Das Primat der Außenpolitik: Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert [1 ed.] 9783428540020, 9783428140022

Im 15. Jahrhundert veränderte sich Europa infolge staatlich-dynastischer, technischer, wirtschaftlicher und kultureller

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Das Primat der Außenpolitik: Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert [1 ed.]
 9783428540020, 9783428140022

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Historische Forschungen Band 99

Das Primat der Außenpolitik Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert Von Sabine Wefers

Duncker & Humblot · Berlin

SABINE WEFERS

Das Primat der Außenpolitik

Historische Forschungen Band 99

Das Primat der Außenpolitik Das politische System des Reichs im 15. Jahrhundert

Von Sabine Wefers

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-14002-2 (Print) ISBN 978-3-428-54002-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84002-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Mein verehrter Lehrer, Herr Professor Dr. Dr. h. c. Peter Moraw, konstatierte nach Abschluss meiner Dissertation über „Das politische System Kaiser Sigmunds“, ich hätte nun die wissenschaftliche Reife, mich mit dem Thema Außenpolitik des Reiches im 15. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Das sei ein reizvolles und zudem hinreichend komplexes Thema, bei dessen Bewältigung mir sicher auch die „praktische Intelligenz“ helfen werde, welche ich in meinem beruflichen Umfeld beweise. Dieser Arbeitsauftrag ehrte und verpflichtete mich gleichermaßen. Herr Moraw wusste um die logistischen Herausforderungen, welche sich aus dem Nebeneinander eines doch recht hohen Anspruchs als Historikerin und den zum Teil sehr harten beruflichen Anforderungen ergeben. Dass es mir gelang, sowohl das Buch zu schreiben als auch im Bibliotheksmanagement zu reüssieren, verdanke ich nicht zuletzt meinem langjährigen Chef, dem Direktor der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Herrn Berndt Dugall. Er billigte mir stets den Freiraum zu, den ich benötigte. In der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena unterstützte mich das gesamte Leitungsteam, welches wissenschaft­liches Arbeiten stets als einen wesentlichen Bestandteil unseres Selbstverständnisses als Forschungsbibliothek begriff. Eines Tages stieß ich auf eine Beschreibung des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ und fragte bei Herrn Professor Dr. Michael Borgolte an, ob er eine Möglichkeit sehe, mich am Rande mit einzubinden. Daraus wurde ein eigenes kleines Projekt „Abwehr des Fremden im Reich des 15. Jahrhunderts“, welches meiner historischen Arbeit einen deutlichen Impuls gab. Da ich weder Hochschullehrerin noch Nachwuchswissenschaftlerin bin, passte ich eigentlich nicht in die Strukturen eines solchen Programms, bekam jedoch Mittel für zwei studentische Hilfskräfte. Frau Professorin Dr. Christel Köhle-Hezinger schlug mir Frau Angelika Weber und Herrn Martin Sla­ deczek vor, da diese Studierenden sowohl kultur- als auch geschichtswissenschaftliche Ansätze kennengelernt hatten. Die beiden erwiesen sich als Glückfall. Sie wurden erfrischend unkonventionell denkende und kenntnisreiche Gesprächspartner, denen ich manche Anregung verdanke. Als weiteren Ansprechpartner, dem ich zu besonderem Dank verpflichtet bin, möchte ich Herrn Dr. Reinhard Seyboth anführen. Sein schier unend­ licher Fundus an Quellenwissen half, manche zunächst vage Theorie zu

6 Vorwort

bestätigen. Von Frau Professorin Dr. Barbara Stollberg-Rilinger konnte ich viel lernen; außerdem danke ich ihr für den unkonventionellen Gedankenaustausch. Herr Professor Dr. Bernd Schneidmüller hat als erster Externer mein Manuskript gelesen und mir geraten, mich an den Verlag Duncker & Humblot zu wenden. Dem Verleger, Herrn Dr. Florian R. Simon (LL.M), bin ich für die zügige Annahme meines Manuskripts zu großem Dank verpflichtet. Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei meinem Mann, Herrn Dr. Klaus-Peter Wefers. Er macht seit Jahrzehnten aus allen Lebenssituationen für uns das Beste, so schwierig die Umstände auch manchmal sein mögen. Das hat mir stets die für produktives Arbeiten nötige Ruhe und Sicherheit gegeben. Ihm sei dieses Buch gewidmet. Im Juni 2012

Sabine Wefers

Inhalt A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Überwindung von Prädispositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Das Reich als Metasystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Kulturelle Bedeutungsgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 IV. Quellenauswahl und Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Strukturen und Handlungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Beschaffenheit des Reichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Sozialstrukturelle Landschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Rex Romanorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Principes electores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 V. Principes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Herausforderungen und Antworten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Behebung von Strukturdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Die Krise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Die alte Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 IV. Der Reichskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Die Gefährdung der Christenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VI. Das Self-Commitment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 VII. Fehlendes Commitment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 D. Die Rollen der Handlungsträger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Die Rolle des Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Präsenz am Ort des Geschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Königliches Herrschaftsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Königtum und Dynastie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Die Rolle des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Weitere Machtrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Konzilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Königliche Gesandte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Kurfürsten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) „Quasi-König“ und Kurfürsten (1427) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) König und Kurfürsten (1495) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Europäischer Rahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Innenpolitische Anliegen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Königliche Anliegen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 f) Neue Handlungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

8 Inhalt g) Alte Handlungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 h) Konsolidierung des Reichs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 i) Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 j) Rückbindung an den König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Fürsten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Compliance versus Commitment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Neue Handlungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Strukturelle Gemengelagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 d) Alte Handlungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 e) Zwischen alten und neuen Handlungsmustern . . . . . . . . . . . . . . . 173 5. Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Misstrauen gegenüber Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Handlungsvollmacht vs. Hintersichbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Leute oder Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 d) König, Kurfürsten und Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 E. Primat der Außenpolitk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Druck von außen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Druck von oben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Druck von unten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 F. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Quellen und Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Namen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

A. Einleitung Wer handelt für das Reich? Unter welchen Rahmenbedingungen? Aus welchem Anlass? Mit welchen Mitteln? Diese vergleichsweise schlichten Fragen stellen sich Mediävisten seit Jahrzehnten, und zwar vor dem Hintergrund der immer wiederkehrenden Überlegungen, ob es denn eine Außenpolitik des Reiches geben könne und ob man Außenpolitik mangels eines geeigneteren Ausdrucks zumindest in Anführungsstriche setzen oder durch bessere Begrifflichkeiten wie „auswärtiges Handeln“ oder „Anforderungen von außen“ ersetzen müsse. Fasst man das Außen weiter und bezieht alle Kontakte mit Außenstehenden im Reichszusammenhang in die Betrachtung ein, dann könnte man vom „Umgang mit Fremden“ sprechen. Bei dieser Formulierung wird „fremd“ allerdings in der Regel als aus einem anderen Kulturkreis kommend verstanden. Und selbst die Zeitgenossen waren alarmiert, wenn der kulturell Fremde nicht in einer vage verorteten weiten Ferne verblieb, wie etwa die „auf der anderen Seite der Erde lebenden ‚Gegenfüßler‘ “, sondern wenn er im Reich reale Gestalt annahm. Allzu leicht wurde das Fremde dann sogleich als „Bedrohung des christlichen Europa“ empfunden.1 Dabei ist der Begriff des Fremden „für sich allein genommen nicht zu definieren und kann nur vor dem Hintergrund des Eigenen beschrieben werden. Das Fremde verschärft die eigene ­ Identitätsbildung.“2 Etwas vereinfacht führt dies zu der Frage, wie sich die wechselseitigen Relationen von innen zu außen, vom Eigenen zum Fremden zueinander verhielten. Dabei drängte sich bei der Behandlung des Themas Außenpolitik des spätmittelalterlichen Reiches3 eine auf den ersten Blick ganz leicht zu 1  Meier, Frank: Gefürchtet und bestaunt. Vom Umgang mit dem Fremden im Mittelalter, Ostfildern 2007, S. 7. 2  Meier, S. 6. 3  Wefers, Sabine: Versuch über die „Außenpolitik des spätmittelalterlichen Reiches“, in: Zeitschrift für Historische Forschung 22 (1995), S. 291–316; dies.: Zur Theorie auswärtiger Politik des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter, hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Bochum 2002, S. 259–370; dies.: Handlungsträger, Aktionsfelder und Potentiale von Außenpolitik im Spätmittelalter, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 59–71 (= Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer Regesta Imperii, Nr. 27).

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beantwortende, auf den zweiten jedoch hoch komplexe Frage immer deut­ licher in den Fokus: Was ist eigentlich das Eigene, das Innen? Was ist das Reich? Und wie verhält es sich zur Umwelt?4 Bei einer Vorstellung der methodischen Überlegungen5 zur vorliegenden Studie stellte auch Michael Borgolte spontan die Frage nach dem Reich. Oliver Auge kritisierte an anderer Stelle, man solle die Außenpolitik des Reiches nicht allein auf die königliche konzentrieren, sondern die Fürsten einbeziehen: „Das wäre der partikularen Verfaßtheit des Reiches angemessener und würde einen gewiß wichtigen Beitrag zum Verständnis seiner politischen Funktionsweisen leisten.“6 Freilich steht auch Auge vor dem Problem, die äußere Politik als solche genauer zu definieren. Er kommt zu dem Schluss, die fürstliche Innenpolitik habe „wesentlich mehr strukturellen Zwängen“ unterlegen als die fürstliche Außenpolitik.7 Diese Annahme stellt die wechselseitige Relation zwischen dem Zustand im Innern und dem Wirken nach außen in Frage, der Innen- zur Außenpoli­ tik also. Auch die großen Tagungen der letzten Jahrzehnte zur Außenpolitik des Reiches spiegeln diese Relativierung im Großen und Ganzen wider: Lange hatte die deutsche Forschung zur spätmittelalterlichen Geschichte das Thema Außenpolitik des Reichs weitgehend ausgeklammert oder doch we4  Wefers, Sabine: Die Wirkung des Hussitenproblems auf den politischen Zusammenhang von König und Reich im Zeitalter Sigmunds; in: Sigismund von Luxemburg. Kaiser und König in Mitteleuropa 1387–1437. Beiträge zur Herrschaft Kaiser Sigismunds und der europäischen Geschichte um 1400, hg. von Josef Macek, Ernö Marosi, Ferdinand Seibt, Warendorf 1994, S. 94–108; dies.: Der Wormser Tag von 1495 und die ältere Staatswerdung, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit, Festschrift für Peter Moraw zum 65. Geburtstag, hg. von Paul-Joachim Heinig, Sigrid Jahns, Hans-Joachim Schmidt, Rainer Christoph Schwinges, Sabine Wefers, Berlin 2000 (= Historische Forschungen, Bd. 67), S. 287–304; dies.: Sigismund und das Maß an Staatlichkeit, in: Sigismund von Luxemburg: ein Kaiser in Europa, hg. von Michel Pauly und François Reinert, Mainz 2006, S. 17–24. 5  Wefers, Sabine: Abwehr des Fremden im Reich des 15. Jahrhunderts, Dritte Plenartagung des DFG-Schwerpunktprogramms Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter (SPP 1173). Berlin, 29.06.2007. 6  Vgl. Auge, Oliver: Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit, Ostfildern 2009, S. 356. Zur Außenpolitik des spätmittelalterlichen Reichs haben sich vor allem geäußert: Reitemeier, Arnd: Außenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377–1422, Paderborn / München / Wien / Zürich 1999; Kintzinger, Martin: Politische Westbeziehungen des Reiches im Spätmittelalter. Westliche Kultur und Westpolitik unter den Luxemburgern, in: Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, hg. von Joachim Ehlers, Stuttgart 2002, S. 423–455; ders.: Westbindungen im europäischen Mittelalter. Auswärtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds, Stuttgart 2000. 7  Auge, S. 168.



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nigstens nicht problematisiert.8 Danach wirkte sich die allenthalben verstärkte sozialhistorische Ausrichtung der Forschung dahingehend aus, dass verstärkt die Höfe, die fürstlichen Dynastien und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen in den Fokus der Betrachtungen rückten.9 Die Analyse fürst­ 8  Vgl. „Bündnissysteme“ und „Außenpolitik“ im späteren Mittelalter, hg. von Peter Moraw, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 5, Berlin 1988. Vgl. dazu eine Rezension aus völkerrechtshistorischer Perspektive von Karl-Heinz Lingens (Frankfurt am Main), in: Ius Commune, Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte XVII, 1990, S. 431–434. Allerdings hat nicht allein die Mediävistik das Thema Außenpolitik lange in den Hintergrund gestellt. Auch in der neuzeitlichen Forschung drohten Fragen der Außenpolitik über Jahrzehnte hinweg vom „Primat der Innenpolitik“ verdrängt zu werden. Dieser Tatsache trug der 38. Deutsche Historikertag 1990 Rechnung, also beinahe zeitgleich zur Wiederentdeckung der Außenpolitik durch die Mediävisten. Vgl. Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV., hg. von Heinz Duchhardt, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11, Berlin 1991; Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt, Köln / Wien 1991 (= Münstersche Historische Forschungen 1). Vgl. zur spätmittel­ alterlichen Außenpolitik: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter, hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Bochum 2002; Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hg. von Rainer C. Schwinges und Klaus Wriedt, Ostfildern 2003; Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, Wien  /  Köln  /  Weimar 2007 (= Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer Regesta Imperii, Nr. 27). 9  Nolte, Claudia: Familie, Dynastie und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530), Ostfildern 2004. Seit etwa 1990 erschienen Zusammenfassungen von einschlägigen Forschungsergebnissen. Vgl. Vorträge und Forschungen zur Residenzfrage, hg. von Peter Johanek, Sigmaringen 1990 (= Residenzenforschung 1), aber auch die späteren Bände, z. B. Alltag bei Hofe, 3. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1995 (= Residenzenforschung 5); Zeremoniell und Raum, 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1997 (= Residenzenforschung 6); Höfe und Hofordnungen 1200–1600. 5. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Sigmaringen 1999 (= Residenzenforschung 10), Principes, Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spieß und Ralf-Gunnar Werlich, Stuttgart 2002 (= Residenzenforschung 14) bis hin zu Hirschbiegel, Jan: Höfe und Resi­ denzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 2 Bde, hg. von Werner Paravicini, Stuttgart 2003 (= Residenzenforschung 15 I–II); Hirschbiegel, Jan: Das Gehäuse der Macht. Der Raum der Herrschaft im interkulturellen Vergleich. Antike, Mittelalter, frühe Neuzeit, hg. von Werner Paravicini, Kiel 2005; Atelier – Vorbild, Austausch, Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung, hg. von Alla Paulina Orlowska, Werner Paravicini, Jörg Wettlaufer, Kiel 2009. Weiteres vgl. auch Hirschbiegel, Jan: Dynastie – Hof – Residenz. Fürstliche Höfe und Residenzen im Spätmittelalterlichen Reich. Allgemeine Auswahlbibliographie zu einem Projekt der Residenzen-Kommission der Akademie

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licher Herrschaftsbedingungen verstärkte die Grundannahme, Außenpolitik sei vorzugsweise eine familiär-dynastische Angelegenheit, die „ureigenste Sache“ eines Fürsten.10 Damit war zwar eine Problematisierung des Themas erfolgt, freilich mit einer doch wieder recht einseitigen Ausrichtung auf den höfisch-dynastischen Aspekt. Martin Kintzinger schließlich erstellte eine Art Modernitätsrangfolge vom dynastischen zum abstrakten Herrschaftshandeln in der Außenpolitik, indem er erläuterte, es habe einen graduellen Übergang vom Erbvertrag über die Gewährung sonstiger Privilegien bis hin zum Vertrag ohne direkte dynastische Hintergründe gegeben.11 So habe Sigismund zum Beispiel dem König von Frankreich gegenüber eine dynastische Politik betrieben, bei den dortigen Fürsten eine auf aktuelle Absichten gegründete Vertragspolitik gewählt und mit dem König von England „eine Politik der Monarchen“ gepflegt.12 Die gängigen Zweifel, was die einschlägige moderne historische Wissenschaft mit dem Begriff Außenpolitik im Spätmittelalter verbinde, beschreibt Jörg Schwarz recht anschaulich: „Man weiß zwar, was gemeint ist, aber so richtig zutreffen, will er irgendwie nicht. Außenpolitik – das klingt nach Bismarck und Stresemann, Helmut Schmidt und Henry Kissinger, nach eindeutig festgelegten Grenzen und klaren Ressortaufteilungen.“13 Wenn Henry Kissinger also im Reich des 15. Jahrhunderts chronologisch und herrschaftstechnisch definitiv nicht zu verorten war, konnte es dann überhaupt eine Außenpolitik des Reiches geben? Diese Unsicherheit führte zu der methodischen Hilfskonstruktion, das spätmittelalterliche Reich systemader Wissenschaften in Göttingen, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 4 (2000) mit einer Erweiterung bis 2004 in der Internetversion. 10  Auge, S. 168. Vgl. u. a. auch: Spieß, Karl-Heinz: Europa heiratet. Kommunikation und Kulturtransfer im Kontext europäischer Königsheiraten des Spätmittel­alters, in: Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. von Rainer C. Schwinges, Christian Hesse und Peter Moraw, München 2006, S. 435–464 (= Historische Zeitschrift, Beiheft 40); Spieß, Karl-Heinz: Internationale Heiraten und Brautschätze im Spätmittelalter, in: Die Visconti und der deutsche Südwesten. Kulturtransfer im Spätmittelalter, hg. von Peter Rückert und Sönke Lorenz, Ostfildern 2008, S. 115–130 (= Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, Bd. 11); Schneider, Joachim: Innerdeutsches und internationales Konnubium. Burggraf Friedrich VI. von Hohenzollern und Graf Eberhard III. von Württemberg. In: Die Visconti und der deutsche Südwesten. Kulturtransfer im Spätmittelalter, hg. von Peter Rückert und Sönke Lorenz, Ostfildern 2008, S. 153–170 (= Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, Bd. 11). 11  Vgl. Kintzinger, Westbindungen, S. 54. 12  Kintzinger, Westbindungen, S. 136. 13  Schwarz, Jörg: Rezension von Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, Wien / Köln / Weimar 2007 (= Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer Regesta Imperii, Nr. 27), in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 (15.11.2009).



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tisch daraufhin zu untersuchen, wie weit es in seiner Entwicklung auf dem Weg zu einer Außenpolitikfähigkeit gediehen war: Außenpolitik des Reichs war gegeben, wenn sich ein dazu hinreichender Grad von Staatswerdung konstatieren ließ. So erklärt sich, dass die meisten theoretischen Äußerungen, welche freilich allesamt die Entwicklung von ihrem Ende her sehen, die Offenheit der historischen Situation vernachlässigen mussten. Dieter Berg definierte zum Beispiel recht offen „jede politische Aktion eines Herrschers, die über die Grenzen des eigenen Machtbereichs hinausweist und höchst unterschied­ liche Ziele unter Verwendung eines geeigneten Instrumentariums politischer Kommunikation verfolgte“14 als Akt außenpolitischen Handelns, freilich ohne die von ihm vorausgesetzten „Grenzen des eigenen Machtbereichs“ in Bezug zu setzen zu den sich vielfach überschneidenden Herrschafts- und Rechtssystemen im Reich. Paul-Joachim Heinig ging weiter, indem er konstatierte, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sei zu beobachten, dass angesichts einer „reichspatriotisch-propagandistischen Argumentation bei gleichzeitiger Wahrung der Deutungshoheit außenpolitischer Konflikte“ schlagend belegt sei, dass weder Kaiser noch Reich außenpolitisch unbedarft gewesen seien.15 Arnd Reitemeier sah bereits in den Beziehungen zwischen dem Reich und England zu Zeiten Kaiser Sigismunds ein mit entsprechenden Spezialisten untersetztes diplomatisches Konzept.16 Demzufolge hätte das Reich bereits einen hohen Grad an Außenpolitikfähigkeit erreicht: Es wäre sehr weit fortgeschritten gewesen in der „State formation“, was auch den Auf- und Ausbau „internationaler Beziehungen“ nahelegen würde. Harald Kleinschmidt ergänzte, das internationale System habe am Ende des 15. Jahrhunderts eine neue Dimension erhalten, gekennzeichnet unter anderem durch einen Anstieg der Zahl der Akteure und residente Gesandte.17 Diese Überlegungen zu Inhalten und Techniken der Außenpolitik des spätmittelalterlichen Reiches litten freilich nachhaltig an den bemerkenswer14  Berg, Dieter: Deutschland und seine Nachbarn, 1200–1500, München 1997, S. 1 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 40). 15  Heinig, Paul-Joachim: Konjunkturen des Auswärtigen. „State formation“ und internationale Beziehungen im 15. Jahrhundert, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 21–55 (= Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer Regesta Imperii, Nr. 27). 16  Reitemeier, Arnd: Außenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377–1422, Paderborn u. a. 1999 (= Veröffentlichungen des deutschen Historischen Instituts London, Bd. 45). 17  Kleinschmidt, Harald: Geschichte der internationalen Beziehungen: ein systematischer Abriß, Stuttgart 1998.

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ten Defiziten hinsichtlich der Konsistenz einschlägiger theoretischer Konzeptionen. Karsten Plöger konstatierte mit Blick auf die Geschichte der Diplomatie: „The classic surveys of the history of diplomatic theory and practice produced in the twentieth century generally shared this obsession with modernity, espousing, as they did, a teleological view of diplomacy: the idea that, after protracted but continuous development, we have today achieved the best and final form in which to organize peaceful relations between states.“18 Im Grunde führte die Forschungsdiskussion also wieder auf den Punkt zurück, welchen Helmut G. Walther bereits 1988 so zusammenfasste: Nach 1945 habe Außenpolitik „kein legitimer Untersuchungsgegenstand mediävistischer Forschung“ mehr sein können, weil erst in der Neuzeit „(moderner) Staat und Souveränität eine unlösbare Einheit bilden“. Da Außenpolitik „eine solche Souveränität voraussetzt, um wirklich Politik nach außen sein zu können“, habe man konsequenterweise von diesem Thema Abstand nehmen müssen.19 Nun wende man sich dem Bereich wieder zu, weil man Elemente von Staatlichkeit im Mittelalter allenthalben feststelle und damit wieder zu einer Arbeitsbasis zurückgefunden habe.

I. Überwindung von Prädispositionen Der Ausgangspunkt des neuzeitlichen Staates mit seiner Außenpolitik als gleichsam zeitlose Größe, an dem das spätmittelalterliche Reich gemessen wird, ist eine methodische Herausforderung, mit der sich jeder moderne Historiker auseinandersetzen muss. Es gilt, eine gedankliche und erfahrungsbestimmte Prädisposition zu überwinden.20 Die Wirkungskraft des neuzeitlichen Staates und seiner Regierung auf die Fragestellung nach dem spätmittelalterlichen Reich muss bewusst minimiert werden. Selbstverständ18  Plöger, Karsten: Foreign Policy in the Middle Ages, in: Bulletin of the German Historical Institute London 28 (2006), Review Articles, S. 35–46, hier: S. 36. Vgl. auch Plöger, Karsten: England and the Avignon Popes: The Practice of Diplomacy in Late Medieval Europe, London 2005. 19  Walther, Helmut G.: Einleitung, „Bündnissysteme“ und „Außenpolitik“ im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 5, Berlin 1988, S. 9–11, hier: S. 9. 20  Vgl. die methodischen Ausführungen bei Wefers, Handlungsträger, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner unter Mitarbeit von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S.  59–71; dies.: Zur Theorie auswärtiger Politik, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Bochum 2002, S. 359–370.



I. Überwindung von Prädispositionen15

lich reicht es nicht aus, definitorisch festzulegen, dass man sich für das 15. Jahrhundert nicht am neuzeitlichen Staat orientieren, sondern bestenfalls von einer jeweils zu bestimmenden Konstellation oder Station auf dem Wege zur Staatswerdung ausgehen werde. Eine solche Festlegung bewirkt logisch betrachtet letztlich das Gegenteil, erhebt doch die Negation beziehungsweise Relativierung des neuzeitlichen Staates diesen wieder zum Maßstab des methodischen Vorgehens. Es gilt also vielmehr, die Fragestellung selbst von Prädispositionen soweit wie möglich zu befreien. Da unser Wahrnehmungsgerüst für das, was einen Staat ausmacht, ausgesprochen komplex ist, muss die Transparenz der Fragen besonders hoch sein, um den vielfältigen Implikationen durch unser Vorverständnis möglichst wenig Raum zu geben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Erfahrung, dass sich bei einer Annäherung an eine Lösung komplexer Probleme meist ganz schlichte Fragen bewähren, weil diese wenig vorgeben und hohe Ansprüche an die Plausibilität der Antworten stellen. Schließlich geht es um das Aufzeigen und die Lösung sachlicher Probleme, und zwar so, wie es bereits Max Weber definiert hat, als er schrieb, die spezifische Aufgabe der Wissenschaft bestehe darin, „daß ihr das konventionell Selbstverständliche zum Problem wird“.21 Im gleichen Zusammenhang warnte Weber jedoch auch vor der Selbstgenügsamkeit der Theoriebildung.22 Auch diese Gefahr wird durch ein einfaches, mithin transparentes theoretisches Gerüst verringert. Einfache Fragen sind allerdings schwer zu bestimmen, wenn sie die Komplexität des Geschehens erfassen sollen. Andererseits erhöht sich bei einfachen Fragen die Nachvollziehbarkeit des Bezugs von Frage und Antwort, was sich im Sinne einer methodischen Validitäts- und Plausibilitätskontrolle auswirkt. Dabei soll das ursprünglich von Max Weber aufgebrachte, sodann von dem Kulturanthropologen Clifford Geertz23 übernommene Bild des „selbstgesponnenen Bedeutungsgewebes“ in methodisch adaptierter Form dazu dienen, die überkommenen verfassungs- und sozialhistorischen Erklärungsmuster mit ihren staatlichen Implikationen, nämlich die „Big Story“ des werdenden Nationalstaats – wie Howard Kaminsky es beschrieb – zu über21  Zitiert nach Hennis, Wilhelm, Der Sinn der Wertfreiheit, Zu Anlaß und Motiven von Max Webers „Postulat“, in: Der demokratische Verfassungsstaat: Theorie, Geschichte, Probleme, hg. von Oscar W. Gabriel, Ulrich Sarcinelli, Bernhard Sutor und Bernhard Vogel, unter Mitarbeit von Christl Blank, München 1992, S. 97–114, hier: S. 97. 22  Vgl. Hennis, hier: S. 105. 23  Geertz, Clifford: The Interpretation of Cultures: selected essays, New York 1973; ders.: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur, in: ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1983, S. 7–43.

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A. Einleitung

winden. Stellt man diese „Big Story“24 konsequent in Frage, dann zeigt das spätmittelalterliche Reich ein weites Feld von Entwicklungsansätzen, Bedeutungsgeweben oder Systemen, deren Erfolg oder Scheitern zeitgenössisch betrachtet noch völlig offen erschien. Mit Rolf Sprandel könnte man insofern für das Reich davon sprechen, dass jenes „Übereinander und Ineinander von Systemen, das die Existenz einer ganzen Gruppe sichern soll (…), Metasystem genannt werden kann.“25 Im Rahmen der Untersuchung soll das gedankliche Gerüst eines Metasystems helfen, die Merkmale, welche das Reich des 15. Jahrhunderts kennzeichnen, nicht zu präjudizieren und seine Entwicklungsoffenheit auch methodisch fest zu verankern. Die Wesenszüge des Alten Reichs, das ihm eigene Über-, Neben- und Ineinander von Einflussgrößen, Subsystemen oder Netzwerken lässt sich anhand seines Umgangs mit politischen Anforderungen konkret aufzeigen. Dazu müssen Handlungsträger, Handlungsweisen oder Handlungsmittel unter einem relationalen Blickwinkel in einem situationsbezogenen Ausschnitt untersucht werden, und zwar sowohl bezogen auf die Innen- als auch auf die Außenbezüge. Durch diese Betrachtung ergibt sich eine Analyse, was überhaupt als irgendwie fremd und abzuwehren verstanden wurde, in welcher Beziehung, von wem und mit welchen Mitteln, und zwar zu einem jeweils gegebenen Zeitpunkt. Ein derart offener Ansatz erweist sich, so wird zu zeigen sein, als deutlich eher geeignet, die Mischstruktur bzw. das Strukturgemenge des Reiches und die Ergebnisoffenheit der jeweiligen Situation zu erfassen, als dies mit Kriterien aus dem Kontext der Staatswerdung geschehen kann. In der vorliegenden Untersuchung sollen also die Bedingungen, Mittel und Wege erkundet werden, unter denen sich Handlungsträger im Deutschen Reich des 15. Jahrhunderts den Anforderungen ihrer Zeit stellten. Das Fragenraster wird dazu besonders einfach und offen gestaltet, weil so weitgehend transparent erfasst werden kann, was das Reich kennzeichnete.

II. Das Reich als Metasystem Die Konstituenten des Reichs seien im Folgenden in Umgebungsstrukturen und Handlungen der Akteure unterschieden. Wie verhielten sich die Strukturen und die Akteure zueinander, welche wechselseitigen Relationen gab es: „At one extreme, human beings are seen to be free agents with the power to 24  Kaminsky, Howard: Europe in the Time of Sigismund, in: Sigismund von Luxemburg: ein Kaiser in Europa, hg. von Michel Pauly und Franςois Reinert, Mainz 2006, S. 7–15, Zitat: S. 9. 25  Sprandel, Rolf: Mentalitäten und Systeme. Neue Zugänge zur mittelalterlichen Geschichte, Stuttgart 1972, S. 117.



II. Das Reich als Metasystem17

maintain or transform the social systems in which they o ­ perate. At the other extreme, it is assumed that human beings are caught in the grip of social structures which they did not create und over which they have no control. The problem of structure and agency exists because of the failure to find any way of synthesizing these two extreme positions.“26 Im Folgenden sollen Entscheidungsprozesse und deren Begründung in konkreten Situationen untersucht werden, um die genannten Extrempositionen zu vermeiden. Dabei gab es in jedem Entscheidungsprozess Strukturen, welche den Aktivitäten der verschiedenen Gewalten im Reich zugrunde lagen. Etablierte Erkenntnisse der Forschung zu diesen Handlungsgrundlagen sollen selbstverständlich Berücksichtigung finden, zum Beispiel die Beobachtung, dass Kommunen und Territorialherren früher Elemente staatlicher Strukturen entwickelten oder – lässt man die Big Story zum Nationalstaat gelten – entwickeln konnten als das Reich im Ganzen.27 Ähnlich verhält es sich mit dem wichtigsten Movens für Veränderungen, die gewaltsame Auseinandersetzung nämlich, deren Steigerung der Krieg ist. Die gewaltsame Auseinandersetzung wird wesentlich von dem handelnden Menschen bestimmt: „In any case, even when there was no open warfare, states und peoples lived under the shadow of war and were ceaselessly prompted to consider the possibility of war, even though they were not directly preparing it.“28 Im Sinne einer Strukturvorgabe gibt die gewaltsame Auseinandersetzung als solche vielfach das Thema vor, um das sich Vorstellungen und daraus folgende Handlungen ranken: Auf der einen Seite die freilich sehr differenziert wahrgenommene Bedrohung des politischen Systems durch Gewalt von außen, auf der anderen Seite, im Innern des So­ zialgefüges, die grundsätzlich rechtmäßige Gewaltanwendung durch den Rechteinhaber zur Durchsetzung seines Anspruchs. Es wird zu unterscheiden sein, wie das Reich innen und außen jeweils definierte und behandelte. Dabei wird sich freilich eine Konstituente des Geschehens immer wieder finden: die Notwendigkeit zur Finanzierung. Das, was man später öffentliche Finanzen nennen wird, ist mit der Vorbereitung auf den Krieg als solchen ebenso verbunden wie die Schaffung geeigneter politischer Bedingungen sowie rechtliche Festschreibungen, konkret also Steuern und die Selbstorganisation im Sinne des politischen und sozialen 26  Buzan, Barry / Jones, Charles / Little, Richard: The Logic of Anarchy, Neoreal­ ism to Structural Realism, New York 1993, S. 103–104. 27  Vgl. z. B. Isenmann, Eberhard: The Holy Roman Empire in the Middle Ages, in: The Rise of the Fiscal State in Europe c.1200–1815, hg. von Richard Bonney, Oxford 1999, S. 243–280. 28  Contamine, Philippe: Introduction, in: War and Competition between States, hg. von Philippe Contamine, Oxford 2000, S. 1–7, Zitat: S. 1.

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A. Einleitung

Miteinanders: „Public income was, after all, chiefly raised from people in order to finance war, so that almost everywhere the ‚modern‘ system of taxation, whether direct or indirect, was constructed with war in mind, presented rightly or wrongly as a predominantly defensive operation.“29 Der Modus agendi wurde so oder so zunehmend formalisiert und damit auch „gezähmt“, was die Dimensionen der Gewalt respektive des Krieges in Maßen hielt. Bis zum Ende des Mittelalters ermöglichte es das gemeinsame Rechtssystem jedoch, Krieg mit einem „violent legal dispute“ gleichzusetzen. Dieser Grundkonsens konnte Andersgläubige freilich nicht einbeziehen (vgl. die Hussitenkriege oder die Osmanen) und musste zudem spätestens enden, als die große Gemeinschaft der Christenheit zerfiel: Die Religionskriege erzeugten deshalb eine neue Qualität.30 Bereits vor dem großen Umbruch ergaben sich weitere Veränderung durch neuartige Kriegstechniken: So erschreckten und verunsicherten die Hussiten beispielsweise ihre Gegner mit panzerähnlichen Wagenburgen.31 Hinzu kamen die neuen Machthaber in Europa und deren extremer Mitteleinsatz. Die Söldnerheere wurden immer stärker und immer teurer. In diesem Zug gewann folgerichtig die Infanterie an Bedeutung und relativierte die traditionelle Exklusivität der Reiterei. Diese Entwicklungen in der Kriegsführung hatten eine für die Entwicklung Europas wesentliche Folge: „The consequence of such an evolution was a sharp reduction in the number of powers able to conduct a war on their own.“32 Faktisch belegbare bzw. logisch erkennbare Konstituenten wie diese bilden sozusagen die Folie, vor der das spätmittelalterliche Reich sich entwickelte. Im 15. Jahrhundert war das Reich also gefordert, sich ganz unterschiedlichen Auseinandersetzungen zu stellen. Insofern soll der zunächst vielleicht provokant anmutende Titel ‚Das Primat der Außenpolitik‘ darauf hindeuten, dass eine Selbstorganisation des politischen Gesamtsystems Reich im 15. Jahrhundert notwendig wurde, um den Anforderungen von außen adäquat begegnen zu können. 29  Contamine,

S. 1–7, Zitat: S. 2. Duchhardt, Heinz: War and International Law in Europe. Sixteenth to Eighteenth Centuries, in: War and Competition between States, hg. von Philippe Contamine, Oxford 2000, S. 279–299, hier: 279–282; Dickmann, Fritz: Friedensrecht und Friedenssicherung: Studien zum Friedensproblem in der Geschichte, Göttingen 1971; Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997. 31  Vgl. dazu die einschlägigen Ausführungen in der Dissertation von Bleicher, Michaela: Das Herzogtum Niederbayern-Straubing in den Hussitenkriegen. Kriegsalltag und Kriegsführung im Spiegel der Landschreiberrechnungen, Regensburg 2004, S. 79–82. 32  Contamine, Zitat: S. 4. 30  Vgl.



III. Kulturelle Bedeutungsgewebe19

Wie diese Selbstorganisation aussah, wie weit sie ging bzw. unter den geltenden Bedingungen gehen musste und konnte, wird zu zeigen sein. Dabei soll im Folgenden versucht werden, die Strukturen nicht teleologisch im Sinne einer zweckbestimmten Vorgabe zu verstehen. Stattdessen soll explizit versucht werden, den Fallstricken der „Big Story“ zu entkommen: Man sucht und findet die passenden Strukturelemente für eine letzten Endes bekannte Entwicklung und setzt sie absolut. Respektiert man nämlich die zeitgenössische Offenheit der politischen und sozialen Entwicklung, stellt sich das spätmittelalterliche Reich als ein komplexes Beziehungsgeflecht dar, dessen Bestandteile längst nicht durchweg feste Größen waren.33 Im Gegenteil, bei genauerem Hinsehen ist festzustellen, dass die Mehrzahl der Parameter interpretations- und einordnungsbedürftig erscheinen.

III. Kulturelle Bedeutungsgewebe Berücksichtigt man Grenzen schaffende beziehungsweise erweiternde Interessen-, Personen-, Wirtschafts- und Rechtsgemeinschaften, so war das Reich in sich äußerst heterogen und hinsichtlich seiner Reaktionsfähigkeit stark abhängig von der Situation, dem Ort des Konflikts und dem Zeitpunkt seines Auftretens. Die Angehörigen der verschiedenen Beziehungsgeflechte im Reich gehorchten nämlich jeweils eigenen Spielregeln des friedlichen Zusammenlebens auf der einen und der Konfliktbewältigung auf der anderen Seite. Dabei erzeugten je nach Anliegen unterschiedliche Interessenlagen auch unterschiedliche Gemeinschaften, deren Zusammensetzung sich flexibel gestalten konnte, manches Mal auch vertikal durch ansonsten horizontal definierte Gruppen. Dabei spielt das kulturelle Selbstverständnis eine entscheidende Rolle für das Maß an Flexibilität. Gegen Häretiker oder gar Heiden musste ein jeder Christ moralisch einschreiten: In welchem Maße, mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt hingegen bestimmte ein ganzes Bündel von subjektiven Rahmenbedingungen. Das jeweilige Bedeutungsgewebe aus faktischen Gegebenheiten (wie der Nähe zum Geschehen) und sozialen Bindungen bestimmte die konkrete politische Reaktion wesentlich mit. Das lässt sich bei der Reaktion auf Anforderungen von außen besonders anschaulich aufzeigen, wobei es auch sein konnte, dass eigentlich (im Sinne der Reichszugehörigkeit) Außenstehende, sofern sie integraler Bestandteil kultureller Gruppierungen oder wirtschaftlicher Netze waren, gar nicht unbedingt als Fremde empfunden wurden. So konnte bei kulturell nicht eindeutigen 33  Vgl.

Wefers, Sigismund, hier: S. 17–18.

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A. Einleitung

Feindbildern, zum Beispiel den Franzosen, die Abwehrmotivation im Reich sehr unterschiedlich ausfallen: Am Rhein konnten die engen sozialen und ökonomischen Beziehungen und sozialen Verflechtungen in solchen Fällen sogar kriegsverhindernd wirken. Das Reich präsentiert sich dem Betrachter damit weniger als ein relativ geschlossenes Ganzes, dessen politische und soziale Entwicklung durch progressive und retardierende Elemente zwar nicht eben gleichmäßig, im Grunde jedoch eindeutig auf den neuzeitlichen Staat ausgerichtet verlief. Vielmehr lässt sich das Reich als eine Mischstruktur beschreiben, in Teilen sogar als ein Strukturgemenge, bezogen auf eine Vielzahl von mehr oder minder flexiblen Teilsystemen. Das Fehlen eines eindeutigen Musters für das jeweilige Handeln ist ein wichtiges Anzeichen für diese unentschiedene Situation. Manches entwicklungsgeschichtlich Ungleichzeitige existiert gleichzeitig, manche Strukturen passen nach unserem heutigen Verständnis nicht zueinander und greifen doch ineinander. Besonders unter dem Einfluss von Krisen werden Neuerungen gewagt, welche nach der Bewältigung der Krise teilweise wieder zurückgenommen werden.34 Ebenso macht es die Kleinteiligkeit des Reiches auch ganz selbstverständlich möglich, dass parallel dazu in unmittelbarer Nachbarschaft vergleichsweise archaisch anmutende Zustände unberührt fortbestehen. Die Strukturelemente dieser Vielgestaltigkeit ergeben sich aus gegebenen Faktoren wie der Größe des Raumes, der Infrastruktur, dem technischen Entwicklungsstand, Wirtschaftsbeziehungen, Herrschaftsrechten etc. Diese Konstituenten sind relativ gut bestimmbar und in der moderneren Mediävistik dementsprechend thematisiert worden.35 Für eine Reaktion des Reiches bestimmend ist jedoch – so die These – das Hinzukommen solcher Anteile, die durch die Wahrnehmung einer Anforderung bestimmt werden und durch Entscheidungen geprägt sind: die Motivation bzw. (Selbst-)Verpflichtung zum Handeln, der Handlungsradius, die Berechtigung zum Handeln und die Auswahl bzw. Erzeugung als adäquat empfundener Mittel. Diese Abgren34  Vgl. nach wie vor die Überblicksdarstellungen in: Studies on Crisis Management, hg. von Carolyne F. Smart und William T. Stanbury, Toronto 1978, hier besonders: Khandwalla, Pradip N.: Crisis Response of Competing Versus Noncompeting Organizations, S. 151–178; Bühl, Walter L.: Krisentheorien, Darmstadt 1984; Politische Systemkrisen, hg. von Martin Jänicke, Köln 1973 oder Herrschaft und Krise, hg. von Martin Jänicke, Opladen 1973. 35  Vgl. u.  a. Natürliche und politische Grenzen als soziale und wirtschaftliche Herausforderung, hg. von Jürgen Schneider, Wiesbaden 2003; nach wie vor auch Stromer, Wolfgang von: Oberdeutsche Hochfinanz 1350–1450, Wiesbaden 1970; Praktiken des Fern- und Überseehandels, hg. von Mark Häberlein und Christof ­Jeggle, Konstanz 2006; Netzwerke im europäischen Handel des Mittelalters, hg. von Hans-Jörg Gilomen und Gerhard Fouquet, Ostfildern 2010.



III. Kulturelle Bedeutungsgewebe21

zung nach außen wirkte zweifelsfrei integrierend beziehungsweise identitätsbildend: Gemeinsame Anstrengungen verdichteten kurz- oder gar langfristig die wechselseitigen Beziehungen, das innenpolitische Beziehungsgeflecht, was zu neuen politischen und sozialen Infrastrukturen führen konnte. Dabei soll im Folgenden nicht allein das Handeln, sondern auch das NichtHandeln im Hinblick auf seine Bedeutung für eine innenpolitische Konsolidierung des Reiches untersucht werden. Im Kontext der großen Konflikte erfolgten Zusagen nämlich gelegentlich erkennbar pro forma. Diese formaliter gegebenen Zusagen gingen mit einem arg verzögerten und hinsichtlich des Aufwands minimierten Engagement einher. In diesen Fällen von vornherein eine verfassungspolitisch motivierte Leistungsverweigerung des Reiches zu vermuten, würde freilich zu kurz greifen. Es ist vielmehr zu prüfen, inwieweit die rein formelle oder auch unter Hinweis auf Hinderungsgründe verzögerte Zusage zu den Verhaltensmustern gehörte, welche im Sinne einer Konsolidierung des Reiches wirkten, als Mittel zu einer sowohl erträglicheren als auch ertragreicheren Ausgestaltung der Leistungen nämlich und damit als Beitrag zu einer Festigung der Strukturen und damit letztlich auch Steigerung der Leistungsfähigkeit des politischen Gesamtsystems. Diese Vermutung liegt besonders dann nahe, wenn die offiziell formulierten Hinderungsgründe mit der zeitgenössischen Wirklichkeit kaum oder gar nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen waren, wenn also weniger reale als historische oder traditionelle Argumente bemüht wurden. War man sich dieser Schere zwischen Tradition und Realität bewusst bzw. wie weit war die Abstraktion der Normen fortgeschritten? Wurde traditionelles Verhalten im Einzelfall sogar im Wortsinn plakativ eingesetzt, um dem Gegenüber etwa zu verdeutlichen, dass überkommene Lösungsschemata zwar traditionell korrekte Regelungen hervorbringen mochten, diese allerdings der aktuellen Situation erkennbar nicht mehr gerecht würden? Die etwas andere Sicht der Dinge als interpretatorisches Instrument dürfte die Reaktionen des Reiches als Ganzes oder seiner Teile auf das jeweils mehr oder minder Fremde besser verstehen helfen, indem die jeweils in einen Funktionszusammenhang einzuordnenden Konstituenten der Entwicklung des Reiches in Europa, etwa die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten, Gruppenbildungen und deren Grenzen, die kontextuelle Begründung von Entscheidungen und die situations- beziehungsweise gruppenbezogene Einordnung von Problemen deutlich herausgearbeitet werden. Es geht mithin um die Muster, welche die strukturellen Konstituenten der Reichsentwicklung entscheidend ergänzten und belebten. Und dass das gewählte Thema für Aussagen zu diesem Komplex besonders aussagekräftig ist, dürfte unbestreitbar sein: Kaum etwas bewegt den Menschen schließlich so wie die Abwehr.

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A. Einleitung

IV. Quellenauswahl und Untersuchungszeitraum Zur Operationalisierung des Vorhabens wurden Foren der Politikschwerpunkte untersucht, also Hof- bzw. Reichstage. Betrachtet man im 15. Jahrhundert die Regierung Kaiser Sigismunds36, wird man mit einem Herrscher ohne Hausmacht im Reich konfrontiert. Sigismund war aktives politisches Handeln lediglich bei eklatanten Ordnungsverletzungen möglich. Er bietet insofern „Königsherrschaft pur“, was sich als eine besondere Konstellation in der Geschichte des spätmittelalterlichen Reiches darstellt. Wenn man diese Königsherrschaft mit der Vielfalt an Systemkomponenten und deren Relationen zueinander sowie den Verflechtungen von persönlichem Handeln und strukturellen Rahmenbedingungen im Reich des späten Mittelalters in Beziehung setzen möchte, bietet sich sozusagen als Kontrapunkt zu Sigismunds Schwäche die Stärke der Habsburger an, mit ihren Schwerpunkten sowohl im Osten als auch im Westen. Die Habsburger umspannten damit nicht nur das Reich in seiner gesamten Ausdehnung; sie waren darüber hinaus bereits im 15. Jahrhundert in die neu aufkommenden europäischen Machtverhältnisse dynastisch eingebunden, auch dies eine Konstellation, die Sigismund, der Kaiser in Europa, aus einer völlig anderen Perspektive zu behandeln hatte.37 Besonders virulent erschien die Bedrohung durch „Glaubensfeinde“, gerade zu Beginn und am Ende des 15. Jahrhunderts. Inwieweit diese unterschiedlichen Kräfte als Bedrohung des Reichs wahrgenommen wurden und welche Reaktionen sie auslösten, wird zu beleuchten und zu bewerten sein. Die Herrschaft Kaiser Friedrichs III. und seines Sohnes Maximilian I. stellte sich, gerade nach der Königswahl im Jahre 1486 bis zu Friedrichs Tod 1493, sogar als eine dynastisch besonders verdichtete Situation dar: Es standen nämlich gleich zwei Vertreter des Hauses – unter Wahrung unterschiedlicher Herrscherrollen – mit beachtlicher Hausmacht an der Spitze des Reiches. Beide Herrscher agierten also vor dem gleichen familiären Hintergrund, jedoch mit unterschiedlichen Verortungen der eigenen Sicht auf das Geschehen und mit dementsprechend häufig voneinander abweichenden Prioritäten und Verhaltensmodellen. Gemeinsamkeiten wie Unterschiede in der Wahrnehmung und Abwehr von Gefahren für das Reich werden im 36  Wefers, Sabine: Das politische System Kaiser Sigmunds, Stuttgart 1989; dies.: Sigismund und das Maß an Staatlichkeit, in: Sigismund von Luxemburg: ein Kaiser in Europa. Tagungsband des internationalen historischen und kunsthistorischen Kongresses in Luxemburg, 8.–10. Juni 2005, hg. von Michel Pauly und François Reinert, Mainz 2006, S. 17–24. 37  Vgl. Sigismund von Luxemburg: ein Kaiser in Europa. Tagungsband des internationalen historischen und kunsthistorischen Kongresses in Luxemburg, 8.–10. Juni 2005, hg. von Michel Pauly und François Reinert, Mainz 2006.



IV. Quellenauswahl und Untersuchungszeitraum23

Folgenden situationsbezogen offen betrachtet, d. h. daraufhin untersucht, wer von beiden was als Bedrohung des Reiches verstand und wie er dieser Gefahr begegnete. Die Auswirkungen der strukturellen Rahmenbedingungen auf den Handlungsradius des Reichsoberhaupts werden genauer zu analysieren sein. Letztendlich gilt es zu prüfen, ob und inwieweit die für die Ära Sigismund getroffene Bilanz am Ende des Jahrhunderts weiterhin Bestand hat: „Der weit ausgedehnte Herrschaftsraum mit den unterschiedlichen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen überforderte das Leistungsvermögen eines spätmittelalterlichen Herrschers bei weitem.“38

38  Wefers,

Sabine: Sigismund und das Maß an Staatlichkeit, Zitat: S. 24.

B. Strukturen und Handlungsträger I. Beschaffenheit des Reichs Max Weber hat die Abwehr von Gefahr, die Sicherung des Lebens, welches eine Gemeinschaft formt und Herrschaft legitimiert, als Zentralmotiv gesellschaftsvertraglicher Staatsmodelle bezeichnet. Eine in der Grundaussage ähnliche Einschätzung findet sich bereits bei Thomas Hobbes, welcher seine Idee vom notwendigen Selbstschutz des Menschen gegen die Übergriffe seinesgleichen in die einprägsame Plautus-Adaptation fasste: Homo homini lupus.1 Im Folgenden soll es darum gehen, wie sich im 15. Jahrhundert die Gefahrenabwehr bezogen auf das Reich gestaltete. Was betrachtete man überhaupt als Gefahr für das Reich? Wer waren die entscheidenden politischen Handlungsträger und wie verhielten sie sich in konkreten Situationen, die sie als gefährlich für das gesamte Reich wahrnahmen? Wie konnten sie sich unter den Bedingungen des 15. Jahrhunderts überhaupt verhalten?2 Zur Behandlung dieses Themas muss freilich zunächst die Frage nach der Beschaffenheit des Gesamtsystems „Reich“ gestellt werden: Was also ist das Reich im späten Mittelalter? Die Bezeichnung als das Heilige Römische Reich (Sacrum Imperium Romanum seit Ende des 12. Jahrhunderts) deutscher Nation oder auch „Lande“ (wohl zuerst 1409) ist per se komplex. Sie deutet auf den „uneinholbaren Legitimationsvorsprung in Gestalt der alleinigen Verankerung des Reichs in der Heilsgeschichte“3 ebenso hin wie sie die römisch-antiken Wurzeln aufnimmt. Schließlich drückt sie zudem eine frühe Nationalisierung aus. Letztere entwickelte sich vor dem Hintergrund einer wachsenden Differenz zwischen dem hohen Anspruch des Weltimperiums und einer verfassungspolitischen Realität, welche sich im europäischen Raum zunehmend als ein mehr oder minder dichtes politisches System großer Herrschaftsräume (regna) darstellte. In Deutschland blieb es auch im späten Mittelalter noch bei dieser Zweigleisigkeit und damit auch bei der 1  Originalzitat: Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit. (Titus Maccius Plautus: Asinaria, 495). 2  Vgl. auch Wefers, Handlungsträger. 3  Vgl. den nach wie vor grundlegenden Artikel Peter Moraws: Heiliges Reich, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV, München / Zürich 1989, Sp. 2025–2928, Zitat: Sp. 2026.



II. Sozialstrukturelle Landschaften25

Offenheit für eine Vermischung der Begriffe (und Vorstellungen von) „Kaiser-“ und „Königreich“.

II. Sozialstrukturelle Landschaften Das Reich räumlich zu fassen war entsprechend schwierig. Damit ist auch die geographische Ausdehnung angesprochen, wobei Aussagen zur Geographie freilich eng bezogen sind auf das politische System bzw. die politischen Systeme „Reich“.4 Gemeint sind insofern Fragen nach politischen Raumvorstellungen bzw. nach dem Vorhandensein eines einigermaßen flächendeckenden Reichsverständnisses. Gab es ein mehr oder minder ausgewogenes Bewusstsein von einem großen Ganzen, eine „deutsche“ Verfassung also?5 Legte man der Untersuchung diese Frage zugrunde, wäre die Antwort wenig überraschend, denn: „Es gab natürlich keine flächendeckenden Verfassungsvorstellungen gleichen Inhalts, sondern nach Interessen geordnete landschaftlich verschiedene Verfassungsvorstellungen.“6 Man wird also von unterschiedlichen Landschaften ausgehen und umso mehr die Frage stellen müssen, was diese Landschaften eigentlich zusammenhielt: Was also macht das Reich aus? Es wies eine Vielzahl von „Landschaften“, „Lebensräumen“, „Regionen“, „Herrschaften“ auf, welche freilich eine „fatale Landkarte“ ergeben würden, zeichnete man sie mit kartographischer Präzision auf, denn ihre Gliederung muss und kann den historischen Gegebenheiten folgend nur lückenhaft, überlappend, unpräzise sein.7 Insgesamt war das Reich, um es leicht provokativ auszudrücken, eigentlich zu groß, um ein Erfolgsmodell zu beschreiben. Denn es erwiesen sich nur solche politischen Gebilde als „besonders 4  Vgl. die Bestandsaufnahme des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte unter dem Titel Raumerfassung und Raumbewusstsein im späteren Mittelalter; hg. von Peter Moraw, Stuttgart 2002 (= Vorträge und Forschungen; Bd. XLIX). 5  Vgl. die Dissertation Lenz, Martin: Konsens und Dissens. Deutsche Königswahl (1273–1349) und zeitgenössische Geschichtsschreibung, Göttingen 2002 (= Formen der Erinnerung, 5). 6  Moraw, Peter: Politische Landschaften im mittelalterlichen Reich, in: Landschaften im Mittelalter, hg. von Karl-Heinz Spieß, Red. Ralf-Gunnar Werlich, Stuttgart 2006, S. 153–166, Zitat: S. 155. 7  Vgl. die anekdotenhafte Erzählung Peter Moraws über die ungewollt präzise Ausführung einer ursprünglich primitiven Handskizze, welche anlässlich eines Vortrags (Moraw, Peter: Regionen und Reich im späten Mittelalter, in: Regionen und Föderalismus. 50 Jahre Rheinland-Pfalz, hg. von Michael Matheus, Stuttgart 1997, S. 9–29) entstanden war: „Seitdem weiß jedermann nur ich selber nicht, wie das politische Deutschland von einst gegliedert ausgesehen hat.“ (Moraw, Politische Landschaften, Zitat: S. 154).

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B. Strukturen und Handlungsträger

konkurrenzfähig“, welche verkehrs- und kommunikationstechnisch so erschlossen waren, dass man sie zu Pferde durchqueren konnte, und zwar „mit einem durch damalige Lebenserfahrung vorgegebenen Rahmen von mehreren Reisetagen, die man auch illiterat, mit ritterlicher Ausbildung, lebensweltlich erfolgreich bewältigen konnte“; beim Reich hingegen muss man davon ausgehen, dass es in dieser Hinsicht „additiv beschaffen“ war.8 Auch das Bild einer „additiven“ Beschaffenheit freilich reicht nicht aus, das Reich zu beschreiben. Das mathematische Denkmodell müsste angesichts der Komplexität der Reichsverfassung(en) korrekterweise um Kategorien aus der Mengenlehre, um Teil- und Schnittmengen also, erweitert werden. Und es müsste zudem flexibilisiert und dynamisiert werden, das heißt, es dürfte weder als auf eine moderne Staatlichkeit mehr oder minder gradlinig zustrebend noch auf die zeitgenössische Vorstellung der erstrebenswerten Wiederherstellung einer gottgewollten (mithin statischen) Ordnung hin fixiert verstanden werden. Das Reich verdichtete sich vielmehr unter dem Druck hoher Anforderungen, verlangsamte seine Reaktionen unter bestimmten Bedingungen jedoch auch wieder; und dies alles durchaus nicht dauerhaft, auch nicht gleichmäßig oder gar flächendeckend. Das Reich stellte sich in seinen Reaktionsmöglichkeiten also höchst differenziert dar. Entsprechend wenig kann man von einem „Machtzentrum“ des Reichs, einer Hauptstadt etwa, ausgehen.9 Im Spätmittelalter finden sich im Reich deshalb auch gleich mehrere Orte, welchen Zentrumsfunktionen zuzuschreiben sind. Genannt seien für das 15. Jahrhundert vor allem die Kommunen, welche im Sinne der Goldenen Bulle einen privilegierten Status innehatten: Neben Aachen als Krönungsort besonders Frankfurt am Main als Ort der Königswahl (und in diesem Sinne auch Stätte der Kurfürsten) sowie Nürnberg als Ort des Hoftags, also als die Stätte des Herrschers. Diese Nähe Nürnbergs zum Herrscher spielte in der Ära eine entscheidende Rolle, verfügte dieser Herrscher doch über kein „eigenes“ dynastisches Machtzentrum im Reich. Nürnberg, der zentrale Geldmarkt für die gesamte oberdeutsche Wirtschaft, eine Stadt mit weitgespannten Nachrichten- und Wirtschaftsverbindungen bis nach Italien, rückte spätestens 1422 in den Mittelpunkt des königlichen Beziehungsnetzes im Reich.10 Die Stadt 8  Moraw,

Politische Landschaften, besonders S. 160–164, Zitate: S. 160, 161. zum Problem: Moraw, Peter: Zur Mittelpunktsfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag, Berlin 1980, S. 445–489. 10  Vgl. Heinig, Paul-Joachim: Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389– 1450. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte, Wiesbaden 1983 (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abtlg. Universal­ geschichte, 108); Stromer, Wolfgang von: Oberdeutsche Hochfinanz 1350–1450, 9  Vgl.



II. Sozialstrukturelle Landschaften27

brachte in diese Verbindung finanz- und wirtschaftspolitisches Substrat ein, der Herrscher seine Attraktivität als Legitimationsinstanz.11 Es entstand also eine Verbindung von Macht und Geld. Aus dieser Relation jedoch eine „Hauptstadt“ des Reichs ableiten zu wollen, würde zu weit gehen, denn Nürnberg ließe sich als auf ihre Freiheit bedachte Kommune dem Herrscher gar nicht so eng zuordnen und wäre in dieser Beziehung ohnehin nur ein Beispiel unter mehreren. Festzuhalten bleibt, dass sich subsidiäre Strukturen ausbildeten, welche sozusagen hilfsweise Zentrumsfunktionen im Reich übernahmen. Diese Zentren mussten groß genug, relativ gut erreichbar und wirtschaftlich so potent sein, dass sie zentrale Anforderungen überhaupt wahrnehmen konnten. In erster Linie sind in diesem Kontext Kommunen zu nennen, welche wiederholt als Hof- bzw. Reichstagsstätten dienten (unter anderem Worms und Regensburg). Mit dem Anwachsen des Finanzbedarfs der Könige entwickelten sich die Kommunen im Reich (unabhängig von politischen Willensakten) generell zu wichtigen Säulen der Herrschaft; die Geldgeber, also Kaufleute, Bankiers und die erfolgreichen Zünfte, wurden in zunehmendem Maße zu Teilhabern an der Macht.12 Mit dem wandernden Hof fehlten die strukturellen Voraussetzungen für einen städtischen Mittelpunkt des Reiches. So fehlte etwa nach der Katastrophe der Staufer die Großdynastie, welche einen Zentralort hätte etablieren können.13 Selbst unter den für die Verhältnisse im Reich überdimensional erstarkten Habsburgern14 entwickelte sich gegen Ende des 15. Jahr3 Teile, Wiesbaden 1970 (= Beihefte 55–57 zur VSWG); Heimpel, Hermann: Nürnberg und das Reich, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 1951, S. 231–264. 11  Vgl. Gollwitzer, Heinz: Bemerkungen über Reichsstädte und Reichspolitik auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Civitatum Communitas, Studien zum europäischen Städtewesen, hg, von Helmut Jäger, Franz Petri und Heinz Quirin, Köln / Wien 1984, Teil 2, S. 488–516, hier besonders: S. 502 f. 12  Vgl. zur Illustration die Schlagzeile, mit der Ulli Kulke in der Welt am Sonntag, Nr. 52, vom 26. Dezember 2010, S. 14, diese Entwicklung in einem Artikel über Jakob Fugger und die Wahl Karls V. 1519 aufmacht: „Er kaufte sich den Kaiser“. Vgl. Häberlein, Mark: Die Fugger. Geschichte einer Augsburger Familie (1367– 1650), Stuttgart 2006, zu Jakob dem Reichen vgl. S. 36–68. 13  Vgl. Moraw, Peter: Fürstentum, Königtum und „Reichsreform“ im deutschen Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 117–136, hier besonders S. 123–124. 14  Aus der umfangreichen Forschung zum Thema seien hier genannt: Heimann, Heinz-Dieter: Die Habsburger – Dynastie und Kaiserreiche. 2. Aufl. München 2004; Erbe, Michael: Die Habsburger 1493–1918. Eine Dynastie im Reich und in Europa, Stuttgart 2000; Höbelt, Lothar: Die Habsburger. Aufstieg und Glanz einer europäischen Dynastie, Stuttgart 2009 sowie Krieger, Karl-Friedrich: Die Habsburger im

28

B. Strukturen und Handlungsträger

hunderts (noch) keine weitgehende Gleichsetzung zwischen ihrem könig­ lichen und ihrem dynastischen Herrschaftsraum, eine Akzeptanz, welche durchaus auch dazu hätte führen können, Wien als Hauptstadt des Reiches zu etablieren. In diesen Zusammenhang ist die Frage einzuordnen, warum sich die moderne Forschung bis heute bemüht aufzuzeigen, dass sich das Wirken Friedrichs III. „nicht nur auf die habsburgische Hauspolitik“ beschränkt habe.15 Das Bedürfnis, den Kaiser gleichsam zu rehabilitieren, weist per se auf die Schwierigkeit hin, das spätmittelalterliche Reich und seine Zentrale zu verorten: Friedrich III. wurde unter anderem deshalb als lange nicht für das Reich tätig wahrgenommen, weil er über weite Strecken seiner Regierung in den Erblanden weilte.16 Diese Besonderheit dürfte allerdings auch deshalb besonders aufgefallen sein, weil das dynastische Substrat des regierenden Herrschers nach einer langen Ära der Hausmachtlosigkeit überhaupt wieder, bezogen auf das Spätmittelalter sogar erstmalig, als für den Regenten relevanter Handlungsraum wahrgenommen und sein Aufenthalt dort prompt – sowohl von den Zeitgenossen als auch von der modernen Geschichtsforschung – als „nicht im Reich“ eingeordnet wurde. Die Tatsache, dass der Kaiser in seinen Landen gebunden war, wurde zu einem Problem, sobald das (sonstige) Reich ihn benötigte. Gemessen an dieser als notwendig empfundenen Erreichbarkeit, welche mit einer räumlichen Beweglichkeit einherging, war Friedrich offenbar einfach zu lang in seinen Territorien gebunden. Er entsprach damit nicht der Anforderung, im Reich bei Bedarf möglichst zeitnah und bestenfalls unmittelbar vor Ort seine Funktion wahrzunehmen. In dieser Hinsicht lassen sich auch Parallelen zu den beiden in puncto Landesherrschaft extrem unterschiedlichen Regentschaften Sigismunds und Maximilians aufzeigen. Gemeinsam ist allen, dass es jeweils Phasen gab, in denen eine akute Anforderung Bedarf an königlichem Handeln „vor Ort“ erzeugte. Und in solchen Situationen führMittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III., 2. Aufl. Stuttgart 2004. Zudem sei auf die Arbeiten von Alfons Lhotsky mit älterer Literatur hingewiesen, vgl. Lhotsky, Alfons: Das Zeitalter des Hauses Österreich. Wien 1971. 15  Wolf, Susanne: Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486–1493), Köln / Wien / Weimar 2005, S.  14. 16  Wolf, Susanne, S. 14 fasst die Phasen der Regierung Kaiser Friedrichs nach dem jetzigen Forschungsstand folgendermaßen zusammen: Königswahl (1449) bis Wiener Konkordat (1448) als Phase „im Zeichen der Kontinuität“ zu Albrecht II., ca. 1449 bis zum Ende der Baumkirchnerfehde (1471) als Phase, in der sich wegen der Krisen in den Erblanden „kaum Gestaltungsfreiheit für eine aktive Reichspolitik“ ergab und 1471 bis zum Tod des Kaisers (1493) als „die dynamischste Phase in der Reichspolitik des Kaisers“. Letztere sei gekennzeichnet durch „drei Aufenthalte des Kaisers im außererbländischen Binnenreich (1471, 1473–1475 und 1485– 1489) …“.



III. Rex Romanorum29

ten als (zu) lang empfundene Abwesenheiten des Königs vom Unruheherd (trouble spot in moderner Terminologie) auch zu Herrschaftskrisen.

III. Rex Romanorum Wenn man das Reich also nicht von einem Machtzentrum heraus verstehen kann, dann muss man sich dem Gebilde von seinen Protagonisten aus nähern. Hier ist an erster Stelle an den Rex Romanorum zu denken, welcher die Grenze zwischen Kaiser- und Königtum analog zum Reichsbegriff verwischte. Die mit der Herrschaft über das Sacrum Imperium geltende Prämisse eines „uneinholbaren Legitimationsvorsprungs“ (Peter Moraw) als Synthese aus antiken Traditionen und der Idee eines heilsgeschichtlich hergeleiteten christlichen Weltreichs implizierte eine universale Würde, welche den deutschen König, korrekter den Kaiser, als weltliches Haupt der Christenheit unmittelbar mit dem Papst verband. Im Spätmittelalter implizierte diese enge Relation zweifellos kein unmittelbar nutzbares politisches Substrat, sondern hatte sich fast vollständig zu einem Ehrenvorrang gewandelt. Dieser dürfte jedoch, wie zu zeigen sein wird, den Charakter einer stillen Herrschaftsreserve gehabt haben, welche situationsgebunden bis zu einem gewissen Grade politisch reaktiviert werden konnte. Ergänzend dazu wirkten die aus dem Imperium Romanum folgenden Verpflichtungen und die „Erfahrung unterschiedlicher Verfassungsentwicklung“ in Deutschland, Italien und Burgund auf die deutsche Verfassungsgeschichte zurück.17 Die sächlichen Herrschaftsmittel des Königs, Reichsgüter und -rechte, waren im späten Mittelalter in kaum mehr nennenswertem Umfang einsetzbar.18 Wenn man hinzunimmt, dass Sigismund über keine eigene Hausmacht im Reich verfügte, wird das Ausmaß des Substratdefizits dieses Herrschers offenkundig. Versuche, diese Schwäche durch ein Zusammengehen mit den Städten und dem ritterlichen Adel zu kompensieren, scheiterten weitestgehend.19 Und auch den Habsburgern gelang es erst auf der Grundlage des 17  Vgl. Schneidmüller, Bernd: Reich – Volk – Nation. Die Entstehung des deutschen Reiches und der deutschen Nation im Mittelalter, in: Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, hg. von ­Almut Bues und Rex Rexheuser, Wiesbaden 1995, S. 73–101, Zitat: S. 97. 18  Vgl. zu den Verpfändungen dieser Rechte z. B. Landwehr, Götz: Die Verpfändung der deutschen Reichsstädte im Mittelalter, Köln / Graz 1967. 19  Vgl. Berthold, Brigitte: Städte und Reichsreform in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Städte und Ständestaat. Zur Rolle der Städte bei der Entwicklung der Ständeverfassung in europäischen Staaten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, hg. von Bernhard Töpfer, Berlin 1980, S. 59–112, hier besonders S. 69; Wefers, Das politische System, S. 100–101, 128–130, 157–160, 182–183, 211–212.

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B. Strukturen und Handlungsträger

burgundischen Erbes, ihre Herrschaft auf ein solides Fundament zu stellen, ihren faktischen Vorrang vor den anderen Fürstenhäusern zu etablieren und diese Position weit über das Spätmittelalter hinaus zu behaupten. Als vorläufiges Fazit kann man feststellen, dass der Herrscher zwar eine zentrale Funktion für das wahrnimmt, was unter dem Reich zu verstehen ist, per se jedoch keine hinreichende Erklärung für dessen politischen und sozialen Zusammenhalt bietet. Es ist bei logischer Betrachtung sogar zu konstatieren, dass widerstrebende Kräfte auf dieses komplexe politische Gebilde einwirkten: Denn das Reich als Herrschaftsraum des deutschen Königs war mit der Universalität des Imperiums untrennbar verknüpft; und diese vertrug sich systematisch betrachtet nicht mit einer Selbstorganisation seiner Teile zu einem in sich abgeschlossenen, also gefestigten Herrschaftsraum des deutschen Königs. Was war es also, was das Reich dennoch zusammenhielt?

IV. Principes electores In der nach wie vor mittelalterlichen Verfassung des politischen Systems Reich ist nach dem Herrscher zunächst an die Fürsten zu denken, hier zuvorderst an die sieben Königswähler. Im „unicum corpus imperii“20, eine Metapher, welche Kaiser Friedrich II. in ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in seinen Urkunden benutzte, waren die Fürsten die nächsten Glieder nach dem König. Als „principes electores“ hatten sich die Kurfürsten seit dem Ende des 13. Jahrhunderts herausgebildet und wurden in der Goldenen Bulle verankert. 1356 wurde das Wahlrecht untrennbar mit dem jeweiligen Fürstentum verbunden. Die Kurfürsten erhielten zudem eine Reihe von bedeutsamen und als Einnahmequellen kaum zu unterschätzenden Regalien, so etwa das Münz- und das Zollregal, den Judenschutz und das Bergregal.21 Überdies genossen sie in der Herrschaftssymbolik einen Ehrenvorrang vor den anderen Fürsten. Die Kurfürsten nahmen vor allem durch die Handhabung der Reichskleinodien und durch die Ausübung der höfischen Erzämter (Kämmerer, Marschall, Truchsess und Mundschenk) symbolisch an der „majestas imperialis“ teil. „Das Reich erschien dabei symbolisch als erweiterter Haushalt des Königs. Mehr noch: Erst diese höchsten zeremoniellen officia waren es, die die Kurfürsten in den Augen der Zeitgenossen überhaupt als Repräsentanten 20  Vgl. die Ausführungen von Weinfurter, Stefan: Das Reich im Mittelalter: kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008, S. 173. 21  Zeumer, Karl: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., Weimar 1908 (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 2).



IV. Principes electores31

des Reiches qualifizierten.“22 Das Sitzen in majestate von König und Kurfürsten schuf insofern ein figürliches Gesamtbild, welches dazu geeignet war, korporatives Handeln „ut universi“ (zumindest dem Anspruch nach) ebenso zu kommunizieren wie Konflikte der Kurfürsten untereinander als „potentielle Verfahrensstörung“ zu kennzeichnen.23 Die zeremoniellen Details bei feierlichen Gelegenheiten waren insofern von enormer Relevanz für die Symbolik des Reiches. In dem Zeitalter vor der Herausbildung eines formal organisierten „kollektiven Akteurs“ war die Identitätsrepräsentation konstitutiv für das Geschehen: „Im Ritual der re­prae­ sentatio identitatis, in den Formen des 14. und 15. Jahrhunderts – öffentlich, sakral überhöht, qualifiziert durch die gebührlichen Kleider, Gegenstände, Gebärden und Personen –, verkörperte der König gemeinsam mit den Kurfürsten pars pro toto die Majestät des Reiches. Das Sitzen in majestate war ein Ritual, das einen bestehenden Konsens über die gemeinsame Ordnung symbolisch zur Erscheinung brachte.“24 König und Kurfürsten verkörperten insofern die Einheit des Reiches im Sinne einer politischen Fiktion, welche erst vorhanden sein muss, damit „das politische Ganze handlungsfähig nach innen und außen“ wird.25 Dass sich diese Vorstellung insbesondere in Bezug auf die Königswähler auch im 15. Jahrhundert erhalten hatte, ist unstrittig. Mit der Wendung, das Reich wäre auf vierzig Stände gesetzt (eine Theorie, deren früheste Zeugnisse sich zu Sigismunds Zeiten finden), weitete sich der Gedanke, dass die Kurfürsten (allein) das Reich charakterisieren, spätestens in der Rezeption des 15. Jahrhunderts auf weitere „bases“ oder „columnae imperii“ aus. Dies wurde von Historikern als Hinweis auf ein zunehmend nationales Reichsverständnis gesehen, welches später in der maximilianeischen Reichstitulatur seinen offiziellen Niederschlag gefunden habe.26 Während zeremonielle Fragen den Beteiligten selbstverständlich präsent waren, dürfte die grundsätzliche Analyse, wer oder was denn eigentlich das Reich ausmachte, wahrscheinlich eo ipso modern sein. Allerdings diskutierten auch die zeitgenössischen Historiographen bereits die Frage nach der Herrschaft über das Reich: Aeneas Silvius stellte zum Beispiel in seiner Epistola de ortu et auctoritate imperii Romani 1445 fest, 22  Stollberg-Rilinger, Barbara: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, S. 64. 23  Stollberg-Rilinger, S. 64. 24  Stollberg-Rilinger, S. 90. 25  Stollberg-Rilinger, S. 91. 26  Vgl. Schubert, Ernst: Die Quaternionen. Entstehung, Sinngehalt und Folgen spätmittelalterlicher Deutung der Reichsverfassung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20, 1993, S. 1–63.

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B. Strukturen und Handlungsträger

dass beim Kaiser die höchste Amtsgewalt liege und dass durch ein Hinzutreten von Fürsten zur „plenitudo“ schon dem Wortsinn nach nichts hinzukommen könne.27 Peter von Andlau arbeitete in seinem Libellus de Caesarea monarchia von 1460 heraus, bei mehreren Regierenden sei Uneinigkeit vorhersehbar, was in der Menge Zwist nach sich zöge und daher von Übel wäre.28 Nikolaus von Kues entwarf im dritten Buch seiner De concordantia catholica (1433) eine an der gesamtchristlichen Eintracht orientierte Lösung für die seiner Ansicht nach dramatische de-formatio des Reichs. Seine reformatio sollte diese Situation durch Wiederherstellung eines vom ihm als ideal begriffenen Gesellschaftszustands heilen, den er in Anlehnung an das ottonische Zeitalter gestalten wollte, weil er hier die Glanzzeit des Kaisertums erkannte.29 In der modernen Historiographie wird die Funktion der Kurfürsten für das Reich vorrangig als Kollegium gesehen, welches dem Herrscher gegenübertrat, im Sinne einer Teilhabe des Reiches an der Macht des Königs. Ein nahezu prototypisches Beispiel bietet Hermann Wiesflecker, welcher gar von einer „allbekannten Opposition“30 spricht. Wesentlich zurückhaltender argumentiert Stefan Weinfurter, wenn er meint, zumindest erlaube die Interpretation des Bildes vom Reichskörper die Feststellung, dass das Haupt nicht ohne seine Glieder habe existieren können. Das deute auf die Feststellung einer gemeinsamen Handlungsgrundlage hin und habe die Emanzipation der Fürsten sowie deren Ausbau von Landesherrschaften zur Folge gehabt.31 Diese Interpretation ist logisch und bezieht zudem die Lebenswirklichkeit des spätmittelalterlichen Reichs mit seinen vielfältigen Landschaften ein.32 27  Kallen, Gerhard: Aeneas Silvius Piccolomini als Publizist in der Epistola de ortu et auctoritate imperii Romani, Stuttgart 1939. 28  Andlau, Peter: Kaiser und Reich – lateinisch und deutsch, hg. von Rainer A. Müller, Frankfurt a. M. / Leipzig 1998. 29  De concordantia catholica, hg. von Gerhard Kallen (Nicolai de Cusa opera omnia, iussu et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis ad codicum fidem edita, Bde XIV / 1–4), hier. Bd. 14, 3, Hamburg 1968; Lücking-Michel, Claudia: Konkordanz und Konsens: zur Gesellschaftstheorie in der Schrift „De concordantia catholica“ des Nikolaus von Kues, Würzburg 1994, bes. S. 7–8 (= Bonner dogmatische Studien, Bd. 16); Lukas, Andreas: Cusanus Rechts- und Staatsdenken in der Vorrede zu Buch III der „Concordantia catholica“. Mit Übersetzung der wichtigen Passagen, Nordhausen 2009. 30  Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bde 1–5, Wien 1971–1986, hier: Bd. 1, Wien 1971, S. 404. 31  Vgl. Weinfurter, Stefan: Das Reich im Mittelalter: kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008, bes. S. 173. 32  Vgl. auch Isenmann, Eberhard: König oder Monarch? Aspekte der Regierung und Verfassung des römisch-deutschen Reichs um die Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Europa im späten Mittelalter: Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. von Rainer C.



IV. Principes electores33

Allerdings wird man betonen müssen, dass die Zeitgenossen (selbst Nikolaus von Kues mit seinem Rückbezug auf die Ottonen) äußerst konservativ argumentierten: Konstitutiv für den Fortbestand des Reichs war die einzig legitime alte Ordnung, für welche der Monarch das bestimmende Element war und blieb. Das Ritual des Sitzens in majestate beschreibt den König und die Kurfürsten als fiktive Handlungseinheit; die versammelten Stände kommen dabei gar nicht vor.33 Selbst für die elitäre Gruppe der Kurfürsten stellte sich demnach die Frage einer vom König unabhängigen Reichsrepräsentanz (noch) nicht. Umso bestimmter lässt sich sagen, dass sich die Konkretisierung einer Reichsverkörperung über diese Gruppe hinaus erst recht (noch) nicht stellen konnte. Auch für die Kurfürsten leitete sich aus ihrer herausgehobenen Position insofern nicht die Legitimation ab, unabhängig vom König für das Reich zu handeln: Der grundsätzliche Konsens mit dem Herrscher war unter den spätmittelalterlichen Verhältnissen vielmehr unverzichtbar. Diese Voraussetzung jedweden mehr oder minder gemeinsamen Wirkens blieb auch dann bestehen, wenn die Kurfürsten im politischen Alltagsgeschehen de facto häufig eine Art Gegengewicht zum König bildeten, indem sie die in den Verhandlungen um Leistungen sozusagen das Reichsinteresse gegen dynastische Anliegen des Königs stellten und damit auf die Einhaltung der politischen Ordnung drängten, wohingegen zum Beispiel Maximilian in seinen Briefen nach Freiburg 1497 / 1498 wieder einmal die Verteidigung seiner Erbländer mit der Verfechtung von Reichsinteressen gleichsetzte und durch diesen Mangel an Differenzierung die Konventionen verletzte.34 Die Kurfürsten widersprachen einem solchen Vorgehen, was vor allem die ältere Historiographie gern als Wahrnehmung einer (freilich vor-)parlamentarischen Oppositionsrolle deutete. Letztlich konnte es in der vormodernen politisch-sozialen Verfassungswelt jedoch nicht um die Konstruktion neuer Formen politischer Mitbestimmung gehen, weil solche (noch) gar nicht legitim gewesen wären, sondern es musste den Protagonisten lediglich an einer erfolgreichen Wahrnehmung ihrer eigenen Machtrolle gelegen sein; und diese war untrennbar mit dem Herrscher verbunden. Wie stand es jedoch um diese wechselseitige Relation von König und Kurfürsten, wenn sich Zitate wie jenes finden lassen, im Reich werde Schwinges, Christian Hesse, Peter Moraw, München 2006 (= Beihefte der Historischen Zeitschrift, 40), S. 71–98. 33  Vgl. Stollberg-Rilinger, S. 89–91. 34  Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg: 1496–1498, bearb. von Heinz Gollwitzer, Göttingen 1979, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 24.

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B. Strukturen und Handlungsträger

­olportiert, man gedenke „das hl. reiche allein zu reformiren und zu k hanthaben“?35 Isoliert betrachtet mag dieser Satz als Warnung an den König verstanden werden, eine solche Regierung könnte – bei fortgesetztem Fehlverhalten – tatsächlich eintreten. Bei näherer Betrachtung wird jedoch der Aspekt der Ungeheuerlichkeit einer solchen Unterstellung eher plausibel, ist diese Äußerung doch eingebettet in die Strategie der königlichen Räte und der Kurfürsten 1497 / 1498, Maximilian davon zu überzeugen, endlich vor Ort zu erscheinen.36 Die Protagonisten hielten es nämlich für nicht sachdienlich, strukturverändernde Maßnahmen in Abwesenheit des Herrschers zu verhandeln.37 Man wartete also ab und versuchte unterdessen – zum Teil gegen Einwände der inzwischen sehr ungeduldigen Versammlung – die Gesandtschaften vor Ort zu halten und die Voraussetzungen für effektive Verhandlungen zu schaffen.38 Die Verknüpfung mit dem König auf der einen und die Bindung der Kurfürsten aneinander auf der anderen Seite bildeten also eine in sich komplexe Konstruktion und forderten die Kreativität aller Beteiligten immer wieder von Neuem heraus. Von Fall zu Fall musste diese Konstellation neu justiert und unterschiedlich bedient werden, manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Sensible Akzentverschiebungen von einem gemeinsamen Handeln von König und Kurfürsten im christlichen Rahmen zu einem gemeinsamen Handeln von Papst und Kurfürsten in grundsätzlichem Einverständnis mit dem König konnten Herrschaftsdefizite kaschieren, wie wir sie bei Sigismund finden.39 Dauerhaft waren diese Konstruktionen nicht, mussten es angesichts der Heterogenität der Anforderungen auch gar nicht sein und konnten es wohl auch nicht, betrachtet man allein die Zusammensetzung der Gruppe der Kurfürsten aus weltlichen und geistlichen Protagonisten, welche zudem geographisch und politisch-sozial völlig unterschiedlichen Landschaften des Reichs zuzuordnen waren und damit per se eigentlich nur ausnahmsweise geschlossen auftreten konnten: Hauptsache war und blieb der Grundkonsens. 35  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 43, S. 523. 36  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 43, S. 524. 37  Vgl. z. B. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 63. 38  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 64; vgl. auch ebenda, Nr. 65, S. 537. Ende April war die Versammlung bereit, den Tag zu beschließen. Auch hier tat der Mainzer Erzbischof alles, um ein Ende des Reichstags vor dem Eintreffen des Königs zu verhindern. Vgl. ebenda, Nr. 115, 115a, 116. 39  Vgl. Wefers, Das politische System, S. 88–89.



V. Principes 35

So standen die rheinischen Kurfürsten häufig als pars pro toto für die Gruppe und boten genügend Beispiele für einen erfolgreichen Umgang mit den Gegebenheiten: Im günstigsten Falle gelang es ihnen, eigene Anliegen in das gemeinsame Interesse von König und Reich einzubetten. Ein Beispiel hierfür findet sich in den Verhandlungen in Koblenz 1492. Dort gaben sie zu bedenken, dass dem König und dem Reich mit einer Kleinen Hilfe nicht gedient wäre: Der Widerstand gegen den französischen König würde auf dieser Basis nämlich zu schwach ausfallen und „der ksl. und kgl. Mtt., auch dem hl. Rich mehr und grosser smehe und schande darus erwachsen …“.40 Im Hintergrund standen freilich erhebliche Zweifel, ob man am Rhein über einen königlichen Feldzug hinaus würde auf die anderen Kurfürsten, Fürsten etc. zählen können. Konkret befürchtete man deshalb, durch einen Krieg gegen den ungleich stärkeren Karl von Frankreich würden „diejenigen, so an den grenezen gelegen, verderbt.“41 Die These, die Rezeption der Quaternionentheorie weise darauf hin, dass dem 15. Jahrhundert die „alleinige Reichsrepräsentanz der Kurfürsten“ nicht mehr genügte,42 ist als solche insofern missverständlich. Allerdings deutet sie auf einen anderen Kontext hin: Selbstverständlich ist das politische System des Reichs über den Herrscher und die sieben Kurfürsten (im 15. Jahrhundert realiter sogar auf sechs reduziert)43 allein nicht zu beschreiben. Insofern lag und liegt es nahe, die Rollen weiterer Protagonisten des politischen und sozialen Lebens im Reich näher zu betrachten.

V. Principes Im Folgenden sollen zuvorderst die Fürsten des Reichs in den Blick genommen werden. Sind sie einem hochadeligen Gesellschaftsverständnis gemäß als Träger des politischen Gesamtsystems zu verstehen? Die Fürsten genossen immerhin unbestritten einen zeremoniellen Vorrang vor anderen Großen des Reiches; sogar eine Verfestigung von Vorrechten ist im 15. Jahrhundert im Zuge ihrer Abgrenzung gegenüber dem Adel feststellbar.44 40  Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 4, Reichsversammlungen 1491–1493, Teil 2, bearbeitet von Reinhard Seyboth, München 2008, Nr. 848, Zitat: S. 1060. 41  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 4,2, Nr. 848, Zitat: S. 1061. 42  Vgl. Schubert, Quaternionen, Zitat: S. 59. 43  Zur böhmischen Kur vgl. Begert, Alexander: Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reichs. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens, Husum 2003, hier bes. S. 229– 274. 44  Vgl. Krieger, Karl-Friedrich: Fürstliche Standesvorrechte im Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 112 (1986), S. 91–116. Krieger (S. 116)

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B. Strukturen und Handlungsträger

„Fürsten handelten als Christen zur Ehre Gottes und als Reichsglieder zur Ehre des Heiligen Römischen Reichs.“45 Sie waren mit teils erheb­ licher Hoheit über einen sehr ausgedehnten weltlichen bzw. kirchlichen Herrschaftsbereich ausgestattet.46 Allerdings wird man auch hier hinsichtlich der Fürsten die Begrifflichkeit genauer hinterfragen müssen, denn die Reichsfürsten waren bekanntlich „nicht nur von den Kurfürsten auf der einen und den Grafen und Herren auf der anderen Seite streng unterschieden, sondern waren auch untereinander keineswegs gleichrangig.“47 Der Fürstentitel war insofern zwar zweifelsfrei „eine formal hochwertige Existenzgarantie, aber unterhalb der Sphäre des Formalen verblieb viel Bewegungsraum.“48 Diese Hochwertigkeit des sozialen Ranges und seine Verflechtung mit politischer Legitimität spiegeln sich nicht zuletzt in den hohen Summen wider, mit denen sich norditalienische Signori zu Reichsfürsten hochgekauft haben.49 Über Jahrhunderte hinweg waren Fürsten diejenigen, „auf deren Mitwirkung der König angewiesen ist, die er einbinden muß, wenn er als Herrscher wirksam werden und regieren will.“50 Ihre Unterstützung in Fragen, die das gesamte Reich betrafen, war zwar nicht unbedingt rechtsnotwendig, aber zumindest akzeptanzfördernd und auf jeden Fall politisch zweckmäßig.51 Aber wer waren diese Fürsten eigentlich und warum kann man ihre Teilhabe am Reichsgeschehen im Spätmittelalter de facto erst seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts deutlich wahrnehmen? Warum benötigt also selbst ein Theoretiker wie Nikolaus von Kues 1433 die Fürsten in stellt eine „bemerkenswerte Tendenz zur Festschreibung und Monopolisierung bisher noch umstrittener oder mit anderen geteilter Vorrechte“ im 15. Jahrhundert fest. Zur neueren Forschung über die Fürsten vgl. auch Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München 1996, und Spieß, Karl-Heinz: Fürsten und Höfe im Mittelalter, Darmstadt 2008. 45  Vgl. Bachl, Gottfried: Art. Ehre Gottes, in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. von Walter Kaspar, Konrad Baumgartner, Horst Bürkle, Klaus Ganzer, Karl Kertelge, Wilhelm Korff, Peter Walter, 3. Auflage, Bd. 3, Freiburg 2006, Sp. 507– 510. 46  Ioannes Nauclerus, Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronic commentarii. Tübingen, Thomas Anshelm, 1516, II, fol. 301r: principes non solum dignitate et generis claritate, sed et potentia antecedent reliquos, terras habent et dominia latissima. (Zitiert nach Mertens, Dieter: Der Fürst. Mittelalterliche Wirklichkeiten und Ideen, in: Der Fürst: Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hg. von Wolfgang Weber, Köln  /  Weimar  /  Wien 1998, S. 67–89, hier S. 77, Anm. 21). 47  Mertens, Der Fürst, Zitat: S. 82. 48  Moraw, Fürstentum, Zitat: S. 127. 49  Moraw, Fürstentum, S. 117–136, besonders S. 120–121. 50  Mertens, Der Fürst, Zitat: S. 86. 51  Vgl. Moraw, Fürstentum, S. 117–136, besonders S. 131.



V. Principes 37

seinem Konzept einer Reichsversammlung lediglich im Falle einer „ardua materia“?52 Es ist unumstritten, dass es das Durchschnittsfürstentum nicht gab, sondern dass die sozialen Unterschiede innerhalb der Fürstentümer beträchtlich waren, so dass nur wenige sich tatsächlich „selbständig zu regen vermochten“.53 Selbstverständlich ist in diesem Kontext zu hinterfragen, welches die Koordinaten sind, die das mehr oder minder aktive Handeln eines Fürsten definierten.54 Konsens besteht jedoch darüber, dass die fürstliche Herrschaft erfolgreich sein sollte, wie klein oder groß auch immer der gestalterische Freiraum war. Dazu nutzte der Fürst die im Rahmen seiner Möglichkeiten und Grenzen liegenden Handlungsspielräume, wozu einiges Geschick notwendig war, vor allem im Umgang mit (dynastischen) Zufällen. Je nach den konkreten Gegebenheiten und abhängig von den persönlichen Fähigkeiten des jeweiligen Herrschers eröffneten sich diesem unterschiedliche Handlungsoptionen. Bestenfalls konnte sich ein effizienter Mitteleinsatz sogar synergistisch auswirken, dass heißt neben dem unmittelbaren Erfolg auch neue Wege und Chancen zur Herrschaftserweiterung eröffnen. Im Vergleich zur Region spielte das Reich als Gesamtsystem in diesem Kontext jedoch nur eine untergeordnete Rolle: Den Handlungsradius bestimmte ganz entscheidend die vom fürstlichen Hause als eigener Lebensraum wahrgenommene Umgebung. Diese Räume überschnitten, addierten, differenzierten sich aus und bildeten in der Summe einen Großteil dessen, was man das politische System des Reichs nennen könnte. Es ist insofern nach wie vor gerechtfertigt, das gesamte Reich zumindest zu Beginn des 15. Jahrhunderts als „von gleichsam selbsttragenden Regionen aus zu deuten, die ein jeweils überwiegend nach innen gewendetes Kräftespiel aufwiesen“.55 Erst als die Herausforderungen des Reichs durch äußere Mächte wuchsen und das Kräftespiel innerhalb des Reichs durch den beachtlichen Erfolg der österreichisch-burgundischen Dynastie beträchtlich an Dynamik gewann, veränderte sich diese Situation. Dies umso mehr, als sich im Hintergrund auch die Grundlagen jedweder herrschaftlichen Existenz im Reich im Laufe des 15. Jahrhunderts wandelten, für alle spür-, aber kaum unmittelbar beeinflussbar, also weitgehend unabhängig von individuellem Handeln: Wirtschaftliche, soziale, technische und geistige Entwicklungen fanden vielmehr in einem übergreifenden Rahnach Moraw, Fürstentum, hier S. 131, Anm. 29. Fürstentum, Zitat: S. 123. 54  Vgl. Auge, besonders S. 6–10 und S. 355–358. 55  Moraw, Fürstentum, Zitat: S. 127. 52  Zitiert

53  Moraw,

38

B. Strukturen und Handlungsträger

men statt. Sie wirkten sich jedoch auf allen Ebenen aus und erzwangen Reaktionen. Die neuen Bedingungen mussten adaptiert, das heißt sowohl in die individuelle als auch in die gemeinsame Lebenswelt integriert werden. Auf dieser Basis baute sich auch wirtschaftlich-finanzieller und letztlich politisch-sozialer Druck auf und mit ihm eine neuartige, auf das gesamte Reich bezogene Handlungsmotivation: Nicht mehr nur die ganz Großen des Reiches, sondern auch die mittleren und kleineren Fürsten betraten gegen Ende des 15. Jahrhunderts die politische Bühne und definierten (mit beachtlichen Schwierigkeiten) für sich eine gestaltende Teilnahme am Gesamtprozess neben den vorher bereits in dieser Hinsicht aktiven Kurfürsten und Reichsstädten. Die Heterogenität der Fürstentümer blieb freilich bestehen. Sie verstärkte sich sogar noch, wenn man allein die wachsende Dominanz der Habsburger und die heftige Ablehnung dieser Entwicklung durch die Wittelsbacher bedenkt sowie den wachsenden Abstand beider zu den kleineren Fürstentümern. Hinzu kam, dass besonders die kleineren Fürsten sich nach unten, gegen den Adel, mit einigen protokollarischen Erfolgen, aber de facto geringen sozialen Chancen abgrenzen mussten und gleichzeitig immer schwächer wurden, weil sie sich dem Sog der Großdynastien letztlich nicht entziehen konnten. Deren Herrschaftsarrondierung beziehungsweise der Ausbau von einem, in der Regel sogar mehreren Zentren sorgte für eine Veränderung des Machtgefüges im Binnenreich. Die Welt des spätmittelalterlichen Reiches wurde dementsprechend „kleiner“ und weniger „bunt“, eine Beschreibung, welche sich auch auf den europäischen Raum bezogen anwenden lässt. Das Interesse an einer Festigung bzw. Arrondierung der eigenen Herrschaft, der Schaffung hegemonialer Strukturen und die Konsolidierung bzw. der Ausbau der eigenen Stellung innerhalb der sozialen Elite ging dabei freilich nicht geradlinig mit einem Bezug zum Binnenreich als politische Entität einher, konnte dies vermutlich nicht einmal. Im Idealfall überschritten nämlich die Heiratsverbindungen der Fürsten der dynastischen Logik folgend beinahe systematisch die Grenzen des Reichs, wie es das besonders erfolgreiche Habsburger Beispiel eindrucksvoll zeigt. Daher kann man sogar schon viel früher, um 1200 etwa, mit Blick auf die Großen des Reichs von einer „zunehmenden europäischen ‚Vernetzung‘ “56 sprechen. Die soziale Elite des Reichs baute im dynastischen Erfolgsinteresse systematisch überregionale Netzwerke auf bzw. ging möglichst attraktive Heiratsverbindungen ein.57 Diese Mechanismen wirkten 56  Weinfurter,

Zitat: S. 149. Spieß, Fürsten und Höfe; Principes – Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, Interdisziplinäre Tagung des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald in Verbindung mit der 57  Vgl.



V. Principes 39

sich europaweit aus, hatten jedoch auch unmittelbare Folgen für das Binnenreich: Herrschaftsarrondierung wirkte sich generell konzentrierend aus und reduzierte damit auch die Vielfältigkeit der Mächte im Reich. Die Großen per functionem an sich zu binden, vermochte der König nicht, weil seine Möglichkeiten, die Fürsten des Reichs in seine Herrschaft einzubeziehen, infolge der Substratarmut des Königtums schlicht zu gering waren.58 Insofern ist die Rolle der Fürsten im Reich nicht zu verwechseln mit der des Hochadels in anderen Monarchien Europas. Die mehr oder minder beachtliche Größe ihrer Herrschaften, die Unmittelbarkeit ihrer Beziehungen zum König und die Exklusivität ihrer gesellschaftlichen Stellung etablierten jedoch einen Ehrenvorrang der Reichsfürsten, welcher in einer besonderen Bedeutung ihres Votums bei der politischen Entscheidungsfindung auf Hofbzw. Reichstagen mündete und letzten Endes auch ein Gruppenverhalten („stand“) erzeugte, auch wenn diese zusammenfassende Kategorie eher in der Außenwahrnehmung als im internen Miteinander den Zustand korrekt widerspiegeln dürfte. Denn die Unterschiede waren einfach zu groß, zieht man zum Beispiel die vielfältigen Auseinandersetzungen der Fürsten um den Grad und das Alter ihrer Vornehmheit in Betracht, ihr Selbstbild, die feinsinnige Differenzierung zwischen ehemaligen Standesgenossen und Aufsteigern, ungeschriebene Umgangsformen, als notwendig empfundene Herrschaftsgrößen sowie die Erinnerung an eine frühere Würde oder vice versa auch das Vergessen zum Beispiel eines hochmittelalterlich geprägten Herzograngs.59 Ein aus dem Ehrenvorrang ableitbares besonders enges Treueverhältnis zum König ergänzte die fürstliche Selbstwahrnehmung (sofern dynastische Interessen dem nicht entgegenstanden). Bei Treffen am königlichen Hofe forderten diese Konstituenten zur Herrschafts- und Handlungssymbolik geradezu heraus. Die auf die eigene Herrschaftswelt bezogene Sicht der Dinge musste allerdings beinahe zwangsläufig das Engagement des einzelnen Fürsten für eine effiziente Reaktion des Reiches auf ein Bedrohungsszenario relativieren, zumal wenn letzteres den eigenen Einflussbereich nicht einmal tangierte und es Themen gab, welche dem jeweiligen Fürstenhaus wesentlich mehr Sorgen bereiteten. Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 15.– 18. Juni 2000, hg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spieß und Gunnar Werlich, Stuttgart 2002 (= Residenzenforschung 14). 58  Vgl. den grundlegenden Aufsatz von Peter Moraw: Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, hg. von Hermann Weber, Wiesbaden 1980, S. 1–36 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft 8). 59  Vgl. die in dieser Beziehung höchst interessante Untersuchung von Dieter Mertens über die (Wieder-)Erhebung Württembergs zum Herzogtum, Mertens, Der Fürst, S. 67–89.

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B. Strukturen und Handlungsträger

So sind auch die letztlich aus modernen Gesellschaftstheorien hergeleiteten Interpretationen von „reichsständischen Reformprogrammen“ im Sinne einer Verstärkung der reichsständischen Teilnahme an der Regierung des Reiches kritisch zu hinterfragen. Denn selbst Wissenschaftler, welche eine solche Programmatik etwa bei Berthold von Mainz erkennen, müssen letztlich konstatieren: „Das Scheitern des Reichsregiments macht auch deutlich, daß ein Denken in Institutionen und nach abstrakten Strukturen offenkundig noch nicht zeitgemäß war. Man konnte sich noch nicht von den überkommenen Denkkategorien der dynastischen Interessen und der persönlich gefärbten Beziehungen zum König frei machen.“60 Gemeinsames Handeln gründete sich insofern auf mehrere Stränge, welche durchaus widersprüchlich verlaufen konnten: Sie konnten abhängig von der aktuellen Entscheidungssituation ein manchmal modern anmutendes Verhalten der Fürsten im Sinne eines das Handeln des Reichs aktiv mitgestaltenden Standes ebenso erzeugen wie eine in der Retrospektive vergleichsweise altertümliche und realitätsfern anmutende Haltung, welche die Fürsten neben, im Konfliktfall auch über politisch tragfähige Lösungen für das Reich stellten. Diese Zweigleisigkeit ist durchaus nachvollziehbar, wenn man sich verdeutlicht, dass auch am Ende des 15. Jahrhunderts nach wie vor das dynastische Interesse dominierte, wobei das Verständnis des einzelnen Fürsten von seiner Dynastie – außer in Notfällen – weniger abstrakt transpersonal als vielmehr konkret auf die eigene Linie bezogen blieb.61 Insofern definieren rechtlich und sozial qualifizierende gemeinsame Merkmale die Reichsfürsten zwar als eine Gruppe von herausgehobenen Familien, die sich als solche auch verstanden, was jedoch keineswegs implizierte, dass sie auch politisch gemeinsam handelten.62 Gemeinsam handlungsfähig und -willig war zunächst nur eine kleine Gruppe gewesen, welche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts die Gruppe der Kurfürsten herausbildete.63 Hinsichtlich der Fürsten ist also „der vorsorgliche Hinweis angebracht, 60  Vgl. Schmid, Peter: Herzog Albrecht IV. von Bayern und Kurfürst Berthold von Mainz. Zum Problem reichsständischer Reformpolitik an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 58 (1995), S. 209–234, Zitat: S. 233. 61  Vgl. Auge, besonders S. 336–342; Nolte, Cordula: Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530), Ostfildern 2005 (= Mittelalter-Forschungen, Bd. 11), hier bes. S. 55; Spieß, Karl-Heinz: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, 13. bis Anfang 16. Jahrhundert, Stuttgart 1993, hier bes. S. 398. 62  Vgl. Moraw, Fürstentum, S. 117–136, besonders S. 130. 63  Vgl. Wolf, Arnim: Die Vereinigung des Kurfürstenkollegs. Zur Reformacio sacri status imperii bei der Königserhebung Albrechts von Österreich im Jahre 1298, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter



V. Principes 41

daß weder ständische Ordnungsschemata noch ihre juristische Systematisierung und auch nicht ihre moderne statistische Rekonstruktion die politische Realität des Reiches beschreiben.“64 Da im Folgenden jedoch genau diese politische Realität des Reiches in den Blick genommen werden soll, ist dieser Hinweis Dieter Mertens’ besonders ernst zu nehmen. Die im 15. Jahrhundert noch nicht aufgelöste Vielfalt der politischen (Sub-)Systeme des Reichs, seine geographische Ausdehnung sowie die notwendige Unterscheidung der politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Strukturierung seiner Einzelteile bzw. der Zusammenhalt dieser Räume zu Clustern unterschiedlicher Zusammensetzung muss bei der Betrachtung dessen, was das Reich des Späten Mittelalters ausmacht, stets Grundlage der Überlegungen bleiben.65

und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt und Gert Melville, Köln 1997, S. 305–371; ders.: Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198–1298. Zur 700jährigen Wiederkehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten, 2. bearb. Aufl., ­Idstein 2000; Begert, Alexander: Die Entstehung und Entwicklung des Kurkollegs. Von den Anfängen bis zum frühen 15. Jahrhundert, Berlin 2010 (Schriften zur Verfassungsgeschichte 81). 64  Mertens, Der Fürst, Zitat: S. 71. 65  Vgl. Raumerfassung und Raumbewusstsein im späteren Mittelalter, hg. von Peter Moraw, Stuttgart 2002 (= Vorträge und Forschungen; 49) sowie Fragen der poli­tischen Integration im mittelalterlichen Europa, hg. von Werner Maleczek, Stuttgart 2006 (= Vorträge und Forschungen; 63).

C. Herausforderungen und Antworten I. Behebung von Strukturdefiziten Beschwerden über die Schwäche des Reichs konnten nicht unmittelbar zu greifbaren Reformen oder einem konkreten Verdichtungsvorgang führen; sie waren im engsten Sinne des Wortes nicht operabel. Deshalb ließ man es in der Regel bei einem Unwohlsein über die Situation des Reichs bewenden. Dieses Missbehagen über die Ineffizienz des Reichs wurde gelegentlich thematisiert, meist im Vergleich zu den Eidgenossen, bei denen man davon ausging, dass vor allem ihre Einigkeit die anerkannt hohe militärische Schlagkraft ermöglicht habe.1 Diese Überlegungen führten unmittelbar zu dem Schluss, dass die Uneinigkeit der Fürsten und „ander irtum“ im Reich für dessen Unzulänglichkeit verantwortlich seien; mithin die Wiederherstellung von Frieden und Ordnung Ziel aller Bemühungen bleiben müsse.2 Die Überwindung beklagenswerter Zustände in (Kirche und) Reich sollte durch die Wiederherstellung der alten, der ursprünglichen, der gottgewollten Ordnung erreicht werden. Dies ist ein Motiv, welches sämtliche Reformkonzepte der Zeit durchzieht, ohne dass die Autoren voneinander gewusst haben müssen und ohne, dass eine Kontinuität der Diskussion über das 15. Jahrhundert hinweg nachweisbar wäre.3 Auch unmittelbare Wirkungszeugnisse dieser Reformdiskussion respective ihrer schriftlichen Niederlegungen finden sich nicht. Reformschritte erfolgten stattdessen pragmatisch, d. h. unmittelbar an die Entwicklung der Reichsverfassungswirklichkeit angelehnt. Dazu mussten Strukturdefizite zunächst konkretisiert, d. h. als regelungsbedürftiger Tatbestand bestimmt werden. Ihre Aufhebung musste zudem dringlich erforderlich sein. Und eine Lösung musste sozusagen auf der Hand liegen respective sich aus dem Sachverhalt plausibel herleiten lassen. Zwischen der Wahrnehmung eines Defizits und seiner Behebung stand insofern eine kaum formalisierte, aber durchaus logische Schrittfolge: An 1  Vgl.

Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 156. unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 156, Zitate: S. 231. 3  Vgl. die Übersicht von Boockmann, Hartmut: „Reichsreform“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VII, München 1995, S. 634–635. 2  Reichstagsakten



II. Die Krise 43

deren Anfang stand regelmäßig eine akute und sehr konkrete Herausforderung von beträchtlichem Ausmaß, welche nicht ohne weiteres bewältigt werden konnte. In diesem Zuge wurde die fehlende Leistungsfähigkeit als kritisch erkannt, was zum Handeln motivierte. Das Defizit konkretisierte sich also anlassbezogen. Folge dieser Wahrnehmung war die Suche nach einem Lösungsweg. Maßnahmen zur Behebung der akuten Fragestellung (Incident Management) schafften sodann kurzfristig Entlastung. Wenn die Situation als „typisch“, als wahrscheinlich wiederkehrend oder gar als Dauerproblem eingestuft wurde, stellte sich die Frage, ob und inwieweit sich die Lösung, die neue erworbene Kompetenz, der Entwicklungsfortschritt verstetigte bzw. bewusst verstetigen ließ. Eine dauerhafte Strukturverbesserung (hier: Problem Management) stellte sich freilich nur dann ein bzw. konnte von den Protagonisten des Geschehens nur dann erreicht werden, wenn die in der Krise erworbene Kompetenz aus dem System heraus entwickelt worden war und damit in den vorgegebenen Rahmen passte, also nicht „systemfremd“ war oder „von außen aufgesetzt“ wurde. Dazu bedurfte es neben den strukturellen Voraussetzungen aus einer Erfüllung subjektiver Bedingungen, vor allem der Akzeptanz: Die Protagonisten mussten die Lösung als ein dauerhaft oder wiederholt nutzbares Instrument zur Bewältigung einer entsprechenden Anforderung erkennen und diese grundsätzlich positive Einschätzung auch den übrigen Beteiligten vermitteln. Die begriffliche Verfremdung mit Bezeichnungen aus dem modernen Management hilft, ein gedankliches Gerüst aufzurichten, welches das Verständnis mancher Phänomene erleichtert. So wird zum Beispiel einsichtig, dass die erste Reichssteuer, welche Heinrich von Beaufort sozusagen frei nach englischem Muster mit einer detaillierten Finanzsystematik ausgestaltet hatte, nicht in die Lebenswelt des Reiches Eingang finden würde. Sie war weder aus dem Reich heraus entwickelt worden noch wurde sie von den Protagonisten des Geschehens als ein auch für die Zukunft tragfähiger Lösungsweg eingeschätzt: Diese Steuer passte so nicht ins Reich. Tauglich war sie einzig und allein für den Augenblick (Incident Management), mit den bekannten Umsetzungsproblemen. Erst mit der wachsenden Einsicht in die finanzpolitischen Notwendigkeiten konnten sukzessive Modelle für Reichssteuern als tragfähige Problemlösung (Problem Management) entwickelt werden.

II. Die Krise Als „Krise“ wird organisations- und systemtheoretisch eine Situation verstanden, in der die Fähigkeit eines Systems, auf die Anforderungen der Umwelt adäquat zu reagieren, unerwartet aufs äußerste beansprucht wird. Als Antwort auf eine solche Herausforderung müssen neue, der veränderten

44

C. Herausforderungen und Antworten

Umwelt angemessene und der eigenen Entwicklung möglichst förderliche Organisationsstrukturen entwickelt werden.4 Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts kam es in diesem Sinne zu „Krisen“, zu Herausforderungen nämlich, welche die vergleichsweise hohe Homogenität des überkommenen Systems christlicher Monarchien des Mittelalters in ungewohnter Weise infrage stellten. Die Entwicklungsdifferenz politischer und sozialer Verfassungen innerhalb Europas wurde evident. Im Reich konnten die erst in der historiographischen Analyse systematisch zu erfassenden Modernisierungsprozesse der Herrschaftsausübung im Süden und Westen Europas als solche zweifelsfrei nicht erkannt und schon gar nicht mit den überkommenen Mitteln adäquat beantwortet werden. Sie wurden vielmehr diffus als in ungewohnter Härte und in dieser Form unbekannte, mithin unberechenbar erscheinende Gefahren wahrgenommen: Das trifft sowohl auf die gewaltsame Kompensation des Mangels an monarchischer Legitimität bei Matthias Corvinus zu als auch auf die Aggressivität, welche von der säkularisierten Machtarrondierung in Frankreich seit Ludwig XI. ausging. Hinzu kamen die Bedrohungen des christlichen Glaubens durch die Osmanen. Man beobachtete allerdings mit einer gewissen respektvollen Besorgnis konkrete Erscheinungen, welche diese Prozesse begleiteten und sich in der Erfahrungswelt des Reiches erschreckend auswirkten: Beispielsweise, in welchem Maße es die Eidgenossen mit ihrer Einigkeit zu allseits gefürchteter Schlagkraft gebracht hatten. Man dachte darüber nach, „ob man deßgleichen in dem reich in dissem wesen zu enthaltung des reichs und der deutschen nacion auch nicht tun könt“ und fand die Gründe für die eigene Unzulänglichkeit in der Uneinigkeit der Fürsten und „ander irtum“ im Reich.5 Die Offenheit des Systems (und seine Schwächen) wurde(n) den Zeitgenossen also in gewisser Weise selbst bewusst, in Krisenzeiten nämlich. 4  Diese Definition entspricht am ehesten dem Ansatz bei Bühl, S. 35, freilich ohne dessen terminologischem und gedanklichen Eigengewicht zu erliegen. Dieses ergibt sich aus der Genese der Theorien, welche beinahe ausnahmslos aus dem soziologischen bzw. politologischen Kontext stammen und deshalb in unserem Zusammenhang nur als gedankliches Gerüst dienen können. Vgl. auch Khandwalla, S. 151, und Politische Systemkrisen, hg. von Martin Jänicke, Köln 1973. Als Beispiel für eine Definition aus dem Bereich der Unternehmensführung sei die Definition der Krise als existenzbedrohende Gefährdung genannt, welche dann vorliege, wenn erkennbar werde, „daß die Unternehmung bei unveränderter Fortführung ihrer Tätigkeit in ihrem Bestand gefährdet wäre …“, in: Krisenmanagement: Grundlagen, Strategien, Instrumente, hg. von Thomas Hutzschenreuter und Torsten Griess-Nega. Wiesbaden 2006, S. 21. 5  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 156, Zitate: S. 231.



II. Die Krise 45

Dies umso mehr, wenn die politischen Defizite von solchen im ökonomischen Bereich flankiert wurden, die Zeiten also ohnehin als schlecht gelten mussten. Und dass die Zeiten schlecht waren, war allenthalben spürbar: Der Norden Europas war nämlich stark von den Konsequenzen der sogenannten kommerziellen Revolution des 13. Jahrhunderts betroffen. Die Folge der grundlegenden Veränderungen im Geld- und Warenmarkt sowie der neuen Finanztechniken war nämlich ein erhöhter Kapitalbedarf, welcher mit einer Verknappung der Edelmetallvorräte einherging.6 Der Fluss des Edelmetalls jedoch war unmittelbar mit dem Handel verbunden und dieser ging verstärkt in das südliche Europa, wo die meisten und wertvollsten Waren herkamen, und nur wenig in den Norden: Das spätere Mittelalter von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert war dementsprechend durch „Edelmetallknappheit und die monetäre Kontraktion geprägt.“7 Die Münzstätten im Reich verringerten ihre Produktion oder stellten sie sogar ganz ein: „Da die Kreditversorgung ebenfalls auf den Edelmetallvorräten basierte, kam es hier auch zu Liquiditätskrisen. Europa litt unter der wirtschaftlichen Depression.“8 Hinzu kam die Dezimierung der Bevölkerung durch die Pest und zahlreiche Kriege. Unter dem Druck einer Herausforderung wurde freilich auch Innovationspotential frei, welches dazu genutzt werden konnte und musste, die als existenzbedrohlich erkannte Gefährdung abzuwenden: Wenn die Lage der Dinge es verlangte, dann mussten – frei nach Erich Kästner – „die Mutigen klug und die Klugen mutig“ handeln, um einen Fortschritt der Menschheit zu evozieren, in diesem Fall einen Entwicklungsschub der politischen Verfassung des Reiches bzw. dessen Fähigkeit, auf eine kritische Herausforderung angemessen zu reagieren. Aber in welchem Maße konnten sie dies, wer handelte und mit welchen Mitteln? Allgemein ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten und Grenzen eines politischen Systems vor allem in Krisen besonders spürbar werden, weil unter dem Eindruck einer Gefährdung Schwachstellen besonders deutlich hervortreten: Offensichtliche Schwächen evozieren Niederlagen und regen dazu an, die als defizitär erkannten Einflussgrößen zu optimieren, um die Erfolgsaussichten in der Zukunft zu erhöhen. Eine conclusio ex negativo freilich setzt eine gewisse Systemdichte voraus: Nur bei einem Angriff auf ein zumindest halbwegs geschlossenes Ganzes nämlich wird erkennbar, 6  De Roover, Raymond: Money, Banking and Credit in Medieval Bruges, Cambridge 1948; Business, Banking and Economic Thought in Late Medieval and Early Modern Europe. Selected Studies of Raymond de Roover, hg. von Julius Kirshner, Chicago 1974. 7  North, Michael: Kleine Geschichte des Geldes: vom Mittelalter bis heute, München 2009, Zitat: S. 38. 8  North, Kleine Geschichte, Zitat: S. 38.

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C. Herausforderungen und Antworten

welche Voraussetzungen zu dessen Verteidigung nicht oder zumindest nicht ausreichend erfüllt sind. Das mittelalterliche Reich war jedoch – wie bereits festgestellt – kein geschlossenes Ganzes in diesem hermetischen Sinne. Es lässt sich, betrachtet man die Heterogenität seiner Konstituenten, stattdessen als „a dizzying amalgam of overlapping authorities, local privileges and rights, and competing jurisdictions“ charakterisieren.9 Konnte das Reich des späten Mittelalters unter dieser strukturellen Voraussetzung also gar nicht in eine wirklich existenzgefährdende Situation kommen? Objektiv betrachtet ist für das damalige Reich tatsächlich anzunehmen, dass es als Ganzes kaum ernsthaft in Gefahr geraten konnte. Subjektiv sah dies freilich völlig anders aus: Wiederholt wurde als Krise des Reichs eine Bedrohung besonderen Ausmaßes wahrgenommen, eine Situation mithin, welche dem ursprünglichen griechischen Wortsinn gemäß eine grundsätzliche Entscheidung verlangte, insofern als sie den Höhepunkt einer als gefährlich empfundenen Entwicklung markierte, zum Beispiel eine bedrohliche Häufung militärischer Angriffe von besonders hoher Schlagkraft. Das „dizzying amalgam“10 der spätmittelalterlichen Verfassung(en) des Reichs bewirkte, dass dessen Krisenreaktion auf eine schwierig genug zu erzielende Defensive beschränkt blieb; das Reich war eo ipso nicht offensiv handlungsfähig. Allerdings spürten die Zeitgenossen diese Einschränkung nur selten und wohl auch nur indirekt, dann nämlich, wenn zum Beispiel die Kriegsinitiativen Friedrichs gegen den Corvinen oder die Kriegspläne Maximilians gegen den französischen König de facto ins Leere liefen. Freilich begründeten auch Friedrich und Maximilian ihre Kriege stets als Maßnahmen zum Schutze des Reiches. Auch die faktisch als Offensiven geplanten militärischen Maßnahmen der Habsburger erfolgten demnach nicht zur Durchsetzung von Ansprüchen, sondern wurden vielmehr als Maßnahmen zur Verteidigung von Rechten notwendig. Dies entsprach dem vom Mittelalter bis in das 21. Jahrhundert gebräuchlichen Typus der Kriegsbegründungen, welche eine Legitimation für die Gewaltanwendung schaffen mussten und zu diesem Zweck auf die Kriegsnotwendigkeit zur Abwendung weit größeren Unheils abhoben.11 9  Leonhard, Amy: The Personal is Political: Convents in the Holy Roman Empire, in: Politics and Reformations: Histories and Reformations. Essays in Honor of Thomas A. Brady, Jr., hg. von Christopher Ocker, Michael Printy, Peter Starenko und Peter Wallace, Leiden / Boston, 2007, S. 199–215, Zitat: S. 201. 10  Leonhard, Zitat: S. 201. 11  Vgl. u. a. Kriegsbegründungen. Wie Gewalt und Opfer gerechtfertigt werden sollten, hg. von Hans-Joachim Heintze und Annette Fath-Lihic, Berlin 2008, darin besonders: Kortüm, Hans-Henning: Westliche Gotteskrieger unterwegs im Osten. Abendländische Legitimationsstrategien militärischer Gewalt im Zeitalter der Kreuz-



II. Die Krise 47

Auf diese Weise mehr oder minder gut begründete Offensiven kamen im Reich des Spätmittelalters in größerem Umfang freilich kaum mehr zustande, nicht einmal zu Kreuzzügen. Und dies, obgleich Kreuzzüge als transkulturelle Kriege, zum Schutze der Christenheit gegen die postulierte Grausamkeit der Muslime, sogar besonders gut begründbar gewesen wären. War der Verzicht auf Offensiven möglicherweise auf Ermüdungserscheinungen zurückzuführen, eine Reaktion also auf die traumatische Erfahrung zahlreicher Verluste, die man hatte hinnehmen müssen?12 Oder ist das Nicht-Zustandekommen großer Offensiven nicht doch vor allem als Folge der Binnenverfassung des Reiches zu verstehen, als Strukturfrage also? Letzteres erscheint deutlich wahrscheinlicher, lässt sich zu gleicher Zeit unter anderen staat­ lichen Bedingungen expansives Machtstreben im Westen und im Südosten Europas doch bekanntlich finden. Wie stand es denn tatsächlich um die Notwendigkeit zur Defensive? Man wird bei einer systematischen Betrachtung der Voraussetzungen zu dem Schluss kommen, dass das spätmittelalterliche Reich unter den zeitgenössischen logistischen und technischen Bedingungen schon wegen seiner Ausdehnung und der Heterogenität seiner Landschaften als Ganzes kaum angreifbar war. Unter dieser Prämisse relativiert sich die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Ganzen durch eine schwerwiegende Krise und es wird leichter verständlich, dass sich das Reich ungeachtet aller Inkonsistenzen als solches behaupten konnte. Attackiert wurde nämlich, wenn überhaupt, nicht mehr als ein Teil dieses lockeren Ganzen. In der Regel wurden solche re­ gionalen oder dynastischen Auseinandersetzungen auch dann, wenn sie bei den Betroffenen Angst und Schrecken erzeugten, nicht als Existenzbedrohung für das Reich verstanden, sondern vielmehr als eine auf ein bestimmtes Subsystem (zum Beispiel eine Region, eine Dynastie, ein Bündnis) bezogene Angelegenheit. Diese wurde gemäß den überkommenen Spielregeln und in diesem Kontext möglichst gütlich gelöst.13 züge, S. 21–31. Vgl. auch Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, hg. von Hans-Henning Kortüm, Berlin 2006. 12  Vgl. Kortüm, hier besonders S. 24. 13  Vgl. als einen der ersten, welcher sich mit den Spielregeln der Konfliktbewältigung unter vorstaatlichen Bedingungen auseinandersetzte, die Arbeiten von Gerd Althoff, u. a.: Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik; ders.: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; ders.: Genugtuung (satisfactio). Zur Eigenart gütlicher Konfliktbeilegung im Mittelalter, in: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, hg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 1994, S. 247–265; ders.: Compositio. Wiederherstellung verletzter Ehre im Rahmen gütlicher Konfliktbeendigung, in: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiner und Gerd Schwerhoff, Köln / Weimar / Wien 1995, S.  263–276; ders.: Königtum, Adel und Kirche in Ostsachsen. Gruppenbindung, Konfliktverhalten, Rechtsbewußtsein, in: Kon-

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C. Herausforderungen und Antworten

Wenn jedoch im 15. Jahrhundert tatsächlich (oder wohl eher vermeintlich) „kritische“ Situationen auftraten, also Ereignisse, welche für das gesamte Reich als außerordentlich bedrohlich und als besonders schwer beherrschbar empfunden wurden, dann läutete diese Wahrnehmung einen Prozess ein, welchen man aus gutem Grund als das „Ende des Mittelalters“ charakterisieren könnte. Das wichtigste Element dieses grundlegenden Wandels war die Erfahrung der Zeitgenossen, dass die gewohnten Konfliktregelungsmuster nicht mehr ausreichten und an ihrer Stelle Mechanismen des großräumigen Zusammenhalts gefunden werden mussten. Man stand vor der Herausforderung, gemeinsame Aktivitäten in neuer Qualität zu organisieren und auszurichten. Letzten Endes resultierte aus dem Erfolg dieser Bemühungen eine neue Qualität des politischen Gesamtsystems. Dieses Ergebnis konnte sich allerdings erst nach einer ganzen Reihe von kritischen Situationen mit unterschiedlichem Hintergrund und nach der Entwicklung sowie Erprobung verschiedener mehr oder minder gut funktionierender Lösungsstrategien abzeichnen; im historischen Umfeld war die Entscheidungssituation jeweils offen. Die notwendige Selbstorganisation des Reiches erwies sich zunächst einmal als eine beinahe unmöglich zu realisierende Herausforderung, beschränkte sich doch schon das Bewusstsein einer Gefährdung im Normalfall beinahe selbstverständlich auf die eigene Region, die eigene Familie oder soziale Gruppe. Warum sollte man weiter entfernte Teile des Reichs, Regio­ nen, Landschaften verteidigen, wenn man diese doch kaum oder gar nicht kannte? In den wenigen Situationen einer regionale, soziale oder ökonomische Loyalitäten überschreitenden Bedrohung erwies sich also die „Lockerheit des Konglomerats als zu wenig verteidigungsfähig“.14 Dabei kann man flikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, hg. von Winfried Speitkamp und Hans-Peter Ullmann, Göttingen 1995, S. 11–25; ders.: Regeln der Gewaltanwendung im Mittelalter, in: Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, hg. von Rolf Peter Sieferle und Helga Breuninger, Frankfurt / New York 1998, S.  154–170; ders.: Schranken der Gewalt. Wie gewalttätig war das ‚finstere‘ Mittelalter?, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, hg. von Horst Brunner, Edgar ­Hösch, Rolf Sprandel, Dietmar Willoweit, Wiesbaden 1999, S. 1–23 (Imagines Medii Aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung, 3); ders.: „Besiegte finden selten oder nie Gnade“ und wie man aus dieser Not eine Tugend machte, in: Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, hg. von Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke, Berlin 2003, S. 131–145; ders.: Hinterlist, Täuschung und Betrug bei der friedlichen Beilegung von Konflikten, in: Bereit zum Konflikt – Strategien und Medien der Konflikterzeugung in mittelalterlichen Integrations- und Differenzierungsprozessen, hg. von Felix Biermann, Matthias Müller, Dirk Schultze, Oliver Auge, Ostfildern 2008, S. 19–29. 14  Moraw, Peter: Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter, in: Staatliche Vereinigung. Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, hg. von Wilhelm Brauneder, Berlin 1998, S. 7–28, Zitate: S. 23, 24.



II. Die Krise 49

sogar noch eine Stufe weiter zurückgehen und nicht allein Defizite in der Verteidigungsfähigkeit, sondern auch einen eklatanten Mangel an Verteidigungswillen konstatieren. Dieses Defizit resultierte aus der Weitmaschigkeit des Informationsnetzes und der schlechten Logistik: Die Motivation zur Verteidigung hätte sich nämlich wesentlich aus der Erkenntnis über die eigene Bedrohung speisen müssen. Diese Wahrnehmung konnte jedoch nur auf dem Wege der Vermittlung von Wissen über die außerordentlich hohe Gefährlichkeit des Gegners für das gesamte Reich erzeugt werden. Diese Information musste in den eigenen Reihen kommuniziert, auf Plausibilität geprüft und in das sensible Netz wechselnder Machtkonstellationen eingeordnet werden: Ob man konkret handeln musste, wie, in welchem Maße, mit wem zusammen (oder ohne wen) konnte schließlich eine entscheidende Weichenstellung sein für die eigene Stellung im Reichsgeschehen. In diesem Kontext konnte der Herrscher als Katalysator im Kommunikationsprozess wirken, wenn er eine zunächst einmal für weite Teile des Reiches relativ abstrakte Bedrohung definitiv als Gefahr für das Reich einordnete. Da bei Situationen, die als kritisch für das gesamte Reich gelten mussten, die „normalen“, auf die politischen Landschaften oder (Teil-)Systeme bezogenen Konfliktregulierungsmittel nicht genügten, musste der König die Erarbeitung von Lösungsstrategien in die Wege leiten und legitimieren. Schließlich galt es, Entscheidungen herbeizuführen, die weiter gingen als gewohnt.15 Diese neuen Lösungsansätze mussten freilich so beschaffen sein, dass sie vereinbar waren mit den Handlungsalternativen des spätmittelalterlichen Reichs und dessen Verhaltensmaßstäben.

15  Hier die Reichsreform als eine Art herrscherlichen Maßnahmenkatalog in Erkenntnis der Probleme des Reichs anzunehmen, halte ich jedoch für nicht zielführend, weil diese These die Komplexität des Geschehens zu sehr auf den m. E. kaum vorhandenen Gestaltungsspielraum des Königs und seiner vermeintlichen Antagonisten begrenzt. Vgl. jedoch Angermeier, Heinz: Die Reichsreform. 1410–1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984, S. 51: „Wie drängend auch die äußeren Anlässe zu einer Reichsreform gewesen sein mögen, so ist der entscheidende Anstoß dazu doch erst von König Sigmund ausgegangen, bei ihm ist das Bewußtsein des Reformbedürfnisses und ein beständiger Reformwille unzweifelhaft zuerst greifbar.“ Und weiter ebenda, S. 103 über Kaiser Friedrich III.: „Erst in seiner Regierungszeit kommt es zu einer absoluten Trennung zwischen der monarchischen und der ständischen Verfassungsvorstellung, wie sie so unter den Vorgängern noch nicht festzustellen war.“

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C. Herausforderungen und Antworten

III. Die alte Ordnung Die alte Ordnung bildete nach wie vor das Fundament, welches durch Krisen zwar erschüttert werden konnte, im Wesentlichen jedoch den Hintergrund der Selbstwahrnehmung bildete, an der sich letztlich auch die Erfolgswahrscheinlichkeit von Lösungsansätzen bemaß. In diesem Zusammenhang erwies es sich als in hohem Maße relevant, dass die kulturelle Selbstempfindung im späten Mittelalter nach wie vor vergangenheitsbezogen war; man identifizierte sich mit der überkommenen Ordnung, die es zu bewahren respektive wiederherzustellen galt.16 Rechtssicherheit bestand nur, wenn gewährleistet schien, dass die Grundlage politischen Handels dieser tradi­ tionsgebundenen Selbstbestimmung entsprach.17 In einer vorwiegend an den überkommenen Werten und Mitteln orientierten Gesellschaft war demnach der Rückbezug auf die überkommene (also auch gottgewollte) Ordnung ebenso wesentlich wie das Konsensprinzip zwischen den Betroffenen, welches sich nicht zuletzt in der Formel von consilium et auxilium widerspiegelte. Allerdings tat sich im späten 15. Jahrhundert zwischen dieser Rückbezogenheit der kulturellen Identifikation und der politisch-sozialen Wirklichkeit eine Kluft auf. Die Erfahrungen einer sich wandelnden Umwelt forderten zu der Erkenntnis auf, dass die herkömmlichen Verhaltensalternativen allein nicht mehr ausreichten, um kritische Situationen zu bestehen. Die neue Qualität der Anforderungen erhob stattdessen Parameter wie die Effizienz des eigenen Handelns zu einem mehr denn je notwendigen Bestandteil einer Erfolgsstrategie. Wenn die Kommunen im Vorfeld des Wormser Tages 1495 ihre Gesandten also mit umfassenden Vollmachten ausstatteten, weil das Hintersichbringen „den erbern stetten bißher nit nutz, sonder merklichen nachtail und schaden bracht“18 habe, dann spricht eine solche Argumenta­ tion in dieser Hinsicht für sich. 16  Selbst für die Stadtstaaten Norditaliens galt dies. Vgl. auch Rosenberg, Justin: Secret origins of the state: the structural basis of raison d’état, in: Review of International Studies (1992), 18, S. 131–159. Rosenberg listet Belege für den verwaltungs-, organisations- und finanztechnischen Stand der italienischen Stadtstaaten auf und meint dann: The list reads so much like a catalogue of modern institutions that it is almost surprising to recall that the cultural self-definition of these polities was backward-looking: they identified themselves with the cities of Classical antiquity …“ (S. 131). 17  Vgl. auch Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von Johannes Winckelmann, 5. rev. Aufl., Tübingen 1976, S. 125–140, nach der traditionelle Herrschaft auf einer als von jeher bestehend wahrgenommen Ordnung basiert, deren Regeln als gegeben verstanden werden. Änderungen einer solchen Ordnung sind nur möglich, wenn neue Regeln ebenfalls als eigentlich überliefert dargestellt (oder wahrgenommen) werden.



III. Die alte Ordnung51

Reflex dieser systemtheoretisch neuen Lösungen war eine Selbstvergewisserung im Althergebrachten. Bei „kritischen“, also qualitativ neuartigen oder ungewohnt hohen Anforderungen lässt sich in den Quellen häufig die Suche nach einer Rückversicherung auf die eigenen Rechte und Pflichten gemäß der alten Ordnung finden: So fragte sich, um beim Beispiel des Wormser Tages 1495 zu bleiben, der Schwäbische Städtebund im Kontext des ungewohnten Ausmaßes königlicher Leistungsforderungen, inwieweit man von alters her überhaupt zur Ausstattung eines Romzugs verpflichtet sei.19 18

Die legitime Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders, die alte Ordnung, wurde als wesentlicher Bestandteil der kulturellen und sozialen Integrität häufig angeführt, möglicherweise sogar als omnipräsent empfunden; im Detail bekannt war sie nicht, konnte es infolge ihrer heterogenen Zusammensetzung aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechte und Gewohnheiten auch gar nicht sein, sondern musste im Bedarfsfall (zum Beispiel im Zusammenhang mit der sozialen Identitätswahrung) der Selbstbehauptung oder Selbstverteidigung genauer erkundet, man könnte auch sagen definiert werden.20 Die Unschärfen dieser alten Ordnung(en) erklären sich unter anderem schon aus der Diskrepanz zwischen Bewusstseinszeugnissen und schriftlichen Rechtsquellen. Eine qualitativ neue Anforderung provozierte also nicht allein vergleichsweise moderne Entscheidungen, sondern auch das Gegenteil: eine Rückschau auf die überkommene Ordnung und deren Festlegungen, den Blick zurück im Sinne einer Selbstvergewisserung mithin. Die alte Ordnung konnte freilich kaum jemals eine hinreichende Antwort auf neue Fragestellungen bieten. Sie konnte im Entscheidungsprozess jedoch sehr wohl unterstützend wirken, wenn es den in diesen Kontexten meist als „unsere doctores“ zitierten Gelehrten gelang, überkommene Regelungen in neue Zusammenhänge einzuordnen und sie an die aktuellen Erfordernisse anzupassen. Die im Zuge dieser Anstrengungen erfolgende Aktualisierung und Präzisierung der alten Ordnung trug ihrerseits zu einer Verfestigung und Kodifizierung überkommener Rechte und Gewohnheiten im Rahmen der Verfas18  Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5: Reichstag von Worms, bearbeitet von Heinz Angermeier, Göttingen 1981, hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 161. 19  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5,1.1, Nr. 76–94, im Wesent­ lichen 76–82, Tag der Bundesstädte in Geislingen im Januar 1495. 20  An dieser Stelle möchte ich Frau Prof. Dr. Elisabeth Koch, Lehrstuhlinhaberin für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena herzlich danken, welche auf meine Bitte hin die rechtshistorischen Aussagen zur „Alten Ordnung“ geprüft hat.

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C. Herausforderungen und Antworten

sungsentwicklung bei: Die Selbstvergewisserung als Bestandteil des Entscheidungsprozesses vermittelte mithin einen legitimen Standpunkt, aber auch die Erkenntnis, dass dieser als Antwort auf qualitativ neuartige Anforderungen nur bestehen konnte, wenn man ihn den Bedürfnissen der Zeit gemäß modifizierte. Im konkreten Fall berichtete der Nördlinger Bürger Hans Egen über Beratungen mit dem Hauptmann des Schwäbischen Bundes, Graf Haug von Werdenberg.21 Danach sei die Hilfsverpflichtung zwischen Freien und Reichsstädten sozusagen komplementär zu verstehen: Die Reichsstädte seien „dißhalb der perg“ zu Dienst verpflichtet. „So aber ain Röm. Ks. oder Kg. über die perg züg, so weren die reichstet des nit schuldig, sonder allain die freystet.“22 Von einer generellen Befreiung der Städte von der Romzugspflicht sei nichts bekannt; es empfahl sich also, den Verlauf der Beratungen auf dem Wormser Tag zu folgen und sich adäquat zu verhalten. Ein Beispiel, wie sich die alte Ordnung in kritischen Situationen als Schutz nutzbar machen ließ, zeigt das Beispiel Nürnbergs im Sommer 1436, als das Basler Konzil den sogenannten „Griechenablass“ beschlossen und damit Legitimitätskonflikte erzeugt hatte: Kaum eine Stadt im Reich wusste mit Gewissheit, ob das Konzil berechtigt sei, einen allgemeinen Ablass zu verkünden.23 Und besonders die Reichsstädte hegten erhebliche Bedenken, den Konzilsboten die Erlaubnis zur Ablasspredigt und Gelderhebung in den eigenen Mauern zu erteilen; man befürchtete einen Präzedenzfall für eine „schatzung“.24 Nürnberg fand in dieser akuten Notlage eine vielleicht alltagsferne, aber beinahe unangreifbare Lösung unter Bezug auf die überkommene Rechtslage: Es ließ den Konzilsgesandten von seinen doctores erläutern, dass alle Städte, die bisher zugestimmt hätten, dies nur mit Wissen ihrer Herren hätten tun können. Vor einer Antwort sei die Stadt deshalb verpflichtet, ihren Herrn, den Kaiser nämlich, zu konsultieren.25 Diese „akademische“ Lösung machte Schule.26 21  Zum Werdegang von Graf Hugo oder Haug XI. von Werdenberg-Trochtelfingen-Sigmaringen-Heiligenberg vgl. Vanotti, Johann N.: Geschichte der Grafen von Montfort und Werdenberg, Bellevue bei Konstanz 1845; Wiedemann, Franz: Die Reichspolitik des Grafen Haug von Werdenberg in den Jahren 1466–1486, Stettin 1883 und Wartmann, Hermann, „Werdenberg, Grafen von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 21. Bd., Neudruck der 1. Aufl. von 1896, Berlin 1971, S. 755–757. 22  Reichstagsakten unter Maximilian I, hier: Bd. 5,1.1, Nr. 79, S. 157. 23  Vgl. die Argumentation bei Johannes Grünwalder, Deutsche Reichstagsakten, Ältere Reihe (1376–1486), hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 12, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, 5.–6. Abt. (1433–1437), hg. von Gustav Beckmann, Gotha 1901, Nr. 36. 24  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 12, Nr. 42. 25  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 12, Nr. 45. 26  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 12, Nr. 47, 48, 53.



IV. Der Reichskrieg53

IV. Der Reichskrieg Was allerdings waren Situationen, welche als kritisch für das gesamte Reich bewertet wurden? Sicher nicht allein die erst in der historischen Analyse erkennbaren herrschaftspolitischen Veränderungen, welche das spätmittelalterliche Frankreich oder das Ungarn eines Matthias Corvinus für das Reich zu einer Bedrohung werden ließen. Auch wenn diese Faktoren die Bedrohung, in der sich das Reich gegen Ende des Spätmittelalters befand, maßgeblich mit verursachten, zählten sie doch selbst zu den Folgeerscheinungen einer sich ändernden Umgebung. Das machtpolitisch neuartige Vorgehen der europäischen Nachbarn, d. h. seine konkreten (militärischen) Auswirkungen, musste zunächst vom Herrscher (und seiner unmittelbaren Umgebung) in den zeitgenössischen Wahrnehmungshorizont eingeordnet und als Gefahr für das Reich definiert werden. Sodann musste eine Vielzahl möglicher Handlungsträger aus den mannigfaltigen (Teil-)Systemen des Reichs von dieser Gefahr überzeugt werden. Das konnte nicht generalisiert geschehen, sondern musste konkretisiert, meist sogar personalisiert werden. Wie sah dies in der Erfahrungswelt des spätmittelalterlichen Reichs aus? Wenn man bezogen auf das späte 15. Jahrhundert an große Herausforderungen durch vergleichsweise moderne Gegner denkt, lässt sich der Blick auf den „Reichskrieg“ schlechthin, den sogenannten Neusser Krieg, kaum vermeiden: Inwiefern ist dieser auch von Zeitgenossen wie Kaiser Friedrich als herausragend empfundene Krieg als eine prototypische Krisensituation für das Reich zu betrachten? Diese Frage soll im Folgenden exemplarisch näher beleuchtet werden. Zunächst fällt auf, dass sich im Reich auch im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung nur zögerlich das Bewusstsein einer militärischen Gefährdung entwickelte: Selbst die städtischen Beobachter, welche als besonders gut informiert gelten dürfen, nahmen das Geschehen zunächst ­ als ein eher randständiges Problem wahr. Viel wichtiger erschien der „anschlag widder die Turcken“, welcher im April 1474 auf dem Tag zu ­Augsburg beschlossen worden war. Denn dabei ging es um viel Geld, und die Fürsten waren dabei nach Ansicht der „rathsfreunde“ von Frankfurt zu gut davongekommen, während den übrigen Reichsgliedern der Zehnte Pfennig auferlegt worden war, worauf man sich keinesfalls einzulassen gedachte.27 27  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, Frankfurts Reichscorrespondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376–1519, hg. von Johannes Janssen, Bd. 2, Aus der Zeit Friedrichs III. bis zum Tode Kaiser Maximilians I., 1440–1519, Freiburg im Breisgau 1872, hier: Bd. 2,1, Nr. 483.

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C. Herausforderungen und Antworten

Im September war in Speyer ein Städtetag geplant, auf dem über den Anschlag gesprochen werden sollte sowie über die zusätzliche Forderung des Kaisers, einen „reysigen zug“ nach Köln, gegen den Herzog von Burgund zu schicken. Vorläufig hielten die Ratsfreunde dies für überzogen, denn es „wer verlorner kost“, da die Kölner „selbs viel folckes uffgenommen han“. Erst wenn es doch noch zu einem „gemeynen widderstant“ käme, „der nutzlich erwachszen mochte“, dann werde man seinen Anteil selbstverständlich beitragen.28 Abwarten kennzeichnete die Reaktion. Die dem Lehenswesen eigene Verpflichtung des Vasallen zu consilium et auxilium bildete allerdings die Grundlage für die Unumgänglichkeit einer prinzipiellen Zusage; diese musste freilich noch nicht präzisiert werden. Wie man sich verhielt, wenn man von der Notwendigkeit eines Reichskriegs vor Neuss auch später nicht überzeugt war, lässt sich an der Reak­tion des Frankfurter Rats Anfang 1475 veranschaulichen: Während Kaiser Friedrich verlangte, die Stadt solle „mit dem vierden tail aller mannspersonen“ im Feld erscheinen, entschloss sich der Rat lediglich dazu, „noch ettlich gesellen hynabe zu schicken“, um dem Vorwurf zu entgehen, man sei „gantz ungehorsam“ gewesen.29 Mit dieser Haltung, die man als Mindestgehorsam bezeichnen mag, stand Frankfurt augenscheinlich nicht allein da; die Mahnung des Kaisers erging ebenso an nicht näher bezeichnete Grafen und Herren.30 Es bleibt zu fragen, in welchem Umfang die Belagerung von Neuss also wirklich der „Reichskrieg“ war, als der er von einigen Zeitgenossen und später der Historiographie gesehen wurde.31 Als für das gesamte Reich kritisch wurde die Situation vor Neuss jedenfalls nicht verstanden. Dabei waren die Beschwerden handfest und bezogen sich auf den burgundischen 28  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd.  2, hier: Bd. 2,1, Nr. 482, Anmerkung S. 346. 29  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, hier: Bd. 2,1, Nr. 503 und 504. Text der kaiserlichen Mahnung vgl. Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss, Nr. XVII. (1475, Jan. 28. Kaiserbr. VI, 225). 30  Vgl. Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss am Rheine (1474–1475), hg. von Ernst Wülcker, Frankfurt am Main 1877 (= NeujahrsBlatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main für das Jahr 1877), hier: Regesten, Nr. 117. 31  Sehr geschickt und der Bedeutung angemessen spricht Wiesflecker vom „niederdeutschen Kriegsschauplatz“ (S. 106) im Kapitel „Karls des Kühnen Glück und Ende“ (S. 105–112) und stellt diesen Kampf in den Kontext des gescheiterten Treffens in Trier im Jahr zuvor, wo der Kaiser als Gegenleistung für eine Vermählung Marias mit Maximilian noch eine Königskrone hätte zusagen sollen. Nun nutzte Dr. Georg Heßler des Herzogs Schwäche und vermittelte ein „diplomatisches Meisterstück“ (S. 111) mit großer Wirkung für die Zukunft der Habsburger. Vgl. Wies­ flecker, Kaiser Maximilian I., Bd. 1.



IV. Der Reichskrieg55

Landvogt und Vertrauensmann Karls des Kühnen, Peter von Hagenbach, der versuchte, konsequent burgundische Verwaltungsstrukturen gegen die überkommenen Freiheiten und Rechte des Adels und der Städte durchzusetzen. Er erzeugte – obgleich er sich bei seinen Maßnahmen auf landsässige Edelleute stützte32 – eine Polarisierung gegen die Herrschaft der „Walhen“: Unter „allen lanntleuten und anstossern edlen und unedlen, stetten und andern“ herrschte Einigkeit, dass man sich nicht fügen, sondern notfalls unter „ander hilff und schirm“ stellen werde.33 Die Zurückweisung der Anmaßung von Rechten und die Verteidigung gegen Privilegienverletzungen war besonders in den in dieser Hinsicht hochsensiblen rheinischen Gebieten keine neue Erfahrung; angesichts der Dichte territorialer Verflechtungen stellte die Wahrung des eigenen Rechtsstatus dort sogar ein nahezu alltägliches Problem dar. Eine Besonderheit waren jedoch der Umfang und die – infolge des hochentwickelten burgundischen Verwaltungssystems – irritierende Qualität des Eingriffs in die Spielregeln des Reiches. Dies erzeugte die Solidarisierung unterschiedlichster Kräfte und eine uneingeschränkte Einmütigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit, gegen diese Eindringlinge vorzugehen. Im Zuge der Belagerung wurde allerdings deutlich, dass die grundsätzlichen Elemente einer militärischen Infrastruktur, eine angemessene Organisations- und Kommunikationsdichte etwa oder eine einigermaßen gesicherte Finanzgrundlage, schlicht nicht vorhanden waren. Dieses Defizit äußerte sich im Kriegsalltag drastisch und für jeden nachfühlbar, besonders unmittelbar in Neuss oder vor Köln. In der Truppe machte sich vor allem infolge Proviantmangels Unruhe breit, sogar Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung.34 Es bestand wiederholt die Gefahr, „dat die burgere ind andere frunde alle upbrechen, ind heym trecken.“35 Die Reihen unmittelbar 32  Sieber-Lehmann, Claudius, Spätmittelalterlicher Nationalismus, Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft, Göttingen 1995, S. 49–54. 33  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz Bd.  2, hier: Bd. 2,1, Nr. 459, Zitat: S. 301. 34  Selbstverständlich war man stolz, als der Kaiser in Köln angesichts der Frankfurter Fußknechte sagte: „Esz ist wayrlin eyn schonner zueg.“ Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2,1, Nr. 507, S. 364. Dies war jedoch eine der wenigen positiven Nachrichten. Zu Repräsentationszwecken wurden die Soldaten zudem neu eingekleidet, wie in bezug auf den Einmarsch in Köln ausdrücklich überliefert ist. Ansonsten bestimmten jedoch Klagen über die Kälte, zu geringen Sold, mangelhafte Bekleidung und Ungehorsam das Bild. Vgl. Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss, Urkunden Nr. XVI. (1475. Jan. 27, No. 205), S. 87; ausführlich ebenda, Regesten, Nr. 112. 35  Acten zum Neusser Kriege, 1472–1475, mitgeteilt von Adolf Ulrich, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die alte Erzdiöcese

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C. Herausforderungen und Antworten

vor Neuss lichteten sich im Zuge der langen Belagerungsdauer mangels ausreichender Ausstattung bedenklich.36 Es war schwer zu übersehen, dass das Reich auf einen Krieg dieser Größenordnung nicht eingerichtet war. Allerdings klagten die Beteiligten weniger über generelle Probleme als über ganz konkrete Missstände. Die Zeitgenossen fassten den Krieg nämlich nicht so sehr als ein einziges zusammenhängendes Geschehen auf, selbst wenn von einem Reichskrieg die Rede war, sondern als eine Vielzahl von Handelnden und Handlungen. Was (nicht) funktionierte, das geschah auf der Ebene der einzelnen Heere(steile). Diese Haltung resultierte aus dem Gefüge des Krieges, also der Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen, Rechts- und Finanzstrukturen, aus denen sich der Widerstand des Reiches zusammensetzte. Daneben wirkte sich allerdings auch ein Motivationsdefizit praktisch aus: Außerhalb des Kreises der unmittelbar Betroffenen war man weithin zu der Überzeugung gelangt, die dem Geschehen zugrunde liegenden Auseinandersetzungen seien nicht als Angelegenheit des Reiches, sondern als persönlichdynastisch motiviert zu verstehen; als Auswuchs des Problems habsburgischer Pfandschaften an Karl den Kühnen.37 Entsprechend hilflos muten die Bemühungen des Kaisers an, die weit verbreitete Zurückhaltung schlicht zu ignorieren und noch am 21. Mai zu befehlen, alle Untertanen sollten sich „von stund angesicht diß … briefs zu uns in veld fugen“.38 Den sonstigen Beteiligten ging es darum, nicht allzu viel zu investieren, die eigenen Rechte zu wahren und sobald wie möglich aus dem Krieg herauszukommen oder am besten gar nicht erst hineingezogen zu werden. Dazu bedurfte es eines geschickten Verhaltens, was wiederum rechts- und verfahrensdefinitorische Prozesse in Gang setzte, welche im Sinne einer Weiterentwicklung der Verfassungen in den Landschaften des Reiches wirkten und insofern die Innovationskraft der Krise spürbar werden lassen. In dieser Hinsicht lohnt sich beispielsweise ein Blick auf das Engagement des Bischofs von Münster, Heinrich von Schwarzburg. Heinrich, dem die Historiographie des 19. Jahrhunderts mit Blick auf „auswärtige Staats- und Köln, Heft 49, Köln 1889, Nr. 118 (vor allem zum Streit im Heer), Nr. 122, 123, Nr. 126; Zitat ebenda, Nr. 123, S. 79. 36  Vgl. Acten zum Neusser Kriege, Nr. 137–139. 37  Herzog Sigmund von Tirol habe dem „durchluchtigen hochgebornen fursten herren“ Karl von Burgund die Landgrafschaft im oberen Elsass verpfändet und als frommer Fürst annehmen müssen, dass alles rechtlich und sittlich einwandfrei weitergeführt werde. Karl habe jedoch einen Landvogt eingesetzt, der „alle billicheit darinn hindan gesetzt und als ein tyrann und durchechter regiert“ habe. Acten zum Neusser Kriege, Nr. 42, Zitat S. 25. 38  Acten zum Neusser Kriege, Nr. 159.



IV. Der Reichskrieg57

Kriegshändel“ große Fähigkeiten bescheinigt, war zugleich Administrator des Erzbistums Bremen.39 Dort war es zu einem Konflikt mit dem Grafen Gerhard von Oldenburg gekommen: Jener war 1471 mit Hilfe der Hansestädte vertrieben worden und hatte daraufhin von Delmenhorst aus die Städte Bremen, Hamburg und Lübeck überfallen. Die Auseinandersetzungen zogen sich hin, und Karl von Burgund verstand es, die Situation für sich zu nutzen, indem er sich mit dem Oldenburger verbündete. Der Neusser Krieg bot eine gute Gelegenheit, mit Hilfe von Kaiser und Reich die Verhältnisse umzukehren. Die Stärke des Heeres, das der Bischof von Münster zusammenführte, resultierte nicht unwesentlich aus Kontingenten der Städte Bremen, Hamburg und Lübeck.40 Am Rande dieses Konflikts sollte nicht übersehen werden, dass zumindest die Hamburger und die Lüneburger zunächst keinerlei Ambitionen zeigten, ihren Krieg gegen die burgundische Partei ausgerechnet am Rhein weiterzuführen. Es ist sogar ein Versuch überliefert, sich der Hilfsverpflichtung „akademisch“ zu entziehen. Die Hamburger doctores bedienten sich zu diesem Zweck des in kritischen Situationen gern wiederentdeckten Bezugs zu einem Stadtherrn: So bemühten sich die Stadtväter (vergeblich) darum, Kurfürst Albrecht davon zu überzeugen, dass sie ohne König Christians Zustimmung dem Aufgebot des Kaisers nicht Folge leisten könnten.41 Aber auch während des Feldzuges ergaben sich genügend Anlässe, die eigene Rechtsposition im Sinne eines Selbstschutzes zu definieren: Im Frühjahr 1475 wurden die städtischen Kontingente teils auf die Steine bei Neuss, teils in die Gegend von Zons und in die Nähe der Stadt, „naher den fyenden gelegen“ befohlen. Von Bedeutung war, dass weder der Kaiser selbst noch ein Fürst mit ihnen ziehen sollte, sie de facto also vom kaiserlichen Heer getrennt würden. Die Städtevertreter nahmen dies zum Anlass, die Lage zu überdenken, und ernannten die Hauptleute von Nürnberg, Frankfurt und Ulm zu ihren Sprechern. Diese erklärten dem Markgrafen von Brandenburg, dass Freie und Reichsstädte nach altem Herkommen einem Römischen König oder Kaiser, wenn er mit den Kurfürsten und Fürsten ins Feld ziehe, zu folgen verpflichtet seien und dies „auch als fromme lude truwen in dießer reyse gethan haben und furter mit fliß thun wollen“. Allerdings gebe es 39  Erhard,

Heinrich August: Geschichte Münsters, Münster 1837, S. 252. einen Bericht über den Feldzug aus Koblenz, in: Acten zum Neusser Kriege, Nr. 193, S. 143 f. und S. 148. 41  Vgl. Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hg. von Felix Priebatsch, Bd. 2, 1475–1480, Leipzig 1897 (= Publicationen aus den Königlich Preußischen Staatsarchiven, Bd. 67), hier: Nr. 96, S. 139, besonders Anm. 2. Dass Gerhard von Oldenburg um Exemtion von der Hilfe gegen den Burgunder nachsuchte, versteht sich von selbst. 40  Vgl.

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C. Herausforderungen und Antworten

Grenzen: Zu diesem Lager seien sie nicht verpflichtet. Und sie seien „auch nit erfordert den von Collen, nach dem cappittel ire stede oder sloß zubehuden und mogen auch profande and anders halb nit gethun.“42 Der Markgraf von Brandenburg musste diese Argumentation schließlich akzeptieren. Der „Reichskrieg vor Neuss“ war insofern ganz gewiss ein großer Krieg: Er eröffnete zahlreiche Chancen auf der einen und offenbarte umfassende Defizite sowie Gefahrenquellen auf der anderen Seite. Letztere wurden als durchaus „kritisch“ empfunden und evozierten innovative Ansätze zu einer weiteren Entwicklung des politischen Systems des Reiches, etwa die akademische Definition von Rechtspositionen oder auch die sorgfältige Abwägung der Art und des Umfangs eines individuellen oder kollektiven Engagements. Aber auch der Krieg vor Neuss war systematisch gesehen kein Krieg des Reiches, sondern ein Krieg im Kontext der politischen Landschaften des Reiches. Dem Kaiser stellte sich dies anders dar. Für Friedrich III. überschnitten sich Reichs- und Hausmachtpolitik. Das Kräftemessen mit dem Burgunder passte sowohl in das dynastische Konzept des Habsburgers als auch in die Rolle des kaiserlichen Hüters von Reichsrechten. Die übrigen Beteiligten mussten ihre Verpflichtung dem Reich gegenüber einlösen und dem Herrscher in den Kampf folgen. Im Interesse der eigenen Unabhängigkeit achteten sie jedoch peinlich genau darauf, die feine Grenze zwischen der Erfüllung ihrer Reichspflichten und den Leistungen für die Interessen des kaiserlichen Hauses nicht zu verletzen. Diese Wahrnehmung bezieht sich auf alle Beteiligten, auch auf die fürstlichen Anhänger Friedrichs; im sensiblen Überschneidungsbereich von Reichstreue und Verbundenheit mit dem Hause Habsburg verloren auch sie ihr (legitimes) Eigeninteresse nicht aus dem Blick. Es bleibt insofern selbst unter Einbeziehung des vielleicht prägnantesten Beispiels für einen „Reichskrieg“ aus jener Zeit zu konstatieren, dass kritische Situationen für das gesamte Reich unter den strukturellen Gegebenheiten des späten Mittelalters kaum denkbar waren: Auch schwere Konflikte wie dieser Krieg und seine Bewältigung ordneten sich nämlich in die Bedingungen und Möglichkeiten des politischen Gesamtsystems ein. Selbst wenn es am Rande Sorgen gab, wie es denn „die ort lands des hl. reichs gegen denselben, die sy anstossen, zu ordnen und zu versorgen“ seien, dann blieben diese Erwägungen unkonkret.43 Der unzulängliche Schutz der Reichsgrenzen gegen fremde Übergriffe und die Notwendigkeit einer besseren Verteidigungsorganisation wurden im Krisenfall zwar als Defizitposten 42  Vgl.

Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, hier: Bd. 2,1, Nr. 505, S. 361. unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 2, Zitat: S. 271. 43  Reichstagsakten



V. Die Gefährdung der Christenheit59

bewusst: Zwischen derart grundsätzlichen Sorgen und den konkreten Handlungsmöglichkeiten unter den gegebenen Strukturen bestand jedoch eine kaum zu überbrückende Kluft, waren alle Beteiligten doch nach wie vor eingebunden in dieses „dizzying amalgam of overlapping authorities, local privileges and rights, and competing jurisdictions“.44

V. Die Gefährdung der Christenheit Während die Herausforderungen des Reichs durch Karl den Kühnen, Ludwig XI. von Frankreich oder Matthias Corvinus von Ungarn von den Handlungsträgern im Reich stets vor der Folie der dynastischen Interessen der Habsburger kritisch beleuchtet wurden, verstärkte sich die Handlungsmotivation wesentlich, wenn der christliche Glaube betroffen war. Denn der in guter mittelalterlicher Tradition größte gemeinsame Nenner des Heiligen Römischen Reichs war schließlich dessen besondere Verankerung in der Christenheit. Die Notwendigkeit, als Christ für seinen Glauben einzutreten, war nicht weniger als die Basis des kulturellen Selbstverständnisses, welches beinahe reflexiv umso mehr beschworen wurde, je mehr sich die Lebenswirklichkeit von der großen Idee der aetas christiana entfernte. Bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts hatte der „Import des über Avicenna vermittelten aristotelischen Gedankenguts aus der arabisch-muslimischen Welt über die multikulturelle Kontaktzone der Iberischen Halbinsel bis in die Regionen nördlich der Alpen … an den Universitäten Lateineuropas eine geistige Revolution ausgelöst“45. Dieser Wandel erreichte freilich den Alltag der Menschen im Reich erst mit einer gewaltigen Verspätung. Allerdings berührten die Ausläufer des Umbruchs zwischen der unangefochtenen aetas christiana und dem aus der humanistischen Geschichtsbetrachtung resultierenden medium aevum auch das Reich des 15. Jahrhunderts, wenn man sich den geistigen Hintergrund allein der führenden Protagonisten vor Augen führt: Kaiser Sigismunds Sprachkenntnisse sind als umfassend zu bezeichnen. Seine Erziehung wurde wesentlich von dem bekannten Humanisten Niccolò dei Beccari aus Florenz geprägt46 und seine Bildung war sein wohl bedeutendstes Kapital bei der Überwindung der kirchlichen Differenzen seiner Zeit. 44  Leonhard,

Zitat: S. 201. Margot / Schiel, Juliane in: Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft, hg. von Michael Borgolte, Juliane Schiel, Bernd Schneidmüller, Annette Seitz, Berlin 2008 (= Europa im Mittelalter, Bd. 10), S. 30–40, Zitat: S. 30. 46  Vgl. Wefers, Sabine: Si(e)gmund, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, Spalte 1868–1871. 45  Mersch,

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C. Herausforderungen und Antworten

Betrachtet man hingegen Kaiser Friedrich III. und seinen größten Gegenspieler Matthias Corvinus, so wird das kulturelle Gefälle zwischen dem Hof in Buda und dem in Wien allein an der Bibliotheksausstattung deutlich: Die Bibliotheca Corviniana war immerhin nicht weniger als eine der größten Renaissance-Bibliotheken ihrer Zeit. Der König baute sie mit großer Leidenschaft und erheblichen finanziellen Mitteln auf; so ließ er zum Beispiel in Italien prächtig verzierte Handschriften herstellen. Allenfalls die burgundisch-habsburgischen Bibliotheken konnten sich mit einer solchen Ausstattung messen. Im Binnenreich ist eine Bibliothek dieses Qualitätsniveaus erst mit der so genannten Bibliotheca Electoralis Friedrichs des Weisen seit etwa 1502 nachweisbar. Den Kurfürsten von Sachsen und Philipp Melanchthon (seit 1518 in Wittenberg) einte die Begeisterung für die literarischen Entdeckungen ihrer Zeit, die Textausgaben der klassischen, besonders der griechischen Autoren. Mit der einschlägigen Forschung an der Wittenberger Universität etablierte sich dort bekanntlich nicht nur ein Zentrum humanistischen Erkenntnisinteresses, sondern auch der Kern der reformatorischen Bewegung.47 Friedrich der Weise diente wohl nicht ganz zufällig dem neuen König Maximilian zwischen 1494 und 1497 als Rat. Dieser weltanschauliche Wandel im Sinne des Humanismus, der Aufschwung von Kunst und Wissenschaften, die Annäherung an antikes Gedankengut, der Kulturtransfer aus dem Mittelmeerraum insgesamt evozierte beinahe selbstverständlich gegenläufige Bewegungen, also eine Abgrenzung gegenüber diesen Strömungen. Eine solche Distanzierung äußerte sich in einer besonders traditionsbetonten Verteidigung der Idee der Einheit der Christenheit sowie in der Beschwörung ihrer Gefährdung durch Glaubensfremde. Diese rückbezogene Geisteshaltung traf sich mit den überkommenen Vorstellungen von der aetas christiana, welche in weiten Kreisen des Reichs nach wie vor ohnehin noch nicht hinterfragt wurde. In diesem Sinne verlangte eine militärische Attacke durch Glaubensfremde unabweisbar nach der Beteiligung jedes Reichs(mit)glieds an der Abwendung der durch kriegerische Handlungen konkret gewordenen Gefahr. Aber eine Gefährdung der Christenheit, sei es eine kulturelle, sei es eine militärische Bedrohung, musste zunächst einmal als solche wahrgenommen, sodann kommuniziert und mit geeigneten Mitteln abgewendet werden. Die räumliche Weite des Reiches erschwerte die durchgängige Spürbarkeit eines 47  Vgl. Wefers, Sabine: Wissen in Kisten und Fässern, von Wittenberg nach Jena, in: Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, hg. von Volker Leppin, Georg Schmidt und Sabine Wefers, Gütersloh 2006 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 204), S. 191–207.



V. Die Gefährdung der Christenheit61

solchen Geschehens; sie machte eine aus der eigenen Erfahrung gewonnene Einordnung der Vorkommnisse häufig kaum oder zumindest erheblich verspätet, manchmal gar nicht möglich. Die räumliche Entfernung von dem akuten Vorfall und die damit einhergehend verzögerte Wahrnehmung dessen, was vor Ort konkret geschah oder bereits geschehen war, führte dazu, dass die Mehrheit der Angesprochenen das individuelle oder kollektive Risiko, etwa von den Auswirkungen einer militärischen Auseinandersetzung betroffen zu sein, zunächst einmal gering einschätzte. Insofern bewirkte Problemferne im Wortsinn, dass selbst die konkreten Auswirkungen der militärischen Aktionen „ketzerischer“ bzw. nicht-christlicher Angreifer (also nicht die abstrakt stets präsente Gefährdung der Christenheit) bis zum Ende des 15. Jahrhunderts von den meisten Protagonisten im Reich häufig zunächst als individuell kaum bedrohlich, da zumindest weit entfernt und / oder lokal begrenzt verortet wurden. Die Reaktion derer, welche von den Auswirkungen des Konflikts kaum oder gar nicht unmittelbar betroffen waren und eine konkrete Involvierung auch nicht befürchten mussten, verlangsamte bzw. relativierte sich entsprechend, was häufig als „Desinteresse“ oder gar „Verweigerung“ interpretiert wurde, von den betroffenen Zeitgenossen ebenso wie von modernen Historikern.48 Allerdings wirkte diese Wahrnehmungsdifferenz zwischen konfliktnahen und -fernen Gruppen nicht exkulpierend: Wenn Ketzer oder Ungläubige das Reich gefährdeten, war jedes Reichsglied (schon für das eigene Seelenheil) unabweisbar zur Hilfe verpflichtet, um die Gefährdung der Christenheit abzuwenden. Auf diese christliche Verpflichtung ließ sich Bezug nehmen; man konnte sie sogar instrumentalisieren. Schließlich war es schwierig genug, die Kräfte im Reich überhaupt zu erreichen, erst recht, sie zu alarmieren und zu mobilisieren. So lag es nahe, dass die Protagonisten dazu übergingen, als wichtig empfundene Anliegen auf eine höhere Ebene zu transferieren und sie damit nicht nur dringlicher zu machen, sondern auch besser zu legitimieren: Aus einem machtpolitischen Konflikt wurde dementsprechend im Handumdrehen die Bedrohung der alten (mithin gottgefälligen) Ordnung. 48  Als durchaus nicht isoliertes Beispiel sei Heinz Angermeier aufgeführt: In seiner Rezension zu „Quellen zur Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit“, hg. von Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber, Darmstadt 1996, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 25 (1998), S. 300–302 macht er die „Reichsstände“ immerhin nicht allein verantwortlich, sondern schreibt, „daß die Ursache für das Mißlingen von Maximilians Türken- und Frankreichpolitik nicht nur – wie Wiesflecker es immer wieder betont – in der geringen Hilfsbereitschaft der Reichsstände liegt (wozu man gerechterweise auch diejenige der nichtdeutschen Bundesgenossen zählen müßte), sondern nicht minder in der Maßlosigkeit und Unersättlichkeit seiner Hilfsforderungen …“ (S. 301).

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C. Herausforderungen und Antworten

Und jene kumulierte in einer Gefahr für den Glauben per se. Auf diese Weise wurde manche politische Krise zur Erhöhung der Priorität in einen die Christenheit umfassenden Kontext eingeordnet. Das Muster für diese Strategie lässt sich an konkreten Beispielen aufzeigen: So rief etwa Kaiser Friedrich 1486 unter Hinweis auf die Gefahr, dass das Reich durch die vereinigten Feinde (den König von Ungarn und die Türken) „unzweyfelich zertrennet und teutscher nation ire ere und wirde benomen und mit swerer frembder oberkeit übersetzt und ubernötigt, das auch zuletzt zu zerstörung cristenlicher stende und glaubens reichen wurde“49 dazu auf, Maximilian zu seinem Nachfolger zu wählen. Die Unterstellung sämtlicher Beschlüsse unter die Überschrift der Verteidigung der Christenheit respective der Bekämpfung der Osmanen wurde auch auf dem Wormser Reichstag 1495 praktiziert. Dieses Mittel zu einer Erhöhung des Themas findet sich freilich nicht allein im Reich; sie war auch in der europäischen Politik längst Usus. So war die Heilige Liga (März 1495) aus dem Papst, dem deutschen König, Mailand, Venedig und Spanien bekanntlich ebenfalls – neben ihrem Ziel, die Ruhe und den Frieden in Italien zu schützen – als Bündnis „pro … salutique totius Christianae religionis“50 (gegen die Türken) ausgewiesen. Realiter dominierte die Ausrichtung der Allianz freilich von Anfang an der Bezug zum Streitfall der großen Dynastien in Europa, die politischen Auseinandersetzungen in Italien nämlich. Insofern wurde die Bedrohung der Christenheit zu einem Topos, auch wenn diese angesichts der begrenzten Ausmaße mittelalterlicher Kriegsgeschehen kaum jemals ernsthaft in Gefahr geriet, nicht einmal bezogen auf das Reich. Mithin war diese Aussage auch kaum auf das tatsächliche militärische Gefährdungspotential bezogen, sondern akzentuierte vielmehr intui­ tiv eine Bedrohung der gesamten christlichen Welt. „Die größte Sorge der westlichen Christenheit um 1500 war, dass sie vollkommen von der Bildfläche verschwinden könnte.“51 Dementsprechend waren die Hilfeforderungen auch stets offen gestaltet; sie schlossen alle Christen ein.

49  Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1: Reichstag zu Frankfurt 1486, bearb. von Heinz Angermeier unter Mitarb. von Reinhard Seyboth, Göttingen 1989, Nr. 190, Zitat S. 188. 50  Zitiert nach Hermann Wiesflecker, Maximilian I. und die Heilige Liga von Venedig (1495), in: Festschrift W. Sas-Zaloziecky zum 60. Geburtstag, hg. von Gertrude Gsodam, Graz 1956, S. 178–199, hier: Anm. 82 (Bezug auf Lünig, I, Sp. 111). 51  MacCulloch, Diarmaid: Die Reformation. 1490–1700. Aus dem Englischen von Helke Voßbecher, Klaus Binder und Bernd Leineweber, München 2008, Zitat: S. 87.



VI. Das Self-Commitment63

VI. Das Self-Commitment Es entspricht dem Gesamtsystem von Verfassung(en) des Reiches, dass die aktuelle Lage von den Protagonisten hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials jeweils mit Blick auf die konkrete Situation neu eingeschätzt werden musste, um das eigene Verhalten darauf abstimmen zu können. Unterscheiden kann man dabei grob zwischen der Abwägung des individuellen Risikos, im Hinblick also auf die Gefährdung eigener Herrschaftsbereiche oder bezüglich einer persönlichen Verpflichtung zum Heereszug, und dem kollektiven Risiko, bezogen also auf die Einschätzung des angemessenen Verhaltens der eigenen Gruppierung, sei sie regional bestimmt, sei sie einungsgebunden, sei sie auf den „stand“ bezogen oder über andere Strukturen dem Herrscher gegenüber definiert. Man kann von „gemeinsamen Loyalitäten“ sprechen, welche sich gegenüber Dynastien manifestierten oder gegenüber einer bestimmten regionalen Korporation mit überlieferten Rechten und Privilegien. „Diese unterschiedlichen Loyalitäten schlossen einander nicht notwendig aus, aber wer sich sowohl einer Dynastie als auch einer Korporation verpflichtet fühlte, neigte vermutlich in die eine oder andere Richtung – abhängig von den persönlichen Umständen.“52 Die Notwendigkeit, das eigene Verhalten zu justieren, zwang zur Selbstreflexion und zur Identitätsfindung innerhalb der eigenen Reihen ebenso wie zur Verhaltensbestimmung der über gemeinsame Werte definierten Gruppe anderen gegenüber. Diese Selbsteinordnung bzw. -abgrenzung verlief in der Welt der Gelehrten methodisch anspruchsvoll diskursiv. Geradezu als Kontrapunkt zur Gelehrtendisputation, welche in dem Maße rhetorisch ausgefeilter wurde, wie die Komplexität des Themas zunahm, weisen Forderungen zur Verteidigung der Christenheit an das Reich insbesondere bei vorderhand nicht eindeutig zu bewertenden Angriffen in der Regel eine starke Simplifizierung auf. Von Dramatisierungen des Geschehens versprach man sich offensichtlich eine klärende, zumindest aber polarisierende und eindeutige Freund-Feind-Verhältnisse schaffende Wirkung. Auf diese Weise wurden auch in wenig selbstreflexiven Kreisen Präzisierungen der christlichen Kultur des eigenen Umfelds nicht selten ex negativo entwickelt, in Abgrenzung etwa zur „wildekeit“.53 Die Beschreibung des vermeintlich monströsen Gebarens von Ketzern oder Ungläubigen erleichterte nämlich auch weniger Gelehrten die Reflexion über das eigene Denken 52  MacCulloch,

Zitat: S. 76. Honemann, Volker: Der Wilde am Hof in der deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters, in: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt: Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, hg. von Thomas Zotz, Würzburg 2004 (Identitäten und Alteritäten, Bd. 16), S. 247–266. 53  Vgl.

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C. Herausforderungen und Antworten

und Verhalten. Diese vereinfachte Selbstreflexion ließ sich nicht nur verbal mitteilen, sondern zum Beispiel auch höfisch-zeremoniell umsetzen, was zur Ausbildung von Verhaltensnormen beitrug. Beides, die verbale wie die non-verbale Kommunikation, wirkte sich sowohl integrierend als auch motivierend aus und wurde dementsprechend eingesetzt: So ließ sich der krasse Verstoß des Landvogts Peter von Hagenbach gegen die guten Sitten dadurch verdeutlichen, dass auf Berichte über „ungottlich unmenschlich und unnaturliche sachen“ verwiesen wurde.54 Vorwürfe wie diese waren fast unbegrenzt steigerungsfähig: So hieß es beispielsweise, ein getaufter Verbrecher sei eigentlich noch schlimmer als jeder andere; zur Verteidigung der Türken könne man immerhin anführen, sie seien in ihrem Glauben „verhertet“.55 Die oben beschriebenen Formen gerade auch der kollektiven Selbstreflexion und Abgrenzung von anderen bezogen sich auf kleinere Entitäten ebenso wie auf das gesamte Reich. Die Abwehr des Fremden, welche militärisch zum „transkulturellen Krieg“ eskalieren konnte,56 beförderte insofern nicht nur die Identitätsfindung zum Beispiel eines fürstlichen Hofes, sondern auch das, was man als Reichsbewusstsein bezeichnen könnte, den Bezug nämlich auf das große Ganze. Beides war schließlich vor fremder (implicite unwürdiger, wilder, unchristlicher) Herrschaft zu schützen. Prozesse der Selbstreflexion, ihrer Kommunikation und der Festlegung eines korrekten Verhaltens hatten insofern eine soziale Komponente, welche in einem öffentlichen Rahmen verankert und damit auch verstetigt wurde. Die Verhandlungen über Hilfeleistungen mussten (zunächst) in den eigenen Reihen, im Reich nämlich, aufgenommen werden, im Sinne eines SelfCommitments. Um dabei einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erzeugen, musste es deshalb gelingen, die das Reich konstituierenden und an ihm partizipierenden Subsysteme, seien es familiäre, regionale, wirtschaftliche oder soziale Netze, anzusprechen und zu verdeutlichen, dass sie allesamt in konkreter Gefahr waren, auch wenn die Bedrohung aktuell noch ziemlich abstrakt erscheinen mochte. Diese Vermittlung des Anliegens war für das 54  Acten zum Neusser Kriege, Nr. 42, Zitat S. 26. Zur Funktion des Vorwurfs unchristlichen Verhaltens vgl. Sieber-Lehmann, Claudius: Der türkische Sultan Mehmed II. und Karl der Kühne, der „Türk im Occident“, in: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter, hg. von Franz-Reiner Erkens, Berlin 1997 (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 20), S. 13–38. Sieber-Lehmann bezieht sich ebenfalls auf eidgenössische und oberrheinische Quellen, allerdings nicht aus dem Neusser Krieg. 55  Acten zum Neusser Kriege, Nr. 42, Zitat S. 27. 56  Vgl. Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, hg. von Hans-Henning Kortüm, Berlin 2006.



VII. Fehlendes Commitment65

Ausmaß der Leistungsbereitschaft und damit für den Erfolg einer Reaktion von eminenter Bedeutung.

VII. Fehlendes Commitment Wenn ein Self-Commitement nicht erreicht werden konnte, führte dies zu Minimalleistungen wie zum Beispiel die Frankfurter Entscheidung bezogen auf die Verteidigung von Neuss Anfang 1475, nicht mehr als „ettlich gesellen hynabe zu schicken“.57 Auch wenn eine offene Verweigerung also nicht möglich war; die Beschränkung des eigenen Engagements auf ein Minimum galt als probates Mittel. Wer nicht überzeugt war, der blieb einem Krieg (unter Wahrung der Konventionen) eben fern. Diese Zurückhaltung konnte sozial, politisch, wirtschaftlich oder familiär gut begründet sein und galt zweifelsfrei auch für hochrangige Fürsten, wie etwa im Falle des Neusser Krieges für den Bruder Erzbischof Ruprechts, Pfalzgraf Friedrich, und seine Verbündeten.58 Gerade am Niederrhein, einem der dichtesten Interessenknotenpunkte des Reiches, wirkten sich die regionalen Verflechtungen nämlich kriegsverhindernd aus. Es konnte in einer solchen Region nur im Ausnahmefall opportun erscheinen, das labile Gleichgewicht der Kräfte und die vielfältigen Beziehungen nachhaltig zu stören; bevor ein Konflikt eskalierte, wirkte sich die Abwägung der zu erwartenden Schäden also als eine Art Korrekturfaktor aus. So führten die Kommunen am Ende des Wormser Reichstags 1495 beispielsweise gute Gründe an, einen von Maximilian gewünschten Feldzug 57  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, hier: Bd. 2,1, Nr. 503 und 504. Text der kaiserlichen Mahnung vgl. Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss, Nr. XVII. (1475, Jan. 28. Kaiserbr. VI, 225). 58  Eine zeitgenössische Quelle fasst diese Zurückhaltung in einem Bericht über die pfalzgräflichen Rheinzölle, die auch zu Zeiten der Belagerung gezahlt werden mussten, in die Worte „want der pfaltzgraiffe den keysser neit gefoilgich syn wolde“. Vgl. Acten zum Neusser Kriege, Nr. 193, S. 142. Vgl. auch Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hg. von Felix Priebatsch, Bd. 1, 1470– 1474, Leipzig 1894, Nr. 949, 957, 961: Der Pfalzgraf verweigerte zwar den zoll­ freien Durchzug, bat aber um Verständnis für seine Haltung. Kurfürst Albrecht schrieb ihm, er gehe davon aus, dass der Pfalzgraf „nicht geneigt“ sei, „unserm gezung Deutscher nacion widerwertig zu sein“ (Nr. 961, S. 740). Albrecht fand es merkwürdig, dass von ihm wie von einem Kaufmann oder Bauern Zoll gefordert würde; aber er erklärte sich bereit zu zahlen, wenn andere Kurfürsten und Fürsten diesen Zoll ebenfalls entrichteten. Ende Januar 1475 boten die Eidgenossen an, zwischen dem Kaiser und dem Pfalzgrafen zu vermitteln. Der Kaiser lehnte ab und verwies darauf, dass auch die Vermittlungsversuche des Herzogs Ludwig von Bayern fehlgeschlagen seien. Außerdem bestehe ein enges Bündnis zwischen dem Pfalzgrafen und dem Burgunder. Daneben sei Erzbischof Ruprecht der Bruder des Pfalzgrafen; vgl. Nr. 990; S. 757 und Bd. 2, Nr. 22, Anm. 2.

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C. Herausforderungen und Antworten

gegen Frankreich im Vorfeld sorgfältig zu prüfen, unter anderem unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden Störung des gewachsenen Miteinanders und der wirtschaftlichen Verbindungen in der Region. Der Erzbischof von Mainz teilte diese Bedenken: Wenn der König an seinen Pläne festhalte, werde man allerdings eine „füglich antwort“ finden müssen.59 Schließlich wurde die Finanzierung so geregelt, dass sie ohne Absicherung und damit ineffektiv blieb. Auch der Herzog von Jülich und Berg hielt 1475 beharrlich Distanz zum Geschehen, obgleich Kaiser Friedrich ihm sogar androhte, gegen ihn „zuprocideren.“60 Die Herzöge konnten jedoch gar nicht anders, als sich zurückzuhalten, standen sie doch spätestens seit den Zeiten Philipps des Guten im Schatten des expansionsfreudigen und finanzkräftigen Nachbarn. Im Juni 1473 hatte Herzog Gerhard von Jülich und Berg seine Ansprüche auf Geldern und Zütphen an Karl den Kühnen verkauft und war mit dem mächtigen Nachbarn eine Freundschaft „in verbo et fide“ eingegangen.61 Da Karl zudem in Erzbischof Ruprechts Namen im kurkölnischen Territorium erschienen war, gestaltete sich die Situation für den unmittelbaren Anrainer Jülich-Berg zu brisant, als dass er hätte militärisch eingreifen können. Zurückhaltung war in Konstellationen wie dieser die weitestgehende Form einer legitimen Abwehr des kaiserlichen Ansinnens. Das Angebot der Friedensvermittlung gleich zu Beginn des Konflikts versprach vermutlich am ehesten Gewinn.62 Dieses Vorgehen bewährte sich: Trotz eines wiederholten Bündnisses mit Karl erlangte der Herzog von Jülich-Berg eine Ent59  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1581–1582. 60  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, hier: Bd. 2,1, Nr. 505, S. 362. Entsprechende Äußerung Friedrichs der Stadt Köln gegenüber am 15.2.1475 vgl. Acten zum Neusser Kriege, Nr. 102. Vgl. auch die Gerüchte im Januar 1475 ebenda, Nr. 75, S. 48; zur Sache ebenda, Nr. 81. Aus dem herzoglichen Hause ist ebenfalls eine Erläuterung dieses Zwiespalts überliefert: Auf der einen Seite die Androhung des Verlustes aller Ehren und Besitzungen durch den Kaiser, auf der anderen Seite die Verpflichtungen dem Herzog gegenüber, vgl. ebenda, Nr. 134. Zum Konflikt zwischen Kaiser und Herzögen vgl. Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 2, Nr. 79; ebenso Nr. 89, besonders Anm. 2, S. 133 und Nr. 92, 94. 61  Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, hg. von Theod. Jos. Lacomblet, Bd. 4,1, (1401–1500), unver. Neudruck der Ausgabe 1840–58, Aalen 1960, Nr. 367, Zitat S. 462. Vgl. auch Müller, Mario: Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgischen Erbeinungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter, Göttingen 2010 (Schriften zur politischen Kommunikation, Bd. 8). Müller untersucht anhand der brandenburgischen Verhältnisse auch die grundsätzlichen Begrifflichkeiten und Bedingungen der politischen Freundschaft. 62  Vgl. die Vermittlungsversuche seit dem 11. August 1474, in: Acten zum ­Neusser Kriege, Nr. 32, 34, 35, 45.



VII. Fehlendes Commitment67

schädigungszusage für die durch die Belagerung von Neuss erlittenen Verluste und konnte sich auf kaiserlicher Seite dadurch Pluspunkte erwerben, dass seine Räte im Streit um den erzbischöflichen Stuhl den Verzicht Ruprechts (unter Beibehaltung des Titels) zugunsten des Landgrafen Hermann in den Jahren 1477 / 1478 vermittelten.63 Die Verfassungen des Reiches oder die unterschiedlichen Netzwerke, welche das Reich zusammenhielten, verlangten also nach einer jeweils individuellen Beurteilung dessen, was man als Notlage des Reiches oder dessen Krise definieren konnte. Innerhalb des Spielraums, den die Konventionen zuließen, verlangten die vielfältigen Beziehungsnetze nach einer angemessenen Berücksichtigung: Das Resultat der Selbstverortung konnte die Krisenbewältigung erkennbar befördern oder auch behindern. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Betrachtung der eigenen Rolle, die rechtliche ebenso wie die diplomatische Absicherung des eigenen Handelns oder Nicht-Handelns nicht per se konstruktiv war für die Verfestigung des politischen Gesamtsystems „Reich“. Es wäre jedoch einseitig, würde man die Selbstverortung in Krisensituationen allein im Sinne von Korrekturmechanismen bzw. als Aufklärung im Sinne einer Weiterentwicklung rechtlicher oder gesellschaftlicher Verfahren verstehen. Die Progression (aus heutiger Sicht) ging stets mit einer Regression im Sinne einer Rückbesinnung auf die alte Ordnung einher, bei Fürsten etwa die Betonung ihrer traditionell besonders großen Nähe und Treue zum Herrscher: Am Ende des Wormser Tages spiegelte sich dies in der Gewissheit des Herrschers, die Fürsten würden sich letztlich selbst verpflichten, sollten die Städte nicht zahlen.64 Damit bezog sich der König wahrscheinlich auf die Ankündigung der Fürsten, wenn der Gemeine Pfennig nicht genug Geld erbringe, werde man auf dem Frankfurter Tag am 2. Februar 1496 eine Reichsumlage nach altem Herkommen beschließen.65 63  Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Nr. 379 (Erklärung Karls, dass das Haus Jülich-Berg trotz eines erneuten Bündnisses nicht auf seine Ersatzforderungen verzichte), Nr. 390 (Verschreibung von 5000 Gulden durch Erzbischof Ruprecht), Nr. 392 (Verzichtvermittlung), Nr. 396 (Vertrag Ruprecht mit Hermann von Hessen). Dass Hermann das teuer erworbene Erzstift erhalten würde, wurde von den Beteiligten bereits im Juni 1475 erwartet; vgl. Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 2, Nr. 128, Herzog Wilhelm an Herzog Albrecht von Sachsen. 64  Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod ital H. VII, 799 (= 8002), 5 ff. 72v–75r, Zitat: f. 73v. Ich danke dem Direktor des Hauses, Herrn Dr. Marino Zorzi, für die Übermittlung des Quellentextes und Frau Angelika Lehmler (Frankfurt a. M.) sowie Frau Dr. Florella Niekisch (Bad Homburg) für die sorgfältige Übersetzung. 65  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1584–1585.

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C. Herausforderungen und Antworten

Ein ähnlicher Reflex auf das Alte lässt sich vielfach nachweisen. Bemerkenswert ist lediglich, dass die Zeitgenossen sich dieser beiden Handlungsoptionen selbst bewusst wurden. So meinte Kaiser Friedrich im Konflikt mit Matthias von Ungarn zum Beispiel 1486 / 1487, auf ein Aufgebot nach dem Muster des Neusser Kriegs zurückgreifen zu können, „also daz sein Gn. ausschreybe ein aufgebot, wie sein Gn. gegen Hg. Karlen seiligen von Burgundi fur Neus getan hette, damit die hielf dester furderlicher mocht aufbracht und die lande erhalten werden.“66 Er beharrte auf dieser Idee, obgleich er längst darauf hingewiesen worden war, dass es viele Gründe gebe, vor einer weiteren Entscheidung miteinander zu reden, „etliche stuck, im hl. Reich und zu furderung der hilf nottorftig“.67 Der Frankfurter Gesandte Dr. Ludwig zum Paradies schrieb, der Kaiser sei Vieles schuldig geblieben, so auch „das die ksl. Mt. wege vorhalte, die zu tun sien, wie man das volk daheinbrenge, wo man proviande nehmen sulle etc.“68 Der Gesandte führte aus, es gehe unter anderem um eine verlässliche Rechtslage: „… und das der frede und das recht ime Rich ufrichtig gegen eynen yden gehandthabt werden …“ und dass das eingesammelte Geld in Zukunft vollständig dem tatsächlichen Zwecke gemäß zum Wohle des Reiches eingesetzt werde.69 Die starken finanziellen Belastungen verstärkten die Konflikte im Reich sowie die Sorge vor Missbrauch und Ausnutzung von ungeklärten Rechtslagen. Seine Verhandlungspartner suchten also nach den adäquaten logistischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedigungen für ein erfolgreiches Handeln. Der Kaiser verweigerte sich jedoch einer Differenzierung zwischen einer Politik für die Erblande und übergreifenden Reichsangelegenheiten ebenso, wie er die Relation zwischen der Friedensherstellung und dem Steueraufkommen nicht als Strukturfrage zu erkennen vermochte. So beschwerte sich Friedrich vehement, die Kurfürsten nähmen unter anderem ihren Streit um die Rheinzölle als Vorwand, um ihm Hilfe gegen den Ungarn zu versagen. Diese verwahrten sich gegen eine solche Annahme: „Solichs sey von iren wegen nit geredt, auch ihres gemüts und meynung nit geweset, auch noch nit, sonder sie wollen sich in der hielf getreuelich und gehorsamlich halten …“.70 66  Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Mittlere Reihe, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Reichstag zu Nürnberg 1487, bearbeitet von Reinhard Seyboth, Göttingen 2001, Nr. 378, Zitat: S. 480. 67  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 379, Zitat: S. 483. 68  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 675, Zitat: S. 968. 69  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 675, Zitat: S. 968. 70  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 436, Zitat: S. 607.



VII. Fehlendes Commitment69

Leider ließ sich der Kaiser bis zum Ende des Nürnberger Tages 1487 nicht darauf ein, die für eine Absicherung seines Kriegsvorhabens notwendigen ordnungspolitischen Maßnahmen zu treffen. Den Gang der Dinge laufen zu lassen und ein Scheitern wie 1481 zu Wien zu riskieren, war jedoch unmöglich. Berthold von Mainz konnte seinen Unmut angesichts des unproduktiven Fortgangs der Verhandlungen kaum verbergen: Er betonte, er könne dem Kaiser nicht raten, einen Zug gegen Matthias zu unternehmen, solange die bayerischen Herzöge ihre Zusage nicht gegeben hätten. Außerdem würde ein Zug, der ohne ausreichende Vorbereitung angesetzt würde, möglicherweise zu schwach ausfallen: „Miesten wir nit mit spot, schonden und unern scheyden?“71 Man mag an dieser Stelle die Entäuschung über das Scheitern eines fortschrittlichen politischen Konzepts erkennen oder schlicht den Konflikt zwischen einem Kaiser, welcher den Kontakt zur politischen Realität im Reich verloren hatte, und einem Pragmatiker. Interessant ist, dass auch in diesem Konflikt das alte Herkommen letztlich obsiegte. Denn obgleich man sich bewusst war, dass der von Friedrich wider alle militärstrategische Vernunft geplante Feldzug scheitern müsse, bekannten sich die anwesenden Fürsten zu treuem Gehorsam: Sie meinten, selbstverständlich wäre es ­besser, man verhandelte anstelle eines (de facto undurchführbaren) Kriegszugs, „doch woltz die ksl. Mt. haben, so wollten sie dun, was sie vermehten.“72 Ohne auf die weiteren Auseinandersetzungen einzugehen, soll abschließend die Bilanz zitiert werden, welche Berthold von Mainz zog: „Werent wir eins und nehmen fir hont, das fru(ch)tbar wer, und seyten das dapper herus. Was ist alles, das wir in 10 wuchen hie geschafft hont? Wir lenden uf den grossen onschlog und wyssent, das es nit sin mog. …. Wir hont etwye ding beschlossen, rechenung begert, ist nie folzogen. … So wir das ouch annemen, so wurt als das vergessen, was for geret ist, und ist aller ding nit volzogen, so an allen enden geret ist …“.73 Heute würde man wohl sagen, dass es im Sinne der Sache höchste Zeit war, vertrauensbildende Maßnahmen im Zusammenwirken der Protagonisten anzustreben. Allerdings spiegelt sich hier sicher weniger das Gegenüber verschiedener Verfassungskonzepte als vielmehr das strukturelle Problem wider, im Miteinander verschiedener Verfassungen, Netzwerke, Gruppierungen, Selbstverständnisse und Fremderwartungen im Reich Ordnung zu schaffen, 71  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074, vgl. auch Nr. 637, S. 902–904. 72  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074. 73  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1075.

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C. Herausforderungen und Antworten

und zwar so, dass diese Ordnung dem allgemeinen Rechtsempfinden entsprach und das Reich handlungsfähig machte. Berthold strebte eine Konsolidierung im Regierungshandeln an. Zu einer im pragmatischen Sinne vernünftigen Beschlusslage hätte es freilich eines anderen Verhandlungspartners bedurft, der – auch eine Kontinuität zum Frankfurter Tag – Kaiser Friedrich nicht sein konnte. Dies führt unmittelbar zu der Frage, welche Rolle der König als Protagonist des Geschehens spielte, spielen konnte bzw. spielen musste.

D. Die Rollen der Handlungsträger I. Die Rolle des Königs Es war ganz wesentlich der Rex Romanorum, von dem man erwartete, dass er das Reich schützte. Der König war insofern auch derjenige, um den sich alle – heute würde man vielleicht sagen „hoheitlichen“ – Aktivitäten gruppierten: Es war seine Aufgabe, die Bedrohung des Reichs zu erkennen, zu Rat und Hilfe aufzurufen, die Selbstorganisation in die Wege zu leiten und letztlich auch militärische Maßnahmen zum Schutz des Reiches beziehungsweise zur Abwehr der Feinde anzuführen. Wenn der König grundsätzlich als einziger über die Autorität verfügte, militärische (oder ersatzweise auch finanzielle) Ressourcen über das ganze Reich hinweg zu mobilisieren sowie (zumindest dem Anspruch nach) auch zu ordnen und einzusetzen, wenn er überdies dem ganzen Geschehen Rechtssicherheit verleihen musste, dann stand es außer Frage, dass er diese Funktion auch selbst wahrzunehmen hatte, dass heißt er musste möglichst zeit- und ortsnah zum Geschehen aktiv tätig werden.1 Er musste informieren, motivieren, der Angelegenheit Gewicht verleihen und seiner Führungsrolle gerecht werden. Dieser Aufgabe waren sich die spätmittelalterlichen Herrscher bewusst, wie ein Zitat Kaiser Friedrichs aus der Zeit des Neusser Kriegs beispielhaft belegt: Er sei „bey unseren … undertanen in stetter … arbeit … damit den dingen … fruchtperlicher widerstand getan werde.“2 Anlässlich eines Gesandtentages zu Regensburg 1469 hat Dr. Martin Mair zusammengefasst, was man vom Herrscher erwartete, wenn es galt, einen Feldzug zu organisieren.3 Mair vertrat die Interessen der Wittelsbacher, 1  Vgl. die Diskussion des Umfelds der Geschehnisse in: Wefers, Sabine: Das politische System, hier: S. 81–93. Siehe auch: Wefers, Sabine: Die Wirkung des Hussitenproblems auf den politischen Zusammenhang von König und Reich im Zeitalter Sigmunds, in: Sigismund von Luxemburg, Kaiser und König in Mittel­ europa: 1387–1437, hg. von. Macek, Josef / Marosi, Ernó / Seibt, Ferdinand. Warendorf 1994, S. 94–108. 2  Acten zum Neusser Kriege, Nr. 37. Zu diesen Mahnungen vgl. neben indirekten Hinweisen: Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss, hier: Regesten Nr. 7, 19. 3  Zur Person vgl. Laschinger, Johannes: Mair, Martin, in: NDB, Bd. 15, Berlin 1987, S. 712–714; die Dissertationen von Schrötter, Georg: Dr. Martin Mair, München 1896 und Hansen, Rainer: Martin Mair. Ein gelehrter Rat in fürstlichem und

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D. Die Rollen der Handlungsträger

konkret diejenigen Pfalzgraf Friedrichs I. (des Siegreichen). Konkreter Gegenstand der Gespräche war die Ausrichtung eines Feldzugs gegen Georg von Podĕbrad als Anliegen des Papstes „unacum imperiali oratore“.4 Mair übernahm, „nachdem nu die pfalzgrafischen die vordersten und obersten auf disem tag sind“,5 nach „manicherlai und vil disputacion, so wir all undereinander doch gutlich und fruntlich gehabt“,6 die Aufgabe, die Interessen der fürstlichen Gesandten zu vertreten. Sein Verhandlungsziel war die Verhinderung eines Feldzugs. Die Auseinandersetzungen in Böhmen waren nämlich zu jenem Zeitpunkt bereits bei weitem zu vielschichtig, als dass der vom Papst vorgeschlagene Feldzug als adäquate Lösung erschienen wäre. Die Ansichten der Fürsten über den Böhmenkönig waren keineswegs einheitlich und ebenso wenig grundsätzlich städtischem Dienst in der zweiten Hälfte des 15. Jhs., phil. Diss. Kiel 1992; Watanabe, Morimichi: Imperial Reform in the Mid-fifteenth Century: Gregor Heimburg and Martin Mair, in: The Journal of Medieval and Renaissance Study 9 (1979), S. 209–235; Vgl. auch Walther, Helmut G.: Italienisches gelehrtes Recht im Nürnberg des 15. Jahrhunderts, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, 1. Teil, hg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann, Bernd Moeller, Martin Staehelin, Göttingen 1998, S. 215–229, hier: S. 218: „Der Nürnberger Rechtskonsulent Martin Mair stellt eine der großen Ausnahmen dar, wenn er schließlich 1465 in Heidelberg zum Doctor decretorum promoviert wurde, wo er schon im Dezember 1448 das Lizentiat erworben hatte. Mair besaß als Jurist ein schon so großes Renommée, daß er auf eine Promotion an einer italienischen Universität verzichten konnte.“ Vgl. auch Koch, Bettina: Räte auf deutschen Reichsversammlungen, Frankfurt am Main 1999, S. 189. Sie führt aus, dass Mair 1455 bei seiner Ernennung zum Kanzler des Erzbischofs Dietrich von Mainz gleichzeitig in württembergischen, pfälzischen und böhmischen Diensten war sowie für den Bischof von Würzburg tätig war; 1459 wurde er Rat und Diener des Herzogs Ludwig von Bayern.-Ingolstadt. Koch (S. 118) beziffert die Gruppe von Fürstendienern, welche im Laufe ihres Berufslebens im 15. Jahrhundert deutlich die Grenzen regionaler Arbeitsmärkte überschritten haben, auf lediglich sechs (?) von den von ihr untersuchten 138 Personen. Sie (S. 163–216) nennt neben Mair auch Gregor Heimburg, Heinrich Leubing, Georg Pfeffer (Hell), Laurentius Blumenau, Lorenz Schaller, Robert Blijtterswuch sowie Konrad Peutinger. Koch widerspricht damit Jahns, welche bei hochkarätigen Juristen von einer hohen Mobilität („die meisten damaligen Juristen“) ausgeht, vgl. Jahns, Sigrid: Juristenkarrieren in der Frühen Neuzeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 131 (1995), S. 113–134. 4  Vgl. Deutsche Reichstagsakten, hrsg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22,1: Deutsche Reichstagsakten unter Friedrich III., 1468–1470, bearb. von Ingeborg Most-Kolbe, Göttingen 1973, hier das Einladungsschreiben des päpstlichen Legaten, Bischof Laurentius von Ferrara, in dem betont wird, dass der Tag „unacum imperali oratore“ einberufen werde (Nr. 20, S. 74, Zeile 36) und das entsprechende Schreiben des königlichen Rats Haug von Werdenberg (Nr. 20 b). 5  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 25 a, S. 93, Zeile 16–17. 6  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 25 a, S. 91, Zeile 10–11.



I. Die Rolle des Königs73

gegen Georg von Podĕbrad ausgerichtet.7 Auch wenn sich das Klima durch den Häresievorwurf, besonders durch den Bann im Dezember 1466, verschlechtert hatte und Georgs Rechte weitgehend ruhten; verlieren wollte man den Böhmen nicht. Selbst wenn Kaiser Friedrich also (noch) Abstand hielt: Im Reich war die Haltung zu König Georg schon mangels einer vertretbaren Alternative zumindest ambivalent. Dass Matthias Corvinus den böhmischen Thron erlangen sollte, wurde jedenfalls nicht als uneingeschränkt wünschenswert empfunden.8 Es erschien also vorteilhaft, die Situa­ tion vorläufig offen zu halten. Nun war es allerdings offensichtlich, dass ein Tag, auf dem ein vom Kaiser formell unterstütztes päpstliches Anliegen im (kur-)fürstlichen Kreise verhandelt wurde, denkbar schlecht geeignet sein würde, diese Unentschiedenheit beizubehalten. Ein solches Treffen hätte normalerweise bereits aus sich heraus ein zu starkes Gewicht entfaltet und eine eindeutige Positionierung einigermaßen zwingend nahegelegt: Am besten also, man ging nicht hin. Wenn man sich von Gesandten mit möglichst eng definierten Befugnissen vertreten ließ, war man ausreichend präsent, um einerseits die Kommunikation nicht abreißen zu lassen, andererseits jedoch das politische Engagement zu begrenzen. Die fürstlichen Gesandten waren insofern lediglich befugt, unzumutbare Ansinnen zurückzuweisen; vertretbare Anträge mussten sie ihren Herrschaften zur Entscheidung vorlegen.9 Das Verfahren war aus der städtischen Diplomatie altbekannt; Gesandtschaften der Freien und Reichsstädte hatten das Instrument des „Hintersichbringens“ auf königlichen Tagen des Spätmittelalters nahezu zur Perfektion entwickelt. Martin Mair erledigte seine Aufgabe souverän, den Feldzug abzulehnen, ohne dies so offenkundig werden zu lassen. Er erklärte schlicht, es sei niemand berechtigt, die abwesenden Kurfürsten, Fürsten und Städte ohne deren Zutun zu veranschlagen.10 Außerdem sei es weder „formlich noch gewonlich“, dass die „gelider vor dem haubt geen solten“.11 Insofern sei es Angelegenheit der beiden Häupter der Christenheit, eine entsprechende Ordnung aufzustellen. Damit waren die Verhandlungen unter Verwendung einer akademischen Argumentationslinie offiziell gescheitert und die GeBegert, hier bes. S. 230–236. zu diesem Problem Nehring, Karl: Matthias Corvinus, Kaiser Friedrich III. und das Reich, Zum hunyadisch-habsburgischen Gegensatz im Donauraum, München 1975 (= Südosteuropäische Arbeiten, 72). 9  Vgl. die Instruktionen der Gesandten, Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 22. 10  Vgl. Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 23, S. 83, Zeilen 44– 49. 11  Vgl. Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 23, S. 84, Zeile 10–11. 7  Vgl. 8  Vgl.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

sandten nahmen lediglich eine Entscheidungsvorlage „an ir herren und freund“12 mit. Allerdings ließ Martin Mairdie Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen; er willigte in inoffizielle Gespräche ein, Verhandlungen also „nit in der sampnung namen“13. Anhand der soeben verabschiedeten Entscheidungsvorlage erläuterte er den königlichen Gesandten nun die Möglichkeiten und Grenzen einer fiskalischen Organisation des Reiches:14 So sei zum Beispiel bei der in Aussicht genommenen Dezima-Regelung für die Geistlichen zu befürchten, „es werde ganz kein hilf wider die ketzer aus Deutschen landen beschechen“15, denn es sei üblich, dass sich Fürsten und Geistliche zur Stellung von Leuten und nicht zur Geldzahlung verpflichteten. Außerdem sei es ungeschickt, pauschal festzulegen, wie viele Kräfte „aus Teuschen landen“ in den Krieg geschickt werden müssten; stattdessen wäre es zielführender, die Beitragsverpflichtung jedes einzelnen mit Fristsetzung anzugeben.16 1. Präsenz am Ort des Geschehens Die wohl wichtigste Forderung Martin Mairs in dieser akademischen Lektion für Könige war die Forderung nach der persönlichen Anwesenheit des Herrschers zeitnah vor Ort. Die legitimierende Gewalt des Herrschers sei schlicht unersetzbar. Denn es gebühre sich für keinen Kurfürsten oder Fürsten, „dem andern ire summa aufzusetzen“; das sei allein Angelegenheit des Papstes und des Kaisers.17 Wenn der Kaiser erfolgreich einen Feldzug organisieren wolle, müsse er deshalb selbst ins Reich kommen, alle Kräfte zur Mitwirkung verpflichten und ein „verstentnus“ zwischen Deutschen, Ungarn, Böhmen, Mährern, Schlesiern und Lausitzern herbeiführen. Bedenkt man, dass seit dem Frühjahr 1469 die Osmanen immer weiter in venezianische und oberösterreichische Gebiete vordrangen und schließlich die Laibacher Pforte erreichten, einen wichtigen Alpendurchgang, dann wird erkennbar, dass der so belehrte Kaiser tatsächlich unter hohem Druck stand, Verhandlungserfolge und die Unterstützung seiner Osmanenpolitik zu erwirken. Es verwundert insofern wenig, wenn der sogenannte Große Regensburger Christentag 1471, welcher auch in diesem Lichte nicht zufällig der seit 27 Jahren erste Tag war, an dem Kaiser Friedrich wieder persönlich teil12  Reichstagsakten

unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 28 b, S. 103, Zeile 13. unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 29 a, S. 104, Zeile 5. 14  Vgl. Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 28 a unter der Überschrift „Gemeinsames Anbringen“ und die Stellungnahme ebenda, Nr. 29 a. 15  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 29 a, S. 104, Zeile 13. 16  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 29 a, S. 104, Zeile 29. 17  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 29 a, S. 104, Zitat: Zeile 31. 13  Reichstagsakten



I. Die Rolle des Königs75

nahm, mit hoher Beteiligung vor allem süd- und mitteleuropäischer Delegationen sowie der Kurie stattfand und mit sowohl vornehmen als auch juristisch kompetenten Teilnehmern beschickt wurde.18 Der Herrscher geriet in Bedrängnis, wenn es ihm nicht gelang, dem Bedürfnis nach Präsenz zu entsprechen. Maximilian musste sich sogar wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, er gefährde durch seine Abwesenheit den Erfolg seiner Herrschaft: So wiesen die in Freiburg Versammelten zum Beispiel Anfang 1498 seine Entschuldigung, er könne nicht nach Freiburg kommen, weil er sich in den österreichischen Erblanden um „ordnunge und regiment“19 kümmern müsse, unter anderem mit dem Einwand zurück, man habe sich schließlich eigens deshalb „alhere in ew. kgl. mt. erblich fürstentumb und stat“ getroffen, damit der Herrscher seine territorialen Angelegenheiten „neben des reichs hendeln vollenden möchte“.20 Ziemlich unverhohlen wies man Maximilian sodann darauf hin, dass diejenigen, welche stets treu seinen Einladungen folgten, inzwischen nachgerade zur Zielscheibe von Hohn und Spott geworden seien.21 Maximilian reagierte auf Vorhaltungen wie diese empfindlich. Anlässlich des Lindauer Tags (1496  /  97) entgegnete er beinahe trotzig, er müsse schließlich nicht in dem Maße, wie die „andern stende des rychs auß schuldiger pflicht tun sollen“,22 auf einem Tag persönlich erscheinen. Diese 18  Reichstagsakten unter Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 118–123 „Akten zur Türkensache“; vgl. zum Ablauf auch Reissermayer, Jakob: Der große Christentag zu Regensburg 1471, Teil 1–2, Regensburg 1887–1888; vgl. Mertens, Dieter: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, in: Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt, Köln-Wien 1991 (= Münstersche Historische Forschungen 1), S. 45–90; zu den Gelehrten und zur Rolle Venedigs vgl. Baumgärtner, Ingrid: Die Standeserhebung des Rechtsprofessors Bartolomeo Cipolla. Venedig auf dem Reichstag von Regensburg 1471 und die Türkengefahr, in: Kultur, Politik und Öffentlichkeit, Festschrift für Jens Flemming, hg. von Dagmar Bussiek und Simona Göbel, Kassel 2009, S. 35–67; Ernst, Fritz: Über Gesandtschaftswesen und Diplomatie an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 33 (1951), S. 64–95. Zu Friedrich III. vgl. Heinig, Paul-Joachim: Kaiser Friedrich III. (1440–1493): Hof, Regierung und Politik, Köln (u. a.) 1997. 19  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 30, S. 514. Mit der Einrichtung eines Hofrats mit Kurfürst Friedrich von Sachsen an der Spitze schuf Maximilian eine Art Konkurrenz zu den Reichstagsbemühungen und machte sich Kurfürst Berthold naturgemäß zum Gegner. 20  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 43, S. 523. 21  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 43, S. 523. 22  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 3, Zitat: S. 272–273.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Aussage war freilich ebenso richtig wie falsch: Selbstverständlich konnte ihn niemand zwingen, auf einem (königlichen) Tag zu erscheinen. Aber wenn seine Herrschaft erfolgreich sein wollte, musste er genau dies tun. Der legitime Herrscher war nämlich schlicht nicht substituierbar, nicht einmal durch den (noch) nicht ausreichend legitimierten Nachfolger. So war Friedrich Ende der 1480er Jahre als greiser Kaiser noch relativ wohlwollend als Herrscher beschrieben, welcher das „Reich mit grosser muhe und arbeit in loblichem, gutem regiment lange jar wol geregirt hette“ und nun „rue und gemach zu haben“ verdient hätte.23 Ihm gegenüber stand Maximilian, der Hoffnungsträger, welcher etwa 1489 in Frankfurt anwesend war, aber noch „nit administracion im Reiche“ hatte. Er konnte zwar eine politische Zukunftsperspektive in den Raum stellen, realiter jedoch nur wenig bewirken. Stattdessen musste auch Maximilian darauf bauen, dass der Kaiser auf dem geplanten Tag in Speyer persönlich erscheinen werde, weil sonst in der Frage der Reichshilfe „nichts darinne auszurichten sey“.24 Zur Erfüllung seiner Aufgabenstellung war die leibhaftige Anwesenheit des Königs also unverzichtbar: Er musste eine Notlage als reichsrelevant erkennen und Gegenmaßnahmen legitimieren, eine Versammlung zum Thema einberufen, dort in voller Würde auftreten und die Anwesenden nicht nur formal über die Krise informieren sowie Rat und Hilfe einfordern, sondern auch persönlich zu Höchstleistungen motivieren. In Zeiten verwaltungstechnisch nicht ausgereifter Herrschaft war die Personalisierung von Führung, welche selbst im modernen Management als so genannte „face time“ noch als äußerst förderlich für die Akzeptanz von Leitungsentscheidungen gilt, schlicht unerlässlich. Wenn der Herrscher nicht imstande war, seine Führungsfunktion im Krisenmanagement des Reiches auszufüllen, dann war nicht nur der Misserfolg einer konkreten Maßnahme vorgezeichnet, sondern unter Umständen sogar seine Herrschaft insgesamt bedroht: Sigismunds Arzt Seyfried äußerte 1422 in einem Brief, sollte der König nicht persönlich erscheinen, „als er gelowbt und gesworen hot, so muste ich leider sorge haben, daz mein herre wurde komen von allen seinen kronen und reichen“.25 Der Gesandte 23  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 630, Zitat: S. 862. Reichstagsakten, Mittlere Reihe, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 3,1 und Bd. 3,2, 1488–1490, bearb. von Ernst Bock, Göttingen 1972 / 1973, hier: Bd. 3,1, Nr. 14 a, Zitate: S. 175 und S. 177. Zur Antwort vgl. Nr.  46 f. 25  Deutsche Reichstagsakten, Ältere Reihe (1376–1486), hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 7–9, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, 1.–3. Abt. (1410–1431), hg. von Diet24  Deutsche



I. Die Rolle des Königs77

Sigismunds, Albrecht von Colditz, brachte die Verantwortung des Königs für den Erfolg seiner Herrschaft ebenfalls im Jahr 1422 auf den Punkt, als er schrieb, im Reich sei er überall wohlwollend empfangen worden und könne nur feststellen, „daz sie alle meinen gnedigen hern liep und wert haben“ und zum Zuge gegen sie Hussiten bereit seien, „mein herre welle is denne selber vorterben“.26 Der König wurde also als persönlich verantwortlich wahrgenommen für den Erfolg seiner Herrschaft beziehungsweise deren Scheitern. Sigismund konnte den Anwesenheitsanspruch schon aus wirtschaftlichen Gründen kaum jemals erfüllen. Insofern lassen sich in seiner Zeit auch nur wenige Höhepunkte eines persönlichen Wirkens als Koordinator der Abwehr von Gefahr finden, sieht man von den Konzilien mit der ihnen eigenen Dynamik einmal ab. Der Tag von Breslau 1420 bietet in dieser Hinsicht geradezu einen Ausnahmefall: „Bei der Bekämpfung der Ketzer standen König und Kurie eng beisammen, die Kurfürstentümer von Trier, Köln und Mainz waren neu besetzt, ihre Inhaber befanden sich erst in der Konsolidierungsphase ihrer Herrschaft, und der bevorstehende Kreuzzug war ein Anliegen, dessen Konsequenzen und praktische Probleme noch nicht absehbar waren.“27 Das königliche Anliegen traf damit auf eine optimale Ausgangslage; es passte in die politische Landschaft und konnte deshalb auch ein Beispiel erfolgreichen herrscherlichen Handelns erzeugen. 2. Königliches Herrschaftsverständnis Nicht nur bei Sigismund, sondern auch bei den Habsburgern lassen sich Phasen großer Schwäche finden. Kaiser Friedrich bietet am Ende seiner Regierungszeit ein gutes Beispiel für ein Defizit, welches entstand, wenn der Herrscher gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Relevanz geeigneter ökonomischer und sozialer Voraussetzungen für den Erfolg seiner herrscherlichen Maßnahmen nicht erkannte. Friedrich verstand nicht, dass zwischen der politischen und sozialen Ordnung im Reich und dem Ertrag steuerlicher Einnahmen aus dem Reich eine wechselseitige Relation bestand; er sah deshalb keine Notwendigkeit, über die formale Anerkennung der Bedürfnisse nach Recht, Ordnung und Frieden hinaus wirksame Maßnahmen zu ergreifen, Konflikte (z. B. Zollfragen) innerhalb des Reiches zu vermeiden bzw. zu regulieren, als Herrscher mithin die Rahmenbedingungen für die eigene Steuerpolitik selbst zu gestalten. rich Kerler, München (Bd. 8) und Gotha (Bd. 9) 1878–1887, hier Bd. 8, Nr. 118, Zitat S. 129. 26  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier Bd. 8, Nr. 101, S. 116–117. 27  Wefers, Das politische System, S. 81.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Friedrich verlor mit seiner Zurückhaltung gegenüber den konzeptionellen Fragen an Überzeugungskraft für sein Anliegen. Wenn er sich schließlich überhaupt an der Diskussion um Rahmenbedingungen beteiligte, dann verrieten seine Statements viel von seinem Unverständnis der Lage. So führte er zum Beispiel aus, das Proviantproblem könne er gar nicht nachvollziehen: „… er hab noch so vil guter schlos und stett im land ze Östrich, so sig es ouch ein so fruchtbar, kostrich land, daz im nüt zwifly, daz folk in sinen stetten und land kost gng find. Und öb mangel do sin wurd, mög man doch inen wol kost gnung us disen landen on merklichs verhindrung zubringen, deshalb, um kost sorg ze haben, nüt not sig etc.“28 Die Kurfürsten hätten – so der Berichterstatter – diese Antwort als ausgesprochen ärgerlich empfunden, habe der Kaiser doch die Zufahrtsmöglichkeiten ganz außer Acht gelassen. Daraufhin wurde auf dem Nürnberger Tag 1487 offen ausgesprochen, der Kaiser sei wohl nicht mehr in der Lage, seine eigenen Vorhaben umzusetzen. Der Erzbischof von Mainz formulierte, dass der Kaiser das „Reich mit grosser muhe und arbeit in loblichem, gutem regiment lange jar wol geregirt hette, deshalb seiner Mt. numals, rue und gemach zu haben, not were …“.29 Etwas drastischer liest sich die summarische Aufzeichnung des Basler Gesandten: „… als die ksl. Mt. hilf begert und formals angezeugt, personlich ins feld ze ziehen, haben sy betracht, das die ksl. Mt. daz hl. Rich langy jor geregiert und hinfür alt und blöd sig, sölichs nüt mögen vollbringen.“30 Grundsätzlich anderes verhielt sich Maximilian. Der gewählte König bemühte sich um eine Deeskalation von Konflikten, wobei er die Strategie erkennen ließ, in diesem Zuge aktiv an der Konsolidierung der Verhältnisse im Sinne einer Festigung seiner Herrschaft hinzuwirken. Besonders erfolgreich konnte dies nur im Einvernehmen mit den größten Mitspielern im Reich gelingen. Die Annäherung an die Wittelsbacher wurde auch in diesem Sinne Bestandteil der Konsolidierungspolitik habsburgischer Herrschaft, erst recht, als sich diese zu einer Großmachtposition auszuweiten begann. So scheute Maximilian im Mai 1487 auch vor einem weitreichenden Angebot an Herzog Albrecht von Bayern nicht zurück: Er stellte dem Wittelsbacher nicht weniger als eine angemessene Beteiligung an der Macht in Aussicht: Georg Rottaler möge ausführen, „das die kgl. Mt. vil grosser, mächtiger land, das hl. Reich, auch die krone von Hungern und das huse Osterreich zustet und das sein kgl. Gn. soliche land in irer Gn. selbs person nicht wol zu regirn und zu gewaltigen sind, sunder gubernatoren, regenten und haubt­ leut darzu zu stellen, und Hg. Albrecht der kgl. Mt. nach aller gelegenheit 28  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 652, Zitat: S. 938. unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 630, Zitat: S. 862. 30  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 652, Zitat: S. 937. 29  Reichstagsakten



I. Die Rolle des Königs79

wol dienen mag, die kgl. wirde im auch des fur all ander zubetrauet, das Hg. Albrecht solichs ansehe und betrachtet und sich gen seinen kgl. Gn. also erzeige, als sein Gn. sich des gänzlich versihet; wil sein Gn. ine in solichen gnaden und fruntschaft brauchen und halten, das solichs ir beider Gn. zu ere und nutze dienen und kummen sol.“31 Dieses Angebot kann man als taktische Maßnahme werten, um Zwist in das wittelsbachische Expansionsstreben zu tragen. Es spricht jedoch vieles dafür, dass diese Äußerung als Indiz für die Wahrnehmung der problematischen Komplexität äußerst heterogener, unermesslich großer Herrschaftsbereiche durch Maximilian und seine Berater am burgundischen Hof durchaus stärker beachtet werden sollte. Diese Vermutung wird gestärkt, wenn man weitere Indizien hinzuzieht, etwa die Instruktion für Georg Rottaler für dessen Verhandlungen mit dem Tiroler vom Januar 1487, in der verschiedene diplomatische Bemühungen Maximilians geschildert werden: „Solichs hab auch sein kgl. Mt. auf den grunt getan, wann soll das hl. Reich in wirden und bei deutscher nacion beleiben und den mächtigen Kgrr. Frankreich und Hungern widersteen, so muss das durch eintrechtige vereinigung der ksl. Mt. und der Kff. und Ff. des hl. Reichs beschehen …“.32 Die Einbindung von Konkurrenten und die Nutzbarmachung vorhandener Interessen sowie einschlägiger Kompetenz können als Bausteine des methodischen Ansatzes gesehen werden, den wir später, auf dem Wormser Reichstag, von Maximilian auf den Punkt gebracht finden, wenn er zugesteht, dass die Gewährung einer Hilfe im Zusammenhang stehe mit der Herstellung von Frieden, Recht und Ordnung, weshalb er wolle, dass „aines mit dem andern zugee“33; mithin konsolidierte Verhältnisse als konstitutives Element einer effektiven Herrschaft. Das wäre zweifellos ein weit moderneres Konzept als das, was ein König im Reich bislang hatte entwickeln können. Es drückt im Grundsatz zudem das Anliegen aus, welches Erzbischof Berthold in der Regel zugeschrieben und dort gern als „anti-monarchisch“ oder „ständisch“ (miss-)verstanden wird: das Bemühen um eine Verdichtung der Herrschaftsgrundlagen. Maximilians physische Abwesenheit verringerte zwar das Risiko unmittelbarer Konfrontationen zwischen Vater und Sohn, es bedeutete jedoch nicht, dass der König sich einer Beteiligung an der Reichspolitik entzogen hätte. Im Gegenteil: Es gab seit der Wahl Maximilians Spuren seiner Beteiligung an der Regulierung der Probleme. Dabei war die Handschrift dieser Beteiligung deutlich wahrnehmbar von der des Kaisers zu unterschei31  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 237, Zitat: S. 346. unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 181, Zitat: S. 300. 33  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5,2, Nr. 1787 (niederbayer. Ges.), S. 1472. 32  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

den: Maximilian arbeitete mit den Mitteln des burgundischen Hofes und aus dessen Perspektive, was den Problemen der Habsburger im Westen und Süden einen höheren Stellenwert verschaffte und die Bedrohung durch Matthias Corvinus leicht relativierte. Mit der Verankerung des Schwerpunkts in die politische Kultur des Westens wandelten sich auch die Mittel der Politik. So stellt sich tatsächlich die Frage, ob Maximilian dem Nürnberger Reichstag 1487 fernblieb, weil er „sich und dem Haus Habsburg neue Bereiche und Möglichkeiten zu erschließen“34 suchte, oder ob sich aus der Verankerung Maximilians in den burgundischen Landen nicht schlicht eine andere Blickrichtung auf die Ereignisse sowie infolge der weit fortgeschrittenen Ausprägung staatlicher Regierungsprozesse am burgundischen Hof auch ein anderes Verhandlungsniveau in diesen durchaus als relevant empfundenen Angelegenheiten ergab. Die Reaktion der Habsburger auf die vielfältigen Aktionen der Herzöge Albrecht und Georg von Bayern bietet weitere Belege für diese These. Die wechselseitige Verschreibung von einer Million Gulden auf die Lande Herzog Albrechts von Bayern und Erzherzog Sigmunds von Tirol im Januar 1487 machte das Wiederaufleben bayerischer Ambitionen auf Tirol bekannt.35 Die Wittelsbacher nutzten in diesem Fall die Ungeschicklichkeit Erzherzog Sigmunds, um den Versuch zu unternehmen, mit Tirol die Brücke zwischen den Habsburger Landen in ihren Besitz zu bringen. Dieses Begehren war anachronistisch; es musste aller Voraussicht nach an der etablierten Macht der Habsburger scheitern. Das Ergebnis der Auseinandersetzung war insofern vorhersehbar. Was in unserem Kontext interessiert, ist jedoch weniger das Ergebnis als das Verfahren eo ipso, insbesondere der Vergleich zwischen dem Politikstil des Kaisers und dem seines Sohnes. Kaiser Friedrich wandte sich am 15. August an den Tiroler Landtag mit dem Hinweis auf treulose Berater, welche den Erzherzog in wachsende Schwierigkeiten gebracht hätten: zunächst, indem sie ihm geraten hätten, sich auf einen aussichtslosen Krieg gegen Venedig einzulassen, sodann, indem sie ihn dazu veranlasst hätten, seine Lande ausgerechnet an diejenigen zu verschreiben, die seit langem das Haus Österreich ins Verderben führen wollten. Eine Brücke baute der Kaiser dem Angegriffenen: Dem Erzherzog selbst sei die Wahrheit vorenthalten worden. Er sei also sozusagen persönlich unschuldig.36 34  Seyboth, Reinhard: Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Einleitung, S. 57. 35  Reichstagsakten unter Maximilian I. Bd. 2, Nr. 183. 36  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 258. Verkauf der vorderösterreichischen Lande, vgl. Nr. 248.



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Maximilian argumentierte rhetorisch weit geschmeidiger, deutlich distanzierter als der Kaiser, inhaltlich jedoch wesentlich härter; er blieb eng an den Fakten und benannte vor allem die Konsequenzen.37 Der Erzherzog habe sämtliche Bemühungen unerwidert bzw. unberücksichtigt gelassen, Maximilian auf den Sachverhalt anzusprechen und sich von einer Handlung wider die Interessen des Hauses Habsburg abhalten zu lassen. Diese Äußerung war durch entsprechende Briefe belegt und unterschied sich insofern deutlich von dem Versuch Kaiser Friedrichs, den Tiroler (wider besseres Wissen) als persönlich nicht informierten und insofern unschuldig verstrickten Fürsten aus dem Vorgang herauszuhalten. Maximilian führte weiter aus, eine Veräußerung der Lande an Dritte sei unzulässig. Er selbst sei der rechtsgültige Anwärter und werde die Lande ggf. sogleich an sich nehmen. Zur Deeskalation der Lage verlange er aktive Mithilfe vonseiten der Betroffenen und vor allem Loyalität dem Hause Österreich gegenüber. Er erwarte, dass die Untertanen des Herzogs „uch an uns als uwern rechten, naturlichen landesfursten und erbherrn ergebet, uch unser haltet.“38 Diese im Ton verbindliche, in der Sache deutliche Positionierung des Königs mit gleichzeitiger Einbindung der Lande zeigte Wirkung: Nach diplomatischen „Rückzugsgefechten“ unter Hinweis darauf, die Transaktionen hätten einzig dazu dienen sollten, Sigmund zu helfen, und seien selbstverständlich niemals gegen den römischen König gerichtet gewesen, gaben die Wittelsbacher schließlich nach.39 Unter Hinweis auf König Maximilians Ausführungen erklärte Dr. Konrad Stürzel im Auftrag des Erzherzogs die Transaktionen letztlich für ungültig und bot sogar eine moderate Regulierung der den Wittelsbachern entstandenen Kosten an.40 Das Resümee der kaiserlich  /  königlichen Gesandten war äußerst positiv: „Und sovil wir merken mochten, redten sy die besluswort gar getrulich, auch aus ernstlichem gemüt und herzen, dabei wir merkten, das in wol gemeint wär guter will und ainikeit.“41 Parallel zu dieser Frage wurde auch der Krieg gegen Venedig unter Vermittlung des Papstes, des Kaisers und Maximilians beendet.42 Dabei war Venedig zunächst nicht auf die von päpstlichen Legaten eingeleiteten Friedensver37  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 258 mit Schimpf über treulose Personen, die sich einer verdorbenen Frau, der Spießin, bedient hätten, welche dem Erzherzog weisgemacht habe, der Teufel habe ihr diejenigen benannt, die in Wahrheit dem Kaiser und dem Haus Österreich ergeben seien usw., vgl. ebenda, S. 360. Zu Maximilian vgl. ebenda, Nr. 259, auch 175, 179, 181. 38  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 259, Zitat: S. 364. 39  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 275. 40  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 284. 41  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 284, Zitat: S. 384. 42  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 257, 263, 285, 286.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

handlungen eingegangen. Als die Venetianer jedoch eindrucksvoll mit 150 Pferden in Meran erschienen, kommentierte der Nördlinger Gesandte: „Do versicht man sich, das sie sich werden verpinden zu disem land und auch zu dem Ks. und Kg. auf ewig zeit.“43 Das politische Abenteuer des Sigmund von Tirol war beendet. Die beiden Herrscherstile unterschieden sich also beträchtlich: hier die patriarchalische Herrschaft des Vaters, welcher politische Zugeständnisse nur im Notfall gelten ließ, dort die politische Haltung des Sohnes, welcher im Krisenfall weniger seine Entrüstung bekundete als vielmehr seine Rechtsauffassung vertrat. Maximilian erkaufte eine Konfliktlösung mit diplomatischen Zugeständnissen und äußerte die Erkenntnis, dass bei einem riesigen Herrschaftsgebiet eine Machtkonsolidierung nur über eine kontrollierte Teilhabe der regionalen Protagonisten an der Regierung gelingen könnte. Und diese Erkenntnis schloss die stärksten Kräfte des Reiches ein, also selbst die mit Habsburg verfeindeten Wittelsbacher. Hier von einer „Staatsraison“ zu sprechen, mag ebenso verfrüht sein wie die Annahme einer bereits verfestigten Richtung im politischen Geschehen. Allerdings ist die Ähnlichkeit zu den Absichten Bertholds von Mainz im Grundsatz erkennbar, lassen sich doch die Bestrebungen beider Protagonisten an der Spitze des Reiches unter der freilich modern formulierten Überschrift der Notwendigkeit einer Konsolidierung von Regierungshandeln zusammenfassen. 3. Königtum und Dynastie „Die Rolle des Königs im Reichsgeschehen ähnelte … der eines Schiedsrichters: Er konnte von sich aus den Verlauf der Partie nicht bestimmen, seine zumindest prinzipielle (und bei Bedarf aktivierbare) Mitwirkung war für die Rechtmäßigkeit des Ganzen aber konstitutiv. In dieser idealtypischen Ausprägung hat es freilich den auf genuin königliche Herrschaftsmittel beschränkten König im deutschen Spätmittelalter – bis auf Sigmund – nicht gegeben.“44 Wie stellte sich die Situation demnach unter den Habsburgern dar? Sowohl Friedrich III. als auch Maximilian nahmen immerhin eindeutig zwei Rollen im Reichsgeschehen wahr: Sie waren Kaiser / König und Reichsfürsten mit einer entsprechenden Verankerung in der Dynastie und deren Machtrolle im Reich. Die Interessenslage von Herrschern mit einem starken dynastischen Hintergrund und den damit verbundenen eigenen territorialen Ansprüchen und 43  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 286, Zitat aus dem Bericht des Michel Greslen an den Nördlinger Ratsherrn Wilhelm Protzer, S. 386. 44  Wefers, Das politische System, S. 224–225.



I. Die Rolle des Königs83

Rechten im Reich musste in Gefahrensituationen stets neu bewertet werden. Den Herrschern selbst war diese Spannung zwischen Dynastie und Reich zumindest grundsätzlich bewusst. Nicht ohne Anlass begründeten sowohl Friedrich als auch Maximilian ihre Anforderungen an das Reich beinahe durchgängig mit der Gefahr für die Christenheit, also sozusagen der höchsten Prioritätsstufe, ganz besonders, wenn die Interessenlage nicht völlig eindeutig war. Die Gefahr für die Christenheit konnte dabei kaum drastisch genug geschildert werden: So zitierte Friedrich beispielweise im Abschied des Koblenzer Tages 1492, die Türken seien „cristenlichs bluts“ zu deren Vertilgung „begirig“.45 In diesen Kontext wurden auch andere Bedrohungen durch Kräfte „frembds gezungs“ mit „manigfeltiger vergewaltigung“ des römischen Reichs eingebettet, auch und besonders die Schandtaten des französischen Königs, welcher seinem Sohn und dessen Gattin Herzogin Anna von der Bretagne schweres Unrecht habe angedeihen lassen.46 Spätestens letzteres bezog sich freilich ganz konkret auf juristische und militärische Streitigkeiten der Habsburger mit Karl VIII., welche bald darauf, im Frieden von Senlis (1493), beigelegt werden konnten: Den Habsburgern wurden im Gegenzug zur Anerkennung der Ansprüche des französischen Königs auf die Bretagne die meisten der 1482 als Mitgift für Maximilians Tochter Margarethe bestimmten Territorien zuerkannt, insbesondere die bereits eroberte Freigrafschaft Burgund.47 Die funktionale Verbindung zwischen dynastischem und Reichsinteresse ließ sich häufig erfolgreich knüpfen und wurde im Idealfall sogar von den Kurfürsten selbst vertreten, zum Beispiel in der Begründung der Wahl Maximilians 1486. Der Kaisersohn sei aus zwei Gründen besonders für die Übernahme der Verantwortung prädestiniert: Erstens könne dem Kaiser und dem Reich nicht damit gedient sein, wenn jemand gewählt würde, der Friedrich in seiner kaiserlichen Würde „verhinterung zu tun unterstunde“. Zweitens gälte es zu vermeiden, jemanden zu berufen, der zu den Erblanden „nit neygung truge“, weil diese dadurch – zum Schaden des Reiches – „in der veynde und frembder nation hant wachsen“ würden.48 Der nationale Anstrich, welcher hier der Argumentation gegeben wurde, relativiert sich stark, wenn man sich verdeutlicht, dass ausdrücklich darauf hingewiesen 45  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 4,2, Abschied des königlichen Tages in Koblenz von 1492, Zweite Fassung, Nr. 842, Zitate S. 1048. 46  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 4,2, Abschied des königlichen Tages in Koblenz von 1492, Zweite Fassung, Nr. 842, Zitate S. 1048. 47  Vgl. auch die Ausführungen von Reinhard Seyboth, in: Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 4,1, Einleitung, S. 112–115. 48  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 190, Zitate S. 189.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

wurde, es sei Kaiser Friedrich gelungen, die Kurfürsten (ohne den König von Böhmen)49 von diesem Standpunkt zu überzeugen. Immerhin waren die fremden Herrscher, um die es ging, die beiden aktuellen Hauptgegner der Habsburger, der französische und der ungarische König. Diese beiden werden dann auch genannt, wenn es heißt, sie hätten die Wahl Maximilians zu verhindern versucht.50 So günstig es für alle Beteiligten war, wenn es gelang, die beiden Machtrollen der Habsburger zu vereinen, so unangenehm konnte es werden, wenn diese funktionale Verbindung nicht plausibel gemacht werden konnte. In Freiburg 1498 fragte man sich ausdrücklich, inwieweit die Frankreichpolitik des Habsburgers das Reichsinteresse überhaupt berühre. Wenn der französische König in Italien sein Recht suchte, „was ging das die dütsch nacion an, was hetten sy damit zu schaffen?“51 So jedenfalls sahen es die „ff. geistlich und weltlich und ander potschaften des adels“.52 Provoziert hatte diese Stellungnahme Maximilian selbst: Er hatte verlauten lassen, er könne seine Erbländer ohne einen Schwertstreich (Frieden von Senlis) zurückbekommen, wenn er dafür Genua und Neapel preisgebe.53 Die Fürsten und der Adel meinten, Neapel sei ohnehin keine Stadt des Reiches und schlugen vor, dem Franzosen das unstete Genua – die Stadt, die in den letzten zwanzig Jahren wohl ein Dutzend Mal ihren Herrn gewechselt habe – zu überlassen, damit er „gesettiget“ sei.54 Die Kurfürsten, denen sich auch die Städte anschlossen, hatten mit dem päpstlichen Legaten freilich einen diplomatisch geschickten Ratgeber, auch 49  Diesen Titel führte bekanntlich der Jagellone Wladislaw II.; aber auch Matthias durfte gemäß dem Vertrag von Korneuburg 1477 den böhmischen Königstitel führen. Wladislaw beklagte sich zu Recht heftig über diesen Ausschluss von der Wahl, vgl. Nr. 236 ff. Biographisches zu den beiden Konkurrenten vgl. Zemlicka, Josef: Vladislav II., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII, München 1997, Spalte 1805; Nehring, Karl, Matthias I. Corvinus, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VI, München / Zürich 1993, Spalte 402–403. Auch Matthias von Ungarn beklagte sich wegen des Ausschlusses von der Wahl und verlangte eine Entschädigung (vgl. ebenda, Nr. 260). 50  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 199, besonders Anm. 1, S. 200. Der Wahlakt stand unter besonderem bewaffnetem Schutz. Auf Anweisung des Erzbischofs von Mainz ließ der Rat die Türen bewachen, „uff das nyemants ingelassen werde, den unnser herrn die fursten nit lijden mogen.“ Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 609, Zitat S. 434. 51  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645. 52  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645. 53  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 33. 54  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645.



I. Die Rolle des Königs85

wenn Leonello Chieregati zu jenem Zeitpunkt selbst nicht wissen konnte, dass Papst Alexander VI. längst eine Annäherung an Ludwig XII. von Frankreich vollzogen hatte.55 Der Legat führte den Kurfürsten jedenfalls die europäische Dimension des Kampfes gegen das Expansionsstreben Ludwigs XII. von Frankreich vor Augen: Sollte man zulassen, dass Genua von dem Franzosen eingenommen werde, „so wer sy ewiglich vom reich übergeben und dardurch dem kg. ein ingang in Italien. das königreich von Neapolis und Secilien were lehen von der Ro. kirchen, sollt der kg. von Frannckreich solch lant erobern, möcht sein wider die heiligkeit des babsts und zu last und nachteil der kirchen und dem reich langen, das were swere.“56 Danach hatte es Maximilian nicht mehr nötig, persönlich für seine Politik zu werben oder gar zwischen Habsburger und Reichsinteresse zu differenzieren. Die Kurfürsten von Mainz, Köln und Sachsen überzeugten die übrigen Reichsfürsten in heftigen Diskussionen selbst von der Notwendigkeit, von Seiten des Reichs für die königliche Italien- und Frankreichpolitik einzustehen.57 Sogar die Verpflichtungen, die sich aus der Heiligen Liga ergaben, wurden in diesem Zusammenhang als Reichsangelegenheiten eingestuft.58 König Maximilian nahm die Zusagen huldvoll an, erkannte die politische Dimension des Geschehens jedoch offensichtlich nicht in vollem Umfang. Denn er beklagte sich als Familien- und als Reichsoberhaupt über den Verlauf der Diskussion: Immerhin hatte die „dütsch nacion“ die aus seiner Sicht unverkennbare Notlage nicht sogleich als die ihre anerkannt. Zudem 55  Fritsch, Susanne: Zwischen Papst und König. Der Gesandte Leonello Chieregati (1484–1506) als Spielball päpstlicher Außenpolitik, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christiane Ottner unter Mitarbeit von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 227–237, hier bes. S. 232–235. 56  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645. Ganz ähnlich berichtete der mailändische Gesandte Erasmus Brascha: Er habe dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen erläutert, dass die Kurfürsten nicht mehr daran denken dürften, einen Römischen König zu wählen, sollte der französische König Herr über Mailand werden. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 6, Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 126. 57  Ganz nebenbei betrachteten die Kurfürsten den Zeitpunkt als günstig, Herzog Ludovico von Mailand an ihre Verdienste um seine Investitur mit dem Herzogtum und an seine finanziellen Versprechungen zu ihren Gunsten zu erinnern. Vgl. J. F. Böhmer: Regesta Imperii, hg. von der Kommission für die Neubearbeitung der Regesta Imperii bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I.: 1493–1519, Bd. 2,1 und 2,2, bearb. von Hermann Wiesflecker unter Mitwirkung von Manfred Hollegger, Wien / Köln / Weimar 1993, hier: Bd. 2,2, Nr. 8715. 58  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, S. 646–647.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

hatte der eigene Sohn mit dem jetzigen König Frankreichs – „durch untreulichen rat verfürt“59 – einen inakzeptablen Vertrag abgeschlossen. Wenn man von „Machtrollen“60 spricht, welche Maximilian wahrnehmen musste, dann unterschied er bei seinen Klagen nicht zwischen den unterschiedlichen Rollen, anders als zumindest die Kurfürsten und die Städte. Er ließ seinem Ärger vielmehr freien Lauf und vernachlässigte dabei nicht nur die Bedingungen im Reich, sondern auch diejenigen in den habsburgischen Niederlanden. In der im Vergleich zum Reich hochentwickelten burgundischen Verfassungswirklichkeit war der herzogliche Entscheidungsspielraum nämlich bekanntlich bereits stark in das „Staatsinteresse“ eingebettet, die Rolle des Herrschers also entsprechend enger definiert. Philipp handelte mithin unter anderen Voraussetzungen als sein Vater. Maximilian hätte diese andere Verfassungsrealität samt den daraus folgenden Konsequenzen aus eigener Erfahrung eigentlich bestens bekannt sein müssen. Ein Jahrzehnt zuvor war er nämlich selbst in der Lage des Sohnes, welcher heftig gerügt wurde, weil er den Rahmenbedingungen Burgunds folgend anders dachte und handelte, als es der unter den Verhältnissen im Reich wirkende Vater gern gesehen hätte. Am Reichstag in Nürnberg (1487) nahmen außer dem böhmischen König alle Kurfürsten, eine Vielzahl von Reichsfürsten sowie zahlreiche Städtevertreter teil. Ausgerechnet der gewählte König Maximilian erschien allerdings – sehr zum Ärger seines Vaters – nicht,61 sondern verhandelte stattdessen mit dem König von Frankreich. Kaiser Friedrich hielt nichts von einem Abkommen mit Frankreich, denn „ir wisset, was unrats und verderbens uns und unserm haus Osterreich bisher aus solich des Kg. teidung und hendeln entstanden ist“.62 Sein Sohn lasse sich durch „leichtfertig person und hendel“ von seinen Pflichten abhalten, verletze des Kaisers und seine eigene „wirde, stand und wesen“ und versetze damit Kurfürsten, Fürsten und Untertanen sowie nicht zuletzt seinen Vater in „sweren trübsal und kummernus“.63 Beide Herrscher, Friedrich und Maximilian, mussten also Vater-Sohn-Konflikte ausfechten; ihr Missfallen über das vermeintliche Fehlverhalten des Sohnes äußerte sich sogar auffallend ähnlich. 59  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 14, Zitat S. 613. Vgl. auch J. F. Böhmer: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., Bd. 2,1 und 2,2, hier: Bd. 2,1, Nr. 6694. 60  Die Terminologie ist Sprandel entlehnt, vgl. Sprandel, Mentalitäten, S. 119– 120. 61  Vgl. Schreiben in: Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 162, 163, auch 164 und schließlich Kg. Maximilian in 158, 165. 62  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 159, Zitat: S. 268 f., dann Nr. 162 und Nr. 163. 63  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 163, Zitat S. 273.



I. Die Rolle des Königs87

Als Dynast definierte Maximilian in Freiburg 1497 / 1498 die Verteidigung seiner Erbländer als pars pro toto für die Verfechtung von Reichsinteressen durch den König. Als solcher konstatierte er, durchaus analog zur Argumentation seines Vaters ein Jahrzehnt zuvor, der Gegner habe „fridbruch wider daß reich“ begangen.64 Maximilian wollte Frankreich einen „backenslag“ versetzen, „das über hundert jar daran gedacht werden solle“.65 Als ihm die Versammelten nicht folgen wollten, weil das dynastische (und möglicherweise auch persönliche) Interesse des Herrschers (zu) deutlich wurde, bestätigte Maximilian diese Zweifel noch, indem er sich als Dynast und Monarch gleichermaßen betroffen zeigte: Die königliche Majestät „merk, das s. mt. vom reich verlassen sey und so dem also, wolle und muß s. kgl. mt. mit ir selbst getanen eids hinder dem altar zum reich getan dispensiren, dan s. mt. hab zum haus zu Österreich auch gelobt unt gesworn, das er s. mt. zu raten begere. s. mt. müg und wolle sagen, das er von Lampartern verraten und von Deuschen verfürt sey und werd, das wol er sagen und solt es darzu komen, das er sein kgl. krone vom heubte vor die füsse setzen und die zertreten solt.“66 Maximilian handelte seinen eigenen Erfahrungen zuwider, trennte jedoch seine Interessensphären genauso wenig voneinander wie dereinst Kaiser Friedrich. Wenn die theoretische Annahme zutrifft, dass sich die Inhaber von „Machtrollen“ an das jeweils zutreffende „Zweckprogramm“ halten müssen,67 dann vermischten die Habsburger in Situationen wie diesen gleich mehrere Rollen für ein und dasselbe Zweckprogramm. Das war insofern wenig ­verwunderlich als das Haus Habsburg infolge seiner enormen Machtfülle dasjenige war, bei dem sich der pars pro toto-Gedanke aufdrängte wie bei keinem anderen Fürstenhaus. Schließlich gehörten die habsburgischen Erbländer, so argumentierte Kaiser Friedrich 1489, zum Heiligen Reich und seien „portten und schildt gegen Franckreich, Hungern und andern fro(e)mbden nacion.“68 Maximilian ließ sich gar mit der Überschrift darstellen: „Sico ego 64  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 24, Zitat: S. 627. 65  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 14, Zitat: S. 613. 66  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 14, S. 613. 67  Die Terminologie ist Sprandel entlehnt: Vgl. Sprandel, Mentalitäten, S. 119– 120. 68  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2,2, S. 516. Maximilian sah insofern auch kein Problem darin, seinen Sohn operativ einzusetzen und ggf. auch wieder zurückzuziehen. Pfalzgraf Philipp versuchte z. B., die Frage der Königsvertretung durch Erzherzog Philipp in Lindau als Anlass für eine Absage zu nutzen. Maximilian bemühte sich – allerdings vergeblich –, das Fernbleiben des Kurfürsten zu verhindern, indem er ihm ausrichten ließ, er beabsichtige nicht, dessen Rechte einzuschränken. Erzher-

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D. Die Rollen der Handlungsträger

sum cesar maximus orbis herus“.69 Vereinfacht formuliert: Was gut für Habsburg war, war nicht nur gut für das Reich, sondern sogar für die Welt. Angesichts der Herrschaftsfülle und räumlichen Ausdehnung der Habsburger Territorien bringt diese Formel allerdings auch eine weitere systematische Frage auf den Punkt: Was war denn eigentlich gut für Habsburg? Ausgedehnte dynastische Herrschaftsakkumulationen wie die der Habsburger Lande spiegelten in ihrer Heterogenität die Situation des Reiches wider: Was in Burgund selbstverständlich, konnte in Wien absolut unverständlich sein. Die Parallele zum Metasystem Reich liegt auf der Hand. Das Haupt dieser Großdynastie war mit der Wahrnehmung seiner unterschied­ lichen Machtrollen beinahe zwangsläufig überfordert: Weder Friedrich noch Maximilian war es möglich, die für ihre jeweiligen Herrschaften geltenden Rahmenbedingungen, zum Beispiel die unterschiedlichen regionalen und kulturellen Sichten auf ein Problem, im jeweils angemessenen Umfang in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Wie sollten sie unter dieser Prämisse die Habsburger Interessen in ein adäquates Verhältnis zum in sich mindestens ebenso heterogen strukturierten Gesamtreich setzen? Wenn dem Herrscher die Differenzierung nur unzureichend gelang, lag es auch nahe, dass sich die zur Hilefeleistung für das Reich Angesprochenen vor allem auf sein dynastisches Machtinteresse beriefen und zur Konfliktlözog Philipp werde „der kgl. mt. notdurft fürwenden als anwalt s. mt“, jedoch „von stund absteen und da sin als ein ehzg. von Österrich“, sobald der Reichsvikar persönlich erscheine. Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 11, 18, 19, Zitate: Nr. 18, S. 139. Vgl. auch die protokollarischen Konsequenzen, Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 41. Der Erzherzog sah das Geschehen aus der niederländischen Perspektive mit nachrangiger Priorität und übergab, als ihm der Vorsitz streitig g ­ emacht wurde, die gesamten Verhandlungen an den Mainzer Kurfürsten. Am 10. November erschien der Maire von Löwen als Botschafter Herzog Philipps vor der Versammlung mit dem Auftrag, die Versammlung zu bitten „seinen abscheid von gemeltem tag nit in übel“ aufzunehmen und weiter so zu verhandeln, als ob er anwesend sei. Der Gesandte hat den Auftrag, sich nach dem Rat des Kurfürsten von Mainz zu richten. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 143. 69  Vgl. Thoss, Dagmar: Flämische Buchmalerei. Handschriftenschätze aus dem Burgunderreich. Ausstellung der Handschriften- und Inkunabelsammlung der österreichischen Nationalbibliothek 21.03.–26.10.1987, Graz 1987, Kat. Nr. 68. Vgl. auch Irblich, Eva: Maximilian I. als Imperator. Johannes Michael Nagonius, Lobgedichte auf Kaiser Maximilian I., in: Kunst um 1492. Hispania – Austria. Die katholischen Könige und die Anfänge der Casa de Austria in Spanien. Innsbruck, Schloß Ambras, Kunsthistorisches Museum, 3. Juli–20. September 1992, hg. von Artur Rosenauer und Alfred Kohler, Mailand 1992, S. 283–285 oder Gwynne, Paul: Tu alter Caesar eris: Maximilian I, Vladislav II, Johannes Michael Nagonius and the renovatio Imperii, in: Renaissance Studies 10, 1996, S. 56–71. Dieser Beitrag enthält allerdings einen Lesefehler: Maximus wird als „Maximilianus“ aufgelöst. Den Hinweis auf diese Selbstdarstellung Maximilians verdanke ich Gregor M. Metzig (FU Berlin).



I. Die Rolle des Königs89

sung entsprechend auf die Spielregeln des dynastischen Miteinanders setzten. So wurde zum Beispiel die Auseinandersetzung des Kaisers mit Matthias Corvinus Mitte der 80er Jahre vorrangig als habsburgisches Problem wahrgenommen. Verstärkend wirkte sich aus, dass die strittigen Punkte ohnehin nur „dynastisch lösbar“ erschienen: Immerhin war das Zustandekommen eines Zugs gegen den Ungarn unmittelbar davon abhängig, dass die Wittelsbacher diese Aktion unterstützten, „so man sust nit proviand haben mag“.70 Aus diesem Grunde mussten sich vor allem die im Streit liegenden Dynasten miteinander verständigen. Da ein solcher Ausgleich kurzfristig kaum zu erreichen war, äußerte sich der Frankfurter Gesandte pessimistisch über Nachverhandlungen in Nürnberg im Frühjahr 1487: Die bayerischen Herzöge seien bisher nach wie vor nicht angekündigt, „et sine hijs nichil possumus facere“.71 Und auch die Kurfürsten argumentierten bei ihrer grundsätzlichen Zusage von Hilfe und Beistand in Frankfurt 1486 zunächst dynastisch, indem sie formulierten, dass der König von Ungarn Krieg „gegen seiner ksl. Gn. erblanden“ führe.72 Die Folgen waren evident: Der Kaiser wurde persönlich in die Pflicht genommen, den Anschlag zu realisieren. Und als er im Juni 1487 gar eine Erhöhung verlangte, wurde ihm mitgeteilt, er möge doch zunächst die bereits gegebene Zusage einlösen. Auf die Frage, wie denn das gehen solle, lautete die Antwort: „Alle dieienen, die zu der hilf berufft und angezaigt, sein seiner maj. verwant, die mog er durch freuntschafft oder ander wege in gut oder mit gebot furnemen, dadurch er hilf von denselben erlange.“73 Das Reich blieb als solches außen vor. Wie ließ sich in solchen Fällen die Reduktion auf das dynastische Element zugunsten einer breiteren Akzeptanz des in Aussicht genommenen Handelns beheben? Man griff zu dem im Allgemeinen probaten Mittel einer Hebung des Anliegens auf die Ebene einer Bedrohung für die Christenheit. So führten polnische Gesandte im April 1486 aus, dass die Schwächung des (weltlichen) Haupts der Christenheit letztlich den Türken zugute käme. Die Gesandten boten die Hilfe ihres Herrn gegen Matthias von Ungarn an, um diesen Missstand aufzuheben. Dann endlich könne man „lychtlich mit der hilf Gotts“ zum eigentlichen Problem übergehen und die Ungläubigen verjagen.74 Mat70  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 623, S. 452. Das Zitat stammt von Ludwig von Paradisz aus Nürnberg im März / April 1487. 71  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 623, S. 454. 72  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 311, Zitat: S. 313. 73  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 640, S. 490. 74  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 879, Zitate: S. 830. Die Gesandten redeten polnisch; die Übersetzung besorgte „ye ain clausel nach der andern“ der Bischof von Gran.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

thias Corvinus hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ernsthaft politischen Schaden erzeugt. Das war seit dem Einzug des Corvinen in Wien zum 1. Juni 1485 auch den Großen des Reiches hinreichend plausibel zu vermitteln. Gerüchte um angebliche Bündnisse der Gegner im Westen und im Osten sprechen jedenfalls dafür, dass zumindest im Sommer 1486 die „Not des Reiches“ als solche auch von solchen Zeitgenossen nicht mehr bestritten wurde, die sicher nicht zu den wichtigsten Handlungsträgern gehörten.75

II. Die Rolle des Papstes Was geschah jedoch, wenn der König die in einer kritischen Situation an ihn gestellten Ansprüche tatsächlich nicht hinreichend erfüllen konnte? In einer Verfassungskonstellation, welche voraussetzte, dass Herrschaft personalisiert wurde, die mangelhafte Konsistenz der Verfassung des Reiches durch die Persönlichkeit des Königs überbrückt werden musste, waren nur wenige Behelfslösungen bzw. Surrogate überhaupt vorstellbar. In diesem Kontext erwies es sich als für den König (allerdings bestenfalls begrenzt) hilfreich, dass sich die gedankliche Konstruktion, das christliche Königtum sei mit einer spezifischen religiösen Legitimation ausgestattet, im Bedarfsfall auch umkehren ließ, so dass der Papst (über seinen Kardinallegaten) in Zeiten eines Königsdefizits mehr oder minder unversehens in die Rolle des Vermittlers von Führungskompetenz und Rechtssicherheit rücken konnte. Das herausragende Beispiel aus Sigismunds Zeiten ist die Wirksamkeit des so genannten Kardinals von England, Heinrich von Beaufort, welcher frei nach englischem Muster durchsetzte, „das nucze gutte und bequeme sei ein gelt in der cristenheit aufzuheben“76 und damit kurzerhand die erste Reichssteuer einführte.77 Wenn königliches Handeln in derart herausragender Weise ersetzt wurde, geriet der Herrscher allerdings erheblich unter Druck. Bei Gefahr durch Ketzer konnte ihn nämlich allzu leicht der Vorwurf treffen, er selbst unternehme zu wenig zu deren Bekämpfung. Diesem Eindruck musste er möglichst jegliche Nahrung entziehen, was Sigismund infolge seiner physischen Abwesenheit besonders schwer fiel. Das (zumindest vermeintlich) mangelhafte Engagement des Königs wog an sich schon schwer genug, zumal der Papst den Druck jederzeit erhöhen konnte. Er musste sich lediglich besorgt äußern über die Inaktivität des Reichsoberhaupts angesichts der wachsenden Gefahr für die Christenheit. Wenn es politischen Gegnern gelang, das Verhalten des Königs gar in die 75  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 904, 905. unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 9, Nr. 76, S. 92. 77  Vgl. Wefers, Das politische System, S. 141–155. 76  Reichstagsakten



II. Die Rolle des Papstes91

Nähe einer Begünstigung der Ketzerei zu rücken, schien das Ende der jeweiligen Königsherrschaft greifbar nahe.78 Insofern war es auch faktisch ausgeschlossen, dass ein Reichsoberhaupt einer Abwehrmaßnahme, welche durch einen päpstlichen Legaten oder die Kurfürsten herbeigeführt worden war, seine Zustimmung versagen konnte. Am Ende des Nürnberger Tages 1421 zum Beispiel beauftragte Sigismund seine Gesandten gar, „alles das zu tun und zu lassen was die kurfursten fursten und herren gut sein bedunken wirt nichts ußgenomen“.79 Diese Anweisung mochte der Sache zwar dienlich sein, nicht jedoch seinem Ansehen. Sie markiert insofern den Tiefpunkt einer Herrschaft, den Verlust jedweden Handlungsspielraums nämlich. Die Habsburger gerieten zu keinem Zeitpunkt dermaßen unter Druck. Allerdings gelang es auch ihnen nur bedingt, die Involvierung des Papstes in herrschaftliche Belange zu vermeiden. Friedrich III. versuchte 1487, einen Beitrag des geistlichen Oberhaupts der Christenheit zur Konfliktbewältigung als irrelevant darzustellen: Den Papst um Hilfe zu bitten sei nicht sachdienlich. Denn der Heilige Stuhl habe ihn nicht unterstützt, weder in der Frage des Stifts von Passau noch gegen die Türken, und dies, obgleich letztere die kaiserlichen Lande inzwischen mehrfach „uberzogen, die verprennt, verheret und verwüst und vil cristenmenschen daraus gefürt“ hätten. Deshalb habe der Kaiser „im besten, ine allen und gemeyner tutscher nation zu eren“ bisher kein erneutes Ersuchen nach Rom geschickt.80 Die Vordergründigkeit dieser Aussagen, vor allem ihr Bezug auf die ausstehende Legitimierung der Wahl Maximilians, war allerdings zu offensichtlich; die Papstkarte zog nicht. Stattdessen bedeutete man dem Kaiser, den Konflikt tunlichst beizulegen, damit „bede der cristenheit oberherren und gewelte in fruntlicher eynigkeit pleyben“.81 Die Distanz zum Heiligen Stuhl war nicht aufrecht zu erhalten, weil sie mit dem Grundsatz einer gemeinsamen Verantwortung beider Häupter der Christenheit für deren Wohl schlicht nicht in Einklang zu bringen war. Im Sinne dieser gemeinsamen Verantwortlichkeit, dieser wechselseitigen Beziehung, konnte sich das Engagement päpstlicher Legaten – geschickt eingesetzt – freilich auch durchaus positiv auswirken, zum Beispiel im Sinne einer diplomatischen Vermittlung zur Ausweitung des königlichen bzw. kaiserlichen Handlungsspielraums. Die Herrscher nahmen die Vermittlungs78  Vgl. bei Sigismund etwa die Situation 1424, als er in Ofen beklagte, man halte ihn für einen Hussiten. Er verteidigte sich unter Hinweis auf seine Taten heftig und verbreitete diese Erwiderung im Reich. Vgl. dazu Wefers, Das politische System, S. 120–125. 79  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 8, Nr. 74, S. 86. 80  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 380, Zitate: S. 488. 81  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 381, Zitat: S. 492.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

tätigkeit von Kardinallegaten wiederholt in Anspruch; sie erwies sich unter Umständen sogar als ein überaus hilfreiches Instrument zur Bewältigung von Herrschaftskrisen, gerade dann, wenn die Konflikte die Grenzen des Reichs überschritten. So wünschte sich Kaiser Friedrich zum Beispiel um die Jahreswende 1488 / 89 ausdrücklich, Papst Innozenz möge den Kardinal von Albano und Angers, Jean Balue, als Legaten cum potestate de latere ins Reich entsenden. Außerdem bat der Kaiser darum, den nach Rom abberufenen Nuntius Raimund Peraudi wieder zurückzuschicken.82 Dieser erläuterte später, wa­ rum der Papst ihn anstelle von Kardinal Jean Balue von Angers entsandt habe, um zwischen Maximilian und Karl zu vermitteln: Der französische König habe „denselben Cardinal nit liden“ können.83 Deshalb sei dessen Reise nach Frankreich gescheitert, und Jean Balue habe seine Mission abbrechen müssen.84 Angesichts von Peraudis Erfolg stellte das Ausbleiben des Kardinals jedoch kein Problem dar. Maximilian schätzte nach eigenem Bekunden Peraudis Qualitäten „fidelitas, prudencia, amor, integritas et ingenii dexteritas“85 und bedankte sich nach Abschluss des Friedens vom 19. / 20. Juli 1489 bei Papst Innozenz VIII. ausdrücklich für dessen Entsendung.86 Er bat, Peraudi auch für eine Teilnahme an den Verhandlungen zu bevollmächtigen, die mit König Matthias von Ungarn ab September 1489 geführt werden sollten.87 Das hinderte Maximilian freilich nicht daran, sich zeitweilig mit Peraudi zu überwerfen, sich dann wieder zu versöhnen und schließlich dessen Abberufung zu betreiben.88 Insgesamt wirkten die päpstlichen Gesandten als Me­ diatoren, als Instrumente der päpstlichen Außenpolitik und als Verstärker, indem sie neben dem königlichen auch den päpstlichen Willen zur Abwehr einer Bedrohung der Christenheit bekundeten. Die wechselseitige Abhängigkeit, unter der solche Vorgänge standen, war insofern offenkundig. Beide Protagonisten verfolgten mehr oder minder eo ipso übereinstimmend das Ziel, Feinde der Christenheit zu bekämpfen. Die82  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd 3., hier: Bd. 3.1, Nr. 1c, 1 d, 1 h, vgl. auch 1a. Zur Person vgl. Springer, Klaus-Bernward: Peraudi (Perault), Raimondo (1435–1505), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 20 (2002), Sp. 1154–1160. 83  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd 3, hier: Bd. 3,2, Nr. 278 a, S. 1071. Zur Person vgl. Bautier, Robert-Henri, Balue, Jean, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München / Zürich 1980, Spalte 1393–1394. 84  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 3,2, Nr. 278b. 85  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 3,2, Nr. 311a, S. 1223. 86  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 3,2, Nr. 292a, 292b. 87  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 3,2, Nr. 311a. 88  Vgl. Fritsch, hier bes. S. 235.



II. Die Rolle des Papstes93

se große und würdevolle Aufgabe erzeugte einen erheblichen Druck auf beide Partner, zumal diese die jeweilige Bedrohungslage aus unterschied­ licher Perspektive verschieden einschätzen mochten. Der Funktionszusammenhang der beiden Mächte beeinflusste jedenfalls nicht allein die Politik des Reichsoberhaupts, sondern auch die des Heiligen Stuhls. Keine der beiden Mächte konnte schließlich bei der Verteidigung der Christenheit ganz allein handeln, und zumindest offiziell auch nicht gegen den jeweils anderen. So konnte der Papst den legitimierenden und organisierenden Part des Königs zwar in bestimmten Situationen wahrnehmen; das Reichsoberhaupt musste die Beschlüsse letztlich jedoch (nolens volens) mittragen. Hinzu kam, dass mit der wachsenden Wahrnehmung einer Gefährdung der Christenheit und dem Ausbau des Kirchenstaats auch das Bedürfnis des Papstes nach militärischer Unterstützung größer wurde. In diesem Zusammenhang ist bei den Päpsten spätestens am Ende des 15. Jahrhunderts auch an deren weltliche Herrschaftsanteile zu erinnern. So war die Ära sowohl von Papst Innozenz VIII. als auch von Alexander VI. bekanntlich stark von deren Teilhabe an den machtpolitischen Auseinandersetzungen in Italien geprägt: Die finanziellen Sorgen des Vatikans unter dem Pontifikat des Innozenz führten zu einer Annäherung des Papstes an die Medici.89 Und Papst Alexander wurde gar als eine Art Musterbeispiel für einen Renaissancefürsten bekannt, mit einem ausgeprägt dynastischen Herrschaftsverständnis. Beide Päpste waren unter anderem in die Auseinandersetzungen um das Königreich Neapel involviert, engagierten sich mithin an einem politischen Brennpunkt, welcher nicht allein die inneritalienischen Verhältnisse berührte. Beide mussten das in seiner ungeheuren Stärke bis dato nicht bekannte Vordringen Spaniens und Frankreichs nach Italien abwehren. Und beide zeichnete eine zumindest umstrittene Annäherung an die Osmanen aus, eine Politik des Apeacement also, welche freilich spätestens nach dem Tod des Bruders von Bahezid II. (Gem) im Jahre 1499 keine Zukunft mehr hatte. Beide Päpste waren in der europäischen Politik insofern mehr als nur randständige Protagonisten. Und beide nutzten das Pontifikat und dessen Aufgaben für den Schutz der Christenheit, um ihre weltliche Politik zu legitimieren. Eines dieser politischen Instrumente war die Annäherung an Spanien (Heilige Liga 1495) und einige Jahre später an Frankreich, den machtpolitischen Konstellationen folgend.90 Diese Einordnung in einen in 89  Roover, Raymond de: The Rise and Decline of the Medici Bank, 1397–1494, Cambridge, Mass. 1963; Rubinstein, Nicolai: The Government of Florence under the Medici (1434 to 1494), 2. Aufl. Oxford 1997; Reinhardt, Volker: Die Medici: Florenz zur Zeit der Renaissance, München 1998. 90  Zu Innozenz VIII. (Giovanni Battista Cibo, Papst 1484–1492) und Alexander VI. (Rodrigo de Borja / Borgia, Papst 1492–1503) vgl. Denzler Georg: Das Papst-

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D. Die Rollen der Handlungsträger

seiner Ausgestaltung neuartigen gesamteuropäischen Handlungsrahmen verband sie mit den Habsburgern. Parallel dazu wuchs nämlich mit dem Erfolg der Habsburger gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch deren machtpolitisches Potenzial; und das Reich selbst wurde unter dem Druck der Gefährdung komplexer. Diese Umweltfaktoren trugen mit dazu bei, das politische System des Reiches in sich stärker abzuschließen und damit auch die unmittelbare Wirksamkeit päpstlicher Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen im Binnenreich sukzessive zu verringern. Dies umso mehr, als der Papst vor allem durch Zugeständnisse an große Dynasten, Einfluss auf die Besetzung von Bistümern zu nehmen, die realpolitischen Verhältnisse im Reich längst anerkannt hatte und mit seinen Maßnahmen sogar dazu beitrug, diese weiter zu festigen beziehungsweise zu entwickeln, etwa im Sinne einer de facto Mediatisierung ehemals selbstständiger Bistümer.91 „Für den Papst hatten solche Konkordate langfristig gesehen ähnlich nachteilige Auswirkungen wie (die) Belehnung mächtiger Fürsten für einen schwachen König. Durch die materielle Belohnung von Partnern wurden ebendiese gestärkt, dadurch unabhängiger und resistenter gegenüber Zugriffen auf ihren Herrschaftsbereich.“92 Aber selbst wenn sich die päpstliche Beteiligung am politischen System des Reiches im Laufe des 15. Jahrhunderts reduzierte, sie konnte (und musste wohl auch) angesichts der strukturellen Schwäche der Königsherrschaft noch weit mehr Wirkungskraft entfalten als im zu jener Zeit bereits moderneren Europa im Westen und Süden. Die diplomatische Mitwirkung tum. München 1997; Denzer sieht einhergehend mit der Hinwendung zur weltlichen Kultur der Renaissance seit Nikolaus V. (1447–1455) sowie der wachsenden welt­ lichen Anstrengungen um den Kirchenstaat hinsichtlich des Papsttums einen „Verrat an seiner religiösen Sendung“ (S. 71); Fuhrmann, Horst: Die Päpste. 3. Aufl., München 2005; vgl. auch das quellenreiche Werk von Pastor, Ludwig (Freiherr von): Die Geschichte der Päpste, Bd. 2, Im Zeitalter der Renaissance von der Thronbesteigung Pius’ II. bis zum Tode Sixtus’ IV., 10. Aufl., Freiburg im Breisgau 1928; Schimmelpfennig, Bernhard: Das Papsttum von der Antike bis zur Renaissance, 6., bibliografisch aktualisierte Aufl., Darmstadt 2009. 91  Vgl. Meyer, Andreas: Das Wiener Konkordat von 1448 – eine erfolgreiche Reform des Spätmittelalters, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 66 (1968), S. 108–152; Dopsch, Heinz: Friedrich III., das Wiener Konkordat und die Salzburger Hoheitsrechte über Gurk, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 34 (1981) S. 45–88.; Schmidt, Georg: Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit der Bischöfe in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter, in: Hansische Stadtgeschichte – Brandenburgische Landesgeschichte, hg. von Evamaria Engel, Konrad Fritze, Johannes Schildhauer, Weimar 1989 (Hansische Studien VIII), S. 41–56; Höß, Irmgard: Die Problematik des spätmittelalterlichen Landeskirchensystems am Beispiel Sachsens, in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 19 (1959), S. 352–362. 92  Koch, S. 30.



II. Die Rolle des Papstes95

der Legaten am Geschehen im Reich blieb ein Spiegel der Einschätzung, welche Raimund Peraudi 1489 auf den Punkt brachte, als er schrieb: Im Gegensatz zu den Franzosen, Spaniern, Ungarn und Engländern besäßen die Deutschen eben kein Oberhaupt, dessen Willen sich alle „tamquam membra“ zu beugen hätten.93 In dieser offenen Situation konnte das diplomatische Geschick eines päpstlichen Legaten im Reich besonders viel bewirken, ein Umstand, welcher sich für oder auch gegen den Herrscher politisch nutzen ließ, im Extremfall sogar mit fragwürdigen Mitteln: So informierte Papst Alexander VI. seinen Legaten Leonello Chieregati Ende der 90er Jahre wohlweislich nicht von dem Umschwung der päpstlichen Politik zugunsten einer Annäherung an Frankreich, um Maximilian nicht zu früh vor den Kopf zu stoßen.94 Chieregati kämpfte also unverdrossen weiter an Maximilians Seite für Reichshilfen im Sinne der Heiligen Liga, welche sich unterdessen längst in Auflösung befand. Wenn also eine Gefährdung der Christenheit, hier gleichzusetzen mit der Gefährdung des Reiches, als solche anerkannt war, entstand ein erheblicher Handlungsdruck, welcher insbesondere vom Papst verstärkt werden konnte. Gelang es dem König, die von ihm erwartete Führungsrolle im Krisen­ management wahrzunehmen, konnte er von diesem Druck profitieren, im Sinne einer Priorisierung seiner Anliegen als Beschützer der Christenheit vor anderen Interessen im Reich und damit im Sinne einer Legitimationsbestärkung für sein Handeln. Damit konnte er auch auch ohne materielle Verankerung im Reich, allein Kraft seiner Königswürde, als Primus des Reichs, Legitimität und Macht zusammenführen: Allerdings musste er dies in der Regel persönlich tun; Regieren hatte im Reich des späten Mittelalters nach wie vor eine stark personale Seite. Eine vollständige Substituierung königlichen Handelns, das Reich ohne König also, war nicht möglich, wohl die Aktivierung subsidiärer, zum Teil sogar komplementärer Strukturen, welche mehr oder minder erfolgreich vor der Folie königlicher Herrschaft handeln konnten.95 Allerdings galt auch das Gegenteil: Wenn der König eine politisch schwache Rolle spielte, etwa durch eine Fehleinschätzung der Lage, eine zu große Entfernung vom Geschehen oder eine zu lange Verzögerung notwendiger Aktivitäten, dann konnte es ihm passieren, dass dieses Netzwerk – 93  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2 Nr. 280, dort 1085. Bericht Peraudis an Papst Innozenz VIII. vom 11. Juli 1489. 94  Vgl. Fritsch, S. 227–237. 95  Dürschner, Kerstin: Der wacklige Thron. Politische Opposition im Reich von 1378 bis 1438, Frankfurt 2003 meint hingegen, man habe bereits zwischen 1410 und 1437 gelernt, dass „es auch ohne König ging“ (S. 345). Wenn dem so wäre, hätte man diese Einsicht freilich weder zu Sigismunds Lebzeiten noch danach konsequent beherzigt.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

unter Umständen vom Papst bis an den Rand einer Herrschaftskrise verstärkt – ihn selbst derart einband, dass ihm die Wahl von Handlungsalternativen weitgehend aus der Hand genommen war und seine Herrschaft sich de facto auf die Legitimierung des ohnehin Beschlossenen reduzierte.

III. Weitere Machtrollen Wenn das Regieren stark an die Person des Herrschers gebunden war, stellt sich die Frage, wann und durch wen der König sich vertreten ließ bzw. überhaupt vertreten lassen konnte. Die Mitwirkung des Papstes am Reichsgeschehen durch seine Legaten erschien vergleichsweise einfach möglich; die Legaten waren stets hochkarätige Diplomaten, welche auf höchstem Niveau agierten und entsprechend sozial akzeptiert wurden. Diese Kräfte konnten mit dem Herrscher zusammenwirken oder bei Gelegenheit auch gegen ihn eingesetzt werden. Wenn der Herrscher über eine entsprechend hochrangige Klientel verfügte, konnte er diese freilich auch für seine Zwecke einsetzen. Neben der nie zu unterschätzenden Relevanz des Vornehmen und Repräsentativen musste politisches Handeln im Zuge der wachsenden Komplexität der Herrschaftszusammenhänge jedoch zunehmend auch juristisch abgesichert und ökonomisch untermauert werden: Die Sparte der Gelehrten im Herrschaftsdienst gewann an Relevanz. Tatsächlich sind gelehrte Räte im Laufe des 15. Jahrhunderts zunehmend als eine „quer zur alten StändeStratifikation liegende neu entstandene Schicht“96 nachzuweisen. Ihr Einsatz war jedoch nach wie vor nur begrenzt möglich, blieben die Gelehrten doch „nach sozialem Rang und wohl auch in Hinsicht auf die Möglichkeiten zur wirkungsvollen Machtausübung hinter hochadligen Räten zurück.“97 Seit dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts befanden sich jedenfalls verstärkt Gelehrte im Dienst von bedeutenderen Fürsten und größeren Städten, was als Widerspiegelung einer stetig anwachsenden Professionalisierung politischer Handlungsträger im Reich zu verstehen sein dürfte. Die Diskussionen um die fiskalischen Forderungen und Ansprüche des Herrschers infolge der bis dato in dieser Qualität unbekannten Hegemonialkämpfe des Herrscherhauses, insbesondere mit den Valois, verlangten schließlich nach einer juristisch fundierten Selbsteinordnung in das Geschehen. Die Professionalisierung des Handelns trat also zunehmend neben die Vornehmheit des Handlungsträgers, erreichte deren Relevanz jedoch noch lange nicht. In Hochzeiten politischer Intensität wirkten beide Faktoren in 96  Jahns, 97  Koch,

Zitat: S. 131. S. 122.



III. Weitere Machtrollen97

besonderem Maße zusammen, bei Reichstagen oder noch stärker bei Konzilien, welche wegen ihrer hohen Legitimation sogar das Potential bargen, königsähnliche Funktionen aus sich heraus wahrnehmen zu können. 1. Konzilien Schon Sigismund befand sich zu Zeiten des Basler Konzils in bestimmten Fragen in dieser wesentlich von Gelehrten geprägten Umwelt. Das Konzil wirkte wie eine Bühne für herrscherliches Handeln und Verhandeln, nicht nur bezogen auf das Reich, sondern auf die gesamte okzidentale Christenheit. Sigismunds „Anspruch war stets größer als sein Erfolg, aber die grundsätzliche Bereitschaft, sein Urteil nachzusuchen und zu akzeptieren, war in der Christenheit weit verbreitet …“.98 Der universale Anspruch relativierte sich freilich im Spiegel der europäischen Verhältnisse. Und im schwach organisierten Reichskontext wurde das Gefälle zwischen Konzilsgeschehen und Herrschaftsrealität besonders deutlich: Zwar erfüllten die Hoftage systematisch gesehen eine ähnliche Funktion für den Herrscher wie Konzilien. Hinsichtlich des Verhandlungsniveaus und der Durchsetzungsmöglichkeiten war man jedoch weit vom vergleichsweise straff organisierten kirchlichen Kontext entfernt. Eine einfache Übertragung der Prinzipien des Konzils war ohnehin nicht möglich. Schließlich gingen die Basler Konzilsväter von einem Konzept aus, „das Streitfragen im diskursiven Verfahren glaubte lösen zu können, ohne dabei juristisch und machtpolitisch gesicherte Positionen anzuerken­ nen.“99 „Damit kam das Konzil den Hussiten weit entgegen, denn im Gegensatz zu Konstanz und überhaupt erstmals in der Konzilsgeschichte wurde religiöser Dissenz nicht von vornherein als Häresie behandelt.“100 Sigismund akzeptierte das Resultat, die Prager Kompaktaten (1433; vom Konzil ratifiziert 1437) als Kompromiss auf dem Weg zum böhmischen Thron. Die Prämisse teilte er jedoch nicht, den Verzicht nämlich auf die Durchsetzung dogmatischer Wahrheit, sondern er „bestand auf der nicht in Frage zu stellenden Geltung tradierter Ordnung, verlangte die Anerkennung der exklusi98  Schmidt, Hans-Joachim: Sigismund und das Konzil von Basel, in: Sigismund von Luxemburg. Ein Kaiser für Europa. Tagungsband des internationalen historischen und kunsthistorischen Kongresses in Luxemburg, 8.–10. Juni 2005, hg. von Michel Pauly und François Reinert, Mainz 2006, S. 127–141, Zitat: S. 129. 99  Schmidt, Hans-Joachim, Zitat: S. 139. 100  Studt, Birgit: Zwischen Kurfürsten, Kurie und Konzil. Die Hussitenpolitik König Sigmunds, in: Sigismund von Luxemburg. Ein Kaiser für Europa. Tagungsband des internationalen historischen und kunsthistorischen Kongresses in Luxemburg, 8.–10. Juni 2005, hg. von Michel Pauly und François Reinert, Mainz 2006, S. 113–125, Zitat: S. 125.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

ven herrscherlichen Zuständigkeiten – für sich selbst, aber auch für andere und vor allem zugunsten des Papstes.“101 Betrachtet man etwa die Positionierung des Herrschers gegen Philipp den Guten von Burgund, so war dies ein Handlungsfeld, welches nach Ausmaß und Qualität der Probleme nicht am Konzil vorbei konnte und dabei beinahe zwingend akademisch gelöst werden musste. Sigismund hatte die Rolle, welche diese causa schon allein deshalb spielte, weil Teile der burgundischen Lande in der Nähe von Basel lagen, 1434 zunächst schlicht unterschätzt. Hinzu kam, dass der Kaiser einsehen musste, dass der von ihm beabsichtigte Feldzug gegen den Burgunder die ökonomische Interessenskonstellation am Niederrhein sowie die konkreten Belange einiger großer Handelsstädte am Rhein fundamental verletzt hätte und damit schlicht nicht realisierbar war. Das Konzil ermöglichte dem Kaiser ein würdevolles Zurücktreten von seinen ursprünglichen Plänen: Sigismund erklärte, nichts tun zu wollen, was die Sicherheit der Basler Versammlung gefährden könne.102 Der Kaiser hatte die Mitwirkung der Väter in Basel am politischen Geschehen im Reich unter- und seinen eigenen Handlungsspielraum überschätzt: Das Substrat der Väter ähnelte dem kaiserlichen, und ihr Funktionsradius überschnitt sich mit dem seinen. Dabei wurde die Gestaltungsfreiheit der beiden Protagonisten des Geschehens fein säuberlich unterschieden bzw. bestimmten Kontexten zugeordnet: Die Inanspruchnahme des Konzils blieb weitgehend auf die „große Politik“ begrenzt; wenn es hingegen galt, reichspolitische Zwistigkeiten zu lösen, welche sich nicht auf die geistliche Ebene transponieren ließen, dann blieben diese im Bezugsrahmen des Kaisers. Dieses Niveau der Regierungstätigkeit im Reich hob sich deutlich von dem politischen Alltag zu Sigismunds Zeiten ab. Das Basler Konzil übte jedoch eine starke Anziehungskraft auf hochkarätige Auseinandersetzungen aus, eine Erscheinung, welche sich offenbar aus der Kommunikationsdichte der entsprechenden Protagonisten vor Ort ergab. Das Konzil als lokal verortete kaiserliche Präsenz verfehlte seine Wirkung also nicht. Allerdings konnte Sigismund das metarealpolitische Substrat, welches ihm die Kaiserwürde verschafft hatte, nicht unmittelbar für seine Herrschaft nutzen, schon weil die Väter in Basel von diesem Substrat sogar noch mehr zehren konnten als Sigismund selbst. Letzterer hatte schließlich seine Funktion einer Vermittlung zwischen Konzil und Papst bereits erfüllt. „Die Rolle der Väter in Basel hingegen hatte mit dem Auto101  Schmidt,

Hans-Joachim, S. 127–141, Zitat: S. 139. Deutsche Reichstagsakten, Ältere Reihe (1376–1486), hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, 5.–6. Abt. (1433–1437), Bd. 11, hg. von Gustav Beckmann, Gotha 1898, Nr. 222, 223, 294, 295. 102  Vgl.



III. Weitere Machtrollen99

ritätsgewinn durch die Anerkennung eine neue Qualität gewonnen; sie traten nun, zumindest für eine gewisse Zeit, in Konkurrenz zum Kaiser.“103 Grundsätzliche Fragen der Reichspolitik, für deren Lösung es akademischer Antworten bedurfte, rückten in dieser Hochzeit kaiserlicher Politik stärker in den Mittelpunkt als je zuvor oder danach in der Ära Sigismunds. Dieser versuchte davon zu profitieren und eine Art Befreiungsschlag für seine immer wieder bedrängte Herrscherrolle zu erzielen, indem er im September 1434 eine Art Regierungsgprogramm in sechszehn Punkten vorlegte.104 Er verlangte darin, dass sich das geistliche und das weltliche Schwert gegenseitig zwar unterstützen, dass sich das geistliche Gericht aus welt­ lichen Verfahren jedoch heraushalten solle. Außerdem forderte Sigismund, das päpstliche Provisionsrecht bei der Vergabe von Bischofssitzen einzuschränken. Diese Punkte (7–10) spiegelten die Wahrnehmung wider, das Konzil werde alle Streitpunkte zwischen Kaiser und Papst grundsätzlich regeln. Die traditionellen Themen aus dem Binnenverhältnis von Papst und Kaiser blieben freilich letzten Endes genauso offen wie andere grundsätz­ liche Fragen, die sich aus Anforderungen an das Kaisertum herleiteten, zum Beispiel die nach einem engen juristischen Zusammenhang von Fehde und Schiedsgericht sowie die nach einer festen Ordnung, welche dies garantiere (Pkt. 1). Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach einer Überprüfung des Gerichtswesens, insbesondere der Feme (Pkt. 14,16), sowie die Lösung der ökonomisch höchst dringlichen Problematik der Münzverschlechterung im Reich (Pkt. 13). Sigismund bekannte, dass nichts mehr in seinem „gemuet“ liege als die Fragen zu Recht und Ordnung; ihre Lösung überschritt jedoch erkennbar den konkreten Handlungsspielraum seiner Herrschaft.105 Deshalb versuchte er wohl, das Konzil in gewisser Hinsicht für seinen eigenen Herrschafts­erfolg zu instrumentalisieren. Dazu siedelte er strukturelle Defizite des Reiches auf einer höheren Ebene an und glaubte offenbar, sie als Angelegenheiten der gesamten Christenheit einer vermeintlich umfassenden, vielleicht sogar endgültigen Lösung zuführen zu können. Die auch im allgemeinen Konzils­ geschehen zu beobachtende Affirmation der eigenen Autorität im Sinne einer Selbstbestätigung hatte also auch den Zeitzeugen Sigismund erfasst. Was er als solcher nicht erkennen konnte, war die grundsätzlich unterschiedliche Ausgangsvoraussetzung zwischen seinem Handlungsspielraum und dem der Kirche, welche bereits wesentlich stärker professionalisiert und engmaschiger strukturiert war als die Reichsverfassung(en). Außerdem hätte Sigismund 103  Wefers,

Das politische System, S. 207. unter Kaiser Sigmund, Bd. 11, Nr. 264, 265–268. 105  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 11, Nr. 275, S. 525, Zitat: Zeile 25–27. 104  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

gegebenenfalls seine grundlegenden Herrschaftsansprüche zur Diskussion stellen müssen, ein Schritt, zu dem er nicht bereit war. Die Festigung der führenden Rolle des Papstes konnte also sehr wohl ein Resultat des Konzils sein; ein Herrschaftserfolg Sigismunds hingegen war vom Konzil nur sehr bedingt zu erwarten. Der Kaiser ohne Hausmacht blieb letztlich auf seine Rolle als vermittelnde und legitimierende Instanz beschränkt; erfolgreich war er dabei nur, wenn sich seine Maßnahmen mit der jeweiligen reichspolitischen Machtkonstellation im Einklang befanden, er also sozusagen die „richtige“ Seite stärkte. Dies galt umso mehr für die Normalzeiten der Ära Sigismunds, in denen es dem Herrscher mangels Machtsubstrat wiederholt nicht möglich war, sich erfolgreich durchzusetzen, auch dann nicht, wenn er vor Ort persönlich agierte. Die Erfolgsaussichten verringerten sich noch einmal dramatisch, wenn er versuchte, seine Herrschaftsansprüche in absentia zu artikulieren oder personal abzubilden: Schließlich hieß „repräsentieren“ in der zeitgenössischen Wahrnehmung, Abwesende im Sinne einer physischen Verkörperung anwesend erscheinen zu lassen.106 Eine in der Sache funktionstüchtige Vertretung reichte bei weitem nicht aus, vielmehr waren die persönliche Anwesenheit oder zumindest eine sozial angemessene Vertretung wesentlich für eine erfolgreiche Politik.107 Es lässt sich eine Vielzahl von Beispielen dafür finden, was geschah, wenn Sigismund das Mittel der Gesandtschaft zu häufig und infolge des Mangels an einer hochrangigen personalen Basis im Reich zu unattraktiv ein- bzw. besetzen musste: Seine Gesandten konnten die soziale Autorität des Königs nur selten verkörpern; sie konnten bestenfalls in der Sache überzeugen, was für sich genommen jedoch kaum jemals ausreichte.108 In einer Situation, welche in beachtlichem Umfang neben mentalen auch soziale und emotionale Qualitäten verlangte, war ein solches Surrogat für königliches Handeln zu kraftlos im Hinblick auf die komplexe Führungsaufgabe, welche der Herrscher wahrzunehmen hatte. 106  Vgl. Siegert, Bernhard: Vögel, Engel und Gesandte. Alteuropas Übertragungsmedien, in: Gespräche – Boten – Briefe: Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, hg. von Horst Wenzel, Berlin 1997, S. 45–62, besonders S. 48. 107  Vgl. Jucker, Michael: Gesten, Kleider und Körperschmähungen. Ordnungsbrüche und ihre Wahrnehmung im Gesandtschaftswesen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft, hg. von Marian Füssel und Thomas Weller, Münster 2005, S. 215–237, bes. S. 223, sowie Jucker, Michael: Kleidung und Körper: Wahrnehmung symbolischer Ordnung im spätmittelalterlichen Gesandtschaftswesen, in: Kleidung und Repräsentation von der Antike bis ins Mittelalter, hg. von Ansgar Koeb und Peter Riedle, Paderborn 2005, S. 91–94. 108  Siegert, S. 45–62.



III. Weitere Machtrollen101

2. Königliche Gesandte Dabei erfüllten die königlichen Gesandten, zum Beispiel Sigismunds Kanzler Georg von Passau 1421 in Nürnberg, ihren Auftrag in der Sache durchaus überzeugend.109 Dieser Befund spiegelt sich im Straßburger Gesandtschaftsbericht wider: Die Glaubenssache „si der allergrossten sachen eine die ie kein man horte gedenken“, und der König könne sie ohne große Hilfe aus dem Reich unmöglich bewältigen.110 Nach dem eindringlichen Appell war es jedoch umso unverständlicher, sogar kontraproduktiv, dass Sigismund nicht persönlich erschien, um seine erdrückende Sorge zu erläutern und die offenkundig unerlässliche Führungsfunktion wahrzunehmen. In das Vakuum an der Spitze des Tages traten schließlich die Kurfürsten ein und übernahmen die Regie: Sie verbündeten sich gegen den böhmischen Unglauben und forderten alle Christen auf, diesem Bündnis beizutreten.111 Das Defizit an unmittelbarer Ausstrahlung des Königs auf das Tagesgeschehen isolierte diesen von dem Geschehen vor Ort. Dies wurde besonders deutlich spürbar, wenn der Herrscher (zu) lange (zu) weit entfernt weilte und sich dadurch offenkundige Kommunikationsdefizite ergaben. Wenn der König absent war und den Verhandlungsstand beziehungsweise die Atmosphäre vor Ort nicht verfolgen und gestaltend eingreifen konnte, verlor er letztlich selbst am meisten, zumal seine Funktion als Regulator des inneren Gleichgewichts im Reich kurzfristig durch andere, etwa den Legaten oder die Kurfürsten, überbrückend wahrgenommen werden konnte und wohl auch musste. An einem Vorgang aus dem Jahr 1496 wird exemplarisch deutlich, wie stark sich die Absenz des Herrschers auch am Ende des 15. Jahrhunderts noch auswirken konnte. Man hatte mit Lindau einen Verhandlungsort gewählt, der mangels einer geeigneten Infrastruktur ungern akzeptiert wurde.112 Pfalzgraf Philipp sah in dieser Situation sogar eine gute Chance, sich als Reichsvikar zu profilieren: Es sei bekannt, dass außer Kurfürst Berthold kein Großer des Reiches in Lindau erschienen sei. Ein dermaßen schlecht 109  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 8, Nr. 34. Zur personalen Basis des Herrschers vgl. Wefers, Das politische System, S. 89–93. 110  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 8, Nr. 34, S. 39, Zeilen 37 ff. 111  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 8, Nr. 28, 29. Anders Dürschner, S. 347: „Einen König brauchte man zur Führung der Reichsgeschäfte nicht unbedingt. Das Reichsoberhaupt stand nicht mehr allein an der Spitze des Reiches. Das Kurfürstenkollegium war bereit, eigene Reichspolitik mit oder ohne den König zu betreiben.“ 112  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 54.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

besuchter Tag sei „unfruchtbar, obwol dem rich noitturftiges zu handeln wer“. Um vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen, sei er bereit, als „vicarius des hl. richs“ einen neuen Tag an einem besser geeigneten Ort auszuschreiben.113 Das Eintreffen des königlichen Kanzlers Dr. Konrad Stürtzel114 in Lindau relativierte diesen Versuch, das Ruder an sich zu reißen.115 Kurfürst Berthold konnte sich nun darauf berufen, dass Maximilian ausdrücklich eine Fortsetzung des Tages wünsche.116 Der König war allenfalls zu einer Verlegung nach Basel bereit, weil dort gewährleistet sei, dass „wir zu baiden seiten ain ander füglich allzeit erreichen“; außerdem könne er seinen Sohn dorthin entsenden.117 Der Kanzler des Königs, der päpstliche Legat sowie die italienischen Gesandten erläuterten sodann die Lage in Italien und baten, den Herrscher zu unterstützen. Die Reaktionen blieben verhalten, auch wenn (oder weshalb) die Gesandten in ihren Berichten betonten, ihr Bestes gegeben zu haben.118 Der König ging in einem Schreiben auf den Vorwurf ein, der Tagungsort sei der eigentliche Grund, warum die Versammlung nicht erfolgreich verlaufe.119 Wer sich so äußere, möge sich vor Augen halten, dass er selbst und die Kurfürsten und Fürsten, die mit ihm zögen, weit mehr ertragen müssten; schließlich seien die Lindauer Herbergen „doch den kriegslegern ungleich“. Die Widersacher sollten also tunlichst schweigen, schon um den schändlichen Eindruck zu vermeiden, „als ob sy von der herbergen wegen iren brief, sigeln und zusagen nit nachkomen wellten“.120 Und wenn es ihnen möglich gewesen wäre, den Pfennig zu erheben und nach Lindau zu schicken, hätte es des persönlichen Erscheinens sämtlicher Kurfürsten und Fürsten gar nicht 113  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 79, Zitate: S. 172. 114  Dr. Konrad Stürtzel zu Buchheim aus Kitzingen, Rat und Kanzler Erzherzog Sigmunds von Tirol; 1474 dessen Gesandter nach Frankreich; 1479 Kammergerichtsbeisitzer; tirolischer Kanzler König Maximilians I.; vgl. Koch, S. 212. 115  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 91, 95. Vgl. auch die königliche Aufforderung an Kurfürst Berthold, zusammen mit Erzherzog Philipp den Wormser Streit zu verhandeln. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 13. Zum königlichen Kanzler Stürtzel vgl. auch ebenda, Nr. 92. 116  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 89, 104. 117  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 85, S. 177. 118  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 98, 99, 103, 105. 119  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 81. 120  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 81, Zitate: S. 174.



III. Weitere Machtrollen103

bedurft. Im Übrigen seien die meisten Fürsten sowieso aufgefordert, mit ihm nach Rom zur Kaiserkrönung zu ziehen.121 Ausführungen wie diese waren nicht gerade dazu geeignet, das Verhandlungsklima vor Ort zu verbessern. Maximilian ging sogar noch einen Schritt weiter: Man habe ihn wissen lassen, dass die in Lindau versammelten Gesandten der von Erzherzog Philipp übermittelten Aufforderung, dem König zu raten, nicht entsprechen könnten, ohne vorher neue Vollmachten eingeholt zu haben.122 Er verzichte ausdrücklich auf jeden Ratschlag, der einer solchen Rücksprache bedürfe.123 Er sei nämlich bereits von „treffenlichen räten“ umgeben, die „nicht allain teutzer nacion, sonder der ganzen cristenhait verwandt sein“. Gemeint war dieser Hinweis zweifelsfrei als Monitum: Die Vertreter der gesamten Christenheit berieten „tag und nacht“, während die in Lindau Versammelten sich nur über die örtlichen Gegebenheiten beschwerten und Ergebnisse auf sich warten ließen.124 Diese Argumentation freilich war ein gravierender Fauxpas, wurde Maximilian doch gerade die Tatsache, dass er sich vorwiegend von den Ligapartnern leiten ließ, im Reich zum Vorwurf gemacht. Ein taktischer Fehler also, welcher als Beleg dafür gewertet werden kann, wie stark sich die Verhandlungspartner inzwischen nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich voneinander entfernt hatten. Maximilian agierte aus der Ferne, konnte auf diese Weise die Empfindlichkeiten vor Ort schlecht einschätzen und hatte deshalb nur geringe Aussichten, den Entscheidungsprozess in seinem Sinne zu lenken. Seine Gesandten vor Ort mussten mit ansehen, wie ein Ausschuss sich zügig darauf verständigte, Maximilians Ton zurückzuweisen: Der Herrscher möge „solichen ernst und scherpfe“ in seinen Briefen gütigst vermeiden.125 Und damit nicht genug: Die Ligapartner des Königs wurden von den Verhandlungen ausgeschlossen, denn es sei untragbar, wenn die „welschen botschaften, so von fremder nacion wern, der handlung, ratschlag und gelegenheit des hl. reichs wissen und berichtung empfahen“.126 Schließlich 121  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 81, S. 173. 122  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 54, S. 161. 123  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 85, S. 177: „was ir aber bey euch nyt finden oder eraten mügen“, werde er bei sich selbst und bei den ihn umgebenden Fürsten zu finden suchen. 124  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 85, S. 177. 125  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 106 und vor allem 107, Zitat: S. 192. 126  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 107, S. 192.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

verwies man den Vorwurf, sich nicht an die Wormser Vereinbarungen zu halten, an den König zurück, indem man diesen um Auskunft bat, ob die Regelungen denn in den habsburgischen Ländern eingehalten worden seien. Sofern dies geschehen sei, werde man in Lindau die Verhandlungen führen, die eigentlich in Frankfurt hätten geführt werden sollen.127 Diese Antwort kam einer Absage gleich. Und sie wurde von der Versammlung uneingeschränkt gebilligt und den königlichen Räten übermittelt.128 Diese mussten nun versuchen, die Schärfe aus den Verhandlungen zu nehmen. Sie schlugen eine moderate Sprachregelung vor, nach der sich die Beschlussfassung hinsichtlich der Hilfe dadurch verzögere, dass zuerst noch einige Punkte des Wormser Abschieds geklärt werden müssten.129 Und sie zeigten die dazu notwendige Verhandlungsbereitschaft. Dieser Vorschlag löste zunächst Irritation aus, weil sich die übrigen Gesandtschaften nicht sicher waren, ob sie für solche Gespräche „gnugsam abgevertiget“ wären.130 Letztlich jedoch bemühten sich alle Beteiligten, einen offenen Bruch zu vermeiden.131 Auch die Italiener machten gute Miene zum bösen Spiel; der mailändische Gesandte wies lediglich darauf hin, dass sich seiner Ansicht nach weder sein Herr noch der König mit einer unpräzisen Antwort würden zufrieden geben können.132 Zumindest in der Sache des Reichskammergerichts konferierte man nun allerdings durchaus erfolgsorientiert, d. h. man vernachlässigte die feinen Unterschiede zwischen den in Worms gewährten Zusagen und ihren Konsequenzen und stellte stattdessen fest, dass man sich im Vorjahr verpflichtet habe, den Unterhalt des Reichskammergerichts sicherzustellen, also Fehlbeträge durch einen „anslag“ auszugleichen.133 Bei diesen Überlegungen wurden die beiden möglichen Finanzquellen – das Darlehen über 150.000 Gulden und der Gemeine Pfennig – gleichermaßen in die Überlegungen einbezogen. In diesem Punkt befand man sich sogar im Einklang mit Maximilian, der bekanntlich davon ausging, dass zwischen der in Worms ein127  Reichstagsakten S. 193. 128  Reichstagsakten 112. 129  Reichstagsakten 130  Reichstagsakten S. 196. 131  Reichstagsakten 117. 132  Reichstagsakten 120. 133  Reichstagsakten erster Absatz.

unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 107, unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 108, unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 112. unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 115, unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 115, unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 119, unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 135,



III. Weitere Machtrollen105

gegangenen Bürgschaftsverpflichtung des Reiches für königliche Anleihen und einer Kreditgewährung ein fließender Übergang bestehe.134 Es wurde sogar ein tragfähiger Finanzierungsplan mit konkreten Parametern verabschiedet: Zur Zwischenfinanzierung müsse ein Darlehen aufgenommen werden. Des Weiteren sei die Reichsumlage etwas überhöht anzusetzen, um Defizite später ausgleichen zu können. Außerdem solle die Forderung auch an diejenigen gerichtet werden, welche sich tendenziell dem Reich entzögen, damit einer solchen Haltung nicht Vorschub geleistet würde.135 Im Verlauf der Gespräche verabredete man zudem, die Zwischenfinanzierung nicht, wie ursprünglich geplant, in voller Höhe bei Reichsstädten aufzunehmen, sondern besser vorher den Gemeinen Pfennig von den Juden verschiedener Städte einzuziehen und nur den Restbetrag über ein Darlehen zu begleichen.136 Mitte Dezember, also ungefähr zwei Wochen nach diesen ersten Verhandlungserfolgen, erreichten neue Briefe Maximilians die Versammlung.137 Der König wünsche, dass die Kurfürsten, „so in aigner person auf disem tag wern“ kurzfristig nach Chiavenna kämen, um sich dort mit ihm, dem päpstlichen Legaten, Vertretern der Heiligen Liga und dem Herzog von Mailand zu treffen.138 Schmid, Peter: Der Gemeine Pfennig von 1495, Göttingen 1989, S. 303. unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 135. 136  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 138. Vgl. auch Nr. 139 über eine Ausschuss-Sitzung am 8. November, in denen praktische Anweisungen in dieser Angelegenheit an Worms und Frankfurt sowie den Schatzmeister Dr. Pfeffer ergehen und die Einbeziehung der Städte Ulm, Regensburg und Nürnberg erwogen wird. In der Vollversammlung wird am 10. November über diese Frage beraten.; vgl. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 143. Frankfurt war über diese Regelung entsetzt: Die Stadt wollte sich dem Gemeinen Pfennig nicht verschließen, wenn „dem abscheid zu Worms gelebt werde“; allerdings sei es „dem abscheyde deßhalben zu Worms ganz ungemeß“, den Gemeinen Pfennig von unseren Juden einzunehmen; vgl. Reichstagsakten, Nr. 171, S. 244, 30. November 1496. Man suchte Rat bei Nürnberg und Worms. Die Nürnberger antworteten den Frankfurtern am 7. Dezember, man habe mit den Juden als Antwort vereinbart, die Zahlung prinzipiell zuzusagen, falls auch die anderen Glieder des Reiches dem Wormser Abschied folgten. Parallel dazu bemühte sich die Stadt Nürnberg über Antoni Tetzel, von der Besteuerung ausgenommen zu werden; dem Fiskal wurde ein Zeichen der Dankbarkeit zu gegebener Zeit versprochen. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 183, 184. Frankfurt und Worms erregten Ärger aufgrund ihrer Zurückhaltung. Am 20. Dezember mahnte die Versammlung die Einhebung der Gelder an. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 200. 137  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 190. 138  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 190, Zitat: S. 257. 134  Vgl.

135  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Dieses Ansinnen war wieder einmal das falsche Signal zur falschen Zeit. Es drohte den guten Willen zu zerstören, welcher in gemeinsamer Anstrengung mühsam erzeugt worden war. Die Antwort kam prompt: Es sei nicht möglich, die Versammlung zu teilen, außerdem gehe eine Verlagerung der Gespräche an einen anderen Ort über die Vollmachten der Anwesenden hinaus; und überhaupt sei es noch nie vorgekommen, „das man den Walhen nachgezogen hett zu verklaynung des reichs und seiner stent“; selbstverständlich sei man jedoch bereit, den König in der Nähe Lindaus zu treffen.139 Maximilian freilich bestand auf seinem Ansinnen, insbesondere auf einem Treffen mit dem Erzbischof von Mainz.140 Dieser beschloss, der Aufforderung zu folgen, ließ es sich jedoch nicht nehmen, vor seiner Abreise einen Beschluss der Versammlung zu erwirken.141 Unterdessen hatte der Tag weiter über den Gemeinen Pfennig beraten. Seine Erlegung sollte bis zum 5. März 1497 in Frankfurt erfolgen. Ferner wurde über ein „verstentnus und aynung derienen diser versamlung und die den pf. zu legen willens“ seien, gesprochen.142 Diese Einung sollte auf der Basis des Wormser Abschieds errichtet werden, wozu dieser freilich gegebenenfalls erweitert werden müsste, freilich so, dass man dieses Vorhaben „nicht in unzymlicher oder consperacion weis versteen möcht“.143 Anfang Januar 1497 kam es zu definitiven Beschlüssen über die Einhebung des Gemeinen Pfennigs, bezogen auf alle anwesenden und alle abwesenden Glieder des Reiches.144 Die königlichen Räte sollten gleich von Lindau nach Frankfurt reisen, damit „man allenthalb im reich möcht zuflucht zu in haben“. Außerdem wollte man mit dem König über weitere Schritte sprechen, verbunden mit der Warnung „das s. kgl. mt. und dem hl. reich nicht abfall geschee“; 139  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 190, Zitat: S. 258. 140  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 198, Bd. 6, III, Nr. 1. In einem mailändischen Bericht heißt es, Maximilian habe Berthold aufgefordert, den Tag nach Frankfurt zu verlegen, weil dorthin jedermann leicht gelangen und auch die Hilfe unproblematisch transportiert werden könne. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, III, Nr. 1. Dieser Bericht steht im Widerspruch zu einer Instruktion des Königs für Ernst von Welden vom 2. Januar, in der er der Befürchtung Ausdruck verlieh, dass auch in Frankfurt nichts ausgerichtet würde. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, III, Nr. 3. 141  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 206, 207. 142  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 2, S. 271; Zitat ebenda, S. 270. 143  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 197, Zitat: S. 263. 144  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 5.



III. Weitere Machtrollen107

schließlich bat man, die Vikariatsfrage zu klären. Auch wollte man die Grenzen des Reiches gegen nachbarliche Übergriffe durch eine bessere Verteidigungsorganisation sichern.145 Es war also gelungen, was kaum noch hatte erwartet werden können: Der Beschluss über den Gemeinen Pfennig war gefasst; überdies waren der Schutz der Reichsgrenzen gegen fremde Übergriffe und eine bessere Verteidigungsorganisation zu erklärten Vorhaben geworden.146 Maximilians Gesandte hatten im Zusammenspiel mit dem Kurfürsten von Mainz die aus dem Kommunikationsdefizit resultierenden Fehleinschätzungen des Königs also erstaunlich gut auffangen können und bemerkenswerte Ergebnisse ausgehandelt. Allerdings konnten die Gesandten im Verhandlungsprozess nur vermittelnd wirken, was freilich unter den konkreten Bedingungen als diplomatische Leistung nicht gering einzuschätzen ist. Maximilian erkannte die Verhandlungsleistung freilich als solche nicht an. Er sah lediglich, dass er die konkret von ihm erbetene Hilfe nicht im gewünschten Umfang bekommen sollte. Schließlich akzeptierte er zwar die Beschlüsse, freilich ohne deren politisches Potential zu erkennen oder gar nutzen zu können.147 Die Gesandten waren erfolgreich; allein hätte ihnen jedoch – vor allem da sie in ihrem Bemühen, die Situation zu retten, von Maximilians politischer Linie deutlich abweichen mussten – die notwendige Legitimation und vor allem der soziale Rang gefehlt, um eine erfolgreiche Wendung in den Verhandlungen eigenständig herbeiführen zu können. Dazu bedurfte es einer entsprechenden Machtrolle in den eigentlichen Diskussionsrunden, welche die Gesandten nicht wahrnehmen konnten, weil sie zum einen das nötige Sozialprestige nicht vorweisen konnten und weil sie zum anderen auch nicht zu eigenständigem Handeln befugt gewesen wären: „So sehr Maximilian bemüht war, auswärtigen Gesandten größere Zugeständnisse herauszulocken, als es ihren Vollmachten entsprach, so energisch reagierte er auf Eigenmächtigkeiten seiner eigenen Gesandten.“148 Die Verhandlungsführung auf dieser Ebene konnten demnach allein die Kurfürsten wahrnehmen, insbesondere der Erzbischof von Mainz als deren 145  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 2, Zitate: S. 271. 146  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 2, Zitat: S. 271. 147  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 32, S. 302 f. und Nr. 33. 148  Holleger, Manfred: Anlassgesandtschaften – ständige Gesandtschaften – Sondergesandtschaften. Das Gesandtschaftswesen in der Zeit Maximilians I., in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Chistine Ottner unter Mitarb. von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 213–225, Zitat: S. 224.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Protagonist. Diese Beobachtung legt nahe, dass in komplexen Situationen diplomatisches und juristisches Können zwar ausgesprochen hilfreich war und auch in Anspruch genommen wurde, Kompetenz allein jedoch nach wie vor das soziale Prestige der Fürsten, insbesondere der Kurfürsten, bei Absenz des Herrschers nicht ersetzen konnte. 3. Kurfürsten Zeigte sich der Herrscher außerstande, seine Aufgaben als „Krisenmanager“ zu erfüllen, weil er zum Beispiel nicht oder nicht zügig genug vor Ort erschien, musste seine Funktion im Krisenmanagement substituiert werden. Diese Funktion konnte von königlichen Gesandten wahrgenommen werden, vor allem jedoch von der Gruppe der Königswähler, welche den königlichen Gesandten (in der Regel) sozial überlegen war. Die Kurfürsten konnten vor der Folie einer königlichen und / oder päpstlichen Legitimierung als nächster Rang nach dem König die Fäden in die Hand nehmen und mussten dies bei einem Fehlen oder Versagen des Herrschers wohl auch tun. Kurfürstliche Maßnahmen standen allerdings unter dem Vorbehalt einer grundsätzlichen Zustimmung des Herrschers, symbolisierten sie doch gemeinsam mit dem Herrscher eine fiktive Handlungseinheit bzw. die Einheit des Reiches. Die Kurfürsten wirkten subsidiär zum König, zunächst nur in Ausnahmefällen komplementär. Erst als das Reich „sich zum Staat entwickelte, erhöhte sich sukzessive auch seine Dichte. Die Ansprüche an die Spitze, das Ganze zu lenken, wurden höher. Die komplementäre Funktion der Kurfürsten wuchs, und dies mit nur geringer Verzögerung parallel zum Prozeß der Verabschiedung des Papstes aus der Reichspolitik. Nun konnte sich auch eine eigenständige Verantwortung für das Reich entwickeln, aus der die Politik der Stände erwuchs“.149 Einer der vielleicht wichtigsten Bausteine dieser Entwicklung war die alte Ordnung: Mit der Festlegung auf die alte Ordnung ging sukzessive eine Festlegung der Verfahren einher. Insofern war das Verhalten der Kurfürsten „rückwärtsgewandt und wies dennoch nach vorn.“150 Das Zusammenwirken der Kurfürsten mit dem Papst ist ein beinahe ideal­typisches Beispiel für diese Beobachtung: Der Blick zurück, auf die historisch fundierte Zuständigkeit beider Häupter der Christenheit für deren 149  Wefers,

Handlungsträger, Zitat: S. 61. Handlungsträger, Zitat: S. 69. Selbst für die Stadtstaaten Norditaliens galt dieses Bild der Rückwärtsgewandtheit. Vgl. Rosenberg; vgl. auch Krieger, KarlFriedrich: König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, München 1992 (Enzyklopädie dt. Gesch.; Bd. 14). 150  Wefers,



III. Weitere Machtrollen109

Wohl, ging einher mit einer Adaptation deutlich weiter entwickelter Verfahrenstechniken und einer stärker ausgefeilten Herrschaftsmethodik. So konnte allein der mehr oder minder diskrete Hinweis darauf, dass das weltliche und das geistliche Haupt der Christenheit ihre gemeinsame Aufgabe stets einvernehmlich wahrnehmen müssten, sowohl als ein herrscherkontrollierendes Mittel dienen als auch eine Möglichkeit eröffnen, auf dieser beiden Häuptern gemeinsamen Basis bei fehlendem Engagement oder mangelnder Handlungsfähigkeit des weltlichen Herrschers mit Unterstützung seines geistlichen Pendants legitimiert handeln zu können. So war es möglich, zu einer als notwendig erkannten Problemlösung auch dann zu gelangen, wenn der König sich nicht beteiligen wollte oder konnte. Die Kurfürsten, vor allem die geistlichen, hatten hier ein probates Mittel zur Hand, ein akutes „Herrscherdefizit“ sozusagen mit Hilfe päpstlicher Rückendeckung zu substituieren. a) „Quasi-König“ und Kurfürsten (1427) Die Genese der ersten Reichssteuer 1427 zeigt, dass dieses Mittel gut funktionieren konnte: Der Erfolg war schlagend, auch wenn die Maßnahme dem Reich letztlich nicht adäquat war, weil der Kardinallegat den fiskaltechnischen Handlungsspielraum des deutschen Königs offenkundig deutlich überschätzte. Das Auftreten des „Kardinals von England“, Heinrich von Beaufort, erinnert in seiner Wirkungskraft an Caesars legendäres „Veni, vidi, vici“. Beaufort kam, nahm das Heft des Handelns sogleich in seine Hände und siegte, d. h. er erfand eine Reichsbesteuerung. Dabei agierte er als der überlegene Finanzmanager, welcher er ohne Zweifel war, freilich mit dem Makel ungenauer Kenntnisse über die Rahmenbedingungen im Reich, was das Vidi im Sinne eines Überblicks über die Situation ähnlich schwächte wie das Vici hinsichtlich des Ertrags der Steuer. Dies sind allerdings nur leichte Relativierungen eines ansonsten erstaunlichen Auftritts. 1427 war sein Aufenthalt im Reich ohnehin nur ein Intermezzo in seiner politischen und kirchlichen Laufbahn. London hatte er verlassen müssen, als er gerade den Höhepunkt seiner Macht zu erreichen drohte: Sein System dort wird als „the beginnings of a stranglehood over the royal finances which might easily have become permanent“151 charakterisiert. Diese Machtanhäufung musste in England beinahe zwangsläufig zum Sturz führen und beinahe ebenso selbstverständlich zu Beauforts Eintritt in die Politik 151  McFarlane, Kenneth B.: At the Deathbed of Cardinal Beaufort, in: Studies in Medieval History, presented to Frederick Maurice Powicke, hg. von Richard William Hunt, William Abel Pantin und Richard William Southern, 2. Aufl. Oxford 1969, S. 405–428, Zitat S. 414.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

auf dem Festland: „The time was ripe for Beaufort’s long-contemplated entry into the larger field of Roman politics.152 Heinrich von Beaufort kam nach Frankfurt und nahm augenscheinlich an, ein Parlament vor sich zu haben, wie er sie aus den wesentlich stärker institutionalisierten englischen Verhältnissen heraus kannte. Er erzeugte gleich zu Beginn Befremden, als er den Anlass des Tages verlas, ganz selbstverständlich die Anwesenheit anhand der Einladungsliste überprüfte und es den Fürsten überließ, die Säumigen nach ihrem Ermessen zu bestrafen.153 Bald darauf wird er freilich registriert haben, dass sich seine Verhandlungspartner aus einer Vielzahl für ihn ungewohnter sozialer Zusammenhänge heraus anders verhielten, als er es aus England gewohnt war. Dort gründete sich die Besteuerung bekanntlich seit dem Ende des 13. Jahrhunderts auf die „public necessity“, welche sich aus den Bedürfnissen der wachsenden königlichen Verwaltung ergab. Eine andere Wurzel war der „public consent“, welcher den englischen Grafschaften in einem zähen Ringen um rechtliche und politische Besteuerungskonzepte abgerungen worden war.154 Beide Grundprinzipien basierten freilich auf einem stabilen politischen Zentrum mit einer entsprechend ausgebildeten Verwaltung, bezogen auf das Reich also gänzlich anderen strukturellen Voraussetzungen. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Kardinal sich um den staatlichen Kontext seines Handelns kaum Gedanken machte. Er konzentrierte sich ganz pragmatisch auf sein konkretes Vorhaben, die Finanzierung eines Kreuzzugs nämlich. Dabei kam ihm sein Status als Kardinallegat gleich doppelt zugute: Er legitimierte ihn als Handlungsträger und lenkte das Vorhaben in Bahnen, welche aus dem Zusammenhang von Kreuzzügen bereits bekannt waren. Man war im Reich schließlich daran gewohnt, dass die traditionellen Vorbehalte gegen die königliche Steuergewalt durch päpstliche Dekrete umgangen wurden.155 Die Einbindung des Steuerprojekts in den Kontext der Kreuzzüge erleichterte dem Kardinal die Erzeugung von Akzeptanz, ersparte sie ihm doch 152  McFarlane, Kenneth B., England: The Lancastrian Kings, 1399–1461, in: Cambridge Medieval History VIII, Kap. XI, Cambridge 1936, S. 362–417, Zitat S. 391. 153  Vgl. Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 9, Nr. 70, Pkt. 1, S. 81, Zeile 40–43. 154  Vgl. Harriss, Gerald L.: King, Parliament and Public Finance in Medieval England to 1369, Oxford 1975, besonders S. 3–4 und Thomson, John A. F.: The Transformation of Medieval England, 1370–1529, London / New York 1983, besonders S. 257–262. 155  Vgl. etwa Rowan, Steven: Imperial Taxes and German Politics in the Fifteenth Century. An Outline, in: Central European History 13, 3 (1980), S. 203–217, bes. S. 204.



III. Weitere Machtrollen111

weitgehend die ansonsten unvermeidliche Einordnung seines Anliegens in die reichspolitischen Binnenverhältnisse. Beaufort benötigte insofern nur zwei Wochen, um eine nach seinem Verständnis angemessene Umlageorganisation zu finden.156 Vor dieser Folie gelang es ihm, auf der Grundlage bereits geübter Verhaltensmuster, zum Beispiel der bereits erprobten Abkehr von der Selbstveranlagung, auch neue Verfahren festzuschreiben und vor allem, die erste allgemeine Reichssteuer in Geld verabschieden zu lassen. Was dem Engländer angesichts seines fehlenden Verständnisses von den Besonderheiten des staatlichen Handlungsrahmens, in dem er sich bewegte, freilich nicht gelingen konnte, war die Verankerung der Grundsätze seines Steuerkonzepts im Reich: Beaufort setzte schlicht einen zu hohen Grad an politischer Konsistenz voraus. Seine Beschlussvorlage basierte auf der verwaltungstechnisch eindeutig überzogenen Idee, dass der Beitrag eines jeden Einzelnen zentral festgesetzt werden könne und dass die korrekte Verwaltung der in Nürnberg zu bildenden Zentralkasse allgemein als legitim und praktikabel akzeptiert würde. Die nun folgenden Modifikationen bei der Umsetzung der Steuer spiegelten insofern die Adaptation der Beschlüsse an die Realität des Reiches wider. So wurde bereits in den ersten Verhandlungen nach dem Frankfurter Tag der direkte fiskalische Zugriff auf jeden Einzelnen zugunsten der Rückkehr zu Pauschalbesteuerungen zurückgenommen. Den Kurfürsten war es nicht möglich, das Vertrauensniveau, die finanztechnische Sicherheit und die Nachdrücklichkeit, mit der Beaufort gewirkt hatte, nach dessen Abreise aufrecht zu erhalten. Die Bilanz der ersten Reichssteuer wurde von Zeitgenossen und Historikern einhellig negativ beurteilt: Sie habe wenig eingebracht. Ob die Kompliziertheit des Verfahrens die Ursache war oder eher eine Kombination aus Organisationsschwäche und Unsicherheit über die Effektivität bzw. Integrität der Nürnberger Kasse, ob das mangelnde Engagement der Beteiligten oder – ganz im Gegenteil – ein zu hohes Eigeninteresse der Kurfürsten an dieser reichspolitischen Maßnahme ein zu hohes Maß an Skepsis auslöste? Vermutlich war die geringe Effizienz der Geldeinhebung auf beide Faktoren zurückzuführen, eine Verfahrensunsicherheit mithin, welche sich aus sich selbst heraus verstärkte. In diesem Sinne bilanzierten Diplomaten der Stadt Köln die Vorbehalte und ihre Auswirkungen im März 1429: „sint dan auch daz gemeine geruchte sere gois geweist is daz dem anslage nit nagegangen wurde, dazselbe hait die lude seir unwillich gemacht ire sture zo gheben.“157 vgl. bei Wefers, Das politische System, S. 144–150. unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 9, Nr. 211, S. 281, Zeile 20–22.; vgl zu den Analysen auch Werminghoff, Albert: Die deutschen Reichskriegssteuergesetze von 1422 bis 1427 und die deutsche Kirche, Weimar 1916 bzw. Wild, Werner: Steuern und Reichsherrschaft. Studie zu den finanziellen Ressourcen der 156  Näheres

157  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Der König stimmte den Beschlüssen zu, tat jedoch nichts, was ihn hätte anstelle Beauforts zu einer Integrationsfigur in dieser Sache machen können. Ein neuer Hussitenfeldzug kam Sigismund zu jener Zeit nämlich gar nicht gelegen. Er verhielt sich deshalb so passiv wie möglich, ohne den Eindruck eines grundsätzlichen Einverständnisses zu gefährden. Es sollte allerdings noch lange dauern, bis der König (1429) auf die militärischen Vorschläge aus dem Reich zurückkam.158 Eines ist jedoch festzuhalten: Es gab eine erste Reichssteuer. Dieses Ergebnis wurde auf Basis einer Regierungskonstellation erzielt, welche einen politischen Handlungswillen mit geeigneten Handlungsträgern und Handlungssicherheit vereinte.159 Eine Situation mithin, welche man systematisch gesehen beinahe als klassisch bezeichnen könnte. Als Handlungsträger aus dem Reich fungierten wesentlich die Kurfürsten, hier unter Leitung eines starken Kardinallegaten, der eine quasi-königliche Funktion einnahm, zumal er neben einer unverkennbar hohen persönlichen Führungskompetenz vor allem die Legitimation durch die Kurie mitbrachte, eine Kraft, welche man kulturhistorisch betrachtet wohl eher als der alten Ordnung zugehörig oder auch als im besten Sinne traditionell einordnen würde. Vielleicht käme man mit Blick auf den ansonsten wahrnehmbaren Rückzug des Papstes aus der aktiven Reichspolitik sogar in Versuchung, diesen Rückgriff auf eine ältere Rolle als in sich veraltet zu bezeichnen. Allerdings erwies sich dieses Mittel der Politik im konkreten Kontext als ausgesprochen sachdienlich; die Rolle des Papstes (oder seines Kardinallegaten) als aktiver politischer Handlungsträger im Reich war also, zumindest unter den gegebenen Bedingungen, durchaus reaktivierbar. Beauforts Erfolg gründete sich freilich nicht allein auf seine Wirkungskraft als Kardinallegat; er brachte zudem seine überragende ökonomische bzw. steuertechnische Kompetenz ins Geschehen ein. Neben den traditionellen Herrschaftsmitteln benutzte er also ein ungewohnt modernes Instrumentarium politischen Handelns. Wahrscheinlich bestand zwischen diesen Handlungsebenen sogar eine wechselseitige Relation: Das (zu) moderne Auftreten dürfte seine (zu) traditionelle Rolle im Reichsgeschehen gestärkt Königsherrschaft im spätmittelalterlichen deutschen Reich, Bremen 1984, bes. S. 150–151. Schwennicke, Andreas: Ohne Steuer kein Staat. Zur Entwicklung und politischen Funktion des Steuerrechts in den Territorien des Heiligen Römischen Reichs (1500–1800), Frankfurt 1996 sieht die zahlreichen Kompetenzkonflikte in der Praxis, für die der Umstand, dass die Steuern immer weniger von den Untertanen selbst, sondern in Form umlegbarer Matrikularbeiträge erhoben wurden, entscheidend gewesen sei. 158  Vgl. Wefers, Das politische System, S. 155–156. 159  Wefers, Die Wirkung des Hussitenproblems, S. 94–108; dies.: Sigismund und das Maß an Staatlichkeit, S. 17–24.



III. Weitere Machtrollen113

haben und andersherum dito. Der Papstbezug wirkte in diesem Sinne sozusagen als legitimierender Rückhalt für ansonsten schwer zu akzeptierendes Neues. Und das Neue reaktivierte alte Herrschaftsformen, sofern diese geeignet waren, in ungewohnten Kontexten Verfahrenssicherheit zu suggerieren. Letzten Endes freilich bahnte der traditionelle Handlungsrahmen, die alte Ordnung mithin, neuen Verfahren den Weg. Das konnte freilich nur in einem eng begrenztem Umfang zum Erfolg führen: Die Wirkungskraft des Alten war und blieb grundsätzlich größer als die des Neuen. Das komplexe politische System des Reiches veränderte sich nämlich bestenfalls in kleinen Schritten; „Entwicklungssprünge“ mussten sich diesem Adaptationsvermögen unterordnen, was in der Praxis bedeutete, dass sie weitgehend zurückgenommen wurden. Die Kurfürsten konnten die Zustimmung des Königs zu den Maßnahmen, die sie mit Hilfe des Papstes ergriffen hatten, beinahe erzwingen. Je besser nämlich die Problemlösung der Kräfte des Reiches ausgearbeitet war und je stärker diese vom Papst unterstützt bzw. nachgefragt wurde, desto selbstverständlicher musste die Lösung auch vom König legitimiert werden. Augenscheinlich ist, dass dieser Conditionalis eine der Wurzeln bildete, aus denen in historisch nicht allzu ferner Zukunft eine vom König unabhängige Legitimierung erwachsen würde. Es ist vielleicht eines der deutlichsten Merkmale des Mittelalters, dass dieser Stand noch nicht erreicht war. Immerhin zeigen diese Erkenntnisse, dass zumindest in Notlagen des Reiches von der Spitze Führungshandeln erwartet wurde. Ein starker Herrscher konnte dies nutzen, ein schwacher wurde in dieser Situation noch schwächer; seine nach wie vor konstitutive Legitimierung geeigneter Maßnahmen konnte beinahe vorausgesetzt werden, während die Macht von den Kurfürsten (mithilfe des Papstes) mobilisiert wurde. Die Rolle einer beinahe konstitutionell verstandenen Opposition, welche dem königlichen Handeln trotzte, fällt den Kurfürsten in der historischen Wahrnehmung insofern beinahe logisch zu, was jedoch in dieser Konsequenz nicht haltbar sein dürfte, hätte eine solche Funktion doch eine bereits ausgeprägte konstitutionelle Verfassungsrealität vorausgesetzt.160 Es ist indes zweifellos korrekt, dass sich mit zunehmender Staatswerdung die abstrakten Relationen zwischen dem Regenten und dem Regierten stärker konkretisierten und formalisierten: Was dem Interesse des Landes entsprach, konnte sukzessive auch unabhängig vom Herrscher definiert und wenn nötig auch legitimiert werden. Allerdings lässt sich diese Entwicklung in unserem Beobachtungszeitraum zwar als möglich, bei weitem jedoch noch nicht als entschieden bezeichnen. 160  Vgl.

für die Zeit Sigismunds beinahe exemplarisch die Arbeit von Dürschner.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

So war die Funktion des Papstes als Legitimierungsinstanz bei einem Fehlen des Herrschers offenbar nach wie vor konstitutiv und konnte sogar zu einer politischen Teilhabe der Kurie am politischen Geschehen führen. Zudem fehlte die „ständische Repräsentanz“ im Sinne einer gefestigten Struktur. Vielmehr deutet die Tatsache, dass wir die Rolle der Kurfürsten zumindest bis zum Ende des 15. Jahrhunderts noch als besondere Erscheinung wahrnehmen und (nicht nur, aber besonders) die Fürsten zumindest als einigermaßen in sich geschlossene Gruppe im Entscheidungsprozess zumindest bis zur Mitte des Jahrhunderts noch weitgehend fehlen, eher darauf hin, dass die Strukturen in Entscheidungsprozessen für das Reich noch sehr unscharf definiert waren. So war auch die Rolle der Kurfürsten als Mit-Repräsentanten des Reichsgedankens und als Mittler zwischen dem König und den vielfältigen anderen Kräften zwar etabliert, weniger jedoch ihr Zusammenhalt als eine homogene, in sich geschlossene Gruppe: Auch die Kurfürsten bildeten ein Beziehungsgeflecht, dessen Zusammenhalt sich situationsbezogen schwächer oder stärker darstellen konnte. Insofern erstaunt es wenig, wenn die Befürworter vergleichsweise moderner Oppositionstheorien erkennen müssen, dass die Kurfürsten selbst in Sigismunds schwächsten Zeiten ihre ungewöhnlich günstige Machtposition nicht vollständig ausnutzten. Immerhin boten sich die Kurfürsten den Zeitgenossen (und Historikern) unter den gegebenen Verhältnissen weitgehend konkurrenzlos als die Gruppe an, welche zwischen dynastischen, monarchischen, fürstlichen und städtischen Interessen vermittelte. Es war aber auch die Gruppe, welche einen „quasi-königlich“ handelnden Kardinallegaten als Entscheidungsträger gut akzeptieren konnte, wenn der König selbst diese Funktion nicht wahrnahm oder wahrnehmen konnte. b) König und Kurfürsten (1495) Wie verhielten sich die Kurfürsten, wenn der König seine Aufgabe persönlich so wahrnahm, wie es die Situation erforderte? Der Wormser Reichstag 1495 eignet sich besonders gut als Pendant zu 1427, zumal in Worms der König selbst anwesend war und mit dem Gemeinen Pfennig zudem ein weiterer signifikanter Schritt zu einer Reichssteuer erfolgte, die inhaltliche Diskussion sich also ähnelte. Während 1427 das Königsdefizit also vom Kardinallegaten in der Rolle eines „Quasi-Königs“ aufgefangen und mit den Kurfürsten zusammen als eine Art „Selbstorganisation des Reiches“ fast vollständig substituiert wurde, gilt der Tag von 1495 vielen nach wie vor als das genaue Gegenteil, als ein Meilenstein der Reichsreform nämlich,161 161  Angermeier, Reichsreform; Fischer, Mattias G.: Reichsreform und „Ewiger Landfrieden“. Über die Entwicklung des Fehderechts im 15. Jahrhundert bis zum



III. Weitere Machtrollen115

als ein Wendepunkt zur Neuzeit: „Gegen die Zusage militär. Hilfe willfahrte Kg. Maximilian nach zähem Ringen den Forderungen der Reichsstände nach Wiederherstellung von Frieden, Recht und Gericht durch Erlaß von vier ‚Reformgesetzen‘.“162 War die Gesamtkonstellation zwischen 1427 und 1495 systematisch gesehen wirklich eine so deutlich andere? Hatten Kardinallegat und Kurfürsten 1427 noch an einem Strang gezogen, weil diese beiden Mächte nicht in Opposition zueinander standen, während am Ende des Jahrhunderts Monarch und Stände um die Herrschaft rangen, um nicht weniger als eine grundsätzlich neue Verfassung des Reiches also? Es gilt im Folgenden zu hinterfragen, inwieweit es sich 1495 tatsächlich um einen ‚Reformreichstag‘ gehandelt hat.163 Die moderne Geschichtsschreibung war kaum zufriedenzustellen angesichts der im Spiegel ihrer Anforderungen doch recht inkonsequenten Ergebnisse des Tages. Auf dem Höhepunkt des Verfassungskampfes zwischen absoluten Fehdeverbot von 1495, Aalen 2007 (Untersuchungen zur deutschen Staatsund Rechtsgeschichte Neue Folge 35), (= Diss., Göttingen 2002); Heimpel, Hermann: Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts, Heidelberg 1974, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 1974, 1); Krieger, König. 162  Seibert, Hubertus: Worms, Reichstage und Synoden, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 9, München 1998, Spalte 334–335, Zitat: Spalte 335. 163  Quellengrundlage bilden die Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5,1 (Akten, Urkunden und Korrespondenzen) sowie Bd. 5,2 (Berichte und Instruktionen). Rezensionen: W. Reinhard, in: Historisches Jahrbuch103 (1983), S. 237–239; Friedrich Battenberg, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abteilung 99 / 100 (1982 / 1983), S. 385–388. Ergänzend J. F. Böhmer, Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., Bd. 1. Zu Maximilian und zu diesem Tag vgl. Spausta, Brigitte: König Maximilian I. Das Reich, Europa und die habsburgischen Erblande im Jahre 1495, Phil. Diss. Masch. Graz 1973; Wies­ flecker, Kaiser Maximilian I., Bde. 3 und 5; Wiesflecker, Hermann: Maximilian I., Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, München 1991; Göbel, Christina: Der Reichstag von Worms 1495: zwischen Wandel und Beharrung; eine verfassungsund institutionengeschichtliche Ortsbestimmung, Marburg 1996, Mikrofiche-Ausgabe (Edition Wissenschaft: Reihe Geschichte; 18); Angermeier, Heinz: Der Wormser Reichstag 1495 in der politischen Konzeption König Maximilians I., in: Das römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V., hg. von Heinrich Lutz unter Mitarb. von Elisabeth Müller-Luckner, Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 1, 1982; 1495 – Kaiser, Reich, Reformen. Der Reichstag zu Worms, Eine Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms zum 500-jährigen Jubiläum des Wormser Reichstages von 1495, hg. v. der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Koblenz 1995; Wefers, Sabine: Der Wormser Tag von 1495 und die ältere Staatswerdung, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit, Festschrift für Peter Moraw zum 65. Geburtstag, hg. von PaulJoachim Heinig, Sigrid Jahns, Hans-Joachim Schmidt, Rainer Christoph Schwinges und Sabine Wefers, Berlin 2000, S. 287–304.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

dem König und den Kurfürsten um die Macht im Reich scheiterten nämlich nach gängiger Auffassung vor allem der Mediävisten die Protagonisten des Geschehens, insbesondere der als Haupt der Opposition verstandene Berthold von Mainz letztlich daran, dass die „Entscheidung über Monarchie oder Ständestaat“ eben doch offenblieb.164 Zudem habe das Reich über diesen Auseinandersetzungen „eine nie wiederkehrende Gelegenheit verstreichen lassen, seine alten Rechte in Italien wiederherzustellen; wer solche Gelegenheiten versäumt, wird von der Geschichte überrollt; denn die Macht ist gewalttätig wie die Natur.“165 Nicht ganz so unzufrieden zeigte sich eine andere Historikergruppe, welche 1495 immerhin als Wendepunkt der Staatswerdung des Reiches verstanden wissen wollte. Es waren dies vorwiegend Neuhistoriker, welche sozusagen das Ende des Mittelalters an dieser Wegmarke festmachten: „Nie zuvor und nie danach wurde ein so dauerhaftes 164  Zitat: Angermeier, Der Wormser Reichstag 1495, hier: S. 231. An dieser Stelle soll eine Auswahl von Abhandlungen zur Reichsreform genannt werden, die das Spektrum der Meinungen wiedergibt: Angermeier, Die Reichsreform; Bader, Karl Siegfried: Kaiserliche und ständische Reformgedanken in der Reichsreform des endenden 15. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch 73 (1954), S. 74–94; Moraw, Fürstentum; ders., Organisation und Funktion von Verwaltung im ausgehenden Mittelalter (ca. 1350–1500), in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hg. v. Kurt G. A. Jeserich u. a., Stuttgart 1983, S. 21–65; ders., Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Berlin 1985; ders., Versuch über die Entstehung des Reichstags; Becker, Winfried: Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß, Münster 1973; Hartung, Fritz: Die Reichsreform von 1485–1495. Ihr Verlauf und ihr Wesen, in: Historische Vierteljahresschrift 16 (1913), S. 181–209; Isenmann, Eberhard: Integrations- und Konsolidierungsprobleme der Reichsordnung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, hg. von Ferdinand Seibt und Winfried Eberhard, Stuttgart 1987, S. 115–149; Lutz, Heinrich: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung. Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1490–1648, Berlin 1983 (= Propyläen Geschichte Deutschlands, 4); Schubert, Ernst: König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1979; Krieger, Karl-Friedrich, König. 165  Wiesflecker, Maximilian I.: Die Fundamente, Zitat S. 93. Ähnlich – wenn auch weniger ausdrucksstark formuliert – sieht dies Holleger, Manfred: Die Grundlinien der Außenpolitik Maximilians I. und der Wormser Reichstag von 1495, in: 1495 – Kaiser Reich Reformen. Der Reichstag zu Worms. Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms zum 500jährigen Jubiläum des Wormser Reichstags von 1495, Worms 1995, S. 39–47. Vgl. etwa sein Resümee: „Als die Verhandlungen dann zum Durchbruch kamen, … , waren die Gefahr, aber wohl auch die Chancen für König und Reich in Italien bereits vorbei. Obwohl von Maximilian, der die europäische, ja weltweite Vormachtstellung des Reiches im Auge hatte, ursprünglich so gedacht, hat die Außenpolitik also weder in die eine, noch in die andere Richtung dem Wormser Reichstag und der Reichsreform einen entscheidenden Anstoß zu geben vermocht.“ Zitat ebenda, S. 46.



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politisches System auf den Weg gebracht wie auf dem großen Reformreichstag zu Worms im Jahre 1495.“166 „Auf dem Wormser Reichstag 1495 brachten König Maximilian I. und die anwesenden Stände unter Führung des Reichserzkanzlers Berthold von Henneberg eine lange Konzentrationsund Intensivierungsbewegung zum vorläufigen Abschluß.“167 Ohne Zweifel ist der Wormser Reichstag also ein besonderer Tag gewesen. Dies fiel bereits den Zeitgenossen auf. So lässt sich dem Resümee des Wormser Bürgermeisters entnehmen, der Tag werde als „der grosse tag“ bezeichnet.168 Diese Einschätzung bezog sich freilich weniger auf die Inhalte des Tages als auf die Besucherzahl und die Verhandlungsdauer. „Historisch“ war der Tag, wie sich bei näherer Analyse zeigt,169 in einem engeren Sinne des Wortes, als es manchem Historiker recht sein mag: Die Beteiligten handelten, wie es ihre subjektive Wahrnehmung der politischen Lage erforderte, nämlich durchaus zeitgemäß und den Anforderungen entsprechend. Die Zeitgenossen erprobten die ihnen bekannten Mittel und führten diese im Verlauf des Tages zu einem gewissen Höhepunkt. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit ein „Verfassungskampf“ überhaupt in die Weltsicht der Zeitgenossen passte? Die Etikettierung als solche setzt nämlich legitimes Verfassungshandeln unabhängig vom König voraus und ist damit per se neuzeitlich geprägt. Kulturelle Selbstempfindung war im späten Mittelalter jedoch nach wie vor vergangenheitsbezogen; man identifizierte sich mit der überkommenen Ordnung, die es zu bewahren respektive wiederherzustellen galt.170 Rechtssicherheit bestand nur, wenn ge166  Burkhardt, Johannes: Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, München 2009, S. 10–11. 167  Schmidt, Georg: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München 1999, Zitat: S. 33. 168  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1851 (Wormser Berichte), S. 1681. Christina Göbel hat bereits in ihrer Magisterarbeit „Über politische Kultur und Organisation des Wormser Reichstags von 1495“, Gießen 1989, S. 161–178, die geographische Herkunft und soziale Zusammensetzung der Teilnehmer untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, dass etwa 1500 Personen den Wormser Tag (zu unterschiedlichen Zeiten und mit verschiedener Verweildauer) aufsuchten. 169  Vgl. die Gießener Dissertation von Christina Göbel: „Über den Wormser Reichstag von 1495“ (1992), erschienen als Mikrofiche-Ausgabe unter dem Titel: Der Reichstag von Worms 1495: zwischen Wandel und Beharrung; eine verfassungsund institutionengeschichtliche Ortsbestimmung, Marburg 1996. An dieser Stelle sei Frau Dr. Göbel herzlich gedankt, dass sie mir ihre Arbeit vorab überließ. Diese Großzügigkeit ersparte mir die chronologische Aufarbeitung des Handlungsverlaufs und vermittelte mir wertvolle Erkenntnisse aus der ‚innenpolitischen‘ Blickrichtung. 170  Selbst für die Stadtstaaten Norditaliens galt dies. Vgl. auch Rosenberg. Er listet Belege für den verwaltungs-, organisations- und finanztechnischen Stand der italienischen Stadtstaaten auf und meint dann: „The list reads so much like a catalogue of modern institutions that it is almost surprising to recall that the cultural

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D. Die Rollen der Handlungsträger

währleistet schien, dass die Grundlage politischen Handels dieser traditionsgebundenen Selbstbestimmung entsprach. Der König war der Garant dieser Ordnung. Dies hatte für einen Reichstag konkret zur Folge, dass alles, was der Herrscher aus prinzipiellen Erwägungen heraus nicht billigen konnte, wie zum Beispiel die sogenannte Regimentsordnung,171 in Worms schlicht nicht mehr verhandelt wurde und von der Tagesordnung verschwand.172 Auf die Frage, wie die Forderungen nach staatlichen Ordnungsstrukturen in Worms begründet wurden, wäre die Antwort denkbar, der allgemeine Reformwille im Reich hätte in den Verhandlungen seinen Ausdruck gefunden. Diese These setzt jedoch bei den Teilnehmern ein hohes Niveau abstrakter Verfassungsanliegen voraus, was bei einem Tag dieser Größenordnung und dieser anfangs doch relativ „schlichten“ Zielsetzung mehr als unwahrscheinlich ist: Eine Verfassungsdiskussion im akademischen Sinne wäre wahrscheinlich auf einen relativ kleinen Kreis (gelehrter) Berater beschränkt geblieben.173 Die Themen des Tages waren hingegen sehr konkret: die Bedrängnis des Reiches, insbesondere der Erblande durch die Türken sowie des Papstes und des italienischen Reichsguts durch Karl VIII. von Frankreich.174 self-definition of these polities was backward-looking: they identified themselves with the cities of Classical antiquity, …“ (dort S. 131). 171  Vgl. einen Bericht der niederbayerischen Räte an Hg. Georg vom 7. Juli 1495, in: Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1791, S. 1485: „Item die ornung, der kgl. Mt. von der versamung furgehalten, wil sein Mt. nicht verwilligen anderst, dann das die rete bey seiner Mt. sein sullen und mit vorbehaltung aller seiner Mt. obrigkaiten etc.“ 172  Die niederbayerischen Gesandten berichten, dass nach der Ablehnung durch Maximilian über die Ordnung nicht mehr gesprochen werde. Die Gesandten sind erleichtert, dass sie sich in dieser Angelegenheit von Anfang an unverbindlich verhalten hatten. Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 2, Nr. 1793, S. 1491. 173  An dieser Stelle sollten einige grundsätzliche Arbeiten zu Beratern genannt werden: Boockmann, Hartmut: Zur Mentalität spätmittelalterlicher gelehrter Räte, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 295–316; Höflechner, Walter: Die Gesandten der europäischen Mächte, vornehmlich des Kaisers und des Reiches 1490–1500, Wien 1972; Press, Volker: Führungsgruppen in der deutschen Gesellschaft im Übergang zur Neuzeit um 1500, in: Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit; eine Zwischenbilanz, hg. von Hanns Hubert Hofmann und Günther Franz, Boppard 1980, S. 29–77; Männl, Ingrid: Die gelehrten Juristen in den deutschen Territorien im späten Mittelalter (masch.schriftl. Diss.) Gießen 1987. 174  Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (Reichsstädtische Registratur), S. 1506–1507. Die erste Einladung zu einer „gemeinen versamlung“ Worms legte einen starken Akzent auf die Romzugsverpflichtung: Es sei Untertanenpflicht, in Worms zu erscheinen, und zwar voll gerüstet, um gleich im Anschluss an den Tag am Romzug teilnehmen zu können; der Tag selbst werde nicht länger als 14 Tage dauern. Vgl. ebenda, Bd. 5,1.1, Nr. 27 vom 24. November 1494.



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Hinzu kommt, dass sich zwar genügend Beispiele anführen ließen, bei denen der Mangel an Ruhe, Ordnung und Frieden allein Anlass zu Klagen an den jeweiligen Herrscher bot. Für sich genommen führten diese Beschwerden jedoch kaum jemals zu einschneidenden Maßnahmen. Das allgemeine Bedürfnis musste vielmehr mit aktuellem Bezug zu einem konkreten Verhandlungsgegenstand werden, um in politisches Handeln umgesetzt werden zu können. Eine solche Schwelle für den Übergang vom grundsätzlichen Begehren zu einem politischen Anliegen stellte die Aufgabe, geeignete Rahmenbedingungen für die Realisierung einer herrscherlichen Absicht zu schaffen, ohne Zweifel dar. Es ist bemerkenswert, am Ende des 15. Jahrhunderts aber nicht mehr unwahrscheinlich, dass in Worms ein denkbar modernes Argument diese Schwellenfunktion übernahm und die Diskussion bestimmte, das Geld nämlich.175 Die Finanzierung des kaiserlichen Anliegens stand schon deshalb im Vordergrund, weil die Anforderung gleich zu Beginn des Tages in zwei Anteile unterschieden wurde: eine „eylende hilf“, die als Sofortmaßnahme ausreichen und eine „werende hilf“, die als Maßnahme mit 10- oder 12-jähriger Gültigkeit angesetzt werden sollte.176 Während die „eylende hilf“ dem üblichen Muster königlicher Hilfsanforderungen entsprach und damit höchstens finanzielle, nicht aber fiskaltechnische Probleme bereitete, verlangte die „werende hilf“ allein schon durch die beträchtliche Zeitspanne, über die sie gewährt werden sollte, größere Organisationsanstrengungen. Die Anforderung lag deutlich außerhalb der geläufigen Dimensionen. Der König bot in diesem Zusammenhang von sich aus an, die Stabilisierung der Rechts- und Friedensverhältnisse im Reich mit den Verhandlungen über die Geldbeschaffung zu verbinden, damit „die vorgemelt werend hilf dest statlicher beleyben muge“.177 Dieses Angebot hatten königliche Räte 175  Literatur zur Finanzverwaltung des spätmittelalterlichen Reiches im Allgemeinen und zu den diesbezüglichen Beschlüssen dieses Tages vgl. Blickle, Peter: Gemeiner Pfennig und Obrigkeit 1495, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 63 (1976), S. 180–193; Isenmann, Eberhard: Reichsfinanzen und Reichssteuern im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 7 (1980), S. 1–76 und S. 129–218; Schmid, Der Gemeine Pfennig; Moraw, Peter: Der „Gemeine Pfennig“. Neue Steuern und die Einheit des Reiches im 15. und 16. Jahrhundert, in: Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, hg. von Uwe Schultz, München 1986, S. 130–142; Angermeier, Heinz: Gemeiner Pfennig, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1503– 1506. 176  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1510. 177  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1510.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

im Vorfeld des Tages178 ausgearbeitet und dem König nahegelegt: „Sein Mt. muge auch yetz in disem fall, darin ein yeder zu helfen schuldig und geneigt sein wirdet, darzu bringen, das ordnung furgenomen werden, damit hinfur ain yeder wissen mug, was im an anslegen und auflegungen, die durch das Hl. R. verwilligt werden, zu tund gebure, darzu es sunst mit grosser arbeit nymmer gebracht werden.“ Im gleichen Schritt mahnten die Räte Maximilian, sich „in disem grossen anligen und hendeln“ nicht „saumlich und kleinmuetig“ zu zeigen, denn dies könne dem König zum Schaden gereichen.179 Mit dieser Aufgabenstellung waren die Organisationskapazitäten der Versammlung also hart gefordert. c) Europäischer Rahmen Die während des Tages in Worms agierenden Vertreter der italienischen Stadtstaaten dürften die Tragweite des Geschehens unterschätzt haben, denn sie empfanden die Lage wohl weniger als eine elementare Krise, sondern betrachteten die Anforderungen eher als ein durchaus beherrschbares fiskalpolitisches Problem. Das war wenig verwunderlich, wenn man in Betracht zieht, dass die Gesandten italienischer Stadtstaaten ein deutlich höheres ökonomisches und fiskalisches Verhandlungs- und Verwaltungsniveau gewohnt waren, basierte die Existenz und Prosperität italienischer Handelsstädte doch ganz wesentlich auf wirtschaftlichem Denken und der Ausbildung von adäquaten Organisations-, Rechts- und Verteidigungsmitteln, was sich nicht zuletzt im Grad und in der Qualität der Ausprägung (stadt-) staatlicher Regierungsapparate und eines entsprechenden Wirtschafts- und Finanzssystems widerspiegelte.180 Das Kulturgefälle war in dieser Hinsicht beachtlich, standen die Handelsmetropolen Obertialiens doch an der Spitze der spätestens seit dem 13. Jahrhundert durch den exorbitanten Aufschwung des Handels mit dem Orient genährten bis dato kräftigsten Wachstumsperiode der europäischen Gesellschaften.181 In den norditalienischen Städten, aber auch in den Niederlanden, wurden bekanntlich unter anderem die Grundsteine des modernen Banken178  Die Datierung ist unklar, zwischen Dezember 1494 und März 1495, wahrscheinlich Anfang März 1495. Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.1., Nr. 28, S. 129–130, bes. Anmerkung 1, S. 130. 179  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1., Nr. 28, S. 131. 180  Vgl. Rosenberg, hier: S. 134–140. Vgl. auch Waley, Daniel: The Italian CityRepublics, 2. Aufl., London 1978, bes. S. 26–27. 181  Hammel-Kiesow, Rolf: Die Hanse, 4. aktualisierte Auflage, München 2008; vgl. auch Vilar, Pierre: Gold und Geld in der Geschichte, vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, München 1984.



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wesens gelegt, denkt man zum Beispiel an die Entstehung der Casa di San Giorgio in Genua (1407), welche anfangs vor allem Staatsanleihen vergab und sich durch eine vorbildliche Buchführung auszeichnete, oder auch an die Eröffnung einer ersten europäischen Börse in Brügge 1409 durch einen Kaufmann mit dem Beinamen van der Burse. Diese Entwicklungen markierten den Handlungsrahmen, in welchem sich auch die Wormser Verhandlungen abspielten. Die europäische Perspektive zeigte eine Tendenz zur Integration der europäischen Güter- und Kapitalmärkte, welche zu einem tiefgreifenden Strukturwandel mit dem Resultat einer Steigerung der (volkswirtschaftlichen) Effizienz führen sollte. Die Wirtschaftsregionen des Reichs mussten sich, da sie von diesen Prozessen nicht abgeschirmt werden konnten, in die Zeitläufte einordnen; Marktkenntnisse und ein breites gewerbliches Angebot verdrängten dabei ältere Wirtschaftsformen zusehens.182 In dieser Phase musste sich zur Wahrung gegenseitiger Interessen (und im Sinne gegenseitiger Obacht) eine ausgesprochen modern anmutende Diplomatie zwischen den (noch vorwiegend italienischen) Metropolen herausbilden, eine Entwicklung, welche im Reich mit einiger Skepsis beobachtet wurde.183 Und eine Entwicklung, welche das Reich vergleichsweise rückständig erscheinen ließ; denn so ausgefeilt funktionierte der Austausch (außer in einigen oberdeutschen Zentren) zwischen den Landschaften des Reichs nach wie vor nicht. Besonders den hohen politischen Handlungsträgern im Reich war ein Denken in diesen Kategorien freilich noch relativ fremd. Im konkreten Fall kam hinzu, dass der Anlass zum Krieg 1495 als räumlich und sachlich weit entfernt wahrgenommen wurde: Für die Mehrzahl der Entscheidungsträger lag das Kriegsgeschehen nämlich außerhalb der Sphäre eigener unmittelbarer Betroffenheit. Umso mehr wirkten sich gerade bei den Kurfürsten Gespräche mit auswärtigen Gesandten aus, welche den nach dem König bedeutendesten Handlungsträgern manches Mal sozusagen die Augen öffneten für den europäischen Rahmen ihres Wirkens. Ohne behaupten zu wollen, dass die Wirksamkeit von „Lobby-Tätigkeit“ ein Beweis für einen verfas182  Vgl. North, Michael: Deutsche Wirtschaftsgeschichte: ein Jahrtausend im Überblick, München 2005, besonders S. 102–111; ders.: Kleine Geschichte des Geldes; vgl. nach wie vor auch Kulischer, Josef: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, München / Berlin 1928 / 1929. 183  Vgl. unter anderem Mattingly, Garrett; Renaissance Diplomacy, 3. Aufl., Harmondsworth 1973, S. 65. Im Reich musste eine solche Professionalität freilich auffallen; die Gesandten entwickelten immerhin eine rege diplomatische Tätigkeit. Es ist sogar belegt, dass der König ihnen mit einem gewissen Vorbehalt begegnete, gerade weil sie ständig miteinander konferierten. Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2; Nr. 1881, Venezianische Berichte, besonders 8. Juli 1495, S. 1773.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

sungshistorischen Meilenstein sei, ist es doch bemerkenswert, dass die Aktivität von Diplomaten, welche in wohlverstandenem Eigeninteresse versuchten, auf die Politik in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen, gerade im Umfeld der Kurfürsten deutlich erkennbar wird: Neben den zahlreichen Hinweisen darauf, dass städtische Vertreter versuchten, ihre Anliegen den Kurfürsten näherzubringen, kennen wir einige Beispiele diplomatischer Einflussnahme auf die Gruppe der Kurfürsten oder auf Teile dieser Gruppe, die geistlichen etwa bzw. die rheinischen. Angeführt sei an dieser Stelle die Überzeugungsarbeit des Leonello Chieregati, welcher nach eigener Darstellung die Position der geistlichen Kurfürsten auf der Freiburger Reichsversammlung 1498 erfolgreich beeinflusste.184 Ganz ähnlich berichtete der mailändische Gesandte Erasmus Brascha: Er habe dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen erläutert, dass die Kurfürsten nicht mehr daran denken dürften, einen Römischen König zu wählen, sollte der französische König Herr über Mailand werden.185 Wenn die Kurfürsten ihre Rolle als Mit-Repräsentanten des Reichs oder als Mit-Handlungsträger im politischen Wirken nicht wahrnahmen, sei es in den Augen der europäischen Beobachter bzw. Interessensvertreter oder auch einzelner Gruppen aus dem Reich, dann wurde diese Rolle angemahnt. Das Reich war infolge seiner Ausdehnung und nach wie vor relativ geringen Konsistenz in gewisser Weise indolent hinsichtlich der Einordnung seines politischen Verhaltens in den europäischen Maßstab. Das Kurfürstenkollegium war zwar ebenso in sich heterogen; als Mit-Repräsentanten des Reichs waren die Kurfürsten jedoch eher zur Verantwortung für das Ganze zu gewinnen als andere Große. Bei Maximilian verhielt sich die Situation auch in dieser Hinsicht qualitativ anders als bei den anderen Machthabern im Reich: Der Habsburger würde ohnehin für längere Zeit an sehr verschiedenen Schauplätzen präsent und militärisch handlungsfähig sein müssen. Dabei ging es längst nicht mehr um Auseinandersetzungen mit regionalem Charakter, sondern um ­Koalitionsgeflechte und Machtfragen, die qualitativ die Möglichkeiten der einzelnen Teilnehmer – so unterschiedlich sie auch waren – überstiegen und in ihrer Summe tatsächlich nicht allein für den König und das Reich, sondern für alle beteiligten Mächte der Heiligen Liga (März 1495) insgesamt 184  Vgl. Regesta Imperii, XIV, hier Bd. 2,1, Nr. 6422. Vgl. zu Chieregati auch Fritsch, S. 227–237. Fritsch weist nach, dass Chieregati „auch selbst von der Italienpolitik und dem notwendigen Eingreifen Maximilians überzeugt war und nicht nur im Auftrag seiner Gesandtschaft gehandelt zu haben scheint.“ S. 232. Dies ist umso wahrscheinlicher, als er über die päpstliche Politik zeitweilig nur spärlich informiert war. 185  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 126.



III. Weitere Machtrollen123

relevant waren. Der Habsburger war zu einem der Protagonisten im europäi­ schen Mächtespiel geworden. Maximilian war doppelt betroffen: als König und als Dynast. Letzteres war Folge der jüngsten Heiratspolitik des Hauses, welche den Habsburgern die reichen, erblichen Ländereien von Burgund und die seit 1477 mit ihnen verbundenen Niederlande eingebracht hatte; die Vorbereitungen für die Doppelheirat Philipps und Margarethes mit den Kindern Ferdinands und Isabellas von Spanien wurden zur Zeit des Wormser Tages weitestgehend abgeschlossen.186 Die politische Bedeutung dieser Heiraten war zu diesem Zeitpunkt sicher noch nicht absehbar, zumal biologische Faktoren in diesem Fall eine kaum zu unterschätzende Rolle spielen sollten.187 Einige der Konsequenzen dieser Eheschließungen waren jedoch bereits erkennbar: Da die spanisch-französischen Beziehungen spätestens seit dem Beginn des Kampfes um die Rechte im Königreich Neapel schwer belastet waren, verstärkten die habsburgisch-spanischen Heiratspläne die Frontstellung der Habsburger gegen Frankreich, eine Gegnerschaft, die bereits im Zusammenhang mit der burgundischen Heirat deutlich geworden war und welche diese Dynastie in besonderem Maße in die europäische Politik ebenso einband wie in die inneritalienischen Auseinandersetzungen, in denen nicht zuletzt der Papst eine kaum zu unterschätzende Rolle spielte. Außerdem waren die Osmanen binnen weniger Generationen zu einer Großmacht im europäischen Raum aufgestiegen, was nicht allein als militärisches, sondern auch als politisches Problem gesehen wurde und behandelt werden musste. Die Osmanen wurden militärisch bekämpft, und wenn dies nicht opportun erschien, mit diplomatischen Mitteln ruhig gestellt. Dass der Konflikt mit einer Ausdehnung des Islam einherging, machte ihn nicht zuletzt zu einem grundsätzlichen Problem der abendländischen Christenheit. Als römischer König war Maximilian deshalb in besonderem Maße gefordert.188 Ob es allerdings nicht anachronistisch ist, wenn gerade Historiker in 186  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.1, Nr. 105. Die Verträge waren am 20. Januar 1495 abgeschlossen worden. Maximilian bestätigte sie am 29. April 1495. Am 25. August erfolgte die Eheschließung durch Prokuratoren; vgl. ebenda, Nr. 109. Johanna von Kastilien heiratete im Herbst 1496 Philipp ‚den Schönen‘ von Habsburg, der Thronerbe Johann von Kastilien und Aragon im März 1497 Margarete von Österreich. 187  Johann von Kastilien und Aragon verstarb im Oktober 1497, seine Schwester und Erbin Isabella bei der Geburt ihres Sohnes Miguel, bis zu seinem Tod im Juli 1500 der Erbe der drei Kronen. Der Thronfolgeanspruch ging sodann an Johanna von Kastilien und ihren Gatten Philipp von Habsburg über. Vgl. Ladero, Miguel Angel: Das Spanien der Katholischen Könige: Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien (1469–1516), Innsbruck 1992. 188  Vgl. Angermeier, Der Wormser Reichstag. Der Autor glaubt, dass Maximi­ lians Politik auf dem Wormser Reichstag das Konzept widerspiegle, mit Hilfe dynas-

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D. Die Rollen der Handlungsträger

diesem Kontext eine Gelegenheit sehen, die alten Rechte des Reichs in Italien wiederherzustellen oder gar über ein Eingreifen in diesen komplexen Konfliktherd eine hegemoniale Vormachtstellung des Reichs in Europa zu etablieren, mag angesichts der völlig neuartigen Dimension der Auseinandersetzungen dahingestellt bleiben.189 Sicher trat hier auch eine sehr alte Konstellation ein, das Zusammenwirken von Kaiser und Papst zur Verteidigung der Christenheit nämlich, allerdings in einem völlig neuen und machtpolitisch auffallend modernen Rahmen: Auf der einen Seite Maximilian, der seine königliche Herrschaft mit den Ansprüchen aus der spezifisch habsburgischen Situation einer aufstrebenden Dynastie mit europäischen Handlungsrahmen verknüpfte und dies mit der besonderen Verantwortung des weltlichen Beschützers der Christenheit zusammenführte. Auf der anderen Seite Alexander VI., welcher sich ebenfalls mit hohen dynastischen Ambitionen ausgestattet als ein in Bedrängnis geratener Herrscher des Kirchenstaats offenbarte und dies mit der ganz besonderen geistlichen Autorität des Papsttums als Haupt der Christenheit kombinierte. Insofern sah sich bereits Maximilian ansatzweise mit den Problemen konfrontiert, die infolge der territorialen Ausdehnung des Hauses Habsburg nach der Jahrhundertwende in voller Ausprägung auf dessen Vertreter zukommen sollten: Ein ständiger Ressourcenmangel kennzeichnete die Lage in Auseinandersetzungen, die ihrerseits durch die „militärische Revolution“ des frühmodernen Europas bestimmt wurden, also technisch, organisatorisch und finanziell aufwendiger waren als jemals zuvor.190 Maximilian konnte tischer Bindungen ganz Europa in den Kampf gegen die türkische Bedrohung einzuspannen. Maximilian habe auf diese Weise eine „habsburgische Universalmonarchie“ zustandebringen wollen, „welche die Kaiservorstellungen der mittelalterlichen Herrscher nicht nur übertroffen, sondern auch wesentlich verändert hätte.“ Angermeier, Heinz: Das alte Reich in der deutschen Geschichte. Studien über Kontinuitäten und Zensuren, München 1991, S. 236. Was immer der König geplant haben mag, als Konzept ist es nicht überliefert. In der Politik des Königs fand Angermeier gewisse Anhaltspunkte für seine These. Wir werden uns im Folgenden auf die Analyse der konkreten politischen Bedingungen auf dem Wormser Tag beschränken. Allerdings wird man sagen müssen, dass die Dichte der Anforderungen, die an den König herangetragen wurden, für die Gestaltung umfassender politischer Konzepte wenig Raum ließ. Maximilian erging es wie seinen Vorgängern: Er reagierte mehr als dass er Raum gehabt hätte, frei zu agieren. 189  Wiesflecker, Maximilian I. – die Fundamente; ähnlich Holleger. 190  Vgl. Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und Militärischer Konflikt von 1500 bis 2000. Frankfurt am Main 1989, bes. S. 83–103: Vgl. auch Rabe, Horst: Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991, S. 24–25. Rabe sieht im Kampf Karls VIII. von Valois um die Vorherrschaft in Italien eine „neue Epoche der europäischen



III. Weitere Machtrollen125

diese Entwicklungen und Zusammenhänge nicht vorhersehen. Allerdings war unverkennbar, dass sämtliche Partner und Gegner in den Auseinandersetzungen, über die in Worms verhandelt wurde, ihm in mancherlei Hinsicht einen Schritt voraus waren: sei es Burgund in bezug auf die Verwaltung, seien es die italienischen Stadtstaaten in Wirtschaftskraft und Diplomatie, sei es die französische Kriegs- und Wehrtechnik, die mit mächtigen bronzenen Geschützen 1494 die Italiener überraschte und ihre Kapitulation erzwang. Wenn es dem Habsburger auch gelang, einzelne Elemente dieser moderneren Umwelt aufzunehmen und im eigenen Interesse zu nutzen, die Koordination derart verschiedener Handlungskonstituenten stellte dennoch eine latente Überforderung dar.191 Ungleichzeitigkeit und Unterschiede in der Entwicklung waren charakteristisch für den europäischen Raum. Im Jahr 1495 trafen, wenn man es so ausdrücken darf, unterschiedliche Level der europäischen Entwicklung aufeinander. Auch wenn sich den Protagonisten des Geschehens in Worms die schwierige Lage, in der sie sich befanden, nicht vollständig erschließen konnte: Sie befanden sich in der Situation, unterschiedlich entwickelte Kräfte und deren Anforderungen koordinieren zu müssen. Das Reich – selbst ein Gemeinwesen von hoher Komplexität, in dem viele Entwicklungsstadien nebeneinander existierten und das als Gesamtgebilde entsprechend unhandlich war – musste seinen Part im europäischen Konzert spielen, auch wenn es auf diesen Auftritt nicht wirklich gut vorbereitet war.

Außenpolitik“, charakterisiert dadurch, dass die Staatsräson zum Maßstab der außenpolitischen Beziehungen wurde. Außerdem verdichtete sich, so Rabe, das „Gefüge der außenpolitischen Beziehungen Europas derart, daß alle bedeutenden Mächte des Kontinents – mehr oder minder unmittelbar – in jeden außenpolitischen Konflikt von einigem Gewicht hineingezogen wurden.“ Bei dieser These wird der differenzierten Entwicklung des europäischen Staatensystems m. E. zu wenig Gewicht beigemessen. Wir werden wohl von einer relativ langen und durchaus nicht gleichmäßig verlaufenden Entstehungsphase ausgehen müssen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Maximilians „universalistische Momente“ nicht anachronistisch (Rabe), sondern durchaus zeitgemäß waren. 191  Ganz anders sieht dies Wiesflecker. Der Autor betrachtet zum Beispiel das maximilianische Gesandtschaftswesen als Beleg dafür, dass mit wenig Geld und viel Idealismus an den Fundamenten des habsburgischen Weltreichs gebaut wurde; vgl. Wiesflecker, Maximilian I., S. 208–210. Betrachtet man die Vielzahl der Gesandtschaften (300 nach Wiesflecker) und die topographischen Schwerpunkte der maximilianischen Diplomatie, die Schweiz (nach Frankreich und in die Lombardei), Wien, den ungarischen Hof (Ostpolitik) und die Niederlande, dann kann man mit Wiesflecker der These zuneigen, dass der König ein abstraktes Regierungsnetz über die abendländische Welt spannte. Wahrscheinlicher ist allerdings nach unserer Einschätzung, dass Maximilian mit diesen Gesandten auf eine Vielzahl konkreter Anforderungen von außen reagierte.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

d) Innenpolitische Anliegen Bot sich in dieser Krise des Reichs den Kurfürsten eine (vermeintlich) lang ersehnte Gelegenheit, endlich die Reichsreform zu erzwingen? Gebührte dem „Anführer der reichsständischen Reformpartei“, Berthold von Henneberg, wirklich das Verdienst, die Reichsreform als „Gegenspieler“ Maximilians 1495 endlich durchsetzen zu können?192 Markieren die Reichstage ab 1486 wirklich einen relativen Einschnitt insofern, als nun der „Führer der Stände“ theoretisch fundiert daran ging, den Reichstag ins Zentrum des bereits bestehenden Wandelns der Reichsverfassung zu rücken?193 Kamen die Reformen der Jahre um 1500 wirklich „im erbitterten Ringen zwischen Maximilian und dem Führer der ständischen Oppositionsbewegung, dem Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg“, zu Stande?194 Oder muss man zumindest fragen, was „der Reichsreformer genau wollte, ob er als Ständeführer gegenüber dem Kaiser, als Anwalt des Kurfürstenkollegs oder seiner eigenen Stellung agierte, ob er um des Reiches oder des ungeschützten Mainz willen für den Frieden warb, ja ob er überhaupt ein Reichsreformer war.“195 Welche Absichten verfolgten die Teilnehmer des Wormser Tages eigentlich, als sie nach Worms reisten? An dieser Stelle kann selbstverständlich unmöglich die Vielfalt der Interessen aufgezeigt werden, welche die Besucher des Tages bewegen oder bewegen mochten. Dennoch lassen sich einige Interessenschwerpunkte aufzeigen, welche sich aus Instruktionen, Berichten oder Handlungen herleiten. Die Tatsache, dass der Wormser Tag der erste war, den Maximilian selbstständig einberief, legt die Vermutung nahe, dass ein Großteil der Anwesenden die Gelegenheit nutzen wollte, die Bestätigung der eigenen Privilegien und Rechte zu erlangen. Mancher erhoffte sich die Schlichtung von Streitigkeiten oder die Regelung sonstiger Angelegenheiten. Diesen Anliegen widmete sich der König traditionell auf Hoftagen; in Worms war dies nicht anders.196 Gerade auch für die Großen des Reiches war ein königlicher Tag 192  Kroeschell, Karl / Albrecht Cordes / Karin Nehlsen-von Stryk: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1250–1650, 9. Aufl., Köln / Weimar / Wien 2008, S. 266. 193  Seyboth, Reinhard: Die Reichstage der 1480Jahre, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter Moraw, Stuttgart 2002, S. 519–545, Zitat: S. 545. (= Vorträge und Forschungen, Bd. XLVIII). 194  Gotthard, Axel: Das Alte Reich 1495–1806, 4. Aufl., Darmstadt 2009, S. 32. 195  Burkhardt, hier: S. 12. 196  Die prominenten Belehnungen sind zum Teil in den Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1854–1858 beschrieben; vgl. bes. Nr. 1855. Eine Belehnungsliste findet sich in Bd. 5, 1.2, Nr. 599, Privilegierungen, Streitschlichtungen, Marktverleihungen und andere ‚Nebenhandlungen‘ (Angermeier) finden sich ebenda, Nr. 600–829.



III. Weitere Machtrollen127

das geeignete Forum zur Wahrnehmung persönlicher und dynastischer Interessen. Der Bearbeiter der Reichstagsakten führt in seiner Einleitung aus, das Material reflektiere ein „ganzes Konglomerat von Interessen und Bestrebungen, die in nachbarlichen, wirtschaftlichen, dynastischen oder militärischen Verhältnissen ihre Ursache haben, sich aber dann in der großen Reichspolitik miteinander durchdringen, vermischen oder paralysieren.“197 So handelte es sich bei den großen Belehnungsfragen „zugleich um Existenzfragen für die Territorialpolitik“.198 Folgt man den Interessensgebieten im Einzelnen, sind für das Haus Hohenzollern Verhandlungen wegen einer ungarischen Heiratsverbindung zu nennen, sodann die Interessen Markgraf Friedrichs von Ansbach als Erbe des Albrecht Achilles in Süddeutschland gegen die Wittelsbacher. Von diesen erwies sich Kurfürst Philipp von der Pfalz als Stütze Maximilians, weil er sich dessen Parteinahme gegen den Mainzer Erzbischof erhoffte und für seinen Sohn Ruprecht den Freisinger Bischofsstuhl erreichen wollte. Sodann wollte er die Anerkennung des Testaments Herzog Georgs von Niederbayern erwirken. Der Streit um dieses Testament bewegte auch die Herzöge von Nieder- und Oberbayern.199 Alle wittelsbachischen Parteien schließlich einte die Sorge wegen der Verlängerung des Schwäbischen Bundes. Genannt werden sollte auch die Erhebung des Grafen Eberhard des Älteren von Württemberg zum Herzog.200 Eine große Rolle spielte das Streben Herzog Renés II. von Lothringen, unter Wahrung seiner Sonderstellung im Reich belehnt zu werden. Einer der Streitpunkte, die auf dem Tag behandelt wurden, war die Geldernfrage: Hier standen sich die Ansprüche Maximilians als Erbe Karls des Kühnen und Herzog Karls von Egmont als Erbe der alten geldrischen Herzogslinie gegenüber. Strittig war auch die Belehnung Herzog Ludovico Moros von Mailand aus der Familie der Sforza.201 Der Deutsche Orden schließlich nutzte das Forum, um auf den Einbruch russischer Truppen in Livland im Herbst 1494 aufmerksam zu machen und Unterstützung zu verlangen. Nicht zuletzt sind kirchenpolitische Entschei197  Angermeier, in: Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.1, Einleitung, S. 34. 198  Vgl. die Zusammenstellung „Die inneren Angelegenheiten“ mit Hintergrundinformationen von Angermeier, in: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 5,1.1, S. 48–64, Zitat S. 58. 199  Angermeier, Heinz: Bayern und der Reichstag von 1495, in: Historische Zeitschrift 224 (1977), S. 580–614. 200  Vgl. Mertens, Dieter: Der Fürst, über die (Wieder-)Erhebung Württembergs zum Herzogtum. 201  Vgl. Angermeier, Heinz: Die Sforza und das Reich, Historisches Jahrbuch 101, 1981, S. 165–191, wiederabgedruckt in: ders.: Das alte Reich in der deutschen Geschichte, München 1991, S. 194–215, dort bes. S. 204–211.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

dungen zu nennen, die auf dem Tag herbeigeführt werden sollten. Gemeint sind neben den großen Fragen im Umfeld der Wiederbesetzung von vakant gewordenen Bistümern auch alle Streitigkeiten zwischen den Bischöfen und ihren Städten. Und es mussten zudem sämtliche Kurfürsten und alle anderen Großen des Reiches die Bestätigung ihrer Privilegien und Rechte auf diesem ersten Tag Maximilians anstreben.202 Auch für die „Kleineren“ des Reiches war der Tag im Hinblick auf Rechte, Freiheiten, Streitschlichtungen, Privilegienerhalt oder deren Bestätigung bedeutsam. Diese und ähnliche Punkte als „Nebenhandlungen“ zu qualifizieren, wie es in den Reichtsagsakten geschieht,203 mag naheliegen, wenn vor allem die großen Fragen des Tages interessieren. Ein solches Verfahren verführt jedoch leicht dazu, außer Acht zu lassen, dass ein beträchtlicher Anteil der Anwesenden die mit dem Tag verbundenen Kosten und Mühen ausschließlich deshalb investierte, um persönliche Anliegen zu erledigen. Für diese Gruppe stellte der Anlass des Tages, den Maximilian verkündet hatte, selbst keinen Kommensgrund dar; für die „kleineren“ Interessenten war das Wichtigste an einem königlichen Tag, dass er überhaupt stattfand. Diese Beobachtung sollte hervorgehoben werden, weil sie die Vorstellung relativiert, in Worms habe sich eine einigermaßen homogene Interessenvertretung des Reiches zusammengefunden, die recht gut vorbereitet in Reformverhandlungen hätte eintreten können. Dies entsprach sicher nicht der Realität. Es ist vielmehr anzunehmen, dass vielen Teilnehmern die Hauptthemen unklar geblieben sein dürften. Vielleicht haben sie die Verhandlungen gar nicht verfolgt, weil die „großen“ Fragen der Politik sie nicht unmittelbar betrafen. Schließlich verloren zeitweilig sogar diejenigen den Überblick, die das Geschehen mit großer Anteilnahme verfolgten, aber nicht zur Korona der Protagonisten gehörten. So schrieb der oberbayerische Gesandte am 30. Juli an Herzog Albrecht: „Dan gn. H. der handl halb, darumb die samung hie ist, stellen sich seltzam. Bas heint beschlossen, birt morgen geandert.“204 Die Städte beschlossen hinsichtlich ihrer Belange, unbedingt gemeinsam aufzutreten und mit großer Vorsicht zu agieren. Auf keinen Fall wollte man durch eine Verweigerung ungünstig auffallen. Dementsprechend wurden die Gesandten beauftragt, die Romhilfe abzuwenden, sofern dies „mit gnaden“ möglich sei. Sie sollten sich dabei auf den Rat des Mainzer Erzbischofs, 202  Vgl. 203  Vgl.

S. V.

Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.2., Nr. 599. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.2, Inhaltsverzeichnis,

204  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1777, S. 1443. Auch dieser Gesandte erwähnt die Verhandlungen übrigens nur als „Nebenhandlung“ in Bezug auf die spezielleren Anliegen des Herzogs.



III. Weitere Machtrollen129

Berthold von Henneberg,205 und anderer Fürsten stützen, herausfinden, „wes gemüts und willens sie in den dingen seyen“206 und ihr Vorgehen danach ausrichten. Falls die Frage, ob die Reichsstädte zum Romzug verpflichtet seien, im Vorfeld sicher zugunsten der Städte geklärt werden könne, sollten die Gesandten die Freiwilligkeit der Hilfeleistung betonen;207 ansonsten waren sie gehalten, diesen Punkt lieber nicht anzusprechen, sondern gleich zu erklären, dass die Städte „nach altem herkommen und yeder statt vermögen“ dem König zu dienen bereit seien.208 Besonders bei der Türkenfrage rechneten die Städte mit großen Unsicherheitsfaktoren und griffen auf Verhaltensmuster zurück, die von jeher das Risiko begrenzt hatten. Esslingen bemerkte bereits im Vorfeld diesbezüglicher Erörterungen, man solle sich auf keinen Fall auf Geldzahlungen einlassen.209 Die Zusage von Naturalleistungen entsprach dem Althergebrachten. Für den Adel war die persönliche Heeresfolge eine Frage des Selbstverständnisses.210 Die Städte schätzten die Stellung und Versorgung von eigenen Leuten als zuverlässigen Weg, das Ausmaß der Hilfeleistung im Auge zu behalten; besonders, wenn der Feldzug nicht wie geplant stattfinden oder einen unkontrollierten Verlauf nehmen sollte. Angesichts der Vielfalt von Interessen, welche die Teilnehmer des Tages zusammenführten, kann zumindest eines als relativ sicher gelten: Ein Reformreichstag war nicht geplant. Neben den aufgeführten Argumenten wird diese These zusätzlich dadurch gestützt, dass auch das vermeintliche „Haupt der Opposition“, Erzbischof Berthold von Henneberg, nicht als konzeptioneller Vorreiter auffiel.211 Es lassen sich zahlreiche Belege dafür anführen, dass der Erzbischof als Verhandlungsführer fungierte: Die Leitung der Reichshofkanzlei machte ihn verantwortlich für viele Dinge, die 205  Vgl. zu Berthold von Henneberg Göbel, Magisterarbeit, S. 190–197; Hartung, Fritz: Berthold von Henneberg, Kurfürst von Mainz, in: Historische Zeitschrift 103 (1909), S. 527–551; Schröcker, Alfred: Unio atque concordia. Reichspolitik Bertholds von Henneberg 1484–1504, Phil. Diss. Würzburg 1970; Schmid, Herzog ­Albrecht IV. von Bayern. 206  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.1, Nr. 82, S. 160. 207  Man werde sich beteiligen, aber „doch uf urkund, das solichs nit geschehe uß schuld, sonder zu gefallen der kgl. Mt.“, in: Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 87, Stellungnahme Esslingens, S. 164. 208  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 87, Zitat S. 164. 209  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 87. 210  Vgl. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 23–28 spricht im Zusammenhang mit Steuerzahlungen unter anderem von „standesethischen Hemmungen“. 211  Vgl. Göbel, Christina: Über politische Kultur und Organisation des Wormser Reichstags von 1495, Magisterarbeit Gießen 1989, S. 190–197. Vgl. auch Schmid, Herzog Albrecht IV. von Bayern. Schmid betont: „Berthold war weniger Theoretiker als vielmehr Praktiker …“ (S. 211).

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D. Die Rollen der Handlungsträger

mit dem Informationsfluss, der Protokollierung und mit der organisatorischen Leitung der Versammlung zu tun hatten. Er war Bindeglied zwischen der Versammlung und dem König und übte die Funktion eines Sprechers der Teilnehmer aus. Selbstverständlich war auch sein politischer Einfluss kaum zu unterschätzen: Ein Reformprogramm des Berthold von Henneberg für den Wormser Tag ist jedoch nicht nachweisbar; es ist allenfalls davon auszugehen, dass der Kurfürst versuchte, die Verantwortung für das Ganze zu stärken, was entsprechende Leistungen seiner Teile implizierte.212 Die Vielzahl persönlicher und dynastischer Gründe für die einzelnen Glieder des Reiches, am Wormser Tag teilzunehmen, nicht zuletzt auch die Vorbereitungen und Instruktionen der Gesandten selbst bestätigen, dass die These von einer Versammlung mit zielgerichteten Reformabsichten unwahrscheinlich ist. Statt dessen weisen die Quellen auf die Vorbereitung eines Tages hin, der mit den Kategorien mittelalterlicher Hoftage recht gut zu beschreiben ist: In der Einladung war im Wesentlichen von königlichen Feldzugsvorbereitungen die Rede. Die zu Hilfe Angesprochenen konnten sich dem Ansinnen nicht verweigern; ein solches Verhalten wäre auch als zutiefst illegitim empfunden worden. Verständlicherweise würden sie versuchen, die eigene Belastung so gering wie möglich zu halten. Überdies mussten sie die Gelegenheit wahrnehmen, persönliche oder dynastische Belange beim König oder bei Hofe anzubringen und möglichst günstig zu vertreten. e) Königliche Anliegen Der Beginn des Tages liegt also deutlich im Rahmen dessen, was Herrscher und Reich im späten Mittelalter von einem königlichen Tag erwarteten. Allein die Anforderungen von außen waren höher als üblich: Art und Weise sowie der Erfolg des Vordringens Karls VIII. hatten selbst die versierten Italiener erschreckt. Die Liga von Venedig band den König an Partner, deren Vorstellungen von einem angemessenen Beitrag das gewohnte Maß an Kriegsleistungen eindeutig überstiegen. Diese Fragen wurden als Angelegenheit empfunden, welche den Habsburger allein betraf: Immerhin war die Frontstellung zum französischen Königshaus über die Burgundfrage ein aktuelles Problem der Habsburger. Maximilian musste die Teilnehmer des Tages davon überzeugen, dass der Angriff des französischen Königs auf Italien das Reich unmittelbar betraf. Sodann musste er die Protagonisten des Reiches in die Bewältigung des Problems einbinden und ihren Beitrag längerfristig sichern. 212  Schmid,

Peter, Herzog Albrecht IV. von Bayern, besonders S. 213.



III. Weitere Machtrollen131

Damit befand sich der Tag zu Worms in dem Rahmen, welcher königlichen Tagen jener Zeit eigen war. Er unterschied sich lediglich in der Quantität der Anforderungen an das Reich von den vorhergehenden, was auch eine neue Qualität der Antworten verlangte, und in der Stellung Maximi­ lians, welcher nun endlich als König handeln konnte. Bemerkenswert ist die Präzision, mit der die Instruktionen für die Gesandtschaften ausgearbeitet wurden. Dabei fallen auch Defizite auf. So wird bei den Vorbereitungen des Schwäbischen Bundes deutlich, dass die Konkretisierung der Rechtsgrundlagen für die eigenen Verpflichtungen dem König gegenüber noch fehlte; man war nach wie vor auf die Meinungsäußerung besser Informierter angewiesen. Es bestand jedoch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer genauen Unterscheidung von Pflicht und freiwilliger Leistung. Hatte man sich in früheren Zeiten auf die pauschale Formel einer Leistung ohne Schaden für die eigenen Rechte eingelassen, differenzierte man nun so genau wie möglich. In den Handlungsanweisungen und -vollmachten für die Gesandten wurde entsprechend fein unterschieden zwischen als Routine empfundenen Angelegenheiten und Fragen, die mit Vorsicht zu betrachten waren: zu letzteren zählten die Hauptanliegen des Königs für den Wormser Tag, von denen man viel zu wenig wusste, um sich zu diesem Zeitpunkt bereits festzulegen. Maximilian selbst war ebenso besser vorbereitet, als dies von früheren Königen überliefert ist. Zu den meisten Tagesordnungspunkten hatte er im Vorfeld Rat eingeholt.213 Dabei war ihm deutlich gemacht worden, dass der Umfang des Finanzbedarfs für seine geplanten Feldzüge genaue Regelungen und stabile Rahmenbedingungen erfordere. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Maximilian selbst gleich zu Beginn des Tages die Verbindung zwischen der Ordnung im Reich und der Erhebung einer Abgabe herstellte und sich verhandlungsbereit zeigte.214 Relativ aussagekräftig war die Reaktion der Versammelten auf die Probleme, um die es eigentlich gehen sollte: Der König bemühte sich von der Eröffnungsrede an wiederholt, die Versammelten vom Ernst der Lage zu überzeugen.215 So erläuterte zum Beispiel Ende März der Gesandte des Königs 213  Vgl.

Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5, 1.1, Nr. 28. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1510. 215  Vgl. die Eröffnungsrede am 26. März, im Text wiedergegeben in der reichsstädtischen Registratur, in: Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797, S. 1506–1508. Am 30. März berichtet der Erzbischof von Mainz über die italienische Frage, vgl. ebenda, S. 1512. Am 11. April gibt Maximilian Bestimmungen der Hl. Liga bekannt, vgl. den Bericht des Erasmo Brascha an Hg. Ludovico Sforza, ebenda, Nr. 1894. Am 24. April schildern die königlichen Räte den versammelten Kurfürsten, Fürsten und Städteboten die Lage in Italien, vgl. ebenda, Nr. 1785 214  Vgl.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Ferdinand II. von Neapel dessen Anliegen, in die Liga aufgenommen zu werden. Der Mainzer Erzbischof ergänzte, dass die neapolitanische Gesandtschaft ihr Ansinnen auch dem König vorgetragen habe. Außerdem habe der Papst um 4.000 Mann gebeten, um Rom vor dem Franzosen zu schützen.216 Angesichts der Tatsache, dass Karl VIII. die Invasion vor allem mit seinen Ansprüchen auf Neapel begründete und im Januar / Februar 1495 bereits annähernd das gesamte Königreich besetzt hatte, handelte es sich bei dem neapolitanischen Hilfsbegehren tatsächlich um eine Existenzfrage.217 Das alles berührte die Vertreter des Reiches jedoch zunächst relativ wenig. Zumindest die städtischen Gesandten betrachteten die Angelegenheit aus großer Distanz und eher als ein „akademisches“ Problem: Beeindruckend fanden sie vor allem die Länge der Rede und das gute Latein des Gesandten aus Neapel.218 Da Maximilian erkennen musste, dass den Versammelten Themen wie eine dauerhafte Regelung von Gericht, Recht und Frieden sowie deren Handhabung wesentlich wichtiger waren als der geplante Zug, erhöhte er den Druck. Er ließ ausführen, selbstverständlich resultiere aus dem Vertrag der Heiligen Liga keinerlei Verpflichtung, einen „zug in welsche lant zu tun“. Allerdings bestehe dann eine Gefahr für die Sicherheit des Papstes; Alexander habe Maximilian „als oberisten voit der kirchen umb hilfe ersucht und angeruft“. Wenn König Karl von Frankreich in Italien weiter vordringe, werde sich der spanische König letztlich mit ihm einigen müssen. Danach würde Karl auch die Mailänder und Venedig unter seine Macht bringen, am Ende ganz Italien unterwerfen und „furter in Reich und T.N. sein getrechte setzen“.219 Die Angelegenheit wurde damit nach bewährtem Muster auf die Ebene einer Gefährdung für das Reich und die Christenheit gehoben; das Interesse des Habsburgers an der Angelegenheit trat in den Hintergrund. Maximilian setzte diese Akzentverschiebung gezielt ein: Er forderte sogar die anwesenden italienischen Gesandten auf, sich bei der Darstellung der Probleme auf die Lage des Papstes zu konzentrieren und dabei ruhig zu übertreiben.220 (niederbayr. Ges.), S. 1454–1455, Nr. 1756 (oberbayer. Ges.), S. 1403, Nr. 1797 (reichsstädt. Reg.), S. 1515. 216  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797, S. 1512. 217  Vgl. Ladero, S. 279–280. 218  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797, S. 1512. Der Gesandte habe sein Anliegen „mit einer langen, zierlichen rede in latin“ vorgetragen. 219  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1734, S. 1318–1319. Ein Bericht würzburgischer Gesandter über das Geschehen in Worms am 26. April 1495. 220  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1881 (venez. Ges., 3. Juni), S. 1744–1745 und S. 1750–1753. Leider liegen die Gesandtenberichte in den Reichstagsakten nur in Regestenform vor.



III. Weitere Machtrollen133

Eine Maßnahme zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Papst und Kaiser / König war nicht aufschiebbar; Hilfe abzulehnen wäre eindeutig illegitim gewesen. Dementsprechend erfolgte sehr bald eine – allerdings im Verhältnis zur päpstlichen Anforderung um ein Viertel reduzierte – Zusage von Seiten der Versammlung.221 Mit dieser Zusage hätten die Verhandlungen in Worms wesentlich an Kraft verlieren können, wäre nicht partiell eingetreten, wovor Maximilian gewarnt hatte: Mitte Mai gab Veit von Wolkenstein in Anwesenheit Maximilians bekannt, dass der König von Frankreich am 4. Mai in Rom eingezogen sei, nachdem er das Königreich Neapel und alle anderen Fürsten und Kommunen Italiens, soweit sie nicht in der Liga seien, besiegt habe. Von den Bündnispartnern sei bislang vor allem der Herzog von Mailand in Not, weil der Herzog von Orléans mit französischer Rückendeckung in sein Land eingefallen sei. Das Herzogtum sei „port und schlüssel“ zwischen Deutschland und Frankreich. Was ein Verlust Mailands bedeuten würde, sei deshalb leicht zu ermessen.222 Maximilian verlangte nun eine kurzfristige Zahlung binnen sechs Wochen zu Lasten der später auszuhandelnden dauerhaften Hilfe. Er betonte, es werde „nichtsmynder von den andern hendeln, nemlich ornung des Reichs, frides und rechten, auch furderlich daneben gehandlt werden“.223 Die Versammlung sagte die „eylende hilf“ zu, damit „sein kgl. Mt. nit gedenk, das man sein Gn. mit der hilf pfenden wöl oder das gesagt möcht werden, die stende des Reichs hetten etwas versümpt, daraus dem Reich unrat erwachsen möcht“.224 Diese Haltung entsprach dem Legitimitätsdenken des Reiches: Demnach konnte es nicht rechtens sein, den König unter Druck zu setzen. Diese Sicht der Lage schloss im Übrigen einen ‚Verfassungskampf  ‘ aus. Solange es keine abstraktere Legitimierung gab als die Zustimmung des Königs, konnte nur Recht bekommen, wer diesen überzeugte. Insofern mußten auch Reformen freiwillig vom König gewährt werden. Der zweite Teil der Aussage bezog sich auf den Schutz des Reiches, die wichtigste Aufgabe aller Beteiligten, die zu versäumen eine moralische Disqualifikation bedeutet hätte. 221  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1734 (würzburg. Gesandter, ohne Datum), S. 1320–1321; Nr. 1756 (oberbayerische Gesandte, ohne Datum), S. 1406; Nr. 1785 (niederbayerische Gesandte, 30. April), S. 1457–1458. 222  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1522. Vgl. auch ebenda, Nr. 1787 (niederbayer. Ges.), S. 1468–1469, Nr. 1760 (oberbayer. Ges.), S. 1417. 223  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1787 (niederbayer. Ges.), S. 1469; vgl. auch ebenda, Nr. 1760 (oberbayer. Ges.), S. 1418. 224  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1539.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

f) Neue Handlungsmuster Der Beschluss konnte jedoch vorläufig keine spürbaren Konsequenzen erzielen, denn die Eilende Hilfe war finanztechnisch durch den Gemeinen Pfennig gedeckt, von dem zu diesem Zeitpunkt niemand verbindlich sagen konnte, ob er jemals Realität würde. Diese Unsolidität wusste man einzuschätzen und war damit in der Praxis weit aufgeklärter, als es der gefasste Beschluss selbst nahelegen könnte. Der wirtschaftliche Hintergrund, vor dem dieser Tag sich abspielte, verstärkt diesen Eindruck. Das ausgehende 15. Jahrhundert war bekanntlich durch eine Welle technologischer Innovationen im Gewerbebereich gekennzeichnet,225 durch kapitalkräftiges und marktkundiges Unternehmertum sowie durch eine kräftige Expansion des Fernhandels mit Massengütern aus agrarischer und gewerblicher Produktion; „weltfremd“ waren die Beteiligten also sicher nicht. In einer Zeit des Übergangs zwischen Mittelalter und Neuzeit wurden relativ moderne Anforderungen in reichs­ politischen Fragen jedoch häufig mit mittelalterlichen Lösungsansätzen beantwortet, weil es zu den festgefügten Verhaltensmustern in bestimmten Entscheidungssituationen schlicht (noch) keine Alternative gab. Schon aus finanztechnischen Gründen war der Spielraum des Königs hinsichtlich des Für und Widers einer Behandlung der Reichsanliegen also gering. Seine ursprüngliche Haltung, den Rahmen für eine Absicherung der Finanzierung mit seinem Hilfsanliegen zu verbinden, musste er weiterverfolgen, wollte er am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Für seine Verhandlungspartner aus dem Reich galt ähnliches, sollte der Beschluss einer Eilenden Hilfe nicht zur Farce werden. Und der Darlehenscharakter der kleinen Hilfe wiederum setzte eine Regelung der großen Hilfe voraus. Letztere würde das Reich auf Jahre hinaus zu regelmäßigen Zahlungen verpflichten, die nur auf der Basis von Recht und Ordnung im Lande gesichert waren. Außerdem musste bedacht werden, dass eine langfristige Finanzierung der königlichen Kriegsvorhaben die Notwendigkeit engerer Konsultationen wahrscheinlich längerfristig erübrigen würde; was man also vom König wollte, musste man jetzt zu erreichen suchen. Dementsprechend drängten die Sprecher der Versammlung Maximilian, sich den Reformanliegen zuzuwenden: „On das mocht man seiner Mt. weder helfen noch raten.“226 225  Man denke an das in Nürnberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelte Saigerverfahren zum besseren Ausschmelzen von Silber aus Kupfererzen, an die Ablösung der alten offenen Rennfeuer durch Stücköfen für die Verhüttung des Eisenerzes bereits seit dem Ende des 14. Jahrhunderts, an das Flügelspinnrad, welches seit 1480 eingeführt wurde und nicht zuletzt an die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schnelle Verbreitung fand. Vgl. auch die zusammenfassende Darstellung zu Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland um 1500 bei Rabe, S. 41–67.



III. Weitere Machtrollen135

Man verhandelte also weiter. Ende Juni gab Maximilian seine Meinung zur vorgeschlagenen Regiments- und Kammergerichtsordnung, zum Landfrieden und zum Gemeinen Pfennig bekannt.227 Damit „die zeit und costung nicht umbsonst hie verzert und die berurten sachen zu ende bracht wurden“ beschloss man die Bildung eines Auschusses,228 der bereits Anfang Juli vorstellte, was an den Entwürfen geändert werden müsse, damit Maximilian sie akzeptieren könne.229 Die Verhandlungen über die „Ordnung des Reiches“ wurden bei dieser Gelegenheit fallengelassen, weil der König die vorgeschlagenen Regelungen nicht billigte; Maximilian befürchtete, dass man ihm „an regiment und kgl. oberkeit zu grawe understee zu greifen.“230 Mitte Juli lagen der Entwurf einer „Handhabung Friedens und Rechts“231 und eine überarbeitete Fassung des Gemeinen Pfennigs232 vor. In den darauffolgenden Tagen wurden die Entwürfe diskutiert und modifiziert. Am 26. Juli konnte dem König schließlich eine Landfriedensordnung,233 eine Kammergerichtsordnung,234 die Handhabung Friedens und Rechts235 sowie die Ordnung des Gemeinen Pfennigs236 vorgelegt werden, die „den 226

226  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2., Nr. 1747, (anonymer Bericht), S. 1383. 227  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1., Nr. 333, Nr. 337, Nr. 348, Nr. 448. Der König hatte hinsichtlich der Regimentsordnung Sorge, ob der „ksl. und kgl. obrickait nicht zu nahen gegriffen wird.“ Reichstagsakten, Bd. 5,2, Nr. 1733, S. 1313. 228  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1791 (niederbayer. Ges.), S. 1485. Zur Modernität dieses Vorgehens vgl. Göbel, Über politische Kultur, S. 249–258. Im Ausschuß vertreten waren neben den Kurfürsten von Seiten der geistlichen Fürsten die Bischöfe von Eichstätt und Chur und der Dompropst von Bamberg; die weltlichen Fürsten wurden durch Hg. Albrecht von Sachsen, den oberbayerischen Rat Wolfgang von Aheim und Graf Haug von Werdenberg vertreten. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 5,2, Nr. 1791 (niederbayer. Ges.), S. 1485. 229  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1791 (nierderbayer. Ges.), S. 1485–1486. 230  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1791 (niederbayer. Ges.), S. 1485. Zitat: ebenda, Nr. 1854 (anonymer Bericht), S. 1688. Die niederbayerischen Räte waren nun stolz darauf, dass sie sich hinsichtlich dieser Ordnung öffentlich immer zurückhaltend geäußert hatten. Vgl. Reichstagsakten, Bd. 5,2, Nr. 1793, S. 1491. 231  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 356, I, S. 449–465. 232  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 448, III, S. 540– 558. 233  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 334, II, S. 359– 373. 234  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 342, Chronologie vgl. Kopfregest, S. 379. 235  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 356, III, S. 447–465. 236  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 448, V., S. 540–562.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

stenden der versambnung dis kgl. tags eroffnet, fürgehalten und ainhelliklich beschlossen wäre“.237 g) Alte Handlungsmuster Die Einschätzung des Erreichten im Kreise der „sendboten der stende“ war in der Summe positiv. Zwar seien durch die neuen Regelungen „merklige beswerunge“ zu erwarten, aber wenn alles so durchgeführt werde wie geplant, dann werde es „ouch merklige frucht dem ganzen Röm. Ryche geberen.“238 Allerdings, so die Kölner Gesandten an ihre Stadt, mache sich Besorgnis breit, daß „dese dynge yren furgank nyet gewynnen, ind off sy denselven wal gewunnen, doch so vestlich nyet geholden seulden werden.“239 Nach dem, was man von den Ergebnissen königlicher Tage gewohnt war, dürfte diese Skepsis nicht unbegründet gewesen sein. Interessant ist die realistische Einschätzung der Strukturschwäche des Reiches durch die Betroffenen. Betrachtet man die Beschlüsse als Meilensteine auf dem Weg zur Reichsreform, dann wird man hier einen Erfolg erkennen. Allerdings gilt auch in diesem Fall die allgemeine Beobachtung, dass komplexe Systeme sich durch Entwicklungssprünge nicht synchronisieren lassen, sondern dass sprunghafte Entwicklungen zwar zu einer Bewegung im System führen, deren Wirkungskraft jedoch durch die gegebenen Rahmenbedingungen relativiert wird. So finden sich zeitgleich zur Modernisierung auch Beispiele für ein entschieden konservatives Verhalten. Neben der sogenannten Reichsreform gab es eine signifikante, recht bunte Mischung von Anliegen an den Herrscher,240 welche von Maximilian – hier spiegelt sich erneut die ausgesprochen ausgeprägte Fähigkeit der Zeitgenossen zur differenzierten Anwendung „alter“ und „neuer“ Herrschaftsmittel – je nach Qualität der Anfrage angemessenen beantwortet wurden. So nahm der Herrscher zwar alle Wünsche gnädig entgegen, positionierte sich jedoch nur zu den politisch prekären Fragen konkret: Sein Hof sei mit „dapfern, geschickten personen“ bestellt. Gegen den besonders harten Vorwurf, er verteidige Reichsrechte nicht genügend und lasse Entfremdungsvorgänge zu, verteidigte sich Maximilian energisch mit dem Hinweis, er 237  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1573. 238  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1843, (Ges. Kölns), S. 1664–1665. 239  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1845, S. 1668. 240  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1573–1574.



III. Weitere Machtrollen137

habe Hochburgund und die Picardie wieder an das Haus Burgund gebracht. Außerdem gehörten große Ländereien, die König Matthias von Ungarn seinem Vater entwendet habe, wieder zum Reich und dem Hause Österreich. Er werde dafür, dass dem Reich nichts entzogen werde, mit allem eintreten, was Gott ihm verliehen habe, auch mit Leib und Vermögen.241 Allgemeine Äußerungen zu strukturellen und sozialen Mängeln im Reich beantwortete Maximilian deutlich konservativer: Er erließ „briefe“, in denen er zum Beispiel die westfälischen oder heimlichen Gerichte im Sinne früherer Regelungen, zuletzt der „reformacion, ordnung und constitucion“ Kaiser Friedrichs III., zur Ordnung rief.242 Analog reagierte er auf die Zunahme von Gotteslästerung; diese Sünde verdammte Maximilian am 7. August ebenfalls in einem „brief“ unter Hinweis auf eine Beratung mit den versammelten Ständen.243 Auch zur Goldmünze ist ein Entwurf der Kurfürsten überliefert.244 Bei Strukturproblemen des Reiches konnte der König nach wie vor nichts anderes tun, als gerechtes und korrektes Verhalten per Mandat festzusetzen und anzumahnen. Dies war nach mittelalterlichem Verständnis konstitutiv für die Ordnung des Reiches; die praktische Durchsetzung blieb davon zunächst relativ unberührt, weil die Strukturen für eine Realisation dieser Ansprüche nur sehr unvollständig entwickelt waren. Der König wurde also von den gleichen Personen, deren politische Aufgeklärtheit sie an der Realisierung der Reformentwürfe zweifeln ließ, weiterhin als Ansprechpartner für alles Üble im Reich angesehen, auch in Fällen, bei denen erfahrungsgemäß unmittelbare politische Konsequenzen nicht zu erwarten waren. Warum also formulierten die Betreffenden diese Bedürfnisse überhaupt? Und wie verhielt sich diese vermeintliche politische Naivität zu den relativ weitgehenden Reformentwürfen des Tages? An dieser Stelle zeigt sich im Verhalten der Zeitgenossen erneut die Zeitenschwelle: Das oben beschriebene „aufgeklärte“ Verständnis hinsichtlich der Wormser Beschlüsse (und ihrer Durchsetzungschancen) konkurrierte gleichsam mit dem mittelalterlichen kulturellen Selbstverständnis. Während die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen sich im Zuge der alltäglichen Notwendigkeiten rapide wandelten, blieben das Empfinden und die kulturelle Selbstwahrnehmung noch lange auf die Vergangenheit bezogen. Entsprechend war auch das Reformverständnis nicht innovativ, sondern restaurativ: Die „alte“, also gottgewollte Ordnung, den ursprünglichen Frie241  Reichstagsakten unter gistratur), S. 1575–1576. 242  Reichstagsakten unter 243  Reichstagsakten unter 244  Reichstagsakten unter

Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. ReMaximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 457. Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 458. Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 464.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

dens- und Rechtszustand, galt es wiederherzustellen. Unter diese Prämisse konnte man eine Vielzahl von Fragen jedweder Qualität subsumieren, ohne dass die Heterogenität dieser Bündelung sämtlicher Mängel der Reichsverfassung störend auffiel. Die qualitativen Unterschiede offenbarten sich erst bei den zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen. In einer Notlage des Reiches mussten die Zeitgenossen Entscheidungen fällen, welche die Grenzen des Geübten überschritten. Dies galt für praktische Sachverhalte ohne nennenswerten Hintergrund, aber natürlich auch für Fragen, die für die Verfassungsentwicklung relevant waren. So wehrten sich die Städte beispielsweise in der Frage der Erhebung des Gemeinen Pfennigs erfolgreich dagegen, dass geistlichen Instanzen auf dem Wege über die Erhebung und Rechnungslegung Einblick in die städtischen Finanzen gewährt würde.245 Die Interessenslage war altbekannt, die Rahmenbedingungen hingegen waren neu. Sachverstand und Erfahrung waren gefordert. Die Angesprochenen mussten sich unter den neuen Bedingungen im Sinne der eigenen Partei „richtig“ verhalten. Unter diesen Voraussetzungen war die Entwicklung neuer Denkansätze möglich oder – wie hier – die Verteidigung und Festigung von Rechtspositionen, was allerdings an sich schon ein in die Zukunft weisender Schritt war, in Richtung einer Konsolidierung der Reichsverfassung nämlich. Anders verhielt es sich in Fragen, bei denen dieser Modernisierungsdruck fehlte, die unkonkretisiert, damit auch unpolitisch blieben. Hier zog man sich auf bewährte Verhaltensmuster zurück und appellierte an den König im Vertrauen darauf, er werde es schon richten. Das Verständnis von der Macht des Königs war nach wie vor universal. Die Inanspruchnahme für alle Probleme entsprach der königlichen Funktion, Quelle von Recht und Ordnung zu sein. Die Ausweitung des Anliegen-Katalogs war für die Zeitgenossen insofern unproblematisch. Selbstverständlich zeugt dieses Verhalten von einem gewissermaßen politisch „naiven“ Verständnis bezogen auf alle Fragen, die zum gegebenen Zeitpunkt konkretes Handeln nicht erforderten oder nicht gelöst werden konnten. Dieser Glaube an die Wirkungskraft der königlichen Majestät entsprach jedoch mittelalterlichem Verfassungsdenken. Die Fähigkeit zur Erarbeitung von Lösungsansätzen für aktuelle Fragen blieb – wie gesagt – davon unberührt; sie hing vor allem ab von konkreten Sachzwängen und der Kompetenz der Beteiligten. Die Handlungsvorschläge und ihre Umsetzung spiegeln demnach die Anpassungsfähigkeit des Reiches 245  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1844, S. 1666. Die Stadt Köln an ihre Gesandten: „Desglichen were uns ommers in gheinen wech zu dulden.“ Die Gesandten konnten die Stadt beruhigen (vgl. ebenda, Nr. 1845), nachdem in dieser Hinsicht eine eindeutige Entscheidung gefallen war, vgl. ebenda, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1569.



III. Weitere Machtrollen139

an sich verändernde Bedingungen wider und die strukturellen Voraussetzungen, unter denen diese Prozesse stattfanden. Die kulturelle Identifikation der Beteiligten wirkte sich auf die Entscheidungsfindung aus, allerdings weniger im Moment des akuten Handlungsdrucks als vorher – bei der Erkenntnis und Definition der Problemstellung – und nachher – bei der Akzeptanz bzw. Adaptation des Neuen. Nimmt man diese objektiven und subjektiven Faktoren zusammen, ergibt sich der Entwicklungsstand der Reichsverfassung. Diese Beobachtung reiht sich ein in eine Vielzahl von Hinweisen auf den mittelalterlichen Charakter der Versammlung.246 Der so genannte Reformreichstag ist also anders zu verstehen, als es die Wirkungskraft seiner Ergebnisse auf die Zukunft der Reichsentwicklung rückblickend nahelegt. Die Wormser Tagbesucher standen auf die Schwelle zwischen zwei Zeitaltern: Sie dachten mittelalterlich und handelten neuzeitlich, sofern es die Situation erforderte. h) Konsolidierung des Reichs Die Wormser Verhandlungen 1495 erreichten durch die fiskalpolitische Verankerung der Beschlüsse einen gewissen Höhepunkt, der auch die Vorarbeiten der Jahre zuvor, die Diskussionen nämlich um sowohl auskömmliche als auch gerechte Steuerkonzepte und damit das Ausloten verschiedener Möglichkeiten, verwaltungspolitische Wege der Reichsorganisation zu finden, tatsächlich als planvolles Handeln oder besser als politische Leitidee erscheinen lassen, welche vor allem von Berthold von Mainz als sinnvoll erkannt worden war und welche er deshalb konsequent verfolgte: die Konsolidierung von Herrschaftshandeln.247 Die Erfolgsaussichten der monarchischen Forderungen (z. B. auf die Gewährung einer Reichshilfe) wurden durch eine Verbesserung der Herrschaftsstrukturen bzw. durch eine Teilhabe an der Macht gefördert (neben den Kurfürsten gab es selbst an konkurrierende Dynastien Angebote zur Teilhabe an der Macht). Das monarchische Prinzip bildete dabei die gesicherte, d. h. auch legitime Grundlage für die Ausbildung staatlichen Verwaltungshandelns. Der König und die (nur) ihm eigene legitimierende Macht 246  Vgl. auch die Bedeutung, die dem ‚typisch mittelalterlichen‘ Zeremoniell und Hofleben beigemessen wurde. Vgl. dazu Göbel, Der Reichstag von Worms, Teil I.2. Die Zurückdrängung des Höfischen durch die Politik. 247  Vgl. zum Beispiel den Versuch, Kaiser Friedrich 1486 auf die Wechselbeziehung einer Hilfszusage und der Herstellung von Ruhe und Ordnung im Reich hinzuweisen. Tatsächlich kam es schon 1486 zum Entwurf eines kaiserlichen Kammergerichts, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 329; zum Landfrieden vgl. Nr. 335 (Fassung vom 17.03.1486). Vgl. auch den Entwurf Maximilians zu einer allgemeinen Ordnung, Nr. 332 vom 16. März 1486.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

mussten möglichst stark eingebunden werden, was freilich implicite auch eine Verringerung des königlichen Entscheidungsfreiraums, mithin eine Selbstbindung des Herrschers bedeutete. Einen Schritt weiterzugehen und in diesem Kontext anti-monarchische oder ständische Bestrebungen anzunehmen, sind in diesem frühen Stadium logisch jedoch kaum herzuleiten: Erst bei einer einigermaßen konsolidierten Regierung nämlich kann eine durch ihre Rolle im System legitimierte Gruppe gegen eine andere „opponieren“ und dadurch im hierarchischen Aufbau eine neue Stufe mit einem definierten Mitspracherecht erklimmen. Im Mittelalter finden wir dies bei den Auseinandersetzungen an der Spitze städtischer Herrschaftsgruppen und (etwas später) auch in Territorien, bei den sogenannten Landständen. Im Reichszusammenhang galt es hingegen ganz konkret, angesichts des stark wachsenden Finanzbedarfs infolge der akuten Bedrohungsszenarien im Osten und im Westen die vorhandenen Strukturen zu optimieren, zu stärken und weiter auszubauen. Dabei institutionalisierende Tendenzen zu erkennen, ist sicher berechtigt. Ein theoretisches Konzept lag dieser Entwicklung jedoch wohl kaum zugrunde, eher ein politisch motiviertes Bedürfnis nach einer Behebung erkennbarer Herrschaftsdefizite. Die Konsolidierung von Regierungshandeln war schlicht nötig, um den dynastischen Erfolg der Habsburger zu verkraften; dieser Erfolg hatte schließlich ein riesiges Herrschaftsimperium erzeugt, welches ordentlich verwaltet werden musste. Albrecht Achilles äußerte 1485, dass „der Churfursten sach ein halbes ding außerhalb der eynung“248 sei. Hätte Berthold von Mainz diese Äußerung getan, wäre sie zweifelsfrei in den Kontext der Herausbildung eines Herrschaftsdualismus zwischen Kaiser und Reichsständen gestellt worden. Der „Schulmeister Berthold“249 erscheint manchem Historiker immerhin eindeutig klassifiziert, als Führer des Widerstands gegen Maximilian, der „seine Mittel des Verfassungskampfes“ bedenkenlos ausspielte.250 Sein Ziel sei gewesen, eine „grundlegende Neugestaltung der Reichsspitze im Sinne einer Minimierung des monarchischen und einer Maximierung des reichsständischen Einflusses herbeizuführen.“251 Albrecht Achilles hingegen, ein treuer Anhänger des Hauses Habsburg, gilt den Historikern stets als Freund der Monarchie: Er sah vermeintlich nicht das reichsständische Potential gegen den König, sondern verstand „das nach Wolf, Susanne, S. 38. Kaiser Maximilian I., Bd, II, S. 209. 250  So rhetorisch besonders zugespitzt bei Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., Bd. II, S. 214. 251  Schmid, Herzog Albrecht IV. von Bayern, Zitat: S. 213. 248  Zitiert

249  Wiesflecker,



III. Weitere Machtrollen141

Kurfürstenkollegium als Stütze des Monarchen“.252 Wie kommt es zu diesem beinahe als exemplarisch zu bezeichnenden Gegenüber zweier Protagonisten in der Perspektive der Historiker? Spielt es eine erkennbare Rolle, dass Berthold von Henneberg selbst zu der sich neu herausbildenden professionellen Politikergruppe gehörte, welche schon aus einem verständlichen Eigeninteresse heraus an einer Stärkung der Reichsstände interessiert sein musste? Die Biographie des Mainzer Erzbischofs deutet zumindest darauf hin, dass sein Bezug zu den fürstlichen Eliten des Reichs gering war. Professio­ nalität dürfte damit für seine Karriere in höherem Maße förderlich gewesen sein als dies bei Kandidaten aus etablierten Dynastien notwendig gewesen wäre. Graf Georg I. von Henneberg-Römhild hatte Johannetta von NassauWeilburg-Saarbrücken geheiratet. Durch diese Ehe entstanden personelle Beziehungen zu den Grafenfamilien am Mittelrhein, die es dem jüngsten Sohn Berthold ermöglichten, zum Domherrn, Domdekan und schließlich Erzbischof von Mainz (reg. 1484–1504) aufzusteigen. Er absolvierte Dompfründe in Straßburg, Köln und Bamberg, bevor er im Jahre 1455 theologische und juristische Studien in Erfurt und Padua aufnahm. Als Protegé des Erzbischofs Adolf II. von Nassau-Wiesbaden-Idstein erhielt er ab 1464 eine Sacerdotalpfründe in Mainz, zunächst als Domizellar, dann ab 1472 im Mainzer Domkapitel; als Nachfolger von Richard von Stein wurde er schließlich Domdekan. Nach der Mainzer Stiftsfehde (1459–1463) war sein Hauptgegner der Pfalzgraf. Diether von Isenburg-Büdingen zwang ihn zeitweilig zur Flucht aus dem Erzbistum, wohin er unter der Administration durch Herzog Albrecht III. von Sachsen (1482–84) wieder zurückkehrte und 1484 schließlich zum Erzbischof gewählt wurde. Unterdessen war er häufig für Kaiser Friedrich III. diplomatisch tätig.253 War der Mainzer Erzbischof vor diesem Hintergrund tatsächlich der Protagonist einer Bewegung, welche „die antimonarchische Etablierung des Reichstags“ betrieb, und schon wegen seiner Herkunft, aus sozialen Gründen mithin, ihren Willen zu einer „quasi gleichberechtigten Vergemeinschaftung von Kaiser und Reich“ in einer „Einung gegen fremde Zungen“ (Nürnberg 1487) dokumentierte, welche dem Kaiser in ihrer ursprünglichen Version wohl nie vorgelegt wurde?254 Oder handelte es sich bei Berthold 252  Wolf,

Susanne, S. 38. Gerlich, Alois: Berthold von Henneberg, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Spalte 2029–2031. Vgl. auch Göbel, Über politische Kultur, S. 190–197; Hartung, Berthold von Henneberg; Schröcker; Schmid. 254  Heinig, Paul-Joachim: Konjunkturen des Auswärtigen. „State formation“ und internationale Beziehungen im 15. Jahrhundert, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine 253  Vgl.

142

D. Die Rollen der Handlungsträger

von Mainz nicht doch eher um denjenigen, welcher im Sinne eines vereinten Handelns an eine Festigung des Widerstands gegen Angriffe von außen dachte, „ob der Kg. von Ungern oder ein ander frembd gezung der Ff. ainen oder mere, in der verpuntnus bestimbt, uberzugen, das sie anainander treulich beistand und hilf tun wollen, inhalt der verschreibung, und welhe Ff. nit hie sind, die mugen des ire beybrief geben“?255 Immerhin lässt sich im Kontext dieser Einung auch ein den Habsburgern durchaus wohlgesonnener Personenkreis identifizieren: die Kurfürsten von Sachsen, Brandenburg, die Räte der Erzbischöfe von Köln und Magdeburg sowie Landgraf Wilhelm der Jüngere von Hessen.256 Insofern trafen sich auch bei diesem Beispiel die Forderungen der vermeintlichen Befürworter der Monarchie und die ihrer vermeintlichen Gegner im gemeinsamen Streben nach effizientem Regierungshandeln. Der gern als Muster für die Opposition der Kurfürsten interpretierte Berthold von Henneberg handelte pragmatisch und professionell. Die Ausrichtung seines Handelns war jedoch zeitgenössisch und damit im Wortsinn re-formatorisch, indem er die Wiederherstellung der alten Ordnung anstrebte. Was genau er damit meinte, problematisierte er ebenso wenig wie seine Zeitgenossen: Ordnung, Frieden und Sicherheit, militärische Schlagkraft etc., eine Mischung aus gewohnheitsrechtlichen Anteilen, allgemeinmenschlichen Tugenden, christlichen Verhaltensnormen und dem römischen Rechtskontext wird hier in unterschiedlichen Situationen verschieden akzentuiert erkennbar. Wollte der Kurfürst diese alte Ordnung wieder herstellen, musste er auf die Revision respective Vermeidung der Irrtümer und Unzulänglichkeiten der Vergangenheit hinwirken. Genau dies versuchte Berthold mit großer Umsicht und kam zu bemerkenswert modern anmutenden Schlussfolgerungen. Von der Erkenntnis der Defizite bis zu konkreten Änderungen der Verhaltensmodelle freilich führte ein weiter, von Umwegen und Schleifen, einem Miteinander von Fortschritt und Rückbesinnung geprägter Weg. Geht man davon aus, dass die historische Situation, in der man agierte, jeweils offen war, und eben nicht vor dem Hintergrund eines Programms stand, „die antimonarchische Etablierung des Reichtstags“ erreichen zu wollen, dann Ottner unter Mitarbeit von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 21–55, Zitate: S. 54. 255  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 859, Bericht der brandenburgischen Räte, Zitat: S. 775. Den Vertragstext vgl. unter Nr. 336, Datum vom 20. März 1486. 256  Vgl. Wolf, Susanne, hier: S. 378–379. Die Beteiligung von Albrecht Achilles dürfte allerdings mehr Anspruch als Realität gewesen sein; er verstarb bereits am 11. März 1486 nach schwerer Krankheit. Kurfürst Ernst von Sachsen starb am 26. August 1486.



III. Weitere Machtrollen143

irritiert die vermeintliche Inkonsequenz und Inkonsistenz kurfürstlichen Handelns nicht mehr.257 Berthold von Mainz war auch bei Weitem nicht der einzige, welcher die politische Leitidee einer Konsolidierung verfolgte; sie wurde unter anderem auch von den gut informierten und in der Regel auch (ebenso wie Berthold) gelehrten Köpfen in den großen Kommunen geteilt. So schrieb der Frankfurter Gesandte Dr. Ludwig zum Paradies bereits Anfang Mai 1487 von Nürnberg aus, „das man in arbeit ist, etwas vorzunemen, dadurch einikeit, frede und recht allenthalben ime Riche erwachsen und einem yedem widerfaren mochte.“258 Man benötige eine verlässliche Rechtslage. Kurfürst Berthold von Mainz fomulierte Anfang Juni 1487: Es tue Not, dass man endlich „fornunftlichen von den dingen ret, und yederman onsehe noch siner gelegenheit“.259 Es gab nach wie vor genügend Stimmen, welche diese Linie nicht teilten. So gaben es 1486, anlässlich des „ersten förmlichen Beschluß einer Geldmatrikel“,260 einflussreiche Politikakteure erhebliche Vorbehalte zu Protokoll: Fürsten fürchteten „kunftigen schaden und ingang“ bei einem Anschlag in Geld und plädierten deshalb für die Stellung von Kontingenten unter Einbeziehung der benachbarten Könige sowie für die Finanzierung des Kriegsgeräts durch die Juden.261 Herzog Albrecht von Sachsen ließ verlauten, „im gefal der anschlag der hilf mit den leuten, darzu wolle er gern helfen. Der weg, das man gelt aufbringe, gedunkt in nit gut sein.“262 Außerdem konnte man die Grafen und Herren noch nicht aufführen; diese fanden sind lediglich im Anschlag nach Leuten.263 „In noch selektiverer Weise verständigte man sich bezüglich einer Eilenden Hilfe.“264 Nur der König, die Kurfürsten, Erzherzog Sigmund von Österreich und die Städte wurden veranschlagt. Erzherzogs Gesandte waren damit auch nicht einverstanden: Sie bekundeten, ihr Herr sei zwar in besonderem Maße leistungswillig, „aber nit in kraft kains anslags“265. Auch für die in Nürnberg ver257  Heinig,

Konjunkturen, Zitat: S. 54. unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 672, Zitat: S. 964. 259  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1061. 260  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 52. 261  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 319, Zitat: S. 325; vgl. auch Nr. 324. Die oberbayerischen Gesandten berichten, der Bischof von Eichstädt habe erreicht, dass der „anschlag des gelts ganz ab sey“, vgl. Nr. 865, Zitat: S. 787. 262  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 864, Zitat: S. 786. 263  Vgl. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 53. Geldmatrikel, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 326, 327. Reichsanschlag nach Leuten vgl. Nr. 330. 264  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 53; Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 331 und 334. 265  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 872, Zitat: S. 808. 258  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

sammelten Städteboten war im April 1487 noch nicht entschieden, ob die Hilfe „auf den grossern anslag zu Franckfurt beschehen oder allein auf ein aufpot als vor News“ hinauslaufen würde.266 So waren sich die Kräfte im Reich nur in einer Hinsicht wirklich einig: Man tat alles, um „verderblichem schaden und unlidenlichen beswerden“ zu entgehen und (vor allem) nicht vom „alten herkomen gedrungen“ zu werden.267 An den Problemen, neuartige fiskalpolitische Entscheidungen durchzusetzen, sollte sich übrigens auch nach den Wormser Beschlüssen 1495 nichts ändern. Die kleineren Kräfte im Reich, zum Beispiel die Reichsritterschaft, blieben ernsthaft um ihre Privilegien besorgt.268 Von Vertretern der Gesellschaft St. Jörgen Schild wurde ganz offen Beschwerde geführt, sie würden – ohne an den Wormser Beschlüssen beteiligt gewesen oder wenigstens darüber informiert worden zu sein – von Maximilian in einer Weise bedrängt, wie dies weder ihnen noch ihren Vorfahren von Seiten der Kaiser und Könige jemals widerfahren sei. Selbstverständlich seien sie gehorsam und durchaus bereit, dem Reich „wie gebürt“ zu dienen, also gemäß den traditionellen Gepflogenheiten und unter Wahrung ihres Standes als reichsunmittelbare „frey ritter und knecht“.269 Sie könnten sich jedoch kaum vorstellen, dass der König ernsthaft beabsichtige, die neuen Regelungen auf sie zu übertragen.270 Um die Ritter davon zu überzeugen, dass der Pfennig keineswegs einen Eingriff in ihre Rechte darstelle, betonten die Vermittler, die Abgabe sei von „der kgl. mt. nicht außgesatzt, sunder die stent des reichs haben den unter sich selbst und in zugut aufgesatzt“.271 Die traditionelle Selbstverpflichtung war das Argument, welches hier zog. Nicht nur die kleineren Kräfte, auch die Fürsten verfolgten bereits 1486 den Ansatz, Reformen gar nicht erst in Betracht zu ziehen, sondern sich auf alt bewährte Wege der Hilfeleistungen zu besinnen. Es kam der Vorschlag, 266  Frankfurts

Reichscorrespondenz, Nr. 628, S. 458. eine städtische verlautbarung, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, (wie Anm. 437), Nr. 440, Zitat: S. 459. Vgl. auch den Abschied des Heilbronner Städtetags (5.2.1487); man beschließt auch dort, „ob einich mandat oder beswerd des grossen anslags oder anders, die sach beruren, den steten, einer oder mer, zukomen, derselben kein volziehung oder sunderung ze ton, …“ (S. 506). 268  Vgl. auch Duchhardt, Heinz, Reichsritterschaft und Reichskammergericht, in: Zeitschrift für Historische Forschung (1978), S. 315–337, bes. S. 316–317. 269  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 25, Zitate: S. 292. 270  Die königlichen Räte Graf Adolf von Nassau und Bodman d. Ä. sowie der Hofmeister Landgraf Wilhelms d. M. von Hessen, Thiele (VI.) Wolff von Gudenberg zu Itter wurden damit beauftragt, vgl. auch Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 26, S. 294. 271  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 25, Zitate: S. 293 und 294. 267  Hier



III. Weitere Machtrollen145

„das man die alten anslege furneme und die ufs beste, als man mag, verglychet“.272 Diese Anregung wurde einige Jahre später, auf dem Frankfurter Tag 1489 nämlich, von Kurfürst Berthold realisiert und erbrachte einen ernüchternd geringen Ertrag.273 Dennoch war dieses schrittweise Vorgehen auf dem Weg zu einer weiter konsolidierteren Verfassung des Reichs wohl notwendig: Nur über die Feststellung, dass die alten Mittel wirklich nicht ausreichen würden, konnte die Erkenntnis wachsen, dass tatsächlich neue, effektivere Methoden entwickelt werden mussten. Die Plattform für diesen weiteren Schritt bildete erst der Wormser Tag von 1495; und auch dessen Reformen mussten im Nachhinein erst einmal verstanden und akzeptiert werden. Betrachtet man diesen Entwicklungsprozess auf Seiten der unterschiedlichen Gruppierungen im Reich, dann dürfte es nicht verwundern, dass sich auch die gern als Gegenpart definierten Habsburger sowohl generationenbezogen als auch hinsichtlich ihrer geopolitischen Prägung durchaus nicht als ein konsistenter monarchischer Widerpart präsentierten: Nur Kaiser Friedrich entsprach der Rolle des Widersachers gegen die Bemühungen um vernünftige Steuerplanungen und deren ordnungspolitische Rahmenbedingungen. Sein Nachfolger Maximilian hingegen war zumindest in jenen Anfangsjahren seiner Herrschaft noch einer der aktiven Mitstreiter auf dem vermeintlich oppositionellen Feld. Er war sogar, wenn man so will, der Hoffnungsträger der Reformer. Nicht ohne Grund sollen die Kurfürsten 1486 bereits versucht haben, den Kaiser dazu zu bewegen, die Macht an seinen Sohn abzugeben, „angezaigt die unordnung und ubelstand in teutzen landen“.274 Maximilian wusste, geprägt von den verwaltungstechnischen Verfahren und dem diplomatischen Kalkül am burgundischen Hof, zu jener Zeit noch um den Wert sachdienlichen Vorgehens, der wechselseitigen Relation von Erfolg und den dazu notwendigen Rahmenbedingungen im Sinne einer Herrschaftskonsolidierung. Insofern bietet auch der Frankfurter Tag 1486 Anhaltspunkte für die Aussage, ein „erster Reformreichstag“275 zu sein. Allerdings unterschieden sich die Tage von 1486 und 1495 in einem wichtigen Punkt: Der Frankfurter Tag endete in bester mittelalterlicher Tradition, nachdem die Hilfszusagen erfolgt waren. Diese waren weitreichend und aufgrund einer effektiven Einforderungspraxis auch relativ ertragreich. Charakteristisch war jedoch, dass die Beschlüsse des Frankfurter Tages unverknüpft nebeneinander stehen blieben. Sie verband lediglich ihre Zugehörigkeit zu einem Themenkomplex und die stillschweigend akzeptierte Voraussetzung, dass der Nehmende dem 272  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 321, Zitat: S. 330. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 76. 274  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 896, Zitat: S. 863. 275  Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., Bd I, S. 192. 273  Vgl.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Gebenden gegenüber zu gewissen Zugeständnissen bereit sein müsse: do ut des. Zu einer wirksamen Entwicklung bedurfte es der Zusammenführung von Macht und Legitimität, idealtypisch in der wohl entscheidenden Formel, welche Maximilian in Worms 1495 prägte, als er bekräftigte, er sehe die Gewährung einer Hilfe und die Herstellung von Frieden, Recht und Ordnung durchaus im Zusammenhang und wolle deshalb, dass „aines mit dem andern zugee.“276 Das Ausmaß des Durchbruchs, den diese Formel bedeutete, ist schwer zu unterschätzen. i) Handlungsoptionen Weite Teile des Wormser Reichstags 1495 bestätigen den Eindruck eines Durchbruchs des Reformgedankens, auch wenn der Weg vom grundsätzlichen Beschluss zum politischen Alltag noch weit sein mochte. Dementsprechend waren auch die neuen Handlungsoptionen noch bei Weitem nicht die einzigen, über die man zu jener Zeit verfügte. Wahrscheinlich ist die Rolle, Haupt der Opposition zu sein, welche Berthold von Mainz so gern zugeschrieben wird, gerade dann in Ansätzen tatsächlich erkennbar, wenn er sich eben nicht im Sinne desjenigen verhielt, welcher die Konsolidierung politischen Handelns im Reich anstrebte. Schließlich ließen sich die als untauglich erkannten, zutiefst mittelalterlichen Handlungsoptionen auch dazu verwenden, einen königlichen Herrschaftserfolg zu verhindern. Noch hatte man die Wahl der Mittel. Diese Option gehörte sicher nicht zum common sense der zeitgenössischen Gesellschaft, aber sie stand denjenigen zur Verfügung, welche bereits effizientere Wege erkannt und auch beschritten hatten. Dies offenbarte sich auf dem Wormser Tag in einem bewussten Schritt zurück. Bereits Ende Juli hatte Maximilian in seiner Kritik an den Reformprojekten bemerkt, dass er nach Frankreich und gegen die Türken werde ziehen müssen.277 Er leitete daraus die Forderung ab, die Eidgenossen einzubeziehen und ein „gemayn aufbot“ im Reich von 20.000 Mann gegen Karl  VIII. und 5.000 Mann für zwei Monate in das Grenzland zu den Türken zu schicken.278 Neben dem Gefühl, dass eine weitere „beswerung“ 276  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1787 (niederbayer. Ges.), S. 1472. 277  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1576. Ebenda, S. 1579 Absage im fürstlichen Kreise, S. 1580 Absage im städtischen Kreise. Die notwendigen Maßnahmen habe man mitgetragen: „Aber weiter beswerung anzugeen, zu willigen oder aufzunemen wäre in der stett sendboten bevelch oder mainung gar nit.“ Vgl. auch ebenda, Nr. 1794, (niederbayer. Ges.), S. 1497. 278  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1794 (niederbayer. Gesandter), S. 1497.



III. Weitere Machtrollen147

untragbar sei, kamen angesichts der erneuten Forderungen grundsätzliche Zweifel auf. Nachdem die Städte Anfang August von dem königlichen Hilfsbegehren Kenntnis erlangt hatten, entsandten sie die städtischen Sprecher Hans Wilhelm von Rottweil (Straßburg) und Hans Langenmantel (Augsburg) zum Erzbischof von Mainz mit der Bitte um eine Präzisierung des Anliegens. Berthold erläuterte das Vorhaben und ergänzte, man werde eine Lösung finden müssen, sollte der König darauf bestehen. Die Städtevertreter gaben zu bedenken, dass es nicht tunlich sein, den Franzosen anzugreifen: Erstens müsse man darüber nachdenken, ob „man des ursach, füg und glimpf“ habe, gegen Karl VIII. in den Krieg zu ziehen. Zweitens sei der Franzose mächtig. Drittens seien „manig bider mann aus teutschen landen, edel und unedel, studenten, kauflüt und ander in Frankreich mit iren(m) leib(en) und gut(en)“; auf diese Leute könne der Franzose zugreifen. Dies und „allerhand sorg“ seien erst noch zu prüfen, bevor man Frankreich den Krieg erkläre.279 Mit dieser Einschätzung der Lage standen die Kommunen nicht allein da. Die Überzeugungskraft der Aussagen über den Krieg gegen Karl VIII. hatte ingesamt gelitten; auch die Bedrohlichkeit des Kriegsverlaufs in Italien wurde nicht mehr von allen nachempfunden. Die niederbayerischen Räte schrieben Ende Juli, „etlich haben der sachen ainen zbeyfl, war daran sey und wie die leuf des welischen krigs ain gestalt haben, ist uns nicht mer wissen, dann uns gesagt wird.“280 Italienische Quellen berichteten, die Erzbischöfe von Mainz und Trier hätten Anfang August auf Hilfsbitten Verwunderung geäußert, zumal doch früher geschickte Truppen zurückkehrten und auch schriftlich mitgeteilt worden sei, weitere Hilfe werde nicht benötigt. Das Ansinnen, den König zu einem Einfall in Frankreich zu veranlassen, hätten die Kurfürsten mit der Frage beantwortet, wer wohl Deutschland im Falle eines derartigen Krieges helfen würde.281 Die Zurückhaltung ging so weit, dass Maximilians Räten am 2. August folgende Warnung erteilt wurde: „Auch darbey geraten, das kgl. Mt. bedechtig wer, sich an die ort grenitz zu fugen, dann sie dahin quem und nicht folg haben wurd, wer schedlich und gepure verachtung.“282 Der König veränderte seine Darstellung der Notwendigkeiten jedoch nicht, sondern ließ durch Veit von Wolkenstein nach wie vor vertreten, der Zug des 279  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1581–1582. 280  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier. Bd. 5,2, Nr. 1794, S. 1498. 281  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1881 (venezian. Berichte), S. 1792–1793. 282  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Räte), S. 1304.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Franzosen in Italien werde für Mailand zunehmend bedrohlicher.283 Karl VIII. stehe infolge einer „hilflichen stür“ eine übermäßige Gewalt zur Verfügung. Sollte der Mailänder zu schwach sein und von den Deutschen nicht weiter geschützt werden, weil die Söldner nicht mehr bezahlt werden könnten, liefe man Gefahr, dass der französische König den Papst zwingen werde, ihn zum Kaiser zu krönen.284 Dringlichkeit sollte der Hinweis erzeugen, dass sich nach neuesten Meldungen die Schweizer und die Leute des Herzogs von Savoyen dem französischen König und dem Herzog von Orléans zuwandten.285 Diese Schilderungen überzeugten jedoch nicht mehr, obgleich sie durch zuverlässige Nachrichten aus Italien gestützt wurden. Die Kurfürsten hatten Kundschafter nach Italien entsandt; diese berichteten zum einen von deutschen Erfolgen gegen den Herzog von Orléans, zum anderen von den Raubzügen des Franzosen in Neapel und einer ernsten Erkrankung des Mailänders. In dieser Lage könne es dem Römischen König gelingen, „die gar in sein gehorsam“ zu bringen, wenn er jetzt „in welsch lant qwem“.286 Entscheidend ungünstig wirkte sich die Bekanntgabe des Textes287 der Heiligen Liga aus. Das Reich werde in dem Vertrag nicht erwähnt, obgleich die königliche Majestät „dasselb Reich mit hilf, ir zu tun, all tag anficht.“ Man habe das Bündnis intensiv diskutiert und sei zu dem Schluss gekommen, dass es für das Reich nicht „nutzlich, sunder schedlich wer.“288 Der Kölner Gesandte berichtete: Es gebe zwar auch andere Stimmen, aber nach städtischer Auffassung handle es sich doch um ein Bündnis des Königs, nicht des ganzen Römischen Reiches. Da die Stadt Köln „gefryet ind privilegierit sy“, könne sie kein Kaiser oder König zu so einem „verbuntnisse“ 283  Erste Ausführung des Wunsches am 31. Juli, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1794 (niederbayer. Ges.), S. 1497. Weitere Ausführung 4. August, ebenda, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1582–1583. 284  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1582–1583. 285  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Ges.), S. 1303. Der Seitenwechsel war für Söldner nicht ungewöhnlich, wenn die Zahlungen eines Vertragspartners ausblieben. Vgl. Rabe, S. 26–29, bes. S. 28. 286  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Ges.), S. 1305. 287  Text der Heiligen Liga bei Joannes Christianus Lünig, Codex Italiae Diplomaticus, Bd. I, Frankfurt am Main 1725, Sp. 111 ff., Nr. 24; Zusammenstellung der Artikel bei Wiesflecker, Maximilian I. und die Heilige Liga, hier: S. 185–187. Vgl. auch Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I.: 1493– 1519, 1. Bd., bearb. von Hermann Wiesflecker unter Mitwirkung von Manfred Hollegger …, Wien / Köln 1990–1993, Nr. 3334–3335. 288  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Ges.), S. 1305–1306.



III. Weitere Machtrollen149

drängen.289 Die unmittelbare Verpflichtung wurde also abgelehnt; mittelbar ließen sich Hilfsforderungen natürlich nicht zurückweisen, schließlich waren der König und Reichsrechte betroffen. Entsprechend wurde dem König am 6. August ohne städtische Betei­ligung eine „Verschreibung“ auf den Gemeinen Pfennig in Höhe von 150.000 fl. zugesagt; nicht zuletzt, weil man vernommen hatte, „wo solchs nicht geschee, das er disen tag on beslies wurd zugeen lassen.“290 Nach heftiger Diskussion über die Möglichkeit, die vom König inzwischen geforderten 250.000 fl. zuzusagen, blieb es bei der genannten Summe.291 Diese Bewilligung wurde freilich nicht von finanztechnischen Erwägungen begleitet, sondern erfolgte aus diplomatischen Gründen. Albrecht von Sachsen hatte die Diskussionsteilnehmer durch seine Frage in Verlegenheit gebracht, ob man tatsächlich den Verbleib Mailands beim Reiche von Gelddingen wie dem Gemeinen Pfennig abhängig machen wollte?292 Diese Frage war rhetorisch, denn keiner der Anwesenden hätte sie positiv beantworten können, ohne sich ins Unrecht zu setzen. Die Versammlung stimmte also dem Hilfsbegehren zu, wusste jedoch um die Realitätsferne dieser Zusage, zumal die Beschaffung des Geldes dem König oblag. Auch dass der Gemeine Pfennig genügend einbringen werde, um die Verpflichtung einzulösen, wurde von den Beteiligten zu diesem Zeitpunkt kaum noch ernsthaft angenommen. Als die Fürsten dem König die Hilfe zusagten, erläuterten sie gleichzeitig mit großer Selbstverständlichkeit, wie bei einem Minderertrag des Gemeinen Pfennigs zu verfahren sei. Maximilian solle auf einem Tag, dessen Datum sie bereits festgesetzt hatten, „ain gemain anlegen auf die stend durchaus nach herkomen und gewonhait im Reich aufsetzen“.293 Die Fürsten kehrten damit zu der althergebrachten anlassbezogenen Hilfeleistung zurück, eine Finanzierungsform, die Maximilian für die bevorstehenden Jahre eigentlich hatte abwenden wollen. Über diese Entscheidungen beschwerten sich nur die Städtegesandten mit dem Hinweis darauf, in jedem Fall seien die „stende gemainlich pfandbar und fürstand dafür“, obgleich sie gar nicht zugestimmt hätten.294 Als sie 289  Reichstagsakten 290  Reichstagsakten

unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1848, S. 1672. unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg.

Räte), S. 1306. 291  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 364. 292  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733, (kurbrandenburg. Ges.), S. 1307. 293  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1584–1585. 294  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1585.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

ihre ablehnende Haltung dem Mainzer Erzbischof vortrugen, ließ dieser sie wissen, dass sie damit nicht allein daständen. Er empfahl allerdings, die Sache ruhig hinzunehmen und sich nicht gegen die Fürsten zu stellen. Schließlich tröstete man sich mit der Möglichkeit, dass die „verschreibung kainen fürgang gewynne oder sunst geendert“ werde. Den Städten fiel es besonders schwer, die Angelegenheit rein politisch zu sehen; schließlich kam auf sie unter Umständen die Rolle des Zahlmeisters zu. Infolgedessen erklärten sie zunächst, sie müßten um Verständnis dafür bitten, dass ihnen jede Vollmacht fehlte, für die Städte des Römischen Reiches eine Verschreibung zu billigen.295 Wenn sie sich am Ende aller Wahrscheinlichkeit nach dennoch gebeugt haben, dann nur widerwillig.296 Vergleicht man die städtische Diskussion mit einer ähnlichen, die Ende Juni anläßlich der Bezahlung der Eilenden Hilfe stattgefunden hatte, ergibt sich ein deutliches Bild von dem Wechsel in den Handlungsoptionen. Damals hatten König und Fürsten die Städtevertreter aufgefordert, die Zahlungsmandate an ihre Heimatstädte zu senden. Die Gesandten sprachen daraufhin untereinander über ihre missliche Situation zwischen der Loyalität König und Reich gegenüber und ihrer Verpflichtung zur Wahrung städtischer Interessen. Da sie zur Geheimhaltung verpflichtet worden seien, wüssten die Freunde daheim nichts darüber, wie in Worms über die „eylende“ und die „werende hilf“ und ihre Verknüpfung mit der Herstellung von Recht und Ordnung gehandelt werde. Es sei zu befürchten, dass sie ohne eine vorausgehende Erläuterung ausgesprochen unwillig darüber sein könnten, was in Worms beschlossen worden sei; womöglich würden sie die Zahlung sogar verweigern. Andererseits liege es im Interesse der Städte, den Eindruck zu vermeiden, man wolle sich von den Entschlüssen der Versammlung entfernen. Zuletzt entschieden sich die Gesandten der Städte, das angesichts der Sachlage kleinere Übel in Kauf zu nehmen, den Unwillen der Freunde daheim, „wa sy sich weyter, dann ir bevelch stunde, begeben wurden.“297 Am Ende des Tages, bei der erneuten Hilfeforderung des Königs, hatten die Städtevertreter kein Problem mehr damit, sich von dem formellen Versammlungsbeschluss zu distanzieren. Hier ging es nicht mehr um die Wahrung höherer Interessen, deretwegen man sich hätte genötigt sehen müssen, die eigenen Vollmachten weiter auszulegen, als jemals geplant gewesen war. Die letzte Hilfsforderung war frei von dieser moralischen Belastung; es 295  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1586. 296  Vgl. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 138–139. 297  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1561–1565, Zitat: S. 1564.



III. Weitere Machtrollen151

handelte sich einzig und allein um eine Geldfrage, die man nicht ohne ‚Hintersichbringen‘ entscheiden konnte. Der Rückgriff auf die Verhandlungsvollmacht spiegelte die Einschätzung der Situation deutlich wider, welche von den Protagonisten der Versammlung ausdrücklich geteilt wurde. Maximilian äußerte sich italienischen Gesandten gegenüber insgesamt positiv zu den Beschlüssen des Wormser Tages.298 In zwei Monaten werde man wissen, ob die Städte die Lasten akzeptieren würden, wobei er zuversichtlich sei. Hinsichtlich der Zahlung der 150.000 fl. hege er ebenfalls keinen Zweifel.299 Auf die unterschiedliche finanztechnische Form der beiden Zusagen ging er nicht ein. Den venezianischen Gesandten Zaccaria Contarini und Benedetto Trevisan gegenüber fügte er hinzu „quando ben non le volesseno acceptar le principi se obligano loro.“300 Wenn die Städte ihren Anteil nicht erbringen sollten, würden die Fürsten sich selbst verpflichten. In der Folge ist es Maximilian freilich nicht gelungen, auf diese „Verschreibung“ genügend Geld zu erhalten, um im geplanten Umfang Truppen nach Italien schicken zu können; der König beklagte sich 1496 bitter über die Zurückhaltung im Reich.301 Die Unterschiede zwischen Hilefeleistungen, die als notwendig akzeptiert und entsprechend ordnungspolitisch und finanztechnisch abgesichert worden waren, und solchen, die allein aus reichspolitischen Gründen ohne eine entsprechende Absicherung erfolgten, war den Protagonisten der Entscheidungsvorbereitung bewusst. Diese Beobachtung belegt eine weit fortgeschrittene Politisierung zumindest der Hauptbeteiligten. Der König hatte 298  Vgl. die Regesten in den Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1881, S. 1799 und in den Regesta Imperii, XIV, Bd. 1, Nr. 2293. Die Werke widersprechen sich hinsichtlich der Einschätzung des Königs zum Erfolg der beschlossenen Finanzierungsvorhaben. Beide Interpretationen decken sich inhaltlich nicht mit dem Original, einem Bericht der venezianischen Gesandten Zaccaria Contarini und Benedetto Trevisan. Vgl. Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod ital H. VII, 799 (= 8002), 5 ff. 72v–75r. 299  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 546–565 ist der Frage nach Ablieferung und Ertrag des Gemeinen Pfennigs nachgegangen. Er kam zu dem Schluss, dass das Gesamtvolumen des Gemeinen Pfennigs einschließlich der Eilenden Hilfe 165.628 fl. bzw. 195.628 fl. betragen habe und für Berthold von Mainz wie für Maximilian enttäuschend gewesen sein müsse. Es ist interessant, dass der Anteil, den die Eilende Hilfe ausmacht, relativ hoch ist (58.996 fl.). Das ‚ältere‘ Mittel war also dem längerfristig angelegten, aufwendigeren Verfahren zu dieser Zeit noch überlegen. Ganz unbefriedigend verlief der Versuch des Königs, auf die Obligationen über 150.000 fl. Geld zu erhalten. Vgl. ebenda, S. 140–141. 300  Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod ital H. VII, 799 (= 8002), 5 ff. 72v–75r, Zitat: f. 73v. Ich danke dem Direktor des Hauses, Herrn Dr. Marino Zorzi, für die Übermittlung des Quellentextes und Frau Angelika Lehmler (Frankfurt a. M.) sowie Frau Dr. Florella Niekisch (Bad Homburg) für die sorgfältige Übersetzung. 301  Vgl. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 140–141.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

genau in dem Maße Hilfszusagen erhalten, wie es ihm gelungen war, die Anwesenden von der Notwendigkeit eines Kampfes für den Papst und die Reichsrechte in Italien zu überzeugen. Diese Bewilligungen waren auf der Basis gegenseitigen Nutzens erfolgt: Maximilian erlangte eine finanztechnische Gewährleistung der Zusagen und gewährte (zumindest theoretisch) die dafür und für weitere Belange des täglichen Lebens notwendige Sicherung von Ordnung, Recht und Frieden. Als allerdings deutlich wurde, dass der Krieg für die Reichsrechte in Italien zu einem Krieg Deutschlands gegen Frankreich werden könnte, kehrte sich das Gefühl der Betroffenheit gegen den König. Für diesen Krieg waren die Anwesenden nicht zu gewinnen. Da sich die Argumentation des Königs formal nicht änderte, hatten die Protagonisten aus dem Reich keine andere Wahl, als ebenso formaliter bei ihrer Zustimmung zu bleiben.302 Für die Realisierung dieses Aufkommens verwies man Maximilian jedoch auf seine Eigeninitiative, respektive auf die überkommenen Finanzierungsgepflogenheiten bei königlichen Feldzügen. Dies waren Regelungen, von denen beide Seiten im Laufe des Tages übereinstimmend festgestellt hatten, dass sie nicht (mehr) sachdienlich waren. Regelungen, die jedoch den Spielregeln reichspolitischen Verhaltens nach wie vor gerecht wurden. j) Rückbindung an den König Die Warnung, der König werde sehen, was es bedeute, wenn er gegen den Rat (der Kurfürsten) in den Krieg ziehen sollte, war elegant in die Tat umgesetzt worden: Der Wormser Tag 1495 war noch mittelalterlich genug, sich in dieser Hinsicht entscheiden zu können. Man lernte gerade, die strukturellen Voraussetzungen für die Kriegsfinanzierung unter den sich vehement modernisierenden äußeren Bedingungen ernstzunehmen und adäquat umzusetzen. Der Schritt zurück, in die Vorphase dieses Handlungsmusters, war jedoch (noch) klein genug, um getan werden zu können. Interessant ist weniger die Dualität der Möglichkeiten – sie ist für die Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit charakteristisch – als die Beobachtung, wie bewusst hier gewählt wurde. Möglicherweise war Geld nicht allein der Faktor, der Strukturfragen politisch verhandlungsfähig machte. Es war auch der Faktor, der diesen Wandel für die Zeitgenossen gelegentlich spürbar werden ließ. 302  Vgl. auch Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 138: „Die Stände hatten sich dagegen in allen Bereichen durchgesetzt. Sie hatten dem König Mittel angeboten, die dazu ausreichen mochten, einen begrenzten Beitrag zur Verteidigung Mailands zu leisten, die es aber dem König verwehrten, größere Aktionen gegen Frankreich zu unternehmen.“ Die Zusage vom 09.08.1495 wertet Schmid als „geschicktes Ausweichmanöver“ (S. 141).



III. Weitere Machtrollen153

Die Legitimierung von Gewaltmaßnahmen musste nämlich, solange es kein entsprechendes staatlich geregeltes Handlungsmuster gab, nach wie vor anlassbezogen zusammengeführt werden, an erster Stelle vom Herrscher selbst. Solange dies nicht erfolgte galt selbstverständlich, dass Gewalt ohne Legitimität Unrecht war. Allerdings musste der Anlass für die legitime Anwendung von Gewalt auch überzeugend vermittelt werden; nur dann wurde die königliche Kriegsansage effektiv unterstützt. Die moderne Friedensbewegung prägte einst den eingängigen Spruch: „Stell’ Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ In der Moderne würde der Krieg freilich auch diejenigen ohne Weiteres erreichen, welche nicht hingehen wollten; in der mittelalterlichen Verfassung jedoch war es zumindest noch möglich, dass man sich entschied, nur wenige „hynabe zu schicken“, um dem Vorwurf des Ungehorsams zu entgehen.303 Man nahm also gleichsam nur pro forma am Krieg teil. Auch diese Entscheidung war in gewisser Weise oppositionell, freilich nicht grundsätzlich gegen das monarchische Prinzip gerichtet, aber gegen eine konkrete herrscherliche Entscheidung.304 So lehnten zum Beispiel die Kurfürsten Maximilians Ankündigung auf dem Freiburger Tag 1497 / 98, er wolle notfalls ganz allein in den Krieg gegen Frankreich ziehen, mit dem Hinweis ab, es sei im Reich „also herkomen …, wider nymant zu ziehen, man hett in dann von des gemeinen reichs wegen ersucht“.305 Zuvor hatten sie Maximilians Anbieten bereits abgelehnt, selbst „der bot“ zu sein in den Verhandlungen mit dem französischen König. Sie kommentierten dies „fast spötlich“, das wäre so, als wenn „s. mt. als des reichs heubt der glider botschaft sein solte“.306 Die Kurfürsten mussten verhindern, dass der König selbst gegen das Herkommen, gegen die alte Ordnung verstieß. Insofern war die Lösung auf dem Freiburger Tag, den vom König kompromisslos verlangten Kriegszug als Wiederherstellung von Reichsrecht zu deklarieren, auch im Sinne einer Schadensvorsorge zu verstehen gegen intuitive Aktionen, gleichsam Kurzschluss303  Vgl. Frankfurts Reichscorrespondenz, hier: Bd. 2,1, Nr. 503 und 504. Text der kaiserlichen Mahnung vgl. Urkunden und Acten betreffend die Belagerung der Stadt Neuss, Nr. XVII. (1475, Jan. 28. Kaiserbr. VI, 225). 304  Insofern handelt es sich um eine mit der Verfassung des spätmittelalterlichen Reich schwer in Übereinstimmung zu bringende Aussage, wenn etwa Kerstin Dürschner pauschal bilanziert: „Opposition wurde im ersten halben Jahrhundert nach der Goldenen Bulle nicht mehr in Frage gestellt. Sie richtete sich gegen alle Könige – ob nah oder fern, ob Luxemburger, Wittelsbacher oder Habsburger.“ Dürschner, Zitat: S. 367. 305  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, S. 645. 306  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 644.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

handlungen des Herrschers: Es hatte sich schließlich schon im Vorfeld des Lindauer Tags 1496 abgezeichnet, dass Maximilian in seinem Eifer dazu neigte, spontan in den Krieg zu ziehen. Er wollte auch damals keinen Reichstag, auf die Erörterung von Rat und Hilfe verzichten. Der französische König sei schließlich dabei, die Gebiete zwischen dem Reich und Frankreich, die an Italien angrenzenden Reichsgebiete und am Ende Italien zu erobern, um sich zum Herrn der Christenheit zu erheben. Berthold von Mainz mahnte den König zur Besinnung, auch bei der Einschätzung der Lage; er möge sich nicht allein von Italiens Fürsten lenken lassen. Aus Deutschland werde er jedenfalls ohne einen Reichstag kaum auf Unterstützung rechnen können.307 Berthold von Mainz erwies sich also gelegentlich auch als Mahner des Königs zur Einhaltung der Grundprinzipien, welche die alte Ordnung und damit auch die Rolle des Königs bestimmten. Verhielt sich der vermeint­ liche Oppostionsführer also in bestimmten Kontexten als Stabilisator des Systems, als sein eigener Gegenspieler? Da Berthold sich auch hier systemkonform verhielt, kann man verallgemeinern, dass im Verhalten der Kurfürsten mit und gegen den König, insbesondere im Verhältnis zwischen Berthold von Henneberg und Maximilian, bei näherer Betrachtung kein grundsätzlicher politischer Gegensatz zu erkennen ist, auch wenn dies manchmal so erscheinen mag. Betrachtet man die Entscheidungen, welche die Kurfürsten in den jeweiligen Krisen trafen, unter dem Gesichtspunkt ihrer Konsistenz, so zeichnet sich vielmehr eine Linie ab, welche man tatsächlich als Systemstabilisierung bezeichnen könnte, allerdings schlicht mit einem pragmatischen Fokus auf die Absicherung von Entscheidungen, welche als notwendig erkannt waren. Die moderne Betrachtung dieser politischen Linie lässt Schlüsse auf abstrakte Konzepte zu, etwa im Sinne des Anliegens einer Teihabe an der Macht, welche letztlich zu einer vom König abstrahierten Legitimität und damit zur selbstständigen Reichsrepräsentanz führten. Allerdings sollte man nicht verkennen, dass es nicht zeitgemäß ist, diese Linie von ihrem Ende aus herzuleiten. Die vermeintliche Konsequenz deutet nicht unbedingt auf die Absicht hin, ein politisches Programm umzusetzen. Die Ausrichtung des Entwicklungsprozesses ist auch am Ende des 15. Jahrhunderts vielmehr noch offen, von Ad-hoc-Entscheidungen geprägt. Wir befinden uns also noch mitten auf dieser abstrakt begründbaren Linie, und zwar in einer Phase, welche – wie die Wahl der politischen Mittel zeigte – Alternativen durchaus offenließ. Planmäßiges Handeln im Sinne des politischen Konzepts wäre vermutlich schlicht an der hohen Inkonsistenz des Reichssubstrats gescheitert. In der konkreten Notlage stand die Krisenbewältigung mit den für sie typischen Entwicklungssprüngen im Vordergrund, (zu) moderne Re307  Vgl.

Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, I, Nr. 15.



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gelungen also, welche in ihrer Ausgestaltung und Wirkungskraft im politischen Alltag der Reichsverfassungen wieder relativiert wurden. Im späten 15. Jahrhundert war eine Kluft entstanden zwischen dieser Rückbezogenheit in der kulturellen Identifikation sowie den wegen der Inkonsistenz des politischen Systems beschränkten Möglichkeiten zur Adaptation von Neuerungen auf der einen Seite und den Zwängen zur Konsolidierung, welche sich aus der Einbindung des Reichs in die europäische politische Landschaft ergab, auf der anderen. Die Selbstorganisation des Reiches war zu weit fortgeschritten, als dass man sich an das nach wie vor unbestrittene herkömmliche Grundverständnis konsequent hätte halten können. Man sah in diesem alten Herkommen jedoch nach wie vor die einzig legitime Ordnung; deren Hüter und einzige Quelle legitimen Handelns war und blieb der König. Diese Funktion wurde jedoch nicht mehr unabhängig gesehen von der Notwendigkeit, die Rechtszustände im Reich durch begleitende Maßnahmen auch praktisch zu sichern und zu bewahren. Die Rechtmäßigkeit politischer Entscheidungen wurde insofern zwar noch nicht abstrahiert von der königlichen Autorität, der König sah sich jedoch konkreter als in früheren Zeiten veranlasst, vernünftige Rahmenbedingungen für die Wiederherstellung bzw. Wahrung der Ordnung im Reich zu schaffen – und sich auch selbst daran zu halten. Berthold von Henneberg wurde mit wachsender Erfahrung zweifellos immer besser im Umgang mit den von ihm als vernünftig erkannten Mitteln, welche er konsequent optimierte oder, ebenso konsequent, nicht anwandte, sofern es ihm sinnvoll erschien, einer Anforderung nur formaliter zu genügen. Diese Kompetenz erweiterte auch seinen Spielraum im Sinne eines Herrschaftserfolgs. In seinem Wirken jedoch die konsequente Umsetzung eines definierten Programms zu einer neuen politischen Konstitution des Reichs zu vemuten, würde die multiplen Beziehungssysteme außer Acht lassen, welche seinen Handlungsrahmen jeweils bestimmten. Berthold beherrschte die Klaviatur seiner Machtmittel, scheiterte letztlich jedoch selbst mit rein pragmatischen Ansätzen immer wieder an dem vermeintlichen oder ggf. auch realen Gegensatz seiner Vorgehensweise zur alten Ordnung, der Verfassung also, an der auch er selbst sich letztlich nach wie vor orientierte. Diese als Unordnung wahrgenommene Inkonsistenz des Reichs spiegelte sich im (Miss-)Erfolg aller übergreifenden politischen Handlungen wider, nicht zuletzt im Scheitern der großen Steuerprojekte an der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Vielfalt des Reiches. Eine Gruppe, welche infolge ihrer Heterogenität bekanntlich eigentlich keine ist, spiegelt diese Uneinheitlichkeit und Übergangsphase des Reichs und seiner verschiedenen Beziehungssysteme besonders deutlich wider: die Fürsten nämlich.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

4. Fürsten Im Jahre 1424 schrieb Sigismund auf dem Höhepunkt seiner persönlichen Krise an Friedrich I. von Brandenburg, dass „ein yeglicher imme reich nach seinem hawpt lebet“, und jeder ungeachtet königlicher Intervention Krieg führe, wann immer er sich dazu stark genug fühle. Zu einer Zeit, da „ein gemeyne sache vorhanden die gancze kristenheit antreffend“, sei dies ein besonders schweres Vergehen, wie es wohl nur von einem „zuleger und gunner der keczern“ zu erwarten sei.308 Gemeint war speziell Pfalzgraf Ludwig samt seinen Verbündeten, zu denen auch Markgraf Friedrich gehörte. Diese eindringlichen Äußerungen spiegeln die persönliche Krise Sigismunds ebenso wider wie die Erkenntnis der politischen Ohnmacht des deutschen Königs. Sigismund, der infolge seiner persönlichen Konstellation diese Machtlosigkeit besonders stark erlebte, verteidigte seine Schwäche durch das probate Mittel des rhetorischen Angriffs auf die vermeintlichen Verursacher, die ungehorsamen und egoistischen Fürsten nämlich. Das rhetorische Mittel der „Verteufelung“ des Gegners polarisierte und sollte den Adressaten des Schreibens umso mehr zu einem wieder gemeinsamen Vorgehen motivieren. Der Schulterschluss zwischen Sigismund und Friedrich würde letztlich beide Partner stärken, den schwachen König und den um die Konsolidierung seiner Herrschaft ringenden Fürsten. Für unseren Zusammenhang relevant ist die allgemeine Erkenntnis, welche der Aussage zugrunde liegt, dass „ein yeglicher imme reich nach seinem hawpt lebet“. Es ist nicht die einzige Äußerung über das Verhältnis von König und Fürsten im Reich, und es sollte auch nicht die letzte sein. Der päpstliche Legat Raimund Peraudi äußerte sich gegen Ende des Jahrhunderts ganz ähnlich: Im Gegensatz zu den Franzosen, Spaniern, Ungarn und Engländern besäßen die Deutschen eben kein Oberhaupt, dessen Willen sich alle „tamquam membra“ zu beugen hätten. Vielmehr „quot sunt hi principes, tot sunt capita, tot voluntates, et quilibet vel quantumcumque pauper in sua patria dominari vult“.309 Der mailändische Gesandte Sanctus Brascha meinte, der römische König sei nur „re titulare, non effectuale“; erzwingen könne Maximilian von den deutschen Fürsten gar nichts. Die Fürsten würden Italien nur bei einem drohenden Untergang helfen.310 Der spanische Gesandte Gomez de Fuensalida meinte über die deutschen Zustände: Die 308  Reichstagsakten

unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 8, Nr. 306, S. 364–365. unter Maximilian I., Bd. 3, 2, Nr. 280, Zitat: S. 1085. Bericht Peraudis an Papst Innozenz VIII. vom 11. Juli 1489. 310  Vgl. Regesta Imperii, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., hier: Bd. 2,1., Nr. 5204. 309  Reichstagsakten



III. Weitere Machtrollen157

Deutschen verhielten sich anders als alle anderen Völker. Während in Burgund der Krieg tobe, rede man am deutschen Königshof heute vom Frieden, morgen vom Kampf.311 Historiker nahmen dieses Bild auf und äußerten sich wiederholt kritisch bis hin zu der Formulierung, die Fürsten seien „die Hauptzerstörer der Reichsidee“ gewesen.312 Lässt man die emotionalen Aspekte dieser Äußerungen einmal außer Acht, dann bleiben einige systematische Beobachtungen: Mehrere „capita“ respective „voluntates“ handelten – so der Eindruck (nicht allein) der Zeitgenossen – unabhängig voneinander. Demnach wurde das Bild vom Haupt des Reiches und seinen Gliedern, das Organigramm der Herrschaft über das Reich, von den Zeitgenossen wohl ebenso unscharf definiert wie das Verhältnis zwischen Kaiser- und Königtum. Die Reichsrepräsentanz vor allem des Königs, supplementär auch der Kurfürsten, wurde zwar als konstitutiv wahrgenommen; die jeweils handelnden Protagonisten mussten sich jedoch, wollten sie Hilfe vom Reich, de facto zunächst der Frage stellen, als welches „caput“ oder welche „voluntas“ sie im konkreten Fall tätig wurden, ob sie für sich selbst, die eigene Herrschaft also, oder ob sie wirklich für das Reich handelten. Nur wenn die Bestätigung des Handelns im Namen des Reiches plausibel gelang, konnte die Zusammenführung von legitimer Herrschaft und politischer Gewalt erfolgreich sein. Wie der König nämlich Haupt seiner Dynastie, seiner Hausmachtbereiche und des Reiches war, so waren auch alle anderen Beteiligten in mehreren Bezugssystemen verankert. Während es der König sich leisten konnte (sogar daran interessiert sein musste), seine Interessenssphären nicht voneinander zu trennen, mussten die übrigen Beteiligten, insbesondere die einzelnen Fürsten, aus wohlverstandenem Eigeninteresse fein unterscheiden, welches dieser Häupter – König oder Dynast also – im konkreten Fall Leistungen von ihnen verlangte respektive (nicht) verlangen durfte. Hier endete übrigens das Verständnis der meisten auswärtigen Gesandten, welche die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen dynastischem und monarchischem Handeln weniger gewichtig sahen, weil sich diese Frage in ihren Herkunftsländern im Zuge der Entwicklung des Königs zum Staatsoberhaupt verfassungshistorisch bereits weitgehend erledigt hatte: Die Dynastie war dort in den staatlichen Kontext längst fest eingebunden. 311  Quellen zum Freiburger Tag vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6.; ergänzend J. F. Böhmer, Regesta Imperii, hg. von der Kommission für die Neubearbeitung der Regesta Imperii, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., Bd. 2,1 und 2,2; zum Bericht des spanischen Gesandten Gomez de Fuensalida vgl: Regesta Imperii, XIV, Bd. 2,1, Nr. 6560. 312  Baum, Wilhelm: Kaiser Sigismund. Hus, Konstanz und Türkenkriege. Graz / Wien / Köln 1993, hier: S.  271.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Die fürstliche Gesellschaft war hierarchisch aufgebaut; an ihrer Spitze stand der Kaiser. Diese hierarchisch, wenn auch längst nicht konsistent strukturierte Elite definierte sich selbst durch ihr Anders- bzw. Bessersein. In Krisenzeiten wird die herrschende Elite freilich stärker denn je auf den Prüfstand gestellt, zumal, wenn deren Anderssein aus einer ökonomischen, sozialen, kulturellen oder technischen Überlegenheit resultiert. In Krisenzeiten werden systematisch gesehen beinahe selbstverständlich traditionelle Werte als Schutzwall um den eigenen Status betont, vermeintlich „sichere“ Qualitätskriterien nämlich, die sich in einer gottgewollten, „immer schon“ existierenden Ordnung manifestieren, in einer nach wie vor rückwärtsgewandten Legitimierung des eigenen Verhaltens nämlich, im alten Herkommen also.313 Die Selbstbestätigung resultierte aus der Annahme, dass die als gesetzt verstandene alte Ordnung unabweislich funktioniere und alle anderen ebenso wenig an dieser Tatsache zweifelten wie man selbst. Diese Selbstbestätigung wirkte stabilisierend auf die Verhältnisse zurück.314 Die Rechtsgewohnheit zeigte eine gewaltige Beharrungskraft; sie bildete eine Grundstruktur der mittelalterlichen Gesellschaft, welche durch eine „eigenartige Verbindung von Konstanz und Traditionalismus mit flexibler Veränderungsfähigkeit“ gekennzeichnet war.315 Das Bekenntnis zu einer höfisch-ritterlichen Kultur gehörte zu diesem Verständnis einer (im Unterschied zu den Ritterbünden des niederen Adels) rein fürstlichen Lebenswelt, welche soziale Exklusivitätsansprüche mit einem angemessenen Lebensstil und entsprechenden impliziten Verhaltensnormen verband, also Normen, welche „nicht oder noch nicht als allgemeingültig anzusprechen waren – ggf. aber so geläufig, daß man sie nicht eigens fixieren mußte.“316 So verhalfen zwar Symbolisierungen, rituelle Handlungen wie Anredeformen, dingliche Symbole und andere Verhaltensnormen der abstrakten Ordnung durch ihre Anschaulichkeit zu einer als objektiv wahrgenommenen Wirklichkeit; konsistent waren sie jedoch nicht: Stets konkurrierten nämlich unterschiedliche Deutungen oder Nuancen der Vornehmheit offen oder 313  Zum Problem vgl. Dilcher, Gerhard: Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als methodisch-theoretisches Problem, in: Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter, hg. von Gerhard Dilcher et al., Berlin 1992, (Deutscher Rechtshistorikertag Nijmwegen, 1990), S. 21–65. 314  Vgl. Stollberg-Rilinger, S. 9–10. 315  Dilcher, Gerhard: Bildung, Konstanz und Wandel von Normen und Verfahren, in: Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa, hg. von Doris Ruhe und Karl-Heinz Spieß, Stuttgart 2000, S. 187–201, Zitat: S. 199. 316  Vgl. Schneider, Reinhard: Implizierte Normen königlichen Handelns und Verhaltens – Herrschaftspraxis in Abhängigkeit von ungeschriebenen Leitvorstellungen, in: Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa, hg. von Doris Ruhe und Karl-Heinz Spieß, Stuttgart 2000 (Tagung Mittelalterzentrum Greifswald, 1998), S. 203–216, Zitat: S. 203.



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verdeckt miteinander.317 Dies konnte sich in Streitigkeiten um die Sitzordnung ebenso äußern wie in der geschichtlichen Herleitung des eigenen Vorrangs.318 Auch wenn die „Gruppe der Fürsten“ insofern geschlossen wirkte und auf ihren elitären Rang höchsten Wert legte; wirklich abgeschlossen war sie nie. So lässt sich am Herzogtum Württemberg im Spätmittelalter sowohl die Öffnung der Reihen nachweisen als auch die Tatsache, dass ein historischer Rang zeitweilig in Vergessenheit geraten konnte.319 Bei Zusammentreffen musste also selbst die Kleidung dem Selbstverständnis und der Außenwahrnehmung der Vornehmheit des jeweiligen Fürsten angemessen sein.320 Dabei ergaben sich beinahe zwangsläufig sowohl Unverträglichkeiten als auch Übereinstimmungen mit den sonstigen Interessenssphären eines Fürsten: Regionale, politische, wirtschaftliche, familiäre Bande waren gegeneinander abzuwägen und ergaben selten eine von vornherein eindeutige Situation.321 Dies umso weniger, als auf dem Feld aristokratischer Rangansprüche auch kleinste Nuancen große Wirkung entfalten konnten. Häufig sprachen insofern ebenso gute Gründe dafür wie dagegen, der königlichen Interpretation der Lage zu folgen. Subjektive Faktoren wie etwa traditionelle Gruppenbindungen, der Wunsch nach persönlicher Anerkennung, der eigene Glaube an die gute Sache oder auch der Wunsch, einer bestimmten Gemeinschaft oder sozialen Gruppe innerhalb der Fürsten anzugehören, beziehungsweise die Überzeugung, sich einer bestimmten Gruppierung nicht entziehen zu können, dies alles mochte letztlich zum eigenen Verhalten beitragen. Stollberg-Rilinger, S. 10. Johannes: Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 25), Berlin 2001, 139–174; Helmrath, Johannes: Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. von Hannah Vollrath und Stefan Weinfurter, Köln-Weimar-Wien 1993, 719–760; Spieß, KarlHeinz: Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum, hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1997, S. 39–61(= Residenzenforschung, 6). 319  Vgl. die Untersuchung von Dieter Mertens, Der Fürst über die (Wieder-)Erhebung Württembergs zum Herzogtum. 320  Vgl. Selzer, Stephan: Politik und Erscheinung: der Freiburger Reichstag (1498) in kursächsischen Rechnungen, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, unter Mitarbeit von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 371–392. 321  Auge, S. 356 findet die Theorie Peter Moraws über die Reichsverdichtung bestätigt, erweitert sie jedoch dahingehend, dass man „ab etwa 1480 nicht nur die politisch-rechtliche, sondern auch die zunehmende wirtschaftliche und kulturelle Integration bis dahin mehr oder minder königsferner Bereiche in das Reich meinen muß“. 317  Vgl.

318  Helmrath,

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Insofern vereinfachen die oben zitierten Äußerungen im Sinne von „jeder macht, was er will“ die Situation der Fürsten unzulässig. Denn die Suche nach dem individuell richtigen Platz im (aktuell) richtigen Organigramm stellte sich für den einzelnen Fürsten als unter Umständen durchaus existentielle Frage dar; schließlich unterlag seine Politik einer Menge durchaus entscheidungsrelevanter struktureller Zwänge.322 Solange die Ordnungsprinzipien des Herrschaftssystems im Reich jedoch noch nicht soweit gefestigt waren, dass die ständische Gesellschaft ihre Spielregeln ausformuliert hatte, mussten diese von Fall zu Fall neu definiert werden, ein für die Stellung des einzelnen Dynasten im Gesamtsystem durchaus relevantes Problem. Insofern waren ausführliche Erwägungen darüber, ob insbesondere die hausmachtstarken Habsburger eine Anforderung in ihrer Funktion als König oder als Dynasten stellten, gerade für Fürsten auf Augenhöhe ein ganz wesentliches Kriterium. Nachgeordnete Kräfte fügten sich gemäß ihrer Bezugsstrukturen in den jeweiligen Kontext ein oder wurden diesem zugeordnet. Ein komplexes Miteinander, welches mit der Zeit, mit der Definition von Spielregeln, immer selbstverständlicher wurde, bis es sich schließlich soweit gefestigt hatte, dass die Stände auf den Reichstagen repräsentative Funktionen übernehmen und entsprechende Beschlüsse im Namen des Reiches verantworten konnten. Die objektiv steigende Anforderung, durch militärische oder finanzielle Leistungen nicht nur symbolisch am Reich mitzuwirken, führten sukzessive zu einem Wandel im Verhalten der Fürsten, zu einer stärkeren Bereitschaft etwa, bei königlichen Tagen aktiv an den Verhandlungen teilzunehmen. Dies dürfte erklären, warum sie gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf Reichstagen mehr als eine formelle Rolle spielen. Die einzelnen Fürsten mussten ihren Herrschaftserfolg sichern, was im wohlverstandenen Eigeninteresse auch hieß, den eigenen Anteil zu optimieren, d. h. die Relation zwischen Leistung und Ertrag günstig zu gestalten. Inkonsistenzen in den Verhaltensmustern zwischen ökonomisch bzw. militärisch rational nachvollziehbaren Entscheidungen und solchen, die gesellschaftlich bzw. emotional zwar nach wie vor standesgemäß korrekt erscheinen mochten, bei systematischer Betrachtung jedoch schlicht irrational anmuten, waren in dieser Konstellation beinahe selbstverständlich. Wenn der Herrscher Loyalität anmahnte, lag es zum Beispiel nahe, dass die fürstliche Elite sich auf ihre soziale Integrität besann, d. h. sich traditionell verhielt.

322  Auge arbeitet dies heraus, sieht allerdings mehr Zwänge im Innern als bei der äußeren Politik (vgl. S. 168), was freilich auf Auges methodische Beschränkung der fürstlichen Außenpolitik auf familiär-dynastische Angelegenheiten zurückzuführen sein dürfte.



III. Weitere Machtrollen161

a) Compliance versus Commitment Matthias Corvinus soll in Wien, welches er seit Juni 1485 besetzt hielt, gespottet haben, „der Ks. wer wol ein mechtiger H., aber die Ff. im Reich geben nichts umb ine und wärn im nit gehorsam“.323 Unter den gegebenen Bedingungen sollte er sich mit dieser Einschätzung freilich irren. Der Druck, den er erzeugt hatte, konnte nicht ohne Reaktion bleiben: „Am Ausmaß der Zurückweisung dieses Zugriffs auf Reichsintegrität, Königtum und Reichsverfassung muß daher das Geschehen wie der Erfolg dieses Reichstages gemessen werden.“324 Die Verhandlungen jener Jahre sind insofern gut geeignet, das gegenseitige Geben und Nehmen exemplarisch aufzuzeigen. Bei einer Gefahr dieser Größenordnung – die Angriffe des Matthias Corvinus waren, wenn man so will, in ihrer Radikalität zu modern für das Reich – war es freilich undenkbar, nicht wenigstens formaliter Hilfsbereitschaft zu signalisieren. So hatten Herzog Wilhelm von Jülich-Berg und Herzog Johann von Kleve bereits im Vorfeld des Frankfurter Tages Hilfe gegen den Ungarn zugesagt. Und Kaiser Friedrich bat Herzog Wilhelm nicht ohne Grund, er möge seine Hilfe auf dem Tag auch öffentlich kundtun lassen.325 Neben der formalen Bekundung dessen, was man heute Compliance nennen würde und der entsprechenden Aktivität stand freilich die Realität des politischen Miteinanders. So erschienen die bayerischen Herzöge beinahe selbstverständlich nicht persönlich auf dem Reichstag;326 doch sie versäumten es nicht, ihre prinzipielle Bereitschaft zur Hilefeleistung öffentlich verkünden zu lassen.327 Kaiser Friedrich gab sich darüber hinaus viel Mühe, seinen Gegner als besonders unwürdig darzustellen. Er ließ Haug von Werdenberg in extenso ausführen, bei welchen Gelegenheiten Matthias sich in den vergangenen Jahren als Betrüger erwiesen habe. Der Kaiser hingegen habe das Land 46 Jahre lang beinahe ausschließlich auf eigene Kosten nach bestem Vermögen 323  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 869, Zitat: S. 793. unter Maximilian I., Bd. 1, Zitat: Einleitung, S. 29. 325  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 79; Johann von Kleve (vgl. die Entwürfe Nr. 82, 83) sagte als Dank für seine Belehnung die Hälfte der Summe zu, die er nach dem Anschlag von 1481 hätte zahlen sollen. Desweiteren verpflichtete er sich zur Zahlung der Summe, die in Frankfurt „auf uns gelegt wird“. 326  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 90, 97. Albrecht begründet seine Abwesenheit damit, dass die Ladung zu kurzfristig gewesen sei. Die besser unterrichteten Kreise wussten freilich: „die keis. may. vermeint, Regenßpurg widder den herczoch Albrecht zu haben, deß er zu geben nit gewillet.“ Siehe auch Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 623, S. 451–452, vgl. ebenda, Nr. 627 aus Nürnberg, April 1487. 327  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 311. 324  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

regiert. Nun – da er allein nicht imstande sei, dem König von Ungarn den nötigen Widerstand zu leisten – sei es Aufgabe der Kurfürsten und Fürsten, ihm beizustehen. Lob und Dank werde ihnen von Gott und von den Christen zuteil werden, die „von den zwaien wütrichen, dem Türken und Kg. von Hungern, bedrankt werden und ir plut vergiessen“.328 Diese Ausführungen stellten den wiederholt friedensverachtenden Betrüger und Gewalttäter einem seit langer Zeit treu dem Reich dienenden Herrscher gegenüber. Diese Darstellung konnte ihre Wirkung kaum verfehlen. Die Kurfürsten erklärten dementsprechend ihre Bereitschaft, dem Kaiser „mit andern des Reichs“ bei der Verteidigung der Erblande selbstverständlich beizustehen.329 Diese Erklärung entsprach der Hilfsforderung. Anstelle des Reichs wurden also die Habsburger Territorien genannt, was durchaus mit Bedacht geschah, war man doch einigermaßen sicher, dass es sich um eine Auseinandersetzung aus dem dynastischen Umkreis handle. Diese Einordnung des Konflikts hatte zur Konsequenz, dass Friedrich stärker unter Verhandlungsdruck geriet, als ihm lieb sein konnte. Eine besonders starke Abhängigkeit der Leistung von einer Gegenleistung lag bei dieser Konstellation nämlich auf der Hand. Gleich im Anschluss an die Hilfszusage artikulierten die Kurfürsten dann auch Forderungen nach einer Ordnung der Friedens-, Gerichts- und Münzangelegenheiten.330 Das wiederum war ganz im Sinne der anwesenden Fürsten, welche sogar vorschlugen, Hilfszusagen zunächst ganz zurückzustellen; sie verletzten damit die politischen Spielregeln. Eine solche Radikalisierung trugen die Kurfürsten nicht mit; auch gingen ihnen die innenpolitischen Forderungen zu weit.331 Die Antwort musste deshalb etwas „linder“ formuliert werden, um den Kaiser nicht zu verdrießen.332 Man hegte zwar allerseits Zweifel an der Relevanz des Vorhabens für das Reich, musste jedoch Maß halten. Die Situation war günstig für Forderungen an den Kaiser, war dieser doch durch die Einordnung seiner Kriegspläne als dynastisches Problem in einer relativ schwachen Position. Andererseits musste man vorsichtig agieren, um die Kosten für das geplante miltärische Abenteuer nicht zu sehr in die Hö328  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 869, Zitat: S. 796. so sie erkennen und ursach vor augen sehen der kriege und furnemen, so der Kg. von Hungern gegen seiner ksl. Gn. erblanden ubet, …“. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 311, Zitat: S. 313. 330  Tatsächlich kam es zum Entwurf eines kaiserlichen Kammergerichts, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 329. Zum Landfrieden vgl. Nr. 335; Fassung vom 17.3.1486. Siehe auch den Entwurf Maximilians zu einer allgemeinen Ordnung, Nr. 332 vom 16. März 1486. 331  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 863, Zitat: S. 785. 332  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 311, Zitat: S. 315; vgl. auch Nr. 317. 329  „Und



III. Weitere Machtrollen163

he zu treiben. Man ging nämlich allgemein davon aus, dass der beabsichtigte Zug mit einiger Sicherheit an logistischen Unzulänglichkeiten scheitern würde. Der Kaiser werde im aktuellen Streit mit den Wittelsbachern um die Besetzung des Regensburger Bistums nicht nachgeben und damit die für sein Vorhaben unverzichtbare Unterstützung der Wittelsbacher nicht bekommen.333 Insofern erschien die Zusage militärischer Kräfte sinnlos; und eine finanzielle Zusage musste möglichst gering ausfallen, würde sie doch letztlich nur die Liquidität des Hauses Habsburg erhöhen. Vor diesem Hintergrund bekam Friedrich eine eher symbolische Summe, die er zudem finanztechnisch selbst umsetzen musste und über deren Verwendungszweck er berichten sollte.334 Die Vorsichtsmaßnahmen steigerten sich bis zu der Forderung, vertraglich festzulegen, dass der zugesagte Beistand auch anderen Anrainern des Ungarn im Falle eines Angriffs zugute kommen solle.335 Die Rollenverteilung bei Verhandlungen ohne einen überzeugenden Handlungsdruck im Sinne einer Not für das Reich war beinahe typisch zu nennen: Der Herrscher stellte Forderungen, welchen nolens volens entsprochen wurde, allerdings unter den Bedingungen einer möglichst umfassenden Kontrolle des eigenen Leistungsumfangs im Sinne einer Begrenzung auf das unbedingt Notwendige und die Vermeidung pauschaler Zusagen an eine Dynastie: Man zeigte Compliance im Sinne einer gehorsamen Antwort auf ein Begehren des Kaisers; Commitment im Sinne einer Selbst-Verschreibung auf ein Ziel blieb aus. b) Neue Handlungsmuster Dabei ist zu beachten, dass man bereits die Differenzierung zwischen Compliance und Commitment selbst als einen Zug zur Festigung überkommener Handlungsmuster ansehen und damit einer Neuerung der Verfassung zuordnen könnte. Außerdem lassen sich auch Beispiele für reichsinterne 333  Ludwig zum Paradies brachte dies in seinem Bericht von den Nachverhandlungen in Nürnberg im April 1487 auf den Punkt: Eine finanzielle Zusage sei die einzig denkbare, „dann die andere, wo die Beyerschen nit wullen, ist by yderman unmogelich angesehen“. Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 627, S. 457; vgl. auch ebenda, Nr. 632. 334  Diese Forderung blieb bestehen: Von Frankfurt ist eine Stellungnahme vom April 1487 überliefert, in der bekundet wird, der Rat werde Geld geben, wenn dies unvermeidlich sei. Dann folgt: „Item alsdanne were unser meynung aber nit, das solich gelt durch unsern allergnedigisten herrn den Romischen keyser oder die sinen uffgehaben, ingenommen oder ußgeben, sonder von den fursten und steten zuzugeben reten und frunden domit gehandelt solt werden.“ Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 631, S. 462. 335  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 318.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Zusagen finden, also „Reichshilfe ohne König“ und zwar über die gängigen regionalen bzw. sozialen oder familiären Netzwerke hinaus, welche das Reich ohnehin zuammenhielten. So wurde in Worms im Jahre 1497 den Herzögen von Jülich, Berg und Kleve versprochen, dass ihnen „hilf und bystant gescheen soll“.336 Die Herzöge hatten um Unterstützung gebeten, weil ein Angriff des französischen Königs zu befürchten sei.337 Sie wurden daraufhin unterrichtet, man habe gemäß dem in Worms 1495 beschlossenen, in Lindau bestätigten und erweiterten Landfrieden alle Kurfürsten, Fürsten und „stende“ des Reichs im Umkreis von zwanzig Wegmeilen aufgefordert, den Bedrohten zur Hilfe zu eilen. Der entsprechende Passus, welcher sich in beiden Reichstagsabschieden findet, wurde sogar wörtlich zitiert.338 Handelte es sich also um eine neue Qualität von Zusagen vor dem Hintergrund fürstlicher Solidarität, engagierte man sich in den betroffenen Herzogtümern nun unabhängig von königlicher oder habsburgischer Politik, ganz und gar im Namen des Reiches?339 Handelte es sich vielleicht gar um eine ausdrückliche Dokumentation der Tatsache, dass sich bereits eine gewisse „LandfriedensRechtssicherheit“ ausgebildet hatte? Genau besehen war die konkrete Anforderung ein gängiges fürstliches Problem, die Durchsetzung von konkurrierenden Ansprüchen oder strittigen Rechten mit militärischen Mitteln nämlich. Die Angelegenheit unterschied sich allein dadurch, dass sie am Rande des Reiches stattfand, nicht grundsätzlich von anderen Streitfällen im fürstlichen Milieu. Auch die Reaktionen gestalteten sich ähnlich denen auf Anforderungen, welche von den Habsburgern ausgingen: Man prüfte, ob es sich um ein Anliegen mit vorwiegend dynastischem Impetus handle. Und Hilfe erwartete man vorwiegend vom regionalen Netzwerk. Ein fürstlicher Krieg wurde schließlich nicht allein deshalb zu einem „nationalen“ Problem, weil der Gegner von außen kam: Nicht die Herkunft, sondern die Qualität des Problems spielte die entscheidende Rolle. Erst wenn die Bedrohung eine gewisse Größenordnung und / oder lang anhaltende 336  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Wormser Tag, II, Nr. 152, S. 482. 337  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Wormser Tag, II, Nr. 124. 338  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 51, S. 341; Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.2, Nr. 1593, Pkt. 9, S. 1144. 339  Hier sind die Erbeinungen und politische Freundschaften als ein Bestandteil des komplexen fürstlichen Mit- und Gegeneinanders zu benennen, vgl. Müller; eher noch Garnier, Claudia: Amicus amicis, inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert, Stuttgart 2000 (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 46).



III. Weitere Machtrollen165

Unentschiedenheit erreichte und damit systemimmanent nicht lösbar erschien, wurde sie zu einem grundsätzlichen Problem. Solange eine derart hohe Alarmierung jedoch nicht eingetreten war, sich die Bedrohung also im gewohnten Rahmen hielt, bestand kein Anlass, eine neue Qualität des eigenen Verhaltens zu erproben. In solchen Fällen genügten die aus dem Landfriedenszusammenhang bekannten Mittel und Wege. Wenn Fragestellungen also mit den dem politischen System des Reichs zur Verfügung stehenden Steuerungsmechanismen bewältigt werden konnten, dann erfolgte dies gemäß den erprobten Spielregeln des fürstlichen Mit- und Gegeneinanders. Eines königlichen Eingreifens bedurfte es in solchen Fällen nicht. Erst wenn die Krise eine gewisse Toleranzschwelle oder das Maß des Geübten überschritt oder zu überschreiten drohte, wurde sie von einem regionalen Konflikt zu einem Anliegen des Reiches. Bei Streitigkeiten zwischen besonders starken Kräften konnte und musste der König als Schiedsrichter eingreifen. In einigen Fällen konnte der Herrscher dabei tatsächlich einen Autoritätsgewinn erzielen: „Dazu bedurfte er einer Konstellation, bei der der König einer starken Partei das Recht zu einer Strafaktion zusprechen konnte“; im Falle Sigismunds war dies zum Beispiel 1431 im Fall Österreich-Tirols erkennbar.340 Allerdings lassen sich auch genügend Beispiele dafür aufzeigen, dass der König machtpolitisch auf die falsche Seite geriet, Sigismund etwa bei seinen Verhandlungen mit Arnold von Egmonds über die Belehnung mit Geldern, Jülich und Zütphen.341 Die Konfliktregelung wurde zudem nach Möglichkeit regional verortet, was in dichter vernetzten Regionen übrigens tendenziell eher zu diplomatischen Verhandlungen als zu militärischen Aktionen führte, und zwar weitgehend unabhängig von einer (modernen) Staatsgrenze. War also das Vorgehen 1497 nichts Besonderes? In der Sache sicher nicht, in der Form jedoch sehr wohl. Eine gewisse Neuerung lässt sich nämlich tatsächlich beobachten: Man dokumentierte eine gewisse Rechtssicherheit, ein formal, beinahe verwaltungstechnisch geordnetes Prozedere. Die Tatsache, dass man die entsprechenden Regelungen wörtlich zitierte, spricht für die Neuheit des Verfahrens und davon, dass man seine Umsetzung in dieser geregelten Form noch nicht als selbstverständlich empfand. Die Handlungsmuster der internen Konfliktbeilegung, welche durch den Landfrieden von 1495 auf eine festere Grundlage gestellt worden waren, konnten wie gewohnt angewendet werden. Das brachte eine gewisse Ruhe in die Angelegenheit; die Bedrohungslage wurde nicht wirklich als Gefahr 340  Wefers,

Das politische System, S. 181. F. Böhmer, Regesta Imperii, XI: Die Urkunden Kaiser Sigmunds. 1410– 1437, bearb. von Wilhelm Altmann, Nachdruck der Ausg. Innsbruck 1896–1900, Hildesheim 1968, Nr. 5959. 341  J.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

eingestuft. Damit konnte von einer Krise nicht die Rede sein, wodurch sich eine Diskussion um prinzipielle Fragen des Selbstverständnisses erübrigte und (neue) Routinen greifen konnten. Man wusste schließlich, wie man in einem solchen Falle vorgehen würde – und hatte dies neuerdings sogar ordentlich geregelt. Die Neuerung lag insofern nicht im Vorgehen selbst, sondern in der Fixierung des Überkommenen, ein Schritt in Richtung einer normierten Verfassung des Reiches. Selbstverständlich wies die formale Etablierung entsprechender Handlungsmuster weit in die neuzeitliche Zukunft hinaus. Auch die Abwendung einer ernsthaften Gefahr, zu deren Abwehr der König aus irgendeinem Grunde nicht zur Verfügung stand, konnte man nun leichter als je zuvor auch ohne ihn, sein Einverständnis voraussetzend, selbstständig in Angriff nehmen. Hatte es in Sigismunds Zeiten noch eines Kardinallegaten bedurft, um sich aus aktuellem Anlass mit Hilfe eines königsähnlich handelnden Protagonisten selbst zu organisieren, konnte man nun auf finanztechnische und friedenssichernde Verfahren zurückgreifen, die im Laufe der Jahre immer differenzierter und damit alltagstauglicher ausgearbeitet worden waren. Die Interventionsfähigkeit des Reiches als sich selbst legitimierender Handlungsträger wuchs mit diesen Festschreibungen zusehends. Ein Beispiel dafür mag das Verhalten auf dem Lindauer Tag 1496 in der Streitsache des Klosters Weißenburg sein.342 Nachdem man sich einig geworden war, dass nicht nur das Einschreiten als solches, sondern auch die Art und Weise des Vorgehens durch den königlichen Landfrieden klar legitimiert seien, wandte man sich an den König.343 Es müsse eine Lösung gefunden werden, weil der wegen dieser Sache zu erwartende Aufruhr die Einhebung des Gemeinen Pfennigs verhindern und die in Worms geschaffene Ordnung von Frieden und Recht zerrütten würde.344 Die Versammlung appellierte damit an die Verantwortung des Königs für das Reich in der gleichen Diktion, in der sich der König gemeinhin an das Reich wandte. Der König reagierte, indem er Walter von Andlau zum Reichshauptmann in Weißenburg ernannte.345 Ähnlich diskutierte man 1496 darüber, den König zu bitten, seine Räte gleich von Lindau nach Frankfurt zu schicken, damit „man allenthalb im reich möcht zuflucht zu in haben“. Außerdem wollte man mit dem König über seine weiteren Schritte sprechen, „darnach man sich mit der hilf schi342  Zum Weißenburger Handel vgl. Krause, Eduard, Der Weißenburger Handel (1480–1505), Phil. Diss. Greifswald 1889. 343  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 145, 146, 147. Vgl. auch Nrn. 153, 157. 344  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 148. 345  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 187.



III. Weitere Machtrollen167

cken mocht“; schließlich bat man, die Vikariatsfrage zu klären. Auch sollten die Grenzen des Reiches gegen nachbarliche Übergriffe durch eine bessere Verteidigungsorganisation gesichert werden, „dann on das wirt swerlich gegen frömbder nacion etzwes fürzunehmen on aufrur und zwenk derselben örter“.346 Man begann also, grundsätzlich über ein abgestimmtes Miteinander in Richtung einer Mitverantwortung für das Wohl und Wehe des Reichs zu sprechen. Diese Beobachtungen sprechen eindeutig für eine Entwicklung in Richtung einer neuzeitlichen Reichsverfassung. Wie stets bei Bewegungen wie diesen wurden parallel dazu Stimmen laut, welche diese Veränderungen als verhängnisvoll wahrnahmen. Dies könnte man als Hinweis darauf deuten, dass sich der Wandel zu geregelten Verfahren als einigermaßen substantiell darstellte, was ungewohnte Festlegungen mit sich brachte und damit latent bedrohlich erscheinen musste. Auch in diesem Zusammenhang zeigte sich also, dass der Untersuchungszeitraum offen war für traditionelles und modernes Handeln, übrigens in dieser Reihenfolge. Denn das alte Herkommen bildete nach wie vor das Raster für die Einordnung aller Teilhaber am Reich; in dieses Raster ordnete sich die eigene Vita ein. Die Frage, worin das alte Herkommen oder die alte Ordnung eigentlich bestand, mochte in Gelehrtenkreisen zum Problem werden, im konkreten Lebensumfeld besonders der fürstlichen Protagonisten war diese Ordnung weniger eine abstrakte als eine konkrete Größe. Die Berufung auf die alte Ordnung war ein gängig taugliches Instrument, um sich einerseits vor ungerechtfertigt erscheinenden Anforderungen zu schützen und andererseits eigene Ansprüche zu legitimieren. Dabei wurde diese sukzessive, wenn auch nicht konzise, detaillierter definiert. Diese Präzisierungsprozesse ergaben sich aus der Zunahme an Forderungen im Namen des Reichs. Die Verfassung des Reichs im Sinne eines Sozialgefüges wurde mit den wachsenden Ansprüchen an das Funktionieren politischer, rechtlicher, militärisch-technischer, fiskalischer und wirtschaftlicher Netzwerke enger. Es ist unschwer zu erkennen, dass mit dieser Entwicklung eine Einengung des Handlungsfreiraums beziehungsweise der Handlungsalternativen einherging. Und mit der Verrechtlichung der Strukturen ergab sich auch eine Entpolitisierung. Was vormals politisch entschieden werden musste, konnte zunehmend verwaltungstechnisch behandelt werden. Allerdings würde es zu kurz greifen, diese Tendenz als gradlinig fortschreitenden Prozess zu interpretieren. Vielmehr ist mit progressiven und retardierenden Elementen zu rechnen. Diesen Dualismus der Möglichkeiten findet man beinahe idealtypisch in dem auf den ersten Blick manchmal sogar widersprüchlichen Verhalten des Hochadels. 346  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, III, Nr. 2, Zitate: S. 271.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

c) Strukturelle Gemengelagen Die Fürsten, welche übrigens auch in den Quellen nahezu immer als „die“ Fürsten, mithin als geschlossene Gruppe bezeichnet werden, standen in der gesellschaftlichen Hierarchie hoch oben und konkurrierten damit latent mit der Spitze des Reiches. Der König und die Kurfürsten waren zur Gefahrenabwehr für das Reich in besonderem Maße verpflichtet und berührten damit beinahe zwangsläufig fürstliche Machtsphären. Der Spannungsbogen zwischen unterschiedlichen dynastischen Interessenslagen bei gleichzeitig wachsender Einbindung in die Verantwortung für ein immer engeres Sozialgefüge Reich war nicht ohne weiteres aufzuheben. Und doch wirkte das eine auf das andere zurück: Wenn wir selbst im weiträumigen Nordosten des Reichs gegen Ende des 15. Jahrhunderts die konfliktbeladene Durchsetzung von landesherrlichen Rechten erleben, dann wird die relative Modernität dieser Auseinandersetzungen greifbar: Es ging um die Verleihung, Bestätigung bzw. den Verlust von städtischen Privilegien und Gewohnheitsrechten. Das Movens war die Lösung finanzieller Probleme auf beiden Seiten, bei den Fürsten ebenso wie bei den Städten. Fast in allen Fällen wurden die Herzöge aktiv und gingen gegen die Städte vor, um landespolitische Ziele zu erreichen. Wenn die Städte dabei auf wirtschaftlichem Gebiet getroffen wurden – etwa bei Handelsbeschränkungen für die hansischen Kaufleute –, reagierten sie „in weit stärkerem Maße als Gemeinschaft, als dies etwa während der landespolitischen Auseinandersetzungen der Fall gewesen war.“347 Die Tatsache, dass jede Stadt für sich handeln und entscheiden musste, wirkte sich letztlich zugunsten der landesherrlichen Bemühungen aus: Die städtischen Vertreter trafen ihre Entscheidungen vor allem im Interesse ihrer eigenen Stadt „und berücksichtigten die Probleme der ohnehin locker gehaltenen Gemeinschaft mit anderen Städten nur insoweit, wie sie selbst unmittelbar berührt wurden.“348 Diese Aussage lässt sich bezogen auf die Fürsten mindestens in gleichem Maße treffen. Die nicht zu unterschätzende Inkongruenz schwächte die Bildung einer politisch handlungsfähigen Gruppe, welche allerdings sowohl von den Zeitgenossen als auch von der historischen Forschung mit dem Begriff „die Fürsten“ bereits vorausgesetzt wird.349 Insofern versteht sich 347  Vgl. Sauer, Hans: Hansestädte und Landesfürsten: die wendischen Hansestädte in der Auseinandersetzung mit den Fürstenhäusern Oldenburg und Mecklenburg während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, Köln u. a. 1971, Zitat: S. 154. 348  Vgl. Sauer, Zitat: S. 173. 349  Vgl. auch Krieger, Fürstliche Standesvorrechte, S. 116. Der Autor führt aus, dass erst im 15. Jahrhundert eine „bemerkenswerte Tendenz zur Festschreibung und



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beinahe von selbst, dass „die Fürsten“ sich häufig anders verhielten, als es diejenigen erwarten, welche unter den Begriffen Dualismus und ständische Opposition bereits ein späteres Stadium der reichsständischen Verfassung antizipieren.350 Fürsten waren jedoch in wachsendem Maße involviert in Leistungen und Verantwortung für das Reich und untereinander im Sinne einer Verflechtung der Dynastien. Im Zuge der zunehmenden Verrechtlichung und wirtschaftlichen Konsolidierung fürstlicher Herrschaften gerieten der Adel und manche Kommune in die Defensive. So sprechen Historiker gar von einer „wachsenden Funktionslosigkeit“351 des Adels beziehungsweise von den Nöten eines an der „Wende zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert in eine massive Existenzkrise“352 geratenen Adels. Auch hier lässt sich beobachten, was man als den Dualismus zwischen dem Alten und dem Neuen bezeichnen könnte: Neue, eher professionell geprägte Herrschaftsstrukturen oder die funktionale Gleichberechtigung von Adligen und Bürgerlichen traten neben die Wahrung von traditionellen Standesunterschieden; dies spiegelt sich in den führenden Persönlichkeiten der Herrschaft Maximilians anschaulich wider.353 Eine besonders herausragende Karriere machte in dieser strukturellen Gemengelage Veit von Wolkenstein, welcher ein Konglomerat von auf den ersten Blick sogar widersprüchlich anmutenden Eigenschaften verkörperte, die in dieser Phase zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit offenbar unverkrampft nebeneinander stehen mussten, wenn ihr Träger Erfolg haben wollte: „Mut und Erfahrung mit den Waffen zeichneten ihn ebenso aus wie diplomatisches Verhandlungsgeschick, Integrationsfähigkeit, eine ausgeprägte rhetorische Begabung sowie das Talent, wichtige Akte herrscherlicher Repräsentation eindrucksvoll mitzugestalten.“354 Der herzoglich-bayerische Monopolisierung bisher noch umstrittener oder mit anderen geteilter Vorrechte zu beobachten“ sei. 350  So erklärt sich die Enttäuschung mancher Historiker, dass die Reformprojekte zwar „mit großer Mehrheit beschlossen wurden, danach allerdings nicht die zu ihrer Realisierung erforderliche Unterstützung fanden. Aus diesem Grunde ist die Frage gestattet, ob die Reichstagsbeschlüsse von der notwendigen inneren Zustimmung getragen wurden.“ Vgl. Schmid, Herzog Albrecht IV. von Bayern, S. 233. Die Frage, welche zu stellen wäre, ist freilich weniger die nach der inneren Zustimmung als die nach den zeitgenössischen Rahmenbedingungen, dem Reich also. 351  Seyboth, Reinhard: Adel und Hof zur Zeit Maximilians I. am Beispiel der Familie Wolkenstein, in: Die Wolkensteiner, Facetten des Tiroler Adels in Spätmittelalter und Neuzeit, hg. von Gustav Pfeiffer und Kurt Andermann, Innsbruck 2009, S. 75–100, Zitat: S. 77. 352  Seyboth, Adel und Hof, S. 92. 353  Seyboth, Adel und Hof, besonders S. 77–80, Zitat: S. 79. 354  Seyboth, Adel und Hof, S. 85.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Gesandte Kaspar Morhart brachte die führende Rolle Veits einmal anschaulich auf die Formel: Der Wolkensteiner sei „warlich halber König“. Ihn müsse man für ein Anliegen gewinnen und Maximilian dann nur noch neben guten Worten ein paar Hirsche zum Jagen anbieten.355 Wolkenstein mochte eine Ausnahmepersönlichkeit sein: Die Beobachtung, dass professionelle Diplomaten oder juristische Gelehrte in unterschied­ licher Funktion an den Höfen des Hochadels zunehmend relevante Funk­ tionen wahrnahmen, ist unbestritten und belegt den allmählichen Wandel zu neuzeitlichen Strukturen. d) Alte Handlungsmuster Der Druck von oben war für die Fürsten weitgehend individuell abzufangen. Unter der Prämisse, dass die Selbstversicherung in der Kultivierung des alten Herkommens lag, mussten sozusagen als Antwort auf die zeitgenössischen Veränderungen unwillkürlich traditionelle Verhaltensweisen zu neuer Blüte gelangen. So entfaltete gerade in unserem Beobachtungszeitraum eine höfisch-ritterliche Kultur und deren Förderung bei aller Vielschichtigkeit und Spannweite des Adels bis zu den Fürsten eine prägende Wirkung. Zudem spiegelt sich in dieser Form der Selbstvergewisserung auch die Unentschiedenheit der Zeit wider; traditionelles Verhalten konnte in dieser Konstellation sogar ein probates Mittel sein. So war es nicht allein Sigismund, welcher auf das überkommene, abendländisch-christliche Ritter­ ideal zurückgriff und es „für seine politischen Ziele grenzübergreifend wirksam zu instrumentalisieren vermochte.“356 Auch Maximilian hielt ein gewisses Gleichgewicht zwischen der Offenheit für neue Wege des Denkens und Handelns auf der einen und betont traditionellen Verhaltensmustern auf der anderen Seite. So ist der Habsburger bekannt dafür, dass er sich mit wegweisenden Humanisten (u. a. Conrad Celtis357, KonZitate und Ausführungen bei Seyboth, Adel und Hof, hier: S. 86–87. Martin: Westbindungen im spätmittelalterlichen Europa. Auswärtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds, Stuttgart 2000 (Mittelalter-Forschungen, Bd. 2), Zitat: S. 26. 357  Bautz, Friedrich Wilhelm: Conrad Celtis, in: Biographisch-Bibliographisches Krirchenlexikon, Bd. 1, Hamm 1975, Sp. 967–969; Huemer, Johann: Celtis, Konrad, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 4. Leipzig 1876, S. 82–88; Luh, Peter: Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte, Frankfurt 2001; Robert, Jörg: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich, Tübingen 2003. 355  Vgl.

356  Kintzinger,



III. Weitere Machtrollen171

rad Peutinger358 und Willibald Pirckheimer359) umgab. Scheinbar im Widerspruch dazu konzipierte gerade dieser Herrscher Allegorien auf sein ritterliches Wirken und Handeln, welche teils sogar von ihm selbst, teils von Marx Treitzsaurwein von Ehrentrei(t)z, Melchior Pfintzing und Hans Ried geschrieben wurden. Der Theuerdank, weitgehend von eigener Hand, allegorisiert Maximilians Brautwerbung, der Weißkunig (unvollendet), geschrieben von Marx Treitzsaurwein von Ehrentrei(t)z, berichtet von seinen Taten bis 1513. Ein drittes Werk, der Freydal, sollte sich den Turnieren des Herrschers widmen. Man kann sogar sagen, Maximilian habe sich für die Nachwelt geradezu als „Förderer höfisch-aristokratischer Kultur“ stilisiert.360 Das Ritter­ ideal blieb, im Gegensatz zum Ritterstand, ein im europäischen Raum auch für den hohen Adel gesellschaftlich gültiges und seine Lebensform prägendes Merkmal. Es ist charakteristisch, dass dieses ritterliche Ideal auch bemüht wurde, wenn es galt, Unsicherheiten im politischen Miteinander zu kaschieren. So idealisierte Maximilian zum Beispiel auch den Kampf gegen den Türken als ritterliche Aufgabe. Im Vorfeld des Freiburger Tages (1497 / 98) ließ Maximilian Markgraf Friedrich berichten, er habe eine Botschaft an den Sultan Bajezid II. (1481–1512) geschickt, um diesen zu einem „vermessen streit“ und „ritterlichen tornier“ in naher Zukunft aufzufordern.361 ­Maximilian vertraue auf Friedrichs, seines alten „veldgesellen“362 Bereitschaft, diese Aufgabe wahrzunehmen; für Schild und Helm „mit aller 358  Lier, Hermann Arthur: Peutinger, Conrad, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 25, Leipzig 1887, S. 561–568; Künast, Hans-Jörg und Jan-Dirk Müller: Peutinger, Conrad, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, Berlin 2001, S. 282–284 sowie der Wirtschaftskrimi von Ogger, Günter: Kauf Dir einen Kaiser. Die Geschichte der Fugger, München / Zürich 1978, welcher Maximilian bereits als eine Art Erfüllungsgehilfen der Fugger darstellt. 359  Geiger, Ludwig: Pirckheimer, Bilibald, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 26, Leipzig 1888, S. 810–817; Ebneth, Bernhard: Willibald Pirckheimer, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, Berlin 475–476; Holzberg, Niklas: Willibald Pirckheimer. Griechischer Humanismus in Deutschland, München 1981. 360  So Seyboth, Adel und Hof, hier: S. 77. Vgl. auch Fleckenstein, Josef, unter Mitwirkung von Thomas Zotz: Rittertum und ritterliche Welt, Berlin 2002; Lanz, Rainer: Ritterideal und Kriegsrealität im Spätmittelalter. Das Herzogtum Burgund und Frankreich, Zürich 2006. 361  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil I, Nr. 4, S. 493. Zum Zeitrahmen ebenda: „ein kurze anzal jar“. Vgl. dazu auch Reichstagsakten, Bd. 6, hier: Wormser Tag II, Nr. 69 und Gröblacher, Johann: König Maximilians I. erste Gesandtschaft zum Sultan Baijezid II., in: Festschrift Hermann Wiesflecker zum sechzigsten Geburtstag, hg. von Alexander Novotny und Othmar Pickl, Graz 1973, S. 73–80 (mit 2 Beilagen), hier: S. 76–77. 362  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil I, Nr. 4, S. 493.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

zugehörung“363 sei gesorgt. Maximilian sah nach eigenem Bekunden im Sultan einen der mächtigsten Herrscher der Welt, mit dem zu verhandeln (und diesen „Kampf“ auch zeremoniell anschaulich zu gestalten) die Aufgabe des römischen Kaisers / Königs sei.364 Allerdings war es offensichtlich, dass mögliche Abkommen mit der Pforte den König vor beträchtliche Vermittlungsprobleme stellen würden, obgleich es eigentlich keine Alternative zu einer diplomatischen Annäherung gab, nachdem Matthias Corvinus bereits 1483 einen Waffenstillstand mit Sultan Bajezid abgeschlossen und damit freie Hand für seinen Kampf in den Habsburger Erblanden gewonnen hatte.365 Die Integration des Osmanen in das höfisch-aristokratische Umfeld sollte insofern wohl dazu beitragen, Unsicherheiten im Umgang miteinander zu überspielen und die politische und soziale Akzeptanz eines Verhandlungserfolgs vorzubreiten.366 Die gesellschaftliche Selbstwahrnehmung wirkte sich insofern auch (real-)politisch aus. Die gemeinsame Verankerung in der (hoch-)adeligen Lebenswelt verband Kaiser und Fürsten des Reiches; diese Gemeinsamkeit stärkte den Zusammenhalt nach innen ebenso wie die soziale Aus- oder Abgrenzung nach außen. So verwies bereits Friedrich III. zum Beispiel erfolgreich darauf, dass der aus dem Komitatsadel aufgestiegene Hunyade Matthias Corvinus ein zwar machtvoller, aber minderwertiger Gegner sei, ein König, der „von geringem herekomen und ein sunder feynt und hasser der Deutschen ist“.367 Tatsächlich entstammten die Hunyaden keinem der großen traditionsreichen Königs- oder Fürstenhäuser, sondern sind 1409 überhaupt erstmals erwähnt.368 Der Erfolg musste das politische System des Matthias Corvinus dem Habsburger umso befremdlicher, vielleicht sogar bedrohlicher erscheinen lassen, war es doch gekennzeichnet durch eine bisher ungekannte Machtkonzentration, welche in heutiger Analyse so einzuordnen ist: „Une centralisation 363  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil I, Nr. 4, S. 494. 364  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Wormser Tag, II, Nr. 4. 365  Vgl. Rázsó, Gyla: Die Türkenpolitik Matthias Corvinus’, in: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 32 (1986), S. 3–50. 366  Es überrascht insofern nicht, dass Maximilian einen Waffenstillstand, den er im Zuge seiner Kontakte mit der Pforte erwirkte, vorsichtshalber bis 1499 nicht publik machte. Vgl. Gröblacher, hier: S. 76–77, S. 79–80. 367  So der Kaiser im Oktober des Jahres, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 502, Zitat: S. 675. 368  Vgl. Csernus, Sándor: La Hongrie de Matthias Corvin: ruptures et continuité dans l’histoire hongroise du XVe siècle, in: Matthias Corvin: les bibliothèques princières et la genèse de l’état moderne, hg. von Jean-François Maillard, István Monok und Donatella Nebbiai u. a., Budapest 2009, S. 13–24, hier S. 15, Anm. 6.



III. Weitere Machtrollen173

précoce, mais dans aucun cas un absolutisme au sens postérieur du terme, car elle s’appuyait sur un meilleur usage des forces“ in welchem „les an­ ciennes libertés ont éte‚ ‚royalement ignorées‘.“369 Dabei setzte auch Matthias alles daran, „de créer une vie de cour pleine d’éclat, brillante, faisant autorité à l’intérieur comme à l’extérieur du royaume.“370 Er versuchte also, seine Umgebung durch einen ganz besonderen königlichen Glanz zu beeindrucken. Zudem versuchten die jüngeren Dynastien von der „fatigue biologique“ zentraleuropäischer Dynastien zu pofitieren, indem sie, zum Beispiel die Habsburger in Österreich, die Luxemburger in Böhmen oder auch die Anjou in Ungarn, „font tout le possible pour s’identifier aux anciennes dynasties nationales“.371 Matthias musste also da­ rum kämpfen, sich und seine Dynastie im traditionellen Hochadel zu etablieren. Bei dem Versuch, sich in diese Reihen zu integrieren, erzeugte er auch Abwehr. Und diese Abwehr wiederum kumulierte in Ausgrenzung. So misslang der Versuch des Ungarn, mit einem Schreiben vom 15. August 1487 fürstliche Solidarität gegen den Kaiser zu erzeugen. Friedrich habe ihn mehrfach mit Krieg überzogen und dadurch vom Kampf „wider die veinde cristenlichs bluts“ abgehalten.372 Matthias unterschätzte dabei das Ausmaß der Sorge, welche von seinen Einfällen in die österreichischen Lande ausging, stand er doch sogar kurz vor der Eroberung der Wiener Neustadt. In dieser Gefährdungslage war der Kaiser mit seiner Sicht der Dinge, nach der der Corvine ein Feind des Reiches und der Christenheit sei, der weitaus überzeugendere Protagonist.373 Man übergab Friedrich also die Briefe des Corvinen, im besten Falle sogar ungelesen bzw. mit Bedauern, dass „sie nit die brief verschlosen hont gelosen“.374 e) Zwischen alten und neuen Handlungsmustern Ähnlich reagierte Markgraf Albrecht von Brandenburg im Februar 1475, als er von Karl dem Kühnen, ein – wie man heutzutage sagen würde – indecent proposal bekam:375 Karl von Burgund versuchte, Albrecht Achilles 369  Csernus,

S. 23. S. 23. 371  Csernus, S. 15. 372  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 112, Zitat: S. 225. 373  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd.  2, Nr. 399. Vgl. auch Nr. 741, S. 1055–1057. 374  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 731, Zitat: S. 1037. 375  Vgl. Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hg. von Felix Priebatsch, Bd. 2, 1475–1480, Leipzig 1897, Nr. 47, besonders S. 103–104, Anm. 3 und S. 104–105, Anm. 1. 370  Csernus,

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D. Die Rollen der Handlungsträger

für eine Verschwörung gegen Friedrich III. zu gewinnen. Albrecht sei besonders mächtig, verfüge über mehr Vernunft und Weisheit als andere deutsche Fürsten. Da er wisse, dass das Reich „myt seinem verweser übel versorgt wer“ und ihm durch diesen Mangel vielfach Abbruch geschehe; sei es notwendig, „vor das reich anders zu gedencken“. Falls Albrecht „lust zu dem reich“ habe, würde der Burgunder es ihm mehr gönnen als jedem anderen, „es wer bey des keysers lebende oder so das verleddigt worde.“376 Albrecht Achilles ließ antworten, er wolle lieber „tod sein, dann das wir in unsern alten tagen durch uns odir unsere sün ein solhe grosse bossheit wider unsern rechten herrn“ begehen würden und informierte Friedrich über die unehrenhafte (und ohnehin politisch nicht vermittelbare) Werbung Herzog Karls.377 Sofern das Angebot nicht von vornherein provokativ gedacht war, bestärkt dieses Unterfangen zumindest den Eindruck der Forscher, dass Karl der Kühne den komplizierten Verhältnissen im Reich zu wenig Beachtung schenkte.378 Grobe diplomatische oder politische Fehler dieser Art konnten Albrecht Achilles schon deshalb nicht unterlaufen, weil dieser als politischer Weggefährte und Altersgenosse Kaiser Friedrichs III. (damals 60 Jahre alt) über differenzierte Kenntnisse der Reichsinterna verfügte. Seine Erfahrung musste ihn also daran hindern, sich leichthin auf ein solches politisches Glatteis zu begeben. Dies umso mehr, als der Burgunder zu jenem Zeitpunkt den Zenit seiner beeindruckenden Machtentfaltung bereits überschritten hatte. Albrecht hielt ihn zudem für einen durchaus überwindbaren Gegner: Er äußerte zu Beginn des Neusser Krieges, wenn auch mit einem leichten Akzent der Selbstvergewisserung, selbstverständlich sei es angebracht, den Anfängen zu wehren („principibus obsta“). Militärisch sei es überdies kein unlösbares Problem, es sei denn, nicht alle Veranschlagten würden sich zügig zur Hilfeleistung bereitfinden.379 Neben machtpolitischen Erwägungen stärkt die Zurückweisung des Angebots von Karl dem Kühnen durch Albrecht Achilles auch die These, der 376  Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 2, Nr. 47, S. 104–105. 377  Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 2, Nr. 47, S. 104–105. 378  Vgl. Petra Ehm-Schenke bezogen auf die Geringschätzung des Reichsoberhaupts und der Kurfürsten im Zuge der Verhandlungen über eine burgundische Königswürde, in: Der Tag von Trier und die Grenzen des Reiches: Karl der Kühne, Friedrich III. und die Kurfürsten, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner, unter Mitarbeit von Anne-Katrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S.  143–157. 379  Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 1, Nr. 892, Zitat: S. 693.



III. Weitere Machtrollen175

Burgunder habe sich gesellschaftlich diskreditiert: Bei dem Versuch, sein kulturelles Überlegenheitsgefühl zu dokumentieren, seinen Reichtum zur Schau zu stellen und in diesem Zuge die Ausdehnung seiner Herrschaft im Reich legitim zu verankern, habe der Burgunder beinahe zwangsläufig scheitern müssen, weil er sich nicht nur mit Friedrich III. selbst, „sondern mit allem, was ‚das Reich‘ am Ende des 15. Jahrhunderts ausmachte, konfrontiert sah“.380 Die Fremdheit des romanisch-burgundischen Hofes, dessen hochmütige Missachtung der Verhältnisse im Reich, eine hohe militärische Schlagkraft sowie die anmaßende Prachtentfaltung des burgundischen Hofs befremdeten die Fürsten im Reich und bewirkten eine nachhaltige Zurückhaltung gegenüber Karls Ambitionen. Spätestens durch seinen Auftritt 1473 in Trier war die kulturelle Differenz offen zutage getreten: Karl der Kühne kam, um mit dem von ihm wenig geschätzten Kaiser Friedrich offiziell über eine Beteiligung am Kreuzzug gegen die Türken, in Wahrheit jedoch über die Königswürde und das Ehebündnis zu verhandeln. Der Burgunder trat dabei in einem Kleidungsstück auf, welches von den brandenburgischen Gesandten als wahres Prunkstück beschrieben wurde: ein Mantel, der mit 23 großen Rubinen, 1.400 großen Perlen und mehr als drei Unzen Gold bestickt war.381 „Bei aller Bewunderung, die der Burgunder damit hervorrief, überwog doch auf Seiten maßgebender Teilnehmer die Abwehr gegen die ostentative Pracht. Die brandenburgischen Gesandten sprachen vom ‚Befremden‘ des Kaisers und der Fürsten …“.382 Für ein Zusammengehen mit einem ehrgeizigen Parvenü war ein erfahrener Politiker wie Albrecht Achilles wohl kaum zu haben. Zwischen diesen beiden Beispielen, der Zurückweisung des Ungarn und des Burgunders, besteht eine strukturelle Übereinstimmung: Beide beschreiben ein Gemisch aus militärischer Überlegenheit, politisch-diplomatischem Kalkül und einem sehr konservativen Verhalten. Insofern war es zu erwarten, dass der treueste Freund des Kaisers, Albrecht Achilles, Karl den Kühnen besonders deutlich zurückweisen musste. Die Hohenzollern hatten schließlich selbst noch mit einem gewissen Defizit zu kämpfen, gehörte doch auch ihre Dynastie zu den Jüngeren im hochadeligen Milieu. Dieses 380  Ehm-Schenke, Der Tag von Trier, S. 144; Ehm, Petra: „… und begeret ein kunig zu werden“. Beobachtungen zu einem Herrschertreffen: Friedrich III. und Karl der Kühne in Trier 1473, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger und Pierre Monnet, Bochum 2002, S. 233–257. 381  Eine anschauliche Präsentation des Prunkes bietet: Stauffer, Annemarie: Treffen in Trier 1473: Repräsentation und Zeremoniell, in: Karl der Kühne. (1433–1477). Kunst, Krieg und Hofkultur, hg. von Susan Marti, Till-Holger Borchert und Gabriele Keck, Stuttgart 2008, S. 264–273. 382  Ehm-Schenke, Der Tag von Trier, S. 151.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Manko, welches Albrecht Achilles durch eine besonders enge Verbindung zum Herrscher und militärische Leistungen auszugleichen trachtete, verpflichtete ihn zu einem besonders konventionellen Verhalten. Gleichzeitig bot Markgraf Albrecht Achilles geradezu ein Musterbeispiel für die Nutzung des Spielraums zwischen traditionellem Verhalten und modernem Handeln.383 Nachdem sein Bruder, Friedrich II., auf das brandenburgische Territorium und die Kurfürstenwürde verzichtet (1470) und damit die vorübergehende (bis 1486) Wiedervereinigung der beiden Herrschafts­ linien in Franken und Brandenburg ermöglicht hatte, behauptete sich Albrecht gegen Pommern (1472–78) und Schlesien-Ungarn (1478–82) und gewann u. a. das Herzogtum Krossen. Diese Erfolge waren freilich mit erheblichen militärischen, logistischen und nicht zuletzt finanziellen Aufwendungen verbunden. In Ermangelung ausreichender Einkünfte sammelten sich Schulden an, die Zuschüsse aus Franken notwendig machten. „Noch 1470 wurden von dort erfahrene Räte zur Ordnung von Hof, Verwaltung und Finanzen in die Mark entsandt. In vielen kritische Situationen wäre die Anwesenheit des Landesherrn in der Mark dringend erforderlich gewesen, doch ließ sich ein dauerhafter Aufenthalt mit den Regierungsaufgaben in Franken und dem intensiven Engagement in der Reichspolitik kaum vereinen.“384 Albrecht trat nämlich bereits seit 1444 häufig im Namen des in seinen Erblanden weilenden Kaisers Friedrichs auf, bis es durch die Verlobung und Heirat von Albrechts Tochter mit einem Sohn des böhmischen Königs Georg von Podĕbrad (1463, 1467) zu einer zeitweiligen Entfremdung zwischen dem Kaiser und dem Fürsten kam. Neben der Sicherung der Kurmark Brandenburg bildete der Aufbau eines Bündnissystems zur Sicherung seiner Herrschaft im schwäbisch-fränkischen Grenzgebiet gegen die wittelsbachischen Expansionsbestrebungen einen Schwerpunkt der Politik des Albrecht Achilles, ein Thema mithin, welches ihn auch politisch mit den Habsburgern verband.385 Albrecht geriet dennoch 383  Vgl. Nolte, Familie, Hof und Herrschaft; Zeilinger, Gabriele: Gruppenbild mit Markgraf. Albrecht „Achilles“ von Brandenburg (1414–1486), die Reichsfürsten seiner Zeit und die Frage nach zeitgenössischer und historischer Prominenz, in: Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und iher Rezeption (1450–1550), hg. von Oliver Auge, RalfGunnar Werlich und Gabriele Zeilinger, Ostfildern 2009, S. 291–307 (= Residenzenforschung, Bd. 22). 384  Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 73. 385  Vgl. die Ausführungen bei Wolf, Susanne, S. 61–92 sowie Seyboth, Reinhard: Aufbau eines Territoriums. Die Hohenzollern in Franken und ihre Nachbarn, in: Katalog zur Ausstellung „Bayern & Preußen & Bayerns Preußen. Schlaglichter auf eine historische Beziehung“, hg. von Johannes Erichsen und Evamaria Brockhoff, München 1999, S. 21–29.



III. Weitere Machtrollen177

gegen Ende seines Lebens in einen grundlegenden Dissenz mit dem Kaiser über die Frage, ob und wann der Kaiser den Übergriffen Herzog Georgs von Baiern-Landshut Einhalt gebieten würde. Albrecht hielt es für unmöglich, dem Kaiser in Ungarn zu dienen, wenn der Feind bei ihm vor der Tür stehe. Kaiser Friedrich machte dem Markgrafen deutlich, dass er bis zu einer Zusage von Reichshilfe gegen Ungarn das Wohlwollen Herzog Georgs nicht verspielen werde. Seither war das Verhältnis zwischen dem Kaiser und Albrecht Achilles getrübt; der Kurfürst stand seit etwa 1485 „der eigenen Loyalität zum Kaiser mit Skepsis gegenüber“ und präsentierte dem Kaiser u. a. eine Zusammenstellung der ihm geleisteten Dienste.386 Die Enttäuschung des Kurfürsten wog umso mehr, als diese Zusammenstellung tatsächlich beachtliche Freundschaftsdienste auflistete und insofern ein Dokument fürstlicher Treue und persönlicher Freundschaft zugleich war. Neben der Treue zum Kaiser auf der einen Seite schuf Albrecht Achilles auf der anderen die Grundlagen für die Ausbildung des frühneuzeitlichen brandenburgischen Staates, auch wenn die fränkischen Herrschaftsbereiche ihren Vorsprung vor der Mark noch lange bewahren konnten, was sich nicht zuletzt in der bemerkenswerten Ausstrahlung der Residenz Ansbach widerspiegelte.387 Albrecht war, wie die meisten Protagonisten im Reich des 15. Jahrhunderts, in bestimmten Lebensbereichen durchaus konkurrenzfähig, wenn man frühneuzeitliche Maßstäbe ansetzt.388 Als Dynast rekurrierte er jedoch vorrangig auf die fürstliche Ehre und den Gehorsam dem Herrscher gegenüber, orientierte sich also bevorzugt an den nach wie vor gültigen traditionellen Verhaltensmustern. Die Identifizierung mit dem Soliden, dem Alten und mithin Legitimen war im hochadeligen Milieu selbstverständlich, auch wenn eine als vernünftig erkannte Alternative existierte und bei Bedarf auch genutzt wurde. Die Fürsten zogen sich in kritischen Situationen verlässlich auf traditionelle Verhaltensmuster zurück. So sprachen zum Beispiel 1487 sämtliche in extenso diskutierten Vernunftgründe dagegen, dem Kaiser in den Krieg zu folgen. Berthold von Mainz klagte, wenn Friedrich sämtlichen logistischen 386  Wolf,

Susanne, S. 89. Seyboth, Aufbau; ders.: „Raubritter“ und Landesherren. Zum Problem territorialer Friedenswahrung im späten Mittelalter am Beispiel der Markgrafen von Ansbach-Kulmbach, in: „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter, hg. von Kurt Andermann, Sigmaringen 1997 (Oberrheinische Studien, Bd. 14), S. 115–131. Zum Sohn von Albrecht Achilles vgl. Seyboth, Reinhard: Markgraf Johann der Alchimist von Brandenburg (1406–1464). Studien zu seiner Persönlichkeit und seiner Politik, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 51 (1991), S. 39–69. 388  Vgl. Heinrich, Gerd: Albrecht Achilles, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Spalte 317–318. 387  Vgl.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

und militärischen Vorbehalten trotzend in den Krieg ziehen würde: „Miesten wir nit mit spot, schonden und unern scheyden?“389 Diese Aussage wurde von den Fürsten allenthalben als richtig bewertet; angesichts der miserablen Rahmenbedingungen sei ein Kriegszug fast ausgeschlossen, „… doch woltz die ksl. Mt. haben, so wollten sie dun, was sie vermehten.“390 Der traditionelle Gehorsam war und blieb das unbestrittene Verhaltensmuster der alten Ordnung. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass sich Maximilian auf dem Wormser Tag 1495 ganz selbstverständlich auf die Gefolgschaft des Hochadels verließ. Er beruhigte seine Umgebung mit dem Hinweis darauf, dass sich die Fürsten selbst verpflichten würden, sollten die Städte ihren Anteil nicht erbringen.391 Und er schrieb am 21. August 1496 an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen: „es ligt alles an euch Deutschen, ier mygt all mitsambt euren kg. jetz eer erlangen, das in hundert jaren haernach zupeschehen solche er zu erlangen unmüglich würd.“392 Welcher königstreue Fürst hätte sich dieser Vision verweigern können? Dieser Ausspruch könnte isoliert betrachtet vielleicht als eine frühe Form nationaler Emphase missverstanden werden. Er ist jedoch in strenger Relation zum Adressaten zu sehen, was eine eher konservative, das fürstliche Ehrgefühl ansprechende Deutung nahe legt. 5. Kommunen Sozusagen der Gegenpol zu den Fürsten hinsichtlich des sozialen Standes, aber auch bezüglich der Professionalität und Selbstorganisation waren die Städte – so unterschiedlich sie auch sein mochten. Sie waren stets unter den Ersten im Reich, deren Leistungen eingefordert wurden, und sie waren gleichzeitig diejenigen, welche protokollarisch die Letzten waren, welche zum Thema befragt wurden. Ihre Leistungsfähigkeit resultierte aus der relativ hohen Verfügbarkeit der Kommunen, der starken Finanzkraft, einer hohen ökonomischen, diplomatischen und juristischen Professionalität sowie aus dem engen Kontakt, welcher (entgegen der offiziellen Wahrnehmung) zwischen den Reichsrepräsentanten (also König und Kurfürsten) und den Vertretern zumindest der großen 389  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074, vgl. auch Nr. 637, S. 902–904. 390  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074. 391  Er sagte den Gesandten, … „de questo non li e’ alcuno dubio, quando ben non le volesseno acceptar le principi se obligano loro“, in: Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod ital H. VII. 799 (= 8002), 5 ff. 72 v–75r. 392  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 16, Zitat: S. 138.



III. Weitere Machtrollen179

Kommunen (vor allem südlich der Mainlinie) bestand.393 Die Kommunen verfügten zudem über relativ gute Kommunikationsstrukturen untereinander. Was die Überzeugungsarbeit je nach Lage der Dinge erleichtern oder auch erschweren konnte, war zudem ein dichtes Netz von Informationssträngen, welches es den Städten ermöglichte, sich über den tatsächlichen Stand der Dinge am Ort des Geschehens relativ zügig kundig zu machen. Die Städte agierten insofern nicht nur mit großer Vorsicht, sondern auch mit hoher Umsicht (meist im Vorfeld abgestimmt) und entsprechend differenziert: Ihr Grundanliegen war die Wahrung überkommener Rechte. Grundprinzip des Verhaltens musste angesichts ihrer schwachen Stellung die Unauffälligkeit sein. Dazu gehörte die Bekundung grundsätzlichen Gehorsams ebenso wie die Vermeidung von Zusagen, die als Präzedenzfälle394 gewertet werden konnten – mithin alle Abweichungen vom alten Herkommen. Das war solange unproblematisch möglich, wie die Forderungen des Herrschers sich in dem überkommenen Rahmen bewegten. Über das bewährte Hintersichbringen gewann man Zeit und Abstand, um die Leistung den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Mit dem Wachsen der Ansprüche an die Kommunen verstärkte sich deren Vorsicht. Sie erreichte einen vorläufigen Höchststand im Jahre 1486, als es zu einem „ersten förmlichen Beschluß einer Geldmatrikel“ gekommen war und dieser u. a. auf dem sogenannten Esslinger Städtetag diskutiert wurde.395 Die Freien und Reichsstädte argumentierten mit dem alten Herkommen und bezogen sich unter anderem auf die, besonders mit Blick auf die inzwischen etablierte städtische Selbstorganisation eigentlich weitgehend überholte Maxime, dass Zusagen auf königlichen Tagen nur von dort An393  Vgl. Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Chistian Jörg und Michael Jucker, Wiesbaden 2010 (= Trierer Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften, Bd. 1). 394  Der in Finanzierungsfragen zu frühe und deshalb wohl auch zu weitgehende Vorstoß gegen das Alte Herkommen war die Hussitensteuer 1427 gewesen. Die Städte hatten um die Jahreswende 1427 / 28 zwar erklärt, dem Anschlag grundsätzlich nachzukommen (vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 9, Nr. 100). Sie erreichten jedoch eine bedeutsame Modifikation hinsichtlich des Erhebungssystems, indem ihnen zugestanden wurde, sie dürften sich wieder „nach irer stat gewonheit“ verhalten (ebenda, Nr. 100, Pkt. 5 a). Vgl. auch Rowan, hier: S. 208. Frankfurt und der Schwäbische Städtebund hatten gar versucht, eine noch weitergehende Anlehnung an die gewohnte Praxis durchzusetzen. Sie wollten das Geld nicht nur selbst einnehmen, sondern auch „solch gelt selb versolden … und folch darumb bestellen“ (Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 9, Nr. 100, Pkt. 4 f; vgl. auch den Erklärungsbeschluss, Nr. 98). Diesen Vorstoß lehnten die Fürsten allerdings ab; er bringe zuviel „irresal“ (Nr. 100, Pkt. 5 b, 11). 395  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 52.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

wesenden oder deren Repräsentanten gemacht werden konnten. Insofern müsse der Anschlag von 1486 (eigentlich) zurückgenommen werden, weil die „stett am hl. Rych nit also herkamen syen, das sie inen unwissend und ane ir bysin dermaß sollent angeschlagen werden“.396 Eine Konsequenz dieser Erfahrungen war, dass für die Städte im Folgenden das Prinzip der Schadensminimierung eine noch größere Rolle zu spielen begann. Dies mündete in zwei Handlungsalternativen: Für bestimmte Sachverhalte rekurrierte man nach wie vor auf das Hintersichbringen, welches sich als Verzögerungselement bewährt hatte, sozusagen als Atempause für eine Abwägung des Sachverhalts. Man gewann damit sowohl Zeit für weitere Informationen als auch Raum für die Herstellung einer gewissen Ausgewogenheit der Lastenverteilung in den eigenen Reihen. Die gewonnene Zeit konnte freilich auch schlicht dazu dienen, eine Zusage zu verzögern oder einen Sachverhalt im Sande versickern zu lassen. Mit dem Anwachsen des „Drucks von oben“ wurde es jedoch zunehmend wichtig, effizienter zu handeln, d. h. die Repräsentanten unmittelbar vor Ort handlungsfähig zu machen.397 Die Gesandten der (Haupt-)Städte mussten in die Lage versetzt werden, Zusagen zu machen. Zur groben Maxime wurde, die eigene Position dadurch zu stärken, dass man die Gesandtschaften mit ausreichend Handlungskompetenz und Potential versorgte, um sie zu attraktiven Gesprächspartnern zu machen. Ziel war vor allem, dass sie an den Verhandlungen teilnehmen bzw. zumindest im Hintergrund, sozusagen auf der Arbeitsebene, an der Beschlussfassung mitwirken durften. Nur so konnte es gelingen, die Belastungen zu senken oder zumindest auf eine gerechtere Verteilung zu drängen. Gleichzeitig durften die Kommunen nicht unangenehm auffallen, um beim König nicht in Ungnade zu fallen. a) Misstrauen gegenüber Fürsten Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Beratungen der Fürsten als Gruppe auf den Tagen des Reiches von den städtischen Gesandten zunehmend als ungut wahrgenommen: Die Kommunen befürchteten zurecht, hier erfolge der fürstliche Gehorsam, die fürstliche Teilhabe an den Entscheidungen zu ihren Lasten. Die Skepsis hinsichtlich separater Verhandlungen von Kurfürsten, Fürsten und Fürstengesandten war hinsofern groß. Der Straßbur396  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 426, Zitat: S. 449. dazu auch Jörg, Christian: Gesandte als Spezialisten. Zu den Handlungsspielräumen reichsstädtischer Gesandter während des späten Mittelalters, in: Spe­ zialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Christian Jörg und Michael Jucker, Wiesbaden 2010, S. 31–64. 397  Vgl.



III. Weitere Machtrollen181

ger Gesandte, Hans von Seckingen, beklagte sich Ende Mai 1487 über die Länge der Verhandlungen und meinte: „Die Kff. und Ff. sint aber wol dryge dage byeinander gewesen und wellen rotschlogen und die stette lon warten, und hont donoch ir rete ouch zusamengesetzet, also in abewesen der stette. Abe sie do etwas heimliches hondeln wyder die stet, ist uns nit wyssen, aber ist verkundet, man wel es uns endecken. Die andern stet hont also gut hoffen, aber ich gedruwe den Ff. nit fil.“398 Wieder war es Berthold von Mainz, welcher als Mediator angerufen wurde. Die Städte wollten bei Verhandlungen über ihre Veranschlagung zur Hilfe anwesend sein; der Kurfürst erkannte dieses Monitum als recht und billig an.399 Auch der Kaiser wollte sie (als potente Zahler) an den Besprechungen beteiligt wissen, was die städtische Position zumindest nominell stärkte; die Fürsten verhandelten jedoch von vornherein separat.400 Das Anliegen der Kommunen, „mit am Tisch zu sitzen“, wenn ihre Leistungen festgelegt wurden, richtete sich vor allem gegen die Fürsten. Bei Kaiser und Kurfürsten trafen sie eher auf Verständnis für ihr Anliegen. Aus der Sicht der Organisatoren trug ein Konsens mit den Geldgebern nämlich zur Beschleunigung und Erleichterung der Steuererhebung bei, indem Zwistigkeiten, Nachverhandlungen und Rechtsgutverletzungen von vornherein vermieden werden konnten. Es war jedoch selbstverständlich, dass die Kommunen im fürstlichen Kreis nicht würden entscheidend mitreden dürfen. So legten die Fürsten also auch 1487 aus eigener Entscheidung einen Anschlag vor; er belief sich auf rund 100.000 Gulden plus zirka 49.000 von den Städten.401 Letztere beriefen sich zwar auf die Zusage, zur Sache gehört zu werden, und beschwerten sich, ihr Anteil sei zu hoch bemessen;402 Aussicht auf Gehör hatten sie freilich nicht. Die Gesandten von Köln, Straßburg, Augsburg, Frankfurt, Ulm und Nürnberg verhandelten deshalb sogleich über eine Reduktion ihres Anteils gegen eine Zahlungsgarantie.403 Der Frankfurter Gesandte schrieb auf, was ihn bewegte: Der Eilenden Hilfe werde man nicht entkommen; also müsse man sehen, dass man wenigstens möglichst preiswert davonkomme.404 398  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 732, Zitat: S. 1039. unter Maximilian I., Bd. 2: Nr. 734. Der Mainzer wurde als ein „frumer, ufrehter F.“ eingeschätzt, „wiewol allerhande zurück uf in geleit wart gegen stetten“, Zitat: Nr. 737, S. 1047. 400  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 735. 401  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 400. 402  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, hier: S. 1064–1065. 403  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 402. 404  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nrn. 682–684. 399  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Die Fürsten blieben also im Wesentlichen unter sich. Und ihre Beschlüsse erfüllten die Forderungen des Herrschers dem Grundsatz nach; es stellte sich jedoch die Frage, in welchem Maße dies geschah bzw. realistisch war. Wenn die fürstlichen Lösungen nämlich zu „altmodisch“ ausgestaltet wurden, d. h. auf veralteten Verfahren (wie der persönlichen Heeresfolge) beruhten, oder wenn die finanzielle Belastungen für die Kommunen zu stark oder zu ungleichmäßig ausfielen, dann schwand die Erfolgsaussicht. Es musste insofern im Interesse des Herrschers und der Kurfürsten liegen, funktionsfähige Lösungen für konkret anfallende Probleme zu suchen, mit und nicht gegen die zahlungskräftigen und gut miteinander vernetzten Kommunen. b) Handlungsvollmacht vs. Hintersichbringen Dabei waren die Kommunen stets skeptisch wegen der (Un-)Angemessenheit ihrer Beiträge. Bereits zum Nürnberger Tag 1487 überlegte man in städtischen Kreisen, wie dem Kaiser zu vermitteln sei, dass die Leistungsfähigkeit der Städte durch den letzten Anschlag bereits überstrapaziert sei. Um flexibel handeln zu können, strebte man an, möglichst viele Gesandte der Freien und Reichsstädte nach Nürnberg zu schicken, „mit vollem gwalt und gnugsamer bevelh, waz uf den abschid daselbs zu handeln not sig.“405 Eine weitere Verfeinerung erhielt die Diskussion im Vorfeld des Wormser Tages von 1495. Man eingte sich zügig darauf, dass die Gesandten Vollmacht erhalten sollten, die kommunalen Belange zu vertreten und Entscheidungen zu fällen. Das Hintersichbringen nämlich habe „den erbern stetten bißher nit nutz, sonder merklichen nachtail und schaden bracht“406. Diese Handlungsvollmacht bezog sich jedoch nur auf die im Vorhinein einschätzbaren Tagesordnungspunkte wie den Romzug, nicht auf die italienische Frage und das Türkenproblem. In diesen Belangen wurden die Gesandten beauftragt, zunächst einmal herauszufinden, was genau damit gemeint sei. Sie wurden angehalten, sich unauffällig zu verhalten und die Anforderungen zum „nutzisten und besten“ des Städtebunds möglichst analog zu den anderen Parteien zu verhandeln. Beschlüsse standen ihnen in dieser Sache nicht zu, vielmehr sollten sie „auf ain hindersichbringen beleiben“.407 Esslingen empfahl sogar, in der italienischen Frage zu betonen, den Städten könne kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie in dieser Sache im Vorfeld nichts hätten beraten oder gar beschließen können, „nachdem solich sachen inen verborgen gewesen syen“.408 405  Reichstagsakten

unter unter 407  Reichstagsakten unter 408  Reichstagsakten unter 406  Reichstagsakten

Maximilian Maximilian Maximilian Maximilian

I., I., I., I.,

Bd. 2, Nrn. 69–72, Zitat: Nr. 72, S. 191. hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 161. hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 161. hier: Bd. 5,1.1, Nr. 87, S. 164.



III. Weitere Machtrollen183

Die Kommunen blieben also bei beiden Handlungsalternativen: Im besten Sinne konservativ blieb man in Fragestellungen, die noch nicht ausreichend beleuchtet und damit nicht entscheidungsreif waren. Man bemühte sich um Klarheit darüber, was eigentlich gefordert war und wozu man nach altem Herkommen verpflichtet sei. Dabei achtete man sorgfältig darauf, die so­ zialen und diplomatischen Spielregeln einzuhalten: Man wollte nämlich keinesfalls negativ auffallen. Die Bereitschaft, nach bestem Vermögen dem König zu dienen, sollte außer Zweifel stehen. Nur galt es, dieses „beste Vermögen“ bei steigendem Handlungsdruck und wachsenden Anforderungen immer präziser zu definieren und immer sorgfältiger zu begrenzen.409 Der Städtebund bewies mit diesen Beschlüssen seine Erfahrung im Umgang mit Anforderungen wie dieser. Man wusste, was auf die Städte zukam und handelte so, wie es erfahrungsgemäß am besten war. In den unkalkulierbaren Fragen des Tages war man eher unsicher und verhielt sich entsprechend vorsichtig. Das alte Instrument des Hintersichbringens, das in Routineangelegenheiten mehr schadete als nutzte, kam in den vagen Tagesordnungspunkten wie selbstverständlich wieder zur Anwendung. Ohne Prüfung wollten sich die Städte in diesen Punkten dem königlichen Begehren jedenfalls nicht fügen, zumal es bereits erkennbar war, dass es sich um außergewöhnlich hohe Anforderungen handelte. Insgesamt ging man davon aus, dass der beste Weg zur Kontrolle des eigenen Leistungsumfangs die Stellung und Versorgung von Leuten sei.410 c) Leute oder Geld So auch 1489, als die Höhe der Hilfsforderungen zunächst nicht beziffert wurde, die Versammelten also selbst das Maß ihrer Hilfe festlegen sollten. Nach einer (peinlichen) Verhandlungspause nannten sie schließlich 40.000 Mann, 20.000 für jeden der beiden Kriegsschauplätze im Westen und im Osten als Anhaltspunkt. Darauf bildeten die Kurfürsten mit den geistlichen und weltlichen Fürsten einen Ausschuss; dieser sollte mit den kaiserlichen Anwalt und dem König „dutschlichen reden von einer zimelichen hulf, die lydelichen wer, und yederman nach siner gelegenheit anzusehen“.411 Den Städtegesandten war auch diesmal nicht wohl bei diesem Vorgehen. Besondere Sorgen machten sich diejenigen, welche wegen fehlender Vollmachten nicht mit verhandeln konnten; deshalb schrieb zum Beispiel der Straßburger Bürgermeister Hans von Seckingen „um gewaltz“412 nach Hau409  Reichstagsakten

unter unter 411  Reichstagsakten unter 412  Reichstagsakten unter 410  Reichstagsakten

Maximilian Maximilian Maximilian Maximilian

I., I., I., I.,

hier: hier: hier: hier:

Bd. 5,1.1, Nr. 82. Bd. 5,1.1, Nr. 87. Bd. 3,2, Nr. 281 c, Zitat: S. 1091. Bd. 3,2, Nr. 281 c, Zitat: S. 1095.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

se. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass die Kurfürsten, Fürsten und Prälaten mit ihrer prinzipiellen Zusage bereits zu weit gegangen seien. Kurfürst Berthold von Mainz widersprach dieser Auffassung energisch: Man sei durchaus nicht zu weit gegangen. Der König habe ihn persönlich sogar als den Widerspenstigsten von allen bezeichnet. Dabei stehe er zu der Hilfszusage, lege allerdings Wert darauf, dass die Hilfe effektiver als die vorherigen und dabei erträglich gestaltet werde.413 Berthold von Mainz untersuchte 1489 die Matrikeln von Frankfurt 1486 und Nürnberg 1487 unter Abzug eines Drittels im Hinblick auf eine Aussage zur Leistungsfähigkeit des Reichs. Diese Prüfung erbrachte ein ernüchterndes Ergebnis: Realistisch konnte bei einer Reichshilfe nach herkömm­ lichem Muster mit einem Volumen um 10.000 Mann gerechnet werden.414 „Es lag somit auf der Hand, daß das bestehende System der Reichsanschläge allenfalls geeignet war, um die Mittel für kleinere Militäraktionen aufzubringen, daß damit aber keinesfalls ein großer Reichskrieg zu bewerkstelligen war.“415 Maximilian hatte die Enge des Spielraums allerdings erkannt und sich deshalb mit den Kurfürsten wohl auf eine Teillösung geeinigt: Die Zusage beschränkte sich zunächst nur auf eine Eilende Hilfe für die Niederlande. Dafür verpflichtete sich der König, auf das Friedensangebot Karls VIII. von Frankreich einzugehen und in diesem Sinne auch mit Corvinus von Ungarn zu verhandeln.416 Die Städte hatten sich geeinigt, „keyn gelt zu geben; danne es were zu besorgen, das es die meynung hett, einen ewigen zinß und hohe steuwer uf die stede zu setzen.“417 Diese Ansicht teilte Berthold von Mainz. Es gab von vornherein eine Klausel, nach der Maximilian niemandem die Leistung erlassen oder in Geld umwandeln sollte.418 413  Seyboth, Reinhard: „Raubritter“ und Landesherren. Zum Problem territorialer Friedenswahrung im späten Mittelalter am Beispiel der Markgrafen von AnsbachKulmbach, in: „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter, hg. von Kurt Andermann, Sigmaringen 1997 (Oberrheinische Studien, Bd. 14), S. 115–131; Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 281 c, vgl. besonders S. 1093 f. 414  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 286 e, S. 113; Nr. 288 a; Nr. 295, S. 1150 f. 415  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 76 zum Ergebnis der Überprüfung der Reichsanschläge. 416  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 295 b, S. 1153; vgl. auch Nr. 299 b, S. 1173–1174. 417  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 274 a, S. 1058. Ähnlich Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd. 2, Nr. 670, S. 523. 418  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd.  3,2, Nr. 299 b, S. 1173; Nr. 305 b, S. 1206; Nr. 305 c, S. 1209; vgl. aber Nr. 369.



III. Weitere Machtrollen185

Bertholds Vorbehalte gegen Geldzahlungen wurden bald hinfällig. Spätestens als nach dem Tod des Matthias Corvinus neue Leistungen erforderlich wurden, erwirkte der Schwäbische Bund (Mai 1492), dass Maximilian ihm die verbleibenden Verpflichtungen erlassen und er stattdessen Geldzahlungen erhalten sollte. Wilhelm Besserer riet den Städten zur Akzeptanz dieser Lösung, weil ihnen daraus „kain nachtail oder verlust, sondern allain nutz“ entstehen würde.419 Und auch der Trierer Erzbischof zahlte im Oktober 1492, da die Frankfurter Zusage mittlerweile „in gelt geslagen und gewendet ist“.420 Geldzahlungen hatten jedenfalls einen Vorteil: Anders als Kontingente, die man vor Ort bis auf Abruf unterhalten musste, konnten Zahlungen einmalig geleistet werden und zogen keine weiteren Kosten nach sich. Eine wichtige Akzeptanzhürde war damit genommen. d) König, Kurfürsten und Kommunen Als die Ausstattung von Kriegen differenzierter und finanziell aufwendiger wurde, bedurfte der König für ein erfolgreiches Handeln des juristischen und kaufmännischen Wissens derjenigen, welche ihre Nachrangigkeit in einer ständischen Gesellschaft traditionell durch Professionalität, Bildung und  /  oder Geld kompensieren mussten und dies mit wachsendem Erfolg auch taten. Das Handelsinteresse der Kommunen, zumindest der führenden Städte innerhalb einer sich im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts ausbildenden „hiérarchie des villes“, deren Spitzen eine „politique mobile et active“ betrieben,421 wies immerhin erheblich über die engeren Grenzen des Reiches hinaus. Die Städte unterhielten bereits komplexe Beziehungen mit ihrer Umwelt und waren geübt darin, flexibel zu reagieren, untereinander und mit Dritten zu kommunizieren und diplomatisch zu agieren. Sobald die Notwendigkeit einer strukturellen Absicherung von politischen oder militärischen Maßnahmen ins Blickfeld der Handlungsträger rückte, musste also beinahe zwangsläufig auch die Relevanz der Städte wahrgenommen werden, verfügten diese doch über eine im Reich unerreichte ökonomische und kommunikative Kompetenz. So bahnte sich zwischen der Spitze des Reiches und den Städten auf dem Feld der Erarbeitung notwendiger Maßnahmen de facto ein Geschäft auf 419  Reichstagsakten

unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 365 b, S. 1407. unter Maximilian I., hier: Bd. 3,2, Nr. 369, S. 1411. 421  Monnet, Pierre: Jalons pour une histoire de la diplomatie urbaine, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Bochum 2002, S. 151–174, Zitate: S. 173. 420  Reichstagsakten

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Gegenseitigkeit an: Kompetenz gegen Teilhabe am Entscheidungsprozess. Diese aufkeimende Partnerschaft war und blieb freilich nach wie vor stark asymmetrisch: Die schlechte Position der Freien und Reichsstädte innerhalb der Reichsverfassung blieb unüberbrückbar. Diese Schwäche beförderte freilich die Ausbildung spezifischer Stärken der Kommunen. Das Wissen um ihre Machtlosigkeit ließ die Städte nämlich auf jede potentiell rechtsmindernde Regelung besonders aufmerksam reagieren, vor allem, wenn eine solche Maßnahme finanzielle Auswirkungen befürchten ließ. Diese Achtsamkeit und die stets wohlbedachten Einwände, gekoppelt mit wirtschaft­ licher Potenz, ausgeprägten Kommunikationsstrukturen und der dazugehörigen Kompetenz im Umgang mit Geld verhalfen ihnen zu einem eigenständigen Gewicht in den Verhandlungen. Aus dieser pragmatischen Partnerschaft in Sachfragen konnte die Stärkung des Herrschers resultieren. Man kann in diesem Sinne von einer funktionalen Allianz zwischen der Spitze des Reichs und den Kommunen sprechen oder von einer „alliance of necessity“.422 Auch hier gilt allerdings das Paradigma der konkreten Konstellation innerhalb des vielfachen Über-, Neben- und Ineinanders von Subsystemen im Reich. So konnte ein starker König durch eine entsprechende Konstellation zweifelsfrei stärker werden, ein schwacher sich selbst jedoch auch weiter schwächen, wenn er die Voraussetzungen und damit seinen Interventionsrahmen falsch einschätzte. Als Beispiel für letzteres seien die für das spätmittelalterliche Reich typischen Einungsbewegungen genannt. So scheiterten etwa Sigismunds Versuche, sich durch Einungen einen Hausmachtersatz zu schaffen, weitestgehend daran, dass der König die strukturellen Voraussetzungen nicht beachtete respective als Handlungsträger im Kontext seiner Zeit selbst nicht erkennen konnte: Das Zustandekommen einer Einung erforderte nämlich ein hohes Maß schon zuvor bestehender Einigkeit. Dazu durften sich die Interessen der Teilnehmer nicht kreuzen, und die räumliche Ausdehnung der Einung musste sich in engen Grenzen halten. Bei der Kleinteiligkeit der Verhältnisse im Reich wurde ansonsten das Maß territorialpolitischer Konsensfähigkeit allzu leicht überschritten, was die Einung im Wortsinn „systematisch“ zum Scheitern verurteilte, weil sie der für die Städte notwendigen „fléxibilité de réaction à une pression ou à un changement des conditions extérieures“ im Wege stand.423 So misslang Sigismund etwa der Versuch, Einungen oder ähnliche Verbindungen großräumig zu organisieren, also möglichst umfassende Verträge nach dem gleichen Muster abzuschließen. Um dies zu erläutern, sei auf den Versuch 422  Leonhard, 423  Monnet,

S. 201. Zitate: S. 173.



III. Weitere Machtrollen187

des Luxemburgers verwiesen, sich in Schwaben eine Art Quasi-Hausmacht zu schaffen. Die Städte lehnten dies dezidiert ab; sie wollten zum Beispiel lieber mit St. Jörgenschild eine überschaubare Vereinigung eingehen, als dass sie „plinde oder uf ander lute saczung“424 in einen allgemeinen Frieden einbezogen würden. Bei seinen diesbezüglichen Versuchen übersah Sigismund die prinzipiellen Divergenzen zwischen der Ritterschaft und den Reichsstädten in Schwaben ebenso wie die herrschaftsstrukturellen Unterschiede zwischen Schwaben, Franken und dem Oberrhein. Auch sein Versuch, die Städte als Gesamtgruppe gegen die Fürsten an sich zu binden, ließ sich aus systematischen Gründen nicht realisieren. Eine feste Bindung an den Herrscher hätte die Städte in ihrer Bündnisfähigkeit nämlich stark eingeschränkt, ohne ihnen eine machtpolitische Alternative zu bieten. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche politische Existenz im Reich verlangten jedoch gerade von den Städten ein Maximum an politischer und militärischer Beweglichkeit, besonders in regionalen Spannungsgebieten. Eine einseitige Bindung an den König hätte den Verlust des für die Städte existentiellen Handlungsspielraums bedeutet; eine Bedingung, die sie nicht eingehen konnten.425 Ganz ähnlich reagierten die Kommunen sehr viel später, als Kaiser Friedrich sich ihrer versichern wollte. Der Kaiser bemühte sich in Frankfurt 1486, seine Anteilnahme an den Nöten der Städte dadurch zu dokumentieren, dass er sie direkt auf ihre Sorgen und auf Möglichkeiten zu deren Beseitigung ansprach. Die Städte verweigerten sich einer solchen Einlassung und lehnten Verhandlungen mit einer vermeintlich tiefen Verbeugung vor der hierarchischen Gesellschaftsordnung ab: Themen wie diese möge der Kaiser besser mit den Kurfürsten und Fürsten besprechen. Der in dieser Beziehung nicht mehr auf der Höhe des Diskussionsniveaus agierende Friedrich wunderte sich, da „von den doch den stetten villicht solich be­ swerd komen mochten.“426 Der Versuch, die Städte politisch unmittelbar mit dem Herrscher zu verknüpfen, war freilich anachronistisch. Den Kommunen konnte nicht an einer eindimensionalen Bindung gelegen sein, sondern vielmehr an der Sicherung von Handel und Gewerbe. Das verlangte nicht nur die Vermeidung einseitiger Bindungen, sondern auch die Ablehnung regionaler militärischer Kon424  Reichstagsakten

unter Kaiser Sigmund, hier Bd. 11, Nr. 116, S. 230. Das politische System, hier: S. 227–228. Vgl. auch Leonhard, S. 201 mit Bezug auf die Freien und Reichsstädte: „The cities paid an imperial tax, but were exempt from duties to the territorial rulers surrounding them. The reality was more complicated and city magistrates were always painfully aware of the powerful forces right outside their walls“. 426  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 494, Zitat: S. 493. 425  Wefers,

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D. Die Rollen der Handlungsträger

flikte, waren letztere doch stets mit einer Einschränkung der Sicherheit und des handelspolitischen Freiraums verbunden. Das wurde zumindest in der Umgebung des Kaisers auch so verstanden. Haug von Werdenberg verfolgte bei seinen Gesprächen mit den kommunalen Vertretern eine wirtschaftspolitische Argumentationslinie: Er erklärte den städtischen Gesandten, sie müssten den Kaiser deshalb unterstützen, weil ein Sieg des Ungarn sie vermutlich mit weit höheren Abgaben belasten würde als es die geforderte Steuer täte. Außerdem würden in diesem Fall der gewinnträchtige Handel und das Gewerbe schwer beeinträchtigt. Ihre nach wie vor bestehenden Handelsbeziehungen hingegen seien für alle Beteiligten von Nachteil, gereichten sie doch dem Ungarn zum Vorteil und schwächten die Position des Kaisers. Haug von Werdenberg endete sogar mit dem Vorwurf, der Verzug städtischer Zahlungen habe dem Kaiser (und den Kommunen selbst) bereits mehr Schaden gebracht, als ihm die Zahlung nutzen könnte.427 Selbstverständlich konnten die Kommunen mit ihrer finanziellen Potenz und Kompetenz in Wirtschafts- und Verwaltungsfragen „Druck von unten“ aufbauen. In den Entscheidungsprozessen zur Abwehr von Krisen gelangten sie als weitere Teilhaber am Geschehen zu einer bis dato nie erreichten funktionalen Bedeutung für das Reich und damit zu einer Rolle, welche nahezu in einem krassen Widerspruch stand zum geringen Status dieser Gruppierungen im traditionell hierarchischen Ordnungsverständnis. Die Städte nutzten dieses hierarchische Ordnungsverständnis, indem sie sich an den Kurfürsten und Fürsten orientierten, herausfanden „wes gemüts und willens sie in den dingen seyen“428 und ihr Vorgehen danach ausrichten. Weitere Mittel waren das gemeinsame Auftreten sowie die Vermeidung eines ungünstigen Eindrucks. Lieber erklärte man von vornherein, dass man dem König „nach altem herkommen und yeder statt vermögen“ zu dienen bereit sei.429 Aus der Position der Schwäche heraus war das Bemühen, im Schatten der Großen zu agieren und ansonsten wenig aufzufallen, sicher eine naheliegende Strategie. Dabei galt es, Vorsicht walten zu lassen, neigten die Fürsten doch erfahrungsgemäß dazu, Belastungen zuungunsten der Städte zu verteilen.430 Die Sorge, dass man sich nicht „in ewig tribut oder servitut begebe noch füren“ lassen dürfe, stand mit gutem Grund stets im Raum.431 So begannen die Fürsten zum Beispiel kurz nach den Wormser 427  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 493. unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 160. 429  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 87, Zitat S. 164. 430  vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1511. 431  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1511. 428  Reichstagsakten



III. Weitere Machtrollen189

Beschlüssen zum gemeinen Pfennig damit, wegen der Verpfändung von Städten beim König vorstellig zu werden. Damit würden die Belastungen für die verbleibenden Freien und Reichsstädte noch größer.432 Der Versuch, sich möglichst diplomatisch zu verhalten, ließ die Städte ihre Handlungsoptionen niemals vergessen: Nicht ohne Grund einigte man sich im Schwäbischen Städtebund zum Beispiel im Vorfeld des Wormser Tages 1495 darauf, die Gesandten mit voller Macht zur Vertretung städtischer Interessen auszustatten. Das Hintersichbringen habe nämlich weniger Nutzen als Schaden gebracht.433 Die Handlungsvollmacht bezog sich freilich nicht auf die kritischen Punkte der Verhandlungen; in diesen Fragen sollten sie „auf ain hindersichbringen beleiben“.434 Die Kommunen verhielten sich freilich genau wie die Fürsten flexibel hinsichtlich ihrer Reaktionen auf den „Druck von oben“. So wählten auch sie pragmatisch zwischen alten und neuen Verfahrensmodi. Als sie auf dem Wormser Tag 1495 bemerkten, dass es tunlich sei, die Beschlüsse mitzutragen, entschieden sie sich bewusst dafür, das angesichts der Sachlage kleinere Übel zu wählen, nämlich ihre Vollmachten zu überschreiten und sich damit daheim Ärger einzuhandeln.435 Nachdem Maximilian die Schwelle des für die Städte „nutzisten und besten“ erkennbar überschritten hatte, meldeten sich die Kommunen sogleich mit Beschwerden beim Mainzer Erzbischof. Dieser deutete an, dass niemand große Ambitionen hätte, dem König zu folgen. Dadurch gestärkt erklärten die Gesandten, sie müssten um Verständnis dafür bitten, dass sie nicht bevollmächtigt seien, für die Städte des Römischen Reiches eine Verschreibung zu billigen.436 Sie beriefen sich damit wieder auf die längst überholte Maxime einer exklusiven Verbindlichkeit individuell getroffener Leistungszusagen. Fürsten und Städte verband die Notwendigkeit, auf die wachsenden Belastungen von oben zu reagieren. Das geschah jedoch noch nicht in geregelten Verfahren, sondern unter Wahrung der diplomatischen Maxime größtmöglicher Unauffälligkeit seitens der kommunalen Vertreter, da jene auf diese Weise doch Einfluss auf die Verhandlungen nehmen und zudem 432  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1580–1581. 433  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 161. 434  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 82, S. 161. 435  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädtische Registratur), S. 1561–1565. 436  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797, (reichsstädtische Registratur), S. 1586. Wenn sie sich am Ende aller Wahrscheinlichkeit nach dennoch gebeugt haben, dann nur widerwillig. Vgl. Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 138– 139.

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D. Die Rollen der Handlungsträger

Schäden für die eigene Klientel zumindest minimieren konnten. An ihrer Sachkompetenz kam man in bestimmten Fragestellungen ohnehin nicht (mehr) vorbei. Es lag nahe, dass gerade die Kommunen zwischen effektiven und ineffektiven Verfahren unterscheiden konnten und zwischen diesen Handlungsoptionen je nach Erfolgsorientierung auch Gebrauch machten. Das Neue in Gestalt der Rationalisierung und Professionalisierung von Herrschaft hatte seinen Siegeszug längst angetreten. Spätestens mit der Erkenntnis, dass man zwischen neuen und alten Verfahren wählen konnte, blieb den alten ein eher „weicher“, d. h. formaler oder ritueller Wert; die neuen Mittel waren als die „harten“, die wirkungsvolleren identifiziert.

E. Primat der Außenpolitk Die Analyse des Zusammenwirkens von Strukturen und Akteuren im Reich zur Bewältigung von Anforderungen von außen zwingt dazu, die Ausgangsfrage nach dem Eigenen, vor dem sich das Fremde spiegelt, die Frage nach dem Reich nämlich, mit einem sehr differenzierten Bild zu beantworten: Das Reich stellt sich demnach als ein Gebilde dar, welches durch die Vielzahl von Konstituenten ganz unterschiedlicher Gestalt und Ausprägung gekennzeichnet war. Zu den strukturellen Vorgaben wie der räumlichen Ausdehnung und Gliederung, welche neben den wirtschaftlich, technologisch und politisch „dichten“ Regionen auch solche kannte, die weiträumig und relativ „offen“ waren, kamen die Anforderungen der europäischen Nachbarschaft, das Mit- und Gegeneinander unterschiedlich moderner Staaten bzw. politischer Landschaften. Diese Verortung des Reichs in der Mitte Europas umfasste auch die Einbindung in größere Zusammenhänge wie politisch-strategische Allianzen zur Ausgestaltung der intereuropäischen Interessenwahrnehmung ebenso wie die Mitwirkung an Koalitionen zur Bewältigung von machtpolitischen Auseinandersetzungen, manchmal sogar beides in einem Zuge: So war die Heilige Liga (März 1495) aus dem Papst, dem deutschen König, Mailand, Venedig und Spanien bekanntlich als Bündnis „pro … salutique totius Christianae religionis“1 (gegen die Türken) ausgewiesen. Realiter war diese Allianz freilich von Anfang an vor allem darauf ausgerichtet, die französische Hegemonie in Italien zu unterbinden. Außerhalb der großen Bündnisse sah man sich mit Streitigkeiten um dynastische Erbansprüche ebenso konfrontiert wie ganz allgemein mit der Verletzung von Rechten bzw. Spannungen im politischen oder wirtschaftlichen Umfeld. Konflikte dieser Qualität traten sowohl im Reichsinneren auf als auch an dessen Grenzen. Auf diese völlig unterschiedlichen Anforderungen mussten Antworten gefunden werden, also Einigungen innerhalb reichsinterner Interessengemeinschaften ebenso wie reichsübergreifende Lösungen bei größeren Erschütterungen des politischen Systems. Dabei galt, übrigens ähnlich zur Eidgenossenschaft, dass die Innen- und die Außenpolitik sowie die damit verbundene Diplomatie jener Zeit „eng ineinander verzahnt und je nach Kontext reziprok beeinflußt“ waren. „Es gab nur in seltenen Fällen eine ge1  Zitiert nach Wiesflecker, Hermann: Maximilian I. und die Heilige Liga, hier: Anm. 82 (Bezug auf Lünig, I, Sp. 111).

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E. Primat der Außenpolitk

meinsame, koordinierte Außenpolitik, die dann auf Tagsatzungen koordiniert und besprochen wurde, wozu ein langes Aushandeln bis zur Konsensfindung notwendig war.“2 Hinsichtlich der Eidgenossenschaft hielt sich freilich lange das offenkundig revisionsbedürftige Bild von „einer früh entstandenen, vom demokratischen Freiheitswillen geprägten Bauernrepublik“ ebenso wie das „Bild eines Staates, der nach Außen geeint handelte“.3 Auch wenn die spätmittelalterliche Eidgenossenschaft als kleine, wenn auch außergewöhnliche politische Entität in einer geographischen Sonderlage mit dem Reich strukturell nicht vergleichbar war: Die Relevanz des Entscheidungsprozesses für das weitere Handeln und die aus diesem Prozess resultierende Seltenheit gemeinsamer Außenpolitik galten auch für die Zeitgenossen im Reich. Dort ergaben sich unterschiedliche Interessenlagen aus dem Streben nach dem eigenen Herrschaftserfolg, nach wirtschaftlicher Prosperität, Sicherheit, Gerechtigkeit oder aus dem generellen Wunsch nach einer Wiederherstellung der Ordnung im Sinne des alten Herkommens. In dieser alten Ordnung spiegelte sich der Grundkonsens der Zugehörigkeit zu einem verfassten politischen System wider. Für das Reich freilich charakteristisch war, dass dieser Bezugspunkt lediglich als tradierte Norm des sozia­ len Miteinanders existierte. Bei Störungen des Miteinanders waren das Ausmaß und die Nähe zum Ereignis für die individuelle Betroffenheit und die damit einhergehende Handlungsmotivation entscheidend. Faktoren wie die eigene geographische und soziale Verortung spielten eine wesentliche Rolle: Diese Einflussgrößen förderten die Wahrnehmung einer Gefahr in der Nähe und damit auch die Erkenntnis, dass gehandelt werden musste. Andererseits wurde mit zunehmender Entfernung vom Ereignis auch die Einschätzung des aktuellen Geschehens schwieriger; die Reaktion verlangsamte sich in solchen Fällen oder blieb sogar ganz aus. Hinzu kam die Heterogenität innerhalb des Reiches, also eine Vielzahl größerer und kleinerer Herrschaften, Rechtsund Wirtschaftsgemeinschaften, deren Einflussbereiche sich zum Teil überlappten und zudem selten starr ausgeprägt waren, sondern sich stets neu ausrichteten, ähnlich der Anpassungsfähigkeit, die ein lebender Organismus an veränderte Umweltfaktoren beweisen muss. Diese reichsinterne Machtdynamik erforderte Flexibilität und erzeugte Vorsicht hinsichtlich der Selbsteinordnung in konkrete Handlungszenarien. 2  Jucker, Michael: Innen- oder Aussenpolitik? Eidgenössisches Gesandtschaftswesen zur Zeit der Burgunderkrieg am Beispiel Hans Waldmanns und Adrians von Bubenberg, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil und Christiane Ottner, unter Mitarbeit von AnneKatrin Kunde, Wien / Köln / Weimar 2007, S. 239–258, Zitate: S. 257. 3  Jucker, Innen- oder Aussenpolitik, S. 241.



E. Primat der Außenpolitk193

Nicht zuletzt konnten auch die Vorstellungen von dem, was gerecht und richtig sei, sehr voneinander abweichen. Das Reich war damit soziologisch gesehen ein komplexes Gesamtsystem, bestehend aus vielen Gruppierungen, welche durch wechselseitige Bindungen und das Vertrauen auf bestimmte Normen zusammengehalten wurden. Verhaltensformen, die „nicht oder noch nicht als allgemeingültig anzusprechen waren – ggf. aber so geläufig, daß man sie nicht eigens fixieren mußte.“4 Die Konsistenz dieses Systems war so weich, dass Angriffe von außen mitnichten gleichmäßig, gleichzeitig oder gleichartig wahrgenommen wurden. Als Gefahr für das Reich bestätigt wurden Konflikte sogar erst durch die entsprechende Feststellung seitens des Herrschers. Dies begründete eine necessitas legitima zum Handeln, welche als grundsätzliche Aufforderung zu verstehen war, im Namen des Reiches zu dessen Verteidigung aktiv zu werden. Das war freilich erst der Beginn eines Prozesses, in dessen Verlauf Legitimation und Macht sorgfältig austariert und konsensual zusammengeführt werden mussten. Das politische Gesamtsystem Reich konnte und musste vom König (und supplementär, nicht komplementär den Kurfürsten) als solches zwar sinnbildlich repräsentiert werden; beherrschen im herkömmlichen Sinne konnte es der König nicht: Europäische Zeitgenossen stellten den grundsätzlichen Unterschied eindeutig fest: Im Gegensatz zu den Franzosen, Spaniern, Ungarn und Engländern besäßen die Deutschen eben kein Oberhaupt, dessen Willen sich alle „tamquam membra“ zu beugen hätten. Vielmehr „quot sunt hi principes, tot sunt capita, tot voluntates, et quilibet vel quantumcumque pauper in sua patria dominari vult“.5 Der mailändische Gesandte Sanctus Brascha brachte diese Erscheinung sozusagen auf den Punkt, als er schrieb, der römische König sei nur „re titulare, non effectuale“; erzwingen könne er gar nichts.6 Aber wie konnte das Reich unter diesen Umständen seine politische Funktion erfüllen, sich verteidigen, seine Ordnung in einem Prozess zunehmender Spezialisierung und Differenzierung nicht nur grundsätzlich bewahren, sondern sogar weiterentwickeln und dabei angesichts der äußerst heterogenen Innen- und Außenwelt sogar „mehr Komplexität (Umweltbeherrschung) und Reflexivität (Selbststeuerungsvermögen) gewinnen“?7 Schneider, Reinhard, S. 203. unter Maximilian I., Bd. 3, 2, Nr. 280, Zitat: S. 1085. Bericht Peraudis an Papst Innozenz VIII. vom 11. Juli 1489. 6  Vgl. Regesta Imperii, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., hier: Bd. 2,1., Nr. 5204. 7  Sprandel, Rolf: Verfassung und Gesellschaft im Mittelalter, Paderborn 1975, S. 22. 4  Vgl.

5  Reichstagsakten

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E. Primat der Außenpolitk

Die Frage, inwiefern das Reich als solches auf seine Umwelt reagierte oder diese gar mit gestaltete, ist als solche tatsächlich nur zu beantworten, wenn man sich den Druck von außen vor Augen führt, welcher seinerseits Druck von oben erzeugte und schließlich auch Druck von unten. Nur so wurde tatsächlich Handlungsbereitschaft erwirkt, welche ihrerseits zur Auswahl bestehender und gegebenfalls sogar zur Schaffung neuer Handlungs­ alternativen führte.

I. Druck von außen Das Reich als politische Entität war mit mittelalterlichen Kriegstechniken rational betrachtet nicht wirklich in Gefahr zu bringen. Es war in gewisser Hinsicht einem riesigen Gartenreich ähnlich, mit ganz unterschiedlich strukturierten Bereichen, die sich als solche stetig wandelten, deren Anpflanzungen von äußeren Bedingungen wie dem Wetter und dem Boden abhängig gut oder schlecht gediehen. Einflüsse der Nachbarschaft wirkten sich – im Innern und an den Grenzen – in der Regel lokal oder höchstens regional aus; das Ganze tangierten sie kaum. Das Reich befand sich überdies in einem steten Wandel, auch in diesem Punkt einem Garten ähnlich. Die Protagonisten wirkten dem eigenen Verständnis gemäß unter den Bedingungen der politischen Kultur an dieser Gestaltung mit, allerdings stets bezogen auf den eigenen Wahrnehmungshorizont, Herrschafts- oder Lebensbereich. Das Bild des Gartens trifft schließlich auch in Bezug auf die Identifikation mit dem Ganzen zu: Man ging von einer Art Paradiesgarten aus, der legendären alten Ordnung nämlich, welche nach Möglichkeit zu bewahren respektive wiederherzustellen sei. Garant dieses Grundkonsenses war der König. Eine programmatische Ausrichtung des Reichs in Richtung einer wie auch immer gearteten Rüstung für die Zukunft bestand insofern, als man das Reich wieder in Ordnung bringen wollte. Insofern waren sämtliche Äußerungen der politisch Handelnden zur Re-Formierung des Reiches auch so zu verstehen, wie sie ausgedrückt wurden: als ein Zurück zur alten Ordnung. Es kam – im Sinne der Staatsbildung erschwerend – hinzu, dass das Sacrum Imperium über jenen „uneinholbaren Legitimationsvorsprung“ (Peter Moraw) verfügte, als Synthese aus antiken Traditionen und der Idee eines heilsgeschichtlich hergeleiteten christlichen Weltreichs. Dies implizierte eine universale Würde, die den deutschen König, korrekter den Kaiser, als weltliches Haupt der Christenheit unmittelbar mit dem Papst verband. Das Reich stand somit als pars pro toto für die gesamte Christenheit. Diese Ehre sollte sich freilich auf die Selbstorganisation des Reiches als politisches Gesamtsystem ungünstig auswirken: Es gab nämlich auch im Spätmittelalter noch keine nennenswerte Interventionshürde gegenüber einer externen christlichen Einflussnahme auf das Reich.



I. Druck von außen 195

Über den von uns beobachteten Zeitraum hinweg ließen sich vielmehr gleich mehrere Beispiele dafür finden, dass diese besondere Offenheit des Systems relevant wurde: So konnte der Kardinallegat Beaufort im Reich 1427 als Quasi-König auftreten, weitgehend unter Nicht-Beachtung des Herrschers, legitimiert durch den Papst. Und der ungarische König Matthias Corvinus beschwerte sich 1487, er habe sich bereits auf einem Reichstag (Nürnberg 1481) rechtfertigen wollen: Dass er bislang nicht angehört wurde, sei ein großes Unrecht, denn „nit alleyn die naturlichen und cristenlichen geschriben, sunder auch aller ander geslecht recht und gesetz wollen, so yemants sich zu verantwortung erbeut und die tun will, das er darzu gelassen und ime solichs nit versagt werden soll.“8 Dabei sei es Friedrich, welcher ihn mehrfach mit Krieg überzogen und dadurch vom Kampf „wider die veinde cristenlichs bluts“ abgehalten habe.9 Der Kaiser geriet damit in die Defensive, welche er nur mit Hilfe einer sozialen Diskriminierung des Corvinen bewältigen konnte. Diese Linie funktionierte nicht, wenn es um die Einigung mit dem Papst ging: Der Konflikt zwischen dem Papst und dem Kaiser sei tunlichst zu beheben, damit „bede der cristenheit oberherren und gewelte in fruntlicher eynigkeit pleyben“.10 Das Potential einer Reaktivierung der innenpolitischen Macht des Papstes – seiner weltlichen Herrschaftsambitionen ungeachtet – wurde noch verstärkt durch die zeitgenössische Wahrnehmung einer extremen Bedrohung der Christenheit: „Die größte Sorge der westlichen Christenheit um 1500 war, dass sie vollkommen von der Bildfläche verschwinden könnte.“11 Diese vermeintliche Bedrohung der Christenheit – deren Auslöschung selbstverständlich ebenso unwahrscheinlich war wie die Vernichtung des Reiches – ging von unterschiedlichen Seiten aus. Vor allem die Osmanen als die kulturell und religiös Fremden wurden zu einem Sinnbild für die Gefahr. Tatsächlich war die Expansionskraft des Osmanischen Reichs beträchtlich. Seine Erfolge auf dem Balkan (Schlacht bei Varna 1444) gegen Sigismund und Johannes Hunyadi, vor allem jedoch die Eroberung Kon­ stantinopels (1453) sowie der lang währende Krieg gegen Venedig, in dessen Verlauf es den Osmanen gelang, den Ventianern wichtige Territorien im östlichen Mittelmeer abzutrotzen, waren traumatisierende Entwicklungen. Dies umso mehr, als diese Ereignisse bei weitem nicht den Abschluss des osmanischen Expansionsstrebens markierten. Diese schockierende Wahrnehmung von gewaltiger Expansionskraft ging einher mit der Hilflosigkeit gegenüber der militärischen Überlegenheit der 8  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 386, Zitate: S. 500. unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 112, Zitat: S. 225. 10  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 381, Zitat: S. 492. 11  MacCulloch, S. 87. 9  Reichstagsakten

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E. Primat der Außenpolitk

Osmanen, zum Beispiel dem neuartigen Einsatz der Infanterie durch Sultan Bayezid I. in der Schlacht von Nikopolis (1396) gegen ein Kreuzritterheer unter König Sigismund.12 Es kam hinzu, dass die Osmanen seit Sultan Mehmed II. (1432–1481; genannt der Eroberer) den Eindruck strategischer Geschlossenheit vermittelten, während sich in Europa selbst die aufsteigenden Mächte, also Spanien, Frankreich und England, nicht wirksam auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen konnten. Jede Macht „betrachtete im Kampf gegen den Islam die anderen eher als Rivalen denn als Alliierte.“13 Inwieweit die Gründe für die eigene Ineffizienz freilich als solche erkannt wurden, sei dahingestellt. Zudem waren die Osmanen nicht allein militärisch, sondern auch kulturell und technologisch überlegen. Die Wahrnehmung der Überlegenheit dieser religiös und sprachlich fremden sowie überaus erfolgreichen Eroberer als Bedrohung erzeugte einen Impuls der Abgrenzung, was zu einer besonders starken Orientierung an der eigenen Religion, der eigenen Kultur führte. Diese verpflichtete jeden Christen zur Verteidigung der gemeinsamen Identität, was freilich nicht viel zu tun hatte mit einer konkreten Gefahrenabwehr; denn noch war eine Verortung der Osmanen zumindest aus der innenpolitischen Perspektive des Reichs als ziemlich weit entfernt möglich. Anders verhielt es sich mit den Hussiten am Anfang des 15. Jahrhunderts.14 Die Hussiten waren seit der Verbrennung von Jan Hus auf Beschluss des Konstanzer Konzils 1415 beziehungsweise nach dem Erlass der päpstlichen Bulle „Inter cunctas“ durch Martin V. (1418) als Häretiker identifiziert. Und auch sie verbreiteten vor allem wegen ihrer militärischen Überlegenheit (vor allem die Taktik der Wagenburgen) Angst und Schrecken. Die Wahrnehmung einer Hussitengefahr für das Reich wurde durch die Niederlagen gleich mehrerer Kreuzzüge zwischen 1420 und 1434 manifestiert. Letztlich besiegt werden konnten die Hussitenheere erst, als sich der gemäßigte Flügel von der Bewegung distanziert hatte. Sigismunds Krönung zum böhmischen König am 28. Juli 1420 blieb bis zur Durchset12  Mályusz, Elemér: Kaiser Sigmund in Ungarn 1387–1437, Budapest 1990, bes. S. 128–139; Housley, Norman: The Later Crusades 1274–1580: From Lyons to ­Alcazar, Oxford 1992. 13  Kennedy, S. 30. 14  Vgl. u. a. Šmahel, František: Die Hussitische Revolution, 3 Bde, Hannover 2002; Seibt, Ferdinand: Revolution in Europa, München 1984; Jan Hus zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen, Vorträge des Internationalen Symposiums in Bayreuth vom 22. bis 26. September 1993, hg. von Ferdinand Seibt, unter Mitwirkung von Zdeněk Dittrich, Karl Josef Hahn, František J. Holeček, Norbert Kotowski, Zdeněk Kučera, Jan Lášek und Willem Rood, München 1997; Kaminsky, Howard: A History of the Hussite Revolution, Berkeley, CA 1967.



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zung (1436 / 1437) der auf der Basis der Vier Prager Artikel ausgehandelten Basler Kompaktaten (1433) jedenfalls ein hart umkämpfter Anspruch. Anders als die Osmanen fielen die Hussiten sehr bald nach ihrem Auftreten ins Reich ein. Die konkrete miltitärische Bedrohung wurde dadurch unmittelbar erfahrbar und führte zu ebenso konkreten Maßnahmen. So verbündeten sich die unmittelbar Betroffenen, etwa die Wettiner mit den Hohenzollern (1429), und es kam zu Sonderfrieden, welche der Not gehorchten, zum Beispiel der des Kurfürsten Friedrich II. von Sachsen im Jahr 1432. Die Not spiegelte sich vor allem in regionalen Zusammenschlüssen, in jenen Landschaften nämlich, denen die Hussiten besonders nahe waren, etwa in Franken. Dort schlossen Adlige Anfang 1429 ein Defensivbündnis gegen die Hussiten und führten auch die Ende 1423 gescheiterten Landfriedensverhandlungen zu einem Abschluss.15 Angesichts der Hussitengefahr war man freilich so stark auf die Vereinigung der Kräfte angewiesen, dass keiner der Beteiligten das Risiko eingehen wollte, das Inkraftreten des Vertrags durch königliche Modifikationen erneut zu verzögern oder gar zu gefährden. Die fränkische Einigung wurde also zwar zu „wirden und zu eren“ von König und Reich abgeschlossen, Sigismund jedoch nicht mehr vorgelegt.16 Druck von außen erzeugte also innenpolitisches Handeln, zumindest in der Region. Reichsübergreifend kam es zum Zwecke der Kreuzzugsfinanzierung 1427 unter Kardinal Heinrich von Beaufort zu einer ersten Reichssteuer. Der Kardinallegat erzeugte Druck von außen und von oben gleichzeitig, indem er als englischer Finanzfachmann gleichsam in die Rolle des Königs schlüpfte. Was ihm angesichts seines fehlenden Verständnisses von den innenpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen er handelte, freilich nicht gelingen konnte, war ein dem Reich wirklich angemessenes Steuerkonzept: Beaufort setzte schlicht einen zu hohen Grad an politischer Konsistenz im Reich voraus. Er ging davon aus, dass der Beitrag eines jeden Einzelnen zentral festgesetzt werden könne und dass eine Zentralkasse allgemein als legitim und praktikabel akzeptiert würde. Die nach der Abreise des fremden Quasi-Königs erfolgenden Modifikationen der Steuer spiegelten insofern die Adaptation der Beschlüsse an die Realität des Reiches wider. Es war nicht möglich, das vorgegebene Verwaltungsniveau zu halten. Betrachtet man die beiden großen Bedrohungswellen durch Andersgläubige im 15. Jahrhundert, dann wird eines unmittelbar deutlich: Die Osmanen 15  Vgl. Palacky, Franz: Geschichte von Böhmen, größtenteils nach Urkunden und Handschriften, 3.2–3.3, Prag 1851–1854, hier: 3.2, Prag 1851; Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 9, Nr. 9; vgl. auch Nrn. 10, 11. 16  Quellen zur Geschichte der fränkisch-bayerischen Landfriedensorganisation im Spätmittelalter, bearb. von Gerhard Pfeiffer, München 1975 (= Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte, 69), Zitat: 747, S. 318.

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wurden zwar als Gefahr, aber weniger als konkrete Bedrohung der eigenen Lebensumwelt wahrgenommen. Auf die Osmanengefahr wurde vor allem ideell, manchmal eher nominell reagiert. Die hussitische Bedrohung hingegen war zumindest im östlichen Reich unmittelbar erlebbar: Dort reagierte man auch entsprechend konkret. Eine Selbstorganisation des Reiches im Sinne innenpolitischer Maßnahmen fand unter dieser Prämisse allerdings nur sehr bedingt statt. Sie war dem Reich eigentlich fremd. Ein Unternehmen zur Bekämpfung des Unglaubens verpflichtete jedoch jeden Christen grundsätzlich zur Teilnahme. Wenn Papst und Kaiser zu Kreuzzügen aufriefen, folgte man diesen nach einem weitgehend traditionellen Muster. Eine als Gefahr für die gesamte Christenheit erkannte Häresie wie die hussitische setzte allerdings auch innenpolitische Kräfte frei, welche förmlich dazu einluden, die zweite Legitimationsquelle des Reiches, den Heiligen Stuhl, bei Bedarf auch gegen den weltlichen Herrscher auszuspielen. So konnten sich allen voran die Kurfürsten vor dem Hintergrund päpstlicher Legitimation auch unabhängig vom König gegenseitig Hilfeleistungen zusagen. Sie waren schließlich diejenigen, welche in ihrer Rolle als supplementäre Reichsrepräsentanten mit Hilfe des Papstes die Option einer Selbst­ organisation des Reichs ohne König austesten konnten. Es blieb allerdings bei einem Anspruch, der sogleich abgewehrt wurde bzw. von vornherein nur begrenzt durchsetzbar war: Denn einem solchen Vertrag konnten nur diejenigen beitreten, welche Anrainer Böhmens und damit unmittelbar auf Hilfe angewiesen waren, oder diejenigen, welche ohnehin im Einflussbereich der jeweiligen Kurfürsten agierten. Zur Not half auch der Rückbezug auf den Herrscher weiter: So fanden sich die auf eine politische Vereinnahmung besonders sensibel reagierenden Kommunen geschickt den Ausweg, sich zum Pakt mit den Kurfürsten die Genehmigung des Königs einzuholen.17 Die grundsätzliche Gefährung des Reiches durch die Hussiten war insofern lediglich in der Region als solche physisch wahrnehmbar. Fehlte die unmittelbare Umwelterfahrung, war eine Gefährdung des Reichs nur schwer plausibel zu machen. Dazu bedurfte es intensiver Bemühungen des Herrschers, die necessitas legitima nicht nur festzustellen, sondern wirksam zu vermitteln. Die Handlungsmotivation versuchten die Herrscher insbesondere dadurch zu stärken, dass sie das Problem auf der allerhöchsten Prioritätsebene ansiedelten, der Gefahr für die gesamte Christenheit nämlich. Einem solchen Anliegen konnte sich ein Christ schlechterdings nicht entziehen. Allerdings nahmen die Herrscher nolens volens in Kauf, dass mit dieser Argumentationslinie auch das innenpolitische Poten­tial 17  Vgl. Wefers, Die Wirkung des Hussitenproblems; Wefers, Sigismund und das Maß an Staatlichkeit.



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des Papstes im Reich aktiviert wurde, und gelegentlich auch die Mitwirkung anderer christlicher Herrscher. Außerdem wurde mit einem derart grundsätzlichen Argument zwar die necessitas zum Handeln unabweisbar begründet und damit eine grundsätzliche Diskussion angestoßen. Häufig fehlte im Lebensumfeld der politischen Protagonisten jedoch das zum Problem passende aktuelle Geschehen, ein Ereignis also, welches das grundsätzliche Anliegen hätte präzisieren und damit konkret verhandlungsfähig machen können. So blieb es in solchen Fällen gewöhnlich bei den traditionellen (mithin meist relativ ineffizienten, der Form genügenden) Verhaltensmustern, formalen Zusagen also. Die Gefährdung von außen musste, sollte sie wirksam zum Handeln ­ otivieren, mehr als eine abstrakte Wahrnehmung sein. Angesichts der m Beschaffenheit des Reiches war es jedoch beinahe unmöglich, dass eine ­ ernsthafte militärische oder ideologische Gefährdung des Gesamtsystems hätte eintreten können. Wenn sich Angriffe ereigneten, die in ihrem Ausmaß erschreckten, dann waren selbst diese meist örtlich oder regional begrenzt, wie etwa im Fall der Einfälle der Hussiten in die östlichen Reichsteile. In solchen Konstellationen blieb der Schwerpunkt der konkreten Handlungsbereitschaft da, wo er benötigt wurde, in der Region nämlich. Die grundsätzliche Mitwirkung eines jeden Christen an der Bekämpfung der hussitischen Häresie erfolgte hingegen auf traditionellen Wegen. Bei den Hussiten kam sogar hinzu, dass sie zwar erschreckten, das Reich aber nicht grundsätzlich erschütterten: Es gab schließlich „keinen Hussitismus als auch nur einigermaßen geschlossenes Gedankengebäude, kein System kirchlicher oder gesellschaftspolitischer Ansichten unter diesem Begriff …“.18 In welchen Fällen erschütterte eine Gefahr von außen das politische Gesamtsystem so, dass tatsächlich aus Druck von außen ein effektives Handeln erwuchs, eine ernsthafte und nachhaltige Verhaltensmodifikation nämlich?

II. Druck von oben Im Alltagsleben eines derart inkonsisten Systems wie dem Reich erfolgte zwar eine sukzessive Entwicklung infolge der Anpassungsnotwendigkeit an technologische, wirtschaftliche und politische Zeitläufte. Auch diese fand in unterschiedlicher Geschwindigkeit statt, am ehesten in den Bereichen, welche infolge ihrer Kontakte zur Außenwelt in besonderem Maße mit Neuerungen in Berührung kamen. Eine deutliche Veränderung des Gesamtsystems 18  Seibt, Ferdinand: Die Hussitische Revolution und der Deutsche Bauernkrieg, in: Revolte und Revolution in Europa. Referate und Protokolle des internationalen Symposiums zur Erinnerung an den Bauernkrieg 1525, hg. von Peter Blickle, in: Historische Zeitschrift. Beihefte 4 (1975), S. 47–61, Zitat: S. 47.

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resultierte lediglich als Folge der Veränderung eines signifikanten Anteils seiner Teile; und diese Entwicklung erfolgte logischerweise unkoordiniert und damit sogar unkontrollierbar. Die politischen und sozialen Subsysteme im Reich waren insofern zwar vielfältig miteinander vernetzt; eine dieses Netzwerk strukturierende Herrschaft war jedoch kaum möglich. Dieser Befund änderte sich gelegentlich, bei hoher politischer Konzentration nämlich, wie sie etwa auf Hoftagen gegeben war, an denen viele und vor allem hochrangige Teilnehmer durch ihre Anwesenheit auch ein erhebliches Maß an politischem Substrat einbrachten und dieses Potential durch entsprechend hohe Erwartungen an Antworten auf klar definierte Anforderungen in politische Substanz umgeformt werden konnte. Eine solche Konstellation kam nicht allzu häufig zustande. Herrscherwechsel mit der dazu gehörenden Privilegierung etwa boten eine gute Voraussetzung für eine solche Ansammlung von Macht. Wenn, wie beim Wormser Tag 1495, auch der Herrscher als Legitimationsquelle anwesend war und besonders hohe Anforderungen an die Teilnehmer stellte, stieg die Erfolgswahrscheinlichkeit für Veränderungen deutlich. Denn auf solchermaßen intensiven Tagen konnten sogar relativ abstrakte Gefährdungen plausibel gemacht werden, wie etwa diejenige mit dem wohl größten Bedrohungspotential auf der einen und einer besonders geringen Aufmerksamkeitsrate im Reich auf der anderen Seite, das Ringen um die Macht in Europa nämlich. Die alten Mächte Europas lernten auf die neuen Herausforderungen von außen zu reagieren: Im neuen System zählte wirtschaftliche, technologische und militärische Macht. Austariert wurde dieses System nach italienischem Muster auf der Basis diplomatischer Netzwerke, welche professionell einen „constant flow of information and channels of official intercourse with important neighbours“ unterhielten.19 Das Reich als solches war auf dieses Spiel nicht eingerichtet. Die Habsburger Dynastie hingegen war selbst unmittelbar involviert und durch ihre Verantwortung für das Reich sozusagen prädestiniert, das Reich mitzunehmen in diese neue Konstellation. Allerdings war es gerade diese Herrschaftsakkumulation, welche Abwehr erzeugte und nicht nur traditionelle Gegner wie die Wittelsbacher erschreckte, sondern auch die Habsburger selbst überforderte. Es ließen sich mehrere typische Vater-Sohn-Konflikte der Habsburger aufzeigen, welche gleichzeitig Ausweis der verschiedenen Herrschaftskulturen waren, in welche die Habsburger hineinwachsen mussten. Der Nürnberger Reichstag 1487 zum Beispiel war einer dieser oben beschriebenen intensiven Tage. Es nahmen außer dem böhmischen König alle 19  Mattingly, Garrett; Renaissance Diplomacy, 3. Aufl., Harmondsworth 1973, S. 95.



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Kurfürsten teil, 16 Reichsfürsten, acht fürstliche Gesandtschaften sowie Vertreter von fast 30 Städten; König Maximilian erschien nicht.20 Er arbeitete an den Grundlagen für ein Bündnis mit dem katholischen Königspaar Ferdinand und Isabella gegen den französischen König. Dieses Bündnis gipfelte 1495 in der Vereinbarung einer Doppelheirat von Philipp und Margarethe mit den Nachkommen des spanischen Königspaares. Parallel dazu liefen Heirats- und Bündnisverhandlungen mit dem bretonischen Herzog Franz II., ausgerichtet gegen den vorhersehbaren Versuch des französischen Königs, die Autonomie des Herzogtums (spätestens nach dem Tode des Regenten) zu schmälern.21 Kaiser Friedrich betrachtete die Angelegenheiten aus völlig anderer Perspektive. Er wollte vor allem das 1485 an Matthias Corvinus verlorene Wien zurückerobern und hielt nichts von Abkommen mit Frankreich, denn „ir wisset, was unrats und verderbens uns und unserm haus Osterreich bisher aus solich des Kg. teidung und hendeln entstanden ist“.22 Friedrich betrachtete die de facto (noch) zu moderne „staatlich-dynastische“ Politik seines Sohnes als dessen persönliches Fehlverhalten. Selbstverständlich handelte auch Maximilian in eine ungewisse Zukunft hinein und war mitnichten in der Lage, die Habsburger Weltmachtstellung vorzubereiten. Maximilian verhielt sich jedoch nach burgundischer Hof-Art im Wortsinn, d. h. gemäß dem dort erreichten Niveau von Verwaltungs- bzw. Regierungshandeln. Die Herrschaft in Burgund umfasste bereits weit intensiver als die im Reich staatliche Möglichkeiten und Zwänge. So bediente man sich am burgundischen Hof bei der Wahrung politischer Interessen gegen Frankreich relativ selbstverständlich auch dynastischer Mittel. Gerade das Mittel der Heirat ist insofern differenziert zu betrachten. Es ist ein zwar stets aussagekräftiger, allerdings durchaus unterschiedlich einzuordnender Parameter zwischen dynastischem und staatlichem Handeln. Maximilian agierte im aufgezeigten Kontext bereits „staatlich“ mit dynastischen Mitteln. Sein Vater hingegen betrachtete Maximilians Aktivitäten aus einer noch weitgehend „staatsfreien“ dynastischen Perspektive, als Pater familias nämlich. Aus diesem Blickwinkel heraus stellte Maximilians 20  Vgl. Schreiben in Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nrn. 162, 163, auch 164 und schließlich Kg. Maximilian in 158, 165. 21  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 166, 168. Im September ließ Herzog Franz wissen, die Verhandlungen über eine Heirat zwischen Maximilian und Anna von der Bretagne sowie zwischen Philipp von Burgund und Isabella von der Bretagne seien weit gediehen. Kg. Maximilian solle nun mit einer stattlichen Anzahl von Kriegsleuten in die Bretagne kommen, um gegen den Franzosen vorzugehen; vgl. Nr. 170. 22  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 159, Zitat: S. 268 f.; vgl. sodann Nrn. 162 und 163.

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Verhalten die etablierten dynastischen Freund-Feind-Relationen unnötig in­ frage. Die Wahrnehmungsdifferenz zwischen den beiden Herrschern bietet ein treffendes Beispiel für die Ungleichzeitigkeit gleichzeitiger Vorgänge, innerhalb der führenden Dynastie sogar, in diesem Fall vor der Folie einer unterschiedlich stark fortgeschrittenen Verstaatung des Herrscherhauses im europäischen Kontext. Systematisch gesehen musste die beginnende Differenzierung politischer Funktionsfelder im Reich erst dazu führen, das Interesse von Reich und Dynastie zu unterscheiden. In einem sehr viel späteren Stadium konnte die Monarchie dann auch im Reich verstaatet werden, „ein Phänomen, das im Zeitalter sich entwickelnder Staatlichkeit eo ipso nirgends angesiedelt werden kann.“23 Diese Entwicklungsdifferenz zwischen zwei Herrschaftsbereichen, hier Burgund und Österreich, bestätigt sich, wenn man in die Betrachtung einbezieht, dass selbst Jahre später, auf dem Wormser Reichstag nämlich, die Heiratsverhandlungen mit König Ferdinand und Königin Isabella von Spanien nur am Rande öffentlich besprochen wurden. Das Abkommen folgte der politischen Linie der Heiligen Liga; und diese Allianz war den meisten Teilnehmern unzureichend bekannt oder galt als persönliches Bündnis des Königs. Deshalb bot die formale Eheschließung Margaretes mit Juan, welche in Anwesenheit illustrer Zeugen von König Maximilian als Prokurator für die habsburgische und Francisco de Rojas für die spanische Seite am 25. August 1495 vollzogen wurde, eher einen hervorragenden Anlass zu einem höfischen Fest als zu einer reichspolitischen Diskussion.24 Mit Entwicklungsunterschieden hatte bereits Sigismund umgehen müssen. Er hatte keine Chance, im Reich eigenes Herrschaftspotential zu aktivieren, sondern war nur äußerst selten, etwa im Kontext der Konzilien, zur Erzeugung von „Druck von oben“ überhaupt in der Lage. So wusste er seine Funktion als advocatus et defensor ecclesiae zu nutzen, auch wenn eine zum Beispiel von Job Vener gedachte par racio von Reichs- und Kirchenreform nicht in die Realität umzusetzen war. Job Vener „theoretisiert, in universale Traditionen gebunden, mit dem Kopf, und steht mit den Füßen auf dem Boden …, überspitzt gesagt: Er redet vom Imperium und handelt … vom Regnum.“25 Das Konstanzer Konzil verstärkte Sigismunds politische und diplomatische Aktivität (vgl. etwa die Reisen nach England und Frankreich Wefers, Der Wormser Tag, S. 294. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 109. 25  Heimpel, Hermann: Die Vener von Gmünd und Straßburg, 1162–1447, Bd. 1–3, Göttingen 1982 (= Veröffentlichungen des Max Planck Instituts für Geschichte; 52), Zitat: Bd. 2, S. 856–857. 23  Vgl. 24  Vgl.



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sowie den Vertrag von Canterbury), zeigte allerdings ebenso deutlich die Grenzen seiner Möglichkeiten auf.26 Auch wenn es Sigismund später tatsächlich gelang, das Basler Konzil – zu gegenseitigem Nutzen – als politische Basis im Reich zu installieren, dann war auch dies nur von kurzfristiger Wirkung. Nach der Etablierungsphase erwuchs Sigismund in den Baseler Vätern nämlich ein Konkurrent, welcher in vieler Hinsicht über ähnliche meta-politische Herrschaftsmittel verfügte wie er selbst und dementsprechend Funktionen der Legitimierung und Rechtsprechung im Reich übernahm. Diese Einmischung in die Angelegenheiten des Reichs freilich alarmierte die Betroffenen, erzeugte Abwehr und führte damit zu einer Rückbesinnung auf den Kaiser als den weltlichen Herrn des Reiches; sie wirkte sich letzten Endes also zu Sigismunds Gunsten aus.27 Letztlich war es Sigismund jedoch nicht möglich, im Reich Herrschaft auszuüben. Die Habsburger hingegen verfügten über das notwendige herrschaftliche Netzwerk, welches durch einige günstige Heirats- und Erbfälle sogar im europäischen Rahmen bereits eine beachtliche Dimension erreicht hatte. Unter den Knotenpunkten dieses Netzwerkes spielte die Burgundische Heirat zwischen der Erbin Maria und Maximilian (1477 in Brügge) für die Teilhabe der Habsburger am neu entstehenden Mächtesystem in Europa eine ganz besondere Rolle. Die Chancen der Könige von Frankreich, Ludwig XI. (genannt „Le Prudent“) sowie Karl VIII. (genannt „L’Affable“), die Erbschaft Karls des Kühnen anzutreten, wurden durch diese Heirat erheblich behindert. Es entspann sich ein erbitterter Machtkampf zwischen den Habsburgern und den Valois. Hinzu kam, dass Papst Innozenz VIII., welcher sich mit Ferdinand von Neapel überworfen hatte, Karl VIII. von Frankreich ermunterte, Anspruch auf das Königreich anzumelden. Die Franzosen rückten daraufhin mit einer für die Zeit hochmodernen Armee in Italien ein und erschreckten damit nicht allein ihre potentiellen Verbündeten, sondern die gesamte westliche Welt. „In the first generation of European power politics, France remained as laggard in diplomacy as she was forward in war“.28 Dass Frankreich keine konsistente Außenpolitik vertrat, machte die Franzosen unberechenbar. Zudem wurden sie diplomatisch manipulierbar. So nutzten die italienischen Machthaber die französische Planlosigkeit für eigene Zwecke: „The dreamers and schemers and malcontents drawn by the magnet of French power from Wefers, Das politische System, S. 44–67. Wefers, Das politische System, S. 185–222. 28  Mattingly: „In the 1490s France was in no more danger of being conquered by her neighbours than she was capable of conquering any of the larger of them“ (S. 126). 26  Vgl. 27  Vgl.

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every corner of Italy were symptomatic of the Italian malaise, the unstable, illegitimate nature of power in most of the peninsula.“29 War das wohlhabene, aber in sich völlig zerstrittene Italien tatsächlich das „most obvious reservoir of power, waiting to be absorbed und utilized by a growing organism“?30 Jedenfalls waren am Ende des 15. Jahrhunderts sowohl die Verfügbarkeit Italiens als auch die Macht Frankreichs offenkundig geworden. Die französische Expansion erzeugte Abwehr, auch bei denen, welche sie ursprünglich mit entfesselt hatten. Diese Abwehr manifestierte sich unter anderem in der Heiligen Liga 1495, „of which the pope was to be head and Spain the right arm“.31 Im Unterschied zu ihrer Vorgängerin 1455 war die neue Liga allerdings „the first decisive drawing together of the major states of Europe into a single power system.“32 Sie bezog Maximilian ein, wodurch jener in das auf eine europäische Ebene gehobene Machtspiel eintrat, und mit ihm das Reich. Dort konnte man mit der habsburgischen Frankreichpolitik allerdings wenig anfangen. Noch 1498 fragte man sich ausdrücklich, inwieweit die Frankreichpolitik des Habsburgers das Reichsinteresse überhaupt berühre. Wenn der französische König in Italien sein Recht suchte, „was ging das die dütsch nacion an, was hetten sy damit zu schaffen?“33 So jedenfalls sahen es die „ff. geistlich und weltlich und ander potschaften des adels“.34 Es waren europäische Diplomaten, welche vor allem den am Erhalt ihres Wahlrechts und ihrer Teilhabe an der Reichsrepräsentation interessierten Kurfürsten die Augen für die innenpolitische Relevanz des außenpolitischen Geschehens öffnete. So berichtete Leonello Chieregati, er habe die Position der geistlichen Kurfürsten auf der Freiburger Reichsversammlung 1498 erfolgreich beeinflusst.35 Ganz ähnlich berichtete der mailändische Gesandte Erasmus Brascha: Er habe dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen erläutert, dass die Kurfürsten nicht mehr daran denken dürften, einen Römischen 29  Mattingly,

S. 128. S. 129. 31  Mattingly, S. 136. 32  Mattingly, S. 137. 33  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645. 34  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 645. 35  Vgl. Regesta Imperii, Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., hier: Bd. 2,1, Nr. 6422. Vgl. zu Chieregati auch Fritsch. Fritsch weist nach, dass Chieregati „auch selbst von der Italienpolitik und dem notwendigen Eingreifen Maximilians überzeugt war und nicht nur im Auftrag seiner Gesandtschaft gehandelt zu haben scheint.“ S. 232. Dies ist umso wahrscheinlicher, als er über die päpstliche Politik zeitweilig nur spärlich informiert war. 30  Mattingly,



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König zu wählen, sollte der französische König Herr über Mailand werden.36 Auch wenn hier erkennbar inneritalienische Interessen im Spiel waren: Die diplomatische Intervention erreichte ihren Zweck: Die Kurfürsten lernten, den Druck von außen als Druck auf das Reich einzuschätzen und als Druck von oben weiterzugeben. Am Beispiel der Verhandlungen über den Gemeinen Pfennig von 1495 lässt sich zeigen, dass die Einsicht in eine Gefährdung des Reiches ausreichte, um unter bestimmten Bedingungen den für weitreichende Maßnahmen notwendigen innenpolitischen Handlungsdruck zu erzeugen: Worms war ein solcher „großer Tag“, mit entsprechender Anwesenheitsrate und hohem Erwartungsdruck. Unter dieser Voraussetzung konnte sich einiges im Sinne einer Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und damit auch des politischen Gesamtsystems bewegen. Es gelang, die vom Herrscher reklamierte Relevanz des italienischen Krieges für das Reich mit aktuellen Informationen über das Vorgehen der Franzosen zu untermauern und damit den für konsensuale Entscheidungen erforderlichen Druck zu erzeugen. Die französische Expanison veranlasste somit zu wesentlich weiter reichenden Maßnahmen als alle Kriegsanstrengungen bisher. Ein Schritt, der von der Krisenstimmung und der aus ihr folgenden Verhandlungsdynamik getragen wurde und selbstverständlich zu weit ging, als dass er hätte ohne Verluste an logischer Stringenz im Reich umgesetzt werden können. Allerdings war es unter den in Worms gegebenen Voraussetzungen möglich, ein solches, an sich schon zwischen Repartitions- und Quotitätssteuer zerrissenes Kon­strukt, welches aus einem Finanzierungspaket aus Eilender Hilfe, Obligationen und Gemeinem Pfennig bestand, gemeinsam auf den Weg zu bringen. Diese Entscheidung war tatsächlich ein fiskalpolitischer Meilenstein. Steuertechnisch wurden nicht weniger als „alle zu Gebote stehenden Register der Zeit“ gezogen, um zu Geld zu kommen.37 Geht man von der teleologischen Annahme aus, es habe angesichts der weichen Konstitution im Reich einigermaßen zwangsläufig ein ständisches Programm für dessen Entwicklung in Richtung auf eine konstitutionelle oder sogar parlamentarische Monarchie geben müssen, dann kann man selbstverständlich zu der Einschätzung gelangen, der Gemeine Pfennig sollte „zu der von Berthold von Mainz angestrebten Straffung der Reichsverfassung hin auf eine unter gesamtständischer Dominanz neuorganisierte Reichsgewalt beitragen“.38 Der hier exemplarisch zitierte Peter Schmid weist allerdings selbst darauf hin, dass Maximilian aufgeschlossen war für 36  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil II, Nr. 126. 37  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 284. 38  Schmid, Der Gemeine Pfennig, S. 285.

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Reformen und Berthold ganz wesentlich an den Reichsfürsten gescheitert sei. Tatsächlich hatte der König selbst bekräftigt, er sehe in der Gewährung einer Hilfe und der Herstellung von Frieden, Recht und Ordnung durchaus einen Zusammenhang und wolle deshalb, dass „aines mit dem andern zugee.“39 Das Ausmaß des Durchbruchs, den diese Formel bedeutete, ist schwer zu unterschätzen. Einigermaßen sicher ist nur, dass sie nicht auf die Entwicklung eines neuzeitlichen Regierungsmodells ausgerichtet war. Maximilian kann jedoch als einer der großen Reformer „von oben“ angesehen werden. Denn selbst wenn die Einschätzung, Maximilian habe unter den Regenten seiner Zeit „the most alert und widely curious mind“ gehabt, sogar etwas zu generös sein mag, so lässt sich doch beobachten, dass der König zumindest in seiner Anfangszeit, also unter dem Einfluss der burgundischen Verwaltung, nicht nur sehr klug, sondern auch sehr professionell und konsequent vorging.40 Die Maxime des Wormser Tags war jedenfalls nicht das einzige Beispiel dafür, dass der Habsburger auf die Herrschaft im Reich konzeptionell gut vorbereitet war. So unterbreitete er Herzog Albrecht von Bayern (1487) zum Beispiel das Angebot, den Wittelsbacher in beiderseitigem Interesse an der Macht zu beteiligen, da der König angesichts der Vielfalt seiner Herrschaftsbereiche „soliche land in irer Gn. selbs person nicht wol zu regirn und zu gewaltigen sind“.41 Die aus diesem Vorschlag ableitbare Maxime einer Herrschaftskonsolidierung bezogen auf das Reich findet sich des Öfteren, zum Beispiel in der Überlegung, solle das „hl. Reich in wirden und bei deutscher nacion beleiben und den mächtigen Kgrr. Frankreich und Hungern widersteen, so muss das durch eintrechtige vereinigung der ksl. Mt. und der Kff. und Ff. des hl. Reichs beschehen …“.42 Dieses Herrschaftsverständnis verband den Kaiser mit dem Protagonisten der Kurfürsten, Berthold von Henneberg. Beide hatten erkannt, dass die Gefährdung von außen zu einer Stärkung von innen führen müsste. Berthold artikulierte seine Sorge einmal so: „es dete warlich not, das man flyssiger were, wole man anders das rych in wesen halten und in state und wesen blyben. es ist warlich vast erschroecklich und stellen sich die leufde so wild an, das billich baß zu herzen gefaßt und ernstlicher zu den hendeln getan, damit eintrechtickeit im rych würde.“43 39  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd.  5,2, Nr. 1787 (niederbayer. Ges.), S. 1472. 40  Mattingly, S. 149. 41  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 237, Zitat: S. 346. 42  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 181, Zitat: S. 300. 43  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier Wormser Tag, Nr. 15, Zitat: S. 386.



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Es bestand ein politischer Funktionszusammenhang zwischen König und Reich, zwischen legitimer Herrschaft und politischer Gewalt. Beide Anteile mussten freilich anlassbezogen zusammengeführt werden, um das Reich handlungsfähig zu machen. Die Habsburger verbanden die Machtrolle des Reichsoberhaupts mit der Machtfülle einer überragenden Dynastie. Infolge seiner wachsenden Machtfülle war das Haus Habsburg dasjenige, bei dem sich sogar der pars pro toto-Gedanke aufdrängte wie bei keinem anderen Fürstenhaus. Schließlich gehörten die habsburgischen Erbländer, so argumentierte Kaiser Friedrich 1489, zum Heiligen Reich und seien „portten und schildt gegen Franckreich, Hungern und andern fro(e)mbden nacion.“44 Diese Konstellation bescherte dem Reich die Teilhabe an der europäischen Machtpolitik, auch wenn die innenpolitischen Kräfte dies nur schwer rezipieren und noch weniger akzeptieren konnten. Der herrscherliche Monismus erzeugte Vorbehalte und bewirkte herrschaftliche Selbstverortungsprozesse, welche in ihrer Summe freilich zur Identitätsbildung im Reich beitrugen. Es stand stets die Frage im Raum, ob eine Anforderung von außen tatsächlich das Reich oder nicht allein das Herrscherhaus betraf. Die Binnendifferenzierung zwischen allgemeinen und dynastischen Interessen war freilich ein durchaus notwendiger Schritt auf dem Weg zu dem, was man Reichsinteresse nennen könnte. Dieses Reichsinteresse musste freilich oberhalb der vielfältigen Verfassungen bzw. wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Systeme im Reich angesiedelt werden. Das war nur möglich, wenn sich die Protagonisten der Notwendigkeit zu gemeinsamem Handeln bewusst waren und – gerade für neue Verfahren – die notwendige Legitimierung erhielten. Der Grundkonsens, auf 44  Frankfurts Reichscorrespondenz, Bd.  2,2, S. 516. Maximilian sah insofern auch kein Problem darin, seinen Sohn operativ einzusetzen und ggf. auch wieder zurückzuziehen. Pfalzgraf Philipp versuchte z. B., die Frage der Königsvertretung durch Erzherzog Philipp in Lindau als Anlass für eine Absage zu nutzen. Maximi­lian bemühte sich – allerdings vergeblich –, das Fernbleiben des Kurfürsten zu verhindern, indem er ihm ausrichten ließ, er beabsichtige nicht, dessen Rechte einzuschränken. Erzherzog Philipp werde „der kgl. mt. notdurft fürwenden als als anwalt s. mt.“, jedoch „von stund absteen und da sin als ein ehzg. von Österrich“, sobald der Reichsvikar persönlich erscheine. Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nrn. 11, 18, 19, Zitate: Nr. 18, S. 139. Vgl. auch die protokollarischen Konsequenzen, Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 41. Der Erzherzog sah das Geschehen aus der niederländischen Perspektive mit nachrangiger Priorität und übergab, als ihm der Vorsitz streitig gemacht wurde, die gesamten Verhandlungen an den Mainzer Kurfürsten. Am 10. November erschien der Maire von Löwen als Botschafter Herzog Philipps vor der Versammlung mit dem Auftrag, die Versammlung zu bitten „seinen abscheid von gemeltem tag nit in übel“ aufzunehmen und weiter so zu verhandeln, als ob er anwesend sei. Der Gesandte hat den Auftrag, sich nach dem Rat des Kurfürsten von Mainz zu richten. Reichstagsakten, Bd. 6, Lindauer Tag, II, Nr. 143.

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den man sich bezog, war und blieb die alte Ordnung. Auch wenn man diese sukzessive definierte, dabei immer weiter differenzierte, sie zudem festschrieb und dabei de facto auf eine neuzeitliche Verfasstheit hin bewegte, so galt doch nach wie vor: „Legitim war allein das Handeln des Königs; Legitimes konnte man nicht ablehnen; nicht einmal bestand das Recht, ihm zuzustimmen.“45 Der Herrscher war demnach der Garant einer Ordnung, welche ihm allein die Legitimität garantierte, aber in einer Binnenstruktur, welche die zur Handlungsfähigkeit notwendige Gewalt nur im Konsens organisieren konnte. Diese Art des Dualismus war der Entwicklung politischer Kultur zweifellos förderlicher als der Aus­formung eines den Anforderungen von außen angemessenen politischen Systems. Der Weg zur Herrschaftskonsolidierung band insofern auch den Herrscher selbst an bestimmte Verhaltensnormen. Entscheidungsprozesse unter den Bedingungen eines Konsensverfahrens waren langwierig und meist wenig effizient; vermeidbar waren sie jedoch auf keinen Fall. Vor allem Maximilians Temperament musste wiederholt gezügelt werden, und zwar immer, wenn er die ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten der Entscheidungsfindung in der Reichspolitik abkürzen, die konsensuale Zusammenführung von Legitimation und politischer Gewalt über die Plausibilität einer necessitas legitima außer Acht lassen und am liebsten gleich losschlagen wollte. Die Kurfürsten hielten den König mehrmals von Alleingängen ab. Es sei im Reich „also herkomen …, wider nymant zu ziehen, man hett in dann von des gemeinen reichs wegen ersucht“.46 Auch achteten sie darauf, dass er die diplomatische Hierarchie einhielt. Er könne Verhandlungswege nicht dadurch abkürzen, dass er einfach selbst in Aktion trete, denn das wäre so, als wenn „s. mt. als des reichs heubt der glider botschaft sein solte“.47 Wenn der König freilich in der Ferne weilte, war es schwierig, ihn zur Wahrung der diplomatischen Gepflogenheiten anzuhalten. So beleidigte Maximilian die Protagonisten der Entscheidungsfindung sogar, wenn er zum Beispiel mit dem Hinweis auf seine Räte „nicht allain teutzer nacion“ ausdrücklich auf jeden Ratschlag verzichtete, den die Gesandten in Lindau ihm nur auf der Grundlage weiterer Vollmachten geben könnten.48

45  Moraw, Peter: Der Reichstag zu Worms von 1495, in: 1495 – Kaiser, Reich, Reformen. Der Reichstag zu Worms. Katalog der Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms, hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Koblenz 1995, S. 25–37, Zitat: S. 32. 46  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, S. 645. 47  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Freiburger Reichsversammlung, Teil III, Nr. 36, Zitat: S. 644.



III. Druck von unten209

III. Druck von unten Dabei wurde Maximilians Politik in Italien von der necessitas legitima getragen. Sofern und solange diese Einsicht gegeben war, wurden unter Bedingungen wie dem Wormser Tag erhebliche Zugeständnisse möglich. So entschieden sich die städtischen Gesandten in der Hochphase des Tages sogar, den Unwillen der Freunde daheim in Kauf zu nehmen, „wa sy sich weyter, dann ir bevelch stunde, begeben wurden.“49 Sobald der Druck von außen jedoch nachließ, erfolgte zwar keine Verweigerung – diese wäre illegitim gewesen – aber der Rückzug auf überkommene Verfahren: In Worms griff man unmittelbar nach dem Erlass des vergleichsweise modernen Finanzierungspakts gegen die französische Expansion in Italien auf das Mittel der formalen Zusagen zurück, welche man bereits als ineffizient erkannt hatte. 48

Nachdem die Städte von einem geplanten Feldzug gegen Karl VIII. von Frankreich Kenntnis erlangt hatten, entsandten sie ihre Sprecher (Hans Wilhelm von Rottweil aus Straßburg und Hans Langenmantel aus Augsburg) zu Berhold von Mainz. Die Gesandten gaben zu bedenken, dass es nicht tunlich sei, Frankreich anzugreifen: Erstens müsse man darüber nachdenken, ob „man des ursach, füg und glimpf“ habe, gegen den französischen König in den Krieg zu ziehen. Zweitens sei der Franzose mächtig. Drittens seien „manig bider mann aus teutschen landen, edel und unedel, studenten, kauflüt und ander in Frankreich mit iren(m) leib(en) und gut(en)“; auf diese Leute könne der Franzose zugreifen. Dies und „allerhand sorg“ seien erst noch zu prüfen, bevor man Frankreich den Krieg erkläre.50 Mit dieser Einschätzung der Lage standen die Kommunen nicht allein da. Auch der darauf angesprochene Berthold von Mainz musste aus wohlverstandenem Eigeninteresse einen Krieg gegen Frankreich vermeiden. Eine ablehnende Haltung war am Ende des Wormser Reichstags auch nicht mehr ungebührlich. Die handlungsmotivierende Kraft des Tages war zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits weitestgehend erlahmt, und dies obgleich Nachrichten aus Italien die Einschätzung des Königs weiterhin stützten.51 Die Bekanntgabe des Textes der Heiligen Liga hatte Ernüchterung 48  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 6, hier: Lindauer Tag, II, Nr. 85, S. 177: „was ir aber bey euch nyt finden oder eraten mügen“, werde er bei sich selbst und bei den ihn umgebenden Fürsten zu finden suchen. 49  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1561–1565. 50  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2,. Nr. 1797 (reichsstädt. Registratur), S. 1582. 51  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Ges.), S. 1305.

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E. Primat der Außenpolitk

gebracht.52 Man hatte den Vertrag studiert und war zu der Auffassung gelangt, die Liga sei nicht „nutzlich, sunder schedlich“ für das Reich.53 Der Gesandte aus Köln mag exemplarisch dafür stehen, welche Konsequenzen Politiker im Reich aus dieser Erkenntnis sogleich zogen: Die Stadt Köln zum Beispiel sei „gefryet ind privilegierit“; sie könne kein Kaiser oder König zu so einem „verbuntnisse“ drängen.54 Diese Form der akademischen Lösung eines Problems als faktische Verweigerung einer Hilefeleistung lässt sich wiederholt belegen. Dr. Martin Mair erledigte diese Aufgabe zum Beispiel brillant, indem er 1469 den von Friedrich geplanten Ungarnfeldzug mit dem Hinweis ablehnte, es sei gemäß der alten Ordnung niemand berechtigt, die abwesenden Kurfürsten, Fürsten und Städte ohne deren Zutun zu veranschlagen.55 Außerdem sei es weder „formlich noch gewonlich“, dass die „gelider vor dem haubt geen solten“.56 Mair zählte zu den gelehrten Juristen in Fürstendiensten, also zu den professionellen Politikern, zu einer Gruppe mithin, die „Druck von unten“ erzeugen konnte. Die gelehrten Räte waren eine im 15. Jahrhundert noch „relativ kleine Untergruppe der vorerst nicht näher spezifizierten ‚Räte und Diener‘ von Herrschaftsträgern.“ Ihre Aufgabe bestand in der Wahrnehmung von Aufgabenbereichen, welche von den „adligen Herrschaftsträgern auf Grund der komplexer gewordenen politisch-juristischen Zusammenhänge“ nicht mehr oder nicht mehr in Gänze wahrgenommen werden konnten.57 Juristen gab es freilich auch in Diensten von Kommunen. In Nürnberg zum Beispiel schützten doctores bereits zu Sigismunds Zeiten die Stadt vor dem Griechenablass des Basler Konzils;58 man befürchtete nämlich den Präzedenzfall für eine „schatzung“.59 Den Konzilsgesandten wurde darauf52  Text der Heiligen Liga bei Joannes Christianus Lünig, Codex Italiae Diplomaticus, Bd. I, Frankfurt am Main 1725, Sp. 111 ff., Nr. 24; Zusammenstellung der Artikel bei Wiesflecker, Maximilian I. und die Heilige Liga, hier: S. 185–187. Vgl. auch Regesta Imperii, XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 3334–3335. 53  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1733 (kurbrandenburg. Ges.), S. 1306. 54  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,2, Nr. 1848, S. 1672. 55  Vgl. Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 23, S. 83, Zeilen 44–49. 56  Vgl. Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Bd. 22,1, Nr. 23, S. 84, Zeile 10–11. 57  Koch, Zitate: S. 9; vgl. auch Press; Sozialer Aufstieg: Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Günther Schulz, München 2002 (= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Bd. 25). 58  Vgl. die Argumentation bei Johannes Grünwalder, in: Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, hier: Bd. 12, Nr. 36. 59  Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund, Bd. 12, Nr. 42.



III. Druck von unten211

hin mitgeteilt, die Stadt sei nicht frei in ihrer Entscheidung, dem Ablass zuzustimmen; sie müsse zunächst ihren Herrn, den Kaiser, konsultieren.60 Die Hamburger doctores bedienten sich ebenso des in kritischen Situationen gern entdeckten Rückbezugs auf einen Stadtherrn: Sie bemühten sich (vergeblich) darum, Kurfürst Albrecht davon zu überzeugen, dass sie ohne König Christians Zustimmung dem Aufgebot des Kaisers zum Neusser Krieg nicht würden Folge leisten können.61 Auch wenn diese Argumenta­ tionslinien selbst den Zeitgenossen als nicht mehr zeitgemäß erscheinen mochten; sie zeigen doch, dass man sich mit Blick auf aktuelle Forderungen an das alte Herkommen erinnerte, es differenzierte, präzisierte und damit auch sukzessive in eine Verfasstheit des Systems überführte. Der Schutz gegen zu hohe Anforderungen bewegte zum Beispiel 1495 den Schwäbischen Städtebund zu der Frage, inwieweit man von alters her überhaupt zur Ausstattung eines Romzugs verpflichtet sei.62 Dabei waren sich die Kräfte im Reich im Vorfeld nur in einer Hinsicht wirklich einig: Man wollte alles tun, um „verderblichen und unlidenlichen beswerden“ zu entgehen und (vor allem) nicht vom „alten herkomen gedrungen“ zu werden.63 Diese Maxime bildete eine Konstante, welche freilich von einer zweiten durchkreuzt wurde, der Erkenntnis nämlich, dass es bei unvermeidlichen Zusagen zumindest einigermaßen ausgewogen und effektiv zugehen müsse, denn sonst drohe dem Reich nachhaltiger Schaden. So hatten auch die Räte 1495 ihrem König ans Herz gelegt: „Sein Mt. muge auch yetz in disem fall, darin ein yeder zu helfen schuldig und geneigt sein wirdet, darzu bringen, das ordnung furgenomen werden, damit hinfur ain yeder wissen mug, was im an anslegen und auflegungen, die durch das Hl. R. verwilligt werden, zu tund gebure, darzu es sunst mit grosser arbeit nymmer gebracht werden“.64 Maximilian entsprach mit seiner Formel, dass eines mit dem anderen zugehen müsse, diesem Denkansatz. Er wusste, geprägt von den verwaltungstechnischen Verfahren und dem diplomatischen Kalkül am burgundischen Hof, um den Wert sachdienlichen Vorgehens. Er kannte auch die 60  Reichstagsakten

unter Kaiser Sigmund, Bd. 12, Nr. 45. Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 2, Nr. 96, S. 139, besonders Anm. 2. Dass Gerhard von Oldenburg um Exemtion von der Hilfe gegen den Burgunder nachsuchte, versteht sich von selbst. 62  Vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nrn. 76–94, im Wesentlichen 76–82, Tag der Bundesstädte in Geislingen im Januar 1495. 63  Hier eine städtische Verlautbarung, vgl. Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1, Nr. 440, Zitat: S. 459. Vgl. auch den Abschied des Heilbronner Städtetags (5.2.1487); man beschließt auch dort, „ob einich mandat oder beswerd des grossen anslags oder anders, die sach beruren, den steten, einer oder mer, zukomen, derselben kein volziehung oder sunderung ze ton, …“ (S. 506). 64  Reichstagsakten unter Maximilian I., hier: Bd. 5,1.1, Nr. 28, S. 131. 61  Vgl.

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E. Primat der Außenpolitk

Reziproxität von Steuereinnahmen und der dazu notwendigen Lösung offener Herrschaftsfragen. Maximilian war sogar, wenn man so will, der Hoffnungsträger der Reichskonsolidierer. Nicht ohne Grund sollen die Kurfürsten 1486 bereits versucht haben, Kaiser Friedrich dazu zu bewegen, die Macht an seinen Sohn abzugeben, „angezaigt die unordnung und ubelstand in teutzen landen“.65

65  Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1: Reichstag zu Frankfurt 1486, bearbeitet von Heinz Angermeier unter Mitwirkung von Reinhard Seyboth, Göttingen 1989, Nr. 896, Zitat: S. 863.

F. Schlussbemerkungen Der Druck von außen und dessen Rahmenbedingungen, die Neuordnung Europas nämlich, haben sich als die treibenden Kräfte für eine Herrschaftskonsolidierung im Reich erwiesen. „Die Frage einer Finanzierung der Handhabung Friedens und Rechts und der Neuordnung im Bereich des Gerichtswesens hat dagegen keine Rolle gespielt.“1 Diese Äußerung fasst zusammen, dass eine Neuordnung des Reichs, welche sich einer von der Moderne geprägten Wahrnehmung als notwendig darstellen mag, für die Zeitgenossen offensichtlich gar nicht an erster Stelle stand, was nicht bedeutet, dass es wenig Monita gab. Deren Regelung erwartete man jedoch nicht von einer neuen, sondern von der Wiederherstellung der alten Ordnung: Man wollte also aufräumen, nicht umräumen. Es wäre insofern sicher korrekt zu sagen, dass mit dem spätmittelalterlichen Netzwerk aus dynamischen Verfassungsanteilen, welche irgendwie das Reich bildeten, tatsächlich „kein Staat“ zu machen war. Aber wer hätte dieses Ziel auch formulieren sollen? Eine neue Ordnung wäre ohnehin schlechter legitimiert gewesen als die alte. Die Fürsten eigneten sich für den Neuordnungsgedanken sicher nicht. Der König begegnete ihnen gegen Ende des 15. Jahrhunderts unter dem Druck von außen erstmals „als ‚kollektivierender‘ Leistungsorganisator“.2 Das führte zu „Wandelungen bei beibehaltener traditioneller Gestalt“, das heisst zunächst einmal zu erhöhter Aufmerksamkeit für das Geschehen im Reich, welche sich in einer stärkeren politischen Präsenz auf königlichen Tagen manifestierte.3 Infolge der Heterogenität ihrer Herrschaftsstrukturen, vielfältigen Abhängigkeiten und familiären Bindungen verhielten sich die Fürsten in der Regel jedoch politisch eher zurückhaltend und konservativ, bezogen auf das Reich als politisches Gesamtsystem. Stattdessen unterlagen sie den Notwendigkeiten einer sich wirtschaftlich, technologisch und politisch wandelnden Umgebung, konsolidierten ihre Herrschaften, ordneten, wenn man so will, ihre individuellen Beete innerhalb des großen Gartenreichs. Sie waren mit dieser Aufgabe vollauf beschäftigt, denn die Lebenswelt der 1  Schmid,

Der Gemeine Pfennig, S. 80–81. Peter: Fürsten am spätmittelalterlichen deutschen Königshof, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spieß und Ralf-Gunnar Werlich, Stuttgart 2002, S. 17–32, Zitat: S. 24 (= Residenzenforschung, Bd. 14). 3  Moraw, Fürsten, S. 30. 2  Moraw,

214

F. Schlussbemerkungen

Fürsten war gekennzeichnet durch Umschwünge sowie durch schwer oder gar nicht kalkulierbare dynastische Entwicklungen; es folgten daraus individuelle Befindlichkeiten und vielfältige Zweckgemeinschaften. Diese Voraussetzungen bildeten das „wackelige, kaum je im Voraus planbare Fundament dieser über lange Zeit äußerst unruhigen Bündnispolitik, der scheinbar jegliche Form von Stetigkeit fehlte außer die stets vorherrschende Maxime der Wahrung eigener Interessen auf Kosten und  /  oder mithilfe anderer.“4 Die Fürsten bedurften des Reichs vornehmlich zur Legitimierung ihres Fürstseins, und gelegentlich war auch die Funktion des Herrschers als Schiedsrichter bei Auseinandersetzungen hilfreich. Bei Bedarf folgten sie ihm individuell, auch wenn dies nach allen Erkenntnissen der aktuellen Lage nicht zielführend sein mochte: „… woltz die ksl. Mt. haben, so wollten sie dun, was sie vermehten.“5 Der traditionelle Gehorsam war und blieb das unbestrittene Verhaltensmuster bei Konflikten zwischen einem politischen Pragmatismus und der alten Ordnung. Die Verhältnisse in der Nachbarschaft hatten sich jedoch so sehr verändert, dass das politische Metasystem Reich objektiv eine zu weiche Konsistenz aufwies, als dass es den Anforderungen hätte standhalten können: Die großen Entfernungen verhinderten eine angemessene Informationsdichte, die für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung relevante Infrastruktur war nur sehr ungleichmäßig ausgeprägt, die multiplen Herrschafts- und Rechtssysteme widersprachen einander sogar in weiten Teilen und waren auf jeden Fall unstet. Alle Kräfte außer dem König selbst, insbesondere die von den vielfältigen Herrschaftsverhältnissen stark unter Druck gesetzten Kommunen, bekannten sich vornehmlich dann zum Reich, wenn dessen Existenz die eigene zu sichern half. Aber auch die Kommunen wollten und konnten für den abstrakten Gedanken des Reiches die eigene politische Beweglichkeit nicht riskieren und taten dies auch nicht. Sie verfolgten stattdessen den Weg, sich untereinander gut zu organisieren, ansonsten möglichst wenig aufzufallen und aus jeder Entscheidung das Beste herauszuholen. Die Umsetzung dieser Maxime verlangte ihnen großes diplomatisches Geschick ab, eine der Core-Competences der Städte. Flankiert wurde ihr Aufstieg jenseits ständischer Schranken von ihrer für reichspolitische Maßnahmen immer relevanter werdenden Kompetenz in wirtschaflichen und logistischen Fragen. Schließlich verfügten sie wie keine andere Gruppe im Reich über Erfahrungen im Umgang mit dem angesichts der neuen militärischen Herausforderungen schlechthin wichtigsten Substrat für den Aufbau 4  Auge,

S. 42.

5  Reichstagsakten

unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074.



F. Schlussbemerkungen215

von Macht: dem Geld. Die Kommunen erarbeiteten sich auf diese Weise sukzessive einen erklecklichen Anteil an der Macht im Reich. Auch die Städte definierten dabei die alte Ordnung genauer, zur Wahrung ihrer Rechte. Selbstverständlich war dieser Rückbesinnung ein stark konservativer Zug eigen. Allerdings ist es unverkennbar, dass man auch ganz neue Handlungsweisen mit ganz alten Rechten und Pflichten zu legitimieren suchte. Die Absicherung der eigenen Rechte, der Schutz vor unzumutbaren und herrschaftstechnisch auch unerfüllbaren Forderungen der Außenwelt allein konnte das Reich jedoch nicht befähigen, als Ganzes erfolgreich zu sein: „Miesten wir nit mit spot, schonden und unern scheyden?“6 rief der Pragmatiker Berthold von Mainz aus, als ihm deutlich wurde, dass er wochenlang über die Ausgestaltung vernünftiger Bedingungen verhandelt hatte, um dann erleben zu müssen, dass der besagte Feldzug ohne logistische Vorkehrungen von Kaiser Friedrich einfach so festgesetzt wurde. Der Untergang des Reichs zumindest als Gesamtsystem hätte eine logische Folge dieser allenthalben spürbaren Reichsabstinenz seiner Teile sein können. Dies umso mehr, als die Anforderungen von außen mit dynastischen, regionalen oder clusterorientierten Strategien immer weniger beherrschbar wurden, ohne dass dies den Handelnden bewusst werden musste: So nahm Kaiser Friedrich zum Beispiel an, die Einfälle der aufstrebenden Dynastien, die Angriffe Karls des Kühnen von Burgund und den Vormarsch des Ungarn Matthias Corvinus in die österreichischen Lande, ähnlich behandeln zu können. Der Kaiser strebte 1486 / 1487 an, ein Aufgebot nach dem Muster des Neusser Kriegs zu organisieren, „also das sein Gn. ausschreybe ein aufgebot, wie sein Gn. gegen Hg. Karlen seiligen von Burgundi fur Neus getan hette, damit die hielf dester furderlicher mocht aufbracht und die lande erhalten werden.“7 Er setzte dabei die beiden höchst unterschiedlichen Konflikte gleich und verkannte die tiefgreifenden strukturellen Unterschiede. Der Neusser Krieg war immerhin nur mittels eines Interessenclusters vieler regionaler Kräfte beherrschbar gewesen, welches dem Kaiser in den österreichischen Landen im Kampf gegen Matthias Corvinus nicht zur Verfügung stehen konnte. Die strukturelle Inkonsistenz des Reiches führte angesichts seiner fehlenden Selbstorganisationsmöglichkeiten de facto zu einer Existenzkrise. Das Reich befand sich auch im späten 15. Jahrhundert in vieler Beziehung noch auf dem Niveau, welches Garrett Mattingly so beschrieb: „At the beginng 6  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 741, Zitat: S. 1074, vgl. auch Nr. 637, S. 902–904. 7  Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, Nr. 378, Zitat: S. 480.

216

F. Schlussbemerkungen

of the fifteenth century Western society still lacked the resources to organize stable states on the national scale.“8 Dieses Manko war unter den Größenverhältnissen im Reich faktisch nicht aufzuholen: Selbstorganisation fand in kleineren Räumen statt, was für den Prozess einer State formation auch unabdinglich war, denn nur in überschaubaren Dimensionen konnten die vielfältigen Anforderungen hinsichtlich einer logistischen und kommunikativen Durchdringung des Raums gelöst und eine zentrale Autorität „within the range of practical solution“ gebracht werden.9 Das Reich überwand seine Krise mit einer Art Hilfskonstruktion, welche seinem Selbstverständnis entsprach: Der König musste die Verteidigung der Interessen des Reichs richten, mit Unterstützung der Kurfürsten. Denn er war der einzige, der berechtigt und verpflichtet war, für das Metasystem Reich zu handeln. Es bedarf keiner besonderen prophetischen Gaben um festzustellen, dass diese Anforderung mit einem „Königtum pur“, wie es Sigismund verkörperte, unter den verschärften europäischen Bedingungen nicht hätte funktionieren können. Der Zufall beförderte jedoch eine besonders erfolgreiche Dynastie an die Spitze des politischen Gesamtsystems. Die Habsburger übernahmen nicht nur die Regentschaft im Reich, sondern ordneten auch ihre eigenen Herrschaftsbereiche, verfolgten ihre expansiven Bedürfnisse mit Hilfe auswärtiger Allianzen und den Kenntnissen auswärtiger diplomatischer Berater und erhielten dabei Unterstützung aus dem Reich, die freilich stets punktuell war und kaum jemals vollständig zum Tragen kam: Dennoch entwickelten sich auf diesem Wege neue Handlungsalternativen, welche zu einer Konsolidierung der Verhältnisse im Reich beitrugen. Bei der Wahl der Mittel ging man im Reich traditionell eklektizistisch vor: Man entschied sich für das Vorgehen, welches am besten zum Anlass passte. Bei als kritisch empfundenen auswärtigen Gefahren mussten ggf. auch neue Methoden entwickelt werden, welche dann freilich ihre Tauglichkeit in der Praxis erst noch beweisen mussten. Mit Vorliebe wählte man also die bekannten Mittel zur Überwindung von Problemen. Diese waren ohnehin besser legitimiert und zudem in ihrer Wirkung gut einschätzbar, was bei Bedarf auch zu einer kalkulierten Erfolgsbeschränkung genutzt werden konnte. Das Alte und das Neue standen über lange Phasen der Entwicklung nebeneinander. So wurden auch die neuen Geistesströmungen gern aufgenommen, zugunsten des Rückgriffs auf herkömmliche Traditionen aber nicht konsequent in die Lebenswirklichkeit umgesetzt: Maximilian war genauso der letzte Ritter wie der erste Humanist. Und das musste wohl auch 8  Mattingly, 9  Mattingly,

S. 55. S. 55.



F. Schlussbemerkungen217

so sein, denn eine konsequente Linie hätte die Inkonsistenz des Metasystems Reich nicht beachtet und wäre seiner Systemoffenheit nicht gerecht geworden. So gelang es den Habsburgern, mit staatlich-dynastischen Mitteln zu r­eüssieren und das Reich, welches für diese Herrschaftsform eigentlich weder gerüstet noch zu einer solchen bereit war, innenpolitisch auf diesen Entwicklungspfad mitzunehmen: Man betrieb eine innenpolitische Konsolidierung als Antwort auf außenpolitische Herausforderungen. Unter diesen Umständen konnte das Reich seine politische Funktion erfüllen, sich verteidigen, seine Ordnung in einem Prozess zunehmender Spezialisierung und Differenzierung nicht nur grundsätzlich bewahren, sondern sogar ­weiterentwickeln, systematisch gesehen also tatsächlich „mehr Komplexität (Umweltbeherrschung) und Reflexivität (Selbststeuerungsvermögen) gewinnen“.10 Das alles verlief nicht konsistent, schon gar nicht zielgerichtet, aber es funktionierte, weil sich alle diese Techniken des Überlebens auf ein Reich bezogen, dessen Erhabenheit, Größe und Alter letztlich doch identitätsstiftend waren. Vor der Folie seines tatsächlich uneinholbaren Legitimationsvorsprungs und politisch getragen von einer vergleichsweise modernen Dynastie erwuchs dem Reich so die Rolle des Primus inter pares in einem nach wie vor christlich geprägten Europa.

10  Sprandel,

Verfassung, S. 22.

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220

Quellen und Darstellungen

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238

Quellen und Darstellungen

– Versuch über die „Außenpolitik des spätmittelalterlichen Reiches“, in: Zeitschrift für Historische Forschung 22 (1995), S. 291–316. – Wissen in Kisten und Fässern, von Wittenberg nach Jena, in: Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, hg. von Volker Leppin, Georg Schmidt, Sabine Wefers, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006, S. 191–207 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 204). – Zur Theorie auswärtiger Politik des römisch-deutschen Reiches im Spätmittel­ alter, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter, hg. von Dieter Berg, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Bochum 2002, S. 259–370. Weinfurter, Stefan: Das Reich im Mittelalter: kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008. Werminghoff, Albert: Die deutschen Reichskriegssteuergesetze von 1422 bis 1427 und die deutsche Kirche, Weimar 1916. Wiedemann, Franz: Die Reichspolitik des Grafen Haug von Werdenberg in den Jahren 1466–1486, Stettin 1883. Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bde. 1–5, Wien 1971–1986. – Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, Wien / München 1991. – Maximilian I. und die Heilige Liga von Venedig (1495), in: Festschrift W. SasZaloziecky zum 60. Geburtstag, hg. von Gertrude Gsodam, Graz 1956, S. 178– 199. Wild, Werner: Steuern und Reichsherrschaft. Studie zu den finanziellen Ressourcen der Königsherrschaft im spätmittelalterlichen deutschen Reich, Bremen 1984. Wolf, Arnim: Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198–1298. Zur 700jährigen Wiederkehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten, 2. bearb. Aufl., Idstein 2000. – Die Vereinigung des Kurfürstenkollegs. Zur Reformacio sacri status imperii bei der Königserhebung Albrechts von Österreich im Jahre 1298, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt und Gert Melville, Köln 1997, S. 305–371. Wolf, Susanne: Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486–1493), Köln / Weimar / Wien 2005 (= Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 25). Zeilinger, Gabriele: Gruppenbild mit Markgraf. Albrecht „Achilles“ von Brandenburg (1414–1486), die Reichsfürsten seiner Zeit und die Frage nach zeitgenössischer und historischer Prominenz, in: Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und iher Rezeption (1450–1550), hg. von Oliver Auge, Ralf-Gunnar Werlich und Gabriele Zeilinger, Ostfildern 2009, S. 291–307 (= Residenzenforschung 22). Zemlicka, Josef, Vladislav II., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII, München 1997, Spalte 1805.



Quellen und Darstellungen239

Zeremoniell und Raum, 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenshaften in Göttingen, hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1997 (= Residenzenforschung 6). Zeumer, Karl: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., Weimar 1908 (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 2). Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt, Köln / Wien 1991 (= Münstersche Historische Forschungen 1).

Namen- und Ortsregister Aachen  26, 159 Aeneas Silvius Piccolomini, Pius II., Papst  31 Albrecht Achilles, Markgraf von Brandenburg, Kurfürst  57, 58, 127, 140, 173–177, 211 Albrecht III. der Beherzte, Herzog von Sachsen  141, 143, 149 Albrecht IV. der Weise, Herzog von Bayern(-München)  78, 79, 80, 206 Albrecht von Colditz, Hauptmann von Breslau und Schweidnitz  77 Alexander VI., Rodrigo Borgia, Papst  85, 93, 95, 124, 132 Anne de Bretagne, Herzogin, Königin von Frankreich, Erzherzogin von Österreich  83 Augsburg  53, 147, 181, 209 Basel  52, 78, 97, 98, 102, 197, 203, 210 Bayezid I., Sultan des Osmanischen Reiches  196 Bayezid II., Sultan des Osmanischen Reiches  93 Berthold von Henneberg, Erzbischof von Mainz, Kurfürst  40, 69, 70, 79, 82, 116, 117, 126, 129, 130, 139–143, 146, 147, 154, 155, 177, 181, 184, 185, 189, 205, 206, 209, 215 Bremen  57 Breslau  77 Brügge  121, 203 Burgund, Herzogtum  29, 30, 37, 54, 55, 57, 58, 60, 68, 80, 83, 86, 98, 123, 125, 130, 137, 145, 157, 173–175, 201–203, 206, 212, 215

Christian I. König von Dänemark, Norwegen und Schweden, Herzog von Schleswig und Holstein  57, 211 Conrad Celtis  170 Eberhard im Bart, der Ältere, als Eberhard V. Graf von Württemberg, als Eberhard I. Herzog von Württemberg und Teck  127 Eidgenossen(schaft, Schweizerische)  42, 44, 55, 64, 65, 146, 191, 192 England  12, 13, 43, 90, 95, 109–111, 156, 193, 196, 197, 202 Erasmus Brascha, mailändischer Gesandter  85, 122, 131, 204 Erfurt  141 Ernst I., Kurfürst von Sachsen  142 Europa  9, 18, 21, 22, 24, 38, 39, 44, 45, 47, 53, 59, 62, 75, 85, 93, 94, 97, 120–125, 155, 171, 173, 191, 193, 196, 200, 202–204, 207, 213, 216, 217 Ferdinand I. von Aragón, König von Neapel  203 Ferdinand II. der Katholische, König von Aragón, Sizilien und Sardinien, als Ferdinand V. auch König von Kastilien und León  123, 132, 201, 202 Frankfurt am Main  26, 53, 54, 57, 65, 67, 68, 70, 76, 89, 104, 106, 110, 111, 143, 145, 161, 166, 181, 184, 185, 187 Frankreich  12, 20, 35, 44, 53, 66, 79, 83–87, 92, 93, 95, 123, 125, 132, 133 Franz von Étampes, als Franz II. Herzog der Bretagne  201



Namen- und Ortsregister241

Freiburg  33, 75, 84, 87, 122, 153, 171, 204 Friedrich I. „der Siegreiche“ von der Pfalz, Kurfürst  65, 72 Friedrich I. von Brandenburg, Kurfürst  156 Friedrich II., der Sanftmütige, Kurfürst von Sachsen  197 Friedrich II., Kaiser  30 Friedrich III. der Weise, Kurfürst von Sachsen  60, 75, 85, 122, 178, 204 Friedrich III., Kaiser  22, 28, 46, 53–55, 58, 60, 62, 65, 66, 68–71, 73, 74, 76–78, 80–84, 86–89, 91, 92, 137, 140–142, 145, 161–163, 172–177, 187, 195, 201, 207, 210, 212, 215 Friedrich V. „der Ältere“ von Brandenburg, Margraf von BrandenburgAnsbach  127 Genua  84, 85, 121 Georg der Reiche, Herzog von BayernLandshut  80, 127, 177 Georg von Hohenlohe, Bischof von Passau, Erzbischof (Administrator) von Gran  101 Georg von Podĕbrad, böhm. König  72, 73, 176 Gerhard IV. „der Mutige“ von Oldenburg, Graf  57 Gerhard von Jülich und Berg, Herzog, Graf von Ravensberg  66 Habsburger  22, 27, 29, 38, 46, 56, 58–60, 77, 78, 80–89, 91, 94, 104, 122–125, 130, 132, 140, 142, 145, 160, 162–164, 170, 172, 173, 176, 200–204, 206, 207, 216, 217 Hamburg  57, 211 Hans Ried  171 Haug von Werdenberg, Graf  52, 161, 188 Heinrich von Beaufort  43, 90, 109–112, 195, 197

Heinrich XXVII. von SchwarzenburgBlankenburg, als Heinrich II. Erzbischof von Bremen, als Heinrich III. Bischof von Münster  56 Hermann von Hessen „der Friedsame“, als Hermann IV. Erzbischof von Köln  67 Hussiten  18, 77, 97, 196, 197, 198, 199 Innozenz VIII., Giovanni Battista Cibo, Papst  92, 93, 95, 156, 193, 203 Isabella I. Isabel la Católica, Königin von Kastilien, León und Aragón  123, 201, 202 Italien  26, 29, 60, 62, 84, 85, 93, 104, 116, 120, 124, 125, 130, 132, 147, 148, 151, 152, 154, 156, 182, 191, 203–205, 209, 210 Jean de La Balue, Kardinal, Bischof von Angers und Albano  92 Johann II. von Kleve, Herzog, Graf von der Mark  161, 164 Karl der Kühne (‚le Téméraire, le Hardi‘), Herzog von Burgund  55–57, 59, 66, 68, 173–175, 203, 215 Karl VIII., franz. König  35, 83, 130, 132, 146–148, 184, 203, 209 Karl von Egmont, Herzog von Geldern  127 Koblenz  35, 83 Köln  54, 55, 111, 136, 141, 148, 181, 210 Konrad Peutinger, Dr. legum  171 Konrad Stürtzel von Buchheim, Dr. iur.  102 Leonello Chieregati (Chiericati), Bischof von Concordia, päpstl. Nuntius  85, 95, 122, 204 Lindau  75, 101–104, 106, 154, 164, 166, 209 Lübeck  57

242

Namen- und Ortsregister

Ludovico Maria Sforza, il Moro, Herzog von Mailand  127 Ludwig III. „der Bärtige“ von der Pfalz, Kurfürst  156 Ludwig XI., franz. König  44, 59, 85, 203 Ludwig XII., franz. König  85 Ludwig zum Paradies, Dr., Frankfurter Diplomat  68, 143, 163 Lüneburg  57 Mailand  62, 104, 105, 122, 127, 132, 133, 148, 149, 156, 191, 204, 205 Maria von Burgund, Erzherzogin  203 Martin Mair (Mayr), Dr. iur.  71–74, 210 Martin V., Oddo di Colonna, Papst  196 Marx Treitz-Saurwein von Ehrentreitz  171 Matthias I. Corvinus (Matthias Hunyadi), ungar. König  44, 46, 53, 59, 60, 68, 69, 73, 80, 89, 90, 92, 137, 161, 172, 173, 184, 185, 195, 201, 215 Maximilian I., dt. König  22, 28, 31, 33, 34, 46, 60, 62, 65, 75, 76, 78–88, 91, 92, 95, 102–107, 115, 120, 122–124, 126–128, 130–137, 140, 144–147, 149, 151–154, 156, 169–172, 178, 184, 185, 189, 201–206, 208, 209, 212, 216 Mehmed II., Sultan des Osmanischen Reiches  196 Melchior Pfintzing  171 Münster  56, 57 Neapel  84, 85, 93, 123, 132, 133, 148 Neuss  53–58, 65, 67, 68, 71, 174, 211, 215 Niccolò Beccari  59 Nikolaus von Kues  32, 33, 36 Nördlingen  52, 82 Nürnberg  26, 27, 52, 57, 69, 78, 80, 86, 89, 91, 101, 111, 141, 143, 181, 182, 184, 195, 200, 210

Osmanen  18, 44, 62, 74, 93, 123, 172, 195–197 Ottonen  33 Padua  141 Peter von Andlau  32 Peter von Hagenbach, Landvogt  55, 64 Philipp der Aufrichtige, Kurfürst von der Pfalz  101, 127 Philipp der Schöne, Erzherzog, Fürst der Niederlande (Burgund)  86, 87, 88, 102, 103, 123, 201, 207 Philipp III. der Gute, Herzog von Burgund  66, 98 Philipp Melanchthon  60 Raimund(us) Peraudi, Kardinal  92, 95, 156, 193 Regensburg  27, 71, 74, 163 René II. von Lothringen, Herzog  127 Rhein  20, 35, 55, 57, 65, 68, 98, 122, 141, 187 Ruprecht von der Pfalz, Erzbischof von Köln, Kurfürst  65–67 Sanctus Brascha, mailändischer Gesandter  156, 193 Seyfried Degenberg  76 Sigismund, Kaiser  10, 12, 13, 16, 19, 22, 23, 28, 29, 31, 34, 59, 71, 76, 77, 90, 91, 97–101, 112, 114, 156, 157, 165, 166, 170, 186, 187, 196–198, 202, 203, 210, 216 Sigmund von Tirol, Erzherzog  56, 80–82, 143 Speyer  54, 76 Staufer  27 Straßburg    101, 141, 147, 181, 183, 209 Ulm  57, 181 Valois  96, 124, 203 Veit, Freiherr von Wolkenstein  133, 147, 169, 170



Namen- und Ortsregister243

Venedig  62, 74, 80–82, 130, 132, 151, 191, 195 Wien  28, 60, 69, 88, 90, 161, 173, 201 Wilhelm III., der Jüngere, Landgraf von Hessen  142 Wilhelm von Jülich und Berg, als Wilhelm III. Herzog von Berg und als Wilhelm IV. Herzog von Jülich, Graf von Ravensberg  161, 164

Willibald Pirckheimer  171 Wittelsbacher  38, 71, 78–82, 89, 127, 163, 176, 200, 206 Wittenberg  60 Worms  27, 50–52, 62, 65, 67, 79, 104, 106, 114, 117–119, 121, 125, 126, 128, 130, 131, 133, 137, 139, 144–146, 150–152, 164, 166, 178, 188, 189, 200, 202, 205, 206, 209