Das Wunder: Eine Untersuchung über den theologischen Begriff des Wunders [Reprint 2021 ed.] 9783112490600, 9783112490594

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Polecaj historie

Das Wunder: Eine Untersuchung über den theologischen Begriff des Wunders [Reprint 2021 ed.]
 9783112490600, 9783112490594

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D A S WUNDER Eine Untersuchung über den theologischen Begriff des Wunders

Von

Helmut

Thielicke

Universität Heidelberg

tt

1 9 J. C. H i n r i c h s

3

9

Verlag

/

Leipzig

S o n d e r d r u c k aus „Theologische B l ä t t e r " 1939 Nr. 2, 3/4 u. 5

Alle Rechte vorbehalten J. C. Hinrichs Verlag, Leipzig P r i n t e d in Germany Verl.-Nr. 4327

Das

Wunder

Ein Wort des Herrn: und Wunden auftut der Tod den tiefen Zwinger ein Blitz durchzuckt die Nacht! enteilt, ein Flammenpfeil, demselben Finger, der uns gemacht. . .

werden —

heil,

Wenn Er der Welle und dem Sturm befiehlt: ist's nur der neuen Weltenstunde ferntönend Frühgeläut, Goldstaub, heraufgespült vom Meeresgrunde der Ewigkeit. Paul Geiger

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorbemerkung I. Kritik des orthodoxen Wunderbegriffs a) Das Wunder nur perspektivisch von der sonstigen Wirklichkeit verschieden b) Die religiöse Wunderidee

5 9 9 18

II. Wunder im neutestamentlichen Sinne als xeQag und crp(xeTov . 22 a) Der Sprachgebrauch 22 b) Die tiefere Verbindung von Zeichen und Sache . . . . 24 III. Wunder und Wort

30

IV. Wunder und Offenbarung a) Hören und Sehen b) Wunder als Oesetz und Evangelium

39 39 46

V. Wunder und Weltgesetzlichkeit a) Das Problem der Weltgesetzlichkeit b) Weltgesetzlichkeit und Kausalität

50 50 54

Zusammenfassung

66

Vorbemerkung. Die folgende Studie ist aus Vorlesungen entstanden, die der Verfasser im Rahmen, seines Dogmatik-Zyklus in Heidelberg hielt. Sie war als Aufsatzreihe in den „Theologischen Blättern" (1939 Nr. 2, 3/4 u. 5) abgedruckt. Ich meine zu erkennen, daß in unserer Zeit die Frage nach dem Wunder keineswegs nur in t h e o l o g i s c h e r Betonung aufklingt und entsprechend auch gar nicht an einen innerkirchlichen. Kreis von Fragenden gebunden ist. Vielmehr drängt unsere Zeit auch u n a b h ä n g i g von der eigentlich „christlichen" Fragestellung und e b e n f a l l s unabhängig von der skeptischen Ironie des „naturwissenschaftlichen Zeitalters", das sich fast schon vor der Frage als solcher genierte, auf das w e l t a n s c h a u l i c h e Problem des Wunders zu. Ganz abgesehen nämlich von allen ontologischen, naturwissenschaftlichen und Kausalitäts-Fragen, die dem Phänomen „Wunder" wie ein Kometenschweif nachfolgen, ist man w e l t a n s c h a u l i c h durch jenen transzendenten Gast beunruhigt: Ist Gott etwa nur im W u n d e r da, im E i n b r u c h in die Welt? Dann soll das wohl heißen, daß er in der übrigen „normalen" Welt n i c h t ist?! Und wie ungeheuer wären diese Konsequenzen: Er wäre also n i c h t in der Natur, in der Geschichte, er wäre n i c h t in alledem, was groß und leuchtend auf dieser Welt ist und uns erhebt , sondern er hätte sein Wesen nur in zweifelhaften Mirakeln, die auf der Hintertreppe der Weltgeschichte im Zwielicht des Aberglaubens passiert sein sollen!? So steigt steil der weltanschauliche Vorwurf wider das Wunder empor, den wir heute von allen Dächern verkündet hören: Das Wunder entgöttert und profaniert die Welt. Es nimmt der Wirklichkeit das „Wunderbare" und hüllt sie in das Grau in Grau gottferner Erbärm-

6 lichkeit, in die Gott dann hin und wieder mit lautem Krach — vielleicht mit der Posaune von Jericho oder der Kommandostimme des galiläisehen Wundertäters — hinabfahren muß, um auf sich aufmerksam zu machen. Und die Antithese dieses weltanschaulichen Protestes ist dann schnell formuliert: „Wir glauben an den göttlichen Sinn aller Wirklichkeit und verwerfen die Entgötgötterung des Diesseits durch einen aus zweifelhafter Transzendenz lebenden Mirakelkult" — so klingt es an das Ohr des kleinen Häufleins. An diesem Ruf ist jedenfalls E i n e s gut: daß das Wunder i n h a l t l i c h angefochten wird, d. h. in Bezug auf seinen A n s p r u c h , in Bezug darauf, daß es die Welt und ihr religiöses Selbstverständnis gefährdet und in Frage stellt. Es ist jedenfalls d i e s gut an jenem Protest, daß er sich nicht mit aufgeklärt liberalen Formalismen begnügt, wie sie das „naturwissenschaftliche Zeitalter" predigte, wenn es immer nur von dem Widerspruch des Wunders zu den Naturgesetzen, zur Kausalität zu singen und zu sagen wußte. Wir sind heute unter Freunden und unter Feinden — — viel näher an der S a c h e . Darum fühlen wir uns aufgerufen, gerade heute von jener „S a c h e" des Wunders zu reden. Die folgende Arbeit ist nun nicht aus apologetischem Interesse geschrieben (Rezensenten, die nur das Vorwort zu lesen pflegen, mögen das nicht fälschlicherweise der obigen Charakterisierung der Zeit-Frage entnehmen). Wir möchten vielmehr von der biblischen Substanz herkommen, um uns in theologischer Strenge dem Problem des Wunders zu nähern und dabei keiner „philosophischen Folgerung" auszuweichen. Und sie darf dann wohl hoffen, daß bei diesem Weg von der biblischen Substanz her auch einige Ausblicke auf die Fragen aufgerissen werden,, die unserm geschichtlichen Augenblick und seinem weltanschaulichen Ringen in besonderem Maße aufgegeben sind. Dem theologisch weniger geübten Leser sei geraten, daß er das 1. Kapitel („Kritik des orthodoxen Wunder-

7 begriffs") und das 5. Kapitel („Wunder und Weltgesetzlichkeit", das vor allem die philosophischen Folgerungen zieht und sich der Auseinandersetzung mit profaner Wirklichkeitsdeutung stellt) zunächst ü b e r s c h l ä g t und sich ausschließlich den mittleren Teil („Das Wunder im neutestamentlichen Sinne" S. 22ff.) erarbeitet. Das Gedicht, das der Arbeit als Motto vorangestellt ist, bringt in adäquater Weise zum Ausdruck, was ich sagen wollte. Sein Verfasser ist ein Hörer, der mich nach der letzten Vorlesung über das Wunder damit überraschte. Heidelberg.

D. V.

I. K r i t i k d e s o r t h o d o x e n

Wunderbegriffs.

a) Das Wunder nur perspektivisch von der sonstigen Wirklichkeit verschieden. Es ist erstaunlich zu sehen, wie außerordentlich formalistisch man im Allgemeinen das Wunder behandelt. Wunder wird von theologischen Propheten und ketzerischen Weltkindern in der Regel — sofern man es nicht im Anschluß an Schleiermacher religiös umdeutet — als eine Durchbrechung der naturgesetzlichen Kausalität verstanden. Insofern ist Wunder das „Außer-Gewöhnliche". Schon wenn wir so formulieren, wird der Blickpunkt deutlich: Man schaut nämlich weder auf den Verkündigungsgehalt des Wunders, auf die von ihm bezeugte „Sache", noch schaut man primär auf das „ W o h e r " des Wunders als einer Tat Gottes. Denn wenn man auf Gott als seinen Urheber blickte, müßte man doch ausschließlich von jener S a c h e gefesselt sein,, die im Wunder eben als Sache dieses Gottes enthüllt wird, und höchstens sehr nachträglich und auch dann wohl nur „nebenbei" jene formale Eigentümlichkeit des Wunders beachten, „auffallend" zu sein, d. h. aus dem gesetzlichen Rahmen des sonstigen Geschehens herauszufallen. Doch so blickt und schaut man mitnichten. Statt dessen blickt und schaut man auf das Wunder als auf das Außergewöhnliche. Das heißt: man blickt auf den S c h n i t t p u n k t des in ihm sich äußernden transzendenten Geschehens mit den sonst unverbrüchlichen Gesetzen unseres Seins. Eben d a r i n liegt das Erregende und für böswillige Geister das Pikante am Wunder, daß es ein solcher „Schnittpunkt" sein soll. Und daß man ausgerechnet h i e r i n das Interessante am Wunder sieht, zeigt, daß man das durchbrochene Weltgesetz — etwa die Kausalität — m i n d e s t e n s ebenso ernst nimmt wie den wunderhaften Akt seiner Durchbrechung selber. Ja, man

10 ist gleichsam so fasziniert von der Unverbrüchlichkeit der Kausalität, daß man ziemlich gleichgültig ist gegenüber der Botschaft des himmlischen Läufers, der da im Wunder zu uns kommt, und ganz und gar blickt auf den Augenblick, in dem er das Zielband durchbricht. So werden unsere Augen durch Formalitäten gefesselt: durch die Formalität des Durchbrechungs a k t e s und durch die Formalität dessen, was durchbrochen w i r d . Die letztere Größe ist sowohl für die formalistisch befangenen Augen der Scholastik wie auch für die der aufgeklärten Welt die K a u s a l i t ä t . Diese Kausalität ist recht eigentlich das „Gewöhnliche", das Selbstverständliche, das Nichtbezweifelbare. Sofern das Wunder nun der Schnittpunkt ist zwischen einem transzendenten Geschehen und dieser „gewöhnlichen" Kausalität, ist es das betont A u ß e r g e w ö h n l i c h e , das N i c h t Selbstverständliche, ist es also das, woran man unter allen Umständen zweifeln muß oder nur — glauben kann. Es dürfte wohl richtig sein, diese orthodoxe Haltung gegenüber dem Wunder (als dem Schnittpunkt mit der natürlichen, unbezweifelbaren Welt) in Zusammenhang zu bringen mit jener theologischen Denkweise, die sich schon im G e s a m t aufriß ihres theologischen Aufbaus dokumentiert: denn dieser Aufbau setzt doch ein mit der ebenfalls „unbezweifelbaren" und „gewöhnlichen" revelatio generalis und führt die „spezielle" Offenbarung in Christus dann so ein, daß sie gleichfalls als Schnittpunkt mit dieser vorgegebenen, natürlichen, „gewöhnlichen" Linie erscheint. Man darf aber nun nicht meinen, es handle sich bei all dem nur um formale Eigentümlichkeiten der Denkmethode und damit um eine belanglose Aeußerlichkeit. Machen wir uns kurz klar, warum es hier um m e h r geht als um eine bloße Formalität, warum es um die Sache s e l b s t geht: Im Raum des theologischen Denkens gibt es nicht solchen von der Sache ablösbaren Formalismus: Denn die theologischen Gegenstände sind doch für unser Denken

11 entscheidend dadurch bestimmt, w i e , in welcher H a l t u n g und mit welchem „ I n t e r e s s e " wir ihnen entgegentreten, ob z. B. in religionsgeschichtlicher Neutralität oder in giftiger Feindseligkeit oder im gebundenen Gehorsam des Glaubens; es ist entscheidend wichtig, ob ich ihnen entgegentrete mit spekulativ ontologischein Interesse — man denke nur an gewisse Partien der scholastischen und orthodoxen Christologie — oder in der Haltung des salubriter cogitare: Christum cognoscere est beneficia ejus cognoscere. Das heißt auf unsern Fall angewandt: Die orthodoxe Lehre vom Wunder wird nicht nur in ihrer M e t h o d e sondern auch in ihrem S a c h gehalt wesentlich dadurch bestimmt, daß sie vor allem „interessiert" ist an der Formalität des „Schnittpunktes". So muß es dann notwendig kommen, daß d e r h ö c h s t p r o f a n e B e g r i f f d e r Kausalität ein mindestens ebenso wichtiger B e s t a n d t e i l ihrer Lehre vom W u n d e r wird wie die w u n d e r h a f t e D u r c h b r e c h u n g der Kausalität. Die Lehre vom Wunder muß auf diese Weise zu einer Lehre von der K o n t i n g e n z werden. Das wird sofort deutlich, wenn man sich die o r t h o d o x e L e h r e v o m W u n d e r n u n i m E i n z e l n e n klar macht. Hier sei nur e i n e von diesen Einzelheiten angedeutet. Die orthodoxe Lehre vom Wunder gründet nicht umsonst auf scholastischen Gedanken und unterscheidet demzufolge an dem von Gott inaugurierten Geschehen die causa prima und die causae secundae. Die letzteren sind bekanntlich die Mittelursachen, d u r c h welche Gott wirkt. Gott kann z. B. die Heilung eines Kranken durch einen geschickten Arzt als seinen Mittelsmann vollziehen lassen. Er kann eine Schlacht gewinnen lassen durch die Genialität eines Feldherrn. In diesem Falle wirkt Gott durch „Larven": nämlich durch den Arzt oder durch den Feldherrn, die damit zu „Mittel"-Ursachen Gottes (causae secundae) werden. — Es kann freilich auch sein, daß er einmal d i r e k t wirkt (z. B. beim Wunder der Sturmstillung) und also in den Nexus der causae secundae sozusagen ein Loch reißt. Damit setzt er dann ein kontingentes, aus dem gesetzlichen Zusammenhang n i c h t ableitbares Ereignis, in welchem keine causae secundae wahrnehmbar sind, sondern das vielmehr steil und „unmotiviert" wie ein versprengter erratischer Block aus dieser Welt emporragt. Ein solches direktes, den geordneten Gang der causae secundae überspringendes Wunder muß dann bekanntlich — nach dem Denken der Scholastik — durch ein „Restitutionswunder" wieder wett gemacht werden: In diesem Restitutionswunder soll die wunderhafte „Unregel-

12 mäßigkeit" wieder ausgeglichen und der entgleiste Wagen der Naturgesetze wieder in die ordentlichen Schienen zurückgeschoben werden. Das ist ein sehr demonstrativer Beweis dafür, wie stark A r i s t o t e l i s c h e Oedanken auf die scholastische Betrachtung des Wunders einwirken. Denn das innerste Interesse dieser Wundertheorie ist doch die Frage: Wie bringe ich das Wunder in Einklang, in eine „Analogie des Seins" mit der mir bekannten, kausal determinierten Welt: Diese Frage ist die geheime Mitte, um die alle Denkbewegungen über das Wunder kreisen. Ihr krassestes Symptom ist der bizarre Oedanke des Restitutionswunders. D i e W i r k l i c h k e i t d i e s e r W e l t e m p f ä n g t k e i n e s w e g s vom W o r t u n d W u n d e r G o t t e s B e s c h e i d d a r ü b e r , wer u n d was sie ist; s o n d e r n die W i r k l i c h k e i t dieser Welt bestimmt durch ihren vornehmsten Repräsent a n t e n , d e n M e n s c h e n , w a s d a s W u n d e r zu s e i n h a b e , um ein d e n k m ö g l i c h e r S c h n i t t p u n k t mit ihr als der auf alle F ä l l e v o r - g e g e b e n e n G r ö ß e zu sein. Im einzelnen sieht dann die Bestimmung des Wunders so aus: Der causa prima Gottes entspricht die necessitas absoluta: Das was aus Oott folgt, z. B. seine Eigenschaften und sein Wille, sind die oberste Notwendigkeit: Propter naturam causae vel subjecti ist das Gegenteil dieser Eigenschaften und dieses Willens schlechterdings undenkbar: Sonst müßte Gott sich selber verleugnen und sich untreu werden. Demgegenüber repräsentieren die causae secundae nur eine abgeleitete und untergeordnete Notwendigkeit (die necessitas consequentiae seu hypostasis). Diese necessitas consequentiae ist gleichsam die V o l l z u g s f o r m jener höheren Notwendigkeit. Sie wird, ohne auch nur eine Spur von selbständiger kausaler Eigengesetzlichkeit zu haben, völlig von ihr bestimmt, so ähnlich wie die Ausführungsbestimmung von einem Rahmengesetz. Man kann folglich sagen: Wenn die und die causa secunda gegeben ist (z. B. eine bestimmte fortgeschrittene Form der Paralyse), tritt ein ganz bestimmter effectus ein (der Tod). Nun kann aber Gott als prima causa jene Mittelursache entweder nicht existieren lassen oder aber so verändern, daß ein völlig anderer effectus eintritt. Wir sprechen dann im Hinblick auf unsere durch die sonstige Regel des Geschehens entstandene Erfahrung von „Kontingenz", von dem Außergewöhnlichen.

Die logische Ungeheuerlichkeit dieser Gedanken für ein nachkantisches Gehirn wollen wir hier nicht geißeln. Auch davon sei nicht w e i t e r gesprochen, daß man hier den geheimnisvollen Schnittpunkt des Wunders mit der Kausalität nur von dem effectus auf die causa zurückverlegt und also lediglich um ein Glied verschoben hat. Uns geht es nur um die dadurch geschehene Q u a l i f i z i e r u n g des Wunders. Damit verhält es sich so: Sofern man das Wunder unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß es ein effectus der prima causa „Gott" ist, stellt es ein Glied in der n e c e s s i t a s des sich

13 verwirklichenden Gotteswillens dar („Alles, was Gott will, m u ß necessario geschehen"). Sofern inain es dagegen unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß es — wie jedes Geschehen — eine Beziehung zum Kausalnexus besitzt, ist es ein „k o n t i ng e i l t e s " Ereignis: Denn der g e w ö h n l i c h e Fortschritt der kausalen Kette würde einen andern effectus gezeitigt haben. Nach dem gewöhnlichen Kausalnexus und seiner necessitas würde der Gichtbrüchige sterben und n i c h t gesund werden. Daß statt dieses zu postulierenden und insofern ableitbaren effectus etwas a n d e r e s geschieht, macht dieses Geschehen zu dem erratischen Block im Weltinnern, dem man die Etikette „Wunder" zubilligen muß — vorbehaltlich späterer Aufklärung dieses Wunders (wie vielleicht die ganz Vorsichtigen schon damals und nicht erst in der TheologenGeneration des ausgehenden 19. Jahrhunderts hinzugefügt hätten). Was xnir an dieser orthodoxen Betrachtungsweise entscheidend wichtig und in die Zukunft weisend zu sein scheint, läßt sich in folgenden Gesichtspunkten zum Ausdruck bringen: Einmal ist zu sagen, daß diese formale unbiblische Betrachtungsweise eine nicht mehr abzubremsende Relativierung des Wunders eintreten läßt: Denn sobald man das Geheimnis des Wunders von seiner formalen Fassade her zu erkennen sich bemüht — ein ähnlicher Vorgang übrigens, wie wenn man dem Geheimnis des Jesuskindes von seinem Zimmerinannskittel her nahezukommen trachtet —, sobald man das tut, muß man folgenden Doppelsatz über das Wunder aufstellen, der aus sich selbst evident ist: 1. D i e g a n z e W i r k l i c h k e i t i s t e i n e i n z i g e s W u n d e r u n d t o t a l k o n t i g e n t . I n s o f e r n sind alle E r s c h e i n u n g e n , die n o r m a l e n s o w o h l wie die als a u ß e r g e w ö h n l i c h b e r i c h t e t e n t e c a t a u n d oninEta, a l s W u n d e r s o l i d a r i s c h und e b e n b ü r t i g :

14 Dieser Satz muß nämlich sofort gelten, wenn man die im Weltgeschehen mächtigen causae secundae unter d e m Gesichtspunkt betrachtet, daß Gott ihnen aucli andere effectus hätte entlocken können und daß insofern die gewöhnlichen effectus der normalen Wirklichkeit ebenfalls „kontingent" seien. Unter dem Gesichtspunkt der Vorsehung ist a l l e s Wunder. Die Wirklichkeit muß sich gleichsam in jedem Augenblick neu über ihr Sosein wundern, weil Gott — getarnt durch die innerweltlichen causae — ihr auch andere Richtungsstöße und Impulse hätte geben können. Sie befindet sich sozusagen in dem filmhaft flimmernden Zustand einer ständigen creatio ex nihilo, die nach Gottes Willen so oder so ausfallen kann.1 2. Mit demselben Recht kann nun auch der entgegengesetzte Satz aufgestellt werden: D i e g a n z e W i r k lichkeit — ihre normalen E r s c h e i n u n g e n s o w o h l wie die w u n d e r h a f t a u ß e r g e w ö h n l i c h e n — s i n d g a n z u n d g a r n o r m a l , d. h. d e r n e c e s s i t a s e i n b e s c h l o s s e n . D i e s e r Satz muß sich ergeben, sobald man die Wirklichkeit nicht in ihrer Beziehung zu den causae secundae, sondern zur causa prima anschaut und diese eben als N o r m aller Dinge und die Dinge folglich als „ n o r m a 1" ansieht: Sie liegen ja alle innerhalb der necessitas des sich verwirklichenden Gotteswillens. Ein Doppeltes ist für diese beiden strengen systematischen Sätze charakteristisch, das uns zugleich weiterführt: B e i d e n S ä t z e n g e m e i n s a m ist, daß „Wunder, und „normale Wirklichkeit" z u s a m m e n geschmolzen, e i n g e e b n e t und nivelliert sind. Das heißt aber doch: Mit jenem formalen Gesichtspunkt läßt sich das Geheimnis des Wunders nicht fassen. Es entgleitet unsern Händen oder besser: es kommt gar 1) Vgl. dazu das Verhältnis von „Schöpfung", „ N a t u r " und „Wunder" im Alten Testament: Walther E i c h r o d t , Theol. des AT, Leipzig 1933, II 83 f. Dort auch Grundsätzliches über die Frage Wunder und Kausalität.

15 nicht in sie hinein, und zwar anscheinend deshalb nicht, weil der formale Gesichtspunkt ein zu inadäquates „Ger ä t " ist und nicht auf die Wellenlänge des Wunders eingestellt werden kann. Darf man dann aber von diesem Boden aus ü b e r h a u p t noch von „Wunder" sprechen? Welches Interesse kann man noch an ihm haben? Und anscheinend ist die Orthodoxie eben doch orthodox und — schrifttreu genug, um es nicht einfach preiszugeben. Antwort: Mit demselben Recht und in demselben Umfang kann man den Begriff „Wunder" aufrechterhalten, mit und in dem auch die Wahrheit jener beiden zunächst so antinomisch klingenden Sätze gilt. Denn diese Sätze, die doch eine Aussage über die g l e i c h e Wirklichkeit machen, klingen nur darum so entgegengesetzt, weil sie einen Unterschied in der B e t r a c h t u n g s w e i s e und darum im V e r h ä l t n i s zu jener gleichen Wirklichkeit zum Ausdruck bringen: Sobald ich nämlich die Wirklichkeit sub specie der prima causa, d . h . G o t t e s , betrachte („betrachte"!), wird sie zum Ausdruck der nécessitas des göttlichen Willens. Sobald ich sie dagegen sub specie der causae secundae betrachte („betrachte"!), wird sie ganz und gar kontingent, so gewiß ich mich auf die Eigengesetzlichkeit der causae secundae nicht verlassen kann, sondern sie als tabulae rasae betrachten muß, auf die Gott seinen diktatorischen Willen erst s c h r e i b t : Gott kann ja die causae secundae b e l i e b i g verändern. Dadurch sind dann die entstehenden effectus nie mit naturgesetzlicher, am „Normalen" gebildeter Sicherheit vorauszusehen. Sie stehen immer unter der Krise des göttlichen Willens (der prima causa). Dabei wirkt die nécessitas dieses Willens teils u n t e r der Larve der kausalen nécessitas und sozusagen mit ihr „gleichgeschaltet", teils wirkt sie über sie hinweg und durchbricht sie und bleibt trotzdem noch nécessitas in jenem höchsten Sinn. Grob ausgedrückt besteht die Möglichkeit, daß die Flinte, die nach der Eigengesetzlichkeit ihres Mechanismus nach vorne schies-

16 sen müßte, ebenso gut nach hinten losgehen kann. Man weiß nicht, welche Eigenschaft jener causa „Flinte" durch die göttliche necessitas mitgeteilt wird, und ob sie nun nach vorne oder hinten losgeht. Das heißt aber dann: Der Begriff „Wunder" als eines o b j e k t i v Außergewöhnlichen, in diese Welt Einbrechenden wird aufgehoben. In gewisser Weise wird eben jetzt a l l e s Geschehen „außergewöhnlich". Denn es ist nicht in den gewöhnlichen Naturgesetzen begründet — und zwar weder ist die nach v o r n noch die nach h i n t e n sich entladende Flinte in ihnen begründet — sondern jenes Geschehen wird allein hervorgerufen und gezeitigt durch den es kontingent und diktatorisch setzenden Willen Gottes. So zergeht einem der Begriff „außergewöhnlich" unter den Händen. Statt dessen wird „Wunder" ein V e r h ä l t n i s b e g r i f f : Von „Wunder" rede ich dann, wenn ich mich in einer ganz bestimmten Weise zur Wirklichkeit verhalte, oder besser: wenn ich sie unter ganz bestimmten Gesichtspunkten — die man später die religiösen nennen wird — betrachte, wenn ich sie nämlich unter dem Gesichtspunkt ansehe, d a ß s i e i n j e d e m A u g e n b l i c k k o n t i n g e n t v o n G o t t n e u g e s e t z t und i n d i e s e u n d j e n e R i c h t u n g g e s t o ß e n w i r d . Wunder wird auf diese Art immer mehr zu einer apriorischen E r f a h r u n g s f o r m , ja direkt zu einer Kategorie unserer Anschauung, eben der r e l i g i ö s e n Anschauung werden. Wunder wird immer mehr aus einer Aussage über einen o b j e k t i v e n W i r k l i c h k e i t s b e s t a n d zu einer s u b j e k t i v e n Form des V e r h a l t e n s zu dieser Wirklichkeit werden: Ich kann mich eben als P h y s i k e r zu dieser Wirklichkeit verhalten und insofern mit dem hypothetischen Prinzip arbeiten, daß ihre Gesetze unverbrüchlich und kausal determiniert seien. Ich kann sie aber auch als r e l i g i ö s e r Mensch betrachten und dann vor lauter Wundern stehen und etwa die Herrlichkeit des Meerleuchtens, den Glanz der Firne, den deutschen Aufbruch im gleichen oder in höherem Sinne als

17 Wunder bewerten, wie ich allenfalls noch von der Heilung des Gichtbriichigen als Wunder rede. Wunder ist keine T a t s a c h e mehr. Wunder ist nur noch eine P e r s p e k t i v e . Und Perspektiven sind subjektiv verschieden und auch verschieden zugänglich. Wir sehen hier mitten im Schöße der Orthodoxie den Subjektivismus des 19. Jahrhunderts sich vorbereiten. Gegenüber der Objektivität der biblischen Botschaft ist eben die Norm der ratio — das, was wir Formalität nannten — höchst subjektiv: nämlich menschlich. Und es wird keinen qualitativen Unterschied demgegenüber ausmachen, wenn später an die Stelle der orthodoxen ratio-Norm die Schleiermachersche Anschauungs- und Gefühls-Norm tritt. Genug, daß die Eigenmächtigkeit des Menschen sich in der Orthodoxie auf rationale Art vorbereitet, genauso wie sich die kommende Säkularisation in der orthodoxen Lehre von der revelatio generalis vorbereitet. Es ist wohl sehr wichtig, diesen I r r w e g v o n d e r O r t h o d o x i e hin zum s u b j e k t i v e n l i b e r a l e n 19. J a h r h u n d e r t zu sehen und sich negativ an ihm vorzubereiten, ehe man — zur äußersten Vorsicht entschlossen — an eine positive biblische Lehre vom Wunder herangeht. Es ist auch schon d e s h a l b wichtig, sich jenen verfehlten orthodoxen Ansatz klar zu machen, weil er heute immer noch populär ist, sowohl in den verlogenen Geschichtlein wundersüchtiger Erbauungsblätter wie auch in den Kreisen des modernen Antichristentums. Wenn der „Mythus des 20. Jahrhunderts" den orientalischen Wunderglauben an den transzendenten Hereinbruch geisselt (vgl. S. 132, 134 u. a.) und als Entgötterung unserer Wirklichkeit empfindet; wenn Goethe diesem jenseitigen Einbruch den „Gott im Innern der Welt" (Proeomion s. u.) entgegenstellt, so ist damit zunächst und vor allem jene orthodox formale Bestimmung des Wunders getroffen. D i e s e o r t h o d o x e W u n d e r i d e e i s t d a s f a l sche S k a n d a l o n — oder besser: das S k a n d a l o n an d e r f a l s c h e n S t e l l e —, g e g e n d a s d i e S t u r m -

18 böcke der n o r d i s c h e n W e l t a n s c h a u u n g a n r e n n e n . Wir können ihnen nicht Halt gebieten, aber wir können ihr Ziel korrigieren. b) Die religiöse Wunderidee. Es ist ein merkwürdiges Zeichen feindlicher Brüderschaft, daß diese formale Wunderidee der Orthodoxie seit Schleiermacher immer wieder bekämpft wird mit der Idee des „religiösen" Wunders, d. h. jenes Wunders, das als Form unserer Anschauung, unseres religiös verklärenden Schauens verstanden ist. Das ist deswegen so merkwürdig, weil diese Idee des religiösen Wunders doch durch den perspektivischen Wunderbegriff der Orthodoxie vorbereitet ist. Diese feindliche Polemik des Kindes gegen den Vater und der Frucht wider den Baum spüren wir deutlich dem Schleiermacher der „Reden" ab: Der orthodoxe Gedanke, das Wunder sei ein unmittelbar von Gott gefügtes Ereignis, stößt auf Schleiermachers energischen Protest; und zwar richtet sich dieser Protest besonders nach jener Seite hin, welche die Orthodoxie trotz des vorwiegend perspektivischen Charakters ihrer Wunderidee immer noch als Nebengeräusch hatte mitschwingen lassen: daß nämlich das Wunder „etwas Unerklärliches und Fremdes" 2 , daß es sozusagen die große Ausnahme und das aus dem Rahmen Fallende sei. Nein! Statt dessen soll „Wunder" nur noch der „religiöse Name für Begebenheit" sein; „jede, auch die allernatürlichste und gewöhnlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht (!) von ihr die herrschende sein kann, ist ein W u n d e r " . 3 „Wunder" ist folglich hier — im Protest gegen die Orthodoxie, deren heimliche Ansätze aber trotzdem forsch ausgeweitet werden .— zu einer religiösen Kategorie, einer „Anschauungsform" g e w o r d e n und gehört damit n o c h betonter und n o c h programmatischer auf die 2) Schleiermacher, „Reden", Dtsch. Bibl. S. 102. 3) a . a . O . S. 102.

18 böcke der n o r d i s c h e n W e l t a n s c h a u u n g a n r e n n e n . Wir können ihnen nicht Halt gebieten, aber wir können ihr Ziel korrigieren. b) Die religiöse Wunderidee. Es ist ein merkwürdiges Zeichen feindlicher Brüderschaft, daß diese formale Wunderidee der Orthodoxie seit Schleiermacher immer wieder bekämpft wird mit der Idee des „religiösen" Wunders, d. h. jenes Wunders, das als Form unserer Anschauung, unseres religiös verklärenden Schauens verstanden ist. Das ist deswegen so merkwürdig, weil diese Idee des religiösen Wunders doch durch den perspektivischen Wunderbegriff der Orthodoxie vorbereitet ist. Diese feindliche Polemik des Kindes gegen den Vater und der Frucht wider den Baum spüren wir deutlich dem Schleiermacher der „Reden" ab: Der orthodoxe Gedanke, das Wunder sei ein unmittelbar von Gott gefügtes Ereignis, stößt auf Schleiermachers energischen Protest; und zwar richtet sich dieser Protest besonders nach jener Seite hin, welche die Orthodoxie trotz des vorwiegend perspektivischen Charakters ihrer Wunderidee immer noch als Nebengeräusch hatte mitschwingen lassen: daß nämlich das Wunder „etwas Unerklärliches und Fremdes" 2 , daß es sozusagen die große Ausnahme und das aus dem Rahmen Fallende sei. Nein! Statt dessen soll „Wunder" nur noch der „religiöse Name für Begebenheit" sein; „jede, auch die allernatürlichste und gewöhnlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht (!) von ihr die herrschende sein kann, ist ein W u n d e r " . 3 „Wunder" ist folglich hier — im Protest gegen die Orthodoxie, deren heimliche Ansätze aber trotzdem forsch ausgeweitet werden .— zu einer religiösen Kategorie, einer „Anschauungsform" g e w o r d e n und gehört damit n o c h betonter und n o c h programmatischer auf die 2) Schleiermacher, „Reden", Dtsch. Bibl. S. 102. 3) a . a . O . S. 102.

19 Subjektseite des Betrachters. „Wunder" wird zum Inbegriff symbolischen Schauens — „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis", ist wunderhaft transparent. Und wenn es schon ein „Ereignis" sein soll, nun dann liegt dieses Ereignis i m S e h - A k t u n s e r e r S e e l e , a b e r n i c h t in d e r r e a l e n W e l t d e s ä u ß e r e n Ges c h e h e n s . Es liegt auf keinen Fall in Krankenheilungen und Totenerweckungen und „wunderbaren" Fügungen. 4 Die säkular anthropozentrische Grundhaltung setzt sich hier im Rahmen einer scheinbaren Verinnerlichung erschreckend durch. Es ist der innere Terror des naturwissenschaftlichen Weltbildes, der diese Entwicklung mit Macht vorwärtstreibt. Denn dieses Weltbild mit seiner lückenlosen Kausalgesetzlichkeit, seiner Abgeschlossenheit nach oben, dieses Weltbild mit seiner „in sich ruhenden Endlichkeit" bietet keinen Raum mehr für transzendente Einbrüche und wunderhafte Unregelmäßigkeiten. 5 Was noch wunderbar erscheint, weil es eben noch unerforscht ist, ist dennoch eingebettet in eine gesetzhaften Ordnung, die sich in einem späteren Stadium des Forschungsweges entschleiern wird, und darum höchstens noch ein Wunder „auf Zeit". 6 4) Diese Subjektivierung des Wunders zeigt sich in verschiedenen Graden und Oestaltungen durchweg bei den typischen Theologien des 19. Jahrhunderts. Vgl. z. B. Ritsehl: „Demgemäß gelten als Wunder solche auffallenden Naturerscheinungen, mit welchen die Erfahrung (!) besonderer Gnadenhilfe Gottes verbunden ist, welche also als besondere Zeichen seiner Gnadenbereitschaft für die Gläubigen zu betrachten sind." Unterricht i. d. christl. Rel. (Fabricius) S. 45. Wie subjektiv diese Wundererfahrung gemeint ist, wird daran deutlich, daß R. davor warnt, über Wundererlebnisse a n d e r e r nachzugrübeln (offenbar sind damit auch die biblischen Wundererzählungen getroffen, wo von den Erlebnissen „anderer" die Rede ist. Vgl. S. 45 Anm. c); denn „aus dem religiösen Glauben wird jeder an sich selbst Wunder erleben" (a. a. O.). — Ferner Harnack: „Gewiß, es geschehen keine Wunder, aber des Wunderbaren und Unerklärlichen gibt es genug." (Wesen d. Christent., 1900, S. 18); hier liegt also das Wunderbare in unserm unaufgeklärten V e r h ä l t n i s z u m Gegenstande. 5) Vgl. hierzu auch dische Schulzeitung" Nr. 6) Als Beispiel, wie geklärtes Verhältnis zum

Paul H e n s e l , Kausalität und Wunder („Ba14, 1931 S. lff.) Wunderglaube ein bestimmtes noch nicht aufGegenstande und damit wieder eine subjektive

20 Indem aber das Wunder so höchstens die Etikette eines bestimmten noch nicht aufgeklärten Forschungsstadiums ist, wird es ebenfalls aus der objektiven Wirklichkeit herausgenommen und zum Kennzeichen unseres V e r h ä l t n i s s e s zur Wirklichkeit, d. h. unserer Subjektivität gemacht, nämlich unserer Unaufgeklärtheit. Daß es Wunder gibt, liegt nicht an dem objektiven Faktum eines göttlichen Eingriffs in die Wirklichkeit, sondern liegt an u n s : nämlich — zugespitzt ausgedrückt — daran, daß wir uns „noch" über dies und das wundern müssen, weil wir als naive Zuschauer die gesetzmäßigen Geschehnisse und Handgriffe hinter den Kulissen noch nicht völlig durchschaut haben (genau wie die Primitiven heute noch das Koffer-Grammophon des weißen Mannes als Wunderorakel verehren können). Wir sagten: der Terror dieses naturwissenschaftlichen Weltbildes habe die ungläubig gewordene Theologie übermocht und die geschilderte Entwicklung vorwärtsgetrieben.' In der T a t : nur so meinte die Theologie jenem Terror entgehen zu können. Sie eliminierte das Wunder — entgegen aller biblischen Verkündigung — aus der Dimension der objektiven Wirklichkeit und übertrug es in die Dimension unserer Subjektivität, d. h. unseres V e r h ä l t n i s s e s zu dieser Wirklichkeit. Damit, meint man, habe man den Wunderglauben vor dem Zugriff der säkularen Moderne gerettet. — Und diese Rettung ist das Ziel des ganzen Manövers: „Wissenschaft" und „Religion" sind in möglichst andern fein säuberlich Eigentümlichkeit bedeutet, vgl. R. S e e b e r g , Christi. Dogm. I, 1924, S. 356 ff., Art. „Wunder" RE S , 1908. Denn hier ist „Wunder" das Produkt höherer, von uns nicht einsehbarer oder noch nicht eingesehener Qesetzeszusammenhänge in der unerschöpflich reichen Wirklichkeit. 7) Als moderne naturwissenschaftliche Stellungnahmen zum Wunder vgl. Planck, Rel. u. Naturwissenschaft, 1937 (eine an Schleiermacher erinnernde Lösung) und Bavink, Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften 5 1933, bes. S. 210 ff. (formal bejahende Lösung vom Kontingenzgedanken der Quantenmechanik her). — Zum Ganzen vgl. noch die magische Wunderidee: Leopold Ziegler, U e b e r l i e f e r u n g , 1936, S. 23 u. 25. Ferner zum Oesamtfragenkreis: Joh. Rupprecht, Das Wunder i. d. Bibel, Furche-Verlag Berlin.

21 geschiedenen Dimensionen untergebracht: d i e W i s s e n s c h a f t h a t es m i t R e a l i t ä t e n zu t u n , die Religion mit Perspektiven. Erreicht ist damit freilich, daß die Weltkinder nun kein Aergernis mehr daran nehmen, wenn der Prophet vom W u n d e r spricht. (Wie sollten sie auch, wo s i e es doch sind, die ihm das Gesetz seines Redens diktieren!) Aber erreicht ist damit a u c h , daß sie keine Notiz mehr von ihm nehmen. (Wie sollten sie auch, wo doch die Dimension der strittigen Ereignisse nicht die ihre ist). Vielleicht daß nur die Ironie sie gelegentlich hinüberblicken läßt zu jenen ungläubigen Meistern der fünften Dimension, die in einem so grotesken Eifer bemüht sind, die biblischen W u n d e r ihrer ureigensten Heimat zu entführen, sie nämlich unserer realen, durch Blitze und Zeichen jäh erleuchteten, in kommende Räume hin aufgerissenen Welt zu entreißen und in die Dimension ihrer Innerlichkeit zu verpflanzen. A b e r d i e s e r I n nerlichkeit merkt man a l l z u d e u t l i c h an, daß sie der ä n g s t l i c h g e h ü t e t e Blitzableiter für den g e f ü r c h t e t e n B a n n s t r a h l der a u f g e k l ä r t e n W e 11 i s t .

II. W u n d e r

im n e u t e s t a m e n t l i c h e n a l s TÉQaç u n d o T) n e ï o v.

Sinne

a) Der Sprachgebrauch. Wenn wir die beiden neutestamentlichen termini für Wunder — nämlich TÉQUC, und OTUIELOV — bedenken, so erkennen wir darin bereits eine vordeutende Exegese. Denn diese termini beschreiben das Wunder nach den beiden es wesentlich bestimmenden Seiten: TÉQCXÇ weist auf seine Stellung im Rahmen der übrigen Weltereignisse hin, nämlich darauf, daß es aus ihrem Rahmen h e r a u s fällt 8 , daß es betont n i c h t von der nécessitas der innerweltlichen Ereignisse konstituiert wird, sondern im grellen Scheinwerferlicht des „Außerordentlichen" steht. 9 Vielleicht deutet die Tatsache, daß es in der neutestamentlichen Literatur nur im Plural erscheint, darauf hin, daß es bestimmte Z u s a m m e n h ä n g e erhellen soll, die sich immer wieder in außerordentlichen Geschehnissen entladen müssen, wie eben Funken überspringen, wenn die zukünftige Welt so hauchnahe an unsern Aeon herangekommen ist: E s gibt sozusagen nicht „ e i n " Wunder, das einsam wie ein transzendenter Blindgänger in dieser Zeit läge, sondern nur eine K e t t e von Wundern, weil es um eine Z e i t , eine kontinuierliche H e i l s zeit geht, die fort und fort ihre Furchen in diesen Aeon pflügt. Dies „Außerordentliche", dies „Von-oben-her" des xégaç wird nun seinerseits inhaltlich ergänzt und gefüllt durch den OTIHETOV-Oedanken, mit dem verbunden das Wort xÎQaq j a allein neutestamentlich vorkommt: 8) Bauer übersetzt xégaç mit „die ungeheuerliche Erscheinung", Preuschen-Bauers Wörterb. z. N T 2 Sp. 1199. 9) Die ständige Verkoppelung des Begriffs t é p a ç mit dem ihn inhaltlich auslegenden des OR|¡IEIOV wird unten sofort zeigen, daß dieses „Außerordentliche" des Wunders grundsätzlich anders zu verstehen ist als die von uns abgelehnte „formale" Außerordentlichkeit des orthodoxen Wunderbegriffs.

23 or|fieiov heißt zunächst und vor allem andern „Merkmal für etwas" und zwar — wie wir sofort hinzufügen müssen — Merkmal im Sinne der U n v e r t a u s c h b a r k e i t.10 Das Merkmal für die Wirklichkeit und damit die Gültigkeit der Engelbotschaft Lk 2,10 f ist das Kind in der Krippe. Und zwar ist dieses OTUIETOV, daß die Hirten das Kind finden sollen, entscheidend dadurch charakterisiert, daß es nicht nur Zeichen ist für eine j e n s e i t s seiner selbst liegende Sache und daß es insofern die Aufgabe hätte, sich selbst überflüssig zu machen, nachdem es zu jener „Sache" geführt hätte. S o n d e r n dies OTIHETOV ist Z e i c h e n und bez e i c h n e t e S a c h e i n e i n s . Das Kind in der Krippe ist „Merkmal" der von den Engeln bezeichneten frohen Nachricht u n d diese frohe Nachricht s e l b e r „in-eins", „in-Person". Es zeigt — auf s i c h . So ist orineiov d a r u m unvertauschbar, weil Zeichen und Sache miteinander identisch sind. Das ist der Grund, warum man sie nicht so auseinanderreißen kann, wie man das mit Text- und Bilderbüchern vermag. Genau so steht es auch mit den aruiei« für die Parusie des Menschensohns 1 1 : Verfolgungszeiten und kosmische Katastrophen sind die n o t w e n d i g e n Begleitund Vor-Erscheinungen der Parusie, sind ein Stück ihrer Wirklichkeit selber. Das Gleiche ließe sich auch in der übrigen Verwendung des orineiov-Beigriffs, z. B. bei den Kennzeichen des wahren Apostels (2 Kor 12,12) zeigen und eben auch und vor allem an den rsgaxa v.ai ar^eia Jesu selber. Denn Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen und Totenerweckungen sind eben in spezifischer Weise indirekte Kennzeichen und direkte Machtwirkungen 10) Paul Tillich, Religiöse Verwirklichung, S. 89, gibt Aehnliches als Kennzeichen des „religiösen Symbols" an. Sein entsprechender Begriff ist die „Selbstmächtigkeit" des Symbols, die besagt, daß „Symbol" innere Notwendigkeit habe und deshalb im Gegensatz zum ohnmächtigen „Zeichen" nicht ausgetauscht werden könne. In allen übrigen Bestimmungen weicht aber Tillichs Symbolbegriff grundlegend ab von unserer Umschreibung der Wunderwirklichkeit. 11) Vgl Mt 24, 3 ; Mk 1 3 , 4 ; L k 2 1 , 7 ; Mt 1 6 , 3 .

24 — wieder ineins! — der hereinbrechenden Gottesherrschaft. Denn das eben ist doch das Zeichen dieser ßaailsia, nein, das ist sie s e l b e r : daß die Lahmen gehen und die Blinden sehen und den Armen die frohe Nachricht verkündet wird (Mt 11,5). D i e s e P e r s o n a l u n i o n von Zeichen und bezeichneter S a c h e u n d d i e s E i n h e r g e h e n in d e r a u ß e r o r d e n t l i c h e n G e s t a l t des Teea? ist so d a s K e n n z e i c h e n der W u n d e r w i r k l i c h k e i t im Neuen Testament, wie sie unmittelbar durch die zwei verwendeten Begriffe deutlich wird. b) Die tiefere Verbindung von Zeichen und Sache. Unsere Aufgabe muß nun zunächst darin bestehen, das Verhältnis von „Zeichen" und „Sache" noch schärfer zu präzisieren, genauer die Frage zu beantworten: In welchem S i n n e ist das Zeichen (d. h. das Wunder) ein Merkmal der „bezeichneten Sache"? Ist es als solches „Merkmal" zugleich ein B e w e i s dieser Sache (z. B. Beweis der Messiaswürde Jesu oder der Nähe des Gottesreiches)? Und zwar Beweis in d e m Sinne, daß es diese Sache stringent, „objektiv" andemonstrierte? Daraus endlich ergibt sich die letzte Frage: Wenn das Wunder in diesem Sinne Beweis sein sollte, in welcher Beziehung steht es dann z u r sonstigen Wirklichkeit, in deren Rahmen es doch „beweist"? Nach diesen verschiedenen Richtungen haben wir das erfragte Verhältnis von Zeichen und Sache zu entfalten. Wir lassen uns dabei helfen von der Perikope über die Heilung des Gichtbrüchigen, die eine paradigmahafte Bedeutung für a l l e s wunderhafte Geschehen im Neuen Testamente zu haben scheint.113 Und zwar versuchen wir I I a ) „Nach einiger Zeit kam er wieder nach Kapernauni und es wurde bekannt, daß er zu Hause sei. Da kamen viele Leute zusammen, so daß selbst der Platz vor der Türe nicht reichte, und er verkündigte ihnen das Wort. Da brachte man zu ihm einen Paralytischen, der von vier Mann getragen wurde. Und da sie wegen der Menge nicht nahe zu ihm herankonnten, deckten sie das Dach über der Stelle ab, w o

24 — wieder ineins! — der hereinbrechenden Gottesherrschaft. Denn das eben ist doch das Zeichen dieser ßaailsia, nein, das ist sie s e l b e r : daß die Lahmen gehen und die Blinden sehen und den Armen die frohe Nachricht verkündet wird (Mt 11,5). D i e s e P e r s o n a l u n i o n von Zeichen und bezeichneter S a c h e u n d d i e s E i n h e r g e h e n in d e r a u ß e r o r d e n t l i c h e n G e s t a l t des Teea? ist so d a s K e n n z e i c h e n der W u n d e r w i r k l i c h k e i t im Neuen Testament, wie sie unmittelbar durch die zwei verwendeten Begriffe deutlich wird. b) Die tiefere Verbindung von Zeichen und Sache. Unsere Aufgabe muß nun zunächst darin bestehen, das Verhältnis von „Zeichen" und „Sache" noch schärfer zu präzisieren, genauer die Frage zu beantworten: In welchem S i n n e ist das Zeichen (d. h. das Wunder) ein Merkmal der „bezeichneten Sache"? Ist es als solches „Merkmal" zugleich ein B e w e i s dieser Sache (z. B. Beweis der Messiaswürde Jesu oder der Nähe des Gottesreiches)? Und zwar Beweis in d e m Sinne, daß es diese Sache stringent, „objektiv" andemonstrierte? Daraus endlich ergibt sich die letzte Frage: Wenn das Wunder in diesem Sinne Beweis sein sollte, in welcher Beziehung steht es dann z u r sonstigen Wirklichkeit, in deren Rahmen es doch „beweist"? Nach diesen verschiedenen Richtungen haben wir das erfragte Verhältnis von Zeichen und Sache zu entfalten. Wir lassen uns dabei helfen von der Perikope über die Heilung des Gichtbrüchigen, die eine paradigmahafte Bedeutung für a l l e s wunderhafte Geschehen im Neuen Testamente zu haben scheint.113 Und zwar versuchen wir I I a ) „Nach einiger Zeit kam er wieder nach Kapernauni und es wurde bekannt, daß er zu Hause sei. Da kamen viele Leute zusammen, so daß selbst der Platz vor der Türe nicht reichte, und er verkündigte ihnen das Wort. Da brachte man zu ihm einen Paralytischen, der von vier Mann getragen wurde. Und da sie wegen der Menge nicht nahe zu ihm herankonnten, deckten sie das Dach über der Stelle ab, w o

25 uns s o helfen zu lassen, daß wir das E v a n g e l i u m dieser Geschichte herausarbeiten und also von vornherein das Wesen des Wunders von seinem I n h a l t und nicht von seiner formalen Struktur her erfassen. Denn es wird mit F u g angenommen werden dürfen, daß der christologische Kernsatz Melanchthons „Christum cognoscere est beneficia ejus cognoscere" sich auch auf das Wunder und sein beneficium bezieht. Das Wunder der Heilung — daß nämlich der Paralytische sein Bett nehmen und nach Hause gehen kann (Mk 2,11 f.) — wird erst im z w e i t e n Akt des hier geschilderten Geschehens vollzogen. Der e i g e n t l i c h e Ton der Erzählung liegt zunächst aut einem ganz andern Augenblick, darauf nämlich, daß Jesus dem Paralytischen seine Sünden vergibt, nachdem er seinen und seiner Begleiter Glauben gesehen hat (V. 5). Erst als einige von den anwesenden voamiaTiu.; Möglichkeit und Erlaubtheit solcher Vergebung anzweifeln, tut Jesus das Wunder und zwar mit dem charakteristischen Zusatz: ti e