Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten: Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung zur Kausalität menschlichen Handelns und deren strafrechtlichem Begriff [1 ed.] 9783428469109, 9783428069101

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Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten: Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung zur Kausalität menschlichen Handelns und deren strafrechtlichem Begriff [1 ed.]
 9783428469109, 9783428069101

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MICHAEL KAHLO

Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten

Strafrechtliche Abhandlungen' Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. ProfeslOr der Rechte an der Universität Regensblll"l!

in Zusammenarbeit mit den Strafrechfslehrern der deutschen Universitäten

Band 67

Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung zur Kausalität menschlichen Handeins und deren strafrechtlichem Begriff

Von

Michael Kahlo

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. E. A. Wolff, Frankfurt a. M.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Kahlo, Michael:

Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten: eine strafrechtlichrechtsphilosophische Untersuchung zur Kausalität menschlichen Handeins und deren strafrechtlichem Begriff / von Michael Kahlo. - Berlin: Duncker und Humblot, 1990 (Strafrechtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 67) Zug!.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06910-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Alb. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-06910-2

Für Gaby

Vorwort Die Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu Beginn des Wintersemesters 1988/ 89 als Dissertation vorgelegen. Ihr Thema geht auf eine Anregung meines verehrten akademischen Lehrers Ernst Amadeus Wolff zurück. Er hat die Arbeit auch betreut und mich bei ihrer Fertigstellung ermutigt sowie in jeder Hinsicht unterstützt. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle ganz besonders danken. Bedanken möchte ich mich aber auch bei Wolfgang Naucke, der die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen hat, und Rainer Zaczyk, der die Entstehung der Arbeit durch manche Anregung sowie durch hilfreiche Kritik gefördert hat. Die technische Unterstützung mehrerer Freunde und des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte war mir eine wertvolle Hilfe bei der Anfertigung der Druckvorlage nach dem von Astrid Gassei mit großer Sorgfalt und Ausdauer besorgten Manuskript. Für diese Hilfe möchte ich mich hiermit ebenfalls bedanken. Und schließlich gilt mein Dank auch dem Verlag und den Herausgebern der "Strafrechtlichen Abhandlungen. Neue Folge" für ihre Bereitschaft, die Arbeit in die genannte Reihe aufzunehmen. Frankfurt am Main, im Frühjahr 1990

Michael Kahlo

Inhaltsverzeichnis Einleitung. .. .. .. . .. .. . . . . . . .. .. .. . . .. . . . . .. .. . . . . .. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . .

21

1. Teil

"Echtheit" und "Unechtheit" der Unterlassungsdelikte

26

I. Die Abgrenzung nach dem Gebotsgegenstand ............................

26

11. Die nonnlogische Abgrenzung .............................................

29

III. Die erfolgsbezogene Unterscheidung ......................................

32

IV.

D.~e A~~enzung nach ontologischer Vergleichbarkeit und entsprechender Ponahslerung ................................................................

33

V. Schlußfolgerungen ..........................................................

35

2. Te i I

Die Begründung des Pßichtwidrigkeitszusammenhanges aus der handlungs- und unrechtstheoretischen Kritik der vorfindlichen Lehren

37

A. Erste Lösungsmöglichkeit: Die Unbeachtlichkeit von hypothetischem Geschehens für das Unrecht .............................................................

39

I. Darstellung, insbesondere am Beispiel der Lehre Spendeis ..............

39

11. Kritik ........................................................................

43

1. Kritik der rechtsphilosophischen Grundlagen ..........................

44

2. Kritik der strafrechtlichen Schlußfolgerungen .........................

46

a) Der Basismangel der strikt objektiven Unrechtslehre .............

47

b) Genauere Verdeutlichung des Basismangels am Phänomen der strafrechtswidrigen Verletzung .....................................

49

c) Die Konsequenzen einer objektiv-kausalen Unrechtslehre für den Bereich des Unterlassungsunrechts ................................

52

III. Zwischenergebnis ...........................................................

53

Inhaltsverzeichnis

10

B. Zweite Lösungsmöglichkeit: Grundsätzliche Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzbedingungen für die Bestimmung des Unrechts .........................

55

I. Die sog. Risikoerhöhungstheorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

56

1. Die Zurechnungslehre auf klassischer, vorkritischer Grundlage ......

58

a) Die Lehre Hardwigs ................................................

58

aa) Darstellung ....................................................

58

(1) Grundsätze der allgemeinen Zurechnungslehre .........

59

(2) Die Zurechnung aktiven Tuns zur Rechtswidrigkeit ...

65

bb) Kritik ..........................................................

66

(1) Kritik der "finalen Willenslehre" ........................

67

(2) Kritik der Unrechtsbegründung ..........................

69

(3) Kritik des Willensbegriffs im Hinblick auf die Kategorie der Freiheit................................................

71

b) Die neueren Begründungen der Zurechnungslehre als personale Unrechtstheorie, insbesondere am Beispiel der Lehre OltOS ••.•.

73

aa) Darstellung ....................................................

73

(1) Der personale Unrechtsbegriff ...........................

73

(2) Die Lehre von der objektiven Zurechnung.. .... . . .. . ...

76

bb) Kritik ..........................................................

80

(1) Mängel und Ungenauigkeiten in der Bestimmung der personalen Unrechtslehre Ottos ..........................

80

(2) Kritik der objektiven Zurechnungslehre

OltOS .•.•••••••

85

D~e)uris~isc.h-teleologische Zurechnungslehre nach dem Gedanken des Rlsikopnnzlps ...........................................................

96

a) Darstellung, insbesondere am Beispiel der Lehre Roxins ........

96

aa) Von der Kritik der Möglichkeit eines allgemeinen Handlungsbegriffs zur Begründung eines umfassenden Begriffs juristisch-teleologischer Zurechnung als Grundlage des Strafrechts .....................................................

96

2.

bb) Die nähere Bestimmung der objektiven Zurechnungslehre aus dem Prinzip der unerlaubten Risikoerhöhung ..........

99

b) Kritik ................................................................

103

aa) Ein allgemeiner Handlungsbegriff ist als Strukturbegriff zu denken möglich und notwendig .............................

104

(1) Zur Tragweite der handlungstheoretischen Kritik Roxins

104

(2) Der grundsätzliche Mangel der juristisch-teleologischen Zurechnungslehre Roxins .................................

106

(3) Verdeutlichung der Kritik im Hinblick auf die Lehre vom Schutzzweck der übertretenen Norm......... ....... ....

108

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Grundlagen und Notwendigkeit eines Risikovergleichs ....

111

(1) Der Risikovergleich beim fahrlässigen Begehungsdelikt

111

(2) Der Risikovergleich bei den unechten Unterlassungsdelikten ....................................................

118

3. Der Risikoerhöhungsgedanke auf erkenntnistheoretischer Grundlage..

120

a) Darstellung ..........................................................

120

aa) Die unrechtstheoretischen Voraussetzungen, insbesondere die Bedeutung des Verletzungserfolges für den Unrechtsbegriff sowie die Unterscheidung von Rechtsgutverletzung und Objektsverletzung .......................................

120

bb) Die differenzierende Erfassung des Risikogedankens (Gefahrbegriffs) auf erkenntnistheoretischer Grundlage........

123

(1) Die Lehre Stratenwerths .................................

123

(2) Die Vertiefung des Ansatzes durch Puppe..............

125

(3) Der PfI~~~~,widrigkeitszusammenhang als "Sonderfall der Kausahtät ... ....................... .............. ........

127

cc) Die Risikoerhöhungslehre als objektives Zurechnungsprinzip bei den unechten Unterlassungsdelikten ................

129

(1) Die Negativbedingung als Bestandteil einer Kausalerklärung in der Lehre von Puppe...... ................... ...

129

(2) Der kriminalpolitische Gedanke Stratenwerths .........

130

b) Kritik ............... .................................................

131

aa) Kritik der unrechtstheoretischen Grundlegung..............

131

(1) Das Verhältnis von Wille und Erfolg: Die weitere Kon-

kretisierung der Handlung, insbesondere am Beispiel der Anstiftung .................................................

131

(2) Kritik der Normentheorie: Strafrechtsnormen als Verhaltensnormen - zur Wechselbezüglichkeit von Bestimmungs- und Bewertungsnorm und deren rechtlichem Rangverhältnis ............................................

135

(3) Der strafrechtliche Erfolgsbegriff: Rechtsgutsverletzung und Objektsverletzung auf der Basis der Autonomie im interpersonalen Verhältnis ...............................

136

bb) Kritik der Risikoerhöhungslehre .............................

142

(1) Die Wirklichkeit der Risikoerhöhung: Erfolgskonkretisierungen; Rechtsgutsverletzung durch real verändernde Risikoerhöhung; Verlaufsvergleich und Risikovergleich in unterschiedlich determinierten Wirklichkeitsbereichen

142

(2) Kritik der Lehre Puppes vom "Sonderfall der Kausalität"

151

cc) Kritik der Risikoerhöhung als objektives Zurechnungsprinzip bei den unechten Unterlassungsdelikten ................

155

(1) Puppes Konzept der Unterlassungskausalität ...........

155

(2) Kritik des Ansatzes von Stratenwerth und Walder .....

157

12

Inhaltsverzeichnis 11. Die unvermittelt folgenorientierten Lösungen 1. Die Theorie des spezifischen Relevanzzusammenhanges (B. Schüne-

159

mann) ....................................................................

162

a) Darstellung ..........................................................

162

aa) Allgemeine strafrechtstheoretische Grundlagen: die sog. positive Generalprävention; Schuldprinzip und Generalprävention ............................................................

162

bb) Die unrechts theoretischen Grundlagen, insbesondere des fahrlässigen Delikts: durch qualifizierte Sozialschädlichkeit ergänzte Normwidrigkeit; das erlaubte Risiko..............

164

cc) Die Bestimmung des Relevanzzusammenhanges als Vorgang der Normkonstituierung ............. ............... ....

166

b) Kritik ................................................................

167

aa) Begründungsmängel der strafrechtstheoretischen Grundlagen ............................................................

167

Di~ l!nhaltbarkeit der Generalprävention als tragendes Prinzip.....................................................

167

(2) Die Mängel in der Begründung der Willensfreiheit ....

171

(3) Kritik der ,,Neubestimmung des Schuldprinzips" .... ...

174

bb) Kritik der Begründung des Fahrlässigkeitsunrechts ........

175

(1)

(1) Die Unbestimmtheit in der Grundlage des allgemeinen

Unrechtsbegriffs ..........................................

176

(2) Kritik der generalpräventiv-dezisionistischen Begründung der Sorgfaltsnorm ..................................

176

(3) Die Bedeutung des Erfolgsunwerts für den Unrechtsbegriff kann nicht allein gesetzespositivistisch begründet werden ....................................................

179

cc) Kritik der Theorie des spezifischen Relevanzzusammenhanges .............................................................

180

(1) Kritik der Umkehrung des Grund-Folge-VerhälttIisses

von Unrecht und Strafe . ..... ............. .... ...........

180

(2) Die Mängel in der handlungstheoretischen Grundlage.

182

(3) Kritk der unrechtstheoretischen Begründung des "spezifischen Relevanzzusammenhanges" ............. ........

184

dd) Das Problem des spezifischen Relevanzzusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten .........................

185

(1) Das Bewirken durch Unterlassen als ,,Herrschaft über den Grund des Erfolges" und der "spezifische Relevanzzusammenhang" bei den unechten Unterlassungsdelikten

186

(2) Kritik der Unterlassungslehre: methodentheoretische Kritik; Realität und Kausalität unechter Unterlassungen

187

Inhaltsverzeichnis

13

2. Die systemtheoretisch begründete Zurechnungslehre (G. Jakobs) ....

192

a) Darstellung ..........................................................

192

aa) Die Grundlagen ...............................................

193

(1) Die Systemtheorie Niklas Luhmanns als soziologisch-

rechtstheoretische Basis ..................................

193

(2) Die Th~orie .der Normstabilisierung bezweckenden GeneralpraventlOn ..... .. . . .. .. . . . . . . .. .. .. .. .. . . . .. .. . .. .. . .

195

bb) Die systemfunktionale Verwandlung des (normativen) Schuldbegriffs ................................................

196

(1) Ausgangspunkt und Entwicklung der finalen Handlungstheorie .....................................................

196

(2) Der Schuldbegriff des Finalismus .......................

199

(3) Der funktionale Schuldbegriff ...........................

200

cc) Die systemtheoretische Umformulierung der Theorie der objektiven Zurechnung .......................... ................

201

(1) Die Grundbestimmungen der objektiven Zurechnung..

202

(2) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Die Lehre vom perfekten Bedingungsquantum ...........................

203

b) Kritik ................................................................

204

aa) Kritik der Grundlagenbestimmungen ........................

204

(1) Kritik der rechtstheoretischen Basis der Systemtheorie:

Die Entleerung des Subjektsbegriffs und die Trennung der (Straf-)Rechtsbegründung von Prinzipien praktischer Richtigkeit ................................................ 204

(2) Kritik der strafrechtlichen Rezeption der Systemtheorie in der ~estal~ der Normstabilisierung bezweckenden GeneralpraventlOn ......................... .. . . . . . .. .. .. . .. . . 209 bb) Kritik des funktionalen Schuldbegriffs ...... ................

213

(1) Kritik des normativen Schuldbegriffs ...................

212

(2) Die Verschärfung der kritisierten Mängel des normativen Schuldbegriffs in einer systemfunktional-generalpräventiven Schuldlehre; die Notwendigkeit eines kritischen Schuldbegriffs und dessen Verhältnis zur Theorie der objektiven Zurechnung.. ................ ................. 215 cc) Kritik der systemfunktional begründeten objektiven Zurechnungslehre ........................... .. . . . . .. . . . . . . .. . . . . . .. . . 222 (1) Die Mängel der Grundlagen .............................

222

(2) Kritik der Bestimmung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges: Das Verhältnis von Gut, Rechtsgut und Strafrechtsgut einerseits sowie Normgeltungswidrigkeit andererseits; Kritik des naturalistischen Gutsbegriffs; der Umfang der Beachtlichkeit von hypothetischem Geschehen 224 (3) Kritik der objektiven Zurechnungslehre für die unechten Unterlassungsdelikte: Zur Notwendigkeit sachlicher Gleichwertigkeit der unechten Unterlassungen ......... 230

14

Inhaltsverzeichnis III. Die Venneidbarkeitstheorie der h. M. und ihr Kriterium der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" ........................................... 231 1. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang in der Rechtsprechung insbesondere des BGH ...........................................................

232

a) Darstellung ..........................................................

232

aa) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Begehungsdelikt (BGHSt 11, 1) ................................ 232 bb) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei den unechten Unterlassungsdelikten ...........................................

233

b) Kritik ................................................................

235

aa) Kritik der BGH-Rechtsprechung zum fahrlässigen Begehungsdelikt .................................................... 235 (1) Der Fehler des strafverfahrensrechtlichen Ansatzes bei dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" ....

236

(2) Die richtige Verweisung auf den Schuldgrundsatz, aus dessen Basis - der Autonomie im interpersonalen Verhältnis - sich die Begründung für die Berücksichtigung hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhaltens ergibt. - Die Unvereinbarkeit des Kriteriums der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" mit der - zutreffenden - Grundlegung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges in dem Begriff der interpersonalen, rechtlich verfaßten Freiheit .........................................

237

bb) Die Notwendigkeit genauerer Aufklärung des "Pflichtwidrigkeitszusammenhanges" als eines Straftatmerkmals der unechten Unterlassungsdelikte ............................... 239 2. Die Lehre von der Schutzwirkung der Sorgfaltspflicht ...............

240

a) Darstellung, insbesondere anhand der Arbeiten von Ulsenheimer: Die "Schutzwirkung der Sorgfaltspflicht" als besondere Unrechtsvoraussetzung beim fahrlässigen Begehungsdelikt ................

240

b) Kritik ................................................................

242

aa) Kritik der Lösung für das fahrlässige Begehungsdelikt ....

242

(1) Zur Unklarheit des Erfolgsbegriffs ......................

242

(2) Zur Unbestimmtheit der Handlung und der durch sie verwirklichten Grund-Folge~Beziehung ............ ..... 243 (3) Kritik der Abstraktheit des Begriffs der "zweckhaften Venneidbarkeit" .......................................... 244 bb) Die unausgewiesene Übertragung der Schutzwirkungslösung auf die unechten Unterlassungsdelikte ...................... 247 3. Die Theorie der objektiven Zurechnung nach dem Intensivierungsprinzip ................................................ : ....................... 248 a) Darstellung der von Samson vorgetragenen Lehre ................

249

aa) Der Begründungsgang für die Alleintäterschaft ............

249

bb) Der "Gefährdungsdeliktseinwand" gegen die Risikoerhöhungslehre ............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Inhaltsverzeichnis b) Kritik

15 250

aa) Der notwendige Bezug des Erfolgsbegriffs auf den Begriff der Person und ihrer Handlung .............................. 251 bb) Die Widerlegung des "Geflihrdungsdeliktseinwandes" .....

254

(1) Zur Möglichkeit eines Gefahrbegriffs bei naturalistischgegenständlichem Denken .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (2) Die Risikoverwirklichung im Verletzungserfolg auf der Grundlage eines handlungsbezogen objektiven Gefahrbegriffs ....................................................

255

cc) Die Unklarheit des Intensivierungsprinzips bei den unechten Unterlassungsdelikten ........................................

258

C. Zwischenergebnis und Übergang zur Lösung für die unechten Unterlassungsdelikte .............................................................................

259

I. Ertrag aus der Kritik: Die Lösung für das fahrlässige Begehungsdelikt .....

259

11. Erweiterung zu den unechten Unterlassungsdelikten? ....................

262

1. Die gegen eine unvermittelte Erweiterung sprechenden Gründe .....

263

2. Der Ansatz für die eigene Lösung .....................................

263

3. Te i I Die Grundstruktur des Begriffs rechtlich verfaßter Freiheit im gegenseitig-praktischen Verhältnis als Basis personaler Strafrechtstheorie

269

A. Ertrag der strafrechtstheoretischen Kritik im Hinblick auf den Freiheitsbegriff 269

I. Die "positiven" Merkmale der Freiheit. . . . . . . .... . . . ... . . . ... . . . . . . . .. ....

269

11. Unzulängliche Freiheitsbegriffe ............................................

270

B. Der Aufweis der Autonomie als Grundprinzip des praktischen Bewußtseins... ..

272

I. Die kritische Erkenntnistheorie als erster Schritt der neuen Philosophie. . . . 273 1. Geschichtliche Erinnerung: Die Radikalisierung des Zweifels im modernen Denken und die daraus gewonnene Grundgewißheit (R. Descar-

fes) .. ...................................................... .......... .....

273

2. Die erkenntniskritische Analyse der theoretischen Vernunft, erläutert insbesondere im Hinblick auf die Kategorie der Kausalität (Kant) .. 276 a) Grundlagen.. .................... ............ .... ......... ...........

277

b) Die Kategorie der Kausalität .......................................

279

16

Inhaltsverzeichnis 11. Die "Kopernikanische Wende" in der neuzeitlichen Ethik ...............

283

1. Der kategorische Imperativ als Strukturgesetz des menschlichen Willens .......................................................................

284

2. Die Auflösung der Antinomie von Naturkausalität und personaler Wirksamkeit aus Freiheit ...............................................

290

a) Abweisung einer Zwei-Welten-Lehre....... ........ ......... ......

291

b) Die Auflösung nach den Geltungsbereichen beider Prinzipien ...

293

III. Die notwendige Erweiterung des kategorischen Imperativs der Freiheit zum gegenseitig-praktischen Verhältnis ...................................

296

1. Das Prinzip p~aktischer Allgemeinheit als Ausdruck ursprünglicher Interpersonalität .........................................................

296

2. Freiheit durch positive Gesetze im Staat ..............................

300

C. Zusammenfassung und Übergang zu den strafrechtsdogmatischen Konsequenzen für die unechten Unterlassungsdelikte ......................................

302

4. Te i I Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei den unechten Unterlassungsdelikten

306

I. Die unechte Unterlassung als willensbegründete Veränderung einer besonderen Interpersonalbeziehung ..........................................

306

1. Die Unhaltbarkeit aller eine Bewirkensqualität der unechten Unterlassung ablehnenden Lehren ...............................................

306

2. Die Theorie einer als Denkform zu verstehenden Unterlassungskausalität ......... ........... ...... .......... ...... .......... .... ................

308

a) Darstellung ..........................................................

308

b) Kritik ... ............ ..... ............ ..... ........................ ...

310

3. Das Bewirken durch Unterlassen als Veränderung einer freiheitsgesetzlich angelegten konkreten interpersonalen Wirklichkeit ..............

312

11. Bestimmung des Verschlechterungsmoments unechter Unterlassungen (Pflichtwidrigkeitszusammenhang) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

1. Verschlechterung in den durch freies Handeln mitgestalteten Zusammenhängen ...............................................................

319

2. Verschlechterung in ausschließlich kausalgesetzlieh festgelegten Wirklichkeitsbereichen ..................................................

320

III. Zur Auslegung des § 13 StGB .............................................

322

Inhaltsverzeichnis

17

5. Te i I

Verdeutlichung der vorgetragenen Lösung an Beispielsfällen aus der Rechtsprechung

323

I. Entscheidungen zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Begehungsdelikt ............................................................

323

11. Entscheidungen zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei den unechten Unterlassungsdelikten ......................................................

331

Schluß

2 Kahlo

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in Thesenform

338

Literaturverzeichnis

342

Abkürzungsverzeichnis aaO. Abs. a.E. Anh. Anm. ARSP

Art. Aufl. Bd. BGB BGE BGH BGHSt BVerfGE DAR ders. dies. Diss. DR DRechtsW f. ff. Fn. FS GA GG GS h.L. h.M. HRR Hrsgb. JA JR JURA JuS

= am angegebenen Ort = Absatz = am Ende = Anhang = Anmerkung = Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie = Artikel = Auflage = Band = Bürgerliches Gesetzbuch = Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (amtliche Sammlung) = Bundesgerichtshof = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung) = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) = Deutsches Autorecht = derselbe = dieselbe = Dissertation = Deutsches Recht = Deutsche Rechtswissenschaft = folgende = fortfolgende = Fußnote = Festschrift = Goltdammer's Archiv für Strafrecht = Grundgesetz = Der Gerichtssaal = herrschende Lehre = herrschende Meinung = Höchstrichterliche Rechtsprechung = Herausgeber = Juristische Arbeitsblätter = Juristische Rundschau = Juristische Ausbildung = Juristische Schulung

Abkürzungsverzeichnis

IW

= Juristische Wochenschrift = Juristenzeitung = Monatsschrift für Deutsches Recht = Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsrefonn = mit weiteren Nachweisen NIW = Neue Juristische Wochenschrift NStZ = Neue Zeitschrift für Strafrecht OGHSt = Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes fur die Britische Zone in Strafsachen = Philosophische Rundschau PhilRSch = Randnummer Rdnr. = Reichsgericht RG = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (amtliche RGSt Sammlung) = Schleswig Holsteinische Anzeigen SchlHAnz = Schwurgericht SchwurG SchwZStrR = Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht = Strafgesetzbuch StGB = Strafprozeßordnung StPO Strafrecht AT = Strafrecht Allgemeiner Teil StrV = Strafverteidiger = vergleiche vgl. VRS = Verkehrsrechtssammlung ZAkDR = Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht ZtR = Zeitschrift für Rechtsvergleichung = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW

JZ MDR MSchrKrim m.w.N.

19

Einleitung Wann ein Geschehen in der Wirklichkeit als "Erfolg" menschlichen HandeIns zu erklären ist und deswegen dem handelnden Subjekt als "sein Werk" (objektiv) zugerechnet werden kann, ist ein Zentral problem des Rechts. Auch die Bemühungen der Strafrechtswissenschaft haben ihm daher immer schon gegolten. Nachdem sich diese Bemühungen für lange Zeit auf die Bestimmung eines weitgehend naturalistisch verstandenen Kausalitätsbegriffs konzentriert hatten 1, macht sich in neuester Zeit zunehmend wieder der Gedanke geltend, daß eine Lösung des Problems nur unter Einbeziehung von - vorläufig ausgedrückt und noch ganz unbestimmt - normativen Gesichtspunkten gefunden werden kann. Die diesen Gedanken aufnehmende und um seine Konkretisierung bemühte Lehre der objektiven Zurechnung 2 konnte sich dabei besonders an der wissenschaftlichen Bearbeitung der Fahrlässigkeits- und der unechten Unterlassungsdelikte entwickeln, denn es konnte gerade im Bereich dieser Delikte nicht lange verborgen bleiben, daß eine ausschließlich auf den naturwissenschaftlichen Kausalbegriff verengte Erfolgszurechnung jedenfalls sachlich nicht ausreichend (Fahrlässigkeit) und zum Teil auch gar nicht möglich ist (unechte Unterlassungen). Mit der Einsicht, daß zumindest das Unrecht dieser Delikte (auch) normativ geprägt ist 3 , stellte sich auch die Frage der Erfolgszurechnung neu, und insbesondere das Merkmal des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhanges ist aus der neueren Bearbeitung der genannten Frage hervorgegangen 4. 1 Vgl. stellvertretend die Feststellung von Larenz in dessen gleichnamiger Arbeit über "Hegels Zurechnungslehre" (1927): " ... die Abgrenzung der eigenen Tat vom zufälligen Geschehen, wird von der gegenwärtigen Rechtswissenschaft fast ausschließlich unter dem naturalistischen Gesichtspunkt der Kausalität gesehen" (a.a.O. S. VII). - Larenz' eigene Arbeit, die eine grundsätzliche Kritik der genannten Kausalitätslehre unternimmt, bildet hiervon freilich eine Ausnahme. 2 Diese Bezeichnung ist inzwischen weitgehend üblich geworden (vgl. etwa Sch.Schr.-Lenckner, StGB, Vorbem. §§ 13 ff., Rdnr. 71; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 57 ff.; Wesseis, Strafrecht AT, § 6 II., S. 53 ff.). Sie soll daher auch in der vorliegenden Arbeit beibehalten werden, obwohl in ihr Bedeutungen einer alten (rechts-)philosophischen Tradition mitschwingen, der nur wenige der heutigen Zurechnungslehren - ausdrücklich - verpflichtet sind. 3 Das Erfordernis der Sorgfalts- bzw. Garantenpflichtverletzung hat sich für die Fahrlässigkeitsdelikte spätestens seit Engischs "Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht" (vgl. insbesondere § 19, S. 277 ff.) zunehmend durchgesetzt und wird heute bekanntlich ganz überwiegend als Unrechtsmerkmal angesehen. - Anders noch die sog. klassische Auffassung, die die Fahrlässigkeit als reine Schuldform behandelt hatte. 4 Die Erkenntnis dieses Merkmals geht soweit ersichtlich - auf Engisch zurück (aaO., S. 316, wo - in Auseinandersetzung mit RGSt 62, 126 ("Felsenkeller-Fall") -

22

Einleitung

Dieses Merkmal, dessen nähere Bestimmung für die unechten Unterlassungsdelikte sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe gemacht hat, ist freilich bislang vornehmlich am fahrlässigen Begehungsdelikt entwickelt worden. Eine gesonderte Untersuchung für den Bereich der Unterlassung erfolgte nicht. Vielmehr wurden die am Begehungsdelikt entwickelten Erkenntnisse ganz überwiegend unvermittelt auf die Unterlassung übertragen. Gegen eine solche Übertragung müssen nun aber schon bei einer eher äußerlichen, straftatsystematischen Betrachtung Zweifel an ihrer Berechtigung entstehen: denn während das genannte Merkmal für den Bereich des aktiven Tuns auf dem ganz überwiegend als Mindesterfordernis jeder objektiven Zurechnung angesehenen Kausalitätskriterium 5 gleichsam aufruht, indem es dort nahezu unbestritten als eine zusätzliche "Haftungsbeschränkung" verstanden wird 6 , ist eine vergleichbar gefestigte und gleichwertige Basis für die unechten Unterlassungsdelikte nach wie vornicht auszumachen. Der Frage, ob der unechten Unterlassung die Qualität eines Bewirkens zukommt (Unterlassungskausalität) 7 und - falls ja - welche Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen, hat zwar seit jeher ein besonderes Interesse der Strafrechtswissenschaft gegolten 8; gleichwohl ist keinem der bis heute erarbeiteten Begründungsversuche 9 eine allgemeine oder auch nur überwieerstmals von einer fehlenden Kausalität des Sorgfaltsmangels die Rede ist). - Die Terminologie ist bis heute uneinheitlich. So ist zum Teil vom ,,Rechtswidrigkeitszusammenhang"(Sch.-Schr.-Cramer, StGB, § 15 Rdnr. 129, 159 ff.; SK-Samson, Anh. zu § 16 Rdnr. 25; LK-Hirsch, § 230 Rdnr. 7), vom ,,Risikozusammenhang" (SK-Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 63; Sch.-Schr.-Lenckner, StGB, Vorbern. §§ 13 ff., Rdnr. 95 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT I, S. 118, Rdnr. 348) oder davon die Rede, ob die Pflichtwidrigkeit "im strafrechtlichen Sinne ursächlich" war (vgl. BGHSt 11, 1 (7». Wesentliche sachliche Unterschiede verbergen sich hinter diesen begrifflichen Differenzen jedoch nicht (wenn man einmal von den unterschiedlichen straftatsystematischen Einordnungen absieht). 5 Vgl. SK-Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 38; Sch.-Schr.-Lenckner, StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 71; Jakobs, Strafrecht AT, S. 163, Rdnr. 7/29; Wesseis, Strafrecht AT, § 61.1., S.46 .; Jescheck, Lehrbuch AT, § 28, S. 247 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, S. 241 ff., § 18 III Rdnr. 37 ff.; Ebert-Kühl, JURA 79, 561 (562); Puppe ZStW 92 (1980), 863 ff. (895). 6 Der Gesichtspunkt, daß eine jede Beschränkung eines Begriffs - hier: der objektiven Zurechnung (,,Haftung") - nur aus Bestimmungen möglich ist, die sich (auch) auf die Begründung des Begriffs und die in ihm erfaßte Wirklichkeit beziehen, kann zunächst noch dahingestellt bleiben. 7 Es versteht sich, daß der Begriff der Kausalität hier nicht in seiner naturalistischen Verengung, sondern in einer weiteren, vorläufig notwendig noch unbestimmten Bedeutung verwendet wird, die insbesondere auch die durch das Faktum menschlichen Handeins eröffneten Möglichkeiten der Wirklichkeitsgestaltung einschließt. 8 Bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts reicht das überlieferte wissenschaftliche Bemühen um diese Probleme zurück. - Das Verdienst, das Interesse auf diese Problematik gelenkt zu haben, dürfte Luden (Abhandlungen I, S. 472 ff.) zukommen, der die Fragen im Rahmen seiner Erörterungen über die Möglichkeit des Unterlassungsversuchs aufgeworfen und behandelt hat. 9 Vgl. die ausführliche und sorgfältige kritische Darstellung der Dogmengeschichte bei Welp, Vorangegangenes Tun, S. 25-75. In den Lehrbüchern wird ein Teil der Lösungsversuche abgehandelt bei H. Mayer, Strafrecht AT (1953), S. 115; Maurach / Gössel, Strafrecht AT 2, S. 150 ff.

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gende Anerkennung zuteil geworden. Es mag nicht zuletzt dieser Tatbestand sein, der insbesondere in letzter Zeit zu der zunehmenden Ausbreitung einer Auffassung geführt hat, derzufolge das Problem der Unterlassungskausalität "zu den wirklichkeitsfremden und unergiebigen Streitfragen" gehören soll, "die die deutsche Strafrechtswissenschaft unnötig belasten" 10, und es liegt in der Konsequenz dieses Standpunktes, wenn sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik inzwischen zunehmend auf die Erörterung der einen Frage beschränkt, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit der Unrechtserfolg bei Vornahme der dem Garanten gebotenen Rettungstätigkeit vermeidbar gewesen sein muß, damit eine objektive Zurechnung unechter Unterlassungsstraftaten erfolgen kann 11. Damit ist man jedoch zum Ausgangspunkt zurückgekehrt: denn die vorstehend formulierte Frage ist in der Sache ja nichts anderes als die Umschreibung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs für den Bereich der Unterlassung, so daß wiederum offenbleibt, warum dieses Merkmal für diesen Bereich - anders als bei aktivem Tun - als ausschließliche Grundlage der objektiven Zurechnung eigentlich zureichend sein kann. Darüber hinaus muß es auch in der Sache selbst durchaus fragwürdig erscheinen, ob die vorstehend angeführte Auffassung - derzufolge es sich bei der Arbeit an der Begründung der Unterlassungskausalität um ein unnötiges und sinnloses Unterfangen handeln soll - gerade in ihrer krassen Gegenläufigkeit zu der mit Gründlichkeit und Ausdauer geführten traditionellen Diskussion um dieses Problem das letzte Wort sein darf. Dabei stellt sich die Frage zunächst dahin, ob es in einer rechtlich verfaßten Gemeinschaft sich autonom verstehender Subjekte überhaupt vertretbar sein kann, in dem Bemühen um Begründung (oder Widerlegung) der Bewirkensqualität unechter Unterlassungen nachzulassen, solange diese Taten nach der ständigen Spruchpraxis der Gerichte nach wie vor bestraft werden. Denn in einer solchen Gemeinschaft können Erfolge jedem Einzelnen nur so weit zuzurechnen sein, als sie als die von ihm bewirkten "seine", also sein Werk sind. Inwieweit durch die Handlungsform des Unterlassens eine 10 So ausdrücklich Gössel, a.a.O., S. 150; bereits früher ähnlich v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch, S. 171. - Schmidhäuser spricht von einem "der bedauerlichsten Scheinprobleme der deutschen Strafrechtslehre der letzten hundert Jahre" (Strafrecht AT, S.684, Nr. 16/74). Wetzel hält die Kausalität der Unterlassung für ein ,,Phantom" (Lehrbuch, S. 212 f.), nachdem er sie bereits früher als ein "vielbehandeltes wissenschaftliches Zuchtprodukt" bezeichnet hatte (zitiert nach Spendei, Die Kausalitätsformel, S. 9 Fußn. 1). Zurückhaltender Jescheck, für den "die Kausalität nicht die entscheidende Frage der Unterlassung ist" (Lehrbuch AT, § 581. 2., S.543), und Stratenwerth (Strafrecht AT, S.277, Rdnr. 1025). Vgl. ferner die weiteren Nachweise bei Welp, Vorangegangenes Tun, S. 167 Fußn. 110. 11 Als Ausnahme hiervon war unter den gängigen Lehrbüchern und Kommentaren bisher der Allgemeine Teil von Baumann zu nennen, der die Frage der Unterlassungskausalität als ein Problem aufnimmt und sich (a.a.O. S. 247) um eine Begründung bemüht. Aber auch in diesem Buch wird die Frage in der inzwischen erschienenen, von Baumann / Weber gemeinsam bearbeiteten neunten Auflage (1985) in ihrer Bedeutung eher abgeschwächt (a.a.O. S. 239).

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bestehende Wirklichkeit verändert und gestaltet werden kann, ist also ein grundsätzliches Problem. Seine Behandlung und die Art seiner Lösung sind daher auch ein Spiegel für das Maß der in einer Rechtsgemeinschaft verwirklichten Vernunft. Selbst dann aber, wenn man von dieser grundsätzlicheren Überlegung einmal absieht, bleibt immerhin die Frage, ob es nicht zugleich einen wesentlichen sachlichen Mangel der aktuellen objektiven Zurechnungslehre kennzeichnet, wenn diese Lehre für den weiten und immerhin auch in der Praxis der Gerichte keineswegs unbedeutenden Bereich der unechten Unterlassungsdelikte nicht auf der Grundlage eines gesicherten Kausalitätsbegriffs und damit gleichsam bodenlos entwickelt wird. Daß dieser Mangel bislang nicht deutlicher hervorgetreten ist 12, hat seinen Grund besonders in der nach wie vor bestehenden Unklarheit über das Verhältnis von Kausalität und objektiver Zurechnung bzw. von faktischen und normativen Momenten im Begriff des menschlichen Bewirkens 13. Wenn die hier vorgelegte Arbeit daher der näheren Bestimmung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten gewidmet ist, so geschieht dies in der Absicht, einen Beitrag zur Fortentwicklung der Theorie der objektiven Zl' :chnung in einem Bereich zu leisten, der auch für diese Theorie, wie die vorstehe.·len Überlegungen verdeutlichen sollten, noch nicht als zureichend geklärt gelten kann. Dabei läßt sich die Arbeit von der Überzeugung leiten, daß einer Rechtsgemeinschaft, die den Einzelnen in seiner Selbständigkeit als Rechtsperson ernstnimmt, die Leistung der vorstehend angesprochenen Begründungen nicht erlassen werden kann. Der Weg, auf dem die nachfolgende Untersuchung sich um die Aufklärung der aufgegebenen Fragestellungen bemüht, nimmt seinen Ausgang von einer an ältere Überlegungen anknüpfenden Kritik der Unterscheidung zwischen unechten und echten Unterlassungsdelikten. Sie dient nicht nur der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, sondern sie ist zugleich als eine erste Annäherung an das Problem der Unterlassungs kausalität gedacht (Teil 1.). Die Arbeit wendet sich sodann dem strafrechtlichen Kern der Untersuchung zu, dem Merkmal des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges (Teil 11.). In einer kritischen Auseinandersetzung mit den zur Bestimmung dieses Merkmals vorge12 Besonders in einer Reihe von höchstrichterlichen Entscheidungen hat sich das Defizit freilich bereits ausgewirkt; vgl. BGH NJW 1986, 2516 (2517); BGH NStZ 1986, 217, und dazu Verf. in GA 1987,66 ff. 13 Diese Feststellung gilt auch für die (fahrlässigen) Begehungsdelikte, wo die Kausalität und die Kriterien der objektiven Zurechnung durchweg unverbunden nebeneinander her geführt werden. - Der Hinweis auf die im Anschluß an den bekannten "RadfahrerFall" (BGHSt 11, I) entstandene Kontroverse darum, ob es so etwas wie die vom Bundesgerichtshof angenommene "Kausalität der Pflichtwidrigkeit" geben kann, mag an dieser Stelle als Beleg genügen. Gerade diese Kontroverse ist ja ganz offensichtlich von der Überzeugung getragen gewesen, daß es sich bei der Frage, ob sich die Pflichtwidrigkeit (des LKW-Fahrers) im Verletzungsgeschehen verwirklicht habe, um ein vom Ursachenzusammenhang zu trennendes Problem handelt. Dann aber stellt sich die Frage um so schärfer, wie beide Seiten zusammengehören.

Einleitung

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tragenen Lehren, die überwiegend im Zusammenhang des fahrlässigen Delikts entwickelt worden sind, sollen die für die eigene Lösung des Problems erforderlichen handlungs- und unrechtstheoretischen Grundlagen erarbeitet werden; und da dieselben insbesondere von den sogenannten Risikoerhöhungslehren zur Diskussion gestellt werden, bildet die Untersuchung dieser Lehren einen gewissen Schwerpunkt dieses Teils. In einem weiteren Schritt soll dann der Grundgedanke rechtlich verfaßter Freiheit, der schon zuvor als Maßtab der Kritik herangezogen und durch die Auseinandersetzung mit den strafrechtlichen Theorien von manchen Seiten her bestimmt werden wird, als die rechtsphilosophische Basis der Arbeit näher begründet werden, um eine Lösung des Zentralproblems der Untersuchung, wie eigentlich ein Unterlassen Grund einer als Verletzungsunrecht zu erfassenden Veränderung der Wirklichkeit sein kann, vorzubereiten (Teil III.). Teil IV. der Arbeit unternimmt sodann die geforderte Bestimmung des Merkmals des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten. Dabei knüpft die Bestimmung an die zuerst von E. A. Wolff vorgetragene, und dann vor allem durch Welp und Maiwald weiter ausgearbeitete Theorie des Bewirkens durch Unterlassen an, die eine in der rechtssubjektiven Freiheit (Autonomie) verankerte Begründung der unechten Unterlassungsdelikte und damit zugleich deren rechtsstaatlich geforderte Begrenzung ermöglicht. Im letzten Kapitel (Teil V.) soll das erarbeitete Verständnis des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges schließlich an einer Auswahl einschlägiger, mehr oder weniger bekannter Entscheidungen erprobt werden, um es durch seine Anwendung auf konkrete Lebenssachverhalte zusätzlich zu veranschaulichen und zugleich seine praktische Verwertbarkeit unter Beweis zu stellen. - Die Arbeit endet dann mit einer thesenförmigen Zusammenfassung ihrer wichtigsten Ergebnisse.

1. Teil

"Echtheit" und "Unechtheit" der Unterlassungsdelikte Wer heutzutage an die traditionelle Unterscheidung der durch Unterlassen zu begehenden Straftaten in "echte" und "unechte" Unterlassungsdelikte I anknüpft, kann trotz der nach wie vor bestehenden Üblichkeit der Terminologie 2 bezüglich der Begriffsinhalte nicht mehr auf allgemeine Übereinstimmung rechnen 3. Es ist deswegen zunächst zu verdeutlichen, welcher Deliktsbereich gemeint ist, für den die Frage des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges nachstehend abgehandelt werden soll. Die Eingrenzung dieses Bereichs erfordert eine Auseinandersetzung mit denjenigen sachlichen Merkmalen, nach denen die Begriffsbestimmung erfolgen könnte 4 •

I. Die Abgrenzung nach dem Gebotsgegenstand 1. Darstellung Nach dieser Auffassung, die auf Landsberg 5 und von Bar 6 zurückgeht 7 und bis heute vorwiegend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertreten wird 8, I Die Unterscheidung geht auf Luden zurück, der die Unterlassungsdelikte in "Unterlassungsverbrechen im eigentlichen Sinne" und solche ,,Rechtsverbrechen" eingeteilt hat, die durch "Unterlassungshandlungen" begangen werden und schon durch das allgemeine Verletzungsverbot verboten sind (vgl. Abhandlungen I, S. 468, 473; 11, S. 119 f., 223,242 einerseits, und 11, S. 169 ff., 220, 245 f. andererseits). Der Sache nach entspricht dies der Einteilung in "echte" und "unechte" Unterlassungsdelikte. 2 Vgl. etwa Jescheck, Lehrbuch AT, § 58 II1., S. 547 ff.; Baumann / Weber; Strafrecht AT, S.233 ff:; Maurach-Gössel, Strafrecht AT 2, S. 142; Welzel, Lehrbuch, S.202; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 277. - Gegen die Unterscheidung allerdings Schmidhäuser, Strafrecht AT, S.654 (Fn. 4), 657 f. sowie Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 23 ff. 3 Vgl. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 152. 4 Vgl. Maiwald, JuS 1987, 473, Fn. 4, der den Zusammenhang jedoch vernachlässigt, der zwischen der Systematisierung der Unterlassungsdelikte und deren sachlichem Gehalt besteht. - Daß die Abgrenzung darüber hinaus auch praktisch nicht schlechthin bedeutungslos ist, ergibt sich daraus, daß die Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 für echte Unterlassungsdelikte von vornherein nicht in Betracht kommt; vgl. den Hinweis vonSchünemann, ZStW 96 (1984), 288 (303). 5 Die sogenannten Commissivdelikte durch Unterlassung, S. 171 ff. 6 Gesetz und Schuld 11, S. 542. 7 Deutliche Anklänge allerdings bereits bei Luden, Abhandlungen I, S.467: Ein (echtes) Unterlassungsverbrechen sei "die ... Nichterfüllung einer obligatio ad faciendum", während bei den unechten Unterlassungsdelikten der Unterlassende ,,rechtlich

I. Abgrenzung nach dem Gebotsgegenstand

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sollen die echten von den unechten Unterlassungsdelikten dadurch zu unterscheiden sein, daß diese durch eine Erfolgsabwendungspflicht, jene dagegen durch eine bloße Tätigkeitspflicht gekennzeichnet seien 9. Während also die unechten Unterlassungsdelikte "Verpflichtungen zur Verhinderung der Realisierung der Gefahr" enthalten sollen 10, werde bei den echten Unterlassungsdelikten nicht die Erfolgsabwendung als solche, sondern lediglich eine bestimmte Tätigkeit geschuldet 11. Dabei werden als Kernbereiche der echten Unterlassungsdelikte im allgemeinen die Bestimmungen der §§ 138, 323 c StGB angesehen, während die unechten Unterlassungsdelikte die Tatbestände der sogenannten Erfolgsdelikte verwirklichen sollen. 2. Kritik

Geht man davon aus, daß die Vorschriften der §§ 138,323 c StGB den Kernbereich der echten Unterlassungsdelikte ausmachen 12, so müßten diese Bestimmungen nach der vorstehend dargestellten Auffassung reine Tätigkeits- und keinesfalls Erfolgsabwendungspflichten enthalten 13. Eine erste Betrachtung der Regelung des § 138 StGB scheint diese Annahme zunächst zu bestätigen, indem die Vorschrift zur rechtzeitigen Anzeige gegenüber der Behörde oder dem Bedrohten und damit zur Vornahme einer durch gesetzliche Umschreibung genau bestimmten Tätigkeit verpflichtet. Daß es sich bei dieser Tätigkeit jedoch um schlichte Aktivität ohne Bezug zu einer Erfolgsabwendung handeln würde, läßt sich demgeverbunden war, durch eine positive Handlung der Wirksamkeit jener (auf einen Erfolg zustrebenden; Anm. d. Verf.) Kräfte entgegenzutreten" und den Erfolgseintritt dadurch abzuwenden (S.470/471); ähnlich Abhandlungen 11, S. 219 ff., insbesondere S.221/ 222. Vgl. auch Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht I, S. 354. 8 BGHSt 14,280 (281); 17, 166 (172). 9 In der Literatur ist dieser Standpunkt besonders von Georgakis (Hilfspflicht, S. 6 ff.); Eb. Schmidt (Der Arzt, S. 82/83, insbesondere Fn. 45; ders., Niederschriften, 12. Band, S. 88 ff.); Mezger (Strafrecht, S. 140 ff.) und Böhm (JuS 1961, 177 (178» herausgearbeitet worden. Ähnlich, wenngleich unter gleichzeitiger, teilweise auch überwiegender Betonung anderer Gesichtspunkte: Nagler, GS 111 (1938), 1 (18,65 f.); Dahm, ZStW 59 (1940), 133 (141 f. und passim); Krieger, Die Rechtspflicht, S. 11, 15; Vogt, ZStW 63 (1951), 381 (404); Wesseis, Strafrecht AT, § 161.1., S. 215 f. 10 Georgakis, Hilfspflicht, S. 16 f.; Vogt, ZStW 63 (1951),381 (404). 11 BGHSt 14,280 (281); Welzel, NJW 1952,327 (328); Böhm, JuS 1961, 177 (178). 12 Das entspricht der ganz h.M.; vgl. stellvertretend Sch .-Schr. -Stree, StGB, Vorbem. §§ 13 ff., Rdnr. 134. 13 Dieses Vorgehen steht nicht im Widerspruch zu der oben getroffenen Feststellung, daß eine etwaige systematische Zweiteilung der Unterlassungsdelikte in echte und unechte ihrerseits an die sachlichen Merkmale anzuknüpfen hat (und nicht umgekehrt). Vielmehr geht es an dieser Stelle der Untersuchung gerade um die Frage, ob die besagte Zweiteilung nicht nur im Wege einer tatsächlichen Übereinkunft, sondern mit Hilfe sachlicher Merkmale vorgenommen werden kann. Bei dieser Fragestellung ist es logisch zulässig, von der Tatsache auszugehen, daß zumindest über einen jeweiligen Kernbereich der für echt oder unecht gehaltenen Unterlassungsdelikte weitgehende Übereinstimmung besteht und von diesem Kernbereich aus die Berechtigung der vorgefundenen Zweiteilung im Wege des Aufsuchens sachlicher Abgrenzungsmerkmale zu überprüfen.

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I. Teil: Echte und unechte Unterlassungsdelikte

genüber nicht feststellen. Vielmehr dient die Erfüllung des Anzeigegebots jedenfalls letztlich gerade auch dem Rechtsgüterschutz, indem sie zur Verhinderung der im § 138 Abs. 1 Nr. 1 - 9 StGB aufgeführten Straftaten beitragen soll 14. Indessen zeigt sich an dieser Feststellung zunächst nicht mehr als eine sprachliche Ungenauigkeit, die in der vermeintlichen Entgegensetzung von Tätigkeitsund Erfolgsabwendungspflicht begründet ist 15. Ihr gegenüber ist festzuhalten, daß auch da, wo das Gesetz die Vornahme einer (durch genaue Umschreibung) bestimmten Tätigkeit gebietet, dieser Tätigkeit niemals ein Bezug zur Abwendung eines rechtlich unerwünschten Erfolges fehlt. Insofern ist eine rechtliche Verpflichtung zur Vornahme reiner Tätigkeiten ohne jede Richtung auf eine Erfolgsabwendung unvorstellbar 16. Soweit die Unterscheidung zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten daher mit Hilfe eines unterschiedlichen Gebotsgegenstandes vorgenommen werden soll, folgt daraus, daß der gesuchte Unterschied keinesfalls im Fehlen bzw. Vorhandensein der Erfolgsabwendungstendenz schlechthin, sondern allenfalls darin liegen könnte, daß der Bezug der gebotenen Tätigkeit zur Erfolgsabwendung einmal ein bloß mittelbarer, das andere Mal dagegen ein unmittelbarer ist 17. Soweit die Verbindlichkeit also auf Vornahme von Tätigkeiten mit unmittelbarem Bezug zur Erfolgsabwendung geht, ließe sich von echten Erfolgsabwendungsgeboten und infolgedessen von einem unechten Unterlassungsdelikt sprechen. Gebietet die Verpflichtung demgegenüber Aktivitäten, die lediglich mittelbar in Richtung auf die bezweckte Erfolgsabwendung wirksam zu werden vermögen, wäre eine "Tätigkeitspflicht" und damit ein echtes Unterlassungsdelikt anzunehmen. In diesem Sinne ließe sich jedenfalls die Regelung des § 138 StGB ohne weiteres als echtes Unterlassungsdelikt verstehen, indem die Vorschrift lediglich die Pflicht zur Vornahme einer ganz bestimmten, erst mittelbar erfolgsabwendend wirkenden Tätigkeit aufstellt. Folgt man diesem Verständnis, so läßt sich jedoch die Bestimmung des § 323 c StGB nicht länger als echtes Unterlassungsdelikt auffassen. Diese Vorschrift enthält mit der Verpflichtung zur Hilfeleistung nämlich jedenfalls u.a. Tätigkeitsgebote mit Richtung auf eine unmittelbare Erfolgsabwendung, also im vorstehend 14 Das entspricht heute über die umstrittene Frage nach dem Rechtsgut des § 138 hinweg - einhelliger Auffassung; vgl. Sch.-Schr.-Cramer, StGB, § 138 Rdnr. I; Lackner, StGB, § 138 Anm. 1; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 104. 15 Vgl. Z. B. Krieger, Die Rechtspflicht, S. 15. Aber auch bei anderen Vertretern der hier kritisierten Auffassung klingt zuweilen der Gedanke an, die Tätigkeitsgebote der echten Unterlassungsdelikte verpflichteten gewissermaßen zu zielloser, schlichter Aktivität.Dieser Ungenauigkeit erliegt auch Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 56, 172 und passim. 16 Ein derartiges Gebot würde dem Einzelnen eine durch nichts zu rechtfertigende Verpflichtung auferlegen, sich in bestimmter Weise zu beschäftigen. 17 Ähnlich Armin Kaufmann, der zwischen Erfolgsabwendungsgeboten und Geboten "zu einer schlichten Tätigkeit ohne unmittelbare Erfolgstendenz" unterscheidet (Dogmatik, S.217). - Letztere sollen vielen echten Unterlassungsdelikten zugrundeliegen (aaO.), die allerdings nicht aufgeführt werden.

II. Nonnlogische Abgrenzung

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dargelegten Sinn echte Erfolgsabwendungsgebote 18, indem der Verpflichtete selbst alles ihm Zumutbare zu unternehmen hat, was zur Verhinderung des Eintritts drohender, rechtlich unerwünschter Schäden geeignet und erforderlich ist 19. - Umgekehrt fiele eine Vielzahl von bislang als unechte Unterlassungsdelikte aufgefaßten Fällen aus diesem Deliktsbereich heraus 20. Zumindest die überkommene Einteilung der Unterlassungsdelikte ist also aufgrund des Merkmals unterschiedlicher Gebotsgegenstände nicht aufrechtzuerhalten.

11. Die normlogische Abgrenzung 1. Darstellung

Diese Einteilung soll sich nach einer anderen Auffassung jedoch aus der Normlogik ergeben, die zuweilen neben anderen Kriterien aufgeführt 21 , häufig aber auch als alleiniges, zumindest aber entscheidendes Abgrenzungsmerkmal angesehen wird 22 • Während die echten Unterlassungsdelikte durch die Übertretung von Gebotsgesetzen gekennzeichnet seien, liege das Wesentliche unechter Unterlassungsdelikte in der Verletzung von Verbotsnormen. Gerade dort, wo 18 Hellmuth Mayer, Strafrecht AT (1953), S. 119; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 208; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 60, 70; Androulakis, Studien, S. 142 f.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 26. 19 BGHSt 21, 50 (54); Gallas, JZ 1952, 396 (399). Dies bedeutet freilich nicht, daß die Verletzung der in § 323 c enthaltenen Erfolgsabwendungsgebote auch zu einer Zurechnung des nicht abgewendeten Erfolges führen müßte. Aber die Frage, warum dem allein aus § 323 c Verpflichteten der nicht abgewendete Erfolg nicht zugerechnet werden darf, dürfte vom Standpunkt Armin Kaufmanns und Schönes aus nicht zu beantworten sein. Die Feststellung eines geringeren Unrechtsgehalts, auf den Schöne (aaO. S. 62) zutreffend hinweist, setzt nämlich eine Begründung dafür voraus, inwiefern die besondere Erfolgsabwendungspflicht des Garanten überhaupt ein unrechtssteigerndes Merkmal darstellen kann. Diese Begründung erfordert aber den Nachweis einer über das Garantenverhältnis vennittelten wirklichen Beziehung des Verpflichteten zum Unrechtserfolg, und dieser Nachweis ist so lange nicht zu führen, wie das Wesentliche aller Unterlassungen in der bloß äußerlich betrachteten Nichtvornahme gebotener Erfolgsabwendungen gesehen wird (Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 240; Schöne, aaO., S. 8). Es bleibt dann unverständlich, warum eine bestehende Verpflichtung (nämlich diejenige zur Erfolgsabwendung) weiter geht als die strafrechtliche Zurechnung im Fall ihrer Verletzung. 20 So z. B. alle diejenigen Fälle, in denen die gebotene Reuungshandlung mangels eigener Fähigkeiten des Garanten allein in der Einschaltung kompetenter Dritter (etwa eines Arztes) besteht. 21 Luden, Abhandlungen 11, S. 220-224; Traeger, Das Problem, S. 10; Nagler, GS 111 (1938), 1 (18 f.); Maurach, Deutsches Strafrecht AT (4. Aufl. 1971), S. 578-581. 22 Besonders Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 233; LK-Heimann-Trosien / Wolf! (1974) Einl. Rdnr. 142 f.; Niethammer, ZStW 57 (1938),431 (453 f.); Honig, FrankFestgabe I, S. 174 ff. (189). - Ähnlich Schmitt JZ 1959,432: "Echte Unterlassungsdelikte verstoßen nur gegen eine Gebotsnonn, unechte außerdem auch gegen eine Verbotsnonn." - Dagegen Berlel, JZ 1965,53 (54).

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1. Teil: Echte und unechte Unterlassungsdelikte

kein Gebot, sondern ein Verbot verletzt werde, handele es sich um unechte Unterlassungs delikte 23. 2. Kritik Folgt man auch hier zunächst der klassischen Zuordnung der jeweiligen Unterlassungsdelikte, so läßt sich feststellen, daß in der Tat die herkömmlich als unechte Unterlassungsdelikte angesehenen Straftaten als Verstöße gegen Normen aufgefaßt werden, die sich am besten als Verbote bezeichnen lassen 24, während die sogenannten echten Unterlassungsdelikte Gebotsnormen verletzen 25 • Daraus folgt jedoch keineswegs, daB das gesuchte Abgrenzungsmerkmal in der Normlogik gefunden werden könnte. Vielmehr verweist die Annahme, daß Unterlassungen durchaus verschiedene Normarten verletzen können, auf die Möglichkeit einer sachlichen Unterscheidung der Unterlassungen, an die sie anknüpft. Da sich die Normen immer schon auf bestimmte Verhaltensweisen beziehen, deren Vollzug sie verbieten oder gebieten 26 , ist der Charakter einer Norm als Gebot oder Verbot notwendig von dem sachlichen Gehalt dieser Verhaltensweisen abhängig. Ergibt sich der Normcharakter aber aus dem sachlichen Gehalt der jeweiligen Verhaltensweisen, dann läßt sich auch das gesuchte Abgrenzungsmerkmal nicht aus der Verbots- oder Gebotseigenschaft der jeweiligen Norm selbst gewinnen. Vielmehr muß dieses Merkmal im unterschiedlichen sachlichen Gehalt der von der Norm erfaBten Unterlassungen gefunden werden 27 • Dies verdeutlicht auch ein Blick auf die Kritik, die Armin Kaufmann gegen die Dogmatik der Unterlassungsdelikte im Zusammenhang der normlogischen Abgrenzung erhoben hat. Auch für Kaufmann ist der Normcharakter nicht losgelöst normtheoretisch, sondern nur durch die Beziehung auf das erfaßte Verhalten, den Gegenstand des Gesollten, zu bestimmen. Gegenstand eines Verbotes könne jedoch nur eine Handlung 28 , nicht dagegen eine Unterlassung sein, da der Inhalt Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 200 f., 233. Etwa das Verbot, einen Anderen zu töten ( §§ 211 ff., 222), körperlich zu mißhandeln oder an der Gesundheit zu beschädigen (§§ 223 ff.), usw. Diese Verbote enthalten ersichtlich alle Tatbestände des Besonderen Teils, die die Herbeiführung eines Verletzungs- oder Gefahrdungserfolges untersagen. - Einen anderen Begriff des Verbots verwenden Armin Kaufmann (Dogmatik, S. 3 ff.) und - ihm folgend - Schöne (Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 247 ff.), die als Verbote nur solche Normen bezeichnen, deren Inhalt die Vornahme einer aktiven (finalen) Tätigkeit untersage. Soweit dieser Verbotsbegriff auch die vorbezeichneten Tatbestände des Besonderen Teils mit umfassen sollte, wird dabei offenbar vorausgesetzt, daß diese Tatbestände bzw. die darin beschriebenen Verletzungshandlungen nicht anders als durch aktives Tun erfüllt bzw. vorgenommen werden können. Das aber ist gerade die entscheidende Frage. 25 Etwa das Anzeigegebot des § 138, die Hilfeleistungspflicht des § 323 c, usw. 26 z.B. "töten", ,,körperlich verletzen", usw. einerseits, "anzeigen", "Hilfe leisten", usw. andererseits. 27 vgl. Androulakis, Studien, S. 157. 28 Darunter versteht er nur aktives fmales Tun. 23

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H. Normlogische Abgrenzung

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eines Verbotes gerade die Unterlassung einer Handlung vorschreibe 29. Damit, so meint er, sei die normlogische Beweisführung 30 widerlegt. Da auch die sogenannten unechten Unterlassungen 31 gerade nicht gegen eine Verbotsnorm verstießen, sei eine der Normlogik folgende Abgrenzung der Unterlassungsdelikte nicht möglich. Dieser Einwand ist im Ergebnis nicht mit normlogischen Erwägungen, sondern nur mit Hilfe des Nachweises zu widerlegen, daß jedenfalls das sogenannte unechte Unterlassen durch das rein negative Moment der Nichtvornahme einer auf Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tätigkeit 32 nicht hinreichend bestimmt ist, sondern ein ihm wesentliches positives, auch für das Tun begründendes sachliches Moment aufweist, aus dem sich sein Charakter als Verletzungshandlung ergibt. Zwar läßt sich der Kaufmannsehen Kritik ein anderer Verbotsbegriff entgegensetzen, der die Verletzungstatbestände des Besonderen Teils mit umfaßt 33 • 34, aber diese normlogische Erwägung reicht gegen die Kritik Kaufmanns für sich genommen noch nicht aus. Vielmehr muß auch dann noch gezeigt werden, daß gerade das unechte Unterlassen die sachlichen Merkmale der in diesen Verbotsnormen beschriebenen Verletzungshandlungen aufweist und diesen Normen daher unterfällt. Auch in diesem Zusammenhang wird also nochmals deutlich: nicht weil ein Teil der Unterlassungen Verbote, ein anderer Teil dagegen Gebote verletzt, sind die Unterlassungsdelikte zu unterscheiden, sondern umge29 Dogmatik, S. 3 ff., 256 ff.; ebenso Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 247 ff.; vgl. hierzu auch Engisch, JZ 1962, 189. 30 Soweit diese "Beweisführung" von Kaufmann als ein Gedankengang Naglers wiedergegeben wird, verläuft dessen Schlußfolgerung allerdings - anders, als von Kaufmann berichtet wird - nicht vom Verbotsverstoß zur Gleichwertigkeit, sondern gerade in umgekehrter Richtung, nämlich von einer über die Garantenpflicht vermittelten Gleichwertigkeit der unechten Unterlassung ("getarnte Aktivität") zur Wirklichkeit des Verbotsverstoßes (vgl. GS 111 (1938), 1 (60)). Damit bleibt Nagler ganz im Rahmen der von Kaufmann aufgestellten Voraussetzung, daß sich Verbote und Gebote nach dem Gegenstand des Gesollten unterscheiden, nur daß er auch die unechten Unterlassungen als wirkliche Verletzungshandlungen auffaßt. - Nicht folgerichtig ist es dagegen, wenn Kaufmann selbst aus seinem normlogischen Befund den Rückschluß ziehen will, daß Unterlassungen die Verbotstatbestände des Besonderen Teils nicht erfüllen könnten (Dogmatik, S. 258). Denn dieser Schluß verstößt ersichtlich gegen den auch von ihm vertretenen Grundsatz, wonach das Wesen einer Norm sich aus der sachlichen Eigenart des jeweils Gesollten ergibt (und nicht umgekehrt!). 31 Kaufmann selbst lehnt eine materielle Unterscheidung der Unterlassungen in echte und unechte freilich ab (Dogmatik, S. 274, 315), da er die Unterlassungen ausschließlich negativ, d.h. als bloße Nichtvornahme möglicher Tätigkeit, bestimmt (aaO., S. 84 ff.). 32 Zu den Weiterungen dieser Auffassung vgl. nachfolgend Teil 4, unter I. 1. 33 Dieser Verbotsbegriff ist vorstehend im Text verwendet worden. 34 Zwar will auch der von Kaufmann verwendete Verbotsbegriff die Tatbestände des Besonderen Teils mit umfassen, Kaufmann meint aber, dort seien nur aktive Verletzungshandlungen beschrieben. Er hat also in erster Linie eine vom Text abweichende Auffassung vom Gegenstand des Gesollten in diesen Tatbeständen. Da der Normcharakter aber auch nach Kaufmann gerade dem sachlichen Gehalt dieses Gegenstandes folgen soll, ergibt sich aus seiner Auffassung letztlich auch ein anderer Verbotsbegriff. - Vgl. zum Ganzen auch E.A. Wolf!, Die Kausalität, S. 44 ff.

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1. Teil: Echte und unechte Unterlassungsdelikte

kehrt, nur wenn und insofern die Unterlassungen verschieden sind, verstoßen sie auch gegen unterschiedliche Normarten.

IH. Die erfolgsbezogene Unterscheidung 1. Darstellung

Nach der heute wohl h.L. 35 unterscheiden sich die echten von den unechten Unterlassungsdelikten dadurch, daß diese einen Erfolgsbezug aufweisen, der jenen fehlen soll. Unechte Unterlassungsdelikte seien solche, bei denen die Strafbarkeit den Eintritt eines Erfolges 36 voraussetze, während der Tatbestand der echten Unterlassungsdelikte außer der bloßen Nichtvornahme der gebotenen Tätigkeit keine weitere, sich an die Unterlassung anschließende Folge erfordere 3?

2. Kritik Das Merkmal der Erfolgsbezogenheit erweist sich, zunächst jedenfalls, als ein Kriterium, das die bestehende, überkommene Einteilung der jeweiligen Unterlassungsdelikte in echte und unechte grundsätzlich ermöglicht. So setzt der Unrechtstatbestand der herkömmlich als unecht eingestuften Unterlassungsdelikte tatsächlich regelmäßig den Eintritt eines - zumeist als Außenwirkung bezeichneten 38 - Verletzungserfolges im Sinne einer raum-zeitlich unterscheidbaren Folge voraus, während dies bei allen traditionell als echt aufgefaßten Unterlassungsstraftaten nicht der Fall ist. Daß in dem Merkmal des Erfolgserfordernisses allerdings der wesentliche Unterschied der beiden Deliktsformen läge, ist damit freilich noch nicht festgestellt und läßt sich im Ergebnis auch nicht annehmen. Dies zeigt am deutlichsten ein Blick auf die Tötungs- und Verletzungstatbestände im engeren Sinn, in deren Anwendungsbereich ein Großteil der herkömmlich als unecht eingestuften Unterlassungsdelikte fällt. Wenn diese Tatbestände das "Tö35 Jescheck, Lehrbuch AT, S. 491 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 13 Rdnr. 8 ff.; Lackner, StGB, § 13 Anm. 2.b); Gallas, Niederschriften, S. 247; ähnlich, wenngleich insgesamt gegen die Unterscheidung, Schmidhäuser, Strafrecht AT, S. 654 ff.; ders. JuS 1987, 373 (378). 36 Der Begriff des Erfolges wird dabei im weitesten Sinne verwendet, d.h. unter Einschluß der sogenannten "Gefährdungserfolge". 3? So bereits Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht I, S.236; Clemens, Die Unterlassungsdelikte, S. 6; M.E. Mayer, Lehrbuch, S. 133 f., 348 (der außerdem aber auch auf den Gebotsgegenstand abstellen will); U. Mayer, Die besonderen Tatbestandsmerkmale, S. 54 ff. ; Drost, GS 109 (1937), 1 (8). 38 Vgl. etwa Jescheck, Lehrbuch AT, § 26 II.l., S. 234, 237. Daß diese Bezeichnung so ungenau ist und deswegen leicht mißverstanden werden kann, zeigt sich besonders klar bei der Betrachtung derjenigen Tatbestände, die einerseits zwar einen Erfolgseintritt erfordern, deren Rechtsgüter jedoch andererseits kein äußerlich verkörpertes Rechtsgutsobjekt aufweisen (z.B. §§ 185 ff., 201 ff.).

IV. Abgrenzung nach ontologischer Vergleichbarkeit

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ten" oder "Verletzen" eines Anderen verbieten, so wird damit doch nicht nur der Eintritt eines bestimmten Erfolges, sondern gerade und in erster Linie das jeweils beschriebene menschliche Verhalten selbst erfaßt. Sofern diese Tatbestände daher durch Unterlassen überhaupt erfüllbar sein sollen, muß nachgewiesen werden, daß auch durch eine - äußerlich-gegenständlich betrachtet - bloße Untätigkeit eine bestehende Wirklichkeit so verändert werden kann, daß diese Veränderung als das von der Norm erfaßte Tötungs- oder Verletzungsgeschehen begriffen werden kann, das Unterlassen also eine wirkliche Beziehung zu dem vom Unrechtstatbestand erforderten Erfolg aufweist. Ist dies aber so, dann kann das Wesentliche der unechten Unterlassungsdelikte nicht isoliert in dem formalen Merkmal des Erfolgserfordernisses liegen. Vielmehr muß schon das Unterlassen selbst durch eine Realbeziehung zu dem jeweils vorausgesetzten Erfolg gekennzeichnet sein, die es im weiteren Verlauf der Arbeit zu bestimmen gilt und die bei allen echten Unterlassungsdelikten nicht nachgewiesen werden kann 39 . IV. Die Abgrenzung nach ontologischer Vergleichbarkeit und entsprechender Pönalisierung 1. Darstellung

Einen Versuch, diese Beziehung zu bestimmen, hat Androulakis unternommen 4O • Er geht von der seine gesamte Arbeit durchziehenden Unterscheidung zwischen der "Lassung"41 und der "Unterlassung"42 aus und meint, die Echtheit oder Unechtheit des Unterlassungsdeliktes hänge von der Echtheit oder Unechtheit der Lassung, ihrer Annäherung zur Handlung ab. Ein unechtes Unterlassungsdelikt komme immer dann in Betracht, wenn die betreffende Unterlassung mit einer möglichen, wählbaren, sinnvollen Handlung ontologisch vergleichbar sei 43, 39 Vgl. Androulakis, Studien, S. 140 ff., insbesondere S. 143, der die Abgrenzung nach dem Merkmal des Erfolgserfordernisses allerdings deswegen ablehnt, weil nicht klar sei, "aus welchem Grund der Erfolg der Unterlassung einen (der Unterlassung) so fremden Faktor darstellt", daß er die Unechtheit des Unterlassungsdelikts begründen könne. Aber das überzeugt gerade von seinem Standpunkt aus, wonach die Unterlassung als ein Nichtverändern der Wirklichkeit zu verstehen sein soll (S. 79 ff.), nicht. - A. A. etwa Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S.20, der die Begründung für seine Behauptung von der "ontischen Gleichartigkeit sämtlicher Unterlassungen" allerdings schuldig bleibt. 40 Studien, S. 19 ff., insbesondere S. 78 ff. 41 Darunter versteht er die in ,,zurückweisung und Nichteinsatz der ... Energie" bestehende "Stellungnahme zu einer im Rahmen der Situation aktualisierten Energieeinsatzmöglichkeit" (aaO., S. 55). 42 Die Unterlassung bestimmt er als "daseiendes Nichtdasein", ,,Nichtdasein als Mangel ... des Gelassenen". Nur soweit die gelassene Handlung eine fehlende sei, werde die Lassung zur Unterlassung (aaO., S. 68). Als"Seinlassen und Sicheinlassen auf das Seiende" sei die Unterlassung immer auch Ausdruck der Person des Unterlassers und erschöpfe sich insofern nicht in bloßer Negativität (aaO., S. 78). 43 aaO., S. 158. 3 Kahlo

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1. Teil: Echte und unechte Unterlassungsdelikte

wobei das Kriterium der Vergleichbarkeit "in einer inneren, sozialen, mitmenschlichen Nähe" des Unterlassers zum Träger des Rechtsgutes liege, in einem "schon vorher Da-neben-sein"44. 2. Kritik

Es ist zunächst mit Androulakis daran festzuhalten, daß ein Bereich unechter Unterlassungsdelikte tatsächlich nur angenommen werden kann, wenn das von diesen Delikten vorausgesetzte menschliche Verhalten seinem Wesen nach nicht negativ, etwa als "willkürliche Nichthinderung eines Erfolges", "Etwas-nichttun", O.ä. 45, sondern als ein dem positiven Tun vergleichbares Verletzungsgeschehen zu begreifen ist 46 • Dies bedeutet jedoch letztlich nichts anderes, als daß auch dieses Verhalten dadurch gekennzeichnet sein muß, daß es eine bestehende Wirklichkeit in einer dem aktiven Tun gleichzustellenden (gleichwertigen) Weise verändert, d. h. sich als ein wirkliches zwischenmenschliches Verletzungsgeschehen bestimmen läßt. Ein derartiges Verständnis ist auf der Grundlage der Androulakis' schen Bestimmungen der Unterlassung nun aber gerade ausgeschlossen. Dies wird besonders im Zusammenhang seiner Ausführungen zu dem Problem der Kausalität der Unterlassung deutlich, in dem ausdrücklich festgestellt wird, daß jede Unterlassung nur als Ursache "des Nichtverändertwordenseins der Wirklichkeit" begriffen werden könne und "mit dem Bewirken von Erfolgen nichts zu tun" habe 47 • Damit bleibt Androulakis der Sache nach derjenigen Auffassung verhaftet, die das Wesentliche des für das Strafrecht erheblichen Verletzungsgeschehens ausschließlich in einer wertfrei verstandenen raum-zeitlichen Gegenstandswelt sieht 48 • In dieser "Wirklichkeitsschicht" kann das gemeinsame, Gleichwertigkeit begründende Moment aber gerade nicht gefunden werden, zeigt sich in ihr doch vielmehr umgekehrt der Unterschied von positivem Tun und Unterlassen. So muß denn auf der Grundlage des Androulakis'schen Verständnisses auch ungeklärt bleiben, warum die "Stellungnahme", die er als das dem (Unter)Lassen wesentliche positive Moment bestimmt 49 , den Anderen eigentlich erreichen und verletzen kann, und dieser Mangel wird auch durch die Einführung des Merkmals der "inneren, sozialen, mitmenschlichen Nähe des Unterlassers zum Träger des 44 aaO., S. 159. 45 Vgl. Androulakis, Studien, S. 37 ff., 51 ff.

46 Diese Feststellung enthält im Grunde nichts anderes als eine Umschreibung des alten Nagler'schen Befundes von der "getarnten Aktivität". 47 Vgl. aaO., S. 83 unten. Inhaltsgleich heißt es auf S. 81: "Unterlassen und unterlassend die Wirklichkeit nicht verändern ... " 48 So ist es durchaus bezeichnend, wenn er auf S. 72 ff. die "Basis-Einheit TunLassen" ausdrücklich als eine "wertneutrale" bestimmt. Vgl. hierzu die Kritik von EA. Wolff, Kausalität, S. 54 Fn. 49. 49 Vgl. Androulakis, aaO., S. 52 ff.

V. Schlußfolgerungen

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Rechtsguts"50 nicht überwunden, weil diese "Nähe", entsprechend dem vorausgesetzten gegenständlichen Wirklichkeitsverständnis, nicht als ein wirkliches gegenseitiges Verhältnis herausgearbeitet wird, sondern weitgehend unbestimmt bleibt. Wenn Unterlassen wesentlich als Nichtverändern einer Wirklichkeit bestimmbar sein soll, muß im Ergebnis offenbleiben, warum es einer die Wirklichkeit offensichtlich verändernden tätigen Verletzungshandlung eigentlich vergleichbar 51 und deswegen "unecht" sein soll, und wie es überhaupt ein Mittel zur Erfolgserzielung sein kann 52, wo der Erfolgseintritt ein wirkliches Geschehen darstellt.

V. Schlußfolgerungen Es hat sich gezeigt, daß die herkömmliche Einteilung der Unterlassungsdelikte in unechte und echte weder aufgrund des Merkmals des Gebotsgegenstandes, noch mit Hilfe einer bestimmten Normlogik begründet werden kann. Auch das Kriterium des Erfolges reicht hierfür jedenfalls für sich genommen nicht aus. Die Annahme unechter Unterlassungsstraftaten im Bereich der sogenannten Erfolgsdelikte setzt vielmehr voraus, daß sich bestimmte Unterlassungen sachlich als ein wirkliches, eine bestehende Wirklichkeit veränderndes zwischenmenschliches Verletzungsgeschehen im Sinne derjenigen Tatbestände des Besonderen Teils nachweisen lassen, die das Bewirken eines raum-zeitlich abscheidbaren Unrechtserfolges erfordern. Nur wenn und insoweit auch Unterlassungen einen derartigen Erfolg herbeiführen, kommt hier also ein unechtes Unterlassungsdelikt in Betracht 53, und ausschließlich in diesem Sinne wird der Begriff im folgenden verstanden 54. Die Frage nach der Unechtheit bestimmter Unterlassungsstraftaten 50 Vgl. aaO., S. 159. 51 Es überrascht daher, wenn Androulakis (aaO. S. 83) - wie bereits im Text erwähnt - von sich aus einräumt, daß die Kausalität der Unterlassung mit dem Bewirken von Erfolgen nichts (!) zu tun habe. 52 Vgl. aaO., S. 158, wo von "der Bevorzugung der Unterlassung ... als Mittel zum Erzielen des Erfolges" die Rede ist. 53 Daß dies der Fall ist, wird damit freilich noch nicht behauptet. - Ebenso muß die genauere Bestimmung des "Unrechtserfolges" an dieser Stelle noch zurückgestellt werden, die mit dem Begriff des Bewirkens eng zusammenhängt. - Eines zeichnet sich freilich bereits an dieser Stelle ab, daß nämlich ein Bewirken in dem hier gebrauchten Sinn nicht inhaltsgleich mit einem naturwissenschaftlich aufgefassten Verursachen sein kann. Dementsprechend wird auch der Begriff des Unrechtserfolges nicht als ein lediglich räumlich-gegenständlicher Zustand zu bestimmen sein. 54 Damit erübrigt sich - jedenfalls zunächst - eine Auseinandersetzung mit der positivistisch-resignierenden Auffassung Armin Kaufmanns, derzufolge eine materielle Unterscheidung ausgeschlossen und die gesuchte Abgrenzung danach erfolgen soll, ob das Gesetz das Unterlassen einem entsprechenden positiven Tun gleichstellt oder nicht (Dogmatik, S. 272 ff., 315). Zustimmend Sch.-Schr.-Stree, Vorbern. §§ 13 ff. Rdnr. 137; Stratenwerth, Strafrecht AT, S. 266 ff., insbesondere S. 268, Rdnr. 987; vgl. zum Ganzen auch Welp, Vorangegangenes Tun, S. 152. 3*

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1. Teil: Echte und unechte Unterlassungsdelikte

und das Problem der Unterlassungskausalität sind also miteinander ganz verwoben. Nun war bereits in der Einleitung darauf hingewiesen worden, daß die vorstehend aufgeworfene Frage nach der Unterlassungskausalität - diesen Begriff hier zunächst noch im weitesten Verstande genommen - in der gegenwärtigen Lehre vom Unterlassungsdelikt stark in den Hintergrund getreten ist. Die Unterlassungskausalität wird überwiegend jedenfalls nicht als eine entscheidende Frage des Unterlassungsunrechts, teilweise sogar als ein lebensfremdes Problem gesehen 55 , und mit dieser Ansicht einher geht eine Beschränkung der objektiven Zurechnung unechter Unterlassungs straftaten auf das Kriterium, ob der eingetretene Unrechtserfolg bei hypothetischer Verwirklichung der gebotenen Rettungstätigkeit vermeidbar war 56. Das aber ist die Frage nach dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang, und diese Frage ist daher jetzt aufzunehmen.

55 Vgl. oben (Einleitung) S. 23, Fn. 10. - Daß damit aber dann für den Bereich der unechten Unterlassungsdelikte ein Unrechtsmerkmal fehlen würde, das im Zusammenhang des aktiven Tuns von der ganz h. M. als Mindesterfordemis jeder objektiven Zurechnung bezeichnet wird, war oben (Einleitung, insbesondere bei Fn. 5)) bereits festgestellt worden. 56 Vgl. RG Das Recht 1929,350; RG JR (HRR) 1930, Nr.2034; RG HRR 1938, Nr. 1660; RGSt 75, 324 (= ZAkDR 1942, 28 m. Anm. v. Mezger); 75, 347 (= ZAkDR 1942,172); BGH MDR 1951,274; 1953,20; 1956, 144; BGH NStZ 1985,26; 1986,217.

2. Teil

Die Begründung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges aus der handlungs- und unrechtstheoretischen Kritik der vorfindlichen Lehren Nachdem der Gegenstandsbereich der Untersuchung nunmehr umrissen ist, soll im folgenden zunächst die vorgefundene Diskussion um das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges aufgenommen werden. Sie wird in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung hypothetischer Erfolgsbedingungen im Strafrecht geführt 1, und zwar hier insbesondere im Hinblick auf die Unschuldsvermutung (in dubio pro reo)2. Es wird dabei die Frage, mit welchem Grade an Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Unrechtserfolges für den Handelnden vermeidbar gewesen sein muß, um diesem die verwirklichte Verletzung zurechnen zu dürfen, als Beweisproblem erfaßt und ihre Beantwortung - jedenfalls vorrangig - am Maßstab prozessualer Grundsätze ausgerichtet. Auch diejenigen Lehren, die in ihrer Begründung nicht oder zumindest nicht ausdrücklich vom Vermeidbarkeitsgedanken ausgehen, setzen in der Sache so an. Nun zeigt bereits ein erster Überblick über die vorgetragenen Lösungen zweierlei: zum einen ist es trotz eingehender Bemühungen von Wissenschaft und Rechtsprechung bis heute nicht gelungen, die mit dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang verbundenen Fragen genügend aufzuklären, um dieses Merkmal zumindest in seinen anwendungspraktisch bedeutsamen Momenten hinreichend zu bestimmen. Die eindringlichen Arbeiten aus jüngster Zeit 3 belegen dies anschaulich. Man kann wohl sagen, daß einer jedenfalls für das Gebiet des Kriminalrechts seit der vielbesprochenen 4 Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 1 Diese, von Arthur Kaufmann (Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, in: Eb. Schmidt-FS (1961), S. 200 ff.) formulierte Fragestellung liegt der gesamten Diskussion bis heute zugrunde: vgl. LK-Schroeder, § 16 Rdnr. 191. 2 Vgl. beispielhaft Stratenwerth, Bemerkungen zum Prinzip der Risikoerhöhung, in: Gallas-FS (1973), S. 228 ff. einerseits, sowie Samson, Hypothetische Kausalverläufe, S.47, 152 andererseits. 3 Vgl. Arthur Kaufmann, Kritisches zur Risikoerhöhungstheorie, in: Jescheck-FS (1985), S. 273 ff.; Krümpetmann, Die normative Korrespondenz zwischen Verhalten und Erfolg bei den fahrlässigen Verletzungsdelikten, in: Jescheck-FS (1985), S. 313 ff.; Jakobs, Risikokonkurrenz - Schadensverlauf und Verlaufshypothese im Strafrecht, in: Lackner-FS (1987), S. 53 ff.; Küper, Überlegungen zum sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim Fahrlässigkeitsdelikt, in: Lackner-FS (1987), S. 247 ff. 4 Vgl. etwa Arthur Kaufmann, aaO. Fn. 1; Roxin, Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei fahrlässigen Delikten, ZStW 74 (1962), 411 ff.; Spendet, Conditio-sine-qua-non-Gedanke

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2. Teil: Kritische Aufnahme des Meinungsstandes

25.9. 1957 (BGHSt 11, 1 - "Radfahrer-Fall") gefestigten Rechtsprechung eine inzwischen wohl h.L. gegenübersteht, die diese Judikatur als vor allem ,,kriminalpolitisch verfehlt" kritisiert5, ohne freilich- und auch dies ist bemerkenswert - genauer anzugeben, wie eine "richtige Kriminalpolitik" auszusehen hätte und inwiefern deren Maximen eigentlich für ein Problem der Unrechtslehre von Bedeutung sein können. - Zum anderen ist festzustellen, daß die mit dem Merkmal des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges verbundenen Fragen - worauf bereits in der Einleitung hingewiesen wurde - überwiegend unter Beschränkung auf das fahrlässige Begehungsdelikt untersucht worden sind, für das im Unterschied zu den unechten Unterlassungsdelikten nach jedenfalls h. M. das Bestehen eines Kausalzusammenhanges zwischen der verwirklichten Handlung und der eingetretenen Verletzung als Mindesterfordernis der objektiven Erfolgszurechnung konstitutiv sein so1l6. Unter diesen Umständen erscheint es notwendig, die - wie soeben festgestellt vor allem am fahrlässigen Begehungsdelikt entwickelten - bereits erarbeiteten Lehren zu dem Merkmal des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges nicht nur als solche kritisch aufzunehmen, sondern sie insbesondere im Hinblick auf den Zusammenhang ihrer Begründungen mit deren allgemeinen unrechtstheoretischen Grundlagen zu untersuchen. Dabei wird vornehmlich die sich aus einer solchen Untersuchung ergebende Frage im Vordergrund stehen, warum es des genannten Merkmals überhaupt bedarf 7 : denn die inhaltliche Bestimmung eines (möglichen) Straftatmerkmals kann angemessen nur von dessen Grund aus erfolgen. - In einem zweiten Schritt wird dann jeweils genauer aufzuklären sein, ob die erarbeiteten Einsichten ohne weiteres auf die unechten Unterlassungsdelikte übertragen werden dürfen, wie dies zumeist geschieht, oder ob diese Einsichten nicht vielmehr auf begehungsspezifischen Voraussetzungen beruhen, so daß es für den Bereich der unechten Unterlassungen zusätzlicher Überlegungen bedarf. und Fahrlässigkeitsdelikt - BGHSt 11, 1; JuS 1964, 14 ff.; ders., Zur l)'nterscheidung von Tun und Unterlassen, in: Eb. Schmidt-FS (1961), S. 183 ff.; Mezger (Urteilsanmerkung) JZ 1958,281; leseheck, Die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, GA 1959, 65 (70); sowie neuestens wieder Ranft, Berücksichtigung hypothetischer Bedingungen beim fahrlässigen Erfolgsdelikt? NJW 1984, 1425 ff. - Wer weitere Belege sucht, findet sie in der Arbeit von Uisenheimer, Das Verhältnis von Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, zusammengestellt. 5 Vgl. etwa Roxin, aaO. Fn. 4, S. 422 ff.; Stratenwerth, aaO. Fn. 2, S. 239; Krümpelmann, Zur Kritik der Lehre vom Risikovergleich bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten, GA 1984, 491; Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars (1. Teil), GA 1985,341 (355 f.). 6 Vgl. Sch.-Schr.-Lenckner, Vorbern. §§ 13 ff. Rdnr.71; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 38; leseheck, Lehrbuch AT, § 28, S. 247 ff.; Wesseis, Strafrecht AT, § 6 I. 1., S. 45 f. 7 Auf die Bedeutung dieser Fragestellung und ihren notwendigen Zusammenhang mit dem Unrechtsbegriff haben zuletzt insbesondere Krümpelmann, Schutzzweck und Schutzreflex der Sorgfaltspflicht, in: Bockelmann-FS (1979), S. 443 ff.; Puppe, Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung, JuS 1982,660 (661); und Küper, aaO. Fn. 3, S. 249 f. wieder aufmerksam gemacht.

A. Der objektiv-kausale Ansatz

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Dabei knüpft die Untersuchung in ihrem Gang an die bereits zu Anfang dieses Abschnitts vorgestellte, im Mittelpunkt der Diskussion um die objektive Zurechnungslehre stehende Frage an, ob und - falls ja - mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad eine verwirklichte Verletzungsfolge bei angenommener Vornahme einer anderen als der rechtswidrigen Handlung - nämlich der pflichtgemäßen Verhaltensalternative - objektiv zu vermeiden war. Bei einer solchen Fragestellung wird ersichtlich vorausgesetzt, daß hypothetisches Geschehen für das Unrecht der fahrlässigen Verletzungs delikte - jedenfalls überhaupt - bedeutsam ist. Gerade diese Voraussetzung ist aber alles andere als selbstverständlich; denn für die objektive Zurechnung der vorsätzlichen Begehungsdelikte sollen die hypothethischen Kausalverläufe - zumindest nach überwiegender Auffassung - unbeachtlich sein 8 • Schon deswegen läßt sich nicht ohne weiteres voraussetzen, daß hypothetisches Geschehen für das Unrecht der Fahrlässigkeitstat beachtlich sein soll.

A. Erste Lösungsmöglichkeit: Die Unbeachtlichkeit des hypothetischen Geschehens für das Unrecht I. Darstellung, insbesondere am Beispiel der Lehre Spendeis Fragt man nach der Bedeutung hypothetischer Erfolgsbedingungen im Strafrecht, so muß eine der denkmöglichen Antworten notwendig dahin lauten, jegliches hypothetisches Geschehen als für das Unrecht unbeachtlich anzusehen, scheint es doch hier allein darum zu gehen, ob von dem Handelnden tatsächlich eine unrechtmäßige Verletzungshandlung verwirklicht worden ist. Darauf, daß diese Lösungsmöglichkeit in der Konsequenz jeder objektiven (kausalen) Unrechtslehre liegt, hat neben Eh. Schmidt 9 besonders Spendel hingewiesen 10 und 8 So zuletzt wieder Struensee, GA 1987, 97 (103); aus der Rechtsprechung etwa OGHSt 1,49 (50) sowie zu der Konstellation rechtswidrig-vorsätzlichen Drittverhaltens als Ersatzbedingung OGHSt 1,321; 2, 117; BGHSt 2, 20 (23 f.); SchwurG Köln NJW 1952,358; zur "Kausalität"der Täuschung für den Irrtum im Zusammenhang des Betruges: BGHSt 13, 13 (,,Referendar-Fall"). - Nicht selten wird der Meinungsstand freilich ungenau wiedergegeben, weil insbesondere diejenigen Lehren, die für den objektiven Tatbestand des vorsätzlichen Begehungsdelikts Kausalität und objektive Zurechnung verlangen und nur für erstere die Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen ausschließen (z.B. Wesseis, Strafrecht AT, § 6 l.3.a) einerseits und § 6 11. andererseits), nicht in ihrer Differenziertheit erfaßt werden. 9 Der Arzt im Strafrecht, S. 85 ff., 201. 10 Die Kausalitätsformel, insbesondere S. 35 f., 38; ders., Der Conditio-sine-qua-nonGedanke als Strafmilderungsgrund, in: Engisch-Festschrift (1969), S. 515. - Vgl. aber auch Arthur Kaufmann, Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, in: Eb. Schmidt-Festschrift (1961), S.207; Bindokat, JZ 1977, 549 (551); ders., JuS 1985, 32 (34); Reinelt, NJW 1968, 2152 (2153); Binavince, Die vier Momente der Fahrlässigkeitsdelikte, S. 218 ff. (221). Im Ergebnis ebenso: Ulsenheimer. Pflichtwidrig-

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2. Teil: Kritische Aufnahme des Meinungsstandes

sie auf das Problem der objektiven Zurechnung bei den fahrlässigen Begehungsdelikten angewendet 11. Er geht von einer "Notwendigkeit des Objektivismus im Strafrecht" aus 12, den er - negativ - mit einer Kritik bestimmter Erscheinungsformen eines von ihm als subjektivistisch 13 gekennzeichneten Strafrechts 14, positiv aus rechtsphilosokeit und Erfolg, S. 102; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2, S. 92 f., der allerdings darauf abstellt, "ob der wirkliche Erfolg eine adäquate Folge der wirklichen Sorgfaltswidrigkeit ist". Auch für eine als echte Kausalitätstheorie verstandene Adäquanzbetrachtung ist es folgerichtig, das hypothetische Ersatzgeschehen unberücksichtigt zu lassen. 11 Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen, in: Eb. Schmidt-Festschrift (1961), S. 187; ders., JuS 1964, 14 (15, insbesondere Fn. 3). - Im Ergebnis ebenso neuestens Ranft, NJW 1984, 1425 ff., der aber nicht kausal, sondern mit einem den Gedanken der Vermeidemöglichkeit aufnehmenden Ansatz argumentiert (aaO., S. 1431, Fn.48). Er meint, daß die Vermeidemöglichkeit durch hypothetische Ersatzursachen "weder faktisch noch normativ" begrenzt werde, und will in den Fällen mitwirkender ,,Risikofaktoren ... , die der Täter nicht zu vertreten hat", darauf abstellen, "ob das pflichtwidrige Verhalten auch beim Fehlen des mitwirkenden Risikofaktors eine Gefahr derjenigen Erfolgskategorie begründet, der der konkret eingetretene Erfolg unterfällt" (aaO., S. 1433). So soll es beispielsweise im "Radfahrer-Fall" (BGHSt 11, 1) nicht darauf ankommen, was sich bei rechtmäßigem Verhalten des Täters ereignet hätte, sondern allein darauf, ob auch ein nüchterner Radler unter die Räder des vorschriftswidrig überholenden Lkw geraten wäre (aaO., S. 1429). Das aber kann nicht richtig sein: selbst die größte Mitschuld eines Opfers läßt dieses nicht aus dem "Schutzbereich der Norm" herausfallen und dadurch praktisch schutzlos werden; da sie an dem Verletzungsgeschehen (bloß) mitwirkt, verweist sie geradezu auf die Verwirklichung der von dem Täter seinerseits gesetzten Übermaßgefahr. - Auch die "Vermeidemöglichkeit" läßt sich nur mit Bezug auf das konkrete Opfer beurteilen. Ob der Tod des Radlers für den Täter vermeidbar war, muß danach von der Frage abhängen, ob der betrunkene Radfahrer auch bei einem anderen, rechtmäßigen Täterverhalten, also bei Einhaltung des gebotenen Abstandes, überfahren und getötet worden wäre. Demgegenüber erlaubt die von Ranft formulierte Fragestellung (Wie hätte ein nüchterner Radfahrer in der betreffenden Situation reagiert?) allein die Feststellung, ob der Erfolg für das Opfer zu vermeiden war. Dies aber kann - unmittelbar genommen - nicht zureichen, dem Täter den Unrechtserfolg zuzurechnen. - Die Fragestellung Ranfts enthält aber einen zusätzlichen, in der bisherigen Diskussion weitgehend vernachlässigten Gedanken. Denn sie verweist darauf, daß auch das Opfer eine Person ist, die tatsächlich-konkrete Vermeidemöglichkeiten besitzt. Der hypothetische Verlauf - in den dem "Radfahrer-Fall" vergleichbaren Sachverhalten - ist also nicht (allein) kausal gebundenes Geschehen, sondern wird durch die Interaktion zweier selbständiger, durch Handlungsmöglichkeiten gekennzeichneter Subjekte mitbestimmt. 12 So der gleichlautende Titel seines Beitrages in der ZStW 65 (1953), 519 ff. 13 Darunter versteht er eine Strafrechtslehre, die dem subjektiven oder dem Gesinnungsmoment des deliktischen Geschehens ein Übergewicht in der Beurteilung einräumt oder dieses Moment sogar verselbständigt und als solches isoliert zur Grundlage des strafrechtlichen Urteils - also unter Umständen auch der Verurteilung - macht (aaO., S.521). 14 Hier werden genannt: der sogenannte absolut untaugliche Versuch, die subjektive Teilnahmelehre und ein mehr oder weniger einseitiges Täterstrafrecht. - Man wird dieser Kritik, auf die im Rahmen dieser Arbeit naturgemäß nicht näher eingegangen werden kann, insbesondere für den Versuch nur zustimmen können, dessen Lösung auch heute noch einen kaum übersehbaren Bruch im Strafrechtssystem darstellt. An einem solchen Bruch vermögen auch Entscheidungen des Gesetzgebers, wie die im § 23 getroffene, nichts zu ändern: trotz dieser Vorschrift ist es bis heute ungeklärt, warum für einen

A. Der objektiv-kausale Ansatz

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phischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten begründet. Dabei versteht er unter dem "Objektivismus" diejenige "erkenntnistheoretische Denkrichtung, nach der es unabhängig vom menschlichen Subjekt bestehende, allgemein gültige objektive Wahrheiten und Werte gibt" und nach der "die Gegenstände, die Objekte für die Erkenntnis maßgebend sind"; die "unabhängig vom Subjekt bestehenden, vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten" bildeten eine "natürliche Architektonik, wie sie auch dem Strafrecht zugrundeliegt" 15. Für das Strafrecht liege in diesem so bestimmten "Objektivismus" ein Denken, das das Subjekt der Handlung (den Täter) mit seinem Willen und seiner Gesinnung zwar in die strafrechtliche Beurteilung einbezieht, angesichts einer möglichen Inkongruenz von Erfolg und Wille, Tat und Täter, aber von einem Vorrang der objektiven Seite des Delikts ausgeht und dementsprechend die Tat als den wirklichen Strafgrund ansieht 16. Im Zusammenhang der rechtsphilosophischen Begründung dieses Objektivismus nimmt Spende! dann insbesondere eine bekannte und vielfach vertretene 17 Unterscheidung in der Bestimmung von Recht und Moral auf: Das Recht behandele das Verhältnis des Einzelnen zu seinen Mitmenschen und gehe dabei seinem Wesen nach notwendig vom äußeren Verhalten und vom Erfolg aus; auf den subjektiven Willen blicke es nur wegen der Taten; das innere Verhalten, den guten Willen, nehme demgegenüber die Moral zum Ausgangspunkt, die das Verhältnis des Subjekts zu sich selbst und seinem Gewissen begreife 18. Diese Unterscheidung sei auch rechtsstaatlich geboten, weil das sinnlich WahrnehmbaTeilbereich des strafrechtlichen Unrechts der konkret ungefährliche subjektive Wille eigentlich die sonst geforderte äußere Seite des Delikts (die Rechtsgutsverletzung) vollständig soll ersetzen dürfen; vgl. dazu aber jetzt die grundlegende Arbeit von R. Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, Berlin 1989. 15 Spende! aaO. S. 536 f. - Es ist freilich bemerkenswert, daß diese grundlegenden Bestimmungen, zum Teil bis in die Formulierung hinein, den erkenntnistheoretischen Überlegungen Welzels ähneln (vgl. etwa: Kausalität und Handlung (1931), S. 12 ff.; Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht (1935), S. 72 ff.; beide Zitate nach dem Abdruck in: Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie ), dessen Lehre nicht von einer ,,Notwendigkeit des Objektivismus im Strafrecht" ausgeht, sondern gerade umgekehrt die Subjektivität im Unrecht betont. 16 aaO. S. 521. Zwar stehen die Ausführungen Spende!s deutlich unter dem Eindruck der Entwicklung des deutschen Strafrechts während der Zeit des Nationalsozialismus, gleichwohl haben sie in ihrem sachlichen Gehalt schon allein deswegen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, weil sie eine Auseinandersetzung mit dem Präventionsdenken enthalten, einem Denken also, das seine Wirkungsmacht auch ohne die ideologische Aufladung während der nationalsozialistischen Periode in der Gestalt einer rationalen Theorie nach wie vor entfaltet. 17 Im Strafrecht ist diese Unterscheidung besonders mit dem Namen Feuerbach verbunden, der - vom Begriff der Strafe ausgehend - von der bürgerlichen Strafe (Rechtsstrafe) die moralische Strafe abscheidet und von dieser Unterscheidung zu einer strikten Trennung beider Bereiche gelangt (Revision, Erster Theil, Vorrede S. VIII/IX; Einleitung S. XXI f.; ferner S. XXIII ff., insbesondere S. XXVI-XXVIII und passim); vgl. dazu Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, insbesondere S. 39 ff. 18 Vgl. Spende! aaO. S. 529 f. Als Beispiel für die wesentliche Erfolgsbezogenheit des Rechts wird dort die fahrlässig verschuldete Verletzung angeführt.

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re, körperlich Greifbare für die (straf-) rechtliche Beurteilung festere Anhaltspunkte liefere als das subjektiv Seelische, wie sich am Beispiel des Schuldbegriffs verdeutlichen lasse: Differenzierungen der Schuld hätten nur dann eine genügend sichere Urteilsbasis, wenn man den Schuldbegriff als einen Begriff versteht, der auf die äußere, durch deR objektiven Tatbestand umrissene Seite der Tat bezogen sei, also als einen "an dem Erfolgsbegriff orientierten Beziehungsbegriff'l9. Auf der Basis der vorstehend umrissenen Grundlegung gelangt Spendet dann zu der Annahme, daß Unrecht ausschließlich durch äußere Gegebenheiten begründet werde, und sieht den Tatbestand eines Erfolgsdelikts mit der Feststellung des Kausalzusammenhanges zwischen Verhalten und Erfolg stets als erfüllt an 20 • Damit kommt der Ermittlung des Kausalzusammenhanges die für das Unrecht ausschlaggebende Bedeutung zu: Kausalität und objektive Zurechenbarkeit sollen identisch sein 21 . Diese Ermittlung soll zwar mit Hilfe der condicio-sine-qua-nonFormel erfolgen, jedoch sei das Hinzudenken einer im tatsächlichen Geschehen nicht verwirklichten Ersatzhandlung oder hypothetischen Bedingung unzulässig. Vielmehr sei der tats-ächliche Sachverhalt, einschließlich der auf ihre Kausalität zu untersuchenden Handlung, mit einem hypothetischen Sachverhalt, aus dem nur diese Handlung ausgeschieden sei, gedanklich zu vergleichen 22 . Zwar sei auch dieser zweite Sachverhalt nicht Wirklichkeit, sondern etwas Gedachtes, jedoch enthalte er keine im wirklichen Geschehen noch nicht realisierten und wirksamen Ersatzfaktoren 23 . Derartige Faktoren seien stets unbeachtlich, und 19 aaO. S. 531 ff. - Besonders in dem Abschnitt über den Schuldbegriff in seinem Bezug auf den objektiven Tatbestand wird die Nähe dieser Überlegungen auch zu der Strafrechtslehre Belings deutlich (der auch mit einem Satz ("Tötungsschuld ist größer als Sachbeschädigungsschuld", aaO. S. 534) zitiert wird). Dies nicht nur, weil es Beling war, der den Begriff des objektiven, wertfrei verstandenen Tatbestandes in den Mittelpunkt seiner Lehre gestellt hat (vgl. Die Lehre vom Verbrechen, Tübingen 1906, insbesondere S. 110 ff.), sondern besonders deswegen, weil auch die Lehre Belings gerade in ihrem Bemühen um eine rechtsstaatliche Konkretisierung des Strafrechts verstanden werden muß: es sollte der Tatbestand als ein festumrissener, begriffsscharfer Typus nur diejenigen Handlungen erfassen, die ihrem äußeren (objektiven) Bilde nach dem umgangssprachlichen Verständnis gemäß eine Verletzung im Sinne der tatbestandlichen Beschreibung darstellen, um so dem Einzelnen eine klare Orientierung für sein rechtliches Handeln im Umgang mit den Anderen zu ermöglichen. 20 Vgl. JuS 1964, 14 (15). 21 Spendet, Die Kausalitätsformel, S. 12. 22 Die Kausalitätsformel, S. 35 f.; ders., Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen, in: Eb. Schmidt-Festschrift (1961), S. 187. Vgl. auch BGHSt 10, 369 (370); 17,181 (186). 23 Besonders deutlich wird die Eigenart der Lösung von Spendet an den beiden hierzu von Engisch (Die Kausalität, S. 15 f.) gebildeten Fällen, dem "Knüppelgehilfen-Fall" und dem "Scharfrichter-Fall". Vgl. zu der hier dargestellten Ansicht auch RGSt 22,325 - "Brandstifter-Fall"; RG DR 1940,2061 - "Schlepper-Fall"; OGHSt 1,49 (50) "Denunzianten-Fall". - Der Bundesgerichtshof vertritt diese Auffassung insbesondere bei der ,,Kausalität" des Irrtums für die Vermögensverfügung beim Betrug (vgl. BGH MDR 1958, 139 - "Wohnungsmakler-Fall"; BGHSt 13, 13 (14 f.) - "ReferendarFall"). Die Entscheidung BGHSt 2, 20 (24 f.) will dagegen - trotz mißverständlicher Formulierung - nur die in rechtswidrigem Verhalten Dritter liegenden Ersatzursachen, nicht aber hypothetisches Geschehen schlechthin unberücksichtigt lassen.

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zwar auch dann, wenn es sich um gedachtes Alternativverhalten des Täters handele, das im Regelfall rechtmäßig sei, im konkret zu beurteilenden Sachverhalt jedoch diesseibe Verletzung des Opfers bewirkt hätte: Bei einer solchen Konstellation sei nämlich auch das ansonsten erlaubte Verhalten - im "Radfahrer-Fall": das Vorbeifahren unter Einhaltung des normalerweise rechtmäßigen Sicherheitsabstandes - rechtswidrig, weil es die gleiche objektive Erfolgstendenz aufweise 24 • 11. Kritik Nimmt man die Frage der Bedeutung hypothetischen Geschehens als Kausalitätsproblem in einem objektiv-naturwissenschaftlichen Verständnis, so ist es in sich folgerichtig, zu einer Unbeachtlichkeit der im tatsächlichen Geschehen unverwirklicht gebliebenen Ersatzbedingungen zu gelangen 25 • Dies zeigt sich an folgender Überlegung: Eine kausale Unrechtslehre nimmt ihren Ausgang notwendig von der Herrschaft des Kausalprinzips, das als der "Grundsatz der Erzeugung" wohl am genauesten von Kant formuliert worden ist: ,,Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt" 26. Versteht man dabei unter ,,Regel" nur die Regeln der Notwendigkeit (Kausalgesetze im eigentlichen Sinn) und bezieht den angeführten Grundsatz dann auf die Wirklichkeit der rechtswidrigen Handlungen sowie der diesen korrespondierenden Verletzungen (Unrecht), so ist mit ihm gesagt, daß diese Wirklichkeit Veränderungen zugänglich und unterworfen ist, die sich nach bestimmten Regeln der Notwendig24 JuS 1964, 14 (16, 18). Die von Spendel vorgeschlagene Möglichkeit, den Conditio-sine-qua-non-Gedanken als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen (vgl. Engisch-Festschrift (1969), S. 509 ff.), kann hier außer Betracht bleiben, weil diese Möglichkeit auf das Vorsatzdelikt beschränkt bleiben und nur bei bestimmten Sachverhalten, nämlich bei solchen "zwiespältigen, zwei-deutigen Taten" zu erwägen sein soll, die "Verurteilung und Verständnis zugleich" erfordern (aaO., S. 524). 25 Ebenso Arthur Kaufmann, Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, in: Eb. Schmidt-Festschrift (1961), S. 200 (207). - Engisch (und, ihm folgend, die h.M.) meint freilich, es sei nicht einzusehen, warum man die zur Zeit des Handeins bereits angelegten Umstände (z.B. die ,,Entschlossenheit des Scharfrichters, die Hinrichtung jetzt im Augenblick zu vollziehen") nicht mitberücksichtigen solle (Die Kausalität, S. 17). Damit wird der kausale Standpunkt aber aufgegeben. - Das übersieht auch Puppe, ZStW 92 (1980), 863 ff., die das Erfordernis der notwendigen Bedingung als Kriterium der objektiven Zurechnung mit der Überlegung als "zu stark" ablehnt, daß dann "die Existenz sogen. Ersatzursachen die Kausalität ausschließt" (aaO. S. 868). Aber ein bloß gedachter, tatsächlich unverwirklicht gebliebener ("hypothetischer") Umstand kann die konkrete Notwendigkeit einer realisierten Bedingung für den eingetretenen Verletzungserfolg in kausaler Betrachtungsweise niemals ausschließen. 26 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage 1781, AA IV S. 128. In der 2. Auflage 1787 (AA III S. 166) nennt Kant dieses Prinzip den "Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Causalität" und formuliert es wie folgt um: ,,Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung". Als ein gedanklich vor aller Erfahrung, d.i. apriori geltender Grundsatz hat dieses Prinzip bei Kant - insbesondere in seiner theoretischen Philosophie - allerdings eine sehr viel weitergehende Bedeutung als nachfolgend im Text; vgl. dazu unten Teil 3.

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keit, den Kausalgesetzen, vollziehen. Dabei ist der Bereich, in dem diese Gesetze herrschen, zunächst nicht zwingend auf die äußerlich-gegenständliche Welt beschränkt 27. Da der Begriff des Unrechts nun aber ausdrücklich nur die Sphäre der äußeren, beobachtbaren Gegebenheiten erfassen soll, wird der Geltungsbereich der Kausalgesetze auf diese Sphäre konzentriert. Dabei soll ein Kausalzusammenhang 28 stets dann bestehen, wenn sich ein Zustand (Ursache), verstanden als ein Inbegriff äußerer Bedingungen, als Grund derjenigen äußeren Veränderung (Wirkung) erweist, die in der zeitlich folgenden Gegebenheit erscheint. Der Eintritt der als Wirkung zu verstehenden äußeren Veränderung darf also ohne die ihm vorgegebenen Bedingungen nicht erklärbar sein. Da somit jede Feststellung eines Kausalzusammenhanges ein konkretes Urteil über die notwendigwirkliche Verknüpfung zweier Zustände einer nach Naturgesetzen festgelegten, sinnlich beobachtbaren Körperwelt ausdrücken soll, kann bloß Gedachtes für ein solches Urteil und den in ihm erfaßten Grund-Folge-Zusammenhang nicht bedeutsam sein. Vielmehr sind ausschließlich verwirklichte Bedingungen - das sind die als Gegebenheiten erscheinenden Umstände - beachtlich. 1. Kritik der rechtsphilosophischen Grundlagen

Eine Kritik der in sich geschlossenen, in ihrer rechtsstaatlichen Ausrichtung 29 eindrucksvollen objektiv-kausalen Theorie muß zunächst an den (rechts-)philosophischen Grundlagen dieser Lehre ansetzen. Da sie die gedankliche Basis des (Straf-)Rechts zum Gegenstand haben, kann die Kritik sich dann in einem zweiten Schritt insbesondere auf die in den genannten Grundlegungen enthaltenen Konsequenzen für das (Straf-)Recht in seinen konkreten Ausformungen und hier vor allem auf die Stellung des Einzelnen als Rechtssubjekt - d.h. in 'seinem Verhältnis zu den Anderen sowie den positiven Normen der Rechtsordnung - konzentrieren. Hält man dabei an dem Anspruch fest, wonach es im Recht - negativ - nicht um eine Zwangsveranstaltung im Dienst bestimmter, unter sich wandeln27 Für die Handlungslehre folgt daraus ein kausaler Handlungsbegriff. - Die nachstehenden Überlegungen beziehen sich wegen der konkreten Fragestellung nach Kausalität und Pflichtwidrigkeitszusammenhang allerdings ausschließlich auf die verletzende Veränderung selbst. 28 Die Unterscheidung dieser drei Momente des "Kausalproblems" - des Kausalprinzips als eines Grundsatzes apriori, des Kausalgesetzes als einer durch Experiment und Induktion verallgemeinernd gewonnenen Regel und des Kausalzusammenhanges als der konkreten Feststellung der Ursacheneigenschaft positiver Umstände eines Einzelsachverhalts - ist auch für das Strafrecht bedeutsam. 29 Den zuweilen gegen sie erhobenen (vgl. Roxin ZStW 74 (1962), 411 (431); Ulsenheimer JZ 1969, 364 (367» - Einwand, in ihr liege die Verantwortung des handelnden Subjekts auch für Folgen, die mit seiner Pflichtwidrigkeit in keinem inneren Zusammenhang stehen (versari in re illicita), verdient diese Lehre nicht: denn mit der unter Übertretung des Verbots gesetzten Übermaßgefahr war die Verletzung im Normalfali auch vorhersehbar, was als Voraussetzung der Fahrlässigkeitsschuld auch von Spendei gefordert wird (vgl. JuS 1964, 14 (19».

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den Umständen austauschbarer Interessen und deren Vertreter, sondern vielmehr - positiv - um die Begründung der Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens geht 30, so muß der Einzelne als Rechtsperson schon in der Grundlegung als selbständiges Subjekt erfaßt sein. Nun muß aber Selbständigkeit ihrem Begriff nach, unabhängig von ihrer näheren Bestimmung, ersichtlich mehr bedeuten als bloße Freiheit von etwas; denn da sie sich notwendig in Handlungen als ihrer Wirklichkeit, also in etwas "Positivem" realisiert, kann ein solcher negativer Grund 3 ! als Bedingung der Möglichkeit von freiem Handeln niemals zureichend sein. Soll sich der Einzelne als Freier in seinen Handlungen selbst bestimmen, so liegt in seiner Freiheit vielmehr positiv, daß er beflihigt ist, sein Handeln prinzipiell nach von ihm selbst verstandenen Bestimmungsgründen seines Willens auszurichten (Autonomie), und zwar gerade auch insoweit es - wie dies für das Recht charakteristisch ist - sein Verhältnis zu den Anderen berührt 32. Legt man nun diesen Maßstab an Spendeis erkenntnistheoretische Grundlegung für die "Notwendigkeit des Objektivismus im Strafrecht", so wird deutlich, daß diese Lehre eine Verankerung des Rechts in der Autonomie des Einzelnen also auch des Straftäters - nicht ermöglicht. Sobald das Recht nämlich auf "unabhängig vom Subjekt bestehende, vorgegebene Gesetzmäßigkeiten" gegründet wird, die als "natürliche Architektonik" auch dem Strafrecht zugrundeliegen sollen 33, wird der Einzelne aus seiner ursprünglich produktiven Rolle im Zusam30 Vgl. dazu nur die berühmte Formulierung Hegels in der ,,Einleitung" (§ 29) seiner "Grundlinien der Philosophie des Rechts": "Dies, daß ein Dasein überhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. - Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee". Auch für ein solches Verständnis ist das Recht mit dem Zwang als Befugnis notwendig verbunden, aber der Zwang ist dann kein ursprüngliches, sondern ein abgeleitetes Moment, das in seinen konkreten Erscheinungsformen - sei es als Strafe, sei es als Bußgeld, usw. - jeweils gesonderter Begründung bedarf. 3! Als ein solcher ,,negativer Grund" läßt sich das rechts staatliche Anliegen Spendeis, für die (straf-)rechtliche Beurteilung auf eine möglichst feste und sichere, weil wahrnehmbare Grundlage zurückzugreifen, verstehen: der Einzelne soll freigehalten werden von vermeidbaren Unsicherheiten des strafrechtlichen Urteils und den darin liegenden Möglichkeiten staatlicher Willkür. Dies entspricht dem üblichen Verständnis der Rechtssicherheit als eines Postulats des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20, 103 AbS. 2, 3 GG). 32 Diese erste Bestimmung der Selbständigkeit entspricht einem "einfachen, unverbildeten Sinn von Freiheit" (vgl. E. A. Woljf, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: W. Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik - Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 ff. (140». Mit einem solchen Verständnis der Selbständigkeit ist insbesondere die Bestimmung der Freiheit als bloßem Indeterminismus, wie sie auch für das Strafrecht häufig vertreten wurde (vgl. von Rohland, Die Willensfreiheit und ihre Gegner, insbesondere S.24, 118 ff.), abgewiesen. - Schon Kant hatte bei seiner Bestimmung der "Freiheit der Willkür" einen negativen und einen positiven Begriff unterschieden und dabei den ersten als die "Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe", insbesondere "von eines Anderen nöthigender Willkür", den anderen als das "Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein" umschrieben (vgl. dazu die "Einleitung in die Metaphysik der Sitten", AA VI S. 213/ 214 sowie die "Einleitung in die Rechtslehre", AA VI S. 237). 33 Für die Kritik dieser Lehre besteht eine Schwierigkeit darin, daß die verwendeten Begriffe der "vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten" als einer "natürlichen Architektonik"

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menhang der Begrundung des Rechts herausgedrängt 34 und zu einem bloß Empfangenden herabgedruckt, dessen Aufgabe nur noch darin besteht, die "vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten" in denkendem Nachvollzug zu erkennen und in seinem Handeln unabhängig von ihm Vorgegebenes nachzuformen. In einem solchen Verständnis bleibt das Recht aber etwas dem Einzelnen Fremdes, von ihm Verschiedenes, und er handelt als Rechtssubjekt nicht selbst-begIiindend, sondern fremdbestimmt (Heteronomie). Damit ist er nicht nur als freie Rechtsperson verfehlt 35, sondern man gibt zugleich die gedankliche Basis dafür aus der Hand, warum dem Einzelnen als Staatsbürger ein unbedingter, verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf die staatliche Gewährleistung von Rechtssicherheit bei Spende! als Schutz vor "subjektivistischen Unsicherheiten" im Strafrecht eingeführt - zustehen soll.

2. Kritik der strafrechtlichen Schlußfolgerungen Nun kann man im Rahmen einer strafrechtlichen Arbeit - worauf bereits hingewiesen wurde - nicht bei einer Kritik der (rechts-)philosophischen Grundlagen einer bestimmten Lehre stehenbleiben. Vielmehr ist es erforderlich, auch die besonderen strafrechtlichen Schlußfolgerungen, die aus diesen Grundlagen entweder tatsächlich gezogen werden oder sich mit gedanklicher Notwendigkeit zwingend aus ihnen ergeben 36, in die kritischen Überlegungen einzubeziehen. nicht näher erklärt werden und deswegen ausgelegt werden müssen. Dabei wird hier in Anknüpfung an die übliche Unterscheidung von theoretischer und praktischer Erkenntnis - davon ausgegangen, daß einerseits an eine Vorgegebenheit von Gegenstandsstrukturen gedacht ist, andererseits an ein "System von Werten", wie es etwa die Wertphilosophie (M. Seheler, N. Hartmann) entworfen hat und nach dem das Strafrecht und seine Dogmatik auszurichten sein sollen. Nach dieser Auslegung ist beispielsweise die Kausalität kein Verstandesbegriff, sondern eine Gegenstandsstruktur, die das erkennende Bewußtsein gleichsam nachzuzeichnen hat. 34 Eine nähere Bestimmung dieser begründenden Rolle hat unlängst E. A. Wolff(aaO. Fn.32, insbesondere S. 162 ff.) im Zusammenhang der Abgrenzung des Kriminalunrechts vorgetragen. - In ihrer Bedeutung für den Unrechtsbegriff in seinen genaueren Ausformungen wird sie bei R. Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 128 ff., 165 ff. entwickelt. 35 Schon für die theoretische Vernunft des Einzelnen ist die hier kritisierte Lehre frag-würdig; denn jedenfalls seit dem Erscheinen der Kantischen Erkenntniskritik mit ihrem Beweis der formenden Produktivität des theoretischen Vemunftvermögens ist die Entgegensetzung von bloß nachvollziehendem Erkenntnissubjekt und vorgegebenem Erkenntnisgegenstand begründungsbedürftig. Besonders aber wird die praktische Erkenntnis des Subjekts (Ethik und Recht) verfehlt, wenn man sie ohne Unterscheidung von dem theoretischen Vemunftvermögen einer einheitlichen, von den Gegenständen ausgehenden Erkenntnistheorie unterwirft. 36 Eine solche, gedanklich zwingende Verbindung zwischen der (rechts-)philosophischen Grundlegung und seiner konkreten strafrechtlichen Lehre ist von Spendel selbst freilich nicht hergestellt worden. Sie herzustellen ist aber nicht nur ein Gebot konsequenter Theorie, sondern auch deswegen naheliegend, weil insbesondere Welzel, dessen Strafrechtslehre gerade nicht von einer ,,Notwendigkeit des Objektivismus im

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Tut man dies, so liegt es für die Lehre Spendeis nahe, sich dem von ihm vertretenen, objektiven Unrechtsbegriff zuzuwenden. a) Der Basismangel der strikt objektiven Unrechtslehre

Dieser kann zunächst auf seinen Zusammenhang mit der philosophisch-erkenntnistheoretischen Grundlegung untersucht werden. Es zeigt sich dann, daß weder aus der vorgenommenen Unterscheidung von Recht (als einem praktischen Prinzip der äußeren Sphäre) und Moral (als einem bloß inneren Selbstverhältnis), noch aus der angenommenen Vorgegebenheit bestehender Gesetzmäßigkeiten als einer natürlichen Architektonik für das Strafrecht die Notwendigkeit einer objektiven, kausalen Unrechtslehre folgt. Für eine solche Notwendigkeit müßte erkenntnistheoretisch nachgewiesen werden, daß die Kausalität eine vorgegebene Gesetzmäßigkeit der Wirklichkeit ist und daß sie außerdem diejenige Art eines objektiven Gesetzes ist, das den Bereich des rechtmäßigen bzw. rechtswidrigen Handeins vollständig durchherrscht. Ein solcher Nachweis wird aber nicht geführt, und es ist nicht ersichtlich, wie er zu führen sein sollte 37. Mit diesem Mangel der erkenntnistheoretischen Begründung ist das Problem einer genaueren Begrenzung des Objektivismus im Strafrecht eng verbunden: Da subjektive Elemente nicht schlechthin bedeutungslos sein sollen und insbesondere das Schuldprinzip als Grundlage des Strafrechts angesehen wird 38, stellt sich die Frage, wie weit der Vorrang des Objektivismus gehen soll, und für die Strafrecht" ausgeht, sondern vielmehr umgekehrt die Bedeutung der Subjektivität für das Unrecht hervorhebt, auf erkenntnistheoretischen Uberlegungen aufbaut, die denen Spende!s zum Teil bis in die Formulierungen hinein ähneln (vgl. etwa: Kausalität und Handlung (1931), S. 12 ff.; Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht (1935), S. 72 ff.; beide Zitate nach dem Abdruck in : Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie). - Für den Bereich der praktischen Erkenntnis vertrat Welze! allerdings eine Wertlehre, die keine vorgegebenen, unabhängig vom Menschen existierenden Werte annimmt, sondern diese als "ideale Wesenheiten" mit dem Denken des Einzelnen verbindet (vgl. Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 222). 37 Die Vertreter der kausalen Handlungslehre hatten früher freilich von der Wirklichkeit der Handlung als eines kausalen Geschehens aus argumentiert: da das Verbrechen eine bestimmt geartete und entsprechend gewertete Handlung sei, sei die kausale Handlung der Gattungsbegriff, dessen Merkmale bestimmt sein müßten, ehe die differentia specifica des Artbegriffs - rechtswidrig-schuldhafte Handlung - untersucht werden könne (vgl. von Liszt-Schmidt, Lehrbuch, S. 153; Radbruch, Der Handlungsbegriff, S.90); dieser allgemeine Handlungsbegriff (Gattungsbegriff) wurde als Verursachung einer Körperbewegung und des darauffolgenden Kausalprozesses durch den Willen bestimmt. - Seit ihrer Kritik durch die fmale Handlungslehre (vgl. Welze!, Kausalität und Handlung, ZStW 51 (1931),703 ff.; ders., Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939), 491) ist die kausale Handlungslehre jedoch zunehmend dazu übergegangen, den Handlungsbegriff als Rechtsbegriff in seiner funktionalen Bedeutung für das System des Strafrechts aufzufassen (vgl. Baumann I Weber, Strafrecht AT, S. 188: " ... strafrechtliche Praktikabilität und nicht das, was nach irgendeiner natürlichen Auffassung Handlung sein könnte, ist für uns Maßstab".). 38 Spende!, ZStW 65 (1953), 519 f.

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Beantwortung dieser Frage gibt die von Spendet angeführte Unterscheidung zwischen Recht und Moral keine zureichende Grundlage. So ist z. B. "Lügen" ein Geschehen (auch) in der äußeren Sphäre, das als Handlung das Verhältnis zu einem anderen Subjekt betrifft; gleichwohl fällt es in den Bereich des Rechts nur dann, wenn es zusätzliche - geistige oder äußere 39 - Bezüge aufweist, die es als Rechtsgutsverletzung qualifizieren. Und umgekehrt ist das Gewissen nicht durchgehend in die Sphäre des bloß Moralischen einzuordnen, wie das schwierige Problem des Überzeugungs- und Gewissenstäters im Strafrecht 40 sowie die alte Frage nach der überpositiven Rechtsschuld 41, bei der es um die Befolgung ungerechten positiven Gesetzesrechts geht, hinreichend verdeutlichen. - Daß die genannte Unterscheidung in der Gestalt, die Spendet ihr gegeben hat, zu ungenau ist 42 , läßt sich auch von einem der von ihm selbst angeführten Beispiele aus zeigen: Denn so berechtigt seine Kritik an der unterschiedslosen Strafbarkeit des untauglichen Versuchs ist, so läßt sie doch das Unrecht des gefährlichen Versuchs ganz unberührt 43 ; auch der gefährliche Versuch ist aber durch ein "Übergewicht des Subjektiven" gekennzeichnet, bleibt doch die objektive Verwirklichung der Tat hinter dem vom Täter Gewollten zurück, so daß der Wille die fehlenden äußeren Momente muß ersetzen können, wenn der Versuch Unrecht sein sol1 44 • 39 So ist das Erzählen von Lügenmärchen noch keine Beleidigung des Zuhörers, weil dessen Vermögen, sich über den Wahrheitsgehalt des Erzählten selbst zu vergewissern, durch die bloße unwahre Erzählung nicht in Frage gestellt wird, so daß noch kein Angriff auf die "Ehre ... als das die Selbständigkeit ermöglichende Anerkennungsverhältnis" (E.A. Wolf!, ZStW 81 (1969),886 (899» vorliegt. Erst wenn der Erzählende das personale Verhältnis wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins - z.B. durch Erzählung eines ehrenrührigen "Märchens" über den Zuhörer (§ 185) oder einen abwesenden Dritten (§§ 186, 187) - angreift, ist die Sphäre des Rechts berührt. Auch ein Betrug (§ 263) kommt nur in Betracht, wenn die jeweilige täuschende Lüge einen konkreten Bezug zu fremdem Vermögen aufweist, indem sie eine schädigende Vermögensverfügung bewirkt oder bewirken soll (Versuch). 40 Vgl. dazu BVerfGE 32, 98 einerseits (wo es "freilich um das Sonderproblem eines religiös motivierten Gewissens ging (Art. 4 Abs. 1 GG», BGHSt 8, 162 andererseits; aus der Literatur etwa Gallas, Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund (1954), in: Beiträge, S. 59 ff. (insbesondere S. 65 f.); Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 74 ff.; Rudolphi, Die Bedeutung eines Gewissensentscheides für das Strafrecht, in: Welzel-Festschrift (1974), S. 605 ff., (insbesondere S. 610 ff.); Bockelmann, Zur Problematik der Sonderbehandlung von Überzeugungsverbrechern, in: Welzel-Festschrift (1974), S. 543 ff., der allerdings jede Berücksichtigung der Überzeugung ablehnt. 41 Grundlegend dazu Welzel, Vom irrenden Gewissen (1949); ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Einleitung S. 8 und passim. - Auch Spendels eigener späterer Beitrag zum Conditio-sine-qua-non-Gedanken als Strafmilderungsgrund (Engisch-Festschrift (1969), S. 509 ff.) hat wesentlich diese Konstellation und damit einen Bereich der strafrechtlichen Berücksichtigung von Gewissensentscheidungen zum Gegenstand. 42 Vgl. demgegenüber etwa die differenzierende Behandlung des Verhältnisses durch Hö.f!e, Recht und Moral: ein Kantischer Problemaufriß, in: Neue Hefte für Philosophie, Heft 17 (1979), S. 1 ff. 43 Vgl. dazu Spendet, ZStW 69 (1957), 441; ders., Zur NeubegfÜndung der objektiven Versuchstheorie, in: Stock-Festschrift (1966), 89 ff.

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b) Genauere Verdeutlichung des Basismangels am Phänomen der strafrechtswidrigen Verletzung

Um die Grenzen jedes kausal ansetzenden Denkens für die Begründung des Unrechts aufzuzeigen, ist man freilich nicht darauf beschränkt, auf die besonderen Probleme hinzuweisen, die der Versuch jeder einfachen objektiven Unrechts lehre notwendig bereitet. Auch für das Unrecht der vollendeten Tat läßt sich bereits vom Phänomen der strafrechtswidrigen Verletzung her aufweisen, daß der kausale Ansatz wesentliche Momente der menschlichen Handlung als einer besonderen Wirklichkeit ausblendet, die von dem zwingend festgelegten Geschehen in der Kausalgesetzen unterworfenen Gegenstandswelt - den reinen Kausalprozessen - zu unterscheiden ist. So macht es etwa für ein ursprüngliches Verständnis eines z. B. körperlichen Verletzungsgeschehens ersichtlich einen Unterschied, ob die leibliche Unversehrtheit eines von einem solchen Geschehen betroffenen Opfers durch einen bloßen Kausalverlauf (beispielsweise den abbrechenden, herabfallenden Ast eines Baumes) oder durch die Einwirkung (etwa eines Faustschlages) eines begegnenden Mitmenschen beeinträchtigt wird 45. Anders als in der ersten Sachverhaltsgestaltung, in der sich die Verletzung objektiv festgelegt und damit gleichsam schicksalhaft vollzieht, verweist sie in der zweiten Ausprägung auf einen selbständigen Anderen als Urheber. Daß dessen Handlung als eine gewollte, freie anders in Erscheinung tritt als ein durchgehend festgelegter Ablauf der Natur, hebt die Verletzung über die bloß äußere, vollständig kausalgesetzlich verstehbare Beeinträchtigung ganz offenbar hinaus 46, und in dem Mangel 44 Vgl. Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 229 ff. und passim. Zu Recht haben deswegen Welzel (Um die finale Handlungslehre, S. 13; Lehrbuch, S. 41) und die Vertreter der finalen Handlungslehre (vgl. Armin Kaufmann, Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, in: Welzel-Festschrift (1974), 393 ff. (402); Zielinski, Handlungsund Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 49 ff.) den Versuch immer wieder als Prüfstein einer jeden Handlungs- und Unrechtslehre bezeichnet. - Die weitergehende Konstruktion von Zielinski (vgl. auch Armin Kaufmann, aaO. S. 403), den beendeten Versuch als Typus jeder Handlung und des durch sie verwirklichten Unrechts in das Strafrecht einzuführen und den Erfolg nur noch als eine Art objektiver Bedingung der Strafbarkeit aufzufassen (aaO. S. 128 ff., insbesondere S. 143 f.), bedarf hier keiner näheren Erörterung; in ihr sinkt die Finalität des Willens als eine besondere Determinationsform der Wirklichkeit zu einem Auslöser prinzipiell unbeherrschbarer Folgen herab (vgl. aaO. S. 142), und es wird so aus der finalen Handlungslehre eher eine Art von "finaler Zufallslehre", für die das Wesentliche des Delikts in der Übertretung einer staatlich gesetzten Norm (aaO. S. 136) und nicht in der Verletzung eines konkreten Anderen liegt, der mit dem Handelnden in einem wechselseitigen Verhältnis rechtlicher Gleichheit (Anerkennungsverhältnis ) steht. 45 Dabei ist die Unterschiedlichkeit dieses ursprünglichen Verständnisses vom Ausmaß der Verletzung offensichtlich unabhängig. So kann man den herabfallenden Ast etwa durch eine Steinlawine ersetzen, die den Betroffenen unter sich begräbt und ihn lebensgefährlich verletzt, ohne daß sich dadurch an dem Verständnisunterschied etwas ändern würde. 46 Ähnlich, wenngleich von anderen Grundlagen aus, Hruschka, Strukturen der Zurechnung, S. 5 ff. und passim, der darauf hinweist, daß "die bloße Möglichkeit von Recht

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des Vennögens, die Verletzung aus sich selbst heraus hervorzubringen, liegt der Grund dafür, warum sich von dem im Beispiel angeführten Baum (oder einem anderen Gegenstand der kausal detenninierten Welt) schwerlich behaupten läßt, er habe durch die Verletzung des betroffenen Passanten Unrecht begangen 47 • 48. überhaupt" auf den Begriffen ,,zurechnung", "Handlung", ,,Freiheit" und "Schuld" beruht (aaO., S. 1). Der für seine Lehre zentrale Begriff der "Regel" bzw. ,,Regelanwendung" (z. B. aaO. S. 13) verkürzt jedoch die in diesem Ansatz enthaltenen Möglichkeiten wieder, indem er die zwischen den verschiedenen "Regelarten" - z.B. Spielregeln einerseits, den "Regeln" des Rechts andererseits - bestehenden Unterschiede verwischt. Die Verkürzung wird besonders in zwei Punkten deutlich: a) So bestimmt Hruschka Handlung als Regelanwendung eines Subjekts (aaO. S. 13). Diese Bestimmung soll nur sinnvoll sein, wenn sie auf die Zurechnung einer bestimmt gearteten, besonderen ("spezifischen") Handlung abzielt (aaO. S. 19), die durch die Anwendung einer besonderen ("spezifischen") Regel gekennzeichnet sein soll, deren Inhalt sich aus der subjektiven Festlegung des Zurechnenden (nach dessen Meinung) ergebe (aaO. S. 20). - Das aber widerspricht der eigenen zutreffenden Voraussetzung Hruschkas, wonach die Zurechnung eines Geschehens als Handlung ein Akt der wechselseitigen Anerkennung zweier selbständig gedachter Subjekte ist. Ob beispielsweise eine Handlung eines Mitglieds der Rechtsgemeinschaft diesem als Tötungshandlung zuzurechnen ist, kann in einer Gemeinschaft sich gegenseitig als Freie anerkennender Bewußtseinsindividuen nur intersubjektiv begründbar sein und nicht von der - sei es auch kritisierbaren (aaO., S. 21) - subjektiveinseitigen Festlegung der Merkmale einer Tötungshandlung durch einen Anderen (oder mehrere Andere) abhängen. - b) Fast noch deutlicher wird die Unzulänglichkeit eines umfassenden Regelbegriffs als tragender Strukturbegriff einer strafrechtlichen Zurechnungslehre an der Begründung Hruschkas zum ,,Prinzip entschuldigungsloser Zurechnung regelwidriger Handlungen" (aaO. S. 50 ff.). Dieses Prinzip soll bei Verletzung gemeinschaftskonstitutiver Regeln anwendbar sein. Seine Anwendbarkeit soll in einem "Selbstausschluß des Subjekts aus der Gemeinschaft" begründet sein (aaO. S. 51 f.). Diese Begründung übersieht, daß zwar die Zugehörigkeit zu den meisten besonderen Gemeinschaftsformen (etwa der von Hruschka angeführten Gemeinschaft der Schachspieler) verlierbar sein mag, nicht aber die Subjektsnatur als endliches Vernunftwesen. Diese Natur ist mit der Anerkennung des Einzelnen als Rechtsperson unaufhebbar verbunden, und es macht nicht nur für sein eigenes Dasein einen wesentlichen Unterschied, ob er künftig von einer Freizeitbeschäftigung (Schachspiel) oder aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen ist. - Außerdem entfiele mit dem (Selbst-)Ausschluß aus der Rechtsgemeinschaft die Möglichkeit jeglicher Rechtsfolge, insbesondere also auch der Bestrafung; vgl. zum Ganzen Zaczyk, Das Strafrecht in der Rechtslehre J.G. Fichtes, S. 92 ff., insbesondere S. 100, 109 f. 47 Daher verändert sich der grundSätzliche Unterschied auch nicht, wenn man den Baum im Ausgangsbeispiel durch entwickeltere, höhere Formen daseienden Lebens, etwa ein Tier, ersetzt. So wird beispielsweise ein Hundebiß unter der Hinsicht des Festgelegtseins nicht anders zu verstehen sein als der im Ausgangsbeispiel angeführte Baum bzw. Ast. - A. A. allerdings Zielinski, der meint, es sei "eine mehr ideologische als wissenschaftliche Frage, ob ... der Mensch ... ein qualitativ Anderes gegenüber dem Tier ... ist oder aber nur ein quantitativ höher entwickelter Affe" (Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 68). 48 Daß es sich hierbei keineswegs um eine überzeitliche Einsicht, sondern um eine geistige Entwicklungsstufe handelt, macht etwa der Hinweis Mezgers auf "die geschichtlich beglaubigte Verfolgung lebloser Gegenstände" und die einstigen "Tierstrafen und Tierprozesse" (Strafrecht, S. 93, insbesondere Fn. 5) deutlich; ähnliche Hinweise bei Maurach, Strafrecht AT (4. Auf!. 1971), S. 158; vgl. auch Löffler ZStW 21 (1901),537 (556), der Naturgeschehen ausdrücklich als Unrecht bezeichnet. Die genannte Entwicklung zeigt zugleich, daß eine wissenschaftliche Theorie bei dem hier vorausgesetzten "ursprünglichen Verständnis" nicht stehen bleiben darf, sondern

A. Der objektiv-kausale Ansatz

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Folglich enthält schon der Begriff des Unrechts ein Moment der Freiheit. Dies aber ist durch ein kausales Denken nicht erfaßbar 49 • Dieser Befund bestätigt sich, wenn man den Blick auch auf die Opferseite richtet. So macht es offensichtlich wenig Sinn, von einem Gegenstand der festgelegten Welt zu sagen, daß ihm ein Unrecht widerfahren sei. Das aber offenbart, daß auch die Wirklichkeit des Opfers in eine Dimension hineinreichen muß, die nicht durch kausalgesetzliehe Festlegung bestimmt ist, und diese Dimension ist die im Recht stets schon vorausgesetzte Selbständigkeit des Opfers (Autonomie) als eine Möglichkeitsbedingung von Unrecht überhaupt. Recht und Unrecht sind somit einzig in einer Gemeinschaft solcher Wesen denkbar, die vermöge ihrer (beschränkten) Freiheit dazu in der Lage sind, die Wirklichkeit nach ihrem eigenen Sinn aus sich heraus gestaltend zu verändern 50. Dann aber ist es ausgeschlossen, das Unrecht ausschließlich objektiv-kausal zu bestimmen, da doch die Freiheit für die Möglichkeit des Unrechts mitbegründend ist 51 • - Dies zeigt sich gerade auch im Merkmal des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges: Da es bei ihm um die Bedeutung hypothetischen Geschehens geht, unverwirklicht gebliebene Verlaufsalternativen für ein kausales Denken aber notwendig unbeachtlich sind, liegt in dem Ansatz dieses Denkens schon die Antwort der Unbeachtlichkeit jeglichen hypothetischen Geschehens. Die Überlegung, daß unverwirklicht gebliebene Verlaufsalternativen für das Unrecht eines Begehungsdelikts bedeutsam sein können, läßt sich sinnvoll und widerspruchsfrei also nur anstellen, wenn schon im Unrecht - jedenfalls als abstrakt-grundsätzliche Annahme - davon auszugehen ist, daß sowohl dem Verletzenden anderweitige Handlungsmöglichkeiten offenstanden (rechtmäßiges Alternativverhalten), als den gemeinten Inhalt (Freiheit als Autonomie) nach Begriffen aufklären und bestimmen muß (vgl. dazu nachfolgend Teil 3, insbesondere Abschnitt B.). 49 Diese Feststellung bleibt auch dann richtig, wenn man wie die kausale Handlungslehre - für die Handlung ein willkürliches Geschehen verlangt (vgl. Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 189 ff.) und dadurch die Naturprozesse ausschließt; denn auch in dieser Bestimmung ist der Wille unter Ausblendung seiner freien Finalität als bloßer Kausalfaktor (Ursache der Handlung) erlaßt. 50 Dieser Feststellung steht der Bereich des Umweltstrafrechts nicht entgegen, da die Natur dort nicht an sich, sondern in ihrer Bedeutung für die Menschen erlaßt ist. Das kann hier freilich nicht näher ausgeführt werden. - Denjenigen Lehren, die die Natur als Wert an sich zugrundelegen (sog. physikozentrische Ethiken; vgl. dafür Jonas, Das Prinzip Verantwortung), ist eine unmittelbar aus dem Sein abgeleitete Begründung der Umweltkriminalität jedenfalls nur in Anknüpfung an alte Weltbilder und deren metaphysische Voraussetzungen möglich. Dies steht aber im Widerspruch zu der für diese Lehren sonst kennzeichnenden Ablehnung der alten Metaphysik. 51 Damit ist freilich nicht gesagt, daß die konkrete Unrechtsfeststellung im Einzelfall die Feststellung dieser Freiheit voraussetzt. Auch auf der hier eingeführten Grundlage bleibt die Freiheit im Deliktsaufbau ein Schuldproblem. Die Frage geht vielmehr dahin, ob der Begriff des Unrechts ohne die abstrakt-grundsätzliche Annahme, dem mit Bezug auf ein mitmenschliches Verhältnis praktisch-handelnden Subjekt sei jedenfalls generell die Fähigkeit zu vernünftiger Selbstbestimmung eigen (Prinzip der beschränkten Willensfreiheit), überhaupt sinnvoll bestimmbar ist; vgl. hierzu bereits Hardwig, Die Zurechnung, S. 123 ff. sowie Hellmuth Mayer, Strafrecht AT (1953), S. 101. 4*

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2. Teil: Kritische Aufnahme des Meinungsstandes

auch das Opfer generell dazu in der Lage war, sich auf alternative Geschehensabläufe, insbesondere nach der Art deren rechtlicher Qualität als rechtmäßig oder rechtswidrig, in unterschiedlicher Weise einzustellen 52. Man kann also die äußere Seite der strafrechtswidrigen Verletzungshandlung (Kausalität) und deren tragende geistige Grundlage (Freiheit) nicht ohne Folgen auseinanderreißen. Es würde sonst der Riß zwischen dem Unrecht und der Schuld so tief, daß nicht mehr deutlich werden kann, wie beide als Kausalität aus Freiheit derselben Handlung angehören. c) Die Konsequenzen einer objektiv-kausa7en Unrechtslehre

für den Bereich des Unterlassungsunrechts

Besonders folgenreich ist das hier kritisierte kausale Denken schließlich für den Bereich des Unterlassungsunrechts: Dieser Bereich muß vom kausalen Ansatz her entfallen. Diese - von den Vertretern der objektiven Unrechtslehre freilich nirgends gezogene 53 - Konsequenz ergibt sich daraus, daß in sich folgerichtiges kausales Denken die Unrechts frage - auch für die Unterlassungsstraftaten - ausschließlich auf den dem Täter tatsächlich zur Last gelegten Beitrag, die Unterlassung, beziehen muß und nicht auf ein erwartetes, in Wirklichkeit jedoch nicht vorgenommenes Verhalten. Auf den Verlauf bei angenommener Vornahme des garantenpflichtgemäßen Tuns kann es nicht ankommen: Denn gerade weil und insoweit der Unterlassende seiner Garantenpflicht nicht nachgekommen ist, kann das äußere Geschehen bei Erfüllung dieser Pflicht nur ein gedachtes sein. Als solches ist es aber für eine kausale Betrachtungsweise grundsätzlich unbeachtlich. Folglich müßte die Unterlassung selbst die Ursache der rechtswidrigen Wirkung sein. Das aber ist sie vom kausalen Standpunkt nicht: Da er die Wirklichkeit auf den Bereich des sinnlich-wahrnehmbar (beobachtbar) Gegebenen einschränkt, bleibt sie ein bloßes Nichts, und als ein solches kann sie niemals Grund einer Veränderung in der Gestalt einer äußeren Gegebenheit (Verletzungserfolg) sein 54. 52 Dies erklärt auch, warum ein Teil der Lehre die Frage der Bedeutung hypothetischer Ersatzbedingungen als ein Problem der Schuld behandelt hat ( vgl. Exner, Fahrlässiges Zusammenwirken, in: Frank-Festgabe I (1930), 569 ff. (583): Unterbrechung des Schuldzusammenhanges; Grünwald, Das unechte Unterlassungsdelikt (1956), S. 27: fehlender "Nachweis des Verschuldens"; G. Baumann, DAR 1955,210 ff., der eine "zweite Kausalitätsprüfung" auf der Ebene der Schuld verlangt; ebenso BayObLGSt 1953, 103 f.; Hall, Über die Kausalität und Rechtswidrigkeit der Unterlassung, in : Grünhut-Erinnerungsgabe (1965), 213 (230); früher auch Wesseis, JZ 1967,449). - Auf der Grundlage des herrschenden normativen Schuldbegriffs ist ein solches Verständnis freilich nicht begründbar, bleibt doch die Bildung des Willens zu einer rechtswidrigen Handlungsalternative auch dann vorwerfbar, wenn der Entschluß zu einem anderweitigen rechtmäßigen Verhalten möglicherweise ebenfalls zu einer strafrechtlich erheblichen Verletzung geführt hätte. 53 Vgl. aber bereits Landsberg, Die sogenannten Commissivdelikte durch Unterlassung, S. 37 ff.

A. Der objektiv-kausale Ansatz

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Dies zeigt sich auch, wenn man die Kausalitätsformel als solche folgerichtig auf die unechten Unterlassungsfalle anwendet: Denkt man nämlich die Unterlassung hinweg (und keine unverwirklicht gebliebenen Ersatzbedingungen wie das garantenpflichtgemäße Tun hinzu), so entfällt die Außenweltveränderung ("Wirkung"), als die sich der Verletzungserfolg von einem kausalen Standpunkt aus allein begreifen läßt, anders als bei der durch aktives Tun bewirkten Verletzung gerade nicht. Es steht daher im Widerspruch zum Ausgangspunkt seiner kausalen Unrechtslehre, wenn Spendet meint, beim Unterlassen sei "mit der herrschenden Meinung ... darauf abzustellen, ob bei Vornahme der unterlassenen Handlung die Wirkung mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben (nicht eingetreten) wäre"55.

IH. Zwischenergebnis Zusammenfassend läßt sich somit festhalten: Ein Denken, das in seinem Ansatz die menschliche Handlung und mit ihr die durch sie bewirkte Veränderung in Parallele zu dem Bild der naturhaften Kausalität zu begreifen sucht, verfehlt nicht nur die Wirklichkeit der Handlung und des durch sie verwirklichten Unrechts schlechthin 56; es ist zudem im besonderen außerstande, den gesamten strafrechtlichen Bereich der unechten Unterlassungsdelikte zu begreifen. Denn vom kausalen Standpunkt aus ist die Unterlassung ein bloßes Nichts, weil sie das einfache Kausalgeschehen nicht verändert. Die zu dem äußeren Erfolg hinführende Entwicklung läßt sich auch ohne die Unterlassung aus den sonstigen Bedingungen des vorgängigen Zustandes der stofflich-gegenständlichen Welt 54 Das bekannte Zitat "ex nihilo nihil fit" bringt diese Konsequenz treffend zum Ausdruck (vgl. dazu bereits Radbruch, Der Handlungsbegriff, S. 140, sowie aus neuester Zeit Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT 2 ,So 150 ff., § 46 I C 2. a». Die Frage ist freilich, ob die Unterlassung wirklich ein bloßes Nichts ist, dem kein positives Moment eignet (vgl. dazu insbesondere Teil 4 dieser Arbeit). 55 Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen, in: Eb. Schmidt-Festschrift (1961), 186 (190); vgl. auch ders. JZ 1973, 137 (140), wonach "bei der Kausalitätsformel für die unechten Unterlassungsdelikte ... eine - die unterlassene - Handlung hinzuzudenken" sein soll. - Ursprünglich hatte Spendel freilich selbst Bedenken gehabt, ob die herrschende "Kausalitätsformel für die unechten Unterlassungsdelikte zutreffend ist ..." (Die Kausalitätsformel, S. 53). 56 Insofern stellt sich die hier vorgetragene Kritik neben die Einwände, die auf ontologischer Grundlage - insbesondere Welzel (grundlegend: Strafrecht und Philosophie (1930); Kausalität und Handlung (1931); Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht (1935); sowie "Studien zum System des Strafrechts (1939» und - von den gesetzlichen Tatbeständen her - vor allem Gallas (Täterschaft und Teilnahme; Materialien zur Strafrechtsreform (1954); Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen (1955); Die modeme Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht (1957» gegen das "Kausaldogma" (Hellmuth Mayer, Strafrecht AT (1953), S. 124 ff.) erhoben haben. Sie erweitert diese Einwände um die sich aus dem Grundsatz der (beschränkten) Freiheit als der grundlegenden Bestimmung des (mit-)menschlichen Daseins ergebenden Überlegungen.

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2. Teil: Kritische Aufnahme des Meinungsstandes

vollständig erklären 57. In der kausalen Ebene entfallt mit der Beachtlichkeit jedweden hypothetischen Geschehens zugleich die Unterlassung selbst 58. Sofern es also das unechte Unterlassungsdelikt gibt - und dies ist für die hier zu unternehmende Bestimmung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges als eines seiner Unrechtsmerkmale ersichtlich vorausgesetzt - , muß diese Form der strafrechtswidrigen Verletzung in ihrem Kern durch Anderes als die bloß objektivkausale Veränderung des äußeren, kausalgesetzlich festgelegten Zusammenhanges ausgezeichnet sein. Folglich können die vom kausalen Standpunkt aus gefundenen, für das fahrlässige Begehungsdelikt entwickelten Unrechtsbestimmungen erst recht nicht unvermittelt auf den Bereich der unechten Unterlassungsstraftaten übertragen werden. Ob es eines Merkmals wie des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges überhaupt bedarf und - falls ja - wie ein solches Merkmal näher zu bestimmen ist 59, erfordert also für die unechte Unterlassung zusätzliche Überlegungen.

57 Auch die Figur des Bewirkens durch "Abbruch rettender Kausalverläufe" läßt sich deswegen von einem streng kausalen Standpunkt aus nicht begründen: denn die den äußeren Erfolg (Wirkung) verursachenden Umstände sind von dem Täter gerade nicht hervorgebracht; vgl. Maiwald, Kausalität und Strafrecht, S. 5,78 ff.; E. A. Wolf!, Kausalität, S. 18; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 89; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip, S. 22. - A. A. Engisch, Die Kausalität, S. 27 f., dessen ,,Formel der gesetzmäßigen Bedingung" (aaO., S. 21) die Kausalität freilich als Denkzusammenhang und nicht als wirkliche Beziehung erfassen soll; ihm zustimmend Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (895 ff.); dies., ZStW 95 (1983), 287 (299 f.). - Widersprüchlich Jakobs (Strafrecht AT, S. 161, Rdnr. 7/22; Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 21, insbesondere Fn. 11), der die Kausalität in diesen Fällen bejaht: die Gegenansicht unterliege einem naturalistischen Mißverständnis dessen, was ,,real bedingen" heißt. - Diese Argumentation verdeckt, daß der kausale Standpunkt gerade der naturalistischen Sichtweise auf die Wirklichkeit entspricht. Der genannte Standpunkt ist daher bereits verlassen, wenn man auch den "Abbruch rettender Kausalverläufe" in den Begriff des realen Bedingens einbezieht. Denn das eigentliche Kausalgeschehen als ein linearer Prozess in der Zeit verwirklicht sich zum Erfolg durch Umstände, die gerade außerhalb des Rettungsgeschehens und der abbrechenden Handlung liegen. Die Abwesenheit eines (erfolgshindernden) Umstandes ist für eine kausale Betrachtungsweise ein bloßes Nichts und kann als solches gerade nichts verursachen. 58 Zu der abweichenden, insbesondere von Eb. Schmidt (Der Arzt, S. 85 f.) vertretenen Meinung, der die Kausalität als logischen Zusammenhang verstand (Lehre von der "Kausalität als Denkform"), vgl. nachfolgend im Text (Teil 4, Ziffer I. 2). 59 Damit ist insbesondere noch offen, ob es auf hypothetisches Geschehen in dem Zusammenhang der objektiven Zurechnung der durch unechtes Unterlassen bewirkten Verletzungen ankommt oder nicht.

B. Beachtlichkeit von hypothetischem Geschehen

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B. Zweite Lösungsmöglichkeit: Grundsätzliche Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzbedingungen für die Bestimmung des Unrechts Im Unterschied zu der vorstehend kritisierten, objektiv-kausal ansetzenden Lehre geht die in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur ganz herrschende Ansicht bekanntlich davon aus, daß hypothetisches Geschehen für die Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den fahrlässigen Begehungsdelikten grundsätzlich von Bedeutung ist. Damit ist aber auch bereits die Grenze der bestehenden Übereinstimmung gekennzeichnet: sowohl in der Begründung der Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzbedingungen als auch in den sich daran anschließenden Fragen nach Art und Ausmaß dieser Beachtlichkeit steht eine zureichende Klärung der Probleme - trotz mancher Fortschritte in Einzelfragen - nach wie vor aus. Nun wird die inzwischen umfangreich gewordene Diskussion - worauf zu Anfang dieses Kapitels bereits hingewiesen wurde - ganz überwiegend im Hinblick auf die Fragestellung geführt, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad der Eintritt des Unrechtserfolges für den Handelnden vermeidbar gewesen sein muß, damit ihm die Verletzung zugerechnet werden darf!. Von dieser Fragestellung aus hängt das Ausmaß der Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzbedingungen für die Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges ersichtlich davon ab, wie groß die Möglichkeit einer Vermeidung des Verletzungserfolges für den Täter (Rettungschance) gewesen sein muß, damit sich der Erfolg als dessen Werk darstellt. Dementsprechend werden die vorgetragenen Lösungen üblicherweise nach dem von ihnen für die objektive Erfolgszurechnung geforderten Grad an Vermeidewahrscheinlichkeit eingeteilt und unterschieden. An dieser üblichen Einteilung ist auch die nachstehende kritische Auseinandersetzung mit diesen Lösungen zunächst orientiert.

! Dabei wird der Erfolg wie hier vorgreifend bereits angedeutet werden soll zumeist ohne weitere Problematisierung als ein Inbegriff gleichzeitiger, äußerlich-gegenständlicher Gegebenheiten und damit analog dem naturwissenschaftlichen Begriff der Wirkung verstanden. Ein solches Verständnis ist jedoch schon deswegen begründungsbedürftig, weil es die Möglichkeiten der Problemlösung für die Beachtlichkeit von hypothetischem Geschehen ersichtlich beeinflußt, indem es den Erfolg von der je besonderen Art und Weise seines Zustandekommens trennt. So wird etwa gefragt, ob ein Verletzungserfolg dem aktiv-sorgfaltspflichtwidrig Handelnden auch dann objektiv zurechenbar sei, wenn derselbe Erfolg bei angenommenem (hypothetischem) rechtmäßigen Altemativverhalten des Täters durch rechtswidriges Dritthandeln ebenfalls eingetreten wäre (vgl. BGHSt 30, 228 und dazu Puppe, JuS 1982,660). Aber es ist eben schon die Frage, ob eine zwar zeitgleich und mit identischer Schwere eingetretene Verletzung auch dann derselbe Erfolg im Rechtssinne ist, wenn sie nicht von dem tatsächlich Handelnden, sondern durch rechtswidriges Handeln eines Dritten, ein Naturereignis oder riskantes Verhalten des Opfers selbst verursacht wird.

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2. Teil: Kritische Aufnahme des Meinungsstandes

So wie jedoch bereits die vorstehend kritisierte Lehre Spendeis, die - wie sich herausgestellt hatte: zu Unrecht - zu einer strengen Haftung für die Verwirklichung kausal-rechtswidriger Bedingungen mit subjektiv vorhersehbaren, strafrechtlich erheblichen Verletzungserfolgen gelangt, in einem von ihrem Urheber zwar nicht selbst ausdrücklich hergestellten, jedoch zwanglos herzustellenden Zusammenhang mit ihrem objektiv-kausalen Fundament verstanden werden mußte, wird auch die nachstehende kritische Auseinandersetzung mit den in Wissenschaft und Rechtsprechung herrschenden Auffassungen notwendig in einem vergleichbaren Zusammenhang, insbesondere mit den Grundlagen der finalen oder sozialen Handlungslehre sowie der Unrechtstheorie, zu erfolgen haben. Da es beim Pflichtwidrigkeitszusammenhang nach diesen Auffassungen ja um ein Unrechtsmerkmal geht, steht zu erwarten, daß dessen zureichende Aufklärung nur in Verbindung mit der Unrechts lehre möglich sein wird. Soweit daher ein gemeinsamer handlungs- und unrechtstheoretischer Grundgedanke als Basis einzelner Lehren auszumachen ist, folgt die nunmehr aufzunehmende Erörterung diesem Grundgedanken auch dann, wenn die zu behandelnden Lehren in ihren konkreten Schlußfolgerungen zum Ausmaß der Beachtlichkeit von hypothetischem Geschehen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, für die objektive Zurechnung eines Verletzungserfolges also einen durchaus verschiedenen Grad an Verrneidewahrscheinlichkeit fordern 2. I. Die sog. Risikoerhöhungstheorie Diese Lehre, die mit zum Teil sich überschneidenden Begründungen vertreten wird, kann heute für den hier in Rede stehenden Bereich des fahrlässigen Begehungsdelikts als vorherrschend bezeichnet werden 3. Bereits das Reichsgericht 2 Dieses Vorgehen rechtfertigt sich aus der vorstehend bereits angedeuteten Überlegung, daß es notwendig sein wird, die Behandlung des Problems des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges in ihrer weitgehenden Isolation gegen die handlungs- und unrechtstheoretischen Grundlagen zu überwinden und die Fragen in den Zusammenhang dieser Grundlagen zu stellen: von einem solchen Ansatz ist es sinnvoll, diejenigen Lösungen, die einen derartigen Zusammenhang bereits enthalten oder sogar ausdrücklich herstellen, ungeachtet einzelner Unterschiede in ihren Ergebnissen, von ihrer Basis aus zu untersuchen. 3 Als ihre Hauptvertreter sind an dieser Stelle ohne Rücksicht auf Unterschiede in der Begründung bzw. in der Erstreckung auch auf das unechte Unterlassungsdelikt insbesondere zu nennen: Engisch, Die Kausalität, (1931), S. 64 ff. (insbes. S. 64 Fn. 1); Mittasch, DRechtsW 8 (1943),46 ff.; Hardwig, Die Zurechnung (1957), S. 162 f.; ders., JZ 1968,289 (292, Fn. 4); Kohlrausch-Lange, StGB, 43. Auf!. (1961), System. Vorbem. H., S. 5 -7 ( ohne Stellungnahme dagegen R. Lange, ZStW 73 (1961), 86 (101»; Oehler, Die erlaubte Gefahrsetzung und die Fahrlässigkeit, in: Eb. Schmidt-FS (1961), S. 232 (237 ff., insbes. Fn. 13); Roxin, ZStW 74 (1962), 411 (430 ff.); ders., ZStW 78 (1966), 214 (217 ff.); leseheck, Aufbau und Behandlung der Fahrlässigkeit (1965), S. 17; ders., Lehrbuch AT, § 55 H. 2., S. 527 ff. ( anders noch in GA 1959, 65 (69 f.»; Lackner, StGB, § 15 Anm. III. 2. b) cc) ; E. A. Wolf!, Kausalität von Tun und Unterlassen (1965), S. 27; Lampe, Das personale Unrecht (1967), S. 219 ff. ; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip (1968), S. 21 ff., 33 ff., 52 ff.; Seebald, Nachweis der modifizierenden Kausalität des

B. I. Risikoerhöhungstheorien

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hat sie der Sache nach auf die Bestimmung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges der aktiven Fahrlässigkeitstat angewendet4, sie aber auch im Rahmen des Kausalitätsproblems bei den unechten Unterlassungsdelikten verschiedentlich vertreten 5, eine Parallele, die wohl auf die besondere Betonung des späterhin vielzitierten "Unterlassungsmoments der Fahrlässigkeit"6 (Unterlassung der Sorgfaltspflichterfüllung) durch das Gericht zurückzuführen sein dürfte 7. pflichtwidrigen Verhaltens, GA 1969,193 (210,213 f.); Schajfstein, Die Risikoerhöhung als objektives.Zurechnungsprinzip im Strafrecht, insbes. bei der Beihilfe, in: Honig-FS (1970), S. 169 ff.; Stratenwerth, BenJ.