Ausdruck und Zuschreibung: Konzeptionen des menschlichen Handelns bei H.L.A. Hart, Elizabeth Anscombe und A.I. Melden 3110335417, 9783110335415

Die drei Ansätze der frühen analytischen Handlungstheorie teilen die Grundannahme, dass körperliches Verhalten durch sem

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Ausdruck und Zuschreibung: Konzeptionen des menschlichen Handelns bei H.L.A. Hart, Elizabeth Anscombe und A.I. Melden
 3110335417, 9783110335415

Table of contents :
1 Handlungen. Eine problematische Selbstverständlichkeit
1.1 Reduktion und ‚Metaphysik‘
1.2 Gründe und Ursachen
1.3 Erste und dritte Person
1.4 Ontologische Argumente für die Ereignisannahme
1.5 Handlungserklärungen
1.6 Neuer Dualismus
1.7 Zu den folgenden Kapiteln
2 Begriffliches Werkzeug: Ereignis, Fakt, Kausalität
2.1 Ereignisse
2.1.1 Supervenienz der Ereignisse
2.1.2 Ereigniszonen
2.2 Fakten
2.2.1 Feinheit von Fakten
2.2.2 Begleitfakten
2.2.3 Fakten über Personen
2.3 Erklärungsrelationen
2.3.1 Non-kausale Relevanz
2.3.2 Faktenkausalität
2.4 Zusammenfassung
3 Zuschreibungskonzeption I: H.L.A. Hart. Verantwortlich handeln
3.1 Die Idee Askriptivismus
3.1.1 Zuschreibungen
3.1.2 Anfechtungen
3.1.3 Kriterien
3.1.4 Geltungsgrade
3.2 Einwände und Erwiderungen
3.2.1 Erster Einwand: Handlung ohne Verantwortungszuschreibung
3.2.2 Zweiter Einwand: Verantwortungszuschreibung ohne Handlung
3.2.3 Dritter Einwand: Handlungsaussagen sind nur deskriptiv
3.2.4 Vierter Einwand: Anfechtbarkeit ist unplausibel
3.2.5 Fünfter Einwand: Askriptivismus ist zirkulär
3.2.6 Praktische Verantwortung
3.3 Zur Verteidigung des Askriptivismus
3.3.1 Noch einmal: Die Grundidee
3.3.2 Dialog und Handlungsgeltung
3.3.3 Beobachter und Teilnehmer
3.4 Zusammenfassung
4 Zuschreibungskonzeption II: Elizabeth Anscombe. Absichtlich handeln
4.1 Absichten und Gründe
4.1.1 Formate der Handlungsbegründung
4.1.2 Wissen ohne Beobachtung
4.1.3 Praktisches Wissen
4.1.4 Dialog und Handlungsgeltung
4.2 Sehen und Verstehen
4.2.1 Bedeutung sehen
4.2.2 Lebensbedingungen
4.2.3 Soziale Praxen
4.2.4 Ausdruck-für
4.2.5 Zuschreibung-an
4.3 Zusammenfassung
5 Zuschreibungskonzeption III: A.I. Melden. Handeln im Kontext
5.1 Handeln als Regelfolgen
5.1.1 Das Schach-Modell
5.1.2 Regeln im Alltag
5.1.3 Regelkompetenz als praktisches Wissen
5.1.4 Beobachter als Akteure
5.2 Handlungskontexte
5.2.1 Praktischer Kontext
5.2.2 Situation und Perspektive
5.2.3 Sich selbst verstehen
5.2.4 Verständlichkeitsfaktoren
5.2.5 Beobachter als Teilnehmer
5.2.6 Lesetraining
5.3 Akteursfähigkeiten
5.3.1 Selbstdistanzierung
5.3.2 Weisheit
5.4 Zusammenfassung
6 Colorful Movements. Eine Zusammenführung
6.1 Akteure
6.1.1 Präsumtionen
6.1.2 Die Akteurspräsumtion
6.1.3 Die Erste Person
6.2 Gemeinsame Nenner
6.2.1 H.L.A. Hart
6.2.2 Elizabeth Anscombe
6.2.3 A.I. Melden
6.3 Handlungstheorie und Ontologie
Literaturverzeichnis

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Anne Mazuga Ausdruck und Zuschreibung

Practical Philosophy

Edited by Herlinde Pauer-Studer, Neil Roughley, Peter Schaber, and Ralf Stoecker

Volume 18

Anne Mazuga

Ausdruck und Zuschreibung Konzeptionen des menschlichen Handelns bei H.L.A. Hart, Elizabeth Anscombe und A.I. Melden

ONTOS

ISBN 978-3-11-033541-5 e-ISBN 978-3-11-033723-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Dieses Buch stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die 2012 vom Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt angenommen wurde. Viele Personen haben mich bei meiner Arbeit unterstützt. Mein Dank gilt zunächst meinen beiden Betreuern Ralf Stoecker und Matthias Jung für Anleitung, Rat und Kritik. Ein Promotionsstipendium der Jutta-Heidemann-Stiftung hat es mir erlaubt, mich drei Jahre lang auf die Dissertation zu konzentrieren und daneben viele weitere interessante Forschungsfragen kennenzulernen. Dafür danke ich den Verantwortlichen der Stiftung wie auch Frau Heidemann persönlich sehr. Das Max-Weber-Kolleg hat mir einen anregenden und freundlichen Arbeitsort geboten und ich danke herzlich allen Fellows und Kollegiaten, der Leitung und den Mitarbeiterinnen der Jahre 2007–10. Für ihre engagierte Unterstützung durch Fragen, Kommentare, Korrekturen zu meiner Dissertation und durch Ermutigung zur rechten Zeit danke ich insbesondere Karina Becker, Bernadett Bigalke, Michael Coors, Gerald Hartung, Susanne Herrmann-Sinai, Bettina Hollstein, Hans Joas, Nora Kreft, Christian Neuhäuser, Dorothea Reinmuth, Geo Siegwart und Dieter Thomä. Christian Beyer, Holmer Steinfath sowie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kolloquiums für Praktische Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Göttingen (2010 / 11) haben längere Teile der Arbeit gelesen und geduldig mit mir diskutiert. Ihnen bin ich ebenso zu Dank verpflichtet wie den Kollegen und Kolleginnen am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover. Christian Scherer hat durch seine Sorgfalt und sein unfehlbares Gespür für Logik, Stil und Sprache vortreffliche Arbeit als Lektor und Korrektor geleistet – dafür danke ich ihm sehr. Und schließlich danke ich Rafael

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V O RWO RT

Hüntelmann vom Ontos Verlag für die unkomplizierte Zusammenarbeit sowie den Herausgebern Herlinde Pauer-Studer, Neil Roughley, Peter Schaber und Ralf Stoecker für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Practical Philosophie.

Inhaltsverzeichnis

1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Handlungen. Eine problematische Selbstverständlichkeit ................. 1 Reduktion und ‚Metaphysik‘ ................................................................... 3 Gründe und Ursachen............................................................................... 6 Erste und dritte Person ........................................................................... 13 Ontologische Argumente für die Ereignisannahme ................................ 21 Handlungserklärungen ........................................................................... 27 Neuer Dualismus .................................................................................... 37 Zu den folgenden Kapiteln ..................................................................... 41

2 Begriffliches Werkzeug: Ereignis, Fakt, Kausalität .......................... 49 2.1 Ereignisse ............................................................................................... 50 2.1.1 Supervenienz der Ereignisse ....................................................... 50 2.1.2 Ereigniszonen .............................................................................. 55 2.2 Fakten .................................................................................................... 57 2.2.1 Feinheit von Fakten ..................................................................... 57 2.2.2 Begleitfakten ............................................................................... 59 2.2.3 Fakten über Personen .................................................................. 61 2.3 Erklärungsrelationen .............................................................................. 65 2.3.1 Non-kausale Relevanz ................................................................. 65 2.3.2 Faktenkausalität .......................................................................... 70 2.4 Zusammenfassung.................................................................................. 77 3

Zuschreibungskonzeption I: H. L. A. Hart. Verantwortlich handeln................................................ 81 3.1 Die Idee Askriptivismus ......................................................................... 82 3.1.1 Zuschreibungen ........................................................................... 82 3.1.2 Anfechtungen .............................................................................. 89

VIII

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

3.1.3 Kriterien ...................................................................................... 92 3.1.4 Geltungsgrade............................................................................ 100 3.2 Einwände und Erwiderungen ............................................................... 106 3.2.1 Erster Einwand: Handlung ohne Verantwortungszuschreibung.............................................................................. 108 3.2.2 Zweiter Einwand: Verantwortungszuschreibung ohne Handlung ................................................................................... 111 3.2.3 Dritter Einwand: Handlungsaussagen sind nur deskriptiv ......... 116 3.2.4 Vierter Einwand: Anfechtbarkeit ist unplausibel ....................... 118 3.2.5 Fünfter Einwand: Askriptivismus ist zirkulär ............................ 122 3.2.6 Praktische Verantwortung .......................................................... 124 3.3 Zur Verteidigung des Askriptivismus ................................................... 134 3.3.1 Noch einmal: Die Grundidee ..................................................... 134 3.3.2 Dialog und Handlungsgeltung ................................................... 136 3.3.3 Beobachter und Teilnehmer ....................................................... 140 3.4 Zusammenfassung ................................................................................ 145 4

Zuschreibungskonzeption II: Elizabeth Anscombe. Absichtlich handeln........................................ 149 4.1 Absichten und Gründe .......................................................................... 151 4.1.1 Formate der Handlungsbegründung .......................................... 151 4.1.2 Wissen ohne Beobachtung......................................................... 164 4.1.3 Praktisches Wissen .................................................................... 176 4.1.4 Dialog und Handlungsgeltung ................................................... 186 4.2 Sehen und Verstehen ............................................................................ 189 4.2.1 Bedeutung sehen........................................................................ 189 4.2.2 Lebensbedingungen ................................................................... 200 4.2.3 Soziale Praxen ........................................................................... 210 4.2.4 Ausdruck-für ............................................................................. 214 4.2.5 Zuschreibung-an ........................................................................ 220 4.3 Zusammenfassung ................................................................................ 229 5

Zuschreibungskonzeption III: A. I. Melden. Handeln im Kontext .................................................... 235 5.1 Handeln als Regelfolgen ...................................................................... 239

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

IX

5.1.1 Das Schach-Modell ................................................................... 239 5.1.2 Regeln im Alltag ....................................................................... 244 5.1.3 Regelkompetenz als praktisches Wissen ................................... 249 5.1.4 Beobachter als Akteure ............................................................. 255 5.2 Handlungskontexte .............................................................................. 258 5.2.1 Praktischer Kontext ................................................................... 258 5.2.2 Situation und Perspektive .......................................................... 262 5.2.3 Sich selbst verstehen ................................................................. 268 5.2.4 Verständlichkeitsfaktoren .......................................................... 272 5.2.5 Beobachter als Teilnehmer ........................................................ 277 5.2.6 Lesetraining............................................................................... 282 5.3 Akteursfähigkeiten ............................................................................... 285 5.3.1 Selbstdistanzierung ................................................................... 285 5.3.2 Weisheit ..................................................................................... 290 5.4 Zusammenfassung................................................................................ 294 6 Colorful Movements. Eine Zusammenführung ............................... 299 6.1 Akteure................................................................................................. 299 6.1.1 Präsumtionen ............................................................................. 299 6.1.2 Die Akteurspräsumtion.............................................................. 306 6.1.3 Die Erste Person ........................................................................ 318 6.2 Gemeinsame Nenner ............................................................................ 328 6.2.1 H. L. A. Hart .............................................................................. 328 6.2.2 Elizabeth Anscombe .................................................................. 334 6.2.3 A. I. Melden ............................................................................... 339 6.3 Handlungstheorie und Ontologie ......................................................... 341 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 353

1 Handlungen. Eine problematische Selbstverständlichkeit

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen drei Werke: H. L. A. Harts Aufsatz The Ascription of Responsibility and Rights (1949), Elizabeth Anscombes Monografie Intention (1957, überarbeitete Ausgabe 1963) und A. I. Meldens Buch Free Action (1961).1 Ein Blick auf Titel und Publikationsdaten lässt erkennen, dass es um frühe Werke der Analytischen Handlungstheorie geht, ein Bereich der Philosophie, der seine heutige Form in der Mitte des 20. Jahrhunderts fand. Das Phänomen des menschlichen Handelns ist natürlich keine Entdeckung des 20. Jahrhunderts. Es schien aber bis dahin keine Probleme aufzuwerfen, deren Behandlung die Einrichtung eines eigenen philosophischen Forschungsbereiches erfordert hätte. Das gute und richtige Handeln ist von jeher ein Thema der Philosophie, doch in ontologischer Hinsicht bereitete es über sehr lange Zeit keine spezifischen Probleme. Um die ‚Beschaffenheit‘ von Handlungen und Handlungsgründen sorgte man sich eigentlich nicht. Wenn sich Platon im Protagoras mit der Willensschwäche beschäftigt oder Aristoteles in der Nikomachischen Ethik die Struktur praktischer Überlegungen untersucht, setzen beide selbstverständlich voraus, dass Menschen Handlungsentscheidungen treffen und dann tun können, was sie für das Beste, Nützlichste, Klügste halten. Auch in den zahlreichen, langen Auseinandersetzungen um das Problem der Willensfreiheit steht nicht in Frage, dass Menschen handeln. Diskutiert wird, unter welchen Voraussetzungen wir Handlungen richtig verstehen und wie wir Handlungs- bzw. Willensfreiheit konzeptualisieren können. _____________ 1

Ich beziehe mich im Weiteren stets auf die zweite Auflage von Intention (1963), die gegenüber der ersten Auflage (1957) einige Veränderungen enthält.

2

KAPITEL 1

Weshalb also wird menschliches Handeln in den 1930er und 1940er Jahren zu einem philosophischen Problem? Wodurch werden alte Selbstverständlichkeiten fraglich, so dass Autoren beginnen, über Handlungen und Handlungsgründe zu diskutieren? Um dies nachzuvollziehen, muss man auf das Verständnis vom Sinn und Zweck der Wissenschaft achten, das aus ihren Diskussionsbeiträgen spricht, insbesondere Rolle der Philosophie im Ensemble der Wissenschaften. Denn die moderne philosophische Handlungstheorie entstand nicht infolge der Entdeckung eines neuen Gegenstandes – dass Menschen handeln war schließlich bekannt und alltäglich –, sondern im Zuge der Selbstverständigung und Positionierung der Philosophie gegenüber der (sonstigen) Wissenschaft. Die Selbstverständigung betraf Ziel und Aufgabe der Philosophie, genauer: den Maßstab der Relevanz und die Methoden der Kritik, die für philosophische Erkenntnis gelten sollten. Notwendig wurden diese inhaltlichen und methodologischen Klärungen, weil sich die Naturwissenschaften immer stärker etablierten und es ihnen mit Methoden, die sich vom philosophischen Denken deutlich unterschieden, immer besser gelang, Phänomene der Natur und des menschlichen Lebens zu erklären. Hinzu kam, dass sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Psychologie und Soziologie zunehmend als Wissenschaftsdisziplinen etablierten und sich jene Phänomene der menschlichen Lebenswelt zum Gegenstand nahmen, die von den Naturwissenschaften nicht erfasst wurden. Wozu genau war in Anbetracht dessen eigentlich die Philosophie gut? Welchen Platz nahm sie im Ensemble der Natur- und Sozialwissenschaften ein? Welchen eigenen Beitrag zur Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit konnte sie leisten? Diese Fragen wurden in erster Linie innerhalb der Philosophie diskutiert. Besonders klar positionierten sich zunächst die Vertreter des Logischen Empirismus oder Logischen Positivismus und riefen damit, mit einiger Verzögerung, ebenso klaren Widerspruch hervor. Der Logische Empirismus fand seine wirkmächtigste Ausformulierung im Wiener Kreis; den Widerspruch hiergegen führten einige Philosophen im Gefolge Ludwig Wittgensteins an, die sich in Cambridge und später, nun eher lose mit Wittgenstein verbunden, in Oxford fanden. Dort begründeten sie die Philosophie der normalen Sprache [ordinary language philosophy] gleichsam als Gegenbewegung zum Logischen Empirismus.

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1.1 Reduktion und ‚Metaphysik‘ In seinem Blauen Buch, entstanden 1933 / 34, attestiert Ludwig Wittgenstein der philosophischen Zunft eine „verächtliche Haltung gegenüber dem Einzelfall“ und klagt: „Philosophen haben ständig die naturwissenschaftliche Methode vor Augen und sind in unwiderstehlicher Versuchung, Fragen nach der Art der Naturwissenschaften zu stellen und zu beantworten.“2 Was Wittgenstein ‚naturwissenschaftliche Methode‘ nennt, ist weniger die naturwissenschaftliche Praxis als vielmehr die etwas einseitige Vorstellung, die sich mancher Philosoph von dieser Praxis machte. Dieser Vorstellung nach besteht die Aufgabe von Naturwissenschaftlern – häufig steht die Physik als pars pro toto – darin, Einzelphänomene zu beobachten, aus diesen Beobachtungen allgemeine Begriffe zu abstrahieren und diesen eine eindeutige Definition zu geben. Dann stellt man weitere Beobachtungen an und kann nun Einzelfälle unter definierte Begriffe subsumieren: ‚Dies ist ein Fall von F1, jenes ein Fall von F2‘. Ferner kann man nun Zusammenhänge beschreiben, die nicht nur Einzelfälle erfassen, sondern Klassen oder Arten von Fällen. Man kann also Gesetze formulieren, etwa nach der Form ‚Auf jeden Fall von F1 folgt ein Fall von F2‘. Je mehr solcher Gesetzmäßigkeiten man kennt und je stärker sie durch ihre Begriffe miteinander vernetzt sind, desto mehr Einzelphänomene lassen sich durch sie erklären: ‚F3 trat ein, weil F2 eintrat und F2 trat ein, weil F1 eintrat – denn auf jeden Fall von F1 folgt ein Fall von F2 und auf jeden Fall von F2 folgt ein Fall von F3‘. Anhand dieser Skizze wird ein Zug dieses Wissenschaftsprogramms deutlich, der dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften tatsächlich entsprach und nicht nur in der Wahrnehmung kritischer Philosophen existierte: Das Programm ist in zweierlei Hinsicht reduktionistisch. Erstens ist es insofern reduktionistisch, als unzählige, vielfältige Einzeltatsachen auf wenige abstrakte Arten oder Artbegriffe verringert werden; zweitens insofern, als Erklärungen von Einzeldingen in der Subsumtion unter allgemeine Begriffe und Gesetze bestehen. Statt nämlich für jedes einzelne Phänomen aufs Neue zu untersuchen, wie es zustande kam, welchen Bedingungen es unterliegt und was es bewirkt, kann man es als Regelfall einer Art von _____________ 2

Wittgenstein 1989 [1958], 39.

4

KAPITEL 1

Phänomenen ausweisen und strukturell erklären, etwa durch Kausalgesetze, die für alle Phänomene dieser Art gelten.3 Hätte man die Welt solcherart nach Artbegriffen und Gesetzen inventarisiert, könnte man partikuläre Phänomene daraufhin untersuchen, welchen allgemeinen Kategorien sie angehören und welche allgemeinen Strukturen sich in ihnen manifestieren.4 Nun geht es zwar auch in der Philosophie darum zu verstehen, was etwas ist und wie es mit anderem zusammenhängt, doch lässt man als Explananda nicht nur beobachtbare Dinge und Ereignisse gelten; Zusammenhänge sind nicht unbedingt gesetzesartig und Erklärungen nicht unbedingt Subsumtionen unter Gesetze. Eine philosophische Erklärung könnte gerade darin bestehen, die Wirklichkeit in einer Weise zu beschreiben, wie sie sich nicht der Beobachtung darbietet, und (gerade dadurch) etwas über menschliche Verhältnisse und Selbstverständnisse erkennen zu lassen. So jedenfalls ließe sich Wittgensteins Klage über die einseitige Orientierung an naturwissenschaftlichen Methoden in der Philosophie verstehen. Um menschliche Verhältnisse begrifflich zu erfassen, sollte man nach seiner Ansicht gerade Einzelfälle betrachten und fragen, was den Ausschlag dafür gibt, diesen Einzelfall mit jenem Begriff zu erfassen. Nichts zwingt von vornherein zu der Annahme, dass alle Einzelfälle, die unter den gleichen Begriff fallen, ein gemeinsames Merkmal besitzen und eine ontologische Art bilden. Der erklärte Vorbildcharakter der Naturwissenschaften hat neben dem methodologischen auch einen inhaltlichen Aspekt. Methodologisch ist die Physik insofern Vorbild, als sie ihre Resultate durch Beobachtung, Messung und (mathematische) Deduktion erzielt und die so erzielten Resultate prinzipiell für jedermann nachvollziehbar und kritisierbar sind. Inhaltlich hielt man die Physik für vorbildlich, weil sie ihren Gegenstandsbereich auf _____________ 3 4

Vgl. Brodbeck 1968 a, 5–10. Eine besonders starke Form der Reduktion stellt die Eliminierung dar, bei der komplexe Phänomene ebenfalls auf basale zurückgeführt werden, jedoch mit der zusätzlichen Behauptung, dass es die komplexen Phänomene in einem strikten – physikalisch bestimmten – Sinne gar nicht gibt. Nicht immer geht bei reduktionistisch argumentierenden Autoren klar hervor, ob sie diese Auffassung teilen oder ob sie auch den komplexen Phänomenen, obschon nicht ontologisch basal, eine Rolle bei der Erklärung der Wirklichkeit zugestehen.

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„facts of experience“5 beschränkt. Erfahrungstatsachen sind Fakten über Dinge und ihre Eigenschaften, die sich prinzipiell per Sinneswahrnehmung feststellen lassen – „data whose validity cannot be questioned by offering another interpretation or reading, data whose credibility cannot be founded or undermined by further reasoning“.6 Natürlich bleibt man nicht bei der Beschreibung von Dingen und ihren wahrnehmbaren Eigenschaften stehen, aber alle Begriffe und Aussagen, die keine direkten Beobachtungen beschreiben, werden im Ausgang von Erfahrungstatsachen gewonnen, deshalb ist ihre Anwendung durch Rückführung auf Erfahrungstatsachen überprüfbar. Es bedarf keiner speziellen Wahrnehmungsfähigkeiten, Einsichten oder Intuitionen, um naturwissenschaftliche Aussagen zu verstehen und zu überprüfen.7 Weder was den methodischen, noch was den inhaltlichen Aspekt betrifft, wird dieses Bild von naturwissenschaftlicher Forschung – damals wie heute – der tatsächlichen Arbeit der „men of laboratories, experiments, and quantification“8 ganz gerecht. Es leuchtet jedoch ein, dass dieses Programm von transparenter, ‚öffentlicher‘ Wissenschaft zum Inbegriff akkurater und sinnvoller wissenschaftlicher Tätigkeit werden konnte. Wie erwähnt, fanden sich seine Anhänger in den 1920er und 1930er Jahren vor allem im Wiener Kreis.9 Zu dessen Mitgliedern gehörten unter anderem Rudolf Carnap, Herbert Feigl, Otto Neurath und Moritz Schlick, die das Selbstverständnis von Philosophie als formaler Wissenschaft, ja als ‚Se_____________ 5 6 7 8 9

Brodbeck 1968 a, 10. Taylor 1971, 8. Vgl. auch ebd., 7 f., 31 f., sowie Bernstein 1971, 240. Vgl. Feigl 1949, 139; Midgley 1981; Taylor 1964, 87–97. Brodbeck 1968 a, 2. Vgl. Bernstein 1971, 231–234; Stroll 2000, 45–56. Schon vor der Gründung des Wiener Kreises leistete Bertrand Russell entscheidende Beiträge für die methodologische Ausrichtung der Analytischen Philosophie. Zu nennen sind vor allem seine Untersuchungen zur Logik von Kennzeichnungen und Eigennamen, ausgearbeitet u. a. in Principia Mathematica (1903, mit A. N. Whitehead) und The Problems of Philosophy (1912). Die Ideen des Wiener Kreises gelangten zunächst durch A. J. Ayers Language, Truth, and Logic (1936) in den angelsächsischen Raum. Ab den 1930er Jahren sahen sich etliche Anhänger des Logischen Positivismus aus dem weiteren Radius des Wiener Kreises gezwungen, nach England oder in die USA zu emigrieren, darunter Rudolf Carnap, Herbert Feigl, Karl Popper und Hans Reichenbach. Vgl. dazu Stroll 2000, 56.

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KAPITEL 1

kundärwissenschaft‘ auf äußerst einflussreiche Weise verbreiteten. Einer ihrer wichtigsten und prägendsten Bezugspunkte war ohne Zweifel Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus, obschon die allgemeine Wertschätzung dieser Schrift nicht darüber hinwegtäuscht, dass ihre Rezeption im Wiener Kreis oft selektiv und ihre Auslegung manchmal einseitig war.10 Einig waren sich die Logischen Empiristen, was die Aufgaben der Philosophie betraf: Philosophen formulieren traditionellerweise keine Gesetze; ihren Begrifflichkeiten liegen nicht unbedingt Erfahrungsdaten zugrunde; ihre Erklärungen lassen sich nicht durch Beobachtung, Messung und mathematische Herleitung prüfen. Der Wiener Kreis erklärte solche Theorien kurzerhand zu ‚Metaphysik‘ und meinte dies durchaus nicht rühmlich. Nach seiner Auffassung konnten Begriffe und Erklärungen ohne empirisches Fundament keine wissenschaftliche Geltung beanspruchen, und da die Philosophie keine empirische Forschung betreibe, könne sie zur Erklärung komplexer Phänomene und zur Orientierung in der Lebenswelt höchstens dadurch beitragen, dass sie die Terminologien der empirischen Wissenschaften logisch-begrifflich aufbereite.11 Vor diesem Anspruch musste ein Großteil der philosophischen Tradition für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar erscheinen oder, wie es der Wiener Kreis mit sinnfälliger Ambiguität nannte, ‚bedeutungslos‘.

1.2 Gründe und Ursachen Hält man sich die reduktionistische Auffassung von akkurater wissenschaftlicher Praxis vor Augen, ihr Beharren auf empirischen Fundamenten und der Reduzierbarkeit abstrakter Begriffe bzw. komplexer Phänomene, dann verwundert es wenig, dass menschliches Handeln nicht als besonderes Problem betrachtet wurde. Handlungen sind komplexe Phänomene wie viele andere, und wie andere komplexe Phänomene hielt man Handlungen _____________ 10 11

Vgl. Stroll 2000, 56–64. Für deren metaphilosophische Positionen vgl. z. B. Carnap 1961 [1928] und 1932; Neurath 1932; Schlick 1930 und Schlick 1936. Zum Einfluss des Wiener Kreises auf Philosophie und Wissenschaftstheorie vgl. Stroll 2000, 64–71.

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für reduzierbar, entweder auf Erfahrungstatsachen oder elementare psychische Gegebenheiten. Bei Handlungen scheint diese Reduktion sogar leicht: Bestehen sie nicht offenkundig aus Körperbewegungen? Sind Körperbewegungen nicht letztendlich Muskelbewegungen oder neuronale Prozesse? Auch Logische Empiristen, die nicht materialistisch eingestellt waren und das Fundament von Handlungen daher nicht unbedingt in körperlichen Prozessen vermuteten, hielten am Reduktionismus fest. Rudolf Carnap zum Beispiel war überzeugt, dass sich eine kulturelle Praxis wie das Grüßen durch Abnehmen des Hutes erklären lässt, indem man das äußerlich wahrnehmbare Verhalten auf psychologische Grundbausteine zurückführt.12 Reduktionismus und Materialismus gehen also nicht zwangsläufig miteinander einher, zumindest zeigte sich der Wiener Kreis in dieser Frage uneins. Ein Problem teilen beide Formen der reduktionistischen Handlungserklärung, gleich ob sie ein physikalisches oder ein psychologisches Fundament annehmen: Sie müssen das behauptete Fundament als fundamental rechtfertigen. Auch dies illustriert Carnaps Hut-Beispiel: Er erklärt, soziale Konventionen gründeten auf psychischen Dispositionen und diese wiederum auf Willensvorgängen. Woher diese Behauptung, was spricht für sie? Was sind eigentlich Willensvorgänge? Was psychische Dispositionen? Wie erkennt Carnap, dass Dispositionen und Willensvorgänge in der beschriebenen Weise zusammenhängen? Mit solchen Fragen begann für manchen Autor der Zweifel an Reichweite und Rechtfertigung des Reduktionismus, vor allem in seiner materialistischen Version. Für mentale Begriffe wie Grund, Absicht, Wunsch, Überzeugung, Wille oder Wert erschien ihnen eine Erklärung durch Reduktion auf ein materiales Fundament wenig aussichtsreich, doch rechtfertigte dies kaum eine generelle Verbannung dieser Begriffe aus der Wissenschaft. Schließlich finden wir mithilfe der vielfältigen, feinen Unterscheidungen, die das mentale Vokabular der Alltagssprache erlaubt, Beschreibungen und Erklärungen von großer Präzision und Spezifität. Dies wiederum hilft uns, vielfältige, in zahllosen Details verschiedene Alltagssituationen zu erfassen und uns darin zu orientieren: Was geht hier vor, was haben wir (oder ande_____________ 12

Vgl. Carnap 1961 [1928], § 150, 201. Vgl. dazu Stroll 2000, 70; Taylor 1964, 92– 97; Bernstein 1971, 243–245.

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KAPITEL 1

re) damit zu tun, was sollen wir davon halten, was sollen wir dafür oder dagegen unternehmen? Unleugbar sind viele Begriffe, die dem logisch-empiristischen Ideal der intersubjektiven Überprüfbarkeit durch (Reduktion auf) Beobachtungsdaten nicht genügen, dennoch nicht bedeutungslos, weder im semantischen noch im pragmatischen Sinn. Vielmehr trägt die Rede von Gründen, Absichten, Wünschen, Überzeugungen, Wille und Werten eminent dazu bei, dass wir einander und uns selbst als Personen verstehen. Manche Philosophen sahen eine vorrangige Aufgabe der Philosophie deshalb gerade darin, den Zusammenhang zwischen mentalen Phänomenen und unserem personalen Selbstverständnis zu erhellen. Einer jener Philosophen, die mit solchen Fragen auf die Grenzen der reduktionistischen Wissenschaft (und Weltsicht) wiesen, war Ludwig Wittgenstein. Die eingangs zitierte Passage zur Verachtung des Einzelfalles richtete sich gegen die Einseitigkeit, mit der ‚Erklärung‘ und ‚Reduktion‘ gleichgesetzt wurden, und gegen die Beschränkung von ‚Beobachtung‘ auf die Erkenntnis von Gegenständen, die sich in der Sprache der Physik beschreiben lassen. Wittgensteins Cambridger Vorlesungen aus den 1930er und 1940er Jahren werden häufig als (ein) Anfang der Philosophie der normalen Sprache [Ordinary Language Philosophy] gewertet. Noch stärker beeinflussten wohl die 1953 veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen die akademische Philosophie im angelsächsischen Raum. Mit der Beschäftigung mit der normalen Sprache, besser: mit alltagssprachlichen Begriffen, eröffnete sich ein neuer, eigenständiger Weg, sich gegen den Logischen Empirismus und sein allzu enges Verständnis von Wissenschaft zu wenden. Dass etliche Philosophen diesen Weg im Gefolge Wittgensteins eingeschlagen haben, unter ihnen Elizabeth Anscombe und A. I. Melden, war ausschlaggebend für die Herausbildung der modernen Analytischen Handlungstheorie. Denn diese Philosophen richteten die Aufmerksamkeit auf Begriffe, mit denen Menschen ihr Selbstverständnis und ihre Weltsicht artikulieren und die deshalb unverzichtbar sind für die Beschreibung einer menschlichen Lebensform: ‚Handlung‘; ‚Absicht‘; ‚Erwartung‘; ‚Zweck‘; ‚Wert‘ usw.13 Die Beschäftigung mit dem menschlichen Handeln und sei_____________ 13

Ich beziehe mich auf Begriffe entweder durch die expliziten Ausdrucksweisen ‚der Begriff des F‘ ‚der F-Begriff‘ oder durch die Verwendung einfacher Anführungs-

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nen Relationen zu Absichten, Gründen, Zwecken und Normen ging gleichsam als Destillat aus einem umfassenderen Interesse an der Frage hervor, was ein personales Selbstverständnis ausmacht und was unsere Lebensform, bei aller Varianz von Kultur zu Kultur und von Epoche zu Epoche, als menschliche Lebensform kennzeichnet. Wittgenstein, seine Anhänger sowie die Philosophen der normalen Sprache stellten so das vorherrschende Wissenschaftsideal ihrer Zeit in Frage und wagten sich auf das Terrain, das die Logischen Empiristen als ‚Metaphysik‘ markiert hatten. Sie nannten ihren Forschungsbereich nicht Metaphysik, sondern Philosophische Psychologie – als Gegenstück zur empirischen Psychologie, die sich auf die Beschreibung von beobachtbaren Verhaltenskorrelationen konzentrierte und damit dem reduktionistischen Wissenschaftsverständnis entgegenkam. Mit der kritischen Sicht auf den Reduktionismus rückte nun der ganze Bereich der menschlichen Mentalität und mit ihm das menschliche Handeln als eigener Phänomenbereich ins Blickfeld. War die Annahme, dass Handlungen nichts als Ereignisse sind, zusammengesetzt aus physikalisch oder psychologisch definierten Elementarteilen, einmal ihrer Selbstverständlichkeit beraubt, ergab sich eine Fülle an Fragen zur Unterscheidung zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Verhalten, zu Handlungsgründen, zu ihrer Verfasstheit und ihrer Antriebskraft, zum Zusammenhang zwischen Wissen, Wollen, Wünschen, Handeln usw.14 _____________

14

zeichen wie bei ‚Handlung‘. Ich weiche damit von der üblichen Verwendung einfacher Anführungszeichen für konkrete sprachliche Ausdrücke statt für Begriffe ab. Üblicherweise würde man die sprachlichen Ausdrücke für den Begriff der Handlung auf diese Weise markieren, z. B. ‚action‘ oder ‚Handlung‘, aber nicht den Begriff selbst. Da es in meiner Arbeit auf die Unterscheidung zwischen Begriff und Ausdruck nur an wenigen Stellen ankommt, handhabe ich die Notation weniger streng und umgehe dadurch an vielen Stellen die umständliche Redeweise vom Begriff des F. Immer dann, wenn sprachlicher Ausdruck und ausgedrückter Begriff tatsächlich auseinanderzuhalten sind, werde ich aber diese ausführliche Formulierung verwenden. Dadurch sollte Verwirrung ausgeschlossen sein. Fortan sei also z. B. ‚die Bedeutung von ›Handlung‹ gemäß Autorin x‘ als Beschreibung eines Begriffsverständnisses gelesen, nicht als Beschreibung eines Wortverständnisses, das auf eine Einzelsprache beschränkt ist. Einen Eindruck von den Schwerpunkten der Philosophischen Psychologie gibt die Liste der Titel, die Robert F. Holland ab Ende der 1950er Jahre in der Reihe Studies in Philosophical Psychology herausgab: Mental Acts – Their Content and Their Ob-

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KAPITEL 1

Doch nicht alle Autoren der modernen Handlungstheorie vollzogen die Abkehr von der empiristischen Tradition mit, so dass Analytische Handlungstheorie und Psychologie auch aus dieser Richtung entscheidend geprägt wurden. Besonders deutlich wird dieser Einfluss in den Theorien des Behaviorismus, dessen Anspruch früh und in zugespitzter Form Clark Hull wie folgt formuliert: An ideally adequate theory of even so-called purposive behavior ought, therefore, to begin with colorless movement and mere receptor impulses as such, and from these build up step by step both adaptive and maladaptive behavior. […] We hope ultimately to show the logical right to the use of such concepts [as intelligence, insight, goals, intents, strivings, value] by deducing them as secondary principles 15 from more elementary objective primary principles.

Hulls Rede von „farblosen Bewegungen“ spiegelt die wissenschaftstheoretische Auffassung des Logischen Empirismus und es ist einsichtig, dass ein Vertreter dieser Auffassung den Behaviorismus für einen adäquaten Ansatz zur Beschreibung und Erklärung von Handlungen hält: Unter der Annahme, dass Handlungen nichts als physische Reaktionen auf äußere Reize sind, in denen sich die mehr oder weniger gute Anpassung eines Organismus an seine Umwelt erweist, unterscheidet sich menschliches Handeln nicht vom Verhalten anderer Lebewesen. Unter dieser Annahme gibt es keinen Grund, warum die Handlungstheorie nicht der intersubjektiven Überprüfung durch Beobachtung unterworfen sein sollte und warum man nicht versuchen sollte, generelle Gesetze über den Zusammenhang bestimmter Reize mit bestimmten Reaktionen zu formulieren. Aus solchen „objektiven primären Prinzipien“ müsste die alltagssprachliche Rede vom klugen und einsichtigen Handeln, von Werten und vom Streben nach Zwecken folgen, um mit „logischer Berechtigung“ aufzutreten. Offenkundig hat normative Rede nach Hulls Ansicht in einer wissenschaftlichen Handlungstheorie nichts zu suchen; die Prinzipien, durch die man Handlungen _____________

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jects von Peter Geach; Action, Emotion, and Will von Anthony Kenny; Dreaming von Norman Malcolm; Free Action von A. I. Melden; The Concept of Motivation von R. S. Peters; The Idea of a Social Science and its Relation to Philosophy von Peter Winch. Nicht wenige dieser Titel sind mittlerweile zu Klassikern der Philosophie avanciert. Hull 1943, 25 f.

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erklärt, sollen unbeeinflusst davon sein, dass Handlungen von Personen mit subjektiven Standpunkten und Einstellungen ausgeführt werden.16 Gegen einen solchen Ansatz protestierten vor allem Wittgensteinianer vehement. Nicht nur ließ das behavioristische Programm alle möglichen Fragen außer Acht, die ihnen am menschlichen Handeln besonders interessant schienen, nicht nur wurde dogmatisch gesetzt, welche Begrifflichkeiten und Erklärungsformate relevant und zulässig sind, zudem verkehrte der ganze Ansatz das Bild von Menschen und menschlichen Interessen, die uns nach ihrer Auffassung motivieren, überhaupt Wissenschaft zu betreiben. In der frühen Phase der Handlungstheorie, noch ehe sie sich selbst als solche verstand, gab es heftige Debatten um die Adäquatheit behavioristischer Konzeptionen des menschlichen Handelns als „adaptives und maladaptives Verhalten“. Vor allem aber wurde über die Adäquatheitsbedingungen selbst gestritten, die für eine philosophische Theorie gelten müssten, deren Gegenstand das menschliche Leben, die menschliche(n) Lebensform(en) sind. Was ist das Ziel solcher Theorien in der Philosophie – im Unterschied zur Biologie, zur Geschichtswissenschaft – und welche Methoden sind dafür geeignet? Im Frühstadium der Debatte scheint den Teilnehmern selbst nicht immer klar gewesen zu sein, dass sie nicht nur über einzelne Handlungskonzeptionen stritten. Mitunter verhandeln sie Detailfragen eines bestimmten Ansatzes, wo es der Verständigung über Sinn und Zweck der philosophischen Handlungstheorie bedurft hätte. Besonders ausdauernd, besonders gründlich und zuweilen besonders leidenschaftlich wurde die Frage diskutiert, wie Handlungen auf die Welt kommen, genauer: ob sie durch Handlungsgründe kausal verursacht werden. Und falls dies zutrifft, sind alltagssprachliche Handlungsbegründungen dann Kausalerklärungen nach demselben Muster wie mechanistische Kausalerklärungen? Unterliegt zum Beispiel der Erklärung ‚Die Scheibe zerbricht, weil sie von einem Pflasterstein getroffen wurde‘ dieselbe Struktur wie ‚Frieda wirft einen Stein gegen Berts Fenster, weil sie sich rächen _____________ 16

Vgl. Feigl 1949, 139: „If there be any ‚truths‘ that are accessible only to privileged individuals, such as mystics or visionaries – that is, knowledge-claims which by their very nature cannot independently be checked by anyone else – then such ‚truths‘ are not of the kind that we seek in the sciences.“ Feigl spricht von einer regulativen Idee der intersubjektiven Überprüfbarkeit, ist sich über die Schwierigkeiten ‚objektiver‘ Wissenschaft also im Klaren.

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KAPITEL 1

will‘? Im ersten Fall könnte man physikalische Gesetze anführen und das Explanandum als Instantiierung dieser Gesetze ausweisen. Gilt dies auch im zweiten Fall? Unter welche Gesetze sind Friedas Rachedurst und ihr Steinwurf subsumierbar? Solche Fragen wurden in der Gründe-Ursachen-Debatte17 verhandelt, die sich in den 1950er Jahren entspann, zwei Jahrzehnte lang intensiv geführt wurde und bis heute zu keinem inhaltlichen Abschluss gekommen ist. Im Mittelpunkt dieser Debatte standen das Verhältnis zwischen Handlungen und Handlungsgründen sowie die Analogie bzw. Disanalogie zwischen Handlungserklärungen und Erklärungen durch Subsumption unter Gesetze. Unter den Teilnehmern befanden sich auch H. L. A. Hart, Elizabeth Anscombe und A. I. Melden. Alle drei bestreiten, dass Handeln und Handlungsgründe unter Gesetze, zumal unter Kausalgesetze subsumierbar sind. Nach ihrer Auffassung sind Wünsche, Überzeugungen und Werthaltungen von Akteuren keine Kausalursachen ihrer Handlungen, jedenfalls nicht im selben Sinn wie der Aufprall eines Steines eine Kausalursache für das Zerspringen einer Glasscheibe ist. Man verkennt, meinen Hart, Anscombe und Melden, das Wesentliche am menschlichen Handeln, wenn man es in derselben Weise durch physikalische Kausalgesetze zu erfassen versucht. – Dies mag intuitiv einleuchten, doch damit es als Argument standhält, müsste zunächst dargelegt werden, was unter einem Gesetz, was unter Kausalität verstanden wird. Und man müsste klären, was wir eigentlich mit mentalen Begriffen wie ‚Grund‘, ‚Wunsch‘, ‚Überzeugung‘ oder ‚Absicht‘ erfassen. Erst dann ließe sich entscheiden, ob Handlungen und Handlungsgründe als Relata von Kausalrelationen auftreten können. _____________ 17

Geert Keil weist auf die Problematik des Titels ‚Gründe-Ursachen-Debatte‘ hin: „Erstens trivialisiert er die Eigenart der kausalen gegenüber der nomologischen Beziehung. Zweitens versteht sich die durch Davidson und Goldman reformierte kausale Handlungstheorie längst als Synthese von Gründe- und Ursachenerklärungen. Drittens leugnen auch unter den Intentionalisten nur wenige das Vorhandensein eines kausalen Elementes in der Handlungserklärung; strittig ist die Bestimmung seines Stellenwerts. Und viertens müsste, wenn Gründe vs. Ursachen eine vollständige Disjunktion sein soll, die ‚agent causality‘-Auffassung der UrsachenFraktion zugeschlagen werden, was wichtige Unterschiede verdeckt“ (Keil 2000, 20). Ich teile diese Bedenken, behalte die Bezeichnung aber bei, weil sie kurz und gebräuchlich ist und weil es in dieser Arbeit gerade um die problematischen Präsuppositionen der Frage geht, ob Gründe Ursachen sind.

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Dieser Aufgabe stellen sich Hart, Anscombe und Melden auf unterschiedliche Weise. Zwar zeigen ihre Ausführungen zu Kausalität und Gesetzmäßigkeit stellenweise eine etwas einseitige oder laienhafte Vorstellung davon, wie Naturwissenschaftler forschen, doch das wichtigste bei der Rekonstruktion und Interpretation der Werke von Hart, Anscombe und Melden sind nicht ihre konkreten Argumente gegen Behaviorismus und (mechanistischen) Kausalismus. Viel wichtiger ist mir zu zeigen, inwiefern sich in der Gründe-Ursachen-Debatte der Widerstreit zwischen empiristischer Philosophie und Philosophischer Psychologie niederschlägt. Wenn Hart, Anscombe und Melden beispielsweise die Bedeutsamkeit und Irreduzibilität der alltagssprachlichen Rede von Handlungen, Wünschen, Absichten und Gründen betonen, dann treffen sie nicht nur terminologische Aussagen für eine Theorie des menschlichen Handelns, sondern stellen die Auffassung in Frage, dass in die Wissenschaft nur gehört, was durch Beobachtung intersubjektiv überprüfbar ist. Weder Hart noch Anscombe oder Melden nennen ihren Ansatz ausdrücklich eine Zuschreibungskonzeption. Nur Hart verwendet den Begriff der Zuschreibung systematisch. Ich bezeichne alle drei Ansätze als Zuschreibungskonzeptionen, weil alle drei Autoren die Bedingungen untersuchen, unter denen wir den Begriff der Handlung auf das Verhalten anderer Personen anwenden. Sie sind überzeugt, dass sich die Bedeutung von ‚Handlung‘, ‚Absicht‘ und anderer mentaler Begriffe bestimmen lässt, indem man die alltägliche Interaktion und Kommunikation von Akteuren untersucht. Nach ihrer Auffassung durchzieht die Unterscheidung zwischen Handeln und anderem Verhalten das Zusammenleben von Menschen nicht nur, sie ermöglicht es sogar.

1.3 Erste und dritte Person H. L. A. Hart, Elizabeth Anscombe und A. I. Melden hielten das behavioristische Programm für einen Irrweg, und tatsächlich überwogen letztendlich die Gegenargumente: Radikale behavioristische Positionen, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkamen, werden kaum noch ernsthaft vertreten. Die Behauptung, dass sich menschliches Handeln ohne jeglichen Bezug zu mentalen Phänomenen beschreiben lässt oder dass die Rede von

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solchen Phänomenen unsinnig ist, tritt heute höchstens mit vielen Qualifikationen auf. Allerdings sind in Diskussionen um das Verhältnis von Philosophie und Neurowissenschaften mitunter Argumente zu hören, die den damaligen Pro-Behaviorismus-Argumenten ähneln. Mitunter wird in reduktionistischen neurowissenschaftlichen Ansätzen vermutet, dass eine vollständige, präzise Beschreibung menschlicher Gehirnprozesse nicht nur mentale Begriffe überflüssig machen, sondern obendrein mentale Phänomene als illusorisch erweisen könne.18 Um hierauf zu reagieren, können Argumente aus der früheren Debatte um den Behaviorismus hilfreich sein. Diese Argumente sind entweder begriffsanalytischer oder ontologischer Natur. Im ersten Fall verweisen sie auf die Unabhängigkeit der Bedeutung mentaler Begriffe von neurologischen Fakten. Im zweiten Fall hinterfragen sie, welche Autorität der Physik – heute: den Neurowissenschaften – bei der Bestimmung dessen zukommt, was die Wirklichkeit umfasst. Müssen notwendige und hinreichende Bedingungen für die Existenz und Irreduzibilität einer bestimmten Entität physikalische Bedingungen sein? In der Debatte um den Behaviorismus beriefen sich Verfechter dieses ontologischen oder eher meta-ontologischen Arguments auf die menschliche Selbstwahrnehmung, auf die Erfahrung, die wir aus der Erste-Person-Perspektive mit mentalen Phänomenen unleugbar haben. Angesichts der Klarheit, mit der wir eigene Absichten, Wünsche, Überzeugungen wahrnehmen, und angesichts der Bedeutsamkeit, die diese Phänomene für unser Selbstverständnis und unsere Lebensführung haben, scheint die Behauptung, sie seien keine basalen Bestandteile der Wirklichkeit, unhaltbar – es sein denn, man legt einen sehr engen Wirklichkeitsbegriff zugrunde, den es dann jedoch seinerseits zu rechtfertigen gilt. Vertreter des Behaviorismus rechtfertigten die Beschränkung damit, dass mentale Phänomene nur aus der Erste-Person-Perspektive erfahrbar sind und folglich dem Anspruch der intersubjektiven Überprüfbarkeit nicht genügen. Hiergegen bringen Gegner des Behaviorismus das genannte meta-ontologische Argument an und weisen darauf hin, dass wir in der Ontologie nicht von der Tatsache absehen können, dass manche Wesen die Fä_____________ 18

Für einen konzisen Überblick zu häufigen Argumentationsmustern vgl. Árnason 2011.

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higkeit besitzen, eine Erste-Person-Perspektive auszubilden. Wenn diese Fähigkeit zu einer Erste-Person-Perspektive manche Wesen in die Lage versetzt, mentale Phänomene in der Wirklichkeit wahrzunehmen, dann gehören auch diese Phänomene in das ontologische Inventar. Wir müssten schlicht anerkennen, dass die Wirklichkeit reichhaltiger ist, als mit physikalischen Mitteln erkennbar.19 Bei Hart, Anscombe und Melden steht eine intersubjektive Version dieses Arguments im Vordergrund: Die mentalen Phänomene anderer Personen sind ein realer Teil unserer Lebenswelt. Wir stoßen mit ihren Überzeugungen, Wünschen und Absichten mitunter so heftig zusammen wie mit physischen Körpern. (Die Beschreibung als Zusammenstoß ist im ersten Fall eine Metapher, doch aus einer metaphorischen Beschreibung folgt nicht, dass das Deskriptum nicht existiert. Hier setzt die begriffsanalytische Argumentation gegen den Reduktionismus an.) Wenn eine Handlungskonzeption aber mentale Phänomene als irreduzible Konstituenten der Wirklichkeit voraussetzt, dann darf die Existenz dieser Phänomene nicht ausschließlich aus der Erste-Person-Perspektive erkennbar sein. In dem Fall wäre nicht sicher, dass Begriffe wie ‚Absicht‘, ‚Wunsch‘ oder ‚Überzeugung‘ bei verschiedenen Sprechern die gleiche Bedeutung haben. Wären mentale Phänomene ausschließlich private Phänomene, ließe sich nicht einmal von einer Person zur anderen vermitteln, was eine Absicht ist, was ein Wunsch, eine Überzeugung usw. Eine allgemeine Theorie über den Zusammenhang von Handlungen, Absichten und Gründen zu formulieren, wäre ein aussichtsloses Unterfangen, weil eine solche Theorie ein geteiltes Alltagsverständnis mentaler Begriffe voraussetzen muss. Obschon mentale Phänomene offenbar nur existieren, sofern eine Person sie hat, müssen Existenz und Identität dieser Phänomene allgemein zugänglichen Kriterien unterliegen. Nun zeichnen sich mentale Phänomene aber gerade durch ihre Privatheit, ihre ‚Unsichtbarkeit‘ für Beobachter aus – es ist zweifellos möglich, eigene Gedanken oder Wünsche vor anderen zu verbergen. Daher drängt sich die Annahme eines epistemischen Privilegs auf: Eigene mentale Phänomene sind direkt und mögli_____________ 19

Aktuelle Versionen dieses ‚Arguments der reichhaltigen Ontologie‘ vertreten z. B. Lynne Rudder Baker (2000, v. a. 22–26), Frederick Stoutland (1997) und Charles Taylor (1986 und 2003). Auf ihre Positionen gehe ich im letzten Kapitel näher ein [↓6].

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cherweise sogar irrtumsfrei zugänglich, auf mentale Phänomene anderer Personen können wir nur anhand äußerer Zeichen schließen und diese Schlüsse können falsch sein. Folglich können wir über die Absichten, Gründe und Gedanken anderer Personen nie endgültig Gewissheit erlangen. Ist aber jedes einzelne mentale Phänomen aus der Dritte-PersonPerspektive ungewiss, dann gibt es keinen guten Grund anzunehmen, dass andere Personen überhaupt Absichten, Wünsche oder Überzeugungen haben. So tritt mit dem mutmaßlichen Privilegierten Zugang [privileged access] sogleich auch das Problem des Fremdpsychischen [problem of other minds] auf den Plan.20 Eine Lösung beider Probleme scheint unerlässlich für jede Handlungskonzeption, die den Begriff der Handlung allgemein bestimmen und nicht auf die Erste-Person-Perspektive beschränken will. Für Zuschreibungskonzeptionen scheint dies umso mehr zu gelten, als bei ihnen die Identifikation von Handlungen und Handlungsgründen anderer Personen im Mittelpunkt steht. Während Melden diese Probleme ausführlicher erörtert und auch Anscombe einige Paragrafen von Intention darauf verwendet, lassen sich Harts Ansichten nur aus seinen Bemerkungen zu Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen rekonstruieren. Dabei ergibt sich, dass alle drei Autoren das Problem des Fremdpsychischen für ein Resultat von Missverständnissen halten, ausgelöst durch mangelndes Verständnis der Funktion mentaler Begriffe. [↓3.1.1; 4.2; 5.2] In Zuschreibungskonzeptionen wird weder übersehen noch geleugnet, dass wir unsere eigenen Handlungen vom eigenen unabsichtlichen, unverfügbaren Verhalten aus der Erste-Person-Perspektive unterscheiden können. Doch stellen die Autoren das Wissen um eigenes Handeln gleichsam als Kehrseite der Fähigkeit dar, absichtliche Handlungen im Verhalten anderer Personen zu erkennen. So fragen sie zunächst, worin die Fähigkeit, Handlungen zu sehen, besteht und wie wir sie gewinnen. Sie gehen den Ursprüngen unseres Selbstverständnisses als Akteure nach und stellen fest, dass eine Akteurslaufbahn damit beginnt, dass einem Kind durch seine Bezugspersonen Absichten und Handlungen zugeschrieben werden. Obschon noch unzulänglich in der Formung und Realisierung eigener Absichten, wird es auf diese Weise in die Praktiken einer Akteursgemeinschaft inte_____________ 20

Vgl. Graham 1993, 36–39.

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griert. Mit der praktischen Integration in begründete, absichtliche Vollzüge erfasst der Neuankömmling allmählich den Unterschied zwischen Handeln und anderem Verhalten. Dieser genealogischen Analyse zufolge könnten wir die Unterscheidung zwischen eigenem Handeln und eigenem bloßem Verhalten aus der IchPerspektive gar nicht treffen, hätten uns nicht zuerst andere Personen Absichten, Gründe und Handlungen zugeschrieben, die wir selbst weder begrifflich identifizieren noch ausdrücken konnten. Hart, Anscombe und vor allem Melden ziehen wichtige Schlüsse aus dem genealogischen Vorrang der Zuschreibung vor der Selbstwahrnehmung. Für alle drei aber zeichnet sich hier eine Lösung des Problems des Fremdpsychischen ab. Wenn die Erkenntnis eigener mentaler Phänomene nur dank der Integration in eine Akteursgemeinschaft möglich ist, durch die uns Begriffe und Kriterien für das Vorliegen bestimmter eigener Wünsche, Absichten, Überzeugungen usw. vermittelt werden, dann ist die Frage, ob andere Personen auch Wünsche, Absichten und Überzeugungen haben (können), beantwortet: Dies muss der Fall sein, weil wir nur dank der Zuschreibungen, die andere an uns gerichtet haben, lernen konnten, uns selbst als Wesen mit eigenen Absichten, Überzeugungen, Zielen usw. zu verstehen. [↓3.1.5; 4.2.3; 5.2.2] Es deutet sich jedoch schon hier an, weshalb es einerseits kein Zufall, andererseits dennoch ein Missverständnis ist, wenn Zuschreibungskonzeptionen mit dem Problem des Fremdpsychischen und des Privilegierten Zugangs konfrontiert werden. Es ist entscheidend zu erkennen, dass Handlungszuschreibungen keine Behauptungen über mentale Ereignisse ‚im Inneren‘ einer Person implizieren. Nach dem wittgensteinianisch geprägten Verständnis des Mentalen, das auch Anscombe und Melden vertreten, referieren mentale Begriffe nicht auf spezifische innere Ereignisse oder Gegenstände. Sie dienen dazu, sprachlich zu fassen, welche Bedeutung Körperbewegungen und Gesten, Mimik und Haltung einer Akteurin für andere Personen haben. Auf diese, für meine Interpretationen zentrale These komme ich an verschiedenen Stellen der Darstellung zurück. Anhand der untersuchten Werke werde ich die Auffassung von Mentalität erläutern, die meine drei Autoren der traditionellen Ereigniskonzeption entgegensetzen. Zuschreibungen stellen keine willkürlichen oder beliebigen Projektionen dar. Sie unterliegen einem Maßstab der Angemessenheit und sind deshalb kritisierbar – nicht zuletzt durch die Akteure selbst. Um diesen Maßstab

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der Angemessenheit zu erläutern, werde ich vom Ausdruck körperlichen Verhaltens sprechen. Ich werde Handlungszuschreibungen als begriffliche Explikationen dessen darstellen, was Menschen durch ihre Bewegungen und Gesten, durch ihre Mimik und Körperhaltung zum Ausdruck bringen. Der Begriff des Ausdrucks spielt in meiner Rekonstruktion und Interpretation die zweite Hauptrolle neben dem Begriff der Zuschreibung. Eine Hauptfrage meiner Lektüre von Hart, Anscombe und Melden zielt auf das Verhältnis von Handlungszuschreibungen und Ausdruck des körperlichen Verhaltens von Personen, wie es von den drei Autoren beschrieben wird. Obwohl von Ausdruck und Ausdrucksformen bei keinem der Autoren die Rede ist, enthalten die untersuchten Konzeptionen zahlreiche Hinweise auf ein Handlungsverständnis, das sich mithilfe dieser Begriffe fassen lässt: In allen drei Ansätzen kommt der Fähigkeit, semantische Eigenschaften – kurz: Ausdruck – zu verstehen, eine wesentliche Funktion zu. Alle drei entwerfen menschliches Handeln in Abhängigkeit von dieser menschlichen Fähigkeit, denn sie bestimmen Handlungen als körperliches Verhalten, das für andere, aus der Dritte-Person-Perspektive, als Realisierung von Absichten und Gründen zu verstehen ist. Handeln ist körperliches Verhalten, in dem sich Absichten und Gründe der Akteure ausdrücken und das deshalb eine entsprechende Zuschreibung von Absichten und Gründen erlaubt. Ich werde argumentieren, dass im Kern der Zuschreibungskonzeptionen die Erkenntnis liegt, dass menschliche Körper und Körperbewegungen nicht nur physikalische Eigenschaften haben, sondern auch Bedeutung tragen. Deswegen lassen sich nicht alle Fakten über Körper und Körperbewegungen durch Beobachtung im engen empiristischen Sinn erfassen. Manche Fakten über Personen sind nur erkennbar, wenn der Beobachter von seiner Fähigkeit Gebrauch macht, Bedeutung zu verstehen. Um mentale Fakten über Personen zu erkennen, braucht er die Fähigkeit, Einheiten des Ausdrucks und der Bedeutung – semantische Einheiten – im Verhaltensablauf einer Person zu erkennen. Zuschreibungskonzeptionen des menschlichen Handelns tragen der semantischen Dimension des körperlichen Verhaltens von Personen Rechnung. Während die Literatur zu Wissen, Wahrnehmung und Erleben aus der Erste-Person-Perspektive unüberschaubar ist, hat das Dritte-Person-Wissen in der Handlungstheorie weniger Aufmerksamkeit erregt. Interessanterweise wird Anscombes Intention häufig im Zusammenhang mit den Schlag-

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wörtern ‚Selbst-Bewusstsein‘ und ‚Ich-Wissen‘ zitiert, seltener im Kontext des Dritte-Person-Wissens. Dabei sind ihre Ausführungen hierzu gleichermaßen aufschlussreich.21 Für Hart und Melden ist das Dritte-PersonWissen ebenfalls zentral, denn wie skizziert werden Zuschreibungen aus der drittpersonalen Perspektive getroffen. Über die Analyse mentaler Begriffe und ihrer Funktion in drittpersonalen Zuschreibungen eröffnet sich daher ein Weg, die Irreduzibilität der mentalen Begriffe zu erweisen, die in Handlungs- und Absichtszuschreibungen auftreten. Denn durch eine solche Analyse lässt sich zeigen, dass reduktionistischen Handlungskonzeptionen ein irriges Bild von Akteuren zugrunde liegt: Sie halten es für trivial, dass es Handlungen nur dann gibt, wenn jemand handelt. Dabei verkennen sie, wie zentral die Frage danach, was es heißt, jemand zu sein – eine Akteurin, eine Person –, tatsächlich ist, wenn es darum geht zu klären, was Handlungen von anderem Verhalten unterscheidet. Durch diese Verkennung gelangen reduktionistische Ansätze zu jener Ereigniskonzeption mentaler Phänomene, die sie nach Kausalgesetzen suchen lässt, wo eine Semantik am Werk ist. Der Begriff der Semantik gehört, in einem engeren Sinn, in die Linguistik. Er bezeichnet den systematischen Zusammenhang, durch den eine Reihe akustischer oder grafischer Zeichen eine Bedeutung erhält und somit verständlich wird. Steht ‚Ziehen‘ auf einer Tür, dann stellt diese Zeichenfolge aufgrund der Semantik der deutschen Sprache den Hinweis dar, dass die Tür durch Ziehen zu öffnen ist, nicht durch Drücken. Sagt jemand ‚Alles Gute zum Geburtstag!‘, dann äußert er aufgrund der Semantik, der diese Lautfolge unterliegt, einen Glückwunsch zum Geburtstag. In einem weiteren, über die Linguistik hinausgehenden Sinn bezeichnet ‚Semantik‘ die Verknüpfung von materiellen Objekten mit einer bestimmten Bedeutung. So könnte man von Semantik der romanischen Sakralarchitektur sprechen, von der Semantik des Bühnenbilds in der zeitgenössischen Oper oder der Semantik militärischer Uniformen. In diesem weiten Sinn unterliegen auch Körperbewegungen einer Semantik. Indem wir von Handlungen reden, die aus bestimmten Gründen geschehen oder bestimmten Zielen dienen, ma_____________ 21

Für Diskussionen zum Erste-Person-Wissen nach Anscombe vgl. z. B. Gertler (Hg.) 2003; Grunbaum 2009; Lott 1989; Moran 2004; Vogler 2001; Wright 1998.

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chen wir explizit, was das körperliche Verhalten einer Person bedeutet, wie es zu verstehen ist. Keiner meiner Autoren vertritt ausdrücklich die These, dass ‚Handlung‘ ein Begriff der Semantik ist und die Bedeutung, nicht die Beschaffenheit von Verhaltensepisoden erfasst. Ich werde nachweisen, dass die untersuchten Ansätze nichtsdestotrotz auf dieser Auffassung beruhen. Denn für Hart, Anscombe und Melden steht gleichermaßen die Frage im Mittelpunkt, wie wir die Gewissheit gewinnen, dass andere Personen aus diesem Grund, mit jener Absicht oder um dieses Zweckes willen handeln und wie sich dieses Dritte-Person-Wissen zum Erste-Person-Wissen verhält. Für alle drei Autoren tritt eine gemeinsame Antwort auf diese Fragen hervor, wenn man ihre Werke in Hinsicht auf das Verhältnis von Ausdruck und Zuschreibung liest. Noch besser wäre es zu sagen, dass sich für alle drei statt einer Antwort eine gemeinsame Voraussetzung dieser Fragen herausarbeiten lässt, durch die eine eigentliche Antwort hinfällig wird. Sobald man nämlich von Akteuren spricht, davon dass jemand handelt, steht bereits außer Frage, dass es sich um ein Wesen mit Überzeugungen, Wünschen, Absichten und Werten handelt. Die Frage nach der Handlungsgeltung eines Verhaltens stellt sich nur bei Wesen, die Gefühle haben, Stimmungen erleben, Bindungen eingehen und die sich selbst als Akteure mit eigenen Absichten, Gefühlen, Stimmungen und sozialen Bindungen verstehen. Mit einer solchen gehaltvollen Explikation von ‚jemand‘ stellt es keine Trivialität, sondern eine Erkenntnis dar, dass es Handlungen nur gibt, wenn jemand handelt. In Anbetracht dessen besteht der entscheidende Teil einer Handlungstheorie nicht in einer Beschreibung der Relation zwischen Handlungen und Handlungsgründen. Die wichtigste Frage ist nicht, was eine Körperbewegung zu einer Handlung macht, sondern was ein Wesen zu einer Akteurin macht. Der entscheidende Teil einer Handlungstheorie müsste demnach in einer Bestimmung der Eigenschaften, Relationen und Fähigkeiten von Akteuren bestehen. Um für diese bei Hart, Anscombe und Melden unterliegende und teils explizit benannte Auffassung zu argumentieren, werde ich ihre Werke mit Blick auf den Begriff des Akteurs bzw. der Person lesen. Ausdruck und Zuschreibung erscheinen dann als Relationen zwischen Akteuren. So wird sich letztlich erweisen lassen, dass Körperbewegungen von Akteuren keine „farblosen Bewegungen“ sind, wie Clark Hull annimmt. Was Akteure tun, hat für andere Akteure eine ‚Farbe‘, weil sie die Fähig-

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keit haben, die Bedeutung körperlichen Verhaltens als Realisierung dieser oder jener Absicht zu verstehen. Damit verlagert sich der Schwerpunkt von der Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten auf die Voraussetzungen dieser Unterscheidung, auf den Begriff des Akteurs und die interpersonellen Relationen des Ausdrucks und der Zuschreibung. Sind diese Voraussetzungen dargelegt, lässt sich klären, wie zwischen Handeln und bloßem Verhalten zu unterscheiden ist.

1.4 Ontologische Argumente für die Ereignisannahme Die Ereignisannahme besagt, dass Handlungen Ereignisse sind. Dem liegt die schlichte alltägliche Beobachtung zugrunde, dass sich stets irgendetwas ereignet, wenn jemand handelt. Selbst wenn jemand konzentriert einem Musikstück lauscht, reglos aufs offene Meer schaut oder im Stillen ein Gedicht rezitiert, verändert sich etwas, wenngleich für Dritte nicht unbedingt sichtbar. Es liegt daher nahe, Handlungen als etwas anzusehen, das sich ereignet – die Ereignisannahme scheint gerechtfertigt. Sind Handlungen jedoch Ereignisse, dann müssen sie auch alle für Ereignisse charakteristischen Eigenschaften aufweisen. Nach einem gängigen Ereignisbegriff gehören dazu (1) Datierbarkeit und Lokalisierbarkeit, (2) Zählbarkeit und Wiederholbarkeit sowie (3) die Bindung an Träger. Untersucht man Handlungen auf diese Eigenschaften hin, ergeben sich zunächst so viele Übereinstimmungen mit anderen Ereignissen, dass die Ereignisannahme für Handlungen einleuchtet. (1) Eine Handlungsausführung findet ein Mal zu einer bestimmten Zeit statt – eben dies macht jede Handlungsausführung zu einer konkreten Gegebenheit, einem Partikular.22 Für jede Handlung ist es daher prinzipiell _____________ 22

Alternativ konzipieren Roderick Chisholm (1970) und Jaegwon Kim (1969; 1976) Handlungen als Exemplifizierungen von Sachverhalten bzw. von Eigenschaften; Georg Henrik von Wright (1981) unterscheidet Handlungstypen und Handlungstoken. Das Alltagsverständnis brauchen jedoch auch diese Autoren nicht zu bestreiten: Konkrete Handlungsausführungen sind eine Voraussetzung, um exemplifizierbare Sachverhalte oder Handlungstypen davon zu abstrahieren. Nur darum lässt sich eine bestimmte Handlungsausführung als Ausführung dieser oder jener Handlung klassifizieren. Wenn Paul drei Mal ein Gemälde ersteigert, dann ist es logi-

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möglich anzugeben, wann sie stattfindet, wenngleich wir manchmal nicht in der Lage sind, Anfang und Ende präzis zu bestimmen. Genauso ist bei anderen Ereignissen wie einem Gewitter oder einer Sonnenfinsternis klar, dass sie jeweils zu einer bestimmten Zeit beginnen und enden. Die Möglichkeit, Handlungen wie andere Ereignisse zu datieren und Anfang, Dauer und Ende anzugeben, spricht daher für die Ereignisannahme.23 Manche Philosophen sehen ein Problem darin, dass Wann-Fragen in einigen Fällen keine eindeutige Antwort erlauben, ja sogar unsinnig erscheinen. So besteht eine der Wahrheitsbedingungen für die Aussage ‚Grete erschießt Heinz‘ darin, dass Heinz stirbt. Doch wie würden wir die Frage, wann Grete Heinz erschießt, beantworten, wenn der Schuss am Montag fällt, aber Heinz erst am Mittwoch an der Verletzung stirbt? Zwischen zwei wesentlichen Teilen der Handlung liegt nun ein beträchtliches Zeitintervall, innerhalb dessen die Aussage ‚Grete erschießt Heinz‘ als falsch gelten muss, obwohl die Handlung gewissermaßen längst begonnen hat. Kann diese Handlung dennoch (genau) ein Ereignis sein? Oder müssen wir die Ereignisannahme schwächen, weil es Handlungen gibt, die keine partikulären Ereignisse darstellen, sondern vielleicht eher Ereignisbündel?24 Dieses _____________

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scherweise möglich, alle drei Ersteigerungen als Fälle, Exemplifizierungen oder Token relativ zu einem bestimmten Abstraktum – einem Sachverhalt, einem Typ usw. – zu fassen. Ob solche Abstrakta existieren, braucht an dieser Stelle nicht beantwortet zu werden, weil sich die Ereignisannahme nur auf die Konkreta bezieht. Vgl. Davidson 2001 g, 117. Michael Thompson (2008, Kap. 5 und 8) bestreitet die behauptete Analogie der Zeitlichkeit von Handlungen und anderen Ereignissen. Er kritisiert die traditionelle, ‚naive‘ Handlungstheorie für die Ignoranz gegenüber progressiven Ausdrucksweisen, die (im Englischen) für Handlungsbeschreibungen zur Verfügung stehen. Da das Deutsche keine solchen Verlaufsformen kennt, kann eine logisch-semantische Differenzierung zwischen Prädikaten, die den Abschluss einer Handlung implizieren, und anderen Prädikaten, für die das nicht gilt, kann daher nicht analog zu einer gegebenen grammatischen Unterscheidung verlaufen. Dasselbe gilt für Thompsons Differenzierung zwischen generischen Handlungsbeschreibungen wie ‚She sings‘ und progressiven Formen wie ‚She is singing‘. Sieht man von der Sprachgebundenheit von Thompsons Argumenten ab, sprechen sie eher gegen kausalistische Handlungskonzeptionen. Noch komplizierter wird es, wenn Heinz nach dem Schuss am Montag in eine Spezialklinik in einer anderen Stadt geflogen wird. Denn nun ist die Handlung, die wir mit ‚Grete erschießt Heinz‘ beschreiben, nicht nur diskontinuierlich, sondern bewegt sich auch gleichsam von einem Ort zum anderen.

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in vielen Varianten diskutierte Time-of-a-Killing-Problem zeigt zwar, dass Handlungen oft nicht zu genau einer Zeit an genau einem Ort stattfinden, doch stellen sich analoge Schwierigkeiten auch für andere Ereignisse, nicht nur für Handlungen. Schließlich stellen auch Blitze und Donner eines Gewitters eher eine diskontinuierliche Reihe von konstitutiven Ereignisteilen dar, nicht ein kontinuierliches Ereignis. Das Time-of-a-Killing-Problem liefert daher keinen sehr starken Einwand gegen die Ereignisannahme für Handlungen.25 (2) Nach Ansicht mancher Autoren spricht neben der zeitlichen Verankerung auch die Lokalisierbarkeit von Handlungen für ihren Ereignischarakter.26 Für viele Handlungen und Ereignisse lässt sich leicht ein Ort angeben: Lotte und Karl haben im Erfurter Dom geheiratet, sind nach Palma de Mallorca geflogen, haben dort am Strand gesessen usw. Aus zwei Gründen halte ich dies jedoch für ein eher schwaches Indiz für die Ereignisannahme. Zum einen lässt sich nicht für jedes Ereignis ein Ort angeben. Wo genau beginnt beispielsweise der Zweite Weltkrieg? In einem bestimmten Land, in einer Stadt, in einer einzelnen Straße? In einem Büro, in dem eine Entscheidung getroffen wird, oder auf einem Platz, auf dem der erste Schuss fällt? Komplexe Ereignisse lassen sich kaum räumlich fixieren. Der Ausweg, ihnen mehrere Schauplätze oder ganze Regionen zuzugestehen, _____________ 25

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Ein Problem stellt sich in Bezug auf das Beispiel von Grete und Heinz jedoch letztlich weniger dadurch, dass Grete am Montag auf Heinz schießt, Heinz aber erst am Mittwoch stirbt. Nichts scheint hieran unklar oder widersprüchlich. Ein Problem entsteht vielmehr, wenn man annimmt, dass es für das Geschehen eine ganz bestimmte Antwort auf die Frage ‚Wann und Wo?‘ geben muss. Beim Time-of-aKilling-Problem geht es demnach weniger um die ontologische Einordnung von Handlungen als Ereignisse als um die semantischen Eigenschaften mancher Handlungsprädikate, darunter ‚..erschießt..‘. Es könnte sein, dass die Bedeutung solcher Prädikate die Angabe eines Zeitpunktes für das Deskriptum zwar ausschließt, dass diese Prädikate aber gerade dadurch bestimmten Kommunikationsbedürfnissen gerecht werden. Mit dieser Verschiebung vom Bereich der Ontologie in den Bereich der Semantik verliert das Time-of-a-Killing-Problem sein argumentatives Gewicht gegen die Ereignisannahme. – Für eine klassische Formulierung des Time-of-a-Killing-Problems vgl. Davidson 2001 f. Weiterführend zum Problem der Identifikation und Individuierung von Ereignissen vgl. Anscombe 1979; Bennett 1973; Skorupski, Casati und Varzi (Hg.) 1996, Teil III; Goldman 1971; Stoecker 2002; Thomson 1971 a. Vgl. z. B. Runggaldier 1996, 36–39.

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läuft im Extremfall darauf hinaus, dass jedes Ereignis ‚in der Welt‘ lokalisiert ist. Das besagt kaum mehr, als dass Ereignisse eben stattfinden, und ist eine verkappte Aussage über ihre Datierbarkeit, nicht über ihre Lokalisierbarkeit. Diese Überlegung spricht nicht nur gegen die Ereignisannahme für Handlungen, sie macht Lokalisierbarkeit für jede Art von Ereignissen zu einer fragwürdigen Bedingung. Eine andere Art von Lokalisationsproblem stellt sich mit sogenannten mentalen Handlungen wie Entscheiden, Erinnern, Überlegen oder Kopfrechnen. Wo findet so etwas statt? Wenn der Ort der Person, die entscheidet oder überlegt, den Ausschlag gibt, dann wird der Ort einer Handlung über den Ort des Akteurs bestimmt. Allerdings bezieht sich die Angabe, wo sich ein bestimmter Mensch befindet, auf ein physisches Objekt, nicht auf ein Geschehen – auch dann nicht, wenn der betreffende Mensch Träger des Geschehens ist, es also absolviert oder ‚erleidet‘. Die Möglichkeit, einen Akteur zu lokalisieren, ist folglich kein Beleg für die Behauptung, man könne dessen Handlungen lokalisieren. Anderenfalls könnte man die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle von Grete, die von Erfurt nach Leipzig fährt, um dann nach Palma de Mallorca zu fliegen, ebenfalls zuerst in Erfurt lokalisieren, dann in Leipzig und schließlich auf Mallorca. Es fahren und fliegen aber nicht Gedanken und Gefühle von Ort zu Ort, sondern Personen, die denken und fühlen. Dass wir aus Prädikationen wie ‚Grete freut sich auf den Urlaub‘ oder ‚Grete fürchtet sich vor dem Fliegen‘ abtrakte Substantive wie ‚Vorfreude‘ und ‚Flugangst‘ bilden können, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, dass solche Substantive Ereignisse bezeichnen und dass man sinnvoll nach deren Ort fragen kann. Die Ereignisannahme, so lässt sich festhalten, ist nur vertretbar, wenn Lokalisierbarkeit keine notwendige Bedingung für Ereignisse im Allgemeinen und für Handlungen im Besonderen ist. (3) Handlungen teilen eine weitere Eigenheit mit Ereignissen: Sie können sich wiederholen und man kann gleichartige Exemplare zählen. So wie mehrere Gewitter aufeinanderfolgen oder mehrere Vulkanausbrüche in einer Region stattfinden können, so kann Paul mehrmals auf den Montblanc steigen bzw. kann man die seit 1786 absolvierten Besteigungen des Montblanc zählen. Beim Blick auf Wiederholbarkeit und Zählbarkeit von Handlungen ist jedoch die Unterscheidung zwischen konkreten Handlungsvorkommnissen oder -ausführungen (Token) und davon abstrahierten

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universellen Handlungsweisen oder -arten (Typen) zu beachten: Wiederholbar sind Handlungen, insofern sie eine bestimmte Handlungsweise, einen Handlungstyp instantiieren; zählbar sind einzelne Vorkommnisse oder Token, durch die eine Handlungsweise neuerlich instantiiert wird. Handlungsweisen sind also prinzipiell wiederholbar, Handlungsvorkommnisse prinzipiell zählbar. Diese Beobachtung spricht für die Ereignisannahme, weil dasselbe auch für Gewitter, Tsunamis und andere Ereignisse gilt, die keine Handlungen sind. Übersieht man die Unterscheidung zwischen konkreten Handlungsausführungen und abstrakten Handlungsweisen, könnte man auch an der behaupteten Zählbarkeit von Handlungen zweifeln, denn es liegt eine gewisse Absurdität in den Fragen ‚Wie viele Handlungen hast du gestern ausgeführt?‘ oder ‚Wie viele Handlungen finden zur Zeit in diesem Raum statt?‘ Sinnvoll sind diese Fragen erst, wenn wir genau angeben, welche Handlungen gezählt werden sollen, wenn wir also spezifische Handlungsprädikate verwenden und uns auf einzelne Handlungsausführungen eines bestimmten Typs beziehen. So können wir fragen: ‚Wie viele Anrufe hast du gestern beantwortet?‘, ‚Wie oft warst du spazieren?‘, ‚Wie viele Leute hören den Vortrag?‘ Sowohl Zählbarkeit als auch Wiederholbarkeit sind damit prinzipiell für Handlungen gegeben – eine weitere Beobachtung, welche die Ereignisannahme stützt.27 (4) Handlungen setzen die Existenz von Personen voraus: Wenn Grete jemanden erschießt, dann existiert Grete; wenn Paul den Montblanc besteigt, dann existiert Paul.28 Dass wir uns bei Handlungsbeschreibungen gelegentlich mit Indefinitpronomen wie ‚jemand‘ oder ‚irgendwer‘ behelfen, bestätigt nur, dass Handlungen ohne Akteure nicht möglich sind. Auch in dieser Abhängigkeit von einem Handlungsträger liegt eine Parallele von Handlungen und anderen Ereignissen, die zur Stützung der Ereignis_____________ 27

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In philosophischen Zusammenhängen, zumal in englischsprachigen Publikationen, wird ‚Handlung‘ [action] gelegentlich als nicht-zählbares Nomen verwendet, im Sinne von ‚Handeln‘ [acting]. In dieser Verwendung besteht für ‚Handlung‘ in der Tat keine Zählbarkeit, denn der Ausdruck bezeichnet die ontologische Kategorie, nicht ein einzelnes Exemplar [act] aus dieser Kategorie. Zählbare und nichtzählbare Verwendung von ‚Handlung‘ verhalten sich zueinander wie die Ausdrücke ‚Wasser‘ und ‚Pfütze‘ oder ‚Schnee‘ und ‚Schneeflocke‘. Vgl. Bennett 1995, 29 f. Vgl. Runggaldier 1996, 37.

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annahme beiträgt. Denn auch Ereignisse, die keine Handlungen sind, finden nur statt, wenn etwas mit etwas geschieht, wenn sich etwas verändert. Keine Überschwemmung ohne Gewässer, kein Flugzeugabsturz ohne Flugzeug, kein Super-GAU ohne Atomkraftwerk. Im Fall von Handlungen sind Akteure die Träger; ihre Existenz ist eine Bedingung für das Stattfinden von Handlungen bzw. eine Wahrheitsbedingung für Handlungsaussagen der Form ‚A a-t‘, deren Instantiierung die Ersetzung von A durch einen Personennamen oder eine Kennzeichnung für eine Person erfordert. Bis hierher stützen die dargelegten Beobachtungen und Überlegungen zum großen Teil die Annahme, dass Handlungen ontologisch in die Kategorie der Ereignisse gehören. Anscheinend weisen Handlungen alle physikalischen Merkmale auf, die üblicherweise für Ereignisse vorausgesetzt werden: Sie sind datierbar, wiederholbar und zählbar. Außerdem sind Handlungen wie andere Ereignisse an die Existenz materieller Träger gebunden. Einzelne Handlungen, für die das eine oder andere dieser Merkmale sich nicht ohne Weiteres erkennen lässt, schwächen die Ereignisannahme wenig, weil auch für manches ‚Naturereignis‘die zeitliche Verankerung schwierig ist, Wiederholbarkeit ausgeschlossen oder auf den ersten Blick kein Träger bestimmbar. Für Vertreter kausalistischer Handlungskonzeptionen ist dieser Befund beruhigend: Handlungen sind in ontologischer Hinsicht nicht mehr und nicht minder problematisch als andere Ereignisse; keines der angeführten Probleme lässt die Ereignisannahme völlig verfehlt erscheinen. Mehr noch als die genannten physikalischen Eigenschaften gilt es allerdings als wesentliches Merkmal von Ereignissen, dass sie in Kausalrelationen stehen. Das bedeutet, jedes Ereignis wird durch andere Ereignisse kausal verursacht, und falls ein Ereignis Kausalwirkungen nach sich zieht, sind diese wiederum Ereignisse. Aus der Ereignisannahme für Handlungen ergibt sich damit die Kausalitätsannahme: Wenn Handlungen Ereignisse sind und wenn alle Ereignisse durch andere Ereignisse kausal verursacht sind, dann sind auch Handlungsereignisse durch andere Ereignisse kausal verursacht. An diesem Punkt nun lässt sich die Einordnung von Handlungen in die Kategorie der Ereignisse nicht mehr ohne Weiteres vertreten, weil Kausalität üblicherweise als eine erklärungsrelevante Relation betrachtet wird: Wir

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erklären, warum ein bestimmtes Ereignis stattfindet, indem wir die jeweils wirkenden Kausalursachen angeben. Nun benennen wir in Handlungserklärungen normalerweise keine physikalischen Ursachen wie Massen- und Kräfteverhältnisse, sondern Überzeugungen, Wünsche, Ziele und Absichten von Personen. Zweifel, dass diese Dinge Handlungen kausal verursachen (können), entstehen vor allem dadurch, dass man Überzeugungen, Wünsche, Ziele und Absichten selbst als Ereignisse konzipieren muss, wenn man sie als Kausalursachen von Handlungen darstellen will. Mit der Kausalitätsannahme steht daher er Ereignischarakter von Handlungen ernstlich in Frage. Zugleich lassen sich jedoch einige Beobachtungen anführen, die es plausibel erscheinen lassen, alltagssprachliche Handlungsbegründungen als Kausalerklärungen aufzufassen.

1.5 Handlungserklärungen Die Kausalrelation gilt als geschlossen auf den Bereich der Ereignisse: Alles, was Kausalursache für etwas anderes ist, ist ein Ereignis, und alles, was Kausalwirkung von etwas anderem ist, ist ebenfalls ein Ereignis. Wenn Handlungen Ereignisse sind, dann müssen auch sie durch andere Ereignisse verursacht sein, und sofern sie irgendetwas bewirken, sind dies abermals Ereignisse. Eben dies besagt auch die Kausalitätsannahme. Als Kandidaten für die Kausalursachen von Handlungen bieten sich auf den ersten Blick Handlungsgründe an, weil wir auf die alltagssprachliche Frage nach den Ursachen einer Handlung selbstverständlich die Gründe der Akteure anführen. Allerdings belegt die Tatsache, dass eine der langwierigsten handlungstheoretischen Debatten den Titel ‚Gründe-UrsachenDebatte‘ trägt, dass Gründe sich dieser kausalistischen Konzeption nicht ohne Weiteres fügen. Tatsächlich ist die Ereignisannahme für Handlungen vor allem deswegen umstritten, weil sie die Kausalitätsannahme nach sich zieht – nicht ohne Grund scheiden sich die handlungstheoretischen Positionen in Kausalisten und Nicht-Kausalisten. Das Alltagsverständnis von Ursachen und Wirkungen bezieht sich unter anderem auf Veränderungen, die Gegenstände oder Situationen in einer gewissen Zeitspanne durchlaufen. In logisch-begrifflichen Untersuchungen zur Kausalität geht man häufig von diesem Alltagsverständnis aus, um es

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KAPITEL 1

dann zu präzisieren und weiter zu differenzieren, oft mithilfe der aristotelischen Unterscheidung zwischen Wirkursachen, Final-, Formal- und Materialursachen. Bei Aristoteles schließen diese vier Ursachen- oder Kausalitätsformen einander nicht aus, sie stehen als vier Aspekte ein und desselben Phänomens nebeneinander. Auf die Frage, warum etwas geschehen oder entstanden ist, ließe sich also durch die Nennung aller vier Arten von Ursachen antworten, das heißt ein und dasselbe Phänomen ist auf vier Weisen erklärbar. Wenn Autoren heute von Ursachen sprechen, meinen sie in der Regel etwas, das dem aristotelischen Begriff der Wirkursache nahekommt. Finalursachen werden zumeist unter dem Begriff des Zweckes verhandelt; die anderen beiden Begriffe – Formalursache und Materialursache – spielen aufgrund veränderter metaphysischer Grundauffassungen in der modernen Handlungstheorie kaum eine Rolle. Der Begriff der (Wirk-)Ursache, wie er heute verwendet wird, ist maßgeblich ein Produkt des britischen Empirismus und wurde insbesondere durch David Hume und John Stuart Mill entwickelt.29 Hume und Mill prägten eine Standardkonzeption der Kausalität, auf die sich kausalistische Positionen auch heute noch berufen, wohingegen nicht-kausalistische Positionen sie hinterfragen. Standardmäßig verstehen Philosophen – nicht nur in der Handlungstheorie – Kausalität in der skizzierten Weise als Relation zwischen Ereignissen. Folglich halten sie die Relation ‚..ist Ursache von..‘ für generalisierbar; sie erfasst sämtliche Ereignisse, weil jedes Ereignis durch andere verursacht wird. Die konverse Relation lautet ‚..ist Wirkung von..‘. Beide Relationen werden durch partikuläre Ereignisse instantiiert, etwa ‚Das Erhitzen des Thermometers mit Gustavs Feuerzeug verursacht das Ansteigen der Quecksilbersäule im Glasröhrchen‘. Es lassen sich aber auch generelle Kausalaussagen für Arten oder Typen von Ereignissen formulieren, wie ‚Jede Erwärmung eines Quecksilberthermometers führt zum Ansteigen der Quecksilbersäule im Glasröhrchen‘. Die paradigmatische logische Form solcher genereller Aussagen ist das universalquantifizierte Konditional, das lange Zeit als Grundform wissenschaftlicher Gesetzesaussagen angesehen wurde: Λx (Fx → Gx). Durch ein Gesetz dieser Form soll_____________ 29

Vgl. v. a. Hume 1961 [1777], 74–121; Mill 1892. Zum empiristischen Kausalitätskonzept vgl. Taylor 1964, 56–66; ausführlicher Broughton 1987, Connolly und Keutner 1987; Lanz 1987, Kap. 2 und 3.

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te das Eintreten eines bestimmten Ereignisses (Ga) kausal zu erklären sein, indem die jeweils hinreichenden Antezedensbedingungen (Fa) als erfüllt nachgewiesen werden. Eine singuläre Aussage der Form Fa → Ga beschriebe demnach einen Anwendungsfall des generellen Gesetzes Λx (Fx → Gx); das Auftreten von Ga infolge von Fa wäre ein erwartbarer, erklärbarer Normalfall des generellen gesetzesartigen Zusammenhangs.30 So einfach diese Form der Kausalerklärung durch Subsumtion unter generelle Gesetze zunächst erscheint, so problematisch ist sie bei näherer Betrachtung. Bereits Hume und Mill diskutierten zwei Fragen, die bis heute für Kontroversen in der Handlungstheorie sorgen: Ist es für die Kausalerklärung von Ereignissen notwendig, sie auf gesetzesartige Verknüpfungen zurückzuführen? Ist die Formulierung solcher gesetzesartiger Verknüpfungen für Handlungserklärungen überhaupt möglich? Mit der ersten Frage entscheidet sich, ob es eine Wahrheitsbedingung für partikuläre Kausalaussagen der Form ‚Fa verursacht Ga‘ ist, dass Ereignisse der Art Fx notwendigerweise Ereignisse der Art Gx nach sich ziehen und ob es also unmöglich ist, dass ein Ereignis Fa nur in einem einzigen oder nur in manchen Fällen Ga verursacht.31 Mit der zweiten Frage entscheidet sich, ob Handlungen in derselben Weise kausal erklärbar sind wie alle anderen Ereignisse oder ob die Kausalrelation zwischen Handlungen und Handlungsgründen vielleicht von besonderer Art ist.32 In Handlungstheorien taucht der Begriff der Kausalität meist im Zusammenhang mit der Struktur und Funktion von Handlungserklärungen auf. Vertreter einer kausalistischen Position orientieren sich am Standardmodell der wissenschaftlichen Erklärung und betrachten Handlungserklä_____________ 30

31 32

Vgl. Lanz 1987, 30 und 156, Anm. 11. Lanz weist darauf hin, dass aus einer singulären Kausalaussage nicht unbedingt ersichtlich ist, welche Gesetz- oder Regelmäßigkeit ihr zugrunde liegt. Weder lassen sich aus singulären Aussagen Generalisierungen deduzieren, noch muss jemand die entsprechende Gesetzmäßigkeit kennen, um alltagssprachliche Kausalaussagen zu verstehen. Man kann, so Lanz’ Beispiel, die Aussage ‚Das Fischessen verdarb A’s Magen‘ verstehen, ohne zu wissen, was genau den verdorbenen Magen verursachte, d. h. ob Eigenschaften des Fisches, Eigenschaften von A oder A’s Weise, den Fisch zu essen, kausal relevant sind. Unkenntnis hierüber stellt nicht den Charakter der Aussage als Kausalaussage in Frage, sondern ihre Eignung als Kausalerklärung. Vgl. Broughton 1987 und Lanz 1987, 30. Für Konzeptionen singulärer Kausalrelation vgl. Pettit 1986; Keil 2000, v. a. 17–20.

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rungen als deduktiv-nomologische Erklärungen. Wenn eine Aussage der Form Λx (Fx → Gx) wahr ist oder, empiristisch gesprochen, durch Erfahrung gestützt und bislang unwiderlegt, lassen sich wahre partikuläre Kausalaussagen treffen, die konkrete Ereignisse kausal erklären. Durch eine Instantiierung der Form Fa → Ga wäre demnach kausal erklärbar, dass Ga eingetreten ist. Demgemäß wurden wissenschaftliche Kausalerklärungen zweigliedrig strukturiert. Das Explanandum ist das zu erklärende Ereignis bzw. ein Satz, der es beschreibt. Das Explanans enthält Aussagen, aus denen der Explanandum-Satz (E) logisch folgt. Dies sind zum einen singuläre deskriptive Sätze (S), zum anderen generelle Gesetzmäßigkeiten (G).33 Carl G. Hempel, auf den die Bezeichnung solcher Kausalerklärungen als deduktivnomologische Erklärungen (D-N) zurückgeht, stellt sie schematisch folgendermaßen dar: D-N

S1, S2, … Sn G1, G2, … Gn E

Explanans: Singuläre Sätze Generelle Gesetze Explanandum-Satz

Deduktiv ist diese D-N-Erklärung, weil der Explanandum-Satz aus den im Explanans versammelten Prämissen logisch deduzierbar ist. Nomologisch ist sie, weil das Explanans mindestens eine Gesetzesaussage enthält, unter die das Explanandum subsumiert wird. So wird gezeigt, dass das Explanandum-Ereignis einen Normalfall der angeführten Gesetzmäßigkeiten darstellt. Die Erklärungskraft der Subsumtionen kommt nach Hempel dadurch zustande, dass im Explanans Gesetzmäßigkeiten und singuläre Sätze in einer solchen Konstellation auftreten, dass das Explanandum-Ereignis logischerweise eintritt. Unter diesen Bedingungen war nichts anderes zu erwarten, sein Eintreten ist nicht überraschend.34 Die Gründe-Ursachen-Debatte entwickelte (und verwickelte) sich hauptsächlich um die Frage, inwiefern alltagssprachliche Handlungsbegründungen Kausalerklärungen sind und dem D-N-Modell entsprechen. Lassen sich einzelne Handlungen unter generelle Gesetze subsumieren? Instantiieren Handlungen und Gründe notwendige Kausalrelationen? Gibt es _____________ 33 34

Vgl. Hempel 1977, 5–19 (Abkürzungen geändert). Vgl. Hempel 1977, 44 f.

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überhaupt notwendige Gesetze, die Handlungen und Handlungsgründe verknüpfen? Kausalisten in der Handlungstheorie meinen, das D-N-Modell sei auch für Handlungen grundsätzlich anwendbar. Sie gehen davon aus, dass Handlungsgründe – Absichten, Wünsche, Überzeugungen einer Akteurin – Handlungen in derselben Weise kausal verursachen, wie der Funkenflug in der Nähe brennbarer Materialien deren Entzündung verursacht. Diese kausalistische Auffassung impliziert, dass Handlungsgründe als eine Form von Ereignissen betrachtet werden müssen, denn die Kausalrelation soll auf den Bereich der Ereignisse geschlossen sein. Folglich können Absichten, Wünsche und Überzeugungen nur als Handlungsursachen auftreten, wenn sie selbst Ereignisse sind. Handlungsgründe müssten daher alle für Ereignisse charakteristischen Eigenschaften aufweisen. Genau besehen, lässt sich die Kausalitätskonzeption, die sich im 20. Jahrhundert in der Handlungstheorie wiederfindet, an zwei Stellen hinterfragen. Zum einen könnte sich die Beschränkung auf Ereignisse als unnötig erweisen, zum anderen könnte die Forderung der Gesetzesartigkeit zu strikt sein. Mit Blick auf kausalistische Ansätze in der Handlungstheorie wäre dann zum einen herauszufinden, ob die Absichten, Wünsche oder Überzeugungen einer Person, durch die wir ihr Handeln erklären können, unbedingt als Ereignisse konzipiert werden müssen, damit die Handlungserklärung als Kausalerklärung gelten kann. Zum anderen wäre zu prüfen, ob wir eine Handlungserklärung nur dann als Kausalerklärung verstehen können, wenn ihr generelle Gesetze zugrunde liegen. Was genau trägt die Annahme der Nomologizität – der Gesetzesartigkeit der Verknüpfung zwischen Grund und Handlung – eigentlich dazu bei, dass wir eine Weil-Aussage als Handlungserklärung verstehen? In der Gründe-Ursachen-Debatte verkennen die Kontrahenten mitunter, dass sie über diese zwei unterschiedlichen Fragen streiten. So argumentieren Nicht-Kausalisten mitunter grundsätzlich gegen kausalistische Konzeptionen der Handlungserklärung, wo es genügen würde, sich gegen deren nomologische Versionen zu wenden. Umgekehrt mühen sich Kausalisten zu rechtfertigen, dass Handlungsgründe eine Art von Ereignissen darstellen, die alle charakteristischen Eigenschaften des traditionellen Ereigniskonzeptes erfüllen, wo es genügen würde zu zeigen, dass eine Form von Kausalität zwischen Gründen und Handlungen besteht, die gar nicht Ereigniskausalität zu sein braucht.

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Das Standardmodell der Handlungserklärung gründet sich auf die Ereignisannahme und das traditionelle Humesche Kausalitätskonzept in der Lesart des Logischen Empirismus. Es wird nach seinen Explanans-Konstituenten als Überzeugung-Wunsch-Modell (Ü-W-Modell) bezeichnet und stellt eine spezialisierte Fassung des D-N-Modells dar. Seine prominenteste Ausformulierung findet sich in Donald Davidsons Aufsatz Actions, Reasons, and Causes von 1963.35 Dieser viel diskutierte Aufsatz greift gleich zu Beginn das zentrale Problem der Gründe-Ursachen-Debatte auf: „What is the relation between a reason and an action when the reason explains the action by giving the agent’s reason for doing what he did?“36 Davidson zielt ausdrücklich auf eine Verteidigung der Annahme, dass Handlungserklärungen eine Form von Kausalerklärungen sind, verneint aber trotz dieser dezidiert kausalistischen Position die Nomologizität von Handlungserklärungen, zumindest in der Form des D-N-Modells. Das Ü-WModell in der Fassung von Davidson muss also nicht deduktiv-nomologisch interpretiert werden.37 Nach dem Ü-W-Modell werden Handlungen erklärt, indem man einen Wunsch der handelnden Person angibt, sowie ihre Überzeugung, dass die ausgeführte Handlung ein Mittel sei, diesen Wunsch zu erfüllen. Solch ein Paar aus Wunsch und Überzeugung nennt Davidson einen Primären Grund. Ein Primärer Grund erklärt eine Handlung im Sinne einer Rationalisierung, das heißt die Handlung wird für Dritte nachvollziehbar dargestellt, indem man zeigt, welcher Wunsch und welche Überzeugung sie für die Akteurin zweckmäßig, naheliegend oder einleuchtend erscheinen lassen könnten: R is a primary reason why an agent performed the action a under the description d only if R consists of a pro attitude of the agent towards actions with a certain prop38 erty, and a belief of the agent that a, under the description d, has that property.

Rationalisierbarkeit stellt nach Davidson eine hinreichende Bedingung dafür dar, das Verhalten einer Person in einer bestimmten Situation als ab_____________ 35 36 37 38

Davidson 2001 b. Davidson 2001 b, 3. Davidson selbst hat eine nomologische Lesart in späteren Erläuterungen explizit ausgeschlossen. Vgl. v. a. Davidson 2001 e; vgl. auch Malpas 1992, 69–73. Davidson 2001 b, 5 (Variablen angepasst).

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sichtliches Handeln anzusehen. Aus der Möglichkeit, das Verhalten einer Person durch eine Konstellation von Wunsch und Überzeugung zu rationalisieren, folgt also nicht, dass das Verhalten in einem gehaltvolleren Sinne vernünftig ist oder gar moralisch gerechtfertigt. Eine Rationalisierung besagt lediglich, dass das Verhalten für einen Beobachter nicht unwillkürlich, unbewusst, ungewollt oder unverfügbar erscheint.39 Der Ausdruck ‚Pro-Einstellung‘ deckt alle möglichen Arten von befürwortenden Einstellungen ab. Neben Wünschen im engeren Sinne nennt Davidson moralische Grundsätze, Vorurteile, Konventionen, Werte und Ziele. In ebenso weiter Bedeutung verwende ich im Folgenden ‚Wunsch‘. Dagegen bezeichnet ‚Überzeugung‘ eine kognitive Einstellung, die sowohl Wissen als auch Wahrnehmung, Erkenntnis oder Erinnerung umfassen kann.40 Steht ‚A‘ für eine beliebige Akteurin, stellt sich das Ü-W-Modell schematisch folgendermaßen dar: Ü-W

1 2 3

A glaubt, dass die Handlung a unter der Beschreibung ‚d‘ die Eigenschaft P hat A hat eine Pro-Einstellung gegenüber Handlungen mit der Eigenschaft P A führt a aus

Dass Adele auf den Lichtschalter drückt (3), ist beispielsweise rationalisiert, wenn man annehmen kann, dass Adele den Wunsch hat, das Licht anzuschalten (2), und dass sie glaubt, durch das Drücken des Lichtschalters werde dies gelingen (1). – Besonders aussagekräftig ist eine solche Rationalisierung nicht. Ü-W-Erklärungen dienen weniger dazu, spezifische Zwecke und Pläne der Akteure auszuloten, als vielmehr dazu, ihr Verhalten überhaupt erst einmal als absichtliches Handeln auszuweisen. Die Frage nach weiterführenden, situationsabhängigen Zwecken und Plänen wird durch eine Ü-W-Erklärung lediglich als sinnvoll erwiesen, sie wird noch nicht beantwortet. Das Ü-W-Modell enthält im Gegensatz zum allgemeinen Schema deduktiv-nomologischer Erklärungen ausschließlich singuläre Sätze als Prämissen, nämlich die Beschreibung eines Wunsches und einer Überzeugung _____________ 39 40

Vgl. Davidson 2001 b, 4 und 6; vgl. auch Stoecker 2002, 10 f. Vgl. Davidson 2001 b, 3 f.

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der Akteurin. Wie aber kann der Explanandum-Satz logisch aus dem Explanans einer Ü-W-Erklärung folgen, wenn dieses keine einzige generelle Prämisse enthält? Wie lässt sich ohne generelle Kausalgesetze behaupten, dass eine Handlungserklärung eine Kausalrelation repräsentiert und nicht lediglich eine zufällige oder beliebige Konstellation von Wünschen und Überzeugungen einer Person und ihrem Verhalten? ‚Gesetze des Handelns‘ oder, in Davidsons Terminologie, psycho-physische Gesetze würden gewährleisten, dass sich Primäre Gründe nicht beliebig zu allen möglichen Beschreibungen der Form ‚A a-t‘ konstruieren lassen. Allerdings nennt kein einziger Autor, der eine kausalistische Konzeption von Handlungserklärungen befürwortet, ein Kausalgesetz, unter das sich einzelne Handlungsausführungen subsumieren ließen. Alvin Goldman erklärt: I want to say first that, to my knowledge, no precise, predictively adequate law is known that correlates wants and beliefs with the performance of acts. I think that there are commonsense generalizations which can be formulated and which can sometimes be used for predictive purposes. But nothing has been formulated that 41 compares favourably with certain laws in the physical sciences.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Goldman meint jedoch, dass wir uns bei Handlungserklärungen im Alltag auf Commonsense-Generalisierungen berufen können. Auch wenn es zum Beispiel kein striktes Gesetz gibt, wonach alle Personen, die den Wunsch haben, das Licht anzuschalten, und wissen, dass sie dazu auf den Lichtschalter drücken müssen, dann tatsächlich auf den Lichtschalter drücken, zeige solide Alltagserfahrung, dass hier eine regelmäßige Verknüpfung zwischen Wunsch, Überzeugung und Handlung besteht. Auch wenn wir bislang keine strikten Handlungsgesetze kennen, ist Goldman zuversichtlich, dass sich Commonsense-Auffassungen, die wir vorläufig als Platzhalter für strikte Gesetze benutzen, mit dem Fortschritt der Neurowissenschaften zu strikten Gesetzen präzisieren lassen werden.42 Grundsätzlich hält Goldman es also für möglich, einzelne Hand_____________ 41 42

Goldman 1970, 72. Vgl. Goldman 1970, 163. Paul Churchland hat eine Formulierung eines solchen Gesetzes vorgeschlagen, die eingehenden kritischen Untersuchungen allerdings nicht standhielt. Vgl. Churchland 1970; für Kritik vgl. z. B. Lanz 1987, Kap. 3.

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lungsausführungen unter generelle Gesetze zu subsumieren, und betrachtet Handlungsbegründungen als deduktiv-nomologische Erklärungen. Wie Goldman hält auch Davidson am nomologischen Charakter von Kausalerklärungen fest, allerdings auf etwas kompliziertere Weise. In Mental Events erklärt er: „[W]here there is causality, there must be a law: events related as cause and effect fall under strict deterministic laws.“43 In zunächst verwirrendem Widerspruch zu seiner eigenen Position schließt Davidson aber aus, dass jemals strikte Handlungsgesetze formuliert werden, so erfolgreich die Neurowissenschaften sich auch entwickeln mögen.44 Denn solche Gesetze müssten Kausalrelationen zwischen mentalen Ereignissen, nämlich den Überzeugungen und Wünschen von Personen, und physischen Ereignissen, ihrem körperlichen Verhalten, beschreiben. Um Handlungen durch Primäre Gründe zu erklären, müsste jede Ü-W-Erklärung ein psycho-physisches Gesetz etwa der Form ‚Alle Akteure mit der Überzeugung b und dem Wunsch d führen die Handlung a aus‘ enthalten sowie singuläre Sätze über b und d, die das Antezedens dieses psychophysischen Gesetzes instantiieren. Dies, erklärt Davidson, sei unmöglich. Primäre Gründe enthalten zwangsläufig intentionale Begriffe wie Wünschen, Wollen, Meinen, Glauben. Solche Begriffe erzwingen ein intentionales Objekt: Jeder Wunsch ist ein Wunsch nach etwas, jede Überzeugung eine Überzeugung von etwas. Eine Aussage wie ‚Adele hat einen Wunsch, aber es gibt nichts, das sie wünscht‘ ist sinnlos. Intentionale Objekte sind jedoch keine Ereignisse; sie sind der sprachlich artikulierbare Gehalt mentaler oder emotionaler Einstellungen. Wenn man wie Davidson den traditionellen Kausalitätsbegriff teilt, bestehen kausale Verhältnisse aber einzig zwischen Ereignissen. Danach sind Kausalgesetze Bestandteile physikalischer Theorien, sie verknüpfen physikalisch beschreibbare, also physische Ereignisse. Psychophysische Gesetze müssten dagegen kausale Verknüpfungen zwischen mentalen und physischen Ereignissen erfassen. Solche Verknüpfungen können nach Maßgabe der Physik gar nicht eintreten, weil es nach dieser Maßgabe keine nicht-physischen Ereignisse gibt. Kausalgesetze, die men_____________ 43 44

Davidson 2001 e, 208. Vgl. Davidson 2001 e.

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tale und physische Ereignisse – Handlungsgründe und Handlungen – verknüpfen, sind damit ausgeschlossen.45 Dass Davidson von mentalen und physischen Ereignissen spricht, ist etwas irreführend, weil dies eine ontologische Unterscheidung zwischen zwei Arten von Ereignissen suggeriert. Doch Davidson akzeptiert ausschließlich physische Ereignisse, er lässt also nur eine einzige Art von Eeignissen zu. Seine Unterscheidung betrifft daher eigentlich Arten von Ereignisbeschreibungen. Davidson meint, es gibt einerseits physikalische Beschreibungen, andererseits mentalistische oder, etwas allgemeiner, psychologische Beschreibungen für Ereignisse, die ontologisch betrachtet allemal physisch sind. Während es für jedes Ereignis eine physikalische Beschreibung gebe, seien aber nur manche Ereignisse mentalistisch, als mentale Ereignisse beschreibbar. Wie Davidson verwende ich im Folgenden den Ausdruck ‚mentale Ereignisse‘ vereinfachend für ‚Ereignisse unter einer mentalistischen Beschreibung‘ und ,physische Ereignisse‘ als Abkürzung für ‚Ereignisse unter einer physikalischen Beschreibung‘. Nun behauptet Davidson zwar, dass Wünsche und Überzeugungen nie strikte Kausalgesetze instantiieren, weil Kausalgesetze immer physikalische Gesetze sind und keine mentalistischen Begriffe wie ‚Wunsch‘ oder ‚Überzeugung‘ enthalten können. Kausalgesetze, die Wünsche und Überzeugungen mit Handlungen verknüpfen, sind daher nicht formulierbar – so lautet verkürzt Davidsons These vom Anomalismus des Mentalen. Zugleich hält er an der Auffassung fest, dass Wünsche und Überzeugungen das Explanans kausaler Handlungserklärungen bilden, in denen die Ursachenereignisse von Handlungen unter einer mentalistischen Beschreibung auftreten, nicht nur unter physikalischen. Instantiierungen des Ü-WModells stellen insofern Kausalerklärungen dar, als es eine extensional gleiche physikalische Beschreibung des Wunsches und der Überzeugung gibt, die im Explanans auftreten, sowie physikalische Kausalgesetze, die durch diese physikalischen Beschreibungen instantiiert werden.46 _____________ 45 46

Vgl. Davidson 2001 e, 214; vgl. dazu auch Moya 1990, 7 f. Zum Anomalismus des Mentalen vgl. neben Davidson 2001 e auch Davidson 1993 b. Die Sekundärliteratur zu diesem Thema ist unüberschaubar; für Erläuterung, Diskussion und verschiedene Interpretationen von Mental Events vgl. z. B. Honderich 1982; Le Pore und McLaughlin (Hg.) 1985, Teil III; Lanz 1987, Kap. 4–

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1.6 Neuer Dualismus Die Unterscheidung zwischen physikalischen und mentalistischen bzw. psychologischen Beschreibungen tritt in der handlungstheoretischen Auseinandersetzung um Gründe und Ursachen nicht nur auf kausalistischer Seite auf. Manche Nicht-Kausalisten befürworten diese Disjunktion ebenfalls, allerdings um sie gegen die Kausalisten zu wenden. Diesen unterlaufe eine terminologische Verwechslung, wenn sie Gründe als Kausalursachen von Handlungen darstellen. Gerade weil es zwei verschiedene Weisen gibt, über menschliches Verhalten zu sprechen, sollte man konsequent zwischen kausalen Erklärungen von Körperbewegungen und nicht-kausalen Handlungsbegründungen differenzieren. A. I. Melden, ein Vertreter dieser Ansicht, erklärt: Where we are concerned with causal explanations, with events of which the happenings in question are effects in accordance with some law of causality, to that extent we are not concerned with human actions at all but, at best, with bodily movements or happenings; and where we are concerned with explanations of human action, there causal factors and causal laws in the sense in which, for example, these terms are employed in the biological sciences are wholly irrelevant to the un47 derstanding we seek.

Melden meint, dass kausale Handlungserklärungen Ursachenereignisse benennen, Handlungsbegründungen hingegen Gründe. Handlungsbegründungen erzählen deswegen keine Kausalgeschichte.48 Aus dieser Differenzierung spricht die Annahme einer Differenzierung von Sprachen oder Sprachsystemen, die Charles Landesman als Neuen Dualismus bezeichnet, der an die Stelle des cartesianischen Dualismus tritt.49 Der Neue Dualismus ist auf der einen Seite durch die Ablehnung ontologischer Dualismen, wie ihn Descartes formuliert hat, charakterisiert, auf der anderen durch die Distanzierung vom Physikalismus, wie er Davidsons Argumentation gegen _____________ 47 48 49

5; Heil und Mele (Hg.) 1993, Teil I; Bieri 1993; Hahn (Hg.) 1999, Teil II E; Keil 2000, 115–117; Stoecker 2003 b. Melden 1961, 184. Vgl. Melden 1961, 87–90. Landesman 1965.

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psycho-physische Kausalgesetze zugrunde liegt. Die Vertreter des Neuen Dualismus halten manche Annahmen eines ontologischen Dualismus über nicht-physische Ereignisse oder Zustände für unplausibel. Im Physikalismus hingegen sehen sie unvertretbare reduktionistische Tendenzen, denen gerade solche Ausdrücke zum Opfer fallen, die ihnen unerlässlich erscheinen, um menschliches Handeln begrifflich zu erfassen. Physikalistischreduktionistische Programme treten oft mit dem Anspruch auf, Handlungen und Handlungsgründe gänzlich in physiologischen Begriffen zu beschreiben, so dass die mentalistische Rede von Absichten, Wünschen, Überzeugungen bei der Bestimmung des Handlungsbegriffes verzichtbar wird. Eine Unterscheidung zwischen Gründen und Ursachen oder zwischen Begründung und Kausalerklärung wäre damit hinfällig; der erstgenannte Begriff wäre jeweils auf den zweitgenannten reduzierbar. Vertretern des Neuen Dualismus, zu denen neben A. I. Melden auch R. S. Peters, D. W. Hamlyn und, mit Einschränkungen, Charles Taylor zählen, geht es nicht in erster Linie darum, physikalistische Handlungskonzeptionen als verfehlt zu erweisen.50 Indem sie sprachliche Ausdrücke auf einen physikalistischen und einen mentalistisch-psychologischen Sprachbereich aufteilen, unterbreiten sie eher einen Vorschlag zur Vereinbarkeit von Physik und Psychologie. Sie versuchen, beide als gleichermaßen bedeutungsvolle Sprachsysteme bestehen zu lassen, weil nach ihrer Auffassung durch die Ausdrücke beider Bereiche wahre Aussagen über die Welt möglich sind. Man müsse jedoch darauf achten, sich jeweils nur der Ausdrücke eines Bereiches zu bedienen. Sätze oder Theorien, die Ausdrücke beider Bereiche vermengen, wären unsinnig oder zumindest nicht ohne Weiteres überprüfbar. In der Handlungstheorie wurde der Neue Dualismus vor allem vertreten, um die Eigenständigkeit und Unverzichtbarkeit von Ausdrücken wie ‚Wunsch‘, ‚Absicht‘ oder ‚Grund‘ gegenüber kausalistischen Konzeptionen zu verteidigen, mit denen häufig reduktionistische Tendenzen einhergingen.51 _____________ 50 51

Vgl. Peters 1958; Hamlyn 1953 und 1968; Taylor 1981. Vgl. Beckermann 1985, 22 f. Die Idee des Sprachendualismus hat außer in der Philosophie des Geistes auch in den Sozialwissenschaften Anhänger gefunden. Heftige Diskussionen entfachte Peter Winch mit The Idea of Social Science and its Relation to Philosophy (1958), worin er methodologische Schlussfolgerungen aus der Zwei-Sprachen-These darlegt. Wenn es den Sozialwissenschaften um die Erklä-

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Von den folgenden Begriffspaaren wird jeweils der erste Ausdruck in die mentalistische Sprache eingeordnet, der zweite in die physikalistische: Regel – Gesetz, Grund / Motiv – Ursache, Handlung – Bewegung, verstehen – (kausal) erklären.52 Aufschlussreich ist, dass der für die Handlungstheorie zentrale Ausdruck ‚Verhalten‘ [behaviour] manchmal als physikalistisches Pendant zu ‚Handlung‘ [action] auftritt, manchmal als mentalistisch-psychologisches Pendant zu ‚Bewegung‘ [movement], gelegentlich auch als Überbegriff zu beiden. Ähnlich wechselt ‚Ereignis‘ [event] seine Zugehörigkeit und tritt entweder als physikalistischer Gegenpart zu ‚Handlung‘ auf oder als Überbegriff für die Dichotomien Handlung – Bewegung bzw. Geschehnis – Verhalten. Ungeachtet dieser Uneindeutigkeit sind Neue Dualisten der Meinung, dass es auf manche wissenschaftliche Fragen nur eine physikalische Antwort geben kann, auf andere nur eine psychologische. „The reason for this is simple“, erklärt Melden, namely, the radically different logical characteristics of the two bodies of discourse we employ in these distinct cases – the different concepts which are applicable to 53 these different orders of inquiry.

Die Zwei-Sprachen-These wird vor allem mit Verweis auf Wittgensteins Metapher des Sprachspiels zu stützen versucht. Für den Bereich der Handlungstheorie ließe sich zum Beispiel ein Bewegungssprachspiel von einem Handlungssprachspiel unterscheiden oder ein Ursachensprachspiel von einem Gründesprachspiel. Entscheidender als die Bezeichnungen ist das Verhältnis beider Bereiche zueinander sowie die Konsequenzen der Sprachendisjunktion für das Ver_____________

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rung menschlichen Handelns gehe, so müssten sie sich um die Erforschung der Regeln von Handlungsgemeinschaften bemühen. Denn soziale Regeln, nicht Naturgesetze seien entscheidend für die Identifikation von Handlungen: Handeln bestehe im Regelfolgen und unterscheide sich gerade hierin von Naturereignissen, die sich in empirischen Gesetzen erfassen lassen. Mit der Bestimmung menschlichen Handelns als Regelfolgen macht sich Winch einen weiteren Gedanken Wittgensteins zu eigen und führt ihn fort, wenn er das Verstehen von Handlungen und Regeln als primäre Aufgabe der Sozialwissenschaften sieht, nicht die Erklärung von Handlungen durch Gesetzmäßigkeiten. Vgl. Winch 1966, v. a. Kap. 2–3. Vgl. Landesman 1965, 330. Melden 1961, 1984.

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KAPITEL 1

ständnis des Handlungsbegriffes.54 Mit diesen Konsequenzen befasst sich Friedrich Waismann als einer der ersten Verfechter der Zwei-SprachenThese. In Language Strata (1959) erklärt er, dass für die Ausdrücke einer Sprache je nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachschicht unterschiedliche Wahrheits- und Bedeutungskriterien gelten.55 Wenn wir beispielsweise nach den Ursachen einer Körperbewegung fragen, bewegen wir uns innerhalb der Ereignissprachschicht, in der all jene Ausdrücke einen guten Sinn haben, die physikalische Eigenschaften des Verhaltens beschreiben. Fragen wir nach den Gründen einer Handlung, so muss die Antwort aus derselben Sprachschicht stammen wie die Ausdrücke ‚Grund‘ und ‚Handlung‘, die in der Frage selbst vorkommen. Deshalb wäre eine physikalische bzw. physiologische Beschreibung der Nerven- und Muskelprozesse, die sich bei der Akteurin abspielen, eine unangemessene oder sogar sinnlose Antwort. Fragen nach den Gründen einer Handlung gehörten einer anderen Sprachschicht an als Fragen nach den Ursachen einer Körperbewegung und könnten daher nicht durch dieselben Fakten beantwortet werden. Entweder sehen wir jemandes Verhalten als Bewegungsablauf mit physiologischen Ursachen oder als absichtliches Handeln, das Zwecken und Motiven folgt.56 Man kann ein und dasselbe Geschehnis also entweder im Ereignissprachspiel oder im Handlungssprachspiel beschreiben, man kann es je nach Beschreibung entweder in den Begriffen des einen oder in denen des anderen Sprachspiels erklären. Wohlgemerkt: Mit der sprachinternen Unterscheidung von Sprachschichten behaupten Waismann und die _____________ 54

55

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Ansgar Beckermann erwähnt daneben Spinoza und Kant als Vorläufer der ZweiSprachen-These, nennt Wittgenstein aber als bedeutendsten Bezugspunkt des Neuen Dualismus. Vgl. Beckermann 1985, 23. Jürgen Habermas unterscheidet die Ding-Ereignis-Sprache von einer „intentionalen Sprache, die neben Ausdrücken für Dinge und Ereignisse auch solche für Personen und Äußerungen zulässt“ (Habermas 1971, 207). Offensichtlich hält er die beiden Sprachen nicht für komplementäre Unterbereiche einer umfassenden Alltagssprache, sondern die Ding-EreignisSprache für einen Unterbereich der intentionalen Sprache, die auch über Dinge und Ereignisse zu sprechen erlaubt. Gordon Baker weist darauf hin, dass Waismann das Konzept der Sprachschichten mit hoher Wahrscheinlichkeit von Wittgenstein übernommen hat. Vgl. Baker 1977, 164. Bereits Moritz Schlicks Allgemeine Erkenntnislehre enthält Überlegungen in dieser Richtung. Vgl. Schlick 1925 [1918], Kap. 32 c. Vgl. Waismann 1959, 18–22.

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späteren Neuen Dualisten keine ontologische Distinktion von Entitäten. Sie unterscheiden allein auf der Ebene der Beschreibung von Entitäten. Beide Sprachsysteme gelten jedoch als vollständig; jedes System erlaubt, mit den ihm eigenen sprachlichen Mitteln die ganze Wirklichkeit zu erfassen. Angesichts dessen würde man vermuten, dass zwischen physikalistischen und psychologischen Beschreibungen eine Äquivalenzrelation besteht, so dass Aussagen beider Sprachspiele wechselseitig übersetzbar sind. Genau dies wird von Neuen Dualisten allerdings bestritten – Landesman spricht von „kontextueller Unvereinbarkeit“57: Ist eine physikalistische Beschreibung wahr, dann gibt es auch eine wahre psychologische Beschreibung desselben Phänomens. Doch die Beschreibungen können nicht wechselseitig übersetzt oder aufeinander reduziert werden, weil sie zwar dieselben Deskripta haben, aber nicht dieselbe Bedeutung. Man sagt also nicht dasselbe über ein Geschehnis, wenn man es einmal als Körperbewegung, einmal als absichtliches Handeln beschreibt. Obwohl beide Sprachschichten hinreichend viele und genaue Begriffe für die Beschreibung und Erklärung des Geschehnisses enthalten, sind die jeweiligen Beschreibungen semantisch nicht äquivalent. Die Behauptung der Unübersetzbarkeit bleibt bei den Neuen Dualisten meist unbegründet. Dass sie dennoch mehr als ihre Hilflosigkeit angesichts der langwierigen und teils festgefahrenen Gründe-Ursachen-Debatte artikulieren, wird sich am Ende dieser Arbeit erläutern lassen. Ich komme dort auf den Neuen Dualismus und die Unübersetzbarkeitsthese zurück. [↓6]

1.7 Zu den folgenden Kapiteln Die Vorstellung, dass Handlungen Ereignisse sind, lässt sich nach meiner Auffassung durchaus verteidigen, allerdings mit der Einschränkung, dass ‚Ereignis‘ dabei als Begriff der Alltagssprache auftritt, nicht als Terminus einer (mutmaßlich) physikalischen Theorie. Denn einige Bedingungen des physikalischen Ereignisbegriffes sind im Alltagsverständnis von Handlungen eigentlich nicht impliziert, alltagssprachliche Handlungsbegründungen werden eigentlich nicht als verkappte physikalische Erklärungen verstan_____________ 57

Landesman 1965, 330. Vgl. auch Taylor 1971, 10 f.

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KAPITEL 1

den. Daraus folgt nicht, dass wir zwischen Handlungen und Handlungsgründen keine Kausalverknüpfung annehmen, nur liegt auch hier ein Alltagsverständnis von Kausalität zugrunde, das einem physikalischen Kausalitätsbegriff nicht unbedingt entspricht. So schließt das Alltagsverständnis von Kausalität nicht ein, dass Handlungen und Gründe (verschiedene) Arten von Ereignissen sind und generelle Kausalgesetze instantiieren. Eine philosophische Konzeption des menschlichen Handelns, zumal wenn sie eine unorthodoxe Lesart von Handlungsbeschreibungen und -begründungen vorschlägt, kann sich nicht auf Alltagsverständnisse allein berufen. Deshalb lege ich im zweiten Kapitel Jonathan Bennetts Bestimmung für die Begriffe ‚Ereignis‘ und ‚Kausalität‘ dar. Obwohl Bennett sein Ereigniskonzept nicht eigens zu dem Zweck entwickelt, handlungstheoretische Grundfragen zu klären, lässt es sich hierfür vortrefflich anwenden. Bennetts Ansatz hilft, manche Streitfrage klarer zu fassen, die mit der traditionellen physikalistischen Auffassung von ‚Ereignis‘ und ‚Kausalität‘ einhergeht, und lässt manches Problem, das dabei entsteht, schlicht verschwinden. Ich stütze mich vorrangig auf Bennetts Unterscheidung zwischen Fakten und Ereignissen, denn sie erlaubt zum einen, auf die Ereignisannahme für Handlungen und Handlungsgründe zu verzichten, zum anderen kann man an der intuitiven Annahme einer Kausalrelation zwischen Handlungen und Handlungsgründen festhalten, weil sich die Möglichkeit ergibt, zwischen Ereigniskausalität und Faktenkausalität zu unterscheiden. Wenn man ‚weil‘ als Bindeglied zwischen kausal verbundenen Fakten, nicht Ereignissen, versteht, kann man Handlungserklärungen als Kausalerklärungen lesen, ohne sämtliche problematische Implikationen der Ereigniskausalität aufzurufen. [↓2] Im dritten Kapitel beginne ich meine Auseinandersetzung mit den Konzeptionen der frühen Analytischen Handlungstheorie. Weil Anscombe, Hart und Melden ihre Ansätze als Alternativen zum reduktionistisch-empiristischen Mainstream entwickelten, müssen sie sich in erster Linie gegenüber kausalistischen Konzeptionen behaupten, den handlungstheoretischen Konkretisierungen des reduktionistisch-empiristischen Ideals. Ihre ersten Angriffspunkte sind daher die Ereignisannahme für Handlungen und Handlungsgründe sowie die Annahme, zwischen diesen und jenen bestehe Ereigniskausalität. Von der Ablehnung kausalistischer Konzeptionen abge-

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sehen, unterscheiden sich die Alternativansätze von Hart, Anscombe und Melden in vielerlei Hinsicht. Deshalb nenne ich sie – etwas behäbig, aber implikationsarm – ‚nicht-kausalistische Ansätze‘, ihre Vertreter ‚NichtKausalisten‘. Die gelegentlich besonders in englischsprachigen Texten auftretende Rede von Anti-Kausalisten erweckt m. E. zu sehr den Eindruck, dass sie sich einzig durch die Opposition zum Kausalismus charakterisieren ließen und dass ihnen Eigenständigkeit und Originalität abginge.58 Die erste Alternative zum Kausalismus bietet H. L. A. Hart mit seinem Aufsatz The Ascription of Responsibility and Rights.59 In diesem Aufsatz wird eine wichtige Konsequenz untersucht, die sich aus der Ablehnung der Ereignisannahme ergibt: Wenn Handlungen nicht einfach Ereignisse mit _____________ 58

59

Von Anti-Kausalismus zu sprechen wäre zudem insofern einseitig, als nichtkausalistische Handlungskonzeptionen sich nicht darauf verpflichten, Kausalrelationen, -gesetze und -erklärungen für menschliches Handeln grundsätzlich zu bestreiten. Die nicht-kausalistische Idee ist, dass Handlungsgründe, Absichten, Wünsche, Überzeugungen usw. nicht in Kausalgesetzen und -erklärungen nach physikalischem Vorbild auftreten können. Das schließt weder aus, dass Handlungen durch etwas anderes als Gründe kausal verursacht werden, noch dass zwischen Gründen und Handlungen eine andere Art von Kausalität besteht, als die Physik sie beschreibt. Oft werden nicht-kausalistische Ansätze als ‚mentalistisch‘ oder ‚intentionalistisch‘ bezeichnet, wobei die Bezeichnungen teils austauschbar verwendet werden, teils mit verschiedener Bedeutung. Grob ist die Tendenz erkennbar, eine Position ‚mentalistisch‘ zu nennen, wenn sie die Unverzichtbarkeit von Begriffen behauptet, die nicht allein durch Beobachtung der Eigenschaften materieller Objekte als zutreffend erweisbar sind. ‚Mentalismus‘ ist somit eine allgemeine Gegenposition zum materialistischen Reduktionismus, wohingegen ‚Intentionalismus‘ eher eine spezifisch handlungstheoretische Fassung dieser Gegenposition kennzeichnet. Hier steht die intentionalistische These, der Handlungsbegriff könne unmöglich ohne Rekurs auf Intentionen – Motive und Absichten – expliziert werden, der Auffassung entgegen, dass Handlungen auch in physikalischen Begriffen beschreibbar und dann unter physikalische Gesetze subsumierbar sind, wie es der Behaviorismus behauptet. Mir erscheint weder diese noch jene Bezeichnung ganz treffend. Mit ‚Intentionalismus‘ wird nicht berücksichtigt, dass manche nichtkausalistischen Konzeptionen den Handlungsbegriff nicht über die Eigenschaft der Intentionalität bestimmen, etwa H. L. A. Harts Askriptivismus. ‚Mentalismus‘ übergeht dagegen, dass nicht-kausalistische Ansätze mitunter einen ganz anderen als den traditionellen Begriff von Mentalität haben, wonach Mentalität ein intrapersonaler, introspektabiler Bereich der Wirklichkeit sein soll. H. L. A. Hart 1948 / 49: The Ascription of Responsibility and Rights. Proceedings of the Aristotelian Society 49, 171–194. Im Folgenden unter dem Kurztitel The Ascription.

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KAPITEL 1

spezifischen Kausalursachen sind, was bedeutet es dann, von einer Person zu sagen, dass sie handelt? Hart versucht, die Bedeutung solcher Aussagen zu klären, indem er ihre Funktion für das Zusammenleben von Menschen hinterfragt. [↓3] H. L. A. Hart wird, obwohl in der Rechtsphilosophie ein Klassiker, in der Handlungstheorie beinahe gar nicht mehr wahrgenommen. Das mag an einer Reihe von Missverständnissen und nicht ganz gerechtfertigten Kritiken liegen, denen The Ascription ausgesetzt war. Dahinter geriet Harts durchaus origineller Kerngedanke aus dem Blick: Bei Hart findet sich wie später bei Anscombe und Melden die Idee, dass die Bestimmung des Handlungsbegriffes eine umfassende Konzeption menschlicher Mentalität und deshalb eine Bestimmung von Begriffen wie ‚Akteur‘ oder ‚Person‘ erfordert. Es ist ein Kerngedanke von Harts früher Zuschreibungskonzeption, dass der eigentliche Gegenstand einer philosophischen Handlungstheorie weniger einzelne Handlungsvollzüge als vielmehr Akteure sind – und zwar im Plural. Die alltäglichen Umgangsformen von Akteuren miteinander, die Art und Weise, wie sie sich auf das Tun und Lassen anderer Akteure beziehen, bilden nach Harts Vorstellung den Schlüssel zur Unterscheidung zwischen Handeln und anderem Verhalten. Dieselbe Erkenntnis durchzieht Elizabeth Anscombes Monografie Intention.60 Schon der Titel lässt erkennen, dass sie den Begriff des Handelns über das Moment der Absichtlichkeit bestimmt. Auch Anscombe hält ein kausalistisches Verständnis von Handlungen und Handlungsgründen für abwegig, zumindest falls damit eine Relation zwischen verschiedenen Ereignissen behauptet wird. Ihrer Auffassung nach beschreiben wir keine physikalische Relation, wenn wir von einer Person sagen, dass sie dies oder jenes mit Absicht tut. Vielmehr artikulieren wir, welchen Sinn das körperliche Verhalten dieser Person für uns ergibt. Welchen Sinn ein Verhalten ergibt, hängt vor allem von der betreffenden Akteurin ab, von ihren individuellen Gründen, Absichten und Wünschen. Diese Mentalia finden sich aber nicht in einem verborgenen Bereich, zu dem nur Privilegierte Zugang haben. Anscombe betont, dass wir sehr oft Gewissheit über Gründe, Absichten und Wünsche anderer Personen haben, ohne über spezielle Introspektionsverfahren zu verfügen. Wenn wir im Alltag mit dem Verhalten _____________ 60

Elizabeth Anscombe 1963 [1957]: Intention. 2. Aufl., Oxford: Blackwell.

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anderer konfrontiert sind, nehmen wir nicht erst ihre Körperbewegungen wahr, um dann nach entsprechenden Gründen zu forschen und gegebenenfalls darauf zu schließen, dass diese Körperbewegungen eine Handlung mit der und der Absicht konstituieren. Handlungen und Handlungsgründe lassen sich zwar analytisch trennen, aber die Erkenntnis des einen geht mit der Erkenntnis des anderen in sehr vielen Fällen einher. In sehr vielen Fällen verstehen wir unmittelbar, welche Handlung jemand mit welcher Absicht und aus welchen Gründen ausführt. Intention ebenso wie die moralphilosophischen Aufsätze von Elizabeth Anscombe werden seit einigen Jahren wieder häufig diskutiert. Die Literatur insbesondere zum Konzept des praktischen Wissens, das in Intention eine wichtige Rolle spielt, hat sich in der jüngeren Vergangenheit sichtbar vermehrt.61 Anders als die meisten dieser Analysen befasse ich mich nicht vordergründig mit dem praktischen Wissen von Akteuren, sondern mit ihrer körperlichen Existenz. Nach meiner Lesart dienen Körperbewegungen nicht nur als Mittel zur Realisierung mentaler Gründe, sie dienen vor allem dem Verstehen von Handlungen aus der Dritte-Person-Perspektive. Aus Intention lässt sich entnehmen, dass Anscombe das Additionsmodell von Handlungen – Handlungen als Summe aus farblosen Körperbewegungen plus mentalem Ereignis – ablehnt. Ich werde herausarbeiten, dass Anscombe diesem Modell ein integriertes Verständnis entgegensetzt, wonach Handlungen in Körperbewegungen bestehen, die unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte Bedeutung auch für andere Personen haben, nicht nur für die Akteure selbst. Die Semantik körperlichen Verhaltens, von der oben die Rede war, umfasst eben diese Bedingungen und stellt sicher, dass Körperbewegungen nicht beliebig als diese oder jene Handlung aufgefasst werden können. Es gibt, mit anderen Worten, eine systematische Verknüpfung zwischen Körperbewegungen und ihrer Handlungsgeltung. Diese Bedeutung körperlichen Verhaltens kann in Zuschreibungen explizit ge_____________ 61

Seit 2006 sind drei Sammelbände mit Aufsätzen von Anscombe erschienen (Anscombe 2006, 2008 a, 2011) sowie zwei Sammelbände mit neueren Aufsätzen speziell zu Intention (Teichmann [Hg.] 2000; Ford u. a. 2011). Daneben wurden vor allem in den letzten zehn Jahren – etwa seit dem Tod Elizabeth Anscombes im Jahr 2001 – zahlreiche Monografien und Artikel publiziert, z. B. Alvarez 2001, Alvarez und Ridley 2007, Grunbaum 2009, Teichmann 2008, Newstead 2009, Thompson 2008 und 2011, Vogler 2001, um eine sehr kleine Auswahl anzuführen.

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KAPITEL 1

macht werden. Zuschreibungen verleihen einem Verhalten also keine Bedeutung, die es ohne Zuschreibung nicht hätte, sie bringen vielmehr eine semantisch bedingte Bedeutung auf Begriffe und machen sie dadurch diskursiv zugänglich, etwa für Aufforderungen und Argumentationen. [↓4] Obwohl sich die gegenwärtige Handlungstheorie der von Wittgenstein angestoßenen Richtung wieder intensiver zuzuwenden scheint, steht A. I. Melden weiterhin im Schatten seiner prominenten Zeitgenossen Anthony Kenny, Norman Malcolm, Peter Winch oder eben Elizabeth Anscombe. Ich befasse mich zunächst mit einem seiner ersten Beiträge zur Handlungstheorie, dem Aufsatz Action von 1956. Darin vertritt Melden ein damals verbreitetes Modell des menschlichen Handelns und charakterisiert Handeln als regelgeleitetes Verhalten. Die Idee, dass Handeln ähnlich einem Schachzug in der Befolgung von Regeln besteht, wurde mittlerweile hinlänglich kritisiert. Ich nehme Meldens frühen Entwurf dennoch auf, um zu zeigen, welche entscheidenden Weiterentwicklungen er mit der späteren Monografie Free Action (1961) vornimmt. Ich verstehe Meldens erweiterte Konzeption zugleich als systematische Fortführung meiner Interpretation von Anscombes Intention. Während Anscombe ihre Analysen auf ein Zwei-Personen-Szenario aus Akteur und Beobachter beschränkt, stellt Melden dieses Paar in einen praktischen Kontext, der nicht nur weitere Personen umfasst, sondern auch eine Vielzahl an Objekten und anderen handlungsrelevanten Umständen. Wie Anscombe geht Melden in Free Action von der Alltagsbeobachtung aus, dass wir bei der Begegnung mit anderen Akteuren tatsächlich unmittelbar Handlungen sehen, nicht nur farblose Körperbewegungen. Wie Anscombe fragt Melden, wie dieses Sehen möglich ist, und stimmt, ohne sich auf Anscombe zu beziehen, zu weiten Teilen mit ihr überein. Allerdings meint Melden, dass für eine Handlungszuschreibung nicht nur das physische Verhalten einer Akteurin relevant ist, sondern auch Ort, Zeit und äußere Umgebung sowie die Normen und Regeln ihrer Gemeinschaft. Praktische Kontexte bieten nach Melden das Kriterium für die Unterscheidung zwischen Handlungen und anderem Geschehen. Er betont aber, dass wir lernen und trainieren müssen, die Bedeutung von körperlichem Verhalten in einem bestimmten praktischen Kontext zu verstehen. Um Handlungen unmittelbar sehen zu können, bedarf es der Gewöhnung und der Vertrautheit mit Gemeinschaften, mit ihren Praktiken, ihrer Moral, ihren Normen und Selbstverständlichkeiten. [↓5]

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Im letzten Kapitel führe ich die drei untersuchten Ansätze zusammen. Dabei stelle ich eine gemeinsame Grundlage dieser Zuschreibungskonzeptionen dar. Mit Hart beginnend, wird sie im Laufe der Darstellungen zu Anscombe und Melden immer deutlicher hervortreten. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Schwerpunkte und Vorgehensweisen lässt sich für Hart, Anscombe und Melden ein fundamentales Einverständnis ausmachen, das sich nicht in der Opposition zum Kausalismus erschöpft. Obschon in ihren Werken die Auseinandersetzung mit kausalistischen Ansätzen im Vordergrund steht, scheint mir das Interessanteste doch nicht zu sein, an welchen Stellen Kausalisten etwas falsch beobachtet oder inkorrekte Schlüsse gezogen haben. Das Interessanteste ist die Auffassung der Nicht-Kausalisten vom Sinn und Zweck der philosophischen Handlungstheorie, die ihrer kritischen Haltung zugrunde liegt und sie antreibt. Diese Auffassung besteht im Kern darin, dass eine Handlungstheorie etwas über Akteure sagen sollte und damit über unser Selbstverständnis als Wesen, deren Leben ebenso sehr durch eigenes Handeln und eigene Handlungsgründe geprägt ist wie durch Handeln und Gründe Dritter. Die handlungstheoretisch entscheidende Relation ist nicht (physikalische) Kausalität, es sind die sozialen Relationen von Akteuren untereinander sowie das epistemische Selbstverhältnis von Akteuren. Damit verlässt man den engen thematischen Rahmen, den sich die Analytische Handlungstheorie in den etwa sechzig Jahren seit ihrer Herausbildung gesetzt hat. Ein Schwerpunkt der Diskussion liegt bis heute auf ontologischen Fragen in Bezug auf Handlungen und Handlungsgründe. Der analytische Blick bleibt häufig auf einen einzelnen Akteur beschränkt. Dass gerade interpersonelle Verhältnisse Aufschluss über den Unterschied zwischen Handeln und anderem Verhalten geben könnten, ist eine wenig beachtete Erkenntnis der frühen Zuschreibungskonzeptionen. Es kommt hinzu, dass die gegenwärtige Handlungstheorie ihren eigenen Ursprung selten reflektiert. Selten macht man sich klar, dass die Beschäftigung mit dem menschlichen Handeln aus einem Zusammenstoß verschiedener Vorstellungen von Wissenschaft und Philosophie hervorging. Die kausalistische Strömung der gegenwärtigen Handlungstheorie trägt nach wie vor die Spuren dieser Auseinandersetzung. Sie zeigen sich in den Annahmen, die als selbstverständlich gelten, und in den Fragen, die als relevant erachtet werden, ebenso wie im Kanon der Autoren, die vorrangig rezipiert werden

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KAPITEL 1

– nicht ohne Grund heißt die Standardkonzeption der Handlungserklärung auch Humeanische Theorie. Im Schlusskapitel dieser Arbeit möchte ich deshalb darlegen, dass die philosophische Handlungstheorie gewinnt, wenn sie den Blick von den hergebrachten (Streit-)Fragen löst und sich erinnert, dass die Theorie des menschlichen Handelns ihre Wurzeln auch in der Philosophischen Psychologie hat. Eine Rückbesinnung auf deren weiten metaphysischen Horizont könnte die Handlungstheorie dazu führen, sich im umfassenden Sinn als Theorie von Akteuren, ihren Fähigkeiten und Relationen zu verstehen. Im Rahmen einer solchen Theorie hätten die traditionellen Fragen nach wie vor Platz, doch könnte man sich bei ihrer Beantwortung vielleicht ergiebigerer Quellen bedienen, als es im relativ engen Horizont kausalistischer Konzeptionen möglich ist. [↓6]

2 Begriffliches Werkzeug: Ereignis, Fakt, Kausalität

Die Bestimmung des Handlungsbegriffes erfolgt in der modernen Handlungstheorie meistens unter der Annahme, dass Handlungen Ereignisse sind. Wie dargelegt, wirft dies eine Reihe von Problemen auf, deren gravierendstes sicherlich die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Kausalrelation zwischen Handlungen und Handlungsgründen darstellt. [↑1] Da die Begriffe ‚Ereignis‘ und ‚Handlung‘ durch eine lange Vorgeschichte geformt, aber keineswegs eindeutig bestimmt sind, gebe ich in diesem Kapitel sehr kurz eine Konzeption des Ereignisbegriffes von Jonathan Bennett wieder. Diese Konzeption erlaubt, Handlungen als Ereignisse zu betrachten, ohne jedoch die problematischen Implikationen der traditionellen Ereignisannahme aufzurufen. Die Erläuterung einer alternativen Ereigniskonzeption scheint mir aus drei Gründen erforderlich, bevor ich mich dem eigentlichen Kernstück meiner Arbeit zuwende: Erstens will ich aufzeigen, dass der Standardbegriff des Ereignisses nicht der einzig mögliche ist. Die aus ihm erwachsenden Probleme für eine Handlungskonzeption hängen von diesem Standardbegriff ab, erübrigen sich aber, wenn man den Standardbegriff durch eine alternative Ereigniskonzeption ersetzt. Eine solche Alternative wird ihrerseits Fragen aufwerfen, auch mit Blick auf den Handlungsbegriff. Gerade hieran zeigt sich aber, dass die aus der Ereignisannahme resultierenden Folgeprobleme nicht zwangsläufig für jede Handlungskonzeption auftreten und dass ihre Lösung nicht zwangsläufig eine Voraussetzung für eine kohärente, plausible Handlungskonzeption ist. Zweitens möchte ich zeigen, dass Kausalität nicht auf Ereignisse beschränkt werden muss. Entgegen dem traditionellen Verständnis sind Ereignisse nicht die einzigen Gegebenheiten, die etwas verursachen oder durch etwas verursacht werden können. Folglich können nicht nur Ereignisse im Explanans

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KAPITEL 2

einer Kausalerklärung auftreten. So wird es möglich, alltagssprachliche Handlungserklärungen als Kausalerklärungen zu verstehen, ohne dabei Handlungsgründe als Ereignisse aufzufassen. Drittens soll deutlich werden, dass Kausalität nicht die einzige Erklärungsrelation ist, die Handlungserklärungen zugrunde liegen kann. Eine Erklärung dafür, warum etwas ist, wie es ist, muss nicht in jedem Fall darin bestehen, dass man Kausalrelationen beschreibt. Von dem alternativen Verständnis von Kausalität mache ich später, in meinen Interpretationen und Rekonstruktionen zu Hart, Anscombe und Melden Gebrauch. Der nun folgende Vorspann wird erlauben, die weiteren Kapitel von längeren technischen Exkursen freizuhalten. Ich beanspruche also nicht, an dieser Stelle sämtliche Fragen zum Ereignisbegriff und seinen verschiedenen möglichen Konzeptionen zu klären, und ich beanspruche nicht, Erklärungsrelationen im Allgemeinen und Kausalrelationen im Besonderen erschöpfend zu behandeln. Ich stelle lediglich so viel begriffliches Handwerkszeug zusammen, dass ich mich später mit der Frage des Zusammenhangs von Ausdruck und Zuschreibung in nicht-kausalistischen Handlungskonzeptionen befassen kann, ohne dass sich dabei technische Exkurse aufdrängen, die den Argumentationsgang unterbrechen. Ich beginne mit einer Unterscheidung der Begriffe ‚Ereignis‘ und ‚Fakt‘. [↓2.1] Dann erläutere ich, wie Ereignisse und Fakten zusammenhängen und welche Relationen zwischen verschiedenen Fakten bestehen können. [↓2.2] Eine solche Relation ist Faktenkausalität. Auf ihr beruhen Kausalerklärungen, deren Relata jedoch Fakten sind, keine Ereignisse. Alltagssprachlichen Handlungserklärungen liegen manchmal auch non-kausale Faktenrelationen zugrunde. Sie instantiieren keine Kausalgesetze, sondern beruhen auf sozialen Praxen oder Institutionen. [↓2.3]

2.1 Ereignisse 2.1.1 Supervenienz der Ereignisse Die Ereigniskonzeption, auf die ich mich beziehe, stammt aus Events and their Names (1988) von Jonathan Bennett. Sie entstand nach der Hochphase der Gründe-Ursachen-Debatte und zielt nicht eigens darauf ab, diese Debatte zu erhellen. Dennoch erweist sich Bennetts Analyse von Kausalrela-

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tionen als nützliches Werkzeug, um Annahmen und Folgerungen, die in der Gründe-Ursachen-Debatte (implizit) eine Rolle spielen, zu durchdringen.1 Manches Problem, um das Kausalisten und Nicht-Kausalisten streiten, lässt sich mithilfe von Bennetts Ereignis- und Kausalitätskonzeption umgehen, manch anderes zumindest klarer fassen. Anlass seiner Bemühungen um die Distinktion zwischen Fakt und Ereignis ist Bennetts tiefgehender Zweifel daran, dass der Ereignisbegriff für „disziplinierte Theorien“ geeignet ist: The persistent disagreements among philosophers about the nature of events – their role in causal statements, their ‚identity conditions‘, their relations to space-time, etc. – have arisen partly from the fact that some of the disputed questions have no answers. They ask for precision at the very points where our event concept does not 2 have it.

Aus diesem Befund resultiert bei Bennett eine Analyse, bei der sich herausstellt, dass sich Fakten nicht nur disziplinierter verhalten als Ereignisse, sondern für die Theoriebildung im Allgemeinen, für philosophische Theorien im Besonderen auch von größerer Relevanz sind. Wie gesehen, lässt sich der Ereignischarakter von Handlungen hinterfragen. [↑1.6] Das gilt umso mehr für mutmaßliche Kausalrelationen zwischen Handlungen und Gründen. Dagegen ist weitgehend unumstritten, dass wir bei der Beschreibung dessen, was Personen tun, Fakten benennen. Ganz gleich, ob man Sauls Verstecken vor George, Adeles Anschalten des Lichtes oder Gretes Mord an Heinz zu Recht als Ereignisse auffasst – es ist (oder wäre) allemal der Fall, dass Saul sich vor George versteckt, dass Adele das Licht anschaltet und dass Grete Heinz ermordet. Diese Fakten bestehen, wie auch immer sie mit Ereignissen zusammenhängen. Um die Vorteile des Faktenbegriffes gegenüber dem des Ereignisses hervorzuheben, sei an zwei Eigenschaften erinnert, die Ereignisse nach der Standardkonzeption besitzen: Erstens verlaufen sie über eine Zeitspanne hinweg. Sie beginnen und enden zu einer bestimmten Zeit, so dass sich _____________ 1

2

In The Act Itself (1995) wendet Bennett Resultate aus Events and their Names spezieller auf handlungstheoretische Fragen an, allerdings mit moralphilosophischem Interesse, vor allem mit Blick auf die Distinktion zwischen konsequentialistischen und deontologischen Moraltheorien. Zu handlungstheoretischen Anwendungen der Ereignis-Fakt-Distinktion vgl. auch Bennett 1980 und 1994. Bennett 1988, 18, Anm. 10.

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KAPITEL 2

zwischen Beginn und Ende eines Ereignisses zeitliche Abschnitte abgrenzen lassen, analog zu den räumlichen Etappen einer Wegstrecke. Wir können beispielsweise von einer Opernpremiere berichten, dass die Ouvertüre ergreifend war, dass es vor der Pause langweilig wurde und dass der letzte Akt heiter ausklang. Zweitens verändern sich Ereignisse nicht; hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu materiellen Objekten. Ein Baum wächst, treibt Blüten und Blätter, bildet Früchte aus; ein Fahrrad bekommt Risse im Reifen, Schrammen am Rahmen und Schmutz ins Ritzelpaket. Dies sind Veränderungen von Objekten, die sich über eine Zeitspanne hinweg vollziehen – die Objekte altern. Eine Opernpremiere hingegen dauert zweieinhalb Stunden an, aber sie verändert sich innerhalb dieser Zeitspanne nicht, sie findet einfach statt. Auf den ersten Blick könnte man einwenden, eine Premiere verändere sich durchaus, wenn die Ouvertüre ergreifend ist, der erste Akt dagegen langweilig und das Finale heiter. Diese Beschreibungen beziehen sich aber nicht auf die Opernpremiere insgesamt, sondern auf verschiedene zeitliche Teile, die mittels der Bezeichnungen ‚die Ouvertüre‘, ‚der erste Akt‘ und ‚das Finale‘ voneinander abgegrenzt sind. Alle gemeinsam konstituieren ein Ereignis mit der Bezeichnung ‚Opernpremiere‘.3 Ereignisse verändern sich nicht, aber sie sind Veränderungen oder gleichsam Bündel von Veränderungen. Eine Opernaufführung ist ein Bündel von Veränderungen der Sänger und Sängerinnen, die auftreten, singen und spielen; der Instrumente, die erklingen, verstummen, sich verstimmen usw. Als Veränderungen von materiellen Objekten verstanden, sind Ereignisse keine ontologisch basalen Gegebenheiten, wie Bennett erläutert: [E]vents are supervenient entities, meaning that all the truths about them are logically entailed by and explained or made true by truths that do not involve the event concept. Similarly, all the truths about universities come from truths about people and buildings and equipment; all the truths about ecological niches come from 4 truths about plants and animals and weather and terrain.

Und alle wahren Aussagen über eine Opernpremiere folgen aus Aussagen über Menschen, Musikinstrumente, Klänge, Kostüme, Scheinwerfer… All_____________ 3 4

Vgl. Bennett 1988, 95 und 114. Bennett 1988, 12.

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gemein: Die Existenz von Ereignissen setzt die Existenz von Gegebenheiten, die keine Ereignisse sind, voraus und folgt aus der Existenz dieser Gegebenheiten. Diese Abhängigkeit erfasst Bennett, indem er Ereignisse als superveniente Gegebenheiten beschreibt. Die Aussage, dass eine Opernpremiere stattfindet, ist wahr, weil und insofern bestimmte Aussagen über Personen und Objekte wahr sind: Der Vorhang geht auf, der Sänger steht auf der Bühne, die Dirigentin hebt den Taktstock, der Trompeter verpasst den Einsatz… – Dass diese Aussagen wahr sind, bedeutet, dass bestimmte Fakten bestehen, und zwar die Fakten, dass der Vorhang aufgeht, dass der Sänger auf der Bühne steht, dass die Dirigentin den Taktstock hebt und dass der Trompeter den Einsatz verpasst. Weil das Stattfinden der Opernpremiere vom Bestehen dieser Fakten abhängt, superveniert das Ereignis über diese Fakten. Umgekehrt konstituieren die genannten Fakten das Ereignis. Die ereigniskonstituierenden Fakten betreffen Personen oder Objekte. Sie setzen also die Existenz von Personen und Objekten – Sänger, Dirigentin, Taktstock, Trompete usw. – voraus. Diese Personen und Objekte nennt Bennett die Teilnehmer des 5 supervenierenden Ereignisses. Ich verwende ‚Träger‘ synonym dazu. Aus Beispielen wie ‚Opernpremiere‘ oder ‚Wettlauf‘ ist ersichtlich, dass Ereignisnamen Sortale sind; sie benennen zählbare Gegebenheiten. Die Sortalität von Ereignisnamen eröffnet einige grammatische Möglichkeiten: Man kann bestimmte oder unbestimmte Artikel hinzufügen, Pluralformen bilden und Relativsätze anfügen. So kann man über die Opernpremiere sprechen oder über irgendeine Opernpremiere, über eine Premiere oder über drei Premieren, oder auch über diejenige Premiere, die gestern in der 6 Semperoper stattfand und bei der im zweiten Akt der Strom ausfiel. Mit seiner Supervenienzthese S stellt Bennett folglich sowohl eine ontologische als auch eine semantische Behauptung auf: S

Jedes Ereignis E superveniert über Fakten. Ein Ereignisname ‚E‘ ist deshalb durch die Nennung von Fakten analysierbar, über die E superveniert.7

_____________ 5 6 7

Vgl. Bennett 1988, 13. Vgl. Bennett 1988, 2–4. Vgl. Bennett 1988, 12 f. (meine Übersetzung).

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KAPITEL 2

Die Begründung der zweiten, semantischen Teilthese erfolgt bei Bennett exemplarisch: Die Bedeutung der Ereignisnamen ‚Opernpremiere‘ oder, Bennetts Beispiel, ‚Wettlauf‘ lässt sich durch die Aufzählung von Aussagen der Form ‚A a-t‘ bzw. ‚x a-t‘ angeben. Man kann beispielsweise erklären, was der Ausdruck ‚Wettlauf‘ bezeichnet, indem man eine Reihe von prädikativen Aussagen anführt: Mehrere Personen stellen sich entlang einer Linie auf, auf ein Startsignal hin laufen sie so schnell wie möglich auf ein Ziel zu, und wer zuerst ankommt, ist Sieger. Dagegen eignet sich der Ereignisname nicht, um umgekehrt die Bedeutung dieser Aussage(n) zu erklären. Wenn jemand die Aussage ‚Die Läufer warten auf das Startsignal‘ nicht versteht, wird ihm die Auskunft, dass gleich ein Wettlauf stattfindet, kaum weiterhelfen. Könnte die Person mit dieser Erklärung etwas anfangen, hätte sie auch die Aussage, die erklärt werden soll, verstanden. Ein Wettlauf besteht ja unter anderem darin, dass Läufer auf das Startsignal warten. Um tatsächlich zu erklären, was es heißt, dass Läufer auf das Startsignal warten, wird man eine Reihe weiterer Fakten über die Läufer, ihre Absichten und Wünsche anführen müssen, aber nicht den Namen eines Er8 eignisses, das über die erklärungsbedürftige Aussage superveniert. Man könnte einwenden, dass sich die Supervenienzthese am Beispiel ‚Wettlauf‘ zwar nachvollziehen lässt, weil die Analyse dieses Ereignisnamens in Einzelfakten keine Schwierigkeiten bereitet – ein Wettlauf ist eben ein Ereignis, bei dem mehrere Menschen um die Wette laufen –, aber es gibt eine Fülle von Ereignissen, die sich einer solch simplen Analyse entziehen. Diesen Einwand sieht Bennett voraus und erkennt ihn an. Er nennt ‚Hurrikan‘, ‚Picknick‘ und ‚Stau‘ als weitere Beispiele, doch zeigt er zugleich, dass auch Hurrikane, Picknicks, Staus über Fakten supervenieren. Diese sind zwar äußerst zahlreich, doch sind sie allemal in Form von Prädikationen der Form ‚x a-t‘ benennbar. Für die Anzahl der Fakten, über die ein Ereignis superveniert, gibt es keine Obergrenze. Daher können auch Hurrikane, Picknicks, Staus und andere sehr komplexe Ereignisse als Konstellationen von Fakten über Personen und Objekte verstanden werden.9 Nach S ist der Begriff des Ereignisses bzw. die Kategorie der Ereignisnamen logisch nachrangig gegenüber Fakten, wie sie in Propositionen der _____________ 8 9

Vgl. Bennett 1988, 13. Vgl. Bennett 1988, 13–15.

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Form ‚x a-t‘ benannt werden. Solche Propositionen nennt Bennett Faktennamen. Die Aussage ‚Bert und Marie laufen um die Wette‘ benennt einen Fakt, so wie ‚Berts und Maries Wettlauf‘ ein Ereignis benennt. Bennett warnt vor der Schlussfolgerung, Ereignisnamen seien in der alltäglichen oder wissenschaftlichen Kommunikation verzichtbar, da durch Propositionen ersetzbar. Wollten wir ausschließlich prädikative Aussagen verwenden, um von einem Wettlauf, einer Opernpremiere oder einem Hurrikan zu erzählen, wären Gespräche sehr umständlich und würden einen ihrer basalen Zwecke verfehlen, nämlich die effiziente Übermittlung von Informationen. Ereignisse sind durch Fakten konstituiert, doch das macht Ereignisnamen als Redemittel nicht überflüssig. Mit der Supervenienzthese geht ausdrück10 lich keine Reduktionsthese einher. Allerdings ist es wichtig, zwischen Ereignissen und Fakten einerseits, zwischen Ereignisnamen und Faktennamen andererseits klar zu unterscheiden, da sie je verschiedene Eigenschaften haben.

2.1.2 Ereigniszonen Bennett verortet Ereignisse in Raum-Zeit-Zonen.11 Eine Ereigniszone ist ein vierdimensionaler Raum-Zeit-Ausschnitt, wobei drei Dimensionen den Raum eines Ereignisses definieren, die vierte Dimension seine zeitliche Ausdehnung. Der Betrag kann in einer oder in mehreren Dimensionen null sein, eine Ereigniszone muss also nicht in allen vier Dimensionen erfüllt sein. Der Betrag der zeitlichen Dimension für Adeles Sieg im Wettlauf gegen Bert ist beispielsweise null, denn ein Sieg hat keine zeitliche Ausdehnung. Gleiches gilt für den Start des Wettlaufes und für die Ankunft des _____________ 10 11

Vgl. Bennett 1988, 13 f. Dabei orientiert er sich an Jaegwon Kim, der Ereignisse als Instantiierungen von Eigenschaften an einem Subjekt konzipiert. Instantiierungen sind konkrete Vorkommnisse. Daher können sie zeitlich datiert werden. Ereignisnamen wie ‚die Premiere von Don Giovanni‘ werden als Tripel aus einem Eigenschaftsnamen P, dem Namen eines Subjekts S sowie einer Zeitangabe T dargestellt: [S, P, T ]. Ein Ereignis E ist demnach eine datierte (T) Instantiierung einer Eigenschaft (P) durch ein Subjekt (S), das die instantiierte Eigenschaft P besitzt. Vgl. Bennett 1988, 73–93; Kim 1969 und 1976.

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letzten Läufers im Ziel. Das Lauftraining und die Siegesfeier danach dauern dagegen über mehrere Stunden an; ihre zeitliche Ausdehnung ist größer als null. Mit dem Zugeständnis, dass nicht immer alle vier Dimensionen einer Ereigniszone erfüllt sein müssen, öffnet Bennett seine Konzeption auch für den Fall, dass der Betrag einer der räumlichen Dimensionen null ist. Damit sind zweidimensionale Ereignisse zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, theoretisch könnte ein Ereignis auf einer Fläche, auf einer Linie oder in einem Punkt auftreten. Ob es solche Ereignisse tatsächlich gibt, ist nicht entscheidend. Ihre logische Möglichkeit zuzugestehen ist lediglich der Preis dafür, Ereignisse ohne zeitliche Ausdehnung ebenso wie zeitlich ausgedehnte Ereignisse zonal analysieren zu können und somit alle möglichen Ereignisse mit derselben Konzeption zu erfassen. Bennett kann einen Wettkampfsieg als Ereignis gelten lassen, obwohl ein Sieg keine zeitliche Ausdehnung hat. Auf den ersten Blick kontraintuitiv, liegt ein wesentlicher Vorzug der zonalen Ereigniskonzeption darin, dass keine bestimmte Zeit und kein bestimmter Ort vorausgesetzt werden. Neben Ereignissen ohne zeitliche Ausdehnung sind daher auch solche Ereignisse erlaubt, die auf mehrere Schauplätze oder Zeitspannen verteilt sind: Die Olympischen Winterspiele 2010 fanden auf verschiedenen Skipisten, Loipen und Rodelbahnen innerhalb einer bestimmten Zone statt, ohne dass damit behauptet wird, alle Wiesen, Berge, Seen und Wege zwischen diesen Wettkampfstätten wären Austragungsorte der Winterspiele. Außerdem dauerten die Spiele beinahe zwei Wochen, doch fand innerhalb dieser zwei Wochen zu manchen Zeitpunkten kein einziger Wettkampf statt. Auch das ist für die zonale Konzeption kein Hindernis, weil sich dem Ereignis eine Raum-Zeit-Zone zuordnen lässt, die sich temporal von der Eröffnungsfeier bis zum Abschlussfest erstreckt, ohne zu erfordern, dass zu jedem Zeitpunkt zwischen diesen Grenzpunkten ein olympisches Teilereignis stattfindet.12

_____________ 12

Vgl. Bennett 1988, 12.

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2.2 Fakten 2.2.1 Feinheit von Fakten Ereignisse supervenieren über Fakten; Fakten konstituieren Ereignisse. Fakten sind Sachverhalte, die bestehen. Sachverhalte, die nicht bestehen, sind keine Fakten. Nach dieser Bestimmung ist es ein Fakt, dass Erfurt an der Gera liegt, und es ist ein anderer Fakt, dass Hannover an der Leine liegt. Keine Fakten, wiewohl Sachverhalte sind hingegen, dass Erfurt an der Elbe liegt oder dass in Hannover ein Einhorn weidet. Weder dies noch jenes ist tatsächlich der Fall. Eine wahre Aussage der Form ‚x a-t‘ drückt den Fakt aus, dass eine Gegebenheit x die Eigenschaft hat, zu a-en. Als schematische Notation für Fakten verwende ich fp. Ein Fakt fp kann in einer 13 Aussage der Form ‚Es ist der Fall, dass p‘ benannt werden. Dass-Sätze wie ‚dass Adele den Rennsteiglauf gewinnt‘ sind Namen für Sachverhalte. Aus einem solchen Dass-Satz lassen sich prädikative Aussagen bilden, etwa ‚Adele gewinnt den Rennsteiglauf‘. Solche Aussagen betrachtet Bennett, wie erwähnt, als Namen für Fakten. Wenn eine Aussage der Form ‚x a-t‘ wahr ist, benennt sie bzw. benennt der Dass-Satz ‚dass x a-t‘ einen Fakt. Hingegen ist die Kennzeichnung ‚Adeles Sieg im Rennsteiglauf‘ kein Faktenname, sondern ein Ereignisname wie auch ‚die Premiere von Don Giovanni‘ und ‚die Olympischen Winterspiele 2010‘. Bennett macht auf zwei wichtige Unterschiede zwischen Ereignisnamen und Faktennamen aufmerksam. Zum einen sind Ereignisnamen Sortale, Faktennamen nicht. Wir können nicht zählen, dass Adele den Rennsteiglauf gewinnt, und wir können keinen Plural zu diesem Fakt bilden. Zählbar sind nur Ereignisse: Adeles erster Sieg beim Rennsteiglauf fand vor drei Jahren statt, der zweite im letzten Jahr. Zum anderen sind Faktennamen gegenüber sprachlichen Veränderungen sensibler als Ereignisnamen. Die Wahrheit einer Aussage, die einen Faktennamen ‚dass p‘ enthält, hängt sehr stark von der Formulierung des Faktennamens ab. Dagegen hat die konkrete Formulierung eines Ereignisnamens deutlich geringeren Einfluss auf die Wahrheit der Aussage, die ihn enthält. Ein Beispiel: In der Aussage ‚Gestern verlor die Dirigentin bei der Premiere von Don Giovanni den Taktstock‘ könnte anstelle von ‚Premiere von Don Giovanni‘ auch nur _____________ 13

Vgl. Bennett 1988, 7 und 43.

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KAPITEL 2

‚Opernpremiere‘ stehen oder ‚einzige Premiere von Don Giovanni im Jahr 2011‘, ohne dass mit den veränderten Ereignisnamen zwangsläufig auf andere Ereignisse referiert würde. Der einzige Unterschied zwischen ‚Premiere von Don Giovanni‘ und ‚Opernpremiere‘ besteht darin, dass der zweite Name mehr Ereignisse erfasst als der erste. Die Wahrheit der Aussage ist damit aber nicht gefährdet, daher können diese Ereignisnamen wechselseitig ersetzt werden: ‚Gestern verlor die Dirigentin bei der Premiere von Don Giovanni den Taktstock‘ und ‚Gestern verlor die Dirigentin bei einer 14 Opernpremiere den Taktstock‘ sind gleichermaßen wahr. Weil man sich mit unterschiedlich präzisen Ereignisnamen ‚E1‘ und ‚E2‘ auf ein und dasselbe Ereignis E beziehen und diese Namen wechselseitig ersetzen kann, ohne dass sich der Wahrheitswert einer Aussage verändert, nennt Bennett Ereignisnamen ‚transparente Ausdrücke‘. Faktennamen sind hingegen intransparent: Der Dass-Satz ‚dass Don Giovanni 2011 in Weimar Premiere hatte‘ benennt einen anderen Fakt als ‚dass Don Giovanni Premiere hatte‘ und wieder ein anderer Fakt wird mit ‚dass eine Oper Premiere hatte‘ benannt, obgleich man vom ersten Fakt aus auf die beiden anderen schließen kann. Die Intransparenz von Faktennamen hat zur Folge, dass sich bei der Ersetzung eines Faktennamens durch einen anderen häufig der Wahrheitswert der ganzen Aussage ändert. Während ‚Bert freut sich, dass Don Giovanni in Weimar Premiere hatte‘ wahr sein kann, könnte ‚Bert freut sich, dass Don Giovanni 2011 Premiere hatte‘ falsch sein.15 In den Aussagen wird jeweils ein anderer Fakt als Gegenstand von Berts Freude benannt; die sprachliche Veränderung ist nicht nur eine Veränderung des Faktennamens, sondern eine Veränderung des Faktes

_____________ 14

15

Allerdings kann die erste Aussage falsch sein, während die zweite wahr ist, denn es könnte sein, dass nicht Don Giovanni Premiere hatte, sondern Tosca. Der Fehler entsteht also dadurch, dass ein wichtiger Fakt, über den das benannte Ereignis superveniert, verkannt wurde. Damit steht Bennetts Supervenienzthese nicht in Frage. Das Problem zeigt lediglich, dass der Formulierung von Ereignisnamen eine genaue Betrachtung der ereigniskonstituierenden Fakten vorausgehen muss. Genau das besagt die semantische Teilthese von S. Bennetts Ausführungen über die Ersetzbarkeit von Ereignisnamen setzen voraus, dass diese Namen sorgfältig gebildet wurden. Vgl. Bennett 1995, 38–42.

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selbst. Diese Sensibilität von Fakten gegenüber sprachlichen Veränderungen bezeichnet Bennett als ‚Feinheit‘ [fineness] von Fakten.16

2.2.2 Begleitfakten Die Supervenienzthese S beschreibt ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ereignissen und Fakten. Zur Erinnerung: S

Jedes Ereignis E superveniert über Fakten. Ein Ereignisname ‚E‘ ist deshalb durch die Nennung von Fakten analysierbar, über die E superveniert.

Das Ereignis E existiert, weil und insofern es über bestimmte Fakten superveniert. Was man über E korrekterweise sagen kann, hängt davon ab, über welche Fakten E superveniert, weil eben diese Fakten das Ereignis E konstituieren. Bennett bezeichnet dieses Abhängigkeitsverhältnis zwischen Fakten und Ereignissen bildhaft als Elternschaft: Any event has a parent proposition: pE is the parent proposition of E if pE does not involve the event concept and if it is necessary that E exists if and only if pE. Thus, for example, that we quarrelled last night is a parent of ‚the quarrel we had last night‘, that many vehicles were brought nearly or entirely to a halt by how crowded 17 they were on the available road is a parent of ‚the traffic jam‘; and so on.

Dass Fakten die Elternschaft für Ereignisse übernehmen, macht es prinzipiell möglich, Ereignisnamen durch Propositionen zu ersetzen, in denen keine Ereignisnamen vorkommen. Wie an der zitierten Passage nochmals erkennbar, sind Ereignisnamen vollständig in Aussagen über Personen und Objekte analysierbar. Die Wahrheit einer Eltern-Proposition ‚x aE-t‘ ist deshalb eine notwendige Bedingung für die Existenz des Ereignisses E.18 _____________ 16

17 18

Eine Ausnahme bildet der seltene Fall logisch äquivalenter Faktennamen. Diese ist gegeben, wenn allein daraus, dass p1, ohne weitere Prämissen, folgt, dass p2. Unter dieser Bedingung kann ‚dass p1‘ in einem Satz durch ‚dass p2‘ ersetzt werden, ohne dass nun zwei andere Fakten verknüpft werden und die Aussage möglicherweise falsch ist. Ich berücksichtige diese Fälle nicht. Vgl. Bennett 1988, 11 f. und 79 f. Bennett 1988, 126 (Hervorhebung original, Variablen verändert). Um einen Ereignisnamen ‚E‘ aus einer Proposition p zu erzeugen, muss p in jedem

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KAPITEL 2

Die Supervenienz von bestimmten Ereignissen über bestimmte Fakten kommt durch gemeinsame Eltern-Propositionen zustande. Wenn ein Ereignis E stattfindet, besteht eine Fülle an Fakten, nicht nur derjenige, der mit der Eltern-Proposition des Ereignisnamens ‚E‘ ausgedrückt wird. Findet beispielsweise eine Premiere von Don Giovanni statt, besteht nicht nur der Fakt, dass eine Premiere von Don Giovanni stattfindet, es ist außerdem der Fall, dass die Premiere am 2. Dezember stattfindet, dass eine Sängerin auf die Bühne tritt, dass sie ein rotes Kostüm trägt, dass das Hausorchester spielt, die Dirigentin den Taktstock verliert, das Publikum am Schluss begeistert applaudiert… Um zu erklären, wie all diese Fakten miteinander zusammenhängen und in welcher Relation sie zu dem Ereignis namens ‚Premiere von Don Giovanni‘ stehen, führt Bennett das Konzept der Begleitfakten [companion facts] ein. Ich raffe seine Konzeption an dieser Stelle auf wesentliche Elemente, die nötig sind, um anschließend das Verhältnis zwischen Ereigniskausalität und Faktenkausalität zu erläutern. Findet ein Ereignis E statt, dann bestehen in der E-Zone die Fakten, dass p1, dass p2,… und dass pn. All diese Fakten, über die E superveniert, bilden den komplexen Begleitfakt F(E) von E. Der komplexe Begleitfakt F(E) ist die Konjunktion der Fakten, dass p1 und p2… und pn.19 Ein Begleitfakt F(E) ist folglich sehr reichhaltig. Er umfasst sehr viele einzelne Fakten, die auf vielfältige Weise in Relationen zueinander stehen können. Ereignisnamen lassen meist nur eine begrenzte Anzahl der Eigenschaften eines Ereignisses erkennen. Aus ‚die Premiere in Weimar‘ geht lediglich hervor, dass E eine Premiere ist und dass E in Weimar stattfindet. Aus dem Namen sind daher nur wenige Fakten zu erschließen, die der komplexe Begleitfakt F (Premiere in Weimar) enthält. Der gesamte Begleitfakt besteht darin, dass die Oper Don Giovanni am 22. November 2008 von 19 bis 23.40 Uhr im Nationaltheater Weimar mit einer Dirigentin im schwarzen Frack, vor ausverkauftem Saal und begeistertem Publikum, mit einem _____________

19

Fall eine Aussage über die Instantiierung einer Eigenschaft in einer vierdimensionalen Zone sein, denn damit liefert p alle Konstituenten für ein Ereignis nach Bennetts Konzeption. Folglich eignen sich nicht alle Aussagen, die einen Fakt ausdrücken, als Elternaussagen für Ereignisnamen, etwa ‚2 plus 3 ist 5‘ oder ‚Ein Liter Wasser wiegt ein Kilogramm‘. Es ist aber dennoch ein Fakt, dass 2 plus 3 gleich 5 ist bzw. dass ein Liter Wasser ein Kilogramm wiegt. Vgl. Bennett 1988, 128 f.

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langweiligen ersten Akt, einem ergreifenden zweiten Akt… zum ersten Mal aufgeführt wurde. Jedes Ereignis E superveniert über eine große Anzahl von Fakten bzw. über genau einen komplexen Begleitfakt F(E), der die Konjunktion dieser Einzelfakten darstellt. Sämtliche Fakten, die ein Ereignis E konstituieren, sind in seinem Begleitfakt F(E) enthalten, das heißt sämtliche Fakten, über die E superveniert, sind in F(E) enthalten.

2.2.3 Fakten über Personen Bevor ich einige Relationen erläutere, die zwischen Fakten bestehen können, will ich die bisher dargelegten Begrifflichkeiten auf einige Probleme anwenden, die ich im ersten Kapitel erwähnt habe. Zunächst ist festzuhalten, dass Handlungsaussagen der Form ‚A a-t‘, sofern sie wahr sind, Fakten benennen. Entgegen der traditionellen Selbstverständlichkeit der Ereignisannahme benennen die Aussagen ‚Bert durchschwimmt den Ärmelkanal‘ oder ‚Adam und Eva streiten‘ daher keine Ereignisse. Sie benennen Fakten über Bert und den Ärmelkanal bzw. über Adam und Eva. Des Weiteren ist auf den grammatischen Unterschied zwischen ‚Handlung‘ und ‚Handeln‘ hinzuweisen. Beide Ausdrücke werden in handlungstheoretischen Kontexten nicht immer sorgfältig auseinandergehalten, aber sie haben nicht dieselbe Bedeutung. Der Ausdruck ‚Handlung‘ ist ein Sortal, das sich logisch und grammatisch so verhält wie die Ereignisnamen ‚Premiere‘ oder ‚Stau‘. Wie zu diesen kann man auch zu ‚Handlung‘ Artikel, Attribute und Relativsätze hinzufügen, den Plural bilden und gleichartige Vorkommnisse zählen. Man kann zum Beispiel sagen, dass eine (bestimmte) Handlung von Bert leichtsinnig war oder dass wir von den meisten Handlungen von Adam und Eva nichts wissen. So verwendet, sind die Ausdrücke ‚Handlung‘, ‚A’s Handlung‘ und ‚A’s Handlung mit der Eigenschaft F‘ Ereignisnamen wie ‚Premiere von Don Giovanni‘ und ‚Stau‘. In der philosophischen Handlungstheorie, zumal bei der Bestimmung des Handlungsbegriffes geht es nicht um konkrete Handlungsvorkommnisse, sondern um die Bedingungen, unter denen das, was jemand tut, eine absichtliche Handlung ist. Hier führt das Sortal ‚Handlung‘ eher in die Irre, denn untersucht werden in aller Regel die allgemeinen Bedingungen, unter

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denen menschliches Verhalten absichtliches Handeln ist. Zwar trennen Autoren oft nicht strikt zwischen ‚Handlung‘ und ‚Handeln‘, doch zielen sie meist auf die begriffliche Abgrenzung zwischen Handeln und bloßem Verhalten, kaum je auf eine Taxonomie von konkreten, verschiedenen Handlungen. Es geht also um eine Unterscheidung innerhalb des menschlichen Verhaltens, um eine begriffliche Abgrenzung zwischen Manifestationen bestimmter menschlicher Fähigkeiten – „exercise[s] of human agency“20 – und anderweitigen Verhaltensweisen. Demgegenüber erfasst ‚Handlung‘ als Sortal konkrete, datierbare Einzelvorkommnisse. Es verhält sich zum Massenterm ‚Handeln‘ wie ‚Pfütze‘ zu ‚Wasser‘.21 Wenn in Handlungstheorien nach den Charakteristika von Handlungen und ihrer Beziehung zu Handlungsgründen gefragt wird, geht es genau betrachtet in aller Regel um das Phänomen des menschlichen Handelns [agency], nicht um einzelne Handlungen [acts, actions]. Handlungsbeschreibungen der Form ‚A a-t‘ benennen Fakten über Personen – so viel scheint auch dann annehmbar, wenn man die Supervenienzthese nicht akzeptiert. Selbst mit dem minimalen Zugeständnis, dass ‚A a-t‘ einen Fakt über A benennt, erledigen sich einige Komplikationen, die auftreten, wenn man diese Aussage als Beschreibung eines Ereignisses auffasst. Erstens erübrigt sich die Raum-Zeit-Einordnung, denn Fakten sind semantische Gebilde. Sie bestehen oder bestehen nicht, aber sie befinden sich nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. In Raum und Zeit existieren lediglich die Personen und Objekte, über die Fakten bestehen. Damit erweisen sich, zweitens, Negationen als unproblematisch: ‚Clara hat nicht Trompete geübt‘ benennt einen Fakt über Clara; ‚Theo hat nicht aufgepasst‘ benennt einen Fakt über Theo. Ohne Ereignisannahme braucht man weder zu klären, wann und wo das Ereignis mit dem merkwürdigen Namen ‚Claras Nicht-Trompete-Üben‘ stattfindet, noch muss man dessen Ursachenereignisse ausfindig machen, um zu erklären, warum Clara nicht geübt hat. Wenn Clara nicht Trompete übt, findet ein bestimmtes Ereignis nicht statt. Fragen nach Raum, Zeit und Kausalursachen gehen deshalb schlicht in die Irre: Man kann nicht angeben, wann und wo etwas stattfin_____________ 20 21

Bennett 1988, 30. Vgl. Bennett 1995, 29 f.

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det, das nicht stattfindet. Die Handlungstheorie ist damit aber nicht am Ende, denn ihr bleibt zu untersuchen, unter welchen Bedingungen der Fakt besteht, dass Clara nicht Trompete übt, bzw. unter welchen Bedingungen der Fakt besteht, dass Clara absichtlich nicht übt, und welche weiteren Fakten eine Begründung dafür darstellen. Im Unterschied zur Ereignisannahme bietet die Analyse von Handlungsbeschreibungen als Faktennamen den „Luxus der Negation“.22 Drittens: Bei konjunktiven und adjunktiven Handlungsaussagen löst die Ereignisannahme Schwierigkeiten aus; die Faktenanalyse von Konjunktionen und Adjunktionen ist hingegen unproblematisch: ‚Bert ist mit einer Geschwindigkeit von mindestens 5 km / h durch den Kanal geschwommen, aber nicht schneller als 7 km / h‘. Der Versuch, aus dieser Aussage einen Ereignisnamen zu generieren, ergibt ‚Berts mindestens 5 km / h und maximal 7 km / h schnelles Schwimmen durch den Kanal‘. Dieses Kennzeichnungsungeheuer ist in sprachlicher Hinsicht eine Zumutung, vor allem ist aber zweifelhaft, ob sich für das Deskriptum eine vierdimensionale RaumZeit-Zone festmachen lässt und damit eine notwendige Bedingung seiner Ereignishaftigkeit erfüllbar ist. Selbst wenn es möglich sein sollte, Berts so und so beschaffenes Schwimmen als Ereignis zu konzipieren, läge diesem allemal eine Reihe von Fakten zugrunde, auf die man sich leicht ohne Ereignisumweg beziehen kann: Bert ist geschwommen, Bert ist durch den Kanal geschwommen, Bert ist mindestens 5 km / h geschwommen usw. Wiederum scheint es aus handlungstheoretischer Sicht entscheidend, unter welchen Bedingungen man sagen kann, dass Bert absichtlich schwimmt, absichtlich durch den Kanal, absichtlich nicht schneller als 7 km / h, allgemein: was es heißt, dass jemand etwas absichtlich tut. Welche Ereignisse über absichtlich herbeigeführte Fakten supervenieren, könnte dagegen eine nachgeordnete Frage sein. Ein viertes Problem ergab sich schließlich bei der Individuation von Handlungsereignissen. Vertreter der Ereigniskonzeption von Handlungen müssen die Bedingungen klären, unter denen sich verschiedene Handlungen voneinander abgrenzen lassen. Der feinkörnigen Konzeption der Ereignisindividuation nach benennen ‚Claras Singen‘ und ‚Claras lautes Sin_____________ 22

Bennett 1988, 140. Vgl. auch Bennett 1995, 32.

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KAPITEL 2

gen‘ verschiedene Ereignisse, und zwar auch dann, wenn sich Clara nur ein einziges Mal auf die Bühne gestellt und nur eine einzige Arie gesungen hat.23 Allerdings stimmen die Deskripta beider Aussagen in ihrer RaumZeit-Zone und ihren Teilnehmern exakt überein, so dass eine feinkörnige Individuierung sich nicht auf diese Merkmale berufen kann. Darum meint zum Beispiel Alvin Goldman, dass man Ereignisse besser anhand ihrer Kausalwirkungen unterscheidet. Dann würde man feststellen, dass Claras lautes Singen bestimmte Wirkungen erzielte, die nicht auf das bloße Singen zurückzuführen sind, etwa dass ein Zuhörer in der letzten Reihe aufwachte. Individuiert man Ereignisse anhand von Kausalwirkungen, existieren schlagartig unendlich viele Ereignisse, weil jedes Ereignis unendlich vieles verursacht, was seinerseits unendlich vieles verursacht. Diese Inflation ist an sich nicht problematisch. Allerdings ist nicht alles, was infolge von etwas anderem eintritt, eine kausale Folge. Wenn Theo Clara zum Tanz bittet, dann folgt daraus, dass Theo die Schwester von Bert zum Tanz bittet, und aus beiden Fakten zusammen folgt, dass Bert und Clara dieselben Eltern haben. Diese Folgen entstehen aber nicht durch Kausalrelationen zwischen Ereignissen. Es ist kein Ereignis, dass Clara und Bert dieselben Eltern haben, und es gibt kein Kausalgesetz, aus dem folgt, dass Theo mit der Schwester von Bert tanzt, sobald er mit Clara tanzt. Hier sind offensichtlich andere Relationen als Ereigniskausalität im Spiel. Diese Verwirrung ist vermeidbar, wenn man die Aussagen über Theo, Bert und Clara als Benennung von Fakten versteht, nicht als Beschreibung von Ereignissen. Zwischen Fakten, die ja sprachliche Gebilde sind, bestehen selbstverständlich logisch-semantische Relationen, die Schlussfolgerungen auf weitere Fakten erlauben, ohne mit diesen kausal verknüpft zu sein.24 Die Erklärung, warum ein bestimmter Fakt fp besteht, kann also nicht nur kausale Faktenrelationen anführen, sondern zum Beispiel auch logische Implikation oder non-kausale Relevanz.

_____________ 23 24

Dies vertritt z. B. Alvin Goldman (vgl. 1970, 10–15). Kritisch dazu Bennett 1988, 203–212. Vgl. Bennett 1995, 37 f.

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2.3 Erklärungsrelationen 2.3.1 Non-kausale Relevanz Vor allem für die Untersuchung der Relation zwischen Handlungsgründen und -ursachen ist wichtig, dass Fakten in einer Weise verknüpft sein können, die Joel Feinberg als ‚Akkordeoneffekt‘ beschreibt: Marie stiehlt ein Fahrrad, indem sie das Schloss aufbricht; sie bricht das Schloss auf, indem sie das Stahlkabel mit einer Zange durchkneift; sie kneift das Schloss durch, indem sie beide Zangengriffe fest zusammendrückt; dies gelingt ihr, indem sie ihre Fäuste um die Griffe schließt und ihre Arm- und Handmuskeln anspannt.25 Jeder der mit ‚indem‘ angeschlossenen Fakten ist ein Fakt über Marie. Mit jedem dieser Fakten lässt sich eine Frage der Form ‚Wie a-t Marie?‘ beantworten. Dass Marie das Stahlkabel durchkneift, ist beispielsweise eine mögliche Antwort auf die Frage, wie sie das Schloss aufbricht. Gelangen wir durch Faktenverknüpfungen dieser Art zu einer Beschreibung von Maries Verhalten, die keine weitere Frage der Form ‚Wie a-t Marie?‘ erlaubt, weil es keine weitere (informative) Antwort gibt, ist ein intrinsischer Fakt über Marie identifiziert. Auf die Frage ‚Wie spannt Marie die Oberarmmuskeln an?‘ gibt es keine Antwort in der Form ‚Indem sie a*-t‘. Marie spannt ihre Muskeln unmittelbar an, ohne Einsatz weiterer Mittel, deshalb ist dies ein intrinsischer Fakt über Marie. Bennett meidet jedoch die verbreitete Redeweise von ‚Basishandlungen‘ [basic acts], weil die Verwechslung von Fakten und Ereignissen damit fast unvermeidlich wird.26 Betrachtet man nämlich die Glieder einer Indem-Kette als separate Ereignisse, treten sogleich die eben diskutierten Probleme der Ereignisindividuation auf: Führt Marie eine oder zwei Handlungen aus, wenn sie ein Fahrrad stiehlt, indem sie das Schloss aufbricht? Wie viele Handlungen führt sie insgesamt aus, begonnen mit der mutmaßlichen Basishandlung, ihre Armmuskeln anzuspannen? Liest man die einzelnen Beschreibungen als Fakten, droht keine solche Flut simultaner Handlungsereignisse: Es _____________ 25

26

Vgl. Feinberg 1965, 146. Zum Akkordeoneffekt und den verschiedenen durch ‚indem‘ auszudrückenden Relationen vgl. auch Goldman 1970, 20–30 und 56–72; kritisch dazu Kurt Baier 1970 und Bennett 1988, Kap. 13. Vgl. Bennett 1988, Kap. 13; Bennett 1995, 33–38.

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können unendlich viele Fakten über Marie bestehen und jeder davon kann in einer Indem-Relation zu weiteren Fakten stehen, ohne dass die Individuierung von zusätzlichen physikalischen Bedingungen abhängt, etwa der raum-zeitlichen Koinzidenz. So verstanden, ist eine Indem-Kette der Form ‚A a-t indem sie a*-t; A a*-t, indem sie a**-t, A a**-t, indem…‘ eine Kette instrumentell verknüpfter Fakten, aber nicht notwendigerweise eine Kette verschiedener Ereignisse.27 Non-kausale Relevanz kann wie Kausalität durch die Konjunktionen ‚weil‘ und ‚indem‘ ausgedrückt werden. Indem-Aussagen der Form ‚A a-t, indem sie a*-t‘ bedeuten, dass es einen Fakt über A gibt, der in einer Relation R zu einem weiteren Fakt steht, der ebenfalls ein Fakt über A sein kann. Zwei Arten der non-kausalen Relevanz sind mit Blick auf Handlungen und Handlungsgründe besonders interessant. Für alle drei gilt, dass ein Fakt der Form ‚A a-t‘ besteht, weil ein weiterer Fakt über A besteht, durch den erklärbar ist, dass A a-t.28 Diese Erklärung muss also keine Kausalerklärung sein. Bennet illustriert die drei Relationen wie folgt: Bert streckt den Arm nach vorn aus (fB) (i) Indem Bert den Arm ausstreckt, stößt er eine Vase vom Tisch. (ii) Clara hatte erwartet, dass Bert den Arm ausstrecken würde. Indem Bert den Arm ausstreckt, erfüllt er Claras Erwartung. (iii) Bert streckt den Arm aus, weil er meint, es könnte den Schmerz in seinem Ellbogen mildern.29 Für den Fakt, dass Bert den Arm ausstreckt (fB), werden drei verschiedene Relationen beschrieben: in (i) eine kausale Konsequenz, in (ii) und (iii) jeweils non-kausale Konsequenzen. Demnach hat ‚indem‘ in der Aussage ‚Bert stößt eine Vase vom Tisch, indem er den Arm ausstreckt‘ kausale Bedeutung: Ein Fakt über Bert verursacht kausal, dass ein weiterer Fakt eintritt. Diese Kausalrelation besteht zwischen verschiedenen Fakten und nicht zwischen verschiedenen Ereignissen.30 Den Zusammenhang zwi_____________ 27 28 29 30

Vgl. Bennett 1995, 35–38. Vgl. Bennett 1988, 207 und 214–218; Bennett 1994, 38 f. Vgl. Bennett 1995, 38. Physikalische Gesetze, durch die eine Faktenkausalrelation entsteht, brauchen keine Kausalgesetze nach dem traditionellen Format Λx (Fx → Gx) zu sein. Dass Faktenkausalität auf Gesetze zurückzuführen ist, bedeutet lediglich, es muss (mög-

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schen Faktenkausalität und Ereigniskausalität erläutere ich im nächsten Abschnitt. [↓2.3.2] In (ii) und (iii) hat ‚indem‘ non-kausale Bedeutung. Der Fakt fB ist den31 noch relevant dafür, dass die anderen Fakten eintreten. Dass Claras Erwartung erfüllt wird, ist zwar eine Folge, aber keine kausale Folge davon, dass Bert den Arm ausstreckt. Dass Claras Erwartung erfüllt wird, ergibt sich aus fB nur unter der zusätzlichen Bedingung, dass Clara genau dieses 32 Verhalten von Bert erwartet hatte. Ein analoges Beispiel ist ‚Theo bricht das Versprechen, das er Adele gegeben hat‘. Dass Theo ein Versprechen bricht, folgt non-kausal aus verschiedenen anderen Fakten über Theo und Adele. Hatte Theo etwa versprochen, Adele am Abend anzurufen, und tut es dann nicht, so folgt aus diesen beiden Fakten, dass Theo sein Versprechen bricht. Das ist keine Kausalwirkung des unterlassenen Anrufs. Versprechen und Unterlassung sind daher nicht ursächlich dafür, dass Theo ein Versprechen bricht. Gleichwohl sind die Fakten, dass Theo etwas zu tun versprochen und es dann nicht getan hat, relevant dafür, dass Theo ein Versprechen bricht. Der dritte Fall (iii) – ‚Bert streckt den Arm aus, weil er meint, es könnte den Schmerz in seinem Ellbogen lindern‘ – unterscheidet sich von (i) und (ii) dadurch, dass ‚indem‘ gar nicht auftaucht. Es ist daher nicht sofort offensichtlich, welcher Fakt für welchen anderen relevant ist. Es ist aber offensichtlich, welcher Fakt durch welchen erklärbar ist: Dass Bert den Arm streckt, ist diesmal das Explanandum, nicht das Explanans. Er glaubt, die Streckung werde seinen Schmerz lindern – das erklärt, warum er den Arm ausstreckt. Ergänzt man die sinnfällige zweite Prämisse, dass Bert wünscht, der Schmerz möge nachlassen, ergibt sich eine vollständige Instantiierung des Ü-W-Modells. Nach Bennetts Lesart von Aussagen über Personen, ihre _____________

31 32

liche) Gesetze geben, die Eigenschaften und Veränderungen von Objekten unter bestimmten Bedingungen erfassen. Diese Gesetze brauchen sich nicht als universalquantifizierte Subjunktionen formalisieren zu lassen; wichtig ist, dass sie das Eintreten bestimmter Fakten über Objekte systematisch mit anderen Fakten über diese oder andere Objekte verknüpfen. Vgl. auch Connolly und Keutner 1987, 282; Pettit 1986. Offensichtlich lässt sich Feinbergs Akkordeon auch über non-kausale Konsequenzen von Fakten ausziehen. Vgl. Bennett 1994 und 1995, 33–35. Vgl. Bennett 1995, 39.

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Handlungen, Wünsche und Überzeugungen verknüpfen Handlungserklärungen nach dem Ü-W-Modell Fakten, keine Ereignisse. Die Konzeption von Überzeugungen und Wünschen als mentalen Ereignissen erübrigt sich und damit auch die notorischen Probleme der Individuation und kausalen Wirksamkeit solcher Ereignisse. Non-kausale Relevanz beruht oft auf Regeln der Logik und Semantik einer Sprache, oft auch auf Institutionen oder Konventionen einer Gemeinschaft: What happens in such cases is that some fact about the behavior completes a pattern, adds itself to facts that already obtain, making a more complex state of affairs; the latter is the noncausal consequence. Every behavioral fact [i. e. fact about a person] noncausally completes an infinity of patterns, which are of endlessly many 33 kinds.

Drei solche Muster [patterns] sind für die nachfolgenden Kapitel wichtig. Sie beruhen auf probabilistischen Gesetzmäßigkeiten, propositionalen Pen34 dants [propositional matches] oder auf interpersonellen Beziehungen. Erstens: Probabilistische Gesetzmäßigkeiten können Fakten non-kausal verknüpfen, weil sie bestimmte Wertungen erlauben. Saul bringt sich in Gefahr, indem er im Nebel an der Steilküste wandert. Adele steigert ihre Chancen auf eine Stelle, indem sie beim Vorstellungsgespräch lügt. – Hier haben Fakten über Saul und Adele non-kausale Konsequenzen. Zwar spielen in Sauls Fall auch physikalische und physiologische Gesetze eine Rolle dafür, dass er sich in Gefahr begibt, denn gefährlich ist seine Nebelwanderung deshalb, weil der Sturz aus einer Höhe von 30 Metern für einen Menschen höchstwahrscheinlich schwere Verletzungen nach sich zieht. Wenn die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass Saul sich durch einen Sturz von der Klippe schwer verletzen könnte, dann ist es der Fall, dass er sich gefährdet, wenn er im Nebel an der Steilküste wandert. Aber: „[T]he behavior _____________ 33 34

Bennett 1994, 40. Vgl. Bennett 1994, 40. Ich spreche von ‚interpersonellen Relationen‘, wo Bennett ‚personal relations‘ sagt, weil sein Beispiel eine Illustration von interpersonellen Relationen ist, wie sie auch Strawson 2003 [1962] beschreibt und um die es im nächsten Kapitel nochmals gehen wird. [↓3.3.3] Bennetts Wortwahl ist nicht weniger treffend als Strawsons. Durch die angleichende Übersetzung will ich lediglich inhaltliche Zusammenhänge innerhalb meiner Arbeit erkennbar machen.

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completed the pattern [of being in danger] instantaneously, not by the world’s unfolding [through a causal chain].“35 Zweitens: Propositionale Pendants führen in der gleichen Weise zu nonkausalen Konsequenzen, wie Berts Ausstrecken des Armes zur Erfüllung von Claras Erwartung führt. Der Fakt über Bert vervollständigt das ‚Erwartungsmuster‘, denn der Inhalt von Claras Erwartung findet sein Pendant in einem Fakt über Bert. Die Aussage ‚Bert streckt den Arm aus‘ benennt einen Fakt über Bert und zugleich den Gegenstand von Claras Erwartung. Andere Beispiele sind ‚Er gehorcht einem Befehl (indem er a-t)‘ oder ‚Sie bricht das Gesetz (indem sie a-t)‘.36 Im ersten Fall vervollständigt ein bestimmter Fakt das ‚Befehlsmuster‘, im zweiten Fall das ‚Gesetzesbruchmuster‘. Im zweiten Fall sind außerdem soziale Institutionen, Regeln und Praxen vorausgesetzt, aus denen sich ergibt, was Personen tun sollen oder nicht tun dürfen. Drittens: Manche Aussagen benennen Fakten über Personen, deren Bestehen weder auf Gesetze noch auf Wahrscheinlichkeiten zurückgeht, sondern auf interpersonelle Relationen. Saul ist enttäuscht von Marie, weil sie ihn belügt und weil er ihr vertraut hat. Dass Saul Marie vertraut und dass Marie Saul belügt, ist weder kausal noch non-kausal relevant dafür, dass Saul von Marie enttäuscht ist. Dieser Fakt ist nicht durch physikalische Gesetze oder logisch-semantische Regeln einer Sprache zu erklären, entscheidend sind vielmehr konkrete interpersonelle Beziehungen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Aussagen, die Fakten durch ‚indem‘ oder ‚weil‘ verknüpfen, nicht in jedem Fall Kausalrelationen beschreiben. Sie können auch non-kausale Relevanzverhältnisse darstellen. Einer der stärksten Einwände gegen kausalistische Handlungskonzeptionen besteht sicherlich darin, dass sie non-kausale Arten der Abhängigkeit verkennen und Handlungsbegründungen daher einseitig kausal interpretieren.

_____________ 35 36

Bennett 1994, 40. Vgl. Bennett 1994, 40 f. Bennetts Konzeption des propositionalen Pendants schließt auch nicht-erfüllte Erwartungen, missachtete Befehle, verratene Hoffnungen usw. ein. Das propositionale Pendant einer Erwartung, dass A a-t, kann entweder in ‚A a-t‘ bestehen oder in ‚A a-t nicht‘; das propositionale Pendant einer Hoffnung, dass p, ist entweder, dass p, oder dass nicht-p.

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KAPITEL 2

2.3.2 Faktenkausalität Wenn ein Ereignis mit dem Namen ‚Berts Umstoßen der Vase‘ stattfindet, dann muss der Fakt bestehen, dass Bert eine bestimmte Vase umstößt, propositional benennbar durch ‚Bert stößt die Vase um‘. Diese Aussage ist die Eltern-Proposition des Ereignisnamens. Wenn ein Ereignis ein anderes verursachen kann, muss es auch immer möglich sein, eine Aussage über zwei Fakten zu bilden, die einander verursachen. Folglich sind zwei Arten von Kausalrelationen zu unterscheiden, Kausalrelationen zwischen Ereignissen und Kausalrelationen zwischen Fakten. Sprachlich sind beide Arten von Kausalrelationen mithilfe des Prädikats ‚..verursacht..‘ beschreibbar, exak37 ter müsste man sagen, mithilfe des Prädikats ‚..ist kausal relevant für..‘. Analog zu Ereigniskausalaussagen (EK) lassen sich Faktenkausalaussagen (FK) etwas ungelenk, aber einfach schematisieren: EK FK

E1 ist kausal relevant für E2 Dass p1, ist kausal relevant dafür, dass p2

_____________ 37

Vgl. Bennett 1988, 22–24. Das Prädikat ‚..ist kausal relevant für..‘ vermeidet ein Missverständnis, das mit ‚..verursacht..‘ naheliegt, weil letzteres Prädikat suggeriert, dass das linke Relatum allein hinreicht, um das rechte Relatum eintreten zu lassen. In Kausalaussagen werden aber sehr häufig keine vollständigen Kausalketten rekonstruiert, sondern nur zeitlich nicht zu weit entfernte Teile solcher Ketten angeführt, oder besonders bemerkenswerte oder wichtige – kausal relevante – Faktoren. Da die Relata im Fall der Faktenkausalität propositionale Gestalt haben und keine singulären Terme sind, müsste man im Schema exakter eigentlich Satzoperatoren verwenden, z. B. ‚Verursacht_,_‘. Betrachtet man Dass-Sätze als Faktennamen, haben sie zwar propositionale Struktur, übernehmen aber in relationalen Aussagen die Funktion singulärer Terme. Ich stelle die Kausalrelation deshalb durch Prädikate wie ‚..ist kausal relevant für..‘ dar, weil sich Ereigniskausalität und Faktenkausalität so am besten gegenüberstellen lassen. Gleichwohl ist meine Darstellung gegenüber Bennetts Konzeption stark vereinfacht. Er analysiert Faktenkausalität als konkrete, transitive, kontinuierliche NH-Bedingtheit: f1 ist genau dann kausal relevant für f2, (1) wenn f1 ein notwendiger Teil der im konkreten Fall instantiierten hinreichenden Bedingung für f2 ist, ohne dass zwischen f1 und f2 ein Fakt fx eintritt, der eine NH-Bedingung für f2 ist, für den seinerseits aber f1 keine NH-Bedingung ist (Kontinuitätsbedingung), oder (2) wenn f1 eine NH-Bedingung für einen Fakt fj ist, der seinerseits eine NH-Bedingung für f2 ist (Transitivitätsbedingung). Um nicht mehr technische Details aufzunehmen als nötig, erläutere ich NH-Bedingtheit nicht näher. Vgl. dazu Bennett 1988, 42–50 und 135–142; vgl. auch Mackie 1965.

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Eine Instantiierung für EK wäre ‚Berts Arm-Ausstrecken ist kausal relevant für Berts Umstoßen einer Vase‘; eine Instantiierung für FK ‚Dass Bert den Arm ausstreckt, ist kausal relevant dafür, dass er eine Vase umstößt‘. Verwendet man anstelle der Dass-Namen für Fakten die schematische Notation fn, ergibt sich einfacher: FK*

f1 ist kausal relevant für f2

Ereigniskausalaussagen und Faktenkausalaussagen unterscheiden sich auf den ersten Blick nur in der Art ihrer Relata, die im ersten Fall Ereignisnamen sind, im zweiten Faktennamen.38 Wie dargelegt, sind Ereignisnamen transparent. [↑2.2.1] Beziehen sich zwei Namen ‚E1‘ und ‚E2‘ auf dasselbe Ereignis E, können sie in Aussagen über E wechselseitig ersetzt werden, ohne dass die Wahrheit der Aussage in Gefahr gerät. Die Transparenz von Ereignisnamen zieht die Transparenz von Ereigniskausalaussagen nach sich. In ‚E1 verursacht E2‘ kann der Ereignisname ‚E1‘ durch ‚E1*‘ ersetzt werden, ohne dass sich der Wahrheitswert der Aussage ändert. Ist EK1 wahr, dann auch EK2: EK1 EK2

Berts Arm-Ausstrecken ist kausal relevant für das Umstoßen der Vase Berts Bewegung zur Schmerzlinderung ist kausal relevant für das Umstoßen der Vase

‚Berts Arm-Ausstrecken‘ und ‚Berts Bewegung zur Schmerzlinderung‘ bezeichnen dasselbe Ereignis, weil in der konkreten Situation mit diesem Ereignis zugleich auch jenes eintritt. Da Kausalrelationen zwischen Ereignissen bestehen und nicht zwischen ihren Namen, verändert die Ersetzung eines Namens für ein Ursachenereignis durch einen anderen Namen für dasselbe Ereignis den Wahrheitswert der Kausalaussage nicht.39 _____________ 38

39

Mischformen sind möglich und in der Alltagssprache gebräuchlich: ‚Die Premiere wurde verschoben, weil der Tenor erkältet war‘ oder ‚Dass Clara außerordentlich schön ist, ist eine Ursache für ihren Erfolg als Sängerin‘. Ich lasse diese Fälle außen vor, um die Darstellung nicht unnötig zu komplizieren. Vgl. dazu Bennett 1988, 21 f. Im Unterschied zu EK1 ist der kausale Zusammenhang zwischen den benannten Ereignissen in EK2 allerdings weniger offensichtlich. Dass Berts Bewegung zur Schmerzlinderung etwas mit dem Umstoßen der Vase zu tun hat, ist nur begreiflich,

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KAPITEL 2

Fakten sind im Gegensatz zu Ereignissen intransparent. Die sprachliche Veränderung eines Faktennamens führt in den meisten Fällen nicht dazu, dass derselbe Fakt mit anderem Namen benannt wird, sondern zur Benennung eines anderen Faktes. Setzt man an die Stelle eines Faktennamens in einer Kausalaussage einen anderen Faktennamen, verändert man daher meist nicht nur den Namen des Relatums, sondern das Relatum selbst.40 Deshalb kann die Ersetzung eines Faktennamens durch einen anderen die Falschheit der ganzen Kausalaussage zur (non-kausalen) Folge haben. Während beispielsweise die Wahrheit von EK2 außer Frage steht, wäre die Faktenkausalaussage FK1 falsch: EK2 FK1

Berts Bewegung zur Schmerzlinderung (E1) ist kausal relevant für das Umstoßen der Vase (E2) Dass Bert seine Schmerzen lindert (f1), ist kausal relevant dafür, dass er eine Vase umstößt (f2)

Nicht f1 verursacht nämlich, dass Bert eine Vase umstößt, sondern f*: FK2

Dass Bert den Arm ausstreckt (f*), ist kausal relevant dafür, dass er eine Vase umstößt (f2)

Obwohl sowohl f1 als auch f* bestehen, benennen sie nicht denselben Fakt auf verschiedene Weise, sondern verschiedene Fakten. Darum bilden sie in einer Kausalaussage verschiedene Relata, nicht nur verschiedene Namen für ein und dasselbe Relatum. Dennoch treten diese beiden Fakten nicht zufällig gemeinsam auf. Um ihren Zusammenhang zu erläutern, ist nochmals ein Blick auf die Ereignisnamen in EK1 und EK2 notwendig. E1 und E2 bringen je einen Begleitfakt mit sich, der eine große Zahl von Einzelfakten umfasst. Der Begleitfakt von E1 enthält alle Fakten, über die E1 superveniert; der Begleitfakt von E2 enthält alle Fakten, über die E2 superveniert. Stellt man einen Begleitfakt durch F(E) dar, dann kann zu jeder Ereigniskausalaussage EK eine Kausal_____________

40

wenn man weiß, dass Berts Bewegung eben ein Ausstrecken des Armes war. Um jemandem zu erklären, wie das Umstoßen der Vase eintreten konnte, wäre EK2 daher weniger geeignet, aber Erklärungseignung hat keinen Einfluss auf die Wahrheit einer Kausalaussage. Vgl. Bennett 1988, 23 f.

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aussage aufgestellt werden, in der Begleitfakten an die Stelle von Ereignissen treten. So könnte man anstelle von E1 auch dessen Begleitfakt F(E1) als Ursache von E2 darstellen: EK F(E)K

E1 ist kausal relevant für E2 F(E1) ist kausal relevant für E2

Der komplexe Fakt F(E1) umfasst eine Fülle an einzelnen Fakten, von denen aber nicht alle kausal relevant dafür sind, dass E2 eintritt. Der Begleitfakt zu Berts Ausstrecken des Armes umfasst beispielsweise auch den Fakt, dass diese Bewegung die Schmerzen in Berts Ellbogen lindert, aber dieser Fakt ist nicht kausal relevant dafür, dass er eine Vase umstößt. Die Kausalaussage F(E)K besagt, dass mindestens einer der Fakten, über die E1 superveniert und die in seinem Begleitfakt F(E1) enthalten sind, für das Eintreten von E2 kausal relevant ist. Diesen kausal relevanten Fakt könnte man konkret benennen, statt den gesamten Begleitfakt anzuführen: F(E)K*

f1 ist kausal relevant für E2

Für Berts Fall entsteht damit eine hybride Kausalaussage, in der ein Fakt über Bert als Ursache für ein Ereignis beschrieben wird: ‚Dass Bert den Arm in Richtung der Vase ausstreckt, ist kausal relevant für das Umstoßen der Vase‘. Auch das Ereignis E2, das bewirkte Ereignis, besitzt natürlich einen komplexen Begleitfakt F(E2). F(E)K* bedeutet daher, es gibt einen Fakt im Begleitfakt des Ursachenereignisses E1, der für das Eintreten des Begleitfaktes von E2 relevant ist: F(E)K**

f1 ist kausal relevant für F(E2)

Da F(E2) wiederum eine Fülle an Einzelfakten enthält, die zwar E2 konstituieren, aber nicht durch f1 kausal verursacht sind, lautet der nächste Schritt der Analyse: Wenn ein Fakt f1, über den E1 superveniert, für E2 kausal relevant ist, dann ist f1 für mindestens einen Fakt in F(E2) kausal relevant. Diesen Fakt nenne ich f2: F(E)K***

f1 ist kausal relevant für f2

Mit diesem letzten Schritt ist man bei einer simplen Faktenkausalaussage angelangt, instantiiert zum Beispiel mit der Auskunft ‚Dass Bert den Arm

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KAPITEL 2

streckt, ist kausal relevant dafür, dass er die Vase umstößt‘.41 Damit ist gezeigt, dass Ereigniskausalaussagen auf Faktenkausalaussagen reduzierbar sind. Immer wenn ein Ereignis ein anderes kausal verursacht, superveniert das Ursachenereignis über Fakten, die für das Eintreten anderer Fakten kausal relevant sind, über die wiederum das Wirkungsereignis superveniert. Die Rede von Fakten als Ursachen und Wirkungen hat mehrere Vorzüge. Zum einen können mehrere kausal relevante Fakten als Konjunktion angeben werden: ‚f1 & f2 &… fn sind kausal relevant für fz‘. Damit wird nicht impliziert, dass mehrere Ereignisse stattgefunden haben, die alle gleichermaßen als Ursachen gelten, es wird lediglich präzisiert, welche Konstellation von Fakten (über die ein einziges Ereignis superveniert) relevant dafür ist, dass etwas der Fall ist. Zum anderen erweisen sich adjunktive Ursachenangaben als nützlich, wenn Ungewissheit über die kausale Relevanz bestimmter Fakten besteht. Die Ursache dafür, dass Bert sich erkältet hat, war entweder, dass er gestern zu lange schwimmen war oder dass das Wasser noch zu kalt war oder dass er nachher zu lange in nasser Kleidung herumlief. Diese Adjunktion von Fakten gibt zwar keine eindeutige Antwort auf die Frage, warum Bert erkältet ist, sie schließt aber viele Fakten aus, die jedenfalls kausal irrelevant sind.42 Schließlich erweist sich der bereits erwähnte „Luxus der Negation“43 auch bei Faktenkausalaussagen als vorteilhaft. Das traditionelle Konzept der Ereigniskausalität wirft Fragen nach vermeintlichen negativen Handlungen auf: Findet eine Handlung statt, wenn Clara nicht Trompete übt? Wenn Ereigniskausalität als einzige Form von Kausalität zugelassen ist, müsste man den Ausdruck ‚Claras Nicht-Üben‘ als Ereignisnamen auffassen, um sagen zu können, dass Clara absichtlich handelt, indem sie nicht Trompete übt. Nun ist, wie erwähnt, zweifelhaft, ob ein Ereignis darin bestehen kann, dass etwas nicht geschieht. Andererseits aber schließt der alltagssprachliche Handlungsbegriff solche Fälle nicht aus. Dass jemand etwas nicht tut, kann ihm durchaus als Handlung zugeschrieben und als Handlung beurteilt werden, weil wir uns eher dafür interessieren, ob er _____________ 41 42 43

Vgl. Bennett 1988, 135–137. Vgl. Bennett 1988, 140. Bennett 1988, 140.

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wusste, was er hätte tun sollen, und ob er selbst entschieden hat, es nicht zu tun. Müsste man also doch negative Handlungen und damit Ereignisse zulassen, die paradoxerweise stattfinden, wenn etwas nicht stattfindet? Faktenkausalität umgeht dieses Problem: Es ist ein Fakt, dass Clara nicht übt, und dieser Fakt liegt einem möglichen Urteil, einem Vorwurf, einer Sanktion zugrunde. Man braucht nicht zu entscheiden, ob Claras Nicht-Üben ein Ereignis ist und dieses Ereignis eine Handlung. Weder die Wahrheit der Aussage ‚Clara hat nicht geübt‘, noch die Wahrheit eines komplexen Satzes wie ‚Dass Clara nicht geübt hat, führt dazu, dass die Dirigentin im Orchester von Clara enttäuscht ist‘ hängen davon ab, dass Claras Verhalten als Ereignis darstellbar ist (nach traditionellem Verständnis, ohne Rekurs auf Fakten). Die Berechtigung von Lob und Tadel hängen nicht davon ab, ob ‚positive‘ oder ‚negative‘ Ereignisse stattfinden – sofern man dieser Distinktion einen Sinn verleihen kann –, sondern davon, dass bestimmte Fakten bestehen und bestimmte Muster vervollständigen.44 Akzeptiert man die Unterscheidungen zwischen Ereignissen und Fakten sowie zwischen Ereigniskausalität und Faktenkausalität, dann sollte am Beginn einer Untersuchung von Handlungen und Handlungsgründen die Frage stehen, um welche Art von Relationen es eigentlich geht. Sind ‚Adele schaltet das Licht an, um den Raum zu erleuchten‘ oder ‚Bert streckt den Arm, weil das seinen Schmerz lindert‘ Kausalaussagen? Sind es Ereigniskausalaussagen oder Faktenkausalaussagen? In der Gründe-Ursachen-Debatte wurden oft exemplarische Handlungsbeschreibungen und -erklärungen zur Stützung von Argumenten herangezogen, sowohl auf kausalistischer als auch auf nicht-kausalistischer Seite. ‚Adele schaltet das Licht an‘ und ‚Bert hebt den Arm‘ sind zwei der häufigsten Beispiele, und wie dargelegt, spricht vieles dafür, sie als Benennung von Fakten zu lesen, nicht als Beschreibung von Ereignissen. Dementsprechend wäre die Erklärungsrelation zwischen den Gründen der Akteure und ihren Handlungen Faktenkausalität oder non-kausale Relevanz, aber nicht Ereigniskausalität. Die Frage, ob Handlungsgründe Ereignisse sind, erübrigt sich ebenso wie die problematische Konzeption mentaler Ereignisse. Aussagen über Wünsche, Überzeugungen und Absichten sind ohne Frage unverzichtbar, um menschliches Handeln zu erklären. Nichts zwingt _____________ 44

Vgl. Bennett 1988, 140 f.

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KAPITEL 2

aber zu der Annahme, dass Wünsche, Überzeugungen und Absichten Ereignisse sind. Vieles legt hingegen nahe, mentale Begriffe als Namen für eine bestimmte Sorte von Fakten zu betrachten. Dafür spricht beispielsweise die Tatsache, dass wir Gründe in der Regel nicht in Form von Kennzeichnungen, sondern als Propositionen angeben, nämlich in Weil-Sätzen oder Um-zu-Sätzen. Des Weiteren erlaubt die Konzeption von Gründen als Fakten, an der Intuition der Kontrafaktizität festzuhalten: Dass jemand dies wünschte und jenes glaubte, kann sein Handeln erklären, weil er ohne diesen Wunsch und jene Überzeugung nicht so gehandelt hätte. Ein kontrafaktisches Konditional impliziert aber nicht, dass bestimmte physikalische Kausalgesetze instantiiert sind und daher bestimmte Ereignisse stattfinden, denn es gibt neben Kausalität noch weitere Relevanzrelationen zwischen Fakten, die einer Erklärung ebenfalls zugrunde liegen können. Dass f2 nicht der Fall wäre, wenn nicht f1 bestünde, kann heißen, dass f1 und f2 ein physikalisches Kausalgesetz instantiieren, es kann aber auch heißen, dass die beiden Fakten logisch-semantisch verknüpft sind oder dass sie ein Muster komplettieren, dass auf sozialen Regeln oder auf interpersonellen Bezie45 hungen beruht.

_____________ 45

Man kann natürlich substantivische Ausdrücke wie ‚A’s Handlung‘ verwenden und ‚A’s Wunsch, dass p‘ oder ‚A’s Überzeugung, dass p‘ in Erklärungen anführen. Es ist aber zu beachten, dass nicht jedes Substantiv ein Ereignis benennt – die grammatische Umformung einer Proposition in eine Kennzeichnung schafft noch kein Ereignis. Falls ‚A’s Handlung‘ oder ‚A’s Wunsch‘ Ereignisnamen sind, dann müsste es eine komplexe Eigenschaft Q geben, die in einer abgrenzbaren vierdimensionalen Zone instantiiert ist. So schwere ontologische Implikationen gehen mit alltagssprachlichen Handlungsbegründungen in aller Regel gar nicht einher. Aussagen wie ‚Saul spricht nicht mehr mit Marie, weil er enttäuscht von ihr ist‘ oder ‚Bert streckt den Arm, weil er seine Schmerzen lindern will‘ können die Funktion einer Handlungserklärung erfüllen, ohne Ereignisse kausal zu verknüpfen. Für beide Aussagen können konkrete Wahrheitsbedingungen angeführt werden, so dass zutreffende von unzutreffenden Handlungserklärungen unterschieden werden können. Ein Ereignisbegriff ist dafür weder erforderlich, noch erscheint er hilfreich. Vgl. Bennett 1988, 42–50 und 135–142.

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2.4 Zusammenfassung Dieses Kapitel enthielt begriffliche Klärungen, die im Weiteren eine Darstellung ohne großen technischen Aufwand erlauben werden. Die Unterscheidung zwischen Fakten und Ereignissen sowie die Unterscheidung zwischen Faktenkausalität und anderen Relevanzrelationen kommen fortan ohne ausführliche Kommentierung zum Einsatz. Ich habe die Ereigniskonzeption von Bennett hauptsächlich dargelegt, um in den nächsten Kapiteln auf den Ereignisbegriff verzichten zu können und mich auf die Rede von Fakten zu beschränken. Weil der Ereignisbegriff in traditionellen Ansätzen für viele Unklarheiten sorgt, habe ich eine alternative Konzeption von Jonathan Bennett aufgenommen, der eine Unterscheidung zwischen Ereignissen und Fakten zugrunde liegt. Bennett geht von der Beobachtung aus, dass Aussagen der Form ‚A a-t‘ Fakten benennen, deren Bestehen nicht davon abhängt, dass bestimmte Ereignisse stattfinden. Das Stattfinden eines Ereignisses setzt hingegen voraus, dass bestimmte Dinge der Fall sind, dass also bestimmte Fakten bestehen. Dieses Verhältnis von Ereignissen zu Fakten ließ sich als Supervenienz beschreiben. [↑2.1.1] Da Ereignisse nach Bennett in vierdimensionalen Raum-Zeit-Zonen zu verorten sind, ohne dass stets für alle Dimensionen ein Wert über null gegeben sein muss, können auch Ereignisse ohne zeitliche Erstreckung, zum Beispiel Maries Sieg im Wettlauf, erfasst werden. In jedem Fall wird ein Ereignis durch ein Bündel von Fakten konstituiert – ohne Fakten kein Ereignis. [↑2.1.2] Im zweiten Teil des Kapitels standen Fakten im Vordergrund: Der Fakt, dass p, besteht, wenn es der Fall ist, dass p. Eine wahre Aussage der Form ‚A a-t‘ benennt den Fakt, dass A im Begriff ist, zu a-en. In komplexen Sätzen werden häufig Fakten, keine Ereignisse verknüpft, vor allem im Anschluss an die Konjunktionen ‚weil‘ und ‚indem‘. Ein wichtiger Unterschied zwischen Fakten und Ereignissen liegt darin, dass Ereignisnamen transparent sind, Fakten dagegen intransparent. Diese Intransparenz zeigt sich daran, dass sich mit der Veränderung eines Faktennamens in der Regel auch der benannte Fakt ändert. Dagegen kann ein und dasselbe Ereignis durch viele Namen bezeichnet werden, ohne dass sich das Deskriptum ändert, zum Beispiel ‚eine Premiere‘, ‚eine Opernpremiere‘ oder ‚die Premiere von Don Giovanni in Weimar‘. [↑2.2.1]

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KAPITEL 2

Das Verhältnis zwischen Fakten und Ereignissen beschreibt Bennett bildlich als Elternschaft, weil Ereignisnamen aus Propositionen der Form ‚x a-t‘ gewonnen werden, die ihrerseits Fakten benennen. Die Relation der Supervenienz von Ereignissen über Fakten ist durch diese Eltern-Proposition begründet, weil aus ihr sowohl ein Ereignisname ‚E‘ als auch der Fakt, dass pE, generierbar sind. [↑2.2.2] Die Relevanz der begrifflich exakten Trennung von ‚Ereignis‘ und ‚Fakt‘ ließ sich an einigen Problemen zeigen, die in der Handlungstheorie immer wieder für Diskussionen sorgen. Geht es beispielsweise um die Bedingungen der Handlungsgeltung dessen, was ein Mensch tut, ist eigentlich nicht entscheidend, ob sein Verhalten als Ereignis darstellbar ist. Wichtiger ist, von welchen Bedingungen – von welchen Fakten über Akteur und Umgebung – es abhängt, ob wir sein Verhalten als absichtlich auffassen und was wir als Begründung gelten lassen. [↑2.2.3] Im dritten Teilkapitel habe ich mich Faktenrelationen zugewendet. Als erstes ließen sich Indem-Sätze als Verknüpfungen beschreiben, mit denen die non-kausale Relevanz eines Faktes für einen anderen aufgezeigt wird. Eine solche non-kausale Faktenrelation kann angeführt werden, um einen Fakt durch einen anderen zu erklären, ohne dass Kausalität oder implizite Gesetzmäßigkeit behauptet werden muss. Anstelle einer Kausalgeschichte kann einer Erklärung, weshalb etwas der Fall ist, auch eine logisch-semantische Relation zugrunde liegen oder ein Faktenmuster. Solche Muster beruhen häufig auf probabilistischen Regelmäßigkeiten (Saul gefährdet sich, indem er an der Steilküste wandert), propositionalen Pendants (Bert tut, was Clara erwartet hatte) oder auf interpersonellen Relationen (Clara verzeiht Bert, weil sie ihn liebt). [↑2.3.1] In der Anwendung auf handlungstheoretische Fragen ergibt sich, dass Handlungserklärungen der Form ‚A a-t, weil p‘ oder ‚A a-t, um zu a*-en‘ Kausalrelationen beschreiben können, allerdings liegt dann Faktenkausalität vor, nicht Ereigniskausalität. Wegen der Supervenienz von Ereignissen über Fakten ist Ereigniskausalität auf Faktenkausalität reduzierbar. Mithilfe des Begriffes ‚Begleitfakt‘ ließ sich zeigen, dass Ereigniskausalität genau dann besteht, wenn ein Ereignis über (mindestens) einen Fakt superveniert, der für (mindestens) einen Fakt kausal relevant ist, über den ein anderes Ereignis superveniert. Ein Vorzug von Faktenkausalaussagen gegenüber Ereigniskausalaussagen besteht darin, dass Faktenkausalaussagen präzisere Erklärungen bieten.

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Sie sind nämlich nur dann wahr, wenn wirklich kausal relevante Fakten benannt werden. Ereigniskausalaussagen sind dagegen auch wahr, wenn das Ursachenereignis unter einem Namen auftritt, der seine kausale Relevanz eher verschleiert. Außerdem erlaubt Faktenkausalität die Verknüpfung von Negationen, Konjunktionen und Adjunktionen als Ursachen, ohne damit folgenreiche ontologische Behauptungen aufzustellen. Abschließend habe ich auf einige weitere handlungstheoretisch relevante Aspekte aufmerksam gemacht, bei denen Faktenrelationen im Spiel sind. So ist bei einer Untersuchung von Handlungsbegründungen vor allem zu klären, ob eine kausale oder non-kausale Verknüpfung von Handlungen und Gründen vorliegt. Während traditionelle Handlungskonzeptionen in der Regel davon ausgehen, dass Handlungen Ereignisse sind und Handlungserklärungen folglich Ereigniskausalität instantiieren, spricht vieles dafür, Handlungserklärungen als Faktenverknüpfungen aufzufassen, die kausal oder non-kausal sein können. Damit bleiben problematische Fragen außen vor, etwa die nach der Individuation mentaler Ereignisse oder nach der Raum-Zeit-Verortung von diskontinuierlichen Handlungen. [↑2.3.2] Fortan verwende ich die Begriffe ‚Ereignis‘ und ‚Fakt‘ entsprechend den Erläuterungen dieses Kapitels. Außerdem ist die Rede vom menschlichen Handeln als Referenz auf den Fakt zu verstehen, dass Menschen manches absichtlich tun. Bei der folgenden Rekonstruktion und Interpretation der Werke von Hart, Anscombe und Melden geht es um Bedingungen, unter denen das Tun und Lassen von Personen als Handeln gilt, das heißt einerseits um die Bedingungen der Möglichkeit, dass Menschen etwas absichtlich tun, andererseits um die Bedingungen, unter denen wir erkennen und verstehen, dass jemand etwas absichtlich tut.

3 Zuschreibungskonzeptionen I: H.L.A. Hart. Verantwortlich handeln

Im Jahr 1949 hielt H. L. A. Hart vor der Aristotelian Society einen Vortrag, der anschließend unter dem Titel The Ascription of Responsibility and Rights veröffentlicht wurde.1 In diesem Aufsatz findet der Gedanke, dass ‚Handlung‘ keine Art von Ereignissen bezeichnet, erstmals in einem dezidiert handlungstheoretisch angelegten Text Ausdruck. Wenn wir etwas als absichtliches Handeln beschreiben, treffen wir nach Harts Auffassung keine Feststellung über die physikalische Beschaffenheit eines Geschehens, sondern über seine praktische Bedeutung, über seine Geltung in der konkreten Situation. Eine Bestimmung des Handlungsbegriffes sollte daher die Bedingungen herausarbeiten, unter denen ein Geschehnis als Handlung gilt. Hart glaubt nicht, dass eine Untersuchung physikalischer Kausalrelationen über diese Geltungsbedingungen Aufschluss gibt. Harts Ansatz, später unter dem Schlagwort ‚Askriptivismus‘2 diskutiert, taucht in der gegenwärtigen Handlungstheorie selten auf. Dies ist wohl _____________ 1 2

Hart 1948 / 49. Im Folgenden verwende ich den Kurztitel The Ascription. Die Bezeichnung ‚Askriptivismus‘ stammt aus einer nicht sehr wohlwollenden Besprechung von The Ascription von Peter Geach (1960). Nach langer Stille treten seit wenigen Jahren wieder Autoren auf, die sich selbst als Askriptivisten sehen, beispielsweise Andrew Sneddon (2006), der von ‚Neo-Askriptivismus‘ spricht. Im Unterschied zu Hart lehnt Sneddon begriffsanalytische Methoden dezidiert ab, macht tatsächlich aber durchaus von ihnen Gebrauch. Katarzyna Paprzycka (2008) ordnet Hart nicht dem Askriptivismus, sondern, wie sie es nennt, dem Responsibilismus zu. Damit charakterisiert sie zwar Harts Position treffend, doch blendet die Bezeichnung ‚Responsibilismus‘ mit dem Fokus auf Verantwortung statt auf Handlungen die Gemeinsamkeiten mit anderen nicht-kausalistischen Ansätzen von Harts Zeitgenossen aus, beispielsweise von Anscombe und Melden. Deren Positionen lassen sich ebenfalls als Zuschreibungskonzeptionen lesen, allerdings geht es eher um

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KAPITEL 3

auch auf die massive Kritik zurückzuführen, die er seinerzeit auf sich zog und der man in einigen Punkten zustimmen muss. Dennoch wird man Hart nicht gerecht, wenn man seinen Ansatz wegen dieser Mängel ganz und gar verwirft. Der Grundgedanke, dass der Handlungsbegriff die praktische Bedeutung oder die Geltung von Verhalten erfasst, nicht dessen physikalische Eigenschaften, ist allemal erwägenswert. Nimmt man diesen Gedanken ernst, eröffnet The Ascription eine interessante Alternative zu traditionellen kausalistischen Konzeptionen.

3.1 Die Idee des Askriptivismus 3.1.1 Zuschreibungen In H. L. A. Harts The Ascription stehen Zuschreibungen erstmals in der modernen Handlungstheorie im Mittelpunkt. Hart ist überzeugt, dass es nicht möglich ist, den Begriff der Handlung über Gründe und Ursachen zu definieren, ja, ihn überhaupt zu definieren, sofern dies die Erfassung spezifischer Merkmale in Form von notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfordert. Die Bedeutung des Handlungsbegriffes könne eher durch eine Beschreibung von Praxen erhellt werden. Unter Praxen versteht Hart etablierte Umgangsweisen einer Gemeinschaft mit bestimmten Situationen. In den Praxen, die Mitglieder einer Gemeinschaft für den Umgang miteinander ausbilden, tritt nach Harts Meinung zutage, was man in dieser Gemeinschaft unter absichtlichem Handeln versteht. Die Bedeutung des Handlungsbegriffs werde durch die Ausübung solcher Umgangsweisen geformt und verändert – eine Dynamik, der eine Definition durch artspezifische Merkmale nicht gerecht werden könne. Offensichtlich schlägt Hart damit eine Lesart von Aussagen der Form ‚A a-t‘ vor, die sich von derjenigen kausalistischer Ansätze deutlich unterscheidet. Seiner Ansicht nach konstatieren wir mit solchen Handlungsaussagen keine gegebenen Fakten, die unabhängig davon bestehen, ob und wie man sie beschreibt. Vielmehr verschaffen wir einem Verhalten eine bestimmte soziale Geltung, indem wir es als absichtliches Handeln beschrei_____________ die Zuschreibung von Handlungen, Handlungsabsichten und Handlungsfähigkeiten, weniger von Verantwortung.

H . L . A . H A RT

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ben und vor allem beurteilen. Die Besonderheit von Handlungsaussagen gegenüber anderen Beschreibungen von Verhalten besteht nach Hart darin, dass erstere stets zugleich moralische Urteile sind. Demnach sind Handlungsaussagen keine moralisch neutralen Konstatierungen dessen, was der Fall ist. Sie besagen etwas über die moralischen Qualitäten eines Verhaltens und so zugleich über die moralischen Qualitäten der Akteure. Deshalb enthalten Handlungsaussagen der Form ‚A a-t‘ nach Harts Auffassung stets Verantwortungszuschreibungen: My main purpose […] is to suggest that the philosophical analysis of the concept of a human action has been inadequate and confusing, at least in part because sentences of the form ‚He did it‘ have been traditionally regarded as primarily descriptive whereas their principal function is what I venture to call ascriptive, being quite literally to ascribe responsibility for actions much as the principal function of sen3 tences of the form ‚This is his‘ is to ascribe rights in property.

Wenn beispielsweise jemand glaube, dass Mr. Smith absichtlich eine Frau schlägt, dann sehe er Smith’ Verhalten als absichtliches Handeln und damit schreibe er Smith Verantwortung für sein Verhalten zu. Hart behauptet nicht, dass wir erst eine Aussage wie ‚Smith ist verantwortlich für…‘ äußern müssen, um Verantwortung zuzuschreiben. Dass wir jemanden für verantwortlich halten, zeigt sich nach seiner Ansicht an unseren Reaktionen auf jemandes Verhalten. So würden wir gegenüber Smith mit Urteilen oder Sanktionen reagieren, die nicht allein dadurch begründet wären, dass Smith eine Frau schlägt, sondern dadurch, dass er sie absichtlich schlägt. Allerdings könnten andere Beobachter, womöglich Smith selbst, eine andere Sicht auf die Dinge haben als wir und meinen, der Schlag sei ohne Absicht geschehen, sei ein Versehen gewesen, ein Irrtum, ein Missgeschick… _____________ 3

Hart 1948 / 49, 171. Angesichts dessen scheint es irreführend, Aussagen der Form ‚A a-t‘ ‚Handlungsbeschreibungen‘ zu nennen. Schließlich meint Hart gerade, dass sie nicht primär der Beschreibung von Geschehnissen dienen, sondern der Zuschreibung von Verantwortung. Wie ich noch zeigen werde, schließen Beschreibung und Zuschreibung einander nicht aus. Es handelt sich eher um verschiedene Funktionen, die ein und dieselbe Aussage erfüllen kann. Um Verwirrung zu vermeiden, werde ich Aussagen der Form ‚A a-t‘ aber fortan als Handlungsaussagen bezeichnen, es sei denn, die Unterscheidung zwischen den Funktionen der Zuschreibung und der Beschreibung wird selbst thematisiert.

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KAPITEL 3

– In den Augen dieses zweiten Beobachters hätte Smith’ Verhalten eine andere Bedeutung, folglich würde er in einer Weise reagieren, die keine Verantwortungszuschreibung darstellt. An der Möglichkeit widerstreitender Deutungen wird eine wesentliche Eigenschaft von Zuschreibungen erkennbar. Sie unterscheiden sich von Konstatierungen durch die Art und Weise ihrer Bewährung. Während Konstatierungen wie ‚Es schneit‘ oder ‚Heute habe ich Geburtstag‘ auf ihre Wahrheit hin untersucht werden können, kommen in Zuschreibungen Deutungen oder Ansichten – im eigentlichen Sinn des Wortes – zum Ausdruck. Eine Zuschreibung wie ‚Smith hat die Frau mit Absicht geschlagen‘ ist nicht durch empirische Tests falsifizierbar, aber sie muss sich mit konkurrierenden Deutungen messen, etwa wenn jemand entgegenhält, Smith habe die Frau einfach nicht gesehen oder Smith sei von jeher besonnen und friedfertig, er würde nie jemanden schlagen. Um eine dieser Zuschreibungen als treffendste, angemessenste zu erweisen, wird es nötig sein, weitere Fakten über die Handlungssituation und die beteiligten Personen zu benennen. Eventuell ist eine Einbettung der Geschichte in einen umfassenderen Kontext erforderlich, durch weitere Erläuterungen zu Smith’ Vergangenheit oder eine detailliertere Schilderung seiner psychischen Disposition. In jedem Fall erfordert die Stützung einer bestimmten Zuschreibung eine narrative Kontextualisierung, keine logische Deduktion der Zuschreibung aus einer Reihe von Prämissen oder durch die Subsumtion des Falles unter Gesetzmäßigkeiten.4 Daneben müssen sich Zuschreibungen in der Praxis bewähren: Werden die weiteren Urteile, die sich auf sie stützen, von anderen Personen akzeptiert, bezweifelt oder bestritten? Haben die Reaktionen, die auf eine bestimmte Zuschreibung gründen, erwünschte oder unerwünschte Folgen? Bei dieser Bewährung steht nicht die Wahrheit einer Zuschreibung zur Disposition, sondern ihre Angemessenheit. Hart nennt solche Bewährungsproben ‚Anfechtungen‘. [↓3.1.2] Hart zufolge ist absichtliches Handeln Verhalten, für das man den Ausführenden Verantwortung in Form von Lob und Tadel zuschreiben kann und für das sich diese Zuschreibung in der Praxis bewährt. Demnach sind absichtliche Handlungen nicht als eine Art von Ereignissen gegeben. Sie _____________ 4

Vgl. Hart 1948 / 49, 189.

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entstehen vielmehr dadurch, dass Verhaltensepisoden – Ausschnitte aus dem Verhalten einer Person – durch Urteile und Reaktionen einer bestimmten Art, nämlich moralische Urteile und Reaktionen, Geltung als Handeln erlangen. So wie wir mit dem Begriff des Eigentums unterscheiden zwischen Dingen, die einer Person gehören, und Dingen, die ihr nicht gehören, so unterscheiden wir laut Hart mit dem Begriff des Handelns zwischen solchem Verhalten, das Personen absichtlich ausführen und das sie zu verantworten haben, und ihrem sonstigen Verhalten: There are in our ordinary language sentences whose primary function is not to describe things, events, or persons or anything else, nor to express or kindle feelings or emotions, but to do such things as claim rights (‚This is mine‘), recognise rights when claimed by others (‚Very well this is yours‘), ascribe rights whether claimed or not (‚This is his‘), transfer rights (‚This is now yours‘), and also to admit or as5 cribe or make accusations of responsibility (‚I did it‘, ‚He did it‘, ‚You did it‘).

Diese Passage enthält den Grundgedanken von Harts Ansatz: Der Handlungsbegriff lässt sich nicht definieren, sondern nur durch die Beschreibung der Urteile und Reaktionen bestimmen, mit denen wir uns praktisch auf absichtliches Handeln beziehen. Zu diesen Reaktionen gehört das Zuschreiben von Verantwortung, indem wir Menschen loben oder tadeln. Lob und Tadel können nach Harts Auffassung mehr oder weniger angemessen sein, aber nicht wahr oder falsch. Infolge der heftigen und nicht immer benevolenten Kritik distanzierte sich Hart zunächst von seiner Position und verweigerte den Wiederabdruck von The Ascription. Mit Handeln und Verantwortung befasste er sich später nur noch in rechtsphilosophischen Kontexten.6 Bei aller Kritik erscheint _____________ 5 6

Hart 1948 / 49, 171. Im Vorwort zu Punishment and Responsibility (1968), einer Sammlung rechtsphilosophischer Aufsätze, erklärt sich Hart mit seinen Kritikern Peter Geach und George Pitcher einverstanden und begründet damit die Entscheidung gegen die erneute Veröffentlichung. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Hart in den übrigen Aufsätzen den Ausdruck ‚Zuschreibung‘ nicht einmal dann verwendet, wenn es naheliegen und keine kontroverse handlungstheoretische Position implizieren würde. Gordon Baker stellt allerdings fest, dass Hart das Thema der Zuschreibungen durchaus weiterverfolgte. So findet sich das Grundproblem einer alternativen Weise der Begriffsbestimmung – alternativ zur Definition durch notwendige und gemeinsam hinreichende Bedingungen – in Harts Antrittsvorlesung Definition and Theory in Jurispru-

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dieser Rückzug nicht zwingend. Harts Ansatz bedarf der Korrektur, der Präzisierung und Ergänzung, doch er ist nicht von Grund auf verfehlt. Vielmehr trägt er als einer der ersten der Tatsache Rechnung, dass der Begriff des Handelns mit der lebensweltlichen Praxis auf das engste verknüpft ist: In other words, […] our concept of an action, like our concept of property, is a social concept and logically dependent on accepted rules of conduct. It is fundamentally not descriptive, but ascriptive in character; and it is a defeasible concept to be defined through exceptions and not by a set of necessary and sufficient conditions 7 whether physical or psychological.

Wollen wir wissen, was absichtliches Handeln ausmacht, sollten wir also herausfinden, wozu uns die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten dient. Was hängt eigentlich davon ab, dass wir beides auseinanderhalten? Bei der Beantwortung dieser Frage wird man nicht auf eine Definition von ‚Handlung‘ stoßen, wohl aber ein besseres Verständnis davon gewinnen, was es heißt, von einer Person zu sagen, dass sie absichtlich handelt. Laut Hart folgt aus Aussagen der Form ‚A a-t‘ eine Verantwortungszuschreibung an A, falls man A’s Verhalten mit dieser Aussage als absichtli_____________

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dence (1953) wieder und stellt eines der zentralen Themen von The Concept of Law (1961) dar. Vgl. dazu Baker 1977, 28. Harts Hauptwerk Causation in the Law (1959, zus. mit Tony Honoré) enthält Passagen, die dies erklären könnten. Darin wird der Zusammenhang zwischen Handeln und Verantwortung differenzierter dargestellt als in The Ascription. Verantwortungszuschreibungen erscheinen nun nicht mehr als logisch-begriffliche Konsequenzen der Deutung von Verhalten als Handeln, sondern als praktische Folge einer solchen Deutung. Handlungen werden also nicht mehr durch den Begriff der Verantwortung bestimmt, sondern durch ihre Relation zu natürlichem Geschehen: „Human action in the simple cases, where we produce some desired effect by the manipulation of an object in our environment, is an interference in the natural course of events which makes a difference in the course these develop“ (Hart und Honoré 1959, 29). Ehe man hieraus schließt, dass Hart sich zum handlungstheoretischen Kausalisten gewandelt hat, sei bemerkt, dass Hart die manipulativen Eingriffe nicht zwischen mentalen Ereignissen ‚in‘ Akteuren und ihrem ‚äußeren‘ Verhalten ausmacht, sondern zwischen jemandes Verhalten und dessen Wirkungen auf die akteursexterne Umwelt. Über die Kausalursachen des Verhaltens ist damit nichts gesagt. Vgl. auch Hart und Honoré 1959, lxxviii– lxxix, 28–32, 62–83. Hart 1948 / 49, 171.

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ches Handeln beschreibt. Aus The Ascription geht nicht hervor, für welche Art von Gegebenheiten oder Gegenständen jemand verantwortlich gemacht werden kann. Ich nehme hierfür Fakten an, weil alltagssprachliche Verantwortungszuschreibungen dies nahelegen: Wenn wir jemandem Verantwortung zuschreiben, dann häufig durch Sätze wie ‚Clara ist schuld daran, dass letzte Nacht niemand schlafen konnte‘ oder ‚Clara ist Schuld an dem Lärm letzte Nacht‘. Im ersten Satz wird dasjenige, wofür Clara Verantwortung zukommt, explizit als Fakt benannt. Der zweite Satz ist leicht in derselben Form rekonstruierbar, weil die Kennzeichnung ‚der Lärm letzte Nacht‘ sich als Name eines Ereignisses analysieren lässt, das über eine Reihe von Fakten superveniert. Anstelle von ‚der Lärm letzte Nacht‘ könnte ohne Bedeutungsveränderung stehen ‚dass es letzte Nacht so laut war‘. [↑2.1] Die Rede von Ereignissen als Gegenständen der Verantwortung wird damit verzichtbar und man entgeht den Schwierigkeiten der Ereignisindividuation und -kausalität. [↑1] Welche Fakten innerhalb des Verantwortungsbereiches einer Person liegen, ist damit freilich nicht geklärt. Wenn Clara nachts Trompete übt, kommt ihr sicherlich Verantwortung für den Fakt zu, dass sie nachts Trompete übt. Wären Akteure jedoch immer nur dafür verantwortlich, dass sie tun, was sie eben gerade tun, wären Verantwortungszuschreibungen für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens nicht sonderlich hilfreich. Verantwortung kann sich offensichtlich auch auf Fakten erstrecken, die jemand herbeiführt, indem er etwas (anderes) tut, oder auf Fakten, die viel später aus seinem Verhalten folgen. So ist Clara eben nicht nur dafür verantwortlich, dass sie mitten in der Nacht Trompete übt, sondern auch dafür, dass sie dadurch die Nachbarn weckt. Nicht nur Verantwortungsgegenstände bleiben bei Hart unbestimmt, er gibt auch nicht an, welche Grenzen dem Verantwortungsbereich einer Person gesetzt sind. Dass Clara nachts Trompete spielt, ist für unzählige Fakten kausal oder non-kausal relevant. Sie hält nicht nur die Nachbarn wach, sie bringt auch die Dielen zum Beben, erschüttert den Pudding auf dem Küchentisch, alarmiert ihren Untermieter, der sonst die Nachtschicht versäumt hätte, sie nutzt das Mundstück der Trompete ab usw. Es wäre absurd, Clara für jede dieser Folgen zu loben oder zu tadeln; man würde lediglich eine Fülle von überflüssigen, weil praktisch irrelevanten moralischen Urteilen produzieren.

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Wie die zuletzt zitierte Passage erkennen lässt, hält Hart eine allgemeine Definition des Verantwortungsbereiches für unmöglich. Ob man Clara für den Lärm letzte Nacht tadeln könne, sei eine praktische Frage und daher nur mit Blick auf die konkreten Handlungsumstände zu beantworten. Dies liegt nach Harts Auffassung in erster Linie daran, dass persönliche Verantwortung durch Regeln und Konventionen einer Gemeinschaft begrenzt wird. Diese sind, obzwar verbindlich, doch kontingent und veränderlich. Nur wenn es in Claras Gemeinschaft eine Konvention gibt, die nächtliches Trompetenspiel untersagt, wäre es gerechtfertigt, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass sie nachts Trompete spielt. Die Bindung von Verantwortungszuschreibungen an kontingente Regeln und Konventionen ist insofern problematisch, als nicht alle Handlungsvollzüge unter Regeln und Konventionen fallen. Ob man ein rotes oder ein blaues Fahrrad fährt, ist moralisch ebenso gleichgültig wie die Wahl von Müsli statt Toast zum Frühstück oder von Italien statt Island als Ferienziel. Nicht jede Handlung unterliegt moralischen Normen, auf die sich eine Verantwortungszuschreibung berufen könnte. Hart müsste daher alle Handlungen, die unter keinerlei moralische Norm fallen, aus dem Bereich dessen, wofür man Personen verantwortlich machen kann, ausnehmen. Da ein Kerngedanke seines Ansatzes darin besteht, dass Handlungsaussagen immer auch Verantwortungszuschreibungen sind, würde er die betreffenden Vollzüge damit auch aus dem Bereich des absichtlichen Handelns ausschließen. Einer Person, die sich nach einem Müslifrühstück auf einem roten Fahrrad auf den Weg nach Italien macht, blieben nicht nur Lob und Tadel erspart, ihr Verhalten könnte insgesamt nicht als absichtliches Handeln gelten. Das widerspricht dem Alltagsverständnis des Handlungsbegriffes zutiefst. Dass ein Verhalten moralisch indifferent ist, impliziert normalerweise keineswegs, dass kein absichtliches, wohlüberlegtes und gut begründetes Handeln vorliegt. Der Zusammenhang von Handlungsgeltung und Verantwortungszuschreibung wird daher noch ausführlicher zu diskutieren sein. [↓3.2.1–3.2.2]

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3.1.2 Anfechtungen Um zu erklären, worin sich Zuschreibungen von anderen Aussagen, insbesondere von solchen, die ich Konstatierungen genannt habe, unterscheiden, zeichnet Hart die erwähnte Analogie zwischen juristischen Begriffen auf der einen Seite und ‚Handlung‘ bzw. ‚Verantwortung‘ auf der anderen: In England, the judge is not supplied with explicitly formulated general criteria defining ‚contract‘, or ‚trespass‘; instead he has to decide by reference to past cases or precedence whether on the facts before him a contract has been made or a trespass committed, and in doing this he has a wide freedom in judging whether the present 8 case is sufficiently near to a past precedent […].

Die Begriffe ‚Vertrag‘ [contract] oder ‚unbefugtes Betreten‘ [trespass] lassen den Interpretationen eines Richters Raum. Ihre Anwendung unterliegt einigen notwendigen Bedingungen, doch sind diese auch gemeinsam nicht hinreichend, um logisch zu schließen, dass ein Vertrag in Kraft ist oder dass jemand ein Grundstück unbefugterweise betreten hat. Die Verwendung von Begriffen wie ‚Vertrag‘ und ‚unbefugtes Betreten‘ erfordert allemal eine Entscheidung, auch wenn diese Entscheidung oft unstrittig ist. In manchen Fällen ist das Entscheidungsmoment hingegen deutlich zu sehen. Wenn etwa Mrs. Jones ohne Einladung und auf dem ungewöhnlichen Weg durch ein Loch im Zaun auf das Grundstück von Mr. Smith gelangt, liegt es nahe, ihr Verhalten als unbefugtes Betreten eines Grundstückes zu betrachten. Doch es sind Umstände denkbar, unter denen diese Beschreibung unangemessen wäre, obwohl alle notwendigen Bedingungen dafür erfüllt sind. Nur durch eine Untersuchung der konkreten Umstände ist daher zu entscheiden, ob die Zuschreibung ‚Sie hat das Grundstück unbefugt betreten‘ in dem speziellen Fall angemessen ist: Was hatte Mrs. Jones vor? Wieso ist sie nicht durch das Hoftor gekommen? War es ihr wichtig, nicht bemerkt zu werden? Diese Fragen zu beantworten heißt, Mrs. Jones’ Verhalten in einen narrativen Kontext zu stellen, es durch Vorgeschichte und Details so einzubetten, dass sich die Angemessenheit der Prima-facie-Zuschreibung einschätzen lässt. Es gibt aber keine Liste von allgemeinen hinreichenden Bedingungen, unter denen es in jedem Fall _____________ 8

Hart 1948 / 49, 173 (meine Hervorhebung).

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angemessen ist, von unbefugtem Betreten zu sprechen. Gerade dies macht das Urteil eines Richters, Mrs. Jones habe das Grundstück in der Tat unbefugterweise betreten, zu einer Zuschreibung. Die Aufgabe des Richters besteht darin, sich ein so umfassendes Bild vom Einzelfall zu verschaffen, dass er über die Geltung des Verhaltens als unbefugtes Betreten entscheiden kann: „This imports to legal concepts a vagueness of character very loosely controlled by judicial traditions of interpretation […].“9 Nun belegt ein einzelnes Beispiel nicht, dass sich für juristische Begriffe prinzipiell keine hinreichenden Bedingungen festlegen lassen. Schließlich könnte man eine Reihe von Fällen vergleichen, in denen zugunsten der Zuschreibung ‚unbefugtes Betreten‘ entschieden wurde, und all jene Fakten adjunktiv zusammenfassen, die jeweils für diese Entscheidung sprachen. Hätte man dann nicht eine Liste von Bedingungen gewonnen, nach denen unbefugtes Betreten vorliegt? Genau dies geschehe ja, erklärt Hart, und es sei die einzige Möglichkeit, die Bedeutung juristischer Termini überhaupt zu erläutern. Allerdings bleibe eine solche Adjunktion von Zuschreibungsbedingungen zwangsläufig offen, denn [a]ny set of conditions may be adequate in some cases but not in others and such concepts can only be explained with the aid of a list of exceptions or negative examples showing where the concept may not be applied or may only be applied in a 10 weakened form.

Die Flexibilität juristischer Begriffe hat also praktische Gründe. Sie dienen dazu, gemeinschaftliches Leben verlässlich und vernünftig zu gestalten, ohne in starren Regelrigorismus zu verfallen. Diesen Zweck erfüllen juristische Begriffe am besten, wenn sie einen Spielraum für Einzelfallentscheidungen lassen. So ist es möglich, dass ein Richter gegen die Geltung von Mrs. Jones’ Verhalten als unbefugtes Betreten entscheidet, obwohl es alle notwendigen Bedingungen dafür erfüllt. Diese Bedingungen sind eben nur notwendig, sie legen eine bestimmte Zuschreibung nahe, aber sie sind nicht hinreichend und können darum von widersprechenden Fakten überwogen werden. Es liegt also kein logischer Widerspruch vor, wenn ein Richter befindet, Mrs. Jones hätte lieber das Hoftor als das Loch im Zaun benutzen _____________ 9 10

Hart 1948 / 49, 173 (meine Hervorhebung). Hart 1948 / 49, 173 f. Vgl. auch 171 f., 182–185.

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sollen, doch stelle ihr Verhalten kein unbefugtes Betreten dar, weil… – und nun wären Fakten zu nennen, die diese Prima-facie-Zuschreibung entkräften. Im Spielraum für Deutung, Abwägung und Auslegung hat ein Richter das letzte Wort, nicht eine Begriffsdefinition. Dasselbe trifft nach Harts Einschätzung für den Handlungsbegriff zu. Was absichtliches Handeln sei, könne man weder intensional definieren, noch ließen sich alle möglichen Arten von Handlungen extensional auflisten. Wie ‚Vertrag‘ und ‚Eigentum‘ eröffne auch der Handlungsbegriff einen Raum für Interpretationen von Fall zu Fall. Auch hier könne man, um die Bedeutung des Begriffes zu erläutern, lediglich Standardfälle schildern und mit Gegenbeispielen kontrastieren. Harts einziges Beispiel für einen solchen Standardfall ist an Knappheit allerdings nicht zu überbieten. Es lautet ‚Smith hit her‘.11 Nehmen wir zusätzlich an, Mr. Smith sei ein gesunder, normal aufgewachsener Zeitgenosse mit durchschnittlicher Aggressionsneigung, durchschnittlichem Stresspegel und gutem Sehvermögen. Am Eingang zur U-Bahn trifft er auf Mrs. Jones, die weder provokant noch bedrohlich auftritt und die offensichtlich physisch schwächer ist als Smith. Im Gedränge vollführt Smith eine ausholende Armbewegung und verpasst Mrs. Jones einen Schlag. Diese Kontextbedingungen legen den Verdacht nahe, dass Mr. Smith nicht die Absicht hatte, Mrs. Jones zu schlagen. Die Aussage ‚Smith hit her‘ ist zwar eine korrekte Beschreibung des Verhaltens, billigt diesem aber keine Handlungsgeltung zu und stellt folglich keine Verantwortungszuschreibung dar. In Smith’ Fall (wie ich ihn ausgemalt habe) sprechen die Fakten für eine Deutung als Versehen und damit gegen die Handlungsgeltung des Verhaltens. Was, wenn die Lage weniger klar wäre? In dem Fall, meint Hart, würden wir davon ausgehen, dass Smith absichtlich gehandelt hat. Denn bei einem Verhalten, das unter die Beschreibung ‚He hit her‘ fällt, sei Handlungsgeltung der Normalfall. Das Prädikat ‚..hit..‘ gehe, wie viele andere Prädikate zur Beschreibung menschlichen Verhaltens, gleichsam automatisch mit der Annahme von Absichtlichkeit einher. Diese Annahme werde nur aufgehoben, wenn besondere Umstände gegen sie sprechen. Deshalb sei es in der Regel nicht nötig zu begründen, dass man jemandes Verhalten _____________ 11

Hart 1948 / 49, 175.

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für absichtlich hält. Gründe würden fällig, um die Annahme der Absichtlichkeit außer Kraft zu setzen und zu zeigen, dass ausnahmsweise keine Handlungsgeltung besteht, wo sie sonst selbstverständlich ist. Gründe, mit denen man Handlungsgeltung schwächen oder aufheben kann, nennt Hart Anfechtungen. Wie manche juristische Termini sei auch der Handlungsbegriff anfechtbar [defeasible]; anfechtbar sind daher auch Handlungszuschreibungen der Form ‚A a-t‘.12

3.1.3 Kriterien An dieser Stelle drängt sich ein Vergleich auf zwischen Harts Konzeption der Anfechtbarkeit und der Relation eines Kriteriums, wie Ludwig Wittgenstein sie in seinem Blauen Buch entwickelt hat. Obschon The Ascription an keiner Stelle einen ausdrücklichen Bezug auf Wittgenstein enthält, eignet sich die Kriterien-Relation vortrefflich, um Harts Argumentation für die Undefinierbarkeit des Handlungsbegriffes zu stützen.13 Den Ausführungen im Blauen Buch zufolge hält Wittgenstein Kriterien für eine Weise, Begriffe zu bestimmen. Wie Definitionen können Kriterien herangezogen werden, um zu beurteilen, ob ein bestimmter Begriff zu Recht verwendet wird. Anders als Definitionen der Form Λx Fx ↔ Gx, die begriffliche Äqui_____________ 12 13

Vgl. Hart 1948 / 49, 190 f. Es verwundert, dass die Parallelität zu Wittgensteins Kriterien-Relation weder von den zeitgenössischen Kritikern des Askriptivismus noch, wie es scheint, von späteren Wittgenstein-Interpreten benannt wird – so zumindest der Lektüreeindruck, dem allerdings keine systematische Durchforschung der Wittgenstein-Sekundärliteratur nach Bezügen auf Hart zugrunde liegt. Es könnte durch die Publikationslage zu erklären sein, dass Harts Zeitgenossen die Konzeption des Handlungsbegriffes als definitionsresistent und anfechtbar für eine eher abwegige Idee hielten: Wittgensteins Blaues Buch kursierte zunächst nur in Form von Abschriften und war 1949, als The Ascription erschien, noch nicht publiziert. Gleiches gilt für die Philosophischen Untersuchungen, die 1953 veröffentlicht wurden. Nichtsdestoweniger hatte die Auseinandersetzung mit Wittgensteins Sprachphilosophie zu Harts Zeit durchaus begonnen; er hielt seit den 1930er Jahren Vorlesungen an der Universität Cambridge und hatte dort von 1939 an einen Lehrstuhl inne. Noch weniger ist ersichtlich, warum auch in jüngeren Wiederbelebungsversuchen des Askriptivismus (z. B. Loui 1995; Paprzycka 2008; Sneddon 2006) kaum ausdrücklich ein Bezug zu Wittgenstein hergestellt wird. Eine Ausnahme bildet Gordon Baker (1977).

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valenzen darstellen, erlauben Kriterien aber nicht, von der Erfüllung der Kriterien auf die korrekte Verwendung des Begriffes zu schließen, weil die Kriterienrelation eben nicht in logischer Äquivalenz besteht. Man könnte ihre logische Struktur eher als Adjunktion darstellen: F1x v F2x v F3x v…→ Gx. Dieser Ausdruck ist offensichtlich nicht wohlgeformt; er soll lediglich den strukturellen Unterschied zwischen definitorischen und kriteriellen Begriffsbestimmungen veranschaulichen. Die Kriterien-Relation ist schwächer als eine logische Implikation, stellt aber ebenfalls eine semantische oder, wie Wittgenstein sagt, eine grammatische Relation dar. Wer ein Kriterium für die Verwendung eines Begriffes G angibt, zum Beispiel F1x oder F2x, sagt etwas über die Bedeutung von G, ohne eine hinreichende Bedingung zu benennen, aus der Gx logisch folgt.14 Wittgenstein illustriert die Kriterien-Relation am Beispiel des Zahnschmerzes: Als wir den Gebrauch des Ausdrucks „So-und-so hat Zahnschmerzen“ lernten, wurden wir auf bestimmte Verhaltensweisen derer hingewiesen, von denen gesagt wurde, daß sie Zahnschmerzen haben. Wir wollen hier als Beispiel für diese Verhal15 tensweisen den Fall nehmen, in dem sich jemand die Backe hält.

Sich die Backe zu halten, ist ein häufig auftretendes Verhalten bei Leuten mit Zahnschmerzen. In der Regel wird es von anderen, ebenfalls typischen Verhaltensweisen begleitet: Wer Zahnweh hat, beißt nicht beherzt in eine Mohrrübe, macht keinen Kopfstand und springt nicht die Treppen hinunter. Er ernährt sich stattdessen von Brei und bewegt sich behutsam. Diese Verhaltensweisen sind Kriterien dafür, dass ‚A hat Zahnschmerzen‘ zutrifft, sie ergeben aber keine Definition von ‚Zahnschmerz‘. Wenn sich jemand in der skizzierten Weise verhält, kann man also nicht logisch darauf schließen, dass er Zahnschmerzen hat, wenngleich man von einem praktischen Schluss sprechen mag, von einem Urteil, das aller Erfahrung nach zutrifft. Dennoch könnte sich eine Person mit Zahnschmerzen anders verhalten: Man kann nun weiter fragen: „Woher weißt du, daß jemand Zahnschmerzen hat, wenn er sich die Backe hält?“ Die Antwort darauf könnte lauten: „Ich sage, daß er

_____________ 14 15

Vgl. Baker 1974, 161. Wittgenstein 1989 [1958], 47.

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Zahnschmerzen hat, wenn er sich die Backe hält, weil ich mir die Backe halte, 16 wenn ich Zahnschmerzen habe.“

Die nächstliegende Antwort auf ‚Woher weißt du…?‘ ist, dass sich die andere Person so verhält, wie man selbst es normalerweise tut, wenn man in einer bestimmten Situation ist, wenn man bestimmte Erlebnisse oder Empfindungen hat: Was aber, wenn wir nun weiter fragen: „Und warum nimmst du an, daß diese seine Geste auf Zahnschmerzen zurückzuführen ist, bloß weil deine entsprechende Geste auf deine Zahnschmerzen zurückzuführen ist?“ Hier wirst du um eine Antwort verlegen sein, und wir müssen einsehen, daß wir am Ende unserer Weisheit angelangt 17 sind, das heißt, wir sind bei den Konventionen angelangt.

Diese Passagen sind nicht so zu verstehen, dass wir anderen Personen Erlebnisse und Empfindungen zuschreiben, weil wir an uns selbst die Korrelation bestimmter Empfindungen mit bestimmten Verhaltensweisen beobachten und aus dieser Selbstbeobachtung schließen, dass bei anderen gleiche Korrelationen bestehen. Wittgenstein plädiert also nicht für einen Analogieschluss. Er will darauf hinaus, dass wir eine eigene Empfindung nur begrifflich fassen können (‚Ich habe Zahnschmerzen‘), weil andere irgendwann einmal unser Verhalten als Kriterium dafür ansahen, dass wir – beispielsweise – Zahnschmerzen haben, und uns diese Empfindung zuschrieben. Damit haben sie uns allererst beigebracht, unseren eigenen Zustand als Fall von Zahnschmerzen zu identifizieren. Ehe wir selbst begrifflich fassen können, dass wir Zahnschmerzen haben, schreiben uns andere diese Empfindung aufgrund unseres Verhaltens zu. So lehren sie uns, was ‚Zahnschmerzen haben‘ bedeutet. Falls hier Analogie im Spiel ist, dann besteht sie darin, dass wir anderen aufgrund ihres Verhaltens Zahnschmerzen zuschreiben, so wie andere uns aufgrund unseres Verhaltens bei früheren Gelegenheiten Zahnschmerzen zugeschrieben haben. Jemanden die Bedeutung eines Zuschreibungsbegriffes zu lehren, heißt, den Begriff in einer paradigmatischen Situation zu verwenden. _____________ 16 17

Wittgenstein 1989 [1958], 47. Wittgenstein 1989 [1958], 47. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [PU], § 183.

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Die Kriterien-Relation beruht auf Konventionen. Deshalb ist eine Zuschreibung, die auf erfüllte Kriterien gründet, nicht anders begründbar als durch den Verweis, dass die meisten Leute sich eben so und so verhalten, wenn sie Zahnschmerzen haben, und dass die meisten Leute, die den Ausdruck ‚A hat Zahnschmerzen‘ verstehen, ihn für angemessen halten, wenn sich jemand die Backe hält, wenn er nichts als Brei isst und sich behutsam bewegt. Daran erkennt ‚man‘, dass er Zahnschmerzen hat, denn nach genau diesen Kriterien verwendet ‚man‘ den Begriff des Zahnschmerzes. Es bedarf neben den Konventionen keiner weiteren Rechtfertigung, um über jemanden, der sich die Backe hält, zu sagen, er habe wohl Zahnschmerzen. So erklärt Roger Albritton in seiner Auseinandersetzung mit Wittgensteins Kriterien-Relation: That a man behaves in a certain manner, under certain circumstances, cannot entail that he has a toothache. But it can entail something else […]: it can entail that anyone who is aware that the man is behaving in this manner, under these circumstances, is justified in saying that the man has a toothache, in the absence of any special 18 reason to say something more guarded.

Wittgenstein entwickelt die Kriterienrelation, um die Bedeutung mentaler Begriffe wie ‚denken‘, ‚meinen‘, ‚glauben‘, ‚wünschen‘ zu erhellen: Dass jemand glaubt, dass p, sei daran erkennbar, dass er sich verhält, als glaube er p. Er trifft zum Beispiel Handlungsentscheidungen, die durch p begründbar sind, oder er äußert Sätze, für die p eine Prämisse ist.19 Wie Aussagen über Empfindungen, Gedanken und Wünsche lassen sich auch Handlungsprädikate und damit der Begriff des menschlichen Handelns, dessen Konkretisierungen sie darstellen, als kriteriell bestimmt verstehen. Für diese Parallelisierung sprechen zwei wichtige Merkmale, die Wittgenstein für mentale Begriffe feststellt und die der Handlungsbegriff aufweist. Erstens hängt die Angemessenheit seiner Verwendung stets von konkreten Umständen ab und entsprechende Zuschreibungen bleiben auch bei noch so umfassender Kenntnis der Faktenlage anfechtbar. Die Abhängigkeit der Angemessenheit einer Handlungszuschreibung von konkreten _____________ 18 19

Albritton 1959, 856. Vgl. Wittgenstein 1989 [1958], 40–48. Siehe auch Albritton 1959; Baker 1974; McDowell 1998 [1982].

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Umständen ist die Kehrseite der Tatsache, dass Kriterien keine logisch hinreichenden Bedingungen sind, auch wenn sich bestimmte Zuschreibungen mitunter geradezu aufdrängen. Wie könnte man nicht denken, dass jemand Zahnschmerzen hat, der sich die Backe hält und beim Angebot einer knackigen Mohrrübe abwehrend die Hände hebt? So klar und einleuchtend der Fall aber erscheint, es ist allemal denkbar, dass sich jemand die Backe hält, eine Möhre abwehrt und dennoch keine Zahnschmerzen hat. Es liegt kein logischer Widerspruch in der Vorstellung, dass sich jemand verhält, als ob er Zahnschmerzen hätte, ohne dass ihm tatsächlich etwas wehtut. Ebenso wenig liegt ein logischer Widerspruch in der Vorstellung, dass alles danach aussieht, als habe Smith mit Absicht eine Frau geschlagen, und es war doch ein Versehen. Das zweite gemeinsame Merkmal von Handlungsbegriff und mentalen Begriffen wie ‚denken‘ oder ‚wünschen‘ ist ihre Anfechtbarkeit. Gordon Baker betont, dass die Kriterien-Relation eine grammatische Relation ist. In einer Aussage der Form ‚Fx ist ein Kriterium für Gx‘ wird ein Kriterium für den Begriff bzw. den sprachlichen Ausdruck G angegeben. Anstelle von Fx sind Fakten zu nennen, deren Bestehen es rechtfertigt zu sagen, Gx sei der Fall. Die für Fx instantiierten Fakten machen die Bedeutung des Begriffes G explizit, eben dies macht die Kriterien-Relation zu einer grammatischen Relation: Die Frage, was unter G fällt, wird beantwortet, indem man eine Konstellation von Fakten schildert, in der eine Aussage der Form ‚Das ist ein Fall von G‘ oder ‚Hier ist es der Fall, dass Gx‘ gerechtfertigt wäre.20 Wie erläutert, meint Hart, dass man die Bedeutung von ‚Handlung‘ in derselben Weise darlegen kann wie die von ‚Vertrag‘ oder ‚unbefugtes Betreten‘, nämlich indem man Standardfälle und einschlägige Gegenbeispiele anführt. Diese Beispiele sind nichts anderes als Konstellationen von Fakten, deren Bestehen es rechtfertigt zu sagen ‚Hier ist ein Vertrag in Kraft‘ oder ‚Hier hat jemand ein Grundstück unbefugt betreten‘. Auch ‚Smith hit her‘ (plus narrativer Kontext) ist ein Beispielfall, in dem es gerechtfertigt wäre zu sagen, dass eine Handlung stattfindet. Man könnte Harts exemplarisches Szenario also zwanglos als Schilderung einer Kriterien-Relation für den Handlungsbegriff lesen. Die Handlungs- und Verantwortungszuschrei_____________ 20

Vgl. Baker 1974, 160 f.

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bung an den Akteur Smith sind gerechtfertigt, insofern ein Kriterium für die Zuschreibung einer Handlung und damit von Verantwortung erfüllt ist. In der Illustration, die ich zu Harts lakonischer Skizze ‚He hit her‘ ergänzt habe, ist kein solches Kriterium erfüllt; ich habe Smith’ Schlag in eine Situation eingebettet, in der er viel eher als Versehen, als Missgeschick erscheint. Ein Kriterium für absichtliches Handeln besteht folglich in eben jenem narrativen Kontext, der ein Verhalten im Einzelfall als absichtliches Handeln verständlich macht, der diese Deutung nahelegt oder aufdrängt. Die Parallelen zwischen Harts Anfechtbarkeitsbehauptung und Wittgensteins Kriterien-Relation sind unverkennbar: Durch die Kriterien-Relation kann die Bedeutung von Begriffen, insbesondere von mentalen Begriffen, bestimmt werden. So erlauben Kriterien, Aussagen über Gedanken, Gefühle und Empfindungen anderer Personen zu treffen bzw. deren Angemessenheit zu beurteilen, obwohl es keine hinreichenden Bedingungen gibt, aus denen Aussagen der Form ‚A glaubt, dass p‘; ‚A will a-en‘ oder ‚A hat Zahnschmerzen‘ logisch deduzierbar sind. Auch Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen enthalten mentale Begriffe oder setzen solche voraus, denn sie implizieren Aussagen darüber, was jemand beabsichtigt, wünscht, weiß oder anstrebt. Wie die Frage, was Zahnschmerzen sind, ist auch die Frage, was absichtliches Handeln ist, durch die Schilderung paradigmatischer Situationen zu beantworten: Wenn jemand Zahnweh hat, dann verhält er sich so und so. Die dabei erzählte kleine Geschichte veranschaulicht, unter welchen Umständen die Zuschreibung von Zahnschmerzen naheliegt und gerechtfertigt ist. Um die Bedeutung des Handlungsbegriffes zu erläutern, wird man ähnlich verfahren und die Geschichte einer paradigmatischen Handlung erzählen – nicht nur um der Anschaulichkeit willen, sondern weil es keine allgemeine Definition gibt. Harts Hinweis auf den Interpretationsspielraum, den der Handlungsbegriff allemal eröffnet, scheint nichts anderes zu besagen, als dass es keine endliche Menge von Kriterien, geschweige denn genau ein Kriterium für absichtliches Handeln gibt.21 Ganz ähnlich macht Wittgenstein darauf aufmerksam, dass Vorkommnisse, die unter ein und denselben Begriff fallen, etwa alle Fälle von Zahnschmerzen, nicht ein gemeinsames Merkmal besitzen, nicht eine spezifische Eigenschaft, die sie zu Fällen einer Art macht. Die Annahme, allen _____________ 21

Vgl. Hart 1948 / 49, 187.

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Vorkommnissen von Zahnschmerzen müsse ein gemeinsames Merkmal zukommen, resultiert nach Wittgensteins Beobachtung aus einer unklaren Vorstellung davon, wie Begriffe und Bedeutungen zusammenhängen. Zwischen diversen Vorkommnissen von Zahnschmerz – oder von Erwartung, von Heimweh, um noch andere Beispiele von Wittgenstein zu nennen – bestehe stattdessen Familienähnlichkeit: Und es gibt endlos viele Variationen dieses Vorganges, die wir alle mit demselben Ausdruck beschreiben. Wenn jemand fragt, was die verschiedenen Vorgänge, jemanden zum Tee zu erwarten, gemeinsam haben, dann lautet die Antwort, daß es kein einziges Merkmal gib, das allen gemeinsam ist, obwohl es viele gemeinsame Merkmale gibt, die ineinandergreifen. Diese Fälle des Erwartens bilden eine Fami22 lie; sie haben Familienähnlichkeiten, die nicht klar bestimmt sind.

Für ein und denselben Begriff kann es viele verschiedene Kriterien geben; viele verschiedene Faktenkonstellationen können die Verwendung von ‚..hat Zahnschmerzen‘ oder ‚..erwartet einen Gast‘ nahelegen und rechtfertigen. Die Angemessenheit eines kriteriell bestimmten sprachlichen Ausdrucks lässt sich nur dadurch erweisen, dass man die konkrete Situation schildert und dabei Fakten anführt, die gemeinsam eines der möglichen Kriterien für diesen Ausdruck erfüllen. Daraus folgt, dass sich die kategorielle Frage ‚Was ist (ein) x?‘ für manche Begriffe nur in der spezialisierten Fassung beantworten lässt: ‚Ist dies ein x?‘, im Sinne von ‚Ist dies als x zu verstehen? Gilt dies als x?‘ Die traditionelle Grundfrage der Handlungstheorie – Was ist eine Handlung? – erscheint dann als Frage nach der Handlungsgeltung konkreter Vorkommnisse: Ist dies eine Handlung? Hebt Adele in dieser Situation ihren Arm absichtlich? Schaltet sie absichtlich das Licht an? Verjagt sie mit Absicht den Einbrecher? Die Antworten erfolgen nicht mit Blick auf eine stets gleiche Liste von Bedingungen für die Verwendung des Handlungsbegriffes, sondern mit Blick auf die konkrete Situation: Was spricht dafür, dass Adele dies absichtlich tut, jenes aber unabsichtlich? Die Möglichkeit, Handlungsgeltung zu rechtfertigen, ist offensichtlich begrenzt. Jeder Teilnehmer einer Situation nimmt einen – nur einen – Standpunkt ein, für eine begrenzte Zeit, mit einer bestimmten Perspektive _____________ 22

Wittgenstein 1989 [1958], 41. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [PU], § 183.

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auf das Tun und Lassen anderer Akteure.23 Eine erste Einschätzung, ob die Kriterien-Relation für den Handlungsbegriff in einer bestimmten Situation erfüllt ist, kann sich daher auch bei sorgfältiger Beobachtung als revisionsbedürftig erweisen. Deshalb unterscheidet Wittgenstein zwischen Wahrheit und Gewissheit. Kriterien verhelfen zur Gewissheit darüber, was der Fall ist, das heißt zu einer gerechtfertigten epistemischen Einstellung gegenüber Fakten und damit zu einer robusten Grundlage für Urteil und Reaktion. Gewissheit erlaubt ein Urteil darüber, welche Zweifel in einer konkreten Situation vernünftig sind. Wenn sich jemand mit tränenden Augen die Backe hält, keine Mohrrüben essen will usw., dann sind wir gewiss, dass er Zahnschmerzen hat. Wir haben allerdings keine logischen Gründe, aus denen dies zwingend folgt, so dass wir zwar praktisch ausschließen, aber nicht logisch beweisen können, dass er uns nicht doch täuscht und in Wirklichkeit ganz fidel ist. Angesichts konkreter Tatsachen zu glauben, dass jemand wirklich Schmerzen erleidet, ist nicht dasselbe, wie aus einer Reihe von Prämissen einen logischen Schluss auf eine entsprechende Aussage zu ziehen. Gordon Baker dazu: If someone doubts, e. g. whether another person writhing on the floor with an obviously broken limb is in pain, he must give ground for doubt, or else accept the 24 statement that this person is really in pain.

Dem könnte Hart leicht zustimmen, er stellt in analoger Weise fest, dass wir in den meisten Alltagssituationen Gewissheit haben, ob jemand mit Absicht handelt oder aus Versehen oder ob er nicht einmal merkt, was er tut. Meistens fällt es nicht schwer, angemessene Handlungszuschreibungen zu treffen, die sich in der Praxis bewähren, weil wir geübt sind, praktische Bedingungen der Handlungsgeltung zu erkennen. Praktische Bedingungen sind, wenn man Harts Beispiele betrachtet, aber nichts anderes als Kriteri_____________ 23

24

Die Rede von einer Perspektive ist an dieser Stelle nicht nur metaphorisch. Es ist möglich, dass jemand optisch nicht genug vom Verhalten eines anderen sieht, um zu beurteilen, ob er eine absichtliche Handlung vollzieht und welche. So wie die Erweiterung der optischen Perspektive bzw. der Wechsel des Standortes helfen können, eine adäquatere Beschreibung zu finden, kann die Erweiterung der moralischen oder epistemischen Perspektive, z. B. die Anerkennung fremder Normen, für angemessene Urteile über Absichten und Handeln anderer Personen hilfreich sein. Baker 1977, 163.

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KAPITEL 3

en in Wittgensteins Sinn. Hart und Wittgenstein stimmen in einem weiteren entscheidenden Punkt überein: Unsere Gewissheit über Absichten und absichtliche Handlungen anderer Personen rührt nicht aus der Feststellung eines bestimmten Merkmals in ihren Körperbewegungen her, sondern manifestiert unser Vermögen, Menschen zu verstehen. Auf diesen Punkt komme ich später zurück. [↓3.3]

3.1.4 Geltungsgrade Sowohl Wittgenstein als auch Hart erkennen, dass durch Standpunkt und Perspektive begrenzt ist, was wir sehen. Manchmal übersehen wir Fakten, manchmal begleiten wir andere nicht lange genug, um zu erkennen, worauf sie abzielen, und manches Verhalten ergibt für uns überhaupt keinen Sinn, weil uns die Praxis fremd ist, der es folgt, oder weil wir die Akteure zu wenig kennen, um nachzuvollziehen, was sie tun. Wittgenstein stellt klar, dass Gewissheit nicht darin besteht, jeglichen Zweifel auszuschließen. Gewissheit bedeutet, vorerst keinen vernünftigen Anlass zum Zweifel zu haben. Zweifel bleibt also denkbar.25 Auf nichts anderes als dies zielt Hart ab, wenn er den Handlungsbegriff als anfechtbar beschreibt und beim Vergleich mit juristischen Begriffen betont: In private life, decisions are not final, and the individual is not relieved, as the judge often is, from the effort of inquiring what defences might be pleaded. […] For if, on investigating the facts, it appears that we should have said ‚Smith hit her 26 accidentally‘, our first judgment has to be qualified.

Wenn es kein Merkmal gibt, das allen Vorkommnissen gemeinsam ist, dann können Handlungen keine Art von Ereignissen bilden, die durch spezifische Kausalursachen gekennzeichnet sind. Spezifische Kausalursachen wären ja ein solches gemeinsames, die Art definierendes Merkmal. Hart bestreitet daher, dass Ausdrücke wie ‚Absicht‘ oder ‚Freiwilligkeit‘, durch die wir Handlungen von anderem Verhalten abgrenzen, mentale Ereignisse beschreiben, die Handlungen kausal verursachen. Dass jemand etwas ab_____________ 25 26

Vgl. auch Baker 1977, 163 und 170. Hart 1948 / 49, 193.

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sichtlich oder freiwillig tut, sage nichts über die Ursachen seines Verhaltens, sondern über dessen Umstände, und zwar negativ: Es liegt nichts vor, das gegen die Handlungsgeltung dieses Verhaltens spricht: These positive looking words ‚intention‘, etc. if put forward as necessary conditions of all action only succeed in posing as this if in fact they are a comprehensive and misleadingly positive sounding reference to the absence of one or more of the defences, and are thus only understandable when interpreted in the light of the de27 fences, and not vice versa.

Danach bedeutet ‚Clara macht absichtlich großen Lärm‘, dass (aus Sicht des Sprechers) keine Umstände erkennbar sind, die gegen die Handlungsgeltung von Claras Verhalten sprechen. Die positiven Formulierungen ‚A a-t mit Absicht‘, ‚freiwillig‘ oder ‚wissentlich‘ stehen als Abkürzungen für die umständliche Negation ‚Es ist nicht der Fall, dass A gezwungen wird, zu a-en, oder dass A unwissentlich a-t oder versehentlich oder irrtümlich oder durch ein Missgeschick usw.‘.28 Um dies zu vertreten, muss Hart neben der Ereignisannahme für Handlungen auch die dichotomische Unterscheidung zwischen Handlungen und bloßem Verhalten ablehnen. ‚Handlung‘ kann nicht der Name einer Kategorie von Gegenständen mit bestimmten physikalischen Merkmalen sein, denn sonst wäre es unmöglich, die Aussage ‚Smith schlägt eine Frau‘ durch den Zusatz ‚versehentlich‘ zu qualifizieren, ohne das Deskriptum damit in eine andere Gegenstandskategorie zu verschieben, aus derjenigen der Handlungen in die des bloßen Verhaltens. Da das charakteristische Merkmal der Handlungen in ihrer Absichtlichkeit besteht, würde man mit einem solchen Kategorienwechsel zwangsläufig jegliche Absichtlichkeit eines Verhaltens negieren. Eine qualifizierte Aussage wie ‚Mr. Smith hat Mrs. Jones versehentlich geschlagen (in der Eile, im Gedränge)‘ würde demzufolge keine Handlung, sondern ein Verhalten anderer Art beschreiben. Das wird dem Alltagsverständnis des Handlungsbegriffes sicherlich nicht gerecht. Indem man zugesteht, dass Smith’ Verhalten nicht uneingeschränkt absichtlich war, behauptet man nicht sogleich, dass ihm keinerlei _____________ 27 28

Hart 1948 / 49, 191 (meine Hervorhebung). Vgl. Hart 1948 / 49, 180. Hart bezieht sich bei der Nennung der Gegengründe auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik III, Abs. 1–5.

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KAPITEL 3

Handlungsgeltung zukommen kann und sich Fragen nach Verantwortung, Lob und Tadel folglich erübrigen. Man könnte durchaus verstehen, wenn Mrs. Jones dennoch ungehalten über Smith’ Unachtsamkeit ist und auf einer Entschuldigung besteht. Diese Reaktionen wären für ein Verhalten, dem jegliche Handlungsgeltung abgeht, nicht nur unangemessen, sondern vor allem witzlos: Achtsamkeit für eigenes Verhalten setzt dessen Lenkbarkeit voraus und kann daher nur eingefordert werden, wo Lenkbarkeit nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Wie das Smith-Beispiel zeigt, stellen Handeln und bloßes Verhalten dem Alltagsverständnis nach eher Pole eines Kontinuums dar als disjunkte Bereiche. Handlungen können mehr oder weniger absichtlich sein, mehr oder weniger gut begründet; sie können in einer Hinsicht freiwillig sein, in anderer unfreiwillig, in einer Hinsicht gewollt, in anderer ungewollt.29 Die Analogie, die Hart zwischen Handlungszuschreibungen und richterlichen Entscheidungen herstellt, kommt hier an eine Grenze. Richterliche Entscheidungen sind eher Sonderfälle, hier wird kategorisch entschieden, nicht graduell zugeschrieben. Alltägliches Verhalten lässt in aller Regel verschiedene Arten der Beschreibung zu und erlaubt damit verschiedene Einordnungen auf der Skala zwischen Absichtlichkeit und Unabsichtlichkeit. Elizabeth Anscombe wird diese Einsicht in die Formel fassen, Handlungen seien unter einer Beschreibung absichtlich. [↓4.1.1] Hart meint, mit einer Aussage wie ‚Smith hit her‘ geht, sofern sie unangefochten und ohne weitere Qualifikationen bleibt, die Behauptung einher, dass Smith für bestimmte Fakten verantwortlich ist: It is an ascription of liability justified by the facts; for the observed physical movements of Smith’s body are the circumstances which in the absence of some defence, 30 support, or are good reasons for the ascriptive sentence ‚He did it‘.

Um der Verantwortungszuschreibung und dem sicherlich anstehenden Tadel zu entgehen, könnte Smith nun auf verminderte Handlungsgeltung plädieren und sein Verhalten damit auf dem Kontinuum zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten in Richtung des letzteren verschieben. Das heißt er könnte die Verantwortungszuschreibung, die nach Hart in _____________ 29 30

Vgl. Hart 1948 / 49, 191. Hart 1948 / 49, 190.

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der Aussage ‚He hit her‘ impliziert ist, anfechten. Standardformen einer solchen Anfechtung sind Entschuldigungen und Verteidigungen, zum Beispiel ‚Ich wollte nur helfen‘; ‚Ich habe nicht bemerkt, was dabei passiert ist‘; ‚Ich habe die Kontrolle verloren‘. Mit solchen Erklärungen machen Akteure eine Hinsicht explizit, in der ihr Verhalten nicht absichtlich war, und weisen eigene Verantwortung unter dieser Hinsicht zurück.31 Dadurch bestreiten sie nicht, dass sie sich tatsächlich in der beschriebenen Weise verhalten haben, sie fechten lediglich die Handlungsgeltung ihres Verhaltens an. Wenn Smith zu seiner Verteidigung vorbringt, dass er Mrs. Jones im Gedränge an der U-Bahn-Station aus Versehen geschlagen habe, behauptet er also nicht, die Aussage ‚He hit her‘ sei falsch, sondern plädiert für ihre Qualifizierung zu ‚He hit her accidentally‘ und damit für eine Verschiebung auf der Absichtlichkeitsskala in Richtung des Unabsichtlichen. Die Besonderheit und besondere Schwierigkeit von Harts Ansatz liegt darin, dass er den Maßstab der Verantwortung mit den Kriterien der Handlungsgeltung identifiziert. Hart zufolge beantworten wir mit der Frage, ob und inwieweit jemand etwas absichtlich tut, zugleich die Frage, ob und inwieweit ihm moralische Verantwortung zukommt. Zum Beleg dieser Simultanität listet er einige Anfechtungen auf, die häufig zur Qualifizierung von Handlungsaussagen führen und damit, meint Hart, zugleich zur Abmilderung von Verantwortungszuschreibungen: Thus it may be said ‚He did it‘ (‚He hit her‘) 1. ‚Accidentally‘ (she got in his way while he was hammering a nail) 2. ‚Inadvertently‘ (in the course of hammering in a nail, not looking at was he was doing) 3. ‚By mistake for someone else‘ (he thought she was May, who had hit him) 4. ‚In self defence‘ (she was about to hit him with a hammer) 5. ‚Under great provocation‘ (she had just thrown the ink over him) 6. ‚But he was forced to by a bully‘ (Jones said he would trash him) 32 7. ‚But he is mad, poor man‘

Hart hat Recht, all diese Aussagen könnten als Entschuldigungen für Smith dienen. Allerdings übergeht er die Tatsache, dass sie auch als Entschuldi_____________ 31 32

Vgl. Hart 1948 / 49, 190 f. Hart 1948 / 49, 190 f.

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KAPITEL 3

gungen akzeptiert werden müssen und dass diese Akzeptanz ebenso wie die ursprüngliche Handlungszuschreibung den Regeln und Konventionen einer Gemeinschaft unterliegt. Schließlich kann Smith keine beliebigen Fakten zu seiner Verteidigung anführen; nicht jeglicher zufällige Umstand macht Verhalten entschuldbar. Aus The Ascription geht kaum etwas über Akzeptanzbedingungen von Entschuldigungen hervor. Außerdem verliert Hart kein Wort darüber, dass Entschuldigungen ebenso wie Verantwortungszuschreibungen anfechtbar sind. Dabei besteht eine Mindestanforderung an Entschuldigungen sicherlich darin, dass sie glaubhaft sein müssen. Sie dürfen nicht durch andere Fakten über den Akteur und die Handlungssituation zweifelhaft oder widerlegt sein. Zur Glaubhaftigkeit einer Entschuldigung wie ‚Ich wollte nur helfen‘ oder ‚Ich habe nicht bemerkt, was passiert ist‘ trägt vor allem bei, dass Akteure mit diesen Äußerungen etwas in Worte fassen, das sich auch in ihrem außersprachlichen Verhalten ausdrückt und dadurch glaubhaft ist: Wer sich angesichts eines angerichteten Schadens vergnügt die Hände reibt und dann in betroffenem Ton verkündet: ‚Es tut mir leid; ich wollte nur helfen!‘, der macht seine eigene Äußerung durch sein außersprachliches Verhalten unglaubhaft. Ich werde dem wichtigen Zusammenhang zwischen der Angemessenheit von Zuschreibungen und dem Ausdruck außersprachlichen Verhaltens im nächsten Kapitel gründlicher nachgehen. [↓4.2] Die von Hart erstellte Liste von Anfechtungen, die er für seinen exemplarischen Akteur Smith vorsieht, ist bei näherem Hinsehen nicht homogen: Sie enthält neben einer Reihe von Anfechtungsbedingungen, die in Einzelfällen gegen eine Verantwortungszuschreibung sprechen können, mit (7) auch eine Anfechtungsbedingung, die eine grundsätzliche Bedingung jeglicher Handlungsgeltung von Verhalten erkennen lässt. Mit der Aussage ‚But he is mad, poor man‘ würde man, anders als mit den Anfechtungen 1 bis 6, nicht auf verminderte Handlungsgeltung im konkreten Einzelfall plädieren, sondern auf verminderte Handlungsgeltung von allem, was dieser arme Mann tut. Mit (7) wird nicht nur etwas über den Status einer konkreten Verhaltensepisode ausgesagt, sondern über den Status des Akteurs, über seine intellektuellen und psychischen Fähigkeiten und damit über seine Fähigkeit zu handeln. Es ist kein Zufall, dass Hart für die Anfechtungen 1 bis 6 stets eine knappe Erläuterung zu den äußeren Umständen des Verhaltens anfügt,

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durch die man die Angemessenheit der jeweiligen Entschuldigung erweisen könnte. So wird Smith’ Verhalten als Resultat von Unachtsamkeit (2) dargestellt oder als Irrtum (3), als Notwehr (4) oder als Überreaktion bei überschrittener Toleranzschwelle (5). Mit keiner dieser Entschuldigungen steht grundsätzlich in Frage, dass Smith ein zurechnungsfähiger Akteur ist, der Regeln und Konventionen einhalten und die normative Kraft von Gründen einsehen kann. Es bleibt unhinterfragt, dass Smith ein normaler Akteur ist, der wie alle Akteure nicht immer aufmerksam ist und sich gelegentlich irrt. Das trifft im letzten Fall (7) nicht zu und es fällt auf, dass Hart hier keine parenthetische Erläuterung liefert. Die Verantwortungszuschreibung wird schlicht mit der Auskunft angefochten, der Arme sei verrückt. Offenbar hängt die Annehmbarkeit dieser Entschuldigung nicht von bestimmten äußeren Umständen ab. Offenbar begründet chronische Verrücktheit unter jeglichen Umständen eine Einschränkung der Handlungsgeltung und damit der Verantwortung. Akteure, für die diese Anfechtung in Frage kommt, verfügen generell nicht (ausreichend) über bestimmte Fähigkeiten, die vorausgesetzt sind, sobald wir nach jemandes Verantwortung, nach Schuld oder Entschuldigung fragen. Zu diesen Fähigkeiten müsste man sicherlich Aufmerksamkeit und Intelligenz zählen sowie Empathie gegenüber anderen und die Steuerung der eigenen Körperbewegungen.33 Ich gehe noch ausführlicher auf diese und weitere Akteursfähigkeiten ein. [↓3.3] Vorerst will ich nur darauf aufmerksam machen, dass sich Entschuldigungen entweder auf spezifische situative Fakten beziehen oder auf grundsätzliche, von der konkreten Situation unabhängige Fakten über Akteure. Verfügen diese nämlich nicht in ausreichendem Maß über Akteursfähigkeiten, dann steht nicht nur die Handlungsgeltung ihres Verhaltens in einer bestimmten Situation in Frage, sondern ihre Geltung als Akteure generell. Akteursgeltung ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, jemandes Verhalten in einer kon_____________ 33

Ich verwende diese Begriffe in einem Alltagsverständnis. Ich will hier nur ungefähr umreißen, was die Anfechtung ‚He is mad, poor man‘ besagt, welche Eigenschaften mit ihr abgesprochen werden. Den Begriff der Intelligenz verwende ich ohne bestimmte kognitionspsychologische Implikationen. Ich erfasse damit lediglich in allgemeiner Weise die Fähigkeit, eine Sprache zu lernen, logische Schlüsse zu ziehen und Regeln in ihrem normativen, gegebenenfalls sanktionsbewehrten Charakter zu verstehen.

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kreten Situation als absichtliches Handeln zu sehen. In Smith’ Fall bezieht sich die Anfechtung ‚He is mad, poor man‘ nicht nur auf die Handlungsgeltung des mit ‚Smith hit her‘ erfassten Verhaltens, sondern auf die Geltung von Smith als Akteur. Diese Entschuldigung besagt, dass eine grundlegende Bedingung der Akteursgeltung verletzt ist, deren Erfüllung wir bei Handlungszuschreibungen normalerweise stillschweigend unterstellen. Auch die Art dieser Unterstellung und ihre Rechtfertigung werde ich an späterer Stelle eingehend diskutieren. [↓6.1] Mit den unter 1 bis 6 genannten Entschuldigungen wird die Unterstellung von Akteursfähigkeiten nicht angefochten, sondern geradezu bestätigt: Akteure handeln nicht immer (moralisch) perfekt, ihr Akteursstatus ist aber intakt, solange sie selbst die Diskrepanz zwischen richtigem, erwünschtem, erlaubtem oder erwartetem Handeln auf der einen Seite und dem, was sie selbst tun, auf der anderen Seite erkennen können. Sofern sie die Unzulänglichkeit ihres eigenen Verhaltens selbst erkennen, können sie sich auch selbst entschuldigen. Das trifft nicht immer zu, darauf weist Hart mit dem Fall (7) auf seiner Liste von Entschuldigungen hin. Mit ‚He is mad‘ wird bestritten, dass Smith ein Akteur mit normalen Fähigkeiten und normaler Fehlbarkeit ist – so jedenfalls lässt sich ‚verrückt‘ verstehen. Dass Hart diese Art der Anfechtung in seine Liste aufnimmt, deutet darauf hin, dass er einen Zusammenhang zwischen moralischer Verantwortung und grundlegenden, nicht nur in Einzelfällen relevanten Fähigkeiten von Akteuren sieht. Zwar kommentiert Hart den Unterschied zwischen situationsspezifischen (1–6) und grundsätzlichen Anfechtungen (7) nicht, dennoch nimmt er intuitiv eine Unterscheidung vorweg, die einige Jahre später von Peter F. Strawson explizit getroffen wird: die Unterscheidung zwischen einer objektiven und einer partizipativen Einstellung gegenüber Personen. Diese Einstellungen begründen jeweils andere moralische Urteile und andere Umgangsweisen mit Personen. [↓3.3.3]

3.2 Einwände und Erwiderungen Reaktionen auf Harts Aufsatz trafen mit Verzögerung ein, dann allerdings vehement. Die erste Welle von Kritik kulminierte in zwei Artikeln von Peter Geach bzw. George Pitcher, die 1960 in derselben Nummer der Philoso-

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phical Review erschienen.34 Eine zweite Welle folgte Mitte der 1970er Jahre, teils mit direktem Bezug auf The Ascription, teils als eigenständige Verarbeitung des askriptivistischen Ansatzes.35 Seit den 1980er Jahren wird der Askriptivismus gelegentlich in rechtswissenschaftlichen Kontexten diskutiert und auch in der Argumentationslogik hat das Schlagwort ‚Anfechtbarkeit‘ einen festen Platz gefunden, allerdings ohne mit dem Namen H. L. A. Hart verbunden zu sein.36 In der philosophischen Handlungstheorie spielten unterdessen weder Hart noch der Askriptivismus eine signifikante Rolle. Erst seit wenigen Jahren beginnen wieder Autoren, sich mit Harts Überlegungen auseinanderzusetzen.37 Das Problem der Anfechtbarkeit taucht im Zusammenhang mit Ludwig Wittgensteins Begriff des Kriteriums auf, doch Harts Überlegungen werden dabei nie berücksichtigt oder jedenfalls nicht erwähnt. Dabei ist die Nähe zu Wittgensteins Analyse unverkennbar [↑3.1.3], wenn auch Wittgensteins Überlegungen grundlegender sind und viel weiter in die Philosophie des Geistes hineinreichen als die von Hart.38 Aus aller Kritik an Harts Ansatz lassen sich fünf Haupteinwände destillieren, auf die ich der Reihe nach eingehe: Handlungen ohne Verantwortungszuschreibung [↓3.2.1]; Verantwortungszuschreibungen ohne Handlungen [↓3.2.2]; Handlungsbeschreibungen sind nur deskriptiv [↓3.2.3]; Anfechtbarkeit ist unplausibel [↓3.2.4]; Askriptivismus ist zirkulär [↓3.2.5]. Manche Einwände verlieren bei benevolenter Lesart von Harts Ausführungen an Schlagkraft, andere fordern substantielle Ergänzungen oder Präzisierungen.

_____________ 34 35 36 37 38

Geach 1960; Pitcher 1960; außerdem z. B. Chisholm 1964; Feinberg 1965; Ladd 1952; Melden 1956 a. Zum Beispiel Kurt Baier 1970; Brand 1970; Cherry 1974; Lucas 1977 a, 1977 b; Mackie 1985. Vgl. Loui 1995, 2 und 49. Hier sind v. a. Loui 1995, Paprzycka 1997 und Sneddon 2006 zu nennen, des Weiteren Stoecker 2007; Duarte de Almeida 2007 und o. J.; Lucas 1993. Vgl. Wittgenstein 1989 [1958], 40–48; erläuternd dazu Baker 1974 und 1977; Hacker 1972, 283–309; sowie McDowell 1998 [1982].

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3.2.1 Erster Einwand: Handlung ohne Verantwortungszuschreibung Harts Kritiker gestehen zwar zu, dass die exemplarische Handlungsaussage ‚Smith hit her‘ sowohl Handlungsbeschreibung als auch Verantwortungszuschreibung sein kann, sehen hierin aber keine begriffliche Notwendigkeit. Die Doppelfunktion sei für dieses spezielle Beispiel nur zufällig gegeben, und zwar aufgrund einer kontingenten Norm in Smith’ bzw. Harts Akteursgemeinschaft: Es gilt als verwerflich, Personen zu schlagen, zumal schwächere.39 Diese Norm vorausgesetzt, könne man ‚Smith hit her‘ als Vorwurf äußern, doch ist ein moralisches Urteil über Smith dann keine logische Konsequenz allein aus der Tatsache, dass Smith eine Frau schlägt. Zur Illustration setzt George Pitcher dem Beispiel von Hart zwei andere Handlungsaussagen entgegen: ‚He played the piano‘ und ‚He sat down to dinner‘. Pitcher kommentiert: „One feels that except in rather unusual circumstances, there is nothing in such cases for anyone to be responsible for.“40 Ähnlich sieht es Peter Geach; er hält es für „absurdly solemn, not to say melodramatic, to talk of imputation and exoneration and excuse“.41 Beide, Pitcher und Geach, scheinen davon auszugehen, dass eine Aussage der Form ‚A ist verantwortlich für p‘ in der Regel ein negatives moralisches Urteil über A impliziert. Ist jemand für etwas verantwortlich, dann ist er an etwas Schuld, dann verdient er Tadel oder Strafe.42 Dieses Verständnis von Verantwortung ist jedoch nicht zwingend. Man könnte den Begriff moralisch neutral fassen, statt ihn auf Anlässe von Schuld und Strafe zu _____________ 39 40 41

42

Vgl. Geach 1960, 221; Pitcher 1960, 226. Pitcher 1960, 226. Geach 1960, 221. Vgl. auch Cherry 1974, 104: „It is important to appreciate that in everyday contexts the statement that A did X tout court makes no claim that X has been responsibly performed.“ Pitcher fügt in seiner Rekonstruktion des Verantwortungsbegriffes die Lob-Option in Klammern ein, er schreibt: „[T]he following seem to be essentially involved in a person’s being responsible for an event or a state of affairs x: […] (b) if x is unfortunate (felicitous), then, under certain conditions, he is deserving of censure (praise)“ (Pitcher 1960, 228). Allerdings stellt er bei seiner Argumentation gegen Hart Tadel, nicht Lob in den Vordergrund und hebt die seiner Ansicht nach absurden Konsequenzen der These, Handlungsaussagen seien notwendigerweise Verantwortungszuschreibungen, an Tadel-Beispielen hervor. Pitchers Darstellung ist damit, wenn nicht einseitig, so doch etwas tendenziös.

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beschränken. So lässt sich Verantwortung beispielsweise als Relation konzipieren, die moralischen Urteilen zugrunde liegt, ohne diese logisch zu implizieren. Danach wäre eine Verantwortungszuschreibung eine moralisch neutrale Aussage, aus der hervorgeht, wer einen bestimmten Fakt in die Welt gebracht hat und an wen man daher Warum-Fragen und moralische Urteile richten sollte, falls man nachfragt oder urteilt. Die Aussage ‚Jones spielt nebenan Klavier‘ dient dann gleichsam als Fingerzeig auf denjenigen, der den Fakt herbeiführt, dass im Nebenraum ein Klavier erklingt. Ein Gedanke an Schuld und Strafe braucht dabei nicht aufzukommen. Einerseits ließe sich mit diesem Zug Harts These aufrechterhalten, dass jede Handlungsaussage mit einer Verantwortungszuschreibung einhergeht. Andererseits würde man die These zugleich abschwächen, weil Verantwortung nun kaum etwas anderes bedeutet als Urheberschaft. Nach Harts Auffassung soll eine Handlungsaussage aber ein moralisches Urteil in Form einer Verantwortungszuschreibung enthalten. Folglich kann der Verantwortungsbegriff nicht moralisch neutral sein. Für einen moralisch aufgeladenen Verantwortungsbegriff lässt sich Harts These meines Erachtens aber nicht verteidigen; man überdehnt die normale Bedeutung alltagssprachlicher Handlungsaussagen, wenn man darin in jedem Fall ein moralisches Urteil über einen Akteur finden will. Sowohl J. R. Lucas als auch Andrew Sneddon schlagen eine zweite Möglichkeit vor, dem Einwand von Pitcher und Geach zu begegnen. Sie versuchen, den moralisch aufgeladenen Begriff der Verantwortung beizubehalten, schwächen Harts These aber in anderer Weise ab. Nach ihrer Lesart eröffnet zwar jede Handlungsbeschreibung die Möglichkeit, den Akteuren moralische Verantwortung zuzuschreiben, aber diese Möglichkeit wird nicht immer aktualisiert.43 Wenn jemand handelt, sei die Frage, ob er dadurch für irgendetwas moralisch verantwortlich ist, allemal sinnvoll. In Bezug auf bloßes Verhalten stelle sie sich hingegen nie. Danach würde jede Handlungsaussage der Form ‚A a-t‘ eine potentielle Verantwortungszuschreibung implizieren: ‚Es ist möglich, dass A verantwortlich ist für p‘. Mit dieser Einschränkung ließen sich alle Handlungen als moralisch relevant betrachten, ohne dass mit der bloßen Beschreibung schon ein moralisches Urteil gefällt wäre. Der Unterschied zwischen Handeln und bloßem _____________ 43

Vgl. Lucas 1977 a; Sneddon 2006, 29–32.

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KAPITEL 3

Verhalten würde darin liegen, dass ersteres immer moralisch relevant ist, obwohl nicht immer Gegenstand eines tatsächlichen moralischen Urteils, wohingegen letzteres in keinem Fall moralisch relevant ist. Für bloßes Verhalten stellen sich daher niemals Fragen nach Lob oder Tadel. Auf den ersten Blick scheint Harts Implikationsthese gerettet. Allerdings bleibt offen, nach welchem Kriterium sich entscheidet, ob die Frage nach A’s moralischer Verantwortung für eine bestimmte Instantiierung von ‚A a-t‘ sinnvoll ist. Woran erkennen wir, dass wir auf ‚Smith hit her‘ hin fragen können, ob man Smith strafen sollte, wohingegen sich diese Fragen auf ‚Smith hat heute Geburtstag‘ hin nicht stellt? Potentielle moralische Verantwortung, wie Lucas und Sneddon sie entwerfen, leuchtet als Implikation von Handlungsaussagen eher ein als Harts starke Version der tatsächlichen moralischen Verantwortung. Da die Implikation aber nur für Handlungsaussagen – Aussagen der Form ‚A a-t‘, die Absichtlichkeit einschließen – gelten soll, ist die Unterscheidung zwischen Handlungen und anderem Verhalten dafür schon vorausgesetzt. Man muss den signifikanten Unterschied zwischen ‚Smith hit her‘ und ‚Smith hat heute Geburtstag‘ schon verstanden haben, um ihn dann in den Begriffen der moralischen Relevanz beschreiben zu können. Man muss also verstanden haben, dass sich in Bezug auf die Geburtstagsaussage keine Verantwortungsfrage stellt, in Bezug auf ‚He hit her‘ hingegen schon, um sagen zu können, dass in dieser Aussage potentielle moralische Verantwortung impliziert ist, in jener hingegen nicht. Hart geht es ja gerade darum zu erklären, wie diese Implikation im einen Fall zustande kommt und im anderen blockiert wird. Es geht, mit anderen Worten, darum zu begründen, warum man niemanden dafür verantwortlich machen kann, dass er heute Geburtstag hat. Darauf können Lucas bzw. Sneddon nur antworten, dass es eben keine Handlung ist, an einem bestimmten Tag geboren zu sein. Der Handlungsbegriff sollte aber mithilfe des Verantwortungsbegriffes erklärt werden, er darf also nicht selbst zur Begründung des Verantwortungsbegriffes dienen. Der Lösungsversuch von Lucas und Sneddon verkennt somit eines der wichtigsten Anliegen des ganzen askriptivistischen Ansatzes.

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3.2.2 Zweiter Einwand: Verantwortungszuschreibung ohne Handlung Manche Kritiker verstehen Harts Implikationsthese zwischen Handlungsaussagen und Verantwortungszuschreibungen als Behauptung einer wechselseitigen Implikation. Sie wählen also die stärkere der eingangs unterschiedenen Lesarten, nach der Akteure für jede ihrer Handlungen verantwortlich sind und nur dann für etwas verantwortlich sind, wenn sie auch bestimmte Handlungen ausgeführt haben. In der Tat schließt Hart diese Lesart an keiner Stelle explizit aus. Mit der starken Lesart der Implikationsthese ergeben sich zwei Einwände gegen Harts Ansatz, die von Kritikern durch zwei Arten von Gegenbeispielen illustriert wurden: Erstens kann man Personen nicht nur für das verantwortlich machen, was sie tun, sondern auch für manches, das sie unterlassen. Zweitens sind es nicht immer eigene Handlungen, für die jemand Lob oder Tadel erntet. Manchmal wird jemand wegen seiner sozialen Rolle oder institutionellen Position für Handlungen oder Handlungsfolgen verantwortlich gemacht, obwohl er selbst gar nicht gehandelt hat. In beiden Fällen finden Verantwortungszuschreibungen statt, ohne dass eine bestimmte (eigene) Handlung vorausging. Zum ersten Punkt, Verantwortung für Unterlassungen: Einer Person Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass sie eine Handlung nicht ausführt, erscheint auf den ersten Blick problematisch. Wenn jemand etwas nicht tut, gibt es nichts, wofür man ihm Verantwortung zuschreiben kann. Wir loben oder tadeln allerdings gar nicht so selten, dass jemand etwas nicht tut: Adele ist nicht zum vereinbarten Treffen gekommen; Bert beteiligt sich nie an Prügeleien und Clara übt seit langem nicht mehr nachts Trompete. Genau betrachtet, bereiten diese Fälle dem askriptivistischen Ansatz nicht einmal bei der starken Lesart der Implikationsthese Schwierigkeiten. Man kann eine wechselseitige Implikation von Handeln und Verantwortung annehmen, falls man Unterlassungen als eine Art von Handlungen anzusehen bereit ist. Dem Alltagsverständnis des Handlungsbegriffes kommt dies durchaus entgegen. Wenn jemand nicht zu einer Verabredung erscheint oder nicht die Nachtruhe stört, können wir ihm mit demselben Repertoire an moralischen Reaktionen und Urteilen gegenübertreten wie bei ‚positiven‘ Handlungen, wir können zum Beispiel nach Gründen fragen, Vorwürfe machen oder uns bedanken. Allein dass das Prädikat in der Beschrei-

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bung eines Verhaltens negiert ist, stellt die Handlungsgeltung des Deskriptums nicht in Frage, denn vom Standpunkt des Askriptivismus ist nicht die logische Form einer Beschreibung entscheidend, sondern die Anfechtbarkeit der implizierten Verantwortungszuschreibung: Ist es sinnvoll, nach einer Entschuldigung oder Verteidigung dafür zu fragen, dass A nicht a-t?44 Hier kann neuerlich auf Anscombes Erkenntnis vorausgewiesen werden, dass jedes Verhalten eine Vielzahl an Beschreibungen erlaubt, worunter sich in aller Regel sowohl Negationen als auch Affirmationen finden: Hat Clara gestern nicht Trompete geübt, dann hat sie ihren Nachbarn eine Freude gemacht und ihre Trompete geschont. Wenn jemandes Verhalten durch eine Negation beschreibbar ist, folgt daraus nicht, dass nichts geschehen ist. Dass der Handlungsbegriff Unterlassungen einschließen kann, erscheint nur vor dem Hintergrund eines kausalistischen Handlungsbegriffes kontraintuitiv. Bestimmt man Handlungen als Körperbewegungen mit einer spezifischen Kausalgeschichte, dann ist schwer begründbar, mit welcher Rechtfertigung man jemanden dafür verantwortlich machen kann, dass eine bestimmte Kausalgeschichte nicht stattfindet. Ohne kausalistische Vorannahmen entfällt diese Bindung an Kausalität und es gibt keinen Grund, nur Verhalten unter den Handlungsbegriff zu fassen, das in Körperbewegungen besteht. Der Askriptivismus stellt gerade dadurch eine Alternative zu kausalistischen Positionen dar, dass ‚Handlung‘ den praktischen bzw. moralischen Status beschreibt, der dem Verhalten einer Person zukommt, nicht seine physikalischen Eigenschaften oder seine Entstehungsweise. Eine schärfere Version desselben Einwandes bringen George Pitcher und John Ladd vor. Sie gehen so weit zu behaupten, dass wir einander niemals für Handlungen, sondern bestenfalls für Handlungskonsequenzen verantwortlich machen.45 Zur Illustration skizziert Pitcher ein Szenario in einem Kindergarten: Die Erzieherin stellt fest, dass eine Vase auf dem Tisch zerbrochen ist, und fragt die Kinder, wer das getan habe. Wenn Jane antwortet ‚Johnny did it‘, lässt sich Janes Aussage als Verantwortungszuschreibung an Johnny verstehen. Aber, so Pitcher, Jane beschreibt keine _____________ 44 45

Zur Relevanz oder Irrelevanz der Negation für moralische Urteile über Handlungen vgl. auch Anscombe 1958 b, 2–4, sowie Bennett 1995, 85–96. Vgl. Pitcher 1960, 229 f.; Ladd 1965, 635.

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Handlung und die Frage der Erzieherin zielt auch gar nicht darauf ab, wer eine bestimmte Handlung vollzogen hat, sondern darauf, wer – durch welche Handlung auch immer – den Fakt geschaffen hat, dass die Vase zerbrochen ist: „It is clear then, that Jane is ascribing to Johnny responsibility for the broken vase, not for his action of breaking the vase.“46 Dieser Verschärfung liegt jedoch ein Irrtum zugrunde, auf den John Austin, Andrew Oldenquist und Elizabeth Anscombe in anderen Zusammenhängen aufmerksam machen: Die Unterscheidung zwischen Handlungen und Handlungsfolgen ist zwar in der Alltagssprache gebräuchlich und oft hilfreich, handlungstheoretisch ist sie aber nicht unproblematisch. Zum einen gibt es kein universelles Kriterium für die Abgrenzung zwischen Handlungen und Folgen, zum anderen wird eine ontologische Differenz suggeriert, wo eine praktische Differenzierung stattfindet.47 Oldenquist argumentiert, dass wir uns bei der Unterscheidung zwischen Handlungen und Handlungsfolgen nicht nach ontologischen Kriterien richten, sondern nach unseren praktischen Interessen und Anliegen: If ‚telling a lie‘ is the action description we find convenient, then we are free to classify the characteristic ‚a life being saved‘ as a consequence [of telling a lie]; but if we employ the action description ‚saving a life‘, then only characteristics that in the situation presuppose saving a life can be described by result descriptions, for example ‚grief being prevented‘. There is, we are suggesting, no rigid distinction between action and consequence, and we are free to construe many characteristics 48 either as results or as constitutive of an expanded version of the action.

Ebenso können wir ‚Johnny broke the vase‘ als Beschreibung einer Handlung oder einer Handlungsfolge auffassen. Die Frage der Erzieherin lässt sich als Frage nach dem Akteur verstehen, der eine bestimmte Handlung ausgeführt hat, oder als Frage nach dem Akteur einer vorerst gleichgültigen Handlung mit einer gar nicht gleichgültigen Konsequenz. Im ersten Fall _____________ 46 47

48

Pitcher 1960, 229. Vgl. Oldenquist 1996 [1967], 101; Anscombe 1958 b, 2–4 und 1979, 220; Austin 1956 / 57, 27; Feinberg 1965, 146 f., sowie auch Hart 1948 / 49, 193. Feinberg thematisiert die Relativität der Unterscheidung zwischen Handlungen und Konsequenzen unter dem Schlagwort ‚Akkordeon-Effekt‘. [↑2.3.1] Zur Relationalität von ‚Handlung‘ und ‚Handlungsfolge‘ vgl. auch von Wright 2000 [1971], 88 f. Oldenquist [1967] 1996, 101 (meine Hervorhebung).

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bedeutet ‚Who did it?‘ einfach ‚Who broke the vase?‘; im zweiten Fall ‚Who did whatever resulted in the vase being broken?‘. In jedem Fall – und das ist entscheidend – fragt die Erzieherin nach einem Akteur, das heißt nach jemandem, der eine ganz bestimmte oder eine beliebige Handlung ausgeführt hat. (Sie würde sonst nicht das Pronomen ‚who‘ benutzen.) Mit Elizabeth Anscombe ließe sich sagen: Handlungen sind beschreibungsabhängig. Die Frage, welche Handlung eine Person ausführt, lässt sich nur als Frage danach verstehen, unter welchen Beschreibungen, die auf ihr Verhalten zutreffen, es absichtlich ist. Es gibt keine Handlung an sich, von der sich Konsequenzen und Voraussetzungen unabhängig von konkreten Sprecherinteressen abgrenzen lassen: The proper answer to ‚What is the action which has all these descriptions?‘ is to give one of the descriptions. Any one, it does not matter which; or perhaps it would 49 be better to offer a choice, saying ‚Take whichever you prefer‘.

Den Fakt, dass Johnny die Vase zerbrochen hat, nur als Folge der ‚eigentlichen‘ oder ‚basalen‘ Handlung zu akzeptieren, unterstellt irrigerweise, dass eine solche eigentliche Handlung, eine Handlung an sich, existiert, unabhängig von jeglicher Beschreibung. Dass die Trennlinie zwischen Handlungen und Handlungsfolgen auch in Pitchers Beispiel nicht so strikt verläuft, wie er sie ziehen möchte, wird deutlich, wenn man sich vorstellt, Johnny hätte einen Fußball durch den Raum gekickt, welcher der Vase bedrohlich nahe kam, ohne sie zu treffen. Es schiene nicht völlig unangemessen, wenn ihn die Erzieherin dafür tadelte, obwohl die Konsequenz, auf die sich laut Pitcher eine Verantwortungszuschreibung bestenfalls beziehen könnte, gar nicht eingetreten ist – die Vase ist nicht zerbrochen. Tadel wäre bereits durch Johnnys Handeln gerechtfertigt, nicht erst durch die Folgen, die es im schlimmeren Fall hat. Zum zweiten Punkt, Verantwortung für das Handeln anderer: Eine zweite Art von Gegenbeispielen wird von Kritikern angebracht, um zu zeigen, dass Hart zu Unrecht eine wechselseitige Abhängigkeit von Verantwortungszuschreibungen und Handlungen annimmt. Pitcher verweist auf institutionelle Verantwortung, und hier stellt sich in der Tat ein Problem für den Askriptivismus. Personen sind oft in dem Sinn für etwas verantwortlich, _____________ 49

Anscombe 1979, 220 (meine Hervorhebung).

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dass sie festgelegte Aufgaben, Zuständigkeiten oder Pflichten innerhalb eines bestimmten Bereiches haben. Dabei werden nicht unbedingt konkrete Handlungen von ihnen selbst verlangt, sie müssen lediglich in Prozesse eingreifen, wenn diese nicht wie vorgesehen ablaufen.50 So ist eine Kindergärtnerin dafür verantwortlich, dass die Kinder beim Spielen nicht in gefährliche Situationen geraten, aber natürlich sind es die Kinder, die spielen. Verletzt sich ein Kind, ist die Erzieherin nicht nur institutionell verantwortlich und muss deswegen ein Pflaster auf das aufgeschlagene Knie kleben, auch ein Urteil in moralischen Begriffen könnte begründet sein. So mag man der Erzieherin Nachlässigkeit oder Pflichtvergessenheit vorwerfen, obwohl sie selbst die Handlung, durch die das Kind sich verletzte, nicht ausgeführt hat. Das moralische Urteil ist gerechtfertigt, weil die Erzieherin durch ihren Beruf und ihren Dienstplan für das Wohl und die Unversehrtheit der Kinder institutionell verantwortlich ist. Institutionelle Verantwortung setzt die Regelung von Zuständigkeiten voraus. Auf diese Regelungen, nicht auf die Ausführung konkreter Handlungen wird man sich berufen, um beispielsweise eine Erzieherin zur Verantwortung zu ziehen, wenn sich ein Kind beim Spielen verletzt. Der Einwand gegen Hart scheint daher treffend: Zuschreibungen moralischer Verantwortung können gerechtfertigt sein, ohne dass ihnen bestimmte Handlungen seitens der Verantwortungsträger vorangehen. Der Bereich der moralischen Verantwortung einer Person ist nicht kongruent mit dem Bereich ihrer absichtlichen Handlungen. Auch ohne institutionelle Regelungen werden Personen mitunter für etwas zur Verantwortung gezogen, das sie nicht selbst getan haben. So schelten Eltern eines ihrer Kinder für etwas, das seine jüngeren Geschwistern getan haben. Auch in diesem Fall ist der Adressat der Verantwortungszuschreibung nicht identisch mit den Akteuren der Handlung. Es ist aber durch familiäre Bindungen oder soziale Rollen und Konventionen begründbar, dass ältere Geschwister für das Handeln der jüngeren verantwortlich gemacht werden. Harts Ansatz kann solche Zuschreibungen stellvertretender Verantwortung tatsächlich nicht integrieren, weil aus einer Handlungsaussage der Form ‚A a-t‘ nicht einmal dann eine Verantwortungszuschreibung der Form ‚B ist verantwortlich für p‘ folgen kann, wenn _____________ 50

Vgl. Pitcher 1960, 227.

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man mit Hart meint, dass jede Aussage über A’s Handeln eine Verantwortungszuschreibung an A impliziert. Der Verantwortungsbegriff ist nicht auf eigenes Handeln (und dessen Folgen) beschränkt; stellvertretende oder institutionelle Verantwortung sind übliche und relevante Fälle. Vom askriptivistischen Standpunkt aus müsste man daher zugestehen, dass nicht alle Verantwortungszuschreibungen Implikationen von Handlungsaussagen (über dieselbe Person) sind. Verantwortungszuschreibungen gegenüber einer Akteurin A können nicht nur dann angemessen sein, wenn A selbst handelt. Der Ansatz bedürfte hier also einer Erweiterung bzw. einer Unterscheidung zwischen Verantwortung für eigenes Handeln und institutioneller oder stellvertretender Verantwortung.

3.2.3 Dritter Einwand: Handlungsaussagen sind nur deskriptiv Wie einige andere Kritiker hat Peter Geach den askriptivistischen Ansatz im Verdacht, die deskriptive Funktion von Handlungsaussagen gänzlich zu übersehen oder zu leugnen: Ascriptivists hold that to say an action a was voluntary on the part of an agent A is not to describe the act a as caused in a certain way, but to ascribe it to A, to hold A responsible for it. Now holding a man responsible is a moral or quasi-moral attitude; and so, Ascriptivists argue, there is no question here of truth or falsehood, any 51 more than there is for moral judgments.

Nach Geachs Verständnis können Verantwortungszuschreibungen nicht als wahr oder falsch bewertet werden, weil sie moralische oder ‚quasi-moralische‘ – es ist nicht ganz klar, was Geach damit meint – Urteile darstellen. Man könne ihnen lediglich zustimmen oder sie zurückweisen.52 Die Eindringlichkeit, mit der dieses Problem nicht nur von Geach, sondern auch von George Pitcher und Myles Brand diskutiert wird, verwundert etwas.53 Hart erklärt ausdrücklich und wiederholt, dass Handlungsaussagen sowohl eine askriptive als auch eine deskriptive Funktion erfüllen, _____________ 51 52 53

Geach 1960, 221 (schematische Notationen angepasst). Vgl. Geach 1960, 221. Vgl. Geach 1960; Pitcher 1960, 203 f.; Brand 1970, 19 f.

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nur hält er die askriptive Funktion für primär: „[T]heir principal function is what I venture to call ascriptive“.54 Geach scheint Hart schlicht misszuverstehen, denn dieser behauptet keineswegs, dass Handlungsaussagen sich dem normalen Maßstab der Wahrheit entziehen. Eine Handlungsaussage der Form ‚A a-t‘ lässt sich wie jede andere deskriptive Aussage daraufhin prüfen, ob es der Fall ist, dass A a-t. Die Aussage ‚Smith hit her‘ wäre falsch, wenn es nicht Smith, sondern Jones war, der die Frau geschlagen hat. Eine Verantwortungszuschreibung an Smith wäre dann nicht haltbar.55 Das Missverständnis von Geach betrifft eine Passage, in der Hart erklärt, dass Aussagen der Form ‚A a-t‘ qua Verantwortungszuschreibung kein Wahrheitswert zukommt: [S]ince the judge is literally deciding that on the facts before him a contract does or does not exist, and to do this is neither to describe the facts nor to make inductive or deductive inferences from the statement of facts, what he does may be either a right or a wrong decision or a good or bad judgment […]. What cannot be said of it 56 is that it is either true or false, logically necessary or absurd.

Die Einschränkung, dass Handlungsaussagen nicht als wahr oder falsch beurteilt werden können, gilt jedoch einzig in ihrer askriptiven Funktion – das geht aus The Ascription deutlich hervor. So wie richterliche Entscheidungen über die Geltung von Verträgen nicht entweder wahr oder falsch sind, sondern gute oder schlechte Entscheidungen, so können Verantwortungszuschreibungen mehr oder weniger angemessen sein, je nachdem, ob sie mögliche Entschuldigungen der Akteure im richtigen Maß berücksichtigen. Die askriptive Funktion von ‚Smith hit her‘ liegt darin, die soziale Relevanz bestimmter Fakten über Smith darzustellen. Wenn man ihm volle Verantwortung zuschreibt, ihn tadelt oder straft, dann gewichtet man bestimmte Fakten über Smith anders, als wenn man eine Entschuldigung anfügt und ihn in Schutz nimmt. Die Frage nach der sozialen Relevanz von Smith’ Verhalten, nach Verantwortung oder Entschuldigung, stellt sich aber nur, wenn es überhaupt zutrifft, dass Smith eine Frau geschlagen hat. Die Aus_____________ 54 55 56

Hart 1948 / 49, 171. Vgl. Hart 1948 / 49, 190. Hart 1948 / 49, 182.

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sage ‚Smith hit her‘ muss unter dem deskriptiven Aspekt wahr sein, um ihre askriptive Funktion erfüllen zu können. In der Tat kritisierbar ist, dass Hart die Priorität der askriptiven vor der deskriptiven Funktion zwar behauptet, aber nicht begründet. Wenn mit der Aussage ‚He hit her‘ ein moralisches Urteil über Smith gefällt werden soll, muss diese Aussage wahr sein – damit wäre entgegen Harts Behauptung die deskriptive Funktion der askriptiven logisch vorgeordnet. Hart liefert keine Erklärung dafür, dass er das Verhältnis beider Funktionen umgekehrt sieht. Weil für meine weitere Darstellung von dieser Rangfolge nichts abhängt, lasse ich die Frage auf sich beruhen. Ich werde später für einen Zuschreibungsbegriff plädieren, bei dem deskriptiver und askriptiver Aspekt einer Handlungsaussage auf kompliziertere Weise zusammenhängen, als Hart annimmt. Die Frage der Rangfolge erübrigt sich dabei. [↓4.2]

3.2.4 Vierter Einwand: Anfechtbarkeit ist unplausibel George Pitcher bezweifelt, dass alle Handlungsaussagen anfechtbar sind, wie Hart behauptet. Wenn Mr. Smith seinen Arm in Reichweite einer Frau so schnell und kräftig bewegt, dass er ihr Schmerzen zufügt, könne man unmöglich bestreiten, dass ‚Smith hit her‘ wahr ist. Denn, erklärt Pitcher, die genannten Fakten konstituieren die Tatsache, dass Smith eine Frau schlägt. Dies anzufechten hieße zu leugnen, dass Smith seinen Arm in Reichweite einer Frau in solcher Weise bewegt, dass er ihr Schmerzen zufügt. Erkenne man das Bestehen dieser Fakten aber an, dann müsse man logischerweise auch anerkennen, dass Smith die Frau schlägt. Dieser Fakt folge schlicht aus den schon anerkannten Tatsachen. Es möge sein, dass Smith eine Entschuldigung für sein Verhalten hat, doch dies sei unerheblich für die Wahrheit von ‚Smith hit her‘.57 Pitchers Einwand lässt sich als Hinweis darauf lesen, dass der praktische Kontext einer Äußerung für die logisch-begrifflichen Verhältnisse der verwendeten Prädikate unerheblich ist: Welche Implikationen eine Aussage birgt, die das Prädikat ‚..schlägt..‘ enthält, ist durch die Anwendungsbedingungen dieses Prädikats geregelt. Ist eine Aussage der Form ‚x schlägt y‘ _____________ 57

Vgl. Pitcher 1960, 234. Ähnlich auch Cherry 1974.

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wahr, dann folgen die logischen Implikationen unbeeinflusst davon, was sonst noch über x und y der Fall ist. Ich möchte dies anhand eines einfacheren Beispiels illustrieren. Angenommen, die begrifflichen Bedingungen für ‚..ist ein Schaf‘ lauten (vollständig) ‚x ist wollig, x ist herdentauglich und x ist Hornträger‘, dann folgt aus der Aussage ‚Emil ist ein wolliger, herdentauglicher Hornträger‘ logisch, dass Emil ein Schaf ist. Wenn jemand zugesteht, dass Emil ein wolliger, herdentauglicher Hornträger ist, aber bestreitet, dass Emil ein Schaf ist, dann widerspricht er sich selbst. Analog dazu verläuft Pitchers Einwand gegen die Anfechtbarkeitsthese: Er listet begriffliche Bedingungen auf, die für die korrekte Verwendung von ‚..schlägt..‘ hinreichen, und erklärt, es sei selbstwidersprüchlich, in Smith’ Fall zu bestreiten, dass er die Frau schlägt, wenn doch alle Bedingungen für ‚..schlägt..‘ erfüllt seien. Daran ändere sich auch nichts, wenn man weitere Fakten in den Blick nehme, etwa dass Smith die Frau nicht gesehen hat oder für einen Einbrecher hielt. Dem könnte man, in wohlwollender Interpretation von Hart, entgegensetzen, dass sich die Wahrheit von Aussagen zwar an der Erfüllung logischbegrifflicher Bedingungen überprüfen lässt, dass sich aber die Angemessenheit einer Aussage nicht in ihrer Wahrheit erschöpft.58 Im Alltag sind wir nicht ausschließlich an der Wahrheit von Aussagen interessiert, sondern zum Beispiel auch daran, kluge Entscheidungen im Umgang mit Menschen zu treffen, soziale Beziehungen nicht über jedes Maß zu strapazieren oder anderen mit Nachsicht zu begegnen. Die Aussage ‚Smith hit her‘ mag die _____________ 58

In der Terminologie von J. L. Austin könnten Angemessenheitsbedingungen als Bedingungen aufgefasst werden, die den Sinn [sense] einer Äußerung bestimmen, während begriffliche Bedingungen die Referenz [reference] regeln. Die Konstellation von Sinn und Referenz konstituiert die Bedeutung [meaning] des jeweiligen Sprechaktes. Vgl. Austin 1979, v. a. 93, 111 f. Ich verzichte auf diese Terminologie, weil Austin sie nicht klar genug darlegt, um sie für eine Entgegnung auf Pitchers Einwand unmittelbar anzuwenden. Da Austins Vorlesungen nach der Publikation von Harts Aufsatz erschienen, verwundert es nicht, dass Hart von der Distinktion zwischen Aussagen und Sprechakten bzw. illokutionären Rollen keinen Gebrauch macht. Erstaunlicher ist, dass auch Pitcher nicht auf die Unterscheidung von illokutionären Rollen zurückgreift. Er hatte eine Dissertation unter dem Titel Illocutionary Acts. An Analysis of Language in Terms of Human Acts (Harvard University, 1957) verfasst und hätte seinen Einwand durch eine Distinktion von Referenz und Sinn bzw. Illokution verdeutlichen können.

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Fakten korrekt wiedergeben, den konkreten Umständen und dem Akteur wird sie dennoch nicht gerecht. In ihrer Knappheit zeichnet sie ein missverständliches oder verzerrtes Bild von dem, was sich zugetragen hat. Kurz, die Aussage ist wahr, aber nicht angemessen. Wiederum sollte man also unterscheiden zwischen einer Aussage der Form ‚A a-t‘ als deskriptiver Faktenangabe einerseits, ihrer Rolle als Verantwortungszuschreibung andererseits. Anfechtbarkeit ist eine Eigenschaft von (Aussagen in der Rolle von) Verantwortungszuschreibungen, nicht von (Aussagen in der Rolle von) Faktenbenennungen. Dass eine Aussage anfechtbar ist, bedeutet, dass sie in einem Kontext auftritt, in dem Entschuldigung oder Verteidigung mögliche Reaktionen sind, so dass die Angemessenheit der Aussage davon abhängt, ob Fakten in Betracht zu ziehen sind, die eine Entschuldigung oder Verteidigung darstellen könnten. Hart bestreitet nicht, dass aus ‚Smith hit her accidentally‘ folgt, dass Smith eine Frau schlägt. Der Schluss ist gültig, weil ‚Smith hit her‘ zu den notwendigen Bedingungen für ‚Smith hit her accidentally‘ gehört. Während aber ‚Smith hit her‘ in der Praxis – im Umgang mit dem Akteur – bedeuten würde, dass man Smith für seine Handlung voll verantwortlich macht, geht aus der qualifizierten Aussage ‚Smith hit her accidentally‘ hervor, dass wir eine Entschuldigung gelten lassen und infolgedessen die Verantwortungszuschreibung an Smith reduzieren. Manche Kommentatoren rekonstruieren ein anderes Verhältnis von begrifflichen und praktischen Bedingungen: Sie verstehen die Abwesenheit von Anfechtungsbedingungen selbst als eine notwendige Bedingung für die korrekte Verwendung eines Prädikates.59 Für jedes Handlungsprädikat würde damit als notwendige Bedingung gelten ‚Es ist nicht der Fall, dass der Akteur versehentlich oder unwissentlich oder unter Zwang etc. a-t‘. Wäre dies tatsächlich eine notwendige Bedingung für die korrekte Anwendung von Handlungsprädikaten, dann hätte Hart Unrecht zu behaupten, man könne anfechtbare Begriffe nicht durch logische Äquivalenzen etwa der Form Fx ↔ Gx definieren. Die von Pitcher angeführten Bedingungen für ‚..schlägt..‘ – Armbewegung, Heftigkeit, Schmerz – plus die Bedingung, dass es nicht der Fall ist, dass der Akteur die Armbewegung versehentlich ausführt oder unwissentlich oder unter Zwang etc., wären dann _____________ 59

Vgl. z. B. Baker 1977, 33 und 44; Mackie 1985, 32.

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nicht nur notwendige, sondern gemeinsam hinreichende Bedingungen (Gx) dafür, dass jemand einen anderen schlägt (Fx). Es gäbe also durchaus hinreichende Bedingungen und damit eine Definition für das Handlungsprädikat ‚..schlägt..‘. Hart erwägt diese Möglichkeit ebenfalls und weist im Zuge dessen auf das ‚etc.‘ hin, das in der Formulierung ‚Es ist nicht der Fall, dass der Akteur versehentlich oder unwissentlich oder unter Zwang etc. a-t‘ enthalten ist. Dieses ‚etc.‘, so Hart, steht als Abkürzung für eine unendlich lange Liste möglicher Anfechtungsbedingungen. Neben Zwang, Unwissenheit und Irrtum sind unendlich viele Umstände vorstellbar, unter denen man Personen für ihr Verhalten nicht voll verantwortlich machen würde, weil es unangemessen wäre und den Umständen nicht gerecht würde. Das ‚etc.‘ lässt sich daher nicht extensional auflösen. Es würde auch nicht helfen, argumentiert Hart weiter, wenn man anstelle von ‚etc.‘ sagte, ein Akteur führe ein Verhalten ‚mit Absicht‘ oder ‚freiwillig‘ aus. Dies seien lediglich alternative Wege, um möglichst kurz zu sagen, dass jemand nicht unter Zwang, nicht unter Drohung und Gewaltanwendung, nicht aus Versehen, in Unwissenheit oder Irrtum etc. handelt, dass also von den unzähligen denkbaren Anfechtungsbedingungen im konkreten Fall keine erfüllt ist, folglich keine Einschränkung der Verantwortung geboten.60 Diese Unauflösbarkeit von ‚etc.‘ macht es unmöglich, die Abwesenheit von Anfechtungsbedingungen selbst als eine notwendige Bedingung für die Anwendung eines Prädikates zu betrachten und sie in die Definition eines Handlungsprädikates aufzunehmen. Eine solche Definition wäre nicht nur kein wohlgeformter Ausdruck, sie wäre auch praktisch unnütz. Sie würde in konkreten Fällen nicht erlauben, zwischen korrekter und inkorrekter Anwendung eines Prädikates zu entscheiden, weil man nicht abschließend überprüfen kann, ob wirklich keine Anfechtungsbedingung erfüllt ist. Genau diese Überprüfung müsste man aber vornehmen, um zu zeigen, dass die gemeinsam hinreichenden Bedingungen eines bestimmten Prädikates erfüllt sind. Gemessen am Verständnis von Definitionen als logischen Äquivalenzen sind anfechtbare Prädikate daher nicht definierbar – es gibt keine hinreichenden Bedingungen für ihre Verwendung. Gleichwohl lassen sich inkorrekte und unangemessene Verwendungen mithilfe der notwendi_____________ 60

Vgl. Hart 1948 / 49, 177 f.; Duarte D’Almeida 2007, 174–176.

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gen Bedingungen identifizieren. Diese müssen erfüllt sein, das heißt keine Anfechtungsbedingung darf erkennbar erfüllt sein, damit man korrekt und angemessen über Smith spricht, wenn man sagt ‚He hit her‘. Analoge Schwierigkeiten wie für einzelne Handlungsprädikate ergeben sich für den Begriff der Handlung selbst: Es ist unmöglich, alle Bedingungen vollständig aufzulisten, unter denen das Verhalten einer Person nicht als absichtliches Handeln gelten kann, weil unendlich viele solcher Bedingungen vorstellbar sind. Darum ist es nicht möglich, eine Definition der Form ‚x ist genau dann eine Handlung, wenn…‘ so zu vervollständigen, dass sie kein ‚etc.‘ enthält, das für eine unendliche Liste von Anfechtungsbedingungen steht. Harts These, alle Handlungsaussagen seien notwendigerweise anfechtbar, erscheint somit vertretbar, wenn man eine Unterscheidung von begrifflichen und praktischen Bedingungen trifft: Anfechtungsbedingungen sind praktische Bedingungen, durch die man eine Qualifizierung eines Handlungsprädikates durch ‚versehentlich‘, ‚irrtümlich‘, ‚unter Zwang‘ und dergleichen begründen kann. Die Erfüllung einer Anfechtungsbedingung führt zur Schwächung oder Aufhebung der Verantwortungszuschreibung, die mit einer Handlungsaussage der Form ‚A a-t‘ stattfindet. Das bedeutet jedoch nicht – oder nur unter speziellen, noch zu diskutierenden Bedingungen –, dass die Aussage ‚A a-t‘ falsch ist.61

3.2.5 Fünfter Einwand: Askriptivismus ist zirkulär Dieser Einwand wiegt am schwersten und wurde interessanterweise am seltensten vorgebracht. Katarzyna Paprzycka beschreibt das Problem: _____________ 61

Eine Einschränkung gilt für juristische Termini, deren korrekte Verwendung eindeutig an die Abwesenheit bestimmter (nicht jedweder) Anfechtungsbedingungen gebunden ist. So wäre ‚A hat B ermordet‘ nicht nur unangemessen, sondern falsch, wenn sich herausstellt, dass A zwar B getötet hat, aber in Notwehr. Die Klausel ‚in Notwehr‘ ist keine Qualifizierung des Prädikats ‚..ermordet..‘, sie beschreibt eine Bedingung, unter der die Verwendung von ‚..ermordet..‘ schlicht falsch ist. Juristische Prädikate unterscheiden sich von alltagssprachlichen darin, dass bestimmte Anfechtungsbedingungen ihre Verwendung nicht lediglich unangemessen, sondern falsch machen.

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If we allow ourselves to talk about responsibility for actions, we get into a circle for, presumably, the determination of whether we could hold Smith responsible for the action of hitting Jones relies on the determination that Smith’s performance of hitting Jones was indeed an action rather than a mere happening. But whether a performance is an action or a mere happening is the very question […] that we are try62 ing to answer using our responsibilist account.

Hart tut genau das – er spricht von Verantwortung für Handlungen, um zu erklären, was Handeln von bloßem Verhalten unterscheidet. Damit wird das begriffliche Verhältnis zwischen ‚Handlung‘ und ‚Verantwortung‘ zirkulär. Um dies zu vermeiden, müsste Hart den Verantwortungsbegriff bestimmen, ohne den Begriff der Handlung explizit zu verwenden oder implizit als verstanden vorauszusetzen. Auf den ersten Blick scheint Hart das Zirkularitätsproblem zu umgehen, indem er sagt, Verantwortung komme Personen für solches Verhalten zu, das nicht unter Zwang, nicht durch Irrtum, nicht durch Missverständnis etc. ausgeführt wird. Er bietet also eine Bestimmung durch negative Bedingungen an, durch die Verantwortung für eigenes Verhalten im Einzelfall angefochten werden kann. Für etwas verantwortlich zu sein bedeutet im Umkehrschluss, dass keine der Anfechtungsbedingungen erfüllt ist. An dieser Konzeption scheint zunächst nichts zirkulär: Handlungen sind Verhalten, für das die Ausführenden verantwortlich sind; verantwortlich sind sie, wenn ihr Verhalten weder versehentlich noch irrtümlich noch unwissentlich noch erzwungen… ist. Doch was bedeuten die Ausdrücke ‚versehentlich‘, ‚irrtümlich‘ oder ‚unwissentlich‘? Unter welchen Bedingungen treffen sie auf ein Verhalten zu? Um Zirkularität zwischen Handlungs- und Verantwortungsbegriff tatsächlich zu vermeiden, müsste man die Bedeutung dieser Ausdrücke klären, ohne den Begriff der Handlung explizit oder implizit einzubinden. – Das scheint unmöglich. Um anzugeben, unter welchen Bedingungen ein Verhalten versehentlich oder irrtümlich war, scheint es unumgänglich, das Verhalten in den Begriffen der Absichtlichkeit – „vom erstrebten, nicht [nur] vom erreichten Ziel her“63 – zu beschreiben. _____________ 62

63

Paprzycka 2009, 23 f. Auch Christopher Cherry stellt fest, dass Harts Rede von responsible action streng betrachtet tautologisch ist, die Rede von non-responsible action dagegen widersinnig. Vgl. Cherry 1974, 106. Keil 2000, 33.

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Das aber heißt nichts anderes, als zwischen Handeln und bloßem Verhalten zu unterscheiden. Damit steht der Handlungsbegriff gleichsam hinter den negativ formulierten Anfechtungsbedingungen und geht mittelbar doch in Harts Bestimmung von ‚Verantwortung‘ ein. Folglich stehen die Begriffe in zirkulärer Abhängigkeit. Dieses Problem wiegt deshalb so schwer, weil mit ihm das primäre Anliegen der askriptivistischen Konzeption in Frage steht. Hart versucht, den kausalistischen Handlungskonzeptionen eine Alternative entgegenzusetzen, indem er menschliches Handeln mit Bezug auf Alltagspraxen, ohne Ereignis- und Kausalitätsannahme bestimmt. Zu diesen Alltagspraxen gehört, Verantwortung für Handlungen zuzuschreiben. Wenn sich nun herausstellte, dass man nicht erklären kann, was Verantwortungszuschreibungen sind, ohne die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten vorauszusetzen, würde man dieses zentrale Anliegen verfehlen. Die Frage, was Handeln von anderem menschlichen Verhalten unterscheidet, bliebe nach wie vor zu beantworten und es bliebe zu zeigen, dass diese Antwort nicht kausalistisch ausfallen kann. Insbesondere wäre Harts Anspruch widerlegt, dass Verantwortungszuschreibungen für die Handlungsgeltung eines Verhaltens konstitutiv sind. Der Versuch, den Grundbegriff der Handlungstheorie auf nicht-kausalistische Weise zu bestimmen, wäre damit gescheitert. Weil dieser Einwand den Askriptivismus gleichsam ins Herz trifft, stelle ich den Lösungsansatz, den Katarzyna Paprzycka für das Zirkularitätsproblem entwickelt, ausführlicher dar.

3.2.6 Praktische Verantwortung Katarzyna Paprzycka schlägt vor, die Zirkularität zwischen Handlungsund Verantwortungsbegriff zu beheben, indem man zwischen moralischer und praktischer Verantwortung unterscheidet. Durch diese Binnendifferenzierung entstünden zwei Begriffe mit verschiedenen Anwendungsbedingungen. Das Implikationsverhältnis zwischen Verantwortungs- und Handlungsbegriff ließe sich aufrechterhalten, wenn man präzisiert, dass Handlungsaussagen der Form ‚A a-t‘ eine Zuschreibung praktischer Verantwortung implizieren, wobei der Begriff der praktischen Verantwortung ohne Rückgriff auf den Handlungsbegriff bestimmt wird. Von Handlungen

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bräuchte man erst im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung zu sprechen, was unproblematisch wäre, denn ‚Handlung‘ wäre mit Rekurs auf praktische Verantwortung, nicht auf moralische Verantwortung bestimmt. Ein Begriffszirkel wäre damit vermieden. Um diesen Plan durchzuführen, muss man erklären, was ‚praktische Verantwortung‘ bedeutet, und man muss zeigen, dass sich Handlungen mithilfe dieses Begriffes bestimmen lassen. Paprzycka geht von folgender Annahme aus: Eine Akteurin A ist praktisch verantwortlich für die Ausführung eines Verhaltens a, wenn man in der konkreten Situation vernünftigerweise von A erwarten kann, dass sie a-t.64 Dafür ist eine Bestimmung des Erwartungsbegriffes erforderlich sowie ein Kriterium der Vernünftigkeit. Eine Erwartung, dass A in einer gegebenen Situation a-t, richtet sich auf A’s Verhalten, das nicht unbedingt eine absichtliche Handlung sein muss. Man kann zum Beispiel erwarten, dass ein Ahornbaum im Herbst die Blätter verliert oder dass die Störche aus der Altmark nach Afrika fliegen. Aus diesen Erwartungen folgt nichts über den Handlungsstatus der Geschehnisse. Ebenso wenig braucht man eine Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten zu treffen, um eine Erwartung darüber zu formen, wie sich eine Person in einer bestimmten Situation verhalten wird. Folglich braucht man den Begriff der Handlung hierfür nicht als verstanden vorauszusetzen. Um jemandem praktische Verantwortung für ein Verhalten zuzuschreiben, kommt es in Paprzyckas Vorschlag lediglich darauf an, dass das Verhalten in einer bestimmten Relation zu einer vernünftigen Erwartung steht. Es gilt also eine einschränkende Bedingung für die Erwartung, aber nicht für das Verhalten der Person. Im zweiten Schritt unterscheidet Paprzycka zwischen normativen und deskriptiven Erwartungen. Eine normative Erwartung an Autofahrer besteht beispielsweise darin, dass sie an roten Ampeln anhalten. Diese normative Erwartung ist durch die Konvention begründet, dass Autofahrer an roten Ampeln halten sollen. Tun sie es nicht, sind per Konvention Tadel und Strafe gerechtfertigt. Im Gegensatz dazu haben deskriptive Erwartungen prognostischen Charakter. Sie richten sich nicht darauf, was Akteure _____________ 64

„I will claim that a person is practically task-responsible for φ-ing just in case it would be reasonable […] to expect of her that she φ.“ Paprzycka 1997, 64.

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tun sollen, sondern darauf, was sie wahrscheinlich tun werden. Ein Ahornbaum, der im Herbst seine Blätter verliert, erfüllt eine deskriptive Erwartung. Eine normative Erwartung an den Baum wäre hingegen schwerlich zu rechtfertigen; das ‚sollte‘ in der Aussage ‚Dieser Ahornbaum sollte im November kahl sein‘ ist nicht normativ zu verstehen, sondern probabilistisch, etwa im Sinn von ‚Dieser Baum wird im November mit hoher Wahrscheinlichkeit kahl sein‘. Im Gegensatz zu Bäumen können Personen sowohl normative als auch deskriptive Erwartungen erfüllen. Da Adele als risikofreudige Autofahrerin bekannt ist, mag man die deskriptive Erwartung hegen, dass sie über eine rote Ampel fahren wird, obwohl zugleich die normative Erwartung besteht, dass sie anhalten sollte. Der Gegenstand einer Erwartung ist in jedem Fall ein Fakt. Dieser Fakt lässt sich propositional als Dass-Satz formulieren: ‚B erwartet, dass p‘. Beschränken wir uns auf Erwartungen an personale Akteure und ihr Verhalten, lässt sich das Schema präzisieren: E

B erwartet, dass A in der Situation C a-t 65

Ein wichtiger Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Erwartungen ist ihre Passrichtung [direction of fit]:66 Um eine normative Erwartung, dass A in C a-t, zu erfüllen, müssen bestehende Umstände und Gegebenheiten so verändert werden, dass der im Dass-Satz von E benannte Fakt eintritt. Die logische Richtung normativer Erwartungen verläuft somit von der Welt auf den epistemischen Haushalt von Personen, die diese Erwartungen haben [world-to-mind]: A’s Verhalten muss der Erwartung von B gehorchen, es muss sich an die Erwartung anpassen, wenn diese erfüllt werden soll. Dagegen richten sich deskriptive Erwartungen vom epistemischen Haushalt des Erwartungsinhabers auf die Welt [mind-to-world]. _____________ 65

66

Erwartungssätze nach dem Schema E sind intensionale Sätze: Sie beziehen sich auf ein Verhalten unter einer bestimmten Beschreibung. Im Schema ‚B erwartet, dass A in C a-t‘ steht ‚..a-t‘ für ein Prädikat, das auf A’s Verhalten genau dann zutrifft, wenn A die Erwartung von B erfüllt. Kann A’s Verhalten außerdem noch durch das Prädikat ‚..a*-t‘ beschrieben werden, folgt nicht, dass B von A erwartet, dass sie a*-t. Vgl. Paprzycka 1997, 70. Vgl. Paprzycka 1997, 65–70. Die Unterscheidung von ‚mind-to-world‘ und ‚worldto-mind‘ als gegenläufigen Relationen zwischen mentalem Gehalt und extramentaler Welt geht auf John Searle zurück. Vgl. Searle 1985, 1–29.

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Zwar werden auch deskriptive Erwartungen in Bezug auf das Verhalten einer Person dadurch erfüllt, dass der erwartete Fakt eintritt, dass sich die Person also der Erwartung gemäß verhält. Tut sie es aber nicht, so bedeutet dies nicht, dass sie sich anders verhalten sollte, sondern dass etwas anderes geschehen ist, als der Erwartungsinhaber für wahrscheinlich gehalten hatte. B’s Erwartung, dass A in der Situation C a-t, wird durch A’s Verhalten durchkreuzt, aber damit verletzt A keine Normen und Konventionen. Erwartungen sind durch Erfüllungs- und Durchkreuzungsbedingungen bestimmt. Die Erwartung, dass Adele an der roten Ampel anhält, wird genau dann erfüllt, wenn Adele vor der roten Ampel hält, und durchkreuzt, wenn sie weiterfährt. In diesem Punkt unterscheiden sich normative und deskriptive Erwartungen nicht; unterschiedlich ist die Art ihrer Begründung: Deskriptive Erwartungen stützen sich häufig auf Beobachtungen früherer Fälle und können oft durch Statistiken oder probabilistische Gesetzmäßigkeiten gerechtfertigt werden. Auf die Durchkreuzung deskriptiver Erwartungen lässt sich angemessen reagieren, indem man sein Wahrscheinlichkeitskalkül um zusätzliche relevante Parameter ergänzt und seine Erwartungen in künftigen ähnlichen Fällen modifiziert. Wer sehr oft vergeblich auf einen Lotteriegewinn gehofft hat, wird schließlich seine Erwartungen senken und anerkennen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit abermals leer ausgeht. Selbst wenn in einem Wahrscheinlichkeitskalkül alle relevanten Parameter berücksichtigt sind, werden deskriptive Erwartungen aber nicht zwangsläufig erfüllt. Erwartungsinhaber müssen anerkennen, dass auch die Durchkreuzung eine gewisse, wenngleich geringe Wahrscheinlichkeit besitzt und folglich nicht völlig auszuschließen ist – manchmal hat jemand einen Sechser im Lotto. Nutzlos wäre es jedoch, auf die Durchkreuzung einer deskriptiven Erwartung mit moralischer Empörung zu reagieren und Vorwürfe gegen den Lauf der Dinge zu erheben. Anders bei normativen Erwartungen: Um die normative Erwartung, dass Adele an der roten Ampel anhalten sollte, zu begründen, müsste man Argumente anführen, nicht Statistiken und stochastische Gesetze. Der statistische Fakt, dass die meisten Autofahrer an allen roten Ampeln halten, ist für Adele offensichtlich nicht Grund genug, diese normative Erwartung ebenfalls zu erfüllen. Um sie dazu zu bringen, müsste man argumentieren: Man müsste aufzeigen, inwiefern es gut und nützlich wäre, wenn sich Adele wie alle anderen an die Ampel-Regel hielte. Dabei

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KAPITEL 3

mögen Statistiken und Wahrscheinlichkeitskalküle von Nutzen sein, doch haben sie per se kein normatives Gewicht. Innerhalb der Klasse der normativen Erwartungen zeichnet Paprzycka einige als praktische Erwartungen aus. Eine normative Erwartung ist in der Situation C genau dann eine praktische Erwartung an A, wenn sie von A in C sowohl erfüllt als auch durchkreuzt werden kann. Wenn die Erwartung an die Akteurin darin besteht, dass sie an einer roten Ampel hält, dann darf weder ausgeschlossen sein, dass A in C anhält, noch darf dies zwangsläufig eintreten. Kann eine Person eine bestimmte normative Erwartung unter den speziellen Umständen entweder nicht erfüllen oder nicht durchkreuzen, handelt es sich nicht um eine praktische Erwartung.67 Ob eine Person A in einer Situation C praktisch verantwortlich dafür ist, dass sie a-t, soll nicht nur davon abhängen, ob eine normative praktische Erwartung besteht, dass A in C a-t, sondern auch davon, ob diese Erwartung vernünftig [reasonable] ist.68 Adele ist praktisch verantwortlich dafür, dass sie die Ampel bei Rot überquert, wenn die Erwartung, dass sie an der Ampel hält, eine vernünftige praktische Erwartung ist. Bert ist praktisch verantwortlich für seinen Sechser im Lotto, wenn es eine vernünftige praktische Erwartung ist, dass er den richtigen Tipp abgibt. Die Bedingungen, unter denen praktische Erwartungen vernünftig sind, erscheinen bei Paprzycka als eine Art Generalkompetenz, die Aufmerksamkeit und Intelligenz, motorische und andere Fähigkeiten einschließt.69 Damit knüpfen sich praktische Erwartungen an praktische Bedingungen, an Fähigkeiten und Eigenschaften der konkreten Erwartungsadressaten unter konkreten Umständen. Die Erfüllung dieser praktischen Bedingungen lässt sich, anders als die Erfüllung logisch-begrifflicher Bedingungen, nicht allein mit Blick auf eine Instantiierung von E feststellen. Was man von einer Person in einer Situation vernünftigerweise erwarten kann, mag sich von dem unterscheiden, was man von anderen Personen oder unter anderen _____________ 67 68 69

Vgl. Paprzycka 1997, 74. Vgl. Paprzycka 1997, 77. Vgl. Paprzycka 1997, 81. Paprzycka fügt an, dass diese Bedingungen nicht immer voll und ganz erfüllt sind, etwa wenn jemand krank ist oder verletzt und sich nur eingeschränkt bewegen kann, oder wenn Umweltbedingungen wie Wind und Regen die Ausführung bestimmter Handlungen behindern, zu denen die Akteurin unter anderen Umständen durchaus fähig ist.

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Umständen vernünftigerweise erwarten könnte. Auf diesen Gedanken wird zurückzukommen sein. Das Vorhaben, die Zirkularität zwischen ‚Verantwortung‘ und ‚Handeln‘ aufzulösen, scheint durch die Differenzierung zwischen deskriptiven und normativen Erwartungen gelungen: Man grenzt normative Erwartungen von deskriptiven Erwartungen anhand ihrer entgegengesetzten Passrichtungen ab. Dann beschreibt man praktische Erwartungen als Unterart der normativen Erwartungen: Dass A in C a-en soll, ist genau dann eine praktische Erwartung, wenn sie von A in C sowohl erfüllt als auch durchkreuzt werden kann. So ist praktische Verantwortung (VP) eine Relation zwischen vernünftigen, praktischen Erwartungen und dem Verhalten einer Person:70 VP

A ist in C praktisch verantwortlich dafür, dass sie a-t, wenn (1) die Erwartung, dass A in C a-t, eine praktische Erwartung ist und wenn (2) die Erwartung, dass A in C a-t, vernünftig ist

Bis hierher brauchte man von Handlungen nicht zu sprechen, denn für die Relationen der Erfüllung bzw. Durchkreuzung spielt es keine Rolle, ob das Verhalten als Handeln oder als bloßes Verhalten gilt. Die Akteurin A ist allemal praktisch verantwortlich für das, was sie tut, falls ihr Verhalten Gegenstand einer vernünftigen praktischen Erwartung ist. Es fällt auf, dass Paprzycka von normativen praktischen Erwartungen spricht, aber nicht von Handlungserwartungen. Letztlich läuft ihre Bestimmung aber darauf hinaus, dass praktische Erwartungen durch eigenes Handeln der Erwartungsadressaten erfüllbar oder durchkreuzbar sein müssen. Die Vermeidung dieser naheliegenden Redeweise könnte dadurch begründet sein, dass das Zirkularitätsproblem sonst sofort wieder auftreten würde – der Handlungsbegriff soll bei der Bestimmung von ‚Verantwortung‘ ja gerade umgangen werden. Doch der terminologische Ausweg erweist sich als Umweg mit dem gleichen unerwünschten Ende: Zunächst lässt Paprzycka ausdrücklich zu, dass normative Erwartungen nicht nur durch absichtliches Handeln erfüllt werden können, sondern durch jedwede Art von Verhalten [performances], also auch dadurch, dass eine Akteurin etwas unabsichtlich oder unwissentlich tut.71 Dann aber werden normative Erwar_____________ 70 71

Vgl. Paprzycka 1997, 99–102. Vgl. Paprzycka 1997, 71.

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tungen folgendermaßen von deskriptiven Erwartungen abgegrenzt: „A person B expects (in the normative sense) of another person A that p when B is disposed to sanction A’s failure to bring about p.“72 Erläuternd fügt Paprzycka an, dass B nicht einfach die dispositionelle Eigenschaft besitzen soll, die Nichterfüllung seiner Erwartung zu sanktionieren, diese Nichterfüllung muss auch als Grund für eine Sanktion gegenüber A zu verstehen sein: […] B is required to be correctly disposed to negatively sanction A. Likewise, B is required to be appropriately disposed to place a positive sanction on A, when A 73 does bring it about that p.

An diesem Punkt kommen Zweifel auf, ob die vorgeschlagene Konzeption der praktischen Verantwortung tatsächlich ohne eine vorgängige Unterscheidung zwischen Handeln und anderem Verhalten und damit ohne den Begriff der Handlung auskommt. Denn ob man jemanden zu Recht mit Sanktionen belegt, hängt sicherlich davon ab, ob sein Verhalten unter der Beschreibung ‚A durchkreuzt B’s Erwartung‘ absichtlich ist. Nur dann ist es für B angemessen, auf A’s Verhalten mit Lob oder Tadel zu reagieren. Sanktionen eignen sich ja gerade deshalb als Mittel, jemanden zur Erfüllung einer bestimmten Erwartung zu bringen, weil man Erwartungen durch eigenes Handeln erfüllen kann. Freude auf positive Sanktionen oder Furcht vor negativen Sanktionen geben Akteuren einen Grund, in einer bestimmten – die Erwartung erfüllenden – Weise zu handeln. Es liegt im Begriff der normativen praktischen Erwartung, wie Paprzycka ihn entwirft, dass sich Erwartungen dieser Art auf absichtliches Handeln beziehen und nicht auf jedwede Form des Verhaltens. Bestimmt man praktische Erwartungen über den Begriff der Sanktion bzw. der Sanktionierbarkeit, wie mit VP geschehen, dann ist die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten vorausgesetzt. Sie liegt dem Begriff der Sanktion zugrunde, damit auch dem der praktischen Erwartung und damit wiederum dem der praktischen Verantwortung. Damit scheitert Paprzyckas Plan, die Zirkularität des askriptivistischen Ansatzes zu beheben. Nach ihrer Konzeption sind Handlungen solches _____________ 72 73

Paprzycka 1997, 66 (Variablen angepasst). Paprzycka 1997, 67 (Hervorhebung im Original, Variablen angepasst).

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Verhalten, für das Akteuren praktische Verantwortung zukommt. Praktische Verantwortung ist eine Relation zwischen vernünftigen, praktischen Erwartungen und ausgeführtem Verhalten. Vernünftige praktische Erwartungen sind durch das Verhalten des Erwartungsadressaten sowohl erfüllbar als auch durchkreuzbar. Die Erfüllung einer vernünftigen Erwartung rechtfertigt positive Sanktionen, eine Durchkreuzung negative Sanktionen. Sanktionierbarkeit gibt Akteuren einen Grund, eine vernünftige Erwartung zu erfüllen. Die Androhung oder das Versprechen einer Sanktion ist hingegen völlig wirkungslos, wenn die Erwartung nicht vernünftig ist, das heißt wenn Erfüllung bzw. Durchkreuzung unabhängig von Einsicht und Willen des Erwartungsadressaten erfolgen. Nur wenn Sanktionierbarkeit eines Verhaltens ein Grund für seine Ausführung sein kann, kommt einer Person praktische Verantwortung für Erfüllung bzw. Durchkreuzung einer sanktionsbewehrten Erwartung zu. Also ist eine praktische Erwartung vernünftig, wenn sie aus Gründen erfüllbar ist. Das aber heißt nichts anderes, als dass sie durch eine Handlung erfüllbar ist. So schließt sich der Kreis. Man scheint zugeben zu müssen, dass sich Harts These einer logischbegrifflichen Implikation von Handlungs- und Verantwortungsaussagen nicht aufrechterhalten lässt. Der Verantwortungsbegriff lässt sich nicht ohne Bezug auf den Handlungsbegriff bestimmen – an irgendeiner Stelle muss von Handlungen die Rede sein, um zu sagen, was es heißt, dass jemand für etwas verantwortlich ist. (Zumindest wenn man Bedeutungsfestlegungen vermeiden will, die von der Alltagssprache sehr weit entfernt sind.) Paprzyckas Ansatz ist sicherlich einer der sorgfältigsten Versuche, Harts These zu retten. Doch auch sie kommt letztlich nicht umhin, zuerst von Handlungen zu reden, dann von Verantwortung, auch wenn sich diese Notwendigkeit hinter einer anderen Terminologie verbirgt. Der Versuch, Verantwortung als primäre Relation zu bestimmen und sie der Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten zugrunde zu legen, ist damit gescheitert. Wie sehr erschüttert dieser Befund den Askriptivismus? Benötigt Hart eigentlich eine hierarchische Relation von Verantwortungszuschreibungen und Handlungsaussagen? Eines seiner Anliegen ist es, den Handlungsbegriff von kausalistischen Annahmen zu befreien, die dazu führen, dass

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Ausdrücke wie ‚Absicht‘, ‚Wille‘ oder ‚Grund‘ als Namen von Ereignissen aufgefasst werden. Dabei leitet ihn die Intuition, dass ‚Handeln‘ ein anfechtbarer Begriff ist, der durch hinreichende Bedingungen nicht dingfest zu machen ist, aber durch eine Beschreibung der Praxen erläutert werden kann, in denen er sich zeigt. Mit anderen Worten: Die Bedingungen der Handlungsgeltung sind praktische Bedingungen oder, wie Wittgenstein sagt, Kriterien. [↑3.1.3] Diese Erkenntnis wird durch die Beobachtung gestützt, dass der Ausdruck ‚Handlung‘ im Alltag selten auftritt. In praktischen Zweifelsfällen fragen wir selten, ob jemand gehandelt hat, sondern eher, ob er etwas mit Absicht getan hat oder ob er wusste, dass es diese und jene Folgen haben könnte. Solche Fragen beantworten wir nicht unter Verweis auf eine Definition des Handlungsbegriffes, sondern mit Blick auf konkrete Umstände und individuelle Eigenschaften der Beteiligten. Wir schätzen ab, welche Reaktionen auf ein Verhalten unter den gegebenen Umständen und angesichts all dessen, was wir von den Akteuren wissen, angebracht erscheinen. Eine solche Reaktion, deren Angemessenheit mit der Handlungsgeltung eines Verhaltens steht und fällt, ist eine Verantwortungszuschreibung in Form von Lob oder Tadel. Entschuldigungen und Verteidigungen sind weitere Reaktionen, deren Bedingungen der Möglichkeit zugleich Bedingungen der Handlungsgeltung sind. Um diese Bedingungen der Handlungsgeltung zu erfassen, sollten wir daher, so Hart, untersuchen, wann wir andere loben oder tadeln, wofür wir uns entschuldigen bzw. wann wir Entschuldigungen akzeptieren oder zurückweisen. Für eine solche Untersuchung bedarf es gar nicht der Annahme, dass zwischen Handlungsaussagen und Verantwortungszuschreibungen ein Implikationsverhältnis besteht oder dass ‚Verantwortung‘ der logisch primäre Begriff ist. Zwar werden, wenn man sich mit Lob, Tadel und Entschuldigungen befasst, begriffliche Relationen zwischen ‚Handeln‘ und ‚Verantwortung‘ zutage treten. Der Erfolg der Untersuchung – eine nicht-kausalistische Bestimmung des Handlungsbegriffes – hängt aber nicht von der Annahme einer ganz bestimmten Implikation und Hierarchie ab. Deshalb lohnt sich ein zweiter Blick auf Katarzyna Paprzyckas Auseinandersetzung mit dem Askriptivismus. Zwar gelingt es ihr nicht, den Zirkel zwischen Handlungsbegriff und Verantwortungsbegriff zu beheben, doch wie eben dargelegt, braucht man ihn gar nicht zu beheben, weil Harts Implikationsthese für das askriptivistische Programm nicht nötig ist. Paprzy-

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cka macht aber auf einen sehr wichtigen Aspekt von Harts Handlungskonzeption aufmerksam, der von keinem seiner zeitgenössischen Kritiker gesehen wurde: Wenn wir Verantwortung für Handlungen zuschreiben, indem wir die Akteure loben oder tadeln, sie auszeichnen oder strafen, so liegen diesen Urteilen und Reaktionen normative Erwartungen zugrunde: Die Akteure hätten etwas tun sollen und haben es tatsächlich getan oder haben es nicht getan. Paprzycka stellt klar heraus, dass normative Erwartungen in einem bestimmten Sinn vernünftig sein müssen, anderenfalls sind Lob für Erfüllung bzw. Tadel für Durchkreuzung ungerechtfertigt. Nach Paprzyckas einleuchtender Bestimmung ist eine normative Erwartung dann vernünftig, wenn es für die konkrete Erwartungsadressatin möglich, aber nicht unumgänglich ist, die Erwartung zu erfüllen. Die Vernünftigkeit der Erwartung hängt davon ab, was man von der Akteurin erwarten kann, und dies wiederum hängt davon ab, an welche Akteurin sich die Erwartung richtet und in welcher Situation. Als Bedingungen der Vernünftigkeit benennt Paprzycka eine Reihe von Fähigkeiten, die den Adressaten einer Erwartung in einem gewissen Maß zukommen müssen, darunter Aufmerksamkeit, Intelligenz und motorisches Geschick. In der Tat wäre es unvernünftig, Erwartungen an jemanden zu richten, wenn er deren Inhalt nicht begreifen kann oder wenn die Erfüllung seine physischen Möglichkeiten übersteigt. Die von Paprzycka benannten Fähigkeiten sind aber nicht nur Voraussetzungen für vernünftige normative Erwartungen, sie sind auch unerlässlich für die Ausführung von Handlungen überhaupt. Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Intelligenz und motorisches Geschick sind für jegliches Handeln unverzichtbar, und es ist ein Kennzeichen von Akteuren, dass sie über diese Fähigkeiten verfügen – ganz gleich, ob sie mit ihren Handlungen die Erwartungen Dritter erfüllen und ob sie Lob dafür verdienen. Recht besehen, scheint es Hart mit dem askriptivistischen Ansatz vor allem um den Zusammenhang zwischen Akteursfähigkeiten und Handlungsgeltung zu gehen, weniger um den Zusammenhang zwischen Verantwortung und Handeln. Nicht nur die Angemessenheit von Lob und Tadel im Einzelfall hängt davon ab, dass wir den Ausführenden Intelligenz und Aufmerksamkeit unterstellen und davon ausgehen, dass sie den Unterschied zwischen einer deskriptiven Aussage und einer normativen Erwartung begreifen und sich selbst als Adressaten einer bestimmten Erwartung verste-

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hen können. Diese Unterstellungen liegen der Unterscheidung zwischen dem absichtlichen Handeln einer Person und ihrem bloßen Verhalten als Ermöglichungsbedingungen zugrunde. Die Frage nach der Angemessenheit oder Anfechtbarkeit einer Verantwortungszuschreibung würde sich gar nicht stellen, wenn man nicht davon ausginge, dass sie sich auf das Verhalten einer Person richtet, die ihre eigenen Körperbewegungen aufmerksam und intelligent steuern kann. Diese Fähigkeiten machen Akteure aus. Es scheint daher lohnend, einen zweiten Blick auf Harts Ansatz zu werfen und den Begriff des Akteurs, der darin zum Tragen kommt, genauer zu untersuchen, als es in der zeitgenössischen Rezeption geschehen ist. Welches Bild von Akteuren liegt eigentlich zugrunde, wenn Hart ihre Handlungen durch Verantwortung und Entschuldbarkeit bestimmt?

3.3 Zur Verteidigung des Askriptivismus 3.3.1 Noch einmal: Die Grundidee Die Einwände gegen Harts Ansatz zielen in erster Linie auf seine Behauptung, ein Verhalten gelte dann – und nur dann – als Handeln, wenn man den Ausführenden Verantwortung in Form von Lob oder Tadel zuschreiben kann. In der Tat mein Hart, dass wir zu jedem Verhalten, sofern wir es für absichtlich halten, eine moralische Haltung einnehmen. Entweder befürworten wir es oder wir lehnen es ab. Dagegen führen Harts Kritiker vor, dass Handlungen durchaus ohne moralisches Urteil zuschreibbar sind. [↑3.2.1] Bei aller Triftigkeit ihrer Einwände gehen sie aber kaum je der Frage nach, weshalb Hart kausalistischen Handlungskonzeptionen ausgerechnet diesen simultanen Askriptivismus von Handlungsgeltung und Verantwortlichkeit entgegensetzt. Warum will er den Handlungsbegriff gerade über Verantwortungszuschreibungen explizieren? Welches Bild von Akteuren liegt dem zugrunde und ist dieses Bild wirklich im Ansatz verfehlt oder lediglich seine systematische Ausarbeitung unfertig? Vor allem beim Vergleich zwischen The Ascription und späteren, ausdrücklich an Wittgenstein orientierten Handlungskonzeptionen anderer Autoren drängt sich die Einschätzung auf, dass Hart manches Argument vorwegnimmt, das sich ähnlich, auch gründlicher durchgearbeitet, bei Autoren wie Elizabeth Anscombe und A. I. Melden sowie anderen Autoren Wittgen-

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steinscher Prägung findet. Eine Überlegung ist für The Ascription grundlegend und muss, wenn wir Harts Ansatz verstehen und adäquat kritisieren wollen, unbedingt berücksichtigt werden. Sie besteht aus drei Teilthesen: (1) Wir unterscheiden zwischen Handeln und bloßem Verhalten, ohne je explizite Bedingungen dafür gelernt zu haben. Wir unterscheiden, indem wir bestimmte Praxen vollziehen, denn die Bedingungen für diese Unterscheidung sind praktische Bedingungen, sie sind faktische Gegebenheiten. Wir lernen nicht, den Begriff der Handlung gemäß einer Definition korrekt zu verwenden, wir lernen, an bestimmten Praxen teilzunehmen, durch die wir zwischen absichtlichem Handeln und anderem Verhalten bzw. zwischen mehr oder weniger absichtlichem Handeln unterscheiden. Zu diesen Praxen gehören Lob und Tadel. Wir loben oder tadeln Personen nicht für ihr Verhalten, weil wir dieses für absichtlich halten; wir würden weder loben noch tadeln, wenn wir es nicht für absichtlich hielten. Die Praxis des Lobens und Tadelns ist eine Weise, bestimmte Episoden aus dem Verhalten einer Person auszunehmen und als absichtliches Handeln zu kennzeichnen. Die Praxis des Lobens bzw. Tadelns zeigt, was wir unter absichtlichem Handeln verstehen. Deshalb meint Hart, dass wir uns über die Bedeutung des Handlungsbegriffes klar werden können, indem wir die Bedingungen untersuchen, unter denen wir Verhalten loben oder tadeln. (2) Handlungsgeltung ist anfechtbar, das ist an der Kritisierbarkeit und Revidierbarkeit von Lob und Tadel erkennbar. Die Geltung eines Verhaltens als absichtliches Handeln muss sich in der Praxis bewähren und kann, wenn Gegengründe vorliegen, zurückgenommen werden. Die Handlungsgeltung eines Verhaltens ist keine ‚natürliche Tatsache‘, deren Wahrheit sich durch Übereinstimmung mit physikalischen Theorien und Gesetzmäßigkeiten belegen lässt: „So we must judge again: not describe again“.74 (3) Besonders wichtig ist deshalb die dritte Teilthese. Mit ihr haben sich Harts Kritiker am wenigsten auseinandergesetzt, für das askriptivistische Unternehmen ist sie aber zentral: Handlungsgeltung ist der Normalfall; Anfechtung ist die Ausnahme. Obschon die Möglichkeit von Entschuldigung und Verteidigung für Handlungszuschreibungen wesentlich ist, bewähren sich die meisten Zuschreibungen in der Praxis. Sie bleiben unangefochten und können weiteren Urteilen und Handlungsvollzügen zugrunde gelegt _____________ 74

Hart 1948 / 49, 193.

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werden. Weil Handlungsgeltung der Normalfall ist, können wir uns im Alltag in der Regel ohne detaillierte Kenntnis der Ziele und Pläne anderer Personen auf Interaktionen einlassen. Wir können anderen viele Eigenschaften und Fähigkeiten unterstellen, und obwohl diese Unterstellung nicht aus gründlicher Beobachtung und langjähriger persönlicher Erfahrung resultiert, braucht sie nicht von Einzelfall zu Einzelfall überprüft zu werden. Wir argumentieren normalerweise nicht dafür, dass wir jemandes Verhalten für absichtliches Handeln und ihn selbst für einen normalen Akteur halten; begründungsbedürftig ist vielmehr die Ausnahme, die Anfechtung von Handlungs- und Akteursgeltung. Die Fälle, in denen wir die Deutung eines Verhaltens revidieren müssen, geben allerdings den deutlichsten Aufschluss über die Zuschreibungspraxis. Vor allem verraten die Ausnahmefälle, welche Fähigkeiten wir Akteuren normalerweise stillschweigend unterstellen und welche Anfechtungsbedingungen für diese Unterstellung gelten.

3.3.2 Dialog und Handlungsgeltung Nach der askriptivistischen Konzeption sind Zuschreibungen von Absichtlichkeit und Verantwortung immer dann angemessen, wenn es keine Entschuldigung oder Verteidigung gibt, die eine Reduktion der Verantwortung begründen würde. Die Möglichkeit einer solchen Anfechtung lässt sich für Handlungsaussagen zu keiner Zeit ausschließen. Es ist immer möglich, eine Aussage der Form ‚A a-t‘ daraufhin zu hinterfragen, ob A nicht doch ein Fehler unterlaufen ist, ob A nicht doch versehentlich a-t oder aus Angst, unter Zwang etc. Anhand dieser Fragen lässt sich nach Harts Auffassung klären, was absichtliches Handeln ohne jede Einschränkung ist. Damit erhält der Handlungsbegriff eine dialogische Struktur. Eine Aussage der Form ‚A a-t‘ ist als Beschreibung einer Handlung von A zu verstehen, falls sie bestimmte Folgefragen einlädt, die ihrerseits verneint werden. Nur für Handlungsaussagen stellen sich die eben benannten Fragen nach Anfechtungen, nach möglichen Fehlern, Versehen usw. Handlungsaussagen bilden somit den Auftakt zu einem Dialog, dessen Durchführbarkeit die Handlungsgeltung eines Verhaltens erweist. Schematisch lässt sich ein solcher Dialog zwischen zwei Beobachtern

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B1 und B2 rekonstruieren, wobei beide Beobachter zugleich Teilnehmer einer gemeinsamen Situation sind. Beobachter zu sein heißt hier also nicht, vom beobachteten Geschehen unbetroffen und unbeeinflusst zu sein. So kann einer der Beobachter die Akteurin selbst sein, womit sich lediglich eine grammatische Transformation von der dritten Person Singular zur ersten bzw. zweiten Person Singular ergibt. Ansonsten ändert sich am Verlauf des Handlungsdialoges nichts. Auf jeden Fall haben die Dialogpartner B1 und B2 eine je eigene Position in der geteilten Situation und damit eine je eigene Sicht auf das Geschehen. Sie können daher zu verschiedenen Zuschreibungen kommen: D

B1 – A a-t B2 – Merkt A, dass sie a-t? Irrt sich A? Wird A gezwungen zu a-en? Kennt A die a-Regeln? Hat A etwas missverstanden?…

Kann man eine der Rückfragen des zweiten Beobachters bejahen, dann gibt es eine Entschuldigung für A. In diesem Fall ist die Handlungszuschreibung zu qualifizieren oder ganz zurückzunehmen. Wird hingegen keine der Rückfragen bejaht, besteht Gewissheit über die Handlungsgeltung von A’s Verhalten. Sie ist zwar nicht vor jeglichem späteren Zweifel sicher, doch soweit B1 und B2 die Situation vorläufig überschauen, gibt es für sie keinen vernünftigen Zweifel. So lautet der vollständige Dialog: D

B1 – A a-t B2 – Merkt A, dass sie a-t? Irrt sich A? Wird A gezwungen zu a-en? Kennt A die a-Regeln? Hat A etwas missverstanden?…

Entweder: B1 – Ja, offenbar irrt sich A oder wird gezwungen oder… Oder: B1 – Nein, offenbar ist keine Anfechtungsbedingung erfüllt Entschuldigungen begründen verminderte Handlungsgeltung eines Verhaltens unter der jeweiligen Instantiierung von ‚A a-t‘. Ohne annehmbare Entschuldigung bleibt die erste Zuschreibung unangefochten; A’s Verhalten gilt unter der jeweiligen Instantiierung von ‚A a-t‘ als absichtliches Handeln. Allerdings könnte eine Entschuldigung wiederum hinterfragt werden,

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denn auch eine Aussage der Form ‚A a-t aus Versehen‘ ist eine Zuschreibung und folglich anfechtbar. Das Ende eines Dialoges nach dem Schema D besteht (idealerweise) darin, dass für alle Dialogteilnehmer Gewissheit über die Handlungsgeltung von A’s Verhalten besteht und damit auch Gewissheit über die Angemessenheit von Lob oder Tadel. Ein solcher Dialog wird natürlich nicht in jedem Fall ausdrücklich geführt, zumal wir uns nicht über jede einzelne Handlung, die wir jemandem zuschreiben, mit anderen austauschen oder unsere Sicht der Dinge mit der Ich-Perspektive der Akteure abgleichen können. Wir fragen nicht bei jeder Handlungszuschreibung explizit nach möglichen Anfechtungen. Das Schema D veranschaulicht lediglich, dass die Anfechtbarkeit von Handlungszuschreibungen darin besteht, dass diese einer bestimmten Art von Rückfragen ausgesetzt sind. So wird anschaulich, worauf Harts Bestimmung des Handlungsbegriffes hinausläuft: Handeln ist Verhalten, für das unter einer Beschreibung der Form ‚A a-t‘ bestimmte Rückfragen verneint werden. Auf solches Verhalten kann man mit Lob bzw. Tadel reagieren.75 _____________ 75

Michael McKenna entwirft in Conversation and Responsibility (2012) eine ähnliche Dialogstruktur für den Begriff der Verantwortung: „The expressive theory I propose, modeled along the lines of a conversation, shows our moral responsibility practices to be dynamic (rather than static) processes in which modifications to practice are understood as more or less reasonable manners of replying to an interlocutor.“ Als Schritte eines moralischen Dialoges [moral dialogue] nennt er (1) eine Handlung als moralischen Beitrag [moral contribution], (2) eine moralische Anrede [moral address] als Reaktion darauf, (3) moralische Rechenschaft [moral account], die der Akteur für seine Handlung ablegt. Solch ein Dialog beginnt also nicht mit einer Aussage über eine Handlung, sondern mit der Ausführung einer Handlung. Die Akteure selbst initiieren den moralischen Dialog durch ihr Verhalten, nicht erst Beobachter, die es in Beschreibungen der Form ‚A a-t‘ erfassen: „A morally responsible agent acts with the knowledge that her conduct is always a potential object of interpretation by members of the (or a) moral community. She therefore is able to understand her own actions as having meaning.“ Den Anfang eines moralischen Dialogs in der Ausführung der Handlung selbst zu sehen, ist sinnfällig, wenn man McKennas Annahme teilt, dass jegliche Handlung eine moralische Wertung zulässt und daher auf jegliche Handlung hin eine Verantwortungszuschreibung erfolgen könnte. Die moralische Anrede stellt dann eine Reaktion auf die vorgängige ‚Äußerung‘ in Form einer Handlungsausführung dar. Vgl. McKenna 2012, 91–94. Für Harts Ansatz ist jedoch gerade entscheidend, dass das Verhalten von Personen nicht als Handlung einer bestimmten Art gegeben ist, sondern einer Beschreibung als Handlung bedarf. Natürlich müssen sich Personen dafür in irgendeiner Weise

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Hart selbst hält es für einen fundamentalen Fehler traditioneller Handlungskonzeptionen, dass sie die soziale Dimension des Handlungsbegriffes übersehen: [They] make the common error of supposing that an adequate analysis can be given of the concept of human action in any combination of the descriptive sentences [as definiens], categorical or hypothetical, or any sentences concerned wholly with a 76 single individual.

Anders als eine Definition, bei der hinreichende Bedingungen entweder erfüllt sind oder nicht, erlauben anfechtbare Begriffe – Begriffe mit dialogischer Struktur – divergierende Ansichten über die Angemessenheit des Begriffs. Im Falle des Handlungsbegriffes kann Uneinigkeit über die Geltung eines Verhaltens bestehen; die einen mögen es als absichtliches Handeln sehen, die anderen betrachten es eher als unabsichtlich oder ungewollt. Nicht immer finden alle Beteiligten eine gemeinsame Deutung, und manchmal bleibt ungewiss, ob jemand etwas absichtlich getan hat und dafür verantwortlich ist. Diese Eigenheit des Handlungsbegriffes müssen wir nach Harts Meinung schlicht anerkennen, er hat diese offene dialogische Struktur, die sich definitorischen Verfahren nicht fügt. Dass der Ausgang von D und damit die Frage der Handlungsgeltung grundsätzlich offen sind, unterscheidet Harts Zuschreibungskonzeption deutlich von kausalistischen Ansätzen. Letztere gehen davon aus, dass ein Geschehnis entweder eine Handlung ist oder nicht. Entweder besitzt ein Verhalten die richtige Art von Kausalgeschichte oder es besitzt sie nicht. Mit der Zuschreibungskonzeption entscheidet sich Handlungsgeltung von Fall zu Fall, abhängig von der Möglichkeit der Anfechtung. Als Zuschreibung verstanden, wird mit Aussagen der Form ‚A a-t‘ nicht die Beschaffenheit eines Verhaltens konstatiert, es wird artikuliert, welche Bedeutung es in der konkreten Situation in den Augen der Situationsteilnehmer hat. Entscheidend an einer dialogischen Handlungskonzeption ist, dass _____________

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verhalten; etwas muss geschehen, das als Deskriptum einer Handlungsaussage auftreten kann. Doch von einer Handlung kann erst mit der Beschreibung die Rede sein, weil diese nicht nur feststellt, was geschieht, sondern eine bestimmte Handlung allererst individuiert. McKenna bezieht sich an keiner Stelle auf Hart, dafür auf Strawson 2003 [1962] sowie auf Watson 1987. Hart 1948 / 49, 189.

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Handlungen nicht als eine Art von Entitäten mit spezifischen physikalischen Eigenschaften bestimmt werden. Um zu erklären, was Handlungen sind, gibt man stattdessen an, für welches Verhalten man jemanden zur Verantwortung ziehen bzw. ihn von Verantwortung freisprechen kann. In strittigen Fällen, etwa wenn um die Annehmbarkeit einer Entschuldigung oder um die Angemessenheit eines Vorwurfs gerungen wird, steht die Bedeutung des Handlungsbegriffes selbst zur Disposition: Schließt er den konkreten Fall ein? Inwieweit kann das umstrittene Verhalten als absichtlich gelten? Solche Diskussionen über Handlungsgeltung, Verantwortlichkeit und Entschuldbarkeit sind eine Weise, praktisch – durch dialogische Verfahren – zwischen Handeln und bloßem Verhalten zu unterscheiden. Die Unterscheidung resultiert aus der Ausführung bestimmter dialogischer Praxen, sie geht diesen Praxen nicht in Form einer Begriffsdefinition voraus. (In vielen Fällen liegen Absichtlichkeit bzw. Entschuldbarkeit so klar zutage, dass sich weitere Diskussionen erübrigen. Außerdem braucht ein Dialog, in dem die Handlungsgeltung eines Verhaltens diskutiert wird, nicht exakt nach dem Schema D zu verlaufen.) Eine wichtige Implikation des dialogischen Handlungsbegriffes ist, dass Akteure den Zuschreibungen Dritter nicht einfach ausgesetzt sind. Akteuren wird eine eigene Perspektive auf ihr Handeln zugestanden. Sie können ihr Verhalten anders sehen als ihre Beobachter und sie selbst können es für entschuldbar halten, während Beobachter die vorgebrachte Entschuldigung zurückweisen. Den ethischen Implikationen dieser Perspektivität nachzugehen, würde an dieser Stelle weit über Harts Überlegungen in The Ascription hinausführen, ich komme aber mit Elizabeth Anscombes Konzeption des absichtlichen Handelns noch einmal darauf zurück.

3.3.3 Beobachter und Teilnehmer Nicht nur zu späteren nicht-kausalistischen Werken der Handlungstheorie finden sich in The Ascription interessante Parallelen, sondern auch zu Peter F. Strawsons Freedom and Resentment, einem vieldiskutierten Aufsatz zur moralischen Verantwortung.77 Strawson trifft eine Unterscheidung zwi_____________ 77

Strawson 2003 [1962].

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schen der objektiven und der partizipativen Einstellung, die wir gegenüber anderen Personen einnehmen können. Ich erläutere dies kurz, um auf eine interessante Gemeinsamkeit mit Hart aufmerksam zu machen. Laut Strawson nehmen wir gegenüber anderen Menschen normalerweise eine partizipative Einstellung ein. Sie stellt unsere gleichsam automatische ‚soziale Voreinstellung‘ dar und besteht darin, dass wir andere Personen grundsätzlich als einsichtsfähige und empathiefähige Wesen betrachten, solange wir mit ihnen keine gegenteiligen Erfahrungen machen. Wir unterstellen, dass andere imstande sind, nicht nur den Gehalt moralischer Urteile zu verstehen, sondern auch deren soziale Relevanz. Wenn wir, so Strawsons Beispiel, über jemandes Verhalten verärgert sind, dann geben wir ihm mit unserem Tadel nicht nur zu verstehen, dass er eine Norm verletzt hat, sondern auch, dass wir ihn als Mitglied einer moralischen Gemeinschaft betrachten, dem wir Einsicht in moralische Gründe und Mitgefühl mit anderen Wesen zutrauen. Das allerdings ist eine Unterstellung. Wir haben keine Belege dafür, dass jemand einsichts- und empathiefähig ist, die von seinem Verhalten, so wie wir es verstehen, unabhängig sind. Strawson meint, dass die Unterstellung bestimmter Fähigkeiten – eben die partizipative Einstellung gegenüber anderen – unverzichtbar ist, um sich auf menschliche Beziehungen und gemeinsame (moralische) Praxen einzulassen. Mit der Konzeption der partizipativen Einstellung setzt auch Strawson bei einer alltäglichen Beobachtung an: Wenn uns jemand beleidigt oder verletzt, dann reagieren wir normalerweise mit Verärgerung. Diese Verärgerung ist Ausdruck unserer Unterstellung, dass der andere moralische Normen verstehen kann, sie aber im konkreten Fall missachtet hat. Manchmal mildert oder legt sich das Gefühl der Verärgerung, wenn wir über seine Angemessenheit nachdenken: The first group [of considerations] belong to all those which might give occasion for the employment of such expressions as ‚He didn’t mean to‘, ‚He hadn’t realized‘, ‚He didn’t know‘, and also all those which might give occasion for the use of the phrase ‚He couldn’t help it‘, when this is supported by such phrases as ‚He was pushed‘, ‚He had to do it‘, ‚It was the only way‘, ‚They left him no alternative‘ 78 etc.

_____________ 78

Strawson 2003 [1962], 64.

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Die Übereinstimmungen mit Harts Liste möglicher Entschuldigungen fallen ins Auge, und Strawson hebt eine Gemeinsamkeit der Entschuldigungen hervor, die – mit einer Ausnahme – auch bei Hart zugrunde liegt: None of them invites us to suspend towards the agent, either at the time of his action or in general, our ordinary reactive attitudes. They do not invite us to see the agent as one in respect of whom these attitudes are in any way inappropriate. They invite us to see the injury as one in respect of which a particular one of these attitudes is inappropriate. They do not invite us to see the agent as other than a fully responsible agent. They invite us to see the injury as one for which he was not fully, 79 or at all, responsible.

Damit macht Strawson explizit, was Hart intuitiv erfasst: Die Handlungsgeltung eines Verhaltens kann in einzelnen Situationen durch temporäre widrige Umstände beeinträchtigt sein und eine Verminderung moralischer Verantwortung nach sich ziehen. Die Akteursgeltung der Ausführenden steht damit nicht grundsätzlich in Frage. Die Unterstellung von Fähigkeiten, die ihnen normalerweise erlauben, die normative Kraft von Erwartungen und Gründen zu begreifen und ihr Verhalten so einzurichten, dass es nicht zu sozialen Verwerfungen führt, bleibt unangefochten, auch wenn das Verhalten im Einzelfall moralisch defizitär ist. Das ist nicht immer der Fall, stellt Strawson fest. Manchmal sind die situativen Umstände normal, aber der Akteur „psychologically abnormal“ oder „morally undeveloped“.80 Dann gehe es nicht mehr darum, eine einzelne moralisch bedenkliche Handlung durch die äußeren Umstände zu erklären, sondern um eine Anpassung unserer Einstellung gegenüber dem Akteur: Wir müssen die stillschweigende Unterstellung, dass er über Einsichtsfähigkeit und Empathievermögen verfügt, qualifizieren. Wir betrachten ihn nicht länger als Akteur im vollen Sinne und verlassen uns nicht darauf, dass er den Gehalt und die Relevanz moralischer Erwartungen versteht. Wir wechseln, erklärt Strawson, von einer partizipativen zu einer objektiven Einstellung. Mit diesem Wechsel der Einstellung werden Reaktionen wie Verärgerung über schädliches Verhalten oder Dankbarkeit über hilfreiches Verhalten unangemessen und überdies witzlos: _____________ 79 80

Strawson 2003 [1962], 64 f. (meine Hervorhebungen). Strawson 2003 [1962], 66.

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To adopt the objective attitude to another human being is to see him, perhaps, as an object of social policy; as a subject for what, in a wide range of sense, might be called treatment; as something certainly to be taken account, perhaps precautionary account, of; to be managed or handled or cured or trained; perhaps simply to be 81 avoided […].

Auf das Verhalten eines Akteurs kann man je nach Anlass mit Verärgerung oder mit Dankbarkeit reagieren – Reaktionen, die laut Strawson Ausdruck unserer partizipativen Einstellung gegenüber anderen sind. Sie geben zu erkennen, dass andere in unseren Augen als Akteure gelten.82 Es hat nur Sinn, sich über Unachtsamkeit, Leichtsinn, Dreistigkeit oder Verschlagenheit moralisch zu empören, wenn der Adressat einer solchen Reaktion einen Begriff von Unachtsamkeit, Leichtsinn, Dreistigkeit oder Verschlagenheit hat, der unseren eigenen Begriffen hiervon hinlänglich ähnelt. Nur dann wird er unsere Verärgerung als moralische Reaktion verstehen, vielleicht sogar ihre Gründe einsehen. Dieselben Überlegungen ergaben sich oben mit Blick auf Harts exemplarische Liste von Entschuldigungen für Mr. Smith, die mit ‚He is mad, poor man‘ auch eine situationsunabhängige ‚Generalentschuldigung‘ enthielt. Mit dieser Entschuldigung wird Smith genau diese Fähigkeit, moralische Gründe einzusehen und sich als Adressat moralischer Forderungen zu verstehen, abgesprochen. [↑3.1.3] Offensichtlich ist die partizipative Einstellung nach Strawson ebenso anfechtbar wie Handlungs- und Akteursgeltung nach Hart. Auch die partizipative Einstellung ist in Kraft, solange keine widerlegenden Umstände eintreten, mit denen auf die objektive Einstellung ‚umgeschaltet‘ wird. Vor allem aber sind die Gründe für diesen Einstellungswechsel dieselben, die Hart als mögliche Entschuldigungen und Verteidigungen benennt. Beim Wechsel von der partizipativen zur objektiven Einstellung werden zuvor unterstellte Akteursfähigkeiten nicht länger unterstellt, das Verhalten des anderen wird nicht länger als Gegenstand moralischer Verantwortung betrachtet. So lässt sich der Hinweis ‚He is mad, poor man‘ als Hinweis darauf verstehen, dass man Smith besser mit einer objektiven Einstellung begegnet, statt ihn als Teilnehmer einer moralisch relevanten Situation zu _____________ 81 82

Strawson 2003 [1962], 65. Vgl. Strawson 2003 [1962], 66.

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KAPITEL 3

betrachten, mit voller Verantwortung für sein Verhalten und seine Einflussnahme auf die Situation. Eine objektive Einstellung gegenüber Smith erlaubt, ihm mit Neugier oder mit Vorsicht zu begegnen, Prognosen über sein Verhalten zu erstellen und es psychologisch oder neurologisch zu erklären. Ausgeschlossen ist hingegen, ihn mit moralischen Argumenten zu bestimmten Umgangsweisen und Interaktionen zu bewegen.83 Objektivität gegenüber Personen ist die Ausnahme und muss es nach Strawsons Meinung auch sein: „A sustained objectivity of inter-personal attitude, and the human isolation which that would entail, does not seem to be something of which human beings would be capable […].“84 Die endgültige Suspension der partizipativen Einstellung ist keine echte Option – wir wären gar nicht in der Lage, unser Leben mit anderen Menschen auf die Annahme zu gründen, dass sie generell keine aufmerksamen, intelligenten Wesen sind, die moralische Erwartungen stellen und einsehen können und die einander für Erfüllung und Durchkreuzung solcher Erwartungen zur Verantwortung ziehen. Strawson glaubt, dass wir die objektive Einstellung nicht einmal dann zur Grundlage unserer zwischenmenschlichen Verhältnisse machen könnten, wenn sich nachweisen ließe, dass menschliches Verhalten in einer Weise determiniert ist, die moralische Verantwortung ausschließt: The human commitment to participation in ordinary interpersonal relationships is, I think, too thoroughgoing and deeply rooted for us to take seriously the thought that a general theoretical conviction [viz. that determinism is true] might so change our world that, in it, there were no longer any such things as interpersonal relationships as we normally understand them; and being involved in interpersonal relationships […] precisely is being exposed to the range of reactive attitudes and feelings that is 85 in question.

In der Tat scheint es nicht leicht, sich eine Welt zu denken, in der alle Menschen alle anderen als Objekte des möglichst effizienten Managements betrachten, einander aber nie mit spontaner Dankbarkeit, mit Fürsorge, Ärger oder Empörung begegnen. In diesen unmittelbaren, nicht-kalkulierten Re_____________ 83 84 85

Vgl. Strawson 2003 [1962], 66. Vgl. Strawson 2003 [1962], 68. Strawson 2003 [1962], 81.

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aktionen zeigt sich, worin Akteursgeltung besteht und was wir einander zutrauen oder zumuten, wenn wir die Frage nach Handlungsgeltung und moralischer Verantwortung aufwerfen.

3.4 Zusammenfassung Der Begriff der Handlung bzw. des absichtlichen Handelns lässt sich explizieren, indem man die Praxen beschreibt, mit deren Ausführung sich zeigt, was wir – Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft – unter ‚Handeln‘ und ‚Handlung‘ verstehen. Dies ist der Grundgedanke von H. L. A. Harts The Ascription of Responsibility and Rights. Harts Auffassung zufolge lässt sich die Bedeutung des Handlungsbegriffes klären, indem man untersucht, welchen Unterschied es für das Zusammenleben von Menschen macht, ob das Verhalten einer Person als Handeln gilt oder nicht. Hart beobachtet, dass alle Reaktionen, die ausschließlich bei absichtlichem Handeln vorkommen, kritisierbar und revidierbar sind. Also ist Handlungsgeltung anfechtbar. [↑3.1.1] Daraus schließt Hart, dass sich der Begriff der Handlung nicht auf Ereignisse mit einer bestimmten Beschaffenheit oder Kausalgeschichte bezieht. Ein entscheidendes Merkmal des Handlungsbegriffes liegt gerade darin, dass er keine Definition durch notwendige und hinreichende Bedingungen erlaubt. Wenngleich man in jedem Einzelfall einige Fakten benennen kann, die für die Handlungsgeltung eines Verhaltens sprechen, bleiben doch immer Umstände denkbar, die dagegensprechen. [↑3.1.2] Bedingungen der Handlungsgeltung lassen sich deshalb als Kriterien im Sinne Wittgensteins auffassen. Kriterien verleihen Gewissheit darüber, dass ein bestimmter Fakt in einem konkreten Fall besteht. Sie schließen aber nicht gänzlich aus, dass eine andere Deutung der Faktenlage möglich ist. [↑3.1.3] Von diesen Überlegungen aus ergaben sich zwei Konsequenzen für die askriptivistische Handlungskonzeption: Handlungsgeltung ist eine graduelle Angelegenheit. Ein Verhalten kann mehr oder weniger absichtlich sein, folglich auch mehr oder weniger unabsichtlich. Die Begriffe ‚Handeln‘ und ‚bloßes Verhalten‘ bezeichnen Pole eines Kontinuums, keine disjunkten Kategorien. [↑3.1.4] Die andere wichtige Konsequenz ist, dass Handlungs-

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KAPITEL 3

geltung Akteursgeltung voraussetzt. Nur wenn einer Person grundsätzlich bestimmte Fähigkeiten zugeschrieben werden, darunter Aufmerksamkeit, Intelligenz, Einsichtsfähigkeit in Gründe, stellt sich für ihr Verhalten in konkreten Fällen die Frage der Handlungsgeltung. [↑3.1.5] Harts The Ascription verdankt seine Prominenz vor allem der harschen Kritik, die der Aufsatz über zwei Jahrzehnte hinweg auf sich gezogen hat. Nicht jeder Einwand scheint berechtigt, doch sind viele insofern hilfreich, als sie Aufschluss geben, wie man den askriptivistischen Ansatz überzeugender gestalten könnte. [↑3.2.1–3.2.4] Eines der schwersten Probleme ist die Zirkularität von Handlungs- und Verantwortungsbegriff, die sich mit Harts These einstellt, jede Handlungsaussage sei per se eine Verantwortungszuschreibung. Dies führt bei näherer Betrachtung zur Bestimmung des Handlungsbegriffes via ‚Verantwortung‘ und des Verantwortungsbegriffes via ‚Handlung‘. [↑3.2.5] Einen Vorschlag, diesen Zirkel zu vermeiden, bietet Katarzyna Paprzycka an, indem sie zwischen praktischer und moralischer Verantwortung unterscheidet. Da Paprzycka allerdings in der Bestimmung praktischer Verantwortung den Begriff der Erwartung verwendet und Erwartung durch den Begriff der gerechtfertigten Sanktion bestimmt, gelangt der Handlungsbegriff unbemerkt auch in ihre Konzeption der praktischen Verantwortung. [↑3.2.6] Obwohl der geplante Rettungsversuch damit scheitert, arbeitet Paprzycka einen Aspekt von Harts Handlungsbegriff heraus, der wichtiger ist als die vieldiskutierte Implikationsthese zwischen Handlungsaussagen und Verantwortungszuschreibungen. Sie zeigt auf, dass Personen grundsätzlich Akteursgeltung zukommen muss, damit sich für ihr Verhalten in konkreten Fällen überhaupt die Frage stellt, ob es absichtliches Handeln darstellt oder bloßes Verhalten. Als Akteurin zu gelten heißt, bestimmte Fähigkeiten zu besitzen, die Menschen in die Lage versetzen, absichtlich zu handeln und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Akteursgeltung beruht auf einer Unterstellung, dies erklärt die Anfechtbarkeit von Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen: Es kann sich immer herausstellen, dass jemand im Einzelfall nicht auf der Höhe seiner Akteursfähigkeiten war oder dass man ihm zu viel zugetraut hat. [↑3.3.1] Anfechtbare Begriffe lassen sich nicht durch notwendige und hinreichende Bedingungen definieren. Man kann aber ihre logisch-semantische Struktur in Form eines Dialoges darstellen. Mit einer Aussage der Form ‚A

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a-t‘ wird die Handlungsgeltung eines Verhaltens behauptet, diese Zuschreibung muss sich gegenüber möglichen Anfechtungen bewähren. Anfechtungen bedürfen ihrerseits der Akzeptanz und können als unzureichend zurückgewiesen werden. [↑3.3.2] Am Schluss dieses Kapitels habe ich auf eine interessante Parallele zwischen der Akteursgeltung, wie sie in Harts Ansatz impliziert ist, und der partizipativen Einstellung, die Peter F. Strawson konzipiert, hingewiesen. Letztere ist konstitutiv für Reaktionen, die zugleich die Anerkennung einer Person als Teilnehmerin einer moralischen Gemeinschaft ausdrücken. Eine partizipative Einstellung einzunehmen, heißt, andere Menschen als Teilnehmer einer gemeinsamen Situation zu betrachten, die moralische Gründe zu geben und einzusehen vermögen. Mit einer objektiven Einstellung hingegen betrachten wir andere als Objekte unseres Handelns, als ‚Gegebenheiten‘, die unseren Plänen nützen oder sie stören, ohne dass wir ihnen einen eigenen moralischen Standpunkt zugestehen. [↑3.3.3] Hart hält Verantwortungs- und Handlungszuschreibungen für simultane Akte und befasst sich in erster Linie mit deren Angemessenheitsbedingungen. Ihn interessiert, wie wir zu Gewissheit über die Handlungsgeltung eines Verhaltens gelangen und unter welchen Bedingungen diese Gewissheit ins Wanken gerät. Ich habe gezeigt, dass Hart zumindest intuitiv davon ausgeht, dass Handlungsgeltung stets Akteursgeltung der Ausführenden voraussetzt. Weniger belegt und vorerst nur behauptet habe ich, dass Akteursgeltung unterstellt werden muss. Ein wenig habe ich Rolle und Gehalt dieser Unterstellung bereits umrissen, doch bleibt zu klären, worin Akteursgeltung genau besteht und warum sie Gegenstand einer Unterstellung ist. Mit diesen Fragen setzen sich Elizabeth Anscombe und A. I. Melden auseinander – das werden die folgenden beiden Kapitel zeigen. Während Melden das Augenmerk eher auf die Bedingungen der Akteursgeltung richtet [↓5], gelangen wir mit Anscombe zu einer präziseren Bestimmung der Fähigkeiten, die Akteure auszeichnen. Mit Anscombe werden sich außerdem einige Kriterien genauer fassen lassen, die in konkreten Fällen dafür sprechen, dass jemand absichtlich, wissentlich und aus bestimmten Gründen handelt. [↓4]

4 Zuschreibungskonzeptionen II: Elizabeth Anscombe. Absichtlich handeln

Im Jahr 1957 erschien die schmale Monografie Intention von Elizabeth Anscombe. Sie stellt bis heute eines der einflussreichsten Werke der analytischen Handlungstheorie und einen wichtigen Referenzpunkt in der Debatte um Handlungsgründe und -ursachen dar. Im Mittelpunkt des Werkes steht die Bedeutung der Ausdrücke ‚(mit) Absicht‘ und ‚absichtlich‘ in alltagssprachlichen Kontexten. In diesen Redeweisen sieht Anscombe den Schlüssel zum Verständnis des Handlungsbegriffes. Wir müssen verstehen, meint sie, wie Wissen und Wünsche einer Person mit äußerlich sichtbarem Verhalten zusammenhängen. Wir müssen herausfinden, woher wir die Gewissheit nehmen, dass andere Personen manche Dinge absichtlich tun, andere nicht. Anscombe nähert sich dem Phänomen des absichtlichen Handelns gleichsam von der H. L. A. Hart entgegengesetzten Seite. Während er zeigen will, dass wir von der Handlungsgeltung eines Verhaltens so lange ausgehen, bis Anfechtungsbedingungen dagegen sprechen, müssen nach Anscombes Ansicht auch einige Bedingungen dafür sprechen, jemandes Verhalten für absichtliches Handeln zu halten. Sie gibt sich also nicht damit zufrieden, dass Aussagen der Form ‚A a-t mit Absicht‘ oder ‚A a-t absichtlich‘ nur dadurch gerechtfertigt werden können, dass bestimmte Anfechtungsbedingungen nicht erfüllt sind. Allerdings ist Anscombe wie Hart sicher, dass Absichten keine ‚inneren‘, privaten Ereignisse sind. Es folgt, dass Absichten keine Ursachenereignisse von Handlungen sind, womit eine Grundannahme kausalistischer Konzeptionen fällt. Nicht zuletzt an dieser inhaltlichen Positionierung lässt Intention rasch erkennen, dass seine Autorin von Ludwig Wittgenstein gelernt hat. Diese war Wittgenstein am Newnham College in Cambridge begegnet, wo sie

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KAPITEL 4

nach dem Abschluss ihres Studiums der Litterae Humaniores 1941 als Research Fellow tätig war. In Cambridge hörte Anscombe Wittgensteins Vorlesungen und besuchte diese weiterhin, nachdem sie 1946 wieder nach Oxford, ans Somerville College, gegangen war. Im Jahr 1970 nahm sie Wittgensteins früheren Lehrstuhl in Cambridge ein, sie wurde Herausgeberin und Übersetzerin etlicher seiner Werke.1 Die Prägung durch Wittgenstein wird in Intention zuerst an Form und Stil deutlich: Anscombe schildert alltagsnahe Situationen, für deren praktische Bewältigung oder für deren reflektierte Beschreibung die Ausdrücke ‚Absicht‘ und ‚absichtlich‘ hilfreich, natürlich oder sogar notwendig sind. Um die Charakteristika dieser mannigfaltigen Situationen zu erfassen, werden sie mit Gegenbeispielen und Ausnahmefällen kontrastiert. Anscombe präsentiert ihre Überlegungen in fortlaufend nummerierten Paragrafen, doch die Abfolge erscheint eher spontan als durchkomponiert, die Formulierungen eher tentativ als konstatierend, dabei nicht ohne Humor und gelegentlich von Ironie gegenüber ihren zeitgenössischen Philosophenkollegen getönt. Philippa Foot, eine akademische Weggefährtin Anscombes, kommentiert deren Beziehung zu Wittgenstein: Although she was his close friend, a literary executor, and one of the first to recognise his greatness, nothing could have been further from her character and mode of 2 thought than discipleship.

Insgesamt wirft Intention mehr Fragen auf, als beantwortet werden, was ganz in Anscombes Absicht liegt. Einige Antworten, die sie zunächst anbietet, werden später bekräftigt, andere korrigiert oder verworfen. Eine systematische Theorie des absichtlichen Handelns enthält Intention folglich nicht, eher das Protokoll einer intellektuellen Arbeit, in deren Fortgang traditionelle kausalistische Positionen nahezu beiläufig demontiert werden. Ohne explizit ein Gegenmodell zu präsentieren, zeichnet sich mit Anscombes kritischen Anfragen an die Tradition, mit ihren Situationsbeschreibungen und Beispielanalysen eine alternative Konzeption des absichtlichen Handelns ab. In diesem Kapitel möchte ich eine Rekonstruktion von Ans_____________ 1 2

Vgl. Monk 1993, 527. Philippa Foot: Obituary. In: Somerville College Review 2001, 119–120, zit. nach Teichmann 2008, 4.

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combes Überlegungen vornehmen und eine Interpretation ihres Ansatzes vorschlagen. Ich rücke dabei nicht, wie üblich, den Begriff des praktischen Wissens in den Mittelpunkt, sondern die Dialogizität des Handlungsbegriffes. Dazu wird zu untersuchen sein, welche Rolle Warum-Fragen für den Handlungsbegriff spielen. Dass Warum-Fragen und Handlungsbegriff bei Anscombe in einem engen begrifflichen Zusammenhang stehen, wird in der Forschungsliteratur zu Intention in der Regel erwähnt, doch meines Erachtens wird nicht hinlänglich ergründet, weshalb Anscombe den Handlungsbegriff ausgerechnet über eine Form von Fragen bestimmen will. Ich beginne dieses Kapitel so, wie Anscombe Intention beginnt: mit einer Differenzierung zwischen den Absichten, die Akteure haben, und der sprachlichen Äußerung solcher Absichten. Dabei werden zwei häufige Verwendungen von ‚Absicht‘ und ‚absichtlich‘ unterschieden, die ich mithilfe des begrifflichen Werkzeugs aus dem zweiten Kapitel als Fakten über Personen rekonstruiere. Anschließend nehme ich den Begriff des praktischen Wissens auf. Dieser Begriff ist für Anscombes Argumentation zentral, weil er zu erklären erlaubt, was Handlungsaussagen der Form ‚Ich a-e‘ beschreiben, ohne eine innere, nicht-öffentliche, ‚geistige‘ Wirklichkeit vorauszusetzen. [↓4.1] Im zweiten Unterkapitel befasse ich mich mit den Möglichkeiten, Absichten sprachlich auszudrücken. Anscombe beschränkt sich auf explizite Bekundungen [avowals] wie ‚Ich werde dich besuchen‘. Zugleich stellt sie fest, dass wir Absichten anderer Personen nicht nur durch ihre sprachlichen Äußerungen kennen können, sondern auch durch ihr nicht-sprachliches Verhalten. Schließlich werde ich zeigen, dass sich Ausdruck und Zuschreibung als interpersonelle Relationen auffassen lassen, die Konversen zueinander bilden. Beide Relationen gemeinsam konstituieren die Bedeutung der Begriffe ‚Mentalität‘ oder ‚Geist‘, wie das englische ‚mind‘ üblicherweise übersetzt wird. [↓4.2]

4.1 Absichten und Gründe 4.1.1 Formate der Handlungsbegründung Ausgerechnet den Begriff der Zuschreibung zum Interpretationsparadigma von Intention zu machen, mag insofern verwundern, als ein entsprechender

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englischer Ausdruck – ‚ascribe‘ bzw. ‚ascription‘ – nur an einer einzigen Stelle auftaucht, auf die Anscombe sich wenige Seiten später nochmals bezieht: The primitive sign of wanting is trying to get; which of course can only be ascribed to creatures endowed with sensation. Thus it is not mere movement or stretching out towards something, but this on the part of a creature that can be said to know the thing. On the other hand knowledge itself cannot be described independently of 3 volition; the ascription of sensible knowledge and of volition go together.

Etwas überraschend wird die Zuschreibung von Wollen [wanting] und Wissen [sensible knowledge] daraufhin am Beispiel eines Hundes erläutert. Nach Anscombes Meinung seien Zuschreibungen an Menschen zwar etwas komplizierter als Zuschreibungen an Hunde, beide würden aber ein wichtiges Merkmal teilen: In jedem Fall sei ‚trying to get‘ das Kriterium dafür, dass jemand etwas will.4 Die eben zitierte Passage findet sich relativ spät in Intention, im 36. von 52 Paragrafen. Bis dahin hat Anscombe bereits zahlreiche andere Aspekte des absichtlichen Handelns angeführt, die sich zu einer Zuschreibungskonzeption zusammenfügen, angefangen mit der Differenzierung zwischen ‚Absicht‘ [intention] und ‚absichtlich‘ [intentional] und der Untersuchung von Absichtsbekundungen der Form ‚Ich werde a-en‘.5 Die Ausdrücke ‚Absicht‘ und ‚absichtlich‘ können nach Anscombes Beobachtung in zweierlei Bedeutung auftreten. Fragen nach der Absicht, mit der jemand etwas tut, richten sich auf das Ziel, das er anstrebt, auf einen Zustand oder ein Resultat, auf das sein Verhalten hinausläuft. Von solchen weiterführenden oder zukunftsbezogenen Absichten [intention with which something is done] ist einfache Absichtlichkeit [intention simpliciter] zu unterscheiden. Nicht jedes absichtliche Verhalten wird mit Blick auf ein konkretes Ziel ausgeführt. Wer ein Lied pfeift oder spazieren geht, zielt damit selten auf ein bestimmtes Resultat ab. Dennoch könnte er die Frage, _____________ 3

4 5

Anscombe 1963 [1957], § 36, 68 (Hervorhebung original). Ich betrachte ‚ascribe‘ und ‚attribute‘ samt ihrer grammatischen Verwandtschaft als Äquivalente zu ‚zuschreiben‘. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 47, 86. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 1, 1.

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ob er absichtlich pfeift oder spazieren geht, bejahen. Die Beschreibung des Verhaltens als absichtlich kennzeichnet es in diesen Fällen nicht als Mittel zu einem Zweck, sie grenzt es von unabsichtlichem Verhalten ab, zum Beispiel vom Stolpern während des Spazierganges. Um diese semantischen Facetten zu unterscheiden, verwende ich ‚Absichtlichkeit‘, wo Anscombe von ‚intention simpliciter‘ spricht, also in Bezug auf zweckfreies, aber absichtliches Verhalten. Absichtlichkeit besteht zum Beispiel beim Spazierengehen oder beim Pfeifen eines Liedes. Dient ein Verhalten hingegen als Mittel zu einem gesetzten Zweck, spreche ich von weitergehenden Absichten oder von der Absicht, mit der eine Akteurin etwas tut. Weitergehende Absichten bestehen zum Beispiel, wenn Clara spazieren geht, um sich vor einem wichtigen Konzert zu sammeln, oder wenn Bert ein Lied pfeift, um jemandem ein Zeichen zu geben. Diese Beispiele weisen auf zwei wichtige Aspekte von Anscombes Handlungsverständnis hin. Erstens lässt allein die Beschreibung eines Verhaltens in der Form ‚A a-t‘ nicht immer erkennen, ob A eine weiterführende Absicht hat oder nicht. Manchmal singen Menschen aus Spaß oder Langeweile, manchmal singen sie, um jemandem zu gratulieren oder um jemanden zu verspotten. Allein aus der Beschreibung ‚Clara singt ein Lied‘ geht nicht hervor, ob Clara mit oder ohne bestimmten Zweck singt. Zweitens ist einfache Absichtlichkeit eine logische Voraussetzung dafür, dass ein Verhalten einer weitergehenden Absicht dient. Nur was jemand absichtlich tut, kann von ihm als Mittel zu einem Zweck, zur Realisierung einer weitergehenden Absicht gemeint sein. Solche Beobachtungen zur Semantik der Alltagssprache stellen noch keine systematische Differenzierung von Begriffsbedeutungen dar. Deshalb tritt bei Anscombe eine – negative – Ausgangsannahme hinzu, auf der sämtliche weitere Bestimmungen und Einschränkungen aufbauen, die sie vornimmt. Diese Ausgangsannahme ist dezidiert nicht-kausalistisch: Absichten sind keine Ereignisse, die im Inneren von Akteuren stattfinden und bestimmte Körperbewegungen kausal verursachen, und sie sind keine Eigenschaften, die manchem Verhalten aufgrund seiner Genese zukommen. Um herausfinden, worin sich absichtliches Handeln von bloßem Verhalten unterscheidet, müsste man daher andere Untersuchungsmethoden anwenden als die Rekonstruktion einer Kausalgeschichte oder die Beschreibung physiologischer Prozesse. Für Anscombe heißt das, etwas paradox, dass die

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Gegenstände ihrer Untersuchung – Absicht und Absichtlichkeit – keine Gegenstände (im engeren physikalischen Sinne) sind. Stattdessen stehen die Nomen ‚Absicht‘ und ‚Absichtlichkeit‘ für Weisen, wie wir auf das Tun und Lassen von Personen sprachlich Bezug nehmen können: And in describing intentional actions as such, it will be a mistake to look for the fundamental description of what occurs – such as the movement of muscles or molecules – and then think of intention as something, perhaps very complicated, which qualifies this. The only events to consider are intentional actions themselves, and to call an action intentional is to say it is intentional under some description that we 6 give (or could give) of it.

Um etwas über die Absichten einer Person zu erfahren, muss man sich ihr Verhalten ansehen und abwägen, unter welchen zutreffenden Beschreibungen es als absichtlich gilt. Dabei ist zu bedenken, dass auf jedes Verhalten viele verschiedene Beschreibungen zutreffen, von denen nicht jede es als absichtliches Handeln darstellt. Aus diesem Grund kann Absichtlichkeit keine Eigenschaft sein, die einem Verhalten aufgrund seiner Entstehungsweise entweder zukommt oder nicht zukommt: Now the intentional character of the action cannot be asserted without giving the description under which it is intentional, since the same action can be intentional under one description and unintentional under another. It is however something ac7 tually done that is intentional, if there is an intentional action at all.

Diese beiden Feststellungen, dass Absichtlichkeit eine Weise ist, das Verhalten von Personen zu beschreiben, und dass Verhalten unter einigen Be-

_____________ 6

7

Anscombe 1963 [1957], § 19, 29. Wenn Anscombe von Handlungen als Ereignissen spricht, dann im alltagssprachlichen Sinn, der weder exakte Raum-Zeit-Grenzen verlangt, noch andere physikalische Eigenschaften für Handlungen voraussetzt. So wie es im Alltag unproblematisch ist, von Handlungen als Ereignissen zu sprechen, so ist es im Alltag unproblematisch zu sagen, dass eine Handlung über einen langen Zeitraum andauert (diskontinuierlich, ohne fixe zeitliche Grenzen) oder dass eine Handlung mehrere Schauplätze zugleich besetzt. Der (mutmaßlich) physikalische Standardbegriff von Ereignissen schließt dies hingegen aus [↑1.4]. Anscombe 1963 [1957], § 19, 28. Vgl. auch Anscombe 1963 [1957], § 47, 84: „In fact the term ‚intentional‘ has reference to a form of description of events.“

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schreibungen absichtlich sein kann, unter anderen nicht, sind für Anscombes gesamte Analyse grundlegend. Wie gesehen, spricht auch Donald Davidson davon, dass im Überzeugung-Wunsch-Modell eine Explanandum-Handlung „unter der Beschreibung d “8 rationalisiert werde. [↑1.5] Da Davidson jedoch an der Kausalitätsannahme für Handlungen und Handlungsgründe festhält, treten letztere im Ü-W-Modell als physikalisch bestimmte Ereignisse auf. Diese würden lediglich mentalistisch und nicht physikalisch beschrieben, meint Davidson und mildert damit Anscombes Position in einer entscheidenden Hinsicht ab. Nach Anscombes Ansicht weist die Beschreibungsabhängigkeit absichtlicher Handlungen gerade darauf hin, dass kausalistische Annahmen wie von Davidson vertreten gar nicht zutreffen können. Akzeptiert man Anscombes negative Eingrenzung, wonach Absichten weder Ereignisse noch physikalisch erklärbare Eigenschaften eines Verhaltens sind, bleibt die Frage nach einer positiven Bestimmung. Was sind nun Absichten? Was soll es heißen, dass Absichtlichkeit eine Weise der Beschreibung von Verhalten ist? Um dies zu klären, nimmt Anscombe zunächst alltagssprachliche Beschreibungen in den Blick, in denen ein Verhalten als Mittel zu einem Zweck dargestellt wird, bei dem es also eine Absicht gibt, mit der jemand etwas tut. Solche Absichten können von den Akteuren in Sätzen der Form ‚Ich a-e, um zu a*-en‘ oder ‚Ich a-e, damit p‘ ausgedrückt werden. Mit den entsprechenden drittpersonalen Aussagen ‚A a-t, um zu a*-en‘ usw. werden gleichfalls Absichten beschrieben, doch handelt es sich nicht um Absichtsbekundungen, denn bekunden kann man nur eigene Absichten. Erstpersonale Absichtsbekundungen nenne ich ‚Selbstzuschreibungen‘, drittpersonale Beschreibungen einfach ‚Zuschreibungen‘. Ich konzentriere mich vorerst auf Absichtsbekundungen in der ersten Person und gehe später auf Absichtszuschreibungen in der dritten Person ein. [↓4.2] Wenn Akteure eigene Absichten bekunden und zum Beispiel erklären ‚Ich gehe spazieren‘, dann beschreiben sie entweder bestehende Sachverhalte oder sie beschreiben Sachverhalte, die noch nicht bestehen, aber durch ihr Verhalten wahrscheinlich eintreten werden. Nicht alle Aussagen über künftige Sachverhalte stellen jedoch Absichtsbekundungen dar. Als _____________ 8

Vgl. Davidson 2001 a, 5 (meine Übersetzung, Variablen angepasst).

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Gegenbeispiel schildert Anscombe eine Person, die eine Straße überquert und, nach ihrer Absicht befragt, erklärt, es werde im Juli eine Sonnenfinsternis geben.9 Diese Akteurin benennt zwar einen zukünftigen Sachverhalt, als Absichtsbekundung ergibt ihre Auskunft aber keinen rechten Sinn. Unter normalen Umständen und ohne weitere Informationen ist nicht ersichtlich, wie das Überqueren einer Straße mit einer Sonnenfinsternis zusammenhängt, die Monate später stattfinden soll. Also präzisiert Anscombe ihre Bestimmung für Absichtsbekundungen: [T]he future state of affairs mentioned must be such that we can understand the agent’s thinking it will or may be brought about by the action about which he is be10 ing questioned.

Hieran ist dreierlei bemerkenswert. Erstens benennen Akteure, wenn sie eigene Absichten bekunden, zukünftige Sachverhalte, keine Ereignisse. Diese Sachverhalte bestehen entweder aufgrund des Verhaltens der Akteure oder sie treten aufgrund ihres Verhaltens wahrscheinlich noch ein. Zweitens müssen die Akteure zwar glauben, dass sie den Sachverhalt durch ihr Verhalten herbeiführen, diese Überzeugung kann aber falsch sein, ohne dass die Absichtsbekundung damit falsifiziert ist. Absichten liegt (nur) eine epistemische Einstellung der Akteure zugrunde, keine tatsächliche Kausalrelation zwischen Verhalten und angestrebtem Sachverhalt. Die Akteure halten ihr Verhalten für ein Mittel, bestimmte Sachverhalte herbeizuführen. Falls sie sich über die Zweckdienlichkeit ihres Verhaltens irren, haben sie nichtsdestoweniger die Absicht, den fraglichen Sachverhalt herbeizuführen. Drittens spricht Anscombe von einer Handlung, zu der Akteure befragt werden. Es ist kein Zufall, dass Anscombe die Bestimmung von Handlungsabsichten in einer Kommunikationssituation verortet, denn sie versteht Absichten eben nicht als mentale Ereignisse, sondern als eine Weise, auf Verhalten sprachlich Bezug zu nehmen. Absichten sind nach Anscombes Konzeption solche Antworten auf die Frage ‚Warum tust du das?‘, die das Verhalten der befragten Person für Dritte verständlich machen. Natürlich lässt sich die Warum-Frage nicht nur direkt an Akteure adressieren, sondern auch über das Verhalten Dritter stellen: Warum singt Clara _____________ 9 10

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 22, 34 f., Beispiel 35. Anscombe 1963 [1957], § 22, 35.

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ein Lied? Weil sie die Weihnachtsfeier eröffnen soll und das Lied für ein geeignetes Mittel dazu hält. Warum malt Bert Kästchen auf den Zeitungsrand? Um Theo eine Geheimbotschaft zu übermitteln. Für die Funktion von Weil- und Um-zu-Aussagen ist die grammatische Unterscheidung zwischen erster Person und dritter Person nicht wichtig. In beiden Fällen dienen die Aussagen dazu, ein Verhalten nachvollziehbar zu machen, indem sie aufzeigen, auf welche Sachverhalte die Akteure abzielen. Wichtig ist jedoch der Unterschied zwischen Anscombes Ansatz und traditionellen kausalistischen Handlungskonzeptionen. Während letztere Handlungen als Kausalwirkungen von mentalen Ereignissen bestimmen, schlägt Anscombe ein kommunikatives Kriterium vor: [T]hey are actions to which a certain sense of the question ‚Why?‘ is given application; the sense is of course that in which the answer, if positive, gives a reason for 11 acting.

Anscombes Kriterium für absichtliches Handeln besteht darin, dass man die Ausführenden fragen kann, warum sie dies oder jenes tun. Diese Warum-Fragen sind Fragen nach Absichten und damit nach Handlungsgründen. Sie sind keine Fragen nach den Kausalrelationen, sondern nach dem Sinn eines Verhaltens. Die Tatsache, dass Anscombe eine bestimmte Form der Zwiesprache zum Kriterium der Handlungsgeltung macht, sagt etwas über die Existenzweise von Handlungen: Sie sind Konstituenten der sozialen Wirklichkeit, wie sie sich menschlichen Akteuren darbietet und wie menschliche Akteure sie wahrnehmen. Hier tritt ein Unterschied zwischen kausalistischen und nicht-kausalistischen Ansätzen zutage, der tiefer reicht als bis zu unterschiedlichen Konzeptionen des Handlungsbegriffes. Hier liegen unterschiedliche Konzeptionen davon vor, was Wirklichkeit ist, das heißt unterschiedliche Ansichten über die Gegebenheiten oder Phänomene, die Wirklichkeit konstituieren, bzw. über die Weisen des Wirklichkeitszugangs, die diese Konstituenten erkennen lassen. Der Physikalismus ist eine solche Weise des Wirklichkeitszugangs. Er identifiziert Konstituenten der Wirklichkeit per Beobachtung und Messung. Anscombes Verständnis von Handlungen setzt eine andere Weise des Wirklichkeitszuganges voraus, nämlich die Kommunikation von Akteuren miteinander. Nach Anscombe _____________ 11

Anscombe 1963 [1957], § 5, 9 (meine Hervorhebung).

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sind Handlungen solche Konstituenten der Wirklichkeit, die sich in einer bestimmten Art von Dialog identifizieren lassen. Indem Akteure einander darlegen, warum sie etwas tun, bestimmen sie das, was geschieht – ihr eigenes Verhalten –, indem sie dessen Bedeutung auf Begriffe bringen. Die Bedeutung dessen, was jemand tut, zu verstehen, setzt jedoch voraus, dass man die Welt als Akteur wahrnimmt. Handlungen, Absichten und Gründe existieren wirklich, insofern man sich der Wirklichkeit als Akteurin zuwendet. Was diesen Wirklichkeitszugang weiter ausmacht, erläutere ich im nächsten Teilkapitel ausführlicher. Am Ende der Arbeit komme ich auf den Zusammenhang zwischen Handlungskonzeption und Wirklichkeitszugang zurück. [↓6.3] Anscombe ermittelt zwei Arten von Handlungsgründen. Eine davon sind Absichtsbekundungen, also Sachverhalte, von denen Akteure glauben, sie werden infolge ihres Verhaltens eintreten. Neben zukünftigen Sachverhalten kann auch vergangenes Geschehen zur Begründung von Handlungen dienen. Wenn Clara jemanden tötet, weil er ihren Bruder erschossen hat, kann sie die Warum-Frage nach Gründen beantworten, indem sie auf die vorausgegangene Tat ihres Opfers verweist. Wegen des Bezugs auf vergangenes Geschehen nennt Anscombe solche Gründe Rückwärtsgründe [backward-looking motives].12 In beiden Fällen, sowohl bei der Begründung durch künftige Sachverhalte als auch beim Verweis auf vergangenes Geschehen, muss zugleich ein allgemeines Motiv des Akteurs [motive-ingeneral] erkennbar sein. Allein ein vergangenes Geschehen – X ’s Mord an Claras Bruder – kann Claras Handlung nicht erklären, es muss ein Motiv wie Rache, Genugtuung oder Verzweiflung hinzutreten.13 Allgemeine Mo_____________ 12

13

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 5, 9 f. Anscombe spricht von ‚motives‘, selten von ‚reasons‘. Ich verzichte an dieser Stelle auf das deutsche ‚Motiv‘, verwende ‚Grund‘ aber in ebenso weiter Bedeutung wie Anscombe ‚motive‘. Im Englischen drängt sich die Abgrenzung von ‚motive‘ gegenüber ‚reason‘ eher auf, weil letzteres stärker mit ‚Verstand‘ und ‚Vernunft‘ konnotiert ist als das deutsche ‚Grund‘. Die deutschen Ausdrücke ‚Motiv‘ und ‚Grund‘ spiegeln die Differenzierung, auf die Anscombe abhebt, m. E. aber nicht wider. Um im Englischen auch Antriebe wie Gier, Mitleid, Zorn oder Liebe zu erfassen, ist ‚motive‘ angebracht. Im Deutschen kann ‚Grund‘ diese Inklusion leisten, denn es konnotiert – anders als ‚reason‘ – nicht ‚Verstand‘ oder ‚Vernunft‘. Es ist darum weniger widersinnig, von ‚unvernünftigen Gründen‘ zu sprechen als von ‚unreasonable reasons‘. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 22, 35.

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tive sind weder zukünftige Sachverhalte noch zurückliegende Begebenheiten. Sie stellen eher umfassende oder aus anderem Blickwinkel vorgenommene Beschreibungen der Explanandum-Handlung dar. Durch die Angabe eines Motivs wie Rache oder Verzweiflung wird Claras Mord an X als Racheakt bzw. als Verzweiflungstat neu und allgemeiner beschrieben: To give a motive […] is to say something like ‚See the action in this light‘. To explain one’s own actions by an account indicating a motive is to put them in a cer14 tain light. This sort of explanation is often elicited by the question ‚Why?‘

Wohlweislich fügt Anscombe an: „The question whether the light in which one so puts one’s action is a true light is a notoriously difficult one.“15 Motive füllen gleichsam die Lücke zwischen einem früheren Geschehen und einer gegenwärtigen Handlung. Manchmal macht auch erst der Hinweis auf ein früheres Ereignis einsichtig, weshalb jemand aus bestimmten allgemeinen Motiven handelt. So ist Rache ein einleuchtendes Motiv für Claras Mord an X, wenn man weiß, dass X zuvor Claras Bruder umgebracht hat. Als häufige Handlungsmotive nennt Anscombe Bewunderung, Neugier, Bosheit, Freundschaft, Furcht und Wahrheitsliebe.16 In jedem Fall gilt das Verhalten einer Person unter einer Beschreibung der Form ‚A a-t‘ als absichtlich, wenn es auf die Frage, warum A a-t, eine Antwort der Form ‚A a-t, weil p‘ oder ‚A a-t, um zu a*-en‘ gibt. Wie angedeutet, hängt die Plausibilität dieses Kriteriums davon ab, dass man als Akteur auf die Welt blickt. Warum-Fragen zielen auf die Bedeutung eines Verhaltens. Sie stellen nicht nur Fragen über einen bestimmten Gegenstand, und zwar jemandes Verhalten, dar, sie werden vielmehr an die Akteure gerichtet. Und sie werden aus der Perspektive der Akteure, ob von ihnen selbst oder von jemandem, der ihre Perspektive stellvertretend einnimmt, beantwortet. Nehmen wir einen physikalisch-objektiven Blick auf die Welt ein, können wir ebenfalls nach der Bedeutung bestimmter Gegenstände fragen, doch können wir die Frage nicht an die Gegenstände richten. Nach der Bedeutung eines Gegenstandes zu fragen, heißt dann, seine Eigenschaften, Bestandteile, Maße und Kausalwirkungen zu untersuchen, doch es ist unmöglich, die _____________ 14 15 16

Anscombe 1963 [1957], § 13, 21. Anscombe 1963 [1957], § 13, 21. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 13, 21.

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KAPITEL 4

Frage, warum ein Gegenstand so ist, wie er ist, aus der Perspektive des Gegenstandes selbst zu beantworten. Ein Gegenstand unter physikalischer Beschreibung hat keine eigene Perspektive auf die Welt. Er hat keinen Zugang zur Wirklichkeit, wie Personen ihn haben. Darum stellt sich die Warum-Frage als Frage nach Handlungsgründen nur aus der Perspektive von Akteuren, und nur aus der Akteursperspektive lässt sie sich beantworten. Rekonstruiert man die benannten Formen von Gründen, ergeben sich drei Schemata: weiterführende Absichten bzw. Absichten, mit denen eine Akteurin etwas tut (G1), Rückwärtsgründe (G2) und allgemeine Motive (G3), die ich um der Übersichtlichkeit willen separat aufführe, obwohl sie ihre Erklärungskraft erst im Verbund mit Vorwärts- oder Rückwärtsgründen entfalten: G1 G2 G3

Absicht, mit der… Rückwärtsgrund Allgemeines Motiv

A a-t zu t1, um zu t2 zu a*-en A a-t zu t2, weil p zu t1 A a-t zu t1, weil p

Diese Schemata geben gängige Formate von Antworten auf Warum-Fragen wider. An den Zeitstellen t1 und t2 ist die Reihenfolge erkennbar, in der die relevanten Fakten eintreten, wobei t1 früher liegt als t2. An Anscombes Sonnenfinsternis-Beispiel wurde bereits deutlich, dass allein die passende Chronologie nicht genügt, um einen Sachverhalt als Handlungsgrund zu qualifizieren. Dazu müssen weitere Bedingungen erfüllt sein, die Anscombe unter den Schlagwörtern ‚Wissen ohne Beobachtung‘ bzw. ‚praktisches Wissen‘ erfasst. [↓4.1.2–4.1.3] Weil es zunächst nur um die strukturellen Eigenschaften von Handlungsbegründungen geht, lasse ich diese inhaltlichen Einschränkungen vorläufig außer Acht. Alle drei Gründe-Schemata stehen für Aussagen; alle drei verknüpfen einen Fakt der Form ‚A a-t‘ mit einem Sachverhalt, der als Explanans dafür auftritt, dass A a-t.17 Alltagssprachlich wird diese Explanans-Funktion durch Konjunktionen wie ‚weil‘, ‚indem‘ oder ‚um zu‘ kenntlich gemacht. _____________ 17

Anscombe spricht von Sachverhalten an Stelle von Fakten. Dies ist insofern präziser, als der Sachverhalt, dessen Herbeiführung beabsichtigt wird, zum Zeitpunkt der Handlung ja noch nicht besteht. Ich bleibe bei ‚Fakt‘, weil es auf die Differenzierung zu Sachverhalten weniger ankommt als darauf zu zeigen, dass Anscombe auf Ereignisbegriff und Ereignisannahme verzichten kann.

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Der Explanans-Fakt kann ein Fakt über die Akteurin sein, wie im Beispiel ‚Clara tötet X, weil sie den Mord an ihrem Bruder rächen will‘. ExplanansFakten können sich aber auch auf andere Personen oder Gegenstände beziehen, etwa ‚Bert kommt nicht mit, weil es regnet‘. Bei Begründungen in der Um-zu-Form wird der erklärende Sachverhalt nicht in einem Dass-Satz explizit gemacht und liegt daher nicht offen zutage. Anscombe erklärt aber, dass auch bei Um-zu-Aussagen ein solcher Sachverhalt als Grund dient, der in der Zukunft liegt und von dem die Akteurin glaubt, er werde durch ihr Verhalten eintreten.18 Die von Anscombe vermutete logische Struktur einer Um-zu-Aussage lässt sich leicht bestätigen, wenn man die Relevanzrelation offenlegt: ‚Bert überquert die Straße, um sich ein Schaufenster anzusehen‘ bedeutet ‚Bert überquert die Straße, so dass er sich ein Schaufenster ansehen kann‘ bzw. ‚Der Fakt, dass Bert die Straße überquert, ist non-kausal relevant für den Fakt, dass er sich ein Schaufenster ansehen kann‘. Ich fasse zusammen, was sich für die Interpretation von Anscombes Intention ergibt: Dass eine Person sich so oder so verhält, bedeutet zunächst einmal, dass bestimmte Fakten über diese Person bestehen, die sich in der Form ‚A a-t‘ wiedergeben lassen.19 Dass eine Akteurin absichtlich handelt, bedeutet, dass sich eine Aussage nach dem Schema G1, G2 oder G3 treffen lässt. Diese drei Schemata stellen Faktenverknüpfungen dar, kausal oder non-kausal. Deshalb sind Ereignisnamen für ihre Instantiierung nicht zwingend erforderlich, zumal auch die Explanandum-Aussage ‚A a-t‘ einen Fakt benennt, und zwar den Fakt, dass A a-t. Damit stehen in Handlungsbegründungen zu beiden Seiten der Konjunktion ‚weil‘, ‚indem‘ oder ‚um-zu‘ Fakten. Dass wir Handlungen manchmal durch Substantive erfassen wie zum Beispiel ‚Claras Mord an X‘ oder ‚Berts Übermittlung einer Geheimbotschaft an Theo‘ hilft, die Alltagskommunikation abzukürzen und zu erleichtern. Ereignisse bezeichnen diese Substantive jedoch nur, wenn sich für sie eine vierdimensionale Ereigniszone angeben lässt, und selbst dann setzen die betreffenden Ereignisse Fakten voraus, über die sie _____________ 18 19

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 22, 35. Ähnlich versteht Jonathan Bennett ‚behavior‘ als Abkürzung für ‚Fakten über das Verhalten von Personen‘: „If I ask you to ‚tell me about her behavior‘, you are less likely to begin ‚Her behavior was…‘ than to begin ‚She…‘.“ Bennett 1994, 50.

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supervenieren. [↑2.1] So ist Claras Mord an X ein Ereignis, das über bestimmte Fakten über Clara sowie über X, über die Mordwaffe usw. superveniert. Anscombes Diktum, Verhalten sei stets relativ zu bestimmten Beschreibungen absichtlich und könne unter anderen Beschreibungen unabsichtlich sein, lässt sich als Unterscheidung zwischen Fakten auffassen, über die ein und dasselbe Ereignis superveniert. So benennt die Kennzeichnung ‚Claras Mord an X‘ ein Ereignis, das sowohl über den Fakt superveniert, dass Clara mit einer Pistole auf X schießt, als auch über den Fakt, dass sie dadurch den Boss einer gefährlichen Bande beseitigt. Aus diesen Fakten lassen sich verschiedene Beschreibungen in der Form ‚A a-t‘ generieren. Unter der Beschreibung ‚Sie schießt mit einer Pistole‘ ist Claras Verhalten absichtlich, unter der Beschreibung ‚Sie beseitigt einen Bandenboss‘ ist es unabsichtlich (weil Clara nicht weiß, dass X der Boss einer Bande ist). Absichtlichkeit bzw. Unabsichtlichkeit eines Verhaltens unter einer Beschreibung ‚A a-t‘ erweisen sich daran, ob der Fakt, dass A a-t, in einer bestimmten kausalen oder non-kausalen Relation zu einem anderen Fakt steht. Nur wenn sie eine solche Relevanzrelation beschreiben, geben Instantiierungen von G1, G2 oder G3 Handlungsgründe an und somit eine Antwort auf die Warum-Frage, die den Sinn und Zweck eines Verhaltens erhellt. Claras Verhalten ist unter der Beschreibung ‚Clara ermordet X‘ absichtlich, weil es eine erhellende, nachvollziehbare Antwort auf die Frage gibt, warum Clara X ermordet. Unter der Beschreibung ‚Clara tötet den Boss einer Bande‘ ist das Verhalten hingegen unabsichtlich, weil die Warum-Frage nach Gründen aus Claras Perspektive nicht beantwortbar ist. Clara könnte den Fakt, dass sie den Boss einer Bande tötet, mit keinem anderen Fakt in der Weise (kausal oder non-kausal) verknüpfen, dass eine Instantiierung von G1, G2 oder G3 entsteht. Diese Interpretation ist insofern rechtfertigungsbedürftig, als Anscombe zwar deutlich der Annahme widerspricht, dass Handlungsgründe eine Art von ‚inneren‘ Ereignissen sind, dabei aber Handlungsbeschreibungen doch für Beschreibungen von Ereignissen hält. Schließlich stellt sie fest: „The only events to consider are intentional actions themselves […]“.20 ‚Fakt‘ tritt als Terminus in Intention überhaupt nicht auf, noch weniger vertritt _____________ 20

Anscombe 1963 [1957], § 19, 29.

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Anscombe eine Supervenienztheorie für Fakten und Ereignisse. Eine erste Rechtfertigung für meine Interpretation liegt darin, dass die Rede von Handlungsereignissen mit der Supervenienzthese zwar überflüssig wird, aber nicht falsch oder sinnlos. Man kann von einem Ereignis namens ‚Claras Mord‘ sprechen, man muss es aber nicht und man beugt irrigen Fragen vor, wenn man sich klar macht, dass ‚A a-t‘ einen Fakt über A benennt, kein Ereignis, und dass ‚A a-t, weil p‘ eine Faktenverknüpfung präsentiert, keine Ereignisabfolge. Zum zweiten wird meine Interpretation insofern durch Anscombes eigene Darstellung gestützt, als sie Absichten als Sachverhalte und nicht als Ereignisse versteht. Dazu bestehen die meisten Beispiele von Anscombe aus Fakten über Akteure und enthalten gar keine Ereignisnamen, etwa ‚I am going to take a walk‘ oder ‚He killed my brother‘.21 Drittens schließlich gibt Anscombe in Paragraph 47 zwei Listen an, von denen die eine Beschreibungen enthält, unter denen ein Verhalten in jedem (normalen) Fall absichtlich ist, die andere Liste enthält Beschreibungen, unter denen Verhalten absichtlich oder unabsichtlich sein kann. Diese zweite Liste enthält zum Beispiel ‚intruding‘ und ‚offending‘, die erste ‚telephoning‘ und ‚greeting‘.22 Auffällig ist, dass Anscombe substantivierte Verbformen [gerunds] auflistet, während sie bei der Schilderung exemplarischer Handlungen propositionale Beschreibungen – ‚He killed my brother‘ – vorzieht. Vermutlich könnte sie daher leicht zustimmen, dass substantivische Formen wie ‚telephoning‘ durch Faktennamen wie ‚that someone phones someone‘ ersetzbar sind. Anders ließe sich Anscombes Bestimmung des absichtlichen Handelns durch Warum-Fragen auch kaum vertreten. Die merkwürdige, umständliche Warum-Frage ‚Warum fand dieses Telefonieren durch A statt?‘ ist nicht nur, im Deutschen wie im Englischen, ohne semantischen Verlust durch die einfache Frage ‚Warum hat A telefoniert?‘ ersetzbar, sie setzt den Fakt, dass A telefoniert hat, sogar voraus. Lehnt man meine Interpretation ab, wonach Handlungserklärungen Verknüpfungen von Fakten beschreiben, zwischen denen Relevanzbeziehungen bestehen, dann müsste man erklären, wie Handlungsereignisse (ohne Faktenbasis) die Sachverhalte bewirken sollen, in denen laut Anscombe _____________ 21 22

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 2, 1 bzw. § 13, 20. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 47, 84 f.

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weitergehende Absichten bestehen. Gibt es etwa ‚gemischte‘ Kausalrelationen zwischen Handlungsereignissen und Absichtssachverhalten? Wie kann ein Ereignis einen Sachverhalt bewirken oder umgekehrt? Hier scheint man um eine Relation der Reduzierbarkeit oder Supervenienz zwischen beiden Kategorien nicht umhinzukommen. Warum aber sollte man Handlungen und Handlungsgründe dann nicht gleich auf der Faktenebene konzeptualisieren und auf die Ereignisebene ganz verzichten? Damit bleibt zum einen die umständliche Rückübersetzung von substantivischen Handlungsbezeichnungen wie ‚Berts Schwimmen durch den Ärmelkanal‘ in Fakten über Bert, den Ärmelkanal usw. erspart, zum anderen erspart man sich die Probleme der Ereignisidentifikation und -individuierung, die von der traditionellen Ereigniskonzeption ausgelöst und mit der Ereignisannahme in die Handlungstheorie transportiert werden.

4.1.2 Wissen ohne Beobachtung Wenn Bert zum Vergnügen spazieren geht oder Clara aus Lust und Laune ein Lied singt, lässt sich das Verhalten beider Akteure nicht nach den Schemata G1, G2 oder G3 erklären, weil es ohne besondere Gründe ausgeführt wird. Gleichwohl ist das Verhalten von Bert und Clara nicht unabsichtlich tout court, wie es Berts Stolpern über eine Rasenkante im Park wäre. Anscombe sagt: Wenn Menschen etwas ohne besondere Gründe tun, einfach aus Lust und Laune, dann liegt einfache Absichtlichkeit [intention simpliciter] vor. Auf den ersten Blick scheint dies ihrer eigenen Bestimmung zuwiderzulaufen, denn absichtliches Handeln soll sich doch gerade dadurch auszeichnen, dass die Frage ‚Warum a-st du?‘ gemäß G1, G2 oder G3 beantwortbar ist. Würde man Bert und Clara befragen, warum sie spazieren gehen oder singen, würden die beiden aber erwidern ‚Ohne Grund – einfach so‘ oder ‚Mir war eben danach zumute‘.23 Anscombe weist aber darauf hin, dass die Akteure auch mit diesen Antworten bezeugen, dass sie wissen, dass sie spazieren gehen bzw. singen. Sie werden sich ihres Verhaltens nicht erst bewusst, wenn man sie mit der Frage nach Gründen konfrontiert: _____________ 23

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 17, 25 f.

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The question [‚Why?‘] is not refused application because the answer to it says that there is no reason, any more than the question how much money I have in my pock24 et is refused application by the answer ‚None‘.

Das Wissen einer Person um ihr eigenes Tun und Lassen genügt nach Anscombes Auffassung, um von absichtlichem Handeln zu sprechen. Sie nennt es ‚Wissen ohne Beobachtung‘. Nur wenn ausgeschlossen ist, dass eine Person unter den gegebenen Bedingungen Wissen von ihrem eigenen Verhalten hat und deshalb nicht einmal Gründe dafür haben könnte (geschweige denn hat), ist die Warum-Frage nicht anwendbar und muss zurückgewiesen werden. Anscombe führt das Wissen ohne Beobachtung im Zusammenhang mit der Warum-Frage ein. Zur Semantik von Warum-Fragen gehören Präsuppositionen. So präsupponiert ‚Warum überquerst du die Straße?‘ den Fakt, dass die angesprochene Person eine Straße überquert; ‚Warum singt Clara?‘ präsupponiert, dass Clara singt. Allgemein: Fragen der Form ‚Warum a-t A?‘ präsupponieren den Fakt, dass A a-t. Aus Anscombes Überlegungen geht hervor, dass Warum-Fragen genau dann anwendbar sind, wenn die Akteurin ohne Beobachtung weiß, dass sie selbst a-t. Dieses Wissen ohne Beobachtung vom eigenen Verhalten ist eine Präsupposition jeder WarumFrage nach Gründen. Damit man eine Person nach Gründen für ihr Verhalten fragen kann, muss sie unabhängig von dieser Frage bereits wissen, was sie tut. Sie darf nicht erst durch die Frage ‚Warum a-st du?‘ darauf gebracht werden, dass sie im Begriff ist zu a-en. Wenn Clara aus Lust und Laune ein Lied singt, weiß sie, dass ihr Verhalten unter die Beschreibung ‚Clara singt‘ fällt. Man braucht es ihr nicht mitzuteilen, damit sie dann über ihre Gründe nachdenken kann. Wenn hingegen Lotte ihren Bruder Paul verärgert, indem sie drei Stunden lang auf dem Trampolin springt, und dabei nicht einmal weiß, dass Paul in der Nähe ist, geschweige denn, dass ihn die Turnerei seiner Schwester ärgert, kann man nicht sinnvoll nach Lottes Gründen dafür fragen, dass sie Paul ärgert. Lotte wird dessen erst in dem Moment gewahr, da man sie mit der WarumFrage konfrontiert. Ein Blick in Pauls finsteres Gesicht würde ihr bestätigen, dass er tatsächlich ärgerlich ist, doch müsste Lotte die Warum-Frage _____________ 24

Anscombe 1963 [1957], § 17, 25.

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zurückweisen: Ihr Wissen, dass sie Paul verärgert hat, ist durch Beobachtung zustande gekommen. Folglich gilt ihr Verhalten unter der Beschreibung ‚Lotte ärgert Paul‘ nicht als absichtliches Handeln, obwohl es unter der Beschreibung ‚Lotte springt drei Stunden auf dem Trampolin‘ absichtlich ist und obwohl genau dieser Fakt der Anlass für Pauls Ärger ist.25 Folgt man Anscombe, dann ist Wissen ohne Beobachtung nicht unbedingt propositional verfasstes Wissen. Es ist eher die Bewusstheit oder das Gewahrsein des eigenen Handelns, ähnlich dem Wissen über die Position eigener Körperteile.26 So wenig man normalerweise nachschauen muss, um festzustellen, ob man sitzt oder liegt oder wo sich die eigenen Füße befinden, so wenig braucht man Beobachtung, um herauszufinden, welche absichtlichen Handlungen man selbst ausführt. Man muss nicht auf die Töne lauschen, die man hervorbringt, um zu erkennen, dass man ‚O Tannenbaum‘ singt; man braucht nicht erwartungsvoll auf die eigenen Füße zu schauen, um festzustellen, wohin man gehen wird. Damit steht Wissen ohne Beobachtung im Kontrast zu Beobachtungswissen, wie man es über das Verhalten Dritter gewinnen kann, indem man ihnen zuhört und zuschaut. Als Beobachter müssen wir mindestens die ersten Töne eines Liedes abwarten, ehe wir wissen, dass jemand ‚O Tannenbaum‘ singt, und wir müssen einem Spaziergänger ein Stück folgen, um herauszufinden, wohin er unterwegs ist. Etliche Beispiele in der handlungstheoretischen Literatur, in denen hypnotisierte oder schlafwandelnde Personen Dinge tun, an die sie sich später nicht erinnern, oder in denen sich fühllose Arme bewegen, ohne vom Inhaber gelenkt zu werden, illustrieren Verhalten, bei dem das entscheidende Wissen ohne Beobachtung fehlt. Diese Personen müssen durch Dritte darüber informiert werden, dass sie dies oder jenes getan haben, oder sie müssen erst nachschauen, ob ihr Arm erhoben ist oder nicht. So außergewöhnlich wie in den einschlägigen Beispielen brauchen die Umstände allerdings gar nicht zu sein. Da jede unserer Handlungen unter eine Vielzahl von Beschreibungen fällt, an die wir im Moment des Handelns keinen Gedanken verschwenden, ist klar, dass wir nicht aller Instantiierungen von ‚A a-t‘, die auf unser eigenes Verhalten zutreffen, gewahr sein können. Daher gibt es selbst für unsere absichtli_____________ 25 26

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 8, 13 f. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 6, 11; § 8, 13–15; § 28, 49–51.

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chen Handlungen stets eine Fülle an Warum-Fragen, die wir nur zurückweisen könnten, weil ihnen eine Beschreibung unseres Verhaltens zugrunde liegt, an die wir selbst gar nicht dachten oder von der wir gar nicht wussten, dass sie zutrifft. Anscombe belässt es bei exemplarischen Bestimmungen zum Wissen durch Beobachtung, so dass nicht ganz klar ist, welche Prozesse oder Prozeduren sie unter Beobachtung fasst. Zwei Dinge fallen mit Blick auf die Beispiele auf: Erstens umfasst Beobachtungswissen nicht nur Fakten, von denen wir durch eigene Beobachtung Kenntnis erlangen, sondern auch Fakten, die uns durch Dritte übermittelt werden. Jemand, der sieht, wie ärgerlich Paul über Lottes Trampolinübung ist, kann Lotte darauf hinweisen. Lottes neu gewonnenes Wissen über Pauls Stimmungslage ist Beobachtungswissen, obwohl es nicht ihrer eigenen Beobachtung entstammt, sondern der ihres Informanten. Zweitens scheint Beobachtung zwar gleichbedeutend mit sinnlicher Wahrnehmung zu sein, allerdings nicht im engen behavioristischen Verständnis von Wahrnehmung. Dieses würde Anscombes Anliegen keineswegs entsprechen, weil es nur solche Gegenstände als beobachtbar zulässt, die durch physikalische Prädikate beschreibbar sind und die beispielsweise optische, haptische oder akustische Eigenschaften erfassen. In diesem engen Sinne könnte man zwar beobachten, dass sich Berts Füße in Intervallen von zwei Sekunden alternierend voranbewegen, während seine Rumpfund Rückenmuskulatur diese und jene Ausgleichsbewegungen vollzieht, so dass Berts Oberkörper in aufrechter Position bleibt, die Arme vor- und zurückpendeln… Man könnte aber nicht beobachten, dass Bert spazieren geht. Anscombes Beobachtungsbegriff ist erheblich weiter. Er schließt nicht nur den Fakt, dass Bert spazieren geht, als möglichen Beobachtungsgegenstand ein, sondern auch Fakten über Berts Stimmungslage oder über seine Absichten, obwohl nichts davon mit physikalischen Mitteln messbar und beschreibbar ist. Anscombe muss diesen weiten Beobachtungsbegriff schon deshalb zulassen, weil es sonst unmöglich wäre, Verhalten durch Motive wie Rache, Verzweiflung oder Liebe zu erklären, die ja keine physikalischen Größen darstellen. Anders als ein eng verstandenener Behaviorismus hält Anscombe Aussagen der Form ‚A will a-en‘ oder ‚A a-t, weil p‘ nicht nur für bequeme alltagssprachliche Redeweisen, die sich auf exaktere physikalische,

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besser: physikalistische Aussagen reduzieren lassen. Ihrer Ansicht nach ist das ‚Handlungssprachspiel‘, dessen wesentliche Spielzüge Warum-Fragen und Begründungen darstellen, ein fundamentaler Teil der menschlichen Lebenswelt. In ihm artikuliert sich der für menschliche Akteure typische Wirklichkeitszugang. Diese Artikulationen auf physikalische Fakten zu reduzieren, hieße, über Handlungen und Handlungsgründe zu reden, als ob sie unabhängig davon existierten, dass Handlungen von Akteuren ausgeführt werden, die einander nach Gründen fragen. Diese Kommunikationsform, durch die Akteure einander die Bedeutung ihres Verhaltens vermitteln, ist durch keine noch so präzise physikalische Beschreibung von Körperbewegungen ersetzbar, weil eine solche Beschreibung gerade von der Bedeutung absieht, durch die Körperbewegungen zu begründbaren Einheiten werden. Zu Anscombes Behauptung, dass Akteure vom eigenen Handeln ohne Beobachtung wissen, lassen sich zwei Einwände und eine Präzisierung anbringen. Alle betreffen den Gegenstandsbereich des Wissens ohne Beobachtung. Zunächst einmal könnte die Behauptung, jegliche Form der Beobachtung sei für das Wissen um eigenes Handeln unnötig, allzu strikt erscheinen, wenn man Propriozeption zu den Formen der Wahrnehmung zählt. In dem Fall wären sowohl die Position eigener Körperteile als auch eigenes absichtliches Handeln Gegenstände propriozeptiven Wissens und beruhten folglich auf Beobachtung. Man könnte Anscombes Position mithilfe des Konzeptes der Propriozeption womöglich präzisieren, würde damit aber ihre Grundthese nicht widerlegen, dass sich Wissen um eigenes absichtliches Handeln und Wissen um eigenes bloßes Verhalten in der Art und Weise unterscheiden, wie Personen davon wissen. Es bliebe weiterhin denkbar, dass jemand per Propriozeption weiß, dass er a-t, aber erst durch Dritte darauf aufmerksam gemacht wird, dass er zugleich im Begriff ist, zu a*-en. Die Beschreibung ‚A a-t‘ würde sich auf absichtliches Handeln beziehen, während ‚A a*-t‘ bloßes Verhalten beschriebe. Die für Anscombe relevante Unterscheidung lässt sich nach wie vor treffen, nur würde man sie nicht mehr zwischen Wissen ohne Beobachtung und Beobachtungswissen treffen, sondern zwischen Propriozeption und Beobachtungswissen.27 _____________ 27

Vgl. Velleman 2007, xxi–xxv. Auf die Veröffentlichung von Intention hin entspann

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Im Übrigen brauchen Akteure nichts über die physiologischen Prozesse zu wissen, die sich während der Ausführung ihrer Handlungen in ihren Muskeln vollziehen, oder über die neuronalen Prozesse in ihren Gehirnen und Nervenbahnen. Ohne Zweifel sind diese Prozesse unabdingbare Voraussetzungen und Begleiterscheinungen von absichtlichem wie unabsichtlichem Verhalten. Es gehört aber nicht zum Wissen ohne Beobachtung, dass Akteure alle Voraussetzungen und Begleiterscheinungen ihres absichtlichen Handelns kennen. In der Regel enthalten alltagssprachliche Beschreibungen der Form ‚Ich a-e‘ keine physiologischen oder neurologischen Termini und sind dennoch Ausdruck des Wissens ohne Beobachtung. Der zweite Einwand besagt, dass eine Akteurin – Clara, die ein Lied singt – durchaus wissen kann, welche Stoffwechsel- und Gehirnprozesse stattfinden, während sie singt, und dass solches Wissen weder als Wissen ohne Beobachtung noch als Beobachtungswissen zutreffend klassifiziert ist. Denn einerseits kann Clara nicht beobachten, was in ihren Muskeln und Nervenzellen vor sich geht, andererseits handelt es sich aber auch nicht um Wissen derselben Art wie im Fall, dass sie ‚O Tannenbaum‘ singt. Diese Überlegung stellt bei näherer Betrachtung weniger einen Einwand gegen Anscombes Disjunktion von Wissensformen dar als einen Hinweis darauf, dass wir einen Großteil unseres Beobachtungswissens nicht aus eigener Beobachtung gewinnen, sondern von Autoren und Autoritäten übernehmen. Auch wenn dieses Wissen nicht auf unsere eigene Beobachtung zurückgeht, handelt es sich doch nicht um Wissen ohne jegliche Beobachtung. Wäre Claras Wissen von den physiologischen Vorgängen in ihren Muskeln und Nervenzellen tatsächlich Wissen ohne jegliche Beobachtung, dann müsste sie diese Vorgänge zu konkreten Zeitpunkten in ihren Stimmbändern, in ihrer Lunge oder in ihren Gehirnhemisphären individuieren können. Sie müsste angeben können, ob zu einem konkreten Zeitpunkt t ein konkreter Prozess P bei ihr beginnt und wann er abgeschlossen ist. Doch Clara kann bestenfalls allgemeine Beschreibungen der Art von Pro_____________ sich eine eigene Debatte um den Begriff des Wissens ohne Beobachtung, v. a. als Wissen um Position und Bewegung des eigenen Körpers. Vgl. dazu Anscombe 1962, Baybrooke 1962, Donnellan und Morgenbesser 1963, Rolston 1965, Vesey 1963 sowie – neuer – z. B. Gertler (Hg.) 2003, Roessler und Eilan (Hg.) 2001, Wright, Smith und Macdonald (Hg.) 1998.

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zessen liefern, wie sie sich bei dieser Art von Handlung normalerweise vollziehen, ähnlich den Schilderungen in einem Lehrbuch der Physiologie.28 Eine letzte Anfrage nimmt Anscombe selbst vorweg: Gibt es nicht Fälle, in denen Akteure auf Beobachtung angewiesen sind, um herauszufinden, unter welche Beschreibung ihr Verhalten fällt? Sobald man auf die Schaffung von Fakten abzielt, die auch von akteursexternen Bedingungen abhängen, muss man häufig hinschauen oder hinhören, um herauszufinden, ob man tatsächlich das tut, was man beabsichtigt.29 Bert mag ohne Beobachtung wissen, dass er durch den Ärmelkanal schwimmt, aber seine Absicht, von Dover nach Calais zu schwimmen, wird er höchstwahrscheinlich nur dann in die Tat umsetzen, wenn er sich gelegentlich optisch vergewissert, dass er Kurs auf Calais hält. Diesen Einwand erkennt Anscombe grundsätzlich an. In der Tat kontrollieren Akteure durch Sinneswahrnehmungen, ob sie wirklich das tun, was sie beabsichtigen. Deshalb präzisiert sie ihre Bestimmung des absichtlichen Handelns: Ist A’s Verhalten unter der Beschreibung ‚A a-t‘ absichtlich, dann weiß A ohne Beobachtung, dass ‚A a-t‘ wahr ist, und das heißt A verfügt über dasjenige Wissen vom eigenen Verhalten, das ihr fehlte, wenn sie auf die Frage ‚Warum a-st du?‘ antworten würde: ‚Gütiger Himmel, ich wusste ja nicht, dass ich das mache!‘30 Diese kuriose Bedingung wird von Anscombe an einem weiteren Beispiel veranschaulicht, für das ich zum Zweck der Klarheit einige Details hinzuerfinde: Clara steht mit Oskar vor dessen Wohnungstür, und während Oskar seine Schlüssel sucht, hören sie eine Türklingel. Clara fragt: ‚Warum läutest du an deiner eigenen Tür?‘ Oskar erschrickt: ‚Gütiger Himmel, ich wusste ja nicht, dass ich das mache!‘ – Oskar hat das Klingeln zwar gehört, aber er hat nicht bemerkt, dass er selbst es ist, der läutet. (Sagen wir, er hat sich aus Versehen rücklings an den Klingelknopf gelehnt.) Wenn Oskar durch Claras Frage seines eigenen Verhaltens gewahr wird, weiß er nur durch Beobachtung, dass er selbst an seiner Tür geläutet hat. Folglich weiß er auch nur durch Beobachtung, dass die Aussage ‚Ich klingele an meiner _____________ 28 29 30

Vgl. Teichmann 2008, 12 f. Anscombe 1963 [1957], §§ 28 f., 49–53. Anscombe 1963 [1957], § 28, 51.

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eigenen Tür‘ wahr ist. Also ist Oskars Verhalten unter dieser Beschreibung nicht absichtlich.31 Unter Berücksichtigung der erörterten Einwände ergibt sich somit die folgende Rekonstruktion INT für Anscombes Bestimmung des absichtlichen Handelns: INT

A a-t absichtlich, (1) wenn die Frage ‚Warum a-st du?‘ als Frage nach Gründen anwendbar ist und (2) wenn A nicht nur durch Beobachtung weiß, dass die Beschreibung ‚A a-t‘ auf ihr Verhalten zutrifft

Genau genommen handelt es sich bei (1) und (2) nicht um zwei verschiedene Bedingungen, denn wie dargelegt ist (2) eine Präsupposition der Warum-Frage in (1). Ich liste Frage und Präsupposition separat auf, um nachher deutlicher zwischen zwei Arten von Bedingungen unterscheiden zu können, unter denen Verhalten nicht als absichtlich gilt. Falls es eine Antwort nach dem Format G1, G2 oder G3 auf die WarumFrage gibt, handelt A nicht nur absichtlich, sondern mit einer weiterführenden Absicht oder mit einem Rückwärtsgrund, jeweils ergänzt um ein allgemeines Motiv. Gibt es keine Antwort nach G1, G2 oder G3, kann die Warum-Frage für A’s Verhalten dennoch anwendbar sein. Die Befragte kann beispielsweise antworten, sie würde ohne besonderen Grund a-en, einfach so, aus Spaß. Mit diesen Erwiderungen gibt sie zu verstehen, dass sie ohne Beobachtung um ihr Verhalten weiß. Bedingung (2) von INT ist damit erfüllt – die Präsupposition für die Warum-Frage trifft zu, die Warum-Frage ist anwendbar. Auch dieses Verhalten gilt als absichtliches Handeln, obwohl nicht durch eine Instantiierung von G1, G2 oder G3 erklärbar. Ist hingegen Bedingung (2) von INT nicht erfüllt, ist die Warum-Frage nach Gründen nicht einmal anwendbar und kann von den Befragten nur zurückgewiesen werden. Dass es keine Begründung nach dem Format G1, G2 oder G3 gibt, heißt aber nicht, dass das Verhalten gänzlich unerklärbar ist. Es könnte eine andere Art von Erklärung geben, wie Anscombe an zwei neuen Beispielen illustriert: _____________ 31

Für weitere Interpretationsvorschläge zum Wissen ohne Beobachtung vgl. z. B. Hursthouse 2000, Moran 2004, Teichmann 2008, 22–30 und 50–64.

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– Warum hast du die Tasse vom Tisch gestoßen? – Weil ich ein Gesicht am Fenster gesehen habe, das mich erschreckt hat.32 – Warum bist du rückwärts gesprungen? – Weil das Krokodil plötzlich laut gebellt hat.33 Die Antworten erklären jeweils, warum sich eine Akteurin in einer bestimmten Weise verhalten hat. Sie erklären es aber nicht durch Gründe, sondern, wie Anscombe sagt, durch mentale Ursachen. Die resultierenden Erklärungen seien Kausalerklärungen. Mir erscheint die Rede von mentalen Ursachen allerdings in zweierlei Hinsicht problematisch, zum einen wegen der einschränkenden Verwendung von ‚mental‘, zum anderen wegen der einschränkenden Verwendung von ‚Ursache‘. Anscombes Klassifizierung der Beispiele als Fälle der mentalen Verursachung unterstellt, dass Begründungen nach G1, G2 oder G3 keine Ursachen angeben und dass ihnen keine Kausalrelationen zugrunde liegen. Dies trifft jedoch nur dann zu, wenn man Kausalrelationen auf Ereignisse einschränkt. Wie dargelegt, ist diese Annahme weder zwingend noch hilfreich, weil viele Kausalaussagen Fakten verknüpfen und dadurch sehr präzise Erklärungen liefern. [↑2.3] Lässt man zu, dass Fakten als Kausalursachen und -wirkungen auftreten, dann können Instantiierungen von G1, G2 oder G3 durchaus Kausalerklärungen darstellen. Die Frage, ob zwischen Gründen und Handlungen eine Kausalrelation oder eine non-kausale Relevanzrelation besteht, kann nicht grundsätzlich entschieden werden und braucht es auch nicht. Das alltagssprachliche Sprachspiel von Warum-Frage und Antwort erlaubt, dass manche Handlungsbegründungen die kausale Relevanz eines Faktes für eine Handlung unter der Beschreibung ‚A a-t‘ aufzeigen, wohingegen andere Begründungen non-kausale Relevanz aufzeigen. So beschreibt ‚Bert stößt die Vase vom Tisch, indem er den Arm ausstreckt‘ eine kausale Verknüpfung und ‚Bert erfüllt sein Versprechen, indem er die Vase umstößt‘ eine non-kausale. Zum zweiten Punkt, der allzu engen Verwendung von ‚mental‘: Anscombes Verständnis von Mentalität schließt zwar Erlebnisse wie Erschrecken oder bildhafte Vorstellungen ‚vor dem geistigen Auge‘ ein, merkwür_____________ 32 33

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 5, 9. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 8, 15.

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digerweise fallen Absichten, Wünsche und Überzeugungen bei ihr aber nicht in den Bereich des Mentalen. (Sonst würde sie mit der Einordnung des Tassen-Beispiels und des Krokodil-Beispiels als Fälle der mentalen Verursachung gar keine Unterscheidung gegenüber absichtlichen Handlungen vornehmen.) Anscombe legt nicht offen, nach welchem Kriterium sie den Bereich des Mentalen überhaupt abgrenzt; ihre Beispiele legen nahe, dass sie ‚mental‘ als Gegensatz zu ‚intentional‘ betrachtet. Die Unterscheidung, auf die sie abhebt, liegt jedenfalls zwischen verschiedenen Arten der Erklärung von Verhalten, denen jeweils verschiedene Arten von Verhalten entsprechen: Mentale Verursachung ist eine Erklärungsrelation für bloßes Verhalten wie plötzliches Aufspringen vis-á-vis eines bellenden Krokodils. Dagegen erklären Begründungen absichtliches Handeln. Es kommt also nicht so sehr auf die Unterschiede zwischen den Explanantia an, sondern auf die Unterschiede zwischen den Explananda: Weil Aufspringen-wegenErschrecken ein Explanandum anderer Art ist als beispielsweise das Springen auf einem Trampolin, werden jeweils andere Erklärungsrelationen instantiiert.34 So triftig diese Unterscheidung ist, erscheint mir die Beschränkung des Ausdrucks ‚mental‘ auf Explanantia für bloßes Verhalten nicht glücklich, weil Handlungsgründe damit nicht in den Bereich des Mentalen fallen – in welchen aber sonst? ‚Mentalität‘ ist sicherlich kein klar definierter philosophischer Terminus, und von einem üblichen Begriffsverständnis zu sprechen, käme einer Überintellektualisierung der Alltagssprache gleich. So weit man jedoch ein naheliegendes oder gängiges Verständnis ausmachen kann, scheint ‚Mentalität‘ doch etwas wie ‚Denkweise‘ oder ‚Geisteshaltung‘ zu bedeuten. Darunter fallen sicherlich auch epistemische und moralische Einstellungen sowie die Fähigkeit, solche Einstellungen zu formen. So verstanden, lassen sich Absichten, Wünsche und Überzeugungen durchaus dem Bereich des Mentalen zuordnen. Ich werde dies tun und im nächsten Teilkapitel noch ausführlicher begründen. [↓4.2] Auf die Rede von mentalen Ursachen verzichte ich im Folgenden ganz. Ich übernehme aber Anscombes inhaltliche Bestimmung der Handlungsgründe, wonach diese zeigen, in welcher Hinsicht ein Verhalten aus Sicht der Akteure gut oder nützlich ist. Anscombe erklärt: _____________ 34

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 10, 16; § 14, 22.

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KAPITEL 4

[W]hat the agent reports in answer to the questions ‚Why?‘ is a reason for acting if in treating it as a reason he conceives it as something good or bad, and his own action as doing good or harm. If you could, e.g. show that either the action for which he has revenged himself, or that in which he has revenged himself, was quite harm35 less or was beneficial, he ceases to offer a reason, except prefaced by ‚I thought‘.

Dazu ist zu betonen, dass Anscombe ausdrücklich nicht meint, absichtliches Handeln sei in jedem Fall ein Mittel zu einem Zweck oder eine Reaktion auf zurückliegende Geschehnisse. Wie gesehen, können Motive wie Rache, Ehrfurcht oder Überdruss das Verhalten von Personen in ein Licht rücken, in dem es ihnen selbst gut oder nützlich erscheint, ohne dass alles, was Menschen aus Rache, Ehrfurcht oder Überdruss tun, einem Zweck dient. Ferner ist ‚gut‘ nicht im engeren Sinne als ‚moralisch gut‘ zu verstehen. Dass jemandem etwas gut erscheint, heißt lediglich, dass ihm an einem Gegenstand oder an einer Situation gelegen ist und sie ihm wünschenswert erscheinen, sei es als Mittel zu einem weiteren Zweck, sei es um ihrer selbst willen. Jemand mag sich so seltsame Dinge wie eine Schale voll Schlamm wünschen oder einen Eschenzweig – solange er auf die Frage ‚Warum?‘ einen Bezug zwischen diesen Dingen und sich selbst herstellen kann, der einsichtig macht, was er an Schlamm oder Zweig wertschätzt, hat er einen Grund, sich diese Dinge zu beschaffen. Diese Wertschätzung braucht durch keinen etablierten moralischen Kanon gestützt zu sein.36 Während Handlungsbegründungen die Güte oder Nützlichkeit eines Verhaltens für die Akteurin in Hinsicht auf einen Sachverhalt aufzeigen, spielen Güte und Nützlichkeit für andere Arten der Erklärung keine Rolle. Insbesondere sind solche Erklärungen von der Perspektive der Ausführenden unabhängig: Dass A eine Tasse vom Tisch stößt, ist durch den Schreck erklärbar, den ihr das Gesicht am Fenster einjagt. Um durch diesen Fakt zu erklären, dass sie die Tasse umstößt, braucht die Akteurin ihr Verhalten weder als gut noch als nützlich zu erachten. Diese inhaltliche Abgrenzung zwischen Handlungsbegründungen und anderen Erklärungen lässt sich durch einen weiteren Unterschied erhellen, der wichtiger ist, als Anscombes beiläufige Erwähnung vermuten lässt: _____________ 35 36

Anscombe 1963 [1957], § 14, 22. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 37, 70 f.

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Gründe können nicht nur retrospektiv für bereits ausgeführtes Verhalten angegeben werden, sondern auch prospektiv, als Argumente für künftiges Handeln. Gründe machen nicht nur einsichtig, warum man etwas getan hat, sondern auch, warum man etwas tun sollte: What I have said about intention in acting applies also to intention in a proposed action. And, indeed, quite generally, the application of the question ‚Why?‘ to a prediction [of the form ‚I am going to a‘] is what marks it out as an expression of 37 intention rather than an estimate of the future or a prophecy.

Formal lassen sich Handlungsgründe als Fakten bestimmen, die den Schemata G1, G2 oder G3 entsprechen; inhaltlich sind es solche Fakten, die ein Verhalten gut oder nützlich erscheinen lassen, weil es geeignet ist, diese Fakten herbeizuführen oder zu verhindern. Bedingung (1) der oben vorgeschlagenen Rekonstruktion zum absichtlichen Handeln kann damit präzisiert werden: INT*

A a-t absichtlich, (1) wenn die Frage ‚Warum ist es gut oder nützlich, dass du a-st?‘ anwendbar ist und (2) wenn A nicht nur durch Beobachtung weiß, dass die Beschreibung ‚A a-t‘ auf ihr Verhalten zutrifft

Güte und Nützlichkeit sind normative Maßstäbe, deshalb können Gründe nicht nur zur Erklärung ausgeführter Handlungen dienen, sondern auch als Argumente für künftige Handlungen. Manchmal werden Erklärungen in den Begriffen von Güte und Nützlichkeit als funktionale statt als normative Maßstäbe formuliert, so etwa wenn jemand sagt, es sei gut, dass es regne, denn so wachse das Gemüse im Garten. Als funktionaler Maßstab hat ‚gut‘ _____________ 37

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 50, 90. Vgl. auch § 23, 38 und Anscombe 1957, 329 f. Interessant ist, dass Oswald Schwemmer, ein Vertreter des Erlanger Konstruktivismus der 1970er und 1980er Jahre, Handlungen als Ergebnisse von tatsächlichen oder rekonstruierbaren Argumentationen bestimmt und Argumentationszugänglichkeit damit zur notwendigen Bedingung für absichtliches Handeln erhebt. Argumente folgen für ihn vorrangig aus Zweck-Mittel-Relationen, für die man wiederum mithilfe von Normen und Maximen argumentieren kann. Interessant ist diese Parallele deshalb, weil Schwemmer seine Theorie ohne jeden Bezug auf Anscombe oder andere nicht-kausalistische Ansätze entwickelt. Vgl. Schwemmer 1976, 150 f. und Schwemmer 1986.

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KAPITEL 4

aber keine argumentative Kraft. Es dient lediglich der Bewertung eines Kausalzusammenhanges, der unabhängig von dieser Bewertung besteht. Allein aus der Aussage ‚Regen ist gut fürs Gemüse‘ folgt kein Argument für oder gegen die Ausführung irgendeiner Handlung. Erst im Verein mit weiteren Prämissen, zum Beispiel dass Theo einen Garten hat und erwägt, Kohlrabi zu pflanzen, sowie der Tatsache, dass für die nächsten Tage Regen angekündigt ist, könnte sich ergeben, dass Theo den Kohlrabi heute noch pflanzen sollte.

4.1.3 Praktisches Wissen Die Bestimmung INT* besagt, dass Akteure von ihren absichtlichen Handlungen nicht nur durch Beobachtung wissen. Allerdings trifft dies auch zu, wenn jemand vor Schreck eine Tasse vom Tisch stößt oder wenn jemand an Schlafstörungen leidet und nachts stundenlang wach liegt. Diese Personen wissen, dass sie sich erschrocken haben bzw. dass sie nicht einschlafen können, ohne sich zuerst gleichsam von außen zu betrachten. Dennoch kann ihr Verhalten kaum als absichtliches Handeln gelten; die Personen würden eine Warum-Frage nach Gründen zurückweisen. Offenbar ist Wissen ohne Beobachtung keine hinreichende Bedingung, um absichtliches Handeln von bloßem Verhalten zu unterscheiden. Daher nimmt Anscombe eine weitere Präzisierung vor und erklärt, dass Wissen vom eigenen Handeln nicht nur Gegenstand des Wissens ohne Beobachtung ist, sondern auch Gegenstand des praktischen Wissens der Akteure. Praktisches Wissen ist (unter anderem) Wissen von Mittel-Zweck-Zusammenhängen und von Methoden zur Herbeiführung bestimmter Sachverhalte. Es kann in Antworten auf Wie-Fragen sprachlich gefasst werden, aber es erschöpft sich nicht in der Rezitation von Gebrauchsanweisungen. Wer über praktisches Wissen verfügt, weiß, welche Handgriffe er in einer Situation ausführen muss, um einen bestimmten Sachverhalt herzustellen oder zu erhalten. Er findet geeignete Wege und Werkzeuge, er greift zur rechten Zeit in Abläufe ein, er erkennt, wie er Probleme vermeiden oder beheben kann. Welche Dinge sich als Werkzeug eignen, wann der richtige Zeitpunkt ist, um in einen Ablauf einzugreifen oder welche Probleme im Einzelfall drohen, lässt sich nicht generell für alle möglichen Vorkommnis-

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se beantworten. Akteure müssen wissen, worauf sie schlussendlich abzielen oder was sie jedenfalls vermeiden wollen, um ihre Aufmerksamkeit auf relevante Fakten zu richten und ihre Kreativität in zielführende Bahnen zu lenken. Über die Befolgung einer Schritt-für-Schritt-Anleitung geht ihr Handeln meistens weit hinaus, oft ersetzen Aufmerksamkeit und Einfallsreichtum eine explizite Anleitung. Das praktische Wissen eines aufmerksamen und einfallsreichen Akteurs zeigt sich in seinen Handlungen; er weiß, was er tut, selbst wenn er dieses Wissen nicht vollständig sprachlich fassen kann.38 Und selbst wenn jemand sein Verhalten, seine Bewegungen peinlich genau beschreiben könnte, so wäre dies nach Anscombes Auffassung kein Beleg für sein praktisches Wissen. Die Fähigkeit, ein Kuchenrezept auswendig aufzusagen, belegt zunächst einmal die Merkfähigkeit des Rezitators und damit sein theoretisches Wissen, sie bezeugt aber nicht, dass er imstande ist, einen Kuchen zu backen. Während es für theoretisches Wissen genügt zu sagen: ‚Man siebe das Mehl in eine Schüssel, knete mit den übrigen Zutaten einen Teig und lasse ihn so lange gehen, bis er sich sichtbar vergrößert hat‘, erweist sich das praktische Wissen darin, dass der Akteur unter allen Gerätschaften in der Küche Sieb und Schüssel findet, eine geeignete Menge Mehl abmisst und den Hefeteig nicht zu früh weiterverarbeitet: He is not like a man merely considering speculatively how a thing might be done; such a man can leave many points unsettled, but this man [who actually wants to do the thing] must settle everything in a right order. His knowledge of what is done is 39 practical knowledge.

Praktisches Wissen manifestiert sich in der Fähigkeit, theoretisches Wissen, wie man etwas macht, in eigene Taten umzusetzen, dabei Probleme zu antizipieren und gegebenenfalls zu lösen. All dies muss gelingen, obwohl die konkreten Umstände bei jeder Ausführung variieren und selten den Idealbedingungen entsprechen, die Anleitungen und Rezepte unterstellen. _____________ 38

39

Über die Möglichkeit und die Notwendigkeit, das Wissen vom eigenen Handeln explizit zu machen, entspann sich ein intensiver Austausch zwischen Herbert Dreyfus und John McDowell, veröffentlicht in mehreren Ausgaben der Zeitschrift Inquiry. Vgl. dazu Dreyfus 2007 a, 2007 b; McDowell 2007 a, 2007 b. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 45, 82 (Hervorhebung original).

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KAPITEL 4

Solches Wissen spielt offensichtlich keine Rolle, wenn jemand nachts schlaflos wach liegt oder wenn jemand vor Schreck eine Tasse vom Tisch stößt. Diese Personen mögen erklären können, warum sie schlaflos sind oder warum sie sich so heftig bewegten. Doch ihr Verhalten manifestiert weder Entscheidungen noch Zielgerichtetheit oder gelenkte Kreativität. Mit dem Begriff des praktischen Wissens lässt sich die Bestimmung des absichtlichen Handelns gemäß Anscombe abermals genauer fassen: INT**

A a-t absichtlich, (1) wenn die Frage ‚Warum ist es gut oder nützlich, dass du a-st?‘ anwendbar ist und (2) wenn A nicht nur durch Beobachtung weiß, dass die Beschreibung ‚A a-t‘ auf ihr Verhalten zutrifft, sondern (3) wenn ihr Verhalten praktisches Wissen manifestiert

Eines der größten Verdienste von Intention bzw. seiner Autorin besteht sicherlich darin, auf lange bestehende Missverständnisse in Bezug auf praktisches Wissen aufmerksam gemacht zu haben. Anscombe beklagt, dass der Wissensbegriff in der zeitgenössischen Philosophie einseitig verstanden werde, da man ihn einzig auf theoretisches Wissen beziehe und dabei verkenne, dass praktisches Wissen ein eigenständiges epistemisches Format darstellt: Certainly in modern philosophy we have an incorrigibly contemplative conception of knowledge. Knowledge must be something that is judged as such by being in accordance with the facts. The facts, reality, are prior, and dictate what is to be said, if 40 it is knowledge.

Dieses defizitäre Verständnis des Wissensbegriffes werde traditionellerweise auf antike und mittelalterliche Autoren zurückgeführt – nach Anscombes Auffassung eine einseitige Lesart. Sie verweist sowohl auf Aristoteles als auch auf Thomas von Aquin, die zwischen praktischem und spekulativem bzw. kontemplativem Wissen unterscheiden, richtet das Interesse dann aber schnell auf die aristotelische Konzeption des praktischen Schließens und belässt es bei wenigen knappen Andeutungen zu Thomas. Vermutlich bezieht sie sich auf eine Passage der Summa Theologiae, in der das Wissen Gottes über seine Geschöpfe als praktisches Wissen beschrieben wird, im _____________ 40

Anscombe 1963 [1957], § 32, 17.

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Gegensatz zum spekulativen Wissen, das die Geschöpfe selbst über die Schöpfung haben können.41 Gott kenne die Welt nicht durch Beobachtung und Erkundung, sondern weil er wolle, dass die Welt in einer bestimmten Weise beschaffen sei. Die Absicht aber sei in Gottes Fall identisch mit der Tatsache, dass die Welt so oder so ist, weil Gottes Wissen Schöpferkraft hat. Gott verursacht durch sein bloßes Wissen um die Welt, dass sie so ist, wie er sie vorsieht. Die Identität zwischen Absicht und Tatsachen macht Gottes Wissen zu praktischem Wissen. Die epistemische Relation des praktischen Wissens ist somit eine Relation der schöpferischen Antizipation. Praktisches Wissen hat Sachverhalte zum Gegenstand, die aufgrund der Antizipation eintreten: „Practical knowledge is ‚the cause of what it understands‘, unlike ‚speculative knowledge‘ which is ‚derived from the objects known‘“.42 Wie von Anscombe beklagt, ist der traditionelle Wissensbegriff insofern einseitig, als unter Wissen stets die Übereinstimmung von Überzeugungen und bestehenden Sachverhalten verstanden werde. Wissen, so diese gängige Auffassung, sei in jedem Fall Wissen von etwas und setze somit etwas voraus, das unabhängig davon existiert, ob jemand um seine Existenz weiß. An dieser gängigen Auffassung gemessen, ist praktisches Wissen nach Thomas von Aquin in der Tat paradox: Als Wissen von künftigen Sachverhalten bezieht es sich auf einen Gegenstand, der (noch) nicht existiert. Es hat anscheinend gar keinen Gegenstand und ist demzufolge kein Wissen von etwas Gegebenem. Doch dem hält Anscombe entgegen, dass die Beschränkung der Wissensrelation auf Korrespondenz zu gegebenen Dingen unnötig und irreführend ist. Es sei nicht falsch zu sagen, dass Ak_____________ 41

42

Anscombe verwendet ‚spekulatives Wissen‘ [speculative knowledge] und ‚kontemplatives Wissen‘ [contemplative knowledge] synonym; beide Ausdrücke sind Gegenbegriffe zu ‚praktischem Wissen‘. Ich verwende stattdessen ‚theoretisches Wissen‘, weil mir weder ‚spekulativ‘ noch ‚kontemplativ‘ umfangreich genug erscheinen, um all das einzuschließen, was nicht zum praktischen Wissen zählt, insbesondere die Kenntnis von Spielregeln, Kochrezepten und anderes Know-how. Anscombe 1963 [1957], § 48, 87; vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Ia IIae, Q. 3, art. 5, obi. 1. Ausführlicher zu historischen Bezügen bei Anscombe vgl. Velleman 2007, xiv und 102–108; zum Verhältnis der kausalistischen (humeanischen) Tradition zu Aristoteles und Thomas von Aquin vgl. Connolly und Keutner 1987, zur cartesischen Konzeption von göttlichem Wissen, die sehr nah an Thomas liegt, vgl. Annette Baier 1985.

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KAPITEL 4

teure wissen, was sie tun, selbst wenn ihre Handlungen (noch) unvollendet und der Erfolg nicht sicher ist. Wenn Clara sagt ‚Ich spiele jetzt eine Trompetensonate von Hindemith‘ oder ‚Ich backe eine Herrentorte‘, dann weissagt oder rät sie nicht, worauf ihre Bewegungen hinauslaufen, sie bekundet Absichten. Das aber heißt, sie macht Wissen über sich selbst explizit. Dieses Wissen hat nicht gegebene, sondern antizipierte Wirklichkeit zum Gegenstand, und es ist praktisch, insofern es sich in Claras Bewegungen und Handgriffen niederschlägt.43 Einerseits ist die Erfahrung alltäglich, dass wir wissen, was wir selbst tun, noch ehe es für Dritte erkennbar ist. Andererseits bleibt etwas Merkwürdiges am Wissen von Dingen, die (noch) nicht geschehen. Anscombe sieht das Unbehagen voraus und begegnet ihm neuerlich mit einer Illustration: Jemand schreibt mit geschlossenen Augen an eine Tafel ‚I am a fool‘.44 Ohne die Augen zu öffnen und nachzulesen, was auf der Tafel steht, wüsste diese Person, dass sie ‚I am a fool‘ geschrieben hat. Ihr Verhalten manifestiert das praktische Wissen, wie sie unter den konkreten Umständen die Kreide handhaben und ihre Hand führen muss, so dass ‚I am a fool‘ an der Tafel steht. Dass die Akteurin um ihr eigenes Handeln weiß, sei jedoch keine Garantie für Erfolg. Vielleicht erscheint keine Schrift auf der Tafel, weil die Kreide nass ist, oder es schleicht sich ein Schreibfehler ein und da steht ‚I am a foot‘. Nichtsdestotrotz, betont Anscombe, besitzt die Akteurin das praktische Wissen, ‚I am a fool‘ an die Tafel zu schreiben. Auch dann ist die Aussage ‚Ich schreibe ›I am a fool‹‘ als Absichtsbekundung und damit als Artikulation praktischen Wissens wahr. Denn der Fehler, so erklärt Anscombe, liegt nicht in der Aussage der Akteurin, sondern in der Ausführung der Handlung. Nicht was sie sagt ist falsch, sondern was sie tut: In some cases the facts are, so to speak, impugned for not being in accordance with the words, rather than vice versa. This is sometimes so when I change my mind; but another case of it occurs when I write something other than I think I am writing: as

_____________ 43

44

Vgl. Anscombe 1963 [1957], §§ 45–48, 82–89; zusammenfassend dazu vgl. Connolly und Keutner 1986, xiii–xxv; Connolly und Keutner 1987; zum praktischen Wissen und praktischer Vernunft bei Anscombe vgl. Moran 2004, Teichmann 2008, 43–82, und kurz, aber aufschlussreich Jarvis 1959, 31–41. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 45, 82 f.

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Theophrastus says (Magna Moralia, 1189 b 22), the mistake here is one of perfor45 mance, not of judgment.

Bevor ich auf das Phänomen des Fehlers in der Ausführung eingehe, eine Anmerkung zu Wissensgegenständen: Zweifel, dass Wissen von etwas möglich ist, das (noch) nicht geschieht, scheinen vor allem dann aufzukommen, wenn man unterstellt, dass Handlungen Ereignisse sind. Dann würde sich praktisches Wissen auf Ereignisse beziehen und damit auf Entitäten, die per definitionem in Raum und Zeit verortet sind. [↑2.1] Mit der Ereignisannahme im Hinterkopf scheint es in der Tat merkwürdig, dass jemand von Ereignissen wissen kann, die (noch) nicht stattfinden – an keinem Ort und zu keiner Zeit. Wieder erübrigt sich die Schwierigkeit, wenn man die Ereignisannahme fallen lässt und praktisches Wissen mithilfe von Fakten und Faktenrelationen bestimmt: Praktisches Wissen, das sich in Aussagen der Form ‚Ich weiß, dass ich a-e‘ oder einfach ‚Ich a-e‘ wiedergeben lässt, hat den Fakt zum Gegenstand, dass die Sprecherin im Begriff ist zu a-en.46 Damit bezieht es sich auf Sachverhalte, die nicht bestehen, aber von der Akteurin antizipiert werden: Jede Instantiierung von ‚Ich a-e‘ benennt einen Fakt über die Sprecherin. Dieser Fakt ist genau dann Gegenstand ihres praktischen Wissens, wenn er eintritt, weil die Sprecherin ihn antizipiert. Im Gegensatz dazu bezieht sich theoretisches Wissen auf Sachverhalte, für deren Bestehen das Wissen konkreter Personen keine notwendige Bedingung ist.47 Freilich müsste man nun klären, was ‚antizipieren‘ bedeutet, welche Fakten Gegenstand der Antizipation sein können und wie sich theoretisches und praktisches Wissen zueinander verhalten. Diese Fragen lassen sich aber auf der Faktenebene beantworten. Ihre Behandlung kann auf der _____________ 45 46

47

Anscombe 1963 [1957], § 2, 5. Anscombe merkt an: „Assuming that we are correctly told that Theophrastus was the author.“ Auch Wissen von Ereignissen, das sich in Aussagen wie ‚A weiß, dass E zu t stattfand‘ beschreiben lässt, hat bei genauer Betrachtung Fakten über das Ereignis E zum Gegenstand, z. B. dass E zu t stattfand. In der Interpretation, die Richard Moran für praktisches Wissen bei Anscombe anbietet, klingt ebenfalls eine Differenzierung zwischen Ereignissen und Fakten an: „For the ‚what‘ that is the object of one’s practical knowledge is not simply ‚the production of various results‘, or the event of my movements themselves, but rather the fact that I am doing this rather than that.“ Moran 2004, 55; vgl. auch 47.

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KAPITEL 4

Unterscheidung zwischen bestehenden und nicht-bestehenden Sachverhalten aufbauen sowie auf der Unterscheidung zwischen kausalen und nonkausalen Faktenrelationen. Fragen über die Identifizierung und Individuierung nicht-existenter Ereignisse bleiben hingegen außen vor. Praktisches Wissen hat mit theoretischem Wissen gemeinsam, dass es sich als korrekturbedürftig erweisen kann – genau deswegen klassifiziert Anscombe die epistemische Relation zum eigenen Handeln als eine Form des Wissens.48 Beim theoretischen Wissen zeigt sich der Korrekturbedarf an einer Diskrepanz zwischen den Überzeugungen einer Person und dem, was unabhängig von diesen Überzeugungen der Fall ist. Wenn Theo glaubt, die Bäume in Nachbars Garten seien Birnbäume, obwohl es tatsächlich Apfelbäume sind, dann irrt sich Theo. Es liegt ein Fehler im theoretischen Wissen vor. Auch beim praktischen Wissen zeigt sich Korrekturbedarf an einer Diskrepanz zwischen jemandes Überzeugungen und dem, was der Fall ist, nur hat die epistemische Relation des Wissens in diesem Fall Einfluss darauf, was der Fall ist. Der Gegenstand des Wissens besteht nicht unabhängig davon, dass er Gegenstand von jemandes Wissen ist. Wenn Theo erklärt, er schreibe ‚I am a fool‘ an die Tafel, und schreibt dann ‚I am a foot‘, dann besteht eine Diskrepanz zwischen Theos Überzeugung und dem Fakt, auf den sie sich bezieht: Theo tut in Wirklichkeit gar nicht, was er zu tun glaubt. Der Unterschied zwischen den beiden Arten der Diskrepanz zeigt sich an der jeweils fälligen Korrektur: Theoretisches Wissen wird in Ordnung gebracht, indem man falsche Überzeugungen korrigiert. So muss Theo lernen, dass in Nachbars Garten Apfelbäume stehen und keine Birnbäume. Praktisches Wissen wird nicht dadurch in Ordnung gebracht, dass man die Überzeugungen einer Person korrigiert, sondern den Ausschnitt der Wirklichkeit, auf den sich ihre Überzeugung bezieht. Die Korrektur erfolgt an der Wirklichkeit, nicht am Wissen über die Wirklichkeit. Da Theo erklärt _____________ 48

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 4, 7–9. Vgl. auch Tanney 1996 und 2002: Tanney entwirft einen konstruktivistischen Begriff der Selbstkenntnis [self-knowledge], der das Argument der Fehlbarkeit von Erste-Person-Wissen akzeptiert, ohne einen vorab gegebenen Wissensgegenstand anzunehmen. Während Anscombe das Wissen der ersten Person als Wissen ohne Beobachtung negativ bestimmt, schlägt Tanney eine – mit Anscombe kompatible – positive Bestimmung vor, wonach Personen das Objekt ihrer Selbstkenntnis in Prozessen der Selbstzuschreibung formen.

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hat, er wolle ‚I am a fool‘ schreiben, aber ‚I am a foot‘ geschrieben hat, muss er den letzten Buchstaben von der Tafel wischen und stattdessen ein ‚l‘ anschreiben: That is, we do not say: What you said was a mistake, because it was supposed to describe what you did and did not describe it, but: What you did was a mistake, be49 cause it was not in accordance with what you said.

Der Akteur kann an seiner Überzeugung festhalten, er muss nur wirklich tun, was er zu tun glaubt. Diesen Unterschied in der Art der Fehler bzw. der Korrekturen verkennen Anscombe zufolge all die Philosophen, die praktisches Wissen nicht als eigenständiges epistemisches Format erkennen und meinen, Wissen bestehe in jedem Fall darin, wahre Überzeugungen über schon bestehende Fakten zu haben.50 Damit verkennen sie, dass sich der Erfolg einer Handlung, anders als die Wahrheit einer Aussage, nicht allein an der Kongruenz von Beschreibung und Wirklichkeit bemisst, sondern auch daran, dass Akteure diese Kongruenz selbst herstellen. Sie gestalten die Wirklichkeit gemäß ihrer eigenen, propositional beschreibbaren Vorstellung – nicht umgekehrt. An anderer Stelle illustriert Anscombe den Unterschied zwischen der Korrektur von praktischem bzw. theoretischem Wissen am Beispiel eines Mannes, der mit einer Einkaufsliste loszieht, auf _____________ 49

50

Anscombe 1963 [1957], § 32, 57. Vgl. auch die darauffolgende Beobachtung: „If the order is given ‚Left turn!‘ and the man turns right, there can be clear signs that this was not an act of disobedience. But there is a discrepancy between the language and that of which the language is a description. But the discrepancy does not impute a fault to the language – but to the event.“ Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 29, 51–53; § 32, 56 f. In diesem Zusammenhang drängt sich neuerlich die Formel des ‚direction of fit‘ auf, die vor allem durch John Searles Untersuchungen illokutionärer Akte in die Sprechakttheorie, aber auch in die Philosophie des Geistes Einzug gehalten hat. In Searles Terminologie ließe sich theoretisches Wissen als Wissen, bei dem sich der Verstand auf die Welt richtet, um sie zu erkennen, verstehen. Searle spricht metaphorisch von der Gerichtetheit des Verstandes auf die Welt, ‚mind-to-world‘. Das praktische Wissen verläuft in der Gegenrichtung, ‚world-to-mind‘. Hier ist die Welt gleichsam gefordert, sich dem Verstand anzupassen. Die Wahrheitsbedingungen von ‚Ich a-e‘, wenn dies praktisches Wissen ausdrückt, sind erfüllbar, indem sich der Zustand der Welt verändert, nicht indem man die Aussage ändert. Vgl. Searle 1985, 1–29. Gegen die Verwendung des Begriffes ‚direction-of-fit‘ bei der Interpretation von Intention spricht sich Moran 1994 aus.

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der ‚Butter‘ steht, stattdessen aber Margarine kauft: „[I]f his wife were to say: ‚Look, it says butter and you have brought margarine‘, he would hardly reply: ‚What a mistake! we must put that right‘ and alter the word on the list to ‚margarine‘ […].“51 Nur am Rande und vielleicht zu knapp zieht Anscombe in Betracht, dass Menschen aus unbewussten Motiven handeln können. Mit der Betonung des praktischen Wissens als notwendige Bedingung der Handlungsgeltung scheint Anscombe manche Zweifelsfälle auszuschließen, bei denen die Handlungsgeltung unstrittig scheint, obwohl man den Akteuren nicht unbedingt praktisches Wissen zugestehen würde, weil sie sich über ihre eigenen Absichten nicht völlig im Klaren sind. Dazu könnte der Fall eines Mannes gehören, der stets überfüllte Kaufhäuser, Kinosäle und Eisenbahnwagen meidet, ohne selbst zu bemerken, dass er diesem Muster folgt. Eine andere Akteurin nutzt jede Gelegenheit, ihren Kollegen zu raten und zu helfen, beklagt sich aber zugleich, dass diese Hilfseinsätze sie von der eigenen Arbeit abhalten. Beide Fälle sind weder als absichtliches Handeln noch als unabsichtliches bloßes Verhalten ganz zutreffend charakterisiert. In beiden Fällen gibt es eine einzige Beschreibung, unter der das Verhalten sowohl absichtlich als auch unabsichtlich ist. Der agoraphobische Mann weiß, was er tut, wenn er in einer konkreten Situation nicht ein überfülltes Kaufhaus oder eine beinah ausverkaufte Kinovorführung geht, er braucht sein Verhalten nicht erst zu beobachten. Offenkundig verfügt er auch über das praktische Wissen, Menschenmengen zu meiden – er tut es ja systematisch und mit Erfolg. Anscombes lakonischer Kommentar zu diesen Fällen lautet: „They are a curious intermediary case: the question ‚Why?‘ has and yet has not application in the sense that the answer is that there is no answer.“52 In der Tat sind die Bedingungen (2) und (3) aus INT** erfüllt, die Warum-Frage ist anwendbar und das Verhalten damit als absichtlich qualifiziert. Doch der Mann wäre überrascht festzustellen, dass er immer wieder dafür sorgt, nicht in Menschenansammlungen zu geraten. Obwohl er sich in jedem einzelnen Fall entscheidet, nicht in das Kaufhaus, nicht in das Kino zu gehen, und dafür auch Gründe angeben könnte – es ist nicht so wichtig, es dauert jetzt zu lange … – ist er sich nicht im Klaren über das Verhal_____________ 51 52

Anscombe 1963 [1957], § 32, 56. Anscombe 1963 [1957], § 17, 26.

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tensmuster, dem er dabei folgt, und über die Motive, die ihn dazu bewegen. Diese unbewussten Motive erklären sein Verhalten, sie sind aber kein Gegenstand seines praktischen Wissens. Diese Beobachtung stellt Anscombes Bestimmung des absichtlichen Handelns bzw. meine Rekonstruktion INT** nicht grundsätzlich in Frage, sie gibt jedoch Anlass zu überlegen, ob unbewusst-absichtliches Handeln nicht als eigene Kategorie neben bewusst-absichtliches Handeln treten sollte, das nach den Begründungsformaten G1, G2 oder G3 erklärbar ist und praktisches Wissen manifestiert. Anscombe schlägt vor, nicht von absichtlichen, sondern von willentlichen [voluntary] Handlungen zu sprechen. Sie setzt unbewusstabsichtliches Handeln damit den Nebenfolgen gleich, die Akteure voraussehen und in Kauf nehmen, ohne sie eigens zu bezwecken. Auch solche Nebenfolgen ordnet Anscombe als willentlich, aber nicht als absichtlich ein.53 Die Analogie zum Agoraphobie-Muster oder zum Muster der paradoxen Hilfsbereitschaft scheint jedoch begrenzt, denn unbewusste Motive werden von Akteuren nicht wie Nebenfolgen abgewogen und gebilligt. Man schreibt sie Akteuren eher zu wie allgemeine Motive, etwa Rachsucht, Verzweiflung, Freundschaft oder Liebe, ohne unbedingt davon auszugehen, dass die Akteure selbst um ihre Motive wissen. Die Erklärung einer Handlung durch unbewusste Motive erfüllt ebenso wie eine Begründung im Standardformat die Funktion, das Verhalten verständlich zu machen, indem sie aufzeigt, inwiefern es für die Akteure gut ist oder ihnen nützt. Dennoch ergeben unbewusste Motive eine andere Art von Erklärung, denn wie Anscombe selbst feststellt, erlauben sie keine Warum-Fragen an die Akteure. Bei allgemeinen Motiven lässt sich weiterfragen, warum sich jemand rächen will oder warum er verzweifelt ist; bei Nebenfolgen lässt sich weiterfragen, warum jemand nicht versuchte, sie zu vermeiden, oder warum er meinte, der eigentliche Zweck wiege sie auf. Doch jemanden zu fragen, warum er seiner unbewussten Agoraphobie nachgibt oder seinem unbewussten Geltungsdrang, ist widersinnig. Unbewusste Muster, die einzelnen absichtlichen Handlungen zugrunde liegen, scheinen daher als eigene Form der Handlungserklärung präziser erfasst.

_____________ 53

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 25, 42 f.

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KAPITEL 4

4.1.4 Dialog und Handlungsgeltung Während Wissen ohne Beobachtung und praktisches Wissen in der Handlungstheorie allgemein, in der Forschung zu Anscombe insbesondere Aufmerksamkeit erhalten, gerät ein anderer Aspekt von Anscombes Ansatz selten in den Blick: Sie bestimmt den Handlungsbegriff über eine dialogische Praxis, über Warum-Fragen und ihre Antworten. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht nicht ein einzelner Akteur, dessen Körperbewegungen gleichsam ‚von oben‘, mit objektivem Blick analysiert werden. Im Mittelpunkt stehen mehrere Akteure, die miteinander konfrontiert sind, die einander nach Gründen fragen und nach einem gemeinsamen Maßstab zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden. Die Frage nach der Handlungsgeltung wird aus der Perspektive der Teilnehmer einer Situation gestellt, aus der Sicht von Akteuren. Die Verortung des Handlungsbegriffes in einer Akteursgemeinschaft führt bei Anscombe wie schon bei H. L. A. Hart zu einem Handlungsbegriff mit dialogischer Struktur. Hart hatte die Bedeutung des Handlungsbegriffes erläutert, indem er von einer Aussage der Form ‚A a-t‘ ausging und die Handlungsgeltung des so beschriebenen Verhaltens von praktischen Folgen – einer Zuschreibung moralischer Verantwortung – abhängig machte. Auch Anscombe setzt bei Aussagen der Form ‚A a-t‘ an, doch nach ihrer Konzeption entscheidet sich Handlungsgeltung nicht an der moralischen Wertigkeit des Verhaltens, sondern – moralisch neutral – an seiner Begründbarkeit. Bei Anscombe wird eine Instantiierung von ‚A a-t‘ nicht dadurch zur Beschreibung einer absichtlichen Handlung, dass sie ein moralisches Urteil impliziert, sondern dadurch, dass die Warum-Frage eine sinnvolle Erwiderung ist. Auch wenn Warum-Fragen keine moralischen Implikationen haben müssen, bezeugen sie doch ein bestimmtes Interesse am Tun und Lassen der Akteure: Was hat A’s Verhalten zu bedeuten? Worauf zielt sie ab? Was erscheint ihr gut oder nützlich daran zu a-en? Lassen sich diese Fragen sinnvoll stellen, gilt das Verhalten von A unter der jeweiligen Beschreibung als absichtliches Handeln. Die Möglichkeit, auf der Beschreibung der Form ‚A a-t‘ einen Dialog aus Warum-Frage und Begründung aufzubauen, erweist die Handlungsgeltung des so beschriebenen Verhaltens. Ist die Warum-Frage nach Gründen dagegen nicht anwendbar, dann endet der Dialog

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mit der Zurückweisung der Frage ‚Warum a-t A?‘ Es gibt keine Gründe und es könnte auch keine geben. Unter dieser Beschreibung ist A’s Verhalten nicht absichtlich. Der Ausdruck ‚Grund‘ ist demnach eine Bezeichnung für eine Funktion, die bestimmte Aussagen in bestimmten kommunikativen Kontexten übernehmen, sobald sie als Antworten auf Warum-Fragen auftreten. Mit Antworten auf Warum-Fragen wird nicht die Kausalgeschichte von Körperbewegungen rekonstruiert, sondern dargelegt, was aus der Perspektive einer Akteurin für ihr eigenes Verhalten spricht, inwiefern es gut oder nützlich ist. Wenn es gelingt, dass Akteure miteinander über das Wozu und Warum eines Verhaltens in Dialog treten, und wenn es gelingt, dass der eine versteht, inwiefern es dem anderen gut oder nützlich erscheint, etwas zu tun, dann messen beide dem Verhalten dieselbe Geltung als absichtliche Handlung zu. Sie sehen es in gleicher Weise als Handlung und stimmen in ihrer Deutung dieses Wirklichkeitsausschnittes überein. Die Handlungsgeltung des Verhaltens wird durch eine kommunikative Praxis, in einem WarumWeil-Dialog ermittelt oder besser: geklärt, manchmal auch getestet, auf die Probe gestellt. Natürlich wird nicht jedes Verhalten erst in einem faktisch vollzogenen Warum-Weil-Dialog behandelt, ehe man über seine Handlungsgeltung befindet. Der Warum-Weil-Dialog repräsentiert die Struktur eines nicht-kausalistischen Handlungsbegriffes; er stellt ein Modell dar, um zu veranschaulichen, was es bedeutet, von jemandem zu sagen, er handle absichtlich. Das Besondere an Anscombes Ansatz ist nicht, dass sie Begründbarkeit zum Kriterium der Handlungsgeltung erhebt. Obschon dieser Punkt für ihren Ansatz zentral ist, stimmt sie hierin mit vielen kausalistischen Konkurrenten überein. Das Besondere an Anscombes Ansatz ist, dass sie die Begründbarkeit von Verhalten an praktische, soziale Kontexte bindet und somit als Relation zwischen einer Akteurin und dem Autor einer WarumFrage darstellt: Das Verhalten von A gilt (in der Gemeinschaft der Akteurin A und des Beobachters B) als absichtliches Handeln, weil und insofern A ihr Verhalten gegenüber B begründen kann. Und das heißt A kann B’s Frage beantworten, inwiefern ihr Verhalten gut oder nützlich ist. Die Wünsche und Überzeugungen, die A in dieser Erklärung benennt, passen im Rahmen eines konkreten sozialen Kontextes als Gründe zu ihrem Verhalten. Anders gesagt: B wird die Begründung, die A anbietet, nur nachvollziehen können,

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wenn A und B ein Repertoire an Normen und Konventionen sowie an Werten oder Einstellungen teilen, die diesen Normen und Konventionen zugrunde liegen, denn als gut oder nützlich lässt sich ein Verhalten nur vor einem geteilten sozialen Hintergrund darstellen. Nach Gründen zu fragen und Gründe zu geben ist eine soziale Praxis. Man fragt jemanden nach Gründen und man begründet sein eigenes Handeln gegenüber anderen, so dass diese es verstehen können. Bestimmt man absichtliches Handeln durch die Möglichkeit von Warum-Frage und Begründung, stellt man es als Resultat und zugleich als Gegenstand einer sozialen Praxis dar, nicht als gesetzesartige Ereignisabfolge. Handlungsbegründungen sind nicht lediglich eine nicht-physikalische Beschreibung von Kausalzusammenhängen, die – wie Donald Davidson meint – immer auch eine physikalische Beschreibung erlauben und voraussetzen.54 [↑1.5] Die Bedeutung einer Handlungsbeschreibung hängt ebenso wenig wie die Nachvollziehbarkeit einer Handlungsbegründung von bestimmten physikalischen Gesetzen ab. Natürlich finden Handlungen, wie jedes menschliche Verhalten, nicht jenseits der physikalischen Gesetzmäßigkeiten statt, doch lässt sich der Unterschied zwischen absichtlichem Handeln und anderem Verhalten nicht durch physikalische Gesetze erklären. Die Begriffe ‚Grund‘ und ‚Handlung‘ sind basale Begriffe des menschlichen Zusammenlebens; sie zu verstehen erfordert keine physikalische Theorie, sondern Erfahrung mit Menschen. Genau hierin besteht die Grundidee des Askriptivismus, wie er von H. L. A. Hart zuerst konzipiert worden war und zu dessen Konzeption sich nun bei Anscombe die entscheidende Parallele findet, dass auch sie eine dialogische Struktur für den Handlungsbegriff herausarbeitet. Weil Gründe etwas sind, das Personen einander geben können, dienen sie nicht nur zur Erklärung vollzogener Handlungen, sondern auch als Argumente für oder gegen künftige Handlungen. Beratungen über künftiges Handeln bilden die paradigmatische Bewährungssituation für Gründe; dort sind sie intersubjektiven Maßstäben der Einsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit unterworfen. Welche Überzeugungen und Wünsche als Gründe gelten und zum Beispiel verständlich machen, warum Marie ein Fahrrad stiehlt, warum sich Saul vor George versteckt oder warum Bert durch den _____________ 54

Vgl. Davidson 1993; 2001 e. Kritisch zur Gleichsetzung von Kausalität und Begründbarkeit äußert sich Føllesdal 1979.

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Ärmelkanal schwimmt, hängt davon ab, welche Fakten in der Gemeinschaft, in der Marie, Saul und Bert leben, als Gründe anerkannt werden, das heißt vom Wertmaßstab, an dem sich Güte und Nützlichkeit in der Gemeinschaft von Marie, Saul und Bert bemessen. Wünsche, Überzeugungen, Gründe und Handlungen instantiieren nach Anscombe keine Kausalketten, sondern Relationen zwischen Menschen, die einander und sich selbst als handelnde Wesen verstehen, mithin als Wesen, die Wirklichkeit nicht nur beobachten und messen, sondern ihren Wünschen und Zwecken gemäß gestalten.

4.2 Sehen und Verstehen 4.2.1 Bedeutung sehen Die Anwendbarkeit von Warum-Fragen ist ein Kriterium für die Handlungsgeltung von Verhalten – so weit Anscombe. Nicht durch alle Arten von Warum-Fragen ist das Kriterium jedoch erfüllbar, sondern nur durch Warum-Fragen nach Gründen. Gründe wiederum sind Aussagen darüber, dass ein Verhalten gut oder nützlich ist in einer Hinsicht, die von den Akteuren zu spezifizieren ist. Dabei können sie keine beliebigen Auskünfte erteilen, sie können keine beliebigen Fakten durch ‚weil‘ oder ‚um zu‘ verknüpfen, um eine Begründung zu konstruieren, wie das Beispiel der Sonnenfinsternis zeigte. [↑4.1.1] Wie erläutert, ist der Maßstab dafür, welche Fakten als Begründung für ein bestimmtes Verhalten in Frage kommen, ein geteilter, sozialer Maßstab: Gründe sollen jemandes Verhalten für andere nachvollziehbar machen; sie sollen anderen erlauben zu verstehen, warum jemand etwas tut. Dieses Interesse am Nachvollzug dessen, was Akteure tun, kommt in Warum-Fragen nach Gründen zum Ausdruck. Wer nach Gründen fragt, hat bereits eine gewisse Vorstellung davon, welche Art von Antwort möglich oder einleuchtend wäre. Er muss gegenüber der Adressatin bestimmte Vorannahmen treffen, um seine Frage an sie zu richten bzw. um das darin ausgedrückte Interesse an ihrem Tun und Lassen zu rechtfertigen. Denn mit der Frage nach Gründen wird präsupponiert, dass die befragte Person Gründe haben kann und dass sie den Maßstab der Nachvollziehbarkeit kennt und teilt. Nur so ist zu erwarten, dass sie die WarumFrage mit einer Aussage beantwortet, die in der Tat hilft, ihr Verhalten zu

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verstehen und es deshalb als absichtliches Handeln zu erkennen. Die Anwendbarkeit der Warum-Frage – Anscombes Kriterium der Handlungsgeltung – hängt somit von Eigenschaften der Akteurin ab, an die sich eine solche Frage richtet. Sie muss in der Lage sein, Gründe zu haben. Das heißt sie muss den Zusammenhang zwischen ihren eigenen Überzeugungen und Wünschen und ihrem Verhalten beurteilen können. Das erfordert vor allem einzuschätzen, ob andere diesen Zusammenhang zwischen bestimmten Überzeugungen und Wünschen auf der einen Seite und einem bestimmten Verhalten auf der anderen Seite ebenfalls einsehen könnten oder ob ihnen die Verknüpfung willkürlich, beliebig oder schlicht dumm erscheinen wird. Warum-Fragen präsupponieren, dass die Befragten verstehen, was Gründe sind und welchem gemeinschaftlichen, geteilten Maßstab der Nachvollziehbarkeit ihr Verhalten unterliegt. Wenn jemand nicht versteht, dass die Auskunft ‚Es gibt in ein paar Monaten eine Sonnenfinsternis‘ nicht ohne Weiteres nachvollziehbar macht, weshalb er die Straßenseite wechselt, steht nicht nur die Handlungsgeltung seines Verhaltens in Frage, sondern seine Kompetenz als Akteur insgesamt. [↓5.3] Doch was berechtigt eigentlich zu der Annahme, dass Adressaten von Warum-Fragen normalerweise einschätzen können, was Güte und Nützlichkeit ausmacht und welche Fakten sie anderen als Gründe anbieten können? Wie kommen wir umgekehrt eigentlich zu der Gewissheit, dass andere Akteure Überzeugungen, Wünsche, Ziele und Absichten haben, wenn sie sich in einer bestimmten Weise verhalten? Um diese Frage zu beantworten, muss endlich der Begriff der Zuschreibung klarer gefasst werden. Ich versuche dies auf einem Umweg, indem ich zunächst den komplementären Begriff des Ausdrucks bestimme. Folgende These will ich im Folgenden erläutern: Das körperliche Verhalten von Personen drückt ihre Fähigkeit zum begründbaren Handeln ebenso aus wie manche ihrer Überzeugungen, Wünsche und Absichten. Deshalb können Zuschreibungen von Überzeugungen, Wünschen, Absichten und Fähigkeiten gerechtfertigt werden, indem man auf den Ausdruck eines körperlichen Verhaltens verweist. Wie sich jemand bewegt, welche Gesten und Mimik er zeigt, wie er spricht oder welche Körperhaltung er einnimmt, zeigt (vieles von dem), was er glaubt, wünscht und beabsichtigt. Zuschreibungen lassen sich daher als Explikationen des körperlichen Ausdrucks auffassen.

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Wie dargelegt, beginnt Intention mit einer Unterscheidung zwischen einfacher Absichtlichkeit und weiterführenden Absichten. Daraufhin wird der Ausdruck von Absichten von der Vorhersage künftiger Ereignisse abgegrenzt: „‚I am going to be sick‘ is usually a prediction; ‚I am going to take a walk‘ usually an expression of intention.“55 Da beide Beispiele dem Aussageschema ‚Ich werde a-en‘ [‚I am going to a‘] entsprechen, bietet diese Oberflächenstruktur noch keine hinreichende Grundlage für die Unterscheidung zwischen dem Ausdruck von Absichten und einer Vorhersage. Um zu erklären, weshalb wir ‚I am going to be sick‘ mit ziemlicher Selbstverständlichkeit als Vorhersage und nicht als Bekundung einer Absicht verstehen, nimmt Anscombe eine entscheidende Reformulierung ihrer Ausgangsfrage vor: I therefore turn to a new line of enquiry: how do we tell someone’s intentions? or: what kind of true statements about people’s intentions can we certainly make, and 56 how do we know that they are true?

Es geht nun nicht mehr darum, was Absichten sind, und auch nicht um die Bedeutung erstpersonaler Aussagen der Form ‚Ich werde a-en‘. Stattdessen fragt Anscombe, wie es möglich ist, Aussagen über die Absichten anderer Personen zu machen, und woran sich die Wahrheit solcher Aussagen bemisst. Eine Antwort wird sogleich erteilt: Well, if you want to say at least some true things about a man’s intentions, you will have a strong chance of success if you mention what he actually did or is doing. For whatever else he may intend, or whatever may be his intentions in doing what he does, the greater number of the things which you would say straight off a man did 57 or was doing, will be things he intends.

Die Sache scheint ganz einfach zu sein: Man sieht die Absichten von Personen, wenn man sich anschaut, was sie tun. Normale alltagssprachliche Aussagen der Form ‚A a-t‘ beschreiben in sehr vielen Fällen nicht – oder nicht nur – Körperbewegungen, die jemand ausführt, sondern Absichten, die er mit seinen Körperbewegungen realisiert. _____________ 55 56 57

Anscombe 1963 [1957], § 2, 1 f. Anscombe 1963 [1957], § 4, 7. Anscombe 1963 [1957], § 4, 7 f.

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Mit der Neuformulierung der Fragestellung schwenkt Anscombe auf die Perspektive der dritten Person und fragt noch einmal nach der Bedeutung von ‚Absicht‘ und ‚absichtlich‘: „[H]ow do we tell someone’s intentions?“58 Der Perspektivenwechsel ist nicht ohne Belang, denn er lässt erkennen, dass Anscombe Konzeptionen ablehnt, die Absichten als innere Angelegenheiten darstellen, die nur ihren Inhabern direkt oder gar irrtumsfrei zugänglich sind, Dritten hingegen höchstens mittelbar und dem Irrtumsrisiko ausgesetzt. Anscombe stellt fest, dass wir oft ohne Schwierigkeiten und mit relativer Treffsicherheit sehen, was andere denken, wünschen und beabsichtigen. Wir bräuchten dazu nur auf ihr körperliches Verhalten zu achten, auf ihre Bewegungen, Gesten, Mimik und Körperhaltung. Damit wird die Frage, wie körperliches Verhalten mit Wünschen, Überzeugungen und Absichten zusammenhängt, natürlich nicht überflüssig, doch Anscombe warnt vor den „Sackgassen“ psychologisierender Redeweisen, in denen man sich hier nicht verlieren dürfe, indem man etwa innere Antriebe oder mentale Sets postuliere.59 Anscombes Beispiele lassen erkennen, dass sie körperliches Verhalten für eine hinlängliche oder immerhin sehr weitreichende Grundlage hält, um Aussagen über die Absichten anderer Personen zu treffen. Wenn wir uns fragen, was eine Person gerade tut, würden wir häufig spontan und mühe_____________ 58 59

Anscombe 1963 [1957], § 4, 7 f. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 3, 5 f., Zitat 5. In dieser Passage dürfte sich neben der Ablehnung behavioristischer Reduktionismen (‚innere Antriebe‘) auch eine Kritik an Gilbert Ryles Konzeption des Mentalen verbergen. Ryle sieht mentale Begriffe wie ‚Wunsch‘ und ‚Überzeugung‘ als eigene begriffliche Kategorie und bestimmt sie als „the set of ways in which it is logically legitimate to operate with [a concept]“. Vgl. Ryle 2002 (1949), 8. Intention enthält nur zwei knappe Verweise auf Ryle, obwohl The Concept of Mind (1949) die Diskussionen der Philosophie des Geistes zu der Zeit, als Intention (1957) erschien, stark beeinflusste. Falls es stimmt, dass Anscombe mit beißender Kritik auf Ryles Werk reagiert hat, wäre dieser Umstand wenig erstaunlich (vgl. Tanney 2008). Gleichwohl ist die thematische Nähe beider Werke nicht zu leugnen. Ein wesentlicher Unterschied in Bezug auf den Absichtsbegriff ist jedoch offenkundig: Ryle hält ‚Absicht‘ für den Namen einer Verhaltensdisposition, abstrahiert aus bestimmten Prädikationen der Form ‚Ich werde a-en‘. Der Zusammenhang zwischen Verhalten und Absichten lasse sich in gesetzesartigen Aussagen beschreiben. Vgl. Ryle 2002 (1949), 89–93 und 110–113. Anscombe hingegen bestreitet, dass ‚Absicht‘ eine Eigenschaft benennt, weder dispositional noch manifest.

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los eine Beschreibung ihres Verhaltens wählen, unter der es absichtlich ist. Diese Wahl ist weder zufällig noch folgenlos, wie Anscombe anhand des folgenden Szenarios illustriert: I am sitting in a chair writing, and anyone grown to the age of reason in the same world would know this as soon as he saw me, and in general it would be his first account of what I was doing; if this were something he arrived at with difficulty, and what he knew straight off were precisely how I was affecting the acoustic properties of the room (to me a very recondite piece of information), then communica60 tion between us would be rather severely impaired.

Hier wird nicht nur die Selbstverständlichkeit hervorgehoben, mit der wir oft erkennen, welche Absichten andere verfolgen, sondern auch, dass wir ohne langes Nachdenken relevante und irrelevante Fakten gegeneinander gewichten. Mit seiner Beschreibung ‚A sitzt auf dem Stuhl und schreibt‘ gibt der Beobachter B nur einen kleinen Ausschnitt der bestehenden Fakten wieder. Genau dieser Ausschnitt ist aber relevant, damit Kommunikation und Interaktion mit A gelingen können. Es wäre merkwürdig, wenn B’s erste Beobachtung darin bestünde, dass A’s Füllfeder durch die Reibung auf dem Papier Schallwellen mit dieser Frequenz und jener Wellenlänge erzeugt. So exakt B’s Wissen dazu auch sein mag, es ist für die Gestaltung der gemeinsamen Situation normalerweise nicht von Belang. Hätte B zudem Mühe zu erfassen, dass A auf einem Stuhl sitzt und schreibt, dann wäre die Kommunikation zwischen A und B erheblich beeinträchtigt, meint Anscombe. Zumindest bedürfte es wohl umfänglicher Vorklärungen über Relevanzkriterien und Normalitätsstandards. Mit Strawson könnte man sagen: A und B müssten erst einmal herausfinden, inwieweit sie einander als Teilnehmer an einer gemeinsamen Situation betrachten und unmittelbar auf die Äußerungen des anderen reagieren können. Womöglich wäre es angemessener, den anderen zum Gegenstand eines treatment statt zum Partner einer Interaktion zu machen.61 Das würde die Suspension der partizipativen Einstellung und die Aufnahme der objektiven Einstellung bedeuten. [↑3.3.3] _____________ 60 61

Anscombe 1963 [1957], § 4, 8 (meine Hervorhebung). Vgl. Strawson 2003 [1962].

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Damit Menschen in Gemeinschaften zusammenleben können, müssen sie relativ rasch und relativ unstrittig zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden. In Anscombes Arbeitszimmer-Szenario verstehen beide Teilnehmer sofort, dass die relevanten Fakten darin bestehen, dass ein Mensch (kein Tier, kein lebloser Gegenstand …) auf einem Stuhl sitzt (nicht am Boden liegt, nicht an den Stuhl gefesselt ist …) und schreibt (nicht schläft, weint, telefoniert …). Irrelevant ist hingegen, welche Schallwellen A’s Füllfeder auf dem Papier auslöst. Es spielt für die Kommunikations- und Interaktionsoptionen von A und B keine Rolle. Nichts von dem, worüber beide an Ort und Stelle verfügen und entscheiden könnten, hängt von diesen Schallwellen ab. Weil sich diese Relevanzgewichtungen für A und für B von selbst verstehen, können sie in ihrer gemeinsamen Situation kommunizieren statt über sie. Sie brauchen nicht erst herauszufinden, wie der andere die gegebene Faktenkonstellation wahrnimmt, welche Reaktionen von ihm zu erwarten sind und wie man sich selbst am besten darauf einstellt.62 Anscombe eröffnet das Arbeitszimmer-Szenario mit der Auskunft „I am sitting in a chair and writing“. Darauf erklärt sie, ein eintretender Beobachter würde genau diese Fakten als erste angeben oder nennen – „it would be his first account of what I was doing“. Darin liegt ein Hinweis auf die Rolle gemeinsamer Begriffe, einer gemeinsamen Sprache: Als Akteure einer Gemeinschaft wissen A und B, dass viele Aussagen der Form ‚A a-t‘ bei normaler Verwendung implizieren, dass A absichtlich a-t. Wenn Akteurin und Beobachter „in derselben Welt“ zu Sprache und Vernunft gelangt sind, dann wissen sie, dass die Beschreibung ‚A sitzt auf einem Stuhl und _____________ 62

Zur ‚Gegebenheit‘ von Relevanz vgl. Dreyfus 2005, 49 f. Dreyfus beschreibt Relevanz als Merkmal von Fakten oder Situationen, wie wir sie wahrnehmen. Es sei daher unnötig (und wäre wegen des enormen kognitiven Aufwandes für Menschen unmöglich), dass wir alle Fakten in einem ersten, ‚rein perzeptiven‘ Schritt wahrnehmen, um in einem zweiten, evaluativen Schritt ihre Relevanz und Gewichtung gegeneinander abzuwägen. Was wichtig ist und was nicht, liegt für uns in sehr vielen Situationen sofort offen zu Tage. – Anzumerken bleibt, dass geteilte Relevanzkriterien nicht notwendig einhellige Bewertungen aller Teilnehmer einer Situation mit sich bringen. Wir können einig sein, welche Art von Situation vorliegt, und uneinig darüber, welche Fakten in dieser Situation gut sind oder nützlich. Diese Art von Dissens setzt jedoch eine gewisse Einigkeit in der Wahrnehmung der Situation voraus, sonst ließe sich nicht einmal feststellen, worüber wir uneins sind.

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schreibt‘ normalerweise bedeutet, dass A absichtlich auf dem Stuhl sitzt und absichtlich schreibt. Nur unter außergewöhnlichen Umständen beschreibt eine solche Aussage ein Verhalten, das nicht absichtlich ist.63 An anderer Stelle nennt Anscombe ‚telefonieren‘ und ‚grüßen‘ als Verben, in die Absichtlichkeit gleichsam eingebaut ist. In normalen Kontexten stellt sich nicht die Frage, ob jemand absichtlich telefoniert oder absichtlich grüßt.64 Ähnliches hatte H. L. A. Hart festgestellt und den Handlungsbegriff deshalb über die Möglichkeit der Anfechtung bestimmt, also über solche Bedingungen, unter denen der Normalfall nicht besteht. [↑3.1.2] Laut Anscombe kann man die Absichten anderer Personen sehen, wenn man ihr körperliches Verhalten wahrnimmt. Allerdings versteht sie Handlungsbeschreibungen nicht als alternative Beschreibungen von ohnehin stattfindenden physikalischen Ereignissen, sondern als Explikationen der Bedeutung, die das Verhalten einer Person in einer Situation hat. Diese Bedeutung – beispielsweise die Absicht, mit der jemand seinen Arm hebt – kann daher nicht in derselben Weise zu sehen sein wie der erhobene Arm selbst. Die Vorstellung, dass mit der Bedeutung gleichsam etwas zum bloßen Verhalten hinzutritt, scheint unabweisbar, zumindest gibt es doch wohl einen Unterschied zwischen beiden Sichtweisen oder Hinsichten? Sicherlich heißt ‚die Bedeutung einer Bewegung sehen‘ doch etwas anderes als ‚eine Bewegung sehen‘?65 Die Analogie zum Lesen von Schriftzeichen drängt sich hier auf: Einen Text zu lesen, ist etwas anderes, als grafische Zeichen zu sehen. Wer das griechische Alphabet nicht kennt, wird ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος als detailreiche Grafik aus Bögen, Strichen und Häkchen sehen, aber nicht bemerken, dass diese Grafik lesbar ist. Sie hat eine Bedeutung, die sich über die Semantik einer Sprache erschließen lässt. Wer dagegen die griechische Sprache beherrscht, der versteht die Bedeutung der Zeichen sofort; er weiß unmittelbar um die Bedeutung der Striche und Punkte – er liest sie. Ganz ähnlich sind Handlungen lesbare Phänomene: Wenn man um die Semantik des menschlichen Verhaltens weiß, sieht man nicht nur einen erhobenen Arm, sondern ein Signal, eine Wortmeldung, ein Auktionsgebot … Körper_____________ 63 64 65

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 47, 84–86. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 47, 84 f. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [1953], §§ 420 f.

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liches Verhalten, das in dieser Weise lesbar ist, drückt etwas aus, wie die Schriftzeichen einer Sprache etwas ausdrücken. John McDowell betont die Wichtigkeit des Konzepts des ‚Menschen‘ in diesem Zusammenhang. Die Behauptung, dass Bewegungen einer Semantik unterliegen und vor dem Hintergrund dieser Semantik lesbar sind, setzt voraus, dass von Menschenkörpern und den Menschenbewegungen die Rede ist, denn mit dem Begriff des Menschen sei schon impliziert, dass es die behavioristische Auffassung, man könne bloßes Verhalten sehen und diesem psychologische Beschreibungen gleichsam anheften, falsch sei. Dass Körperbewegungen eine Bedeutung haben, die in physikalischen Termini nicht erfassbar ist, erscheine nur sonderbar, wenn man darauf bestehe, Menschen als materielle Objekte – Wittgenstein spricht von Automaten – anzusehen, statt wie wir es natürlicherweise tun „as a seamless whole of whose unity [of bodily and psychological properties] we ought not to have allowed ourselves to lose sight in the first place“.66 Nur wenn man die Einheit, die mit dem Begriff des Menschen oder, vielleicht noch stärker, mit dem Begriff der Person erfasst wird, in einen körperlich-physikalischen Anteil und einen psychologischen Anteil aufspaltet, kann die Frage aufkommen, wie wir von der Wahrnehmung eines bloßen Verhaltens dahin gelangen, die Bedeutung des Verhaltens zu verstehen und beispielsweise zu begreifen, dass da jemand mit Absicht ein Brett zersägt, seinen Bruder ärgert oder durch den Ärmelkanal schwimmt. Normalerweise gelangen wir nicht zu solchen Erkenntnissen. Wir schließen nicht auf die Bedeutung von Körperbewegungen. Wenn wir das Verhalten von Menschen, von Personen sehen, erfassen wir unmittelbar, welche Absichten sie haben oder welche Stimmungen, Gefühle oder Haltungen sich in ihrem Verhalten ausdrücken. Handlungen sind – wie Stimmungen, Gefühle und Haltungen – wirklich da. Wir können uns mit ihnen wie mit materiellen Objekten wirklich auseinandersetzen.67 Anscombes Intention ist vor allem für die These prominent geworden, dass absichtliches Handeln keine eigene Art von Ereignissen darstellt, sondern eine Weise, menschliches Verhalten zu beschreiben. Daneben muss meines Erachtens unbedingt die zweite, ebenso zentrale These stehen, dass _____________ 66 67

McDowell 1998, 384; Wittgenstein 1984 [1953], § 420. Vgl. McDowell 1998 [1982], 382 und 390 f.

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man die Absichten von Personen sehen kann, wenn man auf ihr körperliches Verhalten achtet. Erst aus beiden Thesen gemeinsam ergibt sich eine Handlungskonzeption, die es mit kausalistischen Ansätzen aufnehmen kann: Das körperliche Verhalten von Personen lässt sich auf eine Weise beschreiben, mit der man seine Bedeutung erfasst, nicht seine physikalischen Eigenschaften oder seine Kausalgeschichte – nämlich als absichtliches Handeln. Diese Art der Beschreibung ist möglich, weil körperliches Verhalten einer Semantik unterliegt, nach der es als absichtliches Handeln zu verstehen ist. Unter ‚Semantik‘ fasse ich hier Regeln und Regelmäßigkeiten des menschlichen Verhaltens im Allgemeinen, von Vollzügen absichtlicher Handlungen im Besonderen. Zwei Beispiele mögen vorerst zur Veranschaulichung genügen: (1) Wenn man in einer Gemeinschaft grüßt, indem man einander die rechte Hand reicht, dann erhält die Bewegung einer Person, die einer anderen ihre rechte Hand entgegenstreckt, eine bestimmte Bedeutung: Sie will sie begrüßen. Versteht der andere die Bedeutung der Bewegung, dann weiß er genau dies – er wird begrüßt; damit weiß er auch, welche Reaktion von ihm erwartet wird. Er kann sich entscheiden, diese Erwartung zu erfüllen, indem er seinerseits die rechte Hand ausstreckt und einschlägt, oder sie zu durchkreuzen, indem er die Hände in den Hosentaschen behält. (2) Wenn eine Person an der Supermarktkasse mit raschen Bewegungen in ihrer Tasche kramt, sich nach den Wartenden hinter sich umschaut, lächelnd die Schultern zuckt und dann weiter in der Tasche kramt, dann sehen die Umstehenden, dass jemand an der Kasse steht und in seiner Tasche wühlt. Sie verstehen, indem sie dies sehen, dass die Person an der Kasse ihr Portemonnaie sucht und allmählich nervös wird, weil die Wahrscheinlichkeit, es zu finden, immer geringer wird. Sie können sehen, dass es der suchenden Person peinlich ist, den Verkehr an der Kasse aufzuhalten, und vielleicht auch, dass sie unschlüssig ist, ob sie den Einkauf einfach stehen lassen soll. All diese Fakten machen die Bedeutung des Verhaltens aus. Sie könnten durch keine Feststellung physikalischer Größen und Kausalverhältnisse zutage kommen. Es ist vielmehr durch die Semantik körperlichen Verhaltens erklärbar, dass die Bewegungen und Regungen dieser Person in dieser Situation gerade diese Bedeutung haben. Wenn Menschen etwas brauchen, dann schauen sie an dem Ort nach, wo es sich üblicherweise befindet. Ist der Gegenstand dort nicht zu finden, vermuten

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sie, dass sie nicht richtig hingeschaut haben, und wiederholen dieselbe Suche ein paar Mal. Bleibt der Gegenstand verschwunden, schütteln sie den Kopf, ziehen die Stirn in Falten, blicken öfter auf die Umstehenden als in ihre Tasche… Das bedeutet: Sie sind ratlos, sie können sich nicht erklären, wo der Gegenstand abgeblieben ist. Weil sie unterdessen andere aufhalten, befürchten sie deren Ungeduld und Missbilligung. Das sieht man daran, dass sie die Schultern hochziehen, lächeln und murmeln ‚Tut mir wirklich leid…‘. Es sind unzählige mehr oder minder ähnliche Szenarien denkbar, in denen eine Person etwas sucht und nicht finden kann und dem Unmut anderer Menschen durch demonstrative Reue zuvorkommt. Es gibt in solchen Fällen aber einige typische Verhaltensweisen, die Beschreibungen wie ‚A sucht etwas und kann es nicht finden‘; ‚A ist ratlos‘ oder ‚A gibt sich schuldbewusst‘ nahelegen. Ludwig Wittgenstein würde sie als Kriterien ansehen, denn sie sind weder notwendige noch hinreichende Bedingungen für die Wahrheit der genannten Zuschreibungen. Wer eine Sprache lernt, der lernt nicht zuerst die Kriterien für die richtige Verwendung der Vokabeln ‚..sucht etwas‘ oder ‚..ist ratlos‘ und beginnt dann in einem zweiten Schritt das Gelernte auf reale Vorkommnisse anzuwenden, welche die gelernten Anwendungsbedingungen der jeweiligen Vokabel erfüllen. Vielmehr lernt er die Bedeutung von ‚ratlos‘ oder ‚schuldbewusst‘, indem er an Situationen teilnimmt, in denen sie von anderen verwendet werden. In diesen Situationen wird ihm das Verhalten irgendeiner Person als eines präsentiert, das Ratlosigkeit oder Schuldbewusstsein ausdrückt. Die entsprechenden Adjektive zu verstehen und das Verhalten zu verstehen, das sie beschreiben, ist daher eines.68 Handlungszuschreibungen wie ‚A sucht ihr Portemonnaie‘ machen explizit, was A’s Verhalten in einer gegebenen Situation bedeutet oder was in dieser Situation darin zum Ausdruck kommt. Man kann begründen, dass man A’s Verhalten als Suche nach dem Portemonnaie versteht, weil das Suchen von Gegenständen in sehr vielen Fällen in solchen Bewegungen besteht, wie A sie gerade ausführt, und weil es an einer Supermarktkasse sinnfällig ist, dass jemand sein Portemonnaie sucht. So wie Wörter und Sätze einer Sprache eine Bedeutung haben, die von Kontext zu Kontext _____________ 68

Vgl. Taylor 1971, 12–16.

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variieren kann, aber nicht beliebig veränderlich ist, so haben viele Konstellationen von Bewegungen, Gesten, Mimik und sprachlichen Äußerungen eine kontextabhängige, aber nicht-beliebige Bedeutung. Tritt eine solche Konstellation in einem passenden Kontext auf, dann ist sie als eine bestimmte Handlung zu sehen oder einfach: Dann ist eine bestimmte Handlung zu sehen. Charles Taylor nennt diese Bedeutung von Verhalten ‚Erfahrungsbedeutung‘ [experiental meaning] und erklärt, inwiefern es sich um eine eigenständige Art von Bedeutung handelt: Meaning in this sense […] thus is for a subject, of something, in a field. This distinguishes it from linguistic meaning which has a four and not three-dimensional structure. Linguistic meaning is for subjects and in a field, but it is the meaning of signifiers and it is about a world of referents. Onces we are clear about the likenesses and differences, there should be little doubt that the term ‚meaning‘ is not a misnomer, the product of an illegitimate extension into this context of experience 69 and behavior.

Worin besteht nun die Semantik von Körperbewegungen, die ihre Bedeutung konstituiert? Woher wissen wir, was die Bewegungen anderer bedeuten? Wie kommt es, dass wir ihr körperliches Verhalten als Handeln verstehen? Diese Fragen richten sich zum einen auf Lesbarkeit als Eigenschaft von Verhalten, zum anderen auf Lesefähigkeit als Technik oder Talent, wodurch Personen in der Lage sind, das Verhalten anderer zu verstehen. Um letzteres, die Lesefähigkeit, wird es im fünften Kapitel bei der Auseinandersetzung mit A. I. Melden ausführlich gehen. Zunächst versuche ich zu klären, wie das körperliche Verhalten von Personen zu einer Bedeutung kommt, die sich nicht in seinen physikalischen Qualitäten erschöpft.

_____________ 69

Taylor 1971, 12. Vgl. auch Taylor 1986, 194 f.: „Der Ausdruck ‚Bedeutung‘ ist hier wesentlich, doch vielleicht irreführend. Er wird nicht als Term der Linguistik verwendet, also nicht zur Bezeichnung einer Bedeutung, die in irgendeiner Weise an einen Träger gebunden ist (wie man von der ‚Bedeutung‘ einer musikalischen Passage oder eines Bildes sprechen mag). Der Ausdruck bezieht sich eher – wie sein Gebrauch in der Alltagssprache nahelegt – auf die Tatsache, dass Ausschnitte der Welt für uns nicht gleichgültig sind.“

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KAPITEL 4

4.2.2 Lebensbedingungen Im dritten Kapitel habe ich H. L. A. Harts Konzeption der Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen dargelegt. Nach Harts Auffassung sind Aussagen der Form ‚A a-t‘ Zuschreibungen absichtlicher Handlungen, die bestimmte praktische Folgen – zum Beispiel Verantwortungszuschreibungen – mit sich bringen, falls diese nicht durch Entschuldigungen oder Verteidigungen entkräftet werden können. Ohne eine solche Anfechtung gilt das mit ‚A a-t‘ beschriebene Verhalten als absichtliches Handeln. Handlungsgeltung wird damit als Normalfall präsentiert, der weder begründet werden kann noch muss. Es gehört einfach zur ‚Werkseinstellung‘ von Menschen, dass sie das Verhalten anderer Menschen für absichtlich halten, solange nichts dagegenspricht. Begründungsbedürftig sind nur die Ausnahmefälle, in denen Handlungsgeltung reduziert oder abgesprochen wird. Nach Harts Konzeption kann man also gar nicht für die Handlungsgeltung eines Verhaltens argumentieren, sondern höchstens dagegen. Mit Anscombes Hinweis, dass wir die Absichten anderer durch schlichtes Hinschauen erkennen können, zeichnet sich jedoch ein Weg ab, wie man auch für Handlungsgeltung argumentieren könnte. Dadurch wird Harts Beobachtung, dass Handlungsgeltung in vielen Situationen der Normalfall ist, nicht hinfällig. Sie braucht aber nicht unbegründet hingenommen zu werden, denn Anscombe bietet eine Erklärung an, warum Handlungsgeltung sich so häufig von selbst versteht. Mit der Feststellung „the greater number of the things which you would say straight off a man did or was doing, will be things he intends“70 verweist Anscombe auf die Semantik des körperlichen Verhaltens und auf unsere entsprechende Lesefähigkeit. Anscombe spricht von ‚Ausdruck‘ [expression] einzig im Zusammenhang mit Absichtsbekundungen in der ersten Person Singular: ‚Ich a-e‘ und ‚Ich will / werde a-en‘. Instantiierungen dieser Formate hält sie für eine Weise, eigene Absichten sprachlich auszudrücken. Weil Ausdruck aber nicht sprachlich zu sein braucht, scheint ein weiterer Begriff angebracht. Darum ist mit ‚Ausdruck‘ im Folgenden stets körperlicher Ausdruck gemeint, der sprachliche Äußerungen einschließt, aber nicht auf diese beschränkt ist. Der Begriff des Ausdrucks soll große Bewegungen der Arme _____________ 70

Anscombe 1963 [1957], § 4, 7 f.

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und Beine als Exprimantia ebenso erfassen wie kleine Gesten oder Mienenspiel. Des Weiteren drücken Stimmen durch Tonfall, Lautstärke und Sprechtempo etwas aus, das nicht auf die Bedeutung geäußerter Wörter reduzierbar ist. Die Grenze zwischen sprachlichem und außersprachlichem Ausdruck ist fließend. Ob der Ausruf ‚Wie schön, dass du anrufst!‘ eher Überraschung oder Vorwurf ausdrückt, eher beherrschte Gereiztheit oder Erleichterung, hängt von den Eigenschaften der Stimme ab, nicht von den Wörtern. Schließlich kann auch die Körperhaltung einer Person Ausdruckskraft besitzen, ohne dass irgendeine Bewegung stattfindet. Mit der Sammelbezeichnung ‚körperliches Verhalten‘ beziehe ich mich auf die gesamte Konstellation von Bewegungen, Haltung, Gestik, Mimik und Stimme, die eine Person in einer bestimmten Situation (oder einer Folge von Situationen) präsentiert; ‚Ausdruck‘ meint den Ausdruck solcher Konstellationen. Dass dieser weite Ausdrucksbegriff Anscombes Anliegen entspricht, verdeutlicht die oben zitierte Passage: Die Person im Arbeitszimmer braucht nicht zu sagen, dass sie am Tisch sitzt und schreibt. Der Beobachter sieht es an den Bewegungen, die sie mit dem Füller auf dem Papier vollzieht, an ihrem Blick auf das Papier, an der senkrechten Falte auf der Stirn, an der Spannung in den Schultern, kurz: an der gesamten körperlichen Erscheinung. Wie dargelegt, bestreitet Anscombe, dass sich im Inneren von Personen eine private Wirklichkeit ereignet. Dass wir von uns selbst vieles wissen, das Dritte nicht ohne Weiteres sehen können, leugnet sie damit nicht, doch zeigt dies ihrer Auffassung nach lediglich, dass wir das Wissen über uns selbst auf andere Weise erlangen als Wissen über Dritte. Daraus folgt nicht, dass wir über uns selbst grundsätzlich größeres oder besseres, weniger fehleranfälliges Wissen haben als über Dritte. So können wir zwar eigene Absichten bekunden, ohne sie erst an unserem Verhalten ablesen zu müssen, doch das heißt nicht, dass Bekundungen eigener Absichten nicht falsch sein können [↑4.1.3] oder dass Dritte unsere Absichten nicht (auf andere Weise) mit ebenso großer Gewissheit erkennen können. Der Gegenstand ihres und unseres eigenen Wissens ist derselbe, einzig die Zugangsweise ist verschieden: Uns selbst sind unsere Absichten und Gründe unmittelbar bewusst; Dritte sind auf die Ausdrucksqualitäten unseres Verhaltens angewiesen, um sie zu erkennen. Deshalb ist auch die Art des Irrtums, die jeweils

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KAPITEL 4

vorkommen kann, eine andere, und deshalb ist eine andere Art von Korrektur erforderlich.71 Konsequenterweise hält Anscombe körperliches Verhalten nicht für ein Mittel, um etwas Innerliches nach außen zu kehren, aus der privaten Welt in die öffentliche. Wieder ist zu beachten, dass sie der mentalen Sprache nicht die Bedeutung abspricht; Anscombe glaubt keineswegs, dass die Rede von Wünschen, Überzeugungen und Gründen sinnlos ist, sonst würde sie kaum eine Untersuchung zum Begriff der Absicht vorlegen. Mit Intention unternimmt sie gerade einen Versuch, die Bedeutung und die Relevanz solcher Begrifflichkeiten zu zeigen, ohne auf die erwähnten Abwege reduktionistischer Mentalitätskonzepte zu geraten. Deshalb bemüht sie sich unter anderem zu zeigen, was die Ausdrücke ‚Absicht‘, ‚Grund‘ und ‚Handeln‘ nicht bedeuten. Obwohl Absichten also keine Gegenstände im verborgenen Inneren von Personen sein sollen, stellen sie nach meiner Interpretation Relata einer Ausdrucksrelation dar: Das körperliche Verhalten von Personen drückt ihre Absichten aus. Es macht öffentlich sichtbar, was Personen glauben, wünschen und (tun) wollen. Doch wie kann eine Ausdrucksrelation zwischen Verhalten und Absichten bestehen, wenn Absichten gar nicht innen zu finden sind und daher auch nicht nach außen gewendet werden können? Um diese Spannung zwischen Anscombes Thesen und meiner Interpretation aufzulösen, ist eine umfassendere Beschreibung der Ausdrucksrelation nötig. Ich stütze mich dazu auf eine Konzeption, die Theodore Schatzki zur Erläuterung von Wittgensteins (Bemerkungen zum) Begriff des Geistes entwickelt. Es ist kein Zufall, dass sich diese Konzeption des Ausdrucks auch für die Interpretation von Intention anwenden lässt, vielmehr tritt auf diese Weise noch deutlicher hervor, wie weitgehend Anscombe mit Wittgenstein einig ist.72 Schatzki interessiert sich nicht nur für die Erkennbarkeit der Absichten Dritter, sondern allgemeiner für die Möglichkeit zu wissen, was andere _____________ 71 72

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 32, 56 f. Schatzki schickt voraus, dass er nicht auf eine systematische Rekonstruktion von Wittgensteins Philosophie abzielt, sondern auf eine Klärung des Verhältnisses von ‚Körper(lichkeit)‘ [body] und ‚Geist‘ [mind], so dass er sich von Wittgensteins Ausführungen teils distanziert, teils darüber hinausgeht. Vgl. Schatzki 1993, 288.

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denken, fühlen, glauben, wissen oder beabsichtigen. Ich nenne solche Fakten über Personen ‚mentale Fakten‘ und meine damit Fakten, die Gefühle, Stimmungen, Gedanken, Überzeugungen und sonstige epistemische und emotive Einstellungen konstituieren. ‚A weiß, dass heute Dienstag ist‘, ‚A freut sich auf einen Ausflug‘, ‚A hat Zahnschmerzen‘ und ‚A hat Angst vorm Zahnarzt‘ sind Beispiele für mentale Fakten. Diese Beispiele sind nur eine erste Annäherung an eine Bestimmung des Mentalen, aber genügen vielleicht, um zu verdeutlichen, dass wir über andere Personen vieles wissen können, das sich nicht durch physikalische oder medizinische Tests herausfinden lässt. Gegenbeispiele sind etwa die Fakten, dass jemand 1,80 m groß ist, männlich, blond und 40 Jahre alt – ein physiologischer Steckbrief, aus dem aber nicht hervorgeht, wie er als Person ist. Schatzkis Leitfrage ist nun, was uns bei der Begegnung mit anderen die Gewissheit gibt, dass sie diese Wünsche und jene Überzeugungen haben, dass sie traurig oder froh sind, wütend oder erleichtert, dass sie Zahnschmerzen haben oder Bauchweh. Solche mentalen Fakten, so Schatzki, drücken sich im körperlichen Verhalten aus. Was Anscombe in Bezug auf Handlungsabsichten feststellt, erweitert Schatzki auf Gefühle, Empfindungen, Gedanken und Überzeugungen im Allgemeinen: Wenn wir uns Menschen ansehen, erkennen wir an Bewegungen, Gesten, Mimik usw., wie es ihnen geht.73 Konstellationen von mentalen Fakten wie die, dass jemand p wünscht und glaubt, wenn er a tut, wird p eintreten, nennt Schatzki ‚Lebensbedingungen‘ [conditions of life]. Damit umgeht er die Rede von mentalen Zuständen oder mentalen Ereignissen mit ihren problematischen Konnotationen. Lebensbedingungen sind die Art von Bedingungen, die man als Antwort auf die Fragen ‚Wie geht es dir?‘ oder ‚Was liegt für dich an?‘ benennen könnte, oder auch als Antwort auf die Frage ‚Wie ist A, als Person?‘ Bei Lebensbedingungen steht der Wortteil ‚Bedingungen‘ nicht für Prämissen eines logischen Schlusses, aus dem als Konklusion ein mentaler Fakt folgt. ‚Bedingung‘ steht eher im Sinne der conditio einer Person und bezeichnet ihre Gesamtverfassung, ihr Ergehen oder Befinden: A condition of life is an aspect of the state of being of someone’s life, which I conceptualize as an aspect of how things stand and are going for the person in ques-

_____________ 73

Vgl. Schatzki 1993, 298 f.

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KAPITEL 4

tion. In analyzing mental phenomena as conditions of life, consequently, I am not 74 claiming that they are indispensable for life.

Neben ‚Lebensbedingungen‘ verwende ich weiterhin den Ausdruck ‚mentale Fakten‘, um mich auf einzelne Aussagen der Form ‚A a-t‘ zu beziehen wie zum Beispiel ‚Clara will Trompete spielen‘ oder ‚Theo ist nervös‘. Als Lebensbedingungen betrachte ich hingegen Konstellationen solcher Fakten, die sich auch über sehr lange Zeiträume erstrecken können und häufig mehr als einen Satz erfordern, um sie explizit zu machen. Ganz präzis lassen sich beide Begriffe nicht voneinander abgrenzen, aber die Unterscheidung ist notwendig, weil Lebensbedingungen auch durch nicht-mentale Fakten konstituiert werden. Solche Fakten können beispielsweise die Umgebung betreffen, in der sich eine Person aufhält, oder andere Menschen, zu denen sie in bestimmen Relationen steht. Dass Clara so fröhlich ist, liegt zum Beispiel daran, dass die Sonne nach tagelangem Regen wieder scheint – kein mentaler Fakt, aber wichtig, um zu verstehen, wie es Clara geht. Durch die Differenzierung zwischen mentalen Fakten und Lebensbedingungen lässt sich die Bandbreite der Exprimanda körperlichen Verhaltens genauer fassen, und es wird der Eindruck vermieden, im Verhalten einer Person kämen sämtliche ihrer Wünsche, Überzeugungen, Absichten, Gefühle, Stimmungen usw. zugleich zum Ausdruck. Mentale Fakten schließen Gedanken, Gefühle, Absichten und Stimmungen ein, Wünsche und Überzeugungen, Lebenspläne und Selbstkonzepte von Personen. Diese Bestimmung ist nicht sehr präzis, braucht an dieser Stelle aber nicht genauer umgrenzt zu werden, weil sich gleich herausstellen wird, dass Mentalität ohnehin nicht klar von der physischen Existenz einer Person zu trennen ist. Grob könnte man den Bereich des Physischen bzw. Physiologischen dadurch kennzeichnen, dass Veränderungen hier _____________ 74

Schatzki 1993, 286. Vgl. auch Schatzki 1996, 22 und 30 f. In seiner Auseinandersetzung mit Merleau-Ponty kommt Charles Taylor zu einem ähnlichen Verständnis davon, was es heißt, jemanden als Person zu beschreiben: „Wenn wir also beschreiben wollen, wie es mit mir steht, dann müssen wir unter anderem erwähnen, wie ich mich einer bestimmten Person verbunden fühle, oder wie ich mich eines Ereignisses oder eines Charakterzuges schäme, oder wie ich nach Ehre strebe usw. Man kann meine Zustände nicht beschreiben, ohne diese Weltausschnitte und deren Sinn für mich zu erwähnen.“ Taylor 1986, 195.

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durch physikalische oder physiologische Kausalzusammenhänge erklärbar sind, die unabhängig von Normen, Regeln und Traditionen einer Gemeinschaft wirken. Mit der Ablehnung von Ereignis- und Zustandskonzeptionen des Mentalen schließt sich Schatzki Wittgenstein an, der beides für ein Resultat irriger Ausgangsannahmen hält. Gefühle und Absichten als Zustände anzusehen sei, so Schatzki, weder zwingend noch plausibel. Im alltäglichen Umgang miteinander seien wir mit Personen in der Weise konfrontiert, dass wir ihre körperliche Präsenz wahrnehmen, ihre Position im Raum, Gesichter, Stimmen usw. Um zu erklären, was es heißt, dass jemand bestimmte Überzeugungen, Gefühle oder Absichten hat, sollten wir von diesen leibhaftigen Konfrontationen ausgehen und fragen, wie beispielsweise unsere Gewissheit, dass jemand ratlos und beschämt ist, mit der Tatsache zusammenhängt, dass er an einer Supermarktkasse steht, in einer Tasche kramt, lächelt, die Schultern zuckt… Oder die Gewissheit, dass jemand Schmerzen hat, mit der Art und Weise, wie er sich nach einem Fahrradsturz erhebt. Oder die Gewissheit, dass jemand wütend ist, mit der Tatsache, dass er mit der Faust auf den Tisch schlägt und sich seine Stimme überschlägt. Um zu erklären, wie äußerlich erkennbare Fakten Wissen über die Gedanken und Gefühle einer Person vermitteln können, ist nach Schatzkis Auffassung die Annahme, dass im Inneren von Personen bestimmte Zustände herrschen oder Ereignisse stattfinden, überflüssig. Schatzki plädiert stattdessen dafür, ‚Schmerz‘, ‚Vorfreude‘ oder ‚Wut‘ als Bezeichnungen für Konstellationen bestimmter Fakten über Personen zu verstehen.75 Mit anderen Worten: Schmerz, Freude oder Wut werden durch Fakten über Personen konstituiert, die zu einer bestimmten Zeit bestehen. Das hat zur Folge, dass man auf konkrete Situationen Bezug nehmen muss, um zu erklären, worin der Schmerz, die Freude oder die Wut einer Person diesmal bestehen. An Stelle einer allgemeinen, für alle Situationen gültigen Definition von Schmerz, Freude oder Wut müssen wir Fakten benennen, die dieses Vorkommnis von Schmerz, Freude bzw. Wut konstituieren, so dass wir sagen können ‚A hat Schmerzen‘, ‚A freut sich‘ oder ‚A ist wütend‘. Zum Deskriptum der ersten Aussage könnte gehören, dass A mit dem Fahrrad gestürzt ist und ein aufgeschlagenes Knie hat, oder dass A’s Wange ge_____________ 75

Vgl. Schatzki 1993, 286 f.

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KAPITEL 4

schwollen ist und dass sie im Wartezimmer eines Zahnarztes sitzt, oder dass A sagt ‚Ich habe schon wieder Kopfschmerzen‘. So umgangssprachlich die Bestimmung von Lebensbedingungen als das, was gerade anliegt und wie die Dinge stehen, ist, so alltäglich fallen Antworten auf die Frage, wie es jemandem geht, in der Tat oft aus: ‚Ich freue mich schon aufs Wochenende‘; ‚Ich muss morgen zum Zahnarzt, das macht mir Angst‘; ‚Ich bin müde, Nachbars Hund hat die ganze Nacht gebellt‘; ‚Ich bin in Eile, ich rufe dich später an‘. Ein großer Teil des normalen Lebens (in bestimmten Gemeinschaften) ist durch Bedingungen dieser Art geprägt. Die Formulierung „[a] condition of life is an aspect of the state of being“ in der zuletzt zitierten Passage könnte insofern verwirren, als Schatzki doch eigentlich nicht von mentalen Zuständen sprechen wollte. Allerdings ist zu beachten, dass er Lebensbedingungen als einen Aspekt des Zustandes eines Lebens beschreibt. Er bestreitet nicht, dass es in manchen Kontexten sinnvoll ist zu sagen, jemand befinde sich in einem bestimmten Zustand. Wichtig ist, dass der Träger des Zustandes ein ganzer Mensch ist, nicht sein Gehirn, sein Geist oder sein Inneres. Der Ausdruck ‚Zustand‘ ist hier nichts weiter als eine Zusammenfassung von Fakten über eine Person, aus der hervorgeht, wie es ihr geht und was für sie gerade anliegt. Über Kausalverhältnisse zwischen diesem Zustand – dieser Verfassung, diesen Lebensbedingungen – und den Handlungen der Person ist dabei nichts impliziert. Wenn man nun die Ansätze von Schatzki und Anscombe kombiniert, dann kann man die je eigenen Lebensbedingungen von Personen zu den Gegenständen des Wissens ohne Beobachtung zählen. Man stellt beispielsweise nicht durch Beobachtung und Messung fest, dass man traurig oder fröhlich ist, dass man es eilig hat, sich aufs Wochenende freut oder sich vom Gebell des Nachbarhundes gestört fühlt. Man weiß dies unmittelbar, weil es sich um Lebensbedingungen handelt, die man selbst erlebt, und insofern man sie in allgemeine Begriffe fassen und mitteilen kann. Ausdrücke wie ‚traurig‘, ‚fröhlich‘, ‚eilig‘, ‚sich freuen‘ oder ‚gestört fühlen‘ zu verstehen bedeutet zugleich auch zu wissen, ob man selbst traurig ist oder fröhlich, es eilig hat oder sich auf etwas freut usw.76 _____________ 76

Es gibt Ungewissheit in Bezug auf die eigene Verfassung. Manchmal kann man

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Im Gegensatz dazu kennen wir den eigenen Blutdruck oder das eigene Körpergewicht nicht ohne Beobachtung. Um von sich selbst zu sagen, ‚Mein Blutdruck beträgt 120 / 80 mmHg‘ ist es nicht einmal notwendig, dass man die Bedeutung aller Redeteile versteht. Man braucht nicht zu wissen, wofür ‚mmHg‘ steht und worauf sich die numerischen Werte beziehen. Es genügt, wenn man die Werte richtig vom Messgerät abliest, um die Frage nach dem eigenen Blutdruck zu beantworten. Im Gegensatz dazu können Aussagen wie ‚Ich habe es eilig‘ oder ‚Du machst mich nervös‘ nur von jemandem getroffen werden, der die verwendeten Redeteile selbst versteht. Man kann die Frage ‚Wie geht es dir?‘ nicht mit dem Hinweis beantworten, man sei nervös oder in Eile, wenn man selbst nicht versteht, was die Ausdrücke ‚nervös‘ und ‚eilig‘ bedeuten.77 Offenbar ist es nicht selbstverständlich, dass Menschen ihre eigenen Lebensbedingungen richtig erfassen und auf den Begriff bringen können, wie es auch nicht selbstverständlich ist, dass sie am Verhalten und der körperlichen Erscheinung anderer erkennen, wie es ihnen geht. Dass sowohl das Wissen um die Lebensbedingungen Dritter wie auch das Wissen (ohne Beobachtung) von den eigenen Lebensbedingungen eine Fähigkeit darstellt, werde ich an späterer Stelle erläutern. [↓5.2.2] Zwischen dem körperlichen Verhalten einer Person und mentalen Fakten über diese Person besteht also Schatzki zufolge eine Ausdrucksrelation. Nicht nur Handlungsabsichten, sondern alle Lebensbedingungen, die ja Konstellationen aus sehr verschiedenen Fakten sind, lassen sich am körperlichen Verhalten ablesen: „To say that they are expressed in bodily activities is to say that these activities make them present in the world.“78 Schatzki betont jedoch sogleich: _____________ 77

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nicht auf Begriffe bringen, wie es einem geht, denn eigene Lebensbedingungen zu identifizieren setzt voraus, dass sie als diese oder jene erlebt werden. Darauf zielt Anscombe mit dem schon erwähnten Schlamm-und-Zweig-Beispiel: Wenn jemand erklärt, er wünsche sich eine Schale voll Schlamm oder den Zweig einer Eberesche, kann aber nicht sagen, weshalb ihm diese Dinge wünschenswert erscheinen, dann ist zweifelhaft, ob er die Bedeutung von ‚wünschen‘ versteht. Zwar verwendet er das Wort in semantisch intakten Sätzen, er versteht die Sätze aber offenbar selbst nicht, wenn ihm nicht klar ist, dass sie bei anderen die Erwartung auslösen, dass er irgendetwas wertvolles an diesen Dingen sieht. Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 37, 70 f. Schatzki 1993, 286.

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KAPITEL 4

This expressive relation is not, however, causal. Conditions of life do not cause the activities expressing them. The activities are instead that through which the condition is made present in the world. So an activity does not express a given condition 79 by being its effect.

Bewegungen, Gesten, Mimik und Haltung machen die Verfassung einer Person „in der Welt präsent“, eine bestimmte Verfassung verursacht aber kein bestimmtes Verhalten. Dass Theo auf dem Bahnsteig hin und hereilt, sich auf die Zehenspitzen stellt, um die Menschenmenge besser zu überschauen, und den Blick über die aussteigenden Passagiere schweifen lässt, kann ausdrücken, dass er sich auf seinen Gast freut. Sein Verhalten ist aber keine kausale Wirkung seiner Vorfreude. Im Gegensatz dazu ist das Rauschen, das aus dem Lautsprecher am Bahnsteig dringt, mit dem Zustand der elektrischen Anlage kausal verknüpft: Das Rauschen ist eine Kausalwirkung eines Kabeldefekts und lässt – technische Kenntnisse vorausgesetzt – einen Rückschluss auf diesen Defekt zu. Dagegen sind Fakten über Theos körperliches Verhalten keine Prämissen, aus denen logisch folgt, dass Theo sich freut. Ausdrücke wie ‚Vorfreude‘, ‚gespannte Erwartung‘ oder ‚Ungeduld‘ stehen nicht für Zustände oder Ereignisse, sondern für Faktenkonstellationen, die ausmachen, wie es einer Person gerade geht. [↑2.1.1] Die Ausdrucksrelation ist die Art und Weise, in der mentale Fakten über Personen für andere bestehen oder, wie Schatzki sagt, in der Welt präsent sind. Damit bleibt die Möglichkeit offen, dass manche mentale Fakten einzig insofern bestehen, als sie von jemandem erlebt werden, ohne sich in seinem äußerlich sichtbaren Verhalten niederzuschlagen und dadurch für andere erkennbar zu sein. In einem solchen Fall ist statt einer Ausdrucksrelation eher eine Erlebnisrelation instantiiert. Lebensbedingungen einer Person sind weder ausschließlich durch Ausdruck konstituiert (wie Schatzki es anzudeuten scheint) noch ausschließlich durch eigenes Erleben. Lebensbedingungen sind beides zusammen, wobei viele Fakten als Relata beider Relationen zugleich auftreten: Clara merkt selbst, dass sie fröhlich ist, und es ist auch für Dritte unschwer ersichtlich. Es ist aber auch möglich, dass jemand sich selbst in einer Weise erlebt, von der sonst niemand etwas ahnt, _____________ 79

Schatzki 1993, 286.

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und es ist möglich, dass Dritte etwas über die Gefühle oder Stimmungen einer Person erkennen, das ihr selbst (noch) nicht klar ist. Obwohl nicht kausal verknüpft, besteht zwischen körperlichem Verhalten und der Verfassung einer Person – gemeint ist die emotionale oder intellektuelle Verfassung – kein nur zufälliger Zusammenhang. Aussagen über die Lebensbedingungen anderer können daher nicht beliebig getroffen werden, die Lebensbedingungen müssen in der Welt präsent sein, als Bedeutung des körperlichen Verhaltens.80 Ein Beispiel: Weinen ist ein Verhalten, in dem sich in vielen Situationen ausdrückt, dass jemand traurig ist. Daneben tragen eine leise, monotone Stimme, ein kraftloser Gang und hängende Schultern zu diesem Ausdruck bei. Die Traurigkeit verursacht das geschilderte körperliche Verhalten nicht, sie besteht in diesen Fakten, dass jemand weint, leise und monoton spricht und mit kraftlosem, schwerfälligem Schritt läuft. Das Verhalten macht die Lebensbedingungen in der Welt präsent, es ist die Art und Weise, wie mentale Fakten bestehen. Das Verhalten ist kein Mittel zur Repräsentation von Fakten, es ist die Existenzform dieser Fakten.81 _____________ 80 81

Vgl. Schatzki 1996, 31 f. Zuweilen spricht Schatzki davon, dass körperliches Verhalten die Lebensbedingungen einer Person konstituiert. Dies ist jedoch eine weit stärkere Behauptung als die, dass Lebensbedingungen sich im Verhalten ausdrücken, denn es würde bedeuten, dass jemandes Lebensbedingungen ohne entsprechendes Verhalten überhaupt nicht bestehen. Demnach wären eigene Lebensbedingungen auch für uns selbst nur durch unser Verhalten präsent. Das scheint schlicht falsch, zumal es ohne Zweifel möglich ist, vor anderen zu verbergen, was man denkt oder fühlt. Nicht alle mentalen Fakten liegen mit unserem körperlichen Verhalten offen zutage. Klärend könnte folgende Passage von Schatzki sein, in der es um das Verhältnis von Selbstzuschreibung und eigenen Lebensbedingungen geht: „[I]t is not the case that there is some inner episode on the one hand and knowledge of one’s condition on the other, and that the identity of the former is ascertained through the latter. Rather, there is an inner episode at all only insofar as one ‚knows‘ (or cannot doubt) that one is having a sensation or sense impression. This means that there being pain or an impression of red (or even just ‚something‘) is a matter of one’s ‚knowing‘ that one is in pain or seeing red (or experiencing something)“ (Schatzki 1996, 29 f.; vgl. Wittgenstein 1984 [1953], § 208). Es bleibt etwas unklar, was Schatzki unter ‚inner episode‘ versteht, da er sich zuvor dezidiert gegen eine Innerlichkeitskonzeption des Mentalen gewandt hat. Für die Rekonstruktion von ‚Handeln‘ und ‚Absichtlichkeit‘ bei Anscombe ist die starke Konstitutionsthese nicht unbedingt notwendig, so dass ich mich auf die schwächere Version der These beschränke, wonach sich Absichten

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Die Ausdrucksrelation zwischen Verhalten und mentalen Fakten ermöglicht, anderen Personen Gedanken, Gefühle, Wünsche und Absichten zuzuschreiben. Sie ist aber keine notwendige Bedingung für das Wissen um eigene Lebensbedingungen. Ich setze für meine weitere Interpretation von Intention also nicht voraus, dass eine Selbstzuschreibung wie ‚Ich wäre jetzt gern am Meer‘ nur dann wahr sein kann, wenn Dritte zugleich die analoge drittpersonale Aussage ‚A wäre jetzt gern am Meer‘ treffen könnten, weil sich dieser Wunsch in A’s Verhalten offenbart.

4.2.3 Soziale Praxen Schatzki erklärt nicht nur, dass Lebensbedingungen durch körperliches Verhalten präsent gemacht werden, er ergänzt auch, dass ihre Verständlichkeit durch soziale Praxen bestimmt ist. Gemeinschaften bilden einen Fundus an Verhaltensweisen, für die eine bestimmte Deutung naheliegt und in vielen Fällen zutrifft, ohne natürlicher Ausdruck im selben Sinne zu sein, wie es ein Aufschrei bei plötzlichem Schmerz ist. Die Bedeutung eines Verhaltens lässt sich selten ohne Bezug auf Regeln, Konventionen und Traditionen einer Gemeinschaft angeben: Apart from biologically-based naturally expressive behaviors, a person is able to perform behavior that expresses such and such a condition only as part of a discursive practice in which others are able, on the basis of that behavior, to understand / say that he is in that condition; and people are able to understand / say this only by 82 virtue of already participating in this practice of which his behavior is a part.

So vage die Rede von Regeln, Konventionen und Traditionen vorerst ist, macht sie doch klar, dass Körperbewegungen ohne jeden Kontext keinen spezifischen Ausdruck haben. Man kann nicht sagen, was ein erhobener Arm ‚an sich‘ bedeutet und was also jemand zu verstehen gibt, der den Arm hebt. Für die Bedeutung dieser Bewegung sind Regeln und Konventionen einer Gemeinschaft entscheidend, allerdings gibt es für das Heben _____________ 82

im körperlichen Verhalten von Personen für andere ausdrücken können – ein alltägliches Phänomen. Schatzki 1993, 287.

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eines Armes ein ganzes Bedeutungsspektrum, eine ganze Reihe von Handlungen, die per Konvention mit dem Heben eines Armes einhergehen: bei einer Auktion bieten, zum Abschied winken, gegen einen Beschluss stimmen, den Bus anhalten, sich zu Wort melden, seine Anwesenheit kundtun… In geeigneten Kontexten liegen diese Bedeutungen relativ nahe, weil es eine Praxis der Versteigerung, des Abschiedsgrußes, der Abstimmung, des Busfahrens gibt. Jemand, der mit diesen Praxen vertraut ist, weiß ohne längere Recherche, einfach dadurch, dass er in einer Gemeinschaft mit bestimmten Konventionen lebt, was es bedeutet, wenn jemand bei einer Auktion den Arm hebt, und was es im Unterschied dazu bedeutet, wenn er einem abfahrenden Zug nachblickt und den Arm hebt. Schatzki spricht an verschiedenen Stellen davon, dass soziale Praxen für die Ausdrucksrelation zwischen körperlichem Verhalten und Lebensbedingungen notwendig sind. Er erklärt allerdings nicht sehr genau, was soziale Praxen sind. So bleibt unklar, ob alle Praxen sozial sind, weil alle Praxen auf Regeln beruhen und Regeln notwendig kommunizierbar, daher soziale Gebilde sind.83 In einem engeren Sinne sind Praxen sozial, wenn sie das Zusammenleben von Menschen ermöglichen, ihm eine bestimmte Ordnung geben oder die Mitwirkung mehrerer Akteure unbedingt erfordern. Eine Minimalbestimmung des Begriffes müsste zumindest enthalten, dass Praxen regelhafte Umgangsweisen mit bestimmten, einander ähnelnden Situationen sind. Als solche sind sie eine Voraussetzung dafür, dass körperliches Verhalten über seine physikalischen Qualitäten hinaus eine Bedeutung hat. Praxen stellen, so könnte man formulieren, die Semantik von Verhalten dar. Durch geteilte Praxen ist es für Mitglieder einer Gemeinschaft möglich, das Verhalten anderer als absichtliches Handeln (oder als Ausdruck anderer _____________ 83

Dies ist die Idee hinter dem sogenannten Privatsprachenargument von Ludwig Wittgenstein, in dem es eigentlich um die Möglichkeit privater Regeln geht, das heißt Regeln, die nur einer einzigen Person bekannt sind, Dritten hingegen prinzipiell epistemisch unzugänglich. Vgl. Wittgenstein 1984 [1953], §§ 143–250. Wittgenstein bestritt die Möglichkeit privater Regeln aus logischen Gründen; Anscombe und, wie sich noch zeigen wird, Melden teilen seine Auffassung. Zur umfangreichen Anschlussdiskussion über das Privatsprachenargument vgl. z. B. Baker 1998; Kenny 1974; Kripke 1982; Malcolm 1989; Stroud 2000. Eine Anwendung des Privatsprachenargumentes auf die Handlungstheorie bietet Kannetzky 2006 an.

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Lebensbedingungen) zu sehen, gleichsam als ausagierte Antwort auf die Fragen ‚Wie geht es dir, was liegt für dich gerade an?‘ Sowohl Schatzki als auch Anscombe bestreiten, dass die Deutung als Lebensbedingungen im Normalfall eine Prozedur nach Regeln erfordert. Ganz im Gegenteil wollen sie zeigen, dass wir normalerweise ohne besondere Techniken vieles von dem erkennen, was andere denken, fühlen, wünschen, glauben oder wollen. Schatzki verweist darauf, dass Menschen lernen, sich an sozialen Praxen zu beteiligen, wenn sie lernen, was man bei bestimmten Anlässen normalerweise tut und wie man sich in bestimmten Situationen normalerweise verhält: Which aspects of how things stand and are going are expressed by particular bodily activities depends ultimately on the social practices in which people learn to perform these activities and to take interest in and react to others’ performances. Connections and orders among mental conditions, consequently, are laid down in prac84 tices.

Wenn jemand um einen Menschen trauert, dann erkennt man es daran, dass er weint (und es zu verbergen versucht), still und in sich gekehrt ist, Öffentlichkeit meidet, wenig lacht und scherzt, vielleicht sehr wenig arbeitet, vielleicht auch sehr viel… Die Praxis folgt offensichtlich keinem fixen Regelwerk, das Trauernde Schritt für Schritt befolgen. Es handelt sich eher um eine Überlagerung deskriptiver und normativer ‚Normalitäten‘. Die Rede von Dingen, die man eben so macht, beinhaltet beide Aspekte, zum einen Verhaltensweisen, die Konventionen unterliegen und erlernbar sind wie das Tragen schwarzer Kleidung bei Trauer, zum anderen natürliche Ausdrucksformen wie Weinen oder Schweigsamkeit. Schatzki analysiert das Verhältnis der normativen und deskriptiven Aspekte nicht weiter, er stellt aber fest, dass Natürlichkeit eine graduelle Angelegenheit ist. Es gibt durchaus kulturelle Vorgaben dafür, wie natürliche Ausdrucksweisen auftreten dürfen.85 Auch natürliche Ausdrucksformen _____________ 84

85

Schatzki 1996, 23. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [1953], 489: „‚Kummer‘ beschreibt uns ein Muster, welches im Lebens-Teppich mit verschiedenen Variationen wiederkehrt. Wenn bei einem Menschen der Körperausdruck des Grames und der Freude, etwa mit dem Ticken einer Uhr, abwechselten, so hätten wir hier nicht den charakteristischen Verlauf des Grammusters, noch des Freudemusters.“ Vgl. Schatzki 1993, 297 f.

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werden durch Normen und Traditionen eingehegt, und dies wiederum beeinflusst ihre Bedeutung: Während ein weinender Erwachsener weichlich oder unbeherrscht wirken mag, wird man ein weinendes Kind nicht als weichlich oder unbeherrscht wahrnehmen, sondern als aufrichtig enttäuscht, selbst wenn man den Anlass seiner Traurigkeit für nichtig hält. Wenn das körperliche Verhalten einer Person dem Muster der normalen, standardmäßigen Umgangsweise mit bestimmten Situationen entspricht, dann können Beobachter sehen und hören, dass jemand trauert. Der Akteur verhält sich in einer Weise, die in seiner Gemeinschaft als Trauer gilt. Praxen geben nicht vor, wie man korrekt traurig ist oder wie man sich korrekt auf Gäste freut und nicht einmal, wie man korrekt einen Streuselkuchen bäckt. Sie sind Handlungsschemata, die je nach Situation und Akteur unzählige Variationen erlauben. Welche Praxis ein bestimmtes Verhalten instantiiert, lässt sich deshalb nur von Fall zu Fall und mit Blick auf konkrete Personen beurteilen. Es gibt keinen Algorithmus zur Bestimmung der Lebensbedingungen einer Person anhand ihres Verhaltens – hier liegt ein wichtiger Unterschied zwischen Schatzkis Ansatz und einem reduktionistischen Behaviorismus, der eine Übersetzungsrelation zwischen körperlichem Verhalten und emotionaler / intellektueller Verfassung einer Person annimmt. Schatzki hingegen bestreitet, dass mentale Fakten nach einer fixen Formel aus körperlichem Verhalten deduzierbar sind. Die Bedeutung von Verhalten hängt, wie die Bedeutung von Wörtern und Sätzen, vom Kontext ab, von den Umständen, von den beteiligten Personen. Wie beim Lesen von Texten kann auch die Fähigkeit, Lebensbedingungen zu verstehen, bei verschiedenen ‚Lesern‘ unterschiedlich gut ausgeprägt sein. Dennoch liegt es nicht allein im Ermessen eines Beobachters, welche Lebensbedingungen er für eine andere Person behaupten kann. Derartige Beliebigkeit verhindern soziale Praxen gerade, denn sie verleihen bestimmten Verhaltensweisen in bestimmten Kontexten eine relativ feste Bedeutung. Dadurch können sie von den Mitgliedern einer Gemeinschaft annähernd gleich verstanden werden. Soziale Praxen erlauben somit, zwischen angemessenen und abwegigen Lesarten eines Verhaltens zu unterscheiden, indem sie dessen Bedeutungsspanne erheblich eingrenzen.86 _____________ 86

Vgl. Schatzki 1996, 35 und 40 f.

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Dass wir andere nur deshalb als Personen mit bestimmten Wünschen, Überzeugungen und Absichten verstehen, weil ihre Bewegungen, Gesten, Mimik und Stimme vor dem Hintergrund geteilter Praxen eine Bedeutung haben, fällt im Alltag selten auf. In sehr vielen Situationen ist körperliches Verhalten tatsächlich selbstverständlich. Dass diese Selbstverständlichkeit auf sozialen Praxen gründet, tritt deutlicher hervor, wenn Irritationen eintreten und wir nicht leicht verstehen, was sich jemand denkt, der dies oder das tut; worauf jemand abzielt, der sich so oder so verhält. Auf die Eingrenzung der Bedeutungsspanne körperlichen Verhaltens und auf irritierende Fälle komme ich im fünften Kapitel zurück. [↓5.2]

4.2.4 Ausdruck-für Die Ausdrucksrelation, durch die Lebensbedingungen in der Welt präsent gemacht werden, ist eine non-kausale Faktenrelation [↑2.3.1] Wer anhand des körperlichen Verhaltens einer Person versteht, wie es ihr geht, schließt nicht mittels Kausalgesetzen von ihrem Verhalten auf ihre Lebensbedingungen, er erkennt das Verhalten als Instantiierung einer sozialen Praxis. In einer Hinsicht erscheint Schatzkis Konzeption aber präzisierungsbedürftig. Er konzipiert die Ausdrucksrelation zweistellig, wobei körperliches Verhalten als Exprimans auftritt, Lebensbedingungen als Exprimandum. Das entsprechende relationale Prädikat lautet somit ‚..drückt.. aus‘; eine exemplarische Instantiierung wäre ‚Theos Hin- und Herlaufen am Bahnsteig drückt Vorfreude aus‘. Wie betont, hängt nicht allein von Theos Körperbewegungen ab, was sein Verhalten über seine Verfassung sagt, auch die konkreten äußeren Umstände sind entscheidend. Allein aus der Tatsache, dass Theo eilig hin- und hermarschiert, geht ja nicht hervor, dass er einen Gast erwartet und sich auf dessen Ankunft freut. Theo könnte ebenso auf einen verspäteten Zug warten und bangen, ob er seinen Anschluss an der nächsten Station erreichen wird, oder er könnte über Kopfhörer die Übertragung eines Spiels seiner Lieblingsmannschaft verfolgen. Obwohl ein Blick auf äußere Umstände also für das angemessene Verständnis von Theos Verhalten unverzichtbar ist, besetzen diese äußeren Umstände in der Ausdrucksrelation ‚x drückt y aus‘ gar keine Stelle. Müsste eine vollständige Beschreibung des Ausdrucks von körperlichem Verhalten nicht eine dritte Stelle beinhal-

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ten, etwa in der Form ‚x drückt y unter den Umständen c aus‘? Übersieht Schatzki nicht die entscheidende Rolle, die konkrete Umstände dafür spielen, was jemandes Verhalten zu bedeuten hat? Um c zu instantiieren, müsste man alle und nur diejenigen konkreten äußeren Umstände auflisten, die zum Verständnis des aufgeregten Hin- und Herlaufens von Theo als Ausdruck der Vorfreude beitragen und alternative Deutungen ausschließen. Man müsste also all die Umstände benennen, aus denen zu entnehmen ist, dass Theo nicht auf einen verspäteten Zug wartet und nicht mit seiner Lieblingsmannschaft um den Sieg bangt. Einerseits wäre eine solche Ergänzung und Präzisierung gut begründet, denn bei der Zuschreibung mentaler Fakten soll Willkür ausgeschlossen sein. Andererseits ist sie undurchführbar. Sicherlich könnte man einige Fakten über die Situation angeben, die gemeinsam die Deutung von Theos Verhalten als Vorfreude stützen – genau dies leistet ja die Kenntnis sozialer Praxen einer Gemeinschaft. Man kann aber keine vollständige Liste aller und nur derjenigen Fakten erstellen, die für das Verständnis von Theos Verhalten als Vorfreude relevant sind, weil es kein Relevanzkriterium unabhängig von der zu deutenden Situation gibt. Man kann keine allgemeinen hinreichenden Bedingungen angeben, unter denen jemandes Verhalten stets Vorfreude ausdrückt. Die Situationen, in denen Verhalten diese Bedeutung hat, sind unendlich variabel, und es gibt keine fallunabhängige, allgemeine Liste von Fakten, die in jedem Fall bestehen müssen, wenn sich jemand auf etwas freut. Um noch einmal auf Wittgenstein zu verweisen: Die Fälle der Vorfreude sind so mannigfaltig wie die Mitglieder einer verzweigten Familie. Es gibt kein Merkmal (keine hinreichende Bedingung), das sie alle teilen. Aber es gibt Familienähnlichkeiten, von denen zwar nicht alle jedem einzelnen Mitglied zukommen, die aber letztlich die ganze Familie verbinden. Analog ähneln sich Situationen, die als Fälle von Vorfreude – oder eines anderen mentalen Faktes – zu verstehen sind, in verschiedenen Hinsichten, ohne dass sämtlichen Fällen ein einziges Merkmal gemeinsam ist.87 [↑1.1] Daraus folgt nun, dass es einer bestimmten praktischen, nicht nur logisch-begrifflichen Kompetenz bedarf, um Fälle der Vorfreude zu erkennen. Wenn es keine allgemeine Liste notwendiger und hinreichender Be_____________ 87

Wittgenstein 1989 [1958], 41. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [1953], § 183.

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KAPITEL 4

dingungen gibt, dann bedarf es kompetenter Verhaltensleser, für die etwa aus Theos Bewegungen am Bahnsteig ersichtlich ist, dass er mit Freude auf jemanden wartet. Die Lesbarkeit des Verhaltens in der konkreten Situation hängt von der Lesekompetenz eines Beobachters ab. Je erfahrener er im Umgang mit Menschen ist und je vertrauter mit den Praxen einer Gemeinschaft, desto größere Gewissheit wird er über die Bedeutung eines Verhaltens gewinnen können. Wie er das Verhalten eines anderen im Einzelfall genau versteht, hängt von seiner Perspektive – buchstäblich wie übertragen – ab, von seinem Blickwinkel, seinen Vorkenntnissen, seiner Vertrautheit mit dem anderen und von seinem grundsätzlichen Wohlwollen oder Misstrauen gegenüber Menschen. [↑3.1.3] Deshalb nehme ich eine Ergänzung an Schatzkis Darstellung vor und erweitere die Ausdrucksrelation um eine dritte Stelle. Allerdings werden an dieser dritten Stelle nicht die äußeren Umstände des Verhaltens spezifiziert, sondern diejenige Person, für die das Verhalten unter den jeweiligen Umständen eine bestimmte Bedeutung hat. Diese Relation nenne ich ‚Ausdruck-für‘ und konzipiere sie, anders als Schatzki, als interpersonelle Relation. Nicht ein bestimmtes Verhalten einer Person, sondern die ganze Person ist Exprimandum ihrer Lebensbedingungen. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass wir jemandes erhobenen Arm oder jemandes eilige Schritte auf einem Bahnsteig als Ausführung einer Handlung verstehen, weil es eine Person ist, die ihren Arm hebt bzw. diese Schritte geht. Deutlich wird dies an Aussagen wie ‚A ist müde‘, ‚A hat es eilig‘‚ ‚A hat Heimweh‘, ‚A will a-en‘ oder ‚A wünscht, dass p und glaubt, dass q‘, denn sie machen explizit, welche Bedeutung das Verhalten von A für andere Personen mit einer bestimmten Perspektive auf A hat. Wie A, die Akteurin, gehört auch B, der Beobachter, zu einer Gemeinschaft. Wie A ist auch B ein Teilnehmer der Situation, die er versteht oder zu verstehen versucht. Beobachter zu sein heißt hier nicht, unbetroffen und interesselos von außen auf einen physikalischen Prozess oder eine Akteursanordnung zu schauen. Es heißt, in eine Situation involviert zu sein, von deren Verständnis das eigene Urteil und vor allem das eigene Handeln abhängen können. B kann A’s Verhalten als Ausdruck bestimmter Lebensbedingungen verstehen, weil und insofern B selbst die Praxen und Verhaltensweisen kennt, die in beider Gemeinschaft normalerweise mit bestimmten Lebensbedingungen einhergehen. Die Ausdrucksrelation stellt sich somit wie folgt dar:

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A drückt für B aus, dass p

In dieser schematischen Repräsentation zeigt das Dreieck Δ die Dreistelligkeit an. Der Bereich des ersten Relatums ist so bestimmt, dass er nicht einzelne Fakten oder endliche Listen von Einzelfakten enthält, sondern Personen bzw. Namen oder Kennzeichnungen, die auf eine einzelne Person referieren. Das entsprechende relationale Prädikat lautet ‚..drückt für.. aus, dass_‘, instantiiert beispielsweise durch ‚Theo drückt für andere Reisende am Bahnsteig aus, dass er sich auf jemanden freut‘ und ‚Bert drückt für Grete aus, dass er ernstlich böse auf Lotte ist, weil sie zum dritten Mal seinen Auftrag vergessen hat‘. Wie erläutert, ist nach AΔ eine ganze Person das Exprimans; das Exprimandum ist ein Fakt, dass p. Dies ist ein mentaler Fakt, also einer, den man zur Beantwortung der Frage, wie es A geht oder was für A gerade anliegt, anführen könnte. Auch wenn Schatzki die Ausdrucksrelation nicht dreistellig konzipiert und statt Personen konkrete Verhaltensausschnitte als Exprimantia ansetzt, kommt die Rekonstruktion AΔ seinen Absichten entgegen. Denn auch Schatzki betont, dass der Ausdruck von Lebensbedingungen nicht darin besteht, dass eine Person ihre Gedanken und Gefühle vermittels bestimmter Bewegungen, Gesten oder Mimik nach außen kehrt: „[E]ven though bodies express conditions of life, it is to persons – not bodies – that conditions [of life] are attributed.“88 Körperbewegungen sind kein Mittel, das zum Zweck des Befindlichkeitsausdrucks eingesetzt wird. Es ist vielmehr unvermeidlich, dass Personen durch ihr Verhalten und ihre körperliche Erscheinung etwas über sich selbst zu verstehen geben, etwas davon, wie es ihnen geht, was sie denken, fühlen und beabsichtigen. Anscombes Konzeption der Absichtlichkeit ist nun ebenfalls gemäß AΔ rekonstruierbar, da Absichten und absichtliche Handlungen als Exprimanda dieser Relation verstanden werden können. Auch Anscombe meint ja, dass Personen ihr praktisches Wissen, ihre Motive und weiterführenden Handlungsabsichten durch ihre Bewegungen, ihr Auftreten und ihre körperliche Erscheinung für andere zu erkennen geben. Die erste, natürliche Beschreibung, die einem bei der Beobachtung anderer Personen in den Sinn kommt, ist in sehr vielen Fällen eine Beschreibung ihres Verhaltens als ab_____________ 88

Schatzki 1996, 47. Vgl. auch Taylor 1971, 4 f.

218

KAPITEL 4

sichtliches Handeln: „Well, if you want to say at least some true things about a man’s intentions, you will have a strong chance of success if you mention what he actually did or is doing.“89 Wir sehen, um ein Beispiel von Anscombe aufzunehmen, nicht zuerst, dass jemand in Schrittstellung vor einem Holzklotz steht und mit seinen Armen ein gezacktes Blech in einem bestimmten Rhythmus bewegt, und schließen anhand dieser Beobachtungen in einem zweiten Schritt darauf, dass der Mensch ein Brett zersägt. Wir sehen sofort, dass er ein Brett zersägt. Die Frage, ob er dies mit Absicht tut, ist im Normalfall schon mit dieser Beschreibung beantwortet. Es müssten sehr außergewöhnliche Umstände sein, unter denen jemand ein Brett zersägt, ohne es selbst zu wissen. Für meine Rekonstruktion von Absicht bzw. absichtlichem Handeln als Exprimanda einer Ausdrucksrelation sprechen außerdem zwei weitere Passagen von Intention. Eine davon habe ich zu Beginn dieses Kapitels bereits zitiert: The primitive sign of wanting is trying to get; which of course can only be ascribed to creatures endowed with sensation. Thus it is not mere movement or stretching out towards something, but this on the part of a creature that can be said to know 90 the thing.

Jetzt ist ersichtlich, dass Anscombe an dieser Stelle nicht zufällig ‚ascribe‘ benutzt. Dass jemand etwas will, dass er etwas zu bekommen versucht, ist die Bedeutung, die sein Verhalten unter bestimmten Umständen hat. Die Zuschreibung ‚Der Hund will dieses Fleisch haben‘ macht die Bedeutung explizit, die sein Verhalten für seine menschlichen Gefährten hat: „The primitive sign of wanting is trying to get: in saying this, we describe the movement of an animal in terms that reach beyond what the animal is now doing.“ 91 Man kann jemandem – im Beispiel dem Hund – aber nur zuschreiben, einen Gegenstand haben zu wollen, wenn dieser mentale Fakt mit weiteren Fakten über denselben Akteur korrespondiert und diese gemeinsam ein Muster, eine typische oder sinnfällige Faktenkonstellation bilden. So kann der Hund nur etwas wollen, von dessen Existenz er weiß _____________ 89 90 91

Anscombe 1963 [1957], § 4, 7 f. Anscombe 1963 [1957], § 36, 68. Anscombe 1963 [1957], § 36, 68.

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und das für ihn in irgendeiner Hinsicht wertvoll oder erstrebenswert ist. Die Zuschreibung, dass der Hund das Fleisch haben will, zieht daher die weitere Zuschreibung nach sich, dass er Fleisch mag und es anderen Dingen in seiner Reichweite vorzieht. Für einen Hund mögen diese Zuschreibungen seltsam wirken, doch machen sie vielleicht gerade dadurch die Vernetzung mentaler Fakten deutlich: Wenn man von einem Hund sagt, dass er etwas will, dann muss man ihm auch bestimmte Präferenzen zuschreiben. Es wäre widersinnig zu sagen, der Hund wolle das Fleisch haben, aber er vermöge auf keine Weise, zwischen mehr und weniger guten Dingen zu unterscheiden. Wie erwähnt, ist die Bedeutung des aufgeregten Schnüffelns eines Hundes nicht schwer zu erraten, weil er mit diesem Verhalten ein hundetypisches Muster erfüllt: When a dog smells a piece of meat that lies on the other side of the door, his trying to get it will be his scratching violently round the edges of the door and snuffling 92 along the bottom of it and so on.

Diese Stelle bestätigt, dass meine Interpretation von Absicht und absichtlichem Handeln Anscombes Anliegen trifft: „his trying to get will be his scratching […] and snuffling“. Haben-Wollen ist nicht die Kausalursache des beobachtbaren körperlichen Verhaltens, noch ist letzteres ein Mittel, das der Hund einsetzt, um Menschen auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Die Gewissheit, dass der Hund das Fleisch haben will und diese Zuschreibung an ihn angemessen ist, gründet darauf, dass Haben-Wollen bei Hunden in einem bestimmten, typischen Verhalten besteht: Sie scharren und kratzen an den Hindernissen vor dem begehrten Gegenstand. Wie Bennett erklärte, treten manche Fakten ein, weil Personen mit ihrem Verhalten ein Muster interpersoneller Beziehungen vervollständigen. [↑2.3.1] Ich zitiere noch einmal: What happens in such cases is that some fact about the behavior completes a pattern, adds itself to facts that already obtain, making a more complex state of affairs; the latter is the noncausal consequence. Every behavioral fact noncausally com93 pletes an infinity of patterns, which are of endlessly many kinds.

_____________ 92 93

Anscombe 1963 [1957], § 36, 68. Bennett 1994, 40.

220

KAPITEL 4

Was ein Verhalten zu bedeuten hat – welche Lebensbedingungen man den (caninen) Akteuren zuschreiben kann –, ergibt sich häufig aus dem Muster, das konkrete Fakten über die Akteure und ihr Verhalten in der betreffenden Situation erfüllen.

4.2.5 Zuschreibung-an Lebensbedingungen sind Fakten über Personen, die ausmachen, wie es ihnen geht, was für sie gerade anliegt und wie sie ‚als Personen‘ sind. Schatzki unterscheidet vier Arten von Lebensbedingungen: (1) Bewusstseinsbedingungen wie Schmerz, bildhafte Vorstellungen, Sehen und Hören; (2) Gefühle und Stimmungen wie Freude, Furcht, Niedergeschlagenheit und Angst; (3) intellektuelle oder kognitive Bedingungen, wozu Zweifel, Gewissheit, Wünsche und Erinnerungen zählen; und schließlich (4) Handlungen.94 Nicht alle mentalen Fakten passen in genau eine der von Schatzki angeführten vier Kategorien. Dass Bert die altmärkische Landschaft liebt oder dass Max an Gott glaubt, sind Fakten, die sowohl einen emotionalen als auch einen intellektuellen Aspekt haben. Die vier Kategorien stellen keine disjunkten Bereiche dar, es gibt viele Überschneidungen. Das gilt interessanterweise auch für die vierte Kategorie, die Handlungen. Handlungen, so erklärt Schatzki, werden ebenso wie Gefühle, Gedanken, Einstellungen und Absichten im körperlichen Verhalten ausgedrückt. Zu sagen, dass jemand eine bestimmte Handlung ausführt, sei ebenfalls eine Aussage über die Bedeutung seines Verhaltens, nicht über dessen ontologische Zugehörigkeit: Like psychological conditions, actions consist in (or, in the case of omissions, the absence of) particular behaviors in particular circumstances. This indicates, notice, 95 that behaviors must be distinguished from actions.

_____________ 94

95

Vgl. Schatzki 1996, 37 f. Er rekonstruiert diese vier Arten aus Wittgensteins Überlegungen in Über Gewissheit (1979), Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie (1984) sowie Zettel (1990). Schatzki 1996, 38.

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Alle vier Arten von Lebensbedingungen, die Schatzki unterscheidet, stehen untereinander in Bedingungsverhältnissen. So müssen Handlungen, die man jemandem zuschreibt, zu seinen Vorstellungen, Gefühlen und Stimmungen passen sowie zu seinen intellektuellen und kognitiven Gegebenheiten. Wie schon an Anscombes vergleichsweise einfachem Hunde-Beispiel zu sehen war, grenzen die kognitiven Fähigkeiten eines Akteurs die Bandbreite der Absichten und Handlungszwecke, die sein Verhalten ausdrücken kann, beträchtlich ein. Es wäre allerdings zu viel verlangt, wenn man strikte Konsistenz für den mentalen Haushalt eines Akteurs fordern würde. Menschen haben nicht selten Meinungen und Überzeugungen, die bei gründlicher Betrachtung inkonsistent sind. Solche Inkonsistenz stellt nicht unbedingt ein Hindernis dafür dar, jemanden als Person anzusehen und davon auszugehen, dass er einige verlässliche Einstellungen und einige relativ dauerhafte Eigenschaften besitzt, die sein Verhalten in konkreten Situationen verständlich machen. Die Widersprüche zwischen dem, was jemand zu wollen behauptet, und dem, was er tut, dürfen lediglich nicht derart eklatant sein, dass Zweifel aufkommen, ob diese Person überhaupt die Frage, wie es ihr gehe, versteht, und ob sie weiß, was es heißt, etwas zu wollen oder zu beabsichtigen. Die Widersprüchlichkeiten zwischen den Wünschen und Handlungen einer Person dürfen also nicht so weit gehen, dass der Personenstatus selbst fraglich wird. Bei Anscombe findet sich noch ein weiterer Hinweis auf die Bedingungsverhältnisse zwischen mentalen Fakten und Handlungen. Sie stellt fest, dass nicht alle Fakten über eine Person als Gründe für Handlungen einleuchten. Zumindest können manche Fakten nur dann eine Handlung begründen, wenn man sie durch eine weitere Zuschreibung, etwa die eines allgemeinen Motivs ergänzt.96 Dass Clara einen Mann erschießt, weil dieser zuvor ihren Bruder getötet hat, ist eine Begründung für Claras Verhalten, falls man ihr zugleich ein Motiv wie Rache, Ehrsucht oder Verzweiflung zuschreiben kann. [↑4.1.1] Auch dies stützt meine Interpretation von Anscombes Handlungsbegriff als Relatum von Ausdruck und Zuschreibung: Nur mit Rücksicht auf eine ganze Person wird verständlich, welche absichtliche Handlung jemand durch bestimmte Körperbewegungen ausführt. Allein anhand von Arm_____________ 96

Vgl. Anscombe 1963 [1957], § 29, 52 f.

222

KAPITEL 4

und Beinbewegungen lässt sich nicht einschätzen, ob eine Person absichtlich handelt, was sie tut und worauf sie hinauswill. Erst die ganze Person ergibt Sinn als jemand mit dieser oder jener Absicht, diesem oder jenem Motiv und dieser oder jener Perspektive auf die gegebenen Umstände. Mit anderen Worten: Handlungen zu verstehen ist ein holistisches Unterfangen. Es verlangt, Personen mit ihrem komplexen Gefüge an Gedanken, Gefühlen, Wissen, Wollen und Wünschen in den Blick zu nehmen und ihr Verhalten unter Voraussetzung solcher Mentalia als bedeutsam anzusehen. Deswegen ist Anscombes Hinweis keineswegs trivial, dass wir normalerweise ohne Schwierigkeiten unterscheiden können, ob jemand etwas mit Absicht tut oder nicht. Wir sehen es, weil wir Akteure sehen, nicht Körper in Bewegung. Schatzki bekräftigt den holistischen Ansatz, indem er anfügt, dass wir mit Warum-Fragen selten auf Einzelfakten abzielen. Fragen nach Gründen zielen meist über die aktuelle Situation hinaus auf einen weiteren Kontext. Wir wollen etwas über die Akteure erfahren, über ihre Anliegen und ihre grundlegenderen Einstellungen, nicht nur über die unmittelbaren Zwecke einer Armbewegung. Mit Warum-Fragen nach Gründen geht es oft nicht nur darum, die Bedeutung einer bestimmten Bewegungssequenz zu verstehen, sondern darum, die ausführenden Personen besser kennenzulernen.97 Natürlich ist unser Interesse an Akteuren oft oberflächlich. Man braucht nicht von jedem, mit dem man flüchtig interagiert, zu erfahren, welche Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Pläne er hat. Indem Schatzki den Holismus von Handlungszuschreibungen betont, erinnert er aber daran, dass der Frage, warum jemand etwas tut, ein anderes Interesse und vor allem andere Präsuppositionen zugrunde liegen als der Frage, warum etwas etwas tut. So präsupponiert die Frage ‚Warum macht Anton solchen Lärm?‘ ganz andere Fähigkeiten und Eigenschaften von Anton als die Frage ‚Warum macht die Waschmaschine solchen Lärm?‘ von der Waschmaschine. Im Gegensatz zu einer Waschmaschine drückt Anton mit seinem Geschrei Lebensbedingungen aus und damit Fakten über sich selbst, die nur für personale Akteure bestehen können. Im Gegensatz zur Waschmaschine gilt Anton als Teilnehmer einer Situation, deshalb kann man mit ihm sprechen, ihn fragen, was geschehen ist, oder um Ruhe bitten. Man kann die Situation mit ihm ge_____________ 97

Vgl. Schatzki 1996, 39.

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meinsam gestalten, wenn – das ist Schatzkis Idee – man ihm mit der entsprechenden Einstellung gegenübertritt, dass er ein Akteur ist und kein Automat. Ich habe diese wesentliche Voraussetzung für die Bedeutsamkeit von körperlichem Verhalten schon im Zusammenhang mit H. L. A. Harts Implikationsthese – Handeln heißt Verantwortung tragen – kurz diskutiert. [↑3.3.3] Ich komme im nächsten Kapitel unter dem Stichwort der Akteurspräsumtion ausführlicher darauf zurück. [↓6.1] Der entscheidende Unterschied zwischen dem Ausdruck von Lebensbedingungen und Indizien für eine Kausalrelation ist, dass letztere auch bestehen können, wenn es niemand zur Kenntnis nimmt. Selbst wenn niemand versteht, dass das Getöse einer Waschmaschine durch einen Defekt in der Trommelhalterung verursacht wird, besteht eine Kausalrelation zwischen Defekt und Geräusch. Körperliches Verhalten ist weder eine Kausalursache noch eine Kausalwirkung von Lebensbedingungen, es ist deren Exprimans. Es bedeutet, dass diese und jene Lebensbedingungen für eine Person bestehen. Notwendige Voraussetzung für solche Bedeutsamkeit sind nicht Kausalverhältnisse, sondern die erwähnte Einstellung gegenüber den Ausführenden. Man muss sie als Wesen ansehen, über die mentale Fakten bestehen. Anderenfalls stellt sich die Frage gar nicht, ob ihr Verhalten absichtlich und begründbar ist und worauf sie damit abzielen. Die konverse Relation zum Ausdruck-für kann also nicht Kausalität sein. Irgendeine Relation muss jedoch in der Gegenrichtung bestehen, denn wenn Antons Verhalten bestimmte Lebensbedingungen für jemanden ausdrückt, dann muss dieser Jemand seinerseits in einer bestimmten Relation zu Anton und seinen Lebensbedingungen stehen. Ich verstehe den Begriff der Zuschreibung als Namen für diese Gegenrelation: Wenn Antons körperliches Verhalten für Benno ausdrückt, dass Anton für den Marktschreierwettstreit probt, dann schreibt Benno Anton genau diesen Fakt zu. So versteht Benno das Verhalten von Anton, dies ist die Bedeutung, die es für Benno hat und die er in der Aussage ‚Anton probt für den Marktschreierwettstreit‘ explizit machen könnte. Anders als mit einer Kausalrelation beschriebe Benno damit keine Relation, die unabhängig davon besteht, ob irgendjemand sie erkennt. In diesem Punkt unterscheidet sich eine Zuschreibung von einer Instantiierung gesetzesartiger Zusammenhänge: Wenn niemand, nicht einmal Anton selbst diese Bedeutung seines Verhaltens sähe, dann hätte es diese Bedeutung auch nicht. Antons Verhalten wäre dann

224

KAPITEL 4

nicht der Ausdruck genau dieser Absicht, für den Marktschreierwettbewerb zu proben, weil Absichten – wie alle Lebensbedingungen – stets für jemandes Leben bestehen. Die Zuschreibungsrelation lässt sich wie die Ausdrucksrelation dreistellig konstruieren. Als Konverse der Ausdrucksrelation enthält sie dieselben Relata: ZΔ

B schreibt A zu, dass p

Eine Instantiierung von ZΔ benennt einen relationalen Fakt über B und A. [↑2.3.1] B ist der Autor der Zuschreibung; A die Adressatin. Den Fakt, dass p, nenne ich ‚Zuschreibungsgehalt‘. Dieser Fakt ist die Bedeutung von A’s Verhalten für B in der konkreten Situation und vor ihrem gemeinsamen Hintergrund an sozialen Praxen. Wie die Ausdrucksrelation AΔ ist also auch die Zuschreibungsrelation ZΔ eine Relation zwischen Personen. An den ersten beiden Stellen des Prädikats ‚..schreibt.. zu, dass_‘ sind stets Namen oder Kennzeichnungen für Personen einzusetzen. Alle Fakten, die Lebensbedingungen konstituieren können, lassen sich als Gehalte einer solchen Zuschreibung darstellen. (Aussagen wie ‚Dieser Quelle wird heilende Kraft zugeschrieben‘ oder ‚Dem Dudelsackspiel wird eine lange Tradition zugeschrieben‘ instantiieren andere Arten von Zuschreibungsrelationen. Sie stimmen höchstens strukturell mit ZΔ überein.) Da Zuschreibungen vor einem Hintergrund sozialer Praxen stattfinden, ist es erforderlich, dass mindestens der Zuschreibungsautor diese Praxen kennt. Ich habe schon erläutert, dass soziale Praxen keine Algorithmen für die Deutung von Verhalten darstellen, sondern Muster, die von konkreten Faktenkonstellationen mehr oder minder umfassend instantiiert werden und aufgrund ihrer Häufigkeit oder Typik bestimmte Zuschreibungen nahelegen. Als konverse Relationen sind AΔ und ZΔ stets gleichzeitig instantiiert: ZΔAΔ

B schreibt A zu, dass p (für A) ↔ A drückt für B aus, dass p (für A)

Logisch hängen Ausdruck und Zuschreibung somit als wechselseitige Implikation zusammen. Wenn Bert Adele zuschreibt, dass sie Zahnweh hat, dann drückt Adele (als ganze Person) diese Lebensbedingung für Bert aus. Wenn Mr. Smith’ Verhalten für Mrs. Jones ausdrückt, dass er sie aus Verse-

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hen geschlagen hat, dann schreibt sie ihm zu, dass er sie aus Versehen geschlagen hat. Solche Implikationen meinte ich, wenn ich bisher davon gesprochen habe, dass Zuschreibungen explizit machen, was das Verhalten einer Person für andere bedeutet oder, synonym, was es für andere ausdrückt. Ein Einwand gegen die Rekonstruktionen ZΔ und AΔ könnte dem Begriff des sozialen Hintergrundes gelten: Wenn dieser Hintergrund relevant ist für die Angemessenheit einer Zuschreibung, weil er die Normen, Regeln und Praxen umfasst, auf denen das Verständnis eines Verhaltens als diese oder jene Handlung beruht, müsste man diesen Hintergrund nicht exakter beschreiben und ihm eine eigene Stelle in der Zuschreibungsrelation einräumen? Müsste man nicht die jeweils einschlägigen Normen und Praxen benennen, durch die eine bestimmte Zuschreibung gerechtfertigt ist? Fehlt in AΔ und ZΔ also eine vierte Stelle und müsste man nicht sagen: ‚A drückt für B vor dem Hintergrund H aus, dass p‘ bzw. ‚B schreibt A vor dem Hintergrund H zu, dass p‘? Der Einwand gegen die Unterbestimmtheit des sozialen Hintergrundes ist berechtigt, aber unvermeidbar. Um eine vierte Stelle erweitert, würden die Schemata ZΔ und AΔ mehr Exaktheit versprechen, als einlösbar ist. Es ist unmöglich, den Hintergrund, vor dem jemandes Verhalten für eine andere Person diesen Gedanken, dieses Gefühl oder jene Handlungsabsicht ausdrückt, so weit einzugrenzen, dass genau ein Fakt eindeutig als Exprimandum eines Verhaltens hervortritt. Diese Eindeutigkeit lässt sich durch eine noch so umfassende und detaillierte Beschreibung nicht herstellen – genau dies macht mentale Fakten zu Zuschreibungsgegenständen. Es ist daher kein Zufall, dass sich Schatzki, Anscombe und auch H. L. A. Hart auf die vage Rede von ‚sozialen Praxen‘, ‚Hintergrund‘ und ‚Mustern‘ beschränken und diese Begrifflichkeiten durch exemplarische Illustrationen veranschaulichen, statt sie durch notwendige und hinreichende Bedingungen zu definieren. Eine definitionsgeleitete Bestimmung des sozialen Hintergrundes müsste in einem konkreten Fall alle und nur die notwendigen Bedingungen einschließen, unter denen das betreffende Verhalten eine ganz bestimmte Bedeutung hat. Die Definition von ‚Hintergrund‘ müsste beispielsweise erlauben, anhand der Explikation eines konkreten sozialen Hintergrundes eindeutig festzustellen, ob ein erhobener Arm eine Wortmeldung darstellt oder einen Versuch, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, oder ei-

226

KAPITEL 4

nen Abschiedsgruß. Die Bedingungen für diese Bedeutungen sind aber weder eindeutig noch unveränderlich. Man kann Gründe dafür angeben, dass man jemandes erhobenen Arm in einer Situation als Grüßen und nicht als Wortmeldung versteht, aber diese Gründe sind nie hinreichende Bedingungen. Sie erlauben nie, gänzlich auszuschließen, dass die konkrete Akteurin doch auf etwas anderes abzielte, obwohl die Faktenlage so klar schien. Wer bestimmte praktische Kompetenzen erlangt hat, kann angemessene Zuschreibungen treffen – er kann das Verhalten anderer lesen. Weil Zuschreibungen aber Kriterien in jenem speziellen Sinn unterliegen, den Wittgenstein umreißt, und nicht Definitionen in Form notwendiger und hinreichender Bedingungen, lassen sich unzählige Situationen vorstellen, in denen man jemandem zuschreiben kann, dass er Zahnschmerzen hat, in Eile ist, sich auf jemanden freut usw., ohne dass all diese Situationen eine bestimmte Definition erfüllen. Vor allem kann sich eine Zuschreibung von Lebensbedingungen selbst dann als revisionsbedürftig erweisen, wenn zunächst starke Kriterien für sie sprachen und man sich ihrer Angemessenheit gewiss war. Deswegen erklärte Hart, Handlungsgeltung sei nicht beweisbar, sondern lediglich durch Anfechtungen widerlegbar. [↑3.1.2/3.1.3] Ich belasse es also bei der dreistelligen Zuschreibungsrelation. Der soziale Hintergrund aus Praxen und Deutungsmustern ist für jede Instantiierung von ZΔ und AΔ notwendigerweise vorausgesetzt, aber er ist auch notwendigerweise vage. Diese Vagheit wird in ZΔ und AΔ insofern begrenzt, als konkrete Zuschreibungsautoren benannt werden. Ob diese verstehen, wie es einer anderen Person geht, und welche Lebensbedingungen sie in deren Verhalten ausgedrückt sehen, entscheidet sich nicht zuletzt durch ihre eigene Erfahrung mit den Regeln und Praxen einer Gemeinschaft und durch persönliche Kenntnis der Akteure. Aus diesem Grund können Zuschreibungen unterschiedlicher Autoren unterschiedlich treffend und angemessen sein, selbst wenn sie sich an ein und dieselbe Adressatin richten und sich auf ein und denselben Ausschnitt ihres Verhaltens beziehen. Ein zweiter Einwand könnte sich darauf richten, dass meine Interpretation von Anscombes Begriff des absichtlichen Handelns in Form der Relationen Ausdruck und Zuschreibung zu eng ist, weil ich beide Relationen auf Personen beschränkt habe. Nimmt man hingegen Anscombes HundeBeispiel ernst, brauchen zumindest die Adressaten einer Zuschreibung nicht unbedingt menschliche Personen zu sein. Offenbar kann auch ein

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Hund in allerlei Lebensbedingungen geraten. Auf den ersten Blick spricht nicht einmal etwas dagegen, Tiere als Autoren von Zuschreibungen anzunehmen: Wenn Gertrud nach der Leine greift, schreibt der Hund ihr die Absicht zu, nach draußen zu gehen, und läuft aufgeregt vor der Tür auf und ab. Könnte man hier nicht sagen, dass sich Gertruds Absicht, nach draußen zu gehen, für den Hund darin ausdrückt, dass sie zur Leine greift? Ist also die Bestimmung von AΔ und ZΔ als interpersonelle Relationen zu eng, sollte sie auf Nicht-Personen ausgeweitet werden? Weil eine umfassende Behandlung dieses Einwandes eine Bestimmung des Personenbegriffs erfordern und damit von Anscombes Handlungskonzeption recht weit fortführen würde – auch sie befasst sich in erster Linie mit menschlichem Handeln – skizziere ich lediglich zwei Überlegungen, die mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen. Erstens: Anscombe expliziert nirgends, welche Bedingungen für Personalität erfüllt sein müssen, sie setzt schlicht ein Alltagsverständnis des Personenbegriffs voraus. Dass es ein solches intuitives Verständnis gibt, zeigt sich ihrer Meinung nach darin, dass wir oft ohne lange Verhandlungen darin übereinstimmen, über welche Entitäten man sinnvoll Handlungsaussagen treffen kann: Trees, we may say, drop their leaves or their fruit (as cows drop calves); this is because they are living organisms (we should never speak of a tap as dropping its drips of water), but means no more to us than that the leaves or fruit drop off 98 them.

Während die Frage, ob Hunde als Personen gelten könnten, noch verständlich ist, erscheint die Frage, ob ein Baum eine Person ist, eher komisch, und niemand fragt ernstlich, ob ein Wasserhahn eine Person ist. Was ein Wasserhahn tut, hat nicht im selben Sinn eine Bedeutung wie das, was ein Hund oder ein Baum tun, selbst wenn manches Prädikat für alle drei anwendbar ist. Wir meinen nicht dasselbe, wenn wir von einem Wasserhahn, von einem Baum oder von einer Person sagen, dass sie etwas fallen lassen bzw. dass etwas von ihnen abfällt, weil – dies ist der entscheidende Punkt – wir nur gegenüber Personen eine partizipative Einstellung einnehmen. [↑3.3.3] Um den Begriff der Person zu explizieren, scheint es daher unerlässlich, spezifische Einstellungen und Relationen zu beschreiben, die nur _____________ 98

Anscombe 1963 [1957], § 47, 86.

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KAPITEL 4

gegenüber Personen möglich sind, und zu ergründen, warum sie nur gegenüber Personen möglich sind. Der Personenstatus hängt eng mit unseren eigenen Einstellungen zusammen und damit mit dem Repertoire an unmittelbaren Gefühlen oder Reaktionen, die wir für angemessen halten. Anscombes Hunde-Szenario wirft die Frage nach dem Personenbegriff vor allem dadurch auf, dass sie den Hund in einer bestimmten Art und Weise schildert: Sie beschreibt sein Verhalten mit den Prädikaten ‚..weiß_‘ und ‚..will_‘, durch mentale Fakten also, die ein menschliches Verständnis vom Verhalten des Hundes vermitteln. Sein Verhalten ergibt für uns einen Sinn, wenn wir ihm zuschreiben, dass er dies weiß und jenes will. So ist die Frage, ob der Hund eine Person ist, womöglich falsch gestellt. Es scheint eher darauf anzukommen, ob wir ihn als Person ansehen und ihm diesen Status in unseren Vollzügen und gemeinschaftlichen Praxen zubilligen. Zweitens: Man müsste den Zusammenhang zwischen Personenstatus und der Zuschreibung von Lebensbedingungen näher untersuchen und herausfinden, ob es wechselseitige Bedingungsverhältnisse gibt. Schatzki beispielsweise hält die Möglichkeit, einem Wesen Lebensbedingungen zuzuschreiben, für eine notwendige Bedingung der Personalität – nicht umgekehrt.99 Wenn es zutrifft, dass wir Bedeutungsmuster in Gemeinschaften erlernen und dass manche Faktenkonstellationen aufgrund erlernter sozialer Praxen für uns ausdrücken, wie es anderen geht, dann beruht auch die Unterscheidung zwischen Personen und Nicht-Personen auf sozialen Praxen, auf einem geteilten Verständnis bestimmter Begriffe. Personen, so wäre weiter zu vermuten, sind nicht nur Wesen, deren Lebensbedingungen sich in ihrem körperlichen Verhalten für andere ausdrücken, sondern Wesen, die ihrerseits das Verhalten anderer als Ausdruck von Lebensbedingungen verstehen können. Damit wären die Fähigkeiten zu Ausdruck und Zuschreibung Voraussetzungen für den Personenstatus: A ist eine Person, wenn A sowohl erstes als auch zweites Relatum einer Instantiierung von AΔ und ZΔ sein kann, das heißt sowohl Autorin als auch Adressatin einer Zuschreibung von Lebensbedingungen. So wäre zu erklären, dass das Verhalten eines Wasserhahns oder eines Baumes eine andere Bedeutung hat als das Verhalten einer Person, selbst wenn man für alle drei dasselbe Prädikat – beispielsweise ‚..drops..‘ – verwenden kann. Zudem müsste sich A, um _____________ 99

Vgl. Schatzki 1996, 34 f.

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als Person zu gelten, auch selbst als Wesen verstehen, das seine Lebensbedingungen für andere ausdrückt und das Lebensbedingungen anderer erkennen kann. Personalität würde dann auch die Fähigkeit erfordern, eigene Lebensbedingungen als etwas zu begreifen, das auf interpersonellen Beziehungen beruht oder durch solche Beziehungen entsteht. Hier ließe sich der Fall eines Hundes nochmals erwägen: Selbst wenn man ihm in einem gewissen Maße die Fähigkeit zugesteht, Zuschreibungen zu treffen, so nimmt er doch kaum eine interpersonelle Einstellung gegenüber seinen Menschen ein; insbesondere versteht er sich selbst nicht als Wesen mit der Fähigkeit, die Lebensbedingungen anderer zu verstehen.

4.3 Zusammenfassung Die Lektüre von Intention begann mit Anscombes Differenzierung zweier Bedeutungsnuancen von ‚Absicht‘ in alltagssprachlichen Kontexten: einfache Absichtlichkeit und weiterführende Absicht. Da jedes Verhalten unendlich viele Beschreibungen zulässt – unter einigen gilt es als absichtliches Handeln, unter anderen nicht –, können die Bedingungen für Absichtlichkeit nicht in seiner Kausalgeschichte liegen. Denn auch wenn ein Verhalten Beschreibungen als absichtliches Handeln ebenso zulässt wie Beschreibungen als unabsichtliches bloßes Verhalten, besitzt es nur eine einzige Kausalgeschichte. Dies ist einer der Gründe, weshalb Anscombe überzeugt ist, dass Absichten weder Ursachen noch physikalische Eigenschaften von Handlungen sind. Nach ihrer eigenen Konzeption ist Absichtlichkeit eine Weise, etwas über Menschen auszusagen, das über physikalische Beschreibungen ihrer Körperbewegungen hinausgeht und mit solchen Beschreibungen gar nicht konkurriert. Jene sind durch diese weder ersetzbar noch auf sie reduzierbar. Die einen folgen nicht aus den anderen und implizieren sie auch nicht logisch. Anders gesagt: Angemessenheit und Bedeutung von Handlungsbeschreibungen hängen nicht von der Wahrheit bestimmter physikalischer Beschreibungen ab. Handlungsbeschreibungen sind genuine Weisen zu sagen, was der Fall ist, was wirklich passiert. Sie sind gegenüber anderen Weisen der Wirklichkeitsbeschreibung dadurch gekennzeichnet, dass sie eine bestimmte Form von Dialog eröffnen können: Aus einer Handlungsbeschreibung der Form ‚A a-t‘ lässt sich eine Warum-Frage nach

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KAPITEL 4

Gründen generieren: ‚Warum a-t A?‘ Kann eine Akteurin diese Frage in der Weise beantworten, dass ersichtlich wird, inwiefern es für sie gut oder nützlich ist zu a-en, dann gilt A’s Verhalten unter der Beschreibung ‚A a-t‘ als begründbar und, wegen seiner Begründbarkeit, als absichtliches Handeln. [↑4.1.1] Wer eine Warum-Frage der Form ‚Warum a-st du?‘ an eine andere Person richtet, der unterstellt, dass die Adressatin ohne Beobachtung weiß, dass sie a-t. Allerdings ist Wissen ohne Beobachtung vom eigenen Verhalten keine Garantie für dessen Begründbarkeit. Es kann sein, dass jemand weiß, dass er a-t, und dennoch keine Gründe dafür hat. Er mag auf die Warum-Frage antworten: ‚Ich a-e einfach so, ohne besonderen Grund.‘ Mit dieser Antwort stellt er sein Verhalten nicht als unabsichtlich dar, denn nicht die faktische Begründbarkeit ist entscheidend für die Handlungsgeltung, sondern die Anwendbarkeit der Frage nach Gründen. Diese Anwendbarkeit erweist sich nach Anscombe darin, dass eine Akteurin von der Warum-Frage nicht überrascht wird, dass sie nicht erst durch die Frage ‚Warum a-st du?‘ entdeckt, dass sie im Begriff ist zu a-en. Dieses Gewahrsein des eigenen Verhaltens nennt Anscombe ‚Wissen ohne Beobachtung‘ und beschreibt es als notwendige Bedingung der Handlungsgeltung: Akteure müssen sich im Klaren darüber sein, dass ihr Verhalten unter eine bestimmte Beschreibung der Form ‚A a-t‘ fällt, damit es unter dieser Beschreibung als absichtliches Handeln gelten kann. [↑4.1.2] Weil diese Bedingung für viele Verhaltensweisen erfüllt ist, die nicht in den Bereich des absichtlichen Handelns fallen (sollten), nimmt Anscombe eine Präzisierung vor und erläutert den Bereich des praktischen Wissens als Teilbereich des Wissens ohne Beobachtung. Praktisches Wissen hat Fakten zum Gegenstand, die von Akteuren antizipiert werden und aufgrund dieser Antizipation eintreten. Wenn jemand sagt ‚Ich backe einen Kuchen‘, artikuliert er praktisches Wissen vom eigenen Tun, falls er auch die richtigen Handgriffe und Schritte ausführt, die dazu führen, dass ein Kuchen entsteht. Das praktische Wissen einer Person erweist sich darin, dass sie unter konkreten Umständen geeignete Mittel und Werkzeuge findet, sie im rechten Maß und in der richtigen Reihenfolge einsetzt, Probleme voraussieht und im Vollzug löst, so dass schlussendlich genau die Sachverhalte eintreten, die sie antizipiert hatte. Der entscheidende Unterschied zwischen theoretischem Wissen und praktischem Wissen liegt in der jeweils möglichen

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Diskrepanz zwischen Wissen und Wirklichkeit bzw. in der jeweils fälligen Korrektur: Fehler im theoretischen Wissen erfordern eine Korrektur auf der epistemischen Seite, Fehler im praktischen Wissen erfordern eine Korrektur auf der praktischen Seite, an der Ausführung, an den Handgriffen und Schritten, die jemand unternimmt. [↑4.1.3] Im Resultat meiner Interpretation ergab sich INT** als Rekonstruktion des absichtlichen Handelns nach Anscombe: INT**

A a-t absichtlich, (1) wenn die Frage ‚Warum ist es gut oder nützlich, dass du a-st?‘ anwendbar ist und (2) wenn A nicht nur durch Beobachtung weiß, dass die Beschreibung ‚A a-t‘ auf ihr Verhalten zutrifft, sondern (3) ihr Verhalten praktisches Wissen manifestiert

Im zweiten Teil des Kapitels habe ich diesen Handlungsbegriff mit einer Konzeption der Mentalität verbunden. ‚Mentalität‘ umfasst mentale Fakten über Personen. Mentale Fakten sind solche, die in Antworten auf die Fragen, wie es jemandem geht, was für ihn gerade anliegt oder was für ein Mensch er ist, benannt werden können. Mit einem Terminus von Theodore Schatzki habe ich die Konstellationen mentaler Fakten, die eine Person zu einer Zeit oder in einer Phase ihres Lebens betreffen, als ‚Lebensbedingungen‘ bezeichnet. Außerdem habe ich Schatzkis vierfache Unterscheidung in Bewusstseinsbedingungen, emotionale Bedingungen, intellektuelle Bedingungen und Handlungen übernommen. Die Zugehörigkeit von Handlungen zu den mentalen Fakten über Personen ließ sich nach den Ausführungen des ersten Teiles damit begründen, dass Handlungsbeschreibungen die Bedeutung von körperlichem Verhalten explizit machen. Sie sagen etwas über Personen, über ihre Wünsche, Überzeugungen und Absichten. Handlungsbeschreibungen gehen daher stets mit der Zuschreibung einer Vielzahl anderer mentaler Fakten über die Akteure einher. Sie sind eine Möglichkeit, die Frage, wie es jemandem geht oder was für ihn gerade anliegt, zu beantworten. [↑4.2.1] Auch Handlungsabsichten, wie von Anscombe konzipiert, ließen sich als Lebensbedingungen darstellen. Nahegelegt wird diese Lesart durch Anscombes Erklärung, Absichten würden in den Aussageformaten ‚A a-t, um zu a*-en‘ und ‚A a-t, damit p‘ ausgedrückt. Damit analysiert sie Absichten als eine Art von mentalen Fakten über A. Außerdem bestreitet Ans-

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KAPITEL 4

combe wie Schatzki, dass Lebensbedingungen innere Zustände oder Ereignisse sind. Beide lehnen das Bild von Absichten als innere Ereignisse oder als äußerlich erkennbares Produkt eines inneren mentalen Apparates ab. Anscombes prominentes Schlagwort, Handlungen seien stets unter einer Beschreibung absichtlich, konnte damit neu interpretiert werden: Dass eine Akteurin etwas mit Absicht tut oder eine bestimmte Absicht hat, bedeutet, dass ein Fakt der Form ‚A will a*-en‘ oder ‚A wünscht, dass p‘ besteht, der in einer non-kausalen Relevanzrelation zu dem Fakt steht, dass A a-t. Nonkausale Faktenrelationen kommen häufig durch institutionelle Muster oder soziale Praxen zustande: Wir wissen, wie es anderen geht, weil und insofern sich ihre Lebensbedingungen in ihrem körperlichen Verhalten ausdrücken, und sie drücken sich darin aus, weil wir in einer Gemeinschaft leben, in der bestimmte Verhaltensweisen in bestimmten Situationen bedeuten, dass es jemandem so oder so geht, dass er dies oder jenes will, glaubt, fürchtet, vermutet oder bezweckt. [↑4.2.2] Ausdruck und Zuschreibung von Lebensbedingungen gehen stets miteinander einher. Ich habe dieses Wechselverhältnis in Form zweier konverser Relationen rekonstruiert, der dreistelligen Ausdrucksrelation AΔ und der dreistelligen Zuschreibungsrelation ZΔ: ZΔAΔ

B schreibt A zu, dass p (für A) ↔ A drückt für B aus, dass p (für A)

Es ist wesentlich für die Relationen ZΔ und AΔ, dass sie zwischen Personen bestehen. Das körperliche Verhalten einer Person drückt deren Lebensbedingungen für andere Personen aus; Personen schreiben einander Lebensbedingungen zu. Deshalb ist das Kriterium der Ausdrucksrelation die interpersonelle Verständlichkeit eines Verhaltens als gut oder als nützlich für die Akteurin. [↑4.2.3–4.2.4] Auch wenn der soziale Hintergrund, vor dem Ausdruck und Zuschreibung stattfinden, nicht durch eine vollständige Liste theoretischer Bedingungen definierbar ist, ließ sich doch über Illustrationen und Beispiele bestimmen, welchen Einfluss er auf die Bedeutung körperlichen Verhaltens hat. A. I. Melden, der sich etwa zur gleichen Zeit wie Elizabeth Anscombe mit dem Begriff des Handelns und den Bedingungen der Verständlichkeit menschlichen Handelns befasste, rückt den Hintergrund in den Mittelpunkt seiner Konzeption, den ich unter den Stichworten ‚Normen‘, ‚Regeln‘ und

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‚Praxen‘ bislang eher umschrieben als erläutert habe. In Meldens Ansatz, der Gegenstand des nächsten Kapitels ist, werden die Relationen des Ausdrucks und der Zuschreibung in einen weiteren praktischen Kontext gestellt. Damit ergibt sich eine stärkere Begründung für die soziale Einbindung von Handlungszuschreibungen.

5 Zuschreibungskonzeption III: A.I. Melden. Handeln im Kontext

Im Jahr 1956, wenig vor Elizabeth Anscombes Intention, veröffentlichte Abraham I. Melden einen Artikel mit dem knappen Titel Action, einige Jahre später, 1961, die Monografie Free Action. Damit trat er kurz, aber nachhaltig in die handlungstheoretische Debatte ein. In früheren Artikeln hatte sich Melden vorrangig mit Themen der Moralphilosophie befasst, später stand die Rechtsphilosophie für ihn im Vordergrund.1 In Action und Free Action wendet sich Melden wie vor ihm Hart und Anscombe gegen kausalistische Handlungskonzeptionen. In seinen Argumentationen ist der Einfluss Wittgensteins unverkennbar. Melden selbst weist diesen Bezug kaum je explizit aus, doch die Verwendung einschlägiger Signalwörter – Regel, (Sprach-)Spiel, Lebensform – spricht für sich. Beschränkten sich Hart und Anscombe in ihren Untersuchungen im Wesentlichen auf die Paarkonstellation Akteurin / Beobachter, bindet Melden diese beiden Protagonisten nun in eine Gemeinschaft ein: Jedes Mitglied einer Gemeinschaft kann prinzipiell beide Rollen übernehmen, auch gleichzeitig. Jede Akteurin beobachtet zugleich andere Akteure und kann ihr Handeln nach deren Erwartungen oder Bedürfnissen einrichten. Jeder Beobachter zieht aus den Handlungen anderer Konsequenzen für seine eigenen Entscheidungen und Pläne.2 Für Mitglieder menschlicher Gemein_____________ 1

2

Unter den moralphilosophischen Artikeln finden sich z. B. Why be Moral? (The Journal of Philosophy 45.17 [1948], 449–456) und On Promising (Mind 65.257 [1956], 49–66). Einflussreich waren jedoch vor allem die Bücher Rights and Right Conduct (Oxford: Blackwell 1959), Human Rights (Belmont: Wadsworth 1970), Rights and Persons (Oxford: Blackwell 1977) sowie Rights in Moral Lives (Berkeley: University of California Press 1988). Vgl. Melden 1961, 133.

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KAPITEL 5

schaften ist es der Normalzustand, Akteur und Beobachter zugleich zu sein, eben hierin besteht das von Strawson so treffend charakterisierte „human commitment to participation“.3 Melden teilt wesentliche Annahmen mit anderen nicht-kausalistischen Autoren, insbesondere mit Elizabeth Anscombe. Ich fasse die wichtigsten Gemeinsamkeiten kurz zusammen und wende mich dann den Eigenheiten von Meldens Ansatz zu. Erstens: Praktisches Wissen wird von Melden nicht eigens thematisiert, zumindest nicht unter dieser Bezeichnung. Er mahnt jedoch, den Begriff des Verstandes [reason] nicht ausschließlich auf theoretisches Wissen zu beziehen: „Here we need to discover our sense […] that rationality is as much a feature of wanting and doing as it is of thinking; indeed, that rationality begins with the practical knowledge involved in doing.“4 Dies erinnert an Anscombes Kritik am traditionellen Wissensbegriff, der zu Unrecht auf spekulatives Wissen beschränkt sei. [↑4.1.3] Zweitens hält auch Melden die Konzeption von Handlungsgründen als Ereignisse für verfehlt: „No doubt something makes the rising of my arm the action of my raising my arm, but that something cannot be another event distinct from the mere bodily happening.“5 Diese Annahme mentaler Ereignisse neben dem körperlichen Verhalten folgt nach Meldens Beobachtung aus der abermals irrigen Annahme, Handlungserklärungen seien Kausalerklärungen und folglich nennten ihre Explanantia Ereignisse. Erkenne man die Falschheit dieser Kausalitätskonzeption, erübrige sich auch die Annahme, Gründe seien mentale Ereignisse. Drittens teilt Melden die Beobachtung, dass jedes Verhalten unzählige Beschreibungen erlaubt. Mit einigen wird es als unwillkürliches, unwissentliches oder unabsichtliches bloßes Verhalten dargestellt, mit anderen als absichtliches Handeln. Hebt jemand den Arm, kann sowohl die Aussage ‚A’s Arm hebt sich‘ zutreffen als auch ‚A gibt B ein Signal‘. Nur die zweite Beschreibung stellt die Bewegung als Handlung dar. Aus handlungstheoretischer Sicht ist die entscheidende Frage, welche Implikationen mit diesen beiden Beschreibungen jeweils einhergehen und unter welchen Bedingun_____________ 3 4 5

Strawson 2003 [1962], 81. Melden 1961, 133. Melden 1961, 80 (Hervorhebung original). Vgl. auch 77–81, 85, 94.

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gen wir die zweite eher äußern würden als die erste. Nicht entscheidend ist hingegen, welche Kausalgeschichte einer Bewegung vorangeht, auf die beide Beschreibungen zutreffen.6 Viertens: Ob jemand etwas mit Absicht tut (und was), ist auch nach Meldens Beobachtung schlicht an seinem körperlichen Verhalten zu sehen. Handlungsabsichten seien keine privaten Entitäten, verborgen im Inneren einer Person, sie lägen vielmehr mit ihrem Verhalten offen zutage. Damit fasst auch Melden den Handlungsbegriff nicht als Bezeichnung einer ontologischen Kategorie auf, sondern als Bezeichnung der semantischen Dimension, die das körperliche Verhalten von Personen haben kann. Dies ist für Meldens Handlungskonzeption besonders wichtig. Stärker noch als Hart und Anscombe betont er, dass die traditionelle Grundfrage der Handlungstheorie, was eine Handlung bzw. menschliches Handeln an sich sei, nicht sinnvoll ist, sofern sie voraussetzt, dass ‚Handlung‘ und ‚Handeln‘ eine bestimmte Art von Entitäten bezeichnen und mittels notwendiger und hinreichender Bedingungen definierbar sind. In dieser Voraussetzung liegt nach Meldens Ansicht ein Grundirrtum kausalistischer Handlungstheorien. Dieser habe zur Folge, dass ihre Vertreter versuchten, den Handlungsbegriff unter Absehung von konkreten Situationen, spezifischen Umständen und individuellen Akteuren zu bestimmen. Dabei, meint Melden, müsste man umgekehrt verfahren. Für die Unterscheidung zwischen Handlungen und bloßem Verhalten geben gerade konkrete Umstände und Personen den Ausschlag: „To act is to perform this or that particular action in this or that particular situation.“7 Während für Melden in Action noch der Begriff der Regel im Vordergrund steht, geht es ihm in Free Action darum zu bestimmen, welche Umstände und welche Eigenschaften von Personen es sind, anhand deren wir zwischen Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden. Dabei rückt der Begriff des Akteurs gegenüber dem der Handlung zunehmend in den Vordergrund. Ich vollziehe diese konzeptionelle Entwicklung in diesem Kapi_____________ 6 7

Vgl. Melden 1961, 18 f. Melden 1961, 195. Vgl. auch 84–86, 94–96, 187 f., 195 f. Theodore Schatzki zeichnet den Weg dieser Annahme von der Herkunft bei Wittgenstein über Meldens Zeitgenossen, z. B. Peter Winch, bis zur heutigen ‚Practice Theory‘, vertreten z. B. durch Pierre Bourdieu und Anthony Giddens, nach. Vgl. Schatzki 2000.

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KAPITEL 5

tel nach und untersuche zuerst Meldens These, Handeln bestehe in der Befolgung von Regeln. [↓5.1] Mit Melden weite ich diese Konzeption dann aus und untersuche die Rolle des lokalen und sozialen Umfeldes für die Handlungsgeltung körperlichen Verhaltens. Dabei lässt sich ein Merkmal des Handlungsbegriffes herausarbeiten, das sich explizit bereits bei Hart, implizit auch bei Anscombe fand: Der Handlungsbegriff ist nicht durch notwendige und gemeinsam hinreichende Bedingungen definierbar. (Keiner der drei meint, der Handlungsbegriff sei ganz und gar unbestimmbar und seine Anwendung beliebig. Sie würden sonst nicht so viel Mühe gerade auf diese Bestimmung verwenden.) Melden meint, die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten unterliege stattdessen praktischen Bedingungen. Praktische Bedingungen sind situationsspezifisch und erfordern eine Deutung durch die Teilnehmer der betreffenden Situation. Damit argumentiert Melden ähnlich wie Hart, dessen Ansatz sich durch Wittgensteins Begriff des Kriteriums zwanglos interpretieren ließ. Auch Meldens praktische Bedingungen lassen sich in diesem Sinne als Kriterien der Handlungsgeltung auffassen. Wir verstehen das Verhalten einer Person nicht deshalb als Handlung, weil wir feststellen, dass alle notwendigen Bedingungen für die Verwendung des Handlungsbegriffes erfüllt sind. Wir erkennen Handlungen vielmehr dadurch, dass wir den Sinn erfassen, den jemandes Verhalten im konkreten praktischen Kontext hat. An dieser Stelle werde ich abermals bei Theodore Schatzki leihen, und zwar die von ihm entworfene Relation der praktischen Verständlichkeit, mit deren Hilfe ich den Handlungsbegriff nach Melden relational rekonstruiere. [↓5.2] Mit Melden wird sich bestätigen, was ich für Harts und Anscombes dialogische Handlungskonzeptionen behauptet, aber noch unzureichend begründet habe: Die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten setzt bestimmte interpersonelle Verhältnisse als Bedingung ihrer Möglichkeit voraus. Handeln von bloßem Verhalten zu unterscheiden ist nur dann möglich, wenn die Akteursgeltung derjenigen, die in eine Situation involviert sind, unterstellt ist. Diese Unterstellung, und nicht bestimmte Kausalgesetze, erklärt, weshalb die Frage der Handlungsgeltung in Bezug auf die Körperbewegungen von Menschen in aller Regel sinnvoll und beantwortbar ist, während sie sich für andere Wesen nie stellt, selbst wenn sie eine gewisse Form von Verhalten zeigen. [↓6.1]

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5.1 Handeln als Regelfolgen 5.1.1 Das Schach-Modell Zwei Parameter der Handlungsgeltung spielen für Melden sowohl in Action als auch in Free Action eine tragende Rolle. Zum einen Regeln [rules] oder Konventionen [conventions], zum anderen der Kontext [context] oder die Umstände [circumstances] eines Verhaltens.8 Mithilfe dieser Begriffe unternimmt Melden zwei aufeinander aufbauende Versuche zu erklären, wie wir zwischen Handeln und bloßem Verhalten ohne spezielle introspektive Verfahren, relativ unaufwendig und erfolgreich unterscheiden können. Die Beantwortung dieser Frage vollzieht sich in der Auseinandersetzung mit kausalistischen Handlungskonzeptionen. Dabei stellt Melden drei Kritikpunkte in den Vordergrund, einen ‚ontologischen Fehler‘ bei der Bestimmung des Handlungsbegriffes, eine ungerechtfertigte Verengung seiner Extension sowie eine dogmatische Auffassung von Gründen. Zum ersten Punkt, dem ontologischen Fehler: Die kausalistische Gleichung ‚Handlung = Körperbewegung + x‘ stellt nach Melden Handlungen als punktuelle Geschehnisse dar, deren Handlungscharakter durch ein bestimmtes Merkmal (x) festgelegt ist. In welchem Umfeld die Körperbewegungen vorkommen, wer sie ausführt und wer sie wahrnimmt, spielt für die Frage, ob eine Handlung stattfindet oder bloßes Verhalten, gar keine Rolle. Je nach Ansatz werden für x Gründe, Motive, Absichten oder Deliberationen eingesetzt und mit kausaler Kraft ausgestattet. Das heißt die Gründe, Motive, Absichten treten nicht einfach zu einer Körperbewegung hinzu, sie sorgen dafür, dass die Bewegung überhaupt stattfindet. Deshalb gilt x als hinreichende Bedingung dafür, dass die Körperbewegung eine Handlung ist. Da x somit für die ontologische Zugehörigkeit der Körperbewegung entscheidend ist, _____________ 8

In Action (1956) verwendet Melden nur ‚rule‘, in Free Action (1961) auch ‚convention‘. Ich habe keine Begründung für die Wahl dieser Termini gefunden. Die spätere Verwendung von ‚convention‘ könnte darin begründet sein, dass sich Melden in Free Action allgemeiner mit dem praktischen Verstehen bzw. dem Verstehen von Verhalten in praktischen Kontexten befasst. Die Schach-Analogie ist nicht mehr zentral. Vielleicht erschien ihm ‚convention‘ besser als ‚rule‘ geeignet, die vagen, oft unausgesprochenen Regeln des Alltagslebens zu erfassen. Neben ‚context‘ findet sich bei Melden auch ‚circumstances‘, was ich als Synonym betrachte, da kein Unterschied in Bedeutung und Verwendung beider Ausdrücke zu erkennen ist.

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KAPITEL 5

müssen die von Melden kritisierten kausalistischen Additionsmodelle davon ausgehen, dass Handeln und bloßes Verhalten disjunkte Bereiche sind. Demzufolge lautet die Antwort auf die Frage, ob jemand etwas mit Absicht tut, entweder ‚Ja‘ oder ‚Nein‘, aber niemals ‚In dieser Hinsicht ja, in jener nein‘. Nach Meldens Ansicht werden kausalistische Additionsmodelle einem wichtigen Aspekt von Handlungen damit nicht gerecht, denn wir lassen graduelle Handlungsgeltung durchaus zu. Zweitens: Additionsansätze beschneiden die Extension des alltagssprachlichen Handlungsbegriffes sehr stark, weil sie ausschließen müssen, dass es Handlungen ohne Gründe, Motive, Absichten oder Deliberationen – was immer an Stelle von x steht – gibt. Damit fällt all das aus dem Bereich des absichtlichen Handelns, was wir gewohnheitsmäßig, aus Konvention oder Routine tun, ohne darüber nachzudenken. So wäre es kein absichtliches Handeln, wenn eine geübte Autofahrerin ihr Fahrzeug durch den Stadtverkehr manövriert, ohne jedes einzelne Blinken, Bremsen, Anfahren und Schalten zum Gegenstand einer Entscheidung zu machen, oder wenn jemand ein beiläufiges ‚Guten Tag‘ mit demselben Gruß beantwortet, ohne erst das Für und Wider abzuwägen. Melden hingegen hält es für ein Zeichen gelungener Integration in eine Akteursgemeinschaft, dass jemand in der Lage ist, an deren Bräuchen und Gepflogenheiten auch ungeachtet seiner eigenen momentanen Wünsche und Überzeugungen teilzunehmen: „I pass the salt to my dinner companion not in order to please him or with any other motive or purpose in mind, but because I am polite. I act out of politeness rather than for the sake of politeness.“9 Routiniertes Handeln nach Normen und Bräuchen passe jedoch nicht in das Schema ‚Handlung = Körperbewegung + x‘ und dies zeige, dass Handlungsgeltung nicht durch spezifische Kausalursachen zustande komme.10 Das dritte Problem, das Melden in kausalistischen Ansätzen feststellt, ist ein gewisser Dogmatismus bei der Konzeption von Handlungsgründen _____________ 9 10

Melden 1956, 526. Vgl. Melden 1956, 524–526. Einen Anhaltspunkt für die Handlungsgeltung von Gewohnheiten und Routinen bietet nach Melden die Tatsache, dass wir hier in denselben normativen Kategorien urteilen wie bei Handlungen, die auf Entscheidungen beruhen – richtig oder falsch, gut oder schädlich, angemessen oder unangemessen. Außerdem werden Akteure für die quasi-automatische Ausführung von Routinen in gleicher Weise zur Verantwortung gezogen wie für geplante Handlungen.

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und, in Folge dessen, von Handlungserklärungen: Das Schema ‚Handlung = Körperbewegung + x‘ lässt nur eine bestimmte Art von Handlungsursachen zu, die jeweils befürwortete Instantiierung von x. Damit übersehe man die Vielfalt und Komplexität von Lebensbedingungen, durch die menschliches Handeln erklärbar sein kann: The cases range from those in which nothing that seems at all relevant happens except the occurrence of the bodily movement – one responds to the situation in which one finds oneself almost automatically, guided as it were by habit and the whole accumulation of past experience – to the cases in which force of mind, great effort, or internal struggles are involved as habit is resisted or passions and tempta11 tions conquered […].

Dieser Einwand trifft vor allem die Standardversion des Additionsansatzes, das Ü-W-Modell. [↑1.5] Es leuchtet Melden keineswegs ein, dass Handeln immer und in jedem Fall darin bestehen soll, dass Personen eigene Wünsche gemäß eigenen Überzeugungen erfüllen. Zwar erkennt er an, dass viele Handlungen in dieser Weise erklärbar sind, doch sei das Ü-W-Modell nichtsdestotrotz nur eine Weise, Handlungen zu erklären. Vieles Verhalten werde von diesem Schema nicht erfasst, doch folge daraus nicht sogleich, dass man es nicht als Handeln verstehen kann. Beispiele liefert Melden mit dem Hinweis auf Routinen und Gewohnheiten und betont: Selbst wenn eine Handlung durch Wünsche und Überzeugungen einer Akteurin erklärbar ist, spielen diese Mentalia nicht die kausale Rolle, die ihnen in der Standardlesart des Ü-W-Modells zugedacht wird.12 Seine Gegenargumente wie auch seine Alternative zum kausalistischen Modell entwickelt Melden anhand des Schachspiels, seinerzeit eine populäre Metapher: Consider the example of the chess move. One who knows no chess may see only the movements of arms and fingers as odd-shaped objects are moved about on a checkered surface; one who knows the game may see a given offensive or defen13 sive move taking place.

_____________ 11 12 13

Melden 1956, 526. Vgl. Melden 1956, 524 f. sowie Melden 1961, Kap. 8. Melden 1956, 531.

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Wenn man den Unterschied in der Wahrnehmung der beiden Beobachter erklären könnte, hätte man auch den wesentlichen Unterschied zwischen Handeln und bloßem Verhalten erfasst, meint Melden. Nun liegt dieser Unterschied scheinbar auf der Hand, der eine Beobachter beherrscht das Schachspiel, der andere nicht: The [latter] simply does not know what takes place during the game, and the [former], far from offering a description that overlaps the former’s curious description 14 of what takes place, is saying something radically different in character.

Der eine Beobachter versteht, dass eine Spielerin einen Schachzug ausführt, weil er ihre Bewegungen ohne größere hermeneutische Anstrengungen als Schachzug sieht. Der andere hingegen sieht nicht nur zum ersten Mal eine Schachpartie, er hat überhaupt keinen Begriff von Brettspielen oder irgendeinem regelgeleiteten Spiel. Deshalb ergeben die Bewegungen der Spielerinnen für ihn keinerlei Sinn. Er erkennt weder Absichten noch Zwecke, weder Plan noch Muster. Der regelunkundige Beobachter nimmt zwar wahr, wenn eine der Holzfiguren auf eine andere Position gerückt wird, es ist für ihn aber vollkommen unklar, was diese Veränderung zu bedeuten hat, wie sie in normativer Hinsicht zu bewerten ist und was praktisch aus ihr folgen könnte.15 Als wohl wichtigstes Resultat dieses Gedankenexperiments wird deutlich, dass Handlungsgeltung gar nicht in erster Linie von den Wünschen, Überzeugungen oder sonstigen Mentalia der Schachspielerinnen abhängt, sondern von den epistemischen Voraussetzungen der Beobachter, von ihrer Kenntnis bzw. Unkenntnis der Schachregeln: „The concept [of a chess move] is obviously social in character, logically connected with the concept of rules.“16 Eine erkennbare Bindung an Regeln ist nach Melden die entscheidende Bedingung für die Handlungsgeltung körperlichen Verhaltens. Es muss sich für andere als Befolgung einer Regel darstellen. Ein gewichtiger Einwand gegen diese Behauptung drängt sich sogleich auf: Die Akteursperspektive kann doch nicht gänzlich irrelevant sein! Ob ein Zuschauer die Schachzüge versteht oder nicht, kann doch nicht den _____________ 14 15 16

Melden 1956, 531. Vgl. Melden 1956, 538. Melden 1956, 532.

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Ausschlag dafür geben, dass die beiden Akteurinnen Schach spielen, absichtlich, wissentlich, im Vollbesitz ihrer Handlungsfähigkeit. Es scheint, dass Meldens Schach-Beispiel weniger die Kriterien der Handlungsgeltung illustriert als vielmehr die epistemologische Binsenweisheit, dass man in konkreten Fällen nicht identifizieren kann, wovon man keinen generellen Begriff hat. Der Einwand trifft. Das Schachspiel eignet sich in der Tat nur begrenzt als Modell für menschliches Handeln im Allgemeinen. Nicht zuletzt deshalb mag Melden später in Free Action einen viel weiteren Ansatz gewählt haben, um die Kriterien der Handlungsgeltung darzulegen. Es lohnt sich dennoch, seine ursprüngliche Idee zu betrachten. Zum einen ist Melden nicht der Erfinder der Schach-Metapher, sondern bewegt sich mit ihr auf bewährtem Pfad. Die These ‚Handeln ist Regelfolgen‘ muss bei etlichen seiner Zeitgenossen in Philosophie und Sozialwissenschaften auf Zustimmung gestoßen sein und stellt alles andere als eine abseitige Einzelgängerposition dar.17 Zum anderen verkürzt diese These den Handlungsbegriff zwar stark, sie ist aber nicht völlig abwegig. Im vorangegangenen Kapitel habe ich erwähnt, dass es für viele Lebensbedingungen, in die Menschen geraten können und die ausmachen, wie es ihnen geht, typische Ausdrucksweisen gibt. Wenn sich jemand freut oder wenn jemand trauert, erkennt man es oft daran, dass sein Verhalten eine Variation des standardmäßigen Freude- bzw. Trauerverhaltens ist. [↑4.2] Es scheint daher etwas Wahres an dem Gedanken zu sein, dass die Handlungsgeltung von Verhalten zumindest auch mit seiner Entsprechung zu Mustern oder Standards zu tun hat, wie auch Bewegungen von Schachfiguren einem Regelwerk entsprechen müssen, um als Schachzüge zu gelten. Die Regelbindung von Schachzügen ist offenkundig – woran das liegt, führe ich unter dem Stichwort ‚konstitutive Regeln‘ gleich aus. Die Regelbindung alltäglicher Handlungen ist demgegenüber oft schwieriger zu erkennen, weil ihre Ausführung unzähli_____________ 17

Wittgenstein entwickelt das Sprachspielkonzept anhand des Schachspiels (vgl. z. B. Wittgenstein 1984 [1953], §§ 31, 33, 47 f., 66 f., 197–200); daran anknüpfend deutet Peter Winch soziale Interaktionen analog zu Spielen (vgl. Winch 1956, 27–29), und R. S. Peters verkündet ohne lange Erklärung mit einem einzigen Satz: „Man in society is like a chess-player writ large“ (Peters 1958, 7). Dies wiederum sieht Charles Landesman, nicht ganz zu Unrecht, als „an illustration of how dead a metaphor can get“ (Landesman 1965, 332).

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KAPITEL 5

ge Variationen zulässt. Dies scheint umso mehr für Handlungen zu gelten, die in einem fremdartigen Umfeld stattfinden oder keiner Alltagsroutine folgen. Dennoch insistiert Melden, dass wir nur regelgebundenes Verhalten als absichtliches Handeln verstehen können. Er hält Schachzüge für besonders transparente Musterfälle, weil die Regeln hier explizit und eindeutig sind. So ist eindeutig feststellbar, wer Spieler ist und wer nur zuschaut und ob jemand einen korrekten Zug ausführt.

5.1.2 Regeln im Alltag Die Regelbindung alltäglicher Handlungen ist weniger klar und eindeutig als die von Schachzügen. Das heißt aber nicht, betont Melden, dass es im alltäglichen Handeln keine Regeln gibt. Es seien lediglich Regeln anderer Art, nämlich Verstetigungen praktischer Vollzüge und wiederkehrende Reaktionen auf wiederkehrende Fälle, keine expliziten Spielregeln.18 Im Laufe ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sammeln Personen mehr und mehr Erfahrung, wie ‚man‘ sich in bestimmten Situationen verhält, was ‚man‘ unter bestimmten Umständen tut: Again, this is not to say that every instance of acting from habit or custom is a case of obeying a rule. ‚This is our practice‘, ‚this is what we do‘, need only express the things we do as a rule, in general, and through social habit, not the things we do in 19 following a rule.

Das Alltagshandeln jenseits des Schachbretts ist insofern regelhaft, als es gemeinschaftliche Praxen instantiiert, wobei Melden unter Praxen Verfahren, Umgangsformen oder Handlungsweisen versteht, die innerhalb einer Gemeinschaft gelehrt und tradiert werden und deren Ausführung an bestimmte Anlässe gebunden ist.20 Beispiele für Praxen sind Bestattungs- und _____________ 18 19

20

Melden 1956, 532. Melden 1956, 534 (meine Hervorhebung). Meldens Sprachgebrauch ist nicht ganz konsequent. Manchmal verwendet er ‚to obey a rule‘ gleichbedeutend mit ‚to follow a rule‘; manchmal aber auch, um den Kontrast zwischen der Einhaltung expliziter Regeln wie beim Schach und impliziter Regeln wie beim Lesen einer Zeitung zu markieren. In der Debatte um das sogenannte Privatsprachenargument von Ludwig Wittgen-

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Trauerrituale, Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, Standards der Kleidung und Kosmetik. Der Begriff der Praxis umfasst bei Melden daneben auch sehr kleine Ausschnitte des Alltagslebens, etwa das Lesen einer Zeitung oder das Warten an einer Bushaltestelle. Auch bei solchen Minisequenzen ließe sich nämlich eine Standardausführung beschreiben, wie ‚man‘ so etwas (hier) normalerweise macht. Wenn Melden alltägliches Handeln als regelgebunden beschreibt, meint er also nicht, dass es für alle möglichen Handlungen Schritt-für-Schritt-Anleitungen gibt. Er will darauf hinaus, dass wir für viele Praxen eine Standardausführung schildern könnten und dass wir, mit diesem Bild einer Standardausführung im Kopf, in der Lage sind, konkrete Vollzüge einer Praxis zu erkennen, obwohl sie unter stets anderen Umständen auftreten und obwohl ihre Ausführung unzählige Variationen zulässt. Ein signifikanter Unterschied zwischen Schachzügen und Alltagshandlungen lässt sich mit der Differenzierung zwischen regulativen und konstitutiven Regeln herausstellen.21 Regulative Regeln geben an, welche Handlungen ausgeführt werden sollen, falls bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Konstitutive Regeln legen fest, welche Handlung jemand ausführt, falls er sich unter bestimmten Bedingungen in einer bestimmten Weise verhält. Regulative Regeln können als Imperative nach dem Schema ‚In einer Situation der Art S tu a!‘ formuliert werden, zum Beispiel: ‚Bei Rot bleibe stehen, bei Grün darfst du gehen!‘ oder ‚Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest!‘ Diese Anweisungen bestimmen, welche Verhaltensweisen in speziellen Situationen geboten oder angemessen sind. Konstitutive Regeln stellen dagegen nicht nur einen normativen Zusammenhang zwischen bestimmten Situationen und (ohnehin bestehenden) Handlungsoptionen her; konstitutive Regeln schaffen Handlungsoptionen, _____________

21

stein wurde die Möglichkeit von privaten Regeln diskutiert, die ausschließlich einer einzigen Person bekannt sind, Dritten aber prinzipiell epistemisch unzugänglich. Wittgenstein bestritt die Möglichkeit solcher Regeln mit logischen Argumenten; Anscombe und Melden teilen seine Auffassung. Vgl. Wittgenstein 1984 [1953], §§ 243 ff.; zur Diskussion vgl. z. B. Baker 1998, Canfield (Hg.) 1986, Kenny 1973, Kripke 1982, Malcolm 1989, Miller (Hg.) 2000, Stroud 2000. Eine Anwendung des Privatsprachenargumentes speziell auf die Handlungstheorie bietet Kannetzky 2006. Vgl. Searle 1969.

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indem sie ein bestimmtes Verhalten als Handlung der und der Art definieren. Das Verschieben der Figur mit der Bischofsmütze gilt beim Schachspiel als Läufer-Zug, weil es konstitutive Regeln gibt, die diese Figur als Läufer und ihr diagonales Verrücken als Läufer-Zug definieren. Die Funktion konstitutiver Regeln besteht darin festzulegen, welche Handlungen jemand ausführt, der bestimmte Bewegungen in einer bestimmten Situation ausführt. Sie konstituieren Handlungen.22 Durch Schachregeln als konstitutive Regeln wird die Ausführung von Schachzügen erst (logisch) möglich. Deshalb bedeutet eine Aussage wie ‚Adele und Bert spielen Schach‘, dass Adele und Bert die Regeln des Schachspiels befolgen. Jeder Schachzug ist eine Befolgung konstitutiver Regeln, die diesen Zug definieren.23 Aus handlungstheoretischer Sicht ist folgende Gemeinsamkeit von regulativen und konstitutiven Regeln bemerkenswert: Regeln beider Art erlauben eine Bewertung von Handlungen in den Kategorien richtig / falsch, gelungen / misslungen, angemessen / unangemessen oder auch nötig / unnötig. Ganz gleich, ob ihnen regulative oder konstitutive Regeln zugrunde liegen, unterscheiden sich Handlungen von anderem Verhalten vor allem dadurch, dass sie zum Gegenstand normativer Erwartungen und Urteile werden können. Genau dies spricht für Meldens Idee, Regelbindung sei, wenngleich nicht das einzige, so doch das entscheidende Kriterium der Handlungsgeltung.24 Verhalten, das weder konstitutiven noch regulativen Regeln unterliegt, kann weder geboten noch gefordert werden, denn Gebote und Aufforderungen sind nur da sinnvoll, wo Befolgung und Übertretung bzw. Erfüllung und Nichterfüllung unterscheidbar sind. Um zu unterscheiden, ob sich jemand einem Gebot oder einer Aufforderung gemäß – richtig oder _____________ 22 23 24

Vgl. Searle 1969, 33–42. Vgl. Melden 1956, 534 f. Vgl. auch Wittgenstein 1984 [1953], §§ 206–211 und §§ 232–235. „Das Wort ‚Übereinstimmung‘ und das Wort ‚Regel‘ sind miteinander verwandt, sie sind Vettern. Lehre ich Einen den Gebrauch des einen Wortes, so lernt er damit auch den Gebrauch des anderen.“ Wittgenstein 1984 (1953), § 224. Auf Wittgensteins Beobachtungen zur Regelhaftigkeit des menschlichen (sprachlichen) Handelns greift nicht nur Melden zurück. Sie klingen auch mit Anscombes Schilderung der praktischen Korrektur von Handlungsfehlern an, Peter Winch benutzt sie bei der Abgrenzung des Regelfolgens von blinder Gewohnheit (vgl. Winch 1956, 29 und Winch 1958, Kap. II.4) und R. S. Peters konstatiert lakonisch: „Man is a rule-following animal“ (Peters 1958, 5; Hervorhebung original).

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angemessen – verhalten hat, muss man einen Maßstab der Richtigkeit oder Angemessenheit explizit machen können. Regulative Regeln sind nichts anderes als ein solcher normativer Maßstab. Dass sich Meldens Schach-Modell nur eingeschränkt auf jegliches Handeln übertragen lässt, hat schon der Einwand gezeigt, dass dabei die Akteursperspektive beinahe völlig unberücksichtigt bleibt. Zwei weitere Einschränkungen kommen noch hinzu. Zum einen besteht die Befolgung einer Regel selten darin, dass ein Akteur seine aktuelle Lage prüft, sein erlerntes Regelinventar daraufhin durchsucht, welche Regel für diese Lage anwendbar ist, und dann dieser Regel gemäß vorgeht. Melden sagt selbst, dass Regelhaftigkeit oft schlicht darin besteht, dass jemand tut, was ‚man‘ in seiner Lage normalerweise tut. Dies impliziert nicht, dass sich der Akteur um der Regelhaftigkeit willen, weil er eine Regel befolgen will, in der betreffenden Weise verhält: „I act out of politeness rather than for the sake of politeness.“25 Aus der bloßen Regelkonformität des Verhaltens folgt daher nichts über die Gründe des Akteurs. Das ist bei Schachzügen anders. Wenn Adele ihren Läufer regelkonform zieht, kann man davon ausgehen, dass sie die Läufer-Regel kennt und akzeptiert. Die Tatsache, dass Adele einen korrekten Läufer-Zug ausführt, manifestiert nicht nur ihre Regelkenntnis, sondern auch ihre Anerkennung der Regel. Aus der Befolgung der Läufer-Regel ist deshalb auch ein Handlungsgrund zu erkennen: Adele will die Schachregeln befolgen. Sie tut, was sie tut, auch um der Regeln willen. Als versierte Spielerin wird Adele freilich auch taktische Gründe für ihren Läufer-Zug haben, doch hängt die Handlungsgeltung ihres Verhaltens nicht von diesen zusätzlichen Gründen ab. Schachzüge sind Fälle des dezidierten Regelgehorsams. Dass man sie ausführt, heißt, dass man sie ausführen will. Deshalb lässt die Ausführung eines Schachzuges sowohl auf Regelkenntnis als auch auf Regelakzeptanz seitens der Akteure schließen. Dies aber macht Schachzüge – wie alle Spielzüge – zu Sonderfällen des absichtlichen Handelns und stellt ihre Tauglichkeit als allgemeines Paradigma in Frage. Im Gegensatz dazu kann man alltägliche Praxen instantiieren, ohne dass einem an der Befolgung konkreter Regeln liegt. Ein Tourist mag beim Betreten eines Tempels seinen Hut aufsetzen, weil es darinnen kühl ist. Damit _____________ 25

Melden 1956, 526.

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KAPITEL 5

tut er genau das richtige, er bedeckt seinen Kopf am heiligen Ort, doch er weiß gar nichts von dieser Regel, a fortiori befolgt er sie nicht, weil ihm daran liegt. Bloße Regelkonformität ist bei regulativen Regeln ein weit schwächeres Indiz für Regelkenntnis und Regelakzeptanz als bei konstitutiven Regeln. Außerdem scheinen Schachzüge einen Aspekt nicht aufzuweisen (sondern geradezu zu widerlegen), den Melden für alltägliches Handeln betont. Er erklärt zunächst, dass die Unterscheidung zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten nicht anhand notwendiger und hinreichender Bedingungen getroffen werden kann, weil es für Handlungsgeltung keine hinreichenden Bedingungen gibt. Entscheidend seien stattdessen praktische Bedingungen, das heißt konkrete Umstände, Akteure und Beobachter. Mit Wittgenstein gesprochen: Es gibt Kriterien der Handlungsgeltung, aber keine Definition für ‚Handlung‘. Die Fälle von Handlungen sind durch Familienähnlichkeiten miteinander verbunden, besitzen aber kein einzelnes, allen gemeinsames Merkmal. [↑3.1.3] Es ist Meldens dringlichster Einwand gegenüber kausalistischen Konzeptionen, dass sie den Handlungsbegriff zu definieren versuchen, als ob ‚Handlung‘ der Name einer Klasse von Entitäten sei, die durch spezifische Merkmale gekennzeichnet ist, dabei bezeichne doch ‚Handlung‘ die Bedeutung, die das Verhalten von Personen in bestimmten praktischen Kontexten für andere Akteure gewinnt. Nun werden Schachzüge aber durch konstitutive Regeln als ganz bestimmte Züge festgeschrieben. Ein Schachzug ist nur per Definition ein Schachzug. Die Geltung von Adeles Bewegungen als Läufer-Zug hängt von der Geltung der Läufer-Regel ab, genau das macht diese Regel ja konstitutiv. Ohne Läufer-Regel kein Läufer-Zug. Die konkrete Situation scheint für die Geltung von Adeles Verhalten als Schachzug daher beinahe unerheblich. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass manche Handlungen durchaus definierbar sind, und es stimmt entweder nicht, dass Handlungsgeltung prinzipiell nicht durch Definitionen etabliert werden kann – damit wäre eine grundlegende These von Melden erschüttert –, oder es stimmt nicht, dass Schachzüge paradigmatische Fälle des menschlichen Handelns sind, sondern gerade wegen ihrer Konstitution durch Regeln Spezialfälle darstellen. Ich halte letzteres für zutreffend, womit Meldens Ansatz also nicht grundsätzlich in Frage steht. Wie erwähnt, lässt er selbst das Schach-Mo-

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dell später beiseite. Vorerst folge ich der Schach-Analogie, schlage aber, um die benannten Unplausibilitäten zu umgehen, eine ‚Dynamisierung‘ vor: Nicht der einzelne Schachzug sollte als Musterfall des absichtlichen Handelns betrachtet werden, sondern das Ziehen einer Schachfigur. Damit liegt der Fokus auf der Akteurin, nicht auf dem Gegenstand, mit dem sie hantiert. Für diesen Fokuswechsel spricht, dass Melden das Schach-Beispiel weiterführt, indem er an die Stelle der Schachspielerinnen ein kleines Kind setzt und die Frage aufwirft, weshalb man dessen spielerisches Hinund Herrücken der Figuren nicht als Schachzug gelten ließe, selbst wenn es einen korrekten Zug herbeiführen sollte.26 Hier liegt Meldens Augenmerk offensichtlich nicht auf den Schachfiguren, sondern auf der Schachspielerin, denn sonst wäre es gleichgültig, ob ein korrekter Zug von einem Schachprofi oder einem Kleinkind ausgeführt wird. Mit der dynamischen Lesart des Schach-Modelles bleibt Meldens nicht-kausalistische Grundthese haltbar: Man kann zwar die Korrektheit eines Läufer-Zuges durch einen Abgleich mit der Regel feststellen, die den Läufer-Zug definiert. Doch daraus folgt nicht, dass das Ziehen des Läufers eine absichtliche Handlung darstellt. Konstitutive Spielregeln definieren Handlungsweisen, sie liefern aber keine hinreichenden Bedingungen dafür, dass ein konkretes Verhalten als Befolgung dieser Regeln gemeint ist. Die oben vermutete Schlussfolgerung – korrekter Zug impliziert Regelakzeptanz – schließt offenbar einige stillschweigende Voraussetzungen in Bezug auf die Akteure ein. Diese sind im Falle eines Schachzuges für einen Schachprofi erfüllt, für ein kleines Kind nicht. Um welche Voraussetzungen es sich genau handelt, wird Melden in seiner zweiten, längeren Auseinandersetzung mit Begriff und Phänomen des menschlichen Handelns diskutieren. [↓5.2]

5.1.3 Regelkompetenz als praktisches Wissen Elizabeth Anscombe zufolge stellt jede absichtliche Handlung eine Manifestation praktischen Wissens dar. [↑4.1.3] Den Terminus ‚praktisches Wissen‘ verwendet Melden zwar nicht, aber er benennt alle drei Komponenten, die Anscombe dafür nennt: Wer über praktisches Wissen in Bezug auf eine _____________ 26

Vgl. Melden 1956, 529.

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Handlungsweise a verfügt, (1) kann sich unter konkreten Umständen so verhalten, dass die Beschreibung ‚A a-t‘ zutrifft, (2) weiß, dass ‚A a-t‘ in dem konkreten Fall auf ihn selbst zutrifft, (3) ist in der Lage zu erkennen, wenn andere Personen a-en. So kann man von Adele sagen, sie habe praktisches Wissen in Bezug auf das Schachspiel, (1) wenn sie bei einer Schachpartie nur korrekte Züge ausführt bzw. regelwidrige Züge selbst korrigieren kann, (2) wenn sie selbst weiß, ob sie im Begriff ist, Schach zu spielen (oder ein anderes Spiel oder gar kein spezielles Spiel), (3) wenn sie erkennt, ob andere Personen im Begriff sind, Schach zu spielen. Regelfolgen, wie Melden es mit der Schach-Analogie präsentiert, lässt sich ebenfalls als Manifestation praktischen Wissens interpretieren. Schließlich betont Melden, dass Regelfolgen nicht im Abruf von Geboten und Anweisungen aus dem Gedächtnis besteht, sondern im Wissen oder Gespür dafür, was man unter bestimmten Umständen zu tun hat und welches Verhalten richtig, üblich oder angemessen ist: Again, to follow a rule is not to repeat to oneself what the rule requires, reflect upon the situation in which one finds oneself in order to determine that it is one to which the rule applies, and then decide to obey it. […] Once we have learned the rules, we do not interpret the rule to apply to the given situation and follow this 27 with a decision to obey – we simply obey.

Natürlich sind Situationen denkbar, in denen jemand sorgfältig prüfen muss, nach welchen Regeln er jetzt vorgehen sollte, das bestreitet Melden nicht, hält diese Fälle aber für Ausnahmen. Für seine Auffassung, Regelfolgen ohne langes Nachdenken sei der Normalfall, spricht, dass das Alltagshandeln kognitiv ungeheuer aufwendig wäre und seine Ausführung ungeheuer umständlich, wenn wir über jede Regelbefolgung lange nachdenken müssten. Alltäglichkeit könnte sich dann gerade nicht einstellen. Wie angedeutet, sieht Melden im gewohnheitsmäßigen, routinierten, reibungslosen Vollzug gemeinschaftlicher Praxen den Standardfall menschlichen Handelns. Ob es der Standard ist, mag man bezweifeln; zustimmen _____________ 27

Melden 1956, 533; vgl. Wittgenstein 1984 [1953], § 219: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“ Vgl. auch Winch 1956, 22: „A man’s observance of rules may show itself in his behaviour without requiring, for its recognition by others, any verbal acknowledgement or formulation by him.“

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kann man Melden jedenfalls soweit, dass ‚simples Regelfolgen‘ häufig vorkommt. Besonders das routinierte, gleichsam automatische Handeln lässt sich als Manifestation praktischen Wissens auffassen, wenn man darunter – wie Anscombe – die Kompetenz versteht, sich je nach Situation richtig, normal oder angemessen zu verhalten. Stimmt man Melden also zu, dass absichtliches Handeln solches Verhalten ist, das die Kompetenz zum Regelfolgen zum Ausdruck bringt, dann kann man weiterhin sagen, dass diese Regelkompetenz ein Kennzeichen handlungsfähiger Wesen ist. Wer grundsätzlich nicht in der Lage ist, Regeln zu verstehen, ihre normative Kraft einzusehen und daher den Unterschied zwischen Befolgung und Durchkreuzung zu begreifen, von dem wird man schwerlich die Ausführung irgendeiner Handlung erwarten können. Regelkompetenz ist sicherlich nicht die einzige Fähigkeit, die zur Ausführung bestimmter Handlungen nötig ist, doch ohne jede Regelkompetenz ist kein Handeln möglich – das ist der wahre Kern, den Meldens Schach-Analogie trotz aller Einschränkungen enthält. Allerdings lässt sich die Regelkompetenz einer Person nicht empirisch feststellen, jedenfalls nicht im engen Verständnis von Empirie, das einzig physikalische Eigenschaften von materiellen Körpern erfasst. [↑1.2] Es ist durch keine empiri(sti)sche Verifikation nachweisbar, dass jemand bestimmte Regeln kennt und bestimmte Praxen beherrscht. Der einzige Weg festzustellen, ob jemand wirklich Schach spielen kann, besteht darin, mit ihm zu spielen. Diese Option eröffnet sich aber nur, wenn man nicht auf einen vorgängigen Beweis für seine Schachkompetenz besteht. Der ‚Nachweis‘ besteht schlicht in der Praxis selbst, und es wird noch genau zu überlegen sein, was genau man über die Fähigkeiten einer Person nachgewiesen hat, wenn eine bestimmte Form der Interaktion, beispielsweise eine Schachpartie mit ihr gelingt. [↓6.1] Dies gilt umso mehr, wenn man es auf Handlungsfähigkeiten allgemein überträgt. Ob jemand grundsätzlich in der Lage ist zu handeln, lässt sich nicht beweisen. Es kann sich nur zeigen. Dazu aber muss man ihm in der Annahme gegenübertreten, dass er handeln kann, und sich auf Interaktion mit ihm einlassen. Man kann nicht zuerst prüfen, ob jemand versteht, was Regeln sind und welche Erwartungen und Urteile sie begründen, um dann Aufforderungen an ihn zu richten oder mit ihm über das weitere Vorgehen zu beraten. Denn wie sollte dieser dem Ernstfall vorangestellte Test ausse-

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hen? Nach welchem Kriterium sollten wir darüber befinden, ob der Kandidat den Test bestanden hat? Die einzige Möglichkeit, jemandes Akteursfähigkeiten zu testen, besteht darin, ihm Akteursfähigkeiten zu unterstellen und an dieser Unterstellung so lange festzuhalten, wie es in der praktischen Interaktion keine Schwierigkeiten gibt, die nur durch den Mangel an Akteursfähigkeiten erklärbar sind. Eben dies war auch die Idee hinter Harts Anfechtbarkeitsthese, einerseits in Bezug auf Handlungsgeltung in konkreten Fällen, andererseits in Bezug auf die Akteursgeltung von Personen. [↑3.1.3] Unterstellen wir anderen grundsätzlich Akteursfähigkeiten und begegnen ihnen im Alltag als Wesen, die grundsätzlich in der Lage sind zu erkennen, was richtig, üblich, angemessen ist, dann können wir sehen, welche Handlungen sie in konkreten Fällen ausführen, weil wir ihr körperliches Verhalten als Ausdruck ihrer Regelkompetenz auffassen. Was jemand tut, ist an seinen Bewegungen, seinen Gesten, seiner Mimik sowie der ganzen körperlichen Erscheinung zu erkennen, insofern es Bewegungen, Gesten, Mimik der Art sind, die ‚man‘ in dieser Situation ausführen sollte bzw. die ‚man‘ in dieser Situation erwarten würde. Die Regelhaftigkeit eines Verhaltens ist ein Ausdruck konkreter Kompetenzen, sofern man den Ausführenden bestimmte generelle Kompetenzen unterstellt. Deshalb betrachten wir das Spiel eines Kindes mit Schachfiguren nicht als Ausführung eines Schachzuges. Sein Verhalten drückt für uns nicht die Kompetenz aus, einen Läufer-Zug auszuführen, weil wir ihm generell gar nicht zutrauen, dass es Schach spielen kann. Wer ein Verhalten ausführt, ist deshalb ganz entscheidend für die Handlungsgeltung des betreffenden Verhaltens. Verhalten kann nur dann praktisches Wissen oder, bei Melden etwas eingeschränkt, Regelkompetenz, ausdrücken, weil und insofern wir jemandem mit einer partizipativen Einstellung begegnen. [↑3.3.3] Wir müssen davon ausgehen, dass er bestimmte basale Akteursfähigkeiten grundsätzlich besitzt, damit wir sein Verhalten im Einzelfall als Manifestation dieser Fähigkeiten verstehen können. In diesem Gedanken, den Melden en passant einbringt, liegt bei näherem Hinsehen sein zentrales Argument gegen kausalistische Handlungskonzeptionen. Zwar hebt sein Aufsatz Action mit der Schach-Analogie an, zwar wird vordergründig die These, Handeln sei Regelfolgen, diskutiert, doch die wichtigste Erkenntnis aus der Schach-Analogie scheint mir letzt-

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lich zu sein, dass ein Verhalten nur dann als Ausführung einer Handlung zu verstehen ist, wenn man der Person, die es ausführt, eine Reihe kognitiver, sozialer und motorischer Fähigkeiten unterstellt und wenn man davon ausgeht, dass diese Fähigkeiten in ihrem Verhalten zum Ausdruck kommen. Eine Aussage wie ‚Adele zieht den Läufer auf E 7‘ sagt etwas über Adeles Verhalten und dessen Entsprechung zu bestimmten Regeln, vor allem aber sagt sie etwas über Adele und über die Einstellung des Sprechers gegenüber Adele. Dass zwischen Akteuren und Beobachtern eine Ausdrucksbeziehung besteht, erwähnt Melden ganz beiläufig, aber an einer entscheidenden Stelle: Chess player and chess move are thus correlative notions, and neither can be understood in terms of processes, bodily or psychological, viewed in isolation from the rules that have been learned and the characteristic ways of thinking and doing thereby achieved. Hence it is not that a piece has been pushed from one square to another that constitutes a chess move but that the bodily movement is that of an agent who, during the course of a game, exhibits that characteristic practice in 28 thinking and doing that he has acquired.

An dieser entscheidenden Stelle verschiebt sich der Schwerpunkt der Untersuchung vom Kriterium der Handlungsgeltung auf das Kriterium der Akteursgeltung. An seinem Paradebeispiel eines Schachzuges macht Melden klar, dass sich Handlungen von bloßem Verhalten in allererster Linie darin unterscheiden, dass erstere nur von Wesen mit Akteursstatus ausgeführt werden können. Hingegen können auch Goldfische, Apfelbäume oder Wasserhähne eine gewisse Form von Verhalten zeigen. Als Handeln wird man das, was ein Goldfisch oder – Anscombes Beispiel – ein Wasserhahn tun, aber nie auffassen; nicht weil ihrem Verhalten das gewisse Merkmal x fehlt, sondern weil man einem Fisch oder einer Apparatur nicht mit einer partizipativen Einstellung begegnen kann. Sie gelten nicht als Teilnehmer einer geteilten Situation, die man gemeinsam gestalten und nach gemeinsamen Maßstäben bewerten kann. Darum stellt sich die Frage der Handlungsgeltung für diese Form von Verhalten grundsätzlich nicht. Um zu verstehen, warum sich ein Goldfisch so oder so verhält, muss man seine physiologischen Funktionen kennen, weil daraus folgt, was für _____________ 28

Melden 1956, 535 (meine Hervorhebung).

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ihn nützlich ist und was ihm schadet. Mit der Rede von Nützlichkeit ist in diesem Fall, anders als bei einem Wesen mit Akteursgeltung, aber nicht unterstellt, dass der Fisch ein bestimmtes Verhalten aus Einsicht in dessen Nützlichkeit ausführt. Man unterstellt ihm kein eigenes Urteil. Nützlichkeit ist lediglich das Maß für die Funktionalität seines Verhaltens, nicht für seine Angemessenheit oder Verantwortbarkeit. Die Fähigkeit, Gründe einzusehen, zeichnet Akteure aus. Sie ist eine der Fähigkeiten, die wir jenen unterstellen, gegenüber denen wir eine partizipative Einstellung einnehmen. Wenn ein Goldfisch oder ein Wasserhahn nicht als Akteure ihres Verhaltens gelten, ist klar, dass bestimmte Reaktionen nicht in Frage kommen. Man kann nicht mit ihnen argumentieren, ihnen danken oder sich über ihr Verhalten empören. So wird man dem Lärm, den ein Wasserhahn verursacht, auf andere Weise abzuhelfen versuchen, als dem Lärm der Kinder im Treppenhaus. Den Kindern gegenüber sind Argument und moralisches Urteil sinnvoll. Beim Wasserhahn hilft nur eine Manipulation des Mechanismus. Wie schon bei Hart und Anscombe verlagert sich im Laufe von Meldens Auseinandersetzung mit dem Handlungsbegriff der Schwerpunkt letztlich auf den Begriff des Akteurs: Handlungen sind solche Vorkommnisse von Verhalten, in denen sich bestimmte Fähigkeiten derer ausdrücken, die es ausführen: „the bodily movement is that of an agent who […] exhibits that characteristic practice in thinking and doing that he has acquired“.29 Aus der Schach-Analogie geht bei Melden somit letztlich die Erkenntnis hervor, dass Handlungsgeltung keine Eigenschaft ist, die einer Körperbewegung per Kausalgeschichte zukommt, sondern der Ausdruck, den jemandes ‚thinking and doing‘ für andere haben kann. Man muss davon ausgehen, dass ein Wesen über ein ganzes Bündel an bestimmten Fähigkeiten verfügt, die für die Ausführung von Handlungen unerlässlich sind. Ohne diese Unterstellung basaler Akteursfähigkeiten besteht nicht einmal die Möglichkeit, jemandes Verhalten in einem konkreten Fall als absichtliches Handeln zu verstehen, es als Umsetzung eigener Absichten zu begreifen oder seine Gründe zu durchschauen. Offensichtlich ist aber auch bei erfüllter Akteurspräsumtion nicht jedes Verhalten als Handeln zu verstehen. Akteure können handeln, aber nicht alles, was sie tun, gilt als absichtliches Handeln. Hart hatte, um Handeln von _____________ 29

Melden 1956, 535 (meine Hervorhebung).

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anderem Verhalten abzugrenzen, die Möglichkeit des moralischen Urteils als Kriterium vorgeschlagen. Bei Anscombe blieb das Kriterium hingegen moralisch neutral, sie band Handlungsgeltung an die Anwendbarkeit der Warum-Frage. Meldens erster Vorschlag, zwischen den absichtlichen Handlungen und dem bloßen Verhalten eines Wesens mit Akteursstatus zu unterscheiden, war nun die Regelhaftigkeit, von der aus sich erste Hinweise auf eine notwendige Unterstellung gegenüber Akteuren ergaben.

5.1.4 Beobachter als Akteure Neben dem Hinweis auf die Ausdrucksqualität körperlichen Verhaltens folgt aus der zuletzt zitierten Passage, dass nicht nur die Schachspielerinnen – die Akteurinnen – die Spielregeln beherrschen müssen, um korrekte Züge auszuführen. Auch ihre Beobachter können Schachzüge nur identifizieren, wenn sie die Schachregeln kennen. Das heißt Akteursfähigkeiten sind nicht nur eine Voraussetzung für die Ausführung von Handlungen, sie sind auch eine Voraussetzung dafür, im Verhalten anderer Personen Handlungen zu erkennen.30 Betrachtet jemand die Körperbewegungen eines anderen „in isolation from the rules that have been learned and the characteristic ways of thinking and doing thereby achieved“,31 wird er keine Handlungen erkennen. Um Bewegungen als Manifestation von Regelkenntnis oder, allgemeiner, von praktischem Wissen zu verstehen, muss man die entsprechenden Regeln oder Praxen selbst zumindest ansatzweise kennen. Hierauf scheint Melden mit dem Gedankenexperiment am Anfang von Action abzuzielen: One who knows no chess may see only the movements of arms and fingers as oddshaped objects are moved about on a checkered surface; one who knows the game 32 may see a given offensive or defensive move taking place.

Von den zwei vorgestellten Beobachtern der Schachpartie hat einer überhaupt keinen Begriff vom Spielen nach Regeln. Er kann sich deshalb kei_____________ 30 31 32

Vgl. Melden 1956, 531–533. Melden 1956, 535. Melden 1956, 531.

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nen Reim auf das Verhalten der Schachspielerinnen machen, vor allem aber ist er selbst kein Schachspieler. Für diesen Status fehlen ihm entscheidende Fähigkeiten. Auf absichtliches Handeln allgemein übertragen, bedeutet das: Wem man basale Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Intelligenz, motorisches Geschick und Einsicht in Gründe nicht zuschreiben kann, der gilt nicht als Akteur. Ihm fehlen nicht nur Fähigkeiten, die er unbedingt besitzen müsste, um selbst Handlungen auszuführen, sondern damit auch Fähigkeiten, durch die er andere als Akteure sehen könnte, als Teilnehmer einer Situation, die er in ähnlicher Weise wahrnimmt wie sie und die er mit ihnen gemeinsam gestalten kann. Strawson würde sagen: Wem Akteursfähigkeiten fehlen, der ist nicht nur ein ungeeigneter Adressat für die partizipative Einstellung, er kann auch anderen gegenüber keine partizipative Einstellung einnehmen. Es ist klar, dass man die Regeln des Schachspiels nicht im Detail zu kennen braucht, um zu erkennen, dass andere Schach spielen. Es genügt zu wissen, dass beim Schach zwei Personen abwechselnd schwarze und weiße Figuren auf einem karierten Brett bewegen. Kennt aber jemand weder Schach noch irgendein anderes Brettspiel, wie Melden es für den zweiten Beobachter in seinem Gedankenexperiment annimmt, wird das abwechselnde Verschieben von Holzfiguren für ihn keinerlei Sinn ergeben. Zugegeben: Ein derart unbedarfter Beobachter ist schwer denkbar. Regeln sind so grundlegende und allgegenwärtige Normative, dass man sich kaum jemanden vorstellen kann, der anstelle einer Schachpartie nichts als konfuse, zusammenhanglose Körperbewegungen sieht. Dass Meldens Gedankenexperiment unsere Vorstellungskraft an ihre Grenzen bringt, heißt jedoch nicht, dass seine These falsch ist. Sicherlich muss man irgendwelche regelhaften Praxen kennen, irgendeinen Begriff der Normativität, des Unterschieds zwischen ‚richtig‘ und ‚falsch‘ haben, um zu sehen, dass ein anderer eine Handlung ausführt. Ob und mit welcher Präzision man diese Handlung zu identifizieren vermag, ist zweitrangig. Melden geht es darum zu zeigen, dass nur ein Akteur sehen kann, dass andere Akteure handeln. Deshalb nennt er ‚Handlung‘ einen Praxis-Begriff [practical concept]: Die Bedeutung von ‚Handlung‘ lässt sich nur von Akteuren und nur für Akteure explizieren. Was eine Handlung ist, kann nur verstehen, wer weiß, was es heißt, etwas zu wollen, einen Zweck zu verfolgen und etwas richtig oder falsch zu machen. Dies zu verstehen erfordert nicht einfach Sprach-

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kompetenz, sondern eigene Erfahrung als Akteurin. Dasselbe gilt für den Begriff des Akteurs. Man könnte seine Bedeutung dem zweiten, ‚regelnaiven‘ Beobachter nicht erklären, weil ihm die umfassendste Liste von Akteursfähigkeiten nichts sagen würde. Wie sollte man ihm erklären, was Regelkompetenz ist, was Normativität, was Gründe? Eine Bestimmung des Akteursbegriffes kann nur darin bestehen, explizit zu machen, was alle, die an dieser Explikation interessiert sein könnten, aus eigener Erfahrung kennen. Man muss es sicherlich als einen grundlegenden methodologischen Fehler kausalistischer Handlungskonzeptionen erachten, dass sie den Handlungsbegriff bestimmen und dabei von der Tatsache absehen wollen, dass alle, die nach der Bedeutung dieses Begriffes fragen, selbst handeln können. Davon abzusehen macht das Vorhaben aber insofern witzlos, als die Adäquatheit jeder vorgeschlagenen Bestimmung des Handlungsbegriffes nur von Akteuren beurteilt werden kann, nur von jenen also, die den phänomenalen Unterschied zwischen Handeln und bloßem Verhalten schon kennen, weil sie dieses wie jenes selbst erfahren haben. Dieses Erfahrungswissen ist bei praktischen Begriffen eine unerlässliche Voraussetzung dafür, konkret vorgeschlagene Begriffsbestimmungen zu verstehen. Es lässt sich weder durch Definitionen noch durch andere Formen der verbalen Erklärung vermitteln, sondern höchstens explizit machen. Erwerben muss man es unmittelbar, durch Erfahrung. Niemand ohne eigene Erfahrung als Akteur könnte daher beurteilen, ob eine konkrete Bestimmung von ‚Handlung‘ oder ‚Akteur‘ den Kern des Begriffes trifft. Indem kausalistische Handlungskonzeptionen die Frage nach Handlungsursachen in den Mittelpunkt stellen, setzen sie zwei Vorfragen als beantwortet voraus: Was macht uns sicher, dass es Handlungen gibt? Und was macht uns sicher, dass manches Verhalten kein absichtliches Handeln ist? Diese Vorfragen betreffen das Verhältnis von Akteuren zu Handlungen, das heißt unser Verhältnis zu Handlungen, eigenen und fremden, und damit unser Verhältnis zu anderen Akteuren. Nicht-kausalistische Positionen halten diese Vorfragen für die eigentlichen Grundfragen der philosophischen Handlungstheorie.

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5.2 Handlungskontexte 5.2.1 Praktischer Kontext Durch den Fokus auf Regelbindung gelingt es Melden, neben Handlungen, die nach dem Ü-W-Modell rekonstruierbar sind, auch Routinen und Gewohnheiten zu erfassen. Für diesen weiter gefassten Handlungsbegriff spricht, wie gesehen, einiges. [↑1.4] Gleichwohl hat er eine entscheidende Schwachstelle: Es bleibt ausgeschlossen, dass ein Verhalten keinerlei Bezug auf Regeln, vertraute Muster oder etablierte Praxen erkennen lässt und dennoch für andere als absichtliches eigenes Handeln Sinn ergibt: Karl springt plötzlich vom Sessel auf und ruft ‚Tor!‘; Bert hat Lust auf ein Eis und kauft sich am nächsten Stand drei Kugeln; Adele experimentiert im Labor und probiert, was geschieht, wenn… Manche Handlungen bestehen weder darin, dass Akteure vorab gesetzte Zwecke verfolgen, noch darin, dass sie routinierten Abläufen folgen. Manchmal spielen Menschen, sie experimentieren, lassen ihren Einfällen ohne Reflexion über Richtig und Falsch, über Ziel und Strategie freien Lauf. Manchmal bewältigen sie eine Situation, für die ihnen niemand Muster und Beispiel gegeben hat. Diese Fälle erfasst das Schach-Modell höchstens teilweise. Regelbindung kann nicht hinlänglich erklären, dass wir das Verhalten von Karl, Bert und Adele als Handeln betrachten und die drei als Akteure wahrnehmen, als Teilnehmer einer Situation, in der wir mit ihnen argumentieren können, nicht als Objekte wie einen Wasserhahn oder einen Goldfisch. Es besteht daher eine Diskrepanz zwischen Regelbindung und Akteursgeltung als Bedingungen der Handlungsgeltung. Die Gegenbeispiele von Karl, Bert und Adele zeigen, dass Regelbindung verzichtbar ist, wenn Akteursgeltung besteht. Man könnte fast vermuten, das zentrale Anliegen von Meldens Monografie Free Action bestehe darin, diese Diskrepanz auszuräumen. Denn in Free Action ist das Schach-Modell nicht mehr zentral, die These ‚Handeln ist Regelfolgen‘ taucht überhaupt nicht auf. Der Schwerpunkt liegt nun auf dem Umfeld der Akteure, auf den äußeren Umständen ihres Verhaltens. Dieser praktische Kontext, wie Melden sagt, liefert die Kriterien der Handlungsgeltung. Regeln, Konventionen und Praxen können zu einem konkreten praktischen Kontext beitragen, manchmal prägen sie ihn dominant. Ganz allein geben Regeln aber nicht den Ausschlag für die Handlungsgeltung eines Verhaltens.

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Melden erläutert Begriff und Funktion des praktischen Kontextes am Beispiel des Autofahrens: Consider someone raising his arm as he drives his car towards an intersection. Ordinarily the question, ‚Why did he raise his arm?‘ would not be asked, not because it is senseless but because there would be no point to asking it – we know what is going on and hence know the answer to the question. But someone unfamiliar with what is happening might ask the question and here the answer might be given that he raised his arm in order to indicate to others that he was preparing to make a 33 turn.

Das Beispiel soll illustrieren, dass wir normalerweise nicht zuerst die Körperbewegungen anderer wahrnehmen und danach überlegen, ob bestimmte Regeln oder Muster in diesen Bewegungen stecken, so dass wir sie als absichtliches Handeln gelten lassen. Sobald der Autofahrer den Arm hebt, liegt auf der Hand, dass er Regeln befolgt, und es versteht sich von selbst, dass er handelt. Beobachter sehen nicht nur eine Armbewegung, sondern eine Armbewegung mit einer bestimmten Bedeutung, das heißt eine bestimmte Handlung. Interessanterweise erhärtet das Autofahrer-Beispiel aus heutiger Sicht ausgerechnet die These, die Melden abzuschwächen versucht, nämlich dass Regelbindung das einzig entscheidende Kriterium für die Handlungsgeltung eines Verhaltens ist. Meldens zeitgenössische Leser sehen den ausgestreckten Arm des Autofahrers als Abbiegesignal. Heute würde man, um dieses Signal zu geben, den Blinker benutzen. Deshalb sehen heutige Beobachter schlicht einen ausgestreckten Arm und kein Abbiegesignal. Für heutige Beobachter liegt die Bedeutung des ausgestreckten Armes keineswegs auf der Hand – wir müssten den Fahrer fragen. Solche Fälle, in denen die Bedeutung eines Verhaltens nicht unmittelbar klar ist, betrachtet Melden als Ausnahmen. Mit dem Autofahrer-Szenario will er eigentlich nicht diese Ausnahmen illustrieren, sondern die normalen Fälle, in denen wir unmittelbar sehen, welche Handlung jemand mit seinen Bewegungen ausführt – „there would be no point to asking – we know what is going on“.34 Ist auch das Beispiel in die Jahre gekommen, so ist doch erkennbar, wo_____________ 33 34

Melden 1961, 86. Melden 1961, 86.

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rauf Melden abzielt: Selbst Meldens Zeitgenossen konnten im ausgestreckten Arm nur deshalb ein Abbiegesignal sehen, weil diese Bewegung in einer bestimmten Situation stattfand. Deshalb teilt Melden seinen Lesern nicht einfach mit, dass irgendwer den Arm hebt, sondern skizziert ein typisches Umfeld: „[…] as he drives his car towards an intersection“.35 Dieser Fakt betrifft nicht die Körperbewegungen des Fahrers und auch nicht seine Wünsche oder Überzeugungen, sondern die Umgebung. Für die Verständlichkeit der Armbewegung als eine bestimmte Handlung ist entscheidend, dass sie von einem Autofahrer ausgeführt wird, der sich eben einer Kreuzung nähert. Käme eine gleiche Armbewegung auf einem Bahnsteig neben einem abfahrenden Zug vor, in einem Hörsaal oder bei einer Gemäldeauktion, dann hätte sie eine andere Bedeutung, sie wäre eine andere Handlung. Ein praktischer Kontext lässt sich als Konstellation von Fakten verstehen. Diese Fakten können die Zeit, den Ort, das Wetter betreffen, die Landschaft oder Objekte, Tiere und Personen, mit denen Akteure konfrontiert sind, oder eben Regeln und Konventionen. So sind in Meldens Beispiel die Regeln der Straßenverkehrsordnung wichtig, um die Bedeutung der Armbewegung zu erfassen. Neben solchen Umfeld-Fakten spielt außerdem die intellektuelle und emotionale Verfasstheit der Akteure – ihre Lebensbedingungen [↑4.2.2] – eine wichtige Rolle, wie Melden darlegt: Given an understanding of the driver’s further intentions, his interests, habits and state of mind, we should have a better grasp of the proceedings as a whole and a better understanding of the pattern of his thoughts, feelings and actions. It is not surprising, then, that in general the more we know about a man and the circumstances in which he is placed, the more assured we are about the character of his in36 tentions in what he is doing and the better we understand his actions.

Wie es jemandem gerade geht und was für ein Mensch er im Allgemeinen ist, ist nicht unerheblich für die Bedeutung seines Verhaltens für andere. Kennt man die Wünsche und Überzeugungen einer Person, ist ihr Verhalten im Einzelfall oft leichter und angemessener zu verstehen. Je nach Grad der Vertrautheit mit einer bestimmten Akteurin und je nach eigenem Erfahrungshorizont kann ein Beobachter zu mehr oder weniger präzisen, origi_____________ 35 36

Melden 1961, 86. Melden 1961, 101.

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nellen oder aufschlussreichen Deutungen ihres Verhaltens gelangen. Wenn Melden die Betonung dennoch eher auf den praktischen Kontext eines Verhaltens legt als auf mentale Fakten über die Akteure, dann als Gegengewicht zu Konzeptionen, die Handlungsgeltung einzig an mentale Zustände der Akteure binden, an deren Wünsche und Überzeugungen. Diese Ansätze übersehen nach Meldens Diagnose zweierlei: Erstens formen Akteure ihre Wünsche und Überzeugungen nicht unabhängig von ihrem Umfeld, ihren Mitmenschen und von den Regeln, Normen und Praxen ihrer Gemeinschaft. Die Handlungsgeltung ihres Verhaltens hängt sogar in hohem Maße davon ab, dass es den jeweiligen äußeren Umständen in einer bestimmten Weise entspricht und etablierte Regeln und Praxen nicht ohne ersichtlichen Grund durchkreuzt. Zweitens geht der Handlungsbegriff unausweichlich mit einer Asymmetrie zwischen erster und dritter Person einher, zwischen Akteuren und Beobachtern – dies erfasste Anscombe mit dem Stichwort ‚Wissen ohne Beobachtung‘. [↑4.1.2] Selbst wenn Akteure ihr eigenes Verhalten immer dann als absichtliches Handeln erleben, wenn sie eigene Wünsche gemäß eigenen Überzeugungen erfüllen, wäre nicht erklärt, wie diese Akteure zwischen den absichtlichen Handlungen und dem bloßen Verhalten Dritter unterscheiden können. Deren Wünsche und Überzeugungen sind nicht in derselben unmittelbaren Weise zugänglich, so dass die Handlungsgeltung ihres Verhaltens auch nicht unmittelbar erfahrbar ist. Spätestens hier sind Kriterien der Handlungsgeltung notwendig, die auch von außen, für andere Personen als die Akteure selbst einsichtig sind. Beide genannten Mängel versucht Melden zu beheben, indem er den Einfluss des praktischen Kontextes für die Handlungsgeltung beschreibt. Gegenüber Meldens früherem Ansatz, dem Schach-Modell in Action, hat der Kontext-Ansatz aus Free Action den Vorzug, die Zeitlichkeit von Handlungen zu berücksichtigen. Um zu sehen, dass sich jemand die Schnürsenkel bindet, genügt eine Momentaufnahme: Hingekauert, den Blick zu Boden gerichtet, die Schnürsenkel zwischen den Fingern, Jacke an, Hut auf dem Kopf – diese Fakten sind auf einen Blick zu erfassen und lassen kaum Zweifel, dass der Akteur im Begriff ist, sich die Schuhe zu binden. Dies ist, um im Bild des Schach-Modells zu bleiben, der Zug, den er im Augenblick ausführt. Die Momentaufnahme verrät jedoch nicht, dass der Akteur sich auf den Weg macht, um einer Freundin einen Krankenbe-

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such abzustatten. Es ist nicht einmal klar, dass das Binden der Schnürsenkel überhaupt Teil eines übergreifenden Handlungszusammenhanges ist. Bestimmt sich die Handlungsgeltung von Verhalten über den praktischen Kontext, in den es eingebettet ist, dann leuchtet ein, dass manche Handlungen nur sichtbar sind, wenn man die Akteure gleichsam über längere Zeit begleitet. Ein praktischer Kontext ist eine dynamische Konstellation von Fakten, keine statische Zuordnung von Verhalten und Regelwerk. Im Rahmen eines praktischen Kontextes können sich Geschichten entwickeln. Man kann beispielsweise sehen, wie sich der Akteur mit fest geschnürten Schuhbändern auf den Weg in ein Blumengeschäft macht, einen Strauß Tulpen wählt, zum Bahnhof geht, eine Fahrkarte kauft, in einen Zug ein- und später wieder aussteigt, um schließlich durch das Portal ein Krankenhaus zu betreten. Alle diese Fakten konstituieren den praktischen Kontext des Verhaltens, das die Aussage ‚A macht einen Krankenbesuch‘ erfasst. Kein einzelner Schnappschuss aus dieser Geschichte würde genügen, um zu diesem umfassenden Verständnis von A’s Verhalten zu gelangen. Auch das Abbiegesignal von Meldens Autofahrer wäre nicht als eine spezifische Handlung, als Abbiegesignal, verständlich, würde man den Beobachterblick auf die Bewegung des Armes beschränken: [W]hat he is doing has to be understood as referring not to a present moment, sliced off so to speak from what has gone before and what will follow, but to the present action as an incident in the total proceedings: the driver is on the road, has arrived 37 at an intersection, is about to turn, and is indicating that he is preparing to do so.

Umfeld und Lebensbedingungen von Akteuren – beides muss berücksichtigt werden, um die Bedeutung von Körperbewegungen zu verstehen, um zwischen Handlungen und anderem Verhalten zu unterscheiden.

5.2.2 Situation und Perspektive Meldens Überlegungen zum praktischen Kontext lassen sich durch eine nahezu parallele Konzeption von Theodore Schatzki erläutern und ergänzen. Schatzki erklärt, dass körperliches Verhalten von Personen praktische Ver_____________ 37

Melden 1961, 98 f.

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ständlichkeit [practical intelligibility] besitzen muss, wenn andere darin absichtliches Handeln sehen sollen.38 Schatzki stellt fest, dass wir Verhalten als absichtliches Handeln praktisch verstehen, wenn es im Ensemble der Lebensbedingungen einer Person nicht irrational, witzlos oder beliebig erscheint: [Practical intelligibility] governs action by determining what an actor does. Most of the time its making sense to a person to perform a particular action is an instance of rationality. In these cases, what makes sense to people are actions that are considered to be permitted, appropriate, prudent, efficacious, sensible, called for, and so 39 on.

Den Handlungsbegriff selbst bestimmt Schatzki großzügig. Er schließt Verrücktheiten und Absurditäten nicht grundsätzlich von der Handlungsgeltung aus: In saying that people do what makes sense to them to do, therefore, I do not imply that what makes sense to them to do always makes sense, i.e., is sensible. […] It can even make sense to someone to do something absurd. The point of saying that action is governed by what makes sense to the actor to do is to indicate that what animates, determines, and specifies the content of action is an actor-relative intelligibility. This intelligibility, however, does not necessarily respect canons of reason40 ableness, sanity, or prudence.

_____________ 38 39 40

Vgl. Schatzki 1988, 244–248; Schatzki 1996, 118–126. Schatzki 1988, 245. Schatzki 1988, 245. Es lässt sich kaum abstreiten, dass Verhalten oft gerade deshalb als eine bestimmte Handlung verständlich ist, weil es ein alltägliches Mittel zu alltäglichen Zwecken darstellt. Man könnte das zweckgerichtete Handeln als Kernbereich des menschlichen Handelns bzw. als zentrale Bedeutung des Handlungsbegriffes auffassen: Eine Handlung auszuführen heißt zunächst einmal, sich in einer Weise zu verhalten, die in der Form ‚A a-t, um zu a*-en‘ beschreibbar ist. Das zweckgerichtete Handeln als Kernbereich anzusehen bedeutet, dass sich die Bedeutung des Handlungsbegriffes am besten anhand exemplarischer Fälle aus diesem Bereich erhellen lässt, wohingegen weitere Formen von Handlungen durch ihre Unterschiede zu diesen zentralen Fällen charakterisierbar sind. Damit wird weder behauptet, dass Handeln ohne Zweckausrichtung seltener vorkommt, noch dass es in einem normativen Sinn unnormal ist. Mit der Unterscheidung von Kernbereich und Peripherie (die bis an den Bereich des nicht-absichtlichen bloßen Verhaltens reicht)

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Wie bei Meldens Rede vom praktischen Kontext liegt auch bei Schatzkis Begriff der praktischen Verständlichkeit die Betonung auf ‚praktisch‘. Wie Melden plädiert Schatzki dafür, die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten als eine Unterscheidung aufzufassen, die wir in konkreten Situationen treffen und durch konkrete, je verschiedene Fakten rechtfertigen können, aber nicht durch eine generelle Definition festlegen. Beide sind sich also darin einig, dass wir nicht feststellen, ob jemandes Verhalten absichtlich ist oder nicht, indem wir nach dem entscheidenden Merkmal x suchen und dazu die Kausalgeschichte der Körperbewegungen nachvollziehen. [↑5.1.1] Der Unterschied zwischen Handeln und bloßem Verhalten ist nicht durch ein bestimmtes Merkmal gegeben, er wird durch bestimmte Reaktionen und Urteile erst markiert und beansprucht. Indem man Karl, den Fernsehzuschauer, auffordert, nicht bei jedem Treffer lauthals ‚Tor!‘ zu rufen, beansprucht man für Karls Verhalten Handlungsgeltung. Man betrachtet seine Tor-Rufe als Ausdruck von Akteursfähigkeiten und geht gemäß diesem praktischen Verständnis darauf ein. Anderenfalls wäre es witzlos, Karl zur Unterlassung aufzufordern. Es gäbe für Karl gar nicht die Option, seine Begeisterungsausbrüche zu zügeln. Nun sind ‚Absicht‘, ‚Verhalten‘ und ‚Handeln‘ unzweifelhaft Begriffe einer Sprache. Sie haben eine Bedeutung, die nicht völlig beliebig zugewiesen werden kann. Daher muss es neben Kontextbedingungen zumindest einige begriffliche Bedingungen für ihre Verwendung geben. Die Differenzierung zwischen Handeln und bloßem Verhalten kommt nicht nur von Fall zu Fall zustande. Sie kann nicht einfach davon abhängen, dass wir manchmal mit Aufforderungen, Argumenten, Warum-Fragen, Entschuldigungen auf jemandes Verhalten reagieren. Ohne jegliche begriffliche Bedingungen für ‚Handeln‘ und ‚Absichtlichkeit‘ wäre nicht einmal die Frage nach dem Unterschied zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten sinnvoll. Wie Hart, Anscombe und nun auch Melden ist Schatzki jedoch der Auffassung, dass sich diese Unterscheidung nur anhand konkreter, situationsspezifischer Kriterien treffen und rechtfertigen lässt. Dabei wird von einem Fall zum nächsten eine gewisse Familienähnlichkeit zutage treten, aber kein gemeinsames Merkmal aller Fälle. Wenn es aber kein gemeinsa_____________ geht also kein Urteil über den praktischen Vorrang oder die größere Relevanz des zweckgerichteten Handelns einher.

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mes Merkmal aller Fälle gibt, dann – hier kongruieren meine Interpretationen zu Hart, Anscombe und Melden – lassen sich auch keine notwendigen und gemeinsam hinreichenden Bedingungen auflisten, unter denen zum Beispiel eine Armbewegung ungeachtet der konkreten Umstände eine absichtliche Handlung ist. Deutlicher als die drei betrachteten Nicht-Kausalisten stellt Schatzki heraus, dass es bei Bedingungen der Handlungsgeltung nicht gleichgültig ist, aus wessen Perspektive über ihre Erfülltheit geurteilt wird. Entscheidend ist die praktische Nachvollziehbarkeit eines Verhaltens aus der Perspektive der Akteure: „Practical intelligibility is what makes sense to an actor to do.“41 Hieraus folgt nun weder, dass Akteure stets das letzte Wort in der Sinn-Frage in Bezug auf ihr Verhalten haben, noch dass ausschließlich sie selbst in dieser Frage urteilen können. Ein Blick auf die Alltagskommunikation lässt vermuten, dass wir einen nicht unerheblichen Anteil unserer Gedanken darauf verwenden, Sinn und Zweck dessen zu beurteilen, was andere tun. Wenn wir dabei nicht nur die Folgen ihres Verhaltens für uns selbst erwägen, sondern nach den Gründen und Absichten der Akteure fragen, vollziehen wir einen Perspektivenwechsel: Wir versuchen die Situation so zu sehen, wie sie sich für die Akteure selbst darstellt. Was mag aus ihrer Perspektive dafür sprechen, dies oder jenes zu tun? Welche Umstände mögen in ihren Augen relevant sein, so dass sie in dieser Weise darauf reagieren? Durch einen solchen Perspektivenwechsel kann das Verhalten anderer nachvollziehbar werden, ohne dass wir selbst, die Beobachter, ihr Handeln gutheißen. Man kann verstehen, warum jemand etwas tut, und zugleich überzeugt sein, dass man selbst nie in dieser Weise oder aus derartigen Gründen handeln würde, selbst wenn man die Situation ähnlich wahrnähme, wie es diese Akteure mutmaßlich tun. Die Handlungsgeltung dessen, was andere tun, hängt nicht von unserer Billigung ab, sondern von der praktischen Verständlichkeit, also davon, ob wir die gegebenen Umstände in der Weise betrachten können, dass sich Gründe für das Verhalten der anderen ergeben.42 _____________ 41 42

Schatzki 1988, 244. Lewis White Beck (1975) hält die Möglichkeit eines Perspektivenwechsels zwischen Akteur und Beobachter für die wichtigste Voraussetzung der Handlungsgeltung.

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Die Faktoren, die laut Schatzki die praktische Verständlichkeit von Verhalten fördern, stimmen zum großen Teil mit jenen überein, die Melden zufolge den praktischen Kontext einer absichtlichen Handlung konstituieren. Der praktische Kontext eines Verhaltens ist jedoch eine Konstellation von Fakten, von denen bei Melden unklar bleibt, woher sie ihren Einfluss auf die Handlungsgeltung eines Verhaltens erlangen. Er macht nicht recht deutlich, warum wir ausgerechnet den Fakt, dass sich ein Autofahrer einer Kreuzung nähert, als relevant für die Handlungsgeltung seiner Armbewegung erachten sollen, und nicht beispielsweise den Fakt, dass die Sonne scheint oder dass am Straßenrand ein Herr in Frack und Zylinder steht. Dies lässt sich mit dem Konzept der praktischen Verständlichkeit klären, denn praktische Verständlichkeit ist eine Relation: Jemand versteht etwas praktisch. Die Relation erfordert (mindestens) zwei Relata, von denen eines über epistemische Fähigkeiten verfügen muss. Die Konzeptionen von Melden und Schatzki, praktischer Kontext und praktische Verständlichkeit, liegen ansonsten sehr nah beieinander. Der Schilderung Meldens ist zu entnehmen, dass er den praktischen Kontext für eine Konstellation eben solcher Fakten hält, die laut Schatzki das praktische Verstehen eines Verhaltens ermöglichen, nur dass ‚verstehen‘ eine epistemische Relation zu jemandem, der versteht, anzeigt, wohingegen eine Faktenkonstellation keinen Bezug auf die epistemischen Fähigkeiten von Akteuren impliziert. Für Melden wie für Schatzki ist es ein entscheidender Gedanke, dass man Handlungen nicht an sich, nicht unabhängig von jeglichem Umfeld bestimmen kann, weil es unabhängig von jeglichem Umfeld keine Handlungen gibt. Mit der relationalen Konzeption von Schatzki wird darüber hinaus deutlich, dass das Verstehen einer Körperbewegung, einer Geste oder einer Lautäußerung als Handlung zunächst voraussetzt, bestimmte Fakten jenseits der Akteurin als eine bestimmte Situation zu begreifen. Eine Situation ist nicht einfach eine Konstellation von Fakten, sondern eine Konstellation von Fakten, die aufeinander bezogen sind, die einander bedingen, ein Muster instantiieren und deren Zusammentreffen deshalb eine bestimmte Bedeutung hat. Ich erinnere noch einmal an Meldens Autofahrer-Beispiel: Die Armbewegung ist als Abbiegesignal zu verstehen, weil sie von einem Autofahrer ausgeführt wird, der sich soeben einer Kreuzung nähert. Diese beiden Fakten bilden den praktischen Kontext der Armbewegung, das erklärt Melden. Doch warum gerade

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diese beiden Fakten? Weil diese beiden Fakten gemeinsam eine bestimmte Bedeutung haben für jene, die mit der Praxis des Autofahrens und den Regeln der Straßenverkehrsordnung vertraut sind. Diese beiden Fakten, und nicht etwa ein Fakt über die Sonne, machen die Armbewegung für Akteure verständlich, für Wesen also, die ihrerseits über bestimmte Kenntnisse und epistemische Fähigkeiten verfügen. An früheren Stellen habe ich formuliert, Handeln sei die semantische Dimension oder die Bedeutung von Körperbewegungen. [↑4.2.1] Dies sollte dahingehend präzisiert werden, dass Handeln die Bedeutung von Körperbewegungen in einer bestimmten Situation ist, wobei auch Situationen zunächst als bestimmte Situationen erfasst werden müssen. Sowenig wie Handlungen bestehen auch Situationen unabhängig von jeglicher Deutung, unabhängig von jeglicher Perspektive. Eine bestimmte Situation zu erkennen heißt, Relevanz- und Bedingungsverhältnisse zwischen Fakten zu erkennen, in deren Rahmen das körperliche Verhalten anderer Teilnehmer eine bestimmte Bedeutung gewinnt. Dafür sind offenkundig epistemische Fähigkeiten notwendig. Genau deshalb ist es abwegig, mit Blick auf eine isolierte Körperbewegung zu fragen, ob sie absichtlich ist oder nicht. Indem man mit dieser Frage von der Umgebung, in der die Bewegung stattfindet, absieht, sieht man genau von der Tatsache ab, dass Handlungsverstehen ein Fall des praktischen Verstehens ist, das heißt eine Anwendung der Fähigkeit, relevante Fakten zu erkennen und die Bedeutung einer Körperbewegung im Kontext dieser Fakten zu verstehen. Die Individuationsbedingungen von Situationen zu klären und die verschiedenen Arten von Relevanzbeziehungen zu untersuchen, die zwischen Fakten bestehen können, würde an dieser Stelle zu weit führen. Einige Hinweise hierzu hatten sich mit den Faktenmustern ergeben, die Jonathan Bennett erwähnte, darunter das Erwartungsmuster oder das Befehlsmuster. In beiden Fällen bestehen Relevanzbeziehungen zwischen Fakten, durch die bestimmte Körperbewegungen oder Äußerungen von Personen ihrerseits eine bestimmte Bedeutung gewinnen. [↑2.3.1] Auf basale Akteursfähigkeiten, wie sie auch für das praktische Verstehen von Situationen unerlässlich sind, komme ich dagegen bald ausführlicher zurück. Vorläufig ist die Beobachtung wichtig, dass nur Akteure in der Lage sind, solche Relevanzbeziehungen zu erkennen, durch die das Verhalten anderer Akteure eine bestimmte Bedeutung gewinnt. Damit hängt Handlungsgeltung

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nicht nur, wie Melden feststellt, von der Situierung eines Verhaltens in einem praktischen Kontext ab. Handlungsgeltung erfordert außerdem bestimmte epistemische Fähigkeiten auf der Seite derer, für die sich die Frage der Handlungsgeltung überhaupt stellt, das heißt für Akteure. Somit ist Handlungsgeltung nicht nur kontextrelativ, sondern auch akteursrelativ. Aufgrund der wechselseitigen Bezogenheit von Akteurs- und Beobachterperspektive lässt sich Schatzkis Konzeption der praktischen Verständlichkeit als Äquivalent zu den interpersonellen Relationen des Ausdrucks und der Zuschreibung, AΔ und ZΔ, auffassen, die ich für Anscombe rekonstruiert habe. [↑4.2.3; 4.2.4] So lassen sich die drei Relationen des Ausdrucks-für, der Zuschreibung-an und des praktischen Verstehens zusammenführen: ZΔAΔV

B schreibt A zu, dass p ↔ A drückt für B aus, dass p ↔ B versteht praktisch, dass p

Die Relation AΔ besagt, dass Personen ihre Lebensbedingungen für andere ausdrücken, indem sie ihre Körperbewegungen, Gesten, Mimik und ihre ganze physische Erscheinung zeigen – sie geben sich in einer Weise, die etwas zu bedeuten hat. Die Relation ZΔ besagt, dass wir diesen Ausdruck in bestimmten, oft psychologischen Begriffen sprachlich fassen können. In Zuschreibungen werden die Lebensbedingungen von Personen explizit gemacht. ZΔ und AΔ verhalten sich zueinander konvers: Wir schreiben anderen genau die Lebensbedingungen zu, als deren Ausdruck wir ihr körperliches Verhalten und ihre gesamte äußere Erscheinung verstehen – praktisch verstehen, lässt sich nun präzisieren. Die Relation V ist instantiiert, wenn wir in einer konkreten Situation, als konkrete Personen, auf der Grundlage unserer individuellen Kenntnis und Erfahrung, anhand des körperlichen Verhaltens einer Person verstehen, wie es ihr geht und was für sie gerade anliegt. Welche Handlungen diese Person ausführt, ist ein Aspekt dieser Lebensbedingungen.

5.2.3 Sich selbst verstehen Wir können am körperlichen Verhalten einer Person sehen, wie es ihr geht und was für sie gerade anliegt, weil im körperlichen Verhalten einer Person ihre Lebensbedingungen zum Ausdruck kommen. Ich habe es als Kriterium

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der Handlungsgeltung beschrieben, dass diese Ausdrucksrelation erfüllt ist. Ein Verhalten ergibt nur dann Sinn als absichtliches Handeln, wenn sich darin für andere Absichtlichkeit ausdrückt. Andere müssen prinzipiell in der Lage sein, ein Verhalten als absichtlich zu verstehen, dies jedenfalls folgt aus der nicht-kausalistischen Grundüberzeugung, dass ‚Handeln‘ nicht der Name einer physikalischen Kategorie ist, sondern die Geltung eines Verhaltens für andere Akteure und innerhalb eines praktischen Kontextes. Ich habe außerdem dargelegt, dass Geltung keine Eigenschaft ist, die einer Bewegungssequenz per Kausalgeschichte zukommt. Als Handeln gilt ein Verhalten nur, wenn es jemand als Handeln gelten lässt. Jemand muss eine bestimmte Haltung dazu einnehmen, jemand muss es in einer bestimmten Weise wahrnehmen. An dieser Stelle scheint es angebracht, einem gravierenden Missverständnis vorzubeugen: Weder die drei Autoren, deren Ansätze ich in dieser Arbeit untersuche, noch Schatzki, den ich zur Ergänzung heranziehe, schließen aus, dass wir für uns, ohne jegliche Beobachter und Zuschreibungen absichtlich handeln können. Mit einer Zuschreibungskonzeption des Handelns ist also keineswegs ausgeschlossen, dass manchmal die Akteurin selbst die einzige sein kann, die ihr Verhalten als absichtliches Handeln versteht, während alle anderen Akteure in ihrem Umfeld darin weder Gründe noch Absichtlichkeit zu erkennen vermögen. Ich habe die Frage, wie wir zu einem souveränen Selbstverständnis unseres Verhaltens gelangen können und woher wir selbst wissen, was wir tun, bislang weitgehend außen vor gelassen. Das Hauptanliegen der vorgestellten nicht-kausalistischen Ansätze besteht offensichtlich nicht darin, das Erste-Person-Wissen um eigenes Handeln zu untersuchen, sondern darin, die Kriterien der Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten bei Dritten herauszufinden. Dieses Anliegen erklärt sich aus der Diskurslage, in welche sich Hart, Anscombe und Melden mit ihren Ansätzen stellen. [↑1.1] Die von ihnen kritisierten kausalistischen Annahmen, Handlungen seien eine Art von Ereignissen und würden durch bestimmte andere (mentale) Ereignisse verursacht, zielten auf eine objektive Bestimmung des Handlungsbegriffes. Dass wir selbst wissen, wahrnehmen und erleben, wenn wir absichtlich handeln, wird von kausalistischen Ansätzen gar nicht bestritten, weshalb sich eine dezidierte Fürsprache für diese These auf Seiten der nicht-kausalistischen Herausforderer nicht aufdrängt.

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Allerdings wollen die kausalistischen Handlungskonzeptionen in dem Sinne ‚objektiv‘ sein, als sie den Handlungsbegriff gerade nicht in Abhängigkeit von der Akteursperspektive bestimmen. Stattdessen wird versucht, die Bedingungen, durch die menschliches Verhalten zu Handeln ‚wird‘, von einem neutralen Standpunkt aus zu benennen und in intersubjektiv überprüfbarer Weise darzulegen. In diesem Vorhaben spiegelt sich der damals (und auch heute noch) geltende Anspruch an Nachvollziehbarkeit und Intersubjektivität wissenschaftlicher Resultate: Sie sollen unabhängig von konkreten Akteuren mit ihren individuellen Erfahrungen gelten, unabhängig von den epistemischen Voraussetzungen bestimmter Individuen. Kausalverhältnisse scheinen für eine solche akteursneutrale Bestimmung des Handlungsbegriffes das optimale Definiens, weil eine physikalische Relation wie Kausalität unabhängig von konkreten Individuen und ihren Erkenntnisfähigkeiten besteht. Die nicht-kausalistische Gegenbewegung will nun zeigen, dass es für die Untersuchung von Handlungen keinen neutralen Standpunkt geben kann. Ihr Kernargument, wie es sich aus den Ansätzen von Hart, Anscombe und Melden entnehmen lässt, lautet: Kausalistische Ansätze wollen von individuellen Akteuren und ihren Erfahrungen als Akteure absehen. Damit ignorieren sie die Tatsache, dass sich die Frage nach der Handlungsgeltung eines Verhaltens nur für Akteure stellt. Diejenigen, die zwischen Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden, sind von dieser Unterscheidung selbst betroffen. Sieht man aber davon ab, dass man selbst ein Akteur ist und aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, eigene Absichten durch eigene Taten zu realisieren, kann man auch keine Kriterien der Handlungsgeltung in Bezug auf das Verhalten Dritter ausfindig machen. Dass wir selbst Akteure sind, ist eine Voraussetzung dafür, dass wir verstehen können, wie wir bei anderen Personen zwischen Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden. Aufgrund dieser Einsicht rückt bei Hart, Anscombe und Melden die Dritte-Person-Perspektive in den Vordergrund. Es geht ihnen darum zu erweisen, dass wir nicht nur zwischen eigenen absichtlichen Handlungen und eigenem bloßen Verhalten unterscheiden, ohne dessen Kausalgeschichten zurückzuverfolgen, auch die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten bei Dritten treffen wir auf ganz andere Weise, als es kausalistische Ansätze annehmen. Es ist allerdings auffällig, dass sich für alle drei Ansätze und am deut-

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lichsten bei Melden ergibt, dass wir für die Fähigkeit, Handeln und bloßes Verhalten in Bezug auf uns selbst zu unterscheiden, zunächst auf Zuschreibungen durch andere angewiesen sind. Ohne deren drittpersonale Deutungen unseres eigenen Verhaltens würden wir nicht zu einem Verständnis unseres eigenen Tuns und Lassens als absichtlich (unter dieser Beschreibung) oder unabsichtlich (unter jener Beschreibung) gelangen. Wir vermögen unser eigenes Verhalten unter Beschreibungen zu stellen, unter denen es absichtlich ist, weil andere uns zu Beginn unserer Akteurslaufbahn mit der Einstellung gegenübergetreten sind, dass unser körperliches Verhalten für sie eine Bedeutung hat. Sie gaben uns durch ihre Kommentare und Reaktionen zu verstehen, dass sie an unserem Verhalten und Auftreten erkennen, was wir beabsichtigen, wollen und wünschen. So haben sie uns die Gewissheit vermittelt, dass unser Verhalten etwas ist, in dem sich für Dritte etwas ausdrückt. Eigene Lebensbedingungen zu identifizieren und sie auf Begriffe zu bringen, ist eine Leistung, die uns zunächst von anderen abgenommen wird. Sie sagen uns, wie es uns geht und welche Handlungen wir ausführen, indem sie die Bedeutung explizit machen, die unser Verhalten für sie hat. Auf diese Weise lernen wir, die Begriffe auf uns selbst anzuwenden, durch die Lebensbedingungen individuiert werden können. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand eine Sprache für seine eigenen Lebensbedingungen einfach dadurch (er-)findet, dass er in sich hineinspürt, seine Befindlichkeiten differenziert und ihnen Namen gibt. Nach welchen Kriterien sollte er differenzieren, was er da in sich erspürt? Und woran, wenn nicht an der Nachvollziehbarkeit seiner Selbstbeschreibungen für Dritte, könnte er bemessen, ob er sich selbst in angemessener Weise verstanden hat?43 Ein praktischer Kontext liefert Kriterien der Handlungsgeltung stets für jemanden, für konkrete Beobachter bzw. Teilnehmer der Situation. Eine Konstellation von Dingen und Personen an einem Ort, zu einer Zeit lässt sowenig wie eine bestimmte Sequenz von Körperbewegungen einen logischen Schluss auf die Handlungsgeltung eines Verhaltens zu. Damit jemandes Verhalten in einem praktischen Kontext als absichtliches Handeln Sinn ergibt, müssen bestimmte Bedingungen der praktischen Verständlichkeit _____________ 43

Diese Argumentation läuft wieder auf Ludwig Wittgensteins Privatsprachenargument hinaus. Vgl. Anm. 20.

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erfüllt sein. Melden würde jedoch nicht bestreiten, dass wir unser Selbstverständnis, unser Wissen davon, was wir selbst gerade tun, mit welcher Absicht, aus welchen Gründen, nicht unabhängig von einem praktischen Kontext formen können. Zwar brauchen wir den praktischen Kontext nicht zuerst in Betracht zu ziehen, um dann zu erkennen, welche Absichten wir haben. Doch scheint schwer bestreitbar, dass wir unsere eigenen Absichten und Handlungen nicht identifizieren könnten, ohne in irgendeiner Weise auf unsere Lebenssituation Bezug zu nehmen. Ein Autofahrer braucht nicht um sich zu schauen und zu sehen, dass er sich an einer Kreuzung befindet, um seine eigene Armbewegung als Abbiegesignal zu verstehen. Doch müsste er, um dieses Verständnis des eigenen Handelns zu erklären oder zu rechtfertigen, sicherlich auf die äußeren Umstände verweisen: Säße er nicht hinter dem Steuer seines PKW und läge nicht eine Kreuzung, an der er abbiegen will, voraus, so könnte er kaum in die Lage geraten, von sich selbst zu sagen: ‚Ich will da rechts abbiegen!‘ Der Akteur hat seine Umgebung bereits als einen bestimmten praktischen Kontext verstanden, wenn er eine bestimmte Handlungsabsicht ausgebildet hat. Auch sein Selbstverständnis als jemand, der im Begriff ist, genau dies oder genau jenes zu tun, setzt die Fähigkeit des praktischen Verstehens voraus.

5.2.4 Verständlichkeitsfaktoren Erinnerlich stellt Anscombe Güte und Nützlichkeit als Kriterien der Handlungsgeltung dar. Ein Verhalten, das in irgendeiner Hinsicht gut oder nützlich ist (oder sein könnte), ist begründbar und gilt damit als Handlung. Dazu betont Anscombe, dass ein Verhalten nicht tatsächlich begründet sein muss, um Handlungsgeltung zu erlangen. Die Warum-Frage muss lediglich anwendbar sein, das heißt die Fragepräsupposition, dass es für das betreffende Verhalten Gründe geben könnte, muss erfüllt sein. Wichtig ist, dass sich die Anwendbarkeit der Warum-Frage an der Perspektive der Akteurin bemisst: ‚Warum a-t A?‘ ist anwendbar, wenn A ohne Beobachtung weiß, dass sie a-t, und wenn die Ausführung von a ein Gegenstand ihres praktischen Wissens ist. [↑4.1.2–4.1.3] Diese Geltungsbedingung kommt der Konzeption der praktischen Verständlichkeit nach Melden bzw. Schatzki sehr nah. Auch die praktische Verständlichkeit eines

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Verhaltens wird von einem Beobachter, aber für die Akteurin beurteilt. Beobachter müssen sich die Mühe eines Perspektivenwechsels machen, um herauszufinden, ob sich für das Verhalten einer anderen Person Absichten und Gründe finden lassen, innerhalb der Situation, wie sie sich für die andere Person darstellt. Handlungsgeltung ist sowohl mit dem Kriterium der Warum-Frage als auch mit dem Kriterium der praktischen Verständlichkeit an interpersonelle Relationen gebunden. Eine von jeder Gemeinschaft isolierte Akteurin könnte ebenso wenig einen Warum-Weil-Dialog mit sich selbst halten, wie sie die Nachvollziehbarkeit ihres Verhaltens beurteilen könnte. Beide Kriterien setzen voraus, dass Akteure in Gemeinschaften leben und ihr Verhalten geteilten normativen Maßstäben der Güte, Nützlichkeit und Sinnfälligkeit unterliegt. Schatzki versucht nun, Ordnung in die vielfältigen Faktoren zu bringen, die für praktische Verständlichkeit von Verhalten sorgen. Neben dem Setting, wozu Beschaffenheit und Ausstattung des Schauplatzes gehören, und den interpersonellen Relationen der Akteure bestimmt eine Reihe weiterer Faktoren die Verständlichkeit des körperlichen Verhaltens von Personen als Ausdruck ihres Befindens, ihrer Stimmungen, Pläne und Absichten. Den englischen Ausdruck ‚Setting‘ behalte ich bei, weil das deutsche ‚Schauplatz‘ zu stark auf lokale Verankerung hindeutet, Übersetzungen wie ‚Szenerie‘ oder ‚Szenarium‘ hingegen an absichtsvolle Arrangements von Objekten denken lassen, von denen ein beobachtendes Publikum räumlich abgegrenzt ist. Das lebensweltliche Setting, in dem Handlungen stattfinden, ist jedoch keine Bühne, die einem Zuschauerraum gegenüberliegt, und es gibt auch keine eindeutige Rollenverteilung zwischen Akteuren und Zuschauern. Formulierungen wie ‚in einer überfüllten Straßenbahn‘, ‚auf dem Friedhof‘, ‚beim Zahnarzt‘ oder ‚bei Theo zu Hause‘ benennen verschiedene Settings. Jedes Setting ist durch eine Vielzahl von Fakten charakterisierbar und alle können das praktische Verständnis eines Verhaltens in einem solchen Setting beeinflussen. In Meldens Autofahrer-Beispiel ist der Umstand, dass sich der Fahrer einer Kreuzung nähert, für die Bedeutung seiner Armbewegung relevant. Dagegen spielt es keine Rolle, in welcher Stadt diese Kreuzung liegt oder aus welcher Richtung der Fahrer kommt. Wieder wäre es ein Zeichen mangelnden praktischen Wissens, wenn jemand an der Bedeutung des erhobenen Armes zweifeln wollte, weil Mel-

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den die Kreuzung nicht präziser identifiziert: Dieses Detail trägt zum praktischen Verständnis der Bewegung nichts bei.44 Anstelle von Schatzkis umständlichem Ausdruck ‚Verständlichkeit bestimmende Faktoren‘ [intelligibility determining factors] verwende ich die etwas ungenauere, aber kürzere Bezeichnung ‚Verständlichkeitsfaktoren‘. Setting, interpersonelle Relationen und Verständlichkeitsfaktoren sind laut Schatzki Konstituenten der sozialen Wirklichkeit.45 Diese dreifache Unterteilung braucht hier nicht aufgegriffen zu werden, ich übernehme lediglich Schatzkis Bestimmung der Verständlichkeitsfaktoren und subsumiere Setting und interpersonelle Relationen darunter. Bemerkenswert ist aber, dass praktisches Verstehen in der sozialen Wirklichkeit verankert wird. Damit wird den Gegenständen dieses Verstehens – Wahrnehmungen, Gefühle, Stimmungen und Handlungen – ein Platz in der sozialen Wirklichkeit zugewiesen. Schatzki vertritt keinen Wirklichkeitenpluralismus, er setzt soziale Wirklichkeit nicht neben eine physikalische oder andere Wirklichkeit: „What is meant by the expression ‚social reality‘? Reality is the totality of what (really) is. Social reality, as a result, can be formally and neutrally defined as that part of what is that is social. “46 Und weiter: What does ‚social‘ mean? Whereas the Latin ‚socialis‘ connotes companionship, the word ‚social‘ is used in modern times to qualify any mode of human coexistence whatsoever. Hence, a rough and intuitive definition of ‚social‘ is ‚constitutive 47 of human coexistence‘.

Diese Skizzen spiegeln eine Konzeption von Wirklichkeit, die derjenigen Meldens nahekommt. Ich hatte erwähnt, dass Melden ein Vertreter des Neuen Dualismus und damit der Zwei-Sprachen-These ist, die von einer Disjunktion zwischen physikalischer und psychologischer Sprache aus_____________ 44 45

46 47

Vgl. Melden 1961, 96 f. Vgl. Schatzki 1988, v. a. 244–248. Er entwickelt diese Differenzierung, um den Gegenstand der Sozialwissenschaften zu umreißen. Er beruft sich u. a. auf Anthony Giddens’ Central Problems in Social Theory (1979) und The Constitution of Society (1984) sowie auf Erving Goffmans The Presentation of Self in Everyday Life (1959). Zudem weist er auf den Einfluss von Dilthey und Hegel auf seinen Gedankengang hin. Vgl. Schatzki 1988, 246, Fn. 7 und 8. Schatzki 1988, 243. Schatzki 1988, 243.

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geht. Indem Schatzki von der sozialen Wirklichkeit spricht, deutet er eine ähnliche Unterscheidung an. Allerdings besteht sie nicht zwischen ‚language strata‘, sondern zwischen Schichten der Wirklichkeit. Auf die Ähnlichkeit bzw. auf den entscheidenden Unterschied zwischen Sprachschichten einerseits, Wirklichkeitsschichten andererseits komme ich am Schluss der Arbeit wieder zu sprechen. [↓6.3] Nachdem Melden zunächst davon ausgegangen war, dass Regelbindung ein generelles Kriterium der Handlungsgeltung ist, beschreibt er Regeln und Konventionen später als Bausteine eines „intricate network of moral and social considerations“48 und stellt sie damit als ein Element neben anderen dar, die einen praktischen Kontext ausmachen. [↑5.1.1] Auch Schatzki sieht in Regeln und Konventionen eine wichtige Art von Verständlichkeitsfaktoren und stellt sie in eine Reihe mit Ideen, Gedanken, Begriffen, Anliegen [mattering], Mustern [paradigms] und Bräuchen [customs]: By ‚mattering‘, I mean how things matter to someone. How things matter is a crucial and omnipresent determinant of what makes sense to a person to do. ‚Rules‘, on the other hand, refer to explicitly formulated directives and instructions, whereas ‚paradigms‘ refer to exemplary ways of being and acting honored by some group of people. By ‚customs‘, I mean widespread, accepted ways of acting into the practice 49 of which people are ‚socialized‘.

Schatzki klärt nicht, wie Ideen, Begriffe oder Regeln die praktische Verständlichkeit von Verhalten genau beeinflussen. Zumindest muss jemand wohl eine Regel kennen, einen Begriff von etwas haben oder auf eine Idee kommen, damit diese Faktoren in die Bedeutung seines Verhaltens eingehen können. Dies illustrierte Meldens Beispiel: Man kann jemandem einen Läufer-Zug nur dann zuschreiben, wenn er die Regeln des Schachspiels kennt. Verständlichkeitsfaktoren sollten daher als personalisierte Deutungsparameter aufgefasst werden. Das Verhalten einer Person ist als Befolgung einer Regel R praktisch verständlich, sofern man unterstellt, dass diese Akteurin die Regel R kennt. Oder: A’s Verhalten ist als Teilnahme am Brauch x praktisch verständlich, sofern man unterstellt, dass A den Brauch x kennt. Eine weitere Art von Verständlichkeitsfaktoren sind Fakten über Perso_____________ 48 49

Melden 1961, 180. Schatzki 1988, 246.

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nen, die Akteure selbst oder andere neben ihnen betreffen können. So kontrastierte Melden sein ursprüngliches Schach-Beispiel mit dem Fall eines kleinen Kindes, das mit den Schachfiguren spielt. [↑5.1.2] In diesem Fall drücken weder die körperliche Erscheinung der Akteurin noch ihre Bewegungen und Äußerungen aus, dass sie die Schachregeln kennt und befolgt – ganz im Gegenteil: Da es sich um eine Dreijährige handelt, die ganz allein mit den Schachfiguren hantiert, schwarze und weiße durcheinander aufstellt, ungeachtet der Feldfarben usw., drücken ihre körperliche Erscheinung und ihr Verhalten gerade keine Schachkompetenz aus. Das Kind spielt mit Schachfiguren, aber es spielt nicht Schach. Um diesen Unterschied zu sehen, genügt es nicht, einzelne Handbewegungen der Akteurin zu betrachten, denn deren Bedeutung bliebe unklar, solange sie isoliert, ohne den gleichzeitigen Blick auf die ‚ganze Akteurin‘ betrachtet würden. Schließlich sorgen auch Beziehungen zwischen Personen für praktische Verständlichkeit von Verhalten. Verärgerung, Nachsicht oder Ungeduld, Dankbarkeit, Aufopferung, Reserviertheit oder Schüchternheit, Unterwerfung oder Aufsässigkeit werden häufig nachvollziehbar, wenn man in Betracht zieht, dass die Akteure auf etwas reagieren, das ihr eigenes Kind, ihre Chefin, der beste Freund, der langverhasste Nachbar… tun. In Harts Beispiel, in dem Mr. Smith eine Frau schlägt, würde sich das praktische Verständnis der Handlung sogleich verändern, wenn der Beobachter erfährt, dass die Frau Karatetrainerin ist und Mr. Smith aufgefordert hat, einen bestimmten Schlag auszuführen. Natürlich bliebe die Aussage ‚Smith schlägt die Frau‘ weiterhin wahr, doch schließt das praktische Verständnis der ganzen Handlung eben auch die interpersonelle Relation zwischen Smith und der Frau ein und geht damit über den Fakt, dass Smith die Frau schlägt, deutlich hinaus. Indem wir erfahren, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen, erlangen wir ein angemesseneres Verständnis dessen, was wir auf den ersten Blick sehen konnten. Schatzki weist darauf hin, dass interpersonelle Relationen nicht langfristig bestehen müssen. Sie können schon bei zufälligen, flüchtigen Begegnungen zustande kommen: „Person A’s life is related to that of person when A knows something about B, or A thinks something about B, or B matters to A in some way, and so on.“50 Man kann häufig verstehen, dass _____________ 50

Schatzki 1988, 247.

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jemand nervös und ratlos ist oder fröhlich und unbeschwert, ohne die Person und ihre Lebensbedingungen überhaupt zu kennen.

5.2.5 Beobachter als Teilnehmer An dieser Stelle könnte der Verdacht der Zirkularität aufkommen, denn manche Verständlichkeitsfaktoren, die Handlungszuschreibungen stützen sollen, sind selbst Gehalte von Zuschreibungen, sind also selbst Exprimanda des körperlichen Verhaltens, zu dessen praktischer Verständlichkeit sie beitragen sollen. Der erhobene Arm eines Autofahrers lässt sich nur als Abbiegesignal verstehen, wenn er in einem geeigneten Setting, während der Fahrt und vor einer Kreuzung, vorkommt. Zusätzlich muss man dem Fahrer Kenntnis der Abbiegeregel zuschreiben. Diese Zuschreibung scheint nur dadurch gerechtfertigt, dass sich im Verhalten des Fahrers die Kenntnis eben dieser Regel ausdrückt. Wie könnte sie sich aber anders ausdrücken als durch die Ausführung korrekter Abbiegemanöver bei früheren Gelegenheiten? Das Verhalten bei diesen früheren Gelegenheiten als Abbiegesignal zu sehen heißt ja nichts anderes, als in ihm eine Manifestation genau derjenigen Regelkenntnis zu sehen, deren Zuschreibung für den aktuellen Fall gerechtfertigt werden soll. Angenommen, der zuschreibende Beobachter ist in diesem Fall eine weitere Fahrerin, die Meldens Beispiel-Fahrer nachfolgt. Würde man sie befragen, warum sie vor der Kreuzung auf die Bremse tritt, würde sie antworten: ‚Weil der Fahrer vor mir abbiegen will. Er wird gleich verlangsamen.‘ Befragt, warum sie dies glaube, könnte sie auf das Abbiegesignal, den erhobenen Arm jenes Fahrers, verweisen. Neuerlich befragt, warum sie den erhobenen Arm als Abbiegesignal versteht, könnte sie auf den praktischen Kontext – die Straße, die Kreuzung – verweisen und dazu die Regel anführen, die eine solche Armbewegung im Straßenverkehr als Abbiegesignal kennzeichnet. Auf die weitere Frage, woher sie die Gewissheit nehme, dass der erhobene Arm wirklich bedeutet, dass der Mann abbiegen will – er könnte schließlich auch einen verkrampften Muskel dehnen oder auf eine Auffälligkeit am Himmel zeigen –, erschöpfen sich die Gründe der Beobachterin. Sie kann ihr praktisches Verständnis der Armbewegung durch theoretische Gründe nicht vollständig rechtfertigen, das praktische Verständ-

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nis muss sich vielmehr praktisch bewähren. Diese Bewährung erfordert (mindestens), dass es keine Reaktionen nach sich ziehen darf, die für andere praktisch unverständlich sind, die Chaos stiften und andere Akteure ratlos lassen, wie sie ihrerseits die nun entstandene Situation verstehen sollen. Dieser Zuschreibungszirkel ist unumgänglich, er hat in der Lebenswelt aber einen größeren Radius. Melden erklärt, dass es keinen theoretischen Weg gibt, den Zirkel zu durchbrechen, weil es keinen letztgültigen Nachweis für die Korrektheit einer Zuschreibung gibt. Man kann Zuschreibungen nicht auf einen unbezweifelbaren Anfang, auf eine unhintergehbare Tatsache oder ein anderes theoretisches Fundament zurückführen. Zuschreibungen können sich nur in der lebensweltlichen Praxis bewähren, nur dadurch, dass sie leibhaftigen Akteuren helfen, angemessen miteinander umzugehen, einander verständlich zu machen und ihre praktischen Belange zu bewältigen. Gleichwohl kann praktisches Verständnis keineswegs beliebig behauptet oder verwehrt werden. Seine Korrektheit folgt zwar nicht logisch aus einer Reihe von Prämissen, aber seine Angemessenheit ist durch eben die Parameter begründbar, die es hervorrufen, durch Regeln, Normen und Begriffe einer Gemeinschaft, durch Ideen und Gedanken, die in einer Gemeinschaft im Umlauf sind, durch Anliegen, die eine Person umtreiben, durch Muster und Bräuche, denen ‚man‘ in bestimmten Situationen normalerweise folgt. Auf diese Parameter können einzelne Beobachter ihre Handlungszuschreibungen stützen, durch sie lässt sich rechtfertigen, warum sie beispielsweise meinen, dass ein Autofahrer links abbiegen will und nicht einfach seinen schmerzenden Arm entlastet. Beobachter werden die Verständlichkeitsfaktoren, die ein praktischer Kontext bietet, mit zunehmender eigener Erfahrung als Akteure zunehmend besser erkennen. Frei erfinden oder nach Belieben annullieren können sie diese aber nicht. Dem praktischen Verständnis dessen, was andere tun, sind Grenzen durch dieselben Parameter gesetzt, die dieses Verständnis ermöglichen. Wie mehrmals betont, besteht die wichtigste Voraussetzung der Handlungsgeltung für nicht-kausalistische Handlungskonzeptionen darin, dass die Ausführenden als Akteure gelten. Man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass diejenigen, die eine Schachfigur verrücken oder einen Arm heben, intelligente, aufmerksame Wesen sind, die Gründe, Argumente und Kritik einsehen können. Ein Schachfigur-Verrücker und ein Arm-Heber dürfen nicht ausschließlich als Schauplatz physikalischer Veränderungen

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betrachtet werden, weil sich sonst die Frage, ob sie dies oder jenes mit Absicht tun, gar nicht stellen lässt. Eine solche Unterstellung von Akteursfähigkeiten kann wiederum nur von Akteuren vorgenommen werden. Deshalb ist praktische Verständlichkeit eine Relation zwischen Akteuren. Das Verhalten einer Akteurin praktisch zu verstehen heißt nicht, die Bedeutung des Verhaltens nach einem feststehenden Algorithmus zu erfassen, sondern eine Antwort auf die Frage zu finden, was diese Akteurin tut und inwiefern es aus ihrer Perspektive sinnfällig ist, dies zu tun. Es ist klar, dass nur Wesen mit epistemischen Fähigkeiten und einem essentiellen Interesse an anderen Personen dazu in der Lage sind. Es ist aber auch klar, dass nur Wesen mit bestimmten epistemischen Fähigkeiten eine eigene Perspektive auf ihr Verhalten haben. Gründe nachvollziehen kann man nur bei jemandem, der Gründe hat. Viel stärker als Melden betont Schatzki, dass nicht nur Fakten über Akteure für das praktische Verstehen ihres Verhaltens relevant sind, sondern auch Fakten über die Beobachter bzw. ihr Verhältnis zueinander. Von Melden erfahren wir beispielsweise nicht, wer den erhobenen Arm des Autofahrers als Abbiegesignal deutet oder wer dem dreijährigen Kind abspricht, Schach zu spielen. Er unterstellt, dass die normale Leserin seines Werkes mit den geschilderten Szenarien hinlänglich vertraut ist, um den exemplarischen Charakter einzusehen, und seine – Meldens – Maßstäbe teilt, welches Verhalten unter welchen Bedingungen erwartbar und selbstverständlich ist. Völlig gleichgültig ist es allerdings nicht, wer mit einer Bewegung konfrontiert ist, die als Abbiegesignal oder als Schachzug gesehen werden könnte – das belegt ausgerechnet Meldens Autofahrer-Beispiel, das heutige Leser nicht mit einem selbstgewissen „we know what is going on“ zur Kenntnis nehmen. Wir wissen eben nicht, was vor sich geht, denn wir sehen kein Abbiegesignal, sondern einen erhobenen Arm. Dass der Mann abbiegen will, wüssten wir, wenn er sein Blinklicht betätigen würde, so wie man es heutzutage tut. Der Beobachterposten ist in Meldens Konzeption zwar vorgesehen, es wird aber nicht recht klar, welchen Unterschied Beobachter für den praktischen Kontext eines Verhaltens bzw. einer Akteurin machen. Damit läuft Melden Gefahr, bei aller Betonung des praktischen Kontextes die Interpersonalität der Handlungsgeltung zu verkennen. Weder äußere Umstände, Objekte und Setting, noch die Lebensbedingungen der Akteure könnten

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jedoch einem körperlichen Verhalten Handlungsgeltung verschaffen, gäbe es nicht andere Teilnehmer der Situation, die ihnen mit der Unterstellung gegenübertreten, dass sie absichtlich handeln können, und die ihrerseits in der Lage sind, die Bedeutung körperlichen Verhaltens zu sehen. Weil Melden den Beobachter nicht als Teil des praktischen Kontextes auffasst, kann er in seinem Schach-Szenario zwar einleuchtend schildern, dass der schachkundige Beobachter regelrechte Schachzüge sieht, wohingegen der andere, schachunkundige, ratlos vor den Holzfiguren steht und nicht weiß, was deren Verschiebung zu bedeuten hat. Es bleibt aber offen, warum wir sagen würden, der erste Beobachter sehe, was wirklich stattfindet, während die Wahrnehmung des zweiten unvollkommen, defizitär ist. Meldens ganze Erklärung für diesen Unterschied besteht darin, dass nur der erste Beobachter die Ausführenden als Schachspielerinnen sieht, was besagt, dass er ihnen die Kenntnis der Schachregeln und die Absicht, eine Partie Schach zu spielen, unterstellt. Melden geht aber nicht weiter und fragt, was daraus über den Beobachter folgt. Was sagt es über seine Fähigkeiten und Kenntnisse? Was sagt es über den anderen Beobachter, der keine Spiele kennt und nicht weiß, was es heißt, einer Regel zu folgen? Und was, so die wichtigste Frage, folgt aus dem Kontrast ihrer Wahrnehmungen für den Handlungsbegriff bzw. für die Wirklichkeit von Handlungen? Sämtliche Ausführungen Meldens, vor allem sofern sie den praktischen Kontext und dessen unerlässliche Rolle für das Verstehen von Handlungen betreffen, laufen darauf hinaus, dass Handlungen nur insofern existieren, als jemand sie sehen kann. Die Besetzung des Beobachterpostens ist konstitutiv für Handlungen. Es genügt nicht, dass Menschen bei wiederkehrenden Anlässen wiederkehrende Dinge tun. Es muss jemanden geben, der in diesen Wiederholungen Absichten und Gründe zu sehen vermag, damit sie die Geltung absichtlicher Handlungen erlangen. Eine eminent wichtige Frage, die Melden nicht stellt, lautet also: Was vermag jemand, der Handlungen zu sehen vermag? Was ist das für eine Fähigkeit, woher kommt sie und woran liegt es, dass sie so wenig auffällt? Dies zu beantworten verlangt, die Relation zwischen Akteuren und Beobachtern zu untersuchen. Nicht immer handelt es sich um zwei so klar voneinander geschiedene Rollen wie das Schach-Beispiel glauben macht. Im Alltag sind Beobachter von Akteuren selbst Akteure, und Akteure stets Beobachter anderer Akteure. Ein Beobachter ‚benutzt‘ den praktischen

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Kontext nicht nur dazu, Informationen über andere Personen zu sammeln und, um der Vollständigkeit seines Weltverständnisses willen, Schlüsse über die Bedeutung ihres Verhaltens zu ziehen. Praktisches Verstehen zielt auf praktische Folgen, es dient dazu herauszufinden, was man selbst tun kann oder soll. Praktisches Verstehen ist nicht das Verstehen eines Außenstehenden in Bezug auf ein von ihm unbeeinflusstes Objekt, sondern das Verstehen der eigenen Lage, des eigenen praktischen Kontextes, innerhalb dessen es für einen selbst etwas zu entscheiden gibt und in dem man selbst zu handeln hat. Eine solche Überlegung klingt bei Melden zumindest an, wenn er anmerkt, wozu praktisches Verstehen notwendig ist: For we are not only concerned to know what is true about persons, what in fact they are doing, we are also interested in helping them, in fixing the proper measures of responsibility, in appraising their conduct as blameworthy, excusable or as exempt 51 from moral or other criticism.

Die Akteure, die man beobachtet, sind die, mit denen man interagieren muss, denen man helfen sollte oder von denen man lernen kann. Deswegen ist es so wichtig, dass Hart und Anscombe auf die dialogische Struktur des Handlungsbegriffes aufmerksam machen. Hart stellt moralische Urteile und Entschuldigungen in den Vordergrund, die sich an bestimmte (negative) Handlungsdeutungen anschließen können; Anscombe betont, dass man auf Handlungen hin nach Gründen und Absichten fragen kann. [↑3.3.2; 4.1.2– 4.1.3] Wenn Beobachter keine Regeln oder Praxen in dem erkennen können, was andere tun, folgt daraus eben nicht, dass sie nicht absichtlich handeln (keinen Schachzug ausführen). Es zeigt zunächst die Grenzen der Fähigkeit des Beobachters, bestimmte Handlungen zu sehen (er kennt dieses Spiel nicht). Die Handlungsgeltung des Verhaltens kann in einem WarumWeil-Dialog etabliert werden, an dem der vorerst ratlose Beobachter selbst teilnimmt. Man kann ihm die Regeln und Praxen darlegen, denen andere folgen, so dass er ihre Absichten und Gründe zu sehen lernt. Erst wenn dieser Dialog scheitert, sei es, weil die Warum-Frage von den Adressaten nicht verstanden wird, sei es, weil sie zurückgewiesen wird, muss ein Beobachter zu dem Urteil kommen, dass wirklich keine Handlung stattfindet. _____________ 51

Melden 1961, 156.

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Handlungen sind Verhalten, für das sich die Frage nach Gründen nicht nur beantworten, sondern zunächst einmal stellen lässt. Diese Frage richtet sich an eine Akteurin, sie wird aber von einem Beobachter aufgeworfen. Die dialogische Struktur des Handlungsbegriffes tritt damit auch in Meldens Konzeption zutage: Was eine Handlung ist und wie sie sich von bloßem Verhalten unterscheidet, lässt sich allein aus der Akteursperspektive nicht erklären. Sobald man über Gründe und Absichten spricht, wird man über intersubjektive Kriterien der Güte und Nützlichkeit, über gemeinschaftliche Regeln und Normen, über geteilte Praxen sprechen. Handlungsausführung und Handlungsdeutung finden im selben praktischen Kontext statt. Das bedeutet auch, dass Beobachter nicht einfach registrieren, was andere tun, Beobachter gestalten den praktischen Kontext derer, die sie zu verstehen suchen, durch ihre eigene Anwesenheit mit. Ihr Urteil, ihre Erwartungen beeinflussen auch, was für die Akteure der Fall ist und welche Muster sich durch ihr Verhalten erfüllen. Aus diesen Überlegungen lässt sich zusammenfassend entnehmen, dass praktisches Verständnis in Bezug auf das Verhalten anderer Personen auch von den Lebensbedingungen derer bestimmt ist, die sich um praktisches Verständnis bemühen. Auch von ihrem Wissen, ihren Absichten, Wünschen oder Erwartungen kann es abhängen, welche Bedeutung das Verhalten anderer Akteure für sie hat. So ist praktisches Verstehen zugleich ein Verstehen der eigenen Rolle als Teilnehmer einer gemeinsamen Situation. Wenn man jemanden zur Verantwortung zieht, lobt oder tadelt, wenn man jemanden um Hilfe bittet oder ihm Hilfe anbietet, wenn man gemeinsame Handlungen vorschlägt oder gegen die Vorschläge anderer argumentiert, muss man davon ausgehen, dass das eigene Verhalten für die anderen praktisch verständlich ist. Man muss sich selbst als Akteur wie die anderen verstehen, nicht nur als ihr distanzierter, objektiver Beobachter.

5.2.6 Lesetraining Der praktische Kontext erfüllt zwei Funktionen: Zum einen stellt er die praktische Verständlichkeit des körperlichen Verhaltens von Personen her. Je nach praktischem Kontext sind jemandes Bewegungen, Haltung, Gesten und Mimik als absichtliches Handeln nachvollziehbar oder nicht. Zum an-

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deren dient der praktische Kontext dem ‚Training‘, wie Melden es nennt. Im Verhalten anderer Personen Handlungen zu sehen und eigene Handlungsoptionen zu erkennen, müsse ebenso gelernt werden wie das Verstehen grafischer Zeichen in einem bestimmten sprachlichen Kontext: And if it seems odd to say that what a person sees depends upon the training he has received, compare the visual experiences of one who merely looks at the pattern of 52 marks on a printed page with the visual experiences of one who is reading.

Sofern man lesen gelernt hat, ist es nahezu unmöglich, die Gestalt grafischer Zeichen wahrzunehmen, ohne sogleich ihre Bedeutung zu verstehen. Ebenso hält es Melden für beinah ausgeschlossen, dass jemand eine bestimmte Praxis auszuführen gelernt hat oder immerhin weiß, dass sie zum Repertoire seiner Gemeinschaft gehört, aber nicht erkennt, wenn jemand genau diese Praxis instantiiert. Dass Lesekundigkeit und Handlungsverstehen nicht vollständig kongruieren, zeigt ein Blick auf Fälle der Inkompetenz: Viele Menschen können deshalb nicht lesen, weil sie die Technik, grafische Zeichen als Buchstaben, Wörter und Sätze zu deuten, (noch) nicht gelernt haben. Je nach Kulturform ist ihnen die Teilnahme an gemeinschaftlichen Praxen dadurch mehr oder minder erschwert, es ist aber nicht grundsätzlich unmöglich, als Analphabet in einer alphabetisierten Gemeinschaft zu leben. Beim praktischen Verstehen scheint ‚Analphabetismus‘ praktisch nahezu unmöglich. Anders als bei Schriftzeichen erfahren wir von Beginn des Lebens an, dass körperliches Verhalten über seine physikalischen Eigenschaften hinaus eine Bedeutung hat. Wir sind nicht zuerst mit ‚puren‘, von jeder Semantik freien Körperbewegungen konfrontiert und lernen allmählich, welche Lebensbedingungen sie ausdrücken. Vielmehr lernen wir von Beginn an, Verhalten über seine praktische Bedeutung zu individuieren: In short, the child needs to be trained, by participation in the various forms of activity in which it engages with its mother, to recognize this bodily movement of its mother in this transaction in which it engages as this action, that bodily movement 53 in that transaction as that action.

_____________ 52 53

Melden 1961, 187. Melden 1961, 190. Das gilt natürlich für alle Bezugspersonen, nicht nur für Mütter.

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Es ist kaum vorstellbar, wie jemand die Welt wahrnehmen würde, der grundsätzlich nicht in der Lage ist, Verhalten praktisch zu verstehen. Die Quasi-Alphabetisierung im Bereich der lebensweltlichen Praxis findet statt, wann immer ein Kind mit seinen Bezugspersonen interagiert: beim Füttern, Baden, Windelwechseln, Spielen, Vorsingen usw. Handlungen sehen zu lernen, ist eine so fundamentale Kompetenz, dass ihr Erwerb kaum zu vermeiden ist, insbesondere deshalb, weil ein Kind von seiner Umgebung mehr und mehr als jemand angesehen wird, der selbst absichtliche Handlungen ausführt, und als Akteur in gemeinschaftliche Abläufe einbezogen wird. Andere sehen sein Verhalten als bedeutsam, deshalb fordern sie es auf, bestimmte gute und nützliche Dinge zu tun, sie loben oder tadeln, was ihnen lobenswert bzw. tadelnswert erscheint. Diese Praxen sind nur sinnvoll, wenn unterstellt wird, dass das Kind Akteursfähigkeiten ausbilden und trainieren kann – Intelligenz, Aufmerksamkeit, Einsicht in Regeln, Gründe und Argumente. Kinder lernen ihrerseits, ihre Befindlichkeiten zu identifizieren und zu artikulieren. Sie lernen nicht nur zu sagen, dass sie dies wollen, jenes aber nicht, sie lernen dabei auch, sich selbst zu verstehen als jemand, der dies will, jenes aber nicht. Und sie machen die Erfahrung, dass sich ihre Wünsche manchmal erfüllen, manchmal nicht; manchmal infolge ihres eigenen Verhaltens, manchmal ohne ihr Zutun. Kurz, sie erfahren sich selbst als Akteure unter Akteuren: For if [a child] is to distinguish between objects and persons and hence between happenings – agreeable or disagreeable as these may be – and the actions of persons, it must acquire a recognition, not of persons and actions as such, but of this or that particular person and of this or that particular action of some specific person 54 with which it deals.

Diese Erfahrung vermittelt ihnen praktisches Wissen darüber, welche Handlungen für sie selbst oder für andere in einer konkreten Situation möglich sind, welche Grenzen ihrem eigenen Handeln und ihrem Einfluss auf das Handeln anderer gesetzt sind und was es zu bedeuten hat, wenn die Mutter es so anschaut, der Vater sich so bewegt und die anderen Kinder sich in seiner Gegenwart so verhalten. Aus der eigenen Erfahrung als Ak_____________ 54

Melden 1961, 196.

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teure gewinnen sie die Kompetenz, auch das Verhalten anderer praktisch zu verstehen, als Ausdruck ihrer Lebensbedingungen.

5.3 Akteursfähigkeiten 5.3.1 Selbstdistanzierung Melden erkennt, dass es von einem ganzen Ensemble an Kontextbedingungen abhängt, welche Handlungen man einer Person zuschreiben kann. Von Schatzki habe ich zur Bezeichnung dieser Kontextbedingungen die (abgekürzte) Bezeichnung ‚Verständlichkeitsfaktoren‘ übernommen. Wie schon für Hart und Anscombe lässt sich nun für Meldens Handlungskonzeption eine besondere Bedingung der Handlungsgeltung rekonstruieren, die weder fall- noch beobachterspezifisch ist: Die Ausführenden des Verhaltens müssen Akteure sein. Diese besondere Bedingung muss in jedem praktischen Kontext erfüllt sein, damit sich die Frage der Handlungsgeltung eines Verhaltens überhaupt stellt. Dieselbe grundlegende Bedingung – Bedingung der Möglichkeit – der Handlungsgeltung hatte sich zum einen mit Harts Auflistung möglicher Entschuldigungen herausgestellt. ‚Der Mann ist verrückt, der Ärmste‘ entschuldigt Smith’ rabiates Benehmen gegenüber Mrs. Jones auf andere Art als beispielsweise ‚Er hat sie nicht gesehen‘. Noch drastischer illustrierte Anscombe dies mit dem Hinweis, dass es noch angehen mag zu sagen, ein Baum werfe seine Früchte ab oder eine Kuh ihr Kalb, aber „we should never speak of a tap as dropping its drips of water“.55 Baum und Kuh, erklärt Anscombe, sind lebendige Organismen, so dass die Verwendung eines Handlungsprädikates wie ‚..drops‘ hier immerhin noch verständlich sei. In der Tat fällt es uns leichter, lebendige Organismen als eine Art von Akteuren anzusehen. Es ist nicht absurd, von einem Baum oder einer Kuh zu sagen, dass sie bestimmte Fähigkeiten oder Bedürfnisse haben und deshalb bestimmte Dinge tun. Das ist bei einem Wasserhahn anders. Hier ist die Annahme von Fähigkeiten oder Bedürfnissen schlicht unsinnig. Wie Hart und Anscombe gelangt auch Melden von der Frage, was Handlungen sind, letztendlich zu der Frage, was Akteure sind. Man muss _____________ 55

Anscombe 1963 [1957], § 47, 86.

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verstehen, was Akteure ausmacht, um begründen zu können, weshalb sich gerade die Frage der Handlungsgeltung für ihr Verhalten, für ihre Körperbewegungen stellt. Harts Antwort hierauf lautete: Akteure sind Wesen, die sich entschuldigen können – was voraussetzt, dass sie die normative Kraft moralischer Regeln und Ansprüche verstehen und ihr eigenes Verhalten an diesen Ansprüchen messen können. Nach Anscombes Auffassung müssen Akteure Gründe verstehen können, um Warum-Fragen so zu beantworten, dass für die Fragenden klar wird, was an ihrem Verhalten gut oder nützlich ist. Dazu müssen sie zwischen richtigen und falschen Ausführungen einer Praxis unterscheiden können, zwischen geeigneten und weniger geeigneten Mitteln, erlaubten und nicht erlaubten Aktionen, höheren und niedrigeren Zwecken und auch zwischen moralisch vortrefflichen und moralisch verwerflichen Handlungen. Melden beschränkte sich in seinem ersten Ansatz in Action auf eine einzige Fähigkeit, um Akteure zu charakterisieren: Sie können Regeln befolgen. [↑5.1] Demnach sind Akteure als Wesen bestimmt, die Regeln lernen, sie in praktischen Kontexten anwenden und das Resultat – ihr eigenes Verhalten – auf Korrektheit und Vollständigkeit hin beurteilen können. Für viele alltägliche Routinen und Gewohnheiten genügt dies sicherlich. Allerdings geraten selbst Akteure, deren Biografien nicht sonderlich dramatisch verlaufen, in Situationen, die ihnen mehr abverlangen, als eben zu tun, was ‚man‘ normalerweise tut, und sie bewältigen diese Situationen handelnd. Offenbar sind Akteure mit vielfältigeren Fähigkeiten ausgestattet, nicht nur mit Regelkompetenz. Dieser Einsicht trägt Melden im zweiten Ansatz, in Free Action stärker Rechnung, indem er einige weitere Akteursfähigkeiten zumindest andeutet. Andere müssen ergänzt werden, um den Akteursbegriff inhaltlich zu füllen. Melden konstatiert einerseits, dass ‚Akteur‘ und ‚Handlung‘ korrelative Begriffe sind, die simultan bestimmt werden sollten, andererseits verwendet er ‚Akteur‘ [agent] nicht als Terminus, sondern spricht ohne erkennbare Abgrenzung von Akteuren, Menschen [human beings] oder Personen [persons]. Um anhand seiner Ausführungen zu rekonstruieren, welche Eigenschaften und Fähigkeiten Akteure ausmachen, beziehe ich deshalb auch Passagen ein, in denen Melden allgemeiner über Menschen oder Personen spricht. Die unterschiedslose Verwendung dieser Begriffe lässt vermuten, dass Melden Akteursfähigkeiten für wesentliche Fähigkeiten von Menschen bzw. Personen generell hält. So umreißt er den Gegenstandsbereich

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einer handlungstheoretischen Untersuchung, indem er Menschen, nicht Akteure, als soziale und moralische Wesen beschreibt: But if we are concerned with action we are concerned with the actions of human beings who are social and moral beings and who are guided in their conduct by so56 cial and moral considerations in their dealings with one another.

Demnach sind Handlungen Verhaltensweisen von Menschen, die soziale und moralische Erwartungen als Normative verstehen und ihr Verhalten danach richten können. Diese Fähigkeit hatte auch Hart in den Vordergrund gerückt, weil sie rechtfertigt, dass wir einander durch Lob und Tadel zur Verantwortung ziehen. [↑3.2.3] In einer anderen Passage betont Melden abermals die soziale Einbindung, diesmal zur Charakterisierung von Personen statt Menschen: For a person is no mere owner of mental status, no mere mover of arms and legs, but a being who has such states and does such things in the very many sorts of transactions in which he engages, not only with the things that interest and concern him in the privacy of his study but also with persons to whose interests, actions, 57 hopes, etc., he is attentive in the conduct of his life.

In einer ausdrücklich auf Akteure bezogenen Charakterisierung richtet Melden das Augenmerk schließlich auf die Fähigkeit, aus Gründen zu handeln. Es sei nicht nur empirisch unwahrscheinlich, sonder logisch unmöglich, dass ein Akteur niemals etwas mit Absicht und aus Gründen tut. Der Akteursbegriff impliziere die prinzipielle Fähigkeit, aus Gründen zu handeln: Now the supposition that an agent always acts inattentively and for no reason at all is not false but self-contradictory. Of such an agent it may be false to say that he is always attentive to what he is doing and that he always acts as he does for a reason, but it is not self-contradictory. But we could not describe such a being as acting for no reason at all [in a specific case] and without attending to what he is doing [in that case] unless, in many cases at least, he did in fact act attentively and for a rea58 son.

_____________ 56 57 58

Melden 1961, 179. Melden 1961, 181. Melden 161, 135.

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Da es im Folgenden um die Bestimmung des Akteursbegriffes geht, verzichte ich auf einen weiteren Vergleich mit ‚Mensch‘ und ‚Person‘ und verwende beide Begriffe im alltagssprachlichen Sinn. Damit behaupte ich weder vollständige Kongruenz mit dem Akteursbegriff noch Distinktheit. Die Möglichkeit, dass ‚Mensch‘ und ‚Person‘ mehr umfassen als ‚Akteur’ ist damit ausdrücklich eingeräumt. Die bisher versammelten Hinweise besagen, dass Akteure soziale und moralische Erwartungen verstehen können und wissen, was es heißt, etwas zu sollen. Ferner sind Akteure in der Lage, andere als Inhaber von Interessen, Hoffnungen und Wünschen wahrzunehmen. Sie können sehen, wie es anderen geht und dementsprechend auf sie eingehen. Schließlich bilden Akteure ein Selbstverständnis aus, das sich in den Begriffen von Lebensbedingungen explizit machen lässt. Akteure können die Frage, wie es ihnen geht und was für sie gerade anliegt, durch die Nennung mentaler Fakten beantworten und angeben, was ihnen wichtig ist und was ihnen gut oder nützlich erscheint. Aus diesen Urteilen ergeben sich Handlungsgründe, also Hinsichten, die ein bestimmtes Verhalten für andere Akteure praktisch verständlich machen. Beim Stichwort ‚Selbstverständnis‘ kommen Anscombes Überlegungen zum praktischen Wissen in den Sinn: Sie stellte fest, dass wir davon ausgehen müssen, dass Akteure eine Beschreibung ihres eigenen Verhaltens kennen, unter der es absichtlich ist, um sie nach den Gründen für dieses Verhalten zu fragen. [↑4.1.2] Unter dieser Beschreibung ist ihr Verhalten eine Manifestation ihres praktischen Wissens als Wissen um die Bedeutung der eigenen Bewegungen für andere. Eine weitere wichtige Fähigkeit von Akteuren besteht deshalb darin, ihr eigenes Verhalten zu betrachten, als ob sie Beobachter und nicht Ausführende dieses Verhaltens seien. Akteure können auf ihr eigenes Tun und Lassen gleichsam als Dritte schauen und sich fragen, wie es sich für andere darstellen mag, welche Bedeutung sie darin finden könnten, welche Absichten oder Gründe es für sie ausdrücken wird und welche Reaktionen demzufolge zu erwarten sind.59 Praktisches Wissen und praktisches Verstehen sind komplementäre epistemische Relationen. Was eine Akteurin vom eigenen absichtlichen Verhalten weiß, ist genau das, was andere nachzuvollziehen versuchen, wenn _____________ 59

Vgl. auch Velleman 2007, Kap. 1.

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sie nach Absichten und Gründen fragen und wenn sie den praktischen Kontext auf Verständlichkeitsfaktoren hin betrachten. Ich fasse diese Fähigkeit von Akteuren mit der Bezeichnung ‚Selbstdistanzierung‘. Selbstdistanzierung ist eine soziale Kompetenz. Sie besteht darin, anderen Personen Urteile zuzuschreiben, die sich auf einen selbst beziehen. Durch diese Fähigkeit sind Akteure in der Lage, das Verhalten anderer als Reaktion auf ihr eigenes Tun und Lassen zu verstehen. So kann Mr. Smith verstehen, was Mrs. Jones tut, weil er versteht, dass sie sein Verhalten ihrerseits in einer bestimmten Weise versteht, als Ausdruck bestimmter Absichten, Überzeugungen oder Wünsche von Smith, und er kann dieses antizipierte praktische Verständnis, das er Mrs. Jones zuschreibt, in seine Deutung ihrer Reaktionen einbeziehen. Käme jemand grundsätzlich nie auf den Gedanken, sich zu fragen, was andere davon halten mögen, dass er dies oder jenes tut, und wie sie darauf reagieren könnten, wäre sein Akteursstatus zweifelhaft. Würde sich jemand grundsätzlich weigern, Urteile seiner Mitmenschen über sein eigenes Verhalten anzuerkennen und stattdessen private normative Maßstäbe für sich beanspruchen, wäre sein Akteursstatus ebenfalls fraglich. Es wäre unklar, ob dieser Mensch versteht, was Normen eigentlich sind und welche Rolle es spielt, ob man sie einhält. Es wäre zu überdenken, ob man jemanden für sein Verhalten zur Verantwortung ziehen kann, dem eine so grundlegende Fähigkeit fehlt wie die Einsichst in die normative Kraft bestimmter Aussagen. Zumindest wäre er ein schwieriger Partner bei Handlungsplanung und Interaktionen. Eine Akteurin, die sich von ihrer eigenen Position distanziert, um die Bedeutung ihres Verhaltens für Dritte abzuschätzen, muss davon ausgehen, dass jene Dritten ihrerseits Akteure sind und die für Akteure charakteristischen Fähigkeiten besitzen: Sie haben Wünsche, Überzeugungen und Absichten. Sie können sich Zwecke setzen und geeignete Mittel wählen. Sie erkennen bestimmte Sachverhalte als Handlungsgründe an. Und sie können sich ebenfalls in der Selbstdistanzierung fragen, wie andere ihr Verhalten wohl verstehen mögen. Die Unterstellung von Akteursfähigkeiten spiegelt damit auf die Unterstellenden zurück: Zu ihrem Selbstverständnis als Akteure gehört, dass sie von anderen als Akteure wahrgenommen, beurteilt und behandelt werden – dieselben anderen, von denen sie umgekehrt auch als Akteurin wahrgenommen, beurteilt und behandelt werden. Die Unter-

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stellung von Akteursfähigkeiten ist in der Regel reziprok. Man kann nicht prinzipiell davon ausgehen, dass andere Akteure im eben umrissenen Sinne sind, und zugleich zweifeln, ob man für sie als Akteurin gilt.

5.3.2 Weisheit Melden legt Wert auf die Beobachtung, dass Akteure, die eine Regel gelernt haben, diese routiniert anwenden können, ohne sich bei jeder neuen Ausführung den Regelwortlaut ins Gedächtnis zu rufen: „Once we have learned the rules we do not interpret the rule to apply to the given situation and follow this with a decision to obey – we simply obey.“60 Wie gezeigt, ist Meldens Konzeption insofern zu eng, als sie spielerisches, experimentierendes, erfinderisches oder riskantes Verhalten unberücksichtigt lässt. [↑5.2.1] In neuen oder schwer überschaubaren Situationen, für die es keine einschlägigen Regeln, kein erprobtes Verfahren gibt, müssen Akteure ‚irgendwie zurechtkommen‘, sich vorantasten und ausprobieren, was geschieht, wenn… Dies mögen nicht die zentralen oder häufigsten Fälle sein, doch lässt sich die Handlungsgeltung solcher Verhaltensweisen nicht aus begrifflichen Gründen abstreiten. Ein adäquater Handlungsbegriff, der das Alltagsverständnis nicht allzu rigoros beschneiden will, sollte diese Fälle zumindest erlauben. Aus dem (glücklichen) Umstand, dass Ungewissheit, Unklarheit und Orientierungslosigkeit nicht den Standardkontext menschlichen Handelns ausmachen, folgt nicht, dass Menschen nicht handeln, wenn sie in derartige Ausnahmesituationen geraten. Die Grenzen eines nur regelkompetenten Akteurs zeigen sich auch bei einer weiteren Überlegung: Melden gesteht dem Regelfolger zu, dass er gelernte Regeln übertreten kann, doch diese Übertretungen erscheinen eher als Defekt denn als Manifestation einer Fähigkeit. Meldens Regelfolger müssen gelernte Regeln zwar nicht einem Automaten gleich befolgen, aber es scheint nicht zu ihrer Grundausstattung zu gehören, sich ein Urteil über Sinn und Annehmbarkeit von Regeln bilden zu können. Doch könnte es nicht sein, dass jemand ein regelwidriges Vorgehen für besser oder nützlicher hält und aus diesem Grund nicht tut, was ‚man‘ normalerweise tut? _____________ 60

Melden 1956, 533.

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Melden übersieht, dass Akteure nicht nur zwischen Konformität und NonKonformität zu bestimmten Regeln unterscheiden können, sie können vor allem sich selbst entscheiden und notfalls die Konsequenzen einer nonkonformen Handlung auf sich nehmen. Mit anderen Worten: Akteure wissen sich für ihr Handeln verantwortlich. Sie wären sonst eher ‚Halfwantons‘ als Akteure, um es mit einem Ausdruck von Annette Baier zu beschreiben: The half-wanton mind […] is mind as Wittgenstein and Ryle presented it, the precariously maintained possession, of some moderately sociable and moderately intelligent animals, of a capacity for minding how their moves measure up to shared 61 critical, but not necessarily thoroughly critical, standards.

Ob Baier Recht hat, Wittgensteins Konzeption von ‚mind‘ als Half-wanton zu interpretieren, sei hier dahingestellt. Wichtiger ist der Kontrast, der zwischen Half-wantons und Akteuren im vollen Sinne besteht: Half-wantons wie Akteure können lernen, Schach zu spielen, denn sie verstehen, was eine Regel ist, und sie können korrekte von inkorrekten Zügen unterscheiden. Half-wantons wie Akteure können lernen, Auto zu fahren, denn sie können an den richtigen Stellen den Arm ausstrecken, bremsen und abbiegen. Auch sind Half-wantons wie Akteure imstande, eine Fahrtroute zu wählen und sich, sollte es die Situation erfordern, doch noch für einen anderen Weg zu entscheiden: „A half-wanton has enough of a mind to be able to change it.“62 Allein Akteure vermögen aber darüber hinaus, ihr eigenes Tun und Lassen nicht nur an gegebenen Regeln zu bemessen, sondern diese Regeln von Grund auf – „thoroughly“ – zu hinterfragen. Im Gegensatz zu Half-wantons sind Akteure nicht nur zum Sinneswandel fähig, sondern auch zu Sinnfragen – Fragen über Nutzen und Schaden etablierter Regeln und Konventionen, über Annehmbarkeit und Verantwortbarkeit dessen, was ‚man‘ normalerweise tut, und darüber, ob die gängigen Praxen wirklich gute Praxen sind. Akteure, anders als Half-wantons, wenden Regeln nicht lediglich an, sie verstehen sich als Autoren oder Mitgestalter von Regeln. Sie nehmen an üblichen Praxen nicht nur teil, sie nehmen auch eine Haltung dazu ein: _____________ 61 62

Baier 1985, 66. Baier 1985, 66.

292

KAPITEL 5

Neither the adoption of necessary means to one’s ends nor the observance of categorical imperatives (of morals or manners or mathematics) gives one’s mind any room to operate. Where matters are cut and dried, where there is no choice of what to do, we can ‚use our brains,‘ exhibit intelligence, even consciousness, but not wisdom or even prudence. These show only in matters where there is room for difference of opinion, where no problem-solver gives the correct answer, where 63 thoughts tend to be followed by second thoughts.

Sicher hat Annette Baier dahingehend Recht, dass vieles, was Personen tun, nicht nur Regelkompetenz zum Ausdruck bringt, sondern auch Gewissenhaftigkeit und Rücksichtnahme. Doch ist sie nicht außerordentlich optimistisch, wenn sie Umsicht, ja Weisheit als Grundzüge von Akteuren benennt? Zeugen unsere Entscheidungen, Urteile und Handlungen normalerweise von Umsicht und Weisheit? Gilt dies nicht eher für Ausnahmepersönlichkeiten als für Standardakteure? Auf den ersten Blick erscheinen Baiers Akteure besonders begabt, da sie über Fähigkeiten verfügen, die normale Akteure in normalen Handlungssituationen nicht aufzubringen brauchen und die sie in außergewöhnlichen Situationen womöglich nicht aufbringen können. Jedoch sind an dieser Stelle begriffliche Bestimmung einerseits und Alltagspraxis andererseits auseinanderzuhalten: Umsicht und Weisheit sind Exprimanda des körperlichen Verhaltens von Personen. Ob jemand weise und umsichtig ist, können einzig seine Taten erweisen; er muss weise und umsichtig handeln. Daher ist Baiers Beobachtung richtig: Umsicht und Weisheit sind Akteursfähigkeiten. Ihre optimistisch scheinende Charakterisierung von Akteuren macht allerdings darauf aufmerksam, dass auf Akteursfähigkeiten nicht immer Verlass ist. Manchmal unterlaufen schon bei einfachen Regelanwendungen Fehler. Manchmal übersehen wir naheliegende Optionen oder geeignete Mittel. Manchmal unterschätzen wir Nebenfolgen oder schätzen die Bedeutung unseres Verhaltens für andere falsch ein. Akteursfähigkeiten sind offenbar nicht immer im vollen Maße vorhanden oder werden nicht immer optimal realisiert. Im alltäglichen Umgang mit anderen Akteuren sind wir uns dieser Fehlbarkeit durchaus gewahr: Wir unterstellen anderen Intelligenz, Aufmerksamkeit und Regelkompetenz ebenso wie die Fähigkeiten der Selbstbeobachtung und Selbst_____________ 63

Baier 1985, 63.

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distanzierung, aber wir unterstellen normalerweise nicht Vollkommenheit. Es wäre geradezu ein Mangel an praktischem Wissen, wenn wir erwarten würden, dass andere immer fehlerlos handeln und dass unsere eigenen Handlungen stets erfolgreich verlaufen. Praktisches Wissen ist auch Wissen um die vielfältigen Möglichkeiten des Scheiterns. Jemanden als Akteur zu sehen bedeutet daher auch, mit seiner Unzulänglichkeit und Fehlbarkeit zu rechnen – nicht zuletzt hierin könnten Umsicht und Weisheit bestehen. Es könnte zu den Fähigkeiten gehören, die Akteure auszeichnen, dass sie die Grenzen der Fähigkeiten normaler Akteure erkennen und berücksichtigen.64 Man kann die Regeln des Schachspiels mithilfe eines Handbuches lernen, die Regeln des Straßenverkehrs durch den Besuch einer Fahrschule. Für Umsicht und Weisheit gibt es kein Handbuch und keine systematischen Lektionen. Um eine umsichtige Akteurin zu werden, bedarf es nach Annette Baier jener Erfahrung, die sie „thorough criticism“65 nennt: „The hard questions requiring judgment rather than know-how concern the appropriate use of conventions and procedures. Here criticism outruns instruction.“66 Der gründliche Kritiker weist eine Akteurin nicht lediglich auf einen Fehler in der Handlungsausführung hin. Sein Ziel ist nicht allein, ihr Verhalten regelkonform zu machen: „The critic is different from the detector of mistakes and different also from the efficiency expert.“67 Der gründliche Kritiker wird vor allem die Selbstverständlichkeit hinterfragen, mit der sich eine Akteurin an Praxen beteiligt, wie es ‚alle‘ tun, oder Regeln befolgt, weil ‚man‘ es so macht. Setzen sich Akteure gründlicher Kritik aus, erkennen sie möglicherweise Fakten, die ihnen bislang entgangen sind, bewerten Güte und Nützlichkeit neu oder überdenken die Notwendigkeit von Konformismus bzw. Non-Konformismus: _____________ 64

65 66 67

Dies stellt auch Jennifer Hornsby in ihrer Auseinandersetzung mit dem Standardmodell der Handlungstheorie fest: „It would actually be very remarkable if someone could exhibit all of the properties of an agent-in-the-highest-degree (all at once, as it were) – which is what a case of agency par excellence seems to demand.“ Hornsby 2004 b, 184. Vgl. Baier 1985, 64. Baier 1985, 64. Baier 1985, 64.

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KAPITEL 5

We are not, and cannot be, instructed in how to make such judgments well, as we are instructed on how to genuflect and how to count. Perennial attempts are made to reduce such thinking to rule – but it resists the attempt. The higher-order activity of criticizing, rather than that of teaching, is what we depend on for acquiring stan68 dards of judgment.

Regeln anzuwenden ist eine wichtige Kompetenz von Akteuren, doch die Güte und Nützlichkeit der Regeln selbst zu hinterfragen geht über die Befolgung von Regeln hinaus. Für Akteure, anders als für Half-wantons, ist die Fähigkeit charakteristisch, die Maßstäbe des guten und richtigen Handelns, selbst wenn sie in ihrer Gemeinschaft weitgehend unwidersprochen gelten, auf ihre Akzeptabilität hin zu bewerten. Meldens Ausführungen zum Handlungstraining müssen also dahingehend ergänzt werden, dass man die Regeln und Praxen einer Gemeinschaft zwar zunächst einmal lernen muss. Damit aus dem regelkompetenten Half-wanton eine Akteurin wird, muss sie danach aber die Erfahrung gründlicher Kritik machen und lernen, nicht nur nach etablierten Maßstäben der Güte und Nützlichkeit zu handeln, sondern auch die Güte und Nützlichkeit dieser Maßstäbe zu hinterfragen.

5.4 Zusammenfassung Die drei wichtigsten Stichworte dieses Kapitels lauteten Regel, praktischer Kontext und praktisches Verstehen. Diese Begriffe verhalfen nicht nur zu einem umfassenderen Verständnis des Handlungsbegriffes, sondern zu einer Konzeption von Akteuren und ihren Fähigkeiten, durch die sie einerseits in der Lage sind, das körperliche Verhalten anderer als absichtliches Handeln zu verstehen, und andererseits sich selbst in einer Weise zu verhalten, die als absichtliches Handeln verständlich ist. Nachdem Melden in seinem Aufsatz Action zunächst versucht, Handeln über die Bindung an Regeln zu bestimmen, stellt er Regeln später, in Free Action, viele weitere Faktoren an die Seite, die einen Einfluss auf die Handlungsgeltung eines Verhaltens haben. [↑5.1] Seine wichtigste Aus_____________ 68

Baier 1985, 64.

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gangsthese ist im ersten wie im zweiten Bestimmungsversuch, dass die Unterscheidung zwischen Handeln und sonstigem Verhalten vor allem praktischen Bedingungen unterliegt, nicht nur theoretischen Bedingungen, die man in einer Begriffsdefinition vollständig anführen könnte. Nur unter Verweis auf konkrete praktische Umstände lässt sich nach Meldens Ansicht begründen, weshalb jemandes körperliches Verhalten eine absichtliche Handlung darstellt. Zu diesen praktischen Umständen gehören Zeit und Ort, vorhandene Gegenstände und anwesende Personen. Die Kausalursachen der Bewegung oder mutmaßliche mentale Ereignisse sind für die Handlungsgeltung hingegen unerheblich. Pointiert lautet Meldens Auffassung: Handlungsgeltung hängt vom praktischen Kontext eines Verhaltens ab. [↑5.2.1–5.2.2] Die verschiedenen Faktoren, die einen praktischen Kontext konstituieren können, habe ich in Anlehnung an Theodore Schatzki Verständlichkeitsfaktoren genannt. Sie sorgen für die praktische Verständlichkeit nicht allein von Körperbewegungen als diese oder jene Handlung, sondern von Menschen als Akteure in diesen oder jenen Lebensbedingungen. [↑5.2.3] Damit vertritt Melden einen ähnlichen Standpunkt wie H. L. A. Hart, der erklärte, der Handlungsbegriff sei nicht definierbar. Harts Argumente für diese Behauptung ließen sich mithilfe von Wittgensteins Begriff des Kriteriums erhellen: Kriteriell bestimmte Begriffe lassen sich nur durch die Schilderung von Beispielen, von paradigmatischen Fällen bestimmen sowie durch die Kontrastierung mit Gegenbeispielen und Ausnahmen. Was eine Handlung ist, lässt sich demnach nur darlegen, indem man klare Fälle von Handlungen beschreibt: ‚Eine Handlung findet zum Beispiel statt, wenn eine Person A…‘ Eine solche Geschichte wird genau dadurch exemplarisch, dass sie Fakten enthält, die häufig für die Handlungsgeltung von Verhalten sprechen. Diese Fakten sind aber keine hinreichenden Bedingungen der Handlungsgeltung, sie sprechen lediglich stark dafür. (Schatzki würde sagen: Sie bestimmen unser praktisches Verständnis des Geschehens.) Während Hart jedoch meinte, die einzigen für alle Handlungen gültigen Bedingungen seien negativer Art, nämlich Anfechtungsbedingungen, die jedenfalls nicht erfüllt sein dürften, gelangt Melden ausdrücklich zu einer positiven Bedingung: Wo Handlungen sind, müssen Akteure sein. Dass er auch damit keine regelrechte Definition von Handlungen vorschlägt, ist offensichtlich, wenn man sich anschaut, wie er den Akteursbe-

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KAPITEL 5

griff umreißt. Da ist von Fähigkeiten die Rede, die Akteuren zukommen müssen, die man ihrerseits aber kaum erläutern kann, ohne vom Begriff der Handlung Gebrauch zu machen. Der Akteursbegriff lässt sich sowenig definieren wie der Begriff der Handlung. Ich werde im nächsten, letzten, Kapitel genauer erläutern, inwiefern die Rede von Akteuren und ihren Fähigkeiten dennoch unverzichtbar ist, um den Handlungsbegriff zu klären. [↓6.1] Ein entscheidender Vorzug von Meldens Kontext-Konzeption besteht darin, auch Handlungen zu integrieren, die sich über lange Zeiträume erstrecken oder nicht durch ganz bestimmte Körperbewegungen vollzogen werden. So können neben Gewohnheiten auch langfristige Orientierungen und Lebenspläne als absichtliches Handeln erfasst werden, ohne dass einzelne Bewegungen benennbar sind, durch die sie zustande kommen. In diesen Fällen machen viele einzelne Bewegungen, Gesten, Äußerungen zu vielen verschiedenen Zeitpunkten zusammen verständlich, worauf eine Akteurin abzielt oder woran ihr liegt. Die Relation der praktischen Verständlichkeit, die sich aus der Rekonstruktion und Interpretation von Meldens Handlungskonzeption ergab, ist äquivalent zu den Relationen, die sich in den vorangehenden Kapiteln als handlungskonstituierende Relationen rekonstruieren ließen, Ausdruck-für und Zuschreibung-an: ZΔAΔV

B schreibt A zu, dass p ↔ A drückt für B aus, dass p ↔ B versteht praktisch, dass p

In diesem Schema ist die Einsicht komprimiert, dass wir anderen diejenigen Handlungen zuschreiben, als deren Ausdruck wir ihr körperliches Verhalten praktisch verstehen. Abschließend habe ich einen Bogen zurück zum Anfang der Arbeit geschlagen, zu H. L. A. Harts bzw. Peter F. Strawsons Überlegungen zu interpersonellen Relationen und zum Begriff des Akteurs. So ließ sich Meldens Behauptung untermauern, dass jede Handlungszuschreibung die Geltung der Ausführenden als Akteure voraussetzt. Die konkrete Frage nach der Handlungsgeltung dieses oder jenes Verhaltens stellt sich nur für Akteure; die generelle Frage, was Handlungen von bloßem Verhalten unterscheidet, lässt sich nur gegenüber Akteuren beantworten, weil man ihre eigene Erfahrung bei der Ausführungen absichtlicher Handlungen voraussetzen

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muss. Die Unterstellung von Akteursfähigkeiten ist somit die einzige Bedingung der Handlungsgeltung, die nicht vom konkreten praktischen Kontext abhängt. Sie ist, mit anderen Worten, kein Kriterium der Handlungsgeltung, sondern eine Bedingung ihrer Möglichkeit. Um dies zu begründen, war es nötig, den Begriff des Akteurs näher zu bestimmen. Wie erwähnt, ist auch hier keine Definition in Form notwendiger und hinreichender Bedingungen zu erwarten. Stattdessen habe ich einige typische und besonders wichtige Fähigkeiten von Akteuren beschrieben, die sich aus Meldens Ausführungen ergeben und die bei Hart und Anscombe bereits eröffnete Liste ergänzen. Zu Intelligenz, Aufmerksamkeit, motorischem Geschick und der Fähigkeit, Gründe und Argumente einzusehen, kommen bei Melden nun die Fähigkeiten hinzu, Regeln zu befolgen und sich vom eigenen Verhalten zu distanzieren, um Urteile und Reaktionen Dritter vorwegzunehmen. [↑5.3.1] Mit Annette Baier ließ sich schließlich die Fähigkeit zur gründlichen Hinterfragung von Selbstverständlichkeiten – etablierten Regeln, verbreiteten Urteilen, üblichen Praxen – hinzufügen. Diese Akteursfähigkeiten erlauben von Kontext zu Kontext vielfältige Ausprägungen: Akteure kennen nicht Regeln im Allgemeinen, sondern die Regeln des Schachspiels, der StVO oder des höflichen Umgangs. Selbstdistanzierung kann darin bestehen, einen lange gehegten Plan zu überdenken oder Dritte um ihre Meinung zum eigenen Vorgehen zu bitten oder sich für angerichteten Schaden zu entschuldigen. Gründliche Kritik kann sich auf die eigene Lebensführung ebenso beziehen wie auf Werte und Normen einer Gemeinschaft. Wichtig ist, dass sich zwar der Begriff des Akteurs über diese Fähigkeiten näher bestimmen lässt, dass sie verschiedenen Akteuren aber in unterschiedlichen Graden zukommen. Akteur zu sein heißt, in normalem Maß und in normaler Weise unvollkommen zu sein – wie alle anderen Akteure. [↑5.3.2] Weder der Besitz von Akteursfähigkeiten noch der Grad ihrer individuellen Unvollkommenheit lässt sich ermitteln, ohne mit einer Person in Interaktion einzutreten. Das aber bedeutet, man muss ihr als Akteurin begegnen und ihr Akteursfähigkeiten unterstellen. Ich habe diese Akteursunterstellung gelegentlich erwähnt und werde meine Auseinandersetzung mit nicht-kausalistischen Handlungskonzeptionen im nächsten Kapitel damit abschließen, dass ich den Akteursstatus als Gegenstand einer Präsumtion darstelle. [↓6.1]

6 Colorful Movements. Eine Zusammenführung

6.1 Akteure 6.1.1 Präsumtionen Man mag zustimmen, dass Intelligenz, Aufmerksamkeit, Regelkompetenz, Selbstdistanzierung und die Fähigkeit zu grundlegender Kritik wichtig, ja unerlässlich sind für das Leben als Akteurin. Dementsprechend mag man zustimmen, dass Akteure eben diese Fähigkeiten bei der Ausführung von Handlungen auf vielfältige Weise zeigen. Noch unzureichend begründet könnte dagegen meine wiederholte Behauptung erscheinen, dass wir anderen diese Fähigkeiten unterstellen müssen. Ich habe für Hart, Anscombe und Melden je einzeln argumentiert, dass ihre Ansätze die Unterstellung von Akteursfähigkeiten erfordern, weil alle drei den Begriff der Handlung als – wie Melden es nennt – soziales Konzept auffassen.1 Alle drei sehen die Unterstellung von Akteursfähigkeiten als Bedingung der Möglichkeit dafür, dass eine konkrete Verhaltensepisode Handlungsgeltung erlangen kann. Zum Abschluss meiner Arbeit will ich diese Ermöglichungsbedingung noch einmal aufgreifen und erläutern. Fortan bezeichne ich die Unterstellung von Akteursfähigkeiten als ‚Akteurspräsumtion‘. Präsumtionen sind eine besondere Art von Unterstellungen. Ich werde gleich darlegen, inwiefern sowohl Hart als auch Anscombe, vor allem aber Melden auf eine Unterstellung dieser besonderen Art abzielen, wenn sie die Voraussetzungen der Handlungsgeltung herausarbeiten und im Zuge dessen die Notwendigkeit erklären, vor dem Begriff der Handlung den Begriff des Akteurs zu bestimmen. _____________ 1

Vgl. Melden 1956, 532.

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KAPITEL 6

Das ursprünglich juristische Konzept der Präsumtion lässt sich mithilfe der Darstellungen erhellen, die Avishai Margalit und Edna Ullmann-Margalit in Holding True and Holding as True (1992) bzw. Edna UllmannMargalit in On Presumption (1983) vornehmen. Die Autoren erläutern, wie sich der juristische Präsumtionsbegriff auch für epistemologische und entscheidungstheoretische Belange anwenden lässt: Presumptions have to do with assumptions made ahead of time, in advance. The concept is suggestive, I think, of a supposition not fully justified, yet not quite rash either. There is in presumption a sense of an unquestioned taking for granted, but at 2 the same time of some tentativeness, overturnability.

Eine bekannte juristische Präsumtion ist in der Unschuldsvermutung enthalten, die in Kraft tritt, wenn eine Person einer Straftat angeklagt wird. Präsumiert wird, dass die angeklagte Person unschuldig ist. Dies zieht für die fällige Untersuchung der mutmaßlichen Straftat die praktische Konsequenz nach sich, dass die Angeklagte ihre Unschuld nicht beweisen muss. Der Fakt, dass sie unschuldig ist, wird ja präsumiert, das heißt als bestehend unterstellt. Somit obliegt es den Anklägern, die Präsumtion zu widerlegen, indem sie die Schuld der Angeklagten nachweisen.3 Offensichtlich erfüllen Präsumtionen in der Rechtsprechung eine wichtige praktische Funktion. Sie ermöglichen richterliche Entscheidungen oder lenken sie in eine festgelegte Richtung. So stellt die Unschuldsvermutung den Ausgang eines Prozesses unter eine bestimmte Bedingung: Dann, und _____________ 2

3

Ullmann-Margalit 1983, 143. Ullmann-Margalit verweist auf die Herkunft des Ausdrucks ‚Präsumtion‘ aus der Rechtswissenschaft und zeigt seine Nützlichkeit für bestimmte philosophische Fragen auf. Oliver R. Scholz hingegen weist mit einer umfassenden Rekonstruktion von Rationalitäts- und Aufrichtigkeitspräsumtionen nach, dass diese besondere Art von Unterstellungen seit der Antike in der Philosophie auftritt, allerdings unter so verschiedenen Bezeichnungen wie ‚Unterstellung‘, ‚Annahme‘, ‚Voraussetzung‘, ‚Bedingung‘, ‚Präsupposition‘ oder ‚Prinzip‘. Vgl. Scholz 1999, 147 f. In deutschsprachigen rechtswissenschaftlichen Publikationen wird eher von Vermutungen als von Präsumtionen gesprochen, wobei ‚Vermutung‘ als Terminus verwendet wird. Ich ziehe den Ausdruck ‚Präsumtion‘ vor, weil er weniger alltagssprachliche Konnotationen aufruft als ‚Vermutung‘. Vgl. z. B. die Einträge zu ‚Vermutung‘ in Klaus Weber (Hg.), Rechtswörterbuch, München 162000, und Horst Tilch und Frank Arloth (Hg.), Deutsches RechtsLexikon, München 32001.

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nur dann, wenn sich die Schuld der Angeklagten belegen lässt, wird sie bestraft. Finden sich keine zureichenden Beweise für ihre Schuld, ist sie durch die Unschuldspräsumtion vor einer Verurteilung geschützt. Dies bedeutet nicht, dass die Unschuld der Angeklagten bewiesen ist, und folglich auch nicht, dass sie die Tat nicht begangen hat. Es ist lediglich so, dass man sie aus Mangel an Beweisen für diese Tat nicht verurteilen kann. Mit der Unschuldspräsumtion wird festgelegt, dass man im Zweifelsfall mit angeklagten Personen so umgeht, als ob sie nachweislich unschuldig wären. Die praktische Funktion der Präsumtion besteht also darin, in Zweifelsfällen eine Entscheidung zu ermöglichen und damit den Fortgang praktischer Vollzüge zu sichern: Presumption rules belong in the realm of praxis, not theory. Their point is to enable us to get on smoothly with business of all sorts, to cut through impasses, to facilitate and expedite action. […] Put somewhat differently, the instruction is this: given 4 p, make q a premise in the rest of the pertinent piece of your practical reasoning.

Präsumtionen sind vorgefertigte Prämissen für Entscheidungen in Situationen, in denen maßgebliche Fakten unklar und unklärbar sind. Wenn bestimmte Arten der Unklarheit immer wieder auftreten, liegt es nahe, Präsumtionsregeln für diese Fälle zu formulieren. Diese Regeln dienen gleichsam als Überlegungsanweisungen für gleichartige Fälle und sorgen dafür, dass in diesen Fällen stets gleiche Entscheidungen getroffen werden. Die Unschuldspräsumtion besteht darin, dass eine angeklagte Person unschuldig ist; als entsprechende Präsumtionsregel ließe sich formulieren: PU

Gegeben, dass eine Person einer strafbaren Handlung angeklagt wird, verfahre so, als ob die Person unschuldig wäre!

Das allgemeine Schema einer Präsumtionsregel lautet: P

Gegeben dass p, verfahre so, als ob q!5

In der allgemeinen Fassung P steht p für einen Sachverhalt, der gegeben ist – ein Fakt. Das Bestehen des Sachverhaltes q ist hingegen ungewiss. P weist an, den Sachverhalt q als bestehend zu unterstellen, insofern p be_____________ 4 5

Ullmann-Margalit 1983, 148. Die Formulierung orientiert sich an Scholz 1999, 151.

302

KAPITEL 6

steht. Präsumtionsregeln geben keine konkreten Handlungen vor. Sie bestimmen lediglich, welche Ausgangsannahmen den nächsten Handlungsentscheidungen zugrunde gelegt werden sollen. So spezifiziert beispielsweise PU nicht, welche Art von Schuldbeweis zulässig ist oder wie lange die Untersuchung fortgeführt werden soll. Die Präsumtionsregel sagt lediglich, welcher Sachverhalt zu unterstellen ist, solange bis über Schuld und Unschuld Gewissheit besteht – unabhängig davon, ob Richter, Anwälte und Zeugen tatsächlich glauben, dass die Angeklagte unschuldig ist. Alltagspräsumtionen bilden im Gegensatz zu juristischen Präsumtionen kein präzises Regelwerk. Ullmann-Margalit charakterisiert unsere zahllosen unausgesprochenen, selbstverständlichen, aber unüberprüften Annahmen etwa über Wahrnehmungsfähigkeit, Zurechnungsfähigkeit und Erinnerungsvermögen anderer Personen, über ihre Aufrichtigkeit, Rationalität oder ihren Lebenswillen als ein „amorphes Gerüst“.6 Im alltäglichen Umgang miteinander orientieren wir uns an diesem Gerüst, aber seine präskriptive Kraft ist weit geringer als die der expliziten Präsumtionen der Rechtsprechung. Doch auch lose in der Alltagspraxis verankerte Präsumtionsregeln dienen dazu, bei ungewisser Faktenlage Handlungsstillstand zu verhindern. Wie juristische Präsumtionen sanktionieren sie den „praktischen Übergang“7 vom Wissen, dass p, auf die Unterstellung, dass q, und von da auf eine Handlungsentscheidung, deren Sinn oder Rechtfertigung davon abhängt, dass q besteht. Bei Handlungsentscheidungen auf der Grundlage von Präsumtionen kann es geschehen, dass wir Sachverhalte, die tatsächlich gar nicht bestehen, zu Prämissen unserer praktischen Überlegungen machen. Manchmal erweist es sich im Nachhinein, dass eine Präsumtion unzutreffend war – die Angeklagte war doch nicht unschuldig, unsere Gesprächspartner waren doch nicht ehrlich, jemandes Wahrnehmung war doch nicht unbeeinträchtigt, jemandes Lebenswille doch nicht ungebrochen… In solchen Fällen werden Präsumtionen widerlegt. Diese Möglichkeit kann, wenn man sie nicht von vornherein ausschließen will, in Form einer Widerlegungsklausel in das Schema P integriert werden: _____________ 6 7

Ullmann-Margalit 1983, 148. Ullmann-Margalit 1983, 149.

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PW

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Gegeben dass p, verfahre so, als ob q, solange bis du zureichende Gründe hast zu glauben, dass q nicht der Fall ist!8

Bei einer Widerlegung ist nun nicht die Präsumtionsregel als falsch erwiesen, denn widerlegt ist nur die jeweilige situationsspezifische Präsumtion. Aus einer Widerlegung der Unschuldspräsumtion in einem einzelnen Fall folgt beispielsweise nicht, dass die Präsumtionsregel PU generell unangebracht ist. Mit der Klausel ‚solange bis…‘ wird die Möglichkeit einer Widerlegung ja ausdrücklich eingeräumt. Präsumtionsregeln erleichtern und vereinheitlichen individuelle und institutionelle Handlungsentscheidungen. Sie können Willkür und Beliebigkeit verhindern. Eine erste offenkundige Rechtfertigung dafür, sich in Situationen der Ungewissheit auf Präsumtionen zu stützen, besteht somit in der Ermöglichung oder Beschleunigung von praktisch notwendigen Entscheidungen: „[T]he wait-and-see option allowing for suspending judgment is supposed to be ruled out in this type of situation on either logical or practical grounds.“9 Dass man unter bestimmten Umständen eine Handlungsentscheidung nur mithilfe einer Präsumtion treffen kann, rechtfertigt allerdings noch nicht, dass man ausgerechnet den Sachverhalt q präsumiert. Warum nicht sein Gegenteil, non-q? Statt vor Gericht von der Unschuld der Angeklagten auszugehen, könnte man schließlich auch ihre Schuld präsumieren und es der Verteidigung überlassen, Beweise der Unschuld zu finden. Für die Wahl einer ganz bestimmten Präsumtion können nach Ullmann-Margalit (1) wertbezogene, (2) prozedurale und (3) induktiv-probabilistische Argumente sprechen.10 (1) Die Unschuldspräsumtion legt fest, dass Angeklagte frei und unbestraft bleiben, falls sich kein Schuldbeweis findet. Würde man Schuld statt Unschuld präsumieren und die Beweislast auf die Seite der Verteidigung verschieben, müsste das Verfahren im Zweifelsfall mit einer Verurteilung statt mit einer Freilassung enden. Man müsste nun Schuld, nicht Unschuld zur Prämisse der praktischen Überlegungen machen. Bewiesen wäre die _____________ 8 9 10

Die Formulierung orientiert sich an Scholz 1999, 151. Ullmann-Margalit 1983, 155. Vgl. Ullmann-Margalit 1983, 157.

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KAPITEL 6

Schuld zwar nicht, da sich dieser Beweis aber als unmöglich erwiesen hat, wird die angeklagte Person behandelt, als ob sie schuldig wäre. Eine Schuldpräsumtion würde in zweifelhaften Fällen rechtfertigen, dass man die Angeklagte verurteilt und bestraft. Auch mit einer Schuldpräsumtion ließen sich systematische und einheitliche Entscheidungen bei ungewisser Faktenlage treffen. Allerdings ginge man das Risiko ein, alle Unschuldigen zu bestrafen, die ihre Unschuld nicht beweisen können. Dagegen besteht mit der Unschuldspräsumtion das Risiko, schuldige Personen freizusprechen, wenn sich deren Schuld nicht belegen lässt. Hier ist also abzuwägen, welches Risiko eher akzeptabel ist, entweder die gelegentliche Verurteilung eines Unschuldigen oder die gelegentliche Freilassung eines Schuldigen. Bei dieser Abwägung wird man wertbezogene Argumente anführen: Man wird Werte benennen, die sich durch Handlungen auf der Basis von PU realisieren und festigen lassen, auf der Basis der gegenteiligen Präsumtion hingegen verletzt würden.11 Dafür wäre zu überlegen, ob man eine Gemeinschaft bilden will, in der (weitgehend) ausgeschlossen ist, dass jemand für eine Tat bestraft wird, die er nicht begangen hat, oder ob es wichtiger ist, niemals einen Schuldigen ungestraft zu lassen. Im ersten Fall wird man die Unschuldspräsumtion zur Regel machen, im zweiten Fall die Schuldpräsumtion. (2) Prozedurale Argumente zeigen auf, dass nur eine der denkbaren Präsumtionen die Handlungsoptionen in den relevanten Situationen so weit einschränkt, dass sie eine klare Handlungsentscheidung vorgibt. UllmannMargalit spricht von der „Verfahrensdienlichkeit“12 [procedural convenience] einer Präsumtion: In general, the procedural consideration has to do with the question of what presumption will be the most useful to adopt as an initial step in the process of deliberation, what will ‚help the game along best‘ – quite apart from the question whether the conclusion to which the adoption of this rule points is likely to be true, as well as from the question whether there exists a standard by which one sort of error 13 is judged as more acceptable than the other.

_____________ 11 12 13

Vgl. Ullmann-Margalit 1983, 158 f., und Scholz 1999, 157 f. Ullmann-Margalit 1983, 161. Ullmann-Margalit 1983, 162.

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Ein prozedurales Argument spricht zum Beispiel für die Aufrichtigkeitspräsumtion gegenüber Dialogpartnern: Will jemand in einer fremden Stadt zu einem Ziel gelangen, könnte er eine ortskundige Passantin nach dem Weg fragen. Diese Option besteht aber nur, wenn er nicht von vornherein unterstellt, dass andere Menschen ihn grundsätzlich in die Irre führen wollen. Geht der Ortsunkundige davon aus, dass andere Personen normalerweise korrekte Auskünfte erteilen, kann er beinahe jede Passantin nach dem Weg fragen und ihren Angaben folgen. In dieser Situation begrenzt die Aufrichtigkeitspräsumtion seine Handlungsoptionen auf ein überschaubares Maß: Er fragt irgendjemanden und schlägt genau den Weg ein, den der Befragte ihm weist. Anders als eine Lügenpräsumtion legt die Aufrichtigkeitspräsumtion somit eine ganz bestimmte Handlung nahe. Im Gegensatz dazu würde die Lügenpräsumtion bestenfalls den Ausschluss einer bestimmten Option erlauben; der ratlose Besucher könnte einzig davon ausgehen, dass der ihm beschriebene Weg falsch ist. Damit würde ihm nach wie vor jeder Hinweis auf den richtigen Weg fehlen. Mit der Lügenpräsumtion bliebe die Frage nach dem richtigen Weg unbeantwortet, diese Präsumtion ist daher nicht verfahrensdienlich. (3) Häufig sprechen induktiv-probabilistische Argumente für eine Präsumtion, etwa für die in der Rechtsprechung beheimatete Todespräsumtion: Wird eine Person über einen Zeitraum von zehn Jahren vermisst, präsumiert man, dass sie tot ist.14 So kann über das Eigentum der Person nach dem Erbrecht verfügt werden, die Angehörigen können Witwen- und Waisenrenten in Anspruch nehmen usw. Auch hier wäre eine gegenteilige Präsumtion denkbar. Man könnte unterstellen, dass der Vermisste lebt, und demgemäß andere Handlungsentscheidungen treffen. Die Statistik zeigt jedoch, dass die meisten Menschen, die länger als zehn Jahre vermisst wurden, tatsächlich verstorben waren. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist höher als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vermisster lebend wieder auftaucht. Wenn man sich entscheidet, den statistisch häufigeren Fall zu präsumieren, ist das Risiko geringer, Handlungsentscheidungen eines Tages rückgängig machen zu müssen, weil die Präsumtion sich als widerlegt erweist. Ullmann-Margalit betont jedoch, dass die höhere Wahrscheinlichkeit eines _____________ 14

Für das Beispiel vgl. Scholz 1999, 149 und 156.

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KAPITEL 6

Faktes allein nicht genügt, um ihn unter eine Regel der Form PW zu präsumieren. Wertbezogene oder prozedurale Argumente können statistische Argumente überwiegen.15

6.1.2 Die Akteurspräsumtion In den Interpretationen zu Hart, Anscombe und Melden stellte sich heraus, dass die praktische Verständlichkeit, die ‚Lesbarkeit‘ eines Verhaltens von der Akteursgeltung der Ausführenden abhängt. Bei Hart bedeutete dies, die Ausführenden gelten als Wesen, die moralische Rede – Vorwurf, Anschuldigung, Entschuldigung – verstehen können. Bei Anscombe bedeutete es, sie gelten als Wesen, die normative Rede in einem weiteren Sinne verstehen. Neben moralischen Begriffen verstehen Anscombes Akteure auch Zweck-Mittel-Argumentationen, Aufforderungen und Handlungsanleitungen. Melden schließlich charakterisierte Akteure als Wesen mit einer besonderen Lebensform. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Lebensform ist die gemeinschaftliche Realisierung regelhafter Praxen bzw. die gemeinschaftliche Akzeptanz der entsprechenden Regeln. Um an der Lebensform von Akteuren teilzunehmen, muss man sich selbst als Akteur verstehen. Während Akteursgeltung darin besteht, von anderen als Inhaber bestimmter Fähigkeiten gesehen zu werden, besteht das Selbstverständnis als Akteurin darin, sich selbst als Inhaberin dieser Fähigkeiten zu erleben. Zu den wichtigsten Akteursfähigkeiten zählen die schon öfter genannten: Intelligenz, Aufmerksamkeit, motorisches Geschick und Umsicht. Mit Intelligenz meine ich nicht allein die Fähigkeit, geeignete Mittel zu bestimmten Zwecken ausfindig zu machen, sondern auch die Fähigkeit, sich selbst Zwecke zu setzen. Unter Aufmerksamkeit verstehe ich die Fähigkeit, _____________ 15

Das lässt sich am Beispiel der Unschuldsvermutung verdeutlichen: Wollte man sich allein nach Kriminalstatistiken richten, könnte es sein, dass man die Schuldpräsumtion anstelle der Unschuldspräsumtion treffen müsste: Die meisten Angeklagten sind schuldig, nicht unschuldig. Das mit der Schuldpräsumtion einhergehende Risiko, gelegentlich einen Unschuldigen zu bestrafen, kann diese Wahrscheinlichkeitsüberlegungen aber überwiegen, wenn eine Gemeinschaft den Schutz vor unverdienter Verurteilung als so gewichtigen Wert erachtet, dass sie die gelegentliche Straflosigkeit eines Schuldigen um dieses Wertes willen in Kauf nimmt.

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bei solchen Zwecksetzungen und bei der Wahl bestimmter Mittel auf die konkrete Situation zu achten und konkrete Erfordernisse zu erkennen, darunter die Bedürfnisse und Anliegen anderer Personen. Motorisches Geschick versetzt Akteure in die Lage, ihren eigenen Körper so zu dirigieren, dass sie selbstgesetzte Zwecke auch erreichen. Umsicht wiederum erfasst die Fähigkeit, längerfristige Folgen von Handlungen abzusehen, sowie die Fähigkeit, zwischen mehr und weniger relevanten Folgen, Erfordernissen und Bedürfnissen zu unterscheiden. Wie ebenfalls öfter angemerkt, ist diese Liste nicht sehr präzis und bei Weitem nicht vollständig. Mit der Nennung einiger besonders wichtiger Akteursfähigkeiten kommt es mir hauptsächlich darauf an zu zeigen, dass sich der Akteursbegriff auf Wesen mit Fähigkeiten bezieht, die über die Ausführung einzelner zweckgerichteter Handlungen weit hinausgehen. Akteursfähigkeiten können sich auf viele andere Weisen manifestieren, nicht lediglich darin, dass es jemandem gelingt, einen bestimmten Zweck – das Öffnen eines Fensters, das Drücken eines Lichtschalters… – durch geeignete Körperbewegungen zu erreichen.16 Ob jemand über Fähigkeiten wie die aufgezählten verfügt, kann nun in einer konkreten Situation nicht zuerst überprüft werden, um sich dann ein Urteil über die Handlungsgeltung seiner Körperbewegungen zu bilden. Denn nach welchem Kriterium sollte diese Prüfung vonstattengehen? Wie sollte man beispielsweise beurteilen, ob jemand imstande ist, sich selbst Zwecke zu setzen und Gründe für seine Entscheidung zu geben? Oder ob er langfristige Folgen abzuwägen vermag und moralische Grenzen anerkennt? Der einzig mögliche ‚Beleg‘ für solche Fähigkeiten besteht darin, das Verhalten des Betreffenden daraufhin zu betrachten, ob es als Instantiierung dieser Fähigkeiten verständlich ist. Man muss unterstellen, dass der andere ein Akteur mit den genannten Fähigkeiten ist, denn dies eröffnet _____________ 16

Vgl. auch Lynne Baker 2011 und Hornsby 2004 b, 183: „There is a range of properties possessed by agents which they may exhibit more or fewer on occasion, and to a greater or lesser extent. Our conception of an agent-in-the-highest-degree might be a conception of someone who is fully self-reflective and has complete self-control, who has values and makes valuational judgments upon which she acts, who uses reason and argument effectively, who is sensitive to her circumstances, who puts her heart into what she does, and who, as we say identifies with her motivations and with what she does.“

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erst die Möglichkeit, sein Verhalten in einer konkreten Situation als zweckmäßig, begründbar oder wohlüberlegt zu verstehen. Nicht in jedem Fall liegen die Gründe für jemandes Verhalten auf der Hand und nicht immer leuchten die Zwecke, die er verfolgt, sofort ein. Mit der Unterstellung von Akteursfähigkeiten ist die Möglichkeit, dass sich jemand buchstäblich ohne Sinn und Verstand verhält, also nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen bewährt sich die Unterstellung von Akteursfähigkeiten offensichtlich nicht; sie muss reduziert werden. Einen Test für Akteursfähigkeiten, der jeder praktischen Bewährung vorausgehen könnte, gibt es jedoch nicht. Ob das Tun und Lassen eines anderen als Handlung Sinn ergibt, lässt sich nicht testen, bevor man versucht, es als Handlung zu verstehen. Dieser Versuch besteht einfach darin, den Ausführenden Akteursfähigkeiten zu unterstellen und in Bezug auf ihr konkretes Verhalten zu schauen, welche Zwecke sie verfolgen mögen, aus welchen Gründen sie dies für gut und nützlich halten mögen, welche Überlegungen sie dahin geführt haben mögen usw. Akteursfähigkeiten kommen im körperlichen Verhalten von Akteuren zum Ausdruck. Nur in ihrem Verhalten können sie sich für andere zeigen. [↑4.2.4] Darum kann man Akteursfähigkeiten nur insofern beobachten und feststellen, als sie in den Bewegungen und Gesten, in Mimik und Stimme, in der gesamten körperlichen Erscheinung einer Person zum Ausdruck kommen. Durch das körperliche Verhalten einer Person kann sich die Unterstellung von Akteursfähigkeiten bewähren, man kann sie aber nicht a priori nachweisen. Um beispielsweise zu verstehen, mit welcher Absicht jener Mann in Anscombes vielzitiertem Beispiel mit rhythmischer Armbewegung einen Pumpenschwengel betätigt, muss man davon ausgehen, dass diese Person Absichten ausbilden und realisieren kann. Diese Unterstellung einer allgemeinen Fähigkeit bewährt sich, wenn das Verhalten im konkreten Fall als Instantiierung der Fähigkeit, eigene Absichten zu bilden und zu realisieren, verständlich ist. Um jedoch eine konkrete Verhaltensepisode als Instantiierung dieser Fähigkeit zu verstehen, muss man schon unterstellen, dass die Person eigene Absichten bilden kann. Die Unterstellung der grundlegenden Akteursfähigkeit ist eine Bedingung für die Möglichkeit, dass die Armbewegung im konkreten Fall eine zweckgerichtete, aus Gründen ausgeführte Handlung des Mannes sein kann. Weil Handlungen Manifestationen von Akteursfähigkeiten im körperlichen Verhalten einer Person sind, ist jener Vorschlag von Clark Hull ver-

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fehlt, den ich in der Einleitung zu dieser Arbeit angeführt habe. Hull meinte, eine adäquate Theorie des menschlichen Handelns müsse von „colorless movements“, von farblosen Körperbewegungen und Nervenreizen ausgehen, weil die Bedeutung von Begriffen wie Einsicht, Ziel, Absicht oder Wert letztlich durch eine Beschreibung solcher Prozesse erklärbar sei: An ideally adequate theory of even so-called purposive behavior ought, therefore, to begin with colorless movement and mere receptor impulses as such, and from these build up step by step both adaptive and maladaptive behavior. […] We hope ultimately to show the logical right to the use of such concepts [as intelligence, insight, goals, intents, strivings, value] by deducing them as secondary principles 17 from more elementary objective primary principles.

Folgte man Hulls Vorschlag, gelangte man sicherlich nie zu der Erkenntnis, dass Handlungen Relata einer speziellen Ausdrucksrelation sind. Man darf die Körperbewegungen eines Akteurs gerade nicht als farblose physiologische Abläufe betrachten, wenn man verstehen will, wodurch sie als Ausführungen absichtlicher Handlungen gelten. Körperliches Verhalten, das als absichtliches Handeln Sinn ergibt, ist, um Hulls Metapher umzukehren, ziemlich farbenfroh. Zu den Fähigkeiten, die wir einander unterstellen müssen, damit diese Farbigkeit sichtbar wird, gehört neben der Ausbildung eigener Absichten auch die Fähigkeit, normative Rede zu verstehen. Ohne diese Fähigkeit wäre es beispielsweise nicht sinnvoll, den Wasser pumpenden Mann nach seinen Handlungsgründen zu fragen oder zu versuchen, ihn durch Argumente von seinem Tun abzuhalten. Der Mann muss wissen, welche Art von Fakten als Handlungsgründe akzeptabel sind und als Antwort auf eine Warum-Frage benannt werden können. Auch diese Unterstellung bewährt sich, wenn der Mann eine Warum-Frage tatsächlich so beantwortet, dass seine Aussage als Begründung Sinn ergibt. Wiederum kann seine Äußerung aber nur dann als Begründung Sinn ergeben, wenn man schon davon ausgeht, dass sie als Begründung gemeint ist. Man muss unterstellen, dass der Mann die Warum-Frage als Frage nach Gründen verstanden hat und nicht mit einem beliebigen Weil-Satz reagiert, der zufälligerweise zur Frage passt, oder dass er blindlings wiederholt, was er andere Sprecher sagen hörte. _____________ 17

Hull 1943, 25 f.

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Die Unterstellung von Akteursfähigkeiten bewährt sich am deutlichsten darin, dass kommunikative Verständigung und Interaktionen gelingen. Umgekehrt sind manche Fälle des Scheiterns von Kommunikation und Interaktion ein Zeichen dafür, dass man anderen in Bezug auf ihre Akteursfähigkeiten zu viel zugemutet oder zu wenig zugetraut hat. Manche Fälle des Scheiterns geben daher Anlass, die Akteurspräsumtion an Situation und Adressaten anzupassen. Ehe man nicht in irgendeine Form von Interaktion eingetreten ist, lässt sich aber nicht ermitteln, in welchem Maß man jemandem bestimmte Akteursfähigkeiten zu- oder absprechen kann. Zunächst einmal bleibt kein anderer Weg, als von anderen zu präsumieren, dass sie über hinreichende Akteursfähigkeiten verfügen. Dazu Melden: It is rather that we must start from the fact that we do have the concepts of agent, wanting and doing; that these are exhibited in their full logical structure in the lives and actions of intelligent attentive beings; that we have these full-bodied concepts precisely because they apply to the incidents of our own lives in which we act as we do, in very many cases at least, fully mindful of what we are doing and for rea18 sons that we can cite and understand.

Melden meint nicht nur, dass wir anderen den Status von Akteuren zubilligen müssen, damit sich die Frage nach der Handlungsgeltung ihres Verhaltens beantworten lässt – „we must start from the fact that we do have the concepts of agent, wanting and doing“. Er stellt außerdem fest, dass wir einander mit einem Akteursbegriff gegenübertreten, den wir aus eigener Erfahrung beziehen und aufgrund dieser Erfahrung verstehen: „[W]e have these full-bodied concepts precisely because they apply to the incidents of our own lives“. Weil wir uns selbst als Akteure erleben, weil wir erfahren haben, dass wir bestimmte Dinge aus bestimmten Gründen tun können, haben wir einen Begriff davon, wozu Akteure fähig sind. Wir haben einen Maßstab dafür, was in bestimmten Situationen für Akteure gut oder nützlich ist, weil wir unsere eigenen Handlungsentscheidungen nach diesem Maßstab ausrichten können. Wir wissen auch aus Erfahrung um die Grenzen von Akteursfähigkeiten, um Fehlbarkeit und Unvermögen, sowie um die Möglichkeit der Selbstdistanzierung und selbstkritischen Reflexion. Durch eigene Erfahrung als Akteure können wir ermessen, welches Maß an _____________ 18

Melden 1961, 136.

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Entscheidungs- und Handlungskompetenz wir anderen Akteuren zutrauen können. Noch einmal Melden: The concept of an action which we have derives from our own status as intelligent, attentive, and responsible agents – this is the logical substratum upon which our 19 concept of an action is based.

Diese Feststellung besagt nicht, dass wir von den Grenzen unserer eigenen Kompetenzen oder unserer eigenen Phantasie auf generelle Grenzen aller anderen Akteure schließen können. Wir unterstellen nicht, dass andere genau im selben Maß intelligent und aufmerksam, motorisch geschickt und umsichtig sind wie wir selbst. Es würde geradezu einen Mangel an Akteursfähigkeiten zeigen, genauer einen Mangel an Aufmerksamkeit und Selbstdistanzierung, wenn wir nicht bemerkt hätten, dass andere Personen oft schlauer, geschickter oder umsichtiger sind als wir selbst. Gleichwohl können wir allen Akteuren gewisse Grenzen ihrer Fähigkeiten unterstellen. Wir können davon ausgehen, dass kein Akteur alle Akteursfähigkeiten zu jeder Zeit in vollem Maß aufbringt. [↑5.3.2] Das „logische Substrat“ des Akteursbegriffes, von dem Melden in der zitierten Passage spricht, scheint jenes Bündel an Fähigkeiten zu sein, das ich in groben Zügen beschrieben habe. Von einer Person zu sagen, sie sei eine Akteurin, heißt demnach, dieses Bündel von Fähigkeiten von ihr zu präsumieren und ihr dadurch eine bestimmte Geltung innerhalb einer Akteursgemeinschaft zuzuschreiben. Diese Zuschreibung von Akteursgeltung ist zugleich eine Zuschreibung eines bestimmten Selbstverständnisses, nämlich des Selbstverständnisses als Akteurin, der diese Fähigkeiten und diese Geltung zukommen. Ein Selbstverständnis ist eine begrifflich artikulierbare Relation zur eigenen Person. Unser Selbstverständnis als Akteure scheint zu einem entscheidenden Teil darauf zu beruhen, dass wir von Beginn des Lebens an und in steigendem Maße von anderen als Akteure angesehen und in ihre praktischen Vollzüge integriert wurden. Ältere Akteure haben uns als Akteure gelten lassen, obschon unsere Akteursfähigkeiten noch sehr unzulänglich waren, indem sie uns lobten, tadelten, Anweisungen erteilten, um etwas baten oder indem sie uns Gründe für unser Verhalten abverlangten und Gegengründe anboten. Das Selbstverständnis, eine Akteurin zu sein _____________ 19

Melden 1961, 156.

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und über bestimmte Fähigkeiten zu verfügen, hat einen solchen interaktiven Anfang. Die Begriffe, in denen wir unser Selbstverständnis als Akteure fassen und in denen wir beschreiben würden, wer wir sind, was wir glauben, wünschen, beabsichtigen oder vermögen, sind Begriffe einer geteilten, für Dritte verständlichen Sprache. Sich selbst als jemanden zu erleben, der eigene Absichten bilden und in eigene Taten umsetzen kann, setzt beispielsweise einen Begriff der Absicht voraus, den wir in der Sprache einer Akteursgemeinschaft vorfinden und den zunächst andere auf unser Verhalten anwenden, bevor wir ihn für uns selbst in Anspruch nehmen oder unsererseits auf andere anwenden können.20 Wie die oben geschilderte Unschuldspräsumtion ist auch die Akteurspräsumtion praxiskonstitutiv. Sie ist es sogar in einem ganz fundamentalen Sinn, denn sie leitet nicht nur Entscheidungen in einem bestimmten Lebensbereich wie der Rechtsprechung an, sie ermöglicht jegliche gemeinschaftliche Praxis. Keine menschliche Gemeinschaft könnte ohne Akteurspräsumtion verbindliche Regeln, Normen und Umgangsformen einrichten. Alle unsere Interaktionen beruhen auf unserem Selbstverständnis als Akteure und auf der Präsumtion, dass andere Menschen Akteure sind wie wir selbst. Darum weist Melden in die richtige Richtung, wenn er den Akteursbegriff als Bezeichnung einer Lebensform auffasst. Sich selbst als Akteur zu verstehen ist kein individueller Lebensstil, den wir wählen oder ablegen können. Akteur zu sein ist eine Weise der Welterschließung, des Zugangs zur Wirklichkeit. Mit ihr entscheidet sich, wie Wirklichkeit wahrgenommen wird und welchen Begriff der Wirklichkeit jemand hat. Die Lebensform von Akteuren zeichnet sich dadurch aus, dass sich ihre Vertreter als Teilnehmer der Wirklichkeit verstehen und ihr eigenes Leben als einen Teil _____________ 20

Lynne Baker (2011, 6) spricht von „rudimentary first-person perspectives“ von Babys und beschreibt damit auf ähnliche Weise die Voraussetzungen für die Ausbildung einer „robust first-person perspective“. Damit bezeichnet sie ein Selbstverhältnis ganz ähnlich dem, was ich ‚Selbstverständnis‘ nenne. Auch Baker bestimmt Akteure über Fähigkeiten, differenziert aber weiter zwischen rationalen und moralischen Akteuren, wobei letztere über mehr Fähigkeiten verfügen als erstere. Ich verzichte auf diese Unterscheidung. Die Akteurspräsumtion lässt zwar graduelle Abstufungen zu, der Akteursstatus kann also in mehr oder minder hohem Grad zugeschrieben werden, doch bin ich nicht sicher, ob sich zwischen rationalen und moralischen Akteursfähigkeiten so klar trennen lässt, wie es Bakers Ansatz erfordern würde.

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dieser Wirklichkeit, den sie dank ihrer Akteursfähigkeiten gestalten können.21 Neben ihrer praxiskonstitutiven, ja lebensformkonstitutiven Rolle sprechen induktiv-probabilistische, wertbezogene und prozedurale Argumente für die Akteurspräsumtion. Zu den letztgenannten gehört, dass Lehre und Vermittlung von Regeln, Normen und Handlungsweisen unmöglich wäre, wenn nicht Lehrende wie Lernende davon ausgingen, dass sie Regeln lernen und befolgen können. Eine Lehrerin unterstellt natürlich nicht, dass ihre Lehrlinge die Praxis, die sie lehren will, bereits beherrschen. Sie unterstellt aber, dass sie grundsätzlich imstande sind, die normative Kraft von Regeln einzusehen und ihr eigenes Verhalten auf seine Regelkonformität hin zu beurteilen. Ohne diese Präsumtion wäre der Versuch, jemanden eine neue Technik zu lehren, nicht der Mühe wert – der Lehrling würde ihn nicht als Versuch der praktischen Unterweisung verstehen und könnte die Lektion nicht anwenden. Die wertbezogenen Argumente zugunsten der Akteurspräsumtion ähneln jenen für die Aufrichtigkeitspräsumtion. Das ist kein Zufall, denn sprachliche Kommunikation ist selbst eine Weise zu handeln. Folglich liegt auch hier die Akteurspräsumtion zugrunde. So wie ein Tourist den Einwohnern einer unbekannten Stadt Unrecht tun würde, wenn er ihnen unterstellte, dass sie Gäste prinzipiell auf Irrwege schicken, so würden wir den meisten Menschen nicht gerecht, wenn wir ihnen Fähigkeiten wie Intelligenz und Aufmerksamkeit, motorisches Geschick oder Einsicht in Gründe von vornherein absprächen. Weder könnten wir ihre Meinungen über die Güte und Nützlichkeit eines Verhaltens als Argumente ernst nehmen, noch könnten wir sie für ihr Verhalten loben, ihnen danken oder sie um etwas bitten. Umgekehrt könnten wir niemanden für negative Folgen seines Verhaltens zur Verantwortung ziehen, niemals tadeln oder strafen. Erscheint es uns wertvoll, anderen nicht immer und von vornherein weniger zuzutrauen als uns selbst, ihnen nicht grundsätzlich weniger Vernunft, Einsicht und Eigensinn zuzuschreiben, als wir für uns selbst in An_____________ 21

Die Unterscheidung zwischen Lebensform, Lebensweise und Lebensstil nimmt, von Wittgenstein ausgehend, Anthony Cua vor. Vgl. Cua 1978, v. a. 10–16. Lynne Baker nennt die Welt, sofern sie von Akteuren erfahren wird, treffend ‚die Begegnungswelt‘ [the world of encounter]. Lynne Baker 2011, 17.

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spruch nehmen, dann ist die Akteurspräsumtion anderen Präsumtionen vorzuziehen. Die Akteurspräsumtion ist also nicht einfach zweckmäßiger, sie ist auch angemessener: Mit ihr erkennen wir unsere Angewiesenheit auf andere Akteure an. Diese Anerkennung bezieht sich nicht nur auf die praktischen Fähigkeiten anderer Akteure, die für unsere eigenen Zwecke oft nützlich sind. Mit der Akteurspräsumtion antworten wir auch auf unsere Anerkennung als Akteure durch andere. Andere sehen uns als Akteure, nehmen unsere Argumente und Gründe ernst und trauen uns Verantwortung für unser eigenes Handeln zu. Wie dargelegt, ist dies eine entscheidende Voraussetzung dafür, ein Selbstverständnis als Akteure zu gewinnen. Einmal zu diesem Selbstverständnis gelangt, wäre es schwer zu begründen, weshalb wir andere nicht ebenso als Akteure gelten lassen sollten, wie sie uns als Akteure gelten lassen. Dafür müssten wir annehmen, dass sie sich selbst zu Unrecht als Akteure verstehen – eine Annahme, die vor dem Hintergrund der sozialen Genese unseres eigenen Selbstverständnisses als Akteure logisch inkonsistent scheint und jedenfalls schwerlich zu rechtfertigen ist. Die Akteurspräsumtion gegenüber anderen nicht abzuschwächen, solange es dafür keine triftigen Gründe gibt, ist also zugleich eine Bestätigung unserer eigenen Akteursfähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Umsicht. Schließlich sprechen induktiv-probabilistische Argumente für die Akteurspräsumtion. Das Verhalten von Babys, Hunden oder Demenzkranken, auf das in handlungstheoretischen Zusammenhängen gern Bezug genommen wird, erhellt die Bedeutung des Akteursbegriffes vor allem deshalb so vortrefflich, weil es sich um Grenzfälle handelt. Babys haben ihre Akteursfähigkeiten noch nicht genügend entfaltet, Demenzkranke verlieren sie allmählich wieder, und auch den Akteursfähigkeiten eines Hundes sind engere Grenzen gesetzt als denen eines menschlichen Akteurs. Diese Grenzfälle sind aufschlussreich, weil die sonst selbstverständliche Akteurspräsumtion hier in Frage steht und damit besonders deutlich zum Vorschein kommt. Indem wir untersuchen, warum die Möglichkeiten der Interaktion mit einem Baby oder einem Hund eingeschränkt sind, tritt zutage, welche Fähigkeiten wir normalerweise bei Akteuren voraussetzen, wenn wir nach ihren Gründen fragen, sie um Entschuldigung bitten oder uns mit ihnen über Handlungspläne beraten. Im Alltag treffen wir auf eine weitaus größere Zahl von Personen, bei denen sich die Akteurspräsumtion bewährt. Da-

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her ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein erwachsener Mensch eine normale Akteurin mit normalen Fähigkeiten und normalen Grenzen ist, sehr hoch. Damit gibt es auch ein probabilistisches Argument für die Akteurspräsumtion als Ausgangspunkt unserer menschlichen Begegnungen – was nicht ausschließt, dass wir in typischen Ausnahmefällen, etwa bei kleinen Kindern, Demenzpatienten oder Tieren, von vornherein geringere Akteursfähigkeiten unterstellen. Die stärkste Rechtfertigung für die Akteurspräsumtion besteht sicherlich in ihrer praxiskonstitutiven Rolle im Rahmen von Akteursgemeinschaften, denn mit dieser Rolle erweist sich die Akteurspräsumtion nicht nur als angemessenste, sondern als unerlässliche Bedingung unseres alltäglichen Umgangs miteinander. Als Präsumtionsregel könnte man daher formulieren: PA

Verhalte dich gegenüber anderen so, als ob sie Akteure wären, die sich intelligent und aufmerksam, absichtlich und potentiell begründbar verhalten wie du selbst – solange bis zureichende Gründe dagegensprechen.

Die Formulierung eines präsumtionsauslösenden Faktes kann bei PA entfallen, weil diese Präsumtion nicht erst in speziellen Situationen in Kraft tritt, sondern jeder Begegnung zwischen Personen zugrunde liegt und damit jeder Zuschreibung und jeder Interaktion vorausgeht. Folglich fällt auch die Widerlegungsklausel sehr allgemein aus. Der Akteursbegriff ist ein sozialer Begriff; er erhält seine semantische Füllung durch je eigene Erfahrungen derer, die ihn verwenden. Für die Widerlegung gibt es keine universellen Bedingungen. Wann und gegenüber wem sich eine Akteurspräsumtion nicht länger in vollem Umfang aufrechterhalten lässt, müssen wir, von unserem Selbstverständnis als Akteure ausgehend, von Fall zu Fall selbst entscheiden. Es gibt keinen allgemeinen Kriterienkatalog und Maßstab dafür, wann die Präsumtion auf welchen Grad herabgemindert werden sollte. Das Ziel einer Anpassung der generellen Akteurspräsumtion an konkrete Akteure und konkrete Umstände ist in jedem Fall, gemeinschaftliches Leben zu gestalten, vor allem durch gelingende Interaktionen. Akteurs- und situationsangemessene Präsumtionen helfen, Interaktionen nicht dadurch scheitern zu lassen, dass man die Beteiligten durch fortwährende Überforderung oder Unterforderung frustriert.

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Obwohl PA keine vollständige Liste von Akteursfähigkeiten enthält, wird auch in meiner grobmaschigen Fassung deutlich, dass ‚Akteur‘ ein normativer Begriff ist. Intelligenz, Aufmerksamkeit, Distanz-, Kritik- und Einsichtsfähigkeit kommen Akteuren in höherem oder minderem Grad zu. Nicht immer sind wir auf der Höhe unserer Fähigkeiten; Fehlbarkeit ist eine normale Eigenschaft normaler Akteure. Der Akteursbegriff beschreibt deshalb nicht nur unsere Lebensform, sondern enthält auch einen Anspruch. Akteure sind de facto mehr oder weniger intelligent, aufmerksam, geschickt, selbstkritisch und umsichtig. Sie sollten jedoch versuchen, es in möglichst hohem Maß zu sein. Mit der Bestimmung von ‚Akteur‘ als normativem Begriff erhalten Zuschreibungskonzeptionen eine moralische Dimension. Mit der empiristischen Orientierung der Analytischen Handlungstheorie blieb der Fokus auf Körperbewegungen und ihre Kausalgeschichte beschränkt. Aus dem Blick geriet dabei oft, dass die Unterscheidung zwischen Handeln und anderem Verhalten moralisch relevant ist. Doch die Frage, was Handlungen sind und worin ihre Absichtlichkeit besteht, ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil moralische Urteile und Reaktionen von dieser Unterscheidung abhängen. Sie hat eminenten Einfluss auf die interpersonellen Verhältnisse zwischen Akteuren, die mit ihren Handlungen auf das Handeln anderer reagieren.22 Die Frage, was Handlungen sind, lässt sich von der Frage, welche Handlungen gut sind, zwar analytisch trennen, doch liegen beide so nah beieinander, dass die völlige Abstinenz der Handlungstheorie von moralischen Fragen künstlich erscheint. Ich glaube, dass ein Akteur zu sein zugleich heißt, ein moralischer Akteur zu sein. Sich selbst als Akteurin zu verstehen schließt ebenso wie die Akteurspräsumtion gegenüber anderen moralische Fähigkeiten oder jedenfalls Fähigkeiten mit einem moralischen Aspekt ein. So erschöpft sich Aufmerksamkeit beispielsweise nicht darin, handlungsrelevante Umstände präzis und umfassend zu registrieren, sie schließt auch Achtsamkeit gegenüber anderen Akteuren und ihren Interessen, Wünschen und anderen Lebensbedingungen ein, denen wir eigene Interessen unter _____________ 22

Anscombes Vorwurf an die Moraltheorie ihrer Zeit(-genossen) besteht umgekehrt darin, dass sie Moralphilosophie betreiben, ohne den unterliegenden Begriff des absichtlichen Handelns zu klären. Vgl. Anscombe 1958 a.

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Umständen nachordnen wollen.23 Auch die Fähigkeit zur Selbstkritik ist nicht moralisch neutral, denn sich selbst zu beurteilen, als ob man sich aus der Distanz sähe, ist vor allem wichtig, um die Urteile und Reaktionen anderer Personen in Bezug auf eigenes Handeln zu verstehen. Hierbei geht es nicht allein um umfassende Informationen, es geht darum, das gemeinschaftliche Leben möglichst gut einzurichten. Dazu könnte gehören, sich (nur dann) den Erwartungen anderer unterzuordnen, wenn diese Erwartungen gemäß einem gemeinschaftlichen Maßstab gut begründet sind. Die Zuschreibungsansätze von Hart, Anscombe und Melden sind moralisch nicht enthaltsam: Hart identifiziert die Fähigkeit, Handlungen auszuführen, mit der Fähigkeit, für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen. Nur wer die praktischen Implikationen von Lob und Tadel erfasst, gilt nach seiner Auffassung als Akteur. Dabei können Lob und Tadel ganz klar moralisch begründet sein, ebenso hat die Möglichkeit der Anfechtung von Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen eine moralische Funktion: Sie soll verhindern, dass Personen zu Unrecht für etwas verantwortlich gemacht werden. Anscombe teilt offensichtlich die Ansicht, dass Akteure immer auch moralische Akteure sein müssen. Sie wären sonst nicht in der Lage, nach Handlungsgründen zu fragen oder selbst Gründe für ihr Handeln zu nennen. Laut Anscombe ergeben sich Gründe nicht immer durch die Zweckmäßigkeit eines Verhaltens, sie können auch durch dessen moralische Güte entstehen. Da Melden Akteure unter anderem durch die Fähigkeit charakterisiert, Regeln und Konventionen ihrer Gemeinschaft zu lernen und selbst zu entscheiden, in welchen Situationen sie sich an diese Regeln und Konventionen halten, ist klar, dass auch er den Akteursbegriff nicht moralisch neutral fasst. Für alle drei Autoren schließt das Vermögen, Handlungen auszuführen, ein, moralische Gründe in Handlungsentscheidungen einzubeziehen. Die Überschneidung von Handlungstheorie und Moralphilosophie überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass die Analytische Handlungstheorie aus dem Konflikt zwischen Logischem Empirismus und Philosophischer Psychologie hervorgegangen ist. Ein Anliegen der Philosophischen Psychologie war es gerade, die Abschirmung handlungstheoretischer Fragen von Fragen der (Moral-)Psychologie aufzuheben. _____________ 23

Eine Analyse der Aufmerksamkeit als Akteursfähigkeit findet sich z. B. in Murdoch 1970 a und 1970 b.

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6.1.3 Die Erste Person Wie dargelegt, verbindet die Autoren Hart, Anscombe und Melden der Gedanke, dass die Bedeutung des Handlungsbegriffs nicht losgelöst vom Akteursbegriff bestimmbar ist. Für alle drei lässt sich außerdem erkennen, dass sie den Akteursbegriff als Beschreibung einer Lebensform, eines spezifischen Zugangs zur Wirklichkeit auffassen. Akteure können sich nicht dagegen entscheiden, Akteure zu sein. Aber sie können Akteursgeltung auf andere Weise verlieren, etwa wenn sie durch Unfall oder Krankheit Akteursfähigkeiten in signifikantem Ausmaß verlieren. (Hier greift die begriffliche Unterscheidung zwischen Personen und Akteuren. Verminderte Akteursgeltung bringt nicht notwendigerweise eine Verminderung der Geltung als Person mit sich. Folglich führen verminderte Akteursfähigkeiten nicht notwendigerweise zu einer Verminderung der Personengeltung.) Normalerweise kommt erwachsenen Personen aber Akteursgeltung zu; in aller Regel verfügen sie in hinlänglichem Maß über Akteursfähigkeiten. Ich habe den Akteursbegriff einerseits als sozialen Begriff bestimmt, andererseits als selbstreferentiellen Begriff. Sozial ist der Akteursbegriff insofern, als er die Geltung einer Person innerhalb einer Gemeinschaft erfasst. Wir betrachten einander als Akteure, das heißt wir unterstellen einander bestimmte Fähigkeiten und begegnen einander als Teilnehmer einer gemeinsamen Situation, nicht als materielle Objekte ohne eigenes Selbstverständnis. Selbstreferentiell ist der Akteursbegriff, insofern er ein Selbstverständnis erfasst, wie Personen es ausbilden, die in einer Akteursgemeinschaft aufwachsen und an deren gemeinschaftlichen Praxen teilzunehmen lernen. Dies schließt ein, sich in einer Sprache für andere verständlich zu machen. Exemplarisch dazu Melden: Yet to understand the concept of a human action we need to understand the possibilities of descriptions in social and moral terms; we need to recognize, in other words, the relevance and applicability of reasons that operate, not only in the privacy of one’s study, but also in the social arena where persons take account of each other in doing what they do and are guided in their thought and action by an intri24 cate network of moral and social considerations.

_____________ 24

Melden 1961, 180. Vgl. auch 191–197.

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Zuschreibungskonzeptionen des menschlichen Handelns setzen beide Facetten des Akteursbegriffes voraus, Akteursgeltung für andere ebenso wie das Selbstverständnis als Akteurin. Es mag etwas überraschen, dass der Akteursbegriff nicht nur ein Verhältnis der interpersonalen Geltung beschreibt, sondern auch ein Selbstverhältnis. Ein Ausgangspunkt der vorgestellten Zuschreibungskonzeptionen ist die scheinbar triviale Tatsache, dass Handlungsausführungen Akteure erfordern, sowie die weniger triviale Tatsache, dass der Akteursbegriff ein sozialer Begriff ist, dessen Bedeutung sich nicht mit Blick auf eine einzelne Person bestimmen lässt. Hart, Anscombe und Melden sehen aber auch, dass wir unsere eigenen Absichten, Gründe und Handlungen erkennen, ohne erst Zuschreibungen von Seiten anderer Akteure abwarten zu müssen. Sonst gäbe es in H. L. A. Harts Konzeption niemanden, der sich selbst entschuldigen oder gegen Vorwürfe verteidigen kann, und in Anscombes Konzeption gäbe es niemanden, der Warum-Fragen beantworten kann. Melden, der die Sozialität des menschlichen Handelns von allen drei Autoren am stärksten betont, erklärt zugleich: [A] man may not do what he wants to do and for a very good reason, this being a matter that has to do, not with any facts of causality, but rather with what he is concerned and hence with what he thinks to be desirable or undesirable to do in the particular circumstances in which he is placed. […] The things wanted by a person are a reflection of his interests and of the sort of agent he is – they extend far be25 yond the range of his bodily appetites and needs.

Die Verbindung von eigenen Interessen und Anliegen mit eigenen Handlungen via eigene Wünsche zeigt die Selbstreferentialität des Akteursbegriffes: Akteur zu sein heißt nicht nur, per Akteurspräsumtion eine bestimmte soziale Geltung innezuhaben. Es heißt auch, sich selbst als Inhaber von Akteursfähigkeiten zu verstehen. Mit diesem Selbstverständnis erhält die Erste-Person-Perspektive Eingang in Zuschreibungskonzeptionen. So deutlich in diesen die Beobachterperspektive in den Vordergrund gerückt und betont wird, dass die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten drittpersonalen Kriterien unterliegt, so entscheidend ist, dass auch Zuschreibungskonzeptionen nicht ohne den Verweis auf das Selbstverständnis von Akteuren aus_____________ 25

Melden 1961, 142 f.

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kommen. Zwar hängt die Handlungsgeltung eines Verhaltens von seiner praktischen Verständlichkeit für andere ab, doch müssen sich diese anderen selbst als Akteure verstehen. Anderenfalls wüssten sie nicht, was es heißt, etwas zu wünschen, zu glauben oder zu wollen, und wären außerstande, die Wünsche, Überzeugungen und Absichten zu erkennen, die sich im körperlichen Verhalten einer Person ausdrücken. Neben dem Aspekt der sozialen Geltung ist das Selbstverständnis als Akteur und damit eine Erste-PersonPerspektive für die Lebensform von Akteuren charakteristisch. Weil ein so kompliziertes Phänomen wie Selbstreferentialität und die Bildung eines Selbstverständnisses an dieser Stelle unmöglich ausführlich untersucht werden können, beschränke ich mich auf eine Darstellung in großen Linien. Dies genügt, um zu zeigen, dass Zuschreibungskonzeptionen bei aller Betonung von Sozialität und interpersoneller Verständlichkeit eine Erste-Person-Perspektive von Akteuren voraussetzen müssen und es zumindest implizit auch tun. Ich verwende dazu Lynne Rudder Bakers Abhandlung zur Metaphysik der Person, die mir, obwohl ohne handlungstheoretischen Fokus, äußerst hilfreich erscheint, um die Notwendigkeit einer Erste-Person-Perspektive für Akteure zu begründen. Baker erläutert, wozu eine Erste-Person-Perspektive ihre Inhaber befähigt: [I]t is not enough to distinguish between first person and third person; one must also be able to conceptualize the distinction, to conceive of oneself as oneself. To be able to conceive of oneself as oneself is to be able to conceive of oneself independently of a name, or description, or third-person demonstrative. […] It is not just to have thoughts expressible by means of ‚I‘, but also to conceive of oneself as the 26 bearer of those thoughts.

Aus Bakers Charakterisierung lässt sich entnehmen, dass Akteursfähigkeiten wie Umsicht, Selbstdistanzierung und kritische Selbstbewertung die Fähigkeiten des Selbstbezugs und des Selbstverständnisses voraussetzen. Bei Akteuren zeigt sich die Erste-Person-Perspektive darin, dass sie die Wirklichkeit von einem eigenen Standpunkt aus wahrnehmen und um diese _____________ 26

Baker 2000, 64. Vgl. auch Baker 2007 a, 10: „A first-person perspective is a very peculiar ability that all and only persons have. It is the ability to conceive of oneself as oneself, from the inside, as it were. […] A being with a first-person perspective not only can have thoughts about herself, but she can also conceive of herself as the subject of such thoughts.“

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Standpunktbindung wissen. Akteure unterscheiden nicht nur zwischen ihren eigenen Körpern und Phänomenen jenseits ihres Körpers, sie können sich zudem auf sich selbst beziehen und in Ich-Sätzen explizit machen, wie sie die Wirklichkeit einschließlich ihrer eigenen Person von ihrem Standpunkt aus erleben: ‚Ich will a-en‘; ‚Ich wünschte, ich könnte a-en‘; ‚Ich werde nicht a-en‘ sind explizite Artikulationen der Selbstwahrnehmung, nicht nur Konstatierungen gegebener Fakten. Die Wahrnehmung von Wünschen und Absichten als eigene Wünsche und Absichten ist eine für Akteure typische Weise der Wirklichkeitswahrnehmung. Akteure wissen, was sie wünschen, wollen und glauben, und sie können sich entscheiden, ihren Wünschen und Überzeugungen durch ihr Verhalten zu entsprechen. Das Selbstverständnis von Akteuren schließt das Wissen ein, dass sie selbst dieses Wissen und diese Fähigkeit besitzen. Lynne Baker beschreibt die Fähigkeit zu einer Erste-Person-Perspektive als Charakteristikum von Personen allgemein, nicht von Akteuren im Besonderen, und ich halte diesen Unterschied für wichtig. Wenn ich Akteure nun durch die Fähigkeit zu einer Erste-Person-Perspektive charakterisiere, so bestimme ich den Begriff des Akteurs als Unterbegriff zum Begriff der Person: Eine Person zu sein ist eine notwendige Bedingung dafür, eine Akteurin zu sein, aber es ist keine hinreichende Bedingung. Gerade weil der Akteursbegriff die Geltung einer Person innerhalb einer Gemeinschaft umfasst und diese Geltung durch andere Akteure vermindert oder abgesprochen werden kann, erscheint es mir sinnvoll, Personenbegriff und Akteursbegriff voneinander zu trennen. Damit ist erklärlich, weshalb Verminderung oder Verlust der Akteursgeltung nicht den Verlust des Personenstatus impliziert. Die oben erwähnten Grenzfälle von Babys und Demenzpatienten sind Grenzfälle für den Akteursbegriff, aber darum allein noch nicht für den Personenbegriff. Wenn die Fähigkeit, eine Erste-Person-Perspektive auszubilden, hinreichend ist, um als Person zu gelten, dann besteht in keinem dieser Fälle Zweifel, dass es sich um Personen handelt, obwohl diesen Personen keine Akteursgeltung zukommt. Das hat Einfluss auf ihre Rolle innerhalb einer Akteursgemeinschaft, benimmt ihnen aber keines der Rechte und keine der Pflichten, die allein durch den Status als Person gerechtfertigt sind.27 _____________ 27

Auch Wesen, die nicht oder nicht im vollen Sinne als Akteure gelten, können eine

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KAPITEL 6

Normalerweise präsumieren wir bei anderen Menschen ein Selbstverständnis als Akteure. Folglich präsumieren wir ihre Fähigkeit zu einer Erste-Person-Perspektive. So können wir ihr Verhalten als Ausdruck von Wünschen und Überzeugungen ansehen, um die sie selbst wissen und die sie in Form von Ich-Sätzen explizit machen könnten. Obwohl nun Zuschreibungskonzeptionen die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten als soziales Phänomen auffassen und daher nach den Kriterien suchen, die dieser Unterscheidung aus der Beobachterperspektive unterliegen, müssen sie Akteuren eine Erste-Person-Perspektive zugestehen. Drittpersonale Kriterien der Handlungsgeltung könnten nie erfüllt sein, wenn nicht vorausgesetzt wäre, dass Akteure sich ohne externe Zuschreibung auf ihre eigenen Wünsche, Absichten und Handlungen beziehen können. Um dem gerecht zu werden, muss die Akteurspräsumtion um einen entscheidenden Zusatz ergänzt werden: PA*

Verhalte dich gegenüber anderen so, als ob sie Akteure wären, die sich intelligent und aufmerksam, absichtlich und potentiell begründbar verhalten und die sich als Akteure verstehen wie du selbst – solange bis zureichende Gründe dagegensprechen.

_____________ Erste-Person-Perspektive haben. Auch ein Hund hat eine gewisse Fähigkeit, sich auf sich selbst zu beziehen – etwa wenn er in einiger Entfernung einen Leckerbissen entdeckt und seinen eigenen Körper genau auf den Punkt zubewegt, an dem sich der Leckerbissen befindet. Dazu muss der Hund sich seiner Position im Raum als seiner eigenen Position bewusst sein. Mit dieser Form des Selbstbewusstseins, der Selbstwahrnehmung, hat er jedoch noch kein Selbstverständnis als Akteur. Dazu wäre außerdem erforderlich, dass er seine eigenen Lebensbedingungen, seine Wünsche, Interessen und Absichten, identifizieren kann und dass er um seine Fähigkeit weiß, ihnen durch eigenes Verhalten zu entsprechen. Zwar erkennt auch ein Hund, ob ein Knochen relativ zu seinem eigenen Körper links oder rechts liegt, und er bewegt seine Beine genau so, dass er bei dem Knochen ankommt. Darum ist es nicht unsinnig, dem Hund zuzuschreiben, dass er den Knochen haben will und z. B. nach links läuft, weil er glaubt, dass der Knochen dort liegt. Der Hund kann sich aber nicht analog zu dieser drittpersonalen Zuschreibung auf sich selbst beziehen. Er versteht sich selbst nicht als jemand mit diesem Wunsch und jener Überzeugung. Falls er den Knochen nicht findet, wird er sich nicht fragen, ob er sich womöglich geirrt hat, denn dazu müsste er sich auf die zugeschriebene Überzeugung als seine eigene Überzeugung beziehen. Das vermag er nicht. Die Akteursgeltung eines Hundes ist daher stets vermindert. Sie umfasst seine Geltung als Akteur für andere, schließt aber die selbstreferentielle Seite des Akteursbegriffes nicht ein.

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Mit PA* habe ich die gemeinsame implizite Grundlage der drei untersuchten Handlungskonzeptionen rekonstruiert. Wie erläutert, gibt die Akteurspräsumtion die Einstellung wieder, mit der wir anderen Menschen normalerweise begegnen. Im Verlauf einer Begegnung mit anderen Personen sind situations- und akteursspezifische Abstufungen der präsumierten Akteursfähigkeiten möglich und angebracht, um das Zusammenleben im Allgemeinen, die situationsspezifische Interaktion im Besonderen gut zu gestalten. Offensichtlich ist PA* keine Definition oder Explikation des Akteursbegriffes. Sie benennt keine notwendigen Eigenschaften von Akteuren und liefert auch keinen Algorithmus für die Decodierung körperlichen Verhaltens. PA* hat eher die Form einer Anweisung oder Empfehlung. Dieses Format trägt einer Tatsache Rechnung, die für Hart, Anscombe und Melden (nach meiner Interpretation) gleichermaßen wichtig ist: Es ist möglich zu verstehen, wie sich absichtliches Handeln von anderem Verhalten unterscheidet, solange wir gegenüber anderen Personen die in PA* beschriebene Einstellung einnehmen, und diese Einstellung ist innerhalb von Akteursgemeinschaften der Normalfall. Es ist nicht begründungsbedürftig, wohl aber begründbar, dass wir einander bestimmte Fähigkeiten von vornherein und unüberprüft unterstellen. Weil wir über ein Selbstverständnis als Akteure verfügen, für dessen Ausbildung die Integration in eine Akteursgemeinschaft entscheidend war, stellt die Akteurspräsumtion eine gleichsam automatische Voreinstellung dar, mit der wir anderen Personen gegenübertreten. Vielleicht erscheint es merkwürdig, PA* in Form eines Imperativs zu formulieren, doch diese Formulierung macht am besten anschaulich, dass die Akteurspräsumtion zwar im Normalfall selbstverständlich, aber nicht unaufhebbar ist. Wir können auf die Präsumtion von Akteursfähigkeiten verzichten. Wir können davon absehen, dass sich andere Menschen ebenfalls als Teilnehmer gemeinsamer Situationen verstehen und die Wirklichkeit aus einer Erste-Person-Perspektive wahrnehmen. Weil wir anderen keine Akteursgeltung zuschreiben müssen, können wir sie zum Gegenstand der Manipulation machen statt zu Interaktionspartnern. Auf diese Möglichkeit macht Peter F. Strawson mit seiner Gegenüberstellung von partizipativer und objektiver Einstellung aufmerksam, auf die ich an früherer Stelle eingegangen bin.28 [↑3.3.3] Die _____________ 28

Vgl. Strawson 2003 [1962]. Strawson betont zugleich die Unmöglichkeit, prinzi-

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KAPITEL 6

imperativische Formulierung von PA* erinnert daran, dass triftige Gründe für die Präsumtion von Akteursfähigkeiten sprechen, durch die jede Reduktion rechtfertigungsbedürftig wird. Für Zuschreibungskonzeptionen spielt die Erste-Person-Perspektive eine größere Rolle, als die untersuchten Ansätze zunächst vermuten lassen. Denn in ihnen steht statt der Unterscheidung zwischen Handlungen und bloßem Verhalten letztendlich der Akteursbegriff im Mittelpunkt. Akteure werden einerseits durch ihre präsumtive Anerkennung durch andere Akteure bestimmt, andererseits durch ihr Selbstverständnis. Ein Selbstverständnis als Akteurin zu entwickeln ist nur für ein Wesen möglich, das eine Erste-Person-Perspektive ausbilden kann und dadurch imstande ist, sich auf sich selbst als Inhaberin bestimmter Fähigkeiten zu beziehen, eigene Lebensbedingungen zu identifizieren und sie durch Begriffe einer geteilten Sprache explizit zu machen. Kurz: Akteure können sagen, was sie wollen, und sie können ihre Chancen einschätzen, dies durch eigenes Handeln zu erreichen. In den autorenbezogenen Kapiteln habe ich herausgearbeitet, welche Argumente sich bei Hart, Anscombe und Melden gegen eine Reduktion des menschlichen Handelns auf Körperbewegungen und neurophysiologische Prozesse finden lassen. Bei näherem Hinsehen – dies hat das vorangehende Kapitel gezeigt – wird deutlich, dass sich ihre Bedenken gegen reduktionistische Vorhaben vor allem auf die Beobachtung stützen, dass Menschen eine Erste-Person-Perspektive ausbilden, die ihnen erlaubt, sich auf ihre eigenen Fähigkeiten und Lebensbedingungen zu beziehen. Diese Beobachtung ist deswegen entscheidend für eine Konzeption des menschlichen Handelns, weil sie nicht allein die physische Konstitution von Menschen betrifft, sondern eine für Menschen spezifische Weise der Welterschließung. Wenn man etwas über menschliches Handeln sagen will, so die weitere Überlegung, muss man sich Klarheit über die Bedingungen verschaffen, unter denen Handlungen in der Welt existieren. Die Trivialität, dass Handlungen von Akteuren ausgeführt werden, wird zu einer interessanten Beobachtung, wenn man erkennt, dass nicht nur die _____________ piell – dauerhaft und unter allen Umständen – auf die Akteurspräsumtion zu verzichten.

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Existenz von Handlungen voraussetzt, dass es Akteure gibt, sondern auch die Existenz der Akteure selbst von dieser Voraussetzung abhängt. Dass Menschen andere als Akteure sehen, ist (neben dem Selbstverständnis als Akteurin) eine Vorbedingung dafür, dass es in der Welt Handlungen gibt, weil ein konkretes Verhalten nur als Handlung gelten kann, sofern die ausführende Person als Akteurin gilt. Es muss Wesen geben, die sich selbst als Akteure verstehen und die Welt aus der Akteursperspektive wahrnehmen, damit es Handlungen gibt. Das heißt es muss Wesen geben, die fähig sind, eigene Wünsche, Überzeugungen und Absichten zu identifizieren und das Verhalten anderer als Ausdruck von deren Wünschen, Überzeugungen und Absichten zu verstehen: The desires and emotional states that explain what [a person] does are after all states of hers – of the human being whose capacities to make movements are exercised – and, even where she feels alienated from them, they are not adventitious 29 forces in her brain.

Folgt man dieser Überlegung, dann ist klar, weshalb eine vollständige Reduktion von Handlungen auf physikalische Konstituenten bzw. des Handlungsbegriffes auf physikalische Begriffe unmöglich ist. Man kann mentale Fakten über Personen, deren Bestehen einen erstpersonalen, durch ein bestimmtes Selbstverständnis geprägten Zugang zur Wirklichkeit voraussetzt, nicht auf objektive Fakten reduzieren, die aus beliebigen Dritte-Person-Perspektiven nachvollziehbar und überprüfbar sind. [↑1.3] In ihrer Studie Persons and Bodies verweist Lynne Baker auf eine wichtige Konsequenz der menschlichen Fähigkeit zu einer Erste-Person-Perspektive. Sie hält eine Welt, die manche Wesen aus der Erste-PersonPerspektive wahrnehmen, für ontologisch reichhaltiger als eine Welt ohne solche Wesen: One noticeable feature of the world of encounter that I mentioned is that it is populated by what I called ID objects: things – things like elevators and computers – whose existence depends on there being persons with propositional attitudes. The dependence is not just causal; it is ontological. […] An elevator is a device whose intended function is essential to its being the thing that it is; and its intended func-

_____________ 29

Hornsby 2004 b, 182 f.

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KAPITEL 6

tion (to transport people and things vertically through space) itself crucially de30 pends on the intentions of the designer – intentions that only persons can have.

Aus einer Erste-Person-Perspektive stellen auch mentale Fakten wie jemandes Handlungszwecke und Absichten Konstituenten der Wirklichkeit dar. Was jemand glaubt, wünscht oder erreichen will, macht einen Unterschied dafür, was wirklich der Fall ist, und darum auch für Entscheidungen darüber, was zu tun ist – nicht nur aus der je eigenen Erste-Person-Perspektive, sondern auch aus der Perspektive Dritter. Auch für andere Personen kann der Fakt, dass jemand dies glaubt und jenes wünscht, eine Prämisse ihrer Urteile und Handlungsentscheidungen sein. Obwohl sich die Auseinandersetzung zwischen Zuschreibungskonzeptionen und ihren kausalistischen Konkurrenten zu weiten Teilen in Begriffen wie ‚Ursache‘, ‚Wirkung‘ und ‚Gesetz‘ vollzieht, glaube ich, dass den Zuschreibungskonzeptionen ein weit fundamentaleres Anliegen gemeinsam ist. An den drei vorgestellten Ansätzen lässt sich erkennen, dass die Autoren zwar zunächst ihre Position gegenüber den Konkurrenten physikalistischer bzw. reduktionistischer Prägung klarstellen, dann aber weit weniger Mühe darauf verwenden, deren Handlungs- oder Kausalitätskonzepte inhärent zu kritisieren. Es geht ihnen vielmehr um eine Untersuchung der Voraussetzungen, unter denen die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten im Besonderen, zwischen mentalen und physikalischen Konzepten im Allgemeinen allererst möglich ist. Nicht-kausalistische Handlungskonzeptionen betrachten nicht in erster Linie den Kausalitätsbegriff als problematisch, der in kausalistischen Ansätzen zum Tragen kommt. In erster Linie hinterfragen sie die Selbstverständlichkeit, mit der man in solchen Ansätzen davon ausgeht, dass eine ontologische Bestimmung von Handlungen objektiv sein müsste, in dem Sinne von ‚Objektivität‘, den Naturwissenschaftler anstreben und der darauf hinausläuft, Erkenntnisse zu formulieren, die unabhängig von der Tatsache gelten, dass wir die Welt aus der Erste-Person-Perspektive, in unserem Selbstverständnis als Akteure wahrnehmen. [↑1.3] Meiner Auffassung nach bricht sich in den vorgestellten Zuschreibungskonzeptionen die Erkenntnis Bahn, dass physikalistisch-reduktionistische _____________ 30

Lynne Baker 2007 a, 33. Vgl. auch ebd. 27 sowie Lynne Baker 2002, 47 f.

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Ansätze die ontologische Bedeutsamkeit der Erste-Person-Perspektive vollkommen übersehen. Wesen, die handeln können und sich selbst als handlungsfähige Wesen verstehen, sind nicht nur bewegliche Körper, deren Gehirne Informationen verarbeiten und deren Gliedmaßen Kraft auf externe Objekte ausüben können. Wesen, die handeln können, sind durch eine Reihe von Fähigkeiten charakterisiert, die eine Erste-Person-Perspektive voraussetzen. Diese Wesen können ihre eigenen Objektmanipulationen begrifflich fassen; sie verstehen das, was sie tun, als ihr eigenes Handeln, und sie verstehen sich selbst als Teilnehmer der Wirklichkeit. Deswegen können sie anderen mit der Präsumtion analoger Fähigkeiten und eines analogen Selbstverständnisses begegnen, und sie können verstehen, dass sie selbst von anderen wiederum als Akteure angesehen werden. Diese wechselseitigen interpersonellen Geltungs- und Bewährungsverhältnisse verschwinden aus dem Blick, wenn man auf eine drittpersonale, objektive Beschreibung wirklicher Phänomene zielt. Das aber bedeutet, die entscheidenden Voraussetzungen für die Existenz von Handlungen aus dem Blick zu verlieren. Aus Sicht einer Zuschreibungskonzeption müssen physikalistisch-reduktionistische Ansätze die Bedeutung des Handlungsbegriffes verfehlen, weil sie davon absehen, dass Akteure die Wirklichkeit aus der ErstePerson-Perspektive erfahren. Ihre Handlungen ebenso wie ihre Absichten, Wünsche und Überzeugungen existieren nur unter der Voraussetzung dieses spezifischen Zugangs zur Wirklichkeit. Absichten, Wünsche und Überzeugungen zu haben und aufgrund dessen bestimmte Handlungen auszuführen, heißt, die Wirklichkeit als Akteur und damit aus der Teilnehmerperspektive wahrzunehmen.31

_____________ 31

Theodore Schatzkis Bestimmung der sozialen Wirklichkeit als „that part of the world to which experience gives us access that constitutes the realm of human coexistence“ läuft ebenfalls darauf hinaus, Existenz und Individualität bestimmter Phänomene an die Erste-Person-Perspektive zu binden. Soziale Wirklichkeit ist laut Schatzki der Teil der Wirklichkeit, der für Menschen erfahrbar ist, insofern sie sich als Teilnehmer eines gemeinsamen menschlichen Lebens verstehen. Vgl. Schatzki 1988, 243 f. und 250.

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KAPITEL 6

6.2 Gemeinsame Nenner 6.2.1 H. L. A. Hart Ich habe dafür argumentiert, dass der Begriff der Handlung und alle anderen Begriffe, mit denen wir sagen, wie es Personen geht und was für sie gerade anliegt, Zuschreibungsbegriffe sind. Auch der Akteursbegriff. Er umfasst die Geltung, die wir für andere Akteure haben und andere Akteure für uns, vorausgesetzt, wir verstehen uns selbst als Akteure und nehmen andere aus der Perspektive von Akteuren wahr. Mit Zuschreibungen können wir die Bedeutung explizit machen, die das körperliche Verhalten anderer für uns hat. [↑4.2; 5.3] Zum Abschluss meiner Arbeit will ich für die drei behandelten Zuschreibungskonzeptionen zusammenfassen, inwiefern sie absichtliches Handeln als Gegenstand einer Zuschreibung darstellen. Dabei will ich zeigen, dass Handlungszuschreibungen nach allen drei Konzeptionen eine bestimmte Weise der Individuation voraussetzen. Denn sie alle stellen Handlungen als basale Bausteine der Wirklichkeit dar, insofern die Wirklichkeit von Akteuren wahrgenommen wird. Dieser Gedanke findet sich in Harts The Ascription of Responsiblity and Rights in Form der Feststellung, dass wir im Alltag zwischen Handeln und bloßem Verhalten unterscheiden, ohne je explizite Definitionen für diese Begriffe gelernt zu haben. Wenn wir keine Definition für absichtliches Handeln kennen, es aber trotzdem von anderem Geschehen unterscheiden können, dann treffen wir diese Unterscheidung offensichtlich nicht durch die Überprüfung notwendiger und hinreichender Bedingungen. Aber wie sonst? Von dieser Frage geht Hart aus, und seine Antwort lautet: Wir treffen die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten, indem wir bestimmte soziale Praxen vollziehen. Dazu gehören Verantwortungszuschreibungen und Entschuldigungen. Diese beiden Praxen verhalten sich komplementär zueinander; Entschuldigungen stellen das Ausschlussverfahren für Verantwortungszuschreibungen dar. Ein Verhalten, für das eine Akteurin keine Entschuldigung hat, gilt als ihre eigene Handlung. Dafür ist sie verantwortlich. Die wichtigsten Kritikpunkte an dieser Konzeption sowie mögliche Verteidigungen bzw. Korrekturen habe ich diskutiert. [↑3.2.1–3.2.6] Weitaus wichtiger ist mir jedoch ein Gedanke von Hart, der bei allen Unzulänglich-

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keiten der Ausarbeitung auf etwas Entscheidendes weist: Entschuldigungen und Verteidigungen stellen keine Reaktionen auf eine Disjunktion zwischen Handeln und bloßem Verhalten dar, die wir als gegeben vorfinden, gleichsam als Disjunktion verschiedener natürlicher Arten. Sich für ein Verhalten zu entschuldigen oder sich in anderer Weise dafür verantwortlich zu zeigen, heißt vielmehr, diesem Verhalten Handlungsgeltung zuzubilligen. Indem wir jemanden beschuldigen, gilt sein Verhalten als absichtliches Handeln. Indem wir zugestehen, dass jemand für irgendein Verhalten und dessen Folgen nichts konnte, sprechen wir ihm Handlungsgeltung ab. Die Entscheidung über die Handlungsgeltung geht den jeweiligen sozialen Praxen nicht voraus, sie besteht in deren Ausführung. Hart zufolge müssen wir deshalb die Kriterien untersuchen, unter denen wir Anschuldigungen, Vorwürfe und Entschuldigungen äußern oder zurückweisen, um Kriterien der Handlungsgeltung zu finden. [↑3.1.1] Eine Konsequenz hieraus ist die Gradualität der Handlungsgeltung: Unser Tun und Lassen fällt nicht entweder in den Bereich des absichtlichen Handelns oder in den Bereich des bloßen Verhaltens. Die Begriffe sind distinkt, doch stehen sie nicht für disjunkte Bereiche, sondern für Pole eines Kontinuums. Nach der Handlungsgeltung eines Verhaltens zu fragen, heißt, einem Wirklichkeitsausschnitt unter einer Beschreibung der Form ‚A a-t‘ eine Stelle im Kontinuum zwischen Handeln und bloßem Verhalten zuzuweisen.32 Eine zweite Konsequenz ist die unaufhebbare Anfechtbarkeit der Handlungsgeltung. Die Zuschreibung einer absichtlichen Handlung muss sich praktisch bewähren, sie muss zu den Regeln, Normen und Erwartungen einer Akteursgemeinschaft passen und darf ihrem Wissen über menschliche Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht zuwiderlaufen. Weil eine Handlungszuschreibung aber keiner generellen Definition von ‚Handlung‘ unterliegt, sondern situations- und akteursrelativen Kriterien, können neue Fakten oder Faktengewichtungen eine Korrektur herausfordern. [↑3.1.2] Kriterien sind Fakten, die in konkreten Situationen dafür sprechen, dass ein bestimmter Begriff oder eine bestimmte Aussage zutreffen. Sie verleihen Gewissheit, dass etwas der Fall ist, das mit diesem Begriff oder mit dieser Aussage erfasst wird. Die Gewissheit etwa, dass Mr. Smith mit Ab_____________ 32

Vgl. auch Hornsby 2004 b, 183.

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KAPITEL 6

sicht eine Frau schlägt, kann ziemlich stabil sein – unumstößlich ist sie nicht. Hart meint, wir könnten zu keiner Zeit ausschließen, dass sich unsere Kenntnisse oder unsere Ansichten über Situationen und ihre Teilnehmer so verändern, dass wir unsere Ansicht über die Handlungsgeltung eines Verhaltens ändern. Das kann zur Folge haben, dass wir Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen im Nachhinein korrigieren müssen, vielleicht auch Lob oder Tadel nachholen oder zurückziehen. [↑3.1.3] Dieser Anfechtbarkeit von Zuschreibungen gilt Harts Hauptinteresse. Sie stellt gleichsam die Kehrseite der Undefinierbarkeit des Handlungsbegriffes dar: Wenn es keine notwendigen und gemeinsam hinreichenden Bedingungen der Handlungsgeltung gibt, dann lässt sich Handlungsgeltung auch nicht erweisen, indem man hinreichende Bedingungen als erfüllt aufzeigt. Mit Handlungszuschreibungen der Form ‚A a-t (absichtlich)‘ wird einem Verhalten eine bestimmte Rolle im Leben von Akteuren zugesprochen. Diese Rolle schließt ein, dass bestimmte normative Reaktionen angebracht und vertretbar sind. Eine Anfechtung besagt, dass solche Reaktionen für das fragliche Verhalten wider den ersten Eindruck nicht angebracht und vertretbar sind. Danach sind Entschuldigungen Hinweise auf übersehene oder unterbewertete Fakten, die gegen die Handlungsgeltung eines Verhaltens sprechen. Handlungsgeltung wird aus der Perspektive konkreter Teilnehmer einer konkreten Situation zugeschrieben. Aus unterschiedlichen Perspektiven können unterschiedliche Fakten erkennbar sein. Außerdem können Kriterien der Verantwortung und der Entschuldbarkeit von Gemeinschaft zu Gemeinschaft variieren oder sich im Laufe der Zeit verändern. Die von Hart betonte Anfechtbarkeit des Handlungsbegriffes ist deshalb kein Mangel, sondern ein Vorzug seiner Konzeption. Zuschreibungen von Absichten, Gründen, Zielen und Zwecken, wie Handlungsaussagen sie implizieren, sind perspektivenabhängig und können solange qualifiziert werden, bis sie einer gegebenen Situation und ihren Akteuren gerecht werden. Dass Handlungsgeltung stets von Beobachtern mit einer bestimmten Perspektive auf Situation und Akteure befunden wird, heißt also nicht, dass Handlungszuschreibungen gegen Kritik immun sind. Um sie anzufechten, muss man Fakten benennen, die gegen eine vorgenommene Zuschreibung sprechen. So könnte Mr. Smith erklären, er habe die Frau, die er geschlagen hat, für einen Angreifer gehalten und sich zur Wehr setzen wollen. Aus

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seiner Perspektive erschien die harmlose Mrs. Jones wie ein Angreifer. So gesehen ist die Zuschreibung, Smith habe Jones aus böser Absicht geschlagen, unhaltbar. Anfechtungen lassen sich als Vorschläge verstehen, ein Geschehen aus der Erste-Person-Perspektive eines anderen Situationsteilnehmers zu betrachten. Darum sind die Fähigkeiten zur Reflexion des eigenen Standpunktes und zum Perspektivenwechsel für Akteure so wichtig. [↑5.3.2] Die Anfechtbarkeit von Handlungszuschreibungen schlägt sich in der logischen Struktur des Handlungsbegriffes nieder. Während das logische Standardformat definierbarer Begriffe die allquantifizierte wechselseitige Implikation ist, ergibt sich für Harts Handlungskonzept eine dialogische Struktur. Die Möglichkeit eines kritischen – Kriterien abwägenden – Dialogs ist für den Handlungsbegriff wesentlich, weil er die Geltung eines Verhaltens erfasst, seine Rolle für Akteure, innerhalb einer Gemeinschaft. Um einem Verhalten angemessene Geltung zuzubilligen, sind die geltungskritischen Fragen ‚Wie siehst du das? Wie nimmt sich dieses Geschehen aus deiner Perspektive aus?‘ hilfreich, wie sie in einem Dialog zwischen Akteuren und Beobachtern (die ihrerseits Akteure sind) aufkommen können. [↑3.3.1–3.3.2] Mit dem Schema D habe ich die Struktur des Handlungsbegriffes nach Hart veranschaulicht: D

B1 – A a-t B2 – Merkt A, dass sie a-t? Irrt sich A? Wird A gezwungen zu a-en? Kennt A die a-Regeln? Hat A etwas missverstanden?…

Entweder: B1 – Ja, offenbar irrt sich A oder wird gezwungen oder… Oder: B1

– Nein, offenbar ist keine Anfechtungsbedingung erfüllt

Natürlich muss man den Handlungsbegriff nicht in dieser Form rekonstruieren. Man könnte Harts Auffassungen deskriptiv wiedergeben und erläutern, dass er Handlungen als Verhalten versteht, für das Fragen wie ‚Macht A einen Fehler? Wird A gezwungen zu a-en?‘ usw. negativ zu beantworten sind. Es kam mir jedoch darauf an zu zeigen, dass mit diesen Anfechtungs-

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KAPITEL 6

fragen die Perspektive eines zweiten Situationsteilnehmers ins Spiel kommt. Der zuschreibende Beobachter hat nicht das letzte Wort, seine Zuschreibung muss sich gegenüber Anfechtungsfragen bewähren. Während die Erfülltheit von notwendigen und hinreichenden Bedingungen einer Begriffsdefinition prinzipiell aus jeder denkbaren Perspektive überprüfbar sein soll, ist es für den Handlungsbegriff wesentlich, dass seine Verwendung aus der Perspektive des einen Beobachters angemessen erscheinen kann, sich aus einer anderen Perspektive jedoch als unangemessen erweist. Wohlgemerkt: Es handelt sich in jedem Fall um Erste-Person-Perspektiven, aber jeweils um eine andere. Verschiedene Beobachter können aus guten Gründen verschiedener Ansicht über die Handlungsgeltung dessen sein, was Dritte oder sie selbst tun, ohne dass genau einer von ihnen die einzig richtige Ansicht vertritt, während alle anderen die Dinge falsch sehen. Einmal zugeschriebene Handlungsgeltung bleibt für Anfechtungen offen, wohingegen die Erfülltheit definitorischer Bedingungen nicht dadurch in Frage gestellt werden kann, dass jemand erklärt, er sehe die Dinge anders. Definitionen dienen gerade dazu, die Bedeutung bestimmter Begriffe ohne spezifische Perspektivenbindung – objektiv – festzuhalten. Harts vordringliches Anliegen ist zu zeigen, dass eine solche Bestimmung nicht für alle alltäglich und philosophisch interessanten Begriffe möglich ist, beispielsweise nicht für den Begriff des Handelns. Mit meiner Interpretation von The Ascription habe ich zu zeigen versucht, dass dem Handlungsbegriff Perspektivität gleichsam eingebaut ist. Deshalb lässt sich seine Bedeutung am besten in Form eines dialogischen Sprachspiels erläutern, mit dessen Aufführung Handlungsgeltung etabliert, geschwächt oder verworfen wird. Indem zwei Akteure in einen solchen Dialog eintreten, machen sie ihre eigene Erste-Person-Perspektive auf die gemeinsame Situation explizit. Das setzt die Einsicht voraus, dass andere Teilnehmer zu anderen Ansichten darüber gelangen können, ob ein Dritter absichtlich handelt oder ob ihm ein entschuldbarer Fehler unterläuft. Die Fähigkeit zu dieser Einsicht stellt eine entscheidende Akteursfähigkeit dar. [↑3.3.3] So folgt die dialogische Struktur des Handlungsbegriffes schlicht aus der Tatsache, dass Handlungszuschreibungen von Akteuren vorgenommen werden, deren Weltzugang wesentlich perspektivisch ist. Akteure erfahren Wirklichkeit aus ihrer je eigenen Erste-Person-Perspektive, doch allemal

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als etwas, das sie betrifft und wozu sie sich unter Umständen verhalten müssen. Damit sind Erkenntnisse, die sich aus einer Akteursperspektive bieten, den Erkenntnissen objektiver Wissenschaft, die Abhängigkeiten von Erste-Person-Perspektiven zu vermeiden suchen, weder überlegen noch unterlegen – falls solch ein Vergleich überhaupt sinnvoll ist. Wichtig ist, beide Weisen des Weltzugangs zu unterscheiden, weil Handlungen für uns nur existieren, insofern wir die Welt als Akteure wahrnehmen – und das heißt zwangsläufig, sie aus der Erste-Person-Perspektive wahrzunehmen. Sehen wir von unserem Selbstverständnis als Akteure und von der Akteursgeltung, die wir von anderen präsumieren, ab, dann verlieren wir auch das Phänomen aus dem Blick, um dessen Beschreibung es eigentlich ging, das menschliche Handeln. Aus Harts Handlungskonzeption geht bei näherem Hinsehen nicht nur hervor, dass einzelne Handlungszuschreibungen eine partizipative Einstellung gegenüber Akteuren erfordern. Es wird auch deutlich, dass Akteursfähigkeiten Gegenstand einer Unterstellung, nicht einer Feststellung sind. Es ist unmöglich, empirische Untersuchungen über Intelligenz, Aufmerksamkeit und Einsichtsfähigkeit einer Person anzustellen und sich erst danach, falls sie den Akteurstest besteht, auf Argumentation und Interaktion mit ihr einzulassen. Der einzig mögliche Test für Akteursfähigkeiten ist, dass jemandes Verhalten für uns als absichtliches Handeln Sinn ergibt, dass es praktisch verständlich ist. So verständlich kann es aber nur sein, wenn wir vorwegnehmend unterstellen, dass diese Person Absichten formen, Gründe einsehen und Normativität verstehen kann. Die Unterstellung von Akteursfähigkeiten und damit eine partizipative Einstellung gegenüber anderen Menschen ist eine Voraussetzung dafür, die Bedeutung ihres Verhaltens zu erfassen. Mit der Anfechtbarkeit von Zuschreibungen hebt Hart nicht nur die Perspektivität der Handlungsgeltung hervor, sondern auch den präsumtiven Charakter der Akteursgeltung. Akteursgeltung ist per Präsumtion der Normalfall. Deshalb bedarf sie keiner besonderen Gründe und Rechtfertigungen. Sie ist aber nicht unaufhebbar. Es kann vorkommen, dass wir von jemandem sagen müssen: ‚But he is mad, poor man.‘

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6.2.2 Elizabeth Anscombe Elizabeth Anscombes Intention gibt an keiner Stelle Aufschluss darüber, ob sie Harts Aufsatz The Ascription kannte. Einige parallele Gedanken fielen bei der Interpretation dennoch ins Auge. Wie Hart wendet sich Anscombe gegen die Annahme, Handeln sei Verhalten mit einer besonderen Kausalgeschichte. Wie Hart stellt sie fest, dass sich die Unterscheidung zwischen Handeln und bloßem Verhalten nicht auf ontologische Arten bezieht, sondern auf verschiedene Weisen, ein Ereignis zu sehen. Noch einmal sei angemerkt, dass Anscombes Rede von Ereignissen im Zusammenhang mit Handlungen alltagssprachlich aufzufassen ist und keine physikalistischen Implikationen birgt. Für Anscombe sind Handlungen Ereignisse, weil man von ihnen sagen kann, dass sie stattfinden. Dies impliziert nicht, dass jeder Handlung genau ein n-Tupel von eindeutigen Raum-Zeit-Koordinaten zukommt. Anscombes erste Bestimmung von Handlungen ist negativ: Sie sind nicht die Kausalwirkungen von Handlungsabsichten. Sie schließt eine solche kausalistische Bestimmung vor allem deswegen aus, weil Absichten nach ihrer Ansicht keine Ereignisse sein können, nicht einmal im alltagssprachlichen Sinn. Folglich können Absichten keine Kausalursachen sein, zumindest nicht nach dem Standardkonzept der Kausalität, das nur Ereignisse als Relata zulässt. Es geht Anscombe aber nicht allein darum, die Kausalitätsannahme zu widerlegen. Sie richtet sich grundsätzlicher gegen dualistische Personalitätskonzepte, die ‚Geist‘ oder, wie ich das englische ‚mind‘ lieber übersetze, Mentalia als Sonderform der Wirklichkeit im Inneren von Personen verorten. Mit dieser Innen-Außen-Spaltung wird die Annahme grenzüberschreitender Kausalrelationen unvermeidlich. Nur so ist ja erklärbar, wie innere Absichten einer Person zu äußeren Körperbewegungen führen können. Kausalistische Handlungskonzeptionen, die auf einem Dualismus von physischer und mentaler Wirklichkeit aufbauen, verkennen nach Anscombe einige entscheidende Tatsachen. Eine dieser Tatsachen ist, dass wir recht treffsicher erkennen, für welche Ausschnitte der Wirklichkeit sich die Frage, ob sie absichtlich oder unabsichtlich stattfinden, überhaupt stellt. Wir fragen beispielsweise nicht, ob ein Baum absichtlich seine Blätter fallen lässt oder ob ein Wasserhahn absichtlich tropft. In diesen Fällen ist die Frage der Absichtlichkeit nicht of-

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fen, die Antwort ist ganz unabhängig von den konkreten Umständen klar. Dagegen ist die Frage, ob eine Akteurin etwas absichtlich fallen lässt, ebenso offen wie die Frage, ob sie absichtlich den Wasserhahn tropfen lässt. In beiden Fällen kann die Antwort entweder Ja oder Nein lauten. Woran liegt das? Warum kann etwas, das eine Akteurin tut, entweder absichtlich oder unabsichtlich sein? Anscombe sagt: Akteure können Gründe haben, Bäume nicht. Es ist eine einfache, aber entscheidende Tatsache, dass man durch ‚absichtlich‘ und ‚unabsichtlich‘ nur das Verhalten von Wesen beschreiben kann, die Gründe haben können. ‚Absicht‘ und ‚Absichtlichkeit‘ bezeichnen nach Anscombes prominenter Formulierung eine Weise der sprachlichen Bezugnahme auf das Verhalten gründefähiger Wesen. Eine Absicht bzw. einen Grund zu haben, heißt nicht, ein spezielles Ereignis im Inneren seiner Person zu beherbergen. Es heißt, sich so zu verhalten, dass das Attribut ‚absichtlich‘ auf das Verhalten passt. Die interessante handlungstheoretische Frage lautet für Anscombe daher nicht, was Absichten oder Handlungen sind, sondern unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten entweder absichtlich oder unabsichtlich sein kann. Nur unter diesen Voraussetzungen stellt sich ernsthaft die Frage, ob das Verhalten eine Handlung ist oder bloßes Verhalten. Folgendes stellt Anscombe dazu fest: (1) Wir fragen nach der Absichtlichkeit eines Verhaltens nur, wenn wir annehmen, dass die Ausführenden von ihrem eigenen Verhalten wissen, ohne sich erst selbst zu beobachten. Ein Baum weiß nicht, dass er Blätter fallen lässt, weil er sich nicht als Baum, der Blätter fallen lassen kann, wahrnehmen und diese Wahrnehmung artikulieren kann. Eine Akteurin hingegen kann sich selbst als jemand verstehen, die etwas fallen lässt, und sie kann dieses Selbstverständnis in einer Aussage der Form ‚Ich a-e‘ explizit machen. [↑4.1.2] (2) Wir fragen nach der Absichtlichkeit von Verhalten nur, wenn wir annehmen, dass die Ausführenden von ihrem Verhalten praktisches Wissen haben. Praktisches Wissen erweist sich in der Fähigkeit, eine bestimmte Beschreibung des eigenen Verhaltens nicht nur zu geben, sondern wahr zu machen. So wüsste eine Akteurin, dass sie einen Kuchen bäckt, selbst wenn sie im Augenblick erst dabei ist, Mehl und Zucker abzuwiegen. Ihr praktisches Wissen ist Wissen vom eigenen Verhalten, sofern es absichtlich ist. Es stellt somit normatives Wissen dar: Wer weiß, was er tut, kann auch beurteilen, ob es ihm gelingt oder ob ihm Fehler unterlaufen.

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Ich habe Anscombes Ausführungen zum praktischen Wissen so ausgelegt, dass es sich auf die Bedeutung eigenen Verhaltens bezieht, nicht auf dessen faktische Beschaffenheit. Welche Muskeln und Nerven wir zum Einsatz bringen, wenn wir einen Kuchen backen oder andere Handlungen ausführen, wissen wir selbst meist nicht genau. Gleichwohl können wir in der Regel angeben, welche Handlungen wir ausführen (wollen), und wir wissen, wie wir unsere Bewegungen lenken müssen, damit gelingt, was wir vorhaben. [↑4.1.3] Mit der Bestimmung von Handlungen als Verhalten, das mit dem Attribut ‚absichtlich‘ beschrieben werden kann, schlägt Anscombe eine Brücke zwischen den verschiedenen Erste-Person-Perspektiven von Akteuren und Beobachtern. Praktisches Wissen kommt Akteuren zu; Beschreibungen sind Sache des Beobachters. Die Beschreibung eines Beobachters ist angemessen, wenn sie das praktische Wissen der Akteurin auf Begriffe bringt, wie es sich in ihrem körperlichen Verhalten ausdrückt. Die Handlungsbeschreibung eines Beobachters muss durch das Verhalten der Akteurin gerechtfertigt sein, umgekehrt muss mit dem Verhalten selbst zum Ausdruck kommen, dass eine Beschreibung als absichtliches Handeln angemessen ist. Auch die Akteurin selbst kann ihr praktisches Wissen nur in Begriffe einer gemeinschaftlichen Sprache fassen. Aussagen der Form ‚Ich a-e‘ sollen für Dritte nicht nur verständlich, sondern nachvollziehbar sein. Dritte sollten aus ihrer Beobachterperspektive eine analoge Aussage der Form ‚A a-t‘ bestätigen können. Durch die wechselseitige Verbindung zwischen Akteurs- und Beobachterperspektive via gemeinsame Sprache ließ sich für Anscombe eine ähnliche Interpretation ihrer Handlungskonzeption vertreten wie für die von H. L. A. Hart: Mit der Beschreibung eines Verhaltens als absichtliches Handeln machen wir dessen Bedeutung für andere explizit, insofern diese anderen die Situation ebenfalls als Teilnehmer erleben, aus einer Erste-Person-Perspektive, mit ihrem Selbstverständnis als Akteure. Anscombe lässt keinen Zweifel, dass sie Handlungen für ebenso basale und irreduzible Konstituenten der Wirklichkeit hält wie Körperbewegungen oder physikalische Veränderungen materieller Objekte, für die sich die Absichtlichkeitsfrage nicht stellt: And in describing intentional actions as such, it will be a mistake to look for the fundamental description of what occurs – such as the movement of muscles or mol-

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ecules – and then think of intention as something, perhaps very complicated, which qualifies this. The only events to consider are intentional actions themselves, and to call an action intentional is to say it is intentional under some description that we 33 give (or could give) of it.

Jenseits oder ‚hinter‘ Handlungsbeschreibungen liegt nach Anscombes Auffassung gar nichts. Unter einer Handlungsbeschreibung versteht sie daher nicht einfach die Anwendung einer Sprache auf Gegebenheiten. Beschreibung heißt in diesem Fall auch Individuation: Eine Handlungsbeschreibung ist die Individuation einer Handlung, eine Aussage darüber, was wirklich stattfindet, nämlich ein Verhalten, das aus der Akteursperspektive eine bestimmte Bedeutung hat. Die Beschreibung einer Körperbewegung in physiologischen Begriffen individuiert nach anderen Individuationsbedingungen einen anderen Wirklichkeitsausschnitt. Deshalb wird man vergebens nach einer fundamentalen Beschreibung einer Handlung suchen, die selbst keine Handlungsbeschreibung ist. Handlungsbeschreibungen der Form ‚A a-t‘ sind fundamentale Beschreibungen. Sie beziehen sich wie Beschreibungen physikalischer oder physiologischer Prozesse auf basale Konstituenten der Wirklichkeit, nur legen sie andere Individuationsbedingungen zugrunde. Erstere erfassen materielle Beschaffenheit, letztere Bedeutung für Akteure. Anscombe erklärt, ein und dasselbe Verhalten könnte unter einer Beschreibung absichtlich sein, unter einer anderen unabsichtlich. Dabei setzt sie immer voraus, dass das fragliche Verhalten aus der Akteursperspektive betrachtet wird. Selbst die Aussage, jemand habe dies oder jenes unabsichtlich, versehentlich oder irrtümlich getan, macht die Bedeutung seines Verhaltens für Akteure explizit. Selbst diese Beschreibung ist kein physiologisches Protokoll von Muskel- und Nervenprozessen. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit aus der Perspektive eines Akteurs ist eine Voraussetzung nicht nur für die Individuation von Handlungen, sondern auch für die Individuation von Verhalten, dem keine Handlungsgeltung zukommt. Auch die Rede von bloßem Verhalten gewinnt ihre Bedeutung ja aus dem Kontrast zum absichtlichen Handeln. _____________ 33

Anscombe 1963 [1957], § 19, 29.

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KAPITEL 6

Bei Anscombe erscheinen Handlungsgründe als Spielzüge in einem bestimmten Sprachspiel. Der Eröffnungszug ist eine Warum-Frage der Form ‚Warum a-t A?‘ bzw. ‚Warum a-st du?‘ Diese Frage bezieht sich auf die Güte oder Nützlichkeit eines Verhaltens und ist daher nur in Bezug auf Akteure sinnvoll. Nur Akteure können ihr Verhalten nach Maßstäben der Güte oder Nützlichkeit ausrichten. Wie bei Hart bestimmt sich auch bei Anscombe Handlungsgeltung durch eine bestimmte Form des Dialogs. Verhalten gewinnt Handlungsgeltung, wenn der Beobachter auf die Frage ‚Warum a-st du?‘ eine Antwort der Form ‚Ich a-e, weil p‘ erhält, aus der hervorgeht, in welcher Hinsicht das Verhalten von A aus A’s Sicht gut oder nützlich ist. Mit der Aussage ‚Ich a-e, weil p‘ beschreibt die Akteurin nicht einfach Eigenschaften, die ihr Verhalten aufgrund seiner physikalischen Struktur oder seiner Kausalgeschichte besitzt. Sie legt vielmehr offen, wie man ihr Verhalten betrachten muss, damit es nachvollziehbar wird. Sie macht also nicht nur die Bedeutung explizit, die ihr Verhalten für sie selbst hat, sondern zugleich auch die Hinsicht, unter der Dritte diese Bedeutung erfassen können. Diese Explikation einer Hinsicht ist die Funktion der allgemeinen Motive, die Anscombe als notwendige, oft stillschweigend implizierte Teile einer Handlungsbegründung ausmacht: „To give a motive […] is to say something like ‚See the action in this light‘. To explain one’s own actions by an account indicating a motive is to put them in a certain light.“34 [↑4.1.1] Weil Handlungsgründe aufzeigen, was aus der Akteursperspektive an einem Verhalten gut oder nützlich ist, gibt es Gründe nur in einer Welt, in der Güte und Nützlichkeit zu ermessen sind. Dieses Maß kann kein physikalisches sein. Man kann das Gewicht eines Grundes nicht in derselben Weise ermitteln wie das eines Elefanten oder eines Planeten. Gründe werden in Argumentationen abgewogen, in Dialogen zwischen intelligenten, aufmerksamen, einsichtsfähigen, kritikzugänglichen Teilnehmern. Somit setzen alle Bestimmungen, die Anscombe für Absichten, Gründe und Handlungen herausarbeitet, Wesen mit Akteursfähigkeiten voraus.

_____________ 34

Anscombe 1963 [1957], § 13, 21.

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6.2.3 A. I. Melden Für Melden lässt sich am leichtesten zeigen, dass er Handlungen als unabdingbare, basale Teile der Wirklichkeit betrachtet, deren Individuation eine Erste-Person-Perspektive und, noch spezieller, Akteursfähigkeiten erfordert. Diese Überlegungen lässt sein Versuch erkennen, den Handlungsbegriff über die Begriffe der Regel und des Regelfolgens zu bestimmen. Dabei nimmt Melden an, Verhalten erlange Handlungsgeltung, weil und insofern es Regeln gibt, als deren Befolgung das Verhalten von anderen Personen verstanden werden kann. Obwohl dieser Ansatz von Melden letztlich nicht genügt, enthält er doch eine wesentliche Erkenntnis: Handlungsgeltung ist intersubjektiv überprüfbar und stellt dennoch keine physikalische Eigenschaft dar. Denn Regeln sind soziale Artefakte, über deren Bedeutung und Geltung eine einzelne Akteurin nicht verfügt. Da nun einmal die Regel gilt, dass sich der Läufer im Schach nur diagonal über das Brett bewegen darf, kann eine einzelne Spielerin nicht festlegen, ihr Läufer dürfe im ZickZack ziehen – jedenfalls nicht, wenn sie beansprucht, Schach zu spielen. Auch die Ausführungsregeln anderer Praxen sind für einzelne Akteure nicht frei verfügbar. Will sich jemand an einer etablierten Praxis beteiligen, dann muss er sich an die Regeln dieser Praxis halten, damit sein Verhalten als Instantiierung dieser Praxis für andere verständlich ist und sie diesem Verständnis entsprechend urteilen und reagieren können. Regeln sind Relationen, durch die Akteure ihr Handeln in bestimmten Situationen systematisch gestalten. Dies setzt ein Interesse an der systematischen Gestaltung von Situationen voraus, und auch dieses Interesse ist keine physikalische Eigenschaft menschlicher Körper. Gleichwohl ist es ein elementarer Zug des menschlichen Lebens, der Lebensform von Akteuren. Regelbefolgung und Regelverstöße sind ebenso wirkliche Geschehnisse wie der Fall eines Blattes vom Baum. Regeln, zumal konstitutive Regeln, machen die Ausführung bestimmter Handlungen allererst möglich, sie ermöglichen die Individuation einzelner Ausführungen dieser Art von Handlungen. Weil es Schachregeln gibt, können Schachzüge stattfinden – ganz real und intersubjektiv überprüfbar. Bestimmte Regeln ermöglichen die Individuation eines Läufer-Zuges, indem sie diese Art von Handlungen konstituieren. [↑5.1.1–5.1.2] Melden erweitert seinen ersten Ansatz, indem er in der späteren Mono-

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KAPITEL 6

grafie Free Action neben Regeln eine Fülle weiterer Faktoren benennt, welche die Individuation von Handlungen ermöglichen: Ideen, Begriffe, Muster, Bräuche sowie das äußere Umfeld, in dem sich Akteure mit ihren diversen interpersonellen Relationen begegnen. Diese Faktoren ermöglichen das praktische Verstehen von Verhalten, wobei offensichtlich keiner dieser Verständlichkeitsfaktoren in den Bereich der Physik fällt. [↑5.2.1] Häufig fasst Melden praktisches Verstehen in visuelle Metaphern. Er erklärt, dass wir nicht nur Körperbewegungen, sondern auch Handlungen sehen können. Zugleich stellt er klar, dass Verständlichkeitsfaktoren nicht die Prämissen einer Deduktion bilden. Wir schließen nicht logisch aus einer Reihe von Beobachtungen darauf, dass eine Person dieses absichtlich tut, jenes unabsichtlich. Handlungen zu sehen bedeutet, das Verhalten anderer unmittelbar als Handlungen wahrzunehmen, es unmittelbar als Handeln zu verstehen. Normalerweise, in normalen Situationen und in der Begegnung mit normalen Akteuren, ist es daher nicht nötig, eine ausdrückliche Entscheidung über die Handlungsgeltung ihres Verhaltens zu treffen. Handlungen unmittelbar zu sehen heißt, unmittelbar gewiss zu sein, dass jemandes Verhalten unter eine bestimmte Beschreibung der Form ‚A a-t (absichtlich)‘ fällt. Zu diesem unmittelbaren praktischen Verständnis von Verhalten verhelfen Verständlichkeitsfaktoren. Sie ermöglichen die Individuation von Handlungen, indem sie Gewissheit über die Bedeutung eines Verhaltens in einem bestimmten praktischen Kontext verleihen. [↑5.2.4–6] Melden widmet weite Teile von Free Action der Diskussion des Akteursbegriffes. In dieser Diskussion untersucht er, welche Fähigkeiten es Akteuren erlauben, Handlungen und andere Lebensbedingungen anderer Personen unmittelbar zu sehen. Im Zuge von Meldens Darlegung wird bald deutlich, dass sich Akteure in erster Linie durch eine bestimmte Einstellung zur Wirklichkeit auszeichnen: Akteur ist, wer sich selbst und daher auch andere als Akteure wahrnimmt. Melden liefert dafür eine genealogische Erklärung. Er verweist darauf, wie wir lernen, uns selbst und andere als Akteure wahrzunehmen und unser eigenes Verhalten wie das anderer Personen als absichtlich zu verstehen. Dieser Lernprozess besteht nach Meldens Beobachtung vor allem darin, dass wir von kompetenten Akteuren in ihre Interaktionen eingebunden werden, wobei sie uns Regeln und Normen lehren und erwarten, dass wir sie ebenfalls einhalten. Durch die praktische Integration in die Vollzüge anderer Akteure gewinnen wir ein Selbst-

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verständnis als Akteure und fassen jene Einstellung gegenüber anderen, die ich in der Akteurspräsumtion erfasst habe. Da wir in Gemeinschaften hineinwachsen, in denen wir als Akteure angesehen werden, können wir uns nicht gegen diese Lebensform entscheiden. Wir können uns nicht dagegen entscheiden, die Sprache von Akteuren zu lernen und infolgedessen Warum-Fragen, Aufforderungen, Gründe und moralische Urteile zu verstehen. Nichtsdestoweniger sind Akteursfähigkeiten trainierbar. Intelligenz und Aufmerksamkeit können ebenso geübt werden wie motorisches Geschick. Selbstdistanzierung und kritische Beurteilung der eigenen Wünsche, Überzeugungen und Handlungen gelingen keineswegs allen Akteuren gleich gut, und nicht alle Akteure erlangen Weisheit und Umsicht in einem so anspruchsvollen Sinn, wie ich ihn mit Annette Baier geschildert habe. [↑5.3.1–5.3.2] Die Akteurspräsumtion PA* [↑6.1] stellt gleichsam die Quintessenz meiner Interpretationen von Hart, Anscombe und Melden dar: PA*

Verhalte dich gegenüber anderen so, als ob sie Akteure wären, die sich intelligent und aufmerksam, absichtlich und potentiell begründbar verhalten und die sich als Akteure verstehen wie du selbst – solange bis zureichende Gründe dagegensprechen.

Ich habe die Ansätze aller drei Autoren so gedeutet, dass sie Handlungen als basale Konstituenten der Wirklichkeit auffassen, sofern Konstituenten der Wirklichkeit nicht nach physikalischen Parametern individuiert werden. Die Akteurspräsumtion spezifiziert die Perspektive, die man einnehmen muss, um Handlungen zu sehen. Sie ist eine Voraussetzung für die Existenz von Handlungen, weil sie eine Voraussetzung dafür ist, Kriterien der Handlungsgeltung zu verstehen, wie sie sich bei Hart, Anscombe und Melden herausarbeiten lassen.

6.3 Handlungstheorie und Ontologie Zum Abschluss meiner Arbeit möchte ich eine Überlegung anbringen, die auf meinen Interpretationen der Handlungskonzeptionen von H. L. A. Hart, Elizabeth Anscombe und A. I. Melden aufbaut. Diese Überlegung weist über die konkreten Handlungskonzeptionen und den speziellen Kontext der

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KAPITEL 6

Gründe-Ursachen-Debatte hinaus, sie betrifft die Einordnung der Handlungstheorie ins Spektrum der Philosophie. Erinnerlich trennt Kausalisten und Nicht-Kausalisten vor allem die Frage, auf welche Weise – durch welche Art von Bedingungen – sich Handlungen und Handlungsgründe identifizieren und individuieren lassen. Melden bringt die Position der Nicht-Kausalisten exemplarisch auf den Punkt: „No further description of the bodily movement in respect of its properties as a bodily movement could possibly disclose that additional feature that makes it a case of an action.“35 Diese Aussage richtet sich gegen die Vorstellung, man könne die Handlungen einer Person anhand physiologischer Eigenschaften von ihrem sonstigen Verhalten abgrenzen. An einer späteren Stelle lässt Melden erkennen, dass er weder Gründe noch Absichten oder Überzeugungen für eine Art von physiologischen Phänomenen hält. Aussagen der Form ‚A will a-en‘ stellen keine bloße façon de parler dar, die durch physiologische Beschreibungen ersetzbar ist, sondern Charakterisierungen einer Person bzw. ihrer Lebensbedingungen: „The things wanted by a person are a reflection of his interests and of the sort of agent he is – they extend far beyond the range of his bodily appetites and needs.“36 Demnach setzt die Rede von Wünschen kein physikalisches Konzept der Kausalität voraus, sondern ein philosophisches Konzept von Personen, genauer: von Akteuren. Den zitierten Aussagen von Melden liegt, wie auch den Handlungskonzeptionen von Hart und Anscombe, ein Gedanke zugrunde, der die Ontologie von Handlungen betrifft und den ich zum Abschluss aufgreifen und verteidigen möchte. Ein Blick zurück an den Beginn dieser Arbeit: In der Einleitung habe ich die Hintergründe der kausalistischen und nicht-kausalistischen Handlungskonzeptionen geschildert, aus deren Widerstreit die moderne Analytische Handlungstheorie hervorging. Diese Auseinandersetzung spiegelt den Gegensatz zwischen Physikalismus und Nicht-Physikalismus wider. Beide Positionen können als Grundeinstellungen aufgefasst werden, die wir gegenüber der Wirklichkeit einnehmen können, wenn wir uns speziellen Phänomenen zuwenden, um sie zu beschreiben und zu erklären. _____________ 35 36

Melden 1961, 85 (meine Hervorhebung). Melden 1961, 143 (meine Hervorhebung).

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Kausalistische Handlungskonzeptionen stammen meist von Autoren mit physikalistischer Grundeinstellung; nicht-kausalistische von Autoren, die den Physikalismus in der philosophischen Handlungstheorie für inadäquat halten. In der Gründe-Ursachen-Debatte nahmen Nicht-Kausalisten hauptsächlich Anstoß an dem reduktionistischen Anspruch, der mit der physikalistischen Grundhaltung oft einherging. Diesem Anspruch nach genügen physiologische Begriffe zur Beschreibung und Erklärung von Handlungen vollauf; alles Wahre und wissenschaftlich Relevante über Handlungen lasse sich in den Begriffen von Köperbewegungen, Muskelaktivität und neurologischen Prozessen formulieren. Solch ein Reduktionismus auf der begrifflichen Ebene wurde meist ontologisch begründet: Man könne menschliches Handeln vollständig in physiologischen Begriffen beschreiben, weil es nichts anderes als ein physiologischer Prozess sei. Handlungen hätten keine (wissenschaftlich relevanten) Eigenschaften, die sich einer physiologischen Erklärung grundsätzlich entziehen. [↑1.1] Diese ontologische These bestreiten Nicht-Kausalisten und mit ihr auch den Anspruch begrifflicher Reduzierbarkeit. Nicht-Kausalisten betrachten Handlungen und Handlungsgründe als eigenständige, irreduzible Konstituenten der Wirklichkeit. Ob eine Körperbewegung als Handlung gilt oder nicht, macht einen Unterschied dafür, wie die Wirklichkeit ist, und nicht nur dafür, was wir über die Wirklichkeit sagen können. Kurz: Handlungsgeltung ist ontologisch relevant. Der grundlegende Irrtum in den kausalistischen Ansätzen besteht dieser Auffassung zufolge in der Annahme, dass physikalische Methoden die einzig möglichen Methoden sind, um Konstituenten der Wirklichkeit zu bestimmen. Physikalisten meinen, alles, was es wirklich gibt, sei durch physikalische Merkmale identifizierbar. Sie schließen die Möglichkeit alternativer Identifikations- und Individuationsweisen von vornherein aus. Nicht-Kausalisten weisen auf die Grenzen, die blinden Flecken dieser Vorannahme hin: Wenn man die physikalistische Grundeinstellung und die Verfahren der Identifikation und Individuation, die sie erlaubt, für die einzige Möglichkeit hält, wird man irrigerweise versuchen, auch menschliches Handeln durch physikalische Eigenschaften zu bestimmen. Die Gegenposition der Nicht-Kausalisten lautete in meiner Rekonstruktion: Handlungen sind durch ihre Bedeutung bestimmt, nicht durch ihre Beschaffenheit. Eine Handlung ist ein Geschehnis mit einer bestimmten Bedeutung für Akteure;

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KAPITEL 6

Akteure besitzen die Fähigkeit, eine partizipative Einstellung zur Wirklichkeit einzunehmen. Handlungen konstituieren die Wirklichkeit – die Lebenswirklichkeit – von Akteuren, deshalb beschränkt sich das Interesse einer philosophischen Handlungstheorie nicht nur darauf, Handlungen physikalisch zu beschreiben und kausal zu erklären. Es richtet sich auch darauf, ihre Bedeutung für Akteure zu erklären, das heißt den Unterschied, den die Ausführung einer Handlung im Kontext einer Akteursgemeinschaft oder im Kontext einer Akteursbiografie macht. Wenn jemand handelt, verändert sich die Wirklichkeit nicht nur insofern, als bestimmte physiologische Prozesse ablaufen, sondern auch insofern, als Personen bestimmte Erfahrungen machen: Jemandem gelingt etwas, jemandem wird geholfen, jemand erleidet Schaden, jemand scheitert. Dieser zentrale Gedanke des Nicht-Kausalismus lässt sich in der Aussage fassen, dass Handlungen nur aus der Erste-Person-Perspektive erkennbar sind. Wie der Physikalismus ist die Erste-Person-Perspektive eine Grundeinstellung gegenüber der Wirklichkeit. Wie der Physikalismus kann auch die Erste-Person-Perspektive einer Behandlung ontologischer Fragen zugrunde liegen. Beide Perspektiven erlauben es, Erkenntnisse über die Wirklichkeit zu gewinnen. Wie die Akteursperspektive sich als Spezialisierung der Erste-Person-Perspektive betrachten lässt, könnte man den Physikalismus als Spezialisierung der Dritte-Person-Perspektive ansehen.37 Diese beiden Perspektiven unterscheiden sich insofern, als sie Manifestationen unterschiedlicher menschlicher Fähigkeiten darstellen: Die ErstePerson-Perspektive ist eine Anwendung unserer Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit, das heißt der Fähigkeit, eigene Lebensbedingungen begrifflich zu fassen und Gegebenheiten daraufhin zu beurteilen, ob sie unsere Lebens_____________ 37

Indem ich Erste-Person-Perspektive und Dritte-Person-Perspektive als Grundeinstellungen gegenüber der Wirklichkeit und damit als Voraussetzungen für verschiedene Individuationsweisen betrachte, folge ich einem Vorschlag von Frederick Stoutland. Er beschreibt den Physikalismus als Individuationsweise, ich binde diese Individuationsweise an die Dritte-Person-Perspektive. So wie ich Erste- und DrittePerson-Perspektive für vereinbare, aber verschiedene Weisen des Wirklichkeitszugangs halte, plädiert Stoutland für die Verschiedenheit und Vereinbarkeit physikalischer und nicht-physikalischer Individuationsmethoden. Allerdings erklärt er nicht, welche Individuationsbedingungen für nicht-physikalische Einzeldinge gelten könnten. Vgl. Stoutland 1997, 66–70.

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bedingungen beeinflussen. [↑6.1.3] Die Dritte-Person-Perspektive ist hingegen eine Anwendung unserer Fähigkeit, von uns selbst und unseren eigenen Lebensbedingungen abzusehen. Aus der Dritte-Person-Perspektive betrachten wir Gegebenheiten ohne Rücksicht darauf, ob sie beeinflussen, wie es uns geht und was für uns gerade anliegt. Im Physikalismus manifestiert sich die menschliche Fähigkeit zur Suspension der Selbstbezüglichkeit, zur Selbstdistanzierung und zur Objektivierung eigener Lebensbedingungen. Ich glaube nun, dass diese Unterscheidung zwischen drittpersonalem (objektivem, physikalistischem) Wirklichkeitszugang und erstpersonalem (partizipativem, nicht-physikalistischem) Wirklichkeitszugang auch jener Auffassung zugrunde lag, die Charles Landesman als Neuen Dualismus beschrieben hat.38 [↑1.6] Zur Erinnerung: Neue Dualisten führten die Gründe-Ursachen-Debatte auf die unbedachte Vermengung verschiedener Sprachen oder Sprachbereiche zurück – vor allem auf der Seite der Kausalisten. Exemplarisch macht A. I. Melden auf die „radically different logical characteristics of the two bodies of discourse“39 aufmerksam, wenn wir einerseits von Körperbewegungen und neuronalen Prozessen sprechen, andererseits von Handlungen und Handlungsgründen. Neue Dualisten forderten eine saubere Trennung zwischen der Sprache der Physik (als pars pro toto der Naturwissenschaften) und der mentalen Sprache mit ihrem reichen Repertoire an Begriffen für Lebensbedingungen. Die mentale Sprache enthält Ausdrücke wie ‚Wunsch‘, ‚Handlung‘, ‚Grund‘ oder ‚Absicht‘ und sie erlaubt, Lebensbedingungen in diesen Begriffen zu fassen. In den Begriffen der mentalen Sprache können wir sagen, wie es uns oder einem anderen geht, was gerade anliegt oder was für eine Person jemand ist. Die mentale Sprache ist die Alltagssprache von Akteuren, die ihre Lebenswirklichkeit aus der Erste-Person-Perspektive wahrnehmen und Begriffe brauchen, um die Bedeutung von Geschehnissen oder Personen für sie selbst explizit zu machen. Es ist unmöglich, solche Artikulationen in der physikalischen Sprache zu formulieren, sie enthält beispielsweise keine Pronomen wie ‚ich‘ und ‚du‘. Die physikalische Sprache _____________ 38 39

Vgl. Landesman 1965. Melden 1961, 184.

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KAPITEL 6

dient dazu, Phänomene ungeachtet eigener Lebensbedingungen und Wertungen zu beschreiben, als Objekte, deren Existenz nicht von unserer Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit und zur Artikulation eigener Lebensbedingungen abhängt. Der klassische Einwand gegen die Zwei-Sprachen-These des Neuen Dualismus liegt auf der Hand: Die Disjunktion zwischen physikalischer und mentaler Sprache ist willkürlich. Man mag stipulieren, dass ‚Ursache‘, ‚Körperbewegung‘ oder ‚Kausalgesetz‘ einer anderen Sprache angehören als ‚Grund‘, ‚Wunsch‘, ‚Handlung‘ und ‚Person‘. Da beide Sprachen nicht vermengt werden dürfen, ist die Frage, ob Gründe die Kausalursachen von Handlungen sind, schlicht untersagt. Die Gründe-Ursachen-Debatte wäre damit zwar beendet, gut begründet erscheint das Manöver jedoch nicht. Der Eindruck der Willkür verstärkt sich noch, wenn Neue Dualisten erklären, physikalische Sprache und mentale Sprache seien wechselseitig unübersetzbar. Wenn man in jeder von beiden Sprachen die ganze Wirklichkeit beschreiben kann, warum sollte man Beschreibungen nicht in die jeweils andere Sprache übersetzen können, indem man die Referenzobjekte der Beschreibung feststellt und dieselben Objekte in der anderen Sprache beschreibt? Warum sollte man nicht beispielsweise identifizieren, worauf sich die physikalische Beschreibung einer Körperbewegung bezieht, und dasselbe Phänomen dann in der mentalen Sprache beschreiben, als absichtliche Handlung einer Akteurin? Solange Neue Dualisten die Unübersetzbarkeitsbehauptung nicht sachlich rechtfertigen, bleibt der Eindruck, sie würden versuchen, die Gründe-Ursachen-Debatte abzuschneiden, statt zu ihrer Klärung beizutragen. Aber der Eindruck täuscht. Wenn ich das Anliegen der Neuen Dualisten recht verstehe, ist ihre Unterscheidung von physikalischer und mentaler Sprache keineswegs willkürlich. Sie wurde von ihren Verfechtern unzulänglich begründet, aber sie beruht auf einer wichtigen und treffenden Intuition. Ich glaube, dass Neue Dualisten physikalische und mentale Beschreibungen für autark halten, weil die jeweils beschriebenen Phänomene mithilfe unterschiedlicher menschlicher Fähigkeiten erkannt wurden. Die Zwei-Sprachen-These betrifft bei oberflächlicher Betrachtung das Vokabular, in dem wir die Wirklichkeit beschreiben. Genau besehen unterscheiden Neue Dualisten verschiedene Perspektiven auf die Wirklichkeit, verschiedene Grundeinstellungen, die wir einnehmen können, wenn wir uns der

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Wirklichkeit zuwenden und fragen, was es gibt, was etwas ist und wie es zustande kam. Ich sehe im Neuen Dualismus den Vorschlag, einen Dualismus von Wirklichkeitszugängen zuzulassen. So verstanden schlagen Neue Dualisten tatsächlich eine Brücke zwischen kausalistischen und nicht-kausalistischen Ansätzen: Die Erste-Person-Perspektive ist die Perspektive von Akteuren, die sich selbst, ihre Mitakteure und ihre Umgebung als etwas erleben, das sie betrifft, das sie werten und gestalten können. Als Akteure haben wir aber auch die Fähigkeit, von uns selbst abzusehen und uns auf die Beobachtung von Phänomenen zu beschränken, als ob wir nicht Teilnehmer derselben Wirklichkeit wären, die diese Phänomene ausmachen. Diese Fähigkeit zur Dritte-Person-Perspektive können wir in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen mit Gewinn einsetzen, aber es ist nicht die einzige Perspektive, aus der Erkenntnis über die Wirklichkeit möglich ist. Nach Auffassung der Neuen Dualisten erkennen wir auch aus der Erste-Person-Perspektive genuine Konstituenten der Wirklichkeit. Die Personen mit ihren Lebensbedingungen und Handlungen, die wir aus der partizipativen Erste-Person-Perspektive erkennen, sind in derselben irreduziblen Weise wirklich wie materielle Körper und ihre physikalischen Merkmale. Aus der Erste-Person-Perspektive machen die Lebensbedingungen anderer Personen einen Unterschied dafür, was wirklich der Fall ist. Die Wirklichkeit verändert sich, wenn sich die Überzeugungen und Wünsche ihrer Teilnehmer verändern – ihr körperliches Verhalten hat dann eine andere Bedeutung für andere Personen. Die Eigenständigkeit von Beschreibungen und Erklärungen aus der Erste-Person-Perspektive zeigt sich daran, dass Überzeugungen, Wünsche, Absichten und Handlungen nicht nur Explananda darstellen, sondern auch als Explanantia auftreten können. Wir können mentale Fakten über Personen anführen, um andere Phänomene zu erklären – auch physiologische Fakten. Geht es zum Beispiel darum, die neurologischen Korrelate einer Handlung zu beschreiben, müssen wir die Handlung zunächst ohne Verweis auf diese Korrelate identifizieren. Dabei wenden wir die Fähigkeit an, die Bedeutung des körperlichen Verhaltens von Akteuren zu verstehen. Wir können verstehen, welche Absichten Akteure in ihrem körperlichen Verhalten zum Ausdruck bringen, und daraufhin untersuchen, welche neurologischen Prozesse mit diesen Handlungsausführungen einhergehen. Nach meiner Interpretation besteht das Anliegen der Neuen Dualisten

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also darin, mentale Fakten und physikalische Fakten gleichermaßen ontologisch ernst zu nehmen. Die Zwei-Sprachen-These betrifft alternative Weisen der Identifikation und Individuation, nicht das Vokabular, in dem wir über Individuen sprechen. Neue Dualisten bemerken, dass Kausalisten den Handlungsbegriff zu bestimmen versuchen, als ob sie selbst keine Akteure wären und als ob das körperliche Verhalten anderer Akteure auf ihre Lebensbedingungen keinen Einfluss hätte. Dagegen halten Nicht-Kausalisten die Idee, menschliches Handeln objektiv, ohne Rücksicht auf unser Selbstverständnis als Akteure zu beschreiben, für verfehlt: Sobald man ausschließlich physikalische Identitäts- und Individuationsbedingungen anlegt, kann man weder Absichten noch Gründe oder Handlungen identifizieren. Der Haupteinwand der Nicht-Kausalisten gegen kausalistische Ansätze richtet sich folglich gegen die objektive Einstellung zur Wirklichkeit, von der diese Ansätze ausgehen und die sie als einzige Option betrachten. Die Gründe-Ursachen-Debatte ist deshalb so langwierig und verwickelt, weil Kausalisten aus der Dritte-Person-Perspektive zu bestimmen versuchen, was nach Auffassung der Nicht-Kausalisten nur aus der Erste-Person-Perspektive bestimmbar ist. An diesen Konflikt tragen Neue Dualisten die Idee des Individuationspluralismus heran, die ihrer Zwei-Sprachen-These meiner Auffassung nach zugrunde liegt.40 Neue Dualisten erkennen intuitiv die Möglichkeit, dass verschiedene Weisen der Identifikation und Individuation nebeneinander bestehen können, weil wir bei der Erkenntnis der Wirklichkeit verschiedene Fähigkeiten aufwenden können. Da Erste-Person-Perspektive und Dritte-Person-Perspektive ganz unterschiedliche menschliche Fähigkeiten manifestieren, führen sie zu autarken Resultaten, die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen entgegenkommen. Von den drei Autoren, mit deren Handlungskonzeptionen ich mich in den vorangehenden Kapiteln beschäftigt habe, erwähnt nur A. I. Melden ausdrücklich die Zwei-Sprachen-These des Neuen Dualismus. Ich habe jedoch gezeigt, dass für alle drei Autoren eine Untersuchung des Handlungsbegriffes damit einhergeht, sich über den Begriff des Akteurs Klarheit zu _____________ 40

Lynne Baker (2007 a, 18.) entwirft ganz ähnlich, aber ohne Bezug auf historische Debatten einen ‚ontologischen Pluralismus‘ und plädiert dafür, Artefakte und Institutionen als genuine Konstituenten der Wirklichkeit aufzufassen. Vgl. auch Lynne Baker 2011.

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verschaffen. Den Grund dafür benennt Melden in seiner Analyse eines Schachzuges als paradigmatischer Handlung: Chess player and chess move are thus correlative notions, and neither can be understood in terms of processes, bodily or psychological, viewed in isolation from the rules that have been learned and the characteristic ways of thinking and doing 41 thereby achieved.

Wer verstehen will, was die Bewegung einer Schachfigur zu einem Schachzug macht und wodurch sich der Schachzug von einer zufällig regelgemäßen Bewegung unterscheidet, der muss verstehen, was eine Schachspielerin ausmacht. Durch ihre Fähigkeiten und ihre Rolle in der konkreten Situation ist zu erklären, dass ihr Hantieren mit einer Holzfigur einen Schachzug darstellt. Mit einer Beschreibung der physikalischen Vorgänge, und sei sie noch so sorgfältig, lässt sich die Unterscheidung zwischen einem Schachzug und einem ‚Zufallstreffer‘ nicht erklären, weil weder die Fähigkeiten der Akteurin noch ihre Rolle in der Situation physikalische Größen darstellen. Dass die Akteurin Schach spielen will, dass sie ihre Dame in Gefahr sieht und plant, ihrem Gegner eine Falle zu stellen, sind Fakten, die sich nicht feststellen lassen, wenn man die Situation aus der Dritte-Person-Perspektive wahrnimmt; dies ist nur aus der Perspektive eines Teilnehmers möglich: Hence it is not that a piece has been pushed from one square to another that constitutes a chess move but that the bodily movement is that of an agent who, during the course of a game, exhibits that characteristic practice in thinking and doing that he 42 has acquired.

So explizit wie Melden verweisen Hart und Anscombe nicht auf die enge Korrelation von Handlungsbegriff und Akteursbegriff, aber nicht, weil sie ihnen entgeht, sondern weil sie ihnen evident erscheint. Dies ist vor allem an der dialogischen Anlage ihrer Handlungskonzeptionen ersichtlich: Auch für Hart und Anscombe setzt Handlungsgeltung stets bestimmte interpersonelle Relationen voraus; nur wo Akteure einander mit bestimmten Voran_____________ 41 42

Melden 1956, 535 (meine Hervorhebung). Melden 1956, 535 (meine Hervorhebung).

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nahmen und Erwartungen begegnen, lässt sich eine Unterscheidung zwischen absichtlichem Handeln und bloßem Verhalten treffen. So ließ sich außerdem für alle drei Handlungskonzeptionen aufweisen, dass Akteursgeltung den Gehalt einer Präsumtion darstellt. Ich habe die Akteurspräsumtion als gleichsam automatische Voreinstellung charakterisiert, von der Akteure nur unter besonderen Umständen abweichen. Jemanden für sein Verhalten zur Verantwortung zu ziehen, wie Hart es beschreibt, oder jemanden nach seinen Gründen zu fragen, wie Anscombe es vorsieht, setzt allemal voraus, die Adressaten der Anfrage als Inhaber bestimmter Fähigkeiten anzusehen. Das aber heißt nichts anderes, als ihnen eine ErstePerson-Perspektive zuzuschreiben. Betrachtet man Körperbewegungen, als ob sie nicht die Bewegungen eines Wesens mit Akteursfähigkeiten wären und folglich als ob sie für die Ausführenden selbst keine Bedeutung hätten, stellt sich gar nicht die Frage, ob es sich um absichtliches Handeln oder um bloßes Verhalten handelt. Diese Unterscheidung ist nur aus der Akteursperspektive möglich, weil wir mit ihr die Frage beantworten, ob die Bewegungen von den Ausführenden als Realisierung ihrer Absichten gemeint sind. [↑6.1.2–6.1.3] Der Akteursbegriff erfasst zum einen die Geltung einer Person innerhalb eines praktischen Kontextes, zum anderen ihr Selbstverständnis als Teilnehmerin und Gestalterin dieses praktischen Kontextes. [↑3.1.5; 5.2.3] Dieses Selbstverständnis, die Akteursperspektive, ist eine spezifische Version der Erste-Person-Perspektive. Darum lässt sich für alle drei Handlungskonzeptionen festhalten, dass sie der Bestimmung des Handlungsbegriffes eine Differenzierung zwischen Erste-Person-Perspektive und DrittePerson-Perspektive unterlegen. Damit werfen die Autoren ein philosophisches Grundproblem auf, das weit über die Handlungstheorie hinausreicht. Denn mit der Pluralität von Wirklichkeitszugängen eröffnet sich die Möglichkeit des Individuationspluralismus, eines Verständnisses des Begriffes ‚Wirklichkeit‘, der zulässt, dass Identitäts- und Individuationsbedingungen von Gegebenheiten davon abhängen, welche Perspektive man einnimmt, welche Einstellung zur Wirklichkeit. Ein Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Hart, Anscombe und Melden, insbesondere mit ihren Einwänden gegen kausalistische Handlungskonzeptionen, besteht somit in der Ortung einer tiefer liegenden, umfassenderen Uneinigkeit, mehr noch Unklarheit, die dem Streit

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zwischen Kausalisten und Nicht-Kausalisten innewohnt. Die nicht-kausalistischen Gegenentwürfe arbeiten sich zu diesem tiefer liegenden Problem voran und führen letztlich auf die Fragen, was wir mit dem Begriff der Wirklichkeit eigentlich erfassen, inwiefern Erkenntnis der Wirklichkeit von einer Perspektive auf die Wirklichkeit abhängt und was aus einer solchen Abhängigkeit für die Erkennbarkeit der Wirklichkeit und ihrer Konstituenten folgt. Dies sind ontologische Fragen, die einer Behandlung jener speziellen Fragen vorausgehen müssten, die bis heute als Kernfragen der philosophischen Handlungstheorie gelten: Was sind Handlungen, was sind Gründe und wie hängen diese mit jenen zusammen? Hart, Anscombe und Melden führen zu diesen ontologischen Grundfragen; sie mit ihnen zu beantworten wäre jedoch ein eigenes, umfangreiches Anliegen, das ich hier nicht aufnehmen kann. Mit meiner Reinterpretation des Neuen Dualismus habe ich eine Richtung vorgeschlagen, wie man sich den ontologischen Grundfragen nähern könnte. Ein Ausgangspunkt, der nach meiner Ansicht äußerst hilfreich wäre, ist die Differenzierung von Erste- und Dritte-Person-Perspektive – oder wie Strawson es nennt, von partizipativer und objektiver Einstellung gegenüber der Wirklichkeit. Ein zweiter, ebenso wichtiger Ausgangspunkt ist der Individuationspluralismus, der sich aus der Dualität von Perspektiven ergibt. Wenn eine philosophische Handlungstheorie eine Klärung ihrer eigenen ontologischen Voraussetzungen erfordert, dann stellt sich auch an die gegenwärtige Handlungstheorie die Frage, aus welcher Perspektive sie sich dem Phänomen des menschlichen Handelns zuwendet und auf welche Art von Erkenntnis sie abzielt. Die Frage nach der Beschaffenheit von Handlungen beruht auf einer ontologischen Grundeinstellung, deren Einzigkeit Hart, Anscombe und Melden in Frage stellen. Zumindest bedarf es einer Begründung dieser Einstellung: Was spricht dafür, menschliches Handeln und seine Gründe aus der Dritte-Person-Perspektive zu untersuchen, unter Suspension der Selbstbezüglichkeit und ohne Berücksichtigung der eigenen Erfahrung als Akteurin, als Teilnehmerin an einer Lebenswirklichkeit, die durch Absichten, Wünsche, Überzeugungen und Handlungen anderer Personen geprägt ist? Folgt man Hart, Anscombe und Melden, dann spricht vor allem eines für die Einnahme der Erste-Person-Perspektive: die Reichweite der Erkenntnis, die sich mit ihr gewinnen lässt. Eine philosophische Handlungstheorie, die von der Akteursperspektive ausgeht, schließt Fragen

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zum Selbstverständnis menschlicher Akteure ein, zu ihren Fähigkeiten, ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit und zu ihren interpersonellen Relationen. Es ist nicht das geringste Verdienst von H. L. A. Hart, Elizabeth Anscombe und A. I. Melden, dass sie immer wieder auf das Interesse verweisen, das die philosophische Frage nach Begriff und Phänomen des menschlichen Handelns motiviert. Wenn uns daran liegt, uns selbst und unsere Lebenswirklichkeit besser zu verstehen, dann sind unser Selbstverständnis als Akteure und unsere Fähigkeit zur Erste-Person-Perspektive wesentliche Gegenstände einer philosophischen Handlungstheorie.

Literaturverzeichnis

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