822, betreffend das Verfahren bei Amts-Entsetzung der Geistlichen und Jugendlehrer, wie auch anderer Staatsbeamten (PrGS 1822, No. 714, S. 105-108). 320 Kabinetsorder vom 12. April 1822 (Fn. 319), S. 105. 321 Circulare vom 12. November 1830 an sämmtliche Provinzial-Justi-Collegien, betreffend das Verfahren bei Beschwerden über vermeintlich entzogene Diensteinkünfte (Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung 36 [1830], S. 294-295); Cabinets-Ordre vom 28. Oktober 1836 (ebenda 48 [1836], S. 433-434). 322 Namentlich auf dem Gebiet des Mühlenbaus und -betriebs: § 8 Abs. 2 des Ediktes vom 28. Oktober 1810 (Fn. 250); §§ 5 S. 2, 10 S. 2 und 19 des Gesetzes vom 15. November 1811 wegen des Wasserstaues bei Mühlen, und Verschaffung von Vorfluth (PrGS 1811, No. 60, S. 352-356). 323 Näheres hierzu Tn. 144-151. 324 Publicandum vom 18. März 1816 (Fn. 213). 7 Mal mendier

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

ten die Fälle auf, in denen Prozesse vor den ordentlichen Gerichten unzulässig waren; nur ein Jahr später 325 fiel die Neuausgabe dieser Aufstellung mit 14 Seiten deutlich länger aus. Einen Abschluß und ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung im Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 3 2 6 , das die Anfechtung polizeilicher Verfügungen (im weiten, wie § 3 der Verordnung von 1808 auch die Wohlfahrtspolizei erfassenden Sinne - § 1 Abs. 1 des Gesetzes sprach von polizeilichen Verfügungen „jeder Art" - 3 2 7 ) grundsätzlich ausschloß 328 , den Rechtsschutz bei (unwiderlegbar als als rechtmäßig vermuteten 329 ) Eingriffen in wohlerworbene Rechte auf Entschädigungsklagen beschränkte 330 und die Bestimmungen der Verordnung von 1808, die einen weiterreichenden gerichtlichen Rechtsschutz gewährten, ausdrücklich aufhob 3 3 1 , so daß, in den Worten der preußischen Staatsregierung, „die Gesetzlichkeit einer polizeilichen Verfügung fast nie zur richterlichen Entscheidung gelangen kann" 3 3 2 . (77) Die Gründe für diese Aufwertung der unteren Verwaltungsbehörden nach dem seit 1790 bestehenden französischen Vorbild einer justizfeindlichen Gewaltenteilung, wo doch tatsächlich die Adminstrativjustiz mechanistisch mit Montesquieus (1689-1755) Lehre der Gewaltenteilung gerechtfertigt wurde („Unabhängigkeit der Verwaltung") 3 3 3 , die Gründe für die Entwicklung eines spätabsolutistischen, engeren Fiskusbegriffs 334 , der den Fiskus in der Tat im Schrifttum teilweise als privatrechtliche Verselbständigung eines janusköpfigen Staates, bald als bloßen Verwalter staatlichen Vermögens erscheinen ließ, waren unterschiedlich 335 . Zunächst war mit dem 325 326 327

Publicandum vom 27. Mai 1817 (Fn. 213). Fn. 142. Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914,

S. 184. 328

§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 2. Fn. 221. 330 § 4 Abs. 1. 331 § 7 Abs. 1. 332 Zitiert nach Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in BrandenburgPreußen, 1914, S. 186, mit Hinweis auf die Originalfundstelle. 333 Tn. 415. 334 Näheres zum spätabsolutistischen Fiskusbegriff unter Tn. 83. 335 Zu ihnen Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 46 f., 70 f.; Bühler, Die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung im württembergischen Recht und ihre Entwicklung seit Anfang des 19. Jahrhunderts, 1911, S. 8-10; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 51 f.; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 214, 236 f., 240, 247 f., 253-257, 281; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 18-26; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 329

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Jahre 1806 die durch die Jurisdiktion des Reichs bewirkte Aufsicht über die Landeshoheit weggefallen, so daß die Landesfürsten keinen Grund mehr sahen, ihren Untertanen einen ausgedehnten Rechtsschutz zu gewähren, um sich durch

ein Privilegium de non appellando der reichsgerichtlichen Kontrolle entziehen zu können; in der Staatslehre sah man denn auch in der Auflösung der alten Reichsgerichte den Beweis für die volle Territorialsouveränität und ging übereinstimmend davon aus, daß die Gerichtsbarkeit über landesherrliche Maßnahmen ersatzlos entfallen sei 3 3 6 . Ferner wurde mit dem sich zunehmend anbahnenden Dualismus zwischen Staat und König und der rechtlichen Verfestigung der staatlichen Ordnung im Frühkonstitutionalismus 337 der Ruf laut, dem Landesherrn als alleinigem Träger der staatlichen Verwaltung auf der Grundlage des monarchischen Prinzips 3 3 8 alle (rechtmäßigen) Handlungen seiner Behörden zuzurechnen, so daß die Lehre der Unrechtsunfähigkeit, jedenfalls prozessualen Unverantwortlichkeit des Monarchen eine Ausweitung erfuhr. Schließlich führte der blutige Eindruck der französischen Revolution und das Bestreben, liberale Reformmaßnahmen nicht mit Rechtsstreitigkeiten zu belasten, zu einer Konsolidation des absolutistischen Gedankens; mit einem weitreichenden Primärrechtsschutz individueller Positionen befürchtete man, wie es Friedrich Julius Stahl (18021862), Berliner Ordinarius für Staats- und Kirchenrecht sowie Rechtsphilosophie und Führer der preußischen Hochkonservativen im Herrenhaus, prägnant formulierte, daß der Staat aufhören würde, „wirklich Staat [...] zu seyn, er würde selbst eine bloße Privatpartei, seine Handlungen verlören 1887, S. 108; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 152-155; ders., Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 778 f.; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (135); Rehbinder/ Bürgerklage im Umweltrecht, 1972, S. 52 f.; v. Rimscha, Die Burgbacher/Knieper, Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 183 und 194; Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen „théorie des droits subjectifs des administrés", 1976, S. 98-100; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 8, 131 f., 137, 144 f.; ders., Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÖV 1963, 719 (720); ders., Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 909 (910); Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Band I, 1963, S. 25 (51-75). 336 Etwa bei Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 655; zur Überprüfung landesherrlicher Maßnahmen durch die Reichsgerichte Tn. 394-398, zum Verhältnis der Reichs- und Landesgerichtsbarkeit Tn. 385 f., 391 f., 400-404. 337 Tn. 106 f. 338 Tn. 100. 7*

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

der Charakter einer höheren Autorität, es käme ihm sein Herrscherrecht gegen den Unterthan nicht in anderer Art zu als dem Gläubiger seine Befugnisse gegen den Schuldner, und die Unterthanen hätten aufgehört, ergänzende Glieder des Staates, dieses sittlichen Ganzen, zu seyn, sondern ständen ihm als einem Subjekte außer ihnen als losgetrennte, unabhängige, gleichartige Subjekte gegenüber" 339 , daß „die Richter aus Organen des Souveräns zu Herren der Verwaltung, zu Herren des Souveräns" würden 3 4 0 , und man folgerte daraus das staatsrechtliche Prinzip, „daß die Staatsgewalt bez. die Verwaltungsbehörde als solche nie den Gerichten unterworfen seyn kann" 3 4 1 . Der Fiskus als Rechts(schutz)ersatz war eine Erfindung des restaurativen, „neuen Ancien Régime". Der Machtanspruch des friderizianischen Staates des 18. Jahrhunderts war wesentlich bescheidener 342 . (78) Es läßt sich nicht leugnen, daß ein (nur scheinbar) engerer Begriff des Fiskus als Träger des staatlichen Vermögens dem staatsrechtlichen Schrifttum des 18. Jahrhunderts bekannt w a r 3 4 3 und auch ins Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 aufgenommen wurde 3 4 4 , ohne daß sich allerdings ein einheitlicher und dezidierter Sprachgebrauch feststellen ließ und ohne daß die Unterscheidung zwischen Staat und Fiskus eine entscheidende Rolle spielte 345 . Er umfaßte nach § 1 I I 14 A L R alle Arten der Staatseinkünfte, welche sich aus dem Besteuerungsrecht, aus dem besonderen Staatseigentum, den nutzbaren Regalien und anderen Staatsabgaben ergeben. In anderen Bestimmungen 346 wurden die Ausdrücke Staat und Fiscus synonym verwendet. Auf die Aufweichung dieses nur scheinbar engeren Fiskusbegriffs durch das Regalienwesen und auf die Passivlegitimation der Fiskale ist bereits hingewiesen worden 3 4 7 . Diese Entwicklung zeugt davon, daß, wenn es nicht um finanzielle Ansprüche des Staates gegen seine Untertanen, sondern umgekehrt um Abwehrrechte der Untertanen 339 Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 607 f. 340 A.a.O., S. 667. 341 A.a.O., S. 640. 342 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 281; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 116, 185 f.; ders., Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÖV 1963, 719 (721). 343 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1797, S. 238 f.; Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803, S. 672 f. 344 §§ 1-85 II 14 ALR, insbesondere die §§ 1, 11, 36, 45, 50, 61, 69, 70, 72, 74, 75 und 76 II 14 ALR. 345 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 21. 346 §§ 16 und 17 II 16 ALR. 347 Tn. 73 f.

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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gegen den Staat ging, in der Rechtspraxis des absoluten Staates ein wesentlich weiterer Fiskusbegriff galt: Der Fiskus als Staat war Anspruchsgegner und im Prozeß passivlegitimiert. cc) Fazit (79) Die Fiskustheorie Otto Mayers beruht auf der Vorstellung einer geradlinigen und kontinuierlichen Entwicklung von der Rechtlosigkeit der Untertanen bis zur bürgerlichen Freiheit, mit der er die Annahme, daß der Untertan um die Mitte des 19. Jahrhunderts schlechter geschützt gewesen sei als hundert Jahre früher, nicht vereinbaren konnte 3 4 8 . Nicht der klassische Absolutismus, sondern die Restauration war das Zeitalter des „Dulde und liquidiere". Der janusköpfige Staat gehört ins Reich der Legenden, genauso wie die Anekdote des Müllers von Sanssouci, der Friedrich dem Großen in einem Streit um seine Mühle gesagt haben soll: „Ja, wenn das Berliner Kammergericht nicht wäre" 3 4 9 , worauf Friedrich der Große, vom Vertrauen seiner Untertanen in die Gerichte seines Staates sichtlich gerührt, von einem Machtspruch abgesehen haben soll. c) Die Wandlungen des Fiskusbegriffs (80) Die Geschichte des Fiskusbegriffs ist, wie teils bereits aus den bisherigen Ausführungen deutlich wird, eine Geschichte seiner Wandlungen. Seit dem absolutistischen Zeitalter dürften sich insgesamt vier unterschiedliche Deutungen festhalten lassen, wobei allerdings die Entwicklung dieses Begriffs nicht geradlinig und frei von Überschneidungen verlief: aa) Der Fiskus als Staat (81) Der weite Fiskusbegriff des 18. Jahrhunderts verstand unter dem Fiskus - vorausgehende Ausführungen 350 zusammenfassend - den Staat mit 348 Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 203, 227; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 20. 349 Nach Büchmann, Geflügelte Worte, 32. Aufl. 1972, S. 417; daraus wurde in der literarischen Überlieferung „Ja, wenn wir nicht Richter in Berlin hätten!" und „Es gibt noch Richter in Berlin" (Büchmann a. a. O.). In der belegten Geschichte des Wassermüllers Arnold aus Pommerzig (Neumark) fielen keine dieser Worte; nicht Arnold drohte dem König, sondern der König den Kammerrichtern (wie zuletzt Diesselhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984, umfassend geschildert hat; eine Kurzschilderung der Prozesse des Müllers Arnold und des Eingreifens Friedrichs des Großen findet sich bei Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, Rn. 265). 350 Tn. 58-60, 72-75.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Ausnahme des unrechtsunfähigen Königs selbst. Der Fiskus war nicht nur Gegner sekundärer Entschädigungsansprüche, sondern auch primärer Abwehransprüche. Er war nicht nur Verwalter staatlichen Vermögens, sondern auch Inhaber obrigkeitlicher Befugnisse. Aber er stand nicht auf der gleichen Stufe mit dem Landesherrn, er war diesem unterstellt und deshalb auch unrechtsfähig. Der Fiskus des 18. Jahrhunderts drückte die beginnende Verselbständigung des Staates als juristische Person und dessen Unterscheidung von der natürlichen Person des Monarchen aus. Seine Bedeutung war materiellrechtlicher Art. Er stellte nach damaligem Staatsverständnis einen annehmbaren Anspruchsgegner anstelle des Regenten dar. bb) Der Fiskus als juristische Person des Privatrechts (82) Im Spätabsolutismus des beginnenden 19. Jahrhunderts erfuhren die unteren Verwaltungsbehörden, wie eingehender geschildert 351 , eine Aufwertung. Ihre Handlungen wurden denen des Monarchen mit der Folge gleichgestellt, daß sie nicht anspruchsbegründend wirken konnten. Es war dies die beginnende Zeit des „Dulde und liquidiere.", in der primäre Abwehransprüche weitgehend ausgeschlossen wurden und der Fiskus, - in der Literatur vereinzelt in der Tat als das privatisierte und verselbständigte Portemonnaie des Regenten angesehen - , als „Prügelknabe" des Staates herhalten mußte. Auch dieser enge Fiskusbegriff hatte eine materiellrechtliche Bedeutung, indem er ein annehmbares Haftungssubjekt zur Verfügung stellte. cc) Der Fiskus als Träger des staatlichen Vermögens (83) Im fortschreitenden 19. Jahrhundert setzte sich die Erkenntnis durch, daß es sich beim Staat als Träger von Hoheitsrechten wie auch als Vermögensinhaber um ein und dasselbe Rechtssubjekt handelt 3 5 2 . Die ungebrochene Einheit des Staatsganzen vertrug sich nicht mehr mit einem aus 351

Tn. 76 f. Bahr, Der Rechtsstaat, 1864, S. 54 f.; Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Erster Band, 1885, S. 92; v. Schulze-Gaevernitz, Das Preussische Staatsrecht, Zweiter Band, 2. Aufl. 1890, S. 172; Fritze, Zusammenstellung der Behörden, welche den preußischen Landes- und den deutschen Reichs-Fiskus im Prozesse zu vertreten befugt sind, 1891, S. 5-7; v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 475 f.; v. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (193); O. Stölzel, Rechtsweg und Kompetenzkonflikt in Preußen, 1901, S. 25 f.; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 209; Fritze/Werner; Prozeßvertretung des Fiskus in Preußen und im Reich, 2. Aufl. 1910, S. 1 f.; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 47. Auch das Reichsgericht kannte nur „den Staat", und dabei spielte es für das Gericht keine Rolle, ob sich dieser im hoheit352

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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der Lehre der Doppelpersönlichkeit hervorgehenden janusköpfigen Staat. Primär- wie Sekundäransprüche des Bürgers richteten sich gegen dieselbe Rechtspersönlichkeit. Fiskalverwaltung war jetzt die Verwaltung des staatlichen Vermögens, der Fiskus die Zahlstelle und Kasse des Staates als Subjekt des Staatsvermögens, ohne selbst Rechtsfähigkeit zu erlangen 353 . Diese Zuordnung vermögensrechtlicher Streitigkeiten des Bürgers zur Fiskalverwaltung behielt für die Eröffnung des Rechtsweges Bedeutung. Nach § 1 Einl. AGO von 1793, der die Grundnorm für die Zulässigkeit des Rechtswegs enthielt, war für alle Streitigkeiten über Rechte und Sachen, welche einen Gegenstand des Privateigentums ausmachen, der ordentliche Rechtsweg gegeben. Obwohl damit ursprünglich in Anknüpfung an den Begriff des wohlerworbenen Rechts alle subjektiven Rechte Privater gemeint war e n 3 5 4 , wurde diese (freilich nicht sehr genau formulierte 355 ) Bestimmung aus rechtspolitischen Gründen 3 5 6 (wie später dann auch § 13 GVG) zunehlichen oder im vermögensrechtlichen Raum bewegte (RGZ 21, 51 [57]; 23, 261 [264]). 353 PrOTE 20, 19 (21); RGZ 8, 226 (228); 23, 261 (264); aus dem zeitgenössischen Schrifttum: Maurenbrecher; Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 372-374; Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 501 f.; Welcker, Fiscus, in: v. Rotteck/Welcker (Hg.), Das Staats-Lexikon, Fünfter Band, 3. Aufl. 1861, S. 399-401; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen Deutschen Staatsrechts, Zweiter Theil, 5. Aufl. 1863, S. 695; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 402 f.; v. Schulze-Gaevernitz, Das preussische Staatsrecht, Zweiter Band, 2. Aufl. 1890, S. 172; Fritze, Zusammenstellung der Behörden, welche den preußischen Landes- und den deutschen Reichs-Fiskus im Prozesse zu vertreten befugt sind, 1891, S. 5 f.; v. Stengel , Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (193); Bornhak, Das Verwaltungsrecht in Preußen unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs, VerwArch. 8 (1900), S. 1 (64 f.); O. Stölzel, Rechtsweg und Kompetenzkonflikt in Preußen, 1901, S. 25 f.; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 60; Fritze/Werner, Prozeßvertretung des Fiskus in Preußen und im Reich, 2. Aufl. 1910, S. 1. 354 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 49; ders., Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 217; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 119, 160; ders., Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÓV 1963, 719 (720, 722); ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (19 f.); aus dem älteren Schrifttum: v. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 35 Fn. 1; Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 95 Fn. 2.; Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Erster Band, 1885, S. 83 f.; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 155-159; Lassar, Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht, 1921, S. 11. 355 Die Motive zu § 13 GVG bemerkten, § 1 Einl. AGO gebe eine „durchaus ungenügende" Definition der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit (zitiert nach RGZ 57, 350 [352]).

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

mend im Wege eines Umkehrschlusses dahin ausgelegt, daß sie den ordentlichen Rechtsweg auf privatrechtliche Streitigkeiten beschränke, während der Rechtsweg in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten e contrario ausgeschlossen sei 3 5 7 . Die Bedeutung des § 80 Einl. ALR, der die Zulässigkeit von Klagen zwischen dem Staatsoberhaupt und seinen Untertanen statuierte, wurde auf die Aussage des § 18 I I 13 ALR reduziert 358 (und mußte sich nach dieser Interpretation als bloße Klarstellung einer schon aus anderen Bestimmungen folgenden Selbstverständlichkeit darstellen). Diese Auslegung wurde durch eine Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831, betreffend

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Dazu bereits Tn. 77. Verfügung des Königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei vom 24. Januar 1836 (Fn. 307), S. 532 f.; PrOTE 7, 126 (137); RGZ 30, 164 (166); v. Gönner, Entwurf eines Gesetzbuchs über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Zweiter Band, erste Abtheilung, 1815, Buch I. Kap. I § 1, S. 47 f.; Grävell, Praktischer Kommentar zur allgemeinen Gerichts-Ordnung für die preußischen Staaten, Erster Band, 1825, S. 80 f.; v. Weiler, Ueber Verwaltung und Justiz und über die Gränzlinie zwischen beiden, 1826, § 6, S. 4; Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 62 f.; Schmitthenne r, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 494 f.; C. F. Koch, Der Preußische Civilprozeß, 1848, S. 31-34; Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 499-503; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, 5. Aufl. 1878, S. 609 f., 616, 632, 637, 665, (modifizierend allerdings durch seine Lehre der exemten, also schrankenlosen Rechte, bei deren Verletzung es als „bedeutende Ausnahme" gerichtlichen Primärrechtsschutz auch in öffentlichrechtlichrechtlichen Streitigkeiten geben sollte [S. 618], auch hier aber nicht gegen den Staat in hoheitlicher Eigenschaft [S. 640-645]); O. Stölzel, Rechtssweg und Kompetenzkonflikt in Preußen, 1901, S. 45; teils wurde § 1 Einl. AGO sogar als Auftrag an den Gesetzgeber aufgefaßt, den Gegenstand des Privateigentums in Prozeßbestimmungen und im materiellen Recht näher und konstitutiv zu bestimmen (Reichensperger, Inwiefern ist ein gerichtlicher Recurs gegen die Eintreibung von Communal-Umlagen zulässig?, Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung in den preußischen Rheinprovinzen, Erster Band [1841], Zweite Abtheilung, S. 69 [73]). Zu dieser Entwicklung Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 49-54; ders., Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 219-223; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 158-161; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 154, 160-166; ders., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 (19 f.); Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichts, Band I, 1963, S. 25 (82-84). 358 Allerhöchste Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831, betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverhältnissen (PrGS 1831, No. 1330, S. 255-258 [258]); Grävell, Praktischer Kommentar zur allgemeinen Gerichts-Ordnung für die preußischen Staaten, Erster Band, 1825, S. 80 f.; C. F. Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Band, 7. Aufl. 1878, Anm. 88 zu § 80 Einl. 357

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverhältnissen, bekräftigt, in der die Landesgerichte angewiesen wurden, ihre Tätigkeit auf Gegenstände des Privatrechts zu beschränken 359 . Der Begriff der Justizsache befand sich seit dem Ende des alten Reichs in einer Mutation: Nicht mehr die Beeinträchtigung eines wohlerworbenen Rechtes, sondern das Vorliegen einer privatrechtlichen Streitigkeit war für die Eröffnung des ordentlichen Rechtsweges - und damit für die Justitiabilität - ausschlaggebend. Um wenigstens hinsichtlich der Entschädigung den (einzig bestehenden) Rechtsweg zu sichern, wurde jede vermögensrechtliche Streitigkeit gegen eben diesen Fiskus als privatrechtlich qualifiziert: Die Rechtsverhältnisse des Staates wurden in öffentliches Gewaltrecht und privates Vermögensrecht aufgeteilt 360 ; das Privatrecht hatte die Vermögensverhältnisse der einzelnen untereinander, das Öffentliche Recht die Herrschaftsverhältnisse des Staates zu den einzelnen zum Gegenstand 361 . So wurde als Rechtsschutzersatz wenigstens eine privatrechtliche Kontrolle des Staates gesichert. Die Bedeutung des Fiskusbegriffs hatte sich auf die - damals insbesondere prozessual relevante - Abgrenzung des Öffentlichen vom Privatrecht reduziert. Dieser Fiskusbegriff des späteren 19. Jahrhunderts zeigt in aller Deutlichkeit, daß die Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem Recht historisch und nicht logisch bedingt i s t 3 6 2 . Carl Friedrich von Gerber (1823-1891), der nicht nur als „Erfinder" des subjektiven öffentlichen Rechts 3 6 3 , sondern schlechthin als Begründer der modernen deutschen Staatsrechtswissenschaft gilt, hat denn auch den Ausschluß aller öffentlichen Rechte vom Rechtsschutz, „sofern sie aus rechtswissenschaftlichen Gründen gefordert wird, für einen vollständigen Irrthum" gehalten 364 .

359

PrGS 1831, No. 1330, S. 255 (258). Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 (1821), S. 305 (324); Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 75 f.; Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 497; Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 503-505; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 614 f.; Bornhak, Das Verwaltungsrecht in Preußen unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs, VerwArch. 8 (1900), S. 1 (64 f.); zur Rechtsprechung Fn. 357. 361 Sohmt Institutionen des römischen Rechts, 4. Aufl. 1889, § 7, S. 15. 362 RGZ 157, 246 (250); Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 51; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Erster Halbband, 14. Aufl. 1952, S. 137; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 59; Renck, Über die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht, JuS 1986, 268; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 2 f. zu § 22. 363 Dazu Tn. 152-155. 364 Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 35 Fn. 1 (Hervorhebung dort). 360

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

(84) Jene Auffassung, jede vermögensrechtliche Streitigkeit sei privatrechtlicher Natur, hat lange Zeit in der Rechtsprechung des Reichsgerichts nachgewirkt, das mit diesem gewandelten Fiskusbegriff versuchte, durch das Enumerationsprinzip der Verwaltungsgerichtsgesetze 365 hervorgerufene Rechtsschutzlücken zu schließen 366 . Das Reichsgericht ging lange von der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung von Vermögensrechtsstreitigkeiten aus, auch wenn zur Entscheidung Normen des Öffentlichen Rechts anzuwenden waren 3 6 7 : Vermögensrechtliche Ansprüche seien gleichwohl begrifflich solche des Privatrechts 368 ; sie seien stets zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu rechnen 369 . Erst 1918 wurde der Satz von der begrifflichen Privatrechtlichkeit vermögensrechtlicher Ansprüche fallengelassen: Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten waren nunmehr neben privatrechtlichen auch solche, die bei Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze vor den ordentlichen Gerichten verhandelt wurden, auch wenn Normen des Öffentlichen Rechts streitentscheidend waren (sogenannte Traditionsrechtsprechung) 3 7 0 . Damit war die „Zivilprozeßsache kraft Überlieferung" 371 geboren; der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit deckte sich nicht mehr mit dem der zivilrechtlichen Streitigkeit. Und erst 1920 bezeichnete das Reichsgericht die Auffassung, schon das Vermögensrechtliche an einer Streitigkeit mache sie zu einer bürgerlichen, als „durchaus rechtsirrig" 372 . (85) Der Fiskusbegriff des späteren 19. Jahrhunderts hat auch Verfassungs- und Gesetzgeber der Gegenwart geprägt, der, wie bereits die Weimarer Reichsverfasssung 373 , für bestimmte vermögensrechtliche Streitigkeiten des Bürgers gegen den Staat 3 7 4 aus Gründen der Überlieferung die Zu365

Tn. 438^40. Zum Einfluß der Fiskuslehre auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts Lassar, Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht, 1921, S. 11-93. 367 RGZ 11, 65 (73-75); 22, 285 (288); 25, 325 (330); 27, 176 (177 f.); 41, 267 (272); 57, 350 (352); 70, 77 (81); 75, 40 (41). 368 RGZ 22, 285 (288); 57, 350 (353). 369 RGZ 74, 191 (192). 370 Grundlegend RGZ 92, 310 (310, 313-315); ebenso RGZ 93, 78 (79); 93, 201 (202 f.); 106, 177 (179); 111, 211 (213-215); 112, 221 (222); 130, 313 (317); 166, 366

218 (228). 371

Lassar, Der Schutz des öffentlichen Rechts durch ordentliche und durch Verwaltungsgerichte, VVDStRL 2 (1925), S. 81 (92). 372 RGZ 99, 41 (45). 373 Artt. 131 Abs. 1 S. 2 und 153 Abs. 2 S. 3; auch die Garantie des Art. 129 Abs. 1 S. 4 und Abs. 4 S. 1 wurde auf den ordentlichen Rechtsweg bezogen, obwohl die Bestimmung nur die Justitiabilität als solche ohne nähere Präzisierungen sicherstellte (Anschütz, Die Verfassung des Deutsches Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Anm. 5 Fn. 1 zu Art. 129). 374 Nicht aber auch umgekehrt des Staates gegen den Bürger: BVerwGE 18, 72 (78); 37, 231 (235 f.); BGHZ 43, 269 (277 f.).

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

107

ständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründete 375 . Auch der Bundesgerichtshof führte vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung zunächst die Rechtsprechung des Reichsgerichts fort und ging trotz der Geltung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG über die durch das Grundgesetz zugewiesenen Fälle hinaus umfassend von seiner Zuständigkeit für Zivilsachen kraft Überlieferung aus 3 7 6 . Erst § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO konnte dem ein Ende setzen. Durch sein Erfordernis einer ausdrücklichen Zuweisungsnorm will er verhindern, daß der ordentliche Rechtsweg allein aus dem traditionellen Besitzstand der Zivilgerichte eröffnet w i r d 3 7 7 . Unter der Herrschaft des Grundgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung können unter Zivilprozeßsachen kraft Tradition nur solche verstanden werden, die durch das Grundgesetz, § 40 Abs. 2 VwGO oder jüngeres Bundesrecht legalisiert wurden: Zivilprozeßsachen kraft Tradition sind heute solche, die durch die Rechtsordnung in Zivilprozeßsachen kraft Zuweisung transformiert wurden 3 7 8 . dd) Der Fiskus als Privatrechtssubjekt (86) Die Qualifizierung vermögensrechtlicher Streitigkeiten als privatrechtlich aus rechtsschutzpolitischen Gründen erweist sich seit der Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel als überflüssig, weil nunmehr ein umfassender Primär- und Sekundärrechtsschutz gewährleistet w i r d 3 7 9 . Finanzielle Rechtsstreitigkeiten gegen den Staat können sowohl öf375

Art. 14 Abs. 3 S. 4, 34 S. 3 GG; § 40 Abs. 2 VwGO. Die über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinausgehende, rechtspolitisch nicht unbedenkliche Ausweitung der Zivilprozeßsachen kraft Zuweisung durch § 40 Abs. 2 GG war im Entwurf (§38; BT-Ds. 1/4278, Anlage 1, S. 9) nicht vorgesehen. Sie wurde erst nach Vorschlägen des Bundesrates und des Innenausschusses vom Rechtsausschuß empfohlen, damit „für solche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten der ordentliche Rechtsweg erhalten bleibt, in denen ein enger Sachzusammenhang mit der Enteignung und der Amtshaftung gegeben ist" (BT-Ds. 3/1094, S. 5). Die verwaltungsgerichtliche Generalklausel nahm daraufhin ihre heutige Gestalt an (BT-Ds. 3/1094, Anlage 1, S. 29). 376 BGHZ 1, 369 (370-380); 3, 162 (163-170): öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis; 9, 83 (83-85): Aufopferung; 9, 339 (342-352): staatliche Leistungen an Kirchen; 19, 130 (132): öffentlichrechtliches Benutzungsverhältnis. 377 BT-Drucks. 1/4278, Anlage 1, S. 33. 378 Schoch, Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten kraft Tradition (§ 40 Abs. 2 VwGO), in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 305 (311 f.). 379 BT-Drucks. 1//4278, Anlage 1, S. 33; Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 229; Bethge, Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen, - Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - , AöR 104 (1979), S. 265 (270); Burmeister, Der Begriff des „Fiskus" in der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik, DÖV 1975, 695 (700-703); Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

fentlich- als auch privatrechtlich sein, ohne daß sich dies auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers auswirkt 3 8 0 . Die Geschäftsgrundlage des früheren Fiskusbegriffs entfiel deshalb einmal mehr, und wieder erfuhr der Begriff eine Wandlung. Die Auffassung, schon die vermögensrechtliche Natur eines Rechtsverhältnisses mache es zu einem privatrechtlichen, wurde nach und nach aufgegeben 381 . Nicht mehr die privatrechtliche Eigenschaft des Staates als Vermögensträger kennzeichnet den Fiskus. Heute umfaßt er jede Tätigkeit des Staates in privatrechtlichen Beziehungen. Der Staat geht nicht in Uniform, sondern in Z i v i l 3 8 2 , der Fiskus ist schlicht der Staat als Privatrechtssubjekt, der auf dem Boden der privatrechtlichen Gleichordnung mit den Bürgern als Gleichberechtigten verkehrt 383 . Die Tätigkeit der Verwaltung erfährt eine Zweiteilung, die fiskalische Verwaltung wird als Gegensatz zur hoheitlichen Verwaltung verstanden 384 , sie ist jede Tätigkeit des

und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rn. 69 zu § 2; Zeidler; Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, VVDStRL 19 (1961), S. 208 (223 f.). 380 Entscheidet die ordentliche Gerichtsbarkeit über einen öffentlichrechtlichen Anspruch, liegt prozessual eine „Sonderzuweisung" vor, aus der Sicht der Verwaltungsgerichte: eine „abdrängende", aus der Sicht der ordentlichen Gerichte: eine „aufdrängende". Das verdeutlicht, daß diese gebräuchliche Terminologie wenig hilfreich ist. 381 Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Erster Band, 1885, S. 8890, 95-97, der alten Auffassung aber noch verhaftet auf S. 97 f.: „Das öffentliche Interesse hört dort auf, wo der Entschädigungsanspruch beginnt"; Bühler, Die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung im württembergischen Recht und ihre Entwicklung seit Anfang des 19. Jahrhunderts, 1911, S. 2 und 11 f.; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 59 f., 63 f., 66; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 50. 382 W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 25. 383 Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962, S. 201; Evers, Verfassungsrechtliche Bindungen fiskalischer Regierungs- und Verwaltungstätigkeit, NJW 1960, 2073 (2073-2076); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band: Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973, S. 113, Fn. 1; Hadding, in: Soergel (Bg.)/Siebert (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Band 1, 12. Aufl. 1987, Rn. 8 zu § 89; Mayer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1985, S. 63; Rawert, in: v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Erstes Buch, Allgemeiner Teil, §§ 21-103, 13. Bearbeitung 1995, Rn. 9 zu § 89; Reuter, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1,3. Aufl. 1993, Rn. 2 f. zu § 89; Steffen, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band I, 12. Aufl. 1982, Rn. 6 vor § 89; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 30; Wolff, Organschaft und Juristische Person, Erster Band, 1933, S. 439; Wolff/ Bachof7Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 17 zu § 23. Aus dem älteren Schrifttum: Anschütz, Das Recht des Verwaltungszwanges in Preußen, VerwArch. 1 (1893), S. 389 (449, 451 f.); v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 475; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 119 f.; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 46; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 24.

I. Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat

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Staates auf der Grundlage des Privatrechts. Auch heute dient der Fiskusbegriff der materiell sowie prozessual bedeutsamen Abgrenzung des Öffentlichen Rechts vom Privatrecht. (87) In diesem Sinne kennt auch das Bürgerliche Gesetzbuch den Fiskus als Rechtsbegriff. Während in den §§ 45 Abs. 3, 46, 88, 233, 928 Abs. 2, 981 Abs. 1, 1936 Abs. 1, 1942 Abs. 2 BGB der Fiskus als Träger des staatlichen Vermögens aufgefaßt wird, versteht ihn § 89 Abs. 1 BGB als Privatrechtssubjekt 385 . Die unterschiedliche und nicht sehr genau genommene Bedeutung ein und desselben Rechtsbegriffs, auf die man schon im Allgemeinen Landrecht stieß 3 8 6 , hat sich bis in das Bürgerliche Gesetzbuch gehalten. Unter Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts versteht § 89 Abs. 1 BGB offenbar in Abgrenzung zum (Bundes- und Landes-)Fiskus nur solche derivativer Verwaltungsträger 387 , obwohl der Staat Gebietskörperschaft des Öffentlichen Rechts ist. Seine Erwähnung in § 89 Abs. 1 BGB ist deshalb überflüssig, seine Konkursunfähigkeit wäre besser in § 89 Abs. 2 BGB klargestellt. (88) Wenn von „dem Fiskus" oder dem Staat als „Privatrechtssubjekt" die Rede ist, dann ist damit allerdings keine Verselbständigung zu einer neuen Rechtspersönlichkeit des Privatrechts gemeint. „Der Fiskus" ist nichts anders als eine Äußerungsform ein und derselben Rechtsperson 388 , der einheitlichen juristischen Person des Öffentlichen Rechts „Staat" 3 8 9 . „Privatrechtssubjekt" ist der Staat nicht als neue Rechtspersönlichkeit des 384

So bereits Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 46; ferner Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, Rn. 11 zu § 3; Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rn. 69 zu § 2; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 1 zu §23. 385 Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 46 f.; Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 136, 164 f.; Steffen, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band I, 12. Aufl. 1982, Rn. 6 vor § 89. Dagegen erfaßt der Fiskus des § 18 ZPO den Staat auch in öffentlichrechtlicher Hinsicht, sofern der ordentliche Rechtsweg aufgrund einer Sonderzuweisung gegeben ist; hier ist Fiskus der Staat. 386 Tn. 78. 387 Rawert, in: v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Erstes Buch, Allgemeiner Teil, §§ 21-103, 13. Bearbeitung 1995, Rn. 10 f. zu § 89; Reuter, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, 3. Aufl. 1993, Rn. 2 f. zu § 89 ; Steffen, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band I, 12. Aufl. 1982, Rn. 6 vor § 89. 388 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 77; ders., Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rn. 69 zu § 2; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 47; H. J. Wolff, Organschaft und Juristische Person, 1933, S. 439.

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Privatrechts, sondern als Subjekt privater Rechtsverhältnisse 390 . Der Staat bleibt Staat, ob er in Uniform oder Zivil geht. Die Einheitlichkeit des Staates ist heute allgemein anerkannt. Gleichwohl lassen sich der kontemporären Rechtsprechung zahlreiche Beispiele entnehmen, in denen Folgerungen aus diesem Konsens nicht gezogen werden. - (89) Nicht unbedenklich und zur „personnalité à double face" zurückzukehren drohen zunächst die ultra-vires-Doktrin und die Lehre der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen, sofern sie davon ausgehen, daß juristische Personen des Öffentlichen Rechts nur innerhalb des ihnen zugewiesenen Wirkungskreises rechtlich existent sind 391 und, folgerichtig weitergedacht, nur innerhalb dieses Wirkungskreises im rechtlichen Sinne handeln können, wie es Otto von Gierke (1841-1921) einprägsam formulierte: „Das Gemeinwesen [...] hat, sobald es sich jenseits seiner verfassungsmäßigen Lebenssphäre bewegt, im Rechtssine überhaupt nicht gehandelt. [...] Die Rechtsordnung weist [...] der Verbandsperson ein Aktionsgebiet an, ausserhalb dessen sie nicht blos nicht handeln soll, sondern nicht handeln kann. Wird trotzdem mit den Mitteln des Verbandes unter Überschreitung dieser Schranke gehandelt, so liegt jenseits derselben nicht blos eine rechtsunwirksame Körperschaftshandlung, sondern lediglich der Schein einer Körperschaftshandlung vor" 3 9 2 . In dieser Deutung von Hoheitssubjekten als nur teilweise vorhandene Rechtspersonen (Lehre von der Teilperson) drohen Existenz und Beurteilung, Fähigkeit und Befugnis, Können und Dürfen des Handelns, genauer: Tatbestandsebene (Bezugspunkt als Sein) und Sanktionsebene (Würdigung des Sollens) verwechselt zu werden 393: Wer anders als die juristische Person des Öffentlichen Rechts „Staat" selbst sollte denn bei ultra vires liegenden Tätigkeiten nach dem objektivierten Empfängerhorizont Ursacher der - als Realität der Welt des Seins - spürbaren Handlung sein? Alle abweichenden Antworten dürften heute, seit Inkrafttreten insbesondere des Verwaltungsverfahrensgesetzes, unter Berücksichtigung der Organtheorie, der Unrechtsfähigkeit des Staates, des Ver389

Coing , in: v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Einleitung, Erstes Buch: Allgemeiner Teil (§§ 1-89, Verschollenheitsgesetz), 12. Aufl. 1980, Rn. 6 zu § 89. 390 Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 46. 391 BGHZ 20, 119 (122-127); 52, 283 (286): Auch wenn die Teilpersönlichkeit eines Verbandes dort (angeblich) offen gelassen wird, stellen diese Entscheidungen ultra-vires-Denken par excellence dar; Burmeiser, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 190 (219 f.); Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 106-108; Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 630-634; Klotz, Beschränkter Wirkungskreis der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DÖV 1964, 181 (182-187); Woljf/Bachof/Stober Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 9 zu § 32. 392 Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 663. 393 Malmendier, „Konfliktverteidigung" - ein neues Prozeßhindernis?, NJW 1997, 227 (234); allgemein zu dieser Unterscheidung der Prüfungsebenen des Tatbestandes einerseits und seiner Wirksamkeit andererseits Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl. 2002, Rn. 3 Überbl. vor § 104; Leenen, Abschluß, Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrages, AcP 188 (1988), S. 381 (385-393).

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trauensschutzes und der privatrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten als überholt gelten 3 9 4 - niemand, der Amtswalter, der Dienstvorgesetzte, die Behörde, eine juristische Person des Privatrechts? Ob auch Hoheitsträger mit einem allseitigen Wirkungskreis in öffentlichrechtlicher Hinsicht stets nur teilrechtsfähig sind 395 , Rechtsfähigkeit als Potenz in Bezug auf Kompetenzen, Rechte und Pflichten - , da Öffentliches Recht nicht universell sei, nicht auf eine Generalklausel, sondern auf Einzelzuweisungen beruhe, ist zur Beantwortung der Problematik ohne Bedeutung und kann hier auf sich beruhen. Handlungsfähigkeit (tatsächliches Können) und etwaige Teilrechtsfähigkeit (rechtliches Dürfen) sind zweierlei, die Rechtsfähigkeit mag teilbar sein, nicht aber die Handlungsfähigkeit. Einer möglichen Stufenleiter der Rechtsfähigkeit in öffentlichrechtlicher Hinsicht entspricht nach unserer Rechtsordnung keine relative Handlungsfähigkeit, letztere besteht bei juristischen Personen uneingeschränkt oder gar nicht. Die vorgenommene Handlung braucht sich mit der Rechtsfähigkeit nicht zu decken396. Dann ist sie fehlerhaft, aber da. Das auf Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit tatsächlich vorhandene und überprüfte Handeln, das sich nach dem Empfängerhorizont als ein solches der juristischen Person des Öffentlichen Rechts darstellt, die durch ihre Organe handelt, bleibt auch im Falle seiner Fehlerhaftigkeit ein solches. Erst die Beurteilung des Tatbestandes auf einer zweiten Ebene zeigt, daß hoheitliches rechtswidriges Handeln in der Regel wirksam, während rechtswidriges rechtsgeschäftliches Handeln der Unwirksamkeitsfolge weitaus offener ist. Die von einer möglicherweise teilbaren Rechtsfähigkeit zu unterscheidende Handlungsfähigkeit von juristischen Personen des Öffentlichen Rechts stellt geradezu das „Kleine Ein-mal-eins des Öffentlichen Rechts" dar, ohne das das gegenwärtige Verwaltungsrecht nicht zu denken ist 3 9 7 . - (90) Nicht nur bei staatlichen Organen, sondern auch bei Privaten, die mit der Ausübung (auch) öffentlicher Interessen betraut sind, hat die Rechtsprechung den Versuch unternommen, die Überschreitung rechtlicher Befugnisse als Nichthandlung zu deuten, um den in Dienst genommenen Rechtsträger als gewöhnlichen Privaten behandeln zu können. Ohne den Rechtsanwalt zu einem staatlichen Amtswalter zu machen, erklärt ihn § 1 BRAO zum Organ der Rechtspflege. Seit 394

Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 2 Fn. 4; Oldiges, Verbandskompetenz, DÖV 1989, 873 (882 f.); K. Schmidt, Ultra-vires-Doktrin: tot oder lebendig?, AcP 184 (1984), S. 529 (530-540). 395 So Bachof, Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, AöR 83 (1958), S. 208 (268); Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 190 (220); Klotz, Beschränkter Wirkungskreis der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DÖV 1964, 181 (186); Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 139; Wolff /Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 8 zu § 32. 396 Anders Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 43-47 und Klotz, Beschränkter Wirkungskreis der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DÖV 1964, 181 (185). 397 Soweit ersichtlich, belassen es denn auch neuere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bei Überschreitungen der Verbandskompetenz von Gemeinden auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts bei der Rechtswidrigkeit der Gemeindehandlung und enthalten sich weiterer Ausführungen zur Wirksamkeit oder gar Existenz dieser Handlung (exemplarisch OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1995, 718-720 = NJW 1996, 540 L).

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jeher machen sich Gerichte Gedanken darüber, wie mit Advokaten zu verfahren sei, denen zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Mandanten jedes Mittel recht ist, weil sie die Justiz als ihren Feind betrachten. Diese Flucht ins Prozeßunrecht als Ausdruck der die vergiftete Prozeßatmosphäre beherrschenden feindseligen Grundhaltung einiger (weniger) Anwälte war nicht nur in den Terrori stenprozessen der 70er-Jahre 398 und in anderen in der Öffentlichkeit verfolgten Großprozessen, etwa dem Düsseldorfer Kurdenprozeß oder dem Stuttgarter Extremistenprozeß 399 , zu beobachten; weitaus mehr Erfolg verspricht diese Verteidigungsstrategie in Bagatellsachen, in denen das Gericht lieber eine dem Mandanten günstige, wenn auch unrichtige Entscheidung in Kauf nimmt, um sich Rechtsgewährungskapazitäten in anderen Sachen zu erhalten 400. Gerichtsverfassungsgesetz, Prozeßgesetze und anwaltliches Berufsrechts bieten zwar zahlreiche Möglichkeiten der Lenkung und Disziplinierung von „Konfliktanwälten"; heikel bleibt angesichts der (bewußten) gesetzlichen Zurückhaltung der Ausschluß solcher Anwälte vom Verfahren in seltenen Ausnahmefällen, wenn der Prozeß zur Farce wird und nur eine derart einschneidende Maßnahme Ansehen und Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wahren kann 401 . § 176 GVG läßt zwar sitzungspolizeiliche Maßnahmen gegen Prozeßbeteiligte und damit auch gegen Prozeßbevollmächtigte und Verteidiger zu. Die §§ 177, 178 GVG hingegen, die die zwangsweise Durchsetzung der nach § 176 GVG getroffenen Ordnungsmaßnahmen regeln, nennen in ihrer Aufzählung der möglichen Maßnahmeadressaten nicht Rechtsanwälte, woraus man schließen muß, daß gegen sie zumindest im Regelfall Zwangsmaßnahmen unzulässig sind. Das Berliner Kammergericht hat nun gemeint, sich über diese abschließende Aufzählung mit dem Argument hinwegsetzen können, daß ein Rechtsanwalt, der die äußeren Bahnen der Verhandlung verlasse, sich seines Rechts begebe, in der Eigenschaft als Prozeßvertreter tätig zu werden; er werde dann zu einer „bei der Verhandlung nicht beteiligte Person" im Sinne der §§ 177, 178 GVG, so daß die dort geregelten Zwangsmaßnahmen gegen den „Ex-An wait" zulässig würden 402 . Dieser Entscheidung liegt der Gedanke zugrunde, ein Prozeßbeteiligter, der sich contra mandatum verhalte, sei kein Prozeßbeteiligter mehr und werde zum Zuhörer („Si excessit, privatus est."). Konsequent zu Ende gedacht, gäbe es nach dieser Auffassung keine Verfahrensfehler mehr, da für den 398

Eine eindrucksvolle Schilderung der Prozeßabläufe gibt Kuhnert, Ein Alptraum für Justiz und Staat, in: Schultz (Hg.), Große Prozesse, 1996, S. 414-424. 399 Dazu Wassermann, Von der Schwierigkeit, Strafverfahren in angemessener Zeit durch Urteil abzuschließen, NJW 1994, 1106-1107 und ders., Stuttgarter Extremistenprozeß geplatzt, NJW 1994, 1708-1709. Allgemein zu den Hintergründen überlanger Strafverfahren Kempf, Lange und überlange Strafverfahren - Eine Herausforderung für die Strafjustiz, StV 1997, 208-212 und ter Veen, Zu den Gründen (über-)langer Verfahrensdauer in Strafsachen - Bericht über eine Strukturanalyse strafrechtlicher Großverfahren am Landgericht Hamburg in I. Instanz, StV 1997, 374-383. 400 So die provokante Berufungsentscheidung des LG Wiesbaden, NJW 1995, 409-410. 401 Eingehend zur „Konfliktverteidigung" und zu den de lege lata bestehenden Bewältigungsmöglichkeiten Malmendier, „Konfliktverteidigung" - ein neues Prozeßhindernis?, NJW 1997, 227 (passim). 402 NJW 1970, 482 (484).

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Lapsus eines Prozeßbeteiligten stets sein privater ego herhalten müßte. Die Überschreitung seiner Handlungsbefugnisse stellt indessen, wie gesehen, weder den Status noch die Handlungsfähigkeit eines Rechtsträgers in Frage, zumal über das Prozeßvertretungsverhältnis nicht das Gericht, sondern der Mandant entscheidet. Sie führt lediglich zur Rechtswidrigkeit der Handlung. - Ungeachtet der geschilderten dogmatischen Bedenken dürfte ein solcher juristischer Taschenspielertrick kaum das richtige Mittel sein, um eine Problematik zu bewältigen, die Grundfragen unseres Rechtsstaates berührt. - (91) Reminiszenzen eines janusköpfigen Staates mit dem Privileg öffentlichrechtlicher Makellosigkeit absolutistischer Scheinzeiten werden in der heutigen Rechtsprechung auch bei der Beurteilung fehlgeleiteter Zuwendungen der öffentlichen Hand sichtbar. All diese Konstellationen sind dadurch gekennzeichnet, daß die in öffentlichrechtlichen Normen geregelte Zuwendung (aufgrund eines Versehens der Behörde oder ohne ihr Zutun) einen Empfänger erreicht, für den sie nach dem Willen der Verwaltung nicht bestimmt war. Daß diese rechtsgrundlos erlangten Leistungen zurückzugewähren sind, darüber läßt sich nicht streiten. Die Frage bleibt, nach welchem Recht - zivilistischer Kondiktionsanspruch oder öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch - sich die Abschöpfung beurteilt, was sich nach der Rechtsnatur der Zuwendung richtet. Die Judikatur meint: Eine öffentlichrechtliche Beziehung soll zum Dritten nicht bestehen, da er keinen Anspruch auf die Leistung hat 403 . Der richterliche Schluß vom nicht gegebenen öffentlichrechtlichen Anspruch auf die privatrechtliche Beziehung ist indessen ebenso verfehlt wie die behördliche Zuwendung. Richtig und Ausgangspunkt der Überlegungen ist allerdings, daß aus der objektivierten Sicht eines verständigen Empfängers dem Dritten gegenüber keine bewußte und zweckgerichtete Mehrung seines Vermögens angenommen werden kann: In den Fällen „fehlgeleiteter" Leistungen besteht überhaupt kein Leistungsverhältnis 404. Der Dritte hat also die Zuwendung in sonstiger Weise erlangt. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß diese Nichtleistung (nicht aber: Nichthandlung) privatrechtlich ist. Auch in sonstiger Weise erlangte Gegenstände können auf öffentlichrechtliche Handlungen zurückzuführen sein. Die tatsächlich erbrachte Zuwendung ist schon der Handlungsform nach öffentlichrechtlich, ferner beruht sie auf öffentlichrechtlichen Normen und ergeht in Zusammenhang mit einer öffentlichen Aufgabe. Ob der Empfänger auf die Zuwendung einen Anspruch hat oder nicht, ist für die Beurteilung ihrer Rechtsnatur ohne Bedeutung. Öffentlichrechtliche Zuwendungen wandeln sich nicht in privatrechtliche um, wenn sie rechtswidrig sind 405 . Ad absurdum geführt, müßte die Rechtsprechung einen - öffentlichrechtlichen - Erstattungsanspruch immer dann ablehnen, wenn ein Rechtsgrund auf die Leistung nicht besteht, obwohl Zuwendungen solvendi causa auch 403

BVerwGE 84, 274 (276-278); BGHZ 73, 202 (203 f.); BGH, NJW 1978, 1385; VGH München, NJW 1990, 933 (934); offenlassend OVG Münster, DÖD 1986, 137; VGH Mannheim, NVwZ 1989, 892. 404 Hierauf weist mit Recht Maurer, Anm. zum Urt. des BVerwG v. 23.1.1990 8 C 37.88 - , JZ 1990, 863 (864), hin. 405 Frohn, Zivilistische oder öffentlich-rechtliche Rückabwicklung fehlgeschlagener Sozialleistungsbeziehungen, BayVBl. 1992, 7 (9); Maurer, Anm. zum Urt. des BVerwG v. 23.1.1990 - 8 C 37.88 - , JZ 1990, 863 (864); Schock, Der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch, Jura 1994, 82 (86). 8 Malmendier

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

im Öffentlichen Recht den Hauptanwendungsfall von Abschöpfungsansprüchen darstellen. „Fehlgeleitete" Leistungen der Verwaltung, die in hoheitlicher Form gewährt wurden oder deren Bewilligung Vorschriften des Öffentlichen Rechts zugrundelagen, sind - ungeachtet der Erkenntnis, daß die größere Sachnähe der Verwaltungsgerichte für die Annahme einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO spricht 406 - öffentlichrechtlicher Natur 407 . - (92) Völlig indiskutabel sind schließlich in der Rechtsprechung zu beobachtende noch weiterreichende Ansätze, Überschreitungen rechtlicher Befugnisse nicht erst einem vom handelnden Rechtsträger verschiedenen Gebilde zuzuschreiben, sondern von vornherein die rechtliche Relevanz einer behördlichen Maßnahme zu leugnen, indem ihre (verneinten) Eingriffswirkungen anhand der abstrakten gesetzlichen Vorgaben und nicht nach dem Inhalt der Verwaltungshandlung im Einzelfall bestimmt wird. Darauf, ob eine Maßnahme gesetzlich vorgesehen ist oder nicht, kann es für die juristische Beurteilung nicht entscheidend ankommen. Gleichwohl haben Gerichte mit dem Argument, die getroffene hoheitliche Maßnahme sei nach der Gesetzeslage nicht vorgesehen, die Beschwer Betroffener verneint und dementsprechend ihre Rechtsschutzbegehren für unzulässig gehalten. Ein anschauliches Beispiel läßt sich dem Verwaltungsvollstreckungsrecht entnehmen. Das mehrstufige Vollstreckungsverfahren zur zwangsweisen Durchsetzung öffentlichrechtlicher Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten ist in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich ausgestaltet. Die meisten Länder kennen - anders als das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (§ 14 S. 1) - einen Festsetzungsverwaltungsakt nur beim Zwangsgeld, nicht auch bei der Ersatzvornahme und beim unmittelbaren Zwang 408 . Setzt die Behörde gleichwohl eine Ersatzvomahme oder unmittelbaren Zwang in der Form eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Pflichtigen fest, so intensiviert sie dadurch - ungeachtet der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit solcher fakultativen Festsetzungen409 - im Einzelfall den Eingriff in Freiheit und Eigentum durch die verbindliche Anordnung des Zwangs, indem sie die in der Zwangsandrohung ausgesprochene Ankündigung zur Wirklichkeit macht. Wenn einige Gerichte gleichwohl davon ausgehen, die in der Festsetzung bestehende verbindliche Zwangsanordnung gehe angesichts der Gesetzeslage „ins Leere", und dem Betroffenen die für eine isolierte Anfechtung der Festsetzung erforderliche Antrags- oder Klagebefugnis oder zumindest das Rechtsschutzbedürfnis absprechen, wohl von dem Gedanken geleitet, die Suspendierung oder Kassation der Festsetzung stelle die Zulässigkeit des Ver406

Hänlein, Wohngeld für den Erben? Zur Rückforderung nach dem Tode weitergezahlter Sozialleistungen - BVerwGE 84, 274, JuS 1992, 559 (562 f.); Lorenz, Verbindungslinien zwischen öffentlichrechtlichem Erstattungsanspruch und zivilrechtlichem Bereicherungsausgleich, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Lerche, 1993, 929 (938). 407 Hänlein a.a.O., S. 562 f.; Maurer, Anm. zum Urt. des BVerwG v. 23.1.1990 - 8 C 37.88 - , JZ 1990, 863 (864); Schoch, Der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch, Jura 1994, 82 (86). 408 Zur unterschiedlichen Rechtslage Malmendier, Die Zwangsmittelfestsetzung in der Verwaltungsvollstreckung des Bundes und der Länder, VerwArch. 94 (2003), S. 25, passim. 409 Dazu wiederum Malmendier a. a. Ο.

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waltungszwangs bei nach wie vor existenter Androhung nicht in Frage 410, so verkennen sie nicht nur die Tatbestandswirkung des zwar gesetzlich nicht vorgesehenen, aber gleichwohl erlassenen und existenten FestsetzungsVerwaltungsaktes, sondern auch den Rechtsschein, den eine rechtswidrige Festsetzung entstehen läßt und der die Gefahr mit sich bringt, daß sich die Behörde an die wirksame Festsetzung hält und sie in die Tat umsetzt411. Wäre es tatsächlich so, daß gesetzlich nicht vorgesehene Verwaltungshandlungen keinen Eingriff in subjektive Rechtspositionen einzelner beinhalteten, könnte die Verwaltung in gesetzlich nicht geregelten, aber gleichwohl grundrechtsrelevanten Bereichen nie (rechtswidrig) in rechtlich geschützte Positionen eingreifen, obwohl der Vorbehalt des Gesetzes gerade hier den einzelnen schützen will. (93) Die Diskussion um die „Flucht ins Privatrecht" (Fritz Fleiner [1867-1937]) 4 1 2 und die Fiskalbindungen des Staates, aber auch um den Grundrechtsschutz der öffentlichen Hand hat der Verwaltungsrechtswissenschaft neuerdings eine weitere Differenzierung innerhalb dieses heutigen weiten Fiskusbegriffs beschert, die an dem mit dem Verwaltungshandeln verfolgten Zweck anknüpft. Man unterscheidet nunmehr zwischen Verwaltungsprivatrecht und Fiskalprivatrecht, die beide zusammen die privatrechtlichen Beziehungen der Verwaltung abschließend erfassen 413 . Verwaltungsprivatrechtlich handelt der Staat, wenn er eine öffentliche Aufgabe in der Form oder mit den Mitteln des Privatrechts „unmittelbar" erfüllt, fiskalprivatrechtlich handelt er, wenn er außerhalb öffentlicher Kompetenzen wie jedermann am allgemeinen Rechtsverkehr teilnimmt. Während der Fiskus im weiteren Sinne der Staat als Privatrechtssubjekt ist, also verwaltungsund fiskalprivatrechtliche Betätigungen gleichermaßen umfaßt, stellt der Fiskus im engeren Sinne - als Gegensatz zur Verwaltung (im qualitativen, funktionell-materiellen Sinne), die durch eine öffentliche Zwecksetzung gekennzeichnet ist, - den Inbegriff privatrechtlicher Handlungen des Staates dar, die nicht in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe wahrgenommen werden 4 1 4 . 410

In diesem Sinne BayVGH, BayVBl. 1973, 611 und OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1985, 201 (202). 411 Auf dieser Linie auch BayVGH, BayVBl. 1975, 302 (303); OVG RheinlandPfalz, NVwZ 1988, 652 (652 f.); VG Weimar, LKV 1996, 143 (143 f.). 412 Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 326. 413 Bethge, Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen, - Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - , AöR 104 (1979), S. 265 (273-275); Düng, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1994, Rn. 476 zu Art. 3; Mayer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1985, S. 65-72; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 10. Aufl. 1997, Rn. 224; Walle rath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 30-40; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 18-35. 414 Diese Unterscheidung findet sich bereits bei Siebert, Privatrecht im Bereich öffentlicher Verwaltung, in: Festschrift für Niedermeyer, 1953, S. 215 (244); siehe ferner Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 75; Wallerath, Allgemeines *

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee d) Zur Obsoleszenz des Fiskusbegriffs

(94) Eines bleibt nach der geschilderten Geschichte des Fiskusbegriffs sicher: Der traditionelle Rückgriff auf eine verwickelte, dem Fluß der Evolution offene Begriffsbildung und auf (angebliche) historische Erscheinungen eines durch die Geschichte diffus bleibenden Fiskus ersetzt keine rechtliche Begründung; das Recht um einen Begriff aufzuladen, den es heute weitestgehend meidet, bleibt zumindest wenig hilfreich. Der Rückgriff verbietet sich sogar, ohne zuvor den jeweiligen Kontext „des Fiskus" festzulegen. Man kann den Fiskusbegriff wegen seiner historisch bedingten Mehrdeutigkeit für obsolet halten. Schaden nähme die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft durch dessen Absenz jedenfalls nicht.

4. Recht zwischen zwei Zeiten (95) Gegen Ende des 18. Jahrhunderts machte sich in der Staatsrechtslehre eine deutliche Tendenz zur Verrechtlichung und Subjektivierung der Freiheitsidee bemerkbar. Gleichzeitig entwickelte sich der Fiskus in der Gerichtspraxis zu einem verklagbaren Anspruchsgegner. In etwa der gleichen Zeit trat das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten in Kraft. Welche Rolle kam dieser Kodifikation in dem Prozeß der Verrechtlichung und Subjektivierung der Freiheitsidee zu? Als sie nach vielen Jahren der Aus- und Umarbeitung 1794 endlich in Kraft trat, war sie bei der rasant fortschreitenden politischen Entwicklung schon in vielen Teilen veraltet und sollte bald auch in anderen Bereichen überholt werden. Geblieben ist gleichwohl ein bedeutsames Zeugnis des aufgeklärten Zeitgeistes, der die Schwelle der Staatsphilosophie zum positiven Recht überschritten hatte. Das erst nach seinem Tode in Kraft getretene, aber gleichwohl auf Friedrich den Großen zurückzuführende und deshalb nicht zu Unrecht als sein Gesetz bezeichnete 415 Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 darf weder als die Vollendung des preußischen Absolutismus 416 noch als preußisch-deutsches Äquivalent der „Déclaration des Droits de Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 30-40; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 19 zu § 23; für die Beschränkung des Fiskusbegriffs auf diesen engen, das Verwaltungsprivatrecht ausklammernden Sinn Burmeister, Der Begriff des „Fiskus" in der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik, DÖV 1975, 695 (701— 703): „Es gibt keine fiskalische Verwaltung" (702) (Hervorhebung nur hier). 415 Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1974 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598-621. 416 So zur Person Friedrichs II. Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (31) und E. Klein, Der preußische Absolutismus, in: Dietrich (Hg.), Preussen, Epochen und Probleme seiner Geschichte, 1964, S. 77 (97).

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l ' H o m m e " 4 1 7 , Garant der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit 4 1 8 oder „Grundgesetz der Freiheit" 4 1 9 verstanden werden. So wie der Preußenkönig eine gespaltene Persönlichkeit war, so war auch sein Landrecht als Nahtstelle zwischen dem absoluten Verwaltungsstaat und dem bürgerlichen Verfassungsstaat ein solches der Kompromisse und des Übergangs, das noch weitgehend Elemente des Absolutismus enthielt, aber auch eine politische Neuorientierung suchte und die Freiheit des einzelnen vom Staat andeutete, ein solches, das Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen verkörperte und sich wohl auch deshalb nicht in toto behaupten konnte. Es stand zahlreichen Einrichtungen des Ancien Régime kritisch gegenüber, zweifelte am Hergebrachten, suchte Neuerungen und brachte solche, konnte indessen das Landrecht in Auftrag gegeben hatte ein absoluter Monarch - die bestehende Staatsverfassung nicht überwinden, ohne daß die Legitimation der Kodifikation in Frage gestellt worden wäre. Das mit seinen 18951 Paragraphen (mehr) Privat- und (weniger) Öffentliches Recht umfassende Allgemeine Landrecht als Ausdruck eines sich wandelnden Staatsverständnisses, zu dessen Teilentwurf Friedrich II. bemerkt hat: „Es ist aber Sehr D i c k e " 4 2 0 , war eine entscheidende Weichenstellung zum heutigen Staat. Es sind weniger die einzelnen Neuerungen, die das Landrecht brachte, als der zugrundeliegende staatsrechtliche Ansatz, der diese Annahme gestattet: Mit der Bindung der ausübenden und rechtsprechenden Gewalt an die Gesetze und mit der Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen einst Obrigkeit und Untertan, bald Staat und Bürger, die ältere, auf den Landesherrn bezogene Herrschaftsbeziehungen ablöste, konnten sich einerseits ein objektiver Beurteilungsmaßstab und andererseits ein unrechtsfähiges Rechtssubjekt als Bezugsgröße für Reaktionsansprüche aus der Verletzung von „Freiheit und Eigentum" zu entwickeln beginnen, auch wenn diese Entwicklung bis zu ihrer Reife noch einen langen Weg vor sich haben sollte. Diese Vorarbeit des Allgemeinen Landrechts wird nicht dadurch entwertet, daß der allgemeine Staatsabwehranspruch nicht über das Versuchsstadium hinausgelangte. Daß solche Ansätze in Preußen erstmals Bestandteil der staatlichen Rechtsordnung wurden und infolgedessen in der rechtspolitischen Diskussion nicht mehr in Vergessenheit geraten konnten, ist Verdienst genug. 417

So Koselleck, Staat und Gesellschaft im preußischen Vormärz, 1962, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 1, 1981, S. 378 (380); Schoeps, Preussen, Bilder und Zeugnisse, 1967, S. 13. 418 So Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 3. Aufl. 1993, S. 53. 419 So Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, S. 1 (17). 420 Wiedergegeben nach Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: ders./Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, S. 1 (10).

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(96) Ob das Allgemeine Landrecht als erste geschriebene Verfassung Preußens angesehen werden kann 4 2 1 , was schon seiner (Über-)Länge wegen zweifelhaft erscheinen muß, und ob es Preußen trotz seiner ständischen Ordnung zum Rechtsstaat machte 4 2 2 , was zunächst eine schwierige und 421

Hierzu mit unterschiedlichen Auffassungen Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1974 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598 (passim); Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 1997, Rn. 149; Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: ders./ Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, S. 1 (17-20); ders., Das ALR im Widerstreit der Politik, in: Merten/Schrekkenberger (Hg.), Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 27 (41); Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 13; ders., Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794, 1995, S. 16 f.; Schwennicke, Zwischen Tradition und Fortschritt - Zum zweihundertsten Geburtstag des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, JuS 1994, 456 (458 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 104-106, 178 Fn. 15; Vierhaus, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten als Verfassungsersatz?, in: Dölemeyer/Mohnhaupt (Hg.), 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, 1995, passim; Willoweit, Die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl. Das rechtspolitische Profil des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, in: Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft Rechtsstaat, 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1995, S. 1 (4-6). 422 Hierzu mit wiederum unterschiedlichen Auffassungen Birtsch, Eigentum und ständische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, Festschrift für Schieder, 1978, S. 59 (69); Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen für die preußischen Staaten von 1794, 1958, S. 41; ders., Das Allgemeine Landrecht von 1974 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598 (615-621); Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 3. Aufl. 1993, S. 53; Frotscher/Pieroth a.a.O.; Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: ders./ Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996, S. 1 (17 f.); ders., Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat, in: Wolff (Hg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht, 1995, S. 49 (56 f., 66 f.); Hucko, Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, NJW 1994, 1449 (1451); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 87; Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 13; ders., Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794, 1995, S. 17-21; Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, 1976, S. 169 f.; Koselleck, Staat und Gesellschaft im preußischen Vormärz, 1962, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), ebenda, Band 1, 1981, S. 378 (379-384); Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 109 (passim); Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 55; Schwennicke, Zwischen Tradition und Fortschritt - Zum zweihundertsten Geburtstag des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, JuS 1994, 456 (458 f.); Vierhaus, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten als Verfassungsersatz?, in: Barbara Dölemeyer und Heinz Mohnhaupt (Hg.), 200 Jahre Allgemeines Landrecht

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dem aufgeklärten Staat des ausgehenden 18. Jahrhunderts in dieser Allgemeinheit und Vielschichtigkeit noch gar nicht bekannte typologische Fixierung dessen erforderlich macht, was den „Rechtsstaat" eigentlich ausmacht, ist aus der Perspektive des subjektiven öffentlichen Abwehrrechts von sekundärem Interesse. Wesentlich ist allein, daß sich trotz der unverändert fort bestehenden Staatsverfassung 423, der absoluten, wenn auch aufgeklärten Monarchie, der Übergang vom Herrschafts- zum Rechtsverhältnis anbahnte. Ohne diese umfassende Verrechtlichung der Beziehung zweier Rechtssubjekte konnte sich das Freiheitsproblem nicht stellen, weil das Staatshandeln keine weiteren gerichtlich durchsetzbaren Grenzen als die wohlerworbenen Rechte kennen konnte. Die Naturrechtslehren, die die Rechtfertigung für den Ausbau einer absoluten Staatsgewalt geliefert hatten, waren eine tikkende Zeitbombe, weil sie auf der natürlichen Freiheit des einzelnen aufbauten. Im (wenn auch: ständisch-abgestuften) normativen Personalismus des Landrechts, das in Abkehr vom römischen Institutionensystem das Recht auf die Person bezog, war es nur eine Frage der Zeit, daß sich der als Rechtssubjekt entdeckende Untertan für die Bedeutung der Freiheit interessierte und sie als Gegensatz zum Bevormundungsstaat verstand, „Sehnsucht nach Freiheit entsteht [...] nur zu oft erst aus dem Gefühle des Mangels derselben" 424 - , daß sich die Fragen stellten, warum sich der einfür die preußischen Staaten, Wirkungsgeschichte und internationaler Kontext, 1995, S. 1 (passim); Willoweit, War das Königreich Preußen ein Rechtsstaat?, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft, Festschrift für Mikat, 1989, S. 451 (457 f.); ders., Die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl, in: F. Ebel (Hg.), ebenda, 1995, S. 1 (4-6). 423 Birtsch, Eigentum und ständische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, Festschrift für Schieder, 1978, S. 59 (67-69); ders., Die preußische Sozialverfassung im Spiegel des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten 1794, in: Wolff (Hg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht, 1995, S. 133-147; Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1974 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 598 (619); Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (21, 27); Hucko, Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, NJW 1994, 1449 (1452); Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (388); Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 373-375; ders., Zwischen Tradition und Fortschritt - Zum zweihundertsten Geburtstag des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, JuS 1994, 456 (459); Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 402 f.; Willoweit, War das Königreich Preußen ein Rechtsstaat?, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft, Festschrift für Mikat, 1989, S. 451 (459); ders., Die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 1 (15). 424 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 3.

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zelne mit dem Eintritt in den status civilis seiner natürlichen Freiheit begeben haben sollte, warum die vorstaatlichen angeborenen und natürlichen Rechte weniger Schutz als die positiven Rechte genießen sollten, obwohl sie ihre Grundlage bildeten 4 2 5 . Die natürlichen und unveräußerlichen Rechte sollten dem Menschen auch nach seinem Übergange in die bürgerliche Gesellschaft bleiben, und keine gesetzgebende Macht sollte berechtigt sein, ihn derer zu berauben 426 . Die Aufklärung brachte die Grundvoraussetzung für die rechtliche Erfassung der entdeckten Freiheit: Das Rechtsverhältnis. Man kann deshalb sagen, daß Friedrich IL und sein Allgemeines Landrecht die (vielleicht: ungewollten) Wegbereiter des Konstitutionalismus des kommenden Jahrhunderts waren. Weder mehr, noch weniger.

I I . Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert 1. Entwicklungslinien (97) Die Verrechtlichung der Freiheit als Grundlage öffentlichrechtlicher Abwehransprüche des einzelnen gegen den Staat ist eine verhältnismäßig junge Erscheinung der Neueren Zeit. Der manifeste Kontrast von Staat und Individuum, ohne den sich die Frage der rechtlichen Abgrenzung zweier gegensätzlicher Sphären nicht stellt, ist erst ein Produkt des Absolutismus und seiner ausgebauten polizeistaatlichen Verwaltung. Gleichheitsrechte waren die Antwort auf die ständische Gesellschaft, Freiheitsrechte auf den Bevormundungsstaat 427 . Erst der staatlich konterkarierte bürgerliche Drang 425

Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 112 f. 426 Svarez, Privatrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinhey er, Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 579 (585). 427 Wobei nicht verkannt werden darf, daß Gleichheits- und Freiheitsidee untrennbar zusammenhängen. Libertät konnte nur durch Egalität erreicht werden, - keine umfassende Freiheit ohne allgemeine Gleichheit: Im Kampf gegen Privilegien mußten jedermann zustehende, standesunabhängige Staatsabwehrrechte durchgesetzt, mußten wohlerworbene Rechte durch allgemeine Gesetze ersetzt werden. Gerade diese historischen Grundlagen zeigen die freiheitsdienende Natur des Gleichheitssatzes. Parallelen des Gleichheitssatzes zu Freiheitsrechten zeigen sich neuerdings auch insofern, als die „neue Formel" des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 55, 72 [88]; 60, 113 [119]; 67, 70 [85 f.]; 82, 60 [86]; 85, 238 [244]; BVerfG, NJW 1983, 2811; NJW 1987, 2919 [2920]; 1995, 1811 [1812]) in der Staatsrechtswissenschaft als Bekenntnis zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab gedeutet wird (Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 [1984], S. 174 [188-192]; Jarass, Folgerungen aus der neueren Rechtsprechung des BVerfG für die Prüfung von Verstößen gegen Art. 3 I GG, NJW 1997, 2545 [2548 f.]; Koenig, Die gesetzgeberische Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz - Eine Darstellung des Prüfungsaufbaus zur Rechtssetzungsgleichheit, JuS 1995, 313 [315 ff.]; Maaß, Die neuere Rechtspre-

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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nach autonomer geistiger und kapitaler Entfaltung gab der liberalen Idee das politische Gewicht, um sich zu einer politischen Bewegung zu formieren. Etwas übertrieben muß deshalb die Behauptung erscheinen, es habe „jahrhundertlanger" Anstrengungen und schwerer Kämpfe bedurft, um die Grundrechte als konstituierende Faktoren unseres Gemeinschaftslebens zu etablieren 428 , auch wenn sich die Wurzeln der Freiheitsverbriefungen über das Mittelalter hinaus zurückverfolgen lassen 429 . Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurde die Absicherung einer individuellen Freiheitssphäre in Deutschland nicht als dringendes Bedürfnis empfunden. Die naturrechtlichen Staatsdenker hatten sich ganz in den Dienst ihrer Landesfürsten im Interesse des Ausbaus einer starken und zentralisierten Staatsgewalt gestellt, nachdem der Dreißigjährige Krieg Deutschland dahingerafft hatte. Die natürliche Freiheit des einzelnen schlummerte im vorstaatlichen status naturalis, während das Maß der bürgerlichen Freiheit vom Willen des Souveräns abhing. Erst im Zeitalter der Aufklärung begann man mit der rechtlichen Erfassung der Freiheit, erst ein zu Selbstbewußtsein erwachtes Bürgertum konnte dieser Freiheitsidee als bedeutende gesellschaftliche Kraft das für eine rechtliche Umsetzung erforderliche politische Gewicht geben, und so zeigten sich im ausgehenden 18. Jahrhundert dann auch erste Ansätze in Gesetzgebung und Rechtsprechung 430 . (98) Seine Blüte erlebte der Liberalismus im 19. Jahrhundert. Wenn vom liberalen Rechtsstaat „des 19. Jahrhunderts" die Rede ist, dann darf freilich nicht verkannt werden, daß die normative Ausgestaltung der Freiheit zur Grundlage individueller Abwehrrechte in der Rechtsordnung nicht auf Anchung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitsatz - Ein Neuansatz?, NVwZ 1988, 14 [19-21]; Schock, Der Gleichheitsatz, DVB1. 1988, 863 [874 f.]; von einer Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse spricht denn auch BVerfG, NJW 1993, 1517). Vollends verwischt wird die Grenze zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten, wenn im Falle eines „stärkeren Bezuges" des einen oder anderen Rechts zu dem zu prüfenden Sachverhalt ein Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz (Subsidiarität) angenommen wird (BVerfGE 64, 229 [238 f.]; 65, 104 [112 f.]; 67, 186 [195]; 75, 348 [357]; 75, 382 [393]; 82, 60 [86]). Daß sich der Gleichheitssatz gleichwohl zu einer der vier Säulen des heutigen Grundrechtssystems (Freiheits-, Verfahrens-, Gleichheits- und politische Teilhaberechte) etablieren und bis heute halten konnte, ist wohl gerade historisch, mit der Neigung der Verfassungsgeber zu erklären, Verfassungserrungenschaften ihrer Vorgänger - oft wörtlich - zu übernehmen, auch wenn es sich um Relikte vergangener Jahrhunderte handelt. Die historische Entwicklung der Gleichheit zum Vehikel der Freiheit und die sich andeutende dogmatische Erkenntnis der (Un-)Gleichheit als Kriterium der Eingriffszurechnung aber laufen letztendlich auf die dogmatische Frage hinaus: Hat der Gleichheitssatz eine selbständige Bedeutung? 428 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 53. 429 Fn. 53. 430 Tn. 36 f.

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hieb erfolgte und nicht das 19. Jahrhundert durchgehend und gleichermaßen beherrschte. Preußen blieb bis zur oktroyierten Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 5. Dezember 1848 4 3 1 ein absolutistischer Staat, und auch nach der Märzrevolution war der bürgerliche Staat noch lange nicht perfekt. Eine Bewußtseinsänderung und eine Anpassung an die Rechtsordnung trat nicht von einem Tag auf den anderen ein, die Verfassungswirklichkeit wußte Unklarheiten auszunutzen, und alte Rechtsgrundsätze galten zunächst fort. Der Gang vom wohlerworbenen Recht zur allgemeinen Handlungsfreiheit hatte um die Jahrhundertmitte den letzten Schritt noch nicht gesetzt. Die erste, spätabsolutistische und restaurative Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung der Norddeutschen Bundes mit seinen deutlich sichtbar werdenden Reformen war dem einzelnen gegenüber weitaus weniger freiheitlich zugeneigt als das ausgehende 18. Jahrhundert. (99) Der Konstitutionalismus als Opposition zum Absolutismus, als Staatsform, in der die Gewalt des monarchischen Herrschers durch eine geschriebene Verfassung beschränkt ist, ob nun als eigenständiges politisches Formprinzip oder als bloße kompromißhafte Übergangserscheinung zwischen Absolutismus und Parlamentarismus, wird oft mit Freiheitsrechten gleichgesetzt. Indes machte allein seine Verfaßtheit das Ancien Régime noch nicht zum freiheitlichen Staat, zum Adressat öffentlichrechtlicher Abwehransprüche. Die Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts war durch zwei - zeitlich verlagerte - Aspekte gekennzeichnet. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ging voraus. Sie sollte dem Bürger einen staatsfreien Vorbehaltsbereich garantieren, und die Volksvertretung sollte Wächter dieser Freiheit sein. Dem entsprachen anfangs noch keine subjektiven Abwehrrechte. Man setzte auf objektive Institutionen der Überwachung, insbesondere das Gewaltenteilungsprinzip, nicht auf subjektivrechtliche Rechtspositionen. Es dauerte bis in den Spätkonstitutionalismus, daß die geschlossene Freiheitssphäre um ein subjektives Vermögen des Bürgers ergänzt wurde, daß jene Grundrechte" juristisch operabel gemacht wurden. Erst dann bestand der status negativus als Grundlage subjektiver Reaktionsansprüche, der in dieser Gestalt bis heute im großen und ganzen unverändert fortbesteht.

2. Das staatliche Umfeld der Reformen (100) Die deutsche Verfassungsbewegung und -entwicklung des 19. Jahrhunderts ist durch das Festhalten am monarchischen Prinzip geprägt 432 . Anders als in Frankreich wurde der rechtsstaatliche Schub nicht mit dem 431

PrGS 1848, Nr. 3065, S. 375-391. Grundlegend hierzu aus zeitgenössischer Sicht Stahl, Das monarchische Prinzip, Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung, 1845, passim. 432

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demokratischen verbunden. Der Volkssouveränität wurden nur insoweit Konzessionen gemacht, als es zur Erhaltung der Monarchie notwendig erschien. Nicht die Aufklärung, sondern Mißstände im französischen Staatswesen wurden für die französische Revolution verantwortlich gemacht 433 , „die Unordnung der Finanzen, der harte Druck übermäßiger Auflagen, die Verschwendungen des Hofes, der Mätressen und Günstlinge, der willkürliche Despotismus, der gegen die Person, die Freiheit und das Vermögen der einzelnen Staatsbürger von ehrgeizigen und habsüchtigen Ministern unter der Nachsicht eines schwachen Regenten verübt wurde - das sind die wahren und einzigen Quellen der Revolution" 4 3 4 . Aufklärung und Monarchie waren nicht inkompatibel, Freiheit nicht allein in Demokratien, sondern in allen vernünftigen Regierungsformen anzutreffen, und vor dem Schrecken des Blutrausches der Pariser Guillotinen - „oft ist in den Orten, wo der Bürger am mehresten Freiheit ruft, die wenigste" 4 3 5 - traute man der monarchischen Staatsform am ehesten zu, Freiheit und Sicherheit des einzelnen zu garantieren. Ganz in diesem Sinne konnte Wilhelm von Humboldt, der oft zu den Vätern des Rechtsstaates gerechnet wird, feststellen, daß die Einführung einer anderen Regierungsform durch Revolution „immer mannigfaltige nachteilige Folgen" mit sich bringt, während jeder (demokratische, aristokratische oder monarchische) Regent die Grenzen der Wirksamkeit eines Staates still, unbemerkt und ohne schädlich auffallende Neuheit einschränken kann 4 3 6 . Es war dies ein Appell an die absoluten Landesfürsten, im Wege einer freiwilligen Selbstbeschränkung und aus eigener Machtvollkommenheit ihre staatliche Gewalt zu beschränken. Die monarchische Staatsform wurde nicht als Übel begriffen, wenn sie nur dem einzelnen „Freiheit und Eigentum" 4 3 7 garantierte und das Übermaßverbot beobach433

E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, 1790, S. 162 f. Svarez, Allgemeines Staatsrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 453 (497). 435 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, 1775, § 2174, S. 215. 436 Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 3. Schon die Kodifikatoren des Allgemeinen Landrechts hatten betont, daß auch die Monarchie Grenzen der Staatsgewalt kenne (siehe bereits Tn. 46): „Eine despotische Verfassung ist da, wo die ausübende Gewalt, sie befinde sich nun bey dem Fürsten, bey den Großen oder beym Volke, durch keine Gewalt eingeschränkt ist. In der Monarchie aber, wenn sie auch uneingeschränkt ist, existieren Gesetze, welche der Gewalt Gränzen vorzeichnen" (E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, 1790, S. 167). 437 Die „Freiheit-und-Eigentum-Formel" umschrieb eine Zentralforderung des abendländischen jüngeren neuzeitlichen Denkens. Die Wortverbindung zu „liberty and property" findet sich bereits beim englischen Empiriker John Locke (16321704), The Second Treatise of Government (Über die Regierung), 1689, §§ 149, 227 (S. 114, 172). Über de Montesquieu, De l'esprit des lois, 1748, livre XXVI, 434

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tete; nur Regenten, die die Zeichen der Zeit nicht erkannten und das Licht der Aufklärung abzustellen suchten, hätten Grund zur Furcht 4 3 8 . Die deutschen Aufklärer wendeten sich gegen den Bevormundungsstaat, gegen die Sorgfalt des Staates für den positiven Wohlstand seiner Bürger 4 3 9 . Aufgaben des öffentlichen Lebens sollten, modern gesprochen, im Sinne einer chapitre XV (II, p. 193), gelang sie nach Kontinentaleuropa in Art. 2 S. 2 der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 (abgedruckt bei Duverger, Constitutions et documents politiques, I 0 l è m e éd. 1986, p. 17). Im deutschsprachigen Raum trifft man sie nicht erst, wie oft angenommen, bei Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherrn vom und zum Stein (1757-1831) an, sondern etwa 1771 bei Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717-1771), Natur und Wesen der Staaten, § 57, S. 125, und 1790 bei Ernst Ferdinand Klein (1744-1810), Freyheit und Eigenthum, abgehandelt in acht Gesprächen über die Beschlüsse der Französischen Nationalversammlung. Richtig bleibt allerdings, daß die Formel erst mit der Konstitutionalisierung der Gewaltenteilungsidee in den frühkonstitionellen deutschen Verfassungen ihre (objektivrechtliche) kompetenzielle und damit eingriffsbezogene Bedeutung als Schranken-Schranke, im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes, erhielt, nachdem einzelne Freiheiten zu grundrechtlichen Schutzbereichen verfaßt worden waren; zuvor, in der Aufklärung, bildete die Formel nur eine schutzbereichsbezogene Forderung. Diese neue eingriffsbezogene Bedeutung der Freiheitund-Eigentum-Formel, die dann auch in den frühkonstitutionellen Verfassungen ihren Niederschlag fand, wurde - in der Tat - schon sehr früh bei vom Stein sichtbar, wenn er im August/September 1814 in seinen Bemerkungen zum Entwurf der Grundlagen einer deutschen Bundesverfassung Karl August Fürst von Hardenbergs (1750-1822) hervorhob, daß „wichtige, das Eigentum, die persönliche Freiheit und die Verfassung betreffende neue Landesgesetze [...] ohne den Rat und die Zustimmung der Landstände nicht eingeführt werden" können (abgedruckt bei: Hubatsch [Hg.], Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, Fünfter Band, 1964, Nr. 156, S. 141-145 [141, ad § 7]). Bereits in seiner Denkschrift „Über eine ständische Verfassung im Herzogtum Nassau" vom 24. August 1814 hatte es vom Stein als eine „wesentliche Befugnis" der Stände bezeichnet, an der Gesetzgebung teilzunehmen, „so daß kein das Eigentum, die persönliche Freiheit oder die Verfassung betreffendes Gesetz ohne Zustimmung der Stände gültig sei, wohingegen alle zur Ausübung und Anwendung der vorhandenen Gesetze nötigen Verfügungen dem Landesherrn allein überlassen bleiben"; dieser Vorbehalt der Stände sollte ihnen ermöglichen, „über Sicherheit des Eigentums und der persönlichen Freiheit gegen alle willkürlichen Eingriffe zu wachen" (abgedruckt bei Hubatsch, ebenda, Nr. 136, S. 124-127 [125]; zum Begriff der Stände später Tn. 106). Eingehender zu den sprachlichen und ideengeschichtlichen Ursprüngen dieser Wortzusammensetzung der Freiheit-und-Eigentum-Formel Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 75 f.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 346 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 117-124; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, S. 17-24; Ramsauer, Die Bestimmung des Schutzbereichs von Grundrechten nach dem Normzweck, VerwArch. 72 (1981), S. 89 (91). 438 Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, S. 379381. In diesem Zusammenhang betonte er den Vorteil, vor den Reichsgerichten die Obrigkeit verklagen zu können: Durch diese in Deutschland gegebene Möglichkeit, „Revolutions-Prozesse" führen zu können, sei man sich vor gewaltsamen Revolutionen sicher (Zweiter Band, 1797, S. 467).

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materiellen „Privatisierung" 440 entstaatlicht werden, um den Wohlfahrtsstaat „schlanker" zu machen. Die Staatsgewalt sollte sich fortan auf die Abwehr innerer und äußerer Gefahren für seine Bürger beschränken 441 , während die Privatsphäre (insbesondere die Wirtschaft, die Religion, der Meinungsaustausch und die Bildung) dem staatlichen Zugriff entzogen werden sollte. Ihnen ging es weniger um die Durchsetzung politischer Freiheit, um die Anteilnahme der Gesellschaft am Staatswesen als um die Sicherung der bürgerlichen Freiheit, der „Freyheit der Einzelnen, ihre eigene Wohlfahrt nach besten Einsichten zu befördern" 442 . Diese Garantie war ohne revolutionäre Veränderung der Staatsorganisation möglich, bürgerliche Freiheit konnte auch ohne politische Freiheit gewährt werden 4 4 3 . „Wer [...] in einer Monarchie lebt, worinn die bürgerliche Freyheit gehandhabt wird, wird kein Verlangen tragen, ein Republicaner zu werden" 4 4 4 . Nicht die Gemeinschaft, sondern der Staat und sein „erster Diener" sollten die Freiheit verwirklichen. (101) So nahm sich die Neuordnung Deutschlands die Sicherung der Monarchie zum Ziel, nachdem 1814 Napoleon /. (1769-1821) abgedankt hatte und ein Jahr später endgültig von der europäischen Landkarte verschwunden war. Die deutsche Bundes-Acte vom 8. Juni 1815 4 4 5 , ein völkerrechtlicher Vertrag, der unter der politischen Führung des österreichischen Staatsmannes Klemens Lothar Fürst von Metternich (1773-1859) zustande kam und durch den der deutsche Bund gegründet wurde 4 4 6 , erklärte die Erhaltung der „Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten" zu ihrem Anliegen 4 4 7 . Gemeint waren die Fürsten- und Königtümer in ihrer monarchischen Verfassung, wie sie vor der Herrschaft Napoleons bestanden hatte. Mochte die Bundesakte es in dieser Selbstverständlichkeit an Nachdrücklichkeit noch vermissen lassen, verankerte Art. L V I I der Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deut439 V. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 38 f.; E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, 1790, S. 118. 440 Zu den „Privatisierungsbegriffen" R. Hofmann, Privatisierung kommunaler Verwaltungsaufgaben, VB1BW 1994, 121 (122); Lecheler, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, BayVBl. 1994, 555 (529); Schock, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVB1. 1994, 962 (962 f.). 441 V. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 45 f. 442 E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, 1790, S. 118. 443 E. F. Klein a.a.O., S. 117 f., 164. 444 E. F. Klein a.a.O., S. 164. 445 CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, Nr. I, S. 1-7. 446 Art. I. 447 Art. II.

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sehen Bundes zu Wien gehaltenen Ministerial-Conferenzen vom 15. Mai 1820 [Wiener Schlußakte] 448 das monarchische Prinzip institutionell mit aller Deutlichkeit: Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muß, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden, hieß es dort 4 4 9 . Metternich hatte zwar die napoleonischen „Planeten um die kaiserliche Sonne" 4 5 0 überwunden, im Grunde aber das alte Reich in Gestalt seiner letzten, schwachen Lebensjahre wiederhergestellt, diesmal nur ein wenig besser organisiert, was seine künstliche Erhaltung anlangt. Das war der Anfang des „neuen Ancien Régime".

a) Trennung von Staat und Gesellschaft (102) Durch die Restauration des monarchischen Prinzips vollzog sich die weitere Entwicklung nicht in einem geschichtlichen Bruch, sondern unter Wahrung der historischen Kontinuität, was evolutionäre, nicht revolutionäre Reformen mit sich brachte 451 . Sie kamen nur Schritt für Schritt, zögernd, unvollständig, verspätet, oktroyiert, eben „von oben nach unten", meistens aus politischem Kalkül der Machthabenden und nicht aus ideologischer Überzeugung, von Rückschritten immer wieder unterbrochen. Eine „année sans pareille", wie der Schriftsteller und Historiker Louis-Sébastien Mercier (1740-1814) das Jahr 1789 in Frankreich umschrieb 452 , hat es in den deutschen Staaten bis 1918 nie gegeben. Den Revolutionären des Geistes folgte keine revolutionäre Praxis 4 5 3 , die in mehreren Jahrhunderten herausgebildeten Institutionen wurden nicht in wenigen Monaten hinweggefegt 4 5 4 . Die Landesfürsten griffen keiner Revolution „von unten" vor, die am Anfang des neuen Jahrhunderts vom Volk nicht getragen worden wäre. In Deutschland war der Anlaß der Reformen „von außen" (Fritz Härtung [1883-1967]) 4 5 5 gekommen, durch Napoleons Macht und seinen Zusam448

CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, Nr. XXXV, S. 101-111. A.a.O., S. 109. 450 G. Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 1958, S. 66 f. 451 Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967, in: Böckenförde (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. 1981, S. 146 (154). 452 A l'année 1789, Annales patriotiques et littéraires de la France, et affaires politiques de l'Europe; Journal libre, Par une Société d'Écrivains Patriotes, & dirigé par M. Mercier, N°. XC, Du Jeudi 31 Décembre 1789, p. 3 (4). 453 Hattenhauer , Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufl. 1983, Rn. 52. 454 In Anlehnung an Mercier a.a.O., p. 4. 449

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menbruch. Der Wiederaufbau machte eine staatliche Reorganisation erforderlich, die mit den bestehenden statisch-gesellschaftlichen Strukturen nicht zu bewerkstelligen war. Hand in Hand mit den gesellschaftlichen Reformen wurde die monarchische Staatsverfassung, wenn auch mit einigen Zugeständnissen, verfestigt. Diese „nur" stufenweise verlaufende Entwicklung wiederum perpetuierte und verfestigte den Gegensatz zwischen Staat und Individuum, zwischen Krone und Volk, der nach den Stein-Hardenbergischen Reformen noch nicht so ausgeprägt w a r 4 5 6 . Der Staat war nicht um den Bürger herum gebaut, sondern stand diesem gegenüber, es war nicht „sein" Staat, sondern der des Regenten. Das sich emanzipierende Bürgertum löste sich im Frühindustrialismus aus dem Staat heraus. Zwei nebeneinander bestehende und gegensätzliche soziale Ordnungen polarisierten sich zur Trennung von Staat und Gesellschaft 457 , deren geistiger Urheber bekanntlich Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) 4 5 8 ist. Der Bürger verlangte Freiheit vom Staat, nicht Freiheit im Staat. Da die uneingeschränkte Volkssouveränität noch keine Forderung der Zeit war, wurde die Unterscheidung und Trennung der bürgerlichen und der staatlichen Bereiche als staatstheoretisches Erfordernis begriffen, um die Grenzen der Staats-

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Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (41). Angermann, Das Auseinandertreten von „Staat" und „Gesellschaft" im Denken des 18. Jahrhunderts, 1963, in: Böckenförde (Hg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 109 (129 f.); Koselleck, Staat und Gesellschaft im preußischen Vormärz, 1962, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 1, 1981, S. 378 (415). 457 Angermann, Das Auseinandertreten von „Staat" und „Gesellschaft" im Denken des 18. Jahrhunderts, 1963, in: Böckenförde (Hg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 109 (passim); Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 54; Becker, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, VVDStRL 14 (1956), S. 96; Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System vor 1848, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 460 (466); Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 21-29; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 161-168; Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 4. Aufl. 1996, Rn. 255-260; Koselleck, Staat und Gesellschaft im preußischen Vormärz, 1962, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 1, 1981, S. 378 (414 f.); A. Laufs, Recht und Gericht im Werk der Paulskirche, 1978, S. 10; Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 8. Aufl. 1993, Rn. 231; Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, 1969, S. 81-86; Riedel, Der Begriff der „Bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, 1962, in: Böckenförde (Hg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 77-108; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 113 f.; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (147). 458 Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, 1821, Dritter Teil, Zweiter und Dritter Abschnitt, S. 327-501. 456

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gewalt klar bestimmen zu können 4 5 9 , „da der Staat keineswegs das gesamte Gesellschaftsleben der Menschen in sich aufnimmt, sondern es nur von einer einzelnen Seite her berührt" 4 6 0 . Dieses gegensätzliche Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft und des preußischen Soldatenstaates bildete die Grundlage der Lehre vom allgemeinen Gewaltverhältnis 461 , - Gewaltverhältnis und allgemein auch deshalb, weil einerseits anfangs das Staatsoberhaupt, später der Staat, und andererseits der Untertan in einem Über-undUnterordnungsverhältnis standen, der Untertan nur Pflichtsubjekt war, wenn nicht ausnahmsweise und im übrigen die obrigkeitliche Gewalt rechtlich begrenzt wurde 4 6 2 . Dieser bipolare Kontrast sollte in Zeiten Nachwirkungen behalten, in denen er schon stark abgeschwächt war, etwa in der Ausgestaltung des preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit als kontradiktorisches Parteiverfahren 463 oder im heutigen Grundrechtsverständnis 464. Im Schrifttum war bald vom Subjektions-, Subordinations- oder Untertanenverhältnis, von Gewaltunterworfenen, von der Unterwürfigkeit und Subjection, von der Unterthanenschaft, von Beherrschten und Subjizierten 465 , sogar von Staatsbür459 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 175 f. 460 V. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 62. 461 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 49 f.; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 145 f.; Loschelder, Vom besonderen GewaltVerhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 107; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 102; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 185. 462 Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 50. Das dem Grundgesetz zugrundeliegende „Verteilungsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates" (C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 164), das von einer dem Staat vorverlagerten, ursprünglichen und prinzipiell unbegrenzten Freiheit des Individuums ausgeht, die dem einzelnen einen Autonomiebereich verschafft, in der seine Freiheit „prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staats zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist" (C. Schmitt a.a.O., S. 126), ist also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur noch keineswegs ausgeprägt, sondern geradezu verdreht: Eine unbegrenzte staatliche Gewalt war noch die Regel, ein rechtlich abgesicherter Freiheitsraum des einzelnen noch die Ausnahme. 463 Tn. 435. 464 Tn. 105. 465 In chronologischer Folge: Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, 2. Aufl. 1822, Zweite Abtheilung, § 205, S. 428; Mittermaier, Was hat der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 (1829), S. 362 (400 f.); Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 47; v. Pfizer, Ueber die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Civil-Justiz, 1838, S. 14-16; Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder iealen Staatsrechtes, 1845, S. 558, 560; v. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 63 f., 67; Zachariä, Ueber die Haftungs-

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gern als Gegenständen der Staatsgewalt und Objekten der obrigkeitlichen Rechte des Staates, von Rechten des Staates an den Staatsbürgern die Rede 4 6 6 , wobei die Verrechtlichung dieses Verhältnisses nicht verkannt werden darf: Kraft des Gesetzes sollte es kein Herrschaftsverhältnis mehr sein, sondern ein Rechtsverhältnis 461, und dieses wurde es auch im Laufe des 19. Jahrhunderts, wenn nach und nach einzelne Lebensbereiche verrechtlicht wurden, bis am Ende der Sache nach nicht mehr das Gewaltverhältnis 468 , Verbindlichkeit des Staats aus rechtswidrigen Handlungen und Unterlassungen seiner Beamten, ZgS 19 (1863), 582 (631); Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 1876, S. 317; v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, 44 f., 51; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 9-11; G. Jellinek, System des subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 84-86, 103 f., 112 f. Solche und ähnliche Wortwendungen waren schon der vorbürgerlichen Staatslehre bekannt (exemplarisch Gönner, Teutsches Staatsrecht, 1804, S. 61: „Subjektionsverhältniss"). 466 V. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 44-48; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 1876, S. 317 f. Rabiater Zwang des Staates war mit diesen barschen Worten indes nicht gemeint, der Sache nach ging es um nichts anderes als eine (aus heutiger Sicht: unpassende) naturalistische Umschreibung eines Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Individuum, die damals nicht in einem abwertenden Sinne verstanden wissen sein wollte (dazu Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 48-51, und sogleich Fn. 468). 467 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 146 m.w.N. aus dem damaligem Schrifttum; skeptisch Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 49; ders., Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVB1. 1986, 208 (216). 468 Überraschen muß deshalb die verhältnismäßig späte Ausbreitung dieses (aus heutiger Sicht:) unpassenden Gewalt-Begriffs, die sich erst zu einer Zeit bemerkbar machte, in der seit langem das Herrschafts- durch ein (verwaltungsgerichtlich weitgehend geschütztes) allgemeines Rechtsverhältnis in Folge der Anerkennung eines Vorbehaltsbereichs und seiner Subjektivierung abgelöst und die Verwaltung schon lange nicht mehr allmächtig war. Die Subjektivierung des Gesetzesvorbehalts führte insbesondere zu einer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Prinzips, daß der Untertan nur „im übrigen", wenn die staatliche Gewalt rechtlich begrenzt würde, Träger von Rechten auch gegenüber dem Staat sein könne. Der Gewaltausdruck hatte zu dieser Zeit nur noch seine Berechtigung hinsichtlich der Legislative, soweit er ihre Allmacht verdeutlichte, hinsichtlich der Exekutive, soweit er das staatliche Selbstverwirklichungsrecht als Ausfluß der Staatsgewalt" oder die damals typische (durch Befehl und Zwang gekennzeichnete) Handlungsform des Staates charakterisierte, ohne über deren rechtliche Bindung etwas auszusagen. Nur im besonderen Gewaltverhältnis, das, als Relikt des Obrigkeitsstaates, Rechtssubjekten gegenüber impermeabel war, blieb der Begriff Ausdruck eines „Zustandes verminderter Freiheit" 0Ο. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 102), war das Gewaltverhältnis ein Herrschaftsverhältnis geblieben. Im übrigen, was die allgemeine Staat-Bürger-Beziehung betraf, hatte der (auch dem Grundgesetz etwa in den Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3, 19 Abs. 4 S. 1, 20 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 3 bekannte) Gewalt-Begriff keine andere Bedeutung als heute (zu dieser Woljf/Bachof/ 9 Malmendier

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sondern ein status negativus als allgemeines Rechtsverhältnis zur Regel wurde 4 6 9 . „Die rechtlichen Gränzen, in denen sich die Staatsgewalt bewegen muß, [sind] genau bestimmt, und die Unterwerfung jedes Einzelnen unter die öffentliche Gewalt findet nur statt nach Maßgabe eben dieser Gränz e n " 4 7 0 . Das Verwaltungsrecht konnte sich im 19. Jahrhundert zur normativen Ordnung der Kompetenzen, Rechte und Pflichten von Staat und Bürger entwickeln 4 7 1 . In diesem Sphärendenken lag eine im Vergleich zum übrigen Abendland spezifische Erscheinung der um gut 50 Jahre „hinterherhinkenden" deutschen Territorialstaaten. England hatte die Gerwerbefreiheit, Frankreich und die Vereinigten Staaten Demokratie und Menschenrechte gebracht. Deutschland restaurierte 472 . b) „Dualistische " Verfassungsstrukturen (103) Dieses strukturelle Gegeneinander des nach Freiheit strebenden Bürgertums und der auf Bewahrung bedachten Fürsten und ihres Adelsstandes spiegelte sich in der Rechtsordnung sehr deutlich in den für das 19. Jahrhundert typischen „dualistischen" Verfassungsstrukuren wider, die auf eine Vermittlung zwischen monarchischer Gewalt und bürgerlicher Einflußnahme angelegt waren 4 7 3 . Eine neue Ordnung ergänzte in einer ungebrocheStober Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, Rn. 15 zu § 32). Bezeichnenderweise wurde der Begriff des Gewaltverhältnisses auch nur in diesem „besonderen" Zusammenhang von Paul Laband (1838-1918), Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 5. Aufl. 1911, S. 433, (ebenso bereits in der 1. Aufl. 1876, S. 386; auf S. 317 Fn. 2 verwendet er den Begriff des Gewaltverhältnisses nur bei einer Stellungnahme zur Kritik von v. Gerbers Grundzügen des deutschen Staatsrechts), geprägt und von O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 101 f., salonfähig gemacht. Auch Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 165, kannte nur besondere Gewaltverhältnisse, sprach im übrigen von allgemeinen Bürgerpflichten. Soweit der - durch die naturalistischen Anschauungen der Zeit bedingte - Begriff des Gewaltverhältnisses zur Umschreibung der allgemeinen Beziehung zwischen Staat und Bürgern verwendet wurde (etwa durch v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 46 und 50; ebenso bereits in der 2. Aufl. 1869, S. 44 und 47), dann war damit nicht mehr gemeint, als daß „alle einzelnen Volksglieder durch den Staatswillen rechtlich gebunden sind", so daß daraus „gleichzeitig Gegenrechte an dem Subjekte der herrschenden Gewalt erwachsen" (v. Gerber a.a.O., S. 46 f.). Mit brachialer Herrschaft hatte all dies nichts zu tun. 469 Zur Bedeutung des status negativus als umfassende Verrechtlichung des StaatBürger-Verhältnisses Tn. 204. 470 V. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 62 f.; siehe auch dens., Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 49. 471 Achterberg, Strukturen der Geschichte des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, DÖV 1979, 737 (739). 472 Zu diesem spezifisch deutschen Phänomen und seinen möglichen Hintergründen Fn. 609.

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nen geschichtlichen Kontinuität eine alte, ohne sie abzulösen; eine alte, zerbrochene Welt wollte nicht sterben, eine neue, unfertige noch nicht geboren werden. Diese ambivalente und kompromißhafte Entwicklung wurde nicht nur in der Aufnahme von Grundrechten 474 unter Beibehaltung der monarchischen Staatsform sichtbar, die zu einer Relativierung staatlicher Gewalt durch eine dem Gesetz vorbehaltenen Bereich von Freiheit und Eigentum führte und so die gesellschaftliche Sphäre verfassungsrechtlich absteckte 475 , in der der Untertan zum Staatsbürger wurde, der nicht dem Staat unterworfen, sondern umgekehrt der Staat ihm verpflichtet w a r 4 7 6 . Sie spiegelte sich vor allem in der Aufteilung staatlicher, einst in der Person des Königs konzentrierter Funktionen wider. Zwar blieb in den frühkonstitutionellen 477 Verfassungen - wie schon im Allgemeinen Landrecht 478 - der König Träger jeder Staatsgewalt, doch wurde seine monarchische Gewalt verbindlich eingeschränkt 479 . Die wichtigste Einschränkung bei der Ausübung seiner Majestätsrechte erfuhr der Regent durch die Institutionalisierung von Volks473

Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 45^7; Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, JuS 1971, 560 (563 f.); ders., Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. 1981, S. 146 (150 f.); Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System vor 1848, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 460 (466); Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 23 f.; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 168-170; Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, 1911, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 731; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 336-350; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 109 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 87-92, 122 f.; Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 18 f.; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 105 f.; Maurer, Entstehung und Grundlagen der Reichsverfassung von 1871, in: Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Stern, 1997, S. 29 (30); v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 113-116. 474 Tn. 107-111; zur geringen Bedeutung der Grundrechte im Gleichgewicht zwischen Volk und Fürst im Frühkonstitutionalismus Tn. 120-133. 475 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 47; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 126 f.; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 114 f. 476 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 519. 477 Tn. 107 Fn. 512. 478 § 1 II 13 ALR (dazu bereits Fn. 301). 479 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 336 f. und 653; Karpen, Verfassungsrechtliche Entwicklung des Gesetzesbegriffs in Deutschland, in: Selmer/v. Münch (Hg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 137 (143). 9*

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Vertretungen als Nahtstelle zwischen Staat und Gesellschaft in den dualistischen Verfassungsordnungen. Sie hatten über Regierung und Verwaltung zu wachen, und durch diese „negative Seite ihrer Arbeit" bildeten sie „das ausgleichende Princip zwischen Gesellschaft und Staat" (Lorenz von Stein [1815—1890]) 480 . Jedenfalls die frühkonstitutionellen Verfassungen waren nicht positiv als Grundlage, sondern negativ als Grenze der originären monarchischen Herrschaft gedacht 481 . Während Regierung und Verwaltung, der „rein" staatliche Bereich, dem Monarchen als Reservat belassen 482 und die ordentliche Gerichtsbarkeit unabhängigen Richtern anvertraut wurde 4 8 3 , bedurften in Preußen Gesetze als Bindeglied zwischen Staat und Bürger in einem Zweikammersystem der Zustimmung dreier Institutionen: des Königs, des Herrenhauses und des Hauses der Abgeordneten 484, 4 8 5 . Jene Vermittlung zwischen Fürst und Volk vereinfachte sich mit der sich im Spätkonstitutionalismus durchsetzenden Anerkennung der Rechtspersönlichkeit des gewaltgeteilten Staates als Träger der Souveränität und seiner Unterscheidung von den Organen des Staates 486 . (104) Von einer ausgewogenen Vermittlung zwischen Monarchie und Volkssouveränität konnte insgesamt gesehen allerdings keine Rede sein, mochte auch das Budgetrecht des Parlaments 487 Zugeständnisse erforderlich machen. Nach wie vor war es der Monarch, der regierte, und (nur) gelegentlich bedurfte er dazu der Zustimmung der Stände. Das monarchische Prinzip zielte - in der Tradition der Wiener Schlußakte - auf die Bewahrung der territorialen Fürstensouveränität, und seine konstitutionelle Um480

Zur preussischen Verfassungsfrage, 1852, S. 21. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967, in: Böckenförde (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. 1981, S. 146 (148); Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 169 f.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 336 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 150 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 180 f. 482 Art. 45 S. 1 PrVerf. 483 Art. 86 Abs. 1 PrVerf. 484 Art. 62 Abs. 2 PrVerf. 485 Die Erste (Art. 65 PrVerf) und Zweite Kammer (Art. 69 PrVerf) wurden erst durch § 1 des Gesetzes vom 30. Mai 1855, betreffend die Abänderung der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 in Ansehung der Benennung der Kammern und der Beschlußfähigkeit der Ersten Kammer (PrGS 1855, Nr. 4225, S. 316), in Herrenhaus und Haus der Abgeordneten umbenannt. Zuvor, durch das Gesetz vom 7. Mai 1853, betreffend die Bildung der Ersten Kammer (PrGS 1853, Nr. 3736, S. 181), waren die Art. 65-68 PrVerf einseitig zum Vorteil des Monarchen dahin geändert worden, daß die Mitgliedschaft im Herrenhaus nicht mehr vom Stand oder einer Wahl (so noch Art. 65 Abs. 1 PrVerf), sondern nur noch von der Ernennung durch den König abhing. 486 Tn. 75, 379. 487 Art. 99 Abs. 2 PrVerf. 481

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mantelung vermochte diese auf Kosten der Bürgerrechte bestehende Zielsetzung der Obrigkeit nicht zu kaschieren 488 . Um nicht den Anschein zu erwecken, daß die Stellung des Monarchen irgendwie auf der Verfassung beruhe, organschaftlich erklärlich, nicht mehr pouvoir constituant, sondern constitué sei, hatte man im Entwurf zur Preußischen Verfassungsurkunde sogar den Satz gestrichen: „Der König ist der Oberhaupt des Staates" 489 . Konzessionen in der Verfassungsgebung gingen nur so weit, als es zur Sicherung der Monarchie unbedingt notwendig war, und erschien dem Herrscher die gemachte Konzession im Nachhinein zu gewagt oder lästig, wußte man in der politischen Wirklichkeit die Verfassung auszuschalten. Wo die Verfassung die Vermittlung zwischen demokratischem und monarchischem Prinzip unvermittelt in der Schwebe ließ, wußte man sich mit der sogenannten Lückentheorie Otto von Bismarcks (1815-1898) zu helfen: Im Zweifel war der Monarch zuständig, wodurch Macht und Recht vereint blieben. So ließ sich zunächst selbst dem parlamentarischen Budgetrecht aus dem Weg gehen, wie sich während des preußischen Verfassungskonflikts gezeigt hat. Ein „Blatt Papier" 4 9 0 hatte sich zwar zwischen Staat und Bürger geschoben, doch wurde es oft so behandelt, als wäre es nicht beschrieben. Manche haben deshalb von einem „Halbkonstitutionalismus" gesprochen 491 , andere die Frage aufgeworfen, ob Preußen trotz seiner Verfas488

Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 46 f., 51 f.; Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967, in: Böckenförde (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. 1981, S. 146 (155); Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, 1975, S. 34-37; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 169; Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, HZ 180 (1955), 15 (42); Herrfahrdt, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), S. 126 (129 f.); Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, 1911, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 731 (733-736); Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 651-656; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 79; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 82-86, 90 f.; Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (783); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 110; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Zweiter Band, 1992, S. 104. So zielte etwa die Einschränkung der Pressefreiheit nach der Märzrevolution darauf, „den Umsturz der Monarchie gerichtete Zwecke" zu verhindern (Beschluß der Bundesversammlung vom 23. August 1851, betreffend die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bunde zu treffenden Maßregeln, XX. Sitzung § 120 [CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, S. 560 [560 f.]]). 489 Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, 1911, in: Büsch/Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648-1947, Band 2, 1981, S. 731 (734). 490 Tn. 110.

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sungsurkunde nicht im vorkonstitutionellen Denken steckengeblieben w a r 4 9 2 , wieder andere diese Frage dahin beantwortet, daß die Monarchie im konstitutionellen System ihrem Ursprung und ihrer Substanz nach „vorkonstitutionell" blieb 4 9 3 . Auf Dauer aber zwang die dualistische Verfassungsstruktur zu einer verläßlichen und akzeptablen Ausbalancierung von Staat und Gesellschaft, und diese geschah noch lange vor 1918 zugunsten des Bürgertums.

3. Die neuen Grundrechte (105) Wenn die deutschen Staaten des beginnenden 19. Jahrhunderts auch nicht solche des Bürgers waren, so waren es doch seine „Rechte" 4 9 4 , die in der ansetzenden Verfassungsbewegung verbrieft werden sollten. Die neuen Grundrechte sollten dem Bürger staatsfreie Rechtsbereiche sichern, in denen er sich vor staatlicher Einwirkung sicher fühlen konnte, sie sollten die gesellschaftliche Sphäre vor der staatlichen schützen. Staatsorganisationsrecht war weitgehend Recht des Fürsten, während die neuen Grundrechte Recht des Bürgertums waren. Die Konstitutionen enthielten dichotomisches Recht. Daß die Abstimmung beider Verfassungsbestandteile einem langen Reifeprozeß ausgesetzt sein würde, bis die Verfassungen als juristische Einheit handhabbar werden sollten, wird noch zu erläutern sein 4 9 5 . Obwohl die dienende Funktion des Staates Grundlage unserer heutigen Verfassungsordnung ist und sich Staat und Gesellschaft zunehmend verschränken, der Staat kein aus Militär und Beamtentum bestehender polarisierter Block mehr ist, sondern als geordnetes, eben verfaßtes Spiegelbild der Gesellschaft in Erscheinung tritt, prägt der auch in der Aufnahme von Grundrechtskatalogen deutlich werdende Gegensatz von Staat und Individuum das Grundrechtsverständnis bis in die Gegenwart. Grundrechte werden von der Rechtswissenschaft dazu herangezogen, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern 496 , sie sind Abwehrrechte 491

Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, JuS 1971, 560 (564), hinsichtlich der frühkonstitionellen Verfassungsbewegung. 492 Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 4. Aufl. 1996, Rn. 278. 493 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, 5. 337. 494 Zum Sprachgebrauch Tn. 116-119. 495 Tn. 120-133. 496 BVerfGE 1, 97 (104 f.); 7, 198 (204 f.); 21, 362 (371 f.); 33, 303 (329); 35, 79 (112 f.); 39, 1 (41); 50, 290 (337); 61, 82 (100 f.); 68, 193 (205); Henke, Juristische Systematik der Grundrechte, DÖV 1984, 1 (2-4)\ Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1978, 427 (431);

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„par excellence" 497 . Das hat sich durch die Aufnahme sogenannter sozialer Grundrechte, die Erfindung (angeblicher) originärer Leistungs- und derivater Teilhaberechte, die Deutung der Grundrechte als objektive Werteordnung, die Richtlinien und Impulse für die gesamte Rechtsordnung gibt, die Anerkennung staatlicher Schutzpflichten, ein institutionelles Rechtsverständnis und eine grundrechtsfreundliche Verfahrensgestaltung nicht geändert. Die klassisch-liberale Grundrechtsidee 498 hat sich nicht gewandelt 499, sondern bereichert 500. Die zentrale Rolle der Grundrechte in der Rechtsprechung ist „in erster L i n i e " 5 0 1 nach wie vor ihre Abwehrfunktion. Ob dies zu Recht, ist eine andere Frage 5 0 2 .

a) Zwischen Liberalismus und Monarchismus (106) Art. X I I I der deutschen Bundes-Acte von 1815 5 0 3 sah den Erlaß einer „landständischen Verfassung" in jedem Bundesstaat, also die Schaffung geschriebener Grundordnungen vor, auch wenn es eine große Streitfrage des Wiener Kongresses blieb, ob damit an die alten Landstände, also an (schon längst während des Absolutismus in Vergessenheit geratene) Vertretungskörperschaften altständischen Stils, oder an neue Repräsentationsformen, an eine moderne Volksrepräsentation gedacht w a r 5 0 4 . Verfaßt waren alle deutschen Territorien schon vorher. Nur nicht schriftlich. Ihre Verfassungen waren historisch gewachsen, heilig legitimiert. Der KonstitutionalisKrebs, Freiheitsschutz durch Grundrechte, Jura 1988, 617 (619 f.); Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1976, 2100 (2100 f.); Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr - Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, EuGRZ 1984, 457^468; Schoch, Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung im Öffentlichen Recht, VerwArch. 79 (1988), S. 1 (34). Zur historischen Haltbarkeit dieser These Tn. 132 mit Fn. 705. 497 Schmitt Glaeser/Horn, Verwaltungsprozeßrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 157. 498 Zu ihrem (sehr viel späteren als gewöhnlich angenommenen) Entstehungszeitpunkt Tn. 285. 499 In diesem Sinne aber Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechts Verständnisses, in: Verhandlungen des fünfzigsten deutschen Juristentages, Band II, 1974, S. G 1-G 37; Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), S. 161-201; Saladin, Grundrechte im Wandel, 3. Aufl. 1982, passim. 500 Ähnlich Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 43 zu den Vorb.; Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 (347); Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1976, 2100 (2101). 501 BVerfGE 7, 198 (204). 502 Dazu Tn. 263. 503 Fn. 445. 504 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, 2. Aufl. 1967, S. 640-651; Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 18 f.

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mus unterzog diesen materiellen Verfassungsbegriff einer Formalisierung. Die wichtigsten Ordnungsprinzipien der Staatspersönlichkeit wurden in einem Akt „bewußter Bestimmung der [...] Gesamtgestalt" (Carl Schmitt [1888-1985]) 5 0 5 zu einer rechtlichen Grundsatzung in einer speziellen Urkunde verbrieft. Eben zu diesen grundlegendsten Prinzipien zählte für das an wirtschaftlicher und damit auch politischer Bedeutung zunehmende Bürgertum die innere Verknüpfung der Staatsorganisation mit der Gewährleistung von „Freiheit und Eigentum". Von diesem ideologischen Hintergrund her gesehen konnte Art. X V I der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 feststellen, daß „toute société, dans laquelle la garantie des droits n'est pas assurée [...] n'a point de constitution" 506 . Grundrechtsdurchdrungene Verfassungen waren kein Zufall, Grundrechtsund Verfassungsidee waren miteinander untrennbar verbunden 507 . „Eine ständische Verfassung ist äußerst wünschenswert", bemerkte Reichsfreiherr vom und zum Stein im August 1814, erst „sie sichert die bürgerliche und politische Freiheit" 5 0 8 . Konstituierte Staatsorganisation und Grundrechtsidee waren nur verschiedene, sich wechselseitig bedingende Seiten derselben Medaille, waren „zwei Ausstrahlungen derselben geistigen Atmosphäre" (Egon Zweig [1870-1920]) 5 0 9 ; was die staatsorganisationsrechtlichen Bestimmungen mit ihren Kompetenzzuweisungen positiv formulierten, drückten die verfaßten Rechte negativ aus: „Die Gränzen der Wirksamkeit des Staats", um mit Wilhelm von Humboldt 510 zu sprechen. Der Konstitutiona-

505 Verfassungslehre, 1928, S. 21. Bereits L. v. Stein hatte die Verfassungsgebung als einen Akt bezeichnet, „in welchem die Persönlichkeit sich selbst mit vollem Bewußtsein ihr eigenes Wesen gibt" (Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1868, S. 25). 506 Abgedruckt bei Duverger (Hg.), Constitutions et documents politiques, lOième édition 1986, p. 17-18. 507 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 91; Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVB1. 1982, 861 (862); G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 95; Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 6; Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Öffentliches Recht und Politik, Festschrift für Scupin, 1973, S. 187 (194 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 43 f., 83, 175 f., 181-183; ders., Die Verbindung von Verfassungsidee und Grundrechtsidee zur modernen Verfassung, in: Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, Festschrift für Eichenberger, 1982, S. 197 (202-206); Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), 321 (323 f.); Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, 1909, S. 2. 508 Schreiben an Marschall vom 10. August 1814 (abgedruckt bei: Hubatsch [Hg.], Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, Fünfter Band, 1964, Nr. 112, S. 106-107 [106]). 509 Die Lehre vom Pouvoir Constituant, 1909, S. 2. 510 Fn. 194.

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lismus, einerseits mit der textlichen Fixierung der Staatsorganisation und des Verhältnisses des einzelnen zum Staat einer Formalisierung unterzogen, andererseits und zugleich aber durch die grundrechtliche Aufladung einer bislang unbekannten Materialisierung zugeführt, erwies sich als das Mittel des Liberalismus. Liberalismus in einem Staatenbund bedeutete aber auch, daß sich die deutsche Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts zwangsläufig auf dem Boden der Einzelstaaten abspielen mußte, wie sich besonders deutlich nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung zeigte 5 1 1 . Nicht nur das monarchische Prinzip, auch die Verfassungsidee leistete ihren Beitrag zur rechtlichen Verfestigung des Partikularismus, auf Kosten des Nationalstaatsgedankens, womit Fürst von Metternich sein Ziel zunächst erreichte. Sie ermöglichte der nationalen Bewegung aber langfristig, sich institutionell zu etablieren. aa) Frühkonstitutionelle Verfassungen (107) Den ersten deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus 512 mit grundrechtsähnlichen Erscheinungen diente, sieht man von der Konstitution für das Königreich Baiern vom 1. Mai 1808 5 1 3 nach dem Muster der déclaration von 1789 5 1 4 einmal ab, die positivistische französische Charte constitutionelle vom 4. Juni 1814 5 1 5 mit ihrem „Droit public des Français" als Vorbild, die nicht mehr dem Menschen, sondern dem französischen Staatsbürger zustanden. Diese Verfassungen führten den Auftrag der Bundesakte 516 aus, der nach Art. X V I I I auch die Zusicherung einiger weniger, genau umrissener essentieller Mindest„rechte" umfaßte. Die Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 5 1 7 , die Verfassungsurkunde für das Großherzogthum Baden vom 22. August 1818 5 1 8 und die 511 Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (155). 512 Im folgenden wird - unter Aufgabe der üblichen zweigliedrigen Unterscheidung von Früh- und Spätkonstitutionalismus - unter Frühkonstitutionalismus der Vormärz, unter klassischem oder Hochkonstitutionalismus die Verfassungsbewegung um die Märzrevolution und unter Spätkonstitutionalismus die Entwicklung seit der Gründung des Norddeutschen Bundes verstanden. 513 Auszugsweise abgedruckt bei Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 207-208. 514 Fn. 506. 515 Abgedruckt bei: Debbasch/Pontier (Hg.), Les Constitutions de la France, 2 l è m e éd. 1989, p. 114-120. 516 Fn. 445. 517 Abgedruckt bei Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 1, 3. Aufl. 1978, Nr. 53, S. 155-171. 518 Abgedruckt bei Huber, ebenda, Nr. 54, S. 172-186.

1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

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Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 5 1 9 enthielten Bestimmungen über „allgemeine Rechte und Pflicht e n " 5 2 0 , „staatsbürgerliche und politische Rechte" 5 2 1 oder „allgemeine Rechts-Verhältnisse der Staats-Bürger" 522 . Auch die Verfassungsurkunden für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820 5 2 3 , für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831 5 2 4 und für das Königreich Sachsen vom 4. September 183 1 5 2 5 handelten von allgemeinen Rechten und Pflichten ihrer Staatsbürger 526 . Einzelne, der staatlichen Einwirkung besonders ausgesetzte Freiheitsbereiche wurden in die Verfassungstexte aufgenommen, insbesondere die Freiheit der Person 527 , des Gewissens, des Eigentums, der Auswanderung, der Presse, der Niederlassung und des Gewerbes. Die Rechte wurden, unabhängig davon, ob die Verfassung zwischen Fürst und Ständen vereinbart oder oktroyiert wurde, „gegeben" oder „gewährt", nicht gewährleistet. Damit sollte unter Distanzierung natur- oder menschenrechtlicher Konstruktionen der konstitutive Charakter der vereinbarten oder oktroyierten Verfassungen zum Ausdruck gebracht werden 5 2 8 . Die Rechtspositionen sollten durch die Verfassungen erst positiv geschaffen werden, sollten nicht als bereits bestehend und nur anerkannt gelten. Erst noch „zugesichert" werden mußten die essentiellen Rechte des Art. X V I I I der Bundesakte. Davor gab es sie nicht. Hier wirkten die naturrechtlichen Lehren vom Gesellschaftsvertrag und der Gedanke positivrechtlich geformter Freiheitsrückstände noch deutlich nach 5 2 9 . Die Grundrechte entsprachen der libertas civilis, Freiheitsrechte der Untertanen waren diejenigen Positionen 519

Abgedruckt bei Huber, ebenda, Nr. 55, S. 187-221. Titel IV der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (Fn. 517). 521 §§ 7-25 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden (Fn. 518). 522 §§ 19^42 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg (Fn. 519). 523 Abgedruckt bei Huber (Fn. 517), Nr. 56, S. 221-236. 524 Abgedruckt bei Huber (Fn. 517), Nr. 58, S. 238-262. 525 Abgedruckt bei Huber (Fn. 517), Nr. 59, S. 263-289. 526 Artt. 12-37 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen (Fn. 523); §§ 19-41 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen (Fn. 524); §§ 2440 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen (Fn. 525). 527 Zur rechtlichen Tragweite dieses Grundrechts später Tn. 198. 528 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 55 f.; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 169 f.; Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1072); ders., Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 17 f.; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 81-83; Pieroth, Geschichte der Grundrechte, Jura 1984, 568 (574); Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (783); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 106 f. 529 Tn. 34 f. 520

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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gegenüber dem Staat, die nach Abzug der vom Staatszweck geforderten Schranken übrigblieben 530 . bb) Die „Paulskirchenverfassung" (108) Meilenstein der deutschen Grundrechtsgeschichte und nicht hinwegzudenkendes Vorbild für die weitere Entwicklung bis hin zum Grundgesetz 5 3 1 ist ohne Zweifel die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849 [„Paulskirchenverfassung"] 532 . Vorab war das Gesetz vom 27. Dezember 1848, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, verkündet worden 5 3 3 , so wie die Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen von 1789 5 3 4 vorweg proklamiert wurde, um dann Bestandteil der Constitution du 3 septembre 1791 5 3 5 zu werden. Es bildete nach einigen Ergänzungen den 6. Abschnitt der Reichsverfassung mit einer gleichlautenden Überschrift. Die de iure Gültigkeit dieses Gesetzes, vor allem seine Legitimität, ist gewiß nicht unproblematisch 536 , aus ideengeschichtlicher Sicht aber ohne Bedeutung. 530 Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, § 57, S. 79; Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, § 169, S. 556-558. 531 Zur Vorbildwirkung Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 72; Bühler, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, 3. Aufl. 1929, S. 119; Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 21; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl. 1998, S. 73-155; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (153); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 115 f. 532 RGBl. 1849, 16 tes Stück, S. 101-147. 533 RGBl. 1848, 8 t e s Stück, S. 49-60. 534 Fn. 506. 535 Abgedruckt bei Debbasch/Pontier (Hg.), Les Constitutions de la France, 2 l è m e éd. 1989, p. 8-39. 536 Zur Gültigkeitsfrage Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band II, 3. Aufl. 1988, S. 782 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1914, S. 347-349; Ο est reich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 93; Seilmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Band I, 1963, S. 25 (79 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, S. 67 f. Fn. 38. Das Gesetz vom 27. Dezember 1848, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes (Fn. 533), ging mit seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt von einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte ohne Transformationserfordernis nicht nur für die Reichs-, sondern auch für die Landesgewalt aus, was weitreichende Folgen mit sich brachte: „Dem deutschen Volke" sollten die Grundrechte nach den einleitenden Sätzen zustehen, und „den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten sollten sie zur Norm dienen"; das Einführungs-Gesetz zum Gesetz vom 27. Dezember 1848 führte folglich die Grundrechte des deutschen Volkes im ganzen Umfange des deutschen

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Die reaktivierte 537 Bundesversammlung des alten Deutschen Bundes 5 3 8 hielt die verhaßten „sogenannten Grundrechte" 539 , wie man sich denken kann, für rechtsungültig, sah sich im August 1851 gleichwohl gezwungen, auf Antrag Österreichs und Preußens 540 die Bundesstaaten zur Aufhebung (in Kraft getretener) grundrechtsumsetzender Bestimmungen durch actus contrarius anzuhalten und „zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bunde" eine im liberalen Volksmund als „Reaktionsausschuß" bezeichnete Bundeszentralkommission zur Bereinigung und Überprüfung der Landesverfassungen einzusetzen, die Bundeskommissare und Soldaten zur Umsetzung ihrer Beschlüsse in einzelne Länder entsandte 541 . Mittelbar hatten die Frankfurter Grundrechte also jedenfalls in einer Reihe deutscher Staaten rechtliche Geltung erlangt, die das Gesetz über die Grundrechte des deutschen Volkes vollzogen. Die beiden deutschen Großstaaten (Preußen und Österreich) waren freilich nicht darunter. (109) Erstmals wurde in einer deutschen Verfassung der Begriff des Grundrechts verwendet. Der 60 Bestimmungen umfassende GrundrechtskaReichs ein, bestimmte, daß Bestimmungen einzelner Landesrechte, welche mit den Grundrechten des deutschen Volkes in Widerspruch stehen, außer Kraft treten (Art. 1 Abs. 2) und hielt die Landesgesetzgebung an, das Landesrecht der neuen Rechtslage anzupassen (Artt. 3-6). Bereits Art. 3 S. 1 des Gesetzes vom 27. September 1848, betreffend die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfügungen der provisorischen Centralgewalt (RGBl. 1848, l s t e s Stück, S. 1-2), hatte bestimmt, daß die verbindende Kraft eines Reichsgesetzes für ganz Deutschland mit dem zwanzigsten Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages beginnt, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Frankfurt ausgegeben wird; von einem landesrechtlichen Transformations- oder Verkündungserfordernis war also auch hier nicht die Rede. 537 Reaktiviert, da am 12. Juli 1848 die Bundesversammlung ihre Befugnisse auf eine provisorische Zentralgewalt übertragen und ihre Tätigkeit damit ein (vorläufiges) Ende gefunden hatte; die entscheidenden protokollierten Stellen der vom Bundes-Präsidialgesandten vorgelesenen Adresse der Bundesversammlung an Seine Kaiserliche Hoheit den Reichsverweser Erzherzog von Österreich Johann (1782-1859) lauteten: „Die Bundesversammlung überträgt Namens der deutschen Regierungen die Ausübung [...] ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen an die provisorische Centralgewalt; [...] Mit diesen Erklärungen sieht die Bundesversammlung ihre bisherige Thätigkeit als beendet an" (Protokoll der Deutschen Bundesversammlung vom 21. Juli 1848, LXXI. und letzte Sitzung [CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, Nr. CCLXXXVI, S. 512-514 [513]]). 538 Art. IV der Deutschen Bundesakte (Fn. 445). 539 Antrag von Oesterreich und Preußen in Betreff der sogenannten Grundrechte des deutschen Volks, vom 23. August 1851, XX. Sitzung § 121 (CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, Nr. XL, S. 561). 540 Fn. 539. 541 Beschluß, die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bunde zu treffenden Maßregeln betr., vom 23. August 1851, XX. Sitzung § 120 (CJCG, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1859, Nr. XXXIX, S. 560-561 [560 f.]).

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im

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talog Schloß die als Justizgrundrechte gedachte Gerichtsverfassung und auf eine aktive Teilnahme des einzelnen zielende politische Rechte ein. Die geschützten individuellen Positionen des einzelnen wurden als „Rechte" oder „Freiheiten" bezeichnet. Auch der heutige Begriff der Rechtsverletzung (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) wurzelt in der Paulskirchenverfassung, und die Verbriefung der Symbiose von Recht und Rechtsschutz gegen die Verwaltung im Grundrechtsabschnitt, von Abwehr- und Verfahrensrecht, auf die man bereits in der kurhessischen Verfassung von 1831 stieß 5 4 2 , wurde selbstverständlich 543 . Grundrechte waren nun da, ob nun schon vorstaatlich vorhanden und lediglich staatlich „garantiert" oder erst konstitutiv durch den Staat „gewährt". Nicht mehr der (bis heute umstrittene 544 ) Geltungsgrund der Frankfurter Grundrechte, - ihre vorstaatlich-naturrechtliche Geltung als Menschenrechte oder ihre positivrechtliche Wirksamkeit als Staatsgesetze - , eine Frage, die im Mittelpunkt frühkonstitutioneller Verfassungen gestanden hatte 5 4 5 , sondern die pragmatische Erfassung der rechtlichen Tragweite der neuen Rechte wurde zum beherrschenden Thema rechtswissenschaftlicher Überlegungen. Die juristische Präzision des in mühseliger Arbeit zustandegekommenen Grundrechtskataloges mußte die Frage aufwerfen, was diese Rechte bedeuteten und wie sie wirkten, mußte zu ihrem positivrechtlichen Verständnis drängen. Seit der Paulskirchenverfassung ließ sich die Grundrechtsidee nicht mehr aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion verdrängen. Selbst das restaurative Preußen, das 1848/50 eigene Wege gehen sollte 5 4 6 , konnte die „sogenannten Grundrechte" mit seinen an die Terminologie des Vormärz anknüpfenden „Rechten der Preußen" nur noch sprachlich leugnen.

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§ 35 Abs. 2 (Fn. 524): „Ebenwohl bleibt in jedem Falle, wo jemand sich in seinen Rechten verletzt glaubt, ihm die gerichtliche Klage offen, auch in geeigneten wichtigeren Fällen unbenommen, die Verwendung der Landstände anzusprechen." 543 § 182 Abs. 1 Hs. 2. 544 Eckhardt, Die Grundrechte vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart, 1913, S. 96: „Es sind nicht mehr Menschenrechte [...] Sie sollen vielmehr staatliches Recht darstellen, also Produkt der staatlichen Gesetzgebung bilden"; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (148 f.): „Gewährungen des positiven Verfassungsrechts"; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 115: „eigenständiger deutscher Weg, [...] Rechte, [...] die sich gleichsam in der Mittelage zwischen vorstaatlichen Menschenrechten und einfachen positiven Rechten befinden". 545 Tn. 107. 546 Dazu sogleich Tn. 110 f.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee cc) Die Preußische Verfassungsgebung

(110) Preußen hatte sich schon dem Verfassungsauftrag der Bundesakte verschlossen. Es vollzog auch nicht das Gesetz über die Grundrechte des deutsches Volkes 5 4 7 . Noch 1847 hatte Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) in einer feierlichen Erklärung vor dem Vereinigten Landtag beschworen, „daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein Conventionelles, constitutionelles zu wandeln, und daß Ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetz e n " 5 4 8 . Seinem Schwur konnte er nicht lange treu bleiben, die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Paris und die Haltung des liberal gesinnten Bürgertums veranlaßten den preußischen König, die Vereinbarung einer Verfassung zwischen der Krone und einer Volksvertretung zu versprechen. Als dort der Einfluß der Liberalen zu überwiegen drohte, löste er jedoch die verfassungsberatende Versammlung durch Verordnung vom 5. Dezember 1848 kurzerhand a u f 5 4 9 , da die Beratung um die Verfassung „ohne Verletzung der Würde Unserer Krone und ohne Beeinträchtigung des davon unzertrennlichen Wohles des Landes, nicht länger fortgeführt werden kann" 5 5 0 . Damit hatte sich aber die liberale Forderung nach einer Verfassung nicht erledigt. Eine oktroyierte, vorläufige und auf eine Revision angelegte 5 5 1 Verfassung war unter den politischen Verhältnissen besser als gar keine. Das erkannte auch das Staatsministerium und riet dem König, seinem Volk „zur Begründung, Befestigung und Erhaltung wahrer Freiheit" eine Verfassung zu gewähren 552 . Der König erließ am gleichen Tage, am 5. Dezember 1848, „in Folge der eingetretenen außerordentlichen Verhältnisse, welche die beabsichtigte Vereinbarung der Verfassung unmöglich gemacht", die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat 5 5 3 , die nach einer (nicht 547

Fn. 533. Thronrede Sr. Majestät des Königs am 11. April 1847, in: Eduard Bleich (Hg.), Der Erste Vereinigte Landtag in Berlin 1847, Erster Theil, 1847, S. 20 (22). Dazu F. Ebel, „Der papierne Wisch", 1998. 549 § 1 der Verordnung vom 5. Dezember 1848, betreffend die Auflösung der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung (PrGS 1848, Nr. 3064, S. 371). 550 Präambel der Verordnung vom 5. Dezember 1848 (Fn. 549). 551 Art. 112 Abs. 1 Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 (Fn. 431). 552 Schreiben des Staatsministeriums an des Königs Majestät vom 5. Dezember 1848 (PrGS 1848, S. 372-374 [374]). 553 Fn. 431. 548

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sehr weit reichenden) Revision durch beide Kammern am 31. Januar 1850 als Staatsgrundgesetz endgültig verkündet wurde 5 5 4 . (111) Diese Verfassung war, obwohl sie en gros den von der Preußischen Nationalversammlung nicht mehr verabschiedeten Entwurf des Grundrechtsabschnitts übernahm und sich damit dem Einfluß der Frankfurter und der Belgischen liberalen Verfassungen nicht hatte entziehen können, eigene Wege gegangen. Sie bereitete zum Teil Interpretationsschwierigkeiten, und vor allem: sie war auf eine Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber angelegt, auch gerade im Grundrechtsbereich mit seiner schutzbereichskonstitutiven Bezugnahme auf das einfache Gesetzesrecht 555 . Mochte die Preußische Verfassung dem Übergang zum konstitutionellen Rechtsstaat offengestanden haben, so wirkte sich doch diese Anfälligkeit anfangs in der Verfassungswirklichkeit aus. Die preußische Obrigkeit blieb innerlich lange dem Spruch verpflichtet: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!" und wußte verbliebene Freiräume und Schwächen der Verfassung auszunutzen 5 5 6 . Bezugnahmen auf das einfache Gesetzesrecht sind auch im Grundgesetz und in den heutigen Landesverfassungen häufig. Doch nur selten sind dies Ermächtigungen zu (institutionell begrenzten) einfachrechtlichen Schutzbereichsbestimmungen, meistens betreffen sie die Schrankensystematik. In der Preußischen Verfassung war dies anders. Sie gewährte nur noch eine Freiheit vom Staat nach Maßgabe der staatlichen Gesetze 557 . Nicht die Bezugnahme auf das einfache Gesetzesrecht, sondern die Disposition des einfachen Gesetzgebers war gefährlich. Die Entwicklung zum formellen Rechtsstaat und die damit einhergehende Beschränkung der grundrechtlichen Schutzwirkung auf die Verwaltung war in der Preußischen Verfassung vorgezeichnet. Trotz dieser (mehr anfänglichen und von der politischen Handhabung abhängigen) Mißstände blieb die Preußische Verfassung aus der Sicht von Staatsabwehrrechten ein nicht zu unterschätzender Schritt nach vorne. Ein bedeutsamer, sich von den frühkonstitutionellen Verfassungen deutlich unterscheidender Grundrechtskatalog ging der Verfassung voraus, wenn auch die Bezeichnung „Von den Rechten der Preußen" den revolutionären „sogenannten Grundrechten" 558 bevorzugt wurde. Er enthielt viele Freiheiten, die sich noch heute in deutschen Verfassungen finden, und bot der Rechtswissenschaft nach der Ideengeschichte gebliebenen Paulskirchenverfassung, nach den nach der Märzrevolution in Kraft gebliebenen 554

Verfassungs-Urlunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 (PrGS Nr. 3212, S. 17-35). 555 Art. 3, 5 S. 2, 13, 17, 19, 30 Abs. 2, 31, 42 Abs. 6 PrVerf. 556 Tn. 122. 557 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 53, 63. 558 Fn. 539.

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und lediglich aktualisierten frühkonstitutionellen Verfassungen sowie nach der reichsrechtlichen Zurückhaltung 1867/71 5 5 9 die Grundlage für die notwendig werdende Auseinandersetzung über Tatbestandsstruktur und Rechtsfolgeninhalt dieser „Rechte". Daß der Grundrechtskatalog auf eine weitere Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber angelegt war, blieb für die weitere Entwicklung des subjektiven öffentlichen Abwehrrechts unschädlich (sieht man von der fehlenden Einbeziehung der Legislative in den Schutzbereich ab) 5 6 0 : Sie verlagerte sich vom Verfassungsrecht in das Verwaltungsrecht 561 . dd) Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (112) Die beiden wichtigsten spätkonstitutionellen deutschen Verfassungen, die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 5 6 2 und die des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 5 6 3 , enthielten, anders als die preußische Verfassung, keinen Grundrechtskatalog, wenn auch der Bundesverfassung 564 ein gemeinsames Indigenat und der Reichsverfassung 565 einzelne grundrechtliche Bestimmungen mit spezifisch föderalem Bezug oder dem Reich als Adressaten bekannt waren. Im Constituierenden Norddeutschen Reichstag von 1867 gab es zwar Stimmen, die sich für die Aufnahme von Grundrechten in den Verfassungstext stark machten, doch überwog letztlich die Auffassung, „statt der abstrakten, allgemeinen Normativsätze, die man «Grundrechte» zu nennen pflegt, [...] lieber einzelne Grund-Gesetze" zu erlassen 566 . Dieser Mehrheitsstandpunkt änderte sich im Deutschen Reichstag von 1871 trotz einer langen Grundrechtsdebatte nicht 5 6 7 ; auch hier wünschte man sich Freiheitsschutz „weniger durch schöne Worte als durch Thaten [...], nicht durch Grundrechte, sondern durch tüchtige frei559

Tn. 112. Tn. 184. 561 Tn. 169. 562 BGBl. NDB 1867, Nr. 1, S. 1-23. 563 RGBl. 1871, Nr. 628, S. 63-85. 564 Art. 3 Abs. 1 und 2. Überdies finden sich die meisten Bestimmungen grundrechtlichen Inhalts der Reichsverfassung von 1871 (Fn. 563) bereits in der Verfassung des Norddeutschen Bundes, die nur sehr geringfügig geändert wurde. 565 Artt. 3 Abs. 1, 2 und 6, 18 Abs. 2, 20 Abs. 1, 23, 33 Abs. 2, 54 Abs. 3 S. 1, 58, 77. 566 Abgeordneter Dr. Braun, Rede in der 15. Sitzung des constituierenden Norddeutschen Reichstages vom 19. März 1867 (abgedruckt in: Bezold [Hg.], Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Band I, 1873, S. 437 f.). 567 9., 10. und 11. Sitzung vom 1., 3. und 4. April 1871 (abgedruckt bei Bezold a.a.O., Band III 1873, S. 896-1010). Näheres zur Entstehung der Reichsverfassung von 1871 bei Maurer, Entstehung und Grundlagen der Reichsverfassung von 1871, in: Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Stern, 1997, S. 29^8. 560

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sinnige Gesetze. [...] Ein Gesetz wollen wir haben, nicht diese schönen Worte" 5 6 8 . Die Gründe für die Nichtaufnahme eines geschlossenen Grundrechtsabschnitts dürften - neben der tendenziell juristischen Geringschätzung der Grundrechte, wie sie auch in der eben zitierten parlamentarischen Mehrheitsauffassung zum Vorschein k a m 5 6 9 - unterschiedlich gewesen sein 5 7 0 . Zunächst war noch die lange Zeit, die die Frankfurter Nationalversammlung gerade für die Abfassung des Grundrechtskatalogs benötigt und die schließlich zur Lähmung des großen Reformwerks beigetragen hatte, in frischer (und schlechter) Erinnerung 571 , ferner waren Vorbehalte konservativer Politiker um Bismarck der Aufnahme von Grundrechten nicht dienlich, die Grundrechtskodifikation wurde als Sache der Länder angesehen, die in Preußen durch die formelle Verfassungsstruktur bedingte wachsende Lokalisierung des subjektiven öffentlichen Abwehrrechts im einfachen Verwaltungsrecht 572 mochte dafür sprechen, subjektive Rechte gleich und ohne Umweg über die Verfassung in speziellen Gesetzen anzusiedeln, vor allem aber und schließlich sollte die Reichsgewalt keine Außenwirkung gegenüber dem Bürger haben: Reichsverwaltung war nach der Konzeption der Reichsverfassung nicht Eingriffsverwaltung, sondern Aufsichtsverwaltung. Doch ungeachtet all dieser einleuchtenden Gründe ist nicht zu verkennen, daß der Freiheitsidee 1867/71 für den Aufbau des Nationalstaates nicht mehr die Bedeutung zukam, der sie bedurfte, um mit Verfassungsrang aus568 Abgeordneter Dr. Brockhaus, Rede in der 11. Sitzung des Deutschen Reichstags vom 4. April 1871 (abgedruckt bei Bezold a.a.O., Band III, 1873, S. 1010). 569 Näheres zur Geringschätzung der Grundrechte unter Tn. 162-166, 332. 570 Zu ihnen Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Anm. 3 zum Zweiten Hauptteil, S. 507 f.; Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 21 f.; Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Festschrift für Scheuner, 1973, S. 163 (164); Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 22; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 113-115; Remmele, Bürgerliche Freiheit ohne verfassungsrechtliche Freiheitsverbürgungen?, in: Dilcher/Hoke/Vidari/Winterberg (Hg.), Grundrechte im 19. Jahrhundert, 1982, S. 189 (192-201); Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 100 f.; Schott, Die Grundrechte in der deutschen Verfassungsgeschichte, ZVglRWiss. 75 (1976), 45 (56); Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (784); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 119 f.; Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), 321 (341); aus zeitgenössischer Sicht v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, 1873, S. 130-132, 205 f. 571 Der Abgeordnete Dr. Braun warnte davor, sich „auf eine so profuse und compendiose Grundrechtsdebatte" einzulassen, „wie sie im Jahre 1848 in Frankfurt stattgehabt hat. Diese Grundrechtsdebatte dauerte ein Jahr. Sie war ein «Schrecken ohne Ende» und endigte mit einem «Ende mit Schrecken»" (abgedruckt in: Bezold [Hg.], Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Band I, 1873, S. 438). 572 Tn. 169. 10 Malmendier

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gestattet zu werden 5 7 3 ; Grundrechtsproklamationen waren am Ende des 19. Jahrhunderts - übrigens nicht nur in Deutschland 574 - nicht mehr das beherrschende Thema der Zeit. Während 1848 noch die Freiheitsidee dominierte, stand 1867/71 der Einigungsgedanke im Mittelpunkt 5 7 5 . „Durch Einheit zur Freiheit" gelangen wollte man, nicht umgekehrt „durch Freiheit zur Einheit" 516. ee) Die Weimarer Reichsverfassung (113) Der Stagnation der Grundrechtsentwicklung auf Reichsebene konnte erst nach dem Ende des Kaiserreichs die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 [Weimarer Reichsverfassung] 577 durch den gesamtstaatlichen Ausbau des Fundaments der Paulskirchenverfassung ein Ende setzen. Sie brachte erstmals eine reichsrechtliche Aufwertung der Grundrechte und machte sie zu einem grundlegenden Bestandteil der gesamten verfassungsmäßigen Ordnung, auch wenn sie das Tabu der Grundrechtsbindung des einfachen Gesetzgebers 578 noch nicht endgültig zu überwinden vermochte. Auch wenn die Weimarer Reichsverfassung vor der neuen Aufgabe stand, im Zeichen der Volkssouveränität und des parteipolitischen Pluralismus die Grundlage eines neuen Staatsverständnisses zu legen, auch wenn die Grundrechte ursprünglich als Ausdruck der spätkonstitutionellen Tradition der Begründung einfachgesetzlicher subjektiver öffentlicher Rechte 5 7 9 keine klagbaren Individualrechte begründen sollten, führte die Neubelebung der Grundrechte zur Überwindung des Spätkonstitutionalismus und zu ihrer Subjektivierung ohne Umweg über den einfachen Gesetzgeber. 1929 konnte Ottmar Bühler (1884-1965) feststellen, „daß über die Anerkennung der Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte überhaupt nicht mehr diskutiert zu werden braucht" 5 8 0 . In der Tat hatte der sub57 3

Bauer; Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 64. 57 4 Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 21; Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (784). 57 5 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 119. 576 V. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, 1873, S. 130 und 206. 577 RGBl. 1919, Nr. 6982, S. 1383-1418. 57 8 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Anm. 1 zu Art. 76: „Die Verfassung steht nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben". 579 Zum spätkonstitutionellen Verständnis des subjektiven öffentlichen Rechts eingehend Tn. 158-187. 580 Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, 3. Aufl. 1929, S. 122; in der 2. Aufl. von 1927 fehlt es noch an dieser Deutlichkeit.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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jektive Rechtscharakter der Grundrechte in der Weimarer Staatsrechtslehre nicht mehr die Bedeutung wie 50 Jahre zuvor. Nicht mehr die Subjektivität der Grundrechte, sondern die „von Fall zu F a l l " 5 8 1 zu prüfende Alternativität zwischen mit aktueller Wirksamkeit und Anwendbarkeit versehenen, unmittelbar geltenden Rechtsnormen und unverbindlichen Richtlinien war jetzt problematisch geworden.

b) Nachwirkungen

der Pflichtenlehre

(114) Nicht nur die naturrechtliche Unterscheidung zwischen natürlicher und bürgerlicher Freiheit, sondern auch die schon vor der Frühen Neuzeit anzutreffende Pflichtenlehre, die später (trotz ihrer einst eher gegensätzlichen Grundlagen 582 ) Bestandteil der deutschen Naturrechtslehren wurden und die libertas civilis durch ebensolche Pflichten ergänzte, wirkte in die frühkonstitutionelle Verfassungsbewegung hinein. Wie schon das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 standen auch diese Verfassungen des Umbruchs „zwischen zwei Zeiten", verbanden Altes und Neues. Die Stellung des Menschen im Staate wurde nach der älteren naturrechtlichen Pflichtenlehre nicht nur negativ durch individuelle Freiheiten, sondern auch positiv durch eine diesen übergeordnete soziale Einbindung in die politische Ordnung und eine Verpflichtung zur Förderung des Gemeinwesens gekennzeichnet. Diese staatlichen Ordnungen hatten die individualistischen Fremdkörper Westeuropas noch nicht rezipiert. Rechte und Pflichten gehörten untrennbar zusammen, keine Rechte ohne Pflichten. So wurden die Rechte in den ersten deutschen Verfassungen mit Pflichten verbunden, oft wurde auch der einschlägige Abschnitt symmetrisch überschrieben, Überschriften, die sich erst wieder im Titel des Zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung und heute in einigen älteren Landesverfassungen 583 wiederfinden sollten. Während das frühkonstitutionelle Schrifttum die Pflicht staatsbürgerlichen, verfassungsmäßigen Gehorsams 581

Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Anm. 6 zum Zweiten Hauptteil (S. 515). 582 Das Menschenbild der älteren Pflichtenlehre wurde weniger durch dem Menschen natürlich zustehende Rechte als durch ihm moralisch obliegende Pflichten geprägt. 583 Zweiter Hauptteil der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946; Erster Hauptteil der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947; III. Abschnitt des Ersten Hauptteils der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946; Erster Hauptteil der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947; I. Hauptteil der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947. In den Verfassungen der neuen Bundesländer sind die Grundrechtsabschnitte nur noch mit „Grundrechte" überschrieben. (Die Landesverfassungen werden nach der Textausgabe „Verfassungen der deutschen Bundesländer", 6. Aufl. 1999, zitiert). 10*

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

betonte 584 , gingen die in den frühkonstitutionellen Verfassungen aufgenommenen ausdrücklichen Verhaltenspflichten nicht über die Wehr-, Abgabenund Eigentumsabtretungspflicht hinaus 5 8 5 . Gleichwohl ließ das verfassungsrechtliche Gesamtbild erkennen, daß das staatsbürgerliche Grundverhältnis des einzelnen aus einem synallagmatischen Geflecht gegenseitiger Verpflichtungen zwischen Bürger und Regent bestand, - den Untertanenpflichten „entsprachen" ebenso viele Regentenpflichten 586 : Der Staat gewährleistete die Sicherheit und Freiheit des einzelnen, der Staatsbürger verpflichtete sich zur Verteidigung und Erhaltung des Vaterlandes 587 . Auch deshalb waren diese ersten grundrechtlichen Erscheinungen meistens nur Staatsangehörigenrechte, nicht Menschenrechte. (115) Diese gleichwertige Konnexität und Symmetrie von negativen Rechten gegenüber der Staatsgewalt und positiven Pflichten zur Erhaltung und Förderung des Gemeinwohls mußte sich als mit der Freiheitsidee inkompatibel erweisen, so daß es der hypnotisierenden Zauberkraft des westlichen individualistischen Rationalismus gelang, die deutsche Verfassungsbewegung in ihren Sog zu ziehen 5 8 8 und Recht und Pflicht „individualistisch zu entzweien" 5 8 9 . In einer freiheitlichen, anthropozentrisch ausgerichteten Grundordnung, die die persönliche Vervollkommnung des einzelnen durch sich selbst und nach seinem Willen - und nicht durch die 584

Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, § 56, S. 77 f. 585 Titel IV §§ 12 und 13 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (Fn. 517); §§ 8, 10, 14 Abs. 3 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden (Fn. 518); §§ 21, 23 Abs. 1 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg (Fn. 519); Artt. 27-30 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen (Fn. 523); §§32 und 40 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen (Fn. 524); §§ 30, 31 Abs. 1 und 38 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen (Fn. 525). 586 Maurenbrecher; Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, § 58, S. 81. 587 Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVB1. 1982, 861 (863 f.); Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 56-59; H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (58-65); H. Maier, Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat, 1973, S. 30 f.; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 83; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (144 f., 147); Wunder, Grundrechte und Freiheit in den württembergischen Verfassungskämpfen 1815— 1819, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 435 (438 f.). 588 Herrfahrdt, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), S. 126 (139). 589

In Anlehnung an Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVB1. 1982, 861 (862).

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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anderen, die Gemeinschaft oder die Rechtsordnung - zu dem obersten Verfassungswert erklärt 5 9 0 , können sozialstaatlich motivierte Grundpflichten (zur Förderung seiner selbst oder der Gemeinschaft) nicht gleichwertiges konstituierendes Rechtsprinzip, sondern als Schranken der Freiheit nur Ausnahme der Regel sein 5 9 1 . Dies gilt trotz der notwendigen Gemeinschaftsgebundenheit der Freiheit, der Ablehnung eines egoistischen Exzesses und Übermaßes an ihr und damit der Typizität der Grundpflichten auch für den heutigen Verfassungsstaat. Als solche lediglich am Rande auftretenden Pflichten waren die frühkonstitutionellen Pflichten aber gerade nicht gedacht: Sie blieben staatstheoretisch mit ihrer gemeinwohlbezogenen Einbindung Ausdruck der organischen Stellung des einzelnen, praktisch mit der Gleichheit der Pflicht Ordnungsmittel zur Egalisierung der Rechtsordnung 5 9 2 . Die Verfassungen des Vormärz blieben zwiespältig, enthielten noch Reste wohlfahrtstaatlichen Denkens. Formelle Grundpflichten hatte es zwar im absolutistischen Fürstenstaat nicht gegeben. Rückstände des allgemeinen Wohls blieben aber übrig. Nur trat jetzt zu ihrer Beförderung der einzelne an die Stelle des Staates. Die Emanzipation der Freiheit von Grundpflichten erfolgte erst in den postrevolutionären Verfassungen. Auch die Preußische Verfassung von 1848/50 kannte zwar die „drei großen staatsbürgerliche Grundpflichten" 593 , - die allgemeine Schul- 5 9 4 , Wehr- 5 9 5 und Steuerpflicht 5 9 6 . Sie wurden aber nicht mehr als konstituierender Bestandteil des staatsbürgerlichen Status gedacht, sondern waren ein Element gegenseitiger Freiheit und Gleichheit und Mittel zur institutionellen Stabilisierung und Verwirklichung „realer" Freiheit. Die Persönlichkeit sollte durch den Staat zur Freiheit geführt werden. Deshalb wurde der Grundrechtskatalog auch nur noch mit „Von den Rechten der Preußen" überschrieben.

590 es heute Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG mit seinem Bekenntnis zur Personalität und Individualität als Zentrum der verfassungsmäßigen Ordnung tut (BVerfGE 6, 32 [41]; 27, 1 [6]; 32, 98 [108]; 50, 160 [175]; 54, 341 [357]). 591 Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVB1. 1982, 861 (862 f., 868 f.); H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (54-58). 592 Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVB1. 1982, 861 (864); Herrfahrdt, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), S. 126 (139); H Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (63 f.). 593 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, 3. Aufl. 1988, S. 101. 594 Art. 21 Abs. 3 PrVerf. 595 Art. 34 S. 1 PrVerf. 596 Art. 100 f. PrVerf.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee c) Zur Wortschöpfung

der Grundrechte"

(116) Von Anfang an tauchte im deutschen Konstitutionalismus der Begriff des (allgemeinen, staatsbürgerlichen, landesangehörigen, Untertanenoder politischen) „Rechts" auf, wenn auch der des Grundrechts" erst später, erstmals 1848 (und bis 1919 ausschließlich) in dem Gesetz über die Grundrechte des deutschen Volkes 5 9 7 verwendet und seitdem zur üblichen Bezeichnung im Schrifttum wurde, das den wenn auch nicht allgemein geläufigen Begriff zuvor schon teilweise gebraucht hatte 5 9 8 . Seitdem verbindet dieses Rechte-Verständnis auch im prozessualen Bereich ein durchgehender Faden von § 182 Abs. 1 Hs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 5 9 9 über § 127 Abs. 3 L V G bis zu Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und den §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Bereits Art. X V I I I der deutschen Bundes-Acte 600 sprach von bestimmten „Rechten", die den Untertanen in den einzelnen Staaten zuzusichern waren. Für Theodor Mommsen (1817-1903), der 1849 anonym eine Kommentierung der „Grundrechte des deutschen Volkes" veröffentlichte, waren sie „solche Rechte, welche nothwendig erachtet sind zur Begründung einer freien Existenz für jeden einzelnen deutschen Bürger" 6 0 1 . Der Begriff des GrundRechts sollte, wie auch Mommsens Umschreibung zeigt, zweierlei andeuten 6 0 2 . Einerseits ging es darum - wie mit dem bereits in der Deutschen Bundesakte 603 und auch schon in der vorkonstitutionellen Rechtssprache 604 597

Fn. 533. Nachweise bei Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1076) und Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 172 Stichwort „Grundrecht". 599 Fn. 532. 600 Fn. 445. 601 Die Grundrechte des deutschen Volkes, 1849, S. 7. 602 Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 6 f. 603 Art. VI Abs. 1, VII Abs. 4 (Fn. 445). 604 Der Begriff des Grundgesetzes, dessen früheste Verwendung in deutscher Sprache bislang in einem Aktenstück von 1645 dokumentiert ist, geht aus einer Lehnübersetzung aus dem Lateinischen (lex fundamentalis) hervor (/. Grimm/ W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Vierter Band, I. Abteilung, 6. Teil, 1935, Sp. 817819 Stichwort „Grundgesetz"; Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck [Hg.], Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 [1055]; Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 171 Stichwort „Grundgesetz"). Er diente im Reichsstaatsrecht zur Kennzeichnung besonders bedeutender und grundlegender Gesetze, die das staatsrechtliche Fundament und den Charakter des Deutschen Reichs bildeten und Grundlage für andere Gesetze waren (für Svarez zählten zu den Grungesetzen des Reichs die Goldene Bulle, der Westfälische Friede, die Wahlkapitulationen und das Reichsherkommen [Deutsches Staatsrecht, Allgemeines Bild der Reichsverfassung, 1791/92, 598

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auftauchenden Begriff des Grund-Gesetzes 605 - zu verdeutlichen, daß es um sehr wichtige, grundlegende Einrichtungen von besonderem Gewicht mit tragender Bedeutung für den Ausbau der staatlichen Ordnung ging, die die Grundlage einer „freien Existenz" schafften. Andererseits sollte der personale Bezug dieser Positionen zum einzelnen gezeigt werden, es sollte sich um Individualpositionen der Staatsangehörigen handeln, die „jedem einzelnen deutschen Bürger" zustanden. Grundrechte sollten konstituierende Bausteine der Rechtsordnung zum Schutze der Person sein. Möglicherweise sollten die Grund-Rechte der Paulskirchenverfassung in Abhebung von den vorstaatlichen Menschenrechten Frankreichs auch ihre positivrechtliche Festlegung verdeutlichen, um keine Erinnerungen an die bürgerlichen Revolutionen des 18. Jahrhunderts zu wecken und die neuen Rechte annehmbarer zu machen 606 . Die Bezeichnung als „Recht" muß trotz jener einleuchtenden Zielsetzungen wegen der grundrechtsdogmatischen Abstinenz der frühkonstitutionellen Staatslehre überraschen. Die Struktur der so bezeichneten Grundrechte, ihr Tatbestand und ihr Inhalt, waren anfangs alles andere als geklärt 6 0 7 . Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Formulierung aus einer Übersetzung der englischen und amerikanischen „rights" und der französischen „droits" resultiert 608 , die Deutschland in seiner Nachahmerr o l l e 6 0 9 in einem Prozeß bewußter geschichtlicher Kontinuität zu den westin: Conrad/Kleinheyer [Hg.], Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez [1746-1798], 1960, S. 195 [198]]), die „die Verfassung des Staats selbst [...] oder dessen Regierungsform" betrafen, während die einfachen Gesetze „von der nun bereits constituirten höchsten Gewalt den Unterthanen zu ihrer Nachachtung vorgeschrieben werden" (Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Erster Band, 1797, § 39, S. 179). Zeitgenössische Rechtssammlungen, die die grundlegenden und fundamentalen Gesetze eines Staaten enthielten, bezeichneten diese denn auch als Grund-Gesetze (so etwa der 1730 von Schmauß herausgegebene Corpus juris gentium academicum, enthaltend die vornehmsten Grund-Gesetze, Friedens- und Kommercien-Tractate, Bündnüsse und andere Pacta der Königreiche, Republiquen und Staaten Europas). Bezeichnend ist, daß im vorkonstitutionellen Zeitalter der Begriff des Grundgesetzes stets im Plural auftaucht, die Verfaßtheit eines Staates also nie in einem Gesetz allein erblickt wurde. 605 Zu dieser sprachlichen Parallele bei der Wortschöpfung Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 21 und ders., Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1055, 1078). 606 Dann, Die Proklamation von Grundrechten in den deutschen Revolutionen von 1848/49, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 515 (523-525); Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1077 f.); ders., Grundrechte zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 20 f.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 166 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 43, 115, 195. 607 Tn. 121.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

liehen Vorläufern seit 1776 übernahm 610 . Offenbar genügte für die Bezeichnung als Recht im deutschen Konstitutionalismus - ohne daß man sich über 608 Stourzh, Grundrechte zwischen Common Law und Verfassung, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 59 (72); vorsichtiger demgegenüber Kleinheyer, Grundrechte, Menschenund Bürgerrechte, Volksrechte, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, 1975, S. 1047 (1076 f.). 609 Lapidar stellte O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 55 fest: „Deutschland spielt bei seiner Ausbildung [des Verfassungsstaates] unverkennbar die Rolle des Nachahmers, des Empfangenden, namentlich Frankreich gegenüber". Noch 1949 sah Herrfahrdt, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), S. 126 (127), den - von ihm keineswegs begrüßten (S. 143) - Zweck des Grundgesetzes darin, dem deutschen Volk zu ermöglichen, die durch die Weimarer Reichsverfassung bedingten „letzten Reste politischer Rückständigkeit" abzustreifen, um ihm den „vollen Anschluß an die demokratische Entwicklung des Westens" zu ermöglichen. Mit der Feststellung einer sich über zwei Jahrhunderte hinziehenden deutschen Nachahmerrolle ist nicht zwangsläufig gesagt, daß die Imitation in Deutschland stets, nicht nur 1949, bewußt erfolgte. Es ist wahrscheinlicher, daß in Deutschland die gesellschaftlichen Spannungen Westeuropas einfach später auftauchten, daraus entstehende rechtliche Folgerungen erst später aufgeworfen und noch später - mit bewährten Methoden, denen sich bereits zuvor europäische Nachbarn bedient hatten - beantwortet wurden. Woraus aber erklärt sich das Phänomen, daß in Deutschland gesellschaftliche Probleme erst später entstehen als in anderen Kulturstaaten, die Deutschen sich ihnen jedenfalls erst später stellen? - Ein altbekanntes Vorurteil lautet: „Die Deutschen" sind ängstlich und risikoscheu ... (allgemein dazu v. Koerber, „Uns fehlt der Mut zum Risiko!", SZ Nr. 25 vom 1. Februar 1994, S. 7; Markl, „Unsere Gesellschaft ist zu risikofürchtig", Universitas 1996, 816-827; SchulzHardt/Lüthgens, Sind die deutschenrisikoscheu?,ebenda, 803-815). 610 Zur augenfälligen Orientierung an europäischen und amerikanischen Vorbildern Dann, Die Proklamation von Grundrechten in den deutschen Revolutionen von 1848/49, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 515 (515 f., 525); Herrfahrdt, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), S. 126 (138140); H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (58 f.); Kleinheyer, Grundrechte - zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 19 f.; A. Laufs, Recht und Gericht im Werk der Paulskirche, 1978, S. 9 f.; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 179 f.; H. Maier, Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat, 1973, S. 30 f.; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 84; Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (782 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 111. Parallelen zwischen den zu beschließenden Grundrechten des deutschen Volkes mit den amerikanischen rights of men und französischen droits de l'homme waren schon den Mitgliedern der berathenden Versammlung deutscher Abgeordneter und Völksmänner über ein deutsches Parlament zu Frankfurt am Main [„Frankfurter Vorparlament"], die am 31. März zusammentrat, bewußt; der Umstand, daß diese isolierten Menschenrechtsproklamationen später Bestandteil der amerikanischen und französischen Verfassungen wurden, verleitete die Abgeordneten des Vorparlaments zu einer

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eine exaktere juristische Wirkungsweise jener „Rechte" im klaren war lediglich die Verrechtlichung liberaler Forderungen in die Verfassungstexte, die nüchterne Übersetzung aufgeklärten Gedankenguts in die trockene Sprache der staatlichen Normen. Schon diese Verbriefung in einem Staatsgrundgesetz machte sie zu etwas Rechtlichem. Der eigentliche Grund für die Bezeichnung der Freiheit als Recht, als „right" und „droit", muß in der englischen, amerikanischen und französischen Verfassungsgeschichte gesucht und gefunden werden 6 1 1 . (117) Der Begriff des Grund- oder Freiheits„rechtes" entspricht auch heute dem herkömmlichen Sprachgebrauch. Er scheint aber nach wie vor eher historisch überkommen als dogmatisch fundiert zu sein. Es stellt sich noch heute die Frage, was an der Freiheit Rechtliches ist, was sie zum Recht machen soll. Ohne einen späteren Abschnitt 6 1 2 vorwegzunehmen und ohne sich allzusehr festzulegen, soll hier lediglich das Problem verdeutlicht werden. Es geht um die Bestimmung der Rechtssatzstruktur, des Tatbestandes und der Rechtsfolge von Grundrechtsbestimmungen. Zwei verschiedene Rechtsfolgeninterpretationen sind denkbar: - (118) Das einstufige Rechtsfolgenverständnis 613 denkt die in den Grundrechtsbestimmungen als Rechtsfolge garantierte Freiheit negativ stets einSelbstbeschränkung, um den Beratungen der zu wählenden Nationalversammlung, die dem deutschen Volke eine Verfassung ausarbeiten sollte, nicht vorzugreifen (Reden der Abgeordneten Mohl und Leue in der vierten Sitzung am 3. April 1848 [abgedruckt in: Verhandlungen des Deutschen Parlaments, Officielle Ausgabe, Mit einer geschichtlichen Einleitung [von Jucho] über die Entstehung der Vertretung des ganzen deutschen Volkes, 1848, S. 145 f. und 147). 611 Diese Arbeit kann hier nicht geleistet werden. 612 Tn. 219-222. 613 In chronologischer Folge: Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte der Unterthanen, Zweite Lieferung, 1894, S. 54; Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 96; ders., Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 89 f.; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 63-65, 129, 147 f., 152 f.; G. Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 955; Herrnritt, Grundlehren des Verwaltungsrechts, 1921, S. 75; Bierhoff, Die Reichsverfassung und die Grundrechte, 1923, S. 6; Bühler, [Rezension von] Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten, JW 1927, 431; Fülster, Grundriß des Verwaltungsrechts, Band I, 1929, S. 171; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 208 f.; E. R. Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 62 (1933), S. 1 (81); Dürig, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1958, Rn. 94 zu Art. 1 Abs. III; Weyreuther, Empfiehlt es sich, die Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns gesetzlich zu regeln (Folgenbeseitigung, Folgenentschädigung)?, in: Verhandlungen des Siebenundvierzigsten Deutschen Juristentages Nürnberg 1968, Band I, 1968, S. Β 83; Hamann jr., in: Hamann/Hamann jr./Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee griffsbezogen, als durch den Staat potentiell bedrohten Zustand. Freiheit steht für Abwehr. Sie ist mit einem subjektiven Abwehrrecht identisch, von Freiheit im Rechtssine zu reden, bedeutet die Anerkennung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen. Grundrechtsartikel sind auf der Tatbestandsseite gedanklich durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der (drohenden oder bewirkten) Verletzung zu ergänzen, sind so zu lesen, als ob die Freiheit nur dann aktualisiert wird und nur dann besteht, wenn ein staatlicher Einschnitt droht oder vorhanden i s t 6 1 4 und zielen deshalb von vornherein nur auf Unterlassung grundrechtsverletzender Eingriffe. Freiheit im grundrechtlichen Sinne ist hiernach (nur) Freiheit von (drohenden oder bewirkten) Verletzungen, kurz: Freiheit ist das subjektive Recht des einzelnen, Unterlassung oder Beseitigung eines rechtswidrigen Eingriffs vom Staat zu verlangen 615 . Solange der Tatbestand einer (drohenden oder bewirkten) Verletzung nicht gegeben ist, entfalten die Grundrechtsnormen keine Rechtsfolge. Grundrechte werden danach als Ansprüche gegen den Staat auf Unterlassung gesetzwidriger Eingriffe in die persönliche Freiheitssphäre 616 , von Verwaltungsakten 617 und derjenigen obrigkeitlichen Befehle, welche mit der gesetzlich festgestellten Freiheit in Widerspruch stehen 618 , von Hinderungen gewisser Betätigungen der Individuen, von Störungen, von Eingriffen gewisser Arten anders als auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung 619 , jedes gesetz-

Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Aufl. 1970, Anm. 3 zur Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 17-22; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 88; v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Aufl. 2000, Rn. 16 zur Vorb. Art. 1-19; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000, Rn. 1 zur Vorb. vor Art. 1; Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 45 zu den Vorb. 614 Besonders deutlich Anschütz, Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (90): Die allgemeine Handlungsfreiheit sei kein subjektives öffentliches Recht. Ein solches entstehe erst, wenn diese Freiheit mit Akten der Staatsgewalt, welche sie rechtswidrig beeinträchtigten, in Kollision gerate. 615 Exemplarisch Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 147 f., zusammenfassend S. 157: Die subjektiven öffentlichen Rechte gegen den Staat kämen „nur zur Entstehung [...], soweit Eingriffe des Staats in die von ihnen geschützte Tätigkeit immerhin in Frage kommen können. Es lässt sich auf diese Weise die Annahme von Rechten vermeiden, die wirklich keine Funktion zu erfüllen hätten." 616 Fülster, Grundriß des Verwaltungsrechts, Band I, 1929, S. 171. 617 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 96. 618 G. Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 955.

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lieh nicht zugelassenen Eingriffs in die persönliche Freiheit 6 2 0 , von Einwirkungen der öffentlichen Hand im Schutzbereich der Grundrechte 621 , von gesetzwidrigen Eingriffen 6 2 2 , des Eindringens in die Individualsphäre des Menschen 623 , von ungerechtfertigten Eingriffen in die grundrechtlichen Schutzgüter 624 , von Eingriffen der öffentlichen Gewalt in das gesetzlich gewährleistete Maß persönlicher Freiheit 6 2 5 , von Eingriffen in die dem einzelnen innerhalb der Schranken des Gesetzes abgegrenzten Freiheitssphäre 626 , der Störung in der Ausübung bestimmter Handlungen umschrieben 627 . Als Unterlassungsanspruch verschaffen Grundrechte einen „Rechtsanspruch auf ein Nichttun des Staates" 628 . Der dem Abwehrrecht vorverlagerte Status wird nicht als Freiheit begriffen, er ist ohne (subjektiv-)rechtliche Bedeutung oder gar inexistent. Zumindest werden die Grundrechte erst im Falle eines potentiellen Eingriffs zu etwas rechtlich Faßbarem. Erst mit der aktuellen oder potentiellen Verletzungshandlung entsteht das Rechtliche am Grundrecht, seine Rechtsfolge, und so wird das Grundrecht als Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch gedeutet, hierauf aber auch reduziert: Freiheit und Abwehrrecht fallen zusammen, sind identisch. Da Freiheit nur negativ als staatliche Eingriffsabwehr gedacht wird, setzt das einstufige Rechtsfolgenverständnis Grundrecht und Unterlassungsanspruch gleich. Prozessual hat dieses einstufige Rechtsfolgenverständnis zur Folge, daß zwischen den verletzten und den eingeklagten Rechten im Sinne der §§ 42 Abs. 2 Alt. 1, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO Identität besteht. - (119) Das zweistufige Rechtsfolgenverständnis unterscheidet hingegen zwischen Schutzgegenstand als erster Rechtsfolge und Reaktionsanspruch 619

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 63, 65, 129. 620 Anschütz, Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (90). 621 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000, Rn. 51 zur Vorb. vor Art. 1. 622 W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 208. 623 Hamann jr., in: Hamann/Hamann jr./Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Aufl. 1970, Anm. 3 zur Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt. 624 Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 45 zu den Vorb. 625 Anschütz, Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (89). 626 Bierhoff, Die Reichsverfassung und die Grundrechte, 1923, S. 6. 627 Herrnritt, Grundlehren des Verwaltungsrechts, 1921, S. 75. 628 Bierhoff, Die Reichsverfassung und die Grundrechte, 1923, S. 6.

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als zweiter Rechtsfolge der Grundrechtsbestimmungen. Die Freiheit - die Primärrechtsfolge und der Schutzgegenstand der Grundrechtsbestimmungen - wird positiv gedacht. Sie wird Grundlage für die Entstehung von negativ gedachten Reaktionsansprüchen erst im Falle ihrer (drohenden oder bewirkten) Verletzung 629 . Die zweite, Sekundärrechtsfolge der Grundrechtsnormen - die Abwehrrechte - ist nicht die Freiheit selbst und ist deshalb in den einzelnen Bestimmungen nicht ausdrücklich hervorgehoben. Erst eine über den Normwortlaut und über eine logische Relation zwischen Schutzgegenstand und Abwehrrecht hinausgehende, teleologisch-wertende Überlegung verdeutlicht, daß eine umfassende Entfaltungsfreiheit praktisch wertlos ist, bis ihr Inhaber durchsetzbare Ansprüche auf Verhinderung oder Abschaffung von Störungen erhält, bis die Freiheit mit flankierenden Hilfsrechten bewehrt w i r d 6 3 0 : „Das Schutzgut bestimmt den Inhalt des Grundrechts." 631 Eines „Blickes auf das Zivil-

629 In chronologischer Folge: Mansfeld, Der publicistische Reactionsanspruch und sein Rechtsschutz im Herzogthum Braunschweig, 1895, S. 4 f.; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 94-114; C. Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichs Verfassung, in: Anschütz/Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Zweiter Band, 1932, S. 572 (591); Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, in: Anschütz/Thoma (Hg.), ebenda, S. 619 f.; Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 1954, S. 118 f.; W. Geiger, Grundrechte, in: Staatslexikon, Dritter Band, 6. Aufl. 1959, Sp. 1122 (1124 f.); Heidenhain, Amtshaftung und Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff, 1965, S. 139 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 127-131; Schenke, Die Konkurrentenklage im Beamtenrecht, in: Festschrift für Mühl, 1981, S. 571 (584 f.); ders., in: Dolzer/Vogel (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1982, Rn. 296, 299-301 zu Art. 19 Abs. 4; Henke, Juristische Systematik der Grundrechte, DÖV 1984, 1 (2 f.); Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 191 (201); Sachs, in: Stem: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 558-569; Schoch, Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung im Öffentlichen Recht, VerwArch. 79 (1988), S. 1 (34-38); Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 3. Aufl. 1989, S. 204; Ehlers, Die unerwünschte Zusendung von Werbematerial durch öffentliche Unternehmen, JZ 1991, 231 (232); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 161; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 28 f., 133; Sachs, in: Sachs (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1999, Rn. 42 f. vor Art. 1. Auch das Bundesverfassungsgericht neigt dazu, den Störungsabwehranspruch vom Grundrecht selbst, zu dessen Schutz das Hilfsrecht eingeräumt wird, abzugrenzen (exemplarisch BVerfGE 61, 82 [113]). 630 Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 236 f.; Schenke, Die Konkurrentenklage im Beamtenrecht, in: Festschrift für Mühl, 1981, S. 571 (584 f.); Schoch, Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung im Öffentlichen Recht, VerwArch. 79 (1988), S. 1 (34-36); Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 566, 622-687. Siehe auch Tn. 219. 631 BVerfGE 50, 290 (354).

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recht" 6 3 2 mit dem Rechtsgedanken der §§ 12, 862 Abs. 1, 1004 Abs. 1, 1027, 1065, 1134 Abs. 1 und 1227 BGB, einer ungeschriebenen allgemeinen verwaltungsrechtlichen „Grund-", „Transformations-" oder „Umschaltnorm" 633 oder einer gewohnheitsrechtlichen „Regel", „daß der Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses in erster Linie mit den Mitteln des sog. Primärrechtsschutzes zu begegnen i s t " 6 3 4 , bedarf es zur Begründung von Reaktionsansprüchen deshalb nicht. Die Erkenntnis, daß staatliche Störungen individueller Entfaltungsautonomie sanktionslos blieben, wenn freiheitsbegründende Normen nicht mit sekundären Hilfsrechten bewehrt würden, trifft nicht nur auf verfassungsrechtliche (grundrechtliche), sondern ebenso auf einfachgesetzliche Freiheitsgrundlagen zu, und zwar in zwei- wie in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen: Auch sie sind taugliche Basis materieller Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche 635. Weniger klar ist innerhalb des zweistufigen Rechtsfolgenverständnisses, ob es sich bei der Primärrechtsfolge, der Freiheit selbst, um ein subjektives Recht oder lediglich um ein dem einzelnen zugeordnetes Rechtsgut, eben ein Individualrechts gut, handelt, das als solches zur Grundlage für die Entstehung der Reaktionsansprüche w i r d 6 3 6 . Durch die prozessuale Brille betrachtet, sind verletzte und eingeklagte Rechte im Sinne der §§ 42 Abs. 2 Alt. 1, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO unter Zugrundelegung des zweistufigen Rechtsfolgenverständnisses zu unterscheidende Rechtspositionen. d) Leges imperfectae (120) Mit ihrer Verrechtlichung in den Verfassungen und verfassungsausführenden Gesetzen der deutschen Einzelstaaten überschritt die Freiheit die Schwelle zwischen Staatsphilosophie und geltendem Recht. Sie war kein 632 Schenke, in: Dolzer/Vogel (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1982, Rn. 301 zu Art. 19 Abs. 4; ähnlich Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 3. Aufl. 1989, S. 204. 633 So Laubinger, Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, VerwArch. 80 (1989), S. 261 (292 f.); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 249-253. 634 So Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 1992, S. 28 f. 635 Andeutend auch Schoch, Der Folgenbeseitigungsanspruch, Jura 1993, 478 (481). Wenn etwa der Nachbar eines staatlich genehmigten Vorhabens seine gegen die Genehmigung gerichtete Anfechtungsklage auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots unterhalb der grundrechtlichen Eingriffsschwelle stützt, dann macht auch er einen materiellen Beseitigungsanspruch gegen die staatliche Genehmigung geltend, der sich - mangels Grundrechtsrelevanz des Vorhabens - lediglich aus drittschützenden einfachen Normen des öffentlichen Rechts ergeben kann. 636 Dazu Tn. 219-222.

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moralischer Fingerzeig mehr, den der Regent wohlwollend beachten oder in seiner Selbstherrlichkeit ignorieren konnte, sondern verbindlicher Verhaltensmaßstab. Sie wurde, sei es durch Oktroi, sei es durch Vereinbarung, auf eine normative Grundlage gestellt. Sie wurde nicht mehr „bloß thatsächlich gewährt, sondern [...] als Recht anerkannt [...] Das ist die Bedeutung der «Erklärung der Rechte»" 6 3 7 . Nichts war mehr vage, die philosophischen Forderungen der Aufklärung waren rechtssatzförmig in einem Katalog spezialisierter Freiheiten präzisiert worden. (121) Doch war diese verrechtlichte Freiheit zugunsten des einzelnen juristisch in Form von Abwehransprüchen handhabbar? Man möchte dies meinen. Durchgehend war ja ganz unbefangen von „Rechten" die Rede, außerdem besaßen die neuen Grundrechte de iure Geltung. Indes bot die Übersetzung staatsphilosophischer Forderungen in Rechtssätze nur den Ansatz für eine juristische Neubesinnung, die mehrere Jahrzehnte beanspruchen sollte, ohne daß die neuen Grundrechte von Anfang an für den einzelnen als subjektive Abwehrrechte fruchtbar gemacht werden konnten 6 3 8 . Die 637

Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 519. 638 schwer die gerichtliche Praxis grundrechtliches Neuland betritt, hat über ein Jahrhundert später auch das Bundesverfassungsgericht anschaulich verdeutlicht, als es sich in seinem ersten „Solange-Beschluß" im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens Gedanken über das Verhältnis zwischen dem europäischen Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz machen mußte. Verstand sich die Europäikonnte sche Gemeinschaft bis zum Maastricht-Vertrag als Wirtschaftsgemeinschaft, es nicht primäres Anliegen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vom 25. März 1957 (BGBl. II S. 766) sein, einen umfassenden europäischen Grundrechtskatalog zu kodifizieren. So war es nicht der Gründungsvertrag, sondern der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, der nach und nach rechtsschöpfend ungeschriebene europäische Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beziehungsweise allgemeine Rechtsgrundsätze (im Sinne des Art. 215 Abs. 2 EGV) entwickelte. Während in der Anfangszeit dieser Entwicklung der Gerichtshof lediglich mit Blick auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten es als etwas Gegebenes darstellte, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung allgemein Grundrechte gewährleiste, ohne im einzelnen Inhalt und Reichweite dieser Rechte zu verdeutlichen und herauszuarbeiten (EuGH, Slg. 1969, S. 419 [425]; Slg. 1970, S. 1125 [1135]), erlangte der Grundrechtsstandard der Gemeinschaft in den 70er-Jahren durch die Bezugnahme des Gerichtshofes auf die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind (EuGH, Slg. 1974, S. 491 [507]), insbesondere der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EuGH, Slg. 1979, 3727 [3745]), klarere und subsumtionsfähige Konturen, wie sie heute infolge dieser Rechtsprechung in Art. F EUV festgehalten werden. Im Gemeinschaftsvertrag normierte spezielle Diskriminierungsverbote wurden bald als Ausdruck eines allgemeinen Gleichheitssatzes gedeutet, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehöre (EuGH, Slg. 1977, S. 1753 [1770]). Der nüchterne, apodiktische, undurchsichtige und für deutsche Richter ungewohnte Urteilsstil des

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neuen Verfassungen mußten erst durchgeführt und ausgebaut, die Grundrechte im juristischen Alltag operabel gemacht und die verfassungsmäßige Ordnung langsam in Exekutive und Judikative der neuen Lage angepaßt werden 6 3 9 .

Gerichtshofes für die Europäischen Gemeinschaften und seine - im Vergleich zu den Schlußanträgen zahlreicher Generalanwälte - hartnäckige Unwilligkeit (oder Unfähigkeit), eine nachvollziehbare und prognostizierbare Methode zur Gewinnung der den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze zu nennen, waren es offenbar, die gleichwohl dafür sorgten, daß das Bundesverfassungsgericht skeptisch blieb und sich auf die neuen ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechte zunächst nicht einlassen wollte: Solange die Gewißheit, daß ein der Gemeinschaft verbindlicher Grundrechtsstandard auf die Dauer dem Standard des Grundgesetzes adäquat sei, nicht gewährleistet sei, gelte der aus Art. 24 GG hergeleitete Vorbehalt (BVerfGE 37, 271 [280]). Noch 1979 ließ das Bundesverfassungsgericht offen, ob diese Rechtsgewißheit erreicht sei (BVerfGE 52, 187 [202 f.]). Erst zwölf Jahre nach dem ersten „Solange-Beschluß" entschied es dann, daß mittlerweile im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen sei, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten sei (BVerfGE 73, 339 [378]). - Die Überlegungen des Verfassungsgerichts um eine Grundrechtsbindung der Gemeinschaftsorgane wirkte in einer Rechtsgemeinschaft ebenso überflüssig wie die weitschweifigen Ausführungen des Berliner Verfassungsgerichtshofes in seinem „Honecker-Beschluß" (NJW 1993, 515 [516 f.]) um ein ungeschriebenes Bekenntnis eines Rechtsstaates, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Es darf bezweifelt werden, daß die Grundrechtsordnung der Gemeinschaft und das Selbstverständnis ihrer Organe 1974 wesentlich unterentwickelter waren als 1986. Die grundrechtsfreundliche Tendenz der Gemeinschaft und ihres Rechts war zumindest seit dem „Nold-Urteil" des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (Slg. 1974, 491-516) unverkennbar, das das Bundesverfassungsgericht selbst als Wendepunkt bezeichnete (BVerfGE 73, 339 [379]), ein Urteil, das, nebenbei bemerkt, zwei Wochen vor dem ersten „Solange-Beschluß" erging. Der Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten „SolangeBeschluß" am Erfordernis eines von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Kataloges von Gemeinschaftsgrundrechten (BVerfGE 37, 271 [Ls.]) nicht mehr festhielt, sondern maßgeblich auf die Bedeutung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften abstellte und sich mit der (vor dem Maßstab des Art. 164 EGV unverbindlichen) Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission der Gemeinschaft vom 5. April 1977 (EG Abi. Nr. C 103/1 vom 27. April 1977) begnügte (BVerfGE 73, 339 [378-382]), verrät, daß nicht das primäre Gemeinschaftsrecht, sondern das Bundesverfassungsgericht selbst (mit Ausnahme der Richter Dr. Rupp, Hirsch und Wand, die ihre abweichende Meinung in einem Sondervotum dokumentierten) den über zehn Jahre währenden Reifeprozeß durchmachte. 639

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 87 f.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 58.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee aa) Umsetzungsschwierigkeiten

(122) Dieser AnpassungsVorgang stand vor zahlreichen Schwierigkeiten. Das Betreten des rechtlichen Neulandes war eine große geistige Herausforderung, die zunächst nicht auf dogmatische Vorbilder des Zivilrechts zurückgreifen konnte. Auch das subjektive Privatrecht stand am Anfang seiner Entwicklung, war selbst Ausdruck der Freiheit vom Staat auf dem Gebiet des Vertragsrechts und ein Kind der aus der ständischen Ordnung befreiten Privatautonomie. Der Begriff des subjektiven Rechts und die Unterscheidung zum rein objektiven Recht wurde dort erst später exakt herausgearbeitet 640 . Die Aufnahme von Grundrechten in die frühkonstitutionellen Verfassungen erfolgte zu einer Zeit, in der die Lehre des subjektiven Rechts insgesamt noch unterentwickelt w a r 6 4 1 . Um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte das subjektive Privatrecht zwar einen Vorsprung vor seinem Pendant im Öffentlichen Recht registrieren 642 ; zu Beginn jenes Jahrhunderts war das subjektive Recht heutiger Gestalt indessen auch im Privatrecht noch nicht ausgebildet, wenn nicht gar inexistent 643 . Auch mußten Übergangslösungen gefunden werden, um Härten zu vermeiden und den staatlichen Instanzen eine Akklimatisierung zu erleichtern. Dies war kein bloßes rechtspolitisches Anliegen, um Chaos und Anarchie zu vermeiden, sondern eine verfassungsrechtliche Vorgabe: Art. 109 PrVerf bestimmte, daß alle Bestimmungen der Rechtsordnung des Ancien Régime bestehen blieben, sofern sie der Verfassung nicht zuwiderliefen. In der Rechtsprechung der preußischen Obergerichte überwog denn auch die Tendenz, Grundrechte lediglich als Leitlinien und Richtschnüre zu betrachten, die die vorkonstitutionelle Gesetzeslage unberührt ließen, bis der einfache Gesetzgeber rechtsändernd tätig wurde 6 4 4 . Obwohl die Grundrechte, von ihren geistigen Grundlagen gesehen, als ex lege eintretende Veränderung und Aufhebung der alten Rechtslage gedacht waren, wie auch das Einführungs-Gesetz zum Gesetz vom 27. Dezember 1848, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes 6 4 5 , verdeutlichte, ließ man so Regelungen der vorkonstitutionellen Legislative, denen oft die Unterscheidung zwischen Aufgaben- und Befugniszuweisung gänzlich fremd war, nicht nur übergangshalber als Gesetz im Sinne der Vorbehaltsklausel lange Zeit fortgelten 646 und forderte bei programmatischen Verfassungsbestimmungen bald eine förmliche Aufhebung älterer 640

Näheres dazu unter Tn. 152. Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 510. 642 Tn. 152 und 192. 643 R. Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, Erster Band, 1915, S. 84. 644 PrOTE 24, 301 (312); 34, 177 (181 f.); 73, 406 (423). 645 Fn. 533. 641

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Normen durch den einfachen Gesetzgeber, ohne die es bei der alten Rechtslage bleiben sollte 6 4 7 , ein Standpunkt, den auch die preußische Staatsregierung in der Reaktionszeit einnahm, bis diese konservativen Bremsversuche in den Satz mündeten, die den präbürgerlichen Rechten feudaler Prägung Sicherheit verschafften: „Keine Zeit ist berufen, Gericht zu halten über die Vergangenheit, und die aus derselben stammenden Rechte je nach ihrem Urtheil über die Angemessenheit anzuerkennen oder zu vernichten" 648 . Vor allem aber waren die neuen Grundrechte nicht nur Rechte der Bürger und Errungenschaften der Volksvertretungen 649 , sondern blieben solche, ohne die andere Seite der dualistischen Verfassungsordnung zu durchdringen. Es blieb beim Gegeneinander zweier gesellschaftlicher Sphären, ohne daß die Grundrechte einen entscheidenden Beitrag zu ihrem praktischen Ausgleich leisten konnten. Den neuen „Rechten" kam kein weiteres Attribut zu, als formelles Verfassungsrecht zu sein 6 5 0 . Sie führten auf der Ebene der Verfassung ein Eigenleben neben dem praktischen Recht des Monarchen, seiner Regierung und Verwaltung, und der Gerichte. Das Fehlen einer unab646

Exemplarisch zu aus § 10 II 17 ALR abgeleiteten Eingriffsermächtigungen auf dem Gebiete der Gefahrenabwehr PrOVGE 1, 337 (340); siehe auch die Darstellung der Entwicklung von Rechtmäßigkeitsmaßstäben staatlichen Handelns unter Tn. 374-376 m.w.N. aus dem zeitgenössischen Schrifttum. Zu dieser Erscheinung Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 143 f., 150, 170; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 133 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 112-116; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 82; Pieroth, Geschichte der Grundrechte, Jura 1984, 568 (575). 647 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 95; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 85 f.; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (104, 113-128); Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (155); ders., Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (400). 648 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Erste Abteilung, Erstes bis Drittes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 339. 649 Tn. 105. 650 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 60; Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System vor 1848, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 460 (477); v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 200; Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen „théorie des droits subjectifs des administrés", 1976, S. 104; Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), 321 (328). 11 Malmendier

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

hängigen und dogmatisch ausgerichteten Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts, die ein effizientes Instrumentarium zur Einlösung der neuen Rechte hätte entwickeln können, und die Entwicklung der Administrât! vjustiz 6 5 1 konnten der notwendigen Aktualisierung der Grundrechte im staatlichen Reservat des Monarchen nicht dienlich sein 6 5 2 . (123) So suchte man den Schutz der Grundrechte durch Verbürgung von Kontrollkompetenzen zugunsten der Volksvertretungen sicherzustellen, wie überhaupt auf institutionelle Garantien gesetzt wurde 6 5 3 , oder durch außerordentliche Rechtsschutzeinrichtungen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Vorläufer der Verfassungsbeschwerde. Im Königreich Bayern etwa konnte jeder Staatsbürger nach § 21 des VII. Titels der Verfassungsurkunde von 18 1 8 6 5 4 die Kammern wegen Verletzung konstitutioneller Rechte anruf e n 6 5 5 ; auf Reichsebene blieb die in § 126 lit. g der Paulskirchenverfassung 6 5 6 eingeräumte Möglichkeit der deutschen Staatsbürger, vor dem Reichsgericht Klage wegen Verletzung der durch die Reichsverfassung gewährten Rechte zu erheben, im Versuchsstadium stecken. Nur wenige bemerkten, daß in einem Staat, „wo jede Willkühr verfassungsmäßig zerstört wird [...], die Frage über das Verhältnis der Justiz- und Verwaltungsbehörden [...] mit den wichtigsten Verfassungsangelegenheiten selbst" zusammenhing und „eine viel höhere Bedeutung erhält, als man häufig glaubt" 6 5 7 . Erst die Verlagerung des subjektiven öffentlichen Rechts auf die Ebene des täglichen und lebendigen Verwaltungsrechts im Spätkonstitionalismus konnte die Grundrechte zu einem praktikablen Anspruchssystem artikulieren, und sei es über das Medium des einfachen Rechts 6 5 8 . (124) Der erste Schritt zur Verrechtlichung der Freiheit, - ihre Verbriefung in Rechtssätze - , war recht schnell vor sich gegangen. Doch fehlten die rechtlichen Folgerungen. Die Grundrechte mußten erst unter rechtlichen Aspekten behandelt und zu einem praktikablen Anspruchssystem entwickelt 651

Tn. 413-424. G. Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 4 f.; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (105 Fn. 3); v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 179 f.; Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (397). 653 Tn. 130 f. 654 Fn. 517. 655 Dazu v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 186-194. 656 Fn. 532. 657 Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 (1821), S. 305 (310). 658 Tn. 152-223. 652

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werden. Frühkonstitutionelle Schilderungen des Staatsrechts konnten sich für sie nicht begeistern, eine hervorspringende Stellung nahmen sie nicht ein, sie mußten sich mit einem Platz neben zahlreichen anderen Abschnitten begnügen. Insgesamt fristeten sie ein Schattendasein. Dort, wo sie sich einer Darstellung erfreuen konnten, wurden sie meistens nach wie vor unter vernunftsrechtlichen Gesichtspunkten behandelt, die sich von der aufgeklärten Staatsphilosophie des ausgehenden 18. Jahrhunderts kaum unterschieden und zur Gewinnung umsetzbarer rechtlicher Folgerungen auf der Rechtsanwendungsebene, zur praktischen Einlösung in der Rechtswirklichkeit, untauglich waren. Statt Tatbestand und Rechtsfolge zu effektuieren, verfingen sich die ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in den abstrakten Postulaten des Vernunftsrechts 659 . (125) Als exemplarisch kann das von Karl Wenzeslaus Rodecker von Rotteck (1775-1840) und Karl Theodor Welcker (1790-1869) herausgegebene fortschrittliche Staats-Lexikon genannt werden, das in der frühliberalen Bewegung Deutschlands eine herausragende Stellung einnahm und die Gedankenwelt der gebildeten Klassen entscheidend prägte. Der (anonym bleibende) Artikel über Grundrechte 660 verstand darunter noch 1862 nur die 1848 von der Frankfurter Nationalversammlung verkündeten Rechte; - der Begriff der „Grundrechte" taucht ja auch im ganzen 19. Jahrhundert nur in diesem Verfassungstext auf. Entsprechend begrenzt mußte die Darstellung ausfallen, die sich kurz mit ausländischen Parallelen befaßte, nicht über eine knapp gehaltene Definition des Frankfurter Grundrechtsbegriffs und einer monotonen Aufzählung seiner wichtigsten Bestimmungen hinaus kam, um sich dann auf die Geschichte des Frankfurter Parlaments von 1848 bis 1851 zu beschränken. Während diese Erläuterung der Grundrechte noch an das rechtssatzförmige Gesetz über die Grundrechte des deutschen Volkes von 1848 6 6 1 anknüpfen konnte, driftete der Artikel über Freiheit 6 6 2 in abstrakte Definitionen, in eine schwer verständliche Begrifflichkeit und ins vorstaatliche Vernunftsrecht ohne jeden konstitutionellen Bezug ab, obwohl 659 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 62; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 179; Sachs, in: Stem, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band HI/1, 1988, S. 511 f.; Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), S. 321 (328); G. Jellinek konstatierte zur Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts in der Einleitung seines „Systems": „Von einer prinzipiellen, über die hergebrachten Schablonen hinausschreitenden, die Gesamtheit der Probleme erörternden Lehre ist aber in dem ganzen Zeitraum von 1815-1850 nichts zu finden" (System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 4). 660 Siebenter Band, 3. Aufl. 1862, S. 152-154. 661 Fn. 533. 662 Fünfter Band, 3. Aufl. 1861, S. 640-647. 11*

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die Darstellung beanspruchte, sich aus dem „vieldeutigen Wort" nur die Freiheit im rechtlichen und politischen Sinne zum Gegenstand zu machen. Neben der Erkenntnis, daß „Freiheit und Gleichheit [...] die nothwendigen Fundamente oder Principien einer vernünftigen Rechtsordnung" und vom Staatszweck nicht erforderliche Freiheitsbeschränkungen „ungerecht und vor dem Forum des Vernunftsrechts ungültig" seien 6 6 3 , blieben die näheren Möglichkeiten und Rechtsfolgen einer Freiheitsverletzung unerörtert. (126) Nicht alle zeitgenössischen Grundrechtsschilderungen basierten auf abstrakten vernunftsrechtlichen Vorstellungen wie die v. Rottecks und Welckers. Es fehlte nicht an Schilderungen, die die rationalistisch-abstrakte „«Constitutionsschwärmerei» der Rotteck-Welcker'sehen Richtung" 6 6 4 auf den Boden des geltenden Rechts zurückzuholen versuchten. Aber auch diese auf einer positivrechtlichen Grundlage stehenden Darstellungen, die gesatzte und bestehende Grundrechtskataloge analysierten, kamen über eine Klassifizierung, Systematisierung und bestenfalls Kommentierung der Grundrechtsnormen nicht hinaus 6 6 5 . Während der Blick auf Schutzbereich und Einschränkung der Grundrechte, also auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Staatsabwehranspruchs beschränkt blieb, ließen die zeitgenössischen Darstellungen eine einzelne Grundrechtsbestimmungen übergreifende Festlegung der genauen Rechtsfolgen einer Grundrechtsverletzung vermissen. Bei dieser für die erste Jahrhunderthälfte typischen fehlenden oder unscharfen Differenzierung zwischen der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungshandelns und deren Folgen 6 6 6 mußte den Grundrechten jede praktische Einlösung fehlen.

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A.a.O, S. 643. V. Lemayer, Der Begriff des Rechtsschutzes im öffentlichen Rechte (Verwaltungsgerichtsbarkeit), im Zusammenhange der Wandlungen der Staatsauffassung betrachtet, GrünhutsZ 29 (1902), 1 (134). 665 In chronologischer Folge: Maurenbrecher; Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 79-81; v. Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, Zweiter Band, 2. Aufl. 1839, S. 1-109; Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4. Aufl. 1840, S. 6-306; v. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftsrechts und der Staatswissenschaften, Band 2, 2. Aufl. 1840, S. 135-154; Mommsen, Die Grundrechte des deutschen Volkes, 1849, passim; Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, Zweiter Theil, 5. Aufl. 1863, S. 22-52. 666 Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 186-188. 664

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bb) Erste juristische Einlösungen (127) Erwies sich die juristische Handhabung der neuen Grundrechte anfangs als schwierig und tat sich die Staatsrechtslehre zunächst mit ihrer rechtlichen Erfassung schwer, so konnte sie eines von Anfang an nicht leugnen: Den Rechtssatzcharakter der Grundrechte 667 . Ihre Positivierung legte die Grundlage, die Grundrechte „einmal rein juristisch und frei von allem politischen Beiwerk zu erforschen" 668 . Als Normen mußten sie Gegenstand rechtswissenschaftlicher Erörterung werden und einen faßbaren juristischen Inhalt, eine Rechtsfolge haben. Diesen rechtlichen Gehalt erkannte man bald in einer verbindlichen Beschränkung der Staatsgewalt 669, wie übrigens auch grundrechtsausführende einfache Gesetze lange nur als Grenzen der Exekutivbetätigungen im Einzelfall aufgefaßt wurden. Gesetze bildeten (lediglich) eine „äußere Schranke einer mehr oder weniger freien Thätigkeit" 6 7 0 , die die Verwaltung (nur dann) zu wahren hatte, wenn solche bestanden 671 ; sie waren nicht positiv Voraussetzung eines Grundrechtseingriffs, - neben zahlreichen Sondervorbehalten enthielt die Preußische Verfassung von 1850 6 7 2 gerade keinen den ganzen Bereich von Freiheit und Eigentum abdeckenden allgemeinen Gesetzesvorbehalt für Einzeleingriffe der Verwaltung 673 : „Zur Zeit der Entstehung der Verfassungen [...] galt das 667

Exemplarisch v. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 65: „Es sind objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt" (Hervorhebung dort). 668 Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 132. 669 V. Rotteck, Lehrbuch des Vemunftsrechts und der Staatswissenschaften, Band 2, 2. Aufl. 1840, S. 132 f. 67 0 Bähr, Der Rechtsstaat, 1864, S. 52. 671 V. Stein, Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1869, S. 297: Das Gesetz sei die Gränze der Regierungsgewalt. 672 Fn. 554. 673 Die spätkonstitutionelle Staatslehre Preußens unternahm die unterschiedlichsten Versuche, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung normativ an der Verfassungs-Urkunde festzumachen: - Eine Ausdehnung des Begriffs der persönlichen Freiheit in Art. 5 PrVerf (Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, Anm. 3 zu Art. 5; Arndt, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, 7. Aufl. 1911, Anm. 2 zu Art. 5 m.w.N.; die Auffassung, jene persönliche Freiheit umfasse schlechthin jede Freiheit vom Staat, fand sich auch in allgemeinen Darstellungen des Staatsrechts, etwa bei v. Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, Zweiter Band, 2. Aufl. 1839, S. 3; v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Erster Band, 1895, S. 703-705, 713, konstruierte ein allgemeines, das Öffentliche wie das Privatrecht umgreifende allgemeines Recht der Persönlichkeit, das auch das Recht freier Betätigung umfaßte; siehe dazu auch Tn. 200205), - eine Gesamtanalogie zu den einzelnen Spezialvorbehalten (Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 97 f.),

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Prinzip der Gesetzmässigleit der Verwaltung noch nirgends." 674 - , sondern negativ Beschränkung der Eingriffsmöglichkeiten, so daß auf der Vollzugsebene kein Vorbehalt, sondern nur ein Vorrang des Gesetzes bestand 675 . (128) Die Volks-, Untertanen- oder Grundrechte wurden in der zeitgenössischen Literatur im Zusammenhang mit den Beschränkungen der Staatsgewalt (unspezifisch) dargestellt 676 . Das Recht des Staates finde an dem - eine auf Sinn und Zweck des Art. 62 PrVerf und auf anerkannte Erkenntnisse zu generell-abstrakten Eingriffsermächtigungen abstellende Verfassungsinterpretation (Thoma, Der Polizeibefehl im Badischen Recht, Erster Teil, 1906, S. 101 f.) - und eine verfassungsübersteigende gewohnheitsrechtliche Herausbildung (Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 76, 87, 126-128, 153 f.). Zum letzteren Standpunkt neigte wohl auch das Preußische Oberverwaltungsgericht, das davon Abstand nahm, einen normativen Aufhänger für den Gesetzesvorbehalt im Verfassungstext zu benennen (Nachweise bei Bühler a.a.O., S. 81 f. und Jesch a.a.O., S. 163). 67 4 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 130. 675 Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts für administrative Einzelakte war zwar der Idee des konstitutionellen Staates immanent, wurde aber anfangs nur vereinzelt und zögernd ausgesprochen. Die deutliche Wende und allgemeine Anerkennung des Prinzips auch auf der Rechtsanwendungsebene scheinen (in Norddeutschland) erst die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit der Aufnahme der Tätigkeit des Preußigebracht zu haben, um dann in einer Entscheidung schen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Januar 1896 auf die zusammenfassende Formel gebracht zu werden: „Die Polizei darf nicht Alles fordern, was sie nicht durch Gesetz gehindert ist, zu fordern, sondern sie darf nur fordern, was das Gesetz ihr zu fordern gestattet" (auszugsweise wiedergegeben bei Anschütz, Die im Jahre 1896 veröffentlichte Rechtsprechung des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts, VerwArch. 5 [1897], S. 390 [406]). Bereits zuvor - und zwar von Anbeginn seiner Tätigkeit an - hatte das Preußische Oberverwaltungsgericht für belastende Verwaltungsmaßnahmen das Vorhandensein einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage geprüft und damit seinen Kontrollmaßstab zu erkennen gegeben, ohne jedoch das Prinzip der Gesetzlichkeit der Verwaltung in der zitierten Schärfe zu umschreiben (PrOVGE 1, 173 [177-182]; 1, 337 [338-341]; 2, 395 [397-399]; 12, 397 [398-405]). Zu diesem im einzelnen kontrovers diskutierten Beginn eines Vorbehaltsbereichs für Einzeleingriffe in Freiheit und Eigentum mit unterschiedlichen Standpunkten Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 67-128, 137, 153; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 148-157; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 88 f. m.w.N.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 156-169; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 108-111; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (105 Fn. 3); Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, S. 20; Sachs, in: Stern/ Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, 1994, S. 95-97. Die Debatte wird durch die zwischen dem süddeutschen Liberalismus und preußischen Konservatismus bestehende zeitliche Abschichtung erschwert. Siehe zum Gesetzesbegriff auch Tn. 374.

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Untertanenrechte der einzelnen Staatsbürger seine Grenze 677 , in den verfassungsmäßigen Rechten und Pflichten der Unterthanen bestünden positivrechtliche Schranken der Regierung 678 , die Regierungsgewalt finde in den politischen Rechten eine Schranke, wodurch für den Untertanen eine Sphäre, in welcher er unabhängig ist, also eine Freiheit im negativen Sinne entstehe 679 , die Bedeutung der verfassungsmäßigen Rechte könne nur in etwas Negativem gefunden werden, nämlich darin, den Staat in die Grenzen seiner Befugnisse zurückzuweisen 680 , die verbürgten Freiheiten setzten die Grenze fest, welche die Obrigkeit in ihrer Fürsorge für das Öffentliche den Untertanen gegenüber nicht überschreiten dürfe und bildeten eine rechtliche Schranke gegen die Regierung 681 , ein Verfassungs Verständnis, das bis heute nachwirkt, wenn Grundrechte statt positiv als Grundlage autonomer Entfaltung pejorativ als negative Kompetenznormen aufgefaßt werden, die dem Handeln des Staates Schranken setzen 682 . Nicht nur die Grundrechte, sondern die frühkonstitutionellen Verfassungen insgesamt und die auf sie aufbauende Rechtsordnung bestimmten ganz im Sinne Wilhelm von Humboldts 683 nur die Grenzen der Wirksamkeit des (monarchischen) Staates. Man hat sie deshalb treffend als „negative Verfassungsurkunden" charakterisiert 6 8 4 (129) Diesen verbindlichen Grenzen des Staatshandelns entsprach aber kein „Gesetzesvollziehungsanspruch" 685 , kein Reaktionsanspruch des ein67 6

V. Rotteck, Lehrbuch des Vemunftsrechts und der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1840, S. 123-133; Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 496 f.; v. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 64 f. 67 7 V. Rotteck, Lehrbuch des Vemunftsrechts und der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1840, S. 133. 67 8 Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 496. 67 9 Schmitthenner a.a.O., S. 560. 680 V. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 64. 681 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 519. 682 Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 (347 f.); Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, 1956, S. 62. 683 Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851. 684 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 181. 685 Der Begriff dürfte, nach Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 19, zu urteilen, auf Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, zuletzt in 8. Aufl. 1928, S. 172, zurückzuführen sein. Lemor, Subjektiv öffentliche Rechte und Reflexwirkungen objektiven Rechtes im deutschen und preußischen Recht, 1928, zog den Begriff des „Gesetzesbefolgungsanspruchs", den er für besser hielt, vor (S. 19).

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zelnen und kein sonst geartetes subjektives Vermögen des Bürgers gegenüber dem Staat. Die neuen Grundrechte bezweckten zwar den Schutz des Bürgertums, sicherten diesem eine staatsfreie Entfaltung. Zur Erfüllung dieser Schutzfunktion setzte man aber nicht auf einklagbare Rechte des einzelnen. „Negativ" waren diese Verfassungen nicht nur, weil sie bestimmten, was der Regent nicht tun dürfe, sondern auch und vielmehr, weil sie es dabei beließen und den Bürger nicht zum Träger subjektiver Rechte gegenüber der Staatstätigkeit erhoben. Der einzelne wurde nicht als Individuum gedacht, sondern war Teil des Volks als Ganzes und der gesellschaftlichen Sphäre, die als solche vom staatlich-monarchischen Bereich geschützt werden sollte. Er blieb Objekt des Verfassungsgefüges und wurde nur als Teil des Volkes - das als solches in seiner Gesamtheit geschützt wurde - reflexartig begünstigt. Volksrechte waren Recht des Volkes als Einheit und Gemeinschaft, nicht seiner einzelnen Mitglieder, waren kollektive Rechte zur gesamten Hand. Das aber heißt in heutiger Fachsprachlichkeit nichts anderes, als daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur die objektivrechtliche Bedeutung der Grundrechte erkannt wurde 6 8 6 . (130) Was sich im aufgeklärten Absolutismus andeutete 687 , wurde jetzt in der frühkonstitutionellen Rechtsordnung ausgebaut, sichtbarer wie auch präziser und in der Wissenschaft Allgemeingut, doch folgten noch keine bahnbrechenden Neuerungen. Die ersten Verfassungen wurden für die Sicht der Herrscher geschrieben. Er und seine Exekutive hatten die Schranken ihrer Souveränität von sich aus zu beachten. Sie waren die verpflichteten Adressaten der neuen Verfassungsbestimmungen, berechtigte Adressaten 686

Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 60 f.; Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 46 zu den Vorb. vor Art. 1; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 126 f.; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 104-111; Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 22-31; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 116, 172178; Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite der Grundrechte im Übergang von der Aufklärung zum 19. Jahrhundert, in: Von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit, Beiheft 4 zu „Der Staat", 1980, S. 105 (108-110); ders., Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (145 f.); ders., Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, Zur rechtlichen Bedeutung der Grundrechte in Deutschland zwischen 1780 und 1850, in: Günter Birtsch (Hg.), Grundund Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848, 1981, S. 376 (389 u. 396); Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 329 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 196. Zu den Hintergründen dieser Entwicklung bereits Tn. 121 f. und ferner Tn. 136-139. 687 Tn. 36 f.

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gab es keine. Wächter und Garant dieser Freiheit sollten zahlreiche institutionell garantierte objektive Kontrollmechanismen sein, die in der Hand des Volkes als Ganzes, der Stände oder der Volksvertretungen lagen. Man setzte vor allem auf die Montesquieuschen Lehre der Gewaltenteilung. Es herrschte die Vorstellung, es brauchten nur Gesetze zu herrschen, um Willkür auszuschließen 688 . „Schon das Gesez hält [...] die Willkür hintan", schrieb Karl von Rotteck und konnte so „das Prinzip der vollsten Entfesselung des wahren Gesammtwillens, und mithin des Urtheils und der zählenden Stimme aller Verständigen und Rechtlichen im Volk" zum „wahren Palladium des öffentlichen Rechts" erklären 689 . (131) Noch - bevor sich der Gegensatz von Staat und Individuum während der Restauration manifest verstärkte 690 - wurde Freiheit vom Staat (genauer: von der Exekutive des Monarchen) alleine durch den Staat (genauer: durch die Legislative noch der Stände, bald des Volkes) garantiert. Das war die erste, auf die Rechtssetzungsebene beschränkte Phase der gesetzlichen Bindung der Exekutive: Generell-abstrakte Ermächtigungen zu Eingriffen in die gesellschaftliche Sphäre bedurften einer parlamentsgesetzlichen Grundlage 691 . Auf der Rechtsanwendungsebene blieb der einzelne zunächst auf der Strecke (zumal vorkonstitutionelle Ermächtigungen als fortbestehend anerkannt wurden 6 9 2 ): Die Exekutive war frei, sofern sie nicht gegen Recht verstieß. Jenes von 1815 bis 1848 ausgeprägte institutionelle Rechtsdenken 693 , das nach der Märzrevolution fortgeführt wurde, aber durch einen Ausbau subjektivrechtlicher Positionen seine Dominanz ein688 Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System vor 1848, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 460 (463); Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 141-143, 169; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 23; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 173; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 26; Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Festschrift für Scheuner, 1973, S. 162 (171); Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 124 f.; A. Laufs, Recht und Gericht im Werk der Paulskirche, 1978, S. 9; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 154; Loschelder, Vom besonderen GewaltVerhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 105 f.; Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil, 1956, S. 63 f.; Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen „théorie des droits subjectifs des administrés", 1976, S. 104; Sachs, in: Stem/ Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, 1994, S. 95 f.; v. Unruh, Kodifiziertes Verwaltungsrecht, NVwZ 1988, 690 (690 f.). 689 Lehrbuch des Vemunftsrechts und der Staatswissenschaften, Band 2, 2. Aufl. 1840, S. 130 f. 690 Tn. 102. 691 Zum konstitutionellen Gesetzesbegriff Tn. 374. 692 Tn. 122, 375.

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büßte, drückte sich nicht nur im blinden Vertrauen in die Kraft des Gesetzes durch die Verschränkung von Grundrechten und Gesetz zu einem Vorbehaltsbereich aus. Die Vereidigung des Königs auf die Verfassung 694 , die parlamentarische Verantwortlichkeit, wenn auch nicht Abhängigkeit 6 9 5 der Minister 6 9 6 , ihre Anklage in höchster Instanz 6 9 7 , die Beteiligung von Laien an der Gerichtsbarkeit 698 , die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen 699 , ein freies Pressewesen 700, das Recht aller Bürger, sich mit Petitionen an die Volksvertretungen zu wenden 7 0 1 , die, um Licht hinter Staatsakte bringen zu können, die Möglichkeit hatten, Untersuchungskommissionen einzusetzen 7 0 2 , traten als institutionalisierte Einrichtungen zum Schutze der Freiheit hinzu. Legalismus und Öffentlichkeit in der Hand des Volkes als Ganzes stellten aus damaliger Sicht ebenso ideale wie hinreichende Schutzinstitutionen dar 7 0 3 . Sie ließen das Individualrecht als überflüssig erscheinen und wurden zum Rechteersatz. 693

Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 60 f.; Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System vor 1848, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 460 (466 f.); Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 46 zu den Vorb.; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 173; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 82 f.; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 163-165, 179; Schmitt-Löw, Ausformung von Grundrechten in Gerichtsverfassung und Prozess im deutschen Vormärz, in: Dilcher/Hoke/Vidari/Winterberg (Hg.), Grundrechte im 19. Jahrhundert, 1982, S. 217 (221-228). 694 Art. 54 Abs. 2 PrVerf. 695 Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. 1981, S. 146 (151 f., 158 f.); v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 114. 696 Art. 44 PrVerf. 697 Art. 61 PrVerf. 698 Art. 94, 95 PrVerf. 699 Art. 93 PrVerf. 700 Art. 27 Abs. 2 PrVerf. 701 Art. 34 PrVerf. 702 Art. 82 PrVerf. 703 Exemplarisch Mittermaier, Ueber das Verhältnis der Justiz zu den Verwaltungssachen, über Administrativjustiz und Competenzconflikte, AcP 21 (1838), S. 254 (278): „Die Uebertragung einer politischen Gewalt an die Gerichte ist selbst in constitutionellen Staaten nicht nothwendig, da weit bessere Garantieen den Staatsbürgern für den Schutz ihrer politischen Rechte durch die Verfassung selbst in dem Petitionsrechte und in dem Rechte der Kammern, die Minister anzuklagen, oder Beschwerden zu erheben, dargeboten werden, und jeder Verletzte darauf rechnen kann, daß die Verletzung, wenn sie wahrhaft begründet ist, ihre Abhülfe durch die Wirksamkeit der Stände finden wird." Allerdings war gerade Carl Joseph Anton Mittermaier (1787-1867) einer derjenigen, der früh die einfachgesetzlichen Befugnisse des einzelnen von diesen „poltischen Rechten" schied, einen Anspruch auf ge-

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(132) Ihre mangelnde praktische Einlösung und ihre theoretische Reduzierung zu bloßen „Schranken der Regierungsgewalt" 704 machten die Grundrechte aus heutiger Sicht zu imperfekten Rechtssätzen. Sie hatten den Schritt zu ihrer Individualisierung noch nicht geschafft, waren noch nicht zur Anspruchsgrundlage geformt 7 0 5 . Dieses in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschende objektivrechtliche Verständnis von Freiheit und Eigentum darf gleichwohl nicht als endgültige Absage an individuelle Staatsabwehrrechte gedeutet werden. Die Komplementärfunktion der Grundrechte war nur noch nicht entdeckt, die Brücke zum Individualrecht in seiner heutigen Form noch nicht geschlagen, weil man im institutionellen Vertrauen dieses Bedürfnis nicht erkannte. Im Gegensatz zur spätkonstitutionellen Staatslehre machten sich die meisten Staatsrechtler keinerlei Gedanken über die subjektivrechtliche Natur der Grundrechte; sie blieben setzmäßige Behandlung entwickelte und die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts so ins einfache Verwaltungsrecht transponierte (Tn. 141). Mittermaier, Justizrat und Professor der Rechte in Landshut, Bonn und Heidelberg, Sekretär von Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833) und Lehrer von Karl Binding (1841-1920), gilt als einer der bedeutsamsten Strafprozessualisten des 19. Jahrhunderts, der maßgeblich zur Reform des Strafverfahrens beitrug. Als Abgeordneter und zeitweise Präsident der Badischen Zweiten Kammer sowie Präsident des Frankfurter Vorparlaments und tonangebender Parlamentarier der Nationalversammlung war er auch ein einflußreicher Politiker des deutschen Liberalismus. 704 Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Erster Theil, 2. Aufl. 1853, S. 406 Fn. 1. 705 Das im „Lüth-Urteil" geprägte und als „klassisch" bekannte Grundrechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts, Grundrechte seien ihrer geschichtlichen Entwicklung nach Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat (Fn. 501), ist damit widerlegt (ähnlich oder zumindest kritisch auch Dreier, in: ders. [Hg.], Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 46 zu den Vorb.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 35 f.; Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite der Grundrechte im Übergang von der Aufklärung zum 19. Jahrhundert, in: Von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit, Beiheft 4 zu „Der Staat", 1980, S. 105 [110]). Diese irrige - und in Entscheidungen bezeichnenderweise auch nicht belegte - Auffassung beruht auf einer Grundrechtsinterpretation anhand heutiger Maßstäbe. Angesichts der (Über-)Betonung objektivrechtlicher Sicherungsmechanismen, der grundrechtlichen Abstinenz im zeitgenössischen Schrifttum und des Fehlens des Vorbilds des privaten subjektiven Rechts läßt sich der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts auch nicht als eine folgerichtige Weiterentwicklung früh- und hochkonstitutionellen Gedankenguts aufrechterhalten. Frühestens mit der Ausbildung einer modernen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Tn. 431^-73) konnten sich Fragestellungen ergeben, die denen ähneln, mit denen das Bundesverfassungsgericht sich heute befassen muß. Die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Grundrechte aus jenem beschriebenen Lichte zu interpretieren aber bedeutet, ihr um mindestens 50 Jahre Gewalt anzutun. In dem vom Bundesverfassungsgericht unterstellten Geiste sind die Grundrechte nicht entstanden. Die Auffassung, Grundrechte seien Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, setzt sich vollends erst in der Weimarer Republik durch, während sie zuvor in der Lehre des subjektiven öffentlichen (Abwehr-)Rechts keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen.

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schlicht auf halbem Wege stehen, nachdem sie die objektivrechtliche Funktion der neuen Verfassungsrechte als Grenzen der Staatsgewalt hervorgehoben hatten. Darüber hinausgehende Absagen an eine subjektive Komplementärfunktion der Grundrechte blieben vereinzelt und sind für die vormärzliche Entwicklung nicht repräsentativ 706 . (133) Noch gab es also nur Verpflichtungen aus dem objektiven Recht, kein korrespondierendes subjektives Vermögen des in seiner Freiheit zu Unrecht Beeinträchtigten. Aber die erste Voraussetzung eines jeden subjektiven (öffentlichen) Rechts und wohl auch die einzige, über die in der Rechtswissenschaft bis heute eine Übereinstimmung erzielt werden konnte, die objektivrechtliche, den Staat durch eine Kompetenzbeschränkung belastende Rechtsfolge 707 , war entdeckt. Hierin lag die Leistung der ersten Jahrhunderthälfte, die die Freiheit verrechtlichte und die erste Voraussetzung für die Wiedergewinnung subjektiver Abwehrrechte schuf: Keine subjektive Berechtigung ohne korrespondierende objektive Last. Die den einzelnen berechtigende Seite der Grundrechte konnte nicht vor der den Staat verpflichtenden Seite ans Licht gebracht werden. Nun mußte in einem kontinuierlichen Reifeprozeß und in einer Umorganisation des Übergangsrechts noch das Individualrecht als Entsprechung herausgearbeitet werden. Das war die Forderung der Zeit. „Die Individuelle Freiheit [...] hat der Staat in derselben Weise zu achten und zu schützen wie das übrige Privatrecht; und daß solches geschehe, ist noch eine große Aufgabe der zukünftigen Rechtsbildung"708.

4. Die alten wohlerworbenen Rechte (134) Waren die neuen Grundrechte die Errungenschaft des Bürgertums, so blieben doch zunächst die alten wohlerworbenen Rechte die tägliche Arbeitsgrundlage der Praxis, die die neue Rechtslage nicht wahrnahm. Die Isolation der neuen Rechte im formellen Verfassungsrecht führte auf der Rechtsanwendungsebene zum Fortleben der alten Rechtsanschauung. Auch hier kennzeichnet Otto Mayers Satz „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht" 7 0 9 die Entwicklung am treffendsten. Jahrhundertelang hatten die wohlerworbenen Rechte und die damit einhergehende Begrün706

Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Erster Theil, 2. Aufl. 1853, S. 406 Fn. 1: Von Rechten des Einzelnen, als Bestandteil einer individuellen Rechtssphäre, könne gar keine Rede sein. 707 Die freilich nur beim Unterlassungsanspruch negativ dahin geht, sich eines Eingriffs zu enthalten, während sie beim Beseitigungsanspruch den Staat positiv anhält, die Eingriffswirkungen abzustellen (Tn. 209). 708 Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 670. 709 Deutsches Verwaltungsrecht, Vorwort zur 1924 erschienen dritten Auflage.

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dung einer Justizsache den Mittelpunkt der Publizistik gebildet. Daran sollte die konstitutionelle Bewegung zunächst nichts ändern. Zum einen boten die neuen Grundrechte der Lehre vom wohlerworbenen Recht keinen gleichwertigen Ersatz. Wurden Grundrechte als objektivrechtliche Grenzen der Staatsgewalt aufgefaßt, mußten sie Praktikern als ungeeignet erscheinen, die Prozeßvoraussetzung der Justizsache, die in Reichs- und Landesgerichtsbarkeit Ausdruck des Individualrechtsschutzes war, umzuformen, ohne einen Systembruch herbeizuführen. Zum anderen wurden subjektive Rechte, auch wohlerworbene, in der restaurativen Zeit des Frühliberalismus trotz der Aufnahme von Grundrechtskatalogen in den Verfassungen generell eingeschränkt, um sich bald in Sekundäransprüchen gegen den Fiskus zu erschöpfen 710 , was sich in einer Wandlung und restriktiveren Bestimmung der Justizsache und in der Entwicklung der Administrativjustiz manifestierte 711 . Diese beiden Erkenntnisse verdeutlichen im Nachhinein die eigentlichen Ursachen 712 , warum sich die neuen Grundrechte nicht rasch zu subjektiven Rechtspositionen des einzelnen aktualisieren konnten.

a) Ihre Kontinuität, ihre Wandlungen (135) So überlebte das aus dem absoluten Staat ständischer Prägung stammende wohlerworbene Recht und die mit ihm einhergehende Begründung einer Justizsache in einer ungebrochenen Kontinuität zum 18. Jahrhundert die neuen politischen Ordnungen und behielt in der Praxis zunächst seine unveränderte Bedeutung 713 . Nicht eine umfassende, durch Freiheit und Eigentum gekennzeichnete Individualrechtssphäre, sondern nach wie vor das wohlerworbene Recht wurde als rechtsschutzfähig angesehen; noch immer war die Berufung auf einen besonderen Rechtstitel für die Eröffnung des Rechtsweges ausschlaggebend714. Doch konnte das wohlerworbene Recht als Ordnungsmittel des Ständestaates trotz dieser vorerst festzustellenden unveränderten Kontinuität den konstitutionellen Umbruch nicht überleben. Früher oder später mußte sich die Verfassungsentwicklung be710

Tn. 76 f. und Tn. 138 f. Tn. 83, Tn. 144-151 und Tn. 413-424. 712 Ursachen der bereits in Tn. 122 genannten Schwierigkeiten, denen sich die Staatslehre des beginnenden 19. Jahrhunderts ausgesetzt sah. 713 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 61; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 49; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 213-215, 229-231; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 23 f.; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 180-183. 714 Aus dem zeitgenössischen Schrifttum etwa v. Mohl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Erster Band, 2. Aufl. 1846, S. 392^06. 711

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merkbar machen und die reichsrechtliche Lehre der iura quaesita beeinflussen. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist denn auch die Zeit der ersten inneren Auflösung und Zersetzung des wohlerworbenen Rechts ständischer Prägung. Zumeist unter Wahrung der alten Terminologie hielt man äußerlich an der tradierten Lehre der iura quaesita fest, ergänzte, präzisierte und grenzte sie aber zugleich mit Blick auf die durchgeführte Trennung von Justiz und Verwaltung ein. Die einst einheitlichen und einartigen wohlerworbenen Rechte und Rechte Privater 715 waren dabei, zum subjektiven Privatrecht heutiger Gestalt zu verkümmern. Diesen ersten Auflösungserscheinungen folgte in der zweiten Jahrhunderthälfte eine dogmatische Verfeinerung und nach der Reichsgründung auch eine praktische Stütze in der Gesetzgebung und neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Betrachtet man die erste Umwandlungsphase in der Staatslehre, bis zu der durch das Erscheinen von Gerbers „Ueber öffentliche Rechte" zumindest terminologisch bewirkten Zäsur im Jahre 1852, läßt sie sich als Umwandlung des ohnehin nie sehr konturenscharf gewesenen wohlerworbenen Rechts zur allgemeinen gesetzlichen Befugnis und ihrer anschließenden Subjektivierung zusammenfassen, die sich symptomatisch an der Wandlung des Begriffs der Justizsache zeigte. b) Der Gesetzesvollziehungsanspruch (136) Bisher 7 1 6 wurde der Abbau subjektiver öffentlicher Individualrechte in der ersten, restaurativen Hälfte des 19. Jahrhunderts mit spätabsolutistischen Bestrebungen erklärt. Die Reorganisation der deutschen Einzelstaaten nach dem napoleonischen Zusammenbruch, ihre Befreiung von der letzten Souveränitätsschranke, der Jurisdiktionsgewalt des Reiches, und das Aufkommen antiständischer Ideen auch in Deutschland stärkten in der Tat den Gedanken des allumfassenden Staates. Die Bedeutung jener liberalen Forderungen einer egalitären und freiheitlichen staatlichen Ordnung für den Abbau subjektiver öffentlicher Rechte wurde bislang hingegen vernachlässigt. Jener liberaler Grundgedanke stritt nicht nur für die Beschränkung staatlicher Aufgaben auf die Gefahrenabwehr, sondern auch für eine gleiche Rechtsordnung. Das ständische, wohlerworbene Recht war sein Feind. Es bewahrte Altes und hemmte Neues. Und da als subjektive Rechte nur die alten iura quaesita bekannt waren, widersprach das subjektive öffentliche Recht als punktuelle und abgestufte Freiheit nur einzelner von der Obrigkeit dem liberalen Gedankengut. Aber auch ein subjektives Recht aller auf freies Handeln wäre geeignet gewesen, die Egalisierung der Rechtsordnung zu gefährden. Denn in mehrpoligen Konfliktlagen bedeutet Freiheit, auch 715 716

Tn. 38 f. Tn. 76 f. und 83.

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und gerade ständische Freiheit durch eingriffsfeste Sonderrechte, immer Freiheit von anderen, also Einschränkung der Freiheit anderer. Während es im ausgehenden 18. Jahrhundert aufgeklärte liberale Reformer waren, die die Obrigkeit an die Garantie der iura quaesita erinnerten, kann es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht überraschen, daß es umgekehrt konservative Rechtspolitiker, wie Stahl 111, waren, die energisch die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte betonten und sich dadurch erhofften, feudale und patrimoniale Strukturen zu erhalten. Als Ausdruck des Ständestaates verpönt, sollte die Rechtsordnung vom subjektiven Recht befreit, das wohlerworbene Recht abgeschafft und durch die allgemeine gesetzliche Befugnis ersetzt werden. Der absolute Staat hatte den Feudalismus nur geschwächt, überwinden sollte ihn erst der konstitutionelle Staat. In Deutschland sollte diese Befreiung der Rechtsordnung vom feudal-subjektiven Recht langsam, von „oben nach unten", gegen Entschädigung erfolgen 718 . In Frankreich geschah sie in einem Schlag von „unten nach oben". Den Haß gegen das wohlerworbene, subjektive Recht beschrieb die Präambel der Constitution du 3 septembre 1791: (137) „L'Assemblée Nationale voulant établir la Constitution Française sur les principes qu'elle vient de reconnaître et de déclarer, abolit irrévocablement les institutions qui blessaient la liberté et l'égalité des droits. - il n'y plus ni noblesse, ni pairie, ni distinctions héréditaires, ni distinctions d'ordres, ni régime féodal, ni justices patrimoniales, ni aucun des titres, dénominations et prérogatives qui en dérivaient, ni aucun ordre de chevalerie, ni aucune des corporations ou 717

Tn. 122. Der Aufopferungsanspruch wurde jedoch in den deutschen Staaten bei der Entziehung wohlerworbener Rechte durch Gesetz unterschiedlich gewährt. Während ein Teil der Staatslehre für eine Entschädigungspflicht eintrat, wenn diese gesetzlich weder angeordnet noch ausgeschlossen wurde (Nachweise bei Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 [1986], S. 104 [138 Fn. 140], wurde § 75 Einl. ALR durch Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831 (Fn. 358), S. 257 f., und durch das Königliche Preußische Ober-Tribunal (referiert nach Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 119 Fn. 11) auf Eingriffe durch die Verwaltung beschränkt, nachdem bereits zuvor eine entschädigungsfeindliche Haltung des Gesetzgebers zu beobachten war, die aber immerhin in Ausnahmefällen einen finanziellen Ausgleich gewährte (exemplarisch die §§2 f. des Ediktes wegen der Mühlen-Gerechtigkeit vom 28. Oktober 1810 [Fn. 250]). Das Bayerische Oberappellationsgericht verfuhr ganz ähnlich (referiert nach v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 165 f. Fn. 297, der den Ausschluß des Entschädigungsanspruchs bei legislativen Eingriffen als Grundsatz des gemeindeutschen Staatsrechts bezeichnet). Das Reichsgericht hat erst viel später, als liberale Reformen von der Entschädigungsfrage nicht mehr abhingen, die Regel aufgestellt, dem Inhaber erwachse im Falle der Aufhebung seines wohlerworbenen Rechts durch die Gesetzgebung ein Anspruch auf volle Entschädigung, soweit nicht dieser Anspruch durch die Gesetzgebung besonders ausgeschlossen wurde (RGZ 12, 1 [3]). 718

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décorations, pour lesquelles on exigeait des preuves de noblesse, ou qui supposaient des distinctions de naissance, ni aucune autre supériorité, que celle des fonctionnaires publics dans l'exercice de leurs fonctions. - Il n'y a plus, pour aucune partie de la Nation, ni pour aucun individu, aucun privilège, ni exception au droit commun de tous les Français. - Il n'y a plus ni jurandes, ni corporations de professions, arts et métiers. - La Loi ne reconnaît plus vœux religieux, ni aucun autre engagement qui serait contraire aux droits naturels, ou à la Constitution." 719 (138) Diese prinzipielle Abneigung der frühliberalen Bewegung gegen ständische und damit gegen subjektive öffentliche Rechte überhaupt erklärt (neben bereits genannten Gründen 720 ) die Entwicklung der frühkonstitutionellen Rechtsordnung von einer subjektiven zu einer objektiven Rechtsordnung. Um das Recht zu egalisieren, wurden wohlerworbene Rechte nicht mehr nur dem ius eminens des Landesherrn, sondern auch der gesetzlichen Disposition unterworfen, auch wenn ihre Überwindung gegen Entschädigung erfolgte 7 2 1 . Das wohlerworbene Recht mußte „weichen, sobald es mit der Wohlfahrt des Ganzen in Collision kömmt und aus diesem Grunde die Aufhebung desselben nothwendig wird. Diese Nothwendigkeit ist jedoch bei Erlassung allgemeiner Gesetze nicht blos so zu verstehen, daß außerdem der Staat oder ein Theil desselben der Gefahr des Untergangs Preis gegeben sein würde, sondern sie tritt auch da ein, wo das Recht des Einzelnen mit einer, die Förderung des Wohles des Ganzen bezweckenden Einrichtung, mit einem für die Leitung des Staats als heilsam anerkannten Grundsatze in Collision kömmt, und deshalb einer Aufhebung oder Beschränkung unterliegen m u ß " 7 2 2 . Die vergangenheitsgerichtete Aufhebung ständischer Sonderrechte durch den Gesetzgeber war nur ein Mittel der Egalisierung. Wirkungsvoller war die zukunftsgerichtete detailliertere Durch- und Umnormierung der alten Gesamtrechtsordnung und ihre Aufspaltung in zwei Teilgebiete, die eine subjektiver, die andere objektiver Natur, die eine justitiabel, die andere nicht 7 2 3 . (139) Das Verhältnis des einzelnen zum Staat sollte nicht mehr von einem privilegierten Erwerbsakt, sondern von der allgemeinen gesetzlichen Befugnis bestimmt werden. Diese Wandlung wurde in der ersten Alterna719

Fn. 535. Tn. 77. 721 Ausführlich Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (104-139); femer Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 168 f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 14-16; siehe auch Fn. 718. 722 Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 116. 723 Tn. 144-151. 720

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tive des § 38 Abs. 1 der preußischen Verordnung von 1808 7 2 4 früh sichtb a r 7 2 5 . Die zweite Alternative knüpfte zwar mit ihrem speziellen Rechtstitel weiterhin an Sonderpositionen einzelner an. Sie stand aber einer Wandlung offen, zwar nicht hinsichtlich des Systems abgestufter Privilegien, wohl aber hinsichtlich des Erwerbsaktes, eine Offenheit, die § 2 des Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen von 1842 7 2 6 auszunutzen wußte. Neben speziellen Titeln wurden nunmehr auch besondere gesetzliche Vorschriften erwähnt, und der Sinn des Speziellen am Titel oder des Besonderen am Gesetz war jetzt „ein völlig anderer als der des erworbenen Rechts" 7 2 7 . In den Gesetzen Preußens nahm der besondere T i t e l 7 2 8 eine wesentlich engere Bedeutung an als die des wohlerworbenen Rechts 729 . Nicht mehr irgendein eigens auf den Rechtserwerb angelegter Akt, sondern eine spezielle, die allgemeine Regel durchbrechende Befreiung mußte jetzt nachgewiesen werden 7 3 0 , die auch durch allgemeines Gesetz begründet werden konnte 7 3 1 . An die Stelle der alten wohlerworbenen Rechte trat mit der zunehmenden Bedeutung des allgemeinen Gesetzes nach und nach jene normativ-institutionell geschützte kollektive Sphäre mit den Grundrechten und allgemeinen Gesetzen als objektivrechtliche Schranken der Staatsgewalt und zunächst ohne genauer erfaßte subjektivrechtliche Entsprechung 732 . Die Individualsphäre des einzelnen geriet hinter der objektiven Rechtsordnung in Vergessenheit. Preußischer Soldatenstaat und liberales Bürgertum hatten einen gemeinsamen Nenner gefunden: Es war nicht nur der absolute Staat, sondern auch die liberale Gesellschaft, die für den Abbau subjektiver Individualrechte stritt 133. Nur sollte es 724

Fn. 100. Zur Auslegung dieser Bestimmung bereits oben Fn. 102. 726 Fn. 142. 727 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 623. 728 Tn. 31. 729 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 623 Fn. #. 730 \ y j e s j e dem friderizianischen Preußen etwa in § 79 II 14 ALR bereits bekannt war. 731 Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 185 f.; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 622-624. 732 Tn. 121-133. 733 wie insbesondere Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, S. 5153, treffend bemerkt, der von einer „rechtspolitischen Zufallsgemeinschaft" des fürstlichen Absolutismus und des liberalen Reformstrebens spricht (S. 52); siehe ferner Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 71; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 171-177; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 14725

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die Obrigkeit bis um die Jahrhunderthälfte bei dem Abbau subjektiver öffentlicher Rechte belassen, während sich für das Bürgertum die Frage des Umbaus schon früher stellen mußte. (140) Über Jahrhunderte hatten das Individualrecht des einzelnen und sein Schutz in der Rechtsprechung im Mittelpunkt der Publizistik und der alten Reichs- und Landesgerichtsbarkeit gestanden, und dies konnte trotz der gigantischen konstitutionellen Reformen nicht in Vergessenheit geraten. Es ist deshalb zum einen nicht verwunderlich, daß gerade die Praxis, deren tägliches Arbeitsfeld bislang im gerichtlichen Schutz der Rechtsposition des einzelnen bestanden hatte, den verfassungsrechtlichen Neuerungen auch subjektivrechtlich Rechnung tragen wollte und einen individualrechtlichen Anschluß suchte. Zum anderen konnte das Individualrecht nicht verächtliches Symbol des Ständestaates bleiben. In einer sich egalisierenden Gesellschaft mußte man merken, daß es beim „Kahlschlag der subjektiven Berechtigungen" 734 nicht bleiben konnte, auch die an die Stelle des wohlerworbenen Rechts getretene neue gesetzliche Befugnis Ausdruck personaler Autonomie war und des individuellen Schutzes gegen staatliche Willkür in Form des subjektiven Rechts ebenso bedurfte wie ihre Vorgänger. „Denn für den Bürger macht es einen Unterschied aus, ob das ihm zugedachte Stück Brot ihm vom Gesetzgeber bereitgelegt worden ist, oder ob er es sich von der Verwaltungsbehörde vom Laib muß zuschneiden lassen." (Fleiner) 135. Für Rechtspositionen, die Bürger auf privatrechtlicher Ebene im Verhältnis untereinander begründet hatten, lag dies auf der Hand. Aber auch der Nachfolger der verpönten öffentlichrechtlich erteilten Privilegien im Verhältnis des Bürgers zum Staat waren individuelle Positionen des einzelnen, die ihm eine freie Entfaltung ermöglichen sollten. (141) Bald wurden denn auch erste Ansätze in der Staatslehre sichtbar, den objektiv-institutionellen Schutz des Gesetzes individualistisch fruchtbar zu machen, und zwar zunächst im Rahmen der überkommenen Rechtsbegriffe 7 3 6 . Der Bürger habe ein „Recht, zu nicht mehr als im Gesetze ange18; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 35; dies., Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (105 Fn. 2); G. Meyer, Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895, S. 4 f., 43; Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 22-24; Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 376 (382). 734 Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990 S. 51. 735 Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 174. 736 In chronologischer Folge: Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 (1821), S. 305 (316 f.); ders., Was hat

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geben ist, angehalten werden zu können" 7 3 7 , ein „Recht, [...] nur gesetzmäßig behandelt zu werden" 7 3 8 , „das allgemeine bürgerliche Recht nach den Gesetzen behandelt zu werden" 7 3 9 , einen „Anspruch auf die gesetzmäßige Anwendung bestehender Normen" 7 4 0 , einen „Anspruch auf Rechtmäßigkeit der Gesetzesanwendung" 741 . Hier, im Schrifttum 7 4 2 , wurde die staatsphilosophische Forderung der Aufklärung juristisch in die alten reichsrechtlichen Lehren - in terminologischer Kontinuität, aber inhaltlich systembrechend eingearbeitet, hier entstand ein Anspruch des einzelnen auf gesetzmäßige Behandlung 743 . Diese praktischen Rechtsdenker der ersten Stunde knüpften der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 (1829), S. 362 (401^05); Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 63, 79 f.; Perrot, Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preuß. Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen, Erster Theil, 1842, S. 144 f., 178; v. Stein, Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1869, S. 445; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 633, 638. Mittermaier betonte als einer der wenigen die Zusammenhänge zwischen der neuen Verfassungslage und den justizfähigen Rechten des einzelnen (dazu bereits Fn. 703) und stellte fest, daß dieses Problem „eine sehr viel höhere Bedeutung erhält, als man häufig glaubt" (Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 [1821], S. 305 [310 f.]). 737 Mittermaier a.a.O., S. 316 f. 738 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 638. 739 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 633. 740 Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 63. 741 Funke a.a.O., S. 80. 742 Und nicht in der Praxis, die nicht über öffentlichrechtliche Streitigkeiten entscheiden durfte, Tn. 144-151. 743 Die Rechtsschutzfähigkeit dieses Gesetzesvollziehungsanspruchs wurde unterschiedlich beurteilt, Mittermaier bejahte sie etwa, wenn hinreichend bestimmte Normen als Beurteilungsmaßstab vorhanden seien (Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 [1821], S. 305 [316-320]; Was hat der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 [1829], S. 362 [405]; Ueber das Verhältnis der Justiz zu den Verwaltungssachen, über Administrativjustiz und Competenzconlikte, AcP 21 [1838], S. 254 [280 f.]), Stahl etwa verneinte sie, wenn keine Exemtion von dem zugrundeliegenden Hoheitsrecht gegeben war (Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 638), während sie etwa Funke generell ablehnte (Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 63). Wieder andere sahen gerade im Vorliegen eines gesetzlichen Prüfungsmaßstabes das eine Streitigkeit zur Justizsache qualifizierende Merkmal (Perrot, Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preuß. Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen, Erster Theil, 1842, S. 144 f., 178; v. Stein, Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1869, S. 445). In der preußischen Praxis bestand anfangs eine vermittelnde Position (§ 38 Abs. 1 Alt. 1 der Verordnung vom 26. Dezember 1808 [Fn. 100]), bis mit dem Ausbau der Verwaltungsrechtspflege die 12*

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weder an den Schutzbereich der Grundrechte, - der einzelne erhielt kein subjektives Recht auf Negation des Staates, das der objektivrechtlichen Begrenzungsfunktion der Grundrechte 744 entsprochen hätte - , noch an die Folgen einer ungesetzlichen Behandlung an, - ein materieller, das aktionenrechtliche Denken des römischen Rechts 7 4 5 überwindender Reaktionsanspruch war ihnen noch unbekannt. Auch sie setzten auf die Kraft des Gesetzes, blieben aber nicht dort stehen, wo die Vernunftsrechtler auf die institutionalisierte, aber vermeintliche, jedenfalls unvollständige Vitalität der volonté générale vertrauten 746 : Sie subjektivierten die Grundsätze des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes, griffen damit die Schrankensystematik der Grundrechte auf und versuchten, die staatsbegrenzende Funktion des Gesetzes nicht nur für das Volk, sondern auch für seine einzelnen Mitglieder wirksam zu machen. Angesichts der freiheitsschützenden Funktion des Gesetzes als Grenze der Staatsgewalt 747 lag es in der Tat nahe, das subjektive öffentliche Recht im Verwaltungsrecht zu lokalisieren, - und bleibt es bis heute unverständlich, warum einerseits einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen nicht auch in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen als Anspruchsgrundlagen herangezogen werden 7 4 8 , warum andererseits Grundrechte „stellvertretend" 749 in dreipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen herhalten sollen, wenn (verfassungskonform handhabbare) Normen des einfachen Rechts vorhanden sind 7 5 0 . Die im Spätkonstitutionalismus sehr deutliche Plazierung des subjektiven öffentlichen Rechts im einfachen Gesetzesrecht 751 fand in dieser Subjektivierung der gesetzlichen Ausschließlichkeitsfunktion ihre Wurzeln, war also von Anfang an eine Erscheinung des deutschen Konstitutionalismus, auch schon im Frühliberalismus 7 5 2 . gerichtliche Anfechtbarkeit hoheitlicher Staatsakte nach und nach eingeschränkt und ein viel rechts(schutz)feindlicherer Zustand als im 18. Jahrhundert eingefühlt wurde. 744 Tn. 129-133. 745 Tn. 18. 746 Tn. 123, 130 f. 747 Tn. 214. 748 Ramsauer, Die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, AöR 111 (1986), S. 501 (511-513); seine zutreffende Argumentation gleicht der Bühlers, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 135. 749 In Anlehnung an Pestalozza, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Grenzbereich zur Verfassungsgerichtsbarkeit, NJW 1978, 1782 (1784). 750 BVerwGE 89, 69 (78); eingehend zu dieser Entscheidung unten Tn. 258-263. 751 Tn. 169. 75 2 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 63 f., 68; Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (147 f.).

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(142) Wenn auch die Folgen der Verletzung dieses Gesetzes Vollziehungsanspruchs noch nicht im Detail geklärt wurden und man noch der alten Terminologie des reichsrechtlichen Systems wohlerworbener Rechte und dem aktionenrechtlichen Denken verhaftet blieb, aus erleichternder Gewohnheit oder um einen Systembruch zu tarnen, so gelang es doch diesen praktisch denkenden Juristen, wenn auch mit der alten Begrifflichkeit und wenn auch nur in ersten Bausteinen, die neue Verfassungslage zu einem individualrechtlichen Anspruchssystem weiterzuentwickeln. Die durch Verfassung und Gesetz gezogenen Grenzen der Staatsgewalt wurden um einen Anspruch des einzelnen auf Gesetzmäßigkeit eines Eingriffs in seine Freiheit und sein Eigentum ergänzt, der Abbau subjektiver öffentlicher Rechte durch einen Umbau gebremst. Der Sache nach war das allgemeine Gesetz (wohlgemerkt: nicht die verfassungsrechtliche Freiheit selbst 753 ) zum titulus acquirendi gemacht 754 , jede Freiheit und Eigentum schützende objektiv-gesetzliche Schranke der Staatsgewalt 755 zu einem wohlerworbenen, subjektiven Recht geworden. Zwischen wohlerworbenen und allgemeinen gesetzlichen Individualrechten bestand in der Rechtswissenschaft der Sache nach kein Unterschied mehr.

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Nicht mehr das erworbene, sondern das verfassungsrechtliche Recht trat jetzt in den Gegensatz zum gesetzlichen Recht. Gleichwohl scheint in dieser Erscheinung die naturrechtliche Unterscheidung zwischen angeborenen und erworbenen Recht fortgelebt zu haben (.Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 [1986], S. 104 [111 Fn. 27]); dazu später Tn. 162. 754 e s v Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 39, eindrucksvoll formulierte; ebenso Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 384 f., 494; siehe auch Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 (1821), S. 305 (328 f.); Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 635, der für den Erwerb von Rechtspositionen keinen besonderen Akt der Acceptation, sondern alleine Sinn und Absicht des Gesetzes für entscheidend hielt; Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 115, der als durch das wohlerworbene Recht berechtigtes Subjekt „die Gesammtheit der Unterthanen im Gegensatz zur Regierung" genügen ließ, andererseits aber betonte (S. 100 Fn. 11), es sei „ganz ungenügend und irrig, das Dasein einer Justizsache blos davon abhängig zu machen, daß gesetzliche Normen vorhanden seien, nach welchen sich beurtheilen lasse, ob Jemand widerrechtlich verdes erworbenen Rechts mit dem letzt sei oder nicht". Zu dieser Identifikation subjektiven Recht schlechthin Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 221-237; Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (109-113, 133 f.); v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 180—183; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, 1962, S. 139-142. 755 Tn. 127 f.

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(143) A m Ende blieb vom ius quaesitum - nach einem zunächst herausgebildeten, aber untauglichen 756 Gegensatz von erworbenen und gesetzlichen Rechten 757 - jede Befugnis übrig, in der „eine im objektiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsgeschäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder ein Gesetz, als konkret bestimmte Rechtszuständigkeit eines individuellen Subjekts realisirt worden i s t " 7 5 8 , so daß man bald die Obsoleszenz des speziellen Rechtstitels sowohl im materiellen Recht - „Die in sich unklare und unsichere Unterscheidung von allgemeinen oder gesetzlichen und wohlerworbenen Rechten hat für das heutige öffentliche Recht keine Bedeutung" 7 5 9 als auch im Prozeßrecht - „Einen speziellen Rechtstitel braucht der Kläger [...] nicht - Es bedarf hier nur einer - leider noch nicht gelieferten staatsrechtlichen Erörterung über den Charakter der verschiedenen Gesetze im Staate;" 760 - auch sprachlich bemerken mußte 7 6 1 : Der durch Freiheit und Eigentum gekennzeichnete objektivrechtliche Schutzwall des Volkes befand sich in einer Metamorphose zur subjektivrechtlichen Freiheitssphäre des einzelnen, allerdings mit der Maßgabe, daß erst das konkretisierende Gesetz diese individuellen rechtlichen Positionen vermittelte.

756

Daß kraft Gesetzes erworbene Rechtspositionen nicht minder schutzwürdig waren als rechtsgeschäftlich erlangte und sich die Diskussion um die Entziehbarkeit (Unverletzlichkeit) von Rechtspositionen deshalb nicht um den Erwerbsgrund drehen durfte, wurde schnell erkannt (Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 112 f.; G. Meyer, Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895, S. 9-12). 757 Zu dieser Entwicklung im 19. Jahrhundert Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (109 f.) m.w.N. 758 V. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 39. 75 9 Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 17 f. 76 0 Mittermaier, Was hat der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 (1829), S. 362 (403). 761 Die Zäsur brachte v. Gerbers 1852 erschienene Schrift „Ueber öffentliche Rechte". Schon bald ging man daraufhin im Schrifttum von einer Justizsache nicht mehr aus, wenn der Kläger sich auf ein wohlerworbenes Recht, sondern auf ein „Recht im subjektiven Sinne" beriefe (Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 2. Aufl. 1854, S. 93). In der spätkonstitutionellen Staatslehre war der Systembuch, gestützt durch den Sprachgebrauch der Verwaltungsgerichtsgesetze, in aller Schärfe offenbar und abgeschlossen: Aus der Erkenntnis, letztendlich sei jedes Recht ein wohlerworbenes (Tn. 32), resultierte die Forderung, den Begriff des wohlerworbenen Rechts nicht mehr länger aufrechtzuerhalten und stattdessen von bestehenden oder besser von subjektiven Rechten zu sprechen (G. Meyer, Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895, S. 13 f.; siehe femer Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 17 f.).

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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c) Justiz- und Administrativ sacken (144) Auf die (rechtsschutzfeindliche) Wandlung des Begriffs der Justizsache in der nach dem Ende des alten Reichs ansetzenden restaurativen staatlichen Praxis des Frühkonstitutionalismus, die sich in Preußen (historisch kaum haltbar) auf § 1 Einl. AGO stützte, ist bereits hingewiesen word e n 7 6 2 und wird später noch einzugehen sein 7 6 3 . Diese Wandlung nahm das zeitgenössische Schrifttum durchaus wahr. Sie geschah keineswegs unwissentlich und unausgesprochen, als nicht wahrgenommene oder im Gegenteil schweigend hingenommene Folge des geistigen und politischen Umbruchs. In staats- und prozeßrechtlichen Abhandlungen war man sich bewußt, rechtliches Neuland zu betreten, das von einer jahrhundertealten Überlieferung grundlegend abwich, und man sprach dies auch offen aus 7 6 4 . Der Direktor des Münchener Appellationsgerichts und Staatsrat Nikolaus Thaddaeus Gönner (1764-1827) etwa wies bereits 1815 darauf hin, daß „der Begriff von Justizsachen [...] mit dem Umsturz der teutschen Staatsverfassung wichtige Veränderungen erlitten" habe 7 6 5 : Nicht mehr die Verletzung eines ius quaesitum allein, so führte er aus, „sondern die Qualität des Rechts" sollte nunmehr über das Vorliegen einer Justizsache entscheiden 766 . Während nach den Grundsätzen unter der Verfassung des alten Reichs eine Rechtsverletzung und ein streitiges Verhältnis vorhanden gewesen sein müsse, um eine Justizsache zu begründen, müsse nach den neuen und veränderten Grundsätzen hinzukommen, daß das Recht, über dessen Verletzung Beschwerde geführt werde, lediglich dem Privatrecht angehöre 767 . Man sprach gar - erinnernd an die französische „Unabhängigkeit der Verwalt u n g " 7 6 8 - von einem seit 1806 überall durchgeführten organisationsrechtlichen Prinzip der Teilung von Justiz und Administration 769 . 762

Tn. 76 f., 83. Tn. 413-424. 764 Auch die zeitgenössischen Rechtsquellen hoben dies hervor. So stellte bereits die bayerische Entschließung vom Ilten Jänner 1799, Von den ad Forum contensiosum gezogenen Polizeyfällen, klar, daß „nun in Zukunft die in Polizeysachen entstehende Streitigkeiten [...] niemals mehr ad forum Civile contensiosum gezogen werden sollen", während dies vor dieser Entschließung noch anders gewesen sei (abgedruckt bei G. K. Mayr [Hg.], Sammlung der Churpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen von Sr. Churfürstl. Durchläucht Karl Theodor, In Justiz-Finanz-Landschafts-Mauth-Polizey-Religions-Militair- und vermischten Sachen, Sechster Band, 1799, Fünfter Theil: Von Polizey- und Landeskulturssachen, Nro. XXXV, S. 121). 765 Entwurf eines Gesetzbuchs über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Zweiter Band, erste Abtheilung, 1815, Buch I. Kap. I § 1, S. 46 f. 76 6 Gönner a. a. O. 767 y y/elle^ Ueber Verwaltung und Justiz und über die Gränzlinie zwischen beiden, 1826, S. 38 f. 763

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(145) Um eine Justizsache zu werden, mußte eine Streitigkeit nunmehr eine zusätzliche Qualifizierung aufweisen: Nicht mehr schlicht die Geltendmachung eines wohlerworbenen Rechts Privater, sondern eines „wohlerworbenen Privatrechts " 7 7 0 war jetzt erforderlich, wobei die Betonung auf dem Privaten am Recht lag und damit nicht mehr nur gemeint war, daß das Recht einer Privatperson zustand. Das Erfordernis eines wohlerworbenen Privatrechts war keine tautologische Formulierung ein und derselben Prozeßvoraussetzung. Das Rechtsgebiet, das aus verschiedenen Gründen der gerichtlichen Kontrolle entzogen werden sollte, war das die Rechtsverhältnisse des hoheitlich handelnden Staates zum einzelnen regelnde, also das sich durch die zunehmende Bedeutung des die Staatsgewalt begrenzenden Gesetzes entwickelnde und sich vom Privatrecht emanzipierende Öffentliche Recht im heutigen Sinne 7 7 1 , jene „neue Art von Rechtsverhältnissen" 7 7 2 . „Die Rechtsverhältnisse des Staates gehören der Regierungssphäre, die des Individuums als solchen der Rechtspflege z u " 7 7 3 , das Gebiet des Privatrechts wurde zur „natürlichen Amtssphäre der Justiz" 7 7 4 , deren „Wirksamkeit [...] ohne Beziehung auf den Staat" sein mußte 7 7 5 . Gerichte sollten ihre Zuständigkeit nur noch annehmen, wenn ein Privatrechtsverhältnis Verfahrensgegenstand war, und sie taten es zunehmend auch 7 7 6 .

768

Tn. 415. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 324. 770 Exemplarisch Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Zweite Abtheilung, 3. Aufl. 1831, § 375 S. 524. 771 Aus dem zeitgenössischen Schrifttum: Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 499; Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 64; Gönner; Entwurf eines Gesetzbuchs über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Zweiter Band, erste Abtheilung, 1815, Buch I. Kap. I S. 48-53; besonders deutlich Kuhn, Die Trennung der Justiz und Administration, 1840, S. 69 f., 119 f., 165 f., 199 f.: „diejenigen Streitigkeiten [...] zwischen Unterthanen und Regierung sind Administrativsachen, welche auf das öffentliche Recht sich beziehen" (S. 200; Hervorhebung dort); Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 325; v. Pfizer, Ueber die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Civil-Justiz, 1838, S. 16; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 637; v. Weiler, Ueber Verwaltung und Justiz und über die Gränzlinie zwischen beiden, 1826, S. 4, 12 f., 38-40; Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 2. Aufl. 1854, S. 93-104. 77 2 Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, S. 41. 77 3 Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 499. 77 4 Bluntschli a.a.O., S. 504. 775 y \y eii erf Ueber Verwaltung und Justiz und über die Gränzlinie zwischen beiden, 1826, S. 13. 76 9

776

Siehe etwa die bei Seuffert (Hg.), Blätter für Rechtsanwendung zunächst in Bayern XV (1850), 26, abgedruckte oberstrichterliche Erkenntnis vom 3. Oktober 1848 - RNr. 818 4 6 / 4 7 - aus dem bayerischen Raum, wo die gerichtliche Zuständigkeit gerade mit dem Vorliegen eines Privatrechtsverhältnisses begründet wird.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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(146) Diese Abspaltung des Öffentlichen Rechts von den Justizsachen unter Beibehaltung und Erweiterung des ius quaesitum um einen Gesetzesvollziehungsanspruch zerstörte den zwischen wohlerworbenem Recht und Justizsache früher bestehenden Automatismus. Ein Recht wohl erworben zu haben, bedeutete jetzt nicht mehr, dieses auch gerichtlich durchsetzen zu können, - „Nicht jeder Rechtsanspruch kann mit gerichtlicher Klage geltend gemacht werden" 7 7 7 . Diese Veränderung der Justizsache wurde anschaulich durch den konservativen Rechtspolitiker Stahl beschrieben: Der besondere Titel könne zwar sowohl im Öffentlichen als auch im Privatrecht seine Grundlage haben, doch seien nur die privatrechtlich zu beurteilenden Einschränkungen der gerichtlichen Erkenntnis eröffnet, so daß „der Bereich des Rechtsweges nicht durch das Kriterium des erworbenen Rechts, sondern durch das Kriterium des Privatrechtsgebietes bezeichnet i s t " 7 7 8 und es rechtliche Positionen geben könne, die „als erworbene Rechte ertheilt werden, die dennoch nicht der richterlichen Kognition unterliegen" 779 . Stahl gelang es auch, das anzudeuten - wenn auch nicht mit der Klarheit heutiger Rechtswegabgrenzungen herauszuarbeiten - , was bei anderen oft verschwommen und ungenau geblieben war: Daß nicht die Rechtsnatur der rechtlich geschützten Position, sondern die des angefochtenen Verwaltungshandelns, nicht die Natur des Erwerbsaktes, sondern des Eingriffs über die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entscheiden mußte 7 8 0 . Nicht ent77 7

V; Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 40 Fn. 4. Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 637. 779 A.a.O., S. 637. 780 Gewiß ist aus heutiger Sicht das in verwaltungsgerichtlichen Abwehrklagen eingeklagte materielle Recht, der Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch (Tn. 308), öffentlichrechtlicher Natur. Wie aber verhält es sich mit den verletzten Individualpositionen, den Rechten des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und der §§42 Abs. 2 und 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, deren Verletzung den Abwehranspruch auslösen (zur Unterscheidung zwischen eingeklagten und verletzten Rechten Tn. 308-311)? Gemeinhin wird angenommen, es könne sich um ein subjektives Recht des Öffentlichen oder des Privatrechts handeln (Buri, Anmerkung zum Urteil des OLG Frankfurt a.M. vom 24. September 1970 - 6 U 41/70 - , NJW 1971, 468; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000, Rn. 21 zu Art. 19; Krüger, in: Sachs [Hg.], Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1999, Rn. 127 zu Art. 19; Schulze-Fielitz, in: Dreier [Hg.], Grundgesetz, Kommentar, Band I, 1996, Rn. 43 zu Art. 19 IV). Doch führt eine Verfassungsordnung, die auf einer allgemeinen und umfassenden Freiheit des einzelnen vom Staat aufbaut, zu einer öffentlichrechtlichen Überlagerung privatrechtlich begründeter Positionen. So wird etwa durch privatrechtliches Rechtsgeschäft erworbenes Eigentum als Vermögenswert durch Art. 14 Abs. 1 GG, als Wohnraum durch Art. 13 Abs. 1 GG und als Versammlungsort durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. Diese Freiheit vom Staat hat als verpflichtetes Zuordnungssubjekt ausschließlich den Staat zum Adressaten, ist also öffentlichrechtlicher Natur, was schon Stahl erkannte, wenn er ausführte, das der eine privatrechtlich erworbene Position verletzende staatliche Eingriff „eigentlich 778

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scheidend sei, „ob das Recht aus einem privaten oder öffentlichen Titel entstanden i s t " 7 8 1 , sondern ob das erworbene Recht des Privatrechtsgebiets in der öffentlich-hoheitlichen oder in der privatrechtlichen Sphäre verletzt wurde 7 8 2 (147) Jetzt, nachdem der Kreis der wohlerworbenen Rechte deutlich weiter geworden war als der der Justizsachen, zeigte sich, daß nicht die materielle Rechtsposition, sondern das prozessuale Klagerecht die eigentlich innicht mein Eigenthum [verletzt], sondern nur mein Recht, [...] nur gesetzmäßig behandelt zu werden, was eben das öffentliche Recht des Bürgers, kein Recht des Privatrechtsgebiets ist" (Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 638). Da der Staat Staat und damit öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 S. 4 GG bleibt, ob er sich im hoheitlichem oder zivilem Gewand gibt (Tn. 88), handelt es sich auch bei den verletzten Rechten nicht nur „regelmäßig" (so Krebs, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Aufl. 2000, Rn. 59 zu Art. 19) oder „im Regelfall" (so Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Band II, 1985, Rn. 134 zu Art. 19 Abs. IV), sondern stets um solche des Öffentlichen Rechts, soweit ihre Fiskalbindung reicht (wie hier v. Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, Rn. 70 zu § 42; Schenke, in: Dolzer/Vogel (Hg.), Bonner Kommentar, 1982, Rn. 286 zu Art. 19 Abs. 4; Wahl, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner [Hg.], Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 1996, Rn. 42 zur Vorb. § 42 Abs. 2). Überraschen muß deshalb die häufig anzutreffende Überlassung verwaltungsprivatrechtlicher Streitigkeiten an die Zivilgerichte (exemplarisch BGHZ 41, 264 [266 f.]: Nur wenn „in den Formen des öffentlichen Rechts" gehandelt werde, liege eine öffentlichrechtliche Streitigkeit vor; „auf den Zweck der Tätigkeit" sei in erster Linie nicht abzustellen). Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist nicht nur interessengerechter, - über öffentlichrechtliche Weitungen haben Verwaltungsrichter zu entscheiden, auch wenn kein Anspruch auf den (angeblich) sachnäheren Richter besteht - , sondern auch systemgerechter, - der Abwehranspruch findet im Öffentlichen Recht seine Rechtsgrundlage - {Burmeister, Der Begriff des „Fiskus" in der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik, DÖV 1975, 695 [702]). Abhilfe verspricht auf dem Boden jener überwiegenden Meinung, die nicht auf den Zweck oder Gegenstand, sondern auf die Form und Mittel der zu beurteilenden Verwaltungshandlung abstellt, eine dahingehende extensive Handhabung der „Zweistufentheorie", daß eine öffentlichrechtlich zu beurteilende erste Stufe über das „Ob" der Verwaltungshandlung auch dann angenommen (oder: fingiert?) wird, wenn äußerlich ein einheitlicher Lebensvorgang vorliegt. Das scheint der Trend zu sein, wenn etwa davon ausgegangen wird, es sei in der Rechtsprechung anerkannt, „daß einer privatrechtlichen 'Abwicklungsstufe' die Stufe einer öffentlichrechtlichen Entscheidung vorausgeht, wenn öffentlichrechtliche Körperschaften mit ihrer im Privatrecht abzuwickelnden Entscheidung hoheitliche Zwecke verfolgen" (OVG Koblenz, DÖV 1993, 351 [352]; Lässig, Die Vergabe von Standplätzen auf kommunalen Volksfesten, NVwZ 1983, 18 [19]), oder angenommen wird, der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand gehe eine öffentlichrechtlich zu beurteilende Entscheidung über diese Betätigung voraus (BVerwGE 39, 329 [331]; BVerwG, NJW 1978, 1539; OVG Münster, DÖV 1986, 339; VGH München, BayVBl. 1976, 26). 781 Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 616 Fn. *. 782 A.a.O., S. 616 und 638.

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teressante Erscheinung war. Die materielle Position, das wohlerworbene Recht, geriet in Vergessenheit, während die prozessuale Abgrenzung zwischen Justiz- und Verwaltungssachen auf der Grundlage der heutigen Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatrecht und der Distinktion zwischen Primär- und Sekundärrechten zum beherrschenden Thema der geιοί ΠΛΔ. richtlichen Praxis und des Schrifttums wurde, (dem beherrschenden Thema freilich, das sich im deutschen Partikularismus der Unmöglichkeit ausgesetzt sah, einen gemeinsamen Nenner zu finden). Die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht, die im Ancien Régime allenfalls Gegenstand akademischer Erörterungen gewesen war, erhielt jetzt mit ihrer neuen Prozeßfunktion eine ganz andere praktische Wendung und Dimension, galt es doch nunmehr, im juristischen Alltag in jedem einzelnen Falle die Rechtsnatur des streitigen Rechtsverhältnisses und damit die Justitiabilität der Streitigkeit zu beurteilen. Nicht mehr auf ein wohlerworbenes Recht, sondern auf die Rechtsnatur des subjektiven Abwehrrechts kam es jetzt an. Nur wenn es um die Aufopferung des einzelnen für das gemeine Wohl ging, behielt das alte, in der Vergangenheit begründete wohlerworbene Recht der vorbürgerlichen Ordnung seine Bedeutung. Im Zuge der 783

Publicanda des Königl. Kammergerichts vom 18. März 1816 (Fn. 213) und vom 27. Mai 1817 (Fn. 213); Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831 (Fn. 359); Verfügung des Königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei vom 24. Januar 1836 (Fn. 307). 784 In chronologischer Folge: V. Gönner; Entwurf eines Gesetzbuchs über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Zweiter Band, erste Abtheilung, 1815, Buch I. Kap. I § 1, S. 47 f.; Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, AcP 4 (1821), S. 305 (305-370); v. Weiler, Ueber Verwaltung und Justiz und über die Gränzlinie zwischen beiden, 1826, passim; Mittermaier, Was hat der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 (1829), S. 362 (393-408) und AcP 13 (1830), S. 95-117; Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1837, S. 324-329; Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838, passim; Mittermaier, Ueber das Verhältnis der Justiz zu den Verwaltungssachen, über Administrativjustiz und Competenzconlikte, AcP 21 (1838), S. 254 (254-288); v. Pfizer, Ueber die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Civil-Justiz, 1838, passim; Reichensperger, Inwiefern ist ein gerichtlicher Recurs gegen die Eintreibung von Communal-Umlagen zulässig?, Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung in den preußischen Rheinprovinzen, Erster Band (1841), Zweite Abtheilung, S. 69 (69-82); Perrot, Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preuß. Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen, Zwei Theile, Erster Theil, 1842, S. 141-213; BüIff, Das Verhältnis der Gerichte zu Staats- und Regierungssachen, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß n.F. 11 (1854), 305 (305-396); Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 2. Aufl. 1854, S. 86114; Bluntschli, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtspflege, Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 6 (1864), 257 (265-285); v. Stein, Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1869, S. 440-448; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Zweite Abteilung, Viertes Buch, 5. Aufl. 1878, S. 607-670.

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Egalisierung der Gesellschaft ein wohlerworbenes Recht einbüßen zu müssen, stellte nach wie vor ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer dar 7 8 5 , wenn es in Geld bezifferbar und sich nicht als „schlechthin verwerflich" herausstellte 786 . Mit den neuen öffentlichen Individualrechten der konstitutionellen Gesellschaft sollten die Gerichte hingegen nicht mehr konfrontiert werden. (148) Zusammenfassend läßt sich die dogmengeschichtliche Entwicklung der Justitiabilität staatlicher Übergriffe im 19. Jahrhundert auf drei Phasen zurückführen: - (149) Aus wohlerworbenen Rechten Privater wurden zunächst wohlerworbene Privatrechte 787 . Abwehransprüche gegen staatliche Übergriffe, die heute als öffentlichrechtlich bezeichnet würden, wurden dadurch der gerichtlichen Kognition entzogen. Freilich blieb im zeitgenössischen Schrifttum die Abgrenzung zwischen Öffentlichem und Privatrecht lange Zeit alles andere als klar. Wurde anfangs noch auf die Rechtsnatur des Erwerbsaktes abgestellt, erkannte man später, daß es auf die Rechtsnatur des Eingriffs ankommt. - (150) Mit der zunehmenden Vergesetzlichung und Durchnormierung der Rechtsordnung nahm die Bedeutung einfacher Gesetze für die Annahme einer Justizsache - teils aus dem materiellrechtlichen Hintergrund eines Gesetzesvollziehungsanspruchs, teils aus Gründen prozessualer Abgrenzung von Rechts- und Zweckmäßigkeitsfragen - erheblich z u 7 8 8 . Teils nahm man an, schon das Vorliegen eines gesetzlichen Prüfungsmaßstabs erhebe eine Streitigkeit zur Justizsache; bei der Überbetonung des gesetzlichen Maßstabes als Merkmal der Justizsache blieb die personelle Eingrenzung, der Kreis möglicher Kläger, noch unklar. In dieser Unbestimmtheit und Zurückhaltung bahnte sich der Übergang vom gesetzlich geschützten wohlerworbenen Recht zum subjektiven und justizfähigen Recht heutiger Gestalt an, in seiner Freiheit und seinem Eigentum nur in gesetzlicher Weise beschränkt zu werden und Übergriffe jenseits dieser 785 § 4 γ d e s Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 (Fn. 142); v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 40; Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 116-132. Zur Entschädigungspflicht bei Eingriffen durch Gesetz, wenn diese im Gesetz weder vorgesehen noch ausgeschlossen war, bereits Fn. 718. 786 Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Zweiter Theil, 3. Aufl. 1867, S. 117. 787 Exemplarisch Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Zweite Abtheilung, 3. Aufl. 1831, § 375 S. 524. 788 Exemplarisch v. Stein, Die Verwaltungslehre, Erster Theil, 2. Aufl. 1869, S. 445.

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Schranken abstellen lassen zu können. Soweit dieser Gesetzesvollziehungsanspruch nicht für rechtsschutzfähig angesehen wurde, lag dies nicht an materiellrechtlichen Hintergründen, sondern an der Trennung von Justiz und Verwaltung. - (151) A m Ende dieser Entwicklung stand statt des alten wohlerworbenen Rechts zumindest der Sache nach, teils sogar terminologisch mit dem neuen Begriff des (subjektiven öffentlichen) Rechts, eine umfassend geschützte und mit einem subjektivrechtlichen Pendant, einem Anspruch auf gesetzmäßige Behandlung, versehene Sphäre von Freiheit und Eigent u m 7 8 9 . Diese den subjektiven Privatrechten für ebenbürtig gehaltene subjektive Rechtsposition mußte hinsichtlich des Rechtsschutzes eine Zuständigkeitsdiskussion auslösen, weil die praktizierte Verwaltungsrechtspflege den justizmäßigen Standards der ordentlichen Gerichte nicht genügte. An diesen Entwicklungsstand konnte der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsgesetze anknüpfen, der diese subjektivrechtliche, verfassungsrechtlich umrissene und einfachgesetzlich abgesteckte Sphäre von Freiheit und Eigentum in § 127 Abs. 3 Nr. 1 L V G als Recht bezeichnete. Sowohl der Begriff des wohlerworbenen Rechts als auch der der Justizsache hatte im Spätkonstitutionalismus nun seine Bedeutung endgültig verloren. Die Justitiabilität hing jetzt alleine von der enumerativen Aufzählung in den einschlägigen Prozeßgesetzen, die Klagebefugnis von einem Eingriff in die als Recht bezeichnete Freiheitssphäre ab.

5. Die Brücke zum heutigen Staatsabwehranspruch (152) A m Ende dieses ersten Anpassungsvorgangs war die herkömmliche und aus der Publizistik des Absolutismus mitgebrachte Bedeutung des wohlerworbenen Rechts so weit ausgehöhlt und zersetzt, das allgemeine Gesetz als besonderer Rechtstitel anerkannt, der Sache nach durch den gesetzlichen Individualschutz von Freiheit und Eigentum ersetzt, daß der Substitution des wohlerworbenen Rechts und der Ergänzung des institutionellen Grundrechts-, genauer: Gesetzesverständnisses durch eine subjektiv gedeutete und rechtsschutzfähige Freiheitssphäre in der Staatslehre auch bald eine terminologische Abstimmung und inhaltliche Verfeinerung folgten. Die im Privatrecht angewandte wissenschaftliche Methode und die dort entwickelte Lehre des subjektiven Rechts konnten jetzt als Vorbild dienen 7 9 0 , und es ist augenfällig, daß Carl Friedrich von Gerber, der als Erfinder des subjekti789

Exemplarisch G. Meyer; Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895, S. 13 f. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 73-76; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 217 f. mit Fn. 34; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 2729; P.-M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 100 f.; Wilhelm, 790

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ven öffentlichen Rechts gilt, und Paul Laband, der sich zwar nicht monographisch des Themas in ganzer Breite annahm, dessen Ansehen seinen Gedanken im „Staatsrecht des Deutschen Reiches" zu den Rechten der Reichsangehörigen aber entsprechende Autorität verschaffte, zunächst auf dem Gebiet des Privatrechts in Erscheinung getreten sind: V. Gerber verfaßte neben zahlreichen anderen zivilrechtlichen Schriften 791 - ein in 17 Auflagen erschienenes Lehrbuch zum „System des Deutschen Privatrechts" und nahm von 1857-1861 an den Beratungen zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch teil. Laband, der mit seinem „Staatsrecht des Deutschen Reiches" zum führenden Staatsrechtler des Kaiserreichs avancierte, der den wissenschaftlichen Positivismus v. Gerbers rezipierte und zum Gesetzespositivismus umgestaltete 792 , begann seine juristische Laufbahn im Handelsrecht 793 und in der Rechtsgeschichte 794 . Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, 1958, passim; zu den Einflüssen Jherings auf die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts Tn. 192. 791 Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, Eine germanistische Abhandlung, 1846; Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft, 1851; Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt, 1851-1865, in: v. Gerber, Gesammelte juristische Abhandlungen, 2. Aufl. 1878, S. 1-35; Ueber den Begriff der Autonomie, 1854-1859, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), 2. Aufl. 1878, S. 36-99; Bemerkungen zur Beurtheilung genossenschaftlicher Verhältnisse, 1855, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), S. 188— 212; Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte, 1857-1869, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), S. 311-371; Zur Theorie der Reallasten, 1858-1863, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), 213- 260; Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers, 1859-1863, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), S. 261-310; Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte, in: Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Juristenfacultät zu Leipzig, Erster Band, 1868, S. 289-330; Ueber Handelsgebräuche, 1871, in: Gesammelte Abhandlungen (ebenda), S. 427^40. 792 Tn. 158-163. 793 Zur Lehre vom Konnossement, 1859, in: Paul Laband, Dissertation, Abhandlungen und Beiträge (1858-1917), 1983, S. 215-233; Die Lehre von den Mäklern, mit besonderer Berücksichtigung des Entwurfs zum deutschen Handelsgesetzbuch, 1861, ebenda, S. 235-299. 794 Beiträge zur Kunde des Schwabenspiegels, 1861; Die Breslauer Stadt- und Gerichts-Bücher, 1862, in: Paul Laband, Dissertation, Abhandlungen und Beiträge (1858-1917), 1983, S. 371-392; Über die, angeblich 1527/34 redigierten, Breslauer Statuten, 1863, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), 394-401; Das MagdeburgBreslauer systematische Schöffenrecht aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts, 1863; Die Freiburger Schwabenspiegel-Handschrift, 1864, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 301-332; Eine handschriftliche Sammlung sächsischer Schöffensprüche des XVI. Jahrhunderts, 1867, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 333-340; Die vermögensrechtlichen Klagen nach den sächsischen Rechtsquellen des Mittelalters, 1869; Palm, H. Eine mittelalterliche Historienbibel, 1870, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 402-404; Eine bisher unbekannte Rechtshandschrift, 1873, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 342-350; Rede über die Bedeutung der Rezeption des Römischen Rechts für das deutsche Staatsrecht, in: Der Rek-

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(153) V. Gerbers 1852 erschienene Abhandlung „Ueber öffentliche Rechte" stellt die geistige Nahtstelle zwischen den alten wohlerworbenen Rechten und den neuen subjektiven öffentlichen Rechten dar. Teils blieb er, was nach der gescheiterten Märzrevolution verständlich ist, frühkonstitutionellen Auffassungen, insbesondere dem Sphärendenken 795 verhaftet, teils bereitete er dem Spätkonstitionalismus mit seinem Positivismus 796 und seiner Andeutung materieller Reaktionsansprüche den Weg. Auch für ihn blieben die verfassungsmäßigen Rechte negative Rechte, als „Negationen und Zurückweisungen der Staatsgewalt in die Gränzen ihrer Befugnisse [...] auf Anerkennung der freien, d.h. nichtstaatlichen Seite der Persönlichkeit" 797 gerichtet. Trotz mißverständlicher Redewendungen 798 , - die Grundrechte seien „nur" die Schranken der Rechte des Monarchen vom Gesichtspunkte der Untertanen aus betrachtet 799 - , reduzierten sich diese negativen Rechte in seiner Idee nicht zu bloßen objektivrechtlichen Grenzen der Staatsgewalt. V. Gerber scheute sich zwar, die Grundrechte als subjektive Rechte zu bezeichnen und qualifizierte sie als „objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt" 800 . Er erkannte aber, daß aus ihrer Verletzung subjektive Rechte entspringen können: „Für den einzelnen haben sie lediglich die Wirkung, daß sie unter Voraussetzungen eines bestimmten Thatbestandes eine Berechtigung (ein Recht im subjektiven Sinne) erzeugen, z.B. das Recht auf Zurücknahme einer Verfügung." 801 (154) Damit war die Unterscheidung zwischen dem Schutzgegenstand und dem aus seiner Verletzung folgenden materiellen Reaktionsanspruch, gerichtet auf Beseitigung der rechtswidrigen Verwaltungshandlung, angedeutet 8 0 2 . Es kann denn nicht überraschen, daß G. Jellinek die Schrift torenwechsel an der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg am 1. Mai 1880, 1880, S. 24-57; Löning, Richard. Der Reinigungseid, 1882, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 351-370; Rechtsaltertümer in der Gegenwart, 1904, in: Abhandlungen und Beiträge (ebenda), S. 101-106. 795 Tn. 102. 796 S. 78. 797 S. 65. 798 Sachs, in: Stem: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 514 f.: „Bei näherem Zusehen zeigt sich allerdings, daß der vermeintlich so schroffe Gegensatz weitgehend terminologischer Art ist". 799 S. 65. 800 S. 65; ebenso in seinen Grundzügen des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 34. 801 S. 65 f. V. Gerber Schloß die Möglichkeit von Individualrechten gegen den Staat also keineswegs aus, weshalb der spätere Vorwurf G. Jellineks, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 6, daß die Richtung der spätkonstitutionellen Staatsrechtslehre, die die Existenz öffentlicher Rechte der Subjizierten überhaupt in Frage zog, auf einer Fortbildung Gerberscher Gedanken beruhe, fraglich erscheinen muß.

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v. Gerbers eine „epochemachende Abhandlung" und einen „Markstein in der Geschichte der Staatsrechtslehre überhaupt" nennen sollte 8 0 3 , schuf sie doch mit ihrer latenten Unterscheidung zwischen Schutzgegenstand und Reaktionsanspruch die Grundlagen für seine Statuslehre. Beachtenswert bleibt, daß nach der v. Gerberschen Konzeption nicht nur einfachgesetzliche Befugnisse, sondern durchaus auch Grundrechte als Grundlage subjektiver Abwehrrechte in Betracht kamen, was in der Folgezeit des Spätkonstitutionalismus allerdings in Vergessenheit geriet: Man erinnerte sich an v. Gerbers Grundrechte nur noch als „objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt" 804 . (155) Seit v. Gerbers Abhandlung brach man nun auch mit der alten Terminologie. Im materiellen Staats- und Verwaltungsrecht scheint sich der Begriff des öffentlichen Rechts schnell durchgesetzt zu haben 8 0 5 , er tauchte ja vereinzelt auch schon vor v. Gerbers Schrift auf 8 0 6 . Im Prozeßrecht preßte man die gesetzliche Befugnis nicht mehr ins wohlerworbene Recht: „Einen speciellen Rechtstitel braucht der Kläger hierzu nicht - Es bedarf hier nur einer - leider noch nicht gelieferten staatsrechtlichen Erörterung über den Charakter der verschiedenen Gesetze im Staate" 807 . Damit waren die letzten, nur noch sprachlichen Fesseln der ständischen Rechtsordnung gesprengt und der Weg für einen umfassenden juristischen Neuansatz geebnet, der im Nachmärz in stabilisierten staatlichen Verhältnissen vorgenommen werden sollte. 802

Aber auch das Problem aufgeworfen, warum dem Schutzgegenstand freiheitsbegründender Normen keine subjektivrechtliche Dimension zukommen soll, obwohl er Grundlage für die Entstehung subjektiver Abwehrrechte ist (Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 13). 803 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 4 f.; auch Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 1 Fn. 1 nennt die Schrift (mit Verweis auf G. Jellinek) „epochemachend". 804 Fn. 800. 805 Siehe etwa (in chronologischer Folge) Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1845, S. 385 f.; Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 506; Lauk, Gericht, in: Bluntschli/Brater (Hg.), Deutsches StaatsWörterbuch, Vierter Band, 1859, S. 182 (192); Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, passim; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884; S. 8—18; v. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177-232; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914. 806 Etwa bei v. Mohl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Erster Band, 2. Aufl. 1846, S. 395. 807 Mittermaier, Was hat der deutsche Proceß im Ganzen und im Detail durch die neuere doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen?, AcP 12 (1829), S. 362 (403).

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(156) Es darf im folgenden freilich nicht verkannt werden, daß sich diese Aufbereitung des subjektiven Freiheitsprinzips unter handhabbaren juristischen Gesichtspunkten, insbesondere in Preußen, nach wie vor in der Wissenschaft abspielte, - sonst bliebe die Forderung des § 182 Abs. 1 Hs. 1 der Paulskirchenverfassung unerklärlich 808 - , während der Abbau des gerichtlichen Schutzes gegen die Verwaltung durch die ordentlichen Gerichte zugunsten der Administrativjustiz 809 der praktischen Umsetzung im Wege stand. Während sich im Schrifttum die Geister darüber stritten, ob und welche Individualrechte anzuerkennen seien und wie es sich mit ihrer Rechtsschutzfähigkeit verhielt 8 1 0 , Schloß die preußische Obrigkeit nach und nach die Zuständigkeit der (einzig bestehenden) ordentlichen Gerichte in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten aus, bis es um die Jahrhundertmitte mit dem Ausschluß des Rechtsweges gegen polizeiliche Verfügungen durch das Gesetz vom 11. Mai 1842 8 1 1 praktisch keine Primärabwehrrechte gegen den Staat mehr gab, oder, wie es in den Motiven zu dem 1861 von der Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Abänderung des Gesetzes von 1842 hieß, „die Gesetzlichkeit einer polizeilichen Verfügung fast nie zur richterlichen Entscheidung gelangen" konnte 8 1 2 . (157) Erst die Aufgabe der Administrativjustiz und die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts 813 gab der verrechtlichten Freiheit - nach ersten, aber punktuell gebliebenen, postrevolutionären Liberalisierungen 814 - endgültig (im Rahmen des Enumerationsprinzips) ihre Rechtsschutzfähigkeit. Das Freiheitsprinzip war von der spätkonstitutionellen Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft so weit operabel gemacht worden, daß der Gesetzgeber und die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit unmittelbar und rasch hieran anknüpfen konnten. Jene Verwaltungsgerichtsbarkeit, die die individuelle Freiheitssphäre (enumerativ) justizfähig machte, gab im Gegenzug den entscheidenden Impuls, das subjektive öffentliche Recht, das seit v. Gerbers Abhandlung nur Verfeinerungen, aber keinen grundlegenden Ausbau erfahren hatte, um die Jahrhundertwende mit den Werken von G. Jellinek (1892) und O. Bühler (1914) umfassend und einheitlich mit Blick auf die Praxis darzustellen, ferner die Subjektivität der in der Reichsverfassung noch fehlenden Grundrechte zu 808

Tn. 428. Tn. 76 f., 83, 144-151 und 413^24. 810 Tn. 141. 811 Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 (Fn. 142). 812 Nach Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, 1914, S. 186. 813 Tn. 431^37. 814 Tn. 429. 809

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überdenken, so daß es in der Weimarer Zeit nicht mehr fraglich war, daß sie neben einfachgesetzlichen Normen als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte in Betracht kamen. In diesem Sinne konnte Bühler sagen, daß „in der ganzen Frage der subjektiven öffentlichen Rechte [...] bis jetzt die Theorie viel mehr von der Praxis als diese von ihr zu lernen gehabt" hatte 8 1 5 . Die erste Jahrhunderthälfte hatte das besondere Recht und Privileg durch das allgemeine gesetzliche Recht ersetzt, und die zweite Jahrhunderthälfte hatte diese gesetzliche Befugnis zum praktisch handhabbaren und umfassenden Freiheits„system" ausdifferenziert. Um die Jahrhundertwende stand der öffentlichrechtliche Abwehranspruch im großen und ganzen in seiner heutigen Gestalt. Bühler konnte denn auch 1914 abschließend feststellen, daß der Streit um die „begriffliche Möglichkeit" von subjektiven öffentlichen Rechten seit dem Erscheinen von G. Jellineks „System der subjektiven öffentlichen Rechte" und O. Mayers „Verwaltungsrecht" als im positiven Sinne entschieden betrachtet werden müsse 816 . Für ihn war diese Frage kein Thema mehr. a) Verfassungsmäßige

Rechte und Gesetzespositivismus

(158) Es war erst der in der zweiten Jahrhunderthälfte ausgeprägte Positivismus* 11, der die Entwicklung des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs 815 Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 519. 816 A.a.O., S. 1. 817 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 51-53, 77 f.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 211-220; Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, I. Band, 1974, S. 260-262; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 174-180; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 27 f.; Kleinheyer, Grundrechte zur Geschichte eines Begriffs, 1977, S. 22; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 36-38; v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974, S. 163-344; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 100-104; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 1993, passim; Remmele, Bürgerliche Freiheit ohne verfassungsrechtliche Freiheitsverbürgungen?, in: Dilcher/Hoke/ Vidari/Winterberg (Hg.), Grundrechte im 19. Jahrhundert, 1982, S. 189 (205 f.); Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (156); C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932, S. 20-29; Schott, Die Grundrechte in der deutschen Verfassungsgeschichte, ZVglRWiss. 75 (1976), 45 (56 f.); Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 82 f.; Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (785-787); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 116 f.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Zweiter Band, 1992, S. 330-348; ders., Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866-1914, in: Jeserich/Pohl/

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heutiger Prägung (wie überhaupt der Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts) ermöglichte. Das Individuum wurde nicht mehr, wie in der französischen Menschenrechtserklärung von 1789, frei und gleich geboren, der Staat erschien nicht mehr als Schutzanstalt dieser überpositiven Rechte, der sie lediglich präzisierte und durchführte 818 , sondern er schuf sie erst, ja, er hob durch das subjektive Recht den Staatsbürger vom Untertan ab und begründete so sogar die Rechtspersönlichkeit, - „Der Staat schafft daher die Persönlichkeit. [...] Was man Persönlichkeit des einzelnen nennt, sind die zu einer Einheit zusammengefassten, verschiedenartigen, von der Rechtsordnung anerkannten und verliehenen Fähigkeiten, die alle in der Möglichkeit bestehen, den Staat, beziehungsweise die Normen seiner Rechtsordnung im individuellen Interesse in Bewegung zu setzen." 819 (159) Ursprüngliche, originäre Positionen standen dem einzelnen nicht zu, „alles objektive Recht [ist] positiv, alle subjektiven Rechte sind erworb e n " 8 2 0 . Den „falschen Ausgangspunkt von angeborenen Rechten der Individuen" legte man ab und begriff „die Grundrechte als nichts anderes als ein Produkt der staatlichen Rechtsordnung" 821. „Eine von der Rechtsordnung unabhängige, außerhalb derselben bestehende natürliche Handlungsfreiheit giebt es nicht." 8 2 2 Sie wäre, als dem Gesetz vorverlagerte umfassende Freiheit geeignet gewesen, „den ganzen Staat zu zerstören" . Erst der einfache Gesetzgeber sollte, unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen unter- und gegeneinander, der positiven Freiheit ihren konkreten Inhalt geben 8 2 4 , womit der rechtswissenschaftliche Positivismus, der zur Ausarbeitung juristischer „Systeme" verleitete, sich zum Gesetzespositivismus wandelte und einengte 825 . Wenn es der Gesetzgeber war, der FreiV. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 85 (85-104); Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 430-468, 558-586; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, 1958, S. 88-156. 818 Art. 1 und 2 der déclaration des Droits de Γ Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 (abgedruckt bei Duverger, Constitutions et documents politiques, 10 i è m e éd. 1986, p. 17). 819 G. Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 82 und 56 f. 820 Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht, Zweiter Teil, 1906, S. 26. 821 Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 133 (Hervorhebung hier). 822 V. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (196). 823 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 103. 824 Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 667; v. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 78; v. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (196); Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, VerwArch. 8 (1900), S. 475 (493 f.). G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 103. 825 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 459. 13*

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heit vom Staat konstitutiv schuf, dann lag es nahe, ihm auch die Frage zu überlassen, ob eine Rechtsposition mit der Justizfähigkeit - als Bestandteil dieser materiellen Position, die in der Klage die Gestalt der Verteidigung annahm 8 2 6 - versehen werden sollte, was ins Enumerationsprinzip münden mußte 8 2 7 . (160) War es der Gesetzgeber, der rechtschaffend Distanz des Individuums von staatlichen Maßnahmen schuf, und war „die Bindung der Justiz an Gesetz und Recht [...] selbstverständlich" 828 , ferner in den Verfassungen außerhalb der Rechtekataloge gesondert hervorgehoben (in Preußen: Art. 86 ROQ

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Abs. 1 PrVerf), zielten die Grundrechte „in erster Linie" , „speciell" oder „ganz besonders" 831 auf die Verwaltung. Positive Freiheit war danach „einfach Freiheit von gesetzwidrigem Z w a n g " 8 3 2 , genauer (wenn auch im Begriff des „Gesetzwidrigen" impliziert): einfach Freiheit von gesetzwidrigem Verwaltungszwang. Die deutsche Staatslehre hatte sich endgültig von menschenrechtlichen Ansätzen verabschiedet, dies allerdings nicht ohne Vorankündigung: Frühkonstitutionell gewährte Untertanenrechte 833 , Rechte Q'lA OOC der Staatsangehörigen , Ansprüche auf gesetzmäßige Behandlung , verfassungsmäßige Rechte nach Maßgabe der Gesetze 836, Reformen „von 00'7

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oben" durch den Staat , ein naiver Legalismus und nicht zuletzt vielleicht der Begriff des Grundrechts selbst 8 3 9 hatten den mit dem monarchischen Prinzip verträglicheren Trend bereits proklamiert, der die „soge826 Tn. 18. 827 Für Gneist hingegen, der materielle Individualrechte leugnete (Tn. 185) und auf ein prozessuales Klagerecht abstellte (Tn. 186, 450-452), ergab sich das Enumerativsystem schon aus dem Erfordernis der gesetzgeberischen Entscheidung, ob ein Interesse hinreichend gefährdet war, um es mit der Klagebefugnis zu versehen {Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 34); zum materiellrechtlichen Hintergrund des Enumerationsprinzips einerseits und zur Gneistschen Konzeption andererseits Tn. 441, 448-453. 828 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, Anm. 3 zu Art. 5, S. 134. 829 Anschütz a. a. Ο. 830 G. Meyer , Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes, 1878, S. 567. 831 Anschütz, Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (90). 832 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 103. 833 Tn. 107. 834 Tn. 107, 116. 835 Tn. 141 f. 836 Tn. 111. 837 Tn. 102. 838 Tn. 130. 839 Tn. 116.

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nannten Grundrechte" der Zensur unterworfen hatte 8 4 0 , von der sich das Kaiserreich nie ganz erholen sollte. (161) Diese „Reinigung des Staatsrechts" 841 von allen außerrechtlichen Überlegungen hatte neben den heute, unter der Herrschaft des Grundgesetzes, das keine wertneutrale Ordnung sein w i l l 8 4 2 , als negativ empfundenen Folgen, insbesondere der unkritischen Hinnahme des gesetzten Rechts, Gesetz war Gesetz - , und der damit einhergehenden Immunisierung des Gesetzgebers gegen materiale Werte und der einseitigen Entwicklung des subjektiven Rechts zur Form ohne Inhalt, zu jener bloßen „Fähigkeit, in seinem eigensten Interesse Normen der Rechtsordnung in Bewegung zu setzen und die Aktion einer Behörde herbeizuführen" 843 (und nicht mehr), die in einem Staat, dessen Verwaltung zwar gesetzlich gebunden wurde, dessen Gesetzgeber aber allmächtig blieb, die Radbruchsche Formel des gesetzlichen Unrechts 844 als Widerspruch in sich begreifen mußte, einen damals ganz entscheidenden Vorteil, der - in einem durchaus freiheitsaufgeschlossenen, wenn auch einseitigen Sinne - die Extraktion eines theoretisch umrissenen und praktisch operabelbaren Rechts ermöglichte: Der „Rückzug der Rechtswissenschaft auf sich selbst" 8 4 5 führte dazu, daß die Staatslehre das subjektive öffentliche Recht nur noch in der säkularisierten Rechtsordnung und nicht mehr in metaphysischen Größen suchte. Nicht dem Naturzustand, den es nicht gibt und auch nie gab, sondern nur dem Positiven läßt sich das Sollen entnehmen (mal mehr, mal weniger genau). (162) In diesem sich vom einfachen Gesetz nährenden Positivismus lebte der naturrechtliche status naturalis in den abstrakten Grundrechten und der status civilis in den konkreten Gesetzen fort 8 4 6 . Nicht die Grundrechte, „die sich wegen ihrer schlechten Redaktion mit den Mitteln gewöhnlicher Gesetzesinterpretation ja doch nie in einwandfreier Weise auslegen lassen" 847 , sondern die einfachen und „bereichsspezifischen" Gesetze mit ihrer doch so optimalen Bestimmtheit vermittelten subjektive Rechte. Überwiegend lehnte 840

Tn. 108. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 52. 842 BVerfGE 2, 1 (12). 843 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 51, 841

106.

844

Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, 105-108 = Rechtsphilosophie, 6. Aufl. 1963, Anhang Nr. 4, S. 347-357. 845 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 53. 846 Lübbe-Wolff, Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im neunzehnten Jahrhundert, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), S. 104 (111 Fn. 27). 847 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 131.

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man es ab, Grundrechte als Individualrechte anzusehen 848 . Berühmt wurde in diesem Zusammenhang Labands Objekt-Formel 849 : (163) „Die Freiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen für die Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie bilden Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine natürliche Handlungsfreiheit in bestimmten Umfange, aber sie begründen nicht subjektive Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Object."* 50. (164) Andere argumentierten mit dem Kriterium der Willensmacht: Da der Grundrechtsschutz wegen der Rechtsbindung der Verwaltung unabhängig vom Willen des geschützten Individuums, also ohne sein Zutun und selbst gegen seinen Willen stattfinde, seien Grundrechte keine subjektiven Rechte: Aus der objektivrechtlichen Folgenbeseitigungspflicht des Staates Schloß man, daß der einzelne keinen Einfluß auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes habe und er folglich nicht alleine über die Mobilisierung der grundrechtlichen Position entscheide 851 . 848

In chronologischer Folge: Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, Erster Theil, 2. Aufl. 1853, S. 406 Fn. 1; Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 1873, S. 49; ders., Bayerisches Staatsrecht, Erster Band, 1884, S. 571; Goeppert, Das Princip: „Gesetze haben keine rückwirkende Kraft" geschichtlich und dogmatisch entwickelt, Jb. f. d. Dogmatik d. heut. röm. u. dt. Privatrechts 22 (1884), 1 (119); v. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (194); Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 2. Aufl. 1895, S. 370-373; Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 72-75; O. Mayer, Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 31; Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Erster Band, 2. Aufl. 1911, S. 294; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 5. Aufl. 1911, S. 150 f.; van Calker, Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen, 1913, S. 15. 849 Zu ihrer Bedeutung Tn. 206. 850 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 1876, S. 149 (Hervorhebung hier). Seither taucht die „Objekt-Formel" in seinem Staatsrecht des Deutschen Reiches immer wieder auf, etwa in der 2. Aufl. 1888, S. 142, in der 4. Aufl. 1901, S. 138, und in der 5. Aufl. 1911, S. 151; nur geringfügig modifiziert, ohne inhaltliche Veränderung, Laband/Mayer, Deutsches Reichsstaatsrecht, 7. Aufl. 1919, S. 45 Fn. 3. Zum dogmatischen Hintergrund dieser Formel unter Tn. 206. 851 Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 72 f. Diese Deduktion krankte daran, daß die Freiwilligkeit der Pflichterfüllung der Annahme einer Rechtsmacht nicht entgegenstehen kann, was bereits G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 106, erkannte. - Weiß der Rechtsinhaber von der Erfüllung nicht, kann er dennoch einen entsprechenden potentiellen oder sogar aktuellen Willen haben, will er von einer Erfüllung nichts wissen, mag er seine Subjektivität punktuell preisgeben, ohne aber zugleich über die objektivrechtliche Verpflichtung disponieren zu können. Die Rechtspflicht des Staates überlagert nur die individuelle Willensmacht, schließt sie aber nicht aus (Sachs, in: Stem: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 523 f.). Gieses Auffassung war um so weniger berechtigt, als ihre Unhaltbarkeit am zivilrechtlichen Vorbild deutlich wurde: Auch hier tritt Erfüllung (und sei es gegen den Willen des Gläubigers) ein,

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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(165) Freiheitsrechte wurden reduziert zu einem „in der Verfassung aufgestellten Programm für die Gesetzgebung, aus welchem sich Individualrechte von bestimmtem Inhalt und Umfang nicht ableiten lassen" 852 . Solche Programmsätze sollten nicht nur explizite Gesetzgebungsaufträge, wie die Einführung der Zivilehe durch Gesetz (Art. 19 PrVerf), oder Einrichtungsgarantien, wie die Errichtung öffentlicher Schulen zur Bildung der Jugend (Art. 21 Abs. 1 PrVerf), sein, sondern auch die eigentlichen individuell-persönlichen Bereiche, wie die Freiheit der Person (Art. 5 S. 1 PrVerf), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6 S. 1 PrVerf) oder die Eigentumsgarantie (Art. 9 S. 1 PrVerf) 853 . Hier mag ein echter Rückschritt im Vergleich zum wissenschaftlichen Positivismus des frühen und klassischen Konstitutionalismus zu beobachten sein, der Grundrechte immerhin als unmittelbar geltende objektivrechtliche Schranke der Regierungsgewalt erkannt hatte 8 5 4 . (166) Bestenfalls entschloß man sich mittelbar und auf Umwegen, Grundrechte als durch die einfache Rechtsordnung verliehene subjektive Rechte zu bezeichnen 855 . Nur wenige sahen in Grundrechten selbst subjektive öffentliche Rechte ohne Deviation über die einfache Rechtsordnung 856 oder zumindest die Grundlage für die Ableitung von Individualrechten 857 . wenn nur der Leistungserfolg bewirkt wird, der Gläubiger seinem Schuldner die Schuld nicht einmal einseitig erlassen kann (§ 397 BGB). 852 V. Stengel , Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (194). 853 V. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (194). 854 Ähnliche Feststellung, aber die aus der Sicht des Gesetzesstaates bestehende positive Seite dieses Phänomens betonend, bei Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 130 f.; zu den Grundrechten als objektivrechtliche Grenze der Staatsgewalt oben Tn. 127 f. 855 V. Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (194-197). 856 In chronologischer Folge: V. Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 2. Aufl. 1876, S. 95 m. Fn. 1, S. 106 Fn. 3; v. Pözl Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, 5. Aufl. 1877, S. 79 Fn. 1; G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1878, S. 567; v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 421-^23; v. Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Zweiter Band, 4. Aufl. 1882, S. 37 m. Fn. 3; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1884, S. 11-14, insb. S. 13, S. 798 Fn. 1; v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Heinrich Marquardsen (Hg.), Handbuch des Oeffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien, Erster Band: Allgemeiner Theil, Zweiter Halbband, 1884/1887, S. 1 (119); v. Schulze-Gaevernitz, Das preussische Staatsrecht, Erster Band, 2. Aufl. 1888, S. 367. 857 V. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 65 f.; den Grundrechten selbst sprach er freilich die Qualität subjektiver Rechte vehement ab (Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 34; unter Berufung auf v. Gerber ebenso v. Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 1873, S. 49 f. Auch G. Jellinek versagte seinem (von der positiven Rechtsordnung abgehobenen) negativen Status

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Die Skepsis gegenüber subjektivrechtlichen Gehalten wuchs, nachdem der führende Staatsrechtler des Kaiserreichs, Laband, sein Urteil gesprochen hatte und mit seiner „Objekt-Formel" die Diskussion prägte. Eine Aufwertung erfuhr die bis dahin zurückhaltende subjektive Auffassung erst nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im beginnenden 20. Jahrhundert 8 5 8 . Was lag im formellen Gesetzesstaat ferner als der Umweg über die Verfassung?

aa) Grundrechtseffektivität in der Rechtsprechung (167) Die preußische Rechtsprechung bot anfangs kein einheitliches Bild zur rechtlichen Tragweite der Grundrechte 859 . Nicht das rechtstheoretische die Subjektivität und bezeichnete nur die aus ihm fließenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche als subjektive öffentliche Rechte (System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 86; siehe femer S. 102 Fn. 2; eingehender dazu Tn. 204, 206), die er dem positiven Status zurechnete, wodurch das Abwehrrecht einen „vagabundierenden Charakter" erhielt (Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 234). Dieser Konzeption entspricht es, daß er etwa die in der PreußischenVerfassungsurkunde proklamierte Rechtsgleichheit der Bürger oder das Verbot von Ausnahmegerichten dem objektiven Recht zurechnete (S. 72). Für Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte der Unterthanen, Zweite Lieferung, 1894, S. 105, fanden sich in den Grund- und Freiheitsrechten Rechtsnormen, „auf deren Grund" sich subjektive Rechte erhöben. 858 In chronologischer Folge: Mansfeld, Der publicistische Reactionsanspruch und sein Rechtsschutz im Herzogthum Braunschweig, 1895, S. 13 f.; Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht, Zweiter Teil, 1906, S. 23 f., 27, der die Subjektivität der Grundrechte gerade aus dieser Möglichkeit ihres verwaltungsgerichtlichen Schutzes heraus begründete; Kunze, Das Verwaltungsstreitverfahren, 1908, S. 191, 193; v. Münchhausen, Die Grund- und Freiheitsrechte im geltenden preußischen Recht, 1909, S. 159; Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Erster Band, 1912, S. 94-99, der im Vorgriff auf seinen Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung (Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933) von Bestimmung zu Bestimmung zwischen latenten Gesetzgebungsdirektiven (S. 94 f.), aktuellem, aber rein objektivem Recht (S. 95 f.) und Individualrechten (S. 96-99) differenzierte; ders., Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (89 f.); Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 61-157, der von Grundrechten als „echten" subjektiven Rechten jedoch nur in dem Bereich ausgehen wollte, in dem das (seines Erachtens: gewohnheitsrechtlich herzuleitende) Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht galt (S. 128-130), worin sich, modem gesprochen, der Anwendungsvorrang des einfachen Rechts (Tn. 262 f.) ausdrückte; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 955 m. Fn. 1; Schoen, Zur Frage der Grenzen der Überprüfung polizeilicher Verfügungen im Verwaltungsstreitverfahren, VerwArch. 27 (1919), S. 85 (93 f.), der zugleich die Rechtsschutzfähigkeit der Grund- und Freiheitsrechte annahm.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im

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Begriffspaar objektivrechtliche Schranke der Regierungsgewalt versus subjektives Individualrecht, sondern die pragmatische Abgrenzung zwischen bloßen Programmsätzen und Richtlinien, denen jede rechtliche Bedeutung abgesprochen wurde, und echten, verbindlichen, unmittelbar geltenden Rechtssätzen wurde mit dem Inkrafttreten der Preußischen Verfassungs-Urkunde Gegenstand gerichtlicher Erörterungen, wie sie später für das Weimarer Grundrechtsverständnis prägend wurde. Ein einheitliches Bild bot die zeitgenössische Rechtsprechung indes auch zu dieser Problematik nicht. Während das Preußische Ober-Tribunal nur wenige Jahre nach Inkrafttreten der Verfassungs-Urkunde in einer Entscheidung vom 17. September 1852 als selbstverständlich davon ausging, daß die neuen Grundrechte einen richterlichen Kontrollmaßstab darstellten und die rechtliche Kraft besäßen, postwendend die ältere Gesetzgebung im Sinne eines Anwendungs-, ja gar GeltungsVorrangs zu überwinden 860 , wurde das Ober-Tribunal später deutlich zurückhaltender: Insgesamt überwog die Tendenz, die Grundrechte lediglich als leitende Grundsätze und Richtschnüre anzusehen, die die künftige Gesetzgebung führen und geleiten sollten 8 6 1 . Von Fall zu Fall und von Norm zu Norm tastete sich das Obergericht an einzelne Grundrechtsbestimmungen heran, ohne sich Verallgemeinerungen zu erlauben und ohne sich in grundlegender Weise festzulegen. Die Rechtsfindung mündete in die in Art. 109 PrVerf angelegte Abwägung, ob (ausnahmsweise) die Rechtslage mit den Grundsätzen der neuen Verfassung „dergestalt in Widerspruch stehe, daß sie mit der letzteren unvereinbar erscheine [...] und deshalb [...] als mittelbar außer Kraft gesetzt zu betrachten s e i " 8 6 2 oder ob (regelmäßig) eine zukünftige gesetzliche Ausformung abgewartet werden könne, weil der alte Rechtszustand, am neuen Verfassungsmaßstab gemessen, nicht unerträglich erschien. (168) Für das Preußische Oberverwaltungsgericht war die juristische Geltung zahlreicher unter dem Titel I I der Preußischen Verfassungs-Urkunde zusammengefaßter Grundrechtsartikel als verbindliche Rechtssätze, nachdem Landes- und Reichsgesetze die neue konstitutionelle Ordnung einfachgesetzlich ausgeformt hatten, kein Thema mehr, - was sich daran zeigte, daß in der Spruchpraxis Geltung und Tragweite dieser Verfassungsrechte nicht mehr problematisiert, Grundrechtsbestimmungen vielmehr als Prüfungsmaßstab schlicht angewendet wurden, ohne daß das Gericht eine 859

Hierzu auch die Untersuchungen von Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (159-165), und Vossen, Der oberverwaltungsgerichtliche Schutz der Industrie und des Gewerbes, 1907, passim. 860 PrOTE 25, 220 (228). 861 PrOTE 34, 177 (181 f.); 73, 406 (423); ebenso bereits PrOTE 24, 301 (312). 862 PrOTE 34, 177 (181).

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Notwendigkeit verspürte, dies näher zu rechtfertigen 863 . Die zunehmende Bedeutung der Grundrechte im juristischen Alltag wurde auch daran deutlich, daß in gerichtlichen Entscheidungen zur Begründung rechtlicher Erkenntnisse immer mehr auf sie (von Amts wegen) zurückgegriffen wurde oder (wegen des Parteivortrages) werden mußte, sie also ein großes juristisches Argumentationspotential boten 8 6 4 , das öffentlichrechtlichen Streitigkeiten „eine völlig neue rechtliche Grundlage" gab 8 6 5 . Daß sich das Preußische Oberverwaltungsgericht im Spätkonstitutionalismus 866 , nachdem Rechtssatzcharakter und Verbindlichkeit der Grundrechte größtenteils feststanden, parallel zu dem im Schrifttum ausgetragenen rechtstheoretischen Streit über die Rechtsnatur der Grundrechte in einer - soweit ersichtlich: vereinzelt gebliebenen - Entscheidung 867 aus (fragwürdigen) dogmatischen Überlegungen entschied, einer grundrechtsausführenden einfachgesetzlichen Freiheitsgewährleistung (§ 1 Abs. 1 GewO) den Status eines subjektiven Rechts zu versagen, schlägt kaum ins Gewicht: Grundrechte und ihre einfachgesetzlichen Ausprägungen wurden der Sache nach als Individualrechte behandelt: Betroffene konnten im Rahmen des Enumerationsprinzips klagen und die Grundrechte zum Kontrollmaßstab der objektiven Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung machen.

bb) Grundrechtseffektivität durch einfaches Gesetzesrecht (169) Der spätkonstitutionelle Gesetzespositivismus führte zu einer Lokalisierung des subjektiven öffentlichen Rechts im Verwaltungsrecht, das sich zu einer eigenständigen Rechtsmaterie ausbilden konnte 8 6 8 . Einzelne Spe863

Insbesondere die Artt. 21-25 PrVerf wurden vom Oberverwaltungsgericht nach wie vor als bloße Richtlinien für die Gesetzgebung betrachtet (PrOVGE 26, 208 [211]; 50, 176 [184]). Dies lag am Vorbehalt des Art. 112 PrVerf, der das Schul- und Unterrichtswesen der bislang geltenden Rechtslage unterwarf, solange ein besonderes Gesetz über das Unterrichtswesen (Art. 26 PrVerf) nicht erlassen war. 864 Siehe die in den vorstehenden Fn. genannten Entscheidungen und femer PrOVGE 9, 406 (408, 410, 411 f.); 13, 89 (98-100); 16, 386 (388 f.); 19, 420 (430-432, 436-439); 21, 400 (406 f.); 26, 208 (211); 32, 395 (399 f.); 34, 439 (441 f.); 35, 424 (426 f.); 38, 435 (437 f.); 41, 432 (434 f.); 50, 176 (184). 865 PrOVGE 9, 406 (408). 866 Zur geschichtsbegrifflichen Periodisierung Fn. 512. 867 PrOVGE 38, 58 (66). Auf sie wird in Tn. 173 noch zurückzukommen sein. 868

Eckhardt, Die Grundrechte vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart, 1913, S. 132-160; H. Maier, Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat, 1973, S. 33 f.; Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil, 1956, S. 64 f.; Remmele, Bürgerliche Freiheit ohne verfassungsrechtliche Freiheitsverbürgungen?, in: Dilcher/ Hoke/Vidari/Winterberg (Hg.), Grundrechte im 19. Jahrhundert, 1982, S. 189 (203 f.); Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Ver-

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert zialgesetze führten mit juristischer Ausführlichkeit und Präzision jeweils einzelne Grundrechtsgehalte auf ihrem Fachgebiet aus. Der Erlaß „spezieller einzelner Grund-Gesetze" 869 statt „schöner Worte" 8 7 0 entsprach den parlamentarischen Vorstellungen im konstituierenden Norddeutschen Reichstag von 1867 und im Deutschen Reichstag von 1871, die sich mehrheitlich gegen die Aufnahme eines geschlossenen Grundrechtekatalogs und für die Verrechtlichung des Freiheitsprinzips auf der einfachen Rechtsetzungsebene o -ι ÜTJ ausgesprochen hatten . Erst die „gesetzlich festgestellte Freiheit" vermochte dem einzelnen subjektive Rechtspositionen zu verschaffen. Einfachgesetzlich gewährte Rechte boten jetzt als nur materielle Verfassungsordnung ideellen Ersatz für fehlende Grundrechte in der Reichsverfassung 873 , sie schlossen zugleich Lücken in den Rechtekatalogen der Landesverfassungen und gaben den „allgemeinen und juristisch wenig brauchbaren Sätz e n " 8 7 4 der Verfassungen die vermißten präzisen Konturen. Erst klare spezielle Gesetze sollten den Verfassungsmonologen „Fleisch und Blut" geben können 8 7 5 . Zugleich lieferten sie den Gerichten „statt der abstrakten, allgemeinen Normativsätze, die man «Grundrechte» zu nennen pflegt" 8 7 6 , handhabbare Entscheidungsmaßstäbe, die man in Verfassungsrechten (noch) nicht erblickte. Nicht nur Normen wie § 903 BGB, der mit der Befugnis des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von 7

fassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für E. R. Huber, 1973, S. 139 (157 f., 164); Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 (785-787); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 116-118; Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), 321 (341 f.). 869 Abgeordneter Dr. Braun, Rede in der 15. Sitzung des constituierenden Norddeutschen Reichstages vom 19. März 1867, abgedruckt in: Bezold (Hg.), Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Band I, 1873, S. 438. 870 Abgeordneter Dr. Brockhaus, Rede in der 11. Sitzung des Deutschen Reichstags vom 4. April 1871, abgedruckt bei Bezold (Hg.), Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Band III, 1873, S. 1010. 871 Tn. 112. 872 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 955. 873 Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Festschrift für Scheuner, 1973, S. 162 (171 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 117; Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, in: Verwaltungsrechtliche Abhandlungen, Festgabe zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, 1925, S. 183 (189). 874 Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 21. 875 V. Schulze-Gaevernitz, Das preussische Staatsrecht, Erster Band, 2. Aufl. 1888, S. 369. 876 Abgeordneter Dr. Braun, Rede in der 15. Sitzung des constituierenden Norddeutschen Reichstages vom 19. März 1867, abgedruckt in: Bezold (Hg.), Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Band I, 1873, S. 438.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

jeder Einwirkung auszuschließen, typisch liberales Gedankengut proklamierte, wiesen einen grundrechtsausführenden Gehalt auf. Nahezu alle heute als klassisch bezeichneten Grundrechte der Frankfurter und der Preußischen Verfassung fanden in den folgenden Reichsgesetzen ihre einfachgesetzliche Ausprägung und Spezialisierung, die ihre tägliche Operabilität sicherten 877 : - (170) Jedem Bundesangehörigen gewährte § 1 des Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 8 7 8 das Recht, sich im Rahmen der Gesetze innerhalb des Bundesgebietes aufzuhalten und niederzulassen, an jedem Ort Eigentum zu erwerben und an jedem Ort oder reisend ein Gewerbe zu betreiben. Dieses Gesetz enthielt nicht nur die Garantie der Freizügigkeit, sondern garantierte, noch vor Erlaß der Gewerbeordnung, die Gewerbe(niederlassungs)freiheit. - (171) § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung vom 4. Mai 1868 8 7 9 hob obrigkeitsstaatliche Beschränkungen der Befugnis zur Eheschließung, welche in Ansehung der Ehen zwischen Juden und für die Angehörigen einzelner bürgerlicher Berufsstände bestanden, auf und trug dadurch zur Durchsetzung der Egalisierung der Konfessionen bei. Auch andere eheeinschränkende polizeiliche Vorbehalte wurden beseitigt (§ 1). - (172) Mit dem Verbot des Personalarrestes als Zwangsvollstreckungsmittel in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten konkretisierte § 1 des Gesetzes vom 29. Mai 1868, betreffend die Aufhebung der Schuldhaft 880 , die Freiheit der Person. Weitere, wichtige Sicherungen dieses elementaren Menschenrechts brachten dann das Strafgesetzbuch, das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung. - (173) Die Gewerbefreiheit statuierte § 1 Abs. 1 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 8 8 1 . Die Gewerbeordnung war es auch, die die Koalitionsfreiheit sicherte (§§ 152, 153). Wenn der für das Gewerbepolizeirecht nicht zuständige - II. Senat des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 11. Januar 1901 unter Berufung auf Labands Staatsrecht ausführte, jene gewährleistete sogenannte 877

Ähnliche Aufstellungen finden sich femer bei Anschütz, Die Grundlagen des deutschen Staatsrechts, in: v. Holtzendorff (Bg.)/Kohler (Hg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Vierter Band, 7. Aufl. 1914, S. 1 (89 f.); Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Festschrift für Scheuner, 1973, S. 162 (169 m. den Fn. 12 f.); v. Münchhausen, Die Grund- und Freiheitsrechte im geltenden preußischen Recht, 1909, S. IX f. 878 BGBl. NDB 1867, Nr. 16, S. 55-58. 879 BGBl. NDB 1868, Nr. 92, S. 149-150. 880 BGBl. NDB 1868, Nr. 105, S. 237-238. 881 BGBl. NDB 1869, Nr. 312, S. 245-282.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert Gewerbefreiheit sei „überhaupt kein Begriff von positivem Rechtsinhalt und noch viel weniger ein subjektives Recht, sondern nur die Negation gesetzlicher Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit" 8 8 2 , dann darf die Bedeutung dieses Spruchs nicht zu hoch veranschlagt werden 8 8 3 : Dieser Hinweis - der für die Entscheidung der Klage ohne jede Bedeutung war - beruhte alleine auf der Vorstellung, an der eigenen Persönlichkeit könne „mangels Objektes" keine rechtliche Position bestehen, nicht auch darauf, daß man auch und selbst den grundrechtsausführenden einfachgesetzlichen Freiheitsgewährleistungen generell die Subjektivität absprach. Das Oberverwaltungsgericht konnte sich Labands Auffassung paradoxerweise gerade deshalb ohne weitreichende Folgewirkungen anschließen, weil der Gewerbefreiheit insoweit sehr wohl etwas Subjektivrechtliches zukam, als schon der Anspruch auf Nichtvornahme von Eingriffen, die nicht durch ein Gesetz gerechtfertigt sind, jene „Negation", als die Klagebefugnis begründendes Recht im Sinne des § 127 Abs. 3 L V G angesehen wurde. Sonst hätte ja die Berufung gegen das Urteil des Bezirksausschusses wegen Unzulässigkeit der Klage zurückgewiesen werden müssen. - (174) Die Gewährleistung der Bekenntnisfreiheit war Gegenstand des Gesetzes vom 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung 884 , das alle bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ausdrücklich aufhob. - (175) De;i Grundsatz „Nulla poena sine lege " statuierte erstmals bundesgesetzlich § 2 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 8 8 5 . - (176) Mit der Gründung der Reichspost garantierte § 5 des Gesetzes über das Postwesen des Deutschen Reichs vom 28. Oktober 1871 8 8 6 die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses. - (177) Die Freiheit der Presse, die den älteren Ausdruck der „Preßfreiheit" (Art. 27 Abs. 2 PrVerf) ablöste, unterlag nach § 1 des Gesetzes 882 p r 0VGE 38, 58 (66). Die Entscheidung blieb im Schrifttum nicht ohne Kritik, etwa bei Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 301 f. und Kunze, Das Verwaltungsstreitverfahren, 1908, S. 301. 883 Ebenso mit Recht Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 301. 884 BGBl. NDB 1869, Nr. 319, S. 292. 885 BGBl. NDB 1870, Nr. 496, S. 197-273. 886 RGBl. 1871, Nr. 718, S. 347-358.

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee über die Presse vom 7. Mai 1874 8 8 7 nur denjenigen Beschränkungen, die durch jenes Gesetz vorgeschrieben und zugelassen waren.

- (178) Zahlreiche Justizgrundrechte wurden durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 8 8 8 gewährleistet, so die Unabhängigkeit der Richter (§ 1), die freilich nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung kein Grundrecht der Parteien und des Angeklagten w a r 8 8 9 , den Justizgewährungsanspruch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 13), die Gewährung des gesetzlichen Richters (§ 16 S. 2), das Verbot von Ausnahmegerichten (§ 16 S. 1), die Garantie der gerichtlichen und nicht administrativen Entscheidung von Kompetenzkonflikten (§17 Abs. 1). - (179) Mit Bestimmungen über die Beschlagnahme und Durchsuchung (§§ 94-111) sowie über die Verhaftung und vorläufige Festnahme (§§ 112-132) sicherte die Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 8 9 0 des Besitzes und der Wohnung sowie die Freiheit die Unverletzlichkeit der Person gegen willkürliche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen. - (180) Das Fernsprech- und Telegraphengeheimnis wurde durch § 8 S. 1 des Gesetzes über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs vom 6. April 1892 8 9 1 für unverletzlich erklärt. - (181) Relativ spät, erst durch das Vereinsgesetz vom 19. April 1908 8 9 2 , wurde den Reichsangehörigen das Recht zugestanden, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln (§ 1 Abs. 1 S. 1). Damit war auch die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit auf eine gesamtstaatliche Gesetzesgrundlage gestellt, die gegenüber dem Landesgesetzgeber für „polizeifest" erklärt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 2). - (182) Die Bestandsgarantie des Eigentums drückte sich in einer Fülle von Gesetzen aus, die für Enteignungsakte und die Aufopferung von Vermögenswerten für das gemeine Wohl vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgende Entschädigungs-, Ausgleichs- und Vergütungsansprüche vorsahen. Hierbei handelte es sich auf Reichsebene namentlich um § 3 887

RGBl. 1874, Nr. 1003, S. 65-72. RGBl. 1877, Nr. 1163, S. 41-76. 889 Daß die richterliche Unabhängigkeit kein Grundrecht des Richters ist (BVerwGE 78, 216 [220 f.]), leuchtet ein; daß sie auch kein Grundrecht der Prozeßpartei ist (BVerfGE 48, 246 [263]), die ein aus Art. 2 Abs. 1 GG ableitbares Recht auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren hat, ist nicht so selbstverständlich, wie gewöhnlich angenommen wird. 890 RGBl. 1877, Nr. 1169, S. 253-346. 891 RGBl. 1892, Nr. 2015, S. 467-470. 892 RGBl. 1908, Nr. 3449, S. 151-157. 888

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert Abs. 1 des Gesetzes vom 7. April 1869, Maaßregeln gegen die Rinderpest betreffend 893 , § 51 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 8 9 4 , zahlreiche Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Dezember 1871, betreffend die Beschränkung des Grundeigenthums in der Umgebung von Festungen 895 und des Gesetzes über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 8 9 6 , die §§ 57-64 des Gesetzes vom 23. Juni 1880, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen 897 , § 6 des Gesetzes vom 6. Juli 1904, betreffend die Bekämpfung der Reblaus 8 9 8 und nicht zuletzt den im übrigen fortgehenden § 75 Einl. A L R 8 9 9 . - (183) Sofern man den Ersatz von Schäden, die durch eine rechtswidrige hoheitliche Tätigkeit enstanden sind, nicht nur für eine rechtsstaatliche Grundpflicht des Staates, sondern auch für ein Grundrecht des Geschädigten h ä l t 9 0 0 , ist noch auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Haftung des Reichs für seine Beamten vom 22. Mai 1910 9 0 1 hinzuweisen, der, wenn auch nicht anspruchsbegründend, sondern anspruchsvoraussetzend, nachdem § 839 BGB eine persönliche Haftung des Beamten für schuldhafte Amtspflichtverletzungen positiviert hatte, diese Haftung, was Reichsbeamte anbelang, auf das Reich verlagerte. (184) Auch wenn die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts zunächst eine Erscheinung des Verwaltungsrechts blieb, - Grundrechte und subjektive öffentliche Rechte also zweierlei waren - , muß der Streit um die Grundlage dieser freiheitsbegründenden Normen für die Entwicklung von Abwehrrechten als nebensächlich und ohne praktische Auswirkungen erscheinen. Wesentlich war aus geistesgeschichtlicher Sicht allein, daß die Möglichkeit von Individualrechten gegen den Staat weitestgehend anerkannt war. Die Ableitung dieser Rechte aus Grundrechten hätte an ihrer Tragweite und Struktur zu jener Zeit nichts verändert: Ein Verständnis für eine Rangordnung der Rechtsnormen war noch nicht vorhanden und eine grundrechtliche Bindung des Gesetzgebers noch nicht anerkannt. Der schroffe Gegensatz zwischen verfassungsmäßigen und einfachgesetzlichen 893

BGBl. NDB 1869, Nr. 263, S. 105-107. Fn. 881. 895 RGBl. 1871, Nr. 759, S. 459-471. 896 RGBl. 1873, Nr. 931, S. 129-137. 897 RGBl. 1880, Nr. 1389, S. 153-168. 898 RGBl. 1904, Nr. 3058, S. 261-265. 899 Für BGHZ 6, 270 (281) stellten die §§ 74, 75 Einl. ALR „eine sehr umfassende allgemeine Eigentumsgarantie" dar. 900 Die in der Kommentarliteratur immer wieder zitierte und auch im Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, hg. vom Bundesverfassungsgericht, Band Stand: 92. Ergänzungslieferung 1997, zu Art. 34 GG ausgewiesene Entscheidung BVerfGE 2, 336 (338 f.), besagt nicht das Gegenteil. 901 RGBl. 1910, Nr. 3772, S. 798-800. 894

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

Staatsabwehrrechten, von dem sich die spätkonstitutionelle Staatslehre von v. Gerber bis Bühler über ein halbes Jahrhundert faszinieren zu lassen schien, muß demnach als von inhaltlich sekundärer und weitgehend terminologischer Art erkannt werden 9 0 2 , zumal die Übergänge zunehmend verschwammen, wenn Grundrechte zumindest als durch die einfache Rechtsordnung verliehene subjektive Rechte bezeichnet 903 oder als Grundlage für die Ableitung von Individualrechten anerkannt wurden 9 0 4 . cc) Die Allmacht des Gesetzesstaates (185) Manch einer lehnte schließlich nicht nur subjektivrechtliche Grundrechtsgehalte, sondern schlechthin Individualrechte des einzelnen gegen den Staat ab, ganz gleich, ob verfassungsmäßige oder einfachgesetzliche Rechte. Bei ihnen handelte es sich nicht nur um „unbelehrbare, reaktionäre ewig Gestrige", sondern um Persönlichkeiten mit Rang und Namen, wie den Rechtspolitiker Rudolf Gneist (1816-1893), der ganz maßgeblich zur Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen beitrug 9 0 5 . Die Begründungen für diese schlechthin ablehnende Haltung waren in ihren Einzelheiten unterschiedlich, der gemeinsame Kern lag jedoch in der Allmacht des Gesetzesstaates, in dem das Öffentliche Recht als „Inbegriff von Normativbestimmungen für die Ausübung der obrigkeitlichen Gewalt, abgeleitet vom Staate und existent durch und in dem Staate" 9 0 6 alleine im Interesse des Gemeinwesens gehandhabt würde 9 0 7 oder das subjektive Recht zur Naturalobligation mutierte, wenn es sich gegen den Staat richtete, weil dieser es durch seine Gesetzgebung jederzeit hätte vernichten können 9 0 8 . Subjektive öffentliche Rechte des einzelnen gegen den Staat gehörten deshalb in den Bereich des Unmöglichen 9 0 9 . (186) Näheres Hinsehen zeigt aber auch hier, daß die ablehnende Haltung eher terminologischer Natur w a r 9 1 0 und daß trotz unterschiedlicher Be902 Sachs, in: Stem: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 515 f. 903 V. Stengel , Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen Rechte, VerwArch. 3 (1895), S. 177 (194-197). 904 V. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, S. 65 f. 905 Näheres zur gneistschen Konzeption und zu ihrer (oft überschätzten) Auswirkung auf den preußischen Verwaltungsprozeß unter Tn. 448—453. 906 Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 2. Aufl. 1879, S. 270. 907 Gneist a.a.O., S. 270 f. 908 Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Erster Band, 2. Aufl. 1911, S. 285 f.; in diesem Sinne auch Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältniß, 1888, S. 13. 909 Bornhak a.a.O., S. 285. 910 So ausdrücklich Bornhak a.a.O., S. 285.

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tonung individueller und öffentlicher Interessen inhaltliche Übereinstimmungen bestanden. Wenn für Gneist entscheidend war, ob ein „Missbrauch der Person und des Vermögens, und die Versuchung zu einem solchen Missbrauch, erheblich genug [ist], um dies Interesse zu einem Klagerecht zu condensiren und durch eine Rechtscontrole mit contradictorischem Verfahren zu schützen", dann rückte er - trotz seiner unterschiedlichen staatstheoretischen Grundauffassung - ein gesetzlich geschütztes und materielles Interesse des einzelnen genauso in den Mittelpunkt seines Rechts(schutz)systems, wie es die sich ausbreitende „Schutznormtheorie" t a t 9 1 1 . Andere betonten, die ganze Streitfrage sei von sehr geringer praktischer Bedeutung, insbesondere gebe die Leugnung des subjektiven Rechts des Staatsangehörigen keineswegs absolutistischer Willkür Raum 9 1 2 . (187) Doch trotz dieser anzuerkennenden inhaltlichen Übereinstimmungen blieben die sprachliche Akzentverschiebung und „stärkere Beton u n g " 9 1 3 des öffentlichen Interesses gleichwohl Ausdruck einer prinzipiellen Abneigung, dem Individuum eine der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung korrespondierende Position als ihm gehörig und dem Staat gegenüber durchsetzbar anzuerkennen 914 . Erst dieser Schritt, die Zuweisung von „Mein" und „Dein", die Anerkennung von „Recht" und „Gegenrecht", weit mehr als eine terminologische Nuance, machte aus dem passiven Objekt der (wenn auch: gesetzlich gebundenen) Verwaltung ein aktives Subjekt, erst er vollendete den bürgerlichen Staat als subjektiven Rechtsstaat.

b) „ Schutznormtheorie " (188) War die Möglichkeit subjektiver Rechte des einzelnen gegen den Staat um die Jahrhundertwende in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft geklärt und wurde ihre Besonderheit darin gesehen, daß „der vom Staat gewährte Anspruch [...] nur von ihm auch erfüllt" w i r d 9 1 5 , verlagerte sich die Diskussion auf Begriff und Entstehungsvoraussetzungen dieser wiederentdeckten Individualpositionen 916 . Der Ausgangspunkt war: Quelle al911

Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 31 f.; Sachs, in: Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 524. 912 Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Erster Band, 2. Aufl. 1911, S. 286. 913 Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 32. 914 Zum genauen Hintergrund Gneists, nicht auf materielle Rechte, sondern auf ein formelles Beschwerderecht abzustellen, weil das Verwaltungsstreitverfahren seiner Konzeption nach ein popularklageähnliches Verfahren sein sollte, Tn. 462 und 467. 915 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 68. 916 Exemplarisch Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 1 f. 14 Malmendier

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len Rechts ist der staatliche Rechtssatz. Auch soweit man die Möglichkeit rechtsgeschäftlich begründeter subjektiver öffentlicher Rechte anerkannte, betonte man doch ihren Ausnahmecharakter und rückte das Gesetz ganz in den Vordergrund 917 , zumal ex volante begründete Rechte sich meistens gesetzlicher Regelungen im Privatrecht erfreuen konnten. In den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung rückte jetzt, anhand ähnlicher Unterscheidungskriterien, wenn auch ohne terminologisch-begrifflichen gemeinsamen Nenner, die Abgrenzung zwischen bloßen Reflexwirkungen objektiven Rechts und zu subjektiven Rechten erstarkten Interessen 918. Im Gesetzesstaat war die Einräumung subjektiver Rechtspositionen ein Akt freiwilliger Selbstbeschränkung des Staates 919 . Alleine er entschied über ihre rechtssatzförmige Gewährung. Seine Gesetze mußten deshalb unter dem Aspekt analysiert werden, ob sie individuellen Interessen die weiterreichende Qualität subjektiver Rechte anerkannten. Maßgebend sollte der dem Rechtssatz vom Gesetzgeber beigelegte Zweck sein, die Intention des Rechtssatzes, ob er gezielt „zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen i s t " 9 2 0 , ob er „offenbar und unzweifelhaft" in der Absicht erlassen wurde, „der Verwaltung zum Schutze von Individualinteressen in der Verfolgung der öffentlichen Interessen eine Schranke zu ziehen" 9 2 1 . Die Frage war, ob der Schutz der Interessen durch eine Rechtsnorm final oder faktisch erfolgte, ob er „nicht nur zufällige Folge, sondern auch Zweck dieser Gesetze i s t " 9 2 2 . (189) Diese (soweit ersichtlich, im zeitgenössischen Schrifttum noch nicht als solche bezeichnete) „Schutznormtheorie" verschloß sich von ihrer Zielsetzung her weder der Rangordnung der Rechtsnormen, - mit ihrer Hilfe konnten sowohl Rechtssätze des Verfassungsrechts als auch des einfachen Rechts auf ihre subjektivrechtlichen Gehalte untersucht werden - , noch den Eingriffskonstellationen - sie ließ sich in zwei- und mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen fruchtbar machen - , noch den Arten des 917 Bühler a.a.O., S. 16: „Die Grundlage der subjektiven öffentlichen Rechte, mit denen wir es hiemach allein zu tun haben, nannten wir bis jetzt Gesetz." 918 V. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 415; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 68; Bühler a.a.O., S. 18, 42 f. Zu den Zusammenhängen zwischen Freiheit und Interesse Tn. 213. 919 Tn. 158 f. 920 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 21; ähnlich bereits G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 79. 921 V. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 415. 922 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 45.

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Individualinteresses, - das Interesse an der Erhaltung des status quo ante konnte genauso geschützt sein wie das Interesse an der Erzielung eines status ad quem, das schützbare Interesse reichte von der umfassenden Handlungsfreiheit bis hin zum spezialisierten freiheitlichen Einzelaspekt. Diese Breite der „Schutznormtheorie " scheint heute nicht immer bedacht zu werden, wenn in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen weiterführende Fragestellungen gern mit der grundrechtlich fundierten und subsidiär auf Art. 2 Abs. 1 GG gemünzten „Adressatentheorie" übergangen werden; mit der Formel, es müsse nur dann „geprüft werden, ob subjektive eigene Rechte oder zumindest anderweitig rechtlich geschützte Interessen verletzt sein könnten", wenn „ein Kläger nicht (unmittelbarer) Adressat eines angegriffenen Verwaltungsaktes" sei 9 2 3 , erweckt das Bundesverwaltungsgericht den Eindruck, Grundrechte und subjektive öffentliche Rechte seien zweierlei. So rückt die gedankliche Assoziation von Schutznormen und gar subjektiven öffentlichen Rechten ausschließlich mit Dnttrechten in greifbare Nähe, weil angesichts des lückenlosen Grundrechtsschutzes vor unmittelbaren Eingriffen 9 2 4 nur in mehrpoligen Verwaltungsrechtsbeziehungen ein praktisches Bedürfnis zur Herleitung einfacher öffentlicher Individualrechte besteht, eine Gleichung („Subjektives Recht = Drittrecht"), die die Einseitigkeit der heutigen Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts ausdrückt. Eine Rückbesinnung auf die offenen Wurzeln der „Schutznormtheorie" könnte den heutigen Horizont erweitern, wie bereits angedeutet wurde und noch zu zeigen sein w i r d 9 2 5 . (190) Trotz der Überbetonung der schaffenden Kraft des Rechtssetzers verstand sich die „Schutznormtheorie" schon damals, in ihren Anfängen, keinesfalls als die optimale, sondern nur als die praktikabelste Lösung 9 2 6 : Es sei wegen der Lückenhaftigkeit und Unklarheit vieler Verwaltungsgesetze nicht immer möglich, mit ihr die Scheidung von Recht und Nichtrecht in concreto in zweifelsfreier Weise durchzuführen 927 , die Abgrenzung von Rechten und Reflexen sei außerordentlich schwierig, wie immer, wo der Jurist der sicheren Handhabe des formellen Kriteriums entbehre 928 , die Frage, wann Individualinteressen als subjektive Rechte anerkannt seien, sei ungleich schwieriger zu beantworten als die Feststellung, daß die Zustän923

BVerwG, NVwZ 1993, 884 (885). Zum Begriff der Unmittelbarkeit Tn. 322. 925 Tn. 141, 263. 926 Ähnlich Bauer; Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 82 f. 927 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 21. 928 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 70 f.; siehe auch S. 53. 924

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digkeit der Verwaltungsgerichte an eine Rechtsverletzung anknüpfe 929 . Daß den Gesetzesmaterialien meistens nur wenig über die gesetzlichen Schutzintentionen abgewonnen werden kann und sich vorwiegend das Allgemeininteresse betont findet, konstatierte man schon damals 9 3 0 . Man müsse deshalb, so führte Bühler aus, um die wirkliche Natur eines Gesetzes auf seine individualschützende Intention zu überprüfen, danach sehen, wem es „in Wirklichkeit unmittelbar zustatten k o m m t " 9 3 1 . Zuvor hatte der württembergische Staatsrat Otto von Sarwey (1825-1900) bereits erklärt, auch die sorgfältigste Kodifikation könne der Wissenschaft und Rechtsanwendung die Bestimmung subjektiver Rechte niemals ersparen 932 . Damit war bereits zur Blütezeit des Gesetzespositivismus die Möglichkeit eröffnet, den Rechtssatz einer Ergänzung praeter und sogar contra legem zu unterwerfen. Die Unsicherheit bei der Bestimmung subjektiver Rechte sollte sich insbesondere in der partikularen Entwicklung der Bau- und Gewerbenachbarklagen zeigen 9 3 3 . Die schaffende Kraft des Rechtssetzers entwickelte sich - ganz im Sinne heute „vorrangiger" Auslegungskriterien 934 - zur schaffenden Kraft des Rechts, und, da diesem von Menschenhand ein Sinn beigelegt werden muß, zur schaffenden Kraft des Rechtsanwenders. Der Gesetzesstaat fing an zu bröckeln. Rechtstheoretisch war die Ergänzung eines indifferenten Gesetzes auf unterschiedliche Art und Weise möglich. Eine Einsicht in die Rangordnung von Rechtssätzen war noch nicht vorhanden 935 . Übrig blieb schon damals eine allgemeine Auslegungsregel und Vermutung zugunsten der Interessenten, mehr der Theorie, weniger der Praxis nach, auf die gleich einzugehen sein wird. (191) Keine bis heute nachwirkende strukturelle Schwäche dieser materiellrechtlich ausgerichteten Konzeption, sondern ihrer Anpassung an die Bedürfnisse der Rechtsprechung ist, daß sie aus der Sicht des Richters umformuliert wurde, den nicht interessiert, ob der Rechtssatz der Befriedigung irgendwelcher Individualinteressen dient, sondern ob der Kläger zum begünstigten Personenkreis gehört. Die eine Frage betrifft die Rechtsgrundlagenqualität der Norm, die andere den personalen Schutzbereich und damit die Entstehungsvoraussetzungen der Rechtsposition zugunsten eines bestimmten Rechtsträgers. Der Praktiker untersucht beide Fragen auf einmal, 929

V. Sarwey,

Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880,

S. 415. 930

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 44 f.; siehe auch S. 49 f. 931 Bühler a.a.O., S. 44. 932 Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 415. 933 Tn. 361-366. 934 Tn. 212. 935 Tn. 327-332.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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da ihn nicht nur interessiert, ob eine Norm überhaupt Rechte begründet, sondern darüber hinaus, ob der Kläger zum begünstigten Personenkreis gehört: Er weist eine Klage auch dann ab, wenn der streitigen Vorschrift rechtsbegründende Qualität zukommt, der Kläger sich aber als Prozeßstandschaftler aufspielt, und formuliert als Klagevoraussetzung (ungenau 9 3 6 ), daß die in Frage stehende Regelung zumindest auch dem individuellen Interesse des Klägers zu dienen bestimmt sein muß. So handelt er die zweite Frage, ob der Kläger (im Einzelfall) zum begünstigten Personenkreis zu rechnen ist, zusammen mit der ersten Frage ab, ob eine Norm (generell) individualschützend wirkt. Die Wissenschaft dagegen sollte den nur äußerlich einstufigen - Denkvorgang des Praktikers der Klarheit zuliebe in zwei Fragen aufteilen. (192) Überliefert wurden uns von Bühler mit seiner 1914 erschienenen Habilitationsschrift „Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung" Begriff 9 3 7 und Entstehungsvoraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts. Nur scheinbar verschmolz er sie in seinen Überlegungen zu einer Definition besonderer A r t 9 3 8 . V. Sarwey hatte durch Übertragung der Gedanken Jherings ins Öffentliche Recht das rechtlich geschützte Individualinteresse als Ausgangspunkt subjektiver öffentlicher Rechte entdeckt 939 . Diese Rezeption bedeutete für die verwaltungsrechtliche Praxis weit mehr als die Herstellung einer Symmetrie zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht durch geistige Ausleihe von der „reiferen Schwester" 940 des Privatrechts. Während nämlich das Kriterium des Interessenschutzes im Privatrecht eher rechtstheoreti936

Allenfalls Maßnahmegesetze bezwecken den Schutz einer bestimmten Person. Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 224. An ihm hielt er in der Nachkriegszeit ausdrücklich fest (Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 269 [274]). 938 Was Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 70, 77, 79, verkennen dürfte. 939 Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 79 und 415; zu diesen und anderen Einflüssen v. Jherings auf die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts Bachof, Reflex Wirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 287 (288); Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 75 f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 35; Sachs, in: Stem: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 524 f., 534 f., 547 f. Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 21 f., hat nachgewiesen, daß es Ansätze dieses „Schutzzweck-Denkens" schon im ausgehenden 18. Jahrhundert gab; siehe dazu bereits Tn. 63. 940 Labandy Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 1876, Vorwort, S. VIII. 937

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sehe Bedeutung behielt, weil über die Funktion allen Privatrechts, individuelle Interessen auszugleichen, Einigkeit herrschte, entwickelte es sich im Öffentlichen Recht zu dem maßgeblichen Kriterium zur Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte 9 4 1 . Auf diese rezipierten Erkenntnisse aufbauend, konnte Bühler den von G. Jellinek für das Öffentliche Recht fruchtbar gemachten Begriff des subjektiven Rechts, „die von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte auf ein Gut oder Interesse gerichtete menschliche Willensmacht" 9 4 2 , in seine Überlegungen aufnehmen und, ohne ihn in Frage zu stellen, mit Blick auf die praktische Tätigkeit der sich entwickelnden Verwaltungsrechtsprechung, näher ausfüllen und verfeinern. Kein anderer hat aus heutiger Sicht die Lehre des subjektiven öffentlichen Rechts so geprägt wie Bühler, weil er das abstrakte subjektive Recht von der Rechtstheorie auf die Ebene der Rechtsanwendung zurückholte und für die tägliche Rechtsfindung der Verwaltungsgerichte operabel machte: Ein Rechtssatz brachte für ihn (193) „subjektive öffentliche Rechte für den Untertan dann und nur dann zur Entstehung, wenn er 1. zwingenden Charakter trägt, d.h. das freie Ermessen der Verwaltung bei seiner Anwendung ausschliesst, 2. zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise, zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen ist, und wenn er 3. im Interesse dieser Personen mit der Wirkung erlassen ist, dass sie sich auf ihn sollen berufen, mittels desselben ein bestimmtes Verhalten von der Verwaltungsbehörde sollen herbeiführen können."943 (194) Es fällt nicht schwer, (geringfügig modifizierte 944 ) Gemeinsamkeiten zwischen dieser klassischen Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte, - von der Bühler in seiner Bescheidenheit sagte, sie bringe „nichts grundsätzlich Neues" und formuliere nur das, „was mehr oder weniger bewusst die Theorie bisher schon angenommen hat" , wie er von seiner De941 Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 81. 942 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 44. 943 Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 21. In einem ähnlichen Drei-Punkte-Programm hatte 1880 v. Sarwey (Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880, S. 415) - anders als Bühler: negativ - bestimmt, wann eine Anerkennung eines subjektiven Rechts zu verneinen ist: „1. wo die die gesetzliche Vorschrift sich als Instruktion, nicht als zum Schutze der individuellen Rechtssphäre gegeben darstellt; also 2. überall, wo die Verwaltung nach ihrem Ermessen zu handeln befugt ist; 3. wo das Interesse eines Einzelnen überhaupt nicht unmittelbar berührt ist, wo vielmehr Interessen verfolgt werden, die außerhalb der individuellen Interessensphäre liegen." 944 Bühler selbst nahm an diesen Korrekturen teil (siehe etwa seine Abhandlung „Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte", in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 269 [276-278]).

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finition sagte, sie solle keine Zauberformel sein 9 4 6 - und der heute überwiegend „eingliedrig" alleine am Individualinteresse orientierten „Schutznormtheorie" 947 zu finden. Später räumte Bühler ein, er könne die Behauptung riskieren, „daß der von mir formulierte Begriff der in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung herrschende i s t " 9 4 8 . Die Gemeinsamkeiten werden um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß Bühler genau zwischen dem Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts und seinen Entstehungsvoraussetzungen unterschied 949 (eine Unterscheidung, deren Beachtung noch heute manch ein Mißverständnis verhindern würde). In seinem überlieferten Satz über die Voraussetzungen der Entstehung eines subjektiven Rechts tauchte zwar eine Form der Rechtsmacht auf, nämlich die Fähigkeit der Interessenten, mittels des Rechtssatzes ein bestimmtes Verhalten der Behörden herbeizuführen. Auch an anderen Stellen seiner Habilitationsschrift tauchte diese Fähigkeit als erforderliche Eigenschaft desjenigen Rechtssatzes auf, der ein subjektives Recht zur Entstehung bringen soll 9 5 0 . Doch näheres Hinsehen zeigt, daß diese Rechtsmacht der Sache nach nicht Voraussetzung, sondern Folge des intendierten Interessenschutzes, also Begriffsmerkmal, nicht Entstehungsvoraussetzung des subjektiven (öffentlichen) Rechts sein sollte 9 5 1 , - und noch heute i s t 9 5 2 . (195) Denn Bühler ging von einer „Präsumtion für die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechts [ ... aus], wenn ein Gesetz zwingend und zum Schutz von Individualinteressen erlassen ist, weil das Nächstliegende doch ist, dass Wahrer der geschützten Interessen der Interessent selber sein soll, dass die Handhaben, die das Gesetz bietet, für ihn bestimmt sind." 9 5 3 Korrekturen hielt er in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen nur für 945

Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 8 und 59. 946 A.a.O., S. 224. 947 Tn. 221. 948 Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 269 (272). 949 Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 15. 950 A.a.O., S. 47 f., 55. 951 Sachs, in: Stem, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 537; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 204 Fn. 103. 952 D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 56 m.w.N.; Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen „théorie des droits subjectifs des administrés", 1976, S. 65; Wiebel, Wirtschaftslenkung und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz des Wirtschafters nach dem Erlaß des Stabilitätsgesetzes, 1971, S. 47.

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geboten, wenn der Gesetzgeber die Rechtsmacht ausdrücklich vorenthielt 954 , und in dreipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen, wenn die gesetzlichen Bestimmungen die Interessen des Dritten nicht in das Verhältnis zwischen Verwaltung und Regelungsadressaten einbezogen oder sonst Verwaltung und Dritten, insbesondere durch eine drittfreundliche Ausgestaltung des Verfahrens, zueinander in Beziehung setzten 955 . Mit anderen Worten: Bezweckte ein Rechtssatz den Schutz individueller Interessen, wurde die Rechtsmacht vermutet. Dabei beließ es Bühler nicht, er ging viel weiter und vermutete darüber hinaus im Zweifel die Schutzintention des Rechtssatzes. Man hätte „ i m Zweifel wohl anzunehmen, dass ein Rechtssatz, der faktisch Individualinteressen zugute kommt, mindestens dann, wenn dies ohne weiteres vorauszusehen war, auch den Zweck hat, ihnen zu dienen, und dass er daher geeignet ist, wenn auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, subjektive öffentliche Rechte für die Destinatäre dieses Rechtssatzes hervorzubringen" 956 . Der Nachsatz („wenn auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind") muß angesichts seiner weiteren Vermutung sarkastisch erscheinen. An Voraussetzungen, die für die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts gestellt wurden, blieb bis auf die faktische Begünstigung nicht mehr viel übrig. Nicht nur die Rechtsmacht, sondern das subjektive öffentliche Recht schlechthin wurde vermutet. Die gegenwärtige „eingliedrige" Entwicklung der „Schutznormtheorie" 957 war damit vorgezeichnet. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes erschien denn auch prompt eine vermeintlich neue Vermutungsthese in anderem Gewand mit hypnotischen Anziehungskräften 958 . (196) Diese im Spätkonstitutionalismus entwickelte „Schutznormtheorie" dient der Rechtsprechung bis heute zur Bestimmung subjektiver Rechtspositionen 9 5 9 . Das zeigt, wie grundlegend die Erkenntnisse des Spätkonstitutionalismus auch das Verständnis unserer heutigen Rechtsordnung prägen. Das verdeutlicht aber auch die Gefahr, Vorstellungen des Gesetzesstaates unkritisch im Verfassungsstaat zu realisieren, nämlich alleine dem einfachen Gesetzgeber die Frage zu überlassen, ob er ein individuelles Interesse als durch sein Gesetz geschützt anerkennt. Trotz der zumindest seit Inkrafttreten der Artt. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG selbstverständlich gewordenen grundrechtlichen Überlagerung auch der ersten Gewalt ist es erstaunlich, 953

Bühler; Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 54 f. 954 Bühler a.a.O., S. 51. 955 » r a . a . O . , S. 52-54. 956 A.a.O., S. 45. 957 Tn. 221. 958 Tn. 214. 959 Tn. 221.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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wie lange die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft gebraucht hat, um auch verfassungsrechtliche Weitungen zur Bestimmung des einfachrechtlichen Individualschutzes heranzuziehen, um die alte Schutznormtheorie zu „vergrundrechtlichen", um die „Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm im Rahmen der Verfassung" 960 zur Quintessenz des subjektiven öffentlichen Rechts zu machen. Und dieser Anpassungsvorgang und Überleitungsprozeß ist noch lange nicht abgeschlossen, wie jüngste verwaltungsgerichtliche Entscheidungen deutlich machen 961 . c) Umfassende Eingriffsfreiheit (197) Noch kannten die Verfassungen der deutschen Staaten keine allgemeine Handlungsfreiheit in der Deutlichkeit, wie sie heute als tatbestandlich subsidiäres Auffanggrundrecht von Art. 2 Abs. 1 GG - nicht mehr nur als persönliche Freiheit oder Freiheit der Person, sondern als Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit - statuiert wird. Gleichwohl lassen sich e/flze/staatliche Vorläufer in der deutschen Rechtsentwicklung finden. Schon (der offenbar unter Montesquieuischem Einfluß stehende 962 ) § 87 Einl. ALR bezeichnete Handlungen, die weder durch natürliche noch durch positive Gesetze verboten waren, als erlaubt; das zeitgenössische Schrifttum, das die Verschmelzung natürlicher und bürgerlicher Freiheit im Allgemeinen Landrecht 963 nicht wahrhaben wollte und der „natürlichen Freyheit" des § 83 Einl. (wie überhaupt den „allgemeinen Rechten") jede rechtliche Bedeutung im gesellschaftlichen Zustand absprach, sah - entsprechend dem zugrundegelegten naturrechtlichen Ansatz - in § 87 Einl. lediglich die Beschreibung der libertas civilis als residuum libertatis naturalis, die durch den Inbegriff der Bestimmungen des Landrechts geformt wurde 9 6 4 . Demgegenüber unterschied der Hauptschöpfer des Allgemeinen Landrechts, Svarez, in seinen Kronprinzenvorträgen nicht mehr zwischen dem natürlichen und bürgerlichen Zustand und entwickelte ein „allgemeines Recht der natürlichen und bürgerlichen Freiheit", alles zu tun, was nicht gesetzlich verboten i s t 9 6 5 ; daß diese seine Vorstellung in § 87 Einl. A L R eingeflossen ist, 960

Schmidt-Preuß,

Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992,

S. 191. 961

Tn. 263. Dazu sogleich Tn. 200-203. 963 Tn. 37. 964 Bielitz, Praktischer Kommentar zum allgemeinen Landrechte für die preußischen Staaten, Erster Band, 1823, Erl. der §§ 82-87 Einl. S. 194 f.; C. F. Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Band, 7. Aufl. 1878, Anm. 90 zu § 83 Einl.). 965 privatrecht, 1791/92, in: Conrad/Kleinheyer (Hg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), 1960, S. 215 (259), 962

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1. Teil: Ausbildung und Verrechtlichung der Freiheitsidee

liegt nahe. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, daß das Allgemeine Landrecht die allgemeine Handlungsfreiheit so gewährte, wie es heute Art. 2 Abs. 1 GG tut. Über einen unenfaltet gebliebenen Ansatz nicht hinausgehend, wurde die Freiheit in dem an die ständisch-absolute Staatsverfassung festhaltenden Landrecht nur marginal und in deutlicher Abschichtung zu den wohlerworbenen Rechten behandelt. Das Landrecht blieb in dieser Hinsicht auch hinter der zeitgenössischen Naturrechtstheorie zurück, wenn auch die Verschmelzung natürlicher und bürgerlicher Freiheit zum Ausdruck kam. Aber die Freiheit fand im Landrecht immerhin als verrechtlichte Erscheinung Eingang und blieb als solche entwicklungsfähig 966 . (198) Ferner möchte man meinen, daß Verfassungsbestimmungen wie § 13 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom 22. August 1818 9 6 7 , § 24 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 9 6 8 , Art. 23 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820 9 6 9 , § 31 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831 9 7 0 und § 27 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. September 183 1 9 7 1 , die die „Freyheit der Person und des Eigenthums" - so die Formulierung der hessischen Verfassung von 1820 - in einer Grundrechtsbestimmung garantierten 972 , in Anknüpfung an die Freiheit-und-Eigentum-Formel, wie sie im Aufklärungszeitalter etwa von Justi 973 und E. F. Klein 974 gebraucht wurde, eine umfassende Handlungsfreiheit meinten, indem sie ihre persönlichen und dinglichen Aspekte umschrieben. Die geistesgeschichtliche Entwicklung spricht dafür 9 7 5 . Indes war auch hier, wie überwiegend im ganzen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, - trotz anfänglich anderer Deu966

Zu diesen historischen Wurzeln des Art. 2 Abs. 1 GG im Allgemeinen Landrecht Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I: Art. 1-19, 1996, Rn. 4 zu Art. 2 I; Merten, Die Rechtsstaatsidee im Allgemeinen Landrecht, in: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat, 1995, S. 109 (131135); Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 401; kritisch demgegenüber Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, 1976, S. 169 f., und Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, 1993, S. 340 f., 370, 373-375. 967 Fn. 518. 968 Fn. 519. 969 Fn. 523. 970 Fn. 524. 971 Fn. 525. 972 Weitere Nachweise von Verfassungen, die den Begriff der Freiheit und des Eigentums verbunden oder getrennt aufnahmen bei Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 124 Fn. 101, 104. 973 Natur und Wesen der Staaten, 1771, § 57, S. 125. 974 Freyheit und Eigenthum, 1790. 975 Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 126.

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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tungen im Schrifttum 9 7 6 - mit Freiheit der Person die des heutigen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, also Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Verfolgung gemeint 9 7 7 . Titel I V § 8 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 9 7 8 sprach, insoweit klarer, noch von der „Sicherheit seiner Person". Erst im Spätkonstitutionalismus, nachdem das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Allgemeingut geworden war und man nach einem subjektivrechtlichen Äquivalent zu suchen begann 979 , wurde der Versuch unternommen, diesem durch eine Ausdehnung der persönlichen Freiheit verfassungsrechtlich einen Platz zuzuweisen 980 . Und erst in der Weimarer Staatsrechtslehre wurde aus diesem Versuch eine gängigere, wenn auch noch immer nicht die herrschende Auffassung 981 . aa) Der status negativus (199) Die einzelnen, speziellen Schutzbereiche, von der persönlichen Freiheit über die Freiheit der Auswanderung und des religiösen Bekenntnisses bis zur Preßfreiheit, um nur einige zu nennen, waren die Reaktion auf frühere Beschränkungen solcher Freiheitsbereiche, die als obrigkeitliche Einschnitte besonders sensibel empfunden wurden, sie waren „zuvörderst Negationen bisher in Kraft gewesener Beschränkungen" 982 . Heute, mit der allgemeinen und umfassenden, offenen und unbegrenzten, die Staatsgewalt von der Legislative über die Exektutive bis zur Judikative bindenden und sich auf die gesamte Breite möglicher Inhalte menschlichen Wünschens er976

Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, Zweiter V. Aretin/v. Band, 2. Aufl. 1839, S. 3: „Die Freiheit der Person schließt in sich: [...] 5) Ueberhaupt das Recht zu thun, was nicht durch ein Gesetz verboten ist"; Pfeiffer, Practische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft, Fünfter Band, 1838, nannte „das Recht, zu thun, was nicht durch ein Gesetz verboten ist", das „Fundamentalprinzip des constitutionellen Staatsrechts" (S. 523) und fand eine positive Stütze für dieses Fundamentalrecht in den Verfassungstexten fand (S. 523-525). 977 Hantel, Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs, 2 GG, 1988, S. 168; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 130 f. m.w.N.; v. Münchhausen, Die Grund- und Freiheitsrechte im geltenden preußischen Recht, 1909, S. 44-48; v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, 1973, S. 137. 978 Fn. 517. 979 Dazu nachfolgend Tn. 204 f. 980 Tn. 204, speziell Fn. 993 mit weiterführender Verweisung. 981 Zur Tragweite des Art. 114 WRV Tn. 273. 982 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 95; siehe ferner v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880, S. 33 f.; Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte der Unterthanen, Zweite Lieferung, 1894, S. 101, 103 f.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Erster Band, 5. Aufl. 1911, S. 151 Fn. 2; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 3. Aufl. 1924, S. 70 f.

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streckenden verrechtlichten Freiheit 9 8 3 , haben die speziellen Freiheitsrechte nur Bedeutung wegen ihrer Schrankensystematik; im Grunde stellen sie nur eine abgestufte Konkretisierung der Grenzen einer Freiheit vom Staat dar, die in Art. 2 Abs. 1 GG verkörpert wird. G. Jellinek hat es denn auch bemängelt, von Freiheitsrechten im Plural zu reden: Juristisch gebe es nur die Freiheit im Singular, nämlich die Freiheit von gesetzwidrigem Zwang, die, historisch bedingt, durch die einzelnen speziellen Freiheitsrechte nur verschiedene Nuancen erhielte 984 . (200) So wurde die allgemeine Handlungsfreiheit - als subjektivrechtliches Spiegelbild der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 985 - in der Staats983

Die in der Tat zu einer „wundersamen Vermehrung von Grundrechten" (Sendler, Wundersame Vermehrung von Grundrechten - insbesondere zum Grundrecht auf Mobilität und Autofahren, NJW 1995, 1468) verleitet. Doch dies ist vom Verfassungsgeber gewollt. Solange es darum geht, die aus eigener Kraft des Grundrechtsträgers mögliche, individuell motivierte personale Entfaltung zu erfassen, ist es vom Schutzbereich her unbedenklich, diesen „Dingen" das „schmückende Prädikat eines Grundrechts" zu verleihen, ohne dadurch „unseren Rechtsstaat an seinen Grundrechten ersticken" zu lassen (Zitate von Sendler a.a.O., 1468 f.), - vernünftige Einschränkungen bleiben über die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung möglich. Es geht nicht an, die Universalität umfassender Freiheit danach zu relativieren, ob das Verhalten „eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung" besitzt, ob es „für die Persönlichkeitsentfaltung [...] von erheblicher Bedeutung" ist (so die abweichende Meinung des Richters Grimm, BVerfGE 80, 137 [165, 166]). Was wäre individuell motivierte Autonomie bei heteronomer Bestimmung von Wert und Unwert, von Banalität und Persönlichkeitsbezug einer Tätigkeit (des Taubenfüttems, des Reitens im Walde, ...), was ein freiheitlicher Staat mit rechtlosen Räumen, was eine den benannten Freiheitsgrundrechten vergleichbare Handlungsfreiheit anders als die libertas civilis des Wohlfahrtstaates? 984 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 103 f.; siehe auch S. 113. 985 Besonders deutlich wird dieser (zeitlich verlagerte) Entstehungszusammenhang zwischen dem objektivrechtlichen allgemeinen Gesetzesvorbehalt und der subjektivrechtlichen umfassenden Freiheitssphäre (dazu auch Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 68; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 117-141; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, S. 20-24; Sachs, in: Stem/Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2: Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1994, S. 96 f.; Starck, Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Sasse, Band II, 1981, S. 777 [786]) bei Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1924, S. 66-152, zusammenfassend S. 131: „Die Wirkung des Prinzips der Gesetzmässigkeit der Verwaltung ist also, dass es für den Untertanen eine rechtlich geschützte Rechtssphäre schafft, die alle Betätigungen der natürlichen Handlungsfreiheit umfasst, deren Beschränkbarkeit nicht in einem Gesetz ausdrücklich ausgesprochen ist." Diese Kohärenz kam auch in dem vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates vorgeschlagenen Art. 2 Abs. 3 E GG (zum Wortlaut des Entwurfs vgl. Tn. 294 mit Fundstellennachweis) zum Ausdruck, der die Begren-

II. Die Entwicklung der Freiheitsidee im 19. Jahrhundert

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rechtswissenschaft kreiert 9 8 6 , blieb allerdings einseitig und erfaßte nur eine Dimension des heutigen Art. 1 Abs. 3 GG. Die französische Menschenrechtserklärung von 1789 9 8 7 verbriefte bereits eine solche umfassende Entfaltungsautonomie; Art. 4 S. 1 dieser Erklärung lautete: (201) „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui". (202) Die Passage dürfte auf Montesquieus „Esprit des lois" zurückgehen, sicher ist jedenfalls, daß seine Staatslehre entscheidenden Einfluß auf die französische Verfassungsbewegung hatte: (203) „Une Constitution peut être telle, que personne ne sera contraint de faire les choses auxquelles la loi ne l'oblige pas, et à ne point faire celles que la loi lui t

« Reaktionsausschuß Neu-verfaßten Cammer-Gerichts-Ordnung, in der Chur- und Marek Brandenburg, vom 1. März 1709 73 m. Fn. 289 u. 295 Carmer, Johann Heinrich Casimir Graf von 36 Fn. 114 Causae iuridicae —» Justizsache Causae politicae -» Regierungssache Charte constitutionelle du 4 juin 1814 107 Cocceji, Samuel von 386 [Preußische] Circulare an sämmtliche Provinzial-Justiz-Collegien vom 12. November 1830, betreffend das Verfahren bei Beschwerden über vermeintlich entzogene Diensteinkünfte 76 Fn. 321 Constitution - du 22 frimaire an 8 [13 décembre 1799] 416 Fn. 1945

Namen- und Sachverzeichnis - du 3 septembre 1791 108 „Constitutionsschwärmerei" 126 Contrasignatur —> Gegenzeichnung des Ministers zu Handlungen des Königs Corpus Juris Fridericianum von 1781 428 Fn. 2014 Cramer, Johann Ulrich Freiherr von 391 Fn. 1820 Danckelman(n), Adolph Albrecht Heinrich Leopold Freiherr von 36 Fn. 104 Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen du 26 août 1789 106108, 415 Décret - relatif à la constitution des assemblées primaires et des assemblées administratives du 22 décembre 1789 415 Fn. 1936 - portant réforme du contentieux administratif du 30 septembre 1953 416 Fn. 1947 Deutsche Bundes-Acte vom 8. Juni 1815 —> Bundes-Acte Deutscher Bund 101 Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Praxis 14 Distanz zum Recht 9 Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est 313 Dreißigjähriger Krieg 25, 27, 97 Drews, Bill 355, 442 Fn. 2075 „Dulde und liquidiere" 47, 57, 66-68, 76, 82, 395, 399 Dualistische Verfassungsordnung 103 Durchsetzbarkeit des Staatsabwehrrechts 18, 30, 49, 76, 109, 382473 Ebert, Friedrich 269 Edikt - [Preußisches] Edict vom 1. März 1748, wornach sich sämtliche Ju-

stiz-Collegia, in Beachtung Königlicher Befehle, Verordnungen und Reglements, nicht minder die Fiscäle in Ansehung ihres dabey concurrierenden Amts zu verhalten haben 73 Fn. 289 - [Preußisches] - über die Finanzen des Staats und die neuen Einrichtungen wegen der Abgaben u.s.w. vom 27. Oktober 1810 59 Fn. 225 - [Preußisches] - über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer vom 28. Oktober 1810 76 Fn. 317 - [Preußisches] - wegen der MühlenGerechtigkeit, und Aufhebung des Mühlen-Zwangs, des Bier- und Branntwein-Zwangs in der ganzen Monarchie, vom 28. Oktober 1810 63, 136 Fn. 718 Ehefreiheit 171 Eigentumsabtretungspflicht 114 Eigentums(bestands)garantie 71, 182, 256-260, 278 Eingriff 19, 46-65, 315-381 - (angeblich) klassischer -sbegriff 320-372 - Begriff im zeitgenössischen Kontext 47 - koordinativer Charakter des - 324 - reflexartiger Charakter des - 321 - drohender - 118 - schutzbereichsbezogene -sbestimmung 329 - Faktizität des - 323 - Finalität des - 321 - durch den Gesetzgeber 327-344, 372 - Imperativität des - 324, 325 - Intensität des 23 - Mittelbarkeit des - 322 - Normativität des - 323 - als Problem wertender Zurechnung von Eingriffswirkungen 320 - in wohlerworbene Rechte 46-65

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Namen- und Sachverzeichnis

- in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 349-352 - und Regelungsgehalt staatlicher Maßnahmen 65 - durch den Richter 345-347, 372 - -sschwelle 263 - schwerer und unerträglicher - 256 - Unmittelbarkeit des - 322 - Unterscheidung zwischen Anspruchsgrundlagen- und Eingriffsebene 362 Verwaltungsgerichtsbarkeit, Generalklausel - in drei- und mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen 61-65, 189, 348-371 - in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen 189 Einigungsgedanke 113 Eintrittsrecht 56, 395 Einweisung Obdachloser durch die Ordnungsbehörde und (Folgen-)Beseitigungsanspruch 319 Eisner, Kurt 269 Enteignung - Auflösung des (angeblich) klassischen Enteignungsbegriffs 369 - Begriff 369 - spätkonstitutionelle Enteignungsdogmatik 369 - als nur eine Form von Eingriffen in das Eigentum neben anderen 369 -»Wohlerworbene Rechte, Entschädigungspflicht bei Eingriffen in - Rechtsgrundlage der Entschädigung bei enteignungsgleichen und enteignenden Einfgriffen 33 Fn. 86, 68 Fn. 273 - und Sonderopfer 32 - als Unterfall der Aufopferung 68 Fn. 273 [Bayerische] Entschließung vom Ilten Jänner 1799, Von den ad Forum

contensiosum gezogenen Polizeyfällen 144 Fn. 764, 414 Ermessen - und Annahme subjektiver öffentlicher Rechte 246 f. - „Freies" 43, 247 - und Kontrolle durch Gerichte 247, 464 Erstattungsanspruch 91 Fachbegriffe 13 Femsprechgeheimnis 180 Festsetzung von Zwangsmitteln 92 Feuerbach, Paul Johann Anselm von 131 Fn. 703 Fiskalat 73 Fiskalbindung des Staates 93 Fiskalprivatrecht 93 Fiskus - im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 78 - als Anspruchsgegner 60, 67, 75, 78, 81 - im Bürgerlichen Gesetzbuch 87 - -begriffe 80-93 - als Legende 79 - Obsoleszenz des - 94 - als Staat 72, 81 - -theorie 17, 66-79 - als Träger staatlichen Vermögens 78, 83 Fleiner, Fritz 93, 140, 246, 274 Fn. 1332, 282 „Flucht ins Privatrecht" (Fleiner) 93 Folgenbeseitigungsanspruch -> Abwehrrecht Folgenbeseitigungspflicht 164, 209 Freiheit - Ausbau durch die einfache Rechtsordnung im Spätkonstitutionalismus 169-183 - allgemeine und umfassende 32, 34, 43, 98, 197-210, 236, 273, 296, 297 - Begriff 1,220

Namen- und Sachverzeichnis - bürgerliche 35, 37, 107, 114 - Eingriff in die —> Eingriff - Einlösung durch die einfache Rechtsordnung 24 - als objektivrechtliche Grenze der Staatsgewalt 37, 128 - und Interesse 213, 229 - natürliche 31, 34 f., 37, 96, 114, 197 - reale 1 - rechtliches an der Freiheit 117 - Rechtsschutzfähigkeit 35, 37, 122, 123, 157, 389, 393 - Singularisierung zu einer Freiheit 204 - Spontaneität ihrer Ausübung 43 - Subjektivierung 156 - teleologisches Rechtsfolgenverständnis freiheitsbegründender Normen 317 - und Unterlassungsanspruch 228 - verrechtlichte - (Begriff) 1 - Verrechtlichung 54, 95, 97, 120, 133, 197 - vorstaatliche - 159 - Wächter und Garant der - 130 f. - und wohlerworbene Rechte 34-37 Freiheit-und-Eigentums-Formel 33, 95, 100 m. Fn. 437, 106, 127, 135, 142, 143, 151, 152, 198, 228, 295, 368 Freiheit der Person 172, 179, 198, 199, 269, 273 Freizügigkeit 170 Friedrich II. (der Große) 36 Fn. 106, 52, 53, 95 f., 386, 405 Friedrich Wilhelm I. 26, 72, 407 Friedrich Wilhelm II. 36 Fn. 104, 386 Friedrich Wilhelm III. 387 Friedrich Wilhelm IV. 110, 332 Gebot der Rücksichtnahme 257 Gebrauchsmustergesetz vom 5. Mai 1936 454

Gegenzeichnung des Ministers zu Handlungen des Königs 377 f. Gerber, Carl Friedrich von 83, 152, 153, 157, 184, 316, 423 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.d.F. vom 9. Mai 1975 83,90 Gesellschaft - bürgerliche 34 - ständische 32 - Trennung von Staat und Gesellschaft 102 f., 105, 122 Gesellschaftsvertrag 27, 37, 107 Gesetz - Absicherung der Autorität des Gesetzes gegenüber Verwaltung und Rechtsprechung 330 m. Fn. 1553 - -esbegriff 31, 127 Fn. 675, 374 - Einzelfall-27 - als Maßstab der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns 374-376 —» Prüfungsrecht des Richters gegenüber Gesetzen - im Unterschied zur Verordnung 374 m. Fn. 1741 - wegen des Wasserstaues bei Mühlen, und Verschaffung von Vorfluth, vom 15. November 1811 76 Fn. 322 - wegen Einführung einer Klassensteuer vom 30. Mai 1820 76 Fn. 317 - wegen Entrichtung der Gewerbesteuer vom 30. Mai 1820 76 Fn. 317 - über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 40, 58 Fn. 221, 59, 76, 390, 420, 424, 425 - Gesetz vom 27. September 1848, betreffend die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfügungen der provisorischen Centralgewalt 108 Fn. 536 - vom 27. Dezember 1848, betreffend die Grundrechte des deutschen Vol-

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Namen- und Sachverzeichnis

kes 108, 116, 122, 125, 428 Fn. 2017 vom 7. Mai 1853, betreffend die Bildung der Ersten Kammer 103 Fn. 485 vom 30. Mai 1855, betreffend die Abänderung der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 in Ansehung der Benennung der Kammern und der Beschlußfähigkeit der Ersten Kammer 103 Fn. 485 betreffend die Erweiterung des Rechtsweges vom 24. Mai 1861 429 vom 22. Juni 1861, betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 468 Fn. 2182 betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 (VwGG) 231, 358 m. Fn. 1684, 436 Fn. 2050, 438, 445, 467, 470 Fn. 2188 und 2190 betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 vom 26. Juli 1876 (ZustG) 225 f., 356 f., 436 Fn. 2050, 468 Fn. 2182 vom 23. Juni 1880, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen 182 über die Organisation der allgemeinen Landes Verwaltung vom 26. Juli 1880 (OrgG) 225, 436 Fn. 2050 über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (LVG) 40, 116, 225, 228-234, 241, 244, 290, 305, 315, 358 m. Fn. 1684, 365, 436 Fn. 2050, 438, 439, 445 f., 459, 461, 463 f., 468, 470 Fn. 2188, 472 über die Zuständigkeit der Verwaltungs· und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 436 Fn. 2050

- gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 454 - gegen die Steuerflucht vom 26. Juli 1918 354 m. Fn. 1667 - zur Ergänzung des Gesetzes gegen die Steuerflucht vom 26. Juli 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 951) vom 24. Juni 1919 354 m. Fn. 1667 - zur Ausführung des Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 8. April 1920 337 - vom 21. Mai 1920, betreffend Gewährung einer Entschädigung an versetzte Beamte und von Umzugskosten beim Wohnungswechsel am Orte 250 - zur Ausführung des Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 8. April 1920 337 m. Fn. 1591-1593 - gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 455 - über das Apothekenwesen vom 20. August 1960 45 - zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9. Dezember 1976 455 - über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) vom 25. Oktober 1994 454 - zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 330 Fn. 1553 Gestaltungsurteile 20 Gesetzes Vollziehungsanspruch 129, 136-143, 147, 150, 207, 247, 423 Gesetzesvorbehalt(e) -

allgemeiner

127

- Ausbildung des Prinzips des - 127 —> Aushöhlung der Grundrechte durch weitreichende - für administrative Einzeleingriffe 127 - für generell-asbtrakte Eingriffe 131

Namen- und Sachverzeichnis - in der Preußischen Verfassung von 1850 127 - Sondervorbehalte 127 - Subjektivierung des Prinzips des 141, 200, 311, 328 - positivrechtliche Verankerung 127 Fn. 673 - und bebauungsrechtliche Zulassungstatbestände 259 Gesetzes vorrang 127, 141 Gewaltentrennung 77, 99, 135, 212, 412, 425, 473 Gewaltverhältnis 102 Gewerbefreiheit 173, 268 Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 468 Fn. 2182 Gewerbeuntersagung 468 m. Fn. 2182 Gewissensfreiheit 266, 354 Gierke, Otto von 89 Giese, Friedrich 274 Fn. 1332 Glaubensfreiheit 266, 354 Gleichheitssatz 97, 266 Gneist, Rudolf von 185, 186, 430, 437, 441, 443, 448-453, 459, 462, 466 f., 471 Gönner, Nikolaus Thaddaeus von 144, 419 Fn. 1963, 437 Fn. 2050 Grundgesetz - Anthropozentrische Ausrichtung 115 - Etymologisches 116 - Art. 1 115, 275, 289, 333, 344 - Art. 2 197 f., 273 - Art. 3 97 Fn. 427 - Art. 14 85 Fn. 375, 256-260, Eigentums(bestands)garantie - Art. 19 24, 85, 109, 116, 291-304, 308, 311, 372, 429, 443, 463 - Art. 20 330 Fn. 1553, 344 - Art. 20a 330 Fn. 1553 - Art. 33 41 - Art. 93 347, 372 - Art. 100 344, 372

- Entstehungsgeschichte 292-302 - Etymologisches 116 —> Grundrechte - Herrenchiemseer 300-302

Entwurf

292,

- Menschenbild des - 213 - Vermutung von subjektiven öffentlichen Rechten unter der Geltung des Grundgesetzes 195 -

als materiale Werteordnung 161

Grundrechte 119

99, 103, 105-113, 114-

—> Antrag von Oesterreich und Preußen in Betreff der sogenannten Grundrechte des deutschen Volks, vom 23. August 1851 - Auffang- 197 - Ausführung der - durch die einfache Rechtsordnung 169-183, 266 - Aushöhlung der - durch weitreichende Gesetzesvorbehalte 286 - juristisch-praktische 267

Bedeutung

- Bedeutung der Grundrechte für die Schutznormtheorie 196, 254 - positivrechtliche Begründung 118, 127, 159

116-

-> Déclaration des Droits de Γ Homme et du Citoyen du 26 août 1789 - im Deutschen Reich 1871 169 -

(verspäteter) Durchbruch des liberalen (bürgerlich-rechtsstaatliche) Grundrechtsverständnisses 285

- Eigenleben der - 122 —> Eigentums(bestands)garantie - rechtswissenschaftliche 124, 127

Erfassung

- Etymologisches 116 - als objektivrechtlichess Fundament einfacher subjektiver Rechte 263 —> Gesetz vom 27. Dezember 1848, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes

528

Namen- und Sachverzeichnis

- als objektivrechtliche Grenzen der Staatsgewalt 128 f., 132, 134, 153, 226, 316 - im Grundgesetz 267 - heutiges Grundrechtsverständnis 128 - Grundrechtsteil ohne gemeinsamen Nenner 279, 341 - als „Heiligtum des deutschen Volkes" 271, 283 - im Konstitutionalismus 282 - als bloße Leitlinien, Programmsätze und Richtschnüre 122, 165, 275, 276, 278, 280, 283, 331 - Nachrangigkeit grundrechtlicher Ansprüche 262 - im Norddeutschen Bund 1867 169 - als kollektive Rechte zur gesamten Hand 129 - als rechtliches Neuland 121 - Rechtsfolgengehalt 116-118, 127 - einstufiges Rechtsfolgenverstänbnis 118, 310 - zweistufiges Rechtsfolgenverständnis 119 - in der Rechtsprechung des Königlich Preußischen Ober-Tribunals und Oberverwaltungsgerichts vor 1918/ 19 164 f., 226 - in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts nach 1918/19 283, 285 - in der Rechtsprechung des Reichsgerichts 271, 283, 285 - in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich 283, 285 - Rechtssatzcharakter 127, 168, 332 - Schrankensystematik der - 199, 255 - einfachgesetzliche Schutzbereichsbestimmung 259 f. - eingriffsbezogene Schutzbereichsbestimmung 329 —> Schutznormtheorie

-

Schutzrichtung gegenüber der Gesetzgebung 161, 288, 289, 327344 - eindimensionale Schutzrichtung gegenüber der Verwaltung 160 f., 205, 224 - verfahrensmäßige Sicherung der —» Verwaltungsgerichtsbarkeit, Generalklausel - „sogenannte" 108, 111, 271, 332 - heutiger Sprachgebrauch 117 - neuer Stellenwert der - in der deutschen Verfassungsentwicklung des 20. Jahrhunderts 271, 274, 282, 286, 333-344 - Subjektivierung zu Abwehrrechten 153, 166, 226, 272, 316 - Staatshaftung als - 183 - Tatbestand 116 - Theorie und Verständnis der - 128 - als (bloßer) Unterlassungsanspruch 118 - als Verfahrensgegenstand 285 - Verfahrens-295 —> Verfassung des Deutschen Reichs von 1919 - als formelles Verfassungsrecht 122 - und Vemunftsrecht 124 f. - in Weimar 157, 167, 266-289, 333-344 - Wissenschaft der einzelnen Grundrechtsartikel 279, 341 Grundrechtskonstitutionalismus 7 Hardenberg, Karl August Fürst von 100 Fn. 437 Härtung, Fritz 102 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 102 Heller, Hermann Ignatz 287 Herzog von Württemberg Karl Eugen —> Karl Eugen Historische Auslegungsmethode 10 Hobbes, Thomas 27-29 Homo homini lupus 27, 29

Namen- und Sachverzeichnis Hülfspolizei -> Polizei Humboldt, Wilhelm von 51, 106, 353 Ignoranzthese 8 Immediat-Bericht des schlesischen Justizministers von Danckelman(n) vom 9. April 1792 36 Fn. 112 Individualrechte —> Abwehranspruch, Freiheit, Recht, Subjektives öffentliches Recht, Wohlerworbenes Recht Individualrechtsschutzgarantie —» Grundgesetz Art. 19, —» Rechtsschutz gegen Gesetze, -» Rechtsschutz gegen den Richter In dubio pro liberiate —> Subjektives öffentliches Recht, Vermutung zugunsten Institutionelle Garantie(n) i.w.S. (unter Einschluß von Instituts- und Einrichtungsgarantien) 123, 130, 131, 152, 288 Instruction - sur la formation des assemblées représentatives et des corps administratifs du 8 janvier 1790 415 - [Bayerische] - vom 3. Mai 1817, (Die Formation und Dienstes-Instruction des Königlichen Staatsraths) 421 Fn. 1979 - [Preußische] - und Reglement für das Generaldirectorium vom 20. Dezember 1722 26 Fn. 54, 30 Fn. 63, 407 - [Preußische] - vor die zur Entscheidung der Jurisdictions-Streitigkeiten, zwischen den Justitz-Collegiis, und Krieges- und Domainen-Cammern, verordnete Commission, vom 10. Februar 1756 385 Fn. 1780 Instruktion - [Preußische] - vom 6. Juni 1812 für die Centraikommission wegen Erhebung der Vermögens- und Einkommenssteuer nach dem Allerhöchst vollzogenen Edikt vom 24. Mai c 76 Fn. 317 34 Malmendier

-

[Preußische] - für die Oberpräsidenten vom 23. Oktober 1817 420 Fn. 1974, 424 m. Fn. 1995 Integrierende Methode 16 Iura quaesita —» Rechte, wohlerworbene lus eminens —> Staatsnotrecht lus politiae Staat, absoluter lus reformandi —> Mißbrauch wohlerworbener Rechte Jellinek, Georg 32, 157, 192, 204, 206, 212, 213, 217, 220, 222, 229, 273, 311, 316, 380, 423 Jellinek, Walter 231, 274 Fn. 1332, 282, 290 Jhering, Rudolph von 18, 192, 217 Johann, Erzherzog von Österreich 108 Fn. 537 Jurisdiktionskommission 385, 387, 411 Juristisches Jahrhundert 6 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 100 Fn. 437 Justizgewährungsanspruch 178 Justizsache 30, 134, 144-151, 388, 396 f., 414 Kabinettsjustiz 36 Fn. 107, 386 f. Kabinetsorder - [preußische] Allerhöchsten Königl. vom 14. April 1780 die Verbesserung des Justitz-Wesens betreffend 36 Fn. 106 - [preußische] Allerhöchste - vom 18. April 1792, die Suspension der Gesetzeskraft des Allgemeinen Gesetzbuchs betreffend 36 - [preußische] Allerhöchste - vom 17. November 1793, die Umarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs betreffend 36 Fn. 107 -

[preußische] - vom 18. Dezember 1793 36 Fn. 107

530 -

Namen- und Sachverzeichnis

[preußische] Allerhöchste - vom 12. April 1822, betreffend das Verfahren bei Amts-Entsetzung der Geistlichen und Jugendlehrer, wie auch anderer Staatsbeamten - [preußische] - vom 18. November 1828 zur Erläuterung der Rubriken des Stempel-Tarifs: „amtliche Ausfertigung" und „Gesuche", so wie der gesetzlichen Vorschriften wegen des Rechtsgweges in stempelpflichtigen Angelegenheiten 76 - [preußische] - vom 4. Dezember 1831, betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverhältnissen 75 Fn. 307, 83, 420 - [preußische] - vom 28. Oktober 1836 76 Fn. 321 Kammerjustiz 35, 385-390, 411, 436 - Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten von denen der ordentlichen Gerichte 385 - Begriff 385 - Einfluß des Regenten 386 f. —> Instmetion vor die zur Entscheidung der Jurisdictions-Streitigkeiten, zwischen den Justitz-Collegiis, und Krieges- und Domainen-Cammem, verordnete Commission, vom 10. Februar 1756 - Kammer-Justizdeputationen 385 -»Reglement, was für Justitz-Sachen denen Krieges- und Domainen-Cammem verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören, vom 19. Juni 1749 —» Reglement wegen Vertheilung der Geschäfte zwischen den Neuostpreussischen Landes-Collegiis vom 3. März 1797 55,411 —> Regulativ vom 12. Februar 1782, wegen künftiger Einrichtung des Kammer-Justitz-Wesens - Unterschied zur Administrativjustiz des 19. Jahrhunderts 418, 420

Karl Eugen 405 Klage(n) - Abwehr- 20, 300, 393, 398, 472 -» Aktionenrechtliches Denken - Anfechtungs- 224-236, 303, 312, 314, 355, 388, 390, 398, 443, 472 - Baunachbar- 255-263, 326, 361366 - Beanstandungs- 459, 461 - gegen die handelnde Behörde 381 - Entschädigungs- 388 - (allgemeine) Feststellungs- 216, 313, 443, 472 - Fortsetzungsfeststellungsklage 310, 472 - Interessen- 221, 229, 236, 311, 458462 - (allgemeine) Leistungs- 300, 310, 313, 443, 472 - vorbeugende Leistungsklage 59, 310 - Löschungs- nach dem Marken- und Gebrauchsmustergesetz 454 - Nachbar- 255-263, 361-366 - Popular- 225, 307, 393, 453^57, 459, 462 - Rechtsschutz- 460 - wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- 455 - Unterscheidung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit 388 - Verbands- nach dem AGB-Gesetz 455 - Verbandsklage im Naturschutzrecht 459 - Verletzten- 221, 229, 236, 311, 393, 460 Fn. 2137 - Verpflichtungs- 472 - Vollzugsfolgenbeseitigungs- 19, 313 - Vornahme- 302 Klagebefugnis 221 - bei Baunachbarklagen 255-261, 361-366

Namen- und Sachverzeichnis - Entstehungsgeschichte des Instituts der - in der heutigen Verwaltungsgerichtsordnung 305-307 - vor den Landesgerichten des Ancien Régime 388 f. - Obsoleszenz des Instituts der - 305 m. Fn. 1441 - als Transformationshebel materiellrechtlicher Vorstellungen 224 —» Recht(e), im Sinne des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (LVG), im Sinne des Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (PVG), im Sinne der §§ 42, 113 VwGO - vor den alten Reichsgerichten 388, 393 - vor den preußischen Verwaltungsgerichten 445-447 - bei der Verpflichtungsklage 472 - Zusammenhang mit der Funktion gerichtlicher Verfahren 453, 458462 Klein, Emst Ferdinand 100 Fn. 437 Koalitionsfreiheit 268 Strafprozessuales Klageerzwingungsverfahren 462 Kompetenzkonflikt 178, 387, 431 Kompromiß —> Verfassung(en), parteipolitischer Kompromißcharakter modemer Konfliktverteidigung 90 Konnexität von Rechte und Pflichten 115 Konstitutionalismus 2, 53, 99, 106113, 134, 196, 213, 220, 282, 285, 289, 345 - Früh- 37, 103, 107 Fn. 512, 114, 129 f., 144, 353 —> Grundrechte im Konstitutionalismus - klassischer 107 Fn. 512 - Spät- 37, 65, 99, 103, 107 Fn. 512, 113, 123, 151, 169, 204, 237, 265, 330, 368, 369 Kontrollerlaubnis —> Verbot, präventives 34*

531

Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommem, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 436 Fn. 2050, 467, 468 Fn. 2182 „Kreuzberg-Urteil" 51 Laband, Paul 102 Fn. 468, 152, 162, 173, 206, 217, 222, 237, 271, 274 Fn. 1332 Labands Objekt-Formel 161 f. Lehre vom Mandatskontrakt 57, 379 Lehre der Staatspersönlichkeit 75, 83, 379 Lehre von der Teilperson 89 Lehre der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des Öffentlichen Rechts —» Teilrechtsfähigkeit Leviathan 1, 27, 29 Liberalismus 98, 106 Libertas civilis —» Freiheit, bürgerliche Libertas naturalis -» Freiheit, natürliche Loi - sur l'organisation judiciaire du 16/ 24 août 1790 415, 417 - pluviôse —» Loi concernant la division du territoire de la République et l'administration du 28 pluviôse an 8 [17 février 1800] - qui défend aux tribunaux de connaître des actes d'administration, et annulle toutes procédures et jugements intervenus à cet égard du 16 fructidor an 3 [2 septembre 1795] 415 Fn. 1938 - concernant la division du territoire de la République et l'administration du 28 pluviôse an 8 [17 février 1800] 415 Fn. 1940, 416 - portant réorganisation du conseil d'État du 24 mai 1872 416 Fn. 1946 Louis XIV. 26 Lückentheorie 104

532

Namen- und Sachverzeichnis

Machtspruch 386 f. Machtspruchverbot 386 Machtübertragung an die Nationalsozialisten 281 m. Fn. 1358 Majestätsrechte 55 Mangoldt, Dr. Hermann von 295, 303 Mann, Golo 412 Mayer, Otto 47, 66-79, 157, 229, 237, 274 Fn. 1332, 281, 282, 420 Mercier, Louis-Sébastien 102 Metternich, Klemens Lothar Fürst von

101, 106 Mißbrauch wohlerworbener Rechte 48 Ministerverantwortlichkeit —> Gegenzeichnung des Ministers zu Handlungen des Königs Mittermaier, Carl Joseph Anton 131 Fn. 703 Mohl, Robert von 330 Fn. 1556, 419 Fn. 1963 Mommsen, Theodor 116 Monarchisches Prinzip 100-104, 106 Montesquieu, Charles de Secondât, Baron de la Brède et de 77, 197, 202, 386, 415 Moser, Johann Jacob 405 Müller Arnold von Sanssouci —» Wassermüller Arnold von Sanssouci Nachahmerrolle Deutschlands 116 Napoleon I. 101, 416 Naturrecht 34, 96, 97, 107, 114, 197 Naturzustand, vorstaatlicher 34 Nichthandlung 89-91 Norddeutscher Bund 98,112 Nulla poena sine lege 175 Öffentlichrechtliche Streitigkeit —> Streitigkeit Ordentliche Gerichte 35, 41, 67, 83, 84, 103, 156, 385 f., 388 - Allzuständigkeit der - 35, 411 f.

- Beschränkung der Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte in der Reaktionszeit —> Administrativjustiz - Etymologisches 428 Fn. 2014 - Renaissance der - 425-430 - Zuständigkeit kraft Tradition —> Zivilprozeßsache kraft Überlieferung [Preußische] Allgemeine Ordnung vom 21. Juni 1713, die Verbesserung des Justitz-Wesens betreffend 72 Papen, Franz von 281 Fn. 1358 Patent, wegen Publication des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, vom 5. Februar 1794 40 Patentgesetz vom 5. Mai 1936 454 „Paulskirchen Verfassung" —» Verfassungen), Paulskirchen Verfassung

Persönlichkeitsrecht 349 Pflichtenlehre 114 f. Polizei - Hülfspolizei 51 - „Policey" —> Staat, absoluter - Polizeibegriff des ALR —» Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 - Polizeisache —> Regierungssache - Polizeistaat —> Staat, absoluter - Zwangs- 51 Politikverdrossenheit 1 Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (PVG) 234-236, 240, 290, 309, 311, 319, 360, 436 Fn. 2050 Popularklage —> Klage(n) Positivismus 29, 152, 158-187, 243, 328 - Bedeutung für die Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte 188, 246 - und Bedeutung der einfachen Rechtsordnung 159 - Gesetzes- 152, 159, 190, 332 - Verabschiedung vom 210, 279, 287 - wissenschaftlicher - 152, 159

Namen- und Sachverzeichnis Pressefreiheit 177, 199, 268 Preuß, Dr. Hugo 266, 267, 268, 269, 278 Preußen -> Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 —> Antrag von Oesterreich und Preußen in Betreff der sogenannten Grundrechte des deutschen Volks, vom 23. August 1851 - Beendigung der Hegemonie Preußens im Reich nach dem Ersten Weltkrieg durch den Verfassungsentwurf von Preuß 266 —» Cammer-Gerichts-Ordnung, in der Chur- und Marek Brandenburg, vom 1. März 1709 —> Kabinetsorder vom 28. Oktober 1836 —> Circulare an sämmtliche ProvinzialJustiz-Collegien vom 12. November 1830, betreffend das Verfahren bei Beschwerden über vermeintlich entzogene Diensteinkünfte —» Edict vom 1. März 1748, wornach sich sämtliche Justiz-Collegia, in Beachtung Königlicher Befehle, Verordnungen und Reglements, nicht minder die Fiscäle in Ansehung ihres dabey concurrierenden Amts zu verhalten haben -» Edikt über die Finanzen des Staats und die neuen Einrichtungen wegen der Abgaben u.s.w. vom 27. Oktober 1810 -» Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer vom 28. Oktober 1810 —> Edikt wegen der Mühlen-Gerechtigkeit, und Aufhebung des MühlenZwangs, des Bier- und BranntweinZwangs in der ganzen Monarchie, vom 28. Oktober 1810 - Einfluß des französischen Rechts auf die Gesetzgebung - 417 —» Fiskus

—> Friedrich I —» [Preußisches] Gesetz wegen des Wasserstaues bei Mühlen, und Verschaffung von Vorfluth, vom 15. November 1811 —> Gesetz wegen Einführung einer Klassensteuer vom 30. Mai 1820 —> Gesetz wegen Entrichtung der Gewerbesteuer vom 30. Mai 1820 —> Gesetz vom 7. Mai 1853, betreffend die Bildung der Ersten Kammer —> Gesetz vom 30. Mai 1855, betreffend die Abänderung der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 in Ansehung der Benennung der Kammern und der Beschlußfähigkeit der Ersten Kammer —» Gesetz, über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (LVG) —»Gesetz, über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 (OrgG) —> Gesetz, betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 (VwGG) —» Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 —» Gesetz, betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 vom 26. Juli 1876 (ZustG) —> Gesetz vom 21. Mai 1920, betreffend Gewährung einer Entschädigung an versetzte Beamte und von Umzugskosten beim Wohnungswechsel am Orte —» Grundrechte, in der Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals und Preußischen Oberverwaltungsgerichts

534

Namen- und Sachverzeichnis

—» Instmetion vor die zur Entscheidung der Jurisdictions-Streitigkeiten, zwischen den Justitz-Collegiis, und Krieges- und Domainen-Cammem, verordnete Commission, vom 10. Februar 1756 —» Instmetion und Reglement für das Generaldirectorium vom 22. Dezember 1722 —> Instruktion vom 6. Juni 1812 für die Centraikommission wegen Erhebung der Vermögens- und Einkommenssteuer nach dem Allerhöchst vollzogenen Edikt vom 24. Mai c -»Instruktion für die Oberpräsidenten vom 23. Oktober 1817 -» Allerhöchste Kabinetsorder 12. April 1822, betreffend das fahren bei Amts-Entsetzung Geistlichen und Jugendlehrer, auch anderer Staatsbeamten

vom Verder wie

-» Kabinetsorder vom 18. November 1828 zur Erläuterung der Rubriken des Stempel-Tarifs: „amtliche Ausfertigung" und „Gesuche", so wie der gesetzlichen Vorschriften wegen des Rechtsgweges in stempelpflichtigen Angelegenheiten -» Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831, betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverhältnissen —» Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommem, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 -»Allgemeine Ordnung vom 21. Juni 1713, die Verbesserung des JustitzWesens betreffend —> Polizei Verwaltungsgesetz Juni 1931 (PVG)

vom

1.

—> Rescript vom 30. Mai 1707, vermittelst dessen dem Ober-AppellationsGericht communiciret wird, was an den General-Fiscal Duhram wegen

seiner Verrichtung bey demselben, rescribbiret worden -» Reglement, was für Justitz-Sachen denen Krieges- und Domainen-Cammem verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören, vom 19. Juni 1749 —» Reglement wegen Vertheilung der Geschäfte zwischen den Neuostpreussischen Landes-Collegiis vom 3. März 1797 —» Regulativ vom 12. Februar 1782, wegen künftiger Einrichtung des Kammer-Justitz-Wesens —» Staat, absoluter - zweite Teilung Polens 36 - dritte Teilung Polens 411 —» Verfassung(en), Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 —» Verfügung des Königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei vom 24. Januar 1836, die Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Vertheilung der Kommunal-Lasten betreffend —> Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizeiund Finanz-Behörden vom 26. Dezember 1808 —» Verordnung wegen der künftigen Behandlung des gesamten Staatsschulden-Wesens vom 17. Januar 1820 —»Verordnung vom 5. Dezember 1848, betreffend die Auflösung der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung - Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation 400 (Angebliches) verfassungsrechtliches Prinzip der Ämterstabilität 313 Privatautonomie 122 Privatisierung 1, 100 Privatrechtliche Streitigkeit —> Streitigkeit

Namen- und Sachverzeichnis Privileg 31,38,61,65 Programmsatz —> Grundrechte als bloße Leitlinien, Programmsätze und Richtschnüre - als Rechtssatz 284 Protokoll der Deutschen Bundesversammlung vom 21. Juli 1848 108 Fn. 537 Prüfungsrecht des Richters gegenüber Gesetzen 330, 337-340 Publicandum - des Königl. Kammergerichts vom 18. März 1816, die Fälle, in welchen kein gerichtlicher Proceß statt findet, betreffend 55, 75 Fn. 307, 76 - des Königl. Kammergerichts vom 27. Mai 1817 wegen der Fälle, in welchen kein richterliches Verfahren eintritt 55, 76 Pütter, Johann Stephan 34,51 Pufendorf, Samuel 405 Radbruchsche Formel des gesetzlichen Unrechts 161 Reaktion - Beschluß, die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bunde zu treffenden Maßregeln betr., vom 23. August 1851 133 m. Fn. 488 - -sausschuß 108 - -szeit 412 —> Staat, spätabsolutistischer, restaurativer Realgeschichte der täglichen Rechtspraxis 14 Reale Freiheit —> Freiheit, reale Reaktionsanspruch —> Abwehrrecht, als Reaktionsanspruch Recht(e) —> Abwehrrecht - angeborenes 31, 96, 159 - Drittbezogenheit 217 - eingeklagtes 227

-

Etymologisches 116 f. Einartigkeit 39 und Freiheit 219 im Sinne des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (LVG) 224-233, 309, 311 - natürliches 31, 96, 107 - im Sinne des Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (PVG) 234236, 309, 311 - positive begründete - 158 f. - im Sinne der §§42, 113 VwGO 24, 41, 116-119, 221, 224, 226, 265, 290-314 —> Subjektives Privatrecht -» Subjektives öffentliches Recht - als Schutzgegenstand von Abwehrrechten 219 - verletztes - 227 - Volks-31 - fremdsprachiger Volksteile 266 - wohlerworbene -» Wohlerworbene Rechte Rechtsreflex 129, 188, 244, 248 f., 311 Rechtsschutz gegen Gesetze 372 Rechtsschutz gegen den Richter 372 Rechtsschutzform(en) —> Klage(n) „Rechtsstaatliche Hurra-Mentalität" 11 „Rechtsstunde Null" 239 Regalien 62, 14, 78 Regierungssache 30, 388, 394, 414 [Preußisches] Reglement, was für Justitz-Sachen denen Krieges- und Domainen-Cammern verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören, vom 19. Juni 1749 385 [Preußisches] Regulativ vom 12. Februar 1782, wegen künftiger Einrichtung des Kammer-Justitz-Wesens 385 Fn. 1782 [Preußisches] Reglement wegen Vertheilung der Geschäfte zwischen

536

Namen- und Sachverzeichnis

den Neuostpreussischen Landes-Collegiis vom 3. März 1797 411 [Preußisches] Rescript vom 30. Mai 1707, vermittelst dessen dem OberAppellations-Gericht communiciret wird, was an den General-Fiscal Duhram wegen seiner Verrichtung bey demselben, rescribbiret worden 73 Fn. 289 Reichsgericht(e) 30, 136, 437 - Austrägalinstanz bei den alten Reichsgerichten 401 f. - Extrajudizialappellation zu den alten Reichsgerichten 401 —> Grundrechte, in der Rechtsprechung des Reichsgerichts -» Klagebefugnis - Kompetenzaufteilung zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat 392 - Mandatsprozeß bei den alten Reichsgerichten 398, 400 - Ordnungen des Reichshofrates 392 - Privilegia de non appellando 403 f. - passive Prozeßfähigkeit des Regenten vor den alten -n 394 - Rechtsschutzfähigkeit der Freiheit bei den alten Reichsgerichten 37, 393 - Reichskammergericht 391 f. - Reichskammergerichtsordnung 392 - Reichshofrat 391 f. - rechtliche und faktische Schranken der alten Reichsgerichtsbarkeit 399-410 - Prüfungsdichte der alten Reichsgerichte 395 f. Reichshofrat —» Reichsgerichte Reichskammergericht Reichsgerichte Reichsverwaltungsgericht 360, 436 Fn. 2052 f. Religionsfreiheit 266 Restauration Staat, spätabsolutistischer, restaurativer

Richter - gesetzlicher - 178 - Selbstverständnis der - im aufgeklärten Absolutismus 386 Römer, Christof Gottlob Heinrich Friedrich von 419 Fn. 1970 Rotteck, Karl Wenzeslaus Rodecker von 125 f., 425 Rücksichtnahmegebot —> Gebot der Rücksichtnahme Sarwey, Otto von 190, 192, 213, 444, 460 Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen MinisterialConferenzen vom 15. Mai 1820 [Wiener Schlußakte] 101, 104 Schmitt, Carl 106, 274 Fn. 1332, 282, 287, 336 Schulpflicht 115 Schulz, Johann Heinrich 387 Schutzbereichsbestimmung 111, 328 Schutznormtheorie 18, 23, 188-196, 207, 215, 221, 244, 248 f., 311, 314, 315, 366 Smend, Rudolf 287 Sonderopfer 32 Sonderrechte der ständischen Gesellschaft Souveränitätsidee 25 Sphärendenken —> Gesellschaft, Trennung von Staat und Gesellschaft Staat - absoluter 25, 26, 27, 30, 31, 47, 57 78, 91, 95, 97, 98, 152, 197, 383 - Bevormundungs- 52 - Dualismus zwischen - und Souverän 54, 75, 83, 103 - Feudal- 30, 136, 415 - Handlungsform 31 —> Lehre der Staatspersönlichkeit - schlanker - 1 - im heutigen, „modernen" Sinne 25

Namen- und Sachverzeichnis - Sklaven- 30 - spätabsolutistischer, restaurativer 35, 77, 82, 98, 113, 102, 131,417 - Stände- 30, 32, 135, 136, 197 - Unrechtsfähigkeit 47, 48-60, 67, 69, 89, 377 f. - Vernunfts- 52 - -Verschuldung 59 Staatsabwehranspruch —» Abwehranspruch Staatshaftungsgesetz vom 26. Juni 1981 20 Staatsnotrecht 48, 387, 395 Stahl, Friedrich Julius 77, 328, 417, 419 Status - civilis 35, 96, 162 - naturalis 35, 97, 162 - negativus vel libertatis 99, 102, 154, 204, 206, 220, 311, 316, 345 Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum 100 Fn. 437, 106 Stein, Lorenz von 103 Stern, Klaus 2 Streitigkeit - privatrechtliche 83 f., 91, 144-151, 383 - öffentlichrechtliche 83, 91, 144151, 383 Subjektive(s) öffentliche(s) Recht(e) 2, 38, 382 —> Abwehrrecht —> Anspruchskonkurrenz - und allgemeine gesetzliche Befugnis 139 - Begriff 192,207,211-218,244 - gesetzestechnischer Begriff 221 - rechtstheoretischer Begriff 221 - Entstehungsvoraussetzungen 192, 208-210, 244 - terminologische Entwicklung 154 - Erfinder des - 152 —> Ermessen

- Entzweiung von der Grundrechtsdogmatik 280 -» Gebot der Rücksichtnahme - Inhalt von - 208 f., 246 - Konsolidierung 237, 265 - Leugnung von - 185, 243 - Materialisierung 17-21 - Minimalbestand 254 - „begriffliche Möglichkeit" - 157, 188, 242, 272, 422 —> Positivismus - Rationalisierung des - 24 - korrespondierende Rechtspflicht 133, 212 Rechtsreflex - in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 467 f. - personaler Schutzbereich 191, 210, 261 - sachlicher Schutzbereich 210 —> Schutznormtheorie - des Staates 216 - auf Strafverfolgung anderer 462 - Unterscheidung zwischen Begriff und Entstehungsvoraussetzungen 194, 207 f., 244 - Unterscheidung zwischen Anspruchsgrundlagenqualität und personalem Schutzbereich 261 - Verlagerung des - vom Verfassungsrecht ins Verwaltungsrecht 141, 169 - Vermutung zugunsten - 190, 195, 215, 251 f. - Zurückdrängung - im beginnenden 19. Jahrhundert 134, 136, 138 - Zusammenhang mit dem verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzip 441 Subjektives Privatrecht 122 - Vorbildfunktion für das subjektive öffentliche Recht 152, 192 Svarez, Carl Gottlieb 37, 197, 411

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Namen- und Sachverzeichnis

Teilrechtsfähigkeit 89 Tellkampf, Johann Louis 419 Fn. 1970 Thoma, Richard 264, 274 Fn. 1332, 282, 295, 296, 335 „Trunkenbold-Fall" des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 349, 465 Typusdenken 217 Übermaßverbot —» Verhältnismäßigkeitsprinzip Ultra-vires-Doktrin 57, 89 Unabhängigkeit des Richters 53, 178, 386, 426-428, 437, 470 Unrechtsfähigkeit —> Staat, Unrechtfähigkeit Unterlassungsanspruch -» Abwehranspruch Unverletzlichkeit der Wohnung 179 Verbot - präventives mit Erlaubnisvorbehalt 43, 61, 62 - repressives mit Befreiungsmöglichkeit 43 Vereinigungsfreiheit 181 Verfassung(en) - anthropozentrisch ausgerichtete 115 - Ausbau der - im juristischen Alltag 121 -»Charte constitutionelle du 4 juin 1814 —» Déclaration des Droits de Γ Homme et du Citoyen du 26 août 1789 - des Deutschen Reichs von 1871 112, 330 Fn. 1549, 337 - des Deutschen Reichs von 1919 41, 85, 113, 237-239, 240, 241, 266270, 273, 275-281 330 Fn. 1549, 333-344, 345, 354, 359, 429, 436 Fn. 2050, 463, 467, 470 Fn. 2188 und 2191 - frühkonstitutionelle -» Konstitutionalismus, Früh-

- Gleichstellung von Gesetz und Verfassung im Konstitutionalismus 330-332 - Gesamtbild der - 114 —» Grundgesetz - und Grundrechtsidee 106, 266, 268 - Hessische - vom 1. Dezember 1946 293 - parteipolitischer Kompromißcharakter modemer - 275-278 - als „interfraktionelles Parteiprogramm" 278 - Konstitution für das Königreich Baiern vom 1. Mai 1808 107 - landständische 106 - „negative" - 128, 129 - des Norddeutschen Bundes von 1867 112 - „Paulskirchen-" 18, 108 f., 113, 116, 123, 156, 267, 271, 291, 419, 428-430, 431, 435 - als Rahmenrechtsordnung 263 - Stufenverhältnis zwischen der - und einfachem Recht 327, 330, 333341 - -surkunde für das Großherzogtum Baden vom 22. August 1818 107, 114 Fn. 585, 428 Fn. 2014 - -surkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 107, 114 Fn. 585, 123, 414 - -surkunde für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820 107 - -surkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831 107, 109 - -surkunde für das Königreich Sachsen vom 4. September 1831 107, 114 Fn. 585, 428 Fn. 2014 - -surkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 107, 114 Fn. 585, 428 Fn. 2014 - -surkunde für den Preußischen Staat vom 5. Dezember 1848 98, 110, 115

Namen- und Sachverzeichnis -

-s-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 103, 110 f., 115, 273, 330, 331, 332, 373, 374, 377, 387, 431, 464, 470 Fn. 2191 - und Wechselwirkungen mit dem einfachen Recht 280, 289, 330 Verfassungsbeschwerde 123, 263, 347 „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht." (O. Mayer) 134, 281, 282 Verfügung des [preußischen] Königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei vom 24. Januar 1836, die Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Vertheilung der Kommunal-Lasten betreffend 75 Fn. 307, 83 Fn. 357 Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot), 100 - und Vernunftsrecht 35, 53 - im Allgemeinen Gesetzbuch von 1791 36 Vernunftsrecht 35, 52, 96, 97, 100, 124 f., 130, 198, 415 Verordnung - [Bayerische] Königliche Allerhöchste -, Die Formation, den Wirkungskreis und den Geschäftsgang der obersten Verwaltungs-Stellen in den Kreisen betr., vom 17. Dezember 1825 422 Fn. 1983 - [Preußische] - wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizeiund Finanz-Behörden vom 26. Dezember 1808 35, 40, 52, 59, 76, 387, 390,411 f., 414 - [Preußische] - wegen der künftigen Behandlung des gesamten Staatsschulden-Wesens vom 17. Januar 1820 59 Fn. 226 - [Preußische] Verordnung vom 5. Dezember 1848, betreffend die Auflösung der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung 110 Verrechtlichte Freiheit —> Freiheit

Versailler Friedensvertrag 239 Versammlungsfreiheit 181, 268, 354 Verteilungsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates (C. Schmitt) 102 m. Fn. 462, 214 Vertragsfreiheit

354

Verwaltungsakt(e) - Aufhebung von - —> Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), § 48 - -befugnis (Selbstverwirklichungsrecht der Verwaltung) 468 - Erledigung von - 313 - als Gegenstand des öffentlichrechtlichen Abwehranspruchs 316 - normative Handhabung des -begriffs 439,465 - „implizierter" 325, 351 - als vorausgeschaltete normative Legalisierung vollendeter Tatsachen 368 - Lehre des gerichtlichen - 473 - angebliche rechtsstaatliche Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit 310 - zeitpunktbezogener - 310 - zeitraumbezogener - 310 Verwaltungsgerichtsbarkeit - weitgehende Abschaffung der durch die Nationalsozialisten 317 —> Aktionrechtliches Denken - Anknüpfung der Gesetze über die an den spätkonstitutionellen Wissensstand 224 - Aushöhlung im nationalsozialistischen Staat 238 - Beschluß des 12. Deutschen Juristentages 1875, eine - ins Leben zu rufen 432 f. - Beteiligungsfähigkeit 381 —> Durchsetzbarkeit des Staatsabwehrrechts - Entstehung 157, 224, 431-437 - Entwicklung der preußischen - 436 m. Fn. 2050

540

Namen- und Sachverzeichnis

- Enumerationsprinzip 37, 157, 159, 319, 325, 351, 366, 370, 438-442, 463, 472 - Frühformen 60, 72 - Funktion(en) 37, 226, 315, 423, 443-471 - dienende Funktion der - 309 - Generalklausel 290-304, 319, 383, 439, 442, 463, 465 —> Gesetz, betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 -»Gesetz über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 (OrgG) 225, 436 Fn. 2050 —> Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (LVG) —» Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 - Gründe für die Einführung der 434 f. —> Kammerjustiz Klage(n) —> Klagebefugnis - eingeschränkter Kontroll- und Prüfungsmaßstab 464 -> Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 - in Krisenzeiten 237 - Laienrichter in der - 437 - „nord-" und „süddeutsches" Modell 444, 468, 471 - kontradiktorisches Parteiverfahren 102, 435 —> (angebliches) verfassungsrechtliches Prinzip der Ämterstabilität —> Prüfungsrecht des Richters gegenüber Gesetzen - Rechtsschutzbedürfnis 310 —> Reichsverwaltungsgericht

- Relativität der gerichtlichen Kontrollkompetenz 314 -> Streitigkeit - im subjektiven Sinne 413, 437, 448 - Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter 373,437,470 - Vorrang des repressiven Rechtsschutzes 310 —> „Trunkenbold-Fall" des Preußischen Oberverwaltungsgerichts - „echte" und „vollwertige" Verwaltungsgerichte 470 - Verwaltungsstreitsachen im Gegensatz zu bloßen Verwaltungssachen 438 - Verzahnung von Exekutive und Judikative durch ein Gestaltungsurteil 473 - Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg 238 - maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Verwaltungsprozeß 313 —» Zivilprozeßsache kraft Überlieferung - Zuständigkeit der Preußischen Verwaltungsgerichts- und Beschlußbehörden 440 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - Entstehungsgeschichte 381,464 —> Klagebefugnis - Widerspruchsverfahren 413, 465 - § 1 426 - § 40 85,91 - § 42 18, 23, 41, 109, 116, 118 f., 265, 303, 305, 308, 311, 312, 314, 393, 445, 464 - § 61 381 - §§ 68 ff. 310, 413 - § 80 76 - § 113 18, 19, 20, 23, 41, 109, 116, 118 f., 261, 265, 303, 308, 311, 312, 313, 314, 319, 464 Verwaltungsprivatrecht 93

Namen- und Sachverzeichnis Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) - § 35 439 - § 46 313 - § 48 473 - §§ 63-71 468 Verwaltungsvollstreckungsrecht 92 Vorvernunftszeitalter Vorverständnis des Rechts 9 Wandel der Grundrechtsidee 105 Warenzeichengesetz vom 5. Mai 1936 454 Wertgarantie 71 Wassermüller von Sanssouci 53,49,79 Weber, Max 18 Wechselwirkung zwischen der Verfassung und unterverfassungsgesetzlichem Recht —» Verfassungen(en) und Wechselwirkungen mit dem einfachen Recht Wehrpflicht 114, 115 Weimann, Daniel 405 Welcker, Karl Theodor 125 f., 425 Westfälischer Friede von 1648 27 Widerspruchsverfahren —» Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Wiener Schlußakte Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen Ministerial-Conferenzen vom 15. Mai 1820 Windscheid, Bernhard 18, 217 Wippermann, Karl Wilhelm 419 Fn. 1970 Wissenschaftsfreiheit 269 Wohlerworbene Rechte 30-65, 68, 83, 96, 98, 134-151, 197 - als Arbeitsgrundlage der Praxis im Konstitutionalismus 134, 140 - Bedeutung des Erwerbsvorgangs für die Annahme - 31 f., 35

- Begriff 31 - Definitionsund Abgrenzungsschwierigkeiten 31-33 - Entschädigungspflicht bei Eingriffen in - 48, 58, 68, 327 —» Freiheit - als von der Obrigkeit zu respektierende Individualrechtsposition im Ancien Régime 30 —> Klagebefugnis - geistige Nahtstelle zwischen - und subjektivem öffentlichen Recht 153 - als subjektive Rechte Privater 38 f., 83, 414 - besonderer Rechtstitel 31 f., 152 - in der französischen Revolution 136 f. - als Ordnungsmittel des Ständestaates 32, 135 —> Privileg - Rechtsschutzfähigkeit 30, 383, 388, 393, 422 - Unterschied zum allgemeinen Freiheitsprinzip 223 - Wandelung des - zum subjektiven öffentlichen Recht heutiger Prägung 33, 139-143, 152 - terminologische Zäsur - 135 Wolff, Christian 32 Wohlfahrtspolizei Wohlfahrtsstaat Zivilprozeßsache kraft Überlieferung 84 Zopfschulze —> Schulze, Johann Heinrich Zusammenbruch des „Dritten Reiches" 238 f. Zwangspolizei Polizei Zwangstheorie Max Webers 18 Zweig, Egon 106