Das Babylonisch-Assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. 3963272104, 9783963272103

The aim of the present work is to systematically examine and present the Babylonian-Assyrian concept of time. It is desi

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Das Babylonisch-Assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr.
 3963272104, 9783963272103

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil I: Einführung in die Thematik
1) Einleitung
1.1) Ziele und Fragestellungen
1.2) Theoretische Grundlagen
1.2.1) Die soziale Zeit
1.2.2) Der Konzeptbegriff
1.3) Die Quellen
1.4) Methodik
2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit
2.1) Tage, Monate und Jahre
2.2) Abgeleitete Zeitbegriffe
2.3) adannu, simanu und ṭuppi
Teil II: Die Zeit in der Natur
3) Exkurs: Das babylonisch-assyrische Naturverständnis
4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung
4.1) Die Zyklen der Natur als Zeitanzeiger
4.1.1) Exkurs: Astronomische Grundlagen
4.1.2) Astrale Zeitanzeiger
4.1.2.1) Der Mond
4.1.2.2) Die Sonne
4.1.2.3) Die Sterne und Planeten
4.1.3) Terrestrische Zeitanzeiger
5) Anfang und Ende der Zeit
5.1) Die Schöpfung der Zeit
5.2) Die Ewigkeit
6) Die ideale Zeit
6.1) Das ideale Jahr
6.2) Der ideale Monat
6.3) Der ideale Tag
6.4) Die Funktion der idealen Zeit
Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft
7) Die Träger der Zeitkonzepte
7.1) Mythische Vorbilder
8) Die Organisation der Zeit
8.1) Zeitmessung und Zeiteinheiten
8.1.1) Beobachtung
8.1.2) Messung
8.1.3) Berechnung
8.2) Das Kalenderwesen
9) Die Qualität der Zeit
9.1) Die Zeit in der Omenkunde
9.1.1) Die Zeit in den omina oblativa
9.1.2) Die Zeit in den omina impetrativa
9.2) Zeit in den Hemerologien und Menologien
10) Die Zeit als numinose Erscheinung
Teil IV: Auswertung
11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit
Verzeichnisse
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellen-Index
Unbenannt

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dubsar 26 Brandes • Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit

www.zaphon.de

Tim Brandes Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr.

dubsar 26 Zaphon

dubsar-26-Brandes-Cover-5.indd 1

05.04.2023 15:57:05

Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr.

Tim Brandes

dubsar Altorientalistische Publikationen Publications on the Ancient Near East Band 26 Herausgegeben von Kristin Kleber und Kai A. Metzler

Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr.

Tim Brandes

Zaphon Münster 2023

Illustration auf dem Cover: Fragment of the ‘Babylonian Diviner’s Manual’, Kouyunjik, Library of Ashurbanipal, British Museum, K. 2847, © The Trustees of the British Museum.

Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. Tim Brandes dubsar 26

© 2023 Zaphon, Enkingweg 36, Münster (www.zaphon.de) All rights reserved. Printed in Germany. Printed on acid-free paper.

ISBN 978-3-96327-210-3 (Buch) ISBN 978-3-96327-211-0 (E-Book) ISSN 2627-7174

Meinen Eltern gewidmet

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................ix Teil I: Einführung in die Thematik ....................................................................... 1 1) Einleitung ......................................................................................................... 1 1.1) Ziele und Fragestellungen ........................................................................ 3 1.2) Theoretische Grundlagen ......................................................................... 4 1.2.1) Die soziale Zeit ................................................................................ 4 1.2.2) Der Konzeptbegriff .......................................................................... 6 1.3) Die Quellen .............................................................................................. 7 1.4) Methodik ................................................................................................ 10 2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit ......................................... 12 2.1) Tage, Monate und Jahre ......................................................................... 13 2.2) Abgeleitete Zeitbegriffe ......................................................................... 22 2.3) adannu, simanu und ṭuppi ...................................................................... 25 Teil II: Die Zeit in der Natur ............................................................................... 28 3) Exkurs: Das babylonisch-assyrische Naturverständnis .................................. 28 4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung .......................................................... 33 4.1) Die Zyklen der Natur als Zeitanzeiger ................................................... 33 4.1.1) Exkurs: Astronomische Grundlagen .............................................. 33 4.1.2) Astrale Zeitanzeiger ....................................................................... 35 4.1.2.1) Der Mond .............................................................................. 37 4.1.2.2) Die Sonne .............................................................................. 41 4.1.2.3) Die Sterne und Planeten ........................................................ 47 4.1.3) Terrestrische Zeitanzeiger.............................................................. 63 5) Anfang und Ende der Zeit .............................................................................. 67 5.1) Die Schöpfung der Zeit .......................................................................... 67 5.2) Die Ewigkeit .......................................................................................... 86 6) Die ideale Zeit ................................................................................................ 93 6.1) Das ideale Jahr ....................................................................................... 94 6.2) Der ideale Monat .................................................................................. 101 6.3) Der ideale Tag ...................................................................................... 112 6.4) Die Funktion der idealen Zeit............................................................... 122 Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft ................................................................. 126 7) Die Träger der Zeitkonzepte ......................................................................... 126 7.1) Mythische Vorbilder ............................................................................ 141 8) Die Organisation der Zeit ............................................................................. 147 8.1) Zeitmessung und Zeiteinheiten ............................................................ 147 8.1.1) Beobachtung ................................................................................ 147

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Inhaltsverzeichnis

8.1.2) Messung ....................................................................................... 151 8.1.3) Berechnung .................................................................................. 158 8.2) Das Kalenderwesen .............................................................................. 162 9) Die Qualität der Zeit ..................................................................................... 169 9.1) Die Zeit in der Omenkunde .................................................................. 169 9.1.1) Die Zeit in den omina oblativa .................................................... 173 9.1.2) Die Zeit in den omina impetrativa ............................................... 193 9.2) Zeit in den Hemerologien und Menologien ......................................... 198 10) Die Zeit als numinose Erscheinung ............................................................ 209 Teil IV: Auswertung ......................................................................................... 223 11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit ........................................... 223 Verzeichnisse .................................................................................................... 235 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................... 235 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 238 Quellen-Index ................................................................................................... 253

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Sommersemester 2019 vom Fachbereich 07 – Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angenommen wurde. Die Dissertation ist unter dem Arbeitstitel „Das mesopotamische Konzept von Zeit in Natur und Gesellschaft des 1. Jahrtausends v. Chr.“ im Graduiertenkolleg 1876 „Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Universalität, Spezifität, Tradierung“ entstanden. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Doris Prechel, deren umfassende Unterstützung und großes Engagement bei der Betreuung meiner Arbeit maßgeblich zum Gelingen des Dissertationsprojekts beigetragen haben. In gleichem Maße danke ich Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen für die weitere Betreuung meiner Arbeit und die Erstellung des Zweitgutachtens. Mein weiterer Dank gilt Apl. Prof. Dr. Claus Ambos, der mir bereits im Vorfeld mit Rat zur Seite gestanden hat und mich bei der Themenfindung für das Dissertationsprojekt unterstützt hat. Dem Graduiertenkolleg 1876 unter der Leitung von Prof. Dr. Tanja Pommerening und Prof. Dr. Jochen Althoff danke ich herzlich für die Förderung meines Dissertationsprojekts. Ebenso danke ich Dr. Eva-Maria Huber sowie den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs 1876 für die außergewöhnlich gute Zusammenarbeit und den Zusammenhalt, auch über die Zeit der Promotionsphase hinaus. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet, die mir die Aufnahme meines Studiums ermöglicht und mir seither unermüdlich beigestanden haben. Ohne ihre Unterstützung wäre die Vollendung der Arbeit nicht möglich gewesen. Mainz, im Oktober 2022

Tim Brandes

Teil I: Einführung in die Thematik 1) Einleitung Von allen Phänomenen, mit denen der Mensch in seiner Umwelt konfrontiert wird, ist die Zeit wohl eines der unscheinbarsten und abstraktesten und doch ist sie zugleich wie kaum ein anderes mit dem alltäglichen Leben der Menschen verwoben. Die Zeit ist nur indirekt wahrnehmbar und trotzdem immer präsent. Sie erlaubt sowohl Individuen als auch ganzen Gesellschaften ihren Alltag zu gliedern sowie ihre ökonomischen und sozialen Aktivitäten zu organisieren und zu koordinieren. Auch spezifische Ereignisse lassen sich in der Zeit verorten und in Relation zu anderen Ereignissen setzen – die Voraussetzung für jegliches Geschichtsbewusstsein. Die Bedeutung der Zeit für das individuelle und gesellschaftliche Leben spiegelt sich in den seit der Antike erkennbaren Ansätzen wider, das Wesen der Zeit zu erfassen und zu verstehen. Die Natur der Zeit wurde erstmals in der klassischgriechischen Philosophie umfassend diskutiert. Sie verblieb Gegenstand naturphilosophischer Betrachtungen, bis sich schließlich die Naturwissenschaften als eigenständige Disziplinen etablierten und die Zeit somit in den Fokus der Physik rückte, unter deren Einfluss sich die Idee von Zeit massiv gewandelt hat. Zu dem naturwissenschaftlich ausgerichteten Interesse am Wesen der Zeit gesellt sich nun zunehmend auch der gesellschaftswissenschaftliche Blick. So hat die Soziologie das Phänomen ebenfalls aufgegriffen und untersucht die Erscheinungsformen und Organisation von Zeit sowie den Einfluss, den Zeit auf Gesellschaften ausübt. Auch in der Altorientalistik hat das Thema Zeit immer wieder Aufmerksamkeit erfahren. Dennoch wurde bis heute keine monographische Bearbeitung des Themas vorgelegt. Eine rezente und umfassende Gesamtdarstellung bietet J. M. Steele mit seinem 2011 publizierten Beitrag Making Sense of Time. Eine deutschsprachige Darstellung findet sich bei E. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, von 2009. Darüber hinaus konzentrieren sich die Forschungsbeiträge auf jeweils bestimmte Aspekte des Zeitkonzeptes oder fließen aufgrund der ausgedehnten Quellenlage in thematisch anderweitig fokussierte Forschung mit ein.1 Ein erheblicher Teil der bisherigen Forschung befasst sich zudem vornehmlich mit den technischen Aspekten der Zeitwahrnehmung und Zeitmessung sowie den daraus entstandenen Kalendersystemen des Alten Orients. Eine frühe monographische Bearbeitung des babylonisch-assyrischen Kalenderwesens hat etwa B. Landsberger mit seinem 1915 erschienenen Werk Der kultische Kalender der

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Bezüglich der Forschungsliteratur zu spezifischen Aspekten der Zeit siehe daher jeweils die entsprechenden Kapitel.

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Teil I: Einführung in die Thematik

Babylonier und Assyrer vorgelegt. Eine ausführliche Untersuchung aller altorientalischen Kalendersysteme vom 3. bis ins 1. Jt. v. Chr. nimmt M. E. Cohen 1993 in seinem Werk The Cultic Calendars of the Ancient Near East vor, das 2015 noch einmal in überarbeiteter Version unter dem Titel Festivals and Calendars of the Ancient Near East erschien. Unter den Einzelbetrachtungen der unterschiedlichen Kalendersysteme ragt vor allem W. Sallabergers umfangreiche Monographie Der kultische Kalender der Ur III-Zeit heraus. Die Forschungslage zum Thema Zeit fasst D. Katz in ihrem 2013 erschienen Artikel Time in Death and Afterlife zusammen und macht dabei auf ein Desiderat der Forschung aufmerksam: „Until now, the study of time in cuneiform texts has focused on its practical functions in daily life. Usually, it has considered the methods of calculating time, its purposes and uses in administrative and historical records, the attitudes in such texts to the past and future, and the terms that express time. An issue that has not yet been systematically addressed is the Mesopotamian idea of the nature of time: ‘What is time?’“2 Dieses Desiderat soll mit der vorliegenden Arbeit aufgegriffen werden, die sich auf das Konzept von Zeit als Phänomen im Sinne einer wahrnehmbaren Komponente der Natur sowie dessen gesellschaftliche Verortung konzentriert. Die individuelle Zeitwahrnehmung des Menschen wird im Rahmen dieser Untersuchung somit ausgeklammert. Eine Analyse des babylonisch-assyrischen Zeitkonzeptes steht zunächst vor der Herausforderung, dass die Schriftsprachen des Zweistromlandes keinen Begriff erkennen lassen, der mit dem modernen, abstrakten Zeitbegriff vergleichbar wäre. Den ersten Teil der Arbeit bildet daher eine Untersuchung der sprachlichen Realisierung des Phänomens Zeit. Ausgehend davon wird sich der zweite Teil der Arbeit damit befassen, wie die Zeit als Teil der Natur aufgefasst und dargestellt wurde. Ein kurzer Exkurs zum babylonisch-assyrischen Naturverständnis wird den Einstieg bilden und veranschaulichen, wie sich Zeit in das babylonisch-assyrische Naturverständnis einfügt. Anschließend wird im vierten Kapitel dargestellt, welche natürlichen Zyklen die Grundlage für die Zeitwahrnehmung bildeten und welche Funktionen die einzelnen Komponenten im Detail erfüllten. Das fünfte Kapitel wird sich den mythischen Quellen zuwenden, um zu zeigen, welche Erklärungen die Menschen für das Phänomen gefunden haben und welche Rolle die Zeit in ihrem Weltbild einnahm. Beide Kapitel enthüllen bereits die Vorstellung eines idealisierten Zeitverlaufs. Diese ideale Zeit stellt ihrerseits eine Eigenschaft des Zeitkonzeptes mit weitreichender Bedeutung dar, die im darauffolgenden sechsten Kapitel eingehend betrachtet werden soll.

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Katz, Time in Death and Afterlife, 118.

1) Einleitung

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Der dritte Teil der Arbeit widmet sich der gesellschaftlichen Verortung des Phänomens Zeit. Dabei wird im siebten Kapitel zunächst ergründet, welche Personengruppen mit dem bis dahin erarbeiteten Zeitkonzept in Verbindung standen. Daran schließt sich ein Kapitel an, das rekapituliert, wie die Zeit gemessen und in Form des Kalendersystems organisiert und nutzbar gemacht wurde. Das Kalendersystem findet v.a. im weiten Feld der Divination Anwendung und zeigt dabei mit der qualitativen Bewertung von Zeiteinheiten eine weitere wichtige Eigenschaft des Zeitkonzeptes auf, die im neunten Kapitel untersucht werden soll. Zuletzt wird die Betrachtung der Zeit als numinose Erscheinung und die Funktion, die sie als solche erfüllt, in den Blick genommen. Die gesammelten Ergebnisse werden im vierten und letzten Teil zusammengefasst und ausgewertet.

1.1) Ziele und Fragestellungen Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit systematisch zu untersuchen und darzustellen. Da es sich um die erstmalige monographische Bearbeitung des Themas für den babylonisch-assyrischen Kulturraum handelt, soll die Arbeit zugleich als Überblickswerk dienen, die den Ausgangspunkt für weitere Forschung bilden kann. Im Allgemeinen wird der Frage nachgegangen, welche Eigenschaften und Merkmale dem Phänomen der Zeit zugeschrieben wurden. Untrennbar damit verbunden ist die Fragestellung, in welchen Texten die einzelnen Eigenschaften hervorgehoben werden und welche Rolle die Zeit im Kontext der jeweiligen Quellen einnimmt. Da in den Sprachen des Alten Orients kein abstraktes Wort für Zeit bekannt ist, soll zudem analysiert werden, wie sich das Phänomen auf lexikalischer Ebene darstellt. Im Verlauf der Arbeit wird die Zeit einerseits als Phänomen der Natur betrachtet, andererseits wird ihre gesellschaftliche Relevanz und Funktion in den Blick genommen. Hinsichtlich der Zeit als Naturphänomen stellt sich die Frage, welche natürlichen Begebenheiten der Zeitwahrnehmung zugrunde lagen und welche Funktionen diese im Detail erfüllten. Da Natur im Alten Orient eng mit den Glaubensvorstellungen der Menschen verbunden war, sollen auch die theologischen Konzeptionen untersucht werden, die mit den Zeitvorstellungen verknüpft waren. In Bezug auf die Zeit in der Gesellschaft ist relevant, welche sozialen Gruppen sich gezielt mit dem Phänomen der Zeit auseinandergesetzt und das Konzept von Zeit somit tradiert haben. Daran schließt unmittelbar die Frage an, ob das Konzept von Zeit, das sich aus den Quellen extrahieren lässt, ein gesamtgesellschaftlich akzeptiertes Konzept war, oder ob es sich nur auf einzelne Gruppen innerhalb der Gesellschaft bezieht. Zur Betrachtung altorientalischer Zeitvorstellungen ist es unerlässlich, die Organisation der Zeit in Form des Kalenders und die Methoden der Zeitmessung zu rekapitulieren. Daraus ergibt sich die Frage, welche gesellschaftliche Rolle das so

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Teil I: Einführung in die Thematik

in Form gegossene Zeitkonzept einnahm und in welchen Kontexten es zur Anwendung kam. Der größte Teil der thematisch relevanten Quellen entstammt der neuassyrischen und neubabylonischen Zeit, d.h. der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. Sofern möglich soll im Rahmen der Arbeit aber auch die Entwicklung und Tradierung des babylonisch-assyrischen Zeitkonzeptes in die Betrachtung einfließen.

1.2) Theoretische Grundlagen Als theoretische Grundlage der Arbeit dient die aus der Soziologie stammende Theorie der sozialen Zeit, die auf der Grundannahme basiert, dass Zeit nicht ausschließlich ein physikalisches Phänomen darstellt, sondern immer auch ein soziale Komponente umfasst.3 Darüber hinaus stellen Konzepte ein zentrales Element der Arbeit dar.

1.2.1) Die soziale Zeit Der Begriff der sozialen Zeit geht auf das bereits 1912 erschienene Werk Émile Durkheims Die elementaren Formen des religiösen Lebens zurück. Durkheim nennt den Begriff darin erstmals in einer Fußnote und grenzt die soziale Zeit dabei von der Zeitwahrnehmung des Individuums ab: „Hier kann man den Unterschied feststellen, der zwischen dem Komplex der Empfindungen und der Bilder, der uns zur Orientierung in der Dauer dient, und der Kategorie der Zeit besteht. Die ersten sind die Summe der individuellen Erfahrungen, die nur für das Individuum gelten, das sie gemacht hat. Die Kategorie der Zeit dagegen ist die der Gruppe gemeinsame Zeit, sozusagen die soziale Zeit.“4 Von Pitrim A. Sorokin und Robert K. Merton wurde die Idee der sozialen Zeit 1937 aufgenommen und erstmals umfassend ausgearbeitet. Die Grundannahme ihres Artikels besteht darin, dass das astronomisch-physikalische Konzept von Zeit nicht die einzige Betrachtungsweise dieses Phänomens sein kann:5 „Astronomical time is uniform, homogeneous; it is purely quantitative, shorn of qualitative variations.“6 Nach Sorokin und Merton zeichnet sich Zeit vielmehr dadurch aus, dass sie nicht nur quantitativ zu verstehen ist, sondern auch eine Qualität besitzt. Die Betrachtung der Zeit als bloße Methode der Messung wird dem Phänomen also nicht gerecht. Sorokin und Merton weisen darauf hin, dass die Qualitäten, die der Zeit 3

Vgl. auch den Ansatz bei Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 246. 4 Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, 29, Anm. 6. 5 Sorokin – Merton, Social Time, 616. 6 Sorokin – Merton, Social Time, 621.

1) Einleitung

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zugeschrieben werden, von den religiösen Vorstellungen und der gesellschaftlichen Organisation der jeweiligen sozialen Gruppe abhängig sind.7 Das Zeitbewusstsein einer sozialen Gruppe ist somit subjektiv und spezifisch für die jeweilige Gruppe. Das soziale Leben einer Gruppe spiegelt sich dementsprechend in deren Zeitwahrnehmung wider, was sich etwa in der Benennung von Zeiteinheiten offenbart. So ist auch von den Lebensumständen der jeweiligen Gruppe abhängig, welche Naturphänomene genutzt wurden, um Zeiteinheiten festzulegen.8 Im Umkehrschluss reflektiert das System der Zeitzählung zugleich das kollektive Leben der Gruppe und ist abhängig von deren Organisation, Funktion sowie von wichtigen sozialen Ereignissen.9 Die soziale Zeit wird von Sorokin und Merton somit gleichsam als Kontrast zur astronomischen Zeit konstruiert und zusammenfassend wie folgt charakterisiert: „Local time systems are qualitative, impressed with distinctly localized meanings.“10 Auch N. Elias hat sich in seinem umfangreichen Essay Über die Zeit ausgiebig mit dem Phänomen auseinandergesetzt und dabei ebenfalls auf den Begriff der sozialen Zeit Bezug genommen. Wie bereits Sorokin und Merton, macht auch Elias auf die Dichotomie von physikalischer und sozialer Zeit aufmerksam, betont jedoch, dass Zeit in der Natur und Zeit in der Gesellschaft nicht unabhängig voneinander existieren können und dementsprechend gleichermaßen untersucht werden müssen, um sich einem Verständnis der Zeit nähern zu können.11 Die physikalische Zeit erklärt Elias dabei als einen Aspekt der physikalischen Natur, in der die Zeit eine unveränderliche Variable ist, die der Mensch nicht zur Kenntnis nimmt.12 Die soziale Zeit, d.h. die Zeit in der Gesellschaft nimmt der Mensch hingegen ganz bewusst wahr.13 Der sozialen Zeit kommt dabei eine koordinierende und auch integrierende Funktion zu, indem sie innerhalb einer Gesellschaft gleichzeitig als Regulator sozialer Ereignisse und als elementares Orientierungsmittel in Erscheinung tritt.14 Insgesamt, so Elias, müsse das Zeitbewusstsein einer Gesellschaft oder Gruppe als Teil ihres jeweiligen sozialen Kanons und ihres Wissens verstanden werden.15 Diesen Ansatz nimmt auch J. Rüpke in den theo-

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Sorokin – Merton, Social Time, 623. Sorokin – Merton, Social Time, 621. 9 Sorokin – Merton, Social Time, 619–621. 10 Sorokin – Merton, Social Time, 628. 11 Elias, Über die Zeit, 58 f. und 114. 12 Elias, Über die Zeit, 104–109 und 148. 13 Elias, Über die Zeit, 104–109. 14 Elias, Über die Zeit, 70, 106, 125 f. und 148. 15 Elias, Über die Zeit, 202. 8

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Teil I: Einführung in die Thematik

retischen Betrachtungen seines Werk Kalender und Öffentlichkeit auf und postuliert daran anlehnend: „Schon die wenigen Blicke auf den alltäglichen Umgang mit ‹Kalendern› zeigen, daß eine historische Analyse von Kalendern nicht mit der Geschichte der Astronomie in den jeweiligen Kulturen identisch ist. Nicht der Kalender, sondern das Funktionieren des Kalenders in der Gesellschaft, ihren Institutionen und Untergruppierungen verdient Aufmerksamkeit.“16 Zusammengefasst zeichnet sich die soziale Zeit durch die folgenden Charakteristika aus: Qualität: Das Phänomen Zeit wird mit Bedeutungen und Zuschreibungen versehen und bekommt dadurch eine qualitative Komponente. Die soziale Zeit wird dadurch der physikalischen Zeit entgegengesetzt, in der Zeit – rein quantitativ – als eine vom Menschen unabhängige Komponente des Kosmos aufgefasst wird. Bei einer umfassenden Betrachtung des Phänomens greifen die Zeit in der Gesellschaft (soziale Zeit) und die Zeit in der Natur (physikalische Zeit) jedoch ineinander. Funktionalität: Die Zuschreibung von Qualitäten führt dazu, dass die Zeit für die zuschreibende soziale Gruppe bestimmte Funktionen erfüllt. Die soziale Zeit tritt somit als Regulator sozialer Ereignisse auf und beinhaltet sowohl eine koordinierende als auch integrierende Funktion. Gruppenspezifität: Die vorgenommenen Zuschreibungen sind von Glaubensvorstellungen und der gesellschaftlichen Struktur der sozialen Gruppe abhängig. Die Zuschreibungen sind folglich ein Teil des Wissenskanons der Gruppe.

1.2.2) Der Konzeptbegriff Der im Rahmen dieser Arbeit verwendete Konzeptbegriff basiert auf den Erläuterungen von Monika Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik. Schwarz erklärt, dass Konzepte mentale Organisationseinheiten bilden, deren Funktion es ist, Wissen über die Welt zu speichern. Die Speicherung und Verarbeitung subjektiver Erfahrungen des Menschen erfolgt dabei durch die Einteilung der Informationen in Klassen, die wiederum auf bestimmten Merkmalen basieren. Ein Konzept entsteht dadurch, dass von jeweils individuellen Objekten gemeinsame Merkmale extrahiert werden. Die Merkmale oder auch Eigenschaften, die allen Objekten gemeinsam sind, formen letztendlich den Inhalt des Konzepts.17 Da sich anhand der Merkmale eines Konzepts auch Kategorien herausbilden, übernehmen Konzepte die Funktion von zusammenfassenden Repräsentationen, die dem Menschen dazu dienen, seine Umwelt zu kategorisieren.18 16

Rüpke, Kalender und Öffentlichkeit, 22. Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik, 108–110. 18 Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik, 109. Vgl. auch Murphy, The Big Book of Concepts, 240. 17

1) Einleitung

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Für die interne Ordnung von Kategorien lassen sich drei Ebenen feststellen: zunächst die Basisebene, die zwar bereits ein gewisses Abstraktionsniveau erreicht, aber noch eine bildhafte Repräsentation im Bewusstsein zulässt. Hinzu kommt eine untergeordnete Ebene, in der die Kategorie durch ein konkretes Beispiel verdeutlicht wird. Zuletzt lässt sich eine übergeordnete Ebene feststellen, in der die Kategorie noch stärker abstrahiert wird. Die Ordnung der Kategorien macht M. Schwarz mit folgendem Beispiel deutlich:19 Abstrakt Tier Basisebene Vogel Konkret Amsel Die dreiteilige Ordnung ist im Rahmen einer philologischen Untersuchung von besonderem Interesse, da vornehmlich die Basisebene als die für die Benennung bevorzugte Ebene gedeutet wird.20 Einen ganz ähnlichen Ansatz beschreibt auch G. L. Murphy in seinem Werk The Big Book of Concepts mit dem sogenannten Knowledge Approach. Demnach sind Konzepte Teil des menschlichen Wissens von der Welt. Murphy ergänzt, dass Menschen ihr vorhandenes Wissen nutzen, um Schlussfolgerungen zu einem konkreten Beispiel zu ziehen. Das Wissen muss dazu nicht vollständig bzw. nicht vollständig korrekt sein, aber es reicht aus, um Schlussfolgerungen zu ziehen und Generalisierungen über die Welt anzustellen. So beeinflusst das vorhandene Wissen ein Konzept. Der Mensch nutzt dabei sein Wissen, um die Merkmale eines Konzepts zu konstruieren und umgekehrt formen die Konzepte wiederum das Wissen des Menschen.21 Über den Knowledge Approach lässt sich der verwendete Konzeptbegriff mit der bereits besprochenen Theorie der sozialen Zeit verbinden, nach der auch Zeitvorstellungen einen Teil des Wissenskanons einer sozialen Gruppe bilden. Unter den Merkmalen des Konzepts von Zeit werden im Rahmen dieser Arbeit die Eigenschaften, Qualitäten und Zuschreibungen verstanden, die dem Phänomen gemäß der Theorie der sozialen Zeit von einer Gruppe zugeschrieben werden. Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit bildet dabei ein übergeordnetes Konzept, das sich aus weiteren untergeordneten Konzepten zusammensetzt, die ihrerseits spezifische Merkmale aufweisen.

1.3) Die Quellen In seinen Ausführungen zur ‚Listenwissenschaft‘ formuliert M. Hilgert eine grundlegende Herausforderung bei der Analyse und Darstellung altorientalischer Wissensbestände:

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Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik, 113. Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik, 113. Siehe dazu auch Kapitel 2.1. 21 Murphy, The Big Book of Concepts, 60 f., 143 und 356. 20

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Teil I: Einführung in die Thematik

„Denn explizit formulierte Methodologien und Epistemologien, vollständig definierte, spezifizierte Begriffssysteme zur terminologischen Erschließung, Strukturierung und Vermittlung von Wissensbeständen (Taxonomien, semantische ‚Ontologien‘) oder deutlich artikulierte Skepsis der schreibenden Akteure gegenüber den Prämissen ihres eigenen epistemischen Handelns sind in dem gegenwärtig bekannten Korpus keilschriftlicher Texte nicht anzutreffen.“22 Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass die Informationen zum altorientalischen Zeitkonzept nicht nur aus einer Textgattung gewonnen werden können, sondern indirekt aus einer großen Anzahl unterschiedlichster Quellen extrahiert werden müssen. Die Auswahl der Quellen resultiert aus den Ergebnissen der sprachlichen Analyse (Kapitel 2).23 Demnach werden vornehmlich Quellen in die Betrachtung mit einbezogen, in denen im weitesten Sinne die primären Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag im Fokus stehen. Dazu zählen theologische Texte wie Hymnen, Gebete und mitunter auch hymnische Passagen in Königsinschriften, die jeweils wichtige Informationen zu den zeitanzeigenden Gottheiten und den mit ihnen verbundenen Grundlagen der Zeitwahrnehmung enthalten. Mythische Texte und Textpassagen – allen voran die fünfte Tafel des Enūma eliš sowie die mythischen Einleitungen aus Enūma Anu Enlil – bieten ätiologische Erklärungen für die Etablierung wahrnehmbarer Zeit und benennen die göttlichen Akteure, die dabei eine Rolle spielen. Darüber hinaus geben sie Einblicke in das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit. Litaneien und Gebete zeigen zusätzlich, dass Zeiteinheiten unter spezifischen Umständen auch personifiziert werden konnten. Eine gleichsam umfassende wie wichtige Quellengruppe bilden Texte mit himmelskundlichem24 Inhalt. Dazu zählt das bedeutsame Werk MUL.APIN, das in seiner Gesamtheit die astronomischen Grundlagen der Zeitwahrnehmung idealisiert abbildet. Auch die 14. Tafel von Enūma Anu Enlil greift diesen Aspekt auf. Hinzu kommt die Textgruppe, die als „Astrolabien“, „Zwölfmaldrei“ oder in Eigenbezeichnung als je drei Sterne bekannt ist. Zu den aussagekräftigsten Quellen gehören die Briefe und Berichte der neuassyrischen Gelehrten, die in Ninive gefunden wurden. Diese Texte behandeln in großen Teilen ebenfalls astronomisch-astrologische Themen und geben dabei gleichzeitig einzigartige Einblicke in die Arbeit der Gelehrten und deren Zeitvorstellungen sowie in die praktische 22

Hilgert, ‚Listenwissenschaft‘, 285. Siehe dazu auch die Erläuterungen zum methodischen Vorgehen (Kapitel 1.4). 24 Die in der Assyriologie und teilweise auch im Rahmen dieser Arbeit immer wieder verwendeten Beschreibungen von Quellen als „astronomisch“ bzw. „astrologisch“ sind nicht unproblematisch, da es sich um moderne Termini handelt, die zudem eine disziplinäre Trennung implizieren, die aus altorientalischer Perspektive nicht gegeben war. Für eine prägnante Zusammenfassung der Problematik siehe Parpola, Mesopotamian Astronomy and Astrology, 47–49. 23

1) Einleitung

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Handhabung des Kalenderwesens. Allen himmelskundlichen Texten ist gemein, dass sie die – im weitesten Sinne – naturkundlichen Vorstellungen und die gedachte Funktionsweise der Zeit abbilden und gleichzeitig den Umgang mit dem Phänomen veranschaulichen. Eine weitere Quellengruppe stellen Texte aus dem Umfeld der Divination dar. Diese Texte, die sowohl Omina als auch Hemerologien und Menologien umfassen, verdeutlichen, warum sich die babylonischen und assyrischen Gelehrten intensiv dem Thema Zeit gewidmet haben. In dem Zusammenhang sticht vor allen anderen Texten das sogenannte Handbuch der Beschwörungskunst bzw. Diviner’s Manual heraus. Dieser Text enthält nicht nur ein Curriculum an OmenSerien, die ein Gelehrter beherrschen sollte, sondern erläutert ungewohnt direkt den engen Zusammenhang von Zeit, Kalender und Divination. Zusätzlich zu den großen Quellen-Gruppen geben vereinzelte Texte zusätzliche Informationen und Details zu bestimmten Aspekten der Zeitvorstellungen preis. Dazu zählen u.a. die Listen An = Anum und ur5-ra = ḫubullu sowie eine kurze Passage aus dem Gilgameš-Epos. Es zeigt sich somit, dass eine umfassende Analyse des altorientalischen Zeitkonzeptes den Rückgriff auf eine sehr breit gefächerte Quellenlage notwendig macht. Die überwiegende Mehrheit dieser Quellen entstammt der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr., weshalb der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Zeitkonzept der neuassyrischen und neubabylonischen Zeit liegt. Für die umfassende Betrachtung des Phänomens müssen sowohl Quellen aus Assyrien als auch aus Babylonien herangezogen werden. Trotz der kulturellen Eigenheiten Babyloniens und Assyriens, teilen sich beide Regionen doch eine gemeinsame Gelehrtentradition. Viele Quellen, die im Rahmen dieser Arbeit herangezogen werden, wurden in Assyrien gefunden, reflektieren aber babylonische Traditionen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass bereits mittelassyrische Könige wie bspw. Tukultī-Ninurta I. im Zuge militärischer Konflikte Tafeln aus verschiedenen Bereichen der Gelehrsamkeit von Babylonien nach Assyrien bringen ließen.25 Auch im fortgeschrittenen 1. Jt. v. Chr. ist dieser Wissenstransfer in Form von Tafeln noch nachweisbar.26 Dank des Palastarchivs von Ninive mit seinen zahlreichen Briefen und Berichten assyrischer und babylonischer Gelehrter lässt sich zeigen, dass gerade im Bereich der Gelehrsamkeit enge Verbindungen zwischen Assyrien und Babylonien bestanden. Spätestens unter Tiglat-Pileser I. ist auch die Nutzung des babylonischen Kalenders in Assyrien belegt, was die Grundlage für ein gemeinsames babylonischassyrisches Zeitkonzept bildet.27

25

Cancik-Kirschbaum, Überlegungen zu Schrift, Schriftlichkeit und der ‚Mobilität von Wissen‘, 110 f. 26 Frahm, Headhunter, Bücherdiebe und wandernde Gelehrte. 27 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 300 f.

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Teil I: Einführung in die Thematik

1.4) Methodik Benno Landsberger hat in seiner 1926 gehaltenen und kurz darauf veröffentlichten Antrittsvorlesung den Ausdruck der Eigenbegrifflichkeit geprägt, der bis heute als gleichsam programmatisch in der altorientalistischen Forschung gilt. Landsberger betont darin, dass die Maßstäbe zum Verständnis altorientalischer Kulturen nicht von außen, d.h. aus der Begriffswelt und dem Verständnis der Forschenden an den Forschungsgegenstand herangetragen werden sollten. Stattdessen muss der Fokus auf die Eigenbegrifflichkeit der altorientalischen Kulturen gelegt werden, d.h. die Maßstäbe und Begriffe müssen soweit möglich dem Forschungsgegenstand entnommen und angepasst werden. Dafür setzt Landsberger ein tiefes Verständnis der altorientalischen Lebenswelt und der Sprachen voraus.28 Der dabei von Landsberger gezogene Schluss, von der sprachlichen Struktur unmittelbar auf die Vorstellungswelt schließen zu können,29 ist in der Forschung zwar nicht mehr haltbar,30 doch bietet die Untersuchung sprachlicher Fundierungen und Terminologien weiterhin einen methodischen Zugang, um v.a. Konzepte und Wissensformen im Alten Orient zu analysieren.31 Der Zugang über die Eigenbegrifflichkeit wird in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen, indem die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit untersucht wird. Im Zuge dessen wird die vermeintlich fehlende Begriffsbildung diskutiert und die grundlegende Konzeptualisierung von Zeit aus babylonisch-assyrischer Perspektive aufgezeigt. Die bereits geschilderten theoretischen Annahmen spiegeln sich im Aufbau der vorliegenden Arbeit wider. In den einzelnen Kapiteln werden die spezifischen Eigenschaften bzw. Teilkonzepte untersucht. Die verschiedenen Eigenschaften des Zeitkonzeptes treten zumeist in unterschiedlichen Textgruppen hervor, sodass in Folge dessen jedes Kapitel eine andere Textgruppe in den Fokus nimmt. Dabei wird analysiert, welche Aussagen die betreffende Eigenschaft formen. Der Zugriff erfolgt dabei unmittelbar über die Primärquellen, d.h. alle besprochenen Texte werden in Transliteration und Übersetzung wiedergegeben, was der Funktion der Arbeit als monographische Überblickswerk zusätzlich Rechnung trägt.32 Mitunter werden bestimmte Eigenschaften der Zeit auch in mehreren Textgruppen genannt; entsprechend auftretende intertextuelle Bezüge werden in die Analyse mit einbezogen. In erster Linie sollen die Quellen synchron für den Zeitraum des ausgehenden 2. Jt. v. Chr. und die erste Hälfte des 1. Jt. v. Chr. betrachtet 28

Landsberger, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, 358 f. Landsberger, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, 365. 30 Vgl. Sallaberger, Benno Landsbergers „Eigenbegrifflichkeit“ in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, 66–79. 31 Cancik-Kirschbaum, Gegenstand und Methode: Sprachliche Erkenntnistechniken in der keilschriftlichen Überlieferung Mesopotamiens, 38. Siehe auch Beaulieu, The Afterlife of Assyrian Scholarship, 1. 32 Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich dabei um eigenständige Übersetzungen. Die Transliterationen wurden aus den jeweils angegebenen Publikationen entnommen. 29

1) Einleitung

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werden. Quellengruppen aus früheren und späteren Epochen werden ggf. im Hinblick auf die diachrone Entwicklung spezifischer Teilkonzepte in den Blick genommen.33 Anhand der diachronen Perspektive lässt sich somit die Entwicklung des Zeitkonzeptes verdeutlichen.

33

Eine umfassende Untersuchung der sumerischen und altbabylonischen Quellen sowie der späten astronomisch-astrologischen Texte aus der zweiten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden und bleibt ein Desiderat für künftige Forschungen.

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit Am Anfang seines Artikels The Afterlife of Assyrian Scholarship in Hellenistic Babylonia postuliert P.-A. Beaulieu: „(…), it seems crucial to study the native terminology and penetrate the conceptual categories of ancient scholars and scientists.“34 Um das Konzept der Zeit im Alten Orient darstellen und verstehen zu können, ist es daher – auch im Sinne von Landsbergers Eigenbegrifflichkeit – unabdingbar zunächst zu klären, welche Terminologie zur Beschreibung des Phänomens Zeit verwendet wurde.35 Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Tatsache, dass weder aus dem Sumerischen, noch aus dem Akkadischen ein Wort überliefert ist, das dem modernen Wort Zeit entspricht.36 W. von Soden erläutert in seiner Abhandlung Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient, dass in der akkadischen Sprache die Ausdrucksmittel für exakte Beschreibungen eingeschränkt seien und somit oftmals klare Oberbegriffe und Differenzierungsmöglichkeiten fehlten.37 Er weist aber auch darauf hin, dass die Grenzen des sprachlichen Ausdrucksvermögens keineswegs mit den Grenzen des Wissens übereinstimmten. Von Soden schreibt in diesem Zusammenhang von einem „Wissen ohne Worte“ und von einem Denken, dass sich oft nicht die adäquaten Begriffe schaffen könne.38 Auch von Soden erwähnt in dem Zusammenhang das Fehlen eines Wortes für Zeit: „Ein allgemeines Wort für „Zeit“ gibt es zwar im Hebräischen (ʿēt), nicht aber im Akkadischen, das sonst doch an abstrakten Begriffen viel reicher ist.“39 Doch auch wenn ein abstraktes Wort für Zeit nicht belegt ist, bedeutet dies in Anlehnung an die Erläuterungen von Sodens keineswegs, dass den Menschen des antiken Zweistromlandes ein entsprechender Begriff fehlte.40 Tatsächlich bedien-

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Beaulieu, The Afterlife of Assyrian Scholarship, 1. Vgl. auch die abschließende Bemerkung bei Cancik-Kirschbaum, Gegenstand und Methode: Sprachliche Erkenntnistechniken in der keilschriftlichen Überlieferung Mesopotamiens, 38, nach der die Analyse der altorientalischen Wissenskulturen in der sprachlichen Fundierung von Wissen ihren Ausgangspunkt nehmen sollte. 36 Siehe u.a. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 31, mit Verweis auf Wilcke, Zum Geschichtsbewusstsein im Alten Mesopotamien, 33. 37 Von Soden, Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient, 27. 38 Vgl. von Soden, Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient, 31 und 41. Vgl. auch Hilgert, ‚Listenwissenschaft‘, 285. 39 Von Soden, Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient, 37. 40 Vgl. Fink, Einfluss der Sprache, 143, 147–150. Fink diskutiert darin die Thesen, die 35

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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ten sich die Menschen des Alten Orients vielfältiger und sehr konkreter Zeitwörter, um bestimmte Aspekte der Zeit zu bezeichnen.41

2.1) Tage, Monate und Jahre Es stellt sich somit die Frage, welche Termini anstelle eines abstrakten Zeitbegriffs zur Anwendung kamen und welche Vorstellungen damit assoziiert wurden. Einen ersten Einblick in das Verständnis und die sprachliche Realisierung von Zeit vermittelt die Liste ur5-ra = ḫubullu. Schon früh entwickelt sich in der mesopotamischen Gelehrtentradition der Texttyp der lexikalischen Liste. Die lexikalischen Listen folgen dabei zumeist einer thematischen Ausrichtung und stellen somit eine schriftlich fixierte Repräsentation eines Wissensbestandes zu einem bestimmten Aspekt der physischen oder sozialen Umwelt der damaligen Menschen dar.42 Ihren Sitz im Leben hatten sie wohl zunächst in der Ausbildung der Schreiber, denen damit das entsprechende Vokabular nähergebracht wurde.43 Die Liste ur5-ra = ḫubullu, die zu den umfangreichsten erhaltenen Listen gehört, enthält u.a. eine im vorliegenden Kontext relevante Aufstellung von Zeitbegriffen: ur5-ra = ḫubullu, 176–23644 u4-mu 176) u4 mi-šil u4-mu 177) u4.sa9.àm u4-mu ak-kal 178) u4.1.kam ši-na u4-mu 179) u4.2.kam še-la-aš-ti u4-mu 180) u4.3.kam er-bet-ti u4-mu 181) u4.4.kam ḫa-mi-iš-ti u4-mu 182) u4.5.kam šeš-šit u4-mu 183) u4.6.kam sé-eb-ti u4-mu 184) u4.7.kam

Tag Mittag (wörtl. die Hälfte eines Tages) ganztägig 2. Tag 3. Tag 4. Tag 5. Tag 6. Tag 7. Tag

Wolfram von Soden in seinem Artikel Leistung und Grenze sumerischer und babylonischer Wissenschaft darlegt. Fink weist auf S. 143 und 148 darauf hin, dass das Fehlen eines Wortes nicht auch zwangsläufig das Fehlen eines entsprechenden Begriffes nach sich zieht, v.a. wenn es möglich ist, fehlende Wörter durch Umschreibungen zu ersetzen. 41 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 31. Einen Überblick über das vielfältige Vokabular, das mit Zeit in Verbindung steht, bieten beispielhaft Kämmerer – Schwiderski, Deutsch-Akkadisches Wörterbuch, Index XXXI, 569–571. 42 Vgl. Hilgert, ‚Listenwissenschaft‘, 286–288. Siehe auch Echterhölter, Liste als Praktik, 249 f. 43 Vgl. Veldhuis, Religion, Literature and Scholarship, 81–85. Siehe dazu auch die Diskussion bei Fink, Einfluss der Sprache, 142–135 und 137 f., der Veldhuis’ Schlussfolgerung, die Listen seien ausschließlich für den Unterricht erstellt worden und hätten ansonsten keinen Bezug zur Welt, kritisiert. Siehe auch den Artikel von Edzard, Die altmesopotamischen lexikalischen Listen, der die Listen über den Unterricht hinaus selbst als Literaturwerke ansieht. 44 Landsberger, The Series ḪAR-ra = ḫubullu. Tablets I – IV, 22–26.

Teil I: Einführung in die Thematik

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45

185) u4.8.kam 186) u4.9.kam 187) u4.10.kam 188) u4.15.kam 189) u4.19.kam 190) u4.20.kam 191) u4.25.kam

sa-ma-an-ti u4-mu til-ti u4-mu e-šar-ti u4-mu šá-pat-tum ib-bu-ú eš-ru-ú ar-ḫu mit-ḫur

192) u4.30.kam 193) u4.ná.àm

še-la-šá-a bu-ub-bu-lu

194) u4.ḫul.gál 195) u4.ḫul.gál 196) u4.ki.sè.ga 197) u4.su.nag5 198) u4.sikil-e-dé 199) u4.ezen 200) u4.éš.éš 201) u4 u4.sakar 202) u4 á.ki.it 203) u4.da.zal.la 204) u4.da.gíd.da 205) u4 gíd.da 206) u4 gud4.da 207) u4 á.bi 208) u4 bí.zal.lá 209) u4 gub.ba 210) u4 gam.ma 211) iti 212) iti.šè 213) u4 iti.šè 214) sag iti.šè 215) egir iti.šè 216) u4 kaš4.a 217) u4.sakar 218) sag u4.sakar 219) zag.mu 220) zag.mu 221) itibára.zag.gar

ŠU-lum u4-mu lem-nu u4-mu ki-is-pi u4-mu ri-im-ki u4-mu te-lil-tum u4-mu i-sin-nu u4-mu eš-še-e-šu u4-mu ar-ḫu u4-mu a-ki-tum ŠU-u ŠU-u u4-mu ar-ku u4-mu ku-ru-ú u4-mu si-ma-ni u4-mu it-tal-lak u4-mu tur-rum qid-da-at u4-mu ar-ḫu a-na ar-ḫu a-na u4-mu ar-ḫu a-na re-eš ar-ḫu a-na ar-kat ar-ḫu u4-mu li-is-mu ar-ḫu re-eš ar-ḫi za-muk-ku re-eš šat-tim ni-sa-an-nu

8. Tag 9. Tag 10. Tag 15. Tag 19. Tag = (Tag des) Zorn(s) 20. Tag 25. Tag = Der Mond tritt in Konjunktion45 30. Tag Tag des Verschwindens (des Mondes) böser Tag böser Tag Tag des Totenopfers Tag der Waschung Tag der Reinigung Festtag Tag des eššēšu-Festes Tag des Neulichts Tag des akītu-Festes Datum ausgefallener 30. Tag langer Tag kurzer Tag Jahreszeit der Tag wird vorübergehen Mittag(?) später Nachmittag Monat für (einen) Monat für (einen) Monat zu Beginn des Monats zum Ende des Monats Tag des Laufens46 Mond, Neulicht Neulicht Neujahr Beginn des Jahres Nisannu (1. Monat)

Vgl. CAD m1, maḫāru 5 a, 65. Nach Landsberger, The Series ḪAR-ra = ḫubullu. Tablets I–IV, 24, ist damit der Tag gemeint, an dem ein neuer Monat angekündigt wird. 46

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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222) itigu4.si.sá a-a-ru Ajjaru (2. Monat) iti si-ma-nu Simānu (3. Monat) 223) sig4.ga Duˀūzu (4. Monat) 224) itišu.numun.na du-ú-zu Abu (5. Monat) 225) itiNE.NE.gar a-bu iti d Ulūlu (6. Monat) 226) kin. innin.na ú-lu-lu taš-ri-tú Tašrītu (7. Monat) 227) itidu6.kù Araḫsamna (8. Monat) 228) itiapin.du8.a a-ra-aḫ-sam-na iti Kislīmu (9. Monat) 229) gan.gan.na ki-is-li-mu ṭe-bé-tum Ṭebētu (10. Monat) 230) itiab.ba.è šá-ba-ṭu Šabāṭu (11. Monat) 231) itizíz.àm iti Addaru (12. Monat) 232) še.kin.kud ad-da-ru 233) iti diri še.kin.kud ar-ḫu at-ru šá ad-da-ru Schaltmonat Addaru 234) mu.1.kam ša-na-at ein Jahr 235) giskim.bi.šè a-na it-ti-šu zur vorgesehenen/vereinbarten Zeit 236) KI.KAL.bi.šè a-na it-ti-šu zur vorgesehenen/vereinbarten Zeit Sowohl die einzelnen Einträge, als auch die Anordnung der Einträge insgesamt geben einen interessanten Einblick in das Verständnis von Zeit im Alten Orient. Ausgehend von Z. 176 bis einschließlich Z. 210 werden diverse Wörter für die unterschiedlichen Tage des Monats und des Jahres aufgeführt. Die Liste folgt damit sowohl der Konvention, die Einträge immer mit dem gleichen Zeichen beginnen zu lassen, als auch dem Prinzip einer semantischen Nähe der einzelnen Beiträge zueinander.47 Die Liste beginnt dabei zunächst mit dem allgemeinen Wort für Tag (Z. 176). Nach der Nennung der Tageszeit Mittag (Z. 177) werden die charakteristischen Tage des Monats aufgeführt, wobei die ersten zehn Tage des Monats vollständig durchgezählt werden (Z. 178–187).48 Danach fährt die Liste mit dem 15. Tag fort. Die explizite Nennung des 15. Tages lässt sich damit erklären, dass dieses Datum im idealen Zeitverlauf die Mitte eines Monats markierte.49 Die Bedeutung des 19. Tages wird teilweise bereits in der akkadischen Benennung deutlich. Spätere hemerologische Texte weisen den 19. Tag explizit als Tag des Zorns der Göttin Gula aus.50 Die Nennung des 20. Tages ergibt sich 47

Für diese und andere Beispiel von Ordnungsstrukturen innerhalb von keilschriftlichen Listen siehe Hilgert, ‚Listenwissenschaft‘, 291–297, der die einzelnen Möglichkeiten anhand der Liste diri veranschaulicht. 48 In der Liste wird die babylonische Spalte mit Kardinalzahlen wiedergegeben, obwohl die sumerische Formel u4.x.kam in der Regel Ordinalzahlen anzeigt. Oppenheim, The Neo-Babylonian Week Again, 27–29, geht auf diesen scheinbaren Widerspruch ein und stellt heraus, dass die sumerische Spalte der Liste für die Komposition des Textes ausschlaggebend ist. Zudem bezieht er sich u.a. auf die Beobachtungen F. Thureau-Dangins in RA 31, S. 193, indem er auf die oft unterschiedslose Nutzung von Kardinal- und Ordinalzahlen aufmerksam macht, um die Tage eines Monats zu benennen. 49 Vgl. Kapitel 6.2. 50 Livingstone, The Use of Magic, 63.

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Teil I: Einführung in die Thematik

ebenfalls aus späteren Quellen, in denen dieser als wichtiger Tag im Kult des Sonnengottes Šamaš gilt. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Sonnengott auf schriftlicher Ebene durch die Zahl 20 repräsentiert werden konnte.51 Der 25. Tag ist neben dem 1., 7. und 15. Tag einer der Tage, an denen eššēšu-Feste abgehalten wurden.52 Der 30. Tag ist schließlich der letzte Tag eines Monats, der in eigenen Einträgen zugleich als Tag des Verschwindens des Mondes (Z. 193) und als böser Tag (Z. 194) aufgelistet wird. In der darauffolgenden Zeile (Z. 195) wird nochmals der böse Tag als allgemeine qualitative Zuschreibung hervorgehoben, wie sie in den späteren Hemerologien auftritt.53 Der Text fährt fort, indem er diverse Fest- und Ritualtage aufzählt (Z. 196– 202), die im Laufe eines Jahres auftraten. Darauf folgt das Begriffspaar u4.da. zal.la54 und u4.da.gíd.da55 (203 f.). Im Anschluss wird die jahreszeitliche bedingte Verlängerung und Verkürzung des Tages thematisiert (205–207). Auch das Verb alāku wurde in die Liste aufgenommen, da mit diesem Verb das Vergehen des Tages wiedergegeben wurde (208). Der Abschnitt über den Tag endet schließlich mit den Wörtern u4-mu tur-rum und qid-da-at u4-mu. Letzteres kann mit „später Nachmittag“ übersetzt werden.56 Der Begriff u4-mu tur-rum wurde von Landsberger mit „Mittag“ übersetzt. Diese Übersetzung findet sich, allerdings mit Fragezeichen versehen und mit Verweis auf eben jene Stelle in ur5-ra = ḫubullu im CAD.57 Ab Zeile 211 wendet sich der Text von der Auflistung der unterschiedlichen Tage ab und nimmt bis einschließlich Z. 218 das Vokabular in den Blick, das den Monat betrifft. Auch dieser Abschnitt beginnt damit, dass zunächst das allgemeine Wort für Monat dokumentiert und daran anschließend spezifische Termini 51

Vgl. Maul, Gottesdienst im Sonnenheiligtum zu Sippar, 301 f. Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 247. 53 Vgl. Kapitel 9.2. 54 Der Begriff wird im CAD u, udazallû, 17 f. mit „calendar date“ übersetzt. 55 Der Begriff bezeichnet den ggf. ausgefallenen 30. Tag eines Monats, sollte sich dieser als zu kurz herausstellen. Siehe CAD u, udagiddû, 17. 56 CAD q, qiddatu, 250 f. 57 CAD t, turru 2., 488. Es gab aber auch eine spezielle Terminologie für Monate, die ihre ideal gedachte Länge erreichten oder verfehlten. Monate, die volle 30 Tage dauerten, wurden demnach als kunnu – „fest“ bezeichnet. Monate, die nur 29 Tage andauerten, galten als turru – „zurückgedreht“. Es wäre somit denkbar, dass mit u4-mu tur-rum ein zurückgewandter Tag gemeint ist. Dies würde zugleich bedeuten, dass die Einführung und Nutzung dieser Terminologie deutlich früher eingesetzt hat als bisher bekannt. Gegen diese Deutung spricht jedoch der logographische Befund: Während der „zurückgewendete“ Monat logographische mit gur wiedergegeben wird, nutzt ur5-ra = ḫubullu eindeutig gub, um den Terminus u4-mu tur-rum auszudrücken. Zudem bezieht sich die Aussage hier auf einen Tag und nicht auf einen vollen Monat. Die Vermutung liegt somit nahe, dass u4-mu turrum hier voraussichtlich anders zu verstehen ist. Ohne weitere Deutungsmöglichkeiten wurde die Übersetzung Landsbergers in der hier vorliegenden Übersetzung übernommen. 52

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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aufgelistet werden, die für den Monat charakteristisch sind. Dazu zählen auch Wörter, die zwar das Element Tag (u4) enthalten, wie bspw. u4.sakar – „Neulicht“ (217), doch können diese Wörter thematisch mit dem Monat in Verbindung gebracht werden. Ab Z. 219 bis zum Ende des Abschnitts wendet sich die Liste schließlich dem Jahr zu, wobei das Wort für Neujahr als Einstieg gewählt wird, während die allgemeinen Bezeichnungen für das Jahr (mu bzw. mu.an.na) unbeachtet bleibt.58 Anschließend werden die einzelnen Monate des Jahres aufgezählt, inklusive der Erwähnung eines Schaltmonats Addaru. Die Auflistung richtet sich dabei nach dem sog. Standard Mesopotamian Calendar, der im zweiten und v.a. im ersten Jt. v. Chr. weite Verbreitung gefunden hat.59 Der hier thematisch relevante Textausschnitt endet mit der Phrase ana ittišu – „zur vorgesehenen/vereinbarten Zeit“, die einerseits mit giskim und andererseits mit KI.KAL wiedergegeben wird. Die Gleichung von KI.KAL und ittu tritt dabei vor allem in wirtschaftlichen Kontexten auf und leitet im weiteren Textverlauf somit thematisch über zu Verbformen, die sich sehr bald mit kaufmännischen Tätigkeiten beschäftigen.60 Interessanter ist im Kontext der Zeitbegriffe jedoch die Aufnahme von giskim in die Reihe. Giskim hat die Grundbedeutung „Zeichen“, wobei damit auch ominöse Zeichen gemeint sind. Auch die sumerische Einführung in Enūma Anu Enlil erläutert, dass der Mond eingesetzt wurde, um sowohl die Zeit als auch ominöse Zeichen anzuzeigen.61 Die kaum zu unterschätzende Verbindung von Zeit und Omenkunde, die in Kapitel 9.1 näher beleuchtet werden soll, könnte somit bereits subtil auf schriftlicher Ebene in die Liste ur5-ra = ḫubullu eingearbeitet worden sein – obwohl der ökonomische Kontext diese Interpretation eher unwahrscheinlich erscheinen lässt. Auch wenn die Auswahl der in der Liste verwendeten Zeitbegriffe sich nicht in jedem Detail erklären lässt und aus moderner Perspektive möglicherweise einige Lücken aufzuweisen scheint, zeigt sich an der Gliederung der Liste doch 58 Edzard, Listenwissenschaft, 250 f., weist darauf hin, dass bisher sechs verschiedene Reihungstypen in lexikalischen Listen nachgewiesen werden können. Eine Möglichkeit ist die Reihung nach lautlichen Kriterien. So wurde der Abschnitt das Jahr betreffend möglicherweise mit zag-mu eingeleitet, weil dieses lautlich näher an sag u4.sakar steht. Da die Phonetik des Sumerischen für eine fundierte Argumentation jedoch problematisch ist, stellt die Überlegung eine reine Spekulation dar. Inhaltliche Gründe können ebenfalls und wohl auch plausibler angeführt werden. So endet der thematische Abschnitt des Monats mit dem „neuen Monat“. Entsprechend könnte das „neue Jahr“ gewählt worden sein, um den Abschnitt über das Jahr einzuleiten. 59 Siehe dazu Kapitel 8.2. 60 Vgl. AHw I, ittu II c, 406. Siehe auch die Erläuterung in CAD i, ittu A, 310: „In mng. 4 ittu (KI.KAL) refers to a formal notice given to a person under obligation to pay or deliver, with the implication that the person is therewith given a reasonable or customary delay to meet his obligation in due time.“ 61 Für eine Übersetzung des Textes siehe Kapitel 5.1.

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Teil I: Einführung in die Thematik

eindrücklich, dass die Zeitwahrnehmung der Verfasser zentral auf die Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr ausgerichtet war.62 An dieser Stelle sei noch einmal auf das in Kapitel 1.2.2 vorgestellte dreigliedrige Kategorisierungsschema verwiesen. Dieses besagt, dass die Benennung bzw. Kategorisierung auf drei Ebenen abläuft. Zunächst auf einer Basisebene, die aus kognitionswissenschaftlicher Sicht als die für die Benennung bevorzugte Ebene gedeutet wird, da sie zwar noch ein prototypisches Abbild im Bewusstsein hinterlässt, aber auch bereits abstrahiert. Der Basisebene kann eine konkrete Ebene untergeordnet werden, in der Beispiele benannt werden. Zuletzt kann die Basisebene aber auch noch weiter abstrahiert werden.63 Mit der Liste als Ausgangspunkt, ergibt sich für die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit im Alten Orient folgendes Schema: Abstrakt Basisebene Tag (u4 / ūmu)

Monat (iti / (w)arḫu)

Jahr (mu / šattu)

Konkret

Neumond (u4.sakar / ar-ḫu); etc.

Neujahr (zag-mu / za-muk-ku); etc.

Mittag (u4-sa9-àm / mi-šil u4mu); Tag des Verschwindens des Mondes (u4.ná.àm / bu-ub-bulu); Böser Tag (u4.ḫul.gál / u4-mu lem-nu); etc.

Wie schon in allgemeiner Hinsicht von M. Schwarz postuliert, nimmt die Basisebene auch im Alten Orient die primäre Ebene der Benennung ein. Von der Basisebene ausgehend, können weitere spezifische Zeitbegriffe abgeleitet werden, um konkrete Zeitpunkte auszudrücken. Die abstrakte Ebene, in der alles unter ein gemeinsames Stichwort (Zeit) subsumiert wird, fehlt hingegen. Trotz eines fehlenden Wortes für Zeit waren sowohl die sumerische als auch die akkadische Sprache durchaus in der Lage, das Phänomen Zeit auf einer allgemeineren Ebene zu umschreiben. Phrasen, die mit einer Kombination der Begriffe für Tag, Monat und Jahr sowie Tag und Nacht (mūšam u urram) operieren, kommen einer sprachlichen Abstraktion des Phänomens Zeit am nächsten.64 Den bisherigen Ausführungen nach handelt es sich bei den Zeitbegriffen ūmu – „Tag“, (w)arḫu – „Monat“ und šattu – „Jahr“ also um die zentralen Zeitbegriffe,

62

Vgl. dazu auch die Ausführungen Edzards zum nicht voraussagbaren Aufbau und Anordnungsprinzipien lexikalischer Listen in Edzard, Die lexikalischen Listen – verkannte Kunstwerke?. 63 Schwarz, Einführung in die kognitive Linguistik, 113. 64 Für weitere Beispiele siehe CAD š2, šattu 1 i, 204.

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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sowohl im Sumerischen als auch im Akkadischen. Diese stellen die primären Zeiteinheiten dar, die wiederum als Grundlage für die babylonisch-assyrische Zeitrechnung und den Kalender dienten. Auf sprachlicher Ebene ermöglichen sie die Darstellung der Zeit. Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit orientiert sich damit direkt an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Bereits G. J. Selz hat in seinem Artikel Vom „vergangenen Geschehen“ zur „Zukunftsbewältigung“ auf die zentrale Rolle dieser drei Begriffe schon in frühesten Schriftzeugnissen hingewiesen.65 Im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie wird sich zeigen, dass alle Aspekte des Zeitkonzeptes immer wieder auf diese drei Zeiteinheiten Bezug nehmen. So richtet etwa Marduk im Enūma eliš die wahrnehmbare Zeit ein, indem er Jahr, Monat und Tag offenbar werden lässt.66 Eine hervorgehobene Stellung nimmt der Tag (ūmu) ein.67 Dies zeigt sich in der akkadischen Sprache beispielsweise an adverbiellen Ausdrücken wie ina ūmišu – „zu der Zeit“ oder inūma – „als“, die oftmals das Element Tag enthalten. Es wird aber auch an der oben dargestellten Liste ur5-ra = ḫubullu deutlich, wo die Zeitbegriffe, die mit dem Tag in Verbindung stehen, nicht nur am Beginn des Textabschnitts platziert wurden, sondern auch quantitativ die meisten Zeilen in Anspruch nehmen. Eine mögliche Erklärung für die Bedeutung des Tages in der sprachlichen Darstellung von Zeit findet sich in früheren sumerischen Texten. Bereits J. J. A. van Dijk hat in seinem Artikel le motif cosmique dans la pensée sumérienne herausgearbeitet, dass kosmogonische Ereignisse in der sumerischen Literatur häufig durch die Phrase u4-ri-a eingeleitet werden, die er in Anlehnung an die religionswissenschaftlichen Arbeiten von M. Eliade mit „in illo die“ übersetzt.68 Das sumerische Wort für Tag (u4) wird in dem Kontext genutzt, um einen ansonsten recht unspezifischen Verweis auf eine lange zurückliegende Vergangenheit herzustellen. Auch M. P. Streck hat in seiner umfangreichen Untersuchung der Prologe sumerischer Epen dargelegt, dass der Rückverweis auf die ferne, mythische Vergangenheit ein häufiges Motiv bildet. Streck betont dabei, dass der Rückbezug auf die ferne Vergangenheit sowohl inhaltlich durch die Schilderungen einer Urzeit hergestellt wird als auch grammatisch durch die Verwendung von adverbiellen Ausdrücken der Zeit.69 Letztere werden dabei vornehmlich durch das Wort u4 – 65

Selz, Vom „vergangenen Geschehen“ zur „Zukunftsbewältigung“, 466. Siehe Kapitel 5.1. 67 Selz, Vom „vergangenen Geschehen“ zur „Zukunftsbewältigung“, 466. Vgl. auch Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit 32 f. 68 Van Dijk, Le motif cosmique, 16–34. Die darauf aufbauende Forschungsdiskussion widmet sich vornehmlich den sumerischen Vorstellungen des Schöpfungsgeschehens und soll daher an dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Einen Überblick über die Diskussion bietet Metzler, Tempora in altbabylonischen literarischen Texten, 304–309. 69 Streck, Die Prologe der sumerischen Epen, 230 f. 66

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Teil I: Einführung in die Thematik

„Tag“, aber auch durch gi6 – „Nacht“ und mu – „Jahr“ gebildet.70 Sowohl van Dijk als auch Streck führen die ersten Zeilen von Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt als Beispiel für Ihre Erläuterungen auf: Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt, 1–571 1) u4 re-a u4 sù-rá re-a 2) ĝi6 re-a ĝi6 ba9-rá re-a 3) mu re-a mu sù-rá re-a 4) u4 ul níĝ-du7-e pa éd-a-ba 5) u4 ul níĝ-du7-e mí zid dug4-ga-a-ba 1) 2) 3) 4) 5)

In jenen Tagen, in jenen fernen Tagen, in jenen Nächten, in jenen entfernten Nächten, in jenen Jahren, in jenen fernen Jahren, in den fernen Tagen, als das Vollkommene hervorgekommen war, in den fernen Tagen, als das Vollkommene auf rechte Weise gepriesen worden war.

Der Beginn dieses Textes veranschaulicht den Rückverweis auf die ferne, mythische Vergangenheit, indem konkret die Zeitbegriffe für Tag, Nacht und Jahr aufgeführt werden. Das Element Tag (u4) wird dabei gleich mehrmals verwendet, um den vergangenen Zeitraum zu umschreiben. Auch der Übergang des Prologs in die eigentliche Erzählung wird eingeleitet mit den Worten u4-bi-a – „damals“ bzw. wörtlich „in diesen Tagen“. Diese Form der temporalen Einleitung findet sich möglicherweise bereits in deutlich älteren Texten. So beschreibt R. K. Englund eines der frühesten literarischen Zeugnisse, das ebenfalls mit u4 beginnt und ggf. als mythologische Einleitung der gerade beschriebenen Art gelesen werden kann.72 Insgesamt wird das Element u4 im Sumerischen vielfach genutzt, um adverbiale Ausdrücke der Zeit zu bilden, so z.B. in der bereits im Beispiel verdeutlichten Form u4 …-a – „an dem Tag, als“, aber auch in weiteren Formen wie u4 …-a-ta – „nachdem“, u4-da – „heute, wenn“ und u4-kúr – „künftig“.73 Doch nicht nur diverse Zeitadverbien wurden im Sumerischen mit u4 gebildet, sondern auch die Tageszeiten. So wird der Morgen als u4-è(-a) bezeichnet, was wörtlich mit „herausgehender Tag“ übersetzt werden kann.74 Die „Mittagszeit“ wird mit u4-sa9-a wiedergegeben und u4-te(-en/-na) bezeichnet den „Abend“ bzw. 70

Vgl. Tabelle 2 bei Streck, Die Prologe der sumerischen Epen, 231. Textbeispiel 1 bei Streck, Die Prologe der sumerischen Epen, 194 f. 72 Englund, Mesopotamien: Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit, 99 f. 73 Siehe für weitere Beispiele den Sumerischen Zettelkasten (Version vom 26.9.2006) unter dem Stichwort u4 sowie Foxvog, Introduction to Sumerian Grammar, 50. 74 Vgl. die Übersetzung im Sumerischen Zettelkasten (Version vom 26.9.2006), 668, von u4-è(-a) mit „breaking daylight“ und „rising day“. 71

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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die „Abendkühle“. Auch charakteristische Tage des Monats werden durch u4 eingeleitet, wobei Bezug auf das Erscheinungsbild des Mondes genommen wird. So bedeutet u4-nú-a – „Neumond“ und u4-sakar kann sowohl den Mond im Allgemeinen als auch speziell den „Tag des Neulichts“ bezeichnen. Dies stellt nur eine Auswahl an Beispielen dar, aber es verdeutlicht, dass der Tag im Sumerischen sowohl auf sprachlicher als auch schriftlicher Ebene ein zentrales Element von Zeitbegriffen darstellt. Der Exkurs zu den sumerischen Zeitbegriffen kann möglicherweise eine Erklärung liefern, warum im sumerisch-akkadischen Schrifttum kein eigenes Wort für Zeit genutzt bzw. benötigt wurde. Im Verlauf des 3. Jt. v. Chr. kam es zunächst zu engen sprachlichen Kontakten zwischen dem Sumerischen und dem Akkadischen und letztendlich auch zu der Bilingualität, die die Kulturen Mesopotamiens bis zum Ende des Keilschriftgebrauchs auszeichnet. Dadurch, dass Sumerisch und Akkadisch über Jahrhunderte gemeinsam als gesprochene Sprachen nebeneinander existierten, haben sich beide im Zuge des Sprachkontakts auch nachweislich beeinflusst. So lassen sich im Vokabular beider Sprachen Lehnwörter der jeweils anderen Sprache finden.75 Man kann davon ausgehen, dass durch die Lehnwörter und den gleichzeitig bestehenden Kultur- und Sprachkontakt auch die dahinterstehenden Konzepte transportiert wurden. Im Akkadischen verstärkt sich der Effekt noch einmal dadurch, dass zahlreiche sumerische Wörter nicht nur als Lehnwörter übernommen, sondern noch wesentlich mehr Wörter auf der Schriftebene als Logogramme genutzt und so mit akkadischen Wörtern in Verbindung gebracht wurden – v.a. in den gelehrten Texten des 1. Jt. v. Chr. Dazu zählen wiederum auch die oben genannten Zeitausdrücke. So kann das Logogramm u4 genutzt werden, um das akkadische Wort für Tag (ūmu) wiederzugeben. Gleichzeitig wird das Logogramm, in Anlehnung an die oben beispielhaft aufgeführte Einleitung, verwendet, um das Wort inūma – „als“ darzustellen, das in der gleichen Verwendung den zeitlichen Rückbezug herstellt. Gleiches gilt für inūmišu – „damals“, das mit dem sumerischen u4-bi-a geglichen werden kann. Wenn also im Akkadischen wie im Sumerischen oft Zeitwörter genutzt werden, die auf etymologischer und schriftlicher Ebene mit den Wörtern für Tag zusammenhängen, stellt sich die Frage, ob die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit nicht entscheidend durch sumerische Einflüsse geprägt worden war.76 Daran schließt sich die Frage an, inwiefern das Konzept von Zeit im 1. Jt. v. Chr. insgesamt auf wesentlich ältere Einflüsse zurückgeht und wenn ja, ob diese unverändert tradiert oder im Laufe der Zeit verändert oder erweitert wurden. Während der Einfluss des Sumerischen auf die sprachliche Realisierung von Zeit al-

75

Vgl. Jagersma, A Descriptive Grammar of Sumerian, 3 f. Vgl. auch Emelianov, Temporal Concepts, 20 f. Der anfangs erläuterte Abschnitt zu Zeitbegriffen in ur5-ra = ḫubullu mag diese Annahme unterstreichen, letztendlich bleibt sie aber aufgrund mangelnder Beweisbarkeit hypothetisch. 76

22

Teil I: Einführung in die Thematik

lenfalls hypothetisch angenommen werden kann, finden sich doch deutliche Anzeichen für eine bis in das 3. Jt. v. Chr. zurückreichende Tradierung der mit dem Phänomen Zeit verbundenen Konzepte, die in den einzelnen Kapiteln näher betrachtet wird.

2.2) Abgeleitete Zeitbegriffe Die Tage, Monate und Jahre zeichnen sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie in ihrer Länge fest definiert und dadurch konkret messbar sind. Dadurch sind sie wiederum unabhängig von ihrem sozialen Kontext anwendbar, um zeitliche Relationen herzustellen. Daneben gibt es aber weitere Termini, die bestimmte Zeitpunkte oder Zeiträume kennzeichnen. Diese werden von bestimmten sozialen oder wirtschaftlichen Ereignissen abgeleitet. Ihre Dauer ist dementsprechend eher vage durch die Länge des zugrundeliegenden Ereignisses definiert.77 Ein Beispiel für einen aus dem sozialen Leben entlehnten Zeitbegriff ist bala / palû, der im Allgemeinen eine Regierungs- oder Amtszeit umschreibt, sei es die eines Amtsträgers, des Königs selbst, oder gar einer ganzen Dynastie.78 Wie S. B. Murphy bereits beschrieben hat, impliziert der Begriff die Idee von Rotation und Periodizität.79 Dabei ist eine Regierungs- oder Amtszeit keine präzise vordefinierte, temporale Einheit. Ihre Dauer variiert naturgemäß, da sie von der Lebenszeit des individuellen Amtsträgers abhängig ist und sich somit kaum dazu eignet, objektiv zeitliche Relationen herzustellen. Dennoch kommt bala / palû in bestimmten Kontexten zur Anwendung, etwa in historischen oder historisierenden Texten. Die sumerische Königsliste kann wohl als bekanntestes Beispiel dafür herangezogen werden. Der Verlauf der Geschichte wird dort durch aufeinanderfolgende Dynastien verdeutlicht. Allerdings werden auch hier ergänzend die – wenn auch fiktiven – Regierungsjahre angegeben. Eine gewisse Sonderstellung nehmen die assyrischen Eponyme (līmu) ein. Dieses Amt war jeweils auf ein Jahr begrenzt, wobei jeder König in seinem Akzessionsjahr selbst das Eponymat übernahm. Die Namen der Eponyme wurden somit tatsächlich für eine objektive Datierung herangezogen.80 Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Ökonomie bildet die Erntezeit (ebūru). Dieser Begriff kann in seiner Grundbedeutung schlicht mit „Ernte“ übersetzt werden. Gleichzeitig wurde das Wort, zumindest in altbabylonischer Zeit, auch genutzt, um den Zeitpunkt der ökonomischen Aktivität zu bezeichnen.81 In 77

Im Folgenden werden zur Illustration ausgewählte Beispiele aufgezeigt. Für eine umfassende Zusammenstellung akkadischer Zeitbegriffe sei noch einmal auf den bereits genannten Index XXXI des Deutsch-Akkadischen Wörterbuchs verwiesen. 78 Vgl. CAD p, palû A, 70. Siehe auch Edzard, La vision du passé et de l’avenir en Mésopotamie, 161, und Galter, „eine Zeit um zu herrschen …“, 655–663. 79 Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 248. 80 Millard, The Eponyms of the Assyrian Empire, 1. 81 Vgl. CAD e, ebūru 3., 19, mit der Anmerkung wird, dass sich die Verwendung auf die

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

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diesem Sinne diente ebūru auch über die altbabylonische Zeit hinaus als Synonym für die Sommermonate.82 Damit erlaubt die Erntezeit präzisere temporale Aussagen als die zuvor erwähnte Regierungszeit. Dennoch fehlt auch hier die Präzision der prototypischen Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei der Verwendung des Begriffs mēreštu – „kultiviertes Feld“, der analog dazu genutzt wurde, um die Zeit der Aussaat zu bezeichnen.83 Aus dem semantischen Feld der Tageszeiten gibt es für diese Vorgehensweise ebenfalls Beispiele. Diese hat M. P. Streck in seinem Artikel The Terminology for Times of the Day in Akkadian umfassend aufgeführt und besprochen.84 So konnte etwa die Zeit des Abends durch verschiedene Termini umschrieben werden, die auf abendlich durchgeführten Aktivitäten beruhen.85 Als Beispiel sei naptanu genannt, das grundlegend als „Mahl“, aber nach dem hier dargestellten Schema auch mit „Abendmahl“, oder „Zeit des Abendmahls“ übersetzt werden kann.86 Zusätzlich zu sozialen und ökonomischen Aktivitäten wurde auch von Zuständen der physischen Umwelt Gebrauch gemacht, um Zeitbegriffe abzuleiten. Streck hat herausgearbeitet, dass sich die Benennungen von Tageszeiten auf die dabei vorhandene Intensität des Sonnenlichts oder die Position der Sonne beziehen können, so z.B. bei ṣīt šamši – „Sonnenaufgang“, oder bei der als barārītu87 bekannten ersten Nachtwache. Auch die Temperaturen zu einer bestimmten Tageszeit konnten bei der Benennung eine Rolle spielen. So kann sich kaṣâtu – „Morgenkälte“ auf die Zeit des Morgens beziehen; kīṣu – „Kälte des Tages“ etwas allgemeiner auf die Kühle am Morgen oder auch am Abend. Gerade die Temperaturen werden nicht nur als Faktor bei der Umschreibung von Tageszeiten genutzt, sondern auch um die Jahreszeiten selbst zu benennen.88 Demnach wird der Sommer nicht nur im Sinne der Tätigkeit der Ernte als ebūru bezeichnet, sondern auch nach dem charakteristischen Merkmal der zugleich herrschenden Hitze als ummātu.89 Dem entsprechend wird der Winter in Anlehnung an die dafür charakteristische Kälte mit kuṣṣu wiedergegeben.90 Zu den abgeleiteten Zeitbegriffen zählen auch die Termini für Vergangenheit und Zukunft. Bemerkenswert ist, dass zwei der verwendeten Bezeichnungen für beide temporalen Richtungen Verwendung finden. Dabei handelt es sich um die altbabylonische Zeit beschränkt. 82 Vgl. insgesamt CAD e, ebūru, 16–20. 83 CAD m2, mēreštu 3., 24. 84 Streck, The Terminology for Times of the Day in Akkadian, 587 f. 85 Streck, The Terminology for Times of the Day in Akkadian, 588. 86 Vgl. CAD n1, naptanu 2., 323. Für weitere Beispiele siehe Streck, The Terminology for Times of the Day in Akkadian, 588. 87 Vgl. CAD b, barāru A, 107: „Barārītu is the time of day when one perceives objects only dimly in the descending darkness; (…)“. 88 Vgl. Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 248. 89 Vgl. CAD u, ummu B 2., 132. 90 Vgl. CAD k, kuṣṣu 2., 595 f.

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Teil I: Einführung in die Thematik

Termini rūqu und ṣiātu. Sowohl rūqu als auch ṣiātu stehen semantisch für die „Ferne“. Analog dazu können sie sich im temporalen Kontext auf eine ferne Zeit beziehen. Ob diese in der Zukunft oder in der Vergangenheit liegt, hängt vom Kontext der Verwendung ab. Ein mitunter für die Benennung vergangener Zeiten genutzter Begriff ist labīru.91 Diese Bezeichnung umfasst generell das semantische Feld des „Alten“, wodurch der zeitliche Bezug auf vorherige, d.h. vergangene Zeiten hier nun eindeutig ist. Ein wiederum dezidiert auf die Zukunft ausgerichteter Begriff ist aḫrâtu.92 Zwei weitere Wörter finden Verwendung, um Vergangenheit und Zukunft auszudrücken: pānu bzw. panītu und warkītu. Das erste Wort, pānu, bezeichnet grundsätzlich die „Vorderseite“. Zusammen mit der davon abgeleiteten Form panītu hat es aber auch die Bedeutung „Vergangenheit“.93 Warkītu steht etymologisch mit arkatu – „Rückseite“ in Verbindung und bezeichnet in Analogie für die Zukunft. Anhand der beiden Begriffe pānu / panītu und warkītu hat sich in der altorientalistischen Forschung die Ansicht verbreitet, der altorientalische Blick in die Zukunft und die Vergangenheit sei dadurch geprägt, dass die Vergangenheit aus altorientalischer Perspektive im Angesicht des Menschen liege, die Zukunft aber in dessen Rücken.94 Es handele sich dementsprechend um eine Vorstellung, die der modernen Sicht, in der die Zukunft vor dem Menschen liegt, genau entgegengesetzt sei. Diese Vorstellung von altorientalischer Zeitwahrnehmung geht zurück auf den 1982 von C. Wilcke publizierten Artikel Zum Geschichtsbewusstsein im Alten Mesopotamien.95 Gegen diese Ansicht hat sich jedoch M. P. Streck in seinem Artikel Temporal adverbs in Akkadian ausgesprochen.96 Im Rahmen seiner Kritik verweist Streck auf entsprechende linguistische Literatur, anhand derer sich zeigen lässt, dass zahlreiche Sprachen aus verschiedensten Sprachfamilien die räumlichen Metaphern „davor“ und „dahinter“ nutzen, um einen zeitlichen Bezug zur Vergangenheit und Zukunft herzustellen.97 Auf diese Daten gestützt, macht Streck darauf aufmerksam, dass es sich dabei also keineswegs um ein altorientalisches Phänomen handele und man zudem nicht von der Sprache direkt auf eine Weltanschauung schließen dürfe. Wie Streck anführt, gibt es zudem auch keine direkten Aussagen in Texten, die darauf hinweisen, dass die Vergangenheit tatsächlich als vor dem Menschen liegend und

91

Vgl. CAD l, labīru 2, 32 f. Vgl. CAD a1, aḫrâtu 1, 194. 93 CAD p, panu A 5., 90–92. 94 Vgl. Maul, Walking Backwards into the Future, 15 f., und Edzard, La vision du passé et de l’avenir en Mésopotamie, 157. So zuletzt auch Emelianov, Temporal Concepts, 22. 95 Wilcke, Zum Geschichtsbewusstsein im Alten Mesopotamien, 31. 96 Streck, Temporal Adverbs in Akkadian, 12–17, mit Verweisen auf ältere Forschungsliteratur. 97 Siehe Streck, Temporal Adverbs in Akkadian, 13, Anm. 11, für die entsprechenden Literaturangaben. Siehe auch Rubio, Time before Time, 11 f. 92

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

25

die Zukunft hinter ihm liegend gedacht war.98 S. Fink wiederum geht auf die Kritik von Streck ein und postuliert, dass diese zumindest teilweise an den dargestellten Ideen von Wilcke und später S. M. Maul vorbeigehe, da diese die Besonderheit in der oben dargestellten Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft sehen und nicht in deren linguistischer Ausdrucksform. Fink wiederholt dabei jedoch lediglich die Argumentation, dass die vermeintlich spezifische Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft „durch die Verwendung von Gesicht und Rücken sehr nahegelegt wird“ und verweist darauf, dass diese Vorstellung in den Beiträgen von Wilcke und Maul lediglich als Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen diente. Fink argumentiert somit gegen Streck, vermag dessen Kritik aber nicht zu entkräften.99

2.3) adannu, simanu und ṭuppi Mit adannu und simanu kennt das Akkadische zwei weitere temporale Ausdrücke, die zwar im Vergleich zu den abgeleiteten Zeitbegriffen eine neutralere Nutzung zulassen, die abstrahierende Bedeutungsebene der primären Zeiteinheiten aber nicht erreichen. Beide Lexeme können dem spezifischen Bedeutungsbereich „Zeitpunkt“ oder „Termin“ zugeordnet werden.100 Das Lexem adannu / adānu, das eher als „Termin“ aufgefasst werden kann, kennzeichnet „a moment in time at the end of a specified period“, bzw. „a period of time of predetermined length or characterized by a sequence of specific events“.101 Die Etymologie des Wortes unterstreicht die spezifische Bedeutung noch einmal deutlich: Das Wort adannu / adānu stammt von der Wurzel wʿd – „festsetzen“ ab.102 J. A. Thompson merkt dazu folgendes an: „The idea of “fixing a time” is represented by this root in all Semitic languages.“103 Das Wort bezeichnet somit einen festgelegten Zeitpunkt bzw. eine entsprechende Zeitspanne. In Anlehnung daran kann der Begriff mitunter auch als „günstige“ Zeit aufgefasst werden, da Ereignisse, die zu ihrer angedachten Zeit eintraten, als vorteilhaft gesehen wurden.104 Der Begriff simanu kann in ganz ähnlicher Funktion mit „(richtiger) Zeitpunkt“ übersetzt werden.105 Wie die Übersetzung bereits andeutet, hat auch dieser

98

Streck, Temporal Adverbs in Akkadian, 12–17. Fink, Einfluss der Sprache, 170, Anm. 12. 100 Vgl. von Soden, Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient, 37. 101 CAD a1, adannu, 97. Siehe auch AHw I, adānum, 10. 102 Bezold, Babylonisch-Assyrisches Glossar, 4, und AHw I, adānum, 10. 103 Thompson, Expansions of the ‫ עד‬Root, 229. 104 Bodi, Akkadian and Aramaic Terms for a ‘Favorable Time’, 47–56. 105 AHw II, simānu(m) I, 1044. 99

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Teil I: Einführung in die Thematik

Begriff eine sehr spezifische semantische Bedeutung: simanu wird ebenfalls verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass ein Ereignis an seinem dafür vorgesehenen Zeitpunkt bzw. Zeitrahmen stattgefunden hat. Diese Bedeutungsnuance wird auch hier wieder durch die Etymologie des Wortes unterstrichen, da sich simanu sich von wasāmu – „angemessen sein“ ableitet.106 Sowohl adannu als auch simanu können sich in ihrer beschriebenen Bedeutung beispielsweise auf Jahreszeiten beziehen, ebenso wie auf das vorgesehene Erscheinen astraler und meteorologischer Phänomene.107 Sie werden auch genutzt, um den richtigen Zeitpunkt für die Durchführung bestimmter Handlungen anzuzeigen, etwa von Ritualen.108 Erwähnenswert ist auch das Adverb ṭuppi/ṭuppu, das ebenfalls einen spezifischen Zeitraum bezeichnet und, ähnlich wie die zuvor besprochenen Zeitwörter adannu und simanu, ebenfalls die Bedeutung von „angemessener Zeit“ tragen kann.109 Ṭuppi/ṭuppu beschreibt dabei einen Zeitraum von einem Jahr, der sich von dem primären Zeitbegriff šattu dadurch unterscheidet, dass er vornehmlich auf wirtschaftliche, administrative und rechtliche Kontexte angewendet wird.110 Von Interesse ist jedoch die weitere, wenn auch noch unklare Bedeutung „balance(?) of a period of time“.111 Diese wird in astronomisch-divinatorischen Kontexten verwendet und scheint auf einen bestimmten Zeitpunkt des kalendarischen Jahres abzuzielen. Der Einblick in die sprachliche Ebene hat ergeben, dass die sumerische und die akkadische Sprache zwar eines abstrakten Wortes für Zeit entbehrten, die sprachliche Realisierung des Phänomens deswegen aber keineswegs eingeschränkt war. Vielmehr bediente man sich eines differenzierten Systems, das verschiedenste temporale Konstellationen darstellen konnte – von sehr präzisen Zeitangaben bis hin zu eher groben Zeiträumen und -Punkten. Besonders sticht heraus, dass die sprachliche Realisierung von Zeit direkt auf die Lebenswelt der Menschen zurückgeführt werden kann.112 Ganz im Sinne der sozialen Zeit stellten sowohl die physische als auch die soziale Umwelt Referenzpunkte bereit, anhand derer der Verlauf der Zeit wahrgenommen werden konnte. Von fundamentaler Bedeutung für die Beschreibung der Zeit waren die Wörter für Tag, Monat und Jahr. Diese, durch die Bewegungen der Himmelskörper hervorgerufenen Zeiteinheiten lassen sich präzise messen und beobachten. Durch die zugrundeliegende Präzision und gleichzeitig kontextunabhängige Anwendbarkeit 106

Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 256 f., Anm. 44. Vgl. Fales, Time in Neo-Assyrian Letters, 96. Siehe auch Brown, Astral Divination, 88. 108 CAD s, simānu A, 268–271. 109 CAD ṭ, ṭuppi, 126–129. 110 Freydank – Prechel, Lexikalisches aus der mittelassyrischen Tempelverwaltung, 239. 111 CAD ṭ, ṭuppi c, 128 f. 112 Selz, Vom „Vergangenen Geschehen“ zur „Zukunftsbewältigung“, 466. 107

2) Die sprachliche Realisierung des Phänomens Zeit

27

stellen Tage, Monate und Jahre die primären Bezugspunkte bei der Wahrnehmung von Zeit im Alten Orient dar.113 Sie bilden die Grundlage des altorientalischen Kalenderwesens und sind – wie im weiteren Verlauf der Untersuchung deutlich wird – von zentraler Wichtigkeit für das Verständnis des altorientalischen Konzepts von Zeit. Die Tage, Monate und Jahre werden im Kontext der Arbeit daher als primäre Zeiteinheiten betitelt. Viele Wörter, die dem Begriffsfeld der Zeit zugeordnet werden können, entstammen aber auch der sozialen und anderweitig physischen Umwelt der Menschen sowie ihrer ökonomischen Aktivitäten. Auch weitere, der alltäglichen Sprache entnommene Wörter, wie die Bezeichnungen für Vergangenheit und Zukunft, können dieser Kategorie zugeordnet werden. Diese Zeitbegriffe zeichnen sich dadurch aus, dass sie allerdings oft nur vage Zeitpunkte und Zeiträume abbilden und daher nicht für kalendarische Zwecke herangezogen werden konnten.

113

Vgl. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 32 f.

Teil II: Die Zeit in der Natur N. Elias kommt in seinem Essay Über die Zeit zu dem Schluss: „Wenn alles stillstände, könnte man nicht von „Zeit“ sprechen.“114 Im Gegensatz zu den meisten anderen Naturphänomenen ist die Zeit nur indirekt wahrnehmbar. Sie offenbart sich den Menschen erst durch Veränderungen des Raumes, in dem sie sich aufhalten. Diese Veränderungen kann der Mensch beobachten und so einen Verlauf der Zeit feststellen. Die Veränderungen des Raumes können Geschehnisse jeder Art sein, allen voran aber die Zyklen der Natur.115 Die Analyse der zeitbezogenen Terminologie deutet bereits darauf hin, dass die Wahrnehmung der Zeit auch im Alten Orient maßgeblich durch die physische Umwelt der Menschen geprägt wurde. Weiterhin postuliert Elias, man könne die Zeit in der Natur und die Zeit in der Gesellschaft nicht unabhängig voneinander betrachten. Vielmehr müsse man sich sowohl mit der physikalischen Zeit als auch mit der sozialen Zeit beschäftigen.116 Diesen Punkten soll auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit Rechnung getragen werden. So werden in den folgenden Kapiteln zunächst die im weitesten Sinne naturkundlichen Betrachtungen zum Thema Zeit in den Blick genommen. Die Untersuchung von naturkundlichen Konzepten von Zeit wird allerdings durch den Umstand erschwert, dass die Gelehrtentradition des Alten Orients keine naturphilosophischen Traktate kannte, wie sie aus der klassischen Antike überliefert sind. Dennoch wurden in unterschiedlichen Quellen Informationen transportiert, die den Blick der Menschen auf die Zeit als Phänomen der Natur enthüllen. Dabei handelt es sich gleichermaßen um religiöse, mythische und sternenkundliche Texte, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen von Zeit hervorheben.

3) Exkurs: Das babylonisch-assyrische Naturverständnis Bevor die Zeit in der Natur näher betrachtet werden kann, ist es unabdingbar, zunächst auf die Vorstellungen und Eigenschaften von Natur im Alten Orient näher einzugehen. Die Begriffe Natur und naturkundlich, die zuvor und auch im Folgenden zur Anwendung kommen, sind nicht ohne weiteres auf den Alten Orient übertragbar. Einen ersten, umfassenden Einblick in die Thematik gibt T. Jacobsen in seinem 1946 erschienen Artikel The Cosmos as a State. Er veranschaulicht darin den Blick der mesopotamischen Menschen auf die sie umgebende Natur. M. Schretter, 114

Elias, Über die Zeit, 92. Vgl. Elias, Über die Zeit, 61 f. 116 Vgl. Kapitel 1.2.1. 115

3) Exkurs: Das babylonisch-assyrische Naturverständnis

29

der sich speziell mit den Schilderungen von Natur im Rahmen des sumerischen Wortschatzes beschäftigt hat, stellte heraus, dass es kein Wort gab, das mit dem modernen Naturbegriff korrespondiert.117 Einen weiteren umfassenden Artikel, der sich dem Thema Natur sowohl aus philologischer als auch archäologischer Sicht widmet, hat A. Leo Oppenheim verfasst. Oppenheim gibt darin einen breiten Überblick über die einzelnen Phänomene und Erscheinungsformen der Natur im Alten Orient, von der Kosmogonie, über die unmittelbare Umwelt der Menschen bis hin zu den einzelnen Phänomenen. Er zeigt, wie die Menschen diese Naturerlebnisse in den Schriftquellen verarbeitet haben. Darüber hinaus thematisiert Oppenheim den Umgang der Menschen mit den Rohstoffen, die ihnen zur Verfügung standen und beschreibt schließlich die Technologien, die Menschen entwickelt und genutzt haben.118 Eine aktuelle und umfassende Betrachtung des Themas findet sich in F. Rochbergs Werk Before Nature. Cuneiform Knowledge and the History of Science. Rochberg diskutiert darin die babylonisch-assyrische Wissenskultur im Hinblick auf deren Stellung in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht. In diesem Zusammenhang geht sie auch ausgiebig auf die Frage nach altorientalischen Naturkonzepten ein. Rochberg kommt zu dem Schluss, dass nicht nur der Naturbegriff im Alten Orient fehlte, sondern das gesamte Konzept der Natur als „physically constituted framework“119 für die beobachteten Phänomene nicht vorhanden war.120 „It seems to me that the world-picture in which the cuneiform scribe operated was constructed of other structures, other scaffolding, to use a metaphor of Wittgenstein’s, than that which we call nature. The scaffolding of the cuneiform scribes’ world might be described in terms of divine design, as in the expression “the designs of heaven and earth” (uṣurāt šamê u erṣeti) or “the enduring designs of the gods (uṣurāt ilī kīnāti), but these expressions do not convey notions of a material essence or an independent rationality apart from divine will.“121 Doch auch wenn Natur als konstituierender Sammelbegriff fehlt, lässt sich nach Auffassung von Rochberg erkennen, dass auch die Menschen des Alten Orients

117

Schretter, Einige Bemerkungen zu ‚Natur‘ im Spiegel des sumerischen Wortschatzes, 1–18. 118 Oppenheim, Man and Nature in Mesopotamian Civilisation, 634–666. 119 „But before the concept of nature took shape, and changed shape, across the long history of European and Islamic natural philosophy and science, […] , for an equally long period, beginning roughly in the early second millennium BCE a learned cuneiform world in the ancient Near East engaged in activities manifestly kindred with science in some of the ways it observed and understood phenomena, yet did not seek to ground its understanding in a physically constituted framework.“ Rochberg, Before Nature, 25. 120 Rochberg, Before Nature, 4–7, 19 f. und 33 f. 121 Rochberg, Before Nature, 29.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

eine Ordnung hinter den Phänomenen ihrer Umwelt sahen.122 „The universe was considered in its parts, various “heavens”, earth, underworld, and the subterranean Abzu, as domains of gods or of places for visible phenomena. Phenomena were considered in terms of what was regular and irregular, and periods for the celestial phenomena were constructed around a sense of the ideal as well as of consideration of observational experience.“123 Die einzelnen Komponenten der Natur wurden jedoch nicht ausschließlich materiell gedacht. Sie konnten – v.a. in mythischen und rituellen Kontexten – auch personifiziert in Erscheinung treten.124 Die Ordnung des Kosmos war dabei kein unabhängiges, in sich geschlossenes System. Dies zeigt sich eindrücklich in den mythischen Passagen des Enūma eliš und Enūma Anu Enlils, die in Kapitel 5.1 näher betrachtet werden.125 Gemäß dieser Texte sind es die Götter, die durch ihre Beschlüsse die Welt und ihre Bestandteile etablieren, organisieren und letztendlich aufrechterhalten.126 Dass die Natur im oben genannten Sinne dem Wirken der Götter unterworfen war, veranschaulicht der Beginn der vierten Tafel des Enūma eliš, in der Marduk erstmals in der Versammlung der Götter erhöht und mit Machtbefugnissen ausgestattet wird. Wie weit die Befugnisse Marduks dabei gehen, veranschaulichen die darauffolgenden Zeilen, in denen die Götter Marduk auffordern, seine neu gewonnene Macht an einer Sternkonstellation zu demonstrieren. Enūma eliš IV, 19–28127 19) uš-zi-zu-ma i-na bi-ri-šú-nu lu-ma-šá iš-ten 20) an damar.utu bu-uk-ri-šu-nu šu-nu iz-zak-ru 21) ši-mat-ka be-lum lu-ú maḫ-rat dingir.dingir-ma 22) a-ba-tum ù ba-nu-ú qí-bi li-ik-tu-nu 23) ep-šu pi-i-ka li-ˀ-a-bit lu-ma-šu 24) tu-ur qí-bi-šum-ma lu-ma-šu li-iš-lim 25) iq-bi-ma i-na pi-i-šu iˀ-a-bit lu-ma-šu 26) i-tur iq-bi-šum-ma lu-ma-šu iš-tab-ni 27) ki-ma ṣi-it pi-i-šu i-mu-ru dingir.dingir ad.ad-šu 28) iḫ-du-ú ik-ru-bu damar.utu-ma lugal 19) Sie ließen zwischen sich ein Sternbild stehen und 20) sprachen zu Marduk, ihrem Erstgeborenen: 122

Rochberg, Before Nature, 85. Rochberg, Before Nature, 283. 124 Vgl. Galter, Enkis Haus und Sanheribs Garten, 43–50. 125 Vgl. Rochberg, Before Nature, 182 f. 126 Rochberg, Before Nature, 170 f. und 184 f. 127 Lambert, Babylonian Creation Myths, 86. 123

3) Exkurs: Das babylonisch-assyrische Naturverständnis

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21) „Dein Schicksal, Herr, möge den Göttern gleich sein! 22) Vernichten und Erschaffen befehle und es möge Bestand haben. 23) Das Werk deines Mundes möge das Sternbild zerstören; 24) die Umkehr deines Befehls möge das Sternbild heil machen.“ 25) Er befahl mit seinem Mund und das Sternbild wurde zerstört. 26) Er kehrte seinen Befehl um und das Sternbild wurde erschaffen. 27) Sobald die Götter, seine Väter, den Ausspruch seines Mundes sahen, 28) freuten sie sich und grüßten: „Marduk ist König!“ Hieraus wird ersichtlich, dass die Entscheidung über Entstehen und Vergehen der Bestandteile des Kosmos allein bei Marduk lag. Die Textstelle wirkt zugleich wie ein Vorausgriff auf die kommenden Ereignisse, in denen Marduk zunächst Tiāmat tötet und anschließend aus ihrem Leichnam den Kosmos formt, wobei er auch die lumāšu einrichtet und den Himmelskörpern Anweisungen gibt.128 Das Enūma eliš veranschaulicht zudem, dass der Kosmos, d.h. die Natur im weitesten Sinne, zwar durchaus Regeln folgt,129 diese aber kein unabhängiges System bilden, sondern vollständig dem Willen der Götter unterliegen.130 Dies versetzt die Götter in die Lage, mit den Menschen zu kommunizieren. Jegliches Ereignis in der Natur konnte als ominöses Zeichen gedeutet werden, in dem der göttliche Wille zum Ausdruck kam.131 In Annährung an die altorientalischen Vorstellungen werden im Rahmen der vorliegenden Studie unter Natur die Bestandteile der Welt und des Kosmos subsumiert, die von den Göttern geschaffen wurden und die weiterhin unter der Kontrolle der Götter stehen.132 Die Kontrolle über die Komponenten der Natur erlaubt

128

Diese Ereignisse werden auf der 5. Tafel des Enūma eliš geschildert. Siehe dazu Kapitel 5.1. 129 Die genannten Anweisungen Marduks an die Himmelskörper bezeugen das Vorhandensein solcher Regeln. 130 Vgl. auch die Aussage von Rochberg, God-Talk and Star-Talk, 189: „In ancient Near Eastern textual traditions beliefs about the world seem to involve beliefs about gods, and to understand the one seems to entail having to consider the other, bringing cosmology face to face with theology.“ 131 Oppenheim, Perspectives in Mesopotamian Divination, 36. Vgl. Auch Maul, Zukunftsbewältigung, 3. 132 Diese Einteilung führt zwangsläufig dazu, dass mitunter Dinge zur Natur gezählt werden, die aus moderner Perspektive nicht unter dem Begriff subsumiert werden. Vgl. die Lipšur-Litanei in Kapitel 10, in der sowohl Zeiteinheiten als auch Gebirge und Gewässer – darunter auch Kanäle – angerufen werden. Nicht zuletzt zählen dazu auch die Zeiteinheiten, die zwar auf natürlichen Zyklen basieren, aber gemäß der sozialen Zeit von Menschen definiert wurden. Die an dieser Stelle dargestellten babylonisch-assyrischen Naturvorstellungen können allerdings nur eine vorläufige Darstellung bilden, die in dieser Arbeit zur Anwendung

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Teil II: Die Zeit in der Natur

es den Göttern zugleich mithilfe der Zeichen des Himmels und der Erde mit den Menschen zu kommunizieren. Die Menschen wiederum können sich der Schöpfungen der Götter bedienen und diese für sich nutzbar machen. Zugleich können die einzelnen Komponenten der Natur als numinose Wesen in Erscheinung treten. Unter diesen Voraussetzungen zählt auch die Zeit, wahrnehmbar durch die Himmelskörper, zu den Phänomenen der Natur. Sind die Zeiteinheiten aus moderner Perspektive eine durch den Menschen definierte Größe, galten sie den Babyloniern und Assyrer als Schöpfungen der Götter (Kapitel 5). Sie wurden im Zuge der Schöpfung etabliert und waren untrennbar verbunden mit den Zyklen der Himmelskörper (Kapitel 4), durch die sie für die Menschen wahrnehmbar wurden. Die Zeit war ein wichtiger Faktor in der auf Divination beruhenden Kommunikation zwischen Menschen und Göttern (Kapitel 9) und konnte letztendlich auch personifiziert auftreten (Kapitel 10).

kommt. Eine umfassende Analyse der babylonisch-assyrischen Konzepte von Natur bedarf weiterer, systematischer Forschung, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann.

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung In der Einleitung wurde bereits dargelegt, dass die Wahrnehmung der Zeit für jede soziale Gruppe und Gesellschaft subjektiv erfolgt. Somit ist auch von der jeweiligen Gruppe oder Gesellschaft abhängig, welche natürlichen Zyklen zur Wahrnehmung und Messung der Zeit herangezogen werden. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Naturphänomene und Zyklen als Grundlage für die Zeitwahrnehmung im Alten Orient dienten und v.a. welche Funktionen die Zyklen im Einzelnen erfüllten.

4.1) Die Zyklen der Natur als Zeitanzeiger Im babylonisch-assyrischen Kulturraum dienten, wie bei anderen antiken Kulturen auch, verschiedene zyklisch wiederkehrende Naturereignisse als Zeitanzeiger.133 Die Betrachtungen zur sprachlichen Realisierung von Zeit haben bereits gezeigt, dass Zeit als Phänomen vornehmlich über die primären Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag wahrgenommen wurde. Daraus folgt, dass die Wahrnehmung der Zeit untrennbar mit den Bewegungen der Himmelskörper verknüpft war.

4.1.1) Exkurs: Astronomische Grundlagen In dem folgenden Exkurs sollen daher die astronomischen Grundlagen erläutert werden sowie damit einhergehende astronomische Termini, die im weiteren Verlauf der Arbeit Verwendung finden.134 Elementar für die Zeitwahrnehmung ist zunächst das System Erde – Mond – Sonne. Die Erde bewegt sich dabei in einer rechtläufigen, sinngemäß von West nach Ost verlaufenden, leicht elliptischen Bahn um die Sonne, wobei ein Umlauf etwas mehr als 365 Tage benötigt. Der Umlauf der Erde um die Sonne stellt den Referenzrahmen für ein Jahr dar. Da die Erdachse gegenüber der Erdbahnebene um etwa 23,5 Grad geneigt ist, sind die Nord- und die Südhalbkugel der Erde im Laufe des Jahres unterschiedlich stark von der Sonneneinstrahlung betroffen. Dies führt zur Entstehung der Jahreszeiten – ein natürlicher Zyklus, der nicht nur am Himmel, sondern direkt in der gesamten Umwelt des Menschen erfahrbar ist. Ein weiterer auf das Zusammenspiel von Erde und Sonne zurückzuführender Zyklus ist der Wechsel der Tageszeiten, der sich aus der ebenfalls von West nach Ost verlaufenden Rotation der Erde um ihre eigene Achse ergibt. Zu der Interaktion von Erde und Sonne tritt schließlich der Mond hinzu, der – je nach Referenzpunkt

133

Vgl. u.a. Katz, Time in Death and Afterlife, 120, und Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 246. 134 Als Referenz für die folgende Darstellung der physikalischen Begebenheiten diente Der Brockhaus: Astronomie.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

– für einen Umlauf um die Erde durchschnittlich zwischen 27 und 29 Tagen benötigt. Möchte man die Grundlagen der babylonisch-assyrischen Zeitwahrnehmung wiedergeben, muss man indes von einer geozentrischen Sicht ausgehen und sich vor Augen führen, wie der Verlauf der Himmelskörper erscheint, wenn er von der Erde aus beobachtet wird. Als Referenzrahmen für die Beobachtung dient dabei die gedachte Himmelskugel, die sowohl die Erde als Ganzes (geozentrische Himmelskugel) als auch den einzelnen Beobachter (topozentrische Himmelskugel) umgibt. Auf der Himmelskugel wiederum liegen gedachte Linien, sog. Großkreise, zu denen u.a. der Horizont und der Meridian zählen. Beim Meridian, auch Mittagskreis genannt, handelt es sich um einen Großkreis auf der Himmelskugel, der senkrecht auf dem Horizont des Beobachters steht. Er schließt neben dem Nord- und Südpunkt des Horizonts auch die beiden Himmelspole (= Durchstoßpunkte der Erdachse mit der Himmelskugel) sowie den unmittelbar über bzw. unter dem Beobachter gelegenen Zenit und Nadir (= der dem Zenit gegenüberliegende Fußpunkt unterhalb des Beobachters) ein. Für einen Beobachter erreichen die Gestirne in ihrem täglichen Umlauf im Meridian ihre größte Höhe. Horizont und Meridian bilden zusammen die grundlegenden Bezugskreise, an denen sich Beobachter der Himmelskörper orientieren können. Einen weiteren wichtigen Großkreis auf der Himmelskugel bildet die Ekliptik – die scheinbare Bahn der Sonne am Himmel im Verlauf eines Jahres. Aufgrund der Rotation der Erde um die Sonne scheint sich der Lauf der Sonne – von der Erde aus beobachtet – im Zuge eines Jahres zu verändern. Dies zeigt sich an den vier charakteristischen Jahrespunkten, den Solstitien und den Äquinoktien. So erreicht die Sonne zur Zeit des Sommersolstitiums auf der Nordhalbkugel ihren höchsten Stand, sodass dieser Tag als der längste Tag des Jahres gekennzeichnet ist. In den darauffolgenden Monaten sinkt der Stand der Sonne wieder. Wenn die scheinbare Bahn der Sonne den Himmelsäquator (= den an der Himmelskugel gespiegelten Erdäquator) schneidet, hat die Sonne das Herbstäquinoktium erreicht; Tag und Nacht sind etwa gleich lang. Im weiteren Verlauf der Ekliptik erreicht die Sonne beim Durchschreiten des zweiten Solstitialpunktes – dem Wintersolstitium – ihren niedrigsten Stand, der konsequenterweise mit dem kürzesten Tag des Jahres einhergeht. Vom Zeitpunkt des Wintersolstitiums an steigt der Stand der Sonne am Himmel wieder an, bis sie im Frühling zunächst den zweiten Äquinoktialpunkt und nach insgesamt einem Jahr wieder den Zeitpunkt des Sommersolstitiums erreicht. Zugleich scheint sich die Ekliptik durch die Bewegungen der Erde in einem Jahr durch verschiedene Sternenbilder zu bewegen. Die Verschiebung vor dem Hintergrund des Sternenhimmels beträgt dabei täglich etwa 1° und im Laufe eines Jahres insgesamt 360°.135 Daher rührt auch die Tatsache, dass

135

Dieses Phänomen ist v.a. im Kontext der sogenannten Astrolabien von Bedeutung.

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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zu verschiedenen Jahreszeiten jeweils unterschiedliche Sternbilder am Nachthimmel zu sehen sind. Zusätzlich zum Mond und der Sonne bilden daher die Sterne die dritte Instanz, die für die Zeitwahrnehmung der Babylonier und Assyrer von Bedeutung war. Am einfachsten zu beobachten – und dadurch gleichzeitig auch am eindrücklichsten – sind allerdings die von der Erde aus beobachtbaren Veränderungen der Mondscheibe im Zuge eines Umlaufs, die sog. Lunation. Da der Mond während seines Umlaufs um die Erde nicht durchgehend von der Sonne beschienen werden kann, lässt sich die Lunation in verschiedene Mondphasen einteilen: So wird die erste schmale Mondsichel, die am Nachthimmel beobachtet werden kann, als Neulicht bezeichnet. Das darauffolgende erste Viertel der Lunation ist durch eine zunehmende Sichtbarkeit des Mondes gekennzeichnet, bis dieser als Halbmond am Himmel erscheint. Im zweiten Viertel nimmt die sichtbare Mondsichel weiter zu, bis er als Vollmond sichtbar wird. Im dritten Viertel verringert sich die sichtbare Mondscheibe erneut zum Halbmond, um nach dem letzten Viertel in eine Phase der Unsichtbarkeit einzutreten, die als Neumond bezeichnet wird. Der Mond benötigt für einen Umlauf von einem Punkt seiner Bahn zu genau demselben Punkt etwa 27,32 Tage. Diese Periode wird als siderischer Monat bezeichnet. Da sich die Erde in diesem Zeitraum aber ebenfalls auf ihrer Bahn weiterbewegt hat, befindet sich der Mond dann nicht mehr in der gleichen Mondphase wie zuvor. Um die gleiche Mondphase zu erreichen und somit eine volle Lunation durchzuführen, benötigt der Mond etwa 29,53 Tage. Diese Zeitspanne wird als synodischer Monat bezeichnet.

4.1.2) Astrale Zeitanzeiger Keilschrifttexte, die sich mit den Bewegungen der Himmelskörper auseinandersetzen, sind von der altbabylonischen Zeit bis zum Ausklang der Keilschriftkulturen belegt.136 Im 1. Jt. v. Chr. nimmt die Zahl dieser Texte erheblich zu, was schließlich in der Entwicklung der mathematischen Astronomie in der zweiten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. kulminiert. D. Brown hat überzeugend herausgearbeitet, dass die Texte, die in der Forschung oftmals als astronomische Texte betrachtet wurden, vielmehr in den größeren Kontext der Divination zu stellen sind und daher keine im modernen Sinne astronomischen Beobachtungen oder gar Berechnungen wiedergeben. Es handelt sich vielmehr um Texte, die astrale Zyklen in Form idealisierter Schemata aufbereiten, die bei der Interpretation von Omina zur Anwendung kommen.137 Gleichzeitig jedoch geben die sternenkundlichen Texte wertvolle Informationen darüber, wie sich die Menschen des 2. und 1. Jts. v. Chr. die Einbettung der Zeit und ihres Verlaufs im Kosmos vorgestellt haben. Bereits anhand der Schriftquellen des 3. Jt. v. Chr. ist nachvollziehbar, dass 136

Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 151. Brown, Astronomy – Astrology in Mesopotamia, 41–59. Siehe dazu im Detail auch Kapitel 6.4.

137

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Teil II: Die Zeit in der Natur

für die Menschen die Bewegungen der Himmelskörper eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung der Zeit spielten. Einen entsprechenden Hinweis gibt etwa der Zylinder B des Gudea von Lagaš. Nachdem Gudea den Tempel für Ningirsu fertiggestellt hat, wird in Kolumne III, Z. 5–12 der Beginn eines neuen Jahres thematisiert: Gudea Zyl. B, III 5–12138 5) mu ĝen-na-àm iti til-la-àm 6) mu-gibil an-na im-ma-gub 7) iti é-ba ba-a-ku4 8) iti-bi u4-eš5-àm im-ta-zal 9) dnin-ĝír-sú eriduki-ta ĝen-àm 10) ì-ti-sa-sa im-è 11) kalam-ma u4 mu-ĝál é-ninnu dsuen-ù-dú-da 12) saĝ im-ma-da-ab-sá 5) Das Jahr war vergangen, der Monat war vollendet; 6) das neue Jahr war an den Himmel getreten; 7) ein Monat war in sein Haus eingetreten. 8) Drei Tage des Monats waren vergangen. 9) Ningirsu war aus Eridu zurückgekommen. 10) Schönes139 Mondlicht war aufgegangen 11/12) (und) Licht war im Land vorhanden. Das E-ninnu wetteiferte140 mit dem neugeborenen Suen. In Z. 5 f. wird beschrieben, dass der letzte Monat des Jahres und somit auch das Jahr selbst zum Ende gekommen ist, zunächst jedoch ohne dabei auf spezielle Himmelskörper einzugehen. Gleichzeitig beginnt damit das neue Jahr, wobei in Z. 6 explizit hervorgehoben wird, dass der Beginn des neuen Jahres am Himmel wahrnehmbar ist. Der Gudea-Zylinder dokumentiert somit, dass der Verlauf der Zeit anhand himmlischer Ereignisse wahrgenommen wurde. Die literarische Darstellung vergehender Zeit wird fortgeführt mit der Beschreibung, wie ein weiterer Monat vergeht, indem er in sein „Haus“ eintritt, d.h. im übertragenen Sinne in seine Phase der Unsichtbarkeit.141 Drei weitere Tage des neuen Monats vergehen, bis schließlich in den verbliebenen Zeilen der gerade erst angebrochene Monat mit dem neugeborenen Mondgott gleichgesetzt wird. Die Textstelle zeigt somit, dass die Wahrnehmung der Zeit, hier in Form des Monats (iti), mit dem Erscheinungsbild des Mondes verknüpft war. 138

Römer, Die Zylinderinschriften von Gudea, 29. So die Übersetzung von ì-ti-sa-sa bei Römer, Die Zylinderinschriften von Gudea, 68. 140 Übersetzung nach Römer, Die Zylinderinschriften von Gudea, 68. 141 Vgl. Steinkeller, Luck, Fortune, and Destiny in Ancient Mesopotamia, 11, Anm. 38. 139

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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4.1.2.1) Der Mond Der Mond mit seiner visuellen Dominanz am Nachthimmel und seinem regelmäßigen Zyklus der Sichtbarkeit und des Verschwindens ist prädestiniert dafür, den Verlauf der Zeit wahrnehmbar zu machen. So galt der Mond bzw. der Mondgott den Mesopotamiern vom 3. bis ins 1. Jt. v. Chr. hinein als primäres Gestirn der Zeitwahrnehmung. Dies belegen nicht nur die zitierte Textstelle aus dem GudeaZylinder, sondern auch Hymnen an den Mondgott. So beschreibt die sumerischsprachige Hymne CBS 8084 aus altbabylonischer Zeit den Mondgott mit folgenden Worten: CBS 8084142 1) dumu nun nir an-na kur BÀD-na dagal búr[u] 2) i-lim u4-gál ri-a-na ní-íl-l[a] 3) BAD-ta mah sag an-né ús-[sa] 4) u4-sakar itu gi-né ní pa-è-ak-[a] 1) Fürstlicher Sohn, Herrscher des Himmels, der sich über das hohe Gebirge weit ausbreitet; 2) der sich in seinem strahlenden Glanz in der Ferne erhebt;143 3) erhabener …144, dessen Haupt an den Himmel angrenzt; 4) der Neumond und Monat festsetzt, sich selbst offenbar werden lässt; Die Hymne verbildlicht, wie der Mond an den Nachthimmel tritt und stellt dezidiert heraus, dass der Mond in Form des Mondgottes den Verlauf von Monaten festlegte, indem er sich am Himmel zeigt. Die Assoziation von Mond und Monat kommt dadurch zustande, dass mit der ersten Sichtbarwerdung des Mondes ein neuer Monat begann und mit dem Verschwinden des Mondes der Monat endete. Somit entsprach ein synodischer Mondzyklus einem Monat.145 Dieses Prinzip lässt sich bereits in sumerischen Texten des 3. Jt. v. Chr. finden. Auch im 1. Jt. v. Chr. blieb es als Grundlage des mesopotamischen Kalenderwesens weiterbestehen. Die Verbindung von Mond und Monat spiegelt sich auch in der sumerischen und der akkadischen Sprache wider. In beiden Sprachen kann das Wort für „Monat“ (Sum. iti; Akk. (w)arḫum) sowohl mit „Monat“ als auch mit „Mond“ übersetzt werden. Der Mond bleibt jedoch nicht auf die Anzeige des Monats beschränkt; er gilt schon früh als Zeitanzeiger par excellence. Dem Mond wird somit nicht nur die

142

Sjöberg, Miscellanous Sumerian Hymns, 31. Sjöberg, Miscellaneous Sumerian Hymns, 33, übersetzt die Zeile folgendermaßen: „Clad in glowing radiance he rises high“. 144 Vgl. Sjöberg, Miscellaneous Sumerian Hymns, 33. 145 Siehe Kapitel 8.2. 143

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Festlegung des Monats zugesprochen, sondern die Sichtbarmachung der drei prototypischen Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr insgesamt. Eine ausdrückliche Zuschreibung dieser Eigenschaft findet sich in einer altbabylonischen Inschrift des Warad-Sîn von Larsa. Der Text beschreibt die Anfertigung eines Thrones für den Mondgott Nanna. Dabei wird zu Beginn der Inschrift der Mondgott charakterisiert: IM 85469 + IM 85470146 1) dnanna en gal 2) u4 an kù-ge si 3) men nun-na sag-íl 4) dingir zi u4 ge6-bi ḫé-ḫé 5) iti ge-en-ge-en 6) mu silim-ma 1) (Für) Nanna, den großen Herren, 2) Licht, das den reinen Himmel ausfüllt, 3) der die fürstliche Krone trägt, 4) aufrechter Gott, der Tag und Nacht festlegt147, 5) der den Monat festmacht, 6) der das Jahr vollendet. Da ein neuer Monat mit der ersten Sichtung der Mondsichel begann, kann man auch davon ausgehen, dass ein Tag mit dem Aufgang des Mondes seinen Anfang nahm.148 Dadurch ist nachvollziehbar, warum der Mond auch für die Anzeige des Tages die Verantwortung trug und nicht etwa die Sonne. Hieran zeigt sich auch, dass das Verständnis von Zeit sehr stark vom Aufbau und der Funktion des Kalenders beeinflusst war, aus dem heraus sich wiederum auch die Assoziation vom Mond mit dem Jahr erklären lässt. So richtete sich das kalendarische Jahr nicht allein nach dem Sonnenlauf, sondern war zunächst lunar ausgerichtet.149 Erst im Nachhinein wurde der lunare Jahresverlauf durch Einfügung von Schaltmonaten mit dem solaren Jahresverlauf in Einklang gebracht. Die grundlegende Bedeutung des Mondes als Zeitanzeiger lässt sich unverändert den Quellen des 1. Jt. v. Chr. entnehmen. Als Beispiel hierfür kann der aus

146

Ediert u.a. in Frayne, RIME 4, 219–222. Frayne übersetzt die Zeile: „who alternates days and nights“. Die Übersetzung scheint allerdings unsicher. Da ḫé ansonsten als Prekativ- bzw. Affirmativ-Partikel und in Wendungen wie ḫé-àm – „so sei es“, bzw. ḫé-a – „möge es sein / werden“ genutzt wird (Vgl. Sumerischer Zettelkasten 2006, 276), schlage ich in Anlehnung daran die angegebene Übersetzung vor. 148 Siehe Kapitel 8.1.1. 149 Siehe auch Kapitel 8.2. 147

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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Ninive stammende Text Rm. 288, eine Hymne an den Mondgott Sîn aus neuassyrischer Zeit, herangezogen werden: Rm. 288150 1) a-na d30 na-an-nàr an-e [u ki-tim] ] 2) a-pir aga da-num-ú-ti š[á ] 3) [m]u-ad-du-ú u4-me iti u m[u 1) Für Sîn, das Licht des Himmels [und der Erde], 2) der die Krone der Anu-Würde d[es …] trägt, 3) der die Tage, Monate und Ja[hre … off]enbar werden lässt, Genau wie in der Inschrift des Warad-Sîn wird auch hier, ca. ein Jahrtausend später, dem Mondgott zugeschrieben, die drei prototypischen Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr zu offenbaren. Die ebenfalls aus Ninive stammende Götterliste K 4559 (= CT 25, 42) nennt verschiedene Epitheta des Mondgottes. Darunter befinden sich zu Beginn des erhaltenen Textes die Bezeichnungen des Mondgottes als dšá-kin ar-ḫi – „der den Monat hinstellt“ (Z. 1’) und dmu-kin ar-ḫi – „der den Monat festmacht“ (Z. 2’).151 Gerade dmu-kin ar-ḫi korrespondiert mit der sumerischen Beschreibung des Mondgottes als iti ge-en ge-en aus der Inschrift des Warad-Sîn. Der erhaltene Teil der Götterliste unterstreicht damit erneut die Verbindung von Mond und Monat. Die anderen Zeiteinheiten werden in der Götterliste dabei nicht bedacht, was möglichereise aber mit dem Erhaltungszustand geschuldet ist. Die Verbindung tritt auch im Incipit inbu bēl arḫi – „Frucht, Herr des Monats“ hervor, einer hemerologischen Serie, deren erhaltene Textzeugen der Bibliothek des Assurbanipal entstammen.152 Die „Frucht“ stellt dabei ein Epitheton des Mondgottes Sîn dar, das erst im 1. Jt. v. Chr. in Erscheinung tritt. Somit wird der Mond demnach dezidiert als „Herr des Monats“ betitelt.153 Auch die Texte mythologischen Inhalts, die im 1. Jt. v. Chr. rezipiert wurden, reflektieren die Verbindung von Mond und Zeit.154 Die bisher vorgestellten Quellen lassen den vorläufigen Schluss zu, dass in 150

Perry, Hymnen und Gebete an Sin, 28–30. Perry liest in Z. 16 den Namen Assurbanipal, was die Datierung des Textzeugen weiter einschränkt. 151 Vgl. Hätinen, The Moon God Sîn, 97. 152 Die Textzeugen von Inbu bēl arḫi stammen zwar ausschließlich aus Assyrien, die in dem Text verarbeiteten Vorstellungen basieren dagegen auf dem kultischen Kalender Babyloniens. Siehe Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 200. 153 Zum Epitheton „Frucht“ siehe Hätinen, The Moon God Sîn, 54–59. Siehe auch Sjöberg, Der Mondgott Nanna-Suen in der sumerischen Überlieferung, 167, mit einer erläuternden Textstelle aus einem Šuilla-Gebet an Nanna-Suen. Siehe auch CAD i–j, inbu 1 d, 146, für weitere Belege. 154 Die Texte bzw. Textabschnitt werden in Kapitel 5.1 im Detail behandelt.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Mesopotamien schon seit dem 3. Jt. v. Chr. der Mond vor allen anderen Himmelskörpern als Gestirn der Zeitwahrnehmung angesehen wurde. Der Zyklus des Mondes, genauer gesagt die Phase vom ersten Erscheinen des Mondes bis zu seinem Wiedererscheinen nach Neumond, war die Grundlage für den Monat des mesopotamischen Kalenders. Doch auch die anderen beiden prototypischen Zeiteinheiten Jahr und Tag wurden mit dem Mond in Verbindung gebracht, da sie in den kalendarischen Systemen seit dem 3. Jt. v. Chr. ebenfalls durch die Lunation bestimmt wurden. Geht man bei den zitierten Quellen noch einmal näher auf die sprachliche Ebene ein, zeigt sich schnell, dass die Anzeige der Zeit häufig durch die Verwendung der Verben kânu und idû, jeweils im D-Stamm, ausgedrückt wurde.155 Das Verb idû hat im D-Stamm die Bedeutungsnuancen „bekanntmachen“, aber auch „bestimmen“ und „festlegen“.156 Die Verwendung dieser Verben impliziert bereits, dass die primären Zeiteinheiten nicht aus sich selbst heraus wahrnehmbar waren, sondern erst durch die Bewegungen der Himmelskörper „bekanntgemacht“ und „festgelegt“ werden mussten, damit sie für den Menschen wahrnehmbar waren. 157 Wie die bisherigen Quellen zeigen, war es der Mond, dem diese Aufgabe zukam. Auch das Verb kânu bzw. dessen sumerische Entsprechung ge.n wurden verwendet, um die Anzeige der Zeit auszudrücken. Das Verb kânu im D-Stamm sowie das sumerische Äquivalent haben die grundlegende Bedeutung „etwas fest machen“. Gerade kânu weist allerdings eine Bandbreite an Verwendungsmöglichkeiten auf.158 So konnte das Verb kânu auch genutzt werden, um zu beschreiben, dass ein Himmelskörper an seinem vorgesehenen Platz ist.159 Wie in Kapitel 6 näher erläutert wird, hatten alle Zeiteinheiten eine ideale Länge und waren eng mit dem Erscheinen und den Bewegungen von Himmelskörpern synchronisiert. Die Bedeutungsnuance der Korrektheit erscheint vor dem Hintergrund der Idealität der Zeit von großer Bedeutung. Anhand des neuassyrischen Briefes K 685 lässt sich zeigen, dass das Verb kânu tatsächlich bei der Festsetzung der korrekten Zeit Verwendung findet:160 K 685 Vs. 8) d30 u4.30.kám 9) a-ta-mar šá-qi-a 10) ša u4.30.kám 155

Vgl. Rm. 288, Z. 3: [m]u-ad-du-ú u4-me iti u m[u ]; K 4559, Z. 2’: dmu-kin ar-ḫi; Enūma eliš V, 13: ana uddû ūmī. 156 Vgl. AHw III, (w)adû, 1454–1456 und CAD i–j, idû 4., 30–33. 157 Siehe Kapitel 5.2. 158 Vgl. CAD k, kânu A 3, 162–168. 159 CAD k, kânu A, 1 b, 160. 160 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 225.

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

Rd. Rs.

Vs.

Rd. Rs.

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11) aš pi-it-ti i-šá-qi-a 12) ki-i šá u4.2.kám 13) iz-za-az 14) šum-ma ina igi lugal en-já 15) ma-ḫi-ir 1) ina igi šá urušà.uru 2) lugal lid-gul 3) ḫa-ra-mi-ma 4) lugal bé-li u4-mu 5) lu-ki-in 8) Sîn habe ich am 30. Tag 9) gesehen. Er war hoch. 10) Für den 30. Tag 11) war er vergleichsweise hoch. 12) Wie an einem zweiten Tag 13) stand er. 14) Wenn es für den König, meinen Herren 15) akzeptabel ist, 1) möge der König (auf Nachricht aus) der Inneren Stadt161 2) warten. 3) Danach 4) möge der König, mein Herr, den Tag 5) festsetzen.

Der Brief verdeutlicht, dass kânu genutzt wurde, um das kalendarische Datum, das offenbar nicht mehr mit dem lunaren Zyklus in Einklang stand, zu korrigieren und dadurch in seinen vorgesehenen Zustand zurückzuführen. 4.1.2.2) Die Sonne Während der Mond dank seiner Bedeutung für den Aufbau und die Funktion des mesopotamischen Kalenders eine herausragende Stellung als Gestirn der Zeitwahrnehmung einnimmt, kommt der Sonne eine auf den ersten Blick bemerkenswert geringe Relevanz zu.162 Verschiedenen Texten lässt sich jedoch entnehmen, dass auch die Sonne für bestimmte Aspekte der Zeitwahrnehmung verantwortlich war. Anders als der Mond wird die Sonne selten direkt mit dem Ablauf der Zeit in Verbindung gebracht. Eine Ausnahme stellt der Text CBS 1516 (= PBS 1,2 106) dar. Die Herkunft der Tafel ist unbekannt. Aufgrund des neuassyrischen

161

Gemeint ist damit die Stadt Assur; vgl. Parpola, Letters of Assyrian and Babylonian Scholars, 377. 162 Vgl. Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 3.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Schriftduktus kann der Text aber in die erste Hälfte des 1. Jts. datiert werden.163 Es handelt sich insgesamt um ein Kriegsritual, das wiederum ein Gebet an die Götter Sîn und Šamaš enthält, in dem auch deren Rolle als Zeitanzeiger thematisiert wird. CBS 1516 (= PBS I/2 106)164 Rs. 3) én d30 u dutu dingir.meš ki-lal-la-an 4) 30 šá gi6 dutu ša kal u4-mi 5) eš.bar an-e u ki-tim at-tu-nu-ma 6) man-da-at u4-mi iti u mu igi.bar-sa u4-mi-šam 7) ta-šim-tú kur.kur 30 u 20 at-tu-nu-ma ta-šim-ma 8) dingir.meš ru-qu-tu!165 at-tu-nu-ma 9) šá u4-mi-šam ka un.meš ta-ḫi-ir-ra 10) ba-lu-uk!-ku-nu ina dí.gì.gì ul uk-ta-ni sá.du11 11) da.nun.na.ki ka-li-šú-nu tu-nam-ma-ra ki-is-pi! 12) nidba.meš-šú-nu ta-ḫir-ra-ma ta-paq-qí-da é.nun-šú-un 13) ˹a-na ta-mar˺ti-ku-un i-ri-iš-šu kur.kur 14) [ ]166 x šá i-paq-qí-da bar.meš-ši-in 15) ˹a-na šup-ṭu˺-ur giš[kim].meš šá an-e u ki-tim 16) at-tu-nu-ma ta-az-zi-za 17) a-na-ku ìr-ku-nu na-ṣir-ku-nu 18) šá u4-mi-šam-ma a-˹na-ṭa˺-lu pa-ni-ku-un 19) a-na ta-mar-ti-ku-nu ba-šá-a geštu.2-a-a 20) giškim.meš.mu ḫul.meš a-ḫi-tam-ma šu-bi-ˀ-a 21) á.meš sig5 taš-me-e šu-uk-na ana su.mu 22) šá kun-nu bala-e-a qí-ba-ma nap-li-sa a-ḫa-meš 23) u4.meš-ku-nu167 zálag.meš-ti šur-ka-ni ja-a-ši 163

Hätinen, The Moon God Sîn, 520. Ursprüngliche Edition bei Ebeling, Beschwörungen gegen den Feind und den bösen Blick, 178–183. Für die neueste Edition siehe Hätinen, The Moon God Sîn, 520–526, in der A. Hätinen darauf hinweist, dass der Zustand der Tafel sich seit der Anfertigung der Autographie verschlechtert hat. Die hier angegebene Transliteration ist der ursprünglichen Edition von Ebeling entnommen. Verbesserungen und Änderungen durch Hätinen wurden in die Transliteration integriert und durch weitere Fußnoten kenntlich gemacht. 165 Lesung des Zeichens als tu nach Ebeling, Beschwörung gegen den Feind und den bösen Blick, 179. 166 Ebeling, Beschwörung gegen den Feind und den bösen Blick, 179, ergänzt hier [ur-ra u mu]-šá. Hätinen, The Moon God Sîn, 525, weist jedoch darauf hin, dass die Zeichenreste auf eine andere Zeichenfolge hindeuten, kann aufgrund fehlender Paralleltexte aber auch keine Ergänzung vornehmen. 167 Ebeling, Beschwörungen gegen den Feind und den bösen Blick, 179, liest das erste Zeichen als Sumerogramm mú (= nipḫu – „Aufleuchten“). Hätinen, The Moon God Sîn, 164

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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24) ur-ri u gi6 lu-uk-tar-rab-ku-nu-ši 25) ù ana-ku e-là-tù nar-bi-ku-nu lu-šá-pi Rs. 3) Beschwörung: Sîn und Šamaš, (ihr) beiden Götter, 4) Sîn der Nacht und Šamaš des gesamten Tages, 5) die Entscheidung des Himmels und der Erde seid ihr; 6) die Zählung der Tage, Monate und Jahre beobachtet ihr täglich; 7) das Schicksal der Länder, Sîn und Šamaš, bestimmt ihr! 8) Die fernen Götter seid ihr, 9) die täglich auf die Angelegenheiten der Menschen achtgeben. 10) Ohne euch werden den Igigi keine regelmäßigen Opfergaben zugewiesen. 11) Den Anunnaki (in) ihrer Gesamtheit bereitet ihr die Begräbnisopfer. 12) Auf ihre Brotopfer gebt ihr Acht, um ihre Heiligtümer kümmert ihr euch. 13) Bei eurer Sichtung freuen sich die Länder; 14) [ ] inspizieren euch ihre Blicke. 15) Um zu lösen die Zeichen des Himmels und der Erde 16) steht ihr da. 17) Ich bin euer Diener, der euch beobachtet, 18) der täglich auf euer Antlitz schaut. 19) Auf eure Sichtung ist mein Verstand gerichtet168. 20) Meine bösen Zeichen und Unglück lasst weiterziehen, 21) Zeichen des Guten und Aufmerksamkeit legt auf meinen Körper! 22) Was meine Regentschaft festigt, befehlt und blickt einander an! 23) Eure strahlenden Tage schenkt mir! 24) Tag und Nacht will ich zu euch beten 25) und ich will der Oberwelt eure Größe verkünden. Das Gebet nimmt in der ersten Hälfte Bezug darauf, dass Sonne und Mond gemeinsam den Verlauf der Zeit anzeigen, weshalb sie nach Aussage des Textes täglicher Beobachtung unterlagen. Die Sonne wird dabei zwar als mitverantwortlich für die Wahrnehmbarkeit der Zeit gezeichnet, sie taucht jedoch nicht allein auf, sondern nur in Kombination mit dem Mond. Bemerkenswert ist auch, dass die Zeit hier in Zusammenhang mit dem täglichen Tempelkult und der Divination gebracht wird. Der Text impliziert damit, dass die Wahrnehmung der Zeit nicht nur für die Menschen wichtig war, sondern auch konkrete Auswirkungen auf die Götterwelt hatte: Ohne Zeit, hervorgerufen durch die Himmelskörper, gäbe es keine Opfergaben. Die Tage, Monate und Jahre vergingen nicht bzw. wären 522 und 526 weist jedoch darauf hin, dass der vorhandene Platz für das Zeichen mú nicht ausreicht und liest mit Verweis auf Elat, Mesopotamische Kriegsrituale, BiOr 39, (1982), 5–25 stattdessen u4. 168 Wörtlich: „vorhanden“.

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schlicht nicht wahrnehmbar. Folglich gäbe es keinen Kult für die Götter. Weiterhin wird explizit die Divination aufgeführt, indem den beiden zeitanzeigenden Göttern auch die Lösung ominöser Zeichen zugeschrieben wird. Der enge Zusammenhang von Zeitvorstellungen und Divination wird auch in einer der drei Einleitungen von Enūma Anu Enlil thematisiert.169 Ab Z. 17 bis zum Ende des Textabschnitts richtet der Beter seine eigentliche Bitte an die beiden Götter. Bei dem Beter handelt es sich offenbar um den Herrscher selbst, wie aus der Erwähnung der Regentschaft (bala) in Z. 22 hervorgeht. Hervorzuheben ist die ebenfalls in Z. 22 genannte Bitte, dass die beiden Götter sich anblicken mögen. Das bedeutet, Sonne und Mond sollen sich, von der Erde aus betrachtet, gegenüberstehen – eine Konstellation, die als Opposition bezeichnet wird. Die Bitte erklärt sich im Kontext der vorangehenden Zeilen: Der Beter bittet darum, böse Omina vorbeiziehen und gute Omina für sich vorhanden sein zu lassen. Aus den Briefen und Berichten der Gelehrten an den assyrischen König wird deutlich, dass es als gutes Omen angesehen wurde, wenn Sonne und Mond zur Mitte des Monats in Opposition zueinanderstanden.170 Der Text gibt damit zugleich einen ersten Hinweis darauf, dass die Sonne im Zusammenspiel mit dem Mond ihre Rolle als Zeitanzeigende Instanz einnahm, indem sie die Funktionen des Mondes komplementiert. Die genaue Funktion dieses Zusammenspiels wird aus der Quelle nicht unmittelbar deutlich. Einen weiteren Hinweis auf die Funktion der Sonne im Rahmen der Zeitwahrnehmung gibt der große Šamaš-Hymnus, dessen Textzeugen aus neuassyrischer bzw. neubabylonischer Zeit171 stammen: Šamaš-Hymnus, 174–181 (Textzeuge A)172 174) a-a-ú-tu ḫur-sa-a-nu šá la lit-bu-šu šá-ru-ru-ka 175) a-a-ta kib-ra-a-tum šá la iš-taḫ-ḫa-nu na-mir-ta u4.da-ka 176) muš-par-du-ú e-ṭu-tum muš-na-mir uk-li 177) pe-tu-ú ek-le-ti muš-na-mir ki-tim dagal-tim 178) [m]u-šaḫ-lu-ú u4-mu mu-še-rid an-qul-lu ana ki-tim qab-lu u4-me 179) [m]u-šaḫ-miṭ ki-ma nab-li ki-tim ra-pa-áš-tum 180) [m]u-kar-ru-ú u4-me mu-ru-ri-ku gi6.meš 181) [mu-šab-šu-]u ku-ṣu ḫal-pa-a šu-ri-pa šal-gi 174) Welches Gebirge, das nicht in deinen Glanz gekleidet ist? 175) Welche Region, die nicht durch deine Helligkeit und Hitze erwärmt wird? 176) Der die Finsternis erleuchtet, der das Dunkel hell werden lässt;

169

Siehe Kapitel 5.1. Für die Rolle von Zeit in der Divination siehe Kapitel 9. Für Textbeispiele siehe S. Kapitel 9.1.1. 171 Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 122. 172 Textzeugen nach Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 125. Transliteration auf S. 136. 170

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177) der die Finsternis öffnet, der die weite Erde hell werden lässt; 178) [der] den Tag hell sein lässt, der anqullu173 auf die Erde heruntersendet zur Mitte des Tages; 179) [der] die weite Erde erstrahlen lässt wie eine Flamme; 180) [der] die Tage verkürzt, die Nächte verlängert; 181) der Kälte, Frost, Eis und Schnee [vorhanden sein läs]st. Die ersten vier Zeilen dieses Textausschnittes beschreiben die offenkundigste Eigenschaft der Sonne: das Licht und die Wärme, die sie spendet. Der Text konstatiert weiter, dass durch dieses Licht der Tag erhellt wird. Dieser Aspekt lässt nun auch die Sonne als Gestirn der Zeitwahrnehmung erscheinen. Während der Mond den Tag als Ganzes anzeigt, teilt das Licht der Sonne den Tag weiter auf und ermöglicht so die Differenzierung verschiedener Tageszeiten.174 Dies lässt sich auch auf sprachlicher Ebene nachvollziehen. Während der Tag als Ganzes durch das Wort ūmu bezeichnet wird, kann innerhalb des Tages weiter differenziert werden zwischen der Nacht (mūšu) und dem von der Sonne beleuchteten, hellen Tag (urru).175 Bemerkenswerterweise wurde im Text PBS I/2 106 Šamaš ausdrücklich mit dem gesamten Tag (kal ūmi), nicht nur mit dem hellen Tag, in Verbindung gebracht. Da die Nacht aber Sîn zugedacht wird, kann es sich in dem Kontext dennoch nur um den hellen Tag handeln. Im Vergleich dazu kann etwa auch ūmu den gesamten Tag umfassen, oder, wenn es zusammen mit mūšu genannt wird, auch einfach den hellen Tag.176 Der Textabschnitt schildert weiterhin, dass die Sonne den Wechsel von hellem Tag und Nacht nicht nur verursacht, sondern ihn auch beeinflusst, indem der helle Tag und die Nacht im Verlauf eines Jahres abwechselnd länger und kürzer werden. Daraus ergeben sich im Verlauf des solaren Jahres die Äquinoktien und die Solstitien. Dieser Effekt, zusammen mit den vier charakteristischen Punkten des Sonnenjahres, war den Menschen wohl bewusst. Dies zeigt sich daran, dass sie in zahlreichen schematischen Texten verarbeitet wurden.177 Dass nicht nur Licht, sondern auch Wärme von der Sonne herrührt, legt der Textabschnitt ebenfalls explizit dar. In direkter Verbindung mit der Verlängerung und Kürzung der hellen Tage und Nächte steht demnach die Schwankung der 173

Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 137, übersetzt den Begriff mit „scorching heat“. Reiner, Poetry, 81 f. übersetzt anqullu ganz ähnlich als „noonday heat“. CAD a2, anqullu, 143 f., lässt den Begriff jedoch unübersetzt und beschreibt es lediglich als „an atmospheric phenomenon“ mit dem weiteren Verweis: „Most references describe the anqullu as a fiery glow, either in the sky or on the ground; (…)“. 174 Vgl. Smith, Babylonian Time Reckoning, 74. 175 Vgl. CAD u–w, urru A, 243 f. 176 Siehe CAD k, kalu, b 4’, 89, für entsprechende Beispiele. 177 Vgl. Hunger, Babylonische Quellen für die Länge von Tag und Nacht, 129. Zu der Schematisierung der Zeiteinheiten siehe Kapitel 6.3.

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Temperaturen. Somit ist die Sonne, analog zur Teilung des Tages, auch für die Teilung des Jahres in verschiedene Jahreszeiten sowie in vier Abschnitte mit zuoder abnehmender Tageslänge verantwortlich.178 Auch der Wechsel der Jahreszeiten diente den Menschen als Zeitanzeiger.179 Die Šamaš-Hymne erwähnt dagegen nicht, dass die Sonne zuletzt auch bei der Einteilung des Monats als Zeitanzeiger fungieren konnte, wenn auch nur in Verbindung mit dem Mond. Wie bereits anhand der Quelle PBS I/2 106 gezeigt werden konnte, stehen Sonne und Mond zur Zeit des Vollmondes in Opposition zueinander, während sie sich zu Neumond in Konjunktion befinden, d.h. von der Erde aus betrachtet scheinbar annähern. Beide astronomischen Begebenheiten werden auch in der fünften Tafel des Enūma eliš geschildert. Nach den Anweisungen Marduks soll der Vollmond wieder abnehmen, sobald er zur Mitte des Monats in Opposition zum Sonnengott Šamaš steht. Am Ende des Monats soll der Mond dann mit dem Sonnengott „gleich sein“, d.h. die beiden Himmelskörper sollen in Konjunktion zueinanderstehen. Durch das Zusammenspiel von Sonne und Mond kann somit auch der Monat in zwei Hälften geteilt werden.180 Die Sonne spielt als Gestirn demnach auch beim Ablauf des Monats eine Rolle und zeigt durch ihre Position in Relation zum Mond den korrekten bzw. idealen Verlauf des Monats mit an.181 Der sich anschließende Abschnitt der fünften Tafel des Enūma eliš, der voraussichtlich die Anweisungen Marduks an die Sonne enthielt, ist stark beschädigt, sodass dieser keine genauen Rückschlüsse zulässt. Die erhaltenen Bruchstücke lassen dennoch vermuten, dass die Sonne neben der obligatorischen richterlichen Funktion auch Aufgaben im Zusammenhang mit dem Verlauf des Jahres zu erfüllen hatte. Die Sonne hatte somit insgesamt zwar keine primäre Funktion in der Zeitwahrnehmung doch diente sie gleichsam als „Kontrollinstanz“. Die charakteristischen Punkte des Sonnenlaufs, die damit zusammenhängenden Zyklen der Tages- und Nachtlänge sowie die Position der Sonne in Relation zum Mond wurden mit (idealisierten) Daten in Verbindung gebracht, sodass theoretisch der Stand des Kalenders mit den tatsächlich beobachteten Bewegungen der beiden Himmelskörper abgeglichen werden konnte. Die Interpretation der Sonne als kontrollierendes Gestirn gewinnt dadurch an Plausibilität, dass der Sonnengott im Allgemeinen als

178

Vgl. Reiner, Poetry, 82. Zu den Jahreszeiten siehe Kapitel 4.1.3. 180 Vgl. Stol, The Moon as seen by the Babylonians, 257. 181 Durch die Verschiebungen des lunaren Kalenders treten Konjunktion und Opposition nicht immer an den dafür vorgesehenen Tagen des Monats, auf. Die Betonung liegt daher auf dem korrekten Ablauf der Zeit. Diese ideale Zeit wird in Kapitel 6 ausführlich dargestellt. 179

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ordnende Macht in Erscheinung tritt. Er ist derjenige, „der recht leitet“ (muštēširu).182 Diese Funktion nimmt die Sonne somit auch im Rahmen der Zeitwahrnehmung ein. Die zweite wichtige Aufgabe der Sonne bestand darin, die vom Mond hervorgerufenen Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag weiter aufzuteilen und somit eine noch präzisere Zeitwahrnehmung zu ermöglichen. Die Sonne stellt im Zuge der Zeitwahrnehmung somit ein unverzichtbares Komplement zum Mond dar.183 4.1.2.3) Die Sterne und Planeten Zusätzlich zum Mond und der Sonne dienten den Babyloniern und Assyrern schließlich auch die Sterne und Planeten als Zeitanzeiger.184 Einen frühen Hinweis darauf gibt der als Farmer’s Instructions bekannte sumerische Text aus altbabylonischer Zeit:185 Farmer’s Instructions, 38 f. (Nippur-Version)186 38) u4 mul an-na šu im-ma-ab-du7-a-ta 39) 10-àm á gu4 a-šà zi-zi-i-da-šè igi-zu nam-ba-e-gíd-i 38) Nachdem die Sterne des Himmels vollkommen gemacht wurden, 39) schaue nicht mit Abneigung auf das vielmalige187 Aufbieten der Stärke des Ochsen auf den Feldern. Diesem Text gemäß fiel die Arbeit auf den Feldern mit der Sichtbarkeit bestimmter, allerdings nicht näher spezifizierter Sterne zusammen.188 Diese Sterne dienten im vorliegenden Kontext offenkundig als Zeit anzeigendes Element, da erst nach der vollständigen Sichtbarwerdung einer bestimmten Sternkonstellation der Zeitpunkt für die Feldarbeit gekommen war. Auf der bereits mehrfach erwähnten fünften Tafel des Enūma eliš wird ein System beschrieben, das ebenfalls die Funktion der Sterne im Rahmen der Zeitwahrnehmung darlegt. Der Text schildert, wie Marduk, noch bevor er den Mond als wichtigstes Gestirn der Zeit einsetzt, zunächst die Sterne als Abbild der Götter an ihren Positionen festmacht. Die Sterne werden dort als lumāšu bezeichnet. A.

182

Maul, Der assyrische König, 201–203. Siehe dazu auch Hätinen, The Moon God Sîn, 91–98. 184 Vgl. Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 246 185 Civil, The Farmer’s Instructions, 4. 186 Civil, The Farmer’s Instructions, 30 f. 187 Wörtl.: „Zehn Mal“. Vgl. den Kommentar von Civil, The Farmer’s Instructions, 70. 188 Vgl. Brown, Mesopotamian Astral Science, 460. Siehe auch den Kommentar von Civil, The Farmer’s Instructions, 79, wo weitere Textstellen genannt werden, die auf die Nutzung der Sterne zur Bestimmung der korrekten Zeit für Feldarbeit rekurrieren. 183

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Leo Oppenheim beschreibt die lumāšu in seinem Werk Ancient Mesopotamia folgendermaßen:189 „The stars used for dating were called lumāšu stars, a term that in the late first millennium was applied to the zodiacal constellations that came into use only then.“ Das CAD präzisiert diese Aussage und charakterisiert die lumāšu-Sterne mit Verweis auf Weidner, Handbuch der babylonischen Astronomie, 16 und 19 als „One of several stars whose heliacal risings fall at or near the solstices or equinoxes, and which therefore serve to divide the year“ oder auch „poetic term for star“ bzw. „zodiacal constellation“.190 Die sog. Great Star List führt die lumāšu-Sterne namentlich auf: Demnach handelte es sich bei den lumāšu um die Sternbilder Alter Mann (mulšu.gi), der rechte Hirte des An (mulsipa.zi.an.na). en.te.na.bar.ḫum (mulen.te.‹na›.bar.ḫum), Pabilsag (mulpa.bil.sag), Panther (mulud.ka.duḫ.a), Pfeil (mulkak.si.sá) und Adler (multi8mušen).191 Diese werden in dem Sternenkatalog explizit als 7 lu-ma-šú bezeichnet. Gleicht man die namentlich genannten Sterne mit den in MUL.APIN I ii 36–iii 12 aufgelisteten Sternenaufgängen ab, zeigt sich, dass die sieben genannten lumāšu-Sterne in die Liste aufgenommen und tatsächlich auch in der Nähe der vier Jahrespunkte verortet wurden. Die lumāšu-Sterne sind – bis auf Pabilsag – auch in der Liste der Sterne des sogenannten Astrolab B zu finden. Nach der Etablierung der Sterne richtet Marduk im weiteren Textverlauf das Jahr mit seinen zwölf Monaten ein. Jedem der zwölf Monate weist Marduk daraufhin drei Sterne zu. Seinen eigenen Stern Nēberu192 sowie die Sterne Enlils und Eas platziert er, um den anderen Sternen ihre „Pfade“ (riksu) zuzuweisen.193 Das im Enūma eliš beschriebene System greift eine Gruppe von Texten auf, die der Forschung als Astrolabien oder Zwölfmaldrei und in Eigenbezeichnung als mul.meš 3.ta.àm – „Je drei Sterne“ bekannt sind.194 Der erste bekannte Zwölfmaldrei-Text, das sogenannte Astrolab B datiert in die mittelbabylonische Zeit.195 W. Horowitz vermutet, dass die ersten Texte dieser Art insgesamt auf die 189

Oppenheim, Ancient Mesopotamia, 640. CAD l, lumāšu, 245. 191 Vgl. Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 198 f., Z. 226–230. 192 Nēberu konnte insgesamt sowohl den Planeten Jupiter bezeichnen als auch den Merkur und möglicherweise die Venus. In der Marduk-Theologie ist Nēberu der Stern Marduks und wird oft mit Jupiter identifiziert. Siehe Brown, Mesopotamian Planetary AstronomyAstrology, 58. Horowitz, The Three Stars Each, 20–25 argumentiert hingegen, dass Nēberu, sowohl im Enūma eliš als auch in den Astrolab B mit Merkur zu identifizieren ist. 193 Vgl. Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 51 f. 194 Für die Benennung dieser Textgruppe siehe Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 27 und 34. 195 Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 157. Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 33. 190

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mittelbabylonische Zeit, möglicherweise sogar schon auf die altbabylonische Zeit196 zurückgehen. Die Zwölfmaldrei-Texte liegen sowohl in Form von Listen als auch im kreisförmigen Format vor.197 Allen gemeinsam ist jedoch das System, welches im Enūma eliš zusammengefasst dargestellt wird: Jeder Text umfasst zwölf Abschnitte, die jeweils einen Monat des Jahres repräsentieren. Jedem der zwölf Abschnitte sind wiederum drei Sternenkonstellationen und Planeten zugeordnet, die in dem betreffenden Monat heliakisch198 aufgehen sollten.199 Dabei werden die drei Sterne jeweils dem Pfad des Anu, des Enlil oder des Ea zugeordnet, die den Himmel gleichsam in drei Zonen aufteilen. Diese werden in K 4292, einem Exzerpt der rekonstruierten 50. Tafel von Enūma Anu Enlil, näher beschrieben. Dort heißt es in Rs. 16 f.: „Der Pfad der Sonne am Fuß der Viehhürde200 ist der des Ea; der Pfad der Sonne in der M[itte der Vi]ehhürde ist der des Anu; der Pfad der Sonne an der Spitze der Viehhürde ist der [des Enlil]; (…).“201 In diesen Zonen soll der jeweilig zugeordnete Stern aufgehen.202 Zu der genauen Anordnung der drei Pfade am Himmel wurden in der Forschung zwei unterschiedliche Theorien vorgeschlagen. Die erste Theorie geht von einer horizontalen Anordnung der Pfade aus, die parallel zum Himmelsäquator verläuft. Demnach befindet sich der Pfad des Enlil im nördlichen Bereich des Himmels. Der Pfad des Anu bildet den zentralen Pfad und der Pfad des Ea deckt das südliche Band des Himmels ab.203

196

Gemäß Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 158, finden sich die ersten Hinweise auf Sterne, die einzelnen Monaten zugeordnet wurden, sowie die Aufteilung des Himmels in die Pfade Anus, Enlils und Eas in der mittelbabylonischen Version des „Gebets an die Götter der Nacht“ aus Hattuša (= KUB IV 47) und dem ebenfalls mittelbabylonischen Sternenkatalog HS 1897 aus Nippur. Bezüglich möglicher altbabylonischer Vorläufer argumentiert Horowitz mit dem altbabylonischen Text BM 17175+17284, der ein Schema für die Tages- und Nachlänge im Verlauf eines Jahres enthält. Solche Schemata finden sich auch in den späteren ZwölfmaldreiTexten. Horowitz weist allerdings selbst darauf hin, dass der früheste Beleg, Astrolab B, kein entsprechendes Tag-Nacht-Schema enthält und diese daher möglicherweise erst im 1. Jt. v. Chr. hinzugefügt wurden. 197 Vgl. Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 34 und Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 154. 198 Als heliakisch werden Auf- und Untergänge von Himmelskörpern im Morgengrauen klassifiziert. 199 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 40. 200 Mit tùr – „Viehhürde“ ist hier der Himmel gemeint. Dies wird im selben Text in Z. Rs. 10–12 deutlich gemacht. Vgl. dazu u.a. auch Enūma eliš VII, 130 f., in der Nēberu als Stern beschrieben wird, der die anderen Götter wie eine Herde behütet. 201 Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 42, Z. III 24b: kaskal dutu še-pi-it tùr šu-ut ddiš kaskal dutu m[i-šil t]ùr šu-ut da-nu kaskal dutu sag é.tùr šu-u[t den-líl …]. 202 Vgl. Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 33 und Horowitz, The Astrolabes, 101 f. 203 Horowitz, The Astrolabes, 101.

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Die zweite Interpretation geht hingegen davon aus, dass die drei Pfade als vertikale Segmente am östlichen Horizont zu verorten sind, mit dem Pfad des Anu zentral im Osten, dem Pfad des Enlil im Nord-Osten und dem Pfad des Ea im SüdOsten.204 Vergleicht man die Interpretationen aber mit MUL.APIN II Gap. A 1– 7, der den Lauf der Sonne in einem Jahr zeigt, so wird deutlich, dass damit doch horizontale Bänder am Nachthimmel gemeint sein müssen.205 Als Beispiel für die Textgruppe dient im Folgenden der bereits erwähnte Text Astrolab B, der aus vier Abschnitten besteht. Der erste Abschnitt enthält eine zweisprachige Menologie, die mit den zwölf Monaten bestimmte Riten, Götter, und landwirtschaftliche Ereignisse assoziiert. Der sumerische Abschnitt gibt für zehn der zwölf Monate noch einen Stern an, der mit dem Monat in Verbindung gebracht wird. Die akkadische Version beschränkt sich aus unbekannten Gründen auf acht Monate.206 Der zweite Abschnitt von Astrolab B stellt einen Sternenkatalog dar, der die charakteristischen 36 Sterne darstellt.207 Der dritte Abschnitt bildet den eigentlichen Kern des Textes, indem die 36 Sterne den einzelnen Pfaden und Monaten zugeordnet und nach heliakischem Aufgang geordnet aufgelistet werden.208 Im vierten und letzten Abschnitt werden die 36 Sterne nochmals bezüglich ihres Auf- und Untergangs aufgelistet. Dieser Abschnitt stellt ein weiteres idealisiertes Schema dar, nach dem jeder Stern genau sechs Monate nach seinem Aufgang wieder untergehen sollte. Lediglich zwei Ausnahmen werden genannt: Dazu zählt zum einen die Venus, der zugeschrieben wird, ihre Position zu verändern (muldili.bad ut-ta-na-kar), zum anderen mulapin, der das ganze Jahr zu sehen sein soll (kal šat-te iz-za-a[z]).209 Im Folgenden wird der dritte Abschnitt als Kern des Zwölfmaldrei-Systems näher behandelt.

204

Erstmals ausgeführt von Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 17 f. Die Interpretation wird unterstützt von Koch, Neue Untersuchungen zur Topographie des babylonischen Fixsternhimmels, 14–22. 205 Der Textabschnitt zeigt auf, wie der Pfad der Sonne im Frühling zunächst im Pfad des Anu verläuft, dem zentralen Pfad des Systems. Danach steigt die Sonne in den Sommermonaten in den Pfad des Enlil auf. Anschließend sinkt die Sonne im Herbst wieder in den Pfad des Anu ab, um schließlich in den kalten Wintermonaten in den südlichen Pfad des Ea hinabzusteigen. Eine solche Bewegung der Sonne ist nur möglich, wenn man von horizontalen Pfaden am Nachthimmel ausgeht. Vgl. auch die Aussage aus der Inschrift Ass. A. des Asarhaddon, in der die Bewegungen der Venus beschrieben werden: „Venus, die Strahlendste unter den Sternen, erschien im Westen im Wege der Sterne des Ea; um das Land zu festigen und seine Götter zu versöhnen, (…).“ Übersetzung nach Borger, Die Inschriften Asarhaddons, 2, Z. 39 f. Dies zeigt eindeutig, dass sich die Pfade auch noch bis in den westlichen Himmel erstreckt haben müssen. 206 Horowitz, The Three Stars Each, 3. 207 Horowitz, The Three Stars Each, 3 f. 208 Horowitz, The Three Stars Each, 4. 209 Horowitz, The Three Stars Each, 4.

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Astrolab B, III 1–12210 mul mul dili.bad šu-ut da-nim apin šu-ut den-l[íl] 1) itibára muliku šu-ut dé-a iti d mul d mul šu.gi šu-ut a-nim a-nu-ni-tum šu-ut 2) gu4 mul.mul šu-ut é-a d e[n-líl] mul muš šu-ut 3) itisig4 mulsipa.zi.an.na šu-ut dé-a mulur.gu.la šu-ut da-nim d e[n-líl] mul mul maš.tab.ba šu-ut da-nim šul.pa.è šu4) itišu mulkak.si.sá šu-ut dé-a ˹d˺ ut [en-líl] 5) itine mulpan šu-ut dé-a mulmaš.tab.ba.gal.gal šu-ut da-nim mulmar.gíd.da šu-ut [den-líl] mul mul uga šu-ut da-nim šu.pa šu-ut [den6) itikin mulka-li-tum šu-ut dé-a líl] 7) [itid]u6 mulnin.maḫ šu-ut dé-a mulzi-ba-ni-tum šu-ut da-nim mulen.te.na. bar.ḫum šu-u[t den-líl] mul mul gír.tab šu-ut da-nim lugal šu-[ut 8) [itiapin mu]lur.idim šu-ut dé-a d en-líl] mul mul u4.ka.duḫ šu-ut da-nim ùz šu9) [itigan mu]lṣal-bat-a-nu šu-ut dé-a d [ut en-líl] mul mul mušen al-lu-ut-tum šu-ut da-nim ti8 šu10) [itiab mu]lgu.la šu-ut dé-a d u[t en-líl] 11) [itizíz mu]lnu.muš.da šu-ut dé-a mulsim.maḫ šu-ut da-nim mulda-mu šuu[t den-líl] 12) [itiše mulk]u6 šu-ut dé-a mul.damar.utu šu-ut da-nim mulka5.a šu-u[t denlíl] 1) Nisannu: das Feld, das des Ea; Venus, die des Anu; der Pflug, der des Enl[il]. 2) Ajjāru: die Sterne, die des Ea; der Alte Mann, der des Anu; Anunnītum, die des E[nlil]. 3) Simānu: der Rechte Hirte des An, der des Ea; der Löwe, der des Anu; die Schlange, die des E[nlil]. 4) Duˀūzu: der Pfeil, der des Ea; die Zwillinge, die des Anu; Šulpae, der des [Enlil]. 5) Abu: der Bogen, der des Ea; die Großen Zwillinge, die des Anu; der Wagen, der des [Enlil]. 6) Elūlu: die Niere, die des Ea; der Rabe, der des Anu; ŠU.PA, der des [Enlil]. 7) [Taš]rītu: Ninmaḫ, die des Ea; die Waage, die des Anu; EN.TE.NA.BAR. ḪUM, der de[s Enlil]. 8) [Araḫsamna:] der Wilde Hund, der des Ea; der Skorpion, der des Anu; der König, der d[es Enlil].

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Horowitz, The Three Stars Each, 40 f.

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9) [Kislīmu:] Ṣalbatānu, der des Ea; der U.-Dämon mit klaffendem Mund, der des Anu; die Ziege, die d[es Enlil]. 10) [Ṭebētu:] Gula, die des Ea; der Krebs, der des Anu; der Adler, der de[s Enlil]. 11) [Šabāṭu:] Numušda, der des Ea; die Schwalbe, die des Anu; Damu, der de[s Enlil]. 12) [Addaru: Der Fi]sch, der des Ea; Marduk, der des Anu; der Fuchs, der de[s Enlil]. Der Textausschnitt zeigt, wie die darin enthaltenen 36 Sternbilder und Planeten die Monate des Kalenders fixieren. So wird jeder Monat durch die Aufgänge der drei zugeordneten Sterne markiert. Die in Abschnitt III und IV dargestellte Verbindung von Sternenaufgängen mit bestimmten Monaten befähigte somit theoretisch dazu, jeden Monat des Jahres anhand der Sterne zu identifizieren, wodurch es im theoretischen Rahmen des Zwölfmaldrei-Systems möglich wäre, den Verlauf der Monate des Kalenders mit dem Lauf der Sterne abzugleichen.211 Eine besondere Bedeutung hat dabei der Stern muliku – das Feld. Dieser wird im Sternenkatalog des zweiten Abschnitts von Astrolab B als Stern charakterisiert, der das neue Jahr anzeigt: Astrolab B, II 1–4212 1) muliku šá ina zi im.kur.ra gub-zu 2) ana im.ùlulu gib mul.bi 3) mul sag mu a-lik igi mul.meš 4) šu-ut dé-a 1) Das (Sternbild) Feld, das beim Erheben des Ostwindes steht 2) (und) den Südwind überkreuzt; dieser Stern 3) ist der Stern des Jahresbeginns, der den (anderen) Sternen vorangeht, 4) derjenige des Ea. Auch der Stern Marduks erfüllt bei der Anzeige der Zeit eine besondere Aufgabe. Dieser steht am Ende der Sterne des Anu und soll im letzten Monat des Jahres aufgehen.213 Im Enūma eliš Tafel V wird erläutert, dass dieser Stern das gesamte Zwölfmaldrei-System überwacht, indem er den anderen Sternen ihre Pfade zuweist. Dies wird in Enūma eliš Tafel VII im Zuge der Nennung der 50 Namen Marduks noch näher erläutert. Dessen 49. Name bezieht sich auf seinen Stern Nēberu: 211

Horowitz, The Astrolabes, 101 f. Horowitz, The Three Stars Each, 37. 213 Gemäß MUL.APIN bildet er das Ende der Sterne des Enlil. Siehe Hunger – Pingree, MUL.APIN, 28 f. 212

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Enūma eliš VII, 124–134214 124) dné-bé-ru né-bé-re-et an-e u ki-tim lu-ú ta-me-eḫ-ma 125) e-liš ù šap-liš la ib-bi-ru li-qé-ˀu-šú šá-a-šu 126) dné-bé-ru mul-šú šá ina an-e ú-šá-pu-u 127) lu-ú ṣa-bit kun-sag-gi šu-nu ša-a-šu lu-ú pal-su-šú 128) ma-a šá qer-biš ti-amat i-te-eb-bi-ru la na-ḫi-iš 129) šum-šu lu-ú dné-bé-ru a-ḫi-zu qer-bi-šu 130) šá mul.meš šá-ma-mi al-kàt-su-nu li-kin-ma 131) ki-ma ṣe-e-ni li-ir-ˀ-a dingir.dingir gim-ra-˹šú˺-un 132) li-ik-mi ti-amat na-piš-ta-šu li-sik ù lik-ri 133) aḫ-ra-taš un.meš la-ba-riš u4-me 134) li-is-se-e-ma la uk-ta-lu li-ri-iq a-na ṣa-a-ta 124) Als Nēberu möge er den Übergang des Himmels und der Erde kontrollieren; 125) oben und unten dürfen sie nicht passieren, (sondern) sollen auf ihn warten. 126) Nēberu, sein Stern, den er am Himmel erscheinen lässt, 127) möge den Wendepunkt ergreifen; sie mögen ihn anblicken. 128) Der in der Tat das Innere der Tiāmat immer wieder durchschritten hat, ohne zu ruhen 129) sein Name möge Nēberu sein, der ihr215 Inneres erfasst. 130) Der Sterne des Himmels Bewegung möge er festmachen und 131) wie eine Herde behüten der Götter Gesamtheit. 132) Er möge Tiāmat binden, ihr Leben niederwerfen und verkürzen. 133) Für künftige Menschen und kommende Tage 134) möge sie fern sein; darf sie nicht zurückgehalten werden; möge sie für immer verschwinden.216 Bei der Erläuterung des Namens wird beschrieben, dass Marduk als Stern Nēberu dafür Sorge trägt, dass auch die anderen Sterne ihre Bahnen einhalten. Hier findet sich demnach ein Rückgriff auf die fünfte Tafel des Enūma eliš wieder, in der die 214

Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 130 f. Wörtl. „sein“. 216 Vgl. auch die Übersetzung von Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma elîš, 309: „Für die Zukunft der Menschen, für das Altwerden der Tage, Möge sie sich entfernen, möge sie nicht zurückgehalten werden, möge sie für immer verschwinden.“ Anders dagegen Lambert, Babylonian Creation Myths, 131, der die Aussagen in Z. 134 nicht auf Tiāmat bezieht, sondern auf Marduk: „To generations yet unborn, to distant future days, May he continue unchecked, may he persist into eternity.“ Beide Verben, nesû und rêqu, decken jedoch eher ein semantisches Feld mit der Bedeutung „sich entfernen“, „entfernt sein“ ab, weshalb der Übersetzung von Kämmerer und Metzler der Vorzug zu geben ist. 215

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Einrichtung der Himmelskörper und der Grundlagen des Kalenders thematisiert werden. Die Funktion des Sterns Nēberu wird auch in MUL.APIN aufgegriffen: MUL.APIN I, i 36–38217 36) ki-ma mul.meš šu-ut den-líl ug-dam-mi-ru-ni 37) 1 mul gal u4.da-su da-aˀ-mat an-e bar-ma gub-zu mul damar.utu né-bi-ri 38) diš mulsag.me.gar ki.gub-su kúr.kúr-ir an-e ib-bir 36) Sobald die Sterne des Enlil vollendet wurden, 37) wird ein großer Stern, dessen Licht dämmerig ist, den Himmel teilen und stehen: der Stern Marduks, Nēberu. 38) Nēberu wird seine Position verändern und den Himmel durchqueren. Die Erläuterungen zu Nēberu in diesen Abschnitten präzisieren die Aufgaben des Sterns. Sowohl in Astrolab B als auch in MUL.APIN steht Nēberu am Ende eines Himmelspfades. Er geht also als letzter Stern dieses Pfades auf. Doch Nēberu bewegt sich laut dieser Texte auf einer besonderen Bahn, auf der er den Himmel durchquert und diesen dabei gleichsam halbiert. Damit dient Nēberu als Fixpunkt für die anderen Sterne bzw. Götter: An ihm sollen sie sich orientieren, um nicht die ihnen zugewiesenen Pfade zu verlassen. Horowitz deutet die Rolle Nēberus dahingehend, dass der Stern das Ende des alten Jahres markierte und gleichzeitig eine Passage des alten Jahres zum neuen Jahr darstellte.218 Dieser Interpretation scheint grundsätzlich plausibel, da Nēberu mit dem letzten Monat des Jahres assoziiert wird. Allerdings muss angemerkt werden, dass die Texte – anders als bei mul iku, der explizit mit dem Jahresanfang identifiziert wird – selbst keinen direkten Hinweis auf eine Assoziation als Jahresendpunkt liefern. In Enūma eliš Tafel V werden abgesehen von Nēberu zwei weitere Sterne hervorgehoben. Es handelt sich um die Sterne Eas (mulku6) und Enlils (mulapin), die zusammen mit Marduks Stern das Zwölfmaldrei-System regulieren.219 Die drei Götter Marduk, Enlil, Ea erinnern an die Konstellation Anu, Enlil und Ea, die nach einigen mythischen Textpassagen für die Einrichtung der Himmelskörper und der Zeit verantwortlich waren.220 In dem Fall wäre Anu als zeitgebende Gottheit im Astrolab B und in den darauf aufbauenden Texten durch Marduk ersetzt worden. Horowitz hat bereits überzeugend dargelegt, dass Astrolab B weniger als astronomischer, sondern vielmehr als theologischer Text verstanden werden muss, der die herausragende Rolle Marduks hervorhebt.221

217

Hunger – Pingree, MUL.APIN, 28 f. Horowitz, The Three Stars Each, 4 und 7. 219 Gemäß Astrolab B II, Rs. i 8 und iii 1–3, werden die beiden Sterne mit Ea und Enlil gleichgesetzt. 220 Siehe Kapitel 5.1 221 Horowitz, The Three Stars Each, 7 f. 218

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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Die theologische Basis des Zwölfmaldrei-Systems wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die darin aufgestellten sternenkundlichen Schemata rein theoretischer Natur waren. Der primär lunare Charakter des mesopotamischen Kalenders ließ es gar nicht zu, dass die Sterne alljährlich in dem genau dafür vorgesehenen Monat aufgingen. Darüber hinaus waren auch Planeten in dem System verarbeitet, deren Aufgänge erst recht nicht jedes Jahr zur gleichen Zeit verortet werden konnten.222 Wie bereits erwähnt, stellte ein solches System damit keine realen astronomischen Begebenheiten dar. Dies hat zur Folge, dass die Sterne nicht ohne weiteres genutzt werden konnten, um den tatsächlichen, auf den Kalender bezogenen Zeitverlauf zu messen und anzuzeigen. Stattdessen offenbarte das Zwölfmaldrei-System, ob der tatsächliche Verlauf der kalendarischen Zeit vom idealen Zeitverlauf abwich.223 „The first day of each month should have been marked by the heliacal rising of the Ea-star, and perhaps also the Anu and Enlil-stars, on the eastern horizon and the appearance of the new moon on the western horizon. If these events did not occur at their expected times, it was a sign that the astronomical and lunar calendars were out of synchronism.“224 D. Brown geht hingegen davon aus, dass die Astrolabien nicht der Kalenderregulierung dienten.225 Dem Kolophon des Zwölfmaldrei-Textes BM 82923 lässt sich jedoch entnehmen, dass der kalendarische Aspekt aus emischer Perspektive dennoch eine Rolle spielte. Der Text enthält neben den drei obligatorischen Sternbildern pro Monat und jeweils einer Erläuterung zu jedem Sternbild auch Zahlen, die offenbar die Länge des Tages bzw. der einzelnen Wachen nachzeichneten.226 Der erhaltene Kolophon stellt die Kalenderregulierung sogar unmittelbar als Zweck des Textes heraus:

222

Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 33. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 115, weist ebenfalls darauf hin, dass die Daten der Aufgänge der Sterne eher auf ein erdachtes Schema als auf tatsächliche Beobachtung hindeuten. 223 Horowitz, The Astrolabes, 101 f. So auch Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 36 f. sowie Cancik-Kirschbaum, Rund-Zahlen und Ideal-Rhythmen, 74. 224 Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 163 f. 225 Brown, Astronomy – Astrology in Mesopotamia, 49. Vgl. auch die Erläuterungen zu Beginn von Kapitel 4.1.2. 226 Gemäß Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 33 f., handelt es sich um das Gewicht des Wassers, das einer Wasseruhr beigegeben wurde.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

BM 82923, 37227 37) šá níg.pàd.da gi6 u u4 si.sá.a gub.ba 37) Aus einem Kommentar zur korrekten Festsetzung von Nacht und Tag.228 Da die Kalenderregulierung auch für die Divination von großer Bedeutung war (vgl. Kapitel 9) schließen sich die Interpretationen auch nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Die Auf- und Untergänge bestimmter Sternenkonstellationen in festen Monaten des Jahres werden auch in MUL.APIN behandelt. Die genaue Entstehungszeit von MUL.APIN ist nicht bekannt. Die meisten Exemplare stammen grob datiert aus neubabylonischer und neuassyrischer Zeit.229 Lediglich zwei Textzeugen lassen sich genauer bestimmen: VAT 9412 + 11279230 datiert demnach auf das Jahr 687 v. Chr. und BM 32311231 nennt den Namen Seleukos, wobei das genaue Datum nicht mehr lesbar ist.232 BM 32311 zeigt somit zugleich, dass die im Folgenden dargestellten Vorstellungen von einem idealen Jahresverlauf auch noch bis in die seleukidische Zeit hinein rezipiert wurden. Der Text MUL.APIN umfasst zwei Tafeln.233 Auf der ersten Tafel befinden sich insgesamt sechs Listen mit Sternen.234 Die erste Liste (i 1 – ii 35) beinhaltet die Sterne der Pfade des Enlil, Anu und Ea. Sie zeigt somit die enge Verbindung auf, die mit zuvor beschriebenen Zwölfmaldrei-Texten besteht. Die zweite Liste (ii 36 – iii 12) gibt die Aufgänge von Sternenkonstellationen zu bestimmten kalendarischen Daten an.235 Die Dritte (iii 13–33) nennt gleichzeitig verlaufende Auf- und Untergänge von Sternen. Die Vierte (iii 34–50) gibt die Zeitintervalle 227

Transliteration nach Walker – Hunger, Zwölfmaldrei, 30. Möglicherweise handelt es sich auch um das Incipit des Kommentars. In dem Fall ließe sich die Zeile folgendermaßen übersetzen: „Aus dem Kommentar ‚Nacht und Tag sind korrekt festgesetzt‘.“ 229 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 9. 230 Textzeuge HH nach Hunger – Pingree, MUL.APIN, 4. 231 Textzeuge K nach Hunger – Pingree, MUL.APIN, 3. 232 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 9. 233 Der Text BM 42277 (Textzeuge D nach Hunger – Pingree), der die zweite Tafel von MUL.APIN darstellt, ist der einzige Textzeuge, der noch eine dritte Tafel anzusetzen scheint. Im Kolophon des Textes ist vermerkt, dass er „nicht abgeschlossen“ (nu al.til) sei. Zudem wird mulsag.me.gar dšul.pa-è als Anfangszeile der vermeintlich nächsten Tafel von MUL.APIN genannt. Der fragmentarische Katalog K 12000d dagegen nennt diese Zeile in unmittelbarer Folge an MUL.APIN und sieht diese damit offenbar nicht mehr als zum Text gehörig an. Hunger – Pingree vermuten, dass es sich bei der vermeintlichen dritten Tafel um einen nicht zwingend auftretenden Appendix zu MUL.APIN handelt. Siehe Hunger – Pingree, MUL.APIN, 8 f. 234 Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 58. Eine umfangreiche Zusammenfassung und Beschreibung der einzelnen Listen findet sich ibid., 58–73. 235 Für eine Übersetzung siehe S. 96 f. 228

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wieder, die zwischen den Aufgängen von Sternenkonstellationen vergehen.236 Die fünfte Liste (iv 1–30) beschäftigt sich mit den sog. ziqpu-Sternen. Die letzte Liste (iv 31–39) schließlich benennt die Sterne, die der Mond im Zuge eines Zyklus passiert. Die zweite und vierte Tabelle führen explizite kalendarische Daten für die Aufgänge von Sternen und die dazwischenliegenden Intervalle auf. Anhand dieser Aufgänge ließ sich, wie bei den Astrolabien, theoretisch bestimmen, in welchem Abschnitt des Jahres man sich befand und ob der Kalender noch dem idealen Zeitverlauf folgte. Dennoch muss auch hier bedacht werden, dass es sich nicht um beobachtete und gemessene Daten und Intervalle handelt, sondern um idealisierte, schematisch Daten. Die übrigen Listen in MUL.APIN können ebenfalls als Kontrollreferenz für den Beobachter dienen. Neben den bereits dargestellten lumāšu-Sternen werden dort die ziqpu-Sterne als weitere namentlich gesonderte Gruppe von Sternen hervorgehoben.237 Dabei handelt es sich um Sterne, die im Pfad des Enlil in der Mitte des Himmels standen und mit deren Hilfe der Auf- und Untergang der Sterne bei Nacht beobachtet werden konnte.238 Hunger und Pingree beschreiben die Funktion der ziqpu-Sterne und der damit assoziierten Texte daher folgendermaßen: „The purpose of the ziqpu star list must have been to determine time intervals at night by observing their crossings of the meridian.“239 J. Schaumberger charakterisiert die ziqpu-Sterne in ähnlicher Weise: „Die ziqpu- oder Kulminationsgestirne dienen in den astronomischen Keilschrifttexten häufig dazu, den Zeitpunkt astronomischer Erscheinungen in „Sternzeit“, wie wir sagen würden, anzugeben, indem man das Gestirn bezeichnet, das um die Zeit im Meridian des Beobachters steht, d.h. kulminiert.“240 Tatsächlich werden im weiteren Verlauf des Abschnitts über die ziqpu-Sterne in MUL.APIN (ebenfalls idealisierte) kalendarische Daten genannt, an denen ein ziqpu-Stern in der Mitte des Himmels stehen sollte, während ein weiterer Stern 236

Siehe S. 99 f. für eine Übersetzung der Zeilen III 34–48. Für ziqpu-Sterne allgemein siehe Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 84–90. So sind ziqpu-Sterne nicht nur aus MUL.APIN bekannt, sondern auch aus diversen späteren Texten. Siehe für die jeweiligen Editionen ebenfalls den genannten Abschnitt bei Hunger – Pingree. 238 MUL.APIN iv 1–3: 1) diš mul.meš šá ina kaskal šu-ut den.líl ina murub4 an-e 2) ina igi-it gaba šá šeš an-e gub.meš-ma gi6 kur u šú-bi 3) šá mul.meš ina šà-bi-šú-nu im-ma-ru – „Die Sterne, die im Pfad des Enlil, in der Mitte des Himmels, vor der Brust des Himmelsbeobachters stehen und (durch die) man des Nachts den Aufgang und Untergang der Sterne in ihrem Inneren beobachtet.“ 239 Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 89. 240 Schaumberger, Die Ziqpu-Gestirne nach neuen Keilschrifttexten, 214. 237

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Teil II: Die Zeit in der Natur

aufgeht.241 Auch im Zusammenhang mit der Schaltung des Kalenders wurde offenbar auf die Beobachtung von Sternenaufgängen zurückgegriffen. Dies wird ebenfalls in MUL.APIN deutlich, in dem insgesamt zwei Schaltregeln verarbeitet wurden.242 Das erste Schema findet sich auf Tafel II i 9–24. MUL.APIN II, i 9–24243 9) diš ina itišu u4.15.kam mulkak.si.sá igi.lá-ma 10) 4 ma.na en.nun u4-mi 2 ma.na en.nun gi6 11) dutu šá ina á imsi.sá ki sag.du mulur.gu.la kur-ḫa 12) gur-ma ana á imu18.lu u4-mu 40 ninda.ta.àm ul-ta-nap-pal 13) u4.meš lúgud.da.meš gi6.meš gíd.da.meš 14) diš ina itidu6 u4.15.kam dutu ina šà-bi mulzi-ba-ni-tu4 ina dutu.è kur-ḫa 15) u d30 ina igi mul.mul egir mul.lúḫun.gá gub-az-ma 3 ma.na en.nun u4-mi 3 ma.na en.nun gi6 16) diš ina itiab u4.15.kam mulkak.si.sá ina li-la-a-ti igi.lá-ma 2 ma.na en.nun u4-mi 4 ma.na en.nun gi6 17) dutu šá ina á imlu18.lu ki sag.du mulur.gu.la kur-ḫa gur-ma ana á imsi.sá 18) u4 40 ninda.ta.àm un-da-na-ḫar u4.meš gíd.da.meš gi6.meš lúgud.da.meš 19) diš ina itibára u4.15.[kam] d30 ina li-la-a-ti ina šà 20) mulzi-ba-ni-tú ina dutu.è u dutu ina dutu.šú.a 21) ina igi mul.mul egir mulḫun.gá gub-ma 3 ma.na en.nun u4-mi 3 ma.na en.nun gi6 22) diš ina itibár u4.15.kam ina itišu u4.15.kam ina itidu6 u4.15.kam ina itiab u4.15.kam 23) kur.meš šá dutu na.meš šá d30 igi.du8.a.meš šá mulkak.si.sá 24) šeš-ár u4.meš diri.meš igi.lá 9) Wenn im (Monat) Duˀūzu, am 15. Tag, der Pfeil gesehen wird, 10) (dann) sind vier Minen Tagwache und zwei Minen Nachtwache. 11) Šamaš, der zum Norden hin zusammen mit dem Kopf des Löwen aufgeht, 12) wendet sich und sinkt konstant hin zum Süden mit je 40 ninda pro Tag; 13) die Tage werden kürzer, die Nächte werden länger. 14) Wenn im (Monat) Tašrītu, am 15. Tag, die Sonne in der Mitte der Waage im Osten aufgeht, 15) und Sîn vor den Plejaden und hinter dem Mietarbeiter steht, (dann) sind drei Minen Tagwache und drei Minen Nachtwache. 16) Wenn im (Monat) Ṭebētu, am 15. Tag, der Pfeil am Abend sichtbar 241

Vgl. Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 69. Steele, Making Sense of Time, 475. 243 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 72–77. 242

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

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wird, (dann) sind zwei Minen Tagwache und vier Minen Nachtwache. Šamaš, der zum Süden hin mit dem Kopf des Löwen aufgeht, wendet sich und nähert sich konstant dem Norden an mit je 40 ninda pro Tag; die Tage werden länger, die Nächte werden kürzer. Wenn im (Monat) Nisannu, am 15. Tag, Sîn am Abend in der Mitte der Waage im Osten und Šamaš im Westen, vor den Plejaden und hinter dem Mietarbeiter steht, (dann) sind drei Minen Tagwache und drei Minen Nachtwache. Am 15. Tag des Nisannu, am 15. Tag des Duˀūzu, am 15. Tag des Tašrītu (und) am 15. Tag des Ṭebētu den Aufgang der Sonne, die Position244 des Mondes (und) die Sichtbarwerdung des (Sternenbildes) Pfeil beobachtest du. Die überschüssigen Tage wirst du sehen.

Dieses Schema basiert auf den vier Kardinalpunkten des solaren Jahres, d.h. den Äquinoktien und den Solstitien.245 An jedem der vier Jahrespunkte sollen demnach bestimmte Phänomene beobachtet werden, die Aufschluss darüber geben, inwieweit sich der ideale Jahresverlauf bereits vom tatsächlichen Jahresverlauf entfernt hat. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Sterne, die an den speziellen kalendarischen Daten aufgehen sollen. Hunger und Pingree erklären die dahinter stehende Methodik folgendermaßen: „In theory, the difference between the actual date of the occurrence of one of these phenomena and the ideal date is the epact; when the epact equals thirty days, an intercalary month is needed.“246 MUL.APIN enthält noch ein zweites Schema zur Bestimmung eines Schaltjahres, die sogenannte „Plejaden-Schaltregel“. Diese Regel soll anhand des Aufgangs bestimmter Sterne – darunter die namensgebenden Plejaden – an einem bestimmten kalendarischen Datum zeigen, ob das Jahr ein normales Jahr oder ein Schaltjahr war: MUL.APIN, Gap A 8 – II 10247 A 8) [diš ina itibára u4.1.k]am mul.mul u d30 šit-qu-lu mu.bi gi.na-ta 9) [be-ma ina itibára u4].3.kam mul.mul u d30 lál mu.bi diri-át 10) [diš ina itigu4 u4.1.kam] mul.mul igi.lá mu.bi gi.na-ta 11) [be-ma ina itisig4 u4].1.kam mul.mul igi.lá mu.bi d[iri-át] 244

Zu der Übersetzung von na – „Position“ siehe Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL.APIN, 202. 245 Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL.APIN, 198. 246 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 151 f. 247 Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL.APIN, 85–89.

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12) [diš ina itišu u4.15.kam mulkak.si.sá igi-lá] 13) [dutu šá ina á imsi.sá kur-ḫa] 14) [GUR-ma ana] ˹á˺ im.˹u18˺.l[u ultanappal248] 15) [ ] ˹x˺ [ mu.bi gi.na-át] iti 16) [b]e -ma ina izi u4.˹15˺.kam mulkak.si.sá igi.lá mu.bi diri-[át] 17) diš ina itikin u4.15.ka[m] mulšu.pa igi.lá mu.bi [gi.na-át] 18) [b]e-ma ina itidu6 u4.15.kam mulšu.pa igi.lá mu.bi [diri-át] II 1) [diš ina i]tidu6 u4.15.kam mul.mul u d30 lál mu.bi [gi.n]a-át 2) [be-m]a ina itiapin u4.15.kam mul.mul u d30 lál mu.bi diri-át 3) [diš ina itia]b u4.1[5.ka]m mulkak.si.sá ina li-la-a-ti ina dutu.è [igi.lá dutu šá] ina á imu18.lu kur-ḫa gur-ma ana á imsi.sá un-da-na-ḫar [mu.b]i gi.naát 4) be-ma ina itizíz u4.15.kam mulkak.si.sá ina li-la-a-ti igi mu.bi diri-át 5) [diš ina itiš]e u4.15.kam mulku6 mulšu.gi igi.lá mu.bi gi.na-át 6) [be-ma] ina itibára u4.15.kam mulku6 mulšu.gi igi.meš mu.bi diri-át 7) mú.meš mul.meš šá šu-ut dé-a šu-ut da-nim šu-ut den-líl 8) […] u mú.meš-šú-nu [k]in.ki[n-m]a mu.bi ta-nam-bi 9) ki-ma mul.meš š[á … it]i u mu.an.na tuš-tab-bal-ma 10) ina 3 mu.meš me-a gar-ma mu.[bi di]ri.ga me-bi A 8) [Wenn im (Monat) Nisannu, am ersten Tag], die Plejaden und Sîn in Konjunktion stehen, wird das Jahr fest sein. 9) [Wenn im (Monat) Nisannu], am dritten [Tag], die Plejaden und Sîn in Konjunktion stehen, wird das Jahr ein Schaltjahr. 10) [Wenn im (Monat) Ajjaru, am ersten Tag,] die Plejaden sichtbar werden, wird das Jahr fest sein. 11) [Wenn im (Monat) Simānu,] am ersten [Tag] die Plejaden sichtbar werden, wird das Jahr ein Sch[altjahr]. 12) [Wenn im (Monat) Duˀūzu, am 15. Tag, der Pfeil sichtbar wird], 13) [die Sonne, die im Norden aufgeht,] 14) [sich wendet und sich Richtung] Süden [bewegt], 15) [ ]x[ wird das Jahr fest sein.] 16) [We]nn im (Monat) Abu, am 15. Tag, der Pfeil sichtbar wird, wird das Jahr ein Schaltj[ahr]. 17) Wenn im (Monat) Ulūlu, am 15. Tag, šu.pa sichtbar wird, wird das Jahr [fest sein]. 18) [We]nn im (Monat) Tašrītu, am 15. Tag, šu.pa sichtbar wird, wird das Jahr [ein Schaltjahr]. II 1) [Wenn im (Mo]nat) Tašrītu, am 15. Tag, die Plejaden und Sîn in Konjunktion stehen, wird das Jahr fest sein. 248

Ergänzung nach Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL. APIN, 86.

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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2)

[Wen]n im (Monat) Araḫsamna, am 15. Tag,] die Plejaden und Sîn in Konjunktion stehen, wird das Jahr ein Schaltjahr. 3) [Wenn im (Monat) Ṭeb]ētu, am 1[5. T]ag, der Pfeil des Nachts im Osten [gesehen wird und Šamaš, der] auf der Süd[sei]te aufgeht, zurückkehrt und sich der Nordseite annä[hert], wird d[as Jahr] fest sein. 4) Wenn im (Monat) Šabāṭu, am 15. Tag, der Pfeil des Nachts sichtbar wird, wird das Jahr ein Schaltjahr. 5) [Wenn im (Monat) Add]aru, am 15. Tag, der Fisch und der Greis sichtbar werden, wird das Jahr fest sein. 6) [Wenn] im (Monat) Nisannu, am 15. Tag, der Fisch und der Greis sichtbar werden, wird das Jahr ein Schaltjahr. 7) Das Aufleuchten der Sterne, derjenigen des Ea, derjenigen des Anu (und) derjenigen des Enlil. 8) […] und ihr Aufleuchten [s]uch[st] du und benennst das Jahr. 9) Sobald die Sterne d[es … Mon]at und Jahr bedenkst du. 10) Im dritten Jahr gibst du einen Spruch und erklärst [dieses] Jahr (zum) [Schalt]jahr.

Auch die sog. „Plejaden-Schaltregel“ basiert methodisch auf der Beobachtung bestimmter Sterne an bestimmten Tagen des Jahres.249 Beide Schaltregeln illustrieren, dass anhand des Aufgangs der Sterne an festgesetzten kalendarischen Daten gezeigt werden sollte, ob das Jahr ein normales Jahr war oder ein Schaltjahr werden sollte.250 Wie schon zuvor bei der Sonne, zeigt sich z.T. auch hier, dass die Position der Sterne in Relation zum Mond von Bedeutung war. Beide Schemata bestätigen die Kontrollfunktion, welche die Beobachtung der Sterne im Zusammenhang mit dem Kalender und der Wahrnehmung des korrekten Zeitverlaufs einnehmen sollte. Zwar waren alle im Verlaufe des Kapitels dargestellten Systeme idealisierter Natur und – wie von D. Brown herausgearbeitet – v.a. auf ihre Nutzung im Rahmen der Divination ausgelegt, dennoch gibt es einen Hinweis, dass ein auf Sternenbeobachtung basierendes System auch tatsächlich genutzt wurde, um den Verlauf des Kalenders abzugleichen und ggf. zu korrigieren. So ermahnt der Gelehrte 249

In MUL.APIN II ii 11–17 wird noch eine dritte Möglichkeit der Schaltung beschrieben, die auf Berechnung basiert. Demnach sollen alle zwölf Monate zehn zusätzliche Tage anfallen, sodass immer nach genau drei Jahren ein neuer Schaltmonat angesetzt werden kann. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 120, bemerkt diesbezüglich: „It was, instead, the consequence of a mathematical elaboration on what had long since been recognised in Mesopotamia, that one additional month every three years kept the lunar calendar and the seasons pretty much aligned. (…) This well-known astronomical fact was simply worked into a scheme in Mul.Apin which had a divinatory purpose – the “ideal Year”.“ 250 Horowitz, The 360 and 364 Day Year in Ancient Mesopotamia, 38.

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Balasî den assyrischen König in einem Brief einen Schaltmonat einzufügen: K 760251 Rs. 8) iti lid-ru-ru mul an-e gab-bu 9) it-ta-ma[r]-ku-u ina hul itiše 10) lu la et-ti-iq lid-ru-ru Rs. 8) Lass sie einen Monat schalten; alle Sterne des Himmels 9) sind zurückgefallen. Im Schlechten darf der Monat Addaru 10) nicht vorübergehen! Lass sie schalten! Zwar steht auch in diesem Brief der divinatorische Aspekt im Vordergrund, dennoch verdeutlicht er, dass eine Asynchronität zwischen den Bewegungen der Himmelskörper und dem Kalender eine Schaltung notwendig mache. Einen weiteren Hinweis darauf bietet der folgende Ausschnitt aus BM 121206, einem Text, der voraussichtlich aus Assur stammt und einen kultischen Kalender abbildet.252 Die Kolumne VII des Textes beginnt zunächst mit einer Auflistung von Waschungszeremonien (rimkāni) und Kesselpauken-Zeremonien (lilissāti) an festgelegten Tagen des Jahres. Ab Z. 20’ beginnt die Beschreibung von Riten, welche die Aufstellung von qapūtu-Gefäßen beinhalten. Dort heißt es: BM 121206, VII253 20’) mu-šú šá u4.kam šá itibára mule-du 21’) šá kun-šú ziq-pu 5-su dugqa-pu-u-tu 22’) gar-at a.meš e-X-šú 20’) Nacht des vierten Tages des Nisannu: „Einer 21’) seines Schwanzes“ kulminiert; ein Fünftel eines qappūtu-Gefäßes 22’) wird aufgestellt; Wasser … Dieser Zusammenhang zwischen kalendarischen Daten und astralen Phänomenen spielte somit eine direkte Rolle im Kultgeschehen, indem der Beginn von Kulthandlungen am Stand von ziqpu-Sternen festgemacht wurde.254 Diese sollten wiederum an einem bestimmten Tage des Jahres zu sehen sein. Der Text vermittelt somit bereits einen Eindruck, dass die korrekte Handhabung des Kalenders von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf kultische Aktivitäten war.

251

Hunger, Astrological Reports to Assyrian King, Nr. 98. Van Driel, The Cult of Aššur, 74. Siehe ibid., 74–79 für eine detaillierte Zusammenfassung aller Kolumnen. 253 Van Driel, The Cult of Aššur, 90 f. 254 Vgl. Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 270 + Anm. 110. Siehe auch Steele, Short Time in Mesopotamia, 105. 252

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Insgesamt zeigen die Quellen, dass der Aufgang festgelegter Sternenkonstellationen selbst als zeitanzeigendes Element fungieren konnte, indem der Beginn bestimmter Handlungen daran geknüpft wurde. Vielmehr jedoch treten die Sterne und Planeten als Kontrollinstanz in Erscheinung, da ihr Erscheinen und Verschwinden mit festgelegten Daten in Verbindung gebracht wurde. Diese Daten sind in den vorgestellten Quellen zwar stark idealisiert und stimmen nur grob mit den realen Begebenheiten überein, doch gibt es zumindest vereinzelte Hinweise darauf, dass die Beobachtung der Sterne auch Anwendung in der Kalenderregulierung fand.

4.1.3) Terrestrische Zeitanzeiger Als terrestrische Zeitanzeiger werden im Rahmen dieser Arbeit alle zyklisch wiederkehrenden Naturphänomene verstanden, die sich an der direkten Umwelt der Menschen beobachten ließen. Dazu zählen Veränderungen in der Landschaft ebenso wie meteorologische Ereignisse, auch wenn Letztere der mesopotamischen Perspektive nach offenbar zu den himmlischen Naturereignissen zugerechnet wurden.255 Als terrestrischer Zeitanzeiger kommt primär der Verlauf der Jahreszeiten in Frage, sekundär die damit einhergehenden Naturphänomene wie das zyklische Erblühen und Vergehen der Vegetation und die jährlich eintretende Flut von Euphrat und Tigris. Die Regenzeit im Norden Mesopotamiens begann etwa im September.256 Die von dem Winterregen und der Schneeschmelze in den Gebirgen Zagros und Taurus jährlich hervorgerufene Überschwemmung der beiden Flüsse Euphrat und Tigris257 erreichte ihren Höhepunkt im Frühjahr des babylonischen Kalenders, etwa um die Monate April / Mai herum.258 Zusammen mit den vom Sonnenlauf bestimmten Jahreszeiten bildet die Überschwemmung der Flüsse die Grundlage für den landwirtschaftlichen Zyklus v.a. des südlichen Zweistromlandes.259 Aufgrund ihrer zyklischen Natur markieren so auch die Jahreszeiten den Verlauf der Zeit, indem sie das Jahr in unterschiedliche Abschnitte unterteilen.260 255

So wurden bspw. Wetterphänomene in die Omenserie Enūma Anu Enlil eingearbeitet, die sich ansonsten primär mit astralen Phänomenen beschäftigt. Vgl. dazu die Übersicht über die Abschnitte von Enūma Anu Enlil bei Gehlken, Weather Omens of Enūma Anu Enlil, 4. 256 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 7 f. 257 Vgl. Hrouda, Der Alte Orient, 32. 258 Hrouda, Der Alte Orient, 32, und Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 7 f. 259 Im weiter nördlich gelegenen Assyrien ist zumindest z.T. noch Regenfeldbau möglich gewesen. Vgl. Hrouda, Der Alte Orient, 29. 260 Vgl. u.a. Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 246, und Verderame, Le calendrier et la mesure du temps, 121.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Demgemäß ließ sich das Jahr in zwei Hälften teilen. So wurde das Jahr zum einen durch den regelmäßigen Wechsel von kalter und warmer Jahreszeit, zum anderen vom Wechsel landwirtschaftlicher Tätigkeiten bestimmt.261 Die warme Jahreszeit beginnt etwa im März / April und fällt somit grob auf den kalendarischen Jahresbeginn des babylonischen Kalenders.262 Die Abkühlung zum Winter hin beginnt ab etwa September.263 Die Zweiteilung des Jahres hat sogar kultischen Niederschlag gefunden. So spiegelten sich bestimmte Feste und Rituale in beiden Jahreshälften.264 B. Landsberger, der sich umfassend mit den Jahreszeiten im Sumerischen und Akkadischen auseinandergesetzt hat, bemerkt in dem Zusammenhang:265 „Fassen wir zusammen, so dominiert in Babylonien die Zweiteilung des Jahres, wobei Frühling und eigentlicher Sommer, Herbst und eigentlicher Winter, zu je einer Jahreszeit zusammengefasst werden. Die Sommerhälfte wird „Ernte(zeit)“ genannt, (…). Aber man nennt diesen Zeitabschnitt auch „Hitze“, wie man die Winterhälfte „Kälte“ nennt, wobei das Charakteristikum des jeweils zweiten Viertels a potiori auf die ganze Jahreshälfte übertragen wird.“ Landsberger stellt aber auch heraus, dass es auch noch andere Einteilungen der Jahreszeiten gab. Er verweist dabei auf MUL.APIN, in dem eine Vierteilung des Jahres vorausgesetzt wird.266 Der Ausschnitt MUL.APIN II, Gap A 1–7 zeigt, dass zwischen der Sommer- und Winterzeit noch zwei weitere Jahreszeiten mit gleichen klimatischen Bedingungen angesetzt werden. Landsberger spricht bei der Einteilung MUL.APINS daher dezidiert von meteorologischen Jahreszeiten.267 Aus der Textstelle ergibt sich jedoch noch eine weitere wichtige Beobachtung: Der Text reiht auch die Jahreszeiten in das System der idealen Zeit mit ein. Dies zeigen zum einen die auffällig genauen dreimonatigen Zeiträume, die jeweils für eine Jahreszeit einstehen. Darüber hinaus werden die aus dem Zwölfmaldrei-System bekannten Pfade des Himmels wiederaufgenommen und mit dem Lauf der Sonne in Verbindung gebracht. Die Position der Sonne in einem der drei Pfade zeigt dabei die jeweilige Jahreszeit an. Wenn im Sommer also die Sonne am höchsten Punkt steht, befindet sie sich im obersten Pfad des Himmels, dem Pfad des Enlil. Bei ihrem niedrigsten Stand im Winter ist sie dagegen im südlich gelegenen Pfad des Ea zu finden. Dazwischen verweilt sie im zentral gelegenen Pfad des Anu. 261

Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 249 f. Vgl. Cohen, The Cultic Calendars, 14. 263 Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 250. 264 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 6 f. 265 Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 253. 266 Vgl. Landsberger, Jahreszeiten im Sumerisch-Akkadischen, 250–252. 267 Landsberger, Jahreszeiten um Sumerisch-Akkadischen, 252. 262

4) Die Grundlagen der Zeitwahrnehmung

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Die Jahreszeiten haben im Vergleich zu den astralen Zeitanzeigern jedoch den Nachteil weit weniger präzise zu sein.268 Sie finden daher bei kultischen Angelegenheiten mit kurzer Periodizität sowie administrativen Belangen keine Anwendung.269 Abschließend lassen sich die natürlichen Grundlagen der Zeitwahrnehmung folgendermaßen zusammenfassen: Der Mond nimmt unter allen Himmelskörpern die zentrale Rolle hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit von Zeit ein. Er zeigt dabei nicht nur den Monat selbst an, sondern wird auch für die Wahrnehmung des Jahres und sogar des Tages vereinnahmt. Er stellt damit das zentrale Kalendergestirn dar, auf dessen Bewegungen und Phasen der gesamte Kalender beruhte. Die Sterne und Planeten dienen als Kontrollinstanz. Feste kalendarische Daten wurden mit dem Auf- und Untergang bestimmter Sterne in Verbindung gebracht. Sie stellten gleichsam Kontrollpunkte dar, mit deren Hilfe man bestimmen konnte, ob der kalendarische Verlauf des Jahres noch seinem vorgesehenen Muster folgte. So wurde bspw. der Jahresanfang durch den Aufgang des Sternenbildes mul iku – „Feld“ angezeigt. Die Sonne wiederum hilft dabei, die vom Mond hervorgebrachten Zeiteinheiten weiter zu differenzieren und somit präzisere Zeitbestimmungen zu ermöglichen. So unterteilt die Sonne den Tag bspw. in hellen Tag und Nacht ein. In Verbindung mit der Position des Mondes zeigt sie die Mitte und das Ende des Monats an. Zuletzt teilt sie mit ihrer wechselnden Position im Verlauf eines Jahres und den damit einhergehenden Schwankungen in Licht und Temperatur das Jahr weiter auf und ermöglichte so den Zyklus der Jahreszeiten. Der Mond, die Sonne und die Sterne bilden gemeinsam ein komplexes System, das den Lauf der Zeit wahrnehmbar und zugleich überprüfbar macht. Im Rahmen dieses Systems wurden die realen astronomischen Gegebenheiten jedoch in eine stark idealisierte Form überführt, die nur ungefähr mit den zugrundeliegenden realen Zyklen übereinstimmte. Die Idealisierung der Zeitwahrnehmung und die Gründe werden in Kapitel 6 näher besprochen. Wie am Beispiel der Sonne und der Sterne deutlich wird, wurden auch die Jahreszeiten in dieses System mit eingebunden. Die Jahreszeiten wurden durch die Sonne hervorgerufen, die zu bestimmten Zeiten des Jahres einen bestimmten Stand erreicht haben sollte. Damit gingen auch die terrestrischen Zeitanzeiger auf Vorgänge am Himmel zurück. Himmel und Erde bildeten ein gemeinsames System, das es dem Menschen ermöglichte, den Verlauf der Zeit wahrzunehmen. Der enge Zusammenhang von Himmel und Erde spielt auch in der Divination eine wichtige Rollle. In diesem Zusammenhang ist eine Passage aus dem sog. Handbuch der Beschwörungskunst von Interesse, einem Text, dem in der Forschung bisher vergleichsweise wenig 268

Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 3. 269 Verderame, Le calendrier et la mesure du temps, 122.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Aufmerksamkeit zuteil wurde. Im Rahmen einer noch immer gültigen, umfassenden Edition wurde er von A. Leo Oppenheim als Diviner’s Manual betitelt.270 Handbuch der Beschwörungskunst 39 f.271 39) an-e u ki-tim ur.bi giš.gim.ma ub-ba-lu-ni 40) a-ḫe-en-na-a ul bar.meš an u ki it-ḫu-zu 39) Himmel und Erde tragen zusammen Zeichen. 40) Sie können nicht jeder für sich geteilt werden; Himmel und Erde sind miteinander verbunden. Die Aussage des Handbuchs wurde zwar im Hinblick auf die Erscheinung ominöser Zeichen getätigt, kann aber, wie im Laufe des Kapitels herausgestellt werden konnte, genauso auch auf die Anzeige der Zeit angewandt werden. Der Verlauf der Zeit offenbarte sich den Menschen somit durch das Zusammenwirken von Himmel und Erde.

270 271

Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 197–220. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 200 und 204.

5) Anfang und Ende der Zeit D. Katz hat in ihrem Artikel Time in Death and Afterlife festgestellt, dass Zeit, wenn sie real ist, auch irgendwo begonnen haben muss.272 Das folgende Kapitel ist der Frage gewidmet, welche Vorstellungen die Menschen vom Beginn der Zeit hatten und welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen.

5.1) Die Schöpfung der Zeit Die Schreiber des Alten Orients haben zahlreiche Literaturwerke hervorgebracht, die sich mit mythischen Themen auseinandersetzen und dabei Ätiologien für verschiedenste Aspekte des Lebens bieten. Naturgemäß haben die ätiologischen Mythen auch immer wieder die Entstehung der Welt und ihrer Komponenten sowie die Schöpfung des Menschen ins Auge gefasst. Dem entsprechend finden sich in verschiedenen Texten auch Erzählungen, die das Aufkommen der Zeit näher beleuchten. Der wohl umfangreichste Text, der diese Thematik aufgreift, ist die fünfte Tafel des Enūma eliš. Der Text schildert wie Marduk, nachdem er Tiāmat erschlagen und aus ihrem Leichnam die physische Welt erschaffen hat, die Himmelskörper organisiert. Enūma eliš V, 1–46273 1) ú-ba-áš-šim man-za-za an dingir.dingir gal.gal 2) mul.meš tam-šil-šu-nu lu-ma-ši uš-zi-iz 3) ú-ad-di mu.an.na mi-iṣ-ra-ta ú-aṣ-ṣir 4) 12 iti.meš mul.meš šu-lu-[šá-a] uš-zi-iz 5) iš-tu u4-mi ša mu.an.na uṣ-ṣ[i-r]u ú-ṣu-ra-ti 6) ú-šar-šid man-za-az dné-bé-ri ana ud-du-u rik-si-šú-un 7) a-na la e-peš an-ni la e-gu-ú ma-na-ma 8) man-za-az den-líl u dé-a ú-kin it-ti-šú 9) ip-te-ma abul.meš ina ṣe-li ki-lal-la-an 10) ši-ga-ru ú-dan-ni-na šu-me-la u im-na 11) ina ka-bat-ti-šá-ma iš-ta-kan e-la-a-ti 12) dnanna-ru uš-te-pa-a mu-šá iq-ti-pa 13) ú-ad-di-šum-ma šu-uk-nat mu-ši a-na ud-du-ú u4-mi 14) ar-ḫi-šam la na-par-ka-a ina a-ge-e ú-ṣir 15) i-na sag iti-ma na-pa-ḫi e-[l]i ma-a-ti 16) qar-ni na-ba-a-ta a-na ud-du-ú za-ka-ri u4-mu 17) i-na u4.7.kám a-ga-a [maš]-la 18) [š]á-pat-tu lu-ú šu-tam-ḫu-rat mi-ši[l ar-ḫi]-šam 272 273

Katz, Time in Death and Afterlife, 124. Lambert, Babylonian Creation Myths, 98–100.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

19) i-[n]u-ma dutu i-na i-šid an-e ina-[aṭ-ṭa-l]u-ka 20) ina [s]i-[i]m-ti šu-tak-ṣi-ba-am-ma bi-ni ar-ka-niš 21) [bu-ub-bu-l]um a-na ḫar-ra-an dutu šu-taq-rib-ma 22) šá [x (x) u4.3]0.kám lu šu-tam-ḫu-rat dutu lu šá-na-at 23) ú-[ad-di-ma]274 giskim ba-ˀ-i ú-ru-uḫ-šá 24) za x [… š]u-taq-ri-ba-ma di-na di-n[a] 25) lip-[li-il]275 dutu tum4-ma-tú d[a-a-ka] ḫa-ba-la 26) áš-x […-n]i? ja-a-ti 27) e-[…] x [x (x)] 28) qar-[… 29) du[tu? … 30) ina x [… 31) lu [… 32) ad-x [… 33) a-a ib-ba-ši ma an [… 34) ŠU x UR ú-šaḫ-[… 35) i-na taq-ti-i[t … 36) bu-um-˹bu˺-l[um] lib-b[a-ši … 37) iš-tu te-re-e-ti x [… 38) ú-ṣu-ra-a-ti pa-ni u x [… 39) ib-ni-ma u4-mu [… 40) mu.an.na lu-ú šu-ta-am-ḫ[u-rat … 41) i-na zag-muk-ku [… 42) šat-tum i-na nam-ša-x [… 43) lu-ú ka-a-a-nam-m[a … 44) ši-ga-ru a-ṣi-t[um … 45) ul-tu u4-me ú-x [… 276 46) ma-aṣ-rat mu-ši u i[m-mi … 1) Er formte die Position für die großen Götter. 2) Die Sterne, ihr Abbild (und) die Konstellationen ließ er stehen. 3) Er brachte hervor das Jahr, zeichnete den Plan: 4) Zwölf Monate mit drei Sternen ließ er stehen. 5) Nachdem er die Tage des Jahres, die Pläne gezeichnet hatte, 6) gründete er fest die Position von Nēberu, um (ihnen) ihre Pfade zuzuweisen. 7) Damit keiner Sünde begehe, nicht nachlässig sei, 8) machte er die Position des Enlil und des Ea mit ihm fest.

274

Ergänzung nach Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 232. Ergänzung nach Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 232. 276 Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 234, ergänzen ú-[ad-duú …] und übersetzen die Zeile folgendermaßen: „Nachdem er die Tage bestim[mt hatte …].“ 275

5) Anfang und Ende der Zeit

69

9) Er öffnete die Tore auf beiden Seiten 10) und machte die Türriegel stark links und rechts. 11) In ihren277 Innereien platzierte er die Höhen. 12) Nannaru ließ er sichtbar werden, die Nacht vertraute er ihm an; 13) er brachte ihn hervor als Juwel der Nacht um die Tage zuzuweisen. 14) Monatlich, ohne Unterlass, markierte er die Scheibe. 15) „Während des Aufgehens über dem Land, zu Beginn des Monats, 16) scheinst du mit Hörnern, um die Benennung der Tage anzuzeigen. 17) Am 7. (Tag) wird die Scheibe halbiert sein. 18) Am 15. (Tag) mögest du in Opposition stehen278, zur Hälfte des Monats. 19) Sobald Šamaš dich am Fundament des Himmels sieht, 20) zum angemessenen (Zeitpunkt) reduziere dich und forme dich zurück. 21) Am Tag des Verschwindens, nähere dich dem Pfad des Šamaš an. 22) Des … 30. Tages, mögest du in Konjunktion stehen279; mit Šamaš mögest du gleich sein. 23) Ich [brachte hervor] das Zeichen, gehe (du) den Pfad entlang. 24) … nähert euch an und fällt den Richterspruch. 25) Šamaš möge …280 über den Kampf 281, das Töten und die Gewalt. 26) … mich 27) … 28) … 29) Šamaš … 30) In … 31) … 32) … 33) Nicht soll entstehen … 34) … 35) Am Ende … 36) Der Tag des Verschwindens möge entstehen … 37) Nachdem die Anweisungen … 38) Die Pläne vorne und …

277

Gemeint ist Tiāmat, die Marduk im vorangegangenen Kampf erschlagen hat. Wörtlich: „mögest du gegenüberstehen“. 279 Wörtlich: „mögest du gegenüberstehen“, wie zuvor in Zeile 18. Zwischen der Opposition und der Konjunktion von Sonne und Mond wird im Enūma eliš auf sprachlicher Ebene also keine Unterscheidung durchgeführt. 280 Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 323, übersetzen die Zeile entsprechend ihrer Ergänzung von liplil mit „Šamaš möge G[ericht halten] über Kampf, M[ord]n Gewalt.“ Das CAD p, palālu B, 51, gibt für das Verb keine Übersetzung an. Aus den Belegstellen wird jedoch deutlich, dass es in juristischen Kontexten verwendet wird. 281 Nach Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 323, Anm. 5, handelt es sich um eine Variante zu tuqumtu / tuqmatu – „Kampf“. 278

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Teil II: Die Zeit in der Natur

39) Er erschuf den Tag … 40) Dem Jahr möge gegenüberstehen … 41) Am Jahresanfang … 42) Das Jahr in … 43) Es möge regelmäßig … 44) Der vorspringende Türpfosten … 45) Seit den Tagen … 46) Die Wachen der Nacht und des Tages … Der umfangreiche Text erläutert zunächst, wie Marduk die Sterne in ihren Konstellationen einrichtet und fixiert (Z. 1–10). Indem Marduk die Sterne in Position bringt, und die erste Zeiteinheit, das Jahr, anlegt (Z. 3), setzt er zugleich den regelmäßigen Verlauf der Zeit in Gang. Wie bereits dargelegt, dienten die Sterne, deren Aufgänge jeweils mit festen kalendarischen Daten verbunden waren, dazu, das Jahr zu fixieren. Direkt im Anschluss bringt Marduk die beiden anderen primären Zeiteinheiten hervor, aus denen sich das Jahr zusammensetzt: den Monat und den Tag (Z. 4 f.). Den Monaten werden drei Sterne zugeordnet, wodurch der Text das im vorangehenden Kapitel besprochene Zwölfmaldrei-System und MUL.APIN reflektiert.282 Bemerkenswert an der vorliegenden Textstelle des Enūma eliš ist, dass hier die Etablierung der Zeiteinheiten an zwei Stellen mit dem Zeichnen von Plänen (iṣrata eṣēru) einhergeht (Z. 3 und 5). Wie F. Rochberg dargelegt hat, stellen die „Pläne des Himmels und der Erde“ ein wichtiges Element des babylonisch-assyrischen Naturverständnisses dar – jedoch ohne dabei ein Äquivalent zum Naturbegriff darzustellen.283 Die Textstelle aus dem Enūma eliš verdeutlicht, dass diese Pläne die Funktionsweise des Kosmos abbilden. Auch das Werk i.NAM.giš.ḫur. an.ki.a stellt den expliziten Zusammenhang zwischen den Plänen und der Zeit heraus. Dieses Werk ist durch insgesamt vier fragmentarische Textzeugen belegt und umfasst eine Mischung aus mathematischen und philologischen Erläuterungen.284 Die drei aus neuassyrischer Zeit stammenden Fragmente weisen dabei einen engen Zusammenhang zur vorliegenden Zeit-Thematik auf: So beginnt der Textzeuge K 2164 + 2195 + 3510 damit, die Form des Mondes an bestimmten Tagen des Monats zu beschreiben, um anschließend die Daten mathematisch und 282

Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 115, und Lambert, Babylonian Creation Myths, 180 f. Vgl. auch Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 51 f. 283 Vgl. Rochberg, Before Nature, 29. 284 Drei Textzeugen (K 2164 + 2195 + 3510, K 170 + Rm 520 und K 2670) stammen aus neuassyrischer Zeit und werden durch ihre Kolophone dem Gelehrten Nabû-zuqup-kēna zugeschrieben, der während der Regentschaft Sargons und Sanheribs lebte. Der letzte Textzeuge, BM 47860, nennt im Kolophon die Datierung auf das 33. Jahr des Dareios (488 v. Chr.). Siehe Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 17.

5) Anfang und Ende der Zeit

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philologisch auszudeuten.285 Der nächste Textzeuge, K 170 + Rm 520, besteht aus zwei Abschnitten, von denen der erste Abschnitt sich mit den Namen des Mondgottes Sîn auseinandersetzt und bestimmte Erscheinungsformen des Mondes mit Anu, Enlil und Ea in Verbindung bringt.286 Demnach wurde die Mondsichel des ersten Tages mit Anu, der als „Niere“ bezeichnete Halbmond des siebten Tages mit Ea und der kreisförmige Vollmond des 15. Tages schließlich mit Enlil gleichgesetzt.287 Vom letzten neuassyrischen Textzeugen, K 2670, ist beinahe ausschließlich der Kolophon erhalten geblieben. Aus der letzten Zeile des eigentlichen Textes wird jedoch deutlich, dass auch dieser sich wahrscheinlich mit sternenkundlichen Inhalten beschäftigt hat.288 Die Bezüge werden durch eindeutige intertextuelle Beziehungen zwischen i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a und Enūma eliš sowie auch MUL.APIN weiter intensiviert. So beinhaltet der Textzeuge K 2164 + 2195 + 3510 in Z. 11 mit der Aussage u4.7.[kam aga ma-á]š-la ein direktes Zitat aus der oben zitierten fünften Tafel (Z. 17) des Enūma eliš. Auch die Z. 24 entspricht der oben angegebenen 21. Zeile des Enūma eliš. In diesem Fall wird die zitierte Zeile sogar noch durch die Angabe gaba.ri als Zitation markiert.289 Die Rückseite dieser Tafel enthält wiederum ein ideales Tag-Nacht-Schema290, wie es sich auch in MUL.APIN II ii 44–iii 12 finden lässt.291 Der Titel des Werkes i.NAM.giš.ḫur. an.ki.a sowie die fünfte Tafel des Enūma eliš lassen mit ihrem jeweils zeitbezogenen Inhalt darauf schließen, dass Zeit somit ein integraler Bestandteil der „Pläne des Himmels und der Erde“ war. Dadurch erklärt sich die zeichnerische Tätigkeit (iṣrata eṣēru) durch die Marduk die Zeiteinheiten etabliert. Er plant die zyklisch auftretenden Zeiteinheiten und damit den wahrnehmbaren Verlauf der Zeit und verankert diese durch die Zeichnung der „Pläne des Himmels und der Erde“ in der natürlichen Ordnung des Kosmos. Die Ausführung des Plans und die damit einhergehende Verantwortung für die Funktion der Zeiteinheiten überlässt er den beiden Himmelskörpern Mond 285

Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 39–44. Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 44–47. 287 Die Assoziation der Göttertrias mit den Mondphasen ist auch in anderen Texten belegt. So beschreibt die Great Star List (ediert bei Weidner, Ein astrologischer Sammeltext und Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 187–205) den Verlauf der ersten 15 Tage des Monats: 281) diš 30 ina igi.lal-šú ta u4.1.kam en u4.5.kam 282) 5 u4-mi u4.sakar da-nim 283) ta u4.6.kam en u4.10.kam 284) 5 u4-mi ka-li-tú dé-a 285) ta u4.11.kam en u4.15.kam 5 u4-mi aga taš-ri-iḫ-ti 286) [ip-pir]-ma den.líl – „Sîn bei seinem Erscheinen, vom ersten bis zum fünften Tag: Fünf Tage ist er die (Mond)sichel, (er ist) Anu; vom sechsten bis zum zehnten Tag: Fünf Tage ist er die „Niere“, (er ist) Ea; vom elften bis zum 15. Tag: Fünf Tage trägt er die Krone der Pracht, (er ist) Enlil.“ 288 Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 44. 289 Vgl. Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 40–42. 290 Siehe dazu Kapitel 6.3. 291 Vgl. Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 43. Siehe auch Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 83 f. 286

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Teil II: Die Zeit in der Natur

und Sonne. Die oben genannte Phrase iṣrata eṣēru kann auch mit „Grenze ziehen“ übersetzt werden.292 Es ist naheliegend, dass Marduk beim Zeichnen der Pläne zugleich die Länge der einzelnen Zeiteinheiten definiert, indem er diese wortwörtlich eingrenzt. Wie im vorherigen Kapitel bereits mehrfach erwähnt, gab es die Vorstellung, dass die Zeiteinheiten eine jeweils ideale Länge hatten. Auch wenn es am Beginn des Textausschnitts noch nicht explizit dargelegt wird, kann man doch davon ausgehen, dass im Planungsakt Marduks die Länge der Zeiteinheiten in ihren Idealmaßen festgelegt wurde.293 Die Interpretation wird dadurch gestützt, dass Marduk dem Mondgott im weiteren Verlauf des Textes Anweisungen für genau 30 Tage gibt. Demnach deutet sich die große Bedeutung des idealen Zeitverlaufs bereits dieser Stelle an, da sie explizit mit Beginn der Schöpfung angelegt war. Das Abweichen der Zeiteinheiten von diesem Ideal war demgemäß ein Abweichen vom ursprünglich eingerichteten Kosmos und damit dem göttlich vorgesehenen Standard.294 Abweichungen vom kosmischen Ideal wurden von den Menschen dementsprechend negativ bewertet.295 Mit der Planung und Begrenzung der Zeiteinheiten ist Marduks Schöpfung hinsichtlich der Zeit jedoch noch nicht beendet. Nachdem er die Sterne eingerichtet hat, stellt Marduk seinen eigenen Stern Nēberu sowie die Sterne Enlils und Eas an den Himmel. Dies geschieht, um den Sternen ihre Pfade (riksu) zuzuweisen. Anschließend öffnet Marduk auf beiden Seiten des Himmels Tore, die den Wechsel der beiden Himmelskörper ermöglichen und somit ebenfalls zur Möglichkeit der Zeitwahrnehmung beitragen.296 Im Anschluss an die Öffnung der Tore lässt Marduk den Mond sichtbar werden und gibt ihm Anweisungen (Z. 12–22). Nach Aussage des Textes weist Marduk dem Mond die Nacht zu. Der Text impliziert damit sogleich die Aufteilung des Tages in die Nacht und den hellen Tag (Z. 12 f.). Mit der Einsetzung des Mondes lässt Marduk die Wahrnehmbarkeit der Zeit anhand der zuvor geplanten Zeiteinheiten beginnen, indem er er dem Mond die Verantwortung zur Anzeige des Tages zuschreibt (Z. 13). Hier findet sich somit auch ein expliziter Hinweis darauf, dass der Tagesbeginn mit der Sichtbarwerdung des Mondes am Abend einherging. Weiterhin gibt Marduk dem Mondgott Anweisungen, wie er sich im Verlauf von 30 Tagen zu verhalten hat. Die genannte Zeitspanne und die Anweisungen spiegeln deutlich die Phasen des Mondes wider, die im Hinblick auf die

292

Vgl. die Übersetzung von iṣratu als „border line“ in CAD i, iṣratu, 206, sowie die ebenfalls dort aufgeführte Übersetzung von Z. 3 als „Marduk defined (the course) of the year (and) drew the border line(s)“. 293 Vgl. Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 110. 294 Nach Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 55. 295 Vgl. Brown, Mesopotamian Astral Science, 461. 296 Vgl. die bereits wiedergegebene Textstelle aus dem Gudea-Zylinder B in Kapitel 4.1.2, in der der Mond bei seiner Verdunkelung in ein Haus (é) eintritt.

5) Anfang und Ende der Zeit

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Einteilung der Zeit ebenfalls eine bedeutende Rolle spielten.297 Der Aufgang des Mondes nach der Phase der Unsichtbarkeit markiert dabei den Beginn eines neuen Monats (Z. 15). Der zeitliche Ablauf innerhalb eines Monats wird durch die einzelnen Mondphasen weiter gegliedert, wobei der 7. und 15. Tag explizit genannt werden. Das Ende des Monats ist erreicht, wenn sich der Mond für kurze Zeit der Sonne annähert und dann – wie in den Zeilen 19–22 beschrieben – in eine Phase der Unsichtbarkeit eintritt. Überhaupt stehen der Mond und die Sonne im Rahmen der Mondphasen in enger Beziehung zueinander. Bei Vollmond sollen Mond und Sonne zueinander in Opposition stehen. Am Tag des Verschwindens des Mondes, der im Akkadischen mit dem eigenen Terminus bibbulu wiedergegeben wird, soll sich der Mond dem Pfad des Šamaš nähern, um schließlich am 30. Tag in Konjunktion mit der Sonne zu stehen. Der bereits dargelegte Umstand, dass Marduk den Verlauf der Zeit im Enūma eliš nach idealen Gesichtspunkten einrichtet, wird hier erneut deutlich. So wie die Opposition zwischen Sonne und Mond genau am 15. Tag des vorgegebenen Mondzyklus stattfinden soll, so soll auch die Konjunktion zwischen beiden Gestirnen exakt am 30. Tag eintreten. Das Enūma eliš beschreibt damit den Verlauf eines Monats, angezeigt durch den Mondzyklus, wobei die wichtigen Tage dieses Mondzyklus eigens aufgeführt werden.298 Der Rest des Textabschnittes ist zwar stark beschädigt, es ist jedoch erkennbar, dass auch die Sonne ihre Anweisungen von Marduk erhält. So werden der jährliche und tägliche Lauf der Sonne und die Jahreszeiten beschreiben.299 Ob der Abschnitt ab Z. 37 noch zu den Anweisungen an die Sonne gehört, bleibt vorerst ungeklärt, da der Kontext fehlt. Sollte dies der Fall sein, wird aus den erhaltenen Textfragmenten klar, dass die Sonne in dem Abschnitt Aufgaben erhielt, die in Verbindung mit dem Tag (Z. 39), dem Jahr und auch dem Jahresanfang stehen (Z. 40–42). Auch die Tages- und Nachtwachen stünden unter der Verantwortung der Sonne (Z. 46). Letzteres lässt sich anhand der dritten Tafel des Gilgameš-Epos zeigen, in der Ninsun darum bittet, der Sonnengott möge dafür Sorge tragen, dass die Nachtwachen über Gilgameš wachen, wenn der Sonnengott des nachts nicht mehr zu sehen ist.300 Es ist aber auch denkbar, dass dieser Abschnitt des Enūma eliš schon eine Art Resümee von Marduks Schöpfungsakt darstellt. In dem Fall beziehen sich die Aussagen nicht zwangsläufig auf die Sonne, sondern eher auf Marduk. Für die letztere Variante spricht, dass die Verteilung der Anweisungen offenbar mit Beginn der Z. 37 abgeschlossen ist. Darauf deutet der noch erkennbare temporale Nebensatz hin.301 Darüber hinaus ist erneut von Plänen die Rede, die zuvor bereits mit Marduk in Verbindung gebracht werden konnten. Insgesamt liefert der Beginn der fünften Tafel des Enūma eliš eine Schilderung 297

Vgl. Lambert, Babylonian Creation Myths, 186–192. Vgl. Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 133. 299 Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 117. 300 Für eine Übersetzung der Textstelle siehe Kapitel 10. 301 Vgl. auch Gabriel, Enūma eliš, 153. 298

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Teil II: Die Zeit in der Natur

über die „zyklische Einteilung der Zeit in klar definierte Zeiteinheiten, die sich anhand der Gestirne bestimmen lassen.“302 Erst durch die von Marduk initiierten Maßnahmen ist es überhaupt möglich, die Zeit wahrzunehmen und zu bestimmen. Marduk plant die drei primären Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag und sorgt im Anschluss dafür, dass diese durch die Zyklen der Himmelskörper in Erscheinung treten können. Der Text gibt damit einen Einblick in die Vorstellungen von der Etablierung der wahrnehmbaren Zeit. Die Annahme, dass die Wörter Tag, Monat und Jahr das Grundgerüst des Konzeptes von Zeit darstellen und in Kombination genutzt wurden, um das Phänomen Zeit im Allgemeinen auszudrücken, wird durch das Enūma eliš eindrücklich demonstriert. Gleichzeitig wird noch einmal deutlich, dass die Zeitvorstellung in Babylonien und Assyrien praktisch orientiert und untrennbar mit dem Kalendersystem verbunden war. Die fünfte Tafel des Enūma eliš ist – gemessen an ihrer Ausführlichkeit – der wohl bedeutendste Text, der sich mit der Einführung der messbaren Zeit beschäftigt. Ganz ähnliche Aussagen lassen sich jedoch auch in der umfangreichen Omensammlung Enūma Anu Enlil finden, in der verschiedene astrale und meteorologische Omina zusammengetragen wurden.303 Diese Tafelserie verfügt über mehrere Einführungssektionen, von denen eine auf Sumerisch verfasst ist und den Schwerpunkt auf den Mondgott Sîn legt. Die zweite ist als šanîš 304 gekennzeichnet und im Gegensatz zur ersten in akkadischer Sprache gehalten. Diese bezieht sich auf den Sonnengott Šamaš.305 Eine dritte, ebenfalls akkadische Version legt den Schwerpunkt schließlich auf die Sterne. So werden in Enūma Anu Enlil alle zeitanzeigenden Gestirne in jeweils einer mythischen Passage hervorgehoben.

302 Gabriel, Enūma eliš, 152. Vgl. die Aussage von Lambert, Babylonian Creation Myths, 172, nach dem die Textpassage weniger astronomische Inhalte abbildet, als vielmehr den Fokus auf die Funktion des Kalenders legt. 303 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 38. 304 Der Ausdruck wird u.a. verwendet, um Varianten oder Übersetzungen aus dem Sumerischen anzuzeigen; vgl. CAD š1, šanîš 2. a + b, 387. Da sich der sumerische und der akkadische Abschnitt jeweils auf einen anderen Gott beziehen, wird in diesem Fall wohl keine Übersetzung damit gemeint sein, sondern eine Variante des Textes. Vgl. dazu auch den folgenden Kommentar sowie Lambert, Babylonian Creation Myths, 175. 305 Nach Lambert, Babylonian Creation Myths, 175 f., geht dieser Umstand möglicherweise darauf zurück, dass die einzelnen Gruppen von Omina (Mond, Sonne, etc.) zunächst eigenständige Sammlungen waren, die erst später in einer großen Kompilation zusammengefasst wurden. Als sich die Serie Enūma Anu Enlil etabliert hatte, wurde die Einleitung für die solaren Omina, die ursprünglich wohl auf der 23. Tafel zu finden war, an den Anfang der Serie gestellt. Da sich zu Beginn aber gleich zwei Einleitungen fanden, die große Ähnlichkeiten aufwiesen, wurde nach Lambert der akkadische Abschnitt der auf Sîn bezogenen Einleitung sowie der sumerische Abschnitt, der auf Šamaš bezogenen Einleitung verdrängt.

5) Anfang und Ende der Zeit

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EAE Einführung 1 (Sumerisch)306 1) u4 an-na den-líl-lá den-ki dingir-[gal-gal-la] 2) malga-ne-ne gi-na-ta me gal-gal-la 3) má-gur8 den.zu-na mu-un-gi-ne-eš 4) u4-zakar mú-mú-da iti ù-tu-ud-da 5) ù gizkim an-ki-a mu-un-gi-ne-eš 6) má-gur8 an-na im-pa-è-ak-a-dè 7) šà an-na igi bar-ra-ta(-)è 1) Als An, Enlil und Enki, die großen Götter, 2) nach ihrem festen Entschluss, die großen Me 3) (und) das Boot des Sîn festmachten, 4) um den Neumond wachsen und den Monat entstehen zu lassen, 5) und die Zeichen im Himmel und auf der Erde festmachten 6) um das Schiff im Himmel offenbar werden zu lassen, 7) kam er im Inneren des Himmels …307 hervor. EAE Einführung 2 (Akkadisch)308 1) ša-ni-iš 2) e-nu-ma da-num den.líl dé-a 3) dingir.meš gal.meš ina mil-ki-šú-nu ki-i-nu 4) giš.ḫur.meš an-e u ki-tim iš-ku-nu 5) a-na šu.2 dingir.meš gal.meš ú-kin-nu 6) u4-mu ba-na-a iti ud-du-šú šá igi.du8.meš 7) a-me-lut-tum dutu ina šà ká è-šú i-mu-ru 8) qí-rib an-e u ki-tim ki-niš uš-ta-mu-ú 1) Variante: 2) Als Anum, Enlil und Ea, 3) die großen Götter, in ihrem festen Entschluss 4) die Pläne des Himmels und der Erde setzten, 306

Transliteration nach Lambert, Babylonian Creation Myths, 176. Die letzte Zeile des Textabschnitts ist unklar. Lambert, Babylonian Creation Myths, 176, übersetzt die Zeile folgendermaßen: „It came forth in heaven“. Heidel, Babylonian Genesis, 73 f. übersetzt ganz ähnlich: „He came forth visibly(?) in heaven.“ Die Übersetzung Heidels nimmt somit die Zeichenfolge igi-bar-ra-ta auf, die Lambert in seiner Übersetzung nicht hat einfließen lassen. Die Zeichenfolge bleibt im Kontext der Zeile allerdings unklar. Igi-bar hat die Grundbedeutung „sehen, beobachten“. Das Element ta könnte in dem Fall als Ablativ gedeutet werden, der die Funktion eines temporalen Nebensatzes einnimmt („nachdem er gesehen worden war“). Alternativ könnte die Zeichenfolge bar-ra-taè möglicherweise auch als finite Verbform gedeutet werden. In dem Fall bliebe das Zeichen igi in seiner Grundbedeutung „Auge“ übrig („Er kam im Inneren des Himmels (als?) Auge hervor“). 308 Lambert, Babylonian Creation Myths, 176. 307

76

Teil II: Die Zeit in der Natur

5) machten sie in den Händen der großen Götter fest 6) den gewachsenen Tag und den neuen Monat zur Beobachtung 7) durch die Menschheit. Šamaš erblickten sie im Tor seines Herauskommens. 8) Im Inneren des Himmels und der Erde berieten sie einander wahrhaftig. Ähnlich wie auch im Enūma eliš, wird in der sumerischen Einführung der Mond an den Himmel gesetzt, um den Monat anzuzeigen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Beginn des Monats (u4-zakar). Die schmale Mondsichel, deren erste Sichtbarkeit den Beginn des Monats markiert wird dabei mit einem Boot verglichen. Zugleich wird dargelegt, dass mit der Einrichtung der Himmelskörper nicht nur der Anzeige der Zeit dient, sondern auch um Zeichen des Himmels sichtbar werden zu lassen. Die enge Verbindung von Kalender und Divination wird bereits dadurch deutlich, dass eine umfassende Omen-Serie gleich drei Textabschnitte aufweist, die sich mit der Etablierung der wahrnehmbaren Zeit befassen. Dies wird durch den Inhalt des sumerischen Textausschnittes unmittelbar bestätigt.309 Die Etablierung des Mondes und der wahrnehmbaren Zeit wird in der sumerischen Version zudem mit den ME in Verbindung gebracht. Die akkadische Version stellt hingegen wieder einen Bezug zu den Plänen des Himmels und der Erde her, die darauffolgend unmittelbar umgesetzt werden. Das Motiv der Planung, das auch im Enūma eliš der Etablierung der Zeiteinheiten vorangeht, taucht somit auch in Enūma Anu Enlil wieder auf. Daran anschließend werden Tag und Monat hervorgerufen und in die Verantwortung nicht näher benannter großer Götter gegeben. Der Schluss liegt nahe, dass damit Sîn und Šamaš gemeint sind, zumal Šamaš in der darauffolgenden Zeile namentlich genannt wird. Der Textabschnitt verdeutlicht erstmals einen sehr wichtigen Aspekt der Zeit, der weiter oben bereits angedeutet wurde: ihre Messbarkeit. Die Zeilen 6 und 7 machen unzweifelhaft deutlich, dass die von den Göttern eingerichteten Himmelskörper und Zeiteinheiten für die Menschheit bestimmt waren.310 Diese sollte die entstandenen Himmelskörper und die aus ihnen resultierenden Zeiteinheiten beobachten und sich somit zu Nutzen machen.311 Enūma Anu Enlil weist noch einen dritten Textabschnitt auf, der für die Betrachtung der Einführung messbarer Zeit von großer Relevanz ist. Dieser Text findet sich einerseits im Manuskript E der Assur-Rezension (VAT 9805+9808) und bildet dort die Schlusssektion der Tafeln 1–22, bevor mit Tafel 23 die Sonnenomina beginnen.312 Andererseits ist der Abschnitt, auf den aus Ninive stam-

309

Siehe Kapitel 9. Vgl. Verderame, The Moon and the Power of Time Reckoning, 130. 311 Vgl. auch Oppenheim, Man and Nature, 639, der dies bereits in Bezug auf die fünfte Tafel des Enūma eliš genannt hat. 312 Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 38 f. und Anm. 31. Siehe auch Weidner, Die astrologische Serie Enûma Anu Enlil, 89. 310

5) Anfang und Ende der Zeit

77

menden Tafeln K 5981 und K 11867 erhalten, wo sie einen Abschnitt zu Mondfinsternis-Omina einleiten.313 Aus den verfügbaren Textzeugen ließ sich folgender Komposittext rekonstruieren: EAE, E 14’–20’314 14’) e-nu da-nu den.líl u dé-a dingir.meš gal.meš 15’) [a]n-e u ki-ta ib-nu-ú ú-ad-da-ú gis.kim-ma 16’) [ú-kin-nu na-an-za-za ú-šar-š]i-du gi-is-gal-la 17’) [dingir.meš mu-ši-tim ú-… ú-za-i-zu ḫar]-˹ra-ni˺ 18’) [mul.meš tam-ši-il-šú-nu e-ṣi-ru lu-ma-a-ši] 19’) [gi6 u4 kak-ku sak-ku(?) … iti u mu ib-nu-u] 20’) [… an-e u ki-tim tar …] 14’) Als Anu, Enlil und Ea, die großen Götter, 15’) den Him]mel und die Erde erschufen, enthüllten sie die Zeichen, 16’) [legten fest die Station und gründeten] fest die Position 17’) [der Götter der Nacht. … und teilten] die [We]ge zu 18’) [den Sternen, ihren Ebenbildern. Sie zeichneten die Konstellationen.] 19’) [Nacht und Tag – verborgen und obskur – … Monat und Jahr erschufen sie.] 20’) [… des Himmels und der Erde? …] Dieser Textabschnitt weist nach Lambert die größte Ähnlichkeit mit Enūma eliš Tafel V auf, sodass es nicht unwahrscheinlich ist, dass beide Texte auf dieselbe Quelle oder Tradition zurückgegriffen haben.315 Während die ersten beiden Einführungen von Enūma Anu Enlil auf die Götter Sîn und Šamaš Bezug nehmen, wird in diesem Abschnitt – wie in den ersten Zeilen der fünften Tafel des Enūma eliš – die Etablierung der Sterne beschrieben. Dabei werden in Zeile 18’ die Sterne als tamšīlu – „Abbild“ bezeichnet und es wird auf die lumāšu-Sterne Bezug genommen. Beide Bezeichnungen werden auch am Anfang der fünften Tafel des Enūma eliš verwendet. Wie in den beiden anderen Textausschnitten werden im Zuge der Einrichtung der Sterne und ihrer Konstellationen dann auch zugleich die Zeiteinheiten erschaffen. Die bisher besprochenen Quellen vermitteln, dass die Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr von göttlicher Seite als Teil der Pläne des Himmels und der Erde ersonnen wurden. Die Pläne wurden anschließend in die Tat umgesetzt, indem die

313

Weidner, Die astrologische Serie Enûma Anu Enlil, 89. Siehe auch Landsberger – Kinnier Wilson, The Fifth Tablet of Enuma eliš, 172. 314 Transliteration nach Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 270 f. 315 Lambert, Babylonian Creation Myths, 177.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Gestirne an den Himmel gesetzt wurden. Sie konnten damit ihre Zyklen vollführen, durch welche die zuvor geplanten Zeiteinheiten wahrnehmbar wurden.316 Die Schilderungen machen deutlich, dass die Zeiteinheiten nicht direkt geschaffen wurden, sondern eine Folge der Zyklen am Himmel sind.317 Diese Bedeutungsnuance spielt eine Rolle bei der Frage nach dem Beginn der Zeit, die im folgenden Unterkapitel näher beleuchtet wird. Der Grund für die Etablierung der wahrnehmbaren Zeit wird ebenfalls klar benannt. Sie ist als Hilfsmittel für die Menschheit gedacht. Beachtenswert ist, dass die Menschheit zu dem Zeitpunkt, zumindest in der Ereignisabfolge des Enūma eliš, noch gar nicht entstanden ist. Ein entsprechender Plan muss von Marduk aber bereits ersonnen worden sein, zumal Marduks weitere Taten darauf abzielen, die Götter zu versorgen.318 Gösta Gabriel verweist in seiner Bearbeitung des Enūma eliš darauf, dass die Etablierung der Zeit im Hinblick auf den zu etablierenden Kult geschah, dessen Durchführung den Menschen anvertraut wird.319 Ulanowski kommt in seinem Artikel Divine or Human Creation of Time zu dem Schluss, dass es ohne den Menschen auch keine Zeit gäbe.320 „Time as it is depicted in Mesopotamian literature is a subjective notion. Its existence in the period when divine beings existed is only theoretical. Generations of gods came and went, but in fact nothing changed: the world was left in a vacuum. Only when humanity was created did time begin to flow.“321 Zwar lässt sich anhand der bisherigen Quellen nachvollziehen, dass die Wahrnehmbarkeit der Zeit anhand präziser Zyklen vornehmlich auf die spätere Nutzung durch den Menschen ausgelegt war, doch lässt sich die Schlussfolgerung, ohne den Menschen gäbe es keine Zeit, nicht halten. Eine Vorstellung von vergehender Zeit ist in den Quellen auch vor der Einsetzung der Himmelskörper erkennbar. Dies soll ebenfalls im folgenden Unterkapitel betrachtet werden. Neben den eindeutigen Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch einen wichtigen Unterschied zwischen dem Enūma eliš und Enūma Anu Enlil. Im Enūma eliš ist Marduk der Gott, der für die Einrichtung der Himmelskörper und die Möglichkeit der Zeitmessung verantwortlich ist. Wie das Incipit schon zeigt, schreibt Enūma Anu Enlil diese Rolle in allen Textvarianten allerdings den drei Göttern Anu, Enlil und Ea zu. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei der Version von Enūma 316

Vgl. Charpin – Ziegler, Masters of Time, 57. Ulanowski, Divine or Human Creation of Time, 342. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 42 f., schreibt auch von einer Vorstellung des „Werdens“ und des „In-ExistenzTretens“, welche v.a. die sumerischen Vorstellungen prägt. 318 Gabriel, Enūma eliš, 367–369. 319 Gabriel, Enūma eliš, 152 Anm. 179; 156 f. und 412. 320 Ulanowski, Divine or Human Creation of Time, 346. 321 Ulanowski, Divine or Human Creation of Time, 354. 317

5) Anfang und Ende der Zeit

79

Anu Enlil um die ältere Tradition handelt, da einige frühere Texte die Erschaffung der Himmelskörper ebenfalls mit der Göttertrias in Verbindung bringen.322 Ein früher akkadisch-sprachiger Beleg aus dem 13 Jh. v. Chr. findet sich in einem akkadischen Gebet an die Götter der Nacht, das zu einem hethitischen Ritual aus Boğazköy gehört: KUB IV 47, Rs. 36 f.323 36) … mul 37) [ša] ˹i˺-na ša-me-e iz-zi-zu da-nu den.líl ib-nu-ku-nu-ši er!-šu dnu.dím.mud 38) [ú-š]a-at-li-im-ma ša-qú-tù šu-nu-tù 36) … Sterne, 37) [die] am Himmel stehen, Anu und Enlil erschufen euch. Der weise Nudimmud 38) [ver]lieh ihnen324 Höhe(?). Dem Textausschnitt zufolge erschufen Anu und Enlil die Himmelskörper, während Enki / Ea ihnen „Höhe“ verlieh. Der Schluss liegt nahe, dass Ea den Himmelskörpern damit ihren Platz und somit auch ihre Funktionen zugewiesen hat – eine Aufgabe, die im Enūma eliš ebenfalls Marduk zugedacht wurde. Marduk bekommt in der Tradition des Enūma eliš zudem die Rolle des Königs der Götter zugesprochen und übernimmt damit die Funktion, die ursprünglich Enlil erfüllte. Enlil tritt als Akteur im Enūma eliš kaum in Erscheinung.325 Die Übernahme wird aktiv und direkt im Text forciert, indem Marduk am Ende des gesamten Textes (Tafel VII, Z. 149) als „Enlil der Götter“ betitelt wird. Damit übernimmt er zugleich die Aufgabe, Zeit wahrnehmbar zu machen. Dieser Umstand kann zugleich als Rückbezug auf die realweltlichen Gegebenheiten des Alten Orients verstanden werden. Den Gelehrten oblagen die Beobachtung der Himmelskörper und somit die Messung der Zeit. Dementsprechend waren sie verantwortlich dafür, dass der Kalender korrekt justiert war. Doch letztendlich nahmen sie 322

Vgl. Lambert, Babylonian Creation Myths, 177. Beckman, A Hittite Ritual for Depression (CTH 432), 73. Für die Datierung der Tafel siehe ibid., 80. 324 Beckman, A Hittite Ritual for Depression (CTH 432), 77, interpretiert šu-nu-tù als Schreiberfehler und nimmt an, dass ursprünglich das Pronominalsuffix -kunu anzusetzen sei. Die Emendation basiert zweifellos auf der Verwendung des Pronominalsuffix der 2. Pl. m. (Dativ) in der vorangehenden Zeile 37 und der damit angedeuteten direkten Anrede an die Sterne. Dennoch muss zur Kenntnis genommen werden, dass der Text eindeutig ein Personalpronomen der 3. Pl. m. im Akkusativ beinhaltet. Die Interpretation als Schreiberfehler bleibt spekulativ. 325 Vgl. dazu die Erläuterungen zur Herrschaftsübernahme Marduks im Enūma eliš in Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 382. Siehe ebenda auch den Index der Textstellen, in denen Enlil genannt wird. 323

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Teil II: Die Zeit in der Natur

nur eine beratende Funktion ein. Die Entscheidung, einen Schaltmonat einzufügen, um den Kalender wieder in Einklang mit seinem idealen Verlauf zu bringen, lag hingegen allein beim König, der somit gewissermaßen eine (begrenzte) Kontrolle über den Verlauf der Zeit ausübte. Darüber geben die Briefe der Gelehrten an den assyrischen Königshof Auskunft.326 Den korrekten Verlauf des Kalenders und damit auch der Zeit zu gewährleisten, lag also sowohl auf menschlicher als auch auf göttlicher Ebene beim Herrscher. Im Umkehrschluss kann die Kontrolle über die Zeit in Form des Kalenders als Herrschaftsinstrument und zugleich als Baustein des Herrschaftsanspruchs gesehen werden.327 Unter diesem Blickwinkel betrachtet verwundert es nicht, dass die Einrichtung der Zeit im Enūma eliš thematisiert wurde, beschreibt doch der Text insgesamt den Aufstieg Marduks zum König der Götter.328 Dabei wird das Idealbild eines Königs entworfen, wobei sich in den Taten Marduks die Aufgaben widerspiegeln, die ein König zu erfüllen hatte.329 Der göttliche Herrschaftsanspruch, der somit auch mit der Einrichtung der wahrnehmbaren Zeit einhergeht wird auch dadurch verdeutlicht, dass in der Assur-Rezension des Enūma eliš der Gott Aššur an die Stelle Marduks gesetzt wurde, um dessen Herrschaft zu untermauern.330 Neben den bereits besprochenen Texten Enūma eliš und Enūma Anu Enlil gibt es noch weitere vereinzelte Texte, die das Thema aufgreifen.331 Dazu zählt das aus kassitischer Zeit stammende, zweisprachige Werk „Die Erhöhung Ištars“.332 Auf der dritten Tafel des Textes wird geschildert, wie die großen Götter zum Himmelsgott Anu sprechen und die Erhöhung Ištars zu dessen Gemahlin vorschlagen.333 Anu wendet sich daraufhin Ištar zu und erwidert ihr, dass er der Erhöhung zustimmt. Die hier relevante Textpassage ist Teil der Rede des Anu, in der er Ištars Erhöhung begründet und sie angesichts ihrer Identifikation mit dem Planeten Venus auf gleiche Ebene mit dem Mondgott Sîn und dem Sonnengott Šamaš stellt. Dabei erläutert er, wie Sîn und Šamaš ursprünglich zu ihrer Position gelangten:334

326

Siehe dazu Kapitel 7. Vgl. Ermidoro, Ruling over Time, 135 f. 328 Vgl. Ermidoro, Ruling over Time, 135. 329 Vgl. Gabriel, Enūma eliš, 382 f. 330 Vgl. Kämmerer – Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, 26–33. 331 Vgl. die Aufzählung bei Brown, Mesopotamian Astronomy-Astrology, 253 f., sowie die Auflistung und Bearbeitung bei Lambert, Babylonian Creation Myths, 172–180. 332 Incipit nin-maḫ ušu-ni gìr-ra. Lambert, Babylonian Creation Myths, 172. 333 Vgl. Thureau-Dangin, L’exaltation d’Ištar, 141. 334 Vgl. Lambert, Babylonian Creation Myths, 172 f. 327

5) Anfang und Ende der Zeit

81

Ištars Erhöhung III, 24–30335 Vs. 24) te-me-en da-rí an-ki-ke4 giš-ḫur gi-na dìm-me-er-e-ne-ka-a-t[a] ina da-ru-ti te-me-en an-e u ki-tim ú-ṣu-rat dingir.meš ki-na-a-t[i] 25) sag-tab an den-líl den-ki-ke4 níg-ḫal-ḫal-la ba-an-bà-a-ta šur-ru-ú da-nu den.líl u dé-a ú-za-ˀ-i-zu zi-za-a-tim Rs. 26) [dingir min-n]a-bi en-nu-un an-ki-a gišig an-na gál-la-ar ana dingir.meš ki-lal-la-an ma-aṣ-ṣar an-e u ki-tim pe-tu-ú da-lat da-nu 27) dnanna dutu-ra gi6gi u4-da šu-ta-ta an-né-ši-íb-si ana d30 u dutu u4-mu u mu-ši ma-al-ma-liš ba-šim-ma 28) an-úr-ta an-pa-šèšú á-dà-a-bi im-ta-an-zu-zu-ne iš-tu i-šid an-e ana e-lat an-e a-da-šú-nu ú-ta-ad-du-nu 29) ab-sínsi-gin7 ìi-dúr-dúr-re-eš-àm mul an zà-til-bi ki-ma ši-ir-ˀi su-un-nu-qu kak-kab an-e gi-mir-šú-un 30) gu4-gin7 ús ba-ab-sì-sì-ga-eš-àm dìm-me-er dub336-sag-gá-ar ki-ma al-pi ú-sa šu-ḫu-zu dingir.meš šu-ut maḫ-ri Vs. 24) Sum.: Nachdem in der ewigen Gründung des Himmels und der Erde, den festen Plänen der Götter, Akk.: In der Ewigkeit der Gründung des Himmels und der Erde, den festen Plänen der Götter, 25) Sum.: am Anfang An, Enlil und Enki die Anteile zugeteilt hatten, Akk.: am Anfang, teilten Anu, Enlil und Ea die Anteile zu. Rs. 26) Sum.: (wurden) für die beiden Götter, die Wächter des Himmels und der Erde, die die Türen des An öffnen, Akk.: Den beiden Göttern, die Wächter des Himmels und der Erde, die die Türen des Anu öffnen, 27) Sum.: Nanna und Utu, Nacht und Tag übergeben. Akk.: für Sîn und Šamaš, sind gleichmäßig Tag und Nacht entstanden und

335

Lambert, Babylonian Creation Myths, 173. Lambert, Babylonian Creation Myths, 173, transliteriert das Zeichen als umbi, ThureauDangin, L’exaltation d’Ištar, 149, hingegen als dub. Das Zeichen ŠID, das DUB sehr ähnlich sieht, kann auch als umbisag gelesen werden (Siehe Sumerischer Zettelkasten, 681). Bei umbisag scheint es sich jedoch um ein Mitglied der sagga-Priesterschaft zu handeln (Vgl. Sumerischer Zettelkasten, 574). Die gesonderte Schreibung des sag müsste man in diesem Fall dann als phonetisches Komplement auffassen. Vor dem Hintergrund ist der Transliteration Thureau-Dangins eindeutig der Vorzug zu geben, da dub.sag direkt mit Akk. maḫrû geglichen werden kann (Siehe ePSD, letzter Zugriff am 20.03.19) und daher mit der akkadischen Zeile übereinstimmt. 336

82

Teil II: Die Zeit in der Natur

28) Sum.: Vom Fundament des Himmels bis zu den Höhen des Himmels gaben sie ihre Aufgaben bekannt. Akk.: vom Fundament des Himmels bis zu den Höhen des Himmels wies man ihre Aufgabe zu. 29) Sum.: Wie eine Furche lassen sie Platz nehmen die Sterne des Himmels, ihre Gesamtheit. Akk.: Wie eine Furche kontrollieren sie die Sterne337 des Himmels, ihre Gesamtheit, 30) Sum.: wie ein Rind lassen sie die vorderen Götter338 auf den Pfad339 setzen. Akk.: wie einem Rind lehrten sie den vorderen Göttern den rechten Pfad. Anders als im Enūma eliš und Enūma Anu Enlil ist in dieser Textstelle zwar nicht mehr direkt von der Regulierung der Zeit die Rede, dennoch wird deutlich, dass der Text auf dieselben Traditionen anspielt, wie die anderen beiden Texte. Auch dieser Textausschnitt zeigt auf, dass die Göttertrias Anu, Enlil und Ea bei der Einteilung der Himmelskörper involviert war. In Z. 26 wird dabei wieder Bezug auf die Tore des Himmels genommen, die auch Marduk im Zuge der Schöpfung der Himmelskörper erschafft. Der vorliegende Text hebt die Bedeutung der Tore jedoch detaillierter hervor, indem er explizit darlegt, dass sie von Sîn und Šamaš genutzt werden, um an den Himmel zu treten. Entsprechend werden die Tore auch als Tore des Himmelsgottes Anu bezeichnet. Der Text fährt fort, indem er erläutert, wie für Sîn und Šamaš anschließend Tag und Nacht entstanden sind. Auch hier lässt sich zeigen, dass die Entstehung von Tag und Nacht keinem direkten Schöpfungsakt durch irgendeine Gottheit entspringt, sondern vielmehr eine natürliche Konsequenz ihrer Aktivitäten darstellt. Die beiden Zustände beginnen schlicht zu existieren. Grammatisch wird dies ausgedrückt durch die Verwendung des Stativs, genau wie bei dem ersten Götterpaar im Enūma eliš, das nach der Vermischung der Urwasser-Gottheiten ebenfalls passiv entstanden war. So gilt der Wechsel von Tag und Nacht als eine natürliche Folge des Wechsels der Gestirne am Himmel. In Z. 28 erhalten die beiden Gottheiten ihre Aufgaben, allerdings ohne näher zu erläutern, worum es sich dabei handelt. Ihre Funktion als Kontrollinstanz über die restlichen Gestirne des Himmels wird allerdings hervorgehoben. Auch wenn die Intention von „Ištars Erhöhung“ nicht darin liegt, die Einrichtung der Zeiteinheiten darzustellen – Monat und Jahr bleiben bspw. unerwähnt – wird doch auch hier deutlich, dass die einfachste Form der Zeitmessung, nämlich der Wechsel 337

Wörtl. „der Stern des Himmels“. Thureau-Dangin, L’exaltation d’Ištar, 156: „«Les dieux qui sont en avant», ce sont les étoiles principales qui servent de guides à la foules des étoiles secondaires. Ces étoiles suivent la route qui leur a été fixée, comme le boeuf son sillon.“ 339 Für ús – „Pfad“ siehe CAD u–w, ūsu B, 282. 338

5) Anfang und Ende der Zeit

83

von Tag und Nacht, auf die Entstehung der entsprechenden Himmelskörper Mond und Sonne zurückgeht. Auch das Bruchstück K 7076 enthält einen Schöpfungsbericht, der die Einrichtung der Himmelskörper thematisiert. K 7076340 1’) ˹dé˺-[a] ina ˹zu.ab˺ […] 2’) dingir.me gal.me im-tal-ku-ma ˹ina˺ m[il-ki-šu-nu …] 3’) mul.meš tam-šil zi-im bu-un-n[é-e …] 4’) an-e rap-šu-ti […] 5’) ta dutu.è en dutu.š[ú …] 6’) sag ù uš uš-ta-ki-lu […] 7’) ˹ù˺-da ù eš.bar […] 8’) dingir.meš ú-za-ˀ-i-zu m[a-an-za-zi …] 9’) ina man-za-az man-da-a […] 10’) gi6 u4-me […] 11’) [g]i6 ana á[r-ḫi …] 12’) […] man-da-[a …] 13’) [… m]a.na [x …] 1’) E[a] im Apsû […] 2’) Die großen Götter berieten einander und in [ihrem Rat …]. 3’) Die Sterne, als Abbild der Erscheinung der Gest[alt …]341 4’) Den weiten Himmel […] 5’) Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang […] 6’) Sie multiplizierten SAG und UŠ […]342 7’) Die Bedrängnis und die Entscheidung […] 8’) Die Götter teilten die P[ositionen …] 9’) In der Position, den Pfosten […] 10’) Nacht und Tag […] 11’) [… Na]cht für den Neu[mond / Monat …] 340

CT 13 31. Ediert bei Horowitz, They Multiplied the SAG by the UŠ in the Sky, 52, und Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 147 f. 341 Horowitz, They Multiplied the SAG by the UŠ in the Sky, 52, übersetzt die Zeile folgendermaßen: „The stars, as a beautiful glo[w of …]“. Die letzten erkennbaren Zeichenreste dieser Zeile beinhalten einen horizontal ausgerichteten Keilkopf. Es könnte sich demnach auch um das Zeichen na handeln, wodurch eine Ergänzung des Wortes zu bunnannû – „Gestalt, Gesichtszüge“ möglich wird. In jedem Fall wird sich die Aussage dieser Zeile auf die großen Götter beziehen, deren Abbild die Sterne darstellen. Vgl. dazu auch die zweite Zeile der fünften Tafel des Enūma eliš, in der die Sterne ebenfalls als tamšīlu bezeichnet werden. 342 Horowitz, They Multiplied the SAG by the UŠ in the Sky, 52 f. bietet für beide Termini eine Erklärung, lässt sie in seiner Bearbeitung des Textes jedoch unübersetzt.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

12’) […] den Pfosten […] 13’) [… M]ine […] Der Text ist nur lückenhaft erhalten, doch es wird deutlich, dass auch hier die gleichen Motive vorkommen, wie im Enūma eliš und Enūma Anu Enlil. Die wohl auffälligste Zeile des Textes besagt, dass die Götter im Zuge der Einrichtung der Himmelskörper SAG und UŠ miteinander multiplizieren. W. Horowitz erläutert in seiner zweiten Bearbeitung des Textes, dass es sich bei SAG um die Höhe (pūtu) und bei UŠ um die Breite (šiddu) handelt. In seiner ursprünglichen Edition war Horowitz zunächst davon ausgegangen, dass die Zeile damit eine Formel für die Berechnung eines Rechtecks enthält.343 Im Zuge seiner zweiten Edition des Textes revidiert Horowitz diese Interpretation jedoch zugunsten einer Deutung als Formel für die Berechnung eines Halbkreises.344 Horowitz legt in dem Zusammenhang überzeugend dar, dass die Form eines Rechtecks nicht mit dem bisher bekannten altorientalischen Bild des Himmelsgewölbes übereinstimmt und daher unwahrscheinlich ist. Die Deutung als Formel für den Halbkreis wiederum stimmt mit den vereinzelten Hinweisen auf die gedachte Form des Himmelsgewölbes überein.345 Die Zeiteinheiten werden ab Z. 10’ thematisiert. Die erhaltenen Abschnitte geben über die Einrichtung der wahrnehmbaren Zeit nicht mehr viel Preis. Von Interesse ist allerdings die Erwähnung der Maßeinheit „Minen“ in Z. 13’, wo sie im Zusammenhang mit Nacht und Tag genannt wird. Die Einbindung der Maßeinheit in den Kontext der Etablierung wahrnehmbarer Zeit erschließt sich durch die Tatsachen, dass die Tages- und Nachtlänge im Rahmen der Zeitmessung mittels einer Wasseruhr u.a. in Minen gemessen wurde.346 Damit wäre K 7076 der einzige zeitbezogene Schöpfungsbericht, der neben den beobachtbaren Himmelskörpern auch explizit die Messung der Zeit in den Blick nimmt. Einen weiteren kurzen Bericht über die Einrichtung der messbaren Zeit findet sich in einer kurzen Beschwörung, deren ritueller Kontext kaum erhalten ist.347 Die Beschwörung ist auf einem neuassyrischen Tafelfragment (K 9041) erhalten sowie auf einem weiteren Fragment, das aufgrund paläographischer Merkmale möglicherweise in die mittelbabylonische Zeit datiert werden kann, oder zumindest auf mittelbabylonische Vorlagen zurückgeht (BM 54692).348

343

Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 147 f. Horowitz, They Multiplied the SAG by the UŠ in the Sky, 52 f. 345 Horowitz, They Multiplied the SAG by the UŠ in the Sky, 53 und 56–61. 346 Siehe dazu Kapitel 6.3 und 8.1.2. 347 Lambert, Enbilulu and the Calendar, 237. 348 Lambert, Enbilulu and the Calendar, 237. 344

5) Anfang und Ende der Zeit

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BM 54692349 1) [én d]en-ki lugal gu-la dasal-lú-ḫi lugal gu-la 2) [dingir-n]e-ne-a an-ki-a dím-meš gú sùḫ è-a 3) [den-bi]-lu-lu BI350 dingir-gal-gal-e-ne 4) [giš-ḫur] an-ki-ke4 an-ne-en-ḫur-ḫur-re 5) [u4 iti mu] mu-ni-šu-du7-da-ta 6) [:iti? 7 u4?] ˹7˺? giš-ḫur-ḫur-ra-ke4 7) […] x x (x) du6 sikil-la-ta351 8) [tu6-en]-˹é˺-nu-ru 1) [Beschwörung:] Enki, der große König, Asalluḫi, der große König 2) der [Götter], im Himmel und auf der Erde sind sie Schöpfer(?). (…)352 3) [Enbi]lulu, der Kanalinspekor der großen Götter, 4) zeichnete für sie die [Pläne] des Himmels und der Erde. 5) Nachdem er [Tag, Monat und Jahr] vollkommen gemacht hatte, 6) [Sieben Monate und] sieben [Tage] der Pläne 7) […] vom reinen Hügel. 8) Beschwörung. Zwar ist die entscheidende Textstelle in Zeile 4–6 im Textzeugen BM 54692 teilweise abgebrochen, doch der Textzeuge K 9041 lässt jeweils eine sichere Ergänzung der abgebrochenen Stellen zu. Somit deutet auch dieser Text einmal mehr darauf hin, dass die primären Zeiteinheiten als Teil der Pläne des Himmels und der Erde erkannt wurden. Bemerkenswert ist in beiden Fragmenten, dass die Pläne und die einhergehende Entstehung der Zeiteinheiten Enbilulu zugesprochen werden, einer Gottheit die keinen erkennbaren Bezug zu Himmelskörpern aufweist, 349

Für die vorliegende Transliteration wurde der Textzeuge BM 54692 gewählt, da dieser insgesamt besser erhalten ist. Die beschädigten Passagen können anhand des Textzeugen K 9041 ergänzt werden. 350 Der neuassyrische Textzeuge K 9041 verzeichnet an dieser Stelle das Zeichen gú. W. G. Lambert ergänzt dazu das Zeichen gal. Das Wort gú-gal – „Kanalinspektor“ ist wiederum ein Epitheton des Enbilulu, das etwa auch in Enūma eliš VII 62 und 64 genannt wird. Die Ergänzungen von W.G. Lambert werden daher auch hier übernommen und entgegen der Transliteration von BM 54692 in der Übersetzung berücksichtigt. Siehe dazu Lambert, Enbilulu and the Calendar, 238. 351 Auf dem Textzeugen K 9041 ist der Beginn der Zeile erhalten: tu6 an-ki-a Z[I? – „Beschwörung im Himmel und auf der Erde“ oder „Beschwörung des Himmels und der Erde“. 352 Die Übersetzung der ersten zwei Zeilen ist aufgrund der unklaren grammatischen Struktur mehrdeutig. Lambert, Enbilulu and the Calendar, 239, übersetzt die Zeilen folgendermaßen: „1) Enki, great king, Asalluḫi, great king, 2) Gods of heaven and earth, creators of …“. Geht man jedoch davon aus, dass es sich bei è-a um ein Partizip handelt, so müsste sich die noch unverständliche Phrase gú sùḫ darauf beziehen, was wiederum zur Folge hat, dass dím-meš mit an-ki-a in Verbindung stehen muss. Die Übersetzung „creators of …“ erscheint vor dem Hintergrund unwahrscheinlich.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

sondern eindeutig dem landwirtschaftlichen Kontext zugerechnet werden kann.353 In seiner Bearbeitung der Fragmente kommt W. G. Lambert nach einer kurzen Betrachtung der auch hier analysierten Zeitbezogenen Quellen zu dem Schluss: „Thus there is nothing here to explain how Enbilulu got into this kind of operation.“354 Eine einzelne, indirekte Erklärung mag der Zusammenhang zwischen Zeit und Landwirtschaft in den Farmer’s Instructions geben.355 Auch die explizite Erwähnung von sieben Monaten und sieben Tagen sticht heraus. Leider ist der Kontext der folgenden Zeile zu stark beschädigt, um zu erkennen, welche Rolle die herausgehobenen Zeitabschnitte einnehmen. Lambert hat darauf verwiesen, dass sieben Tage im Zuge des Mondzyklus eine relevante Größe darstellen, konnte die sieben Monate in dem Kontext aber ebenfalls nicht erklären.356 Es ließe sich spekulieren, ob die genannten sieben Monate ebenfalls in den landwirtschaftlichen Kontext verortet werden können. Möglicherweise sind die Angaben auch als Ordinalzahlen zu verstehen und beziehen sich auf den Zeitpunkt der Durchführung des Rituals.357 Alle besprochenen Texte zeigen, dass die für den Menschen relevante, d.h. messbare Zeit im Verlaufe der Schöpfung eingerichtet wurde. Neben terrestrischen Phänomenen wie dem Wechsel der Jahreszeiten waren es also die Himmelskörper, die durch ihren zyklischen Lauf am Himmel den Ablauf der Zeit überhaupt erst wahrnehmbar machten. Die Texte unterstreichen dadurch die Bedeutung der astralen Komponente für das Konzept von Zeit. Nach der Vorstellung der Menschen wurden die Himmelskörper sowohl für die Zeitmessung als auch für die Divination von den herrschenden Göttern Anu, Enlil und Ea beziehungsweise Marduk eingesetzt und mit Aufgaben betraut. All dies geschah im Hinblick auf den zu der Zeit noch nicht erschaffenen Menschen, dem die Zeit ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Durchführung seiner Aufgaben gegenüber den Göttern war.

5.2) Die Ewigkeit Nachdem geklärt wurde, wer die wahrnehmbare Zeit etabliert hat und warum dies geschah, stellt sich die zunächst unpassend wirkende Frage, wann die Einführung der wahrnehmbaren Zeit geschah. Um die Frage zu beantworten, gilt es zunächst erneut ein Blick auf das Enūma eliš zu werfen. Die Einsetzung der zeitbestimmenden Himmelskörper bzw. die Schöpfung durch Marduk insgesamt erfolgt nämlich erst in der zweiten Hälfte des Textes. In der Zeit vor der Schöpfung des

353

Vgl. Lambert, Enbilulu and the Calendar, 239, der v.a. auf die Beschreibung Enbilulus im Rahmen von Enūma eliš VII, 57–96 verweist. 354 Lambert, Enbilulu and the Calendar, 240. 355 Siehe Kapitel 4.1.2.3. 356 Vgl. Lambert, Enbilulu and the Calendar, 240. 357 Zu Zeit in anderen Beschwörungen und Ritualen siehe Kapitel 10.

5) Anfang und Ende der Zeit

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Kosmos, hat sich jedoch bereits eine Kette von Ereignissen entfaltet: die Entstehung der ersten Götterpaare aus Apsû und Tiāmat, die Tötung Apsûs sowie der anschließende Konflikt zwischen Tiāmat und den Göttern – all dies sind Geschehnisse, die aufeinander aufbauen und damit einer zeitlichen Reihenfolge unterliegen. Es muss also die Vorstellung von einer Zeit vor der messbaren Zeit gegeben haben.358 Dass die Götter auch schon vor der Schöpfung und der damit einhergehenden Etablierung der messbaren Zeit aktiv handelten, auf Ereignisse reagierten und somit auch zeitlich aufeinander folgende Handlungen durchführten, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass nach altorientalischer Vorstellung die Götter nicht zwingend eine wahrnehmbare Zeit benötigten – obwohl auch sie letztendlich in Form eines funktionierenden Kultbetriebs davon profitierten. Die Handlungen und Ereignisse geschahen zwar, doch gab es noch keine Möglichkeit ihr Auseinanderliegen zu messen. Der Verlauf der Zeit war lediglich durch die Abfolge der Ereignisse selbst wahrnehmbar. Auch wenn sich in diesem speziellen Fall keine entsprechenden Angaben im Text finden lassen, kann man annehmen, dass Ereignisse und Handlungen, sofern sie nicht ritualisiert sind, unregelmäßig stattfinden. Sie ermöglichen somit keine tatsächliche Messung der Zeit, sondern lassen lediglich die Wahrnehmung eines groben Verlaufs zu. Wie zuvor dargestellt, wurde die Möglichkeit der Messung erst durch die Etablierung präziser, in ihrer Länge festgelegter Zyklen möglich. Und doch muss eine Form von Zeit bereits existiert haben. Dem steht in Tafel I Z. 12 f. scheinbar die Aussage gegenüber, dass Anšar und Kišar – das zweite Götterpaar, das aus Apsû und Tiāmat entstanden war – ihre Tage verlängerten und ihre Jahre vermehrten.359 Die Aussagen des Enūma eliš erscheinen hier widersprüchlich, wird in Tafel V doch dokumentiert, dass diese Zeiteinheiten erst durch Marduk geplant und durch die von ihm eingesetzten Himmelskörper erkennbar wurden. An dieser Textstelle offenbart sich die Problematik eines fehlenden abstrakten Zeitbegriffs. Wie bereits in Kapitel 2 erläutert, nutzte man auf sprachlicher Ebene die primären Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag als Ersatz, um das Phänomen Zeit insgesamt zu bezeichnen. Man kann daher davon ausgehen, dass das Verlängern der Tage und das Vermehren der Jahre an dieser Stelle metaphorisch das allgemeine Vergehen der Zeit darstellen soll.360 Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Götter erst heranwachsen mussten, um 358

Vgl. auch Ulanowski, Divine or Human Creation of Time, 341 f., der darauf hinweist, dass in mythischen Texten nicht explizit erläutert wird, dass Zeit erst zu fließen begann, nachdem die Götter sie erschufen. Ebenso wenig gibt es Aussagen, die von einer direkten Schöpfung der Zeit sprechen. 359 Enūma eliš Tafel I, 12 f.: 12) an-šár dki-šár ib-ba-nu-u e-li-šu-nu at-ru 13) ur-ri-ku u4.meš uṣ-ṣi-bu mu.an.na.meš – „Anšar und Kišar wurden erschaffen, sie übertrafen sie (= Laḫmu und Laḫamu). Sie verlängerten die Tage, fügten hinzu die Jahre.“ 360 So auch Rajadell, Mesopotamian Idea of Time Through Modern Eyes, 220 f.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

schließlich in der Generation des Himmelsgottes Anu selbstständig neue Göttergenerationen zu zeugen. Darüber hinaus gibt die Zeile den Hinweis, dass Zeit auch schon vor der Einsetzung der Himmelskörper verging und somit existiert haben muss. L. Verderame sieht hierin eine klare Trennungslinie zwischen der mythischen Zeit und der durch Kosmogonie entstandenen historischen Zeit.361 À. M. Rajadell hat zudem die Idee eingebracht, dass die Zeit in mythischen Erzählungen anders als in historischen Erzählungen verginge. Er verweist beispielhaft auf das Wachstum von Anšar und Kišar, aber auch auf die kurze Geburt der Göttin Nandu und die unterschiedlichen langen Regierungszeiten von Königen vor und nach der Flut gemäß der sumerischen Königsliste.362 Alle genannten Beispiele geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Zeit in einer mythischen Epoche vor der Etablierung der Himmelskörper tatsächlich anders verging. Sie war lediglich nicht messbar. Wollten die Verfasser der Texte also beschreiben, dass Zeit schon vor der Schöpfung verging, blieb ihnen in Ermangelung eines abstrakten Zeitbegriffs kaum etwas Anderes übrig, als auf die ihnen geläufige Terminologie zurückzugreifen und diese als Metapher für vergehende Zeit zu nutzen. Aus dieser metaphorischen Verwendung der Zeiteinheiten, auf die Rajadell selbst verweist,363 lässt sich jedoch nicht zwangsläufig schließen, dass es sich um eine anders verlaufende Zeit handelte. In dem Zusammenhang kommt Rajadell auch zu dem Schluss, dass die Handlungen der Götter vor der Zeit stattfanden, die mit der menschlichen Zeit keine Verbindungen aufweist.364 Dem Enūma eliš kann man entnehmen, dass die Götter, anders als die Menschen, offenbar auch ohne eine wahrnehmbare Zeit vollständig handlungsfähig waren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Götter in einer anderen Zeit oder gar außerhalb der Zeit existierten.365 Zahlreiche mythische Texte verweisen darauf, dass sich auch die Welt der Götter bzw. ihr Beziehungsgeflecht untereinander immer wieder verändert hat und sogar noch in der historischen Zeit einer Dynamik unterworfen war.366 Auch die Ebene der Götter existierte also in einem zeitlichen Rahmen. Die Etablierung der Himmelskörper war nur der letzte Schritt, der es ermöglichte, die Zeit in präzisen, definierten Intervallen wahrzunehmen und zu messen. Und auch wenn die Götter selbst nicht darauf 361

Verderame, The Moon and the Power of Time Reckoning, 130. Rajadell, Mesopotamian Idea of Time Through Modern Eyes, 220–222. 363 Rajadell, Mesopotamian Idea of Time Through Modern Eyes, 222. 364 Rajadell, Mesopotamian Idea of Time Through Modern Eyes, 225. 365 Vgl. dazu auch Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 47. 366 Man denke in diesem Zusammenhang an den auf der Geierstele geschilderten Konflikt zwischen den Stadtstaaten Umma und Lagaš, der auch auf die Ebene der Götterwelt projiziert und als Konflikt zwischen den jeweiligen Stadtgöttern interpretiert wurde. Siehe dazu u.a. Cwik-Rosenbach, Zeitverständnis und Geschichtsschreibung in Mesopotamien, 6, mit weiteren Literaturangaben. 362

5) Anfang und Ende der Zeit

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angewiesen waren, wirkte sich die Etablierung der Himmelskörper letztlich vorteilhaft für sie aus, da erst so ihre Versorgung durch den Menschen durchgeführt werden konnte. D. Katz hat die Götter in diesem Zusammenhang als „cross-temporal entities“ bezeichnet, als Wesen, die zwar Zeit erfahren, ihr aber nicht unterworfen sind.367 Weiterhin gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise darauf, dass mit der Etablierung der Himmelskörper eine neue Zeitlinie eingerichtet worden wäre, die parallel zur göttlichen Zeitlinie existierte. Demnach bewegen sich die göttliche und die menschliche Welt auf der gleichen Zeitlinie. Eines der charakteristischsten Merkmale des altorientalischen Gottesbildes war die Unsterblichkeit der Götter, die nur unterbrochen werden konnte, wenn die Götter von ihresgleichen getötet wurden. Während die Götter den Menschen also nur eine begrenzte Zeitspanne in der Welt der Lebenden zur Verfügung stellten, waren die selbst diesem Limit nicht unterworfen. Die vergehende Zeit hatte keine Auswirkungen auf sie. Aus der Beobachtung, dass Ereignisse auch schon vor der Einsetzung der Himmelskörper in einer chronologischen Reihenfolge vergingen und die Götter als grundsätzlich unsterbliche Wesen gedacht wurden, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass der messbaren Zeit noch eine weitere Zeitform zugrunde liegt. Dabei handelt es sich um den Zustand, der aus moderner Sicht als Ewigkeit bezeichnet werden kann. Ein Begriff, der sich vollständig mit dem modernen Verständnis von Ewigkeit deckt, ist erneut nicht belegt. Gewohnheitsmäßig wird das Wort dārû / dārītu, das in seiner Grundbedeutung vornehmlich mit „Dauer“ übersetzt werden kann, auch als „Ewigkeit“ aufgefasst.368 Aus der Verwendung des Begriffes geht hervor, dass damit in erster Linie andauernde Zeiträume, meist bezogen auf die Zukunft, abgedeckt werden.369 So kann dārû sich bspw. auch auf die Lebenszeit eines Menschen beziehen.370 Der Begriff meint also nicht zwangsläufig eine Ewigkeit im Sinne eines nicht endenden Zeitraums. Murphy charakterisiert dārû als Zeit, die einen „point of departure“ in der Vergangenheit hat und eine unbekannte Grenze in der Zukunft.371 Erst durch die Verwendung des Wortes im Zusammenhang mit Göttern, Tempeln und Städten sowie Institutionen wie dem Königtum wird klar, dass sich diese Dauerhaftigkeit nicht nur auf vergleichsweise begrenzte Perioden wie eine Lebenszeit bezieht, sondern weit darüber hinaus gehen kann.372 So bezeichnet die durch dārû / dārītu ausgedrückte Dauerhaftigkeit letztendlich den Zustand, der mit dem modernen Begriff der Ewigkeit gleichgesetzt werden kann.

367

Katz, Time in Death and Afterlife, 121. Vgl. AHw I, dārītu(m), dāru(m) und dārû(m), 164 369 Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 46 f. 370 Vgl. CAD d, dārû 1. e, 117. 371 Murphy, Reconsidering the Categories of Time in Ancient Iraq, 249. 372 Für Beispiele siehe CAD d, dārû 1. b, 116 f. 368

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Diese Dauerhaftigkeit wird durch die Götter Dūri und Dāri personifiziert.373 Beide Götternamen werden in der Götterliste An = Anum aufgelistet, wo sie bereits auf der ersten Tafel in den Zeilen 12 f. genannt und mit Anu und Antum gleichgesetzt werden. Eine entsprechende Gleichsetzung von Dūri mit Anu findet sich auch in der neuassyrischen Götterliste K 4338b+15160.374 Das Götterpaar Dūri / Dāri taucht insgesamt ab der Mitte des 2. Jt. v. Chr.375 mehrfach in Ritualtexten bzw. Beschwörungen auf.376 Ein Ritual gegen einen Totengeist enthält gegen Ende des Textes eine Beschwörung, die über dem Abbild des Kranken rezitiert werden soll.377 Der Text endet damit, dass das Abbild bei verschiedenen Göttern und Entitäten beschworen wird, darunter u.a. auch Dūri und Dāri (Z. 23). Lambert, der sich in seinem Werk Babylonian Creation Myths mit der Theogonie des Anu auseinandergesetzt und die entsprechenden Texte zusammengestellt hat, charakterisiert Dūri / Dāri folgendermaßen: „(…), but our conclusion, which will be justified so far as may be later, is that Dūri Dāri are the first pair in time and represent the concept of eternal time as the prime force in creation.“378 Der Interpretation Lamberts von Dūri / Dāri als dauerhafte Zeit kann mit Verweis auf die bisherigen Erläuterungen uneingeschränkt zugestimmt werden. Dass die dauerhafte Zeit eine „prime force in creation“ darstellt, ist jedoch fraglich. Die Texte geben keinerlei Hinweis darauf, dass die Zeit, weder in ihrer dauerhaftewigen noch in ihrer messbaren Ausprägung, einen direkten Anteil an der Schöpfung hat. Nach den Götterlisten und auch der Theogonie in den Beschwörungen, entsteht vielmehr der Eindruck, dass die dauerhafte Zeit, personifiziert durch Dūri und Dāri, schon immer da war. Es gibt keine Berichte, die ihre Geburt, Erschaffung oder Werdung darstellen.379 Ebenso wenig gibt es Texte, die irgendwelche Handlungen ihrerseits beschreiben. Die dauerhafte Zeit liegt auf passive Weise allem Geschehen, sowohl auf der Ebene der Götter als auch der Menschen, zugrunde. Ab einem bestimmten Punkt, dem Zeitpunkt der Schöpfung, wird die ewige Zeit mit Hilfe der Himmelskörper in Zyklen eingeteilt und somit wahrnehmbar und messbar gemacht. Komoróczy beschreibt Dūri / Dāri in diesem Sinne nicht als prime force, sondern treffender als „primary element“:

373

Vgl. u.a. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 46. CT 24 19. Vgl. Lambert, Babylonian Creation Myths, 420. 375 Komoróczy, The Separation of Sky and Earth, 37. 376 Eine Zusammenstellung dieser Texte findet sich bei Lambert, Babylonian Creation Myths, 417. 377 KAR 22. Bearbeitet von Ebeling, Tod und Leben nach den Vorstellungen der Babylonier, Nr. 20. 378 Lambert, Babylonian Creation Myths, 418. 379 Vgl. Katz, Time in Death and Afterlife, 118. 374

5) Anfang und Ende der Zeit

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„According to this the concept of time became a deity, and as such it became the primary element of cosmogony.“380 In gewisser Weise lassen die bisher behandelten, mythischen Texten ein babylonisch-assyrisches Pendant zu der in Kapitel 1.2.1 dargelegten Unterscheidung von sozialer und physikalischer Zeit erkennen. Der messbaren, sozialen Zeit, die mit verschiedenen Eigenschaften versehen ist, liegt die nicht quantifizierbare und damit kaum wahrnehmbare, ewige Zeit als Konstante des Kosmos zugrunde. Das Verhältnis von Göttern, Zeit und Ewigkeit fasst E. Cancik-Kirschbaum treffend zusammen: „Die Götter als Schöpfer und Verkörperung der natürlichen Taktgeber konstituieren die Zeit und handeln in der Zeit. Sie verbinden die zählbare Zeit mit dem Prinzip der Dauerhaftigkeit, personifiziert im Götterpaar der Dauerhaftigkeit, die in den Anfängen der Schöpfung projiziert wurden, das dem Menschen nur im sozialen Kollektiv, nämlich in der genealogischen Erneuerung und im Konzept der Erinnerung gegeben ist.“381 Mit den Vorstellungen von Dauerhaftigkeit bzw. Ewigkeit geht unmittelbar die Frage nach einem Ende des Kosmos – und damit zwangsläufig auch einem Ende der Zeit – einher. Wie bereits erwähnt, kann dārû / dārītu zwar lange, aber in letzter Konsequenz eben doch endliche Zeiträume bezeichnen. Es gibt jedoch keinerlei Hinweis darauf, dass im mesopotamischen Kulturraum eine Vorstellung von einem herannahenden Ende der Welt, des Menschen oder des Kosmos insgesamt existierte.382 Die einzige Quelle, die auf entsprechende Vorstellungen referiert, ist ein Zitat, dass Seneca Berossos zugeschrieben hat. Demnach solle die Welt in einem Kataklysmos vergehen.383 Babylonische oder assyrische Quellen aus vor-hellenistischer Zeit, die entsprechende Vorstellungen bestätigten könnten, sind bisher aber nicht belegt. Das fehlende Konzept eines Weltendes interpretiert S. Fink dahingehend, dass sich die Vorstellung einer linearen Zeit kaum entwickeln konnte und somit eine untergeordnete Rolle spielte. Er kommt folglich zu dem Schluss, dass das mesopotamische Zeitverständnis vornehmlich zyklisch geprägt war.384 E. CancikKirschbaum hingegen macht deutlich, dass die hier aufgeführte theologische Verankerung der dauerhaft-linearen Zeitebene im Götterpaar Dūri – Dāri auf die Wichtigkeit dieser Vorstellung hinweist.385 Dem Beginn der Zeit wird in den Texten nicht weiter nachgegangen, da in den Augen der Verfasser von mythischen Passagen vielmehr die Etablierung der 380

Komoróczy, The Separation of Sky and Earth, 37. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 47. 382 Vgl. Wilcke, Weltuntergang als Anfang, 99 f. 383 Lambert, History and the Gods: A Review Article, 177. 384 Fink, Einfluss der Sprache auf das Denken, 170. 385 Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 46. 381

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Wahrnehmbarkeit und Messbarkeit der Zeit von Bedeutung war. Letztendlich war es die messbare, zyklische Zeit, die für den Menschen im Alltag von größerer Relevanz war. Sie ermöglichte die Etablierung und Aufrechterhaltung eines Kalenders, der wiederum die Grundlage für andere Wissensgebiete wie die Divination darstellte. Trotzdem zeigt zumindest das Enūma eliš, dass auch im Vorfeld der Schöpfung bereits Zeit vergangen sein muss. Die Zeit muss schon existiert haben, bevor die Himmelskörper erschaffen wurden, was im Götterpaar Dūri / Dāri Ausdruck findet. Die noch unquantifizierbare Zeit hat keinen definierten Startpunkt und auch kein sichtbares Ende.386 Daher kann sie letztendlich als Ewigkeit oder als Dauerhaftigkeit bezeichnet werden. Ohne Start- und Endpunkt ist es die Ewigkeit, bzw. die dauerhafte Zeit, die gleichsam allem Geschehen zugrunde liegt. Auf diesem „temporalen Untergrund“ beginnt mit der Schöpfung die messbare Zeit mit ihren definierten Zeiteinheiten zu vergehen. Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, der Interpretation von CancikKirschbaum zu folgen. Das Konzept von Zeit ist unzweifelhaft durch die Zyklen der Himmelskörper geprägt, was sich allein schon in der sprachlichen Realisierung des Phänomens niederschlägt. Doch konnte im Zuge dieses Kapitels gezeigt werden, dass die Zeit sich ebenso linear in die Vergangenheit und Zukunft erstreckt. Die Etablierung der Himmelskörper und die damit einhergehende Möglichkeit der Messung und Wahrnehmung der Zeit markiert nicht den Beginn eines eigenständigen Zeitflusses, sondern macht den bereits vorhandenen aber nicht quantifizierten, linearen Zeitfluss wahrnehmbar. Die zyklische Zeit ist somit untrennbar mit der linearen Zeitebene verbunden.387 Beide Zeitvorstellungen sind dem Gesamtkonzept von Zeit immanent.

386 387

Vgl. Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 49. Vgl. Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 47.

6) Die ideale Zeit Die in den vorherigen Kapiteln besprochenen Quellen haben bereits mehrfach einen Ausblick auf ein spezifisches Charakteristikum der altorientalischen Zeitvorstellung gegeben. Demnach wurde den Tagen, Monaten und Jahren eine idealisierte Länge zugeschrieben, welche den Zeitverlauf vereinfacht darstellten. Diese Vorstellung wird in schematischen Texten aufgegriffen und systematisch veranschaulicht. Zusätzlich geben die Briefe und Berichte der babylonischen und assyrischen Gelehrten aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr. in großer Zahl Aufschluss über die Natur und Anwendung des idealen Zeitverlaufs. Die Idee einer vereinfachten Zeitrechnung hatte ihren Ursprung voraussichtlich in der Wirtschaftsverwaltung.388 Die idealisierte Zeitrechnung diente in diesem Zusammenhang dazu, Kalkulationen zu vereinfachen.389 Zu diesem Zweck ging man bereits von einem Jahr aus, das 360 Tage umfasste, die sich wiederum auf zwölf Monate mit 30 Tagen verteilten.390 Dieser administrative Kalender lässt sich bereits in den archaischen Texten391, den Urkunden des präsargonischen Girsu und später dann v.a. in der Ur-III-Zeit indirekt durch Berechnungen der Arbeitstage in Wirtschaftsurkunden nachweisen.392 Die Einteilung eines Jahres in 360 Tage lässt sich demnach bis an den Beginn der keilschriftlichen Überlieferung zurückverfolgen. Das Konzept einer idealen Zeit kann somit zweifellos als die 388

Steele, Making Sense of Time, 474, sieht den Ursprung des idealen Kalenders in der Administration der Ur III-Zeit. Englund, Administrative Timekeeping, 131, veranschlagt die Konvention, die Zeiteinheiten im Rahmen der Verwaltung zu idealisieren und damit zu vereinfachen, bereits in den frühesten Verwaltungstexten. Die These Englunds wird u.a. von Cancik-Kirschbaum, Rund-Zahlen und Ideal-Rhythmen, 75 f. unterstützt. 389 Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 83 und 87. Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 117, verweist darauf, dass der administrative Kalender eher eine Kalkulations-Konvention als ein eigentlicher Kalender war. Vgl. auch Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 34. 390 U.a. Steele, Making Sense of Time, 471, und Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 88. 391 So Englund, Administrative Timekeeping in Ancient Mesopotamia, 131: „It will be evident from a cursory analysis in feed texts from presargonic Girsu that very much the same system of Ur III time reckoning was in use in the 24. Century B.C. Our work in Berlin on the archaic texts from Uruk, dating between 3200 and 3000 B.C., has led to an evaluation of the time notations found in those documents as well as in the closely related Uruk III period texts from Djemdet Nasr and elsewhere. As a result I have been able to conclude that in the protoliterate period the same system of administrative time reckoning was employed as was the notational basis 1000 years later.“ Vgl. auch Brack-Bernsen, The 360Day Year in Mesopotamia, 92 f., und Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 33. 392 Vgl. Englund, Administrative Timekeeping in Ancient Mesopotamia, 122–130. Siehe auch Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 84 und 90, sowie Steele, Making Sense of Time, 471.

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älteste schriftlich fassbare Vorstellung von Zeit angesehen werden. Im späten 3. bzw. frühen 2. Jt. v. Chr. löste sich die Vorstellung eines idealen 360-Tage-Jahres sowie des idealen 30-Tage-Monats aus dem Bereich der Administration und wurde auch auf wissenschaftliche, gelehrte und auch religiöse Texte übertragen.393

6.1) Das ideale Jahr Zu den frühesten nicht-administrativen Belegen für die Vorstellung eines idealen Zeitverlaufs gehören zwei ikribu-Gebete394 aus Tell ed-Dēr.395 Die beiden Tafeln mit den Gebeten (IM 80213 und IM 80214) entstammen dem Archiv des Ur-dUtu, einem gala.maḫ der Göttin Annunītum, der während der Regierungszeit des Ammiṣaduqa tätig war.396 Beide Gebete wurden aus Anlass einer Opferschau bezüglich der Gesundheit und des Lebens des Ur-dUtu niedergeschrieben.397 Die im vorliegenden Kontext relevanten Aussagen finden sich bei IM 80213 in den Zeilen 7–9 sowie 16–18 und bei IM 80214 in den Zeilen 11–15. Nach der Anrufung der jeweiligen Gottheit398 folgt die Bitte, die dargebotenen Opfer (sískur) zu empfangen und im Gegenzug dem Ur-dUtu ein Orakel zukommen zu lassen. Anschließend wird das eigentliche Bittgebet vorgetragen: IM 80213399 6) aš-šum ur-dutu ìr-ka ša i-na-an-na i-na sískur-ka 7) iz-za-az-zu iš-tu itibára.zag.gar u4.20.kam 8) a-di itibára.zag.gar u4.20.kam ša ša-at-tim e-ri-ib-ti 9) 6 šu-ši u4-ma-tim 6 šu-ši {u4} mu-ši-a-tim 10) i-na a-ma-at dingir i-na a-ma-at dinnin 11) i-na a-ma-at šar-rum! i-na a-ma-at kab-ti 12) i-na a-ma-at mu-uš-ke-[nim] 13) i-na a-ma-at ši-im-tim 14) ù? ‹ú›-ṣú-ur-tim a-ma-at i-du-ú 15) la i-du ur-dutu ša-lim ba-li-iṭ 16) iš-tu itibára.zag.gar u4.20.kam a-di itibára.zag.gar u4.20.kam 393

Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 117; Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 96 f., und Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 36. Siehe auch Brown et al., The Interactions of Ancient Astral Science, 37. 394 „Opferschaugebet“; vgl. Mayer, Untersuchungen zur Formensprache der babylonischen „Gebetsbeschwörung“, 32. 395 Steele, Making Sense of Time, 474. 396 De Meyer, Deux prières ikribu du temps d’Ammī-ṣaduqa, 271. 397 IM 80213 Z. 4 f.: uzute-er-ti šu-ul-mi ba-la-ṭì a-na ur-dutu ìr-ka šu-uk-na-ma und IM 80214 Z. 7 f.: uzute-er-[ti šu-ul-mi ba-la]-ṭì a-na ur-dutu ìr-ki šu-uk-ni. 398 d Ninsianna in IM 80213 und Annunītum in IM 80214. 399 De Meyer, Deux prières ikribu du temps d’Ammī-ṣaduqa, 274.

6) Die ideale Zeit

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17) 6 šu-ši ú-ma-tim 6 šu-ši mu-ši-tim 18) a-di ša-at-tim e-ri-ib-tim 19) mur-dutu ša-lim ba-li-iṭ 6) Bezüglich des Ur-Utu, deines Dieners, der nun bei deinem Opfer 7) anwesend ist; vom 20. Tag des Monats Nisannu 8) bis zum 20. Tag des Monats Nisannu des kommenden Jahres 9) (sind es) sechsmal 60 Tage und sechsmal 60 Nächte; 10) durch die Entscheidung eines Gottes oder durch die Entscheidung einer Göttin, 11) durch die Entscheidung des Königs oder durch die Entscheidung eines Gewichtigen, 12) durch die Entscheidung eines Armen, 13) durch die Entscheidung des Schicksals 14) oder des (göttlichen) Plans; die Entscheidung, die er kennt 15) (und) die er nicht kennt; wird Ur-Utu gesund sein (und) leben?400 16) Vom 20. Tag des Monats Nisannu bis zum 20. Tag des Monats Nisannu 17) (sind es) sechsmal 60 Tage und sechsmal 60 Nächte 18) bis zum kommenden Jahr. 19) Wird Ur-Utu gesund sein und leben? Der Text legt dar, wie im Rahmen einer Opferschau erfragt wird, ob die Person Ur-dUtu in Zukunft weiterhin gesund bleiben wird. Der Bezug zur Zukunft wird hergestellt, indem von einem festen Datum (dem 20. Nisannu) des aktuellen Jahres auf exakt das gleiche Datum des kommenden Jahres verwiesen wird. Dieser Zeitraum wird explizit mit der Umschreibung „sechsmal 60 Tage und sechsmal 60 Nächte“ wiedergegeben. Eine gleichlautende Angabe findet sich im zweiten Gebet IM 80214. Die Verfasser der Gebete gingen danach offenkundig nicht vom tatsächlichen solaren Jahresverlauf aus. Vielmehr bezogen sie sich auf das ideale 360-Tage-Jahr. An diesem Textbeispiel lässt sich bereits zeigen, wie die Vorstellung eines idealen Jahresverlaufs auf den Wissensbereich der Opferschau übertragen und angewendet wurde. Auch in anderen Wissenszweigen wie der Mathematik finden sich in der altbabylonischen Zeit bereits entsprechende Übertragungen.401 Am stärksten fassbar wird die Idealisierung jedoch im ausgehenden 2. und im 1. Jt. v. Chr. Ab dieser Zeit nimmt die Idee eines ideal gedachten Jahresverlaufs eine wichtige Rolle in den zunehmend stärker zutage tretenden astronomisch-astrologischen Texten ein.402 400

Gemäß De Meyer, Deux prières ikribu du temps d’Ammī-ṣaduqa, 276 ist šalim baliṭ unter Verweis auf Lambert als Frage an das Orakel zu verstehen. 401 Vgl. Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 96 f. 402 Vgl. Steele, Making Sense of Time, 474.

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Als Beispiel dafür kann MUL.APIN herangezogen werden.403 Der Text umfasst unterschiedliche Schemata, die sich u.a. mit dem Auf- und Untergang von Sternen und Konstellationen an bestimmten Tagen des Jahres beschäftigen, Zeitintervalle zwischen den Aufgängen aufzeigen, die Veränderung in der Länge von Tag und Nacht abbilden oder Hinweise auf die Notwendigkeit einer Schaltung geben. Auch hier liegt die Besonderheit, auf die bereits in Kapitel 4 hingewiesen wurde, darin, dass es sich um idealisierte Schemata handelt.404 D. Brown charakterisiert die ideal schemes folgendermaßen: „All used whole, round numbers which made their adaption to the modelling of other phenomena simple, as was the case with the “ideal lunar visibility/invisibility scheme” which was derived from the “ideal year” and “ideal month”, or the “Plejaden-Schaltregel” which was derived from the “ideal intercalation” scheme. Calculating the resultant ideal lunar visibility times, say, was mathematically straightforward and despite the almost total lack of observational content in their creation they were obviously considered to have been important. That these schemes are found in many different text types suggests that they may have been thought to reflect something fundamental about the underlying or original state of the universe, but their repeated use in EAE shows that they were also primarily useful to the diviners.“405 Die Schemata operieren dabei alle mit einem idealen Zeitverlauf, wobei sich die Idealität nicht mehr nur durch die Anzahl von 360 Tagen auszeichnet, sondern auch durch die Verbindung von Sternenauf- und Untergängen mit festen kalendarischen Daten. Als Beispiel kann das Schema aus MUL.APIN Tafel I ii 36 – iii 12 herangezogen werden: MUL.APIN I, ii 36–47406 36) diš ina itibára u4.1.kam mul.lúḫun.gá igi.lá 37) diš ina itibára u4.20.kam mulgàm igi.lá 38) diš ina itigu4 u4.1.kam mul.mul igi.lá 39) diš ina itigu4 u4.20.kam mulis le-e igi.lá 40) diš ina itisig4 u4.10.kam mulsipa.zi.an.na u mulmaš.tab.ba.gal.gal igi.me 41) diš ina itišu u4.5.kam mulmaš.tab.ba.tur.tur u mulal.ul igi.me 42) diš ina itišu u4.15.kam mulkak.si.sá mulmuš u mulur.gu.la 43) igi.me-ma 4 ma.na en.nun u4-me 2 ma.na en-nun gi6 44) diš ina itine u4.5.kam mulban u mullugal igi.me 45) diš ina itikin u4.10.kam mulnunki u mulugamušen igi.me 403

Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 115. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 113–122. 405 Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 125. 406 Transliteration nach Hunger – Pingree, MUL.APIN, 40–47. 404

6) Die ideale Zeit

97

46) diš ina itikin u4.15.kam mulšu.pa den-líl igi 47) diš ina itikin u4.25.kam mulab.sín igi MUL.APIN I, iii 1–12 1) diš ina itidu6 u4.15.kam mulzi-ba-ni-tu4 mulur.idim mulen.te.na.bar.ḫum 2) u mulur.ku igime-ma 3 ma.na en.nun u4-mi 3 ma.na en.nun gi6 3) diš ina itiapin u4.5.kam mulgír.tab igi 4) diš ina itiapin u4.15.kam mulùz u mulgaba.gír.tab igi.me 5) diš ina itigan u4.15.kam mulud.ka.duḫ.a multu8mušen 6) u mulpa.bil.sag igi.meš 7) diš ina itiab u4.15.kam mulsim.maḫ mulši-nu-nu-tu4 mulim.šeš 8) ina giš.nim igi.lá u mulkak.si.sá li-la-a-ti 9) igi.lá-ma 2 ma.na en.nun u4-me 4 ma.na en.nun gi6 10) diš ina itizíz u4.5.kam mulgu.la mulaš.iku u mullu-lim igi.meš 11) diš ina itizíz u4.25.kam mula-nu-ni-tu4 igi.lá 12) diš ina itiše u4.15.kam mulku6 u mulšu.gi igi.lá.me MUL.APIN I, ii 36–47 36) Im (Monat) Nisannu, am ersten Tag, wird der Mietarbeiter sichtbar. 37) Im (Monat) Nisannu, am 20. Tag, wird das Krummholz sichtbar. 38) Im (Monat) Ajjaru, am ersten Tag, werden die Plejaden sichtbar. 39) Im (Monat) Ajjaru, am 20. Tag, wird der Kiefer des Stiers sichtbar. 40) Im (Monat) Simānu, am zehnten Tag, werden der rechte Hirte des An und die großen Zwillinge sichtbar. 41) Im (Monat) Duˀūzu, am fünften Tag, werden die kleinen Zwillinge und Krebs sichtbar. 42) Im (Monat) Duˀūzu, am 15. Tag, werden der Pfeil, die Schlange und der Löwe 43) sichtbar: vier Minen sind Tagwache, zwei Minen sind Nachtwache. 44) Im (Monat) Abu, am fünften Tag, werden der Bogen und der König sichtbar. 45) Im (Monat) Ulūlu, am zehnten Tag, werden der Stern von Eridu und der Rabe sichtbar. 46) Im (Monat) Ulūlu, am 15. Tag, wird der šu.pa407 des Enlil sichtbar. 47) Im (Monat) Ulūlu, am 25. Tag, wird die Furche sichtbar. MUL.APIN I, iii 1–12 1) Im (Monat) Tašrītu, am 15. Tag, werden die Waage, der Löwen-Mann und en.te.na.bar.ḫum 2) sowie der Hund sichtbar: drei Minen sind Tagwache, drei Minen sind

407

Siehe dazu Gössmann, Planetarium Babylonicum, 212 f.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Nachtwache. 3) Im (Monat) Araḫsamna, am fünften Tag, wird der Skorpion sichtbar. 4) Im (Monat) Araḫsamna, am 15. Tag, werden die Ziege und die Brust des Skorpions sichtbar. 5) Im (Monat) Kislīmu, am 15. Tag, werden der Panther, der Adler 6) und Pabilsag sichtbar. 7) Im (Monat) Ṭebētu, am 15. Tag, wird sim.maḫ, die Schwalbe408 oder409 der Regenbogen410 8) im Osten sichtbar; der Pfeil wird am Abend 9) sichtbar: zwei Minen sind Tagwache, vier Minen sind Nachtwache. 10) Im (Monat) Šabāṭu, am fünften Tag, werden Gula, das Feld und der Hirsch sichtbar. 11) Im (Monat) Šabāṭu, am 25. Tag, wird Anunītu sichtbar. 12) Im (Monat) Addaru, am 15. Tag, werden der Fisch und der alte Mann sichtbar. Im vorliegenden Textausschnitt werden alle Monate des Jahres aufgeführt und somit der Verlauf eines Jahres dargestellt. Innerhalb dieses Jahres sollen zu bestimmten Tagen des jeweiligen Monats bestimmte Sterne sichtbar werden.411 Bei diesen Daten handelt es sich um idealisierte Daten.412 Wie anhand des aufgeführten Zitats von D. Brown deutlich wird, werden für die angegebenen Tage auffällig runde Zahlen genutzt, namentlich 1, 5, 10, 15 und 25. Handelte es sich beim dargelegten Schema tatsächlich um die Daten von Beobachtungen, wäre eine größere Varianz in der Verteilung der Daten zu erwarten. Dazu bermerkt Brown: „The dates given in Mul.Apin for these first appearances are not accurate. They were not the record of a series of observations, but were produced “artificially” while corresponding very broadly to reality. They could not have been used for precise prediciton.“413

408

So Gössmann, Planetarium Babylonicum, 214, und Hunger – Pingree, MUL.APIN, 45. CAD š3, šinūnūtu, 55 f. legt sich dabei jedoch nicht fest und beschreibt šinūnūtu lediglich als „a bird“. 409 Gemäß Gössmann, Planetarium Babylonicum, 79 und 214, sind die Sternkonstellationen šinūnūtu und IM.ŠEŠ identisch mit sim.maḫ. 410 Siehe CAD m2, marratu C,1., 286. 411 Zur Verbindung von Sternenaufgängen mit festen kalendarischen Daten siehe auch Kapitel 4.1.2.3. 412 Vgl. Hunger – Pingree, MUL.APIN, 139 f. 413 Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 116.

6) Die ideale Zeit

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Der Text demonstriert in den Zeilen ii 42 und iii 9 zugleich, dass nicht nur das Jahr ideal gedacht wurde; auch die Länge von Tag und Nacht unterlag entsprechenden Vorstellungen (siehe Kapitel 6.3). Ein weiteres Schema in MUL.APIN, das einen idealen Jahresverlauf abbildet, befindet sich auf Tafel I iii 34–48. Der Abschnitt rückt die Anzahl der Tage in den Fokus, die zwischen den Aufgängen der gerade genannten Sterne vergehen sollten. MUL.APIN I, iii 34–48414 34) diš ta kur šá mulkak.si.sá 55 u4.meš ana kur šá mulnunki 35) diš ta kur šá mulkak.si.sá 1 šu u4.meš ana kur šá mulšu.pa 36) diš ta kur šá mulšu.pa 10 u4.meš ana kur šá mulab.sín 37) diš ta kur šá mulab.sín 20 u4.meš ana kur šá mulzi-ba-ni-tu4 38) diš ta kur šá mulzi-ba-ni-tu4 30 u4.meš ana kur šá mulùz 39) diš ta kur šá mulùz 30 u4.meš ana kur šá mulud.ka.duḫ.a 40) diš ta kur šá mulud.ka.duḫ.a 30 u4.meš ana kur šá mulsim.maḫ 41) diš ta kur šá mulsim.maḫ 20 u4.meš ana kur šá mulaš.iku 42) diš ta kur šá mulaš.iku 40 u4.meš ana kur šá mulku6 43) diš ta kur šá mulku6 35 u4.meš ana kur šá mulgàm 44) diš ta kur šá mulgàm 10 u4.meš ana kur šá mul.mul 45) diš ta kur šá mul.mul 20 u4.meš ana kur šá mulgu4.an.na 46) diš ta kur šá mulgu4.an.na 20 u4.meš ana kur šá mulsipa.zi.an.na 47) diš ta kur šá mulsipa.zi.an.na 35 u4.meš ana kur šá mulkak.si.sá 48) diš ta kur šá mulkak.si.sá 20 u4.meš ana kur šá mulban 34) Vom Aufgang des Pfeils bis zum Aufgang des Sterns von Eridu vergehen 55 Tage. 35) Vom Aufgang des Pfeils bis zum Aufgang des ŠU.PA vergehen 60 Tage. 36) Vom Aufgang des ŠU.PA bis zum Aufgang der Furche vergehen zehn Tage. 37) Vom Aufgang der Furche bis zum Aufgang der Waage vergehen 20 Tage. 38) Vom Aufgang der Waage bis zum Aufgang der Ziege vergehen 30 Tage. 39) Vom Aufgang der Ziege bis zum Aufgang des Panthers vergehen 30 Tage. 40) Vom Aufgang des Panthers bis zum Aufgang der Schwalbe vergehen 30 Tage. 41) Vom Aufgang der Schwalbe bis zum Aufgang des Feldes vergehen 20 Tage. 42) Vom Aufgang des Feldes bis zum Aufgang des Fisches vergehen 40 Tage.

414

Hunger – Pingree, MUL.APIN, 53–57.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

43) Vom Aufgang des Fisches bis zum Aufgang des Krummholzes vergehen 35 Tage. 44) Vom Aufgang des Krummholzes bis zum Aufgang der Plejaden vergehen zehn Tage. 45) Vom Aufgang der Plejaden bis zum Aufgang des Himmelsstiers vergehen 20 Tage. 46) Vom Aufgang des Himmelsstiers bis zum Aufgang des rechten Hirten des An vergehen 20 Tage. 47) Vom Aufgang des rechten Hirten des An bis zum Aufgang des Pfeils vergehen 35 Tage. 48) Vom Aufgang des Pfeils bis zum Aufgang des Bogens vergehen 20 Tage. Vergleicht man die beiden zitierten Schemata miteinander, fällt auf, dass diese sich komplementär zueinander verhalten. Die Sterne, deren Erscheinen im ersten vorgestellten Schema mit absoluten kalendarischen Daten präsentiert werden, sind auch Gegenstand des zweiten Schemas. In diesem werden allerdings keine absoluten Daten mehr genannt, vielmehr werden die Zeitintervalle in Form von Tagen dargestellt, die zwischen dem Aufgang der Sterne vergehen. Die Zeitintervalle des zweiten Schemas stimmen dabei mit den absoluten Daten des ersten Schemas überein. Die erneut auffällig runden Zahlen lassen vermuten, dass es sich auch hierbei nicht um Beobachtungen handeln kann. Zählt man die Tage vom ersten Aufgang des Pfeils in Z. 34 bzw. 35 bis zum nächsten Aufgang des Pfeils in Z. 47 zusammen, vergehen genau 360 Tage und somit ein ideales Jahr.415 Beide Schemata unterstreichen, dass der Verlauf des ideal gedachten Jahres im Speziellen sowie die Zeitwahrnehmung im Allgemeinen sehr eng mit dem Auf- und Untergang von Himmelskörpern synchronisiert war.416 Durch die Verbindung von Kalender und Sternenaufgängen war das ideale Jahr theoretisch am Himmel ablesbar (Vgl. Kapitel 4.1.2.3). Doch nicht nur anhand der Sterne konnte der ideal gedachte Verlauf des Jahres nachvollzogen werden. Auch die beobachtbaren Bewegungen der Sonne unterlagen einer Idealisierung: MUL.APIN, Gap A 1–7417 1) [diš] ta u4.1.kam šá itiše en u4.30.kam šá itigu4 dutu ina kaskal šu-ut da-nim 2) gub-ma zi-qu u ud.d[a] 3) [diš] ta u4.1.kam šá itisig4 en u4.30.kam šá itiizi dutu 4) ina kaskal šu-ut den.líl gub-ma buru14 u uš-šu 415

Vgl. Horowitz, The 360 and 364 Day Year in Ancient Mesopotamia, 39. Vgl. auch MUL.APIN l I iv 10 – iv 30, wo ebenfalls ein Schema angewandt wird, in dem die Beobachtung der sogenannten ziqpu-Sterne mit festen kalendarischen Daten verbunden wird. 417 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 88 f. 416

6) Die ideale Zeit

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5) [diš t]a u4.1.kam šá itikin en u4.30.kam šá itiapin dutu 6) ina kaskal šu-ut da-nim gub-ma zi-qu u ud.da 7) [diš ta u4.1.k]am šá itigan en u4.30.kam šá itizíz dutu ina kaskal šu-ut dé-a gub-ma en.te.na 1) Vom ersten Tag des Addaru, bis zum 30. Tag des Ajjaru steht die Sonne im Pfad des Anu: 2) Wind und Wärme; 3) vom ersten Tag des Simānu, bis zum 30. Tag des Abu steht die Sonne 4) im Pfad des Enlil: Ernte und Sommer(hitze); 5) [v]om ersten Tag des Ulūlu, bis zum 30. Tag des Araḫsamna steht die Sonne 6) im Pfad des Anu: Wind und Wärme; 7) [vom ersten Tag] des Kislīmu, bis zum 30. Tag des Šabāṭu steht die Sonne im Pfad des Ea: Kälte. Dieser Abschnitt aus MUL.APIN zeigt, dass die Sonne in festgelegten Zeiträumen eine bestimmte Position am Himmel einnehmen sollte. Die Position der Sonne wird dabei jeweils über die Pfade des Himmels bestimmt. Die beobachtbare schwankende Höhe der Sonne am Himmel wird zusätzlich mit den unterschiedlichen Jahreszeiten in Verbindung gebracht, die somit ebenfalls kalendarisch eingegrenzt wurden (Vgl. Kapitel 4.1.3).

6.2) Der ideale Monat Nicht nur das Jahr, sondern auch der Monat war in das System des idealisierten Zeitverlaufs integriert. Der Verlauf eines idealen Monats offenbart sich dabei zunächst an den charakteristischen Tagen der Mondphasen. Diese werden auch in dem bereits besprochenen Textabschnitt der fünften Tafel des Enūma eliš thematisiert. Marduk lässt den Mond hervortreten und gibt ihm Anweisungen, wie er im Verlauf eines Monats erscheinen soll. Die Anweisungen benennen dabei konkrete Daten innerhalb eines Monats, an denen der Mond wiederum in einer bestimmten Form erscheinen soll. Der erste Tag, der in dem Zusammenhang genannt wird, ist der Tag des Aufgangs des Mondes, der damit den ersten Tag des Monats darstellt, an dem der Mond mit Hörnern – also als schmale Sichel – erscheinen soll. Als weiterer charakteristischer Tag der Mondphasen wird der 7. Tag aufgeführt. Dieser Tag wird mit dem Halbmond assoziiert. Der Vollmond soll sich gemäß Enūma eliš dann am 15. Tag ereignen, wenn der Mond und die Sonne in Opposition zueinanderstehen. Da sich der Mond anschließend wieder zurückformen soll, stellt dieser Tag die Wende des Mondzyklus dar. Anschließend wird der Tag des Verschwindens des Mondes von Marduk hervorgehoben. Dieser Tag wird ebenso wie der Tag des Neulichtes mit einem eigenen Terminus bedacht und bibbulu /

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Teil II: Die Zeit in der Natur

bubbulu genannt. Der Tag wird in den Quellen entweder mit dem 28.418 oder dem 29.419 Tag eines Monats identifiziert. An diesem Tag soll sich der Mond dem Pfad der Sonne annähern, bis die beiden an dem zuletzt genannten 30. Tag in Konjunktion zueinanderstehen. Wie auch beim idealen Jahresverlauf, werden die Mondphasen mit festen Tagen innerhalb des Monats in Verbindung gebracht.420 Dabei kann die Idee eines idealisierten Monatsverlaufs ebenfalls bis in die altbabylonische Zeit zurückverfolgt werden. So gibt es etwa einen kurzen Abschnitt in der altbabylonischen Version von Atram-ḫasīs Tafel I, 206 f., in der die charakteristischen Tage des Monats hervorgehoben werden: Atram-ḫasīs I, 206 f.421 206) i-na ar-ḫi se-bu-ti ù ša-pa-at-ti 207) te-li-il-tam lu-ša-aš-ki-in ri-im-ka 206) Am Tag des Neulichts, am 7. (Tag) und am 15. (Tag) 207) will ich eine reinigende Waschung ansetzen. Im Atram-ḫasīs sticht dabei heraus, dass die genannten Tage der ersten Hälfte des Mondzyklus mit religiösen Handlungen in Verbindung gebracht werden. Die Verbindung der charakteristischen Tage der Mondphasen und der religiösen Feste konnte W. Sallaberger in seinem Werk Der kultische Kalender der Ur III-Zeit bereits eindeutig für das ausgehende 3. Jt. v. Chr. belegen.422 Die Anweisungen Marduks für den Mondgott beziehen sich dabei auf genau 30 Tage und zeigen dadurch zugleich ein weiteres Merkmal des idealen Monats auf. So fügt sich der ideale Monat genau in das Schema des idealen Jahres ein, das sich aus 360 Tagen zusammensetzt, die sich folglich auf zwölf Monate zu je 30 Tagen verteilen.423 Die ideale Länge des Monats und die Verbindung zur Lunation hat sogar einen Widerhall auf der Schriftebene gefunden, da der Mondgott in verschiedensten Texten häufig durch die Zahl 30 repräsentiert wird. Ebenso wie das ideale Jahr mit seinen 360 Tagen verglichen mit dem tatsächlichen solaren Jahr zu kurz ist, gibt es auch zwischen dem idealen Monat und dem 418

So heißt es bspw. in AO 6775, 87’: u4 .28.kám lip-šur bu-bu-lu šá d30 – „Der 28. Tag möge erlösen, der des Verschwindens des Sîn.“ Vgl. Wiseman, A Lipšur Litany from Nimrud, 178 und 181. 419 So bspw. in Inbu bēl arḫi III i 35: I u4.29.kám u4.˹ná.àm ša 30 (…) – „Der 29. Tag, der Tag des Verschwindens des Sîn (…)“. Vgl. Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 210. 420 Vgl. Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 133. 421 Lambert – Millard, Atra-Ḫasīs, 56 f. 422 Sallaberger, Der kultische Kalender der Ur III-Zeit, 37 f. 423 Vgl. dazu das „Handbuch der Beschwörungskunst“, das in Auszügen auf S. 131–133 wiedergegen wird.

6) Die ideale Zeit

103

tatsächlichen Monatsverlauf eine Diskrepanz. Der ideale Monat orientiert sich am synodischen Monat, also an der Zeitspanne, die der Mond benötigt, um von einer Mondphase wieder zu der gleichen Mondphase zu gelangen. Der vollständige Durchlauf durch alle Mondphasen, auch Lunation genannt, dauert durchschnittlich 29,53 Tage. Die Lunationsdauer variiert aufgrund verschiedener Effekte allerdings von Monat zu Monat um einige Stunden (Vgl. Kapitel 4.1.1). Dies führte dazu, dass die Mondphasen nicht immer mit den ideal festgesetzten Daten übereinstimmen konnten. So wurde der Vollmond manchmal schon am 13. oder 14. Tag des Monats erreicht und nicht wie idealerweise vorgesehen genau in der Mitte, am 15. Tag.424 Über die Diskrepanzen zwischen dem idealen Verlauf des Monats nach dem Schema des Enūma eliš und der kalendarischen Realität geben Briefe und Berichte assyrischer und babylonischer Gelehrter des neuassyrischen Palastarchivs aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr. Aufschluss.425 K 1368426 Vs. 1) u4.12.kám 2) [m]a-ṣar-ti ni-t[a-ṣar] 3) u4.13.kám d30 u d[utu] 4) [a]-ḫe-iš e-ta-am-r[u] 5) dak u damar.utu 6) [a-na lugal] be-lí-ja Rd. 7) [lik]-ru-bu Rs. 1) [ša mna-b]u-u-a 2) [ša uruš]à.uru Vs.

Rd. Rs.

1) Am 12. Tag, 2) haben wir [W]ache geh[alten.] 3) Am 13. Tag haben Sîn und [Šamaš] 4) [e]inander gesehe[n]. 5) Nabû und Marduk 6) mögen [den König], meinen Herren, 7) [se]gnen. 1) [Von Nab]û’a 2) [aus As]sur.

Der vorliegende Bericht veranschaulicht nahezu beiläufig, dass die Gelehrten des Königs offenbar den Mond aufmerksam beobachteten und festhielten, an welchen Tagen die charakteristischen Tage der Lunation auftraten. Im Beispieltext meldet 424

Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars of the First Millennium BC, 134. 425 Vgl. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, XV. 426 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 134.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

der Verfasser, dass der Vollmond bereits am 13. Tag aufgetreten ist. Hinsichtlich der engen Verzahnung von Himmelskörpern und Zeitverlauf ist auch hier bemerkenswert, dass – genau wie im Enūma eliš – die zu dem Zeitpunkt eintretende Opposition von Sonne und Mond besonders betont wird. Von der inhärenten Diskrepanz zwischen idealer und realer Lunation war v.a. der Tag des Neulichts betroffen war, dem als ersten Tag des Monats eine besondere Bedeutung im Rahmen der Zeitwahrnehmung und des Kalenderwesens zukam. Die erste Sichtbarkeit des Mondes trat dadurch nicht immer, wie im idealen Monat vorgesehen, am ersten Tag des Folgemonats auf, sondern gelegentlich auch früher. Die Monate konnten zudem in irregulären Abfolgen entweder 29 oder 30 Tage lang sein, wobei nur etwa die Hälfte der Monate die vollen 30 Tage erreichte.427 Dieser Diskrepanz waren sich die Gelehrten, die sich mit der Beobachtung des Himmels beschäftigen, sehr wohl bewusst. Die Bedeutung, die dieser Beobachtung zugestanden wurde, zeigt sich nicht zuletzt an der eigenständigen Terminologie, die sich in dem Zusammenhang entwickelt hat. Erreichte ein Monat seine vorgesehene ideale Länge von 30 Tagen, galt er als „fest“ (Akk. kunnu, Sum. gi.n). Fiel die erste Sichtbarkeit des Mondes dagegen auf den 30. Tag selbst, so war der Monat nur 29 Tage lang und galt als „zurückgewendet“ (Akk. turru, Sum. gur).428 Dies veranschaulicht beispielhaft der Text BM 61719 (CT 22, 167), ein Brief aus dem Archiv des Ebabbar-Tempels in Sippar: BM 61719429 1) im m.dak-mu-gar-un 2) a-na lúsanga sip-parki 3) ad-iá den u dak 4) šu-lum šá ad-iá 5) liq-bu-ú 6) ki-i u4-mu 7) kun-nu u ki-i 8) tur-ru 9) kap-da 10) ṭè-e-mu 11) šá en-iá 12) lu-uš-mu 1) Tafel des Nabû-šum-iškun 2) an den šangû von Sippar,

427

Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 55. U.a. Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67; Steele, Making Sense of Time, 479; Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars of the First Millennium BC, 136 f. 429 Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 70 f. 428

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3) meinen Vater: Marduk und Nabû 4) mögen meinem Vater Gesundheit 5) zusprechen! 6) Ob der Tag 7) „fest“, oder ob er 8) „zurückgewendet“ war, 9) schnell möchte ich 10) Nachricht 11) von meinem Herrn 12) hören. Der Verfasser dieses Briefes erfragt vom šangû-Priester von Sippar gezielt, ob der Monat seine ideale Länge erreicht hat, oder nicht und benutzt dabei die oben genannte Terminologie. Beaulieu hat allerdings bereits darauf hingewiesen, dass die beiden Termini vor der seleukidischen Zeit insgesamt nur dreimal belegt sind, u.a. in dem soeben zitierten Text aus Sippar.430 Die nach Beaulieu erstmalig nachweisbare Nutzung von kunnu und turru findet sich in einem Bericht des Gelehrten Mār-Ištar an Asarhaddon.431 Die Annahme, dass ein Monat eigentlich 30 Tage haben sollte, findet sich nicht nur im Enūma eliš, sondern ebenfalls dezidiert in den bereits angesprochenen Briefen und Berichten der assyrischen und babylonischen Gelehrten: K 803432 Vs. 1) diš 30 ina igi.lal-šú aga a-pir 2) lugal sag.kal-tú du-ak 3) u4.1.kám igi-ma 4) diš u4 ana šid.me-šú gíd 5) bala u4.me gíd.meš 6) mi-na-at iti 7) u4.30.kám ú-šal-lam-ma Rs. 1) diš 30 u4.1.kám igi-ma 2) sig5 kur uriki 3) ḫul kur nim u mar 4) itine kur uriki 5) sig5 šá lugal be-lí-já Vs.

430

1) Wenn Sîn bei seinem Sichtbarwerden eine Krone trägt: 2) der König wird Ansehen erreichen.

Vgl. Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 69–71. 431 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 363. 432 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 372.

106

Rs.

Teil II: Die Zeit in der Natur

3) Am ersten Tag wird er sichtbar. 4) Wenn der Tag gemäß seines (normalen) Maßes lang ist:433 5) eine Herrschaft langer Tage. 6) Das Maß des Monats 7) vollenden 30 Tage. 1) Wenn Sîn am ersten Tag sichtbar wird: 2) gut für Akkad; 3) schlecht für Elam und Amurru. 4) Der Monat Abu (steht für) Akkad. 5) Es ist gut für den König, meinen Herren.

Anhand des Textes lässt sich erkennen, warum der ersten Sichtbarkeit der Mondsichel eine vergleichweise große Bedeutung zukam: So wurde die erste Sichtbarkeit nicht nur zur Festlegung des Kalenders beobachtet, sondern stets auch als Omen gedeutet. Folgte der Aufgang des Mondes dabei dem idealen Verlauf eines Monats wurde dies als vorteilhaft angesehen. Eine Abweichung vom idealen Zeitverlauf kündigte hingegen negative Konsequenzen an.434 Die Beobachtung des Mondes nimmt, der Quantität der Textbeispiel nach zu urteilen, eine bedeutende Stellung unter den Themen ein, die in den Briefen und Berichten enthalten sind. So existieren zahlreiche weitere Texte, die sich mit der Beobachtung des Mondes und der Länge des Monats auseinandersetzen.435 Die Varianz in der Länge des Monats hatte neben der grundlegenden Bedeutung als Omen aber auch praktische Auswirkungen auf den Kalender und damit zugleich auf den Kultvollzug. So mussten zyklische Rituale und Feste ggf. vorverlegt werden, wenn der vorherige Monat zu kurz war.436 Als Beispiel dafür kann der aus dem 6. Jh. v. Chr. stammende Brief NCBT 58 herangezogen werden. NCBT 58437 Vs. 1) im I.dutu-ḫi-id-ri 2) a-na lúšà.tam ad-já 3) dutu u dbu-ne-ne 4) šu-lum u tin šá ad-já 5) liq-bu-ú tè-e-mu 6) šá tur-ru šá u4-mu 433

Siehe dazu das folgende Unterkapitel. Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 93; Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 68, und Robson, Concepts and Quantifications of Time, 55. 435 Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings. 436 Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time in Assyria, 56. 437 Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 76 f. 434

6) Die ideale Zeit

Rs.

Vs.

Rs.

107

7) ni-il-te-me 8) u4.15.kam dutu 9) il-la-ab-˹biš˺ 10) u4-mu mi-nu-ú 11) en liš-pu-ru 12) lú˹uš˺.bar u lúazalag 13) ˹en˺ liš-˹pur-ru˺ 1) Tafel des Šamaš-ḫidrī 2) für den šatammu, meinen Vater: 3) Šamaš und Bunene 4) mögen meinem Vater Gesundheit und Leben 5) zusprechen! Die Nachricht 6) vom „zurückgewendet-Sein“ des Tages 7) haben wir vernommen. 8) Am 15. Tag wird Šamaš 9) angekleidet. 10) Für den Tag möge der Herr alles Erdenkliche 11) schicken; 12) einen Weber und einen Reiniger 13) möge der Herr schicken.

Der Brief entstammt zwar dem Archiv des Eanna-Tempels, wurde aber von Šamaš-ḫidrī, einem Verwalter (qīpu) des Ebabbar in Larsa, an den nicht weiter benannten šatammu des Eanna-Tempels in Uruk geschickt. Die geschilderten Umstände beziehen sich demnach auf die kultischen Aktivitäten des EbabbarTempels.438 Dem Text lässt sich entnehmen, dass der Monat, der vor der im Brief thematisierten Ankleidungszeremonie des Šamaš lag, „zurückgewendet“ (turru) war – der bereits besprochene Terminus für einen Monat, der lediglich 29 Tage andauerte. Beaulieu interpretiert die Situation so, dass die Zeremonie aufgrund des zu früh eingetretenen neuen Monats nun um einen Tag nach hinten verschoben werden musste, vom 14. auf den 15. Tag. Beaulieu gibt dabei allerdings zu bedenken, dass der genaue Tag der Ankleidungszeremonie nicht bekannt ist.439 E. Robbins spricht sich mit Blick auf die Tabular Sacrifice Records, die von der Spätzeit Nabonids bis hinein in die Regierungszeit des Kambyses datieren, gegen den Einfluss zu kurzer Monate auf den Kultbetrieb aus:

438

Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 76 f. Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 77–79 und Anm. 31

439

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Teil II: Die Zeit in der Natur

„(…); there is no evidence to indicate that the timing of regular sacrifices was affected by the length of the previous month(s).“440 Für einen Einfluss könnte wiederum der ebenfalls von Beaulieu bearbeitete Text NCBT 1132 sprechen, der die Ausgabe von Sesamöl für kultische Zeremonien im Eanna-Tempel dokumentiert.441 Das Besondere an dieser Liste ist die Aussage in den ersten zwei Zeilen, nach denen es sich um „Sesamöl für das „Zurückwenden“ dieser Tage“ (˹ì.giš šá˺ a-na tur-ri u4-mu a4442) handelt. Der Interpretation von Beaulieu folgend, handelt es sich demnach um eine Auflistung von Zeremonien, die in „zurückgewendeten“ Monaten stattfanden.443 Wie groß der Einfluss des Monatsverlaufs auf den Kultbetrieb war, ist aufgrund der hier vorgestellten Quellenlage somit unterschiedlich deutbar.444 In jedem Fall aber lässt sich jedoch festhalten, dass die Abweichung vom idealen Monatsverlauf offenkundig als wichtig genug erachtet wurde, um sich im Rahmen kultischer Angelegenheiten damit auseinanderzusetzen. Bedenkt man die Bedeutung des idealen Monatsverlaufs für die Organisation des Kalenders und auch seine unterschiedliche Deutbarkeit im Rahmen der Vorzeichenkunde, erklärt sich somit das große Interesse, das Gelehrte an der Länge des Monats hatten. Der ideale Monat wurde so auch zu einem wichtigen Faktor in der mesopotamischen Sternenkunde. Genau wie das ideale Jahr wurde auch der ideale Monat im Rahmen von MUL.APIN schematisch aufbereitet: MUL.APIN I, iv 31–39445 31) dingir.meš ša i-na kaskal d30 gub.meš-ma d30 e-ma iti 32) ina pi-rik-šú-nu dib.meš-ma tag.meš-šú-nu-ti 33) mul.mul mulgu4.an.na mulsipa.zi.an.na mulšu.gi 34) mulgàm mulmaš.tab.ba.gal.gal mulal.lul mulur.gu.la 35) mulab.sín mulzi-ba-ni-tu4 mulgír.tab mulpa-bil-sag 36) mulsuḫur.máš mulgu-la kun.meš mulsim.maḫ 37) mula-nu-ni-tu4 u mul.lúḫun.gá 38) pap an-nu-tu4 dingir.meš šá ina kaskal d30 gub.meš-ma e-ma iti 39) ina pi-rik-šú-nu dib.meš-ma tag.meš-šú-nu-ti 440

Robbins, Tabular Sacrifice Records and the Cultic Calendar of Neo-Babylonian Uruk, 82. 441 Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 81–86. 442 Hierbei handelt es sich um das aus dem Aramäischen entlehnte Demonstrativpronomen a bzw. ā, das durch die Zeichen ˀa, a-aˀ oder, wie in diesem Fall, a4 (= àm) wiedergegeben wird. Siehe dazu CAD a1, a, 1. 443 Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 81. 444 Vgl. aber den Brief 82-5-22, 98 auf S. 141 f., der eindeutig zeigt, dass kultische Aktivitäten durch Schaltung unterbrochen wurden. 445 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 67–69.

6) Die ideale Zeit

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31) Die Götter, die im Pfad des Sîn stehen und deren Regionen Sîn in einem Monat446 32) passiert und die er berührt: 33) Die Plejaden, den Himmelsstier, der rechte Hirte des An, den Greis, 34) das Krummholz, die großen Zwillinge, den Krebs, den Löwen, 35) Die Furche, die Waage, den Skorpion, Pabilsag, 36) den Ziegenfisch, Gula, die Schwänze, sim.maḫ 37) Anunītu und den Mietarbeiter. 38) All diese Götter stehen im Pfad des Sîn, deren Regionen Sîn in einem Monat 39) passiert und die er berührt. Der Verlauf eines idealen Monats, ausgedrückt durch den Pfad des Mondgottes, ließ sich demnach ebenfalls an bestimmten Sternkonstellationen nachvollziehen, die der Mond im Verlauf eines Monats passieren soll. Der ideale Monat ist der Vorstellung nach also ebenfalls unmittelbar am Sternenhimmel ablesbar und steht in Wechselwirkung mit dem Rest des Kosmos. Erneut dienen die Sterne dabei als Referenz, anhand derer der korrekte Ablauf abgelesen werden konnte. Damit folgt der ideale Monat der gleichen Vorstellung, die auch dem idealen Jahr zugrunde liegt. Möglicherweise diente das Schema des Mondlaufes also dazu, bereits im Vorfeld erkennen zu können, ob ein Monat seine idealen 30 Tage erreicht oder nicht. In jedem Fall aber konnte bereits gezeigt werden, dass der ideale Verlauf eines Monats eine Rolle in der Divination spielte, was die Interpretation von Brown, dass es sich bei ideal schemes um Hilfswerkzeuge der Divination handelt, nochmals unterstreicht. Entsprechende Bemühungen, den Verlauf eines Monats im Voraus zu bestimmen, lassen sich bereits für das 7. Jh. v. Chr. nachweisen. Dabei handelt es sich allerdings noch um nicht-mathematische Methoden.447 Da die Abfolge von 30 und 29-tägigen Monaten allerdings sehr irregulär ist, war eine Bestimmung somit nur bis ca. 14 Tage im Voraus möglich. Erneut gibt es in den Briefen und Berichten der Gelehrten vereinzelte Hinweise auf die Vorausbestimmung der Monatslänge:448 Sm. 1027449 Vs. 1) [diš 3]0 20 la ú-qí-ma ir-bi 446

Vgl. die Übersetzung von Hunger – Pingree, MUL.APIN, 67–69: „The gods who stand in the path of the Moon, through whose regions the Moon in the course of a month passes and whom he touches: (…).“ 447 Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67. 448 So interpretiert z.B. Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67, die im Folgenden angegebenen Textstellen. 449 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 92.

110

Teil II: Die Zeit in der Natur

2) 3) 4) 5) 6) Vs.

na-an-dur ur.maḫ.meš u ur.bar.ra.meš u4.15.kám it-ti dutu igi.lal-ma diš 30 ina itiše u4.14.kám it-ti dutu nu igi [níg.ḫa].lam.ma šeš.unug!ki [30 ina itib]ára u4-mu ú-šal-lam

1) 2) 3) 4)

[Wenn Sî]n nicht auf Šamaš wartet und untergeht: Wüten von Löwen und Wölfen. Am 15. Tag wurde er zusammen mit Šamaš gesehen. Wenn Sîn im (Monat) Addaru, am 14. Tag, nicht zusammen mit Šamaš gesehen wird: 5) [Zerst]örung von Ur. 6) [Sîn wird im (Monat) Ni]sannu den Tag vollmachen.

Rm. 208450 Vs. 8) u4.14.kám d30 ki d[utu igi-ma] 9) diš d30 ina igi.lal-šú si.m[eš-šú mit-ḫa-ra] 10) ana kur ki.tuš ne-[eḫ-tum] Rs. 1) d30 u4-mu ú-šal-lam-ma u4.3[0.kam e-ri-ik] Vs.

Rs.

8) Am 14. Tag wurde Sîn zusammen mit [Šamaš gesehen]. 9) Wenn die Hörn[er] des Sîn bei seiner Sichtung [gleich sind]: 10) für das Land ein ruhiger Wohnsitz. 1) Sîn wird den Tag vollmachen und der 3[0. Tag wird lang sein].

80-7-19, 61451 1) diš 30 20 la ú-qí-ma ir-bi 2) na-an-dur ur.maḫ u ur.bar.ra 3) u4.15.kám ki 20 igi-ma 4) aš itibára u4-mu ú-šal-lam 5) u4.14.kám 30 ki 20 in-nam-mar 1) Wenn Sîn nicht auf Šamaš wartet und untergeht: 2) Wüten von Löwen und Wölfen. 3) Am 15. Tag wurde er zusammen mit Šamaš gesehen. 4) Im (Monat) Nisannu wird er den Tag vollmachen. 5) Am 14. Tag wird Sîn zusammen mit Šamaš gesehen werden. Den drei Textbeispielen ist gemein, dass sie sich zunächst auf eine Sichtung der Opposition von Mond und Sonne zur Zeit des Vollmondes beziehen. Kurz darauf wird jeweils die Aussage getätigt, dass der Mond den Tag voll machen wird (ūmu 450 451

Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 108. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 499.

6) Die ideale Zeit

111

ušallam), womit gemeint ist, dass der Monat seine idealen 30 Tage erreicht.452 Zu beachten ist, dass die Verbform dabei jeweils im Präsens auftritt, sodass sich die Aussage nicht auf eine zuvor getätigte Beobachtung beziehen kann. Bei der Anmerkung, dass der Monat seine volle Zeitspanne erreicht, handelt es sich in allen drei Berichten demnach um eine Vorhersage. Einige wenige Berichte beziehen sich auf Vorhersagen, die sogar mehrere Monate im Voraus gemacht wurden. Dies gilt etwa für folgenden Text: Sm. 1974453 Rs. 1) d30 ina itiab u4.14.[kám] 2) ta dšá-maš in-˹na˺-mar 3) d30 ina itizíz u4-mu ú-šal-lam 4) u4.14.kám ta dšá-maš in-na-mar 5) [d30 ina] itiše u4-mu ú-tar-ra 6) [u4.x.kám ta] dšá-maš in-na-mar 7) [d30 ina it]ibára u4-mu ú-šal-lam Rs.

1) Sîn wird im (Monat) Ṭebētu, am 14. Tag 2) zusammen mit Šamaš gesehen werden; 3) im Monat Šabāṭu wird er den Tag vollmachen. 4) Am 14. Tag wird er mit Šamaš gesehen werden; 5) [Sîn wird im] (Monat) Addaru den Tag zurückfallen lassen. 6) [Am x. Tag wird er mit] Šamaš gesehen werden; 7) [Sîn wird im (Monat)] Nisannu den Tag vollmachen.

Der Text beschreibt, wie Sîn jeweils am 14. eines Monats in Opposition zu Šamaš tritt, somit die Phase des Vollmondes einleitet und im darauffolgenden Monat seine ideale Zeit von 30 Tagen erfüllt.454 Ausgedrückt wird dies erneut durch die Phrase u4-mu ú-šal-lam – „er wird den Tag voll machen“. Auch hier kann man daher davon ausgehen, dass es sich nicht um zurückliegende Beobachtung handelt. An dem bereits besprochenen Text K 1368 sowie anderen Briefen und Berichten der Gelehrten lässt sich bereits erkennen, dass der Mond und sein Verlauf in einem Monat unter präziser Beobachtung standen. Die durchgängige Beobachtung des Mondes wurde zudem in astronomischen Tagebüchern festgehalten. Jeder Eintrag in einem der astronomischen Tagebücher beginnt mit der Aussage, ob der vorherige Monat 29 Tage lang war oder ob er seine ideale Länge von 30 Tagen

452

Für die Bedeutung von šalāmu als „to go to the end of a period of time“ siehe CAD š1, šalāmu 11e, 225 f., mit weiteren Textbeispielen. 453 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 60. 454 Vgl. Beaulieu, The Impact of Month-lengths in the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 75.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

erreichte.455 Erst die Weiterentwicklung des astronomischen Wissens und seiner Methoden von einer rein schematischen, auf Beobachtung fixierten Astronomie, hin zur mathematischen Astronomie im späteren 1. Jt. v. Chr. ermöglichte es, himmlische Phänomene auch weiter im Voraus zu berechnen.456

6.3) Der ideale Tag Zuletzt wurden auch die Tage und Nächte in das System des idealen Zeitverlaufs eingebunden. Die Idealität tritt hierbei durch die unterschiedliche Länge von Tag und Nacht im Verlaufe eines Jahres zutage, die durch die scheinbare Bahn der Sonne zustandekommt. Während des Sommersolstitiums erreicht die Sonne ihren höchsten Stand am Himmel. Die Tage dauern zu diesem Zeitpunkt länger als die Nächte. Das Gegenteil ist am Wintersolstitium der Fall. Dort erreicht die Sonne ihren niedrigsten Stand. Dementsprechend sind die Nächte länger als die Tage. Zwischen den beiden Jahrespunkten liegen jeweils die Äquinoktien, an denen die Tage und Nächte etwa gleich lang sind (Vgl. Kapitel 4.1.1). Die Evidenz für die ideale Länge von Tages- und Nachtzeiten tritt einmal mehr in den ideal schemes hervor. Das erste nachweisbar ausgearbeitete Schema dieser Art ist BM 17175+17284.457 Der Text datiert auf die altbabylonische Zeit und stammt möglicherweise aus Sippar oder Tell ed-Dēr.458 BM 17175+17284459 Vs. 1) [i-na itiše.gur10.ku5 u4.15.kam 3 en].˹nu˺ u4-mi 3 en.nu gi6 2) [u4-mu ù gi6 mi]-it-˹ḫa˺-ru 3) [iš-tu itiše.gur10.ku5 u4.15.kam a-di itisig4] ˹u4˺.15.kam iti 3 kam 4) [i-na itisig4 u4.15.kam 1 en.nu gi6 a-n]a u4-mi i-na-ap-pa(!)-al 5) [… 4 en].˹nu˺ u4-mi 2 en.nu gi6 6) [iš-tu itisig4 u4.15.kam] ˹a˺-di itikin.dinanna u4.15.kam iti 3 kam 7) [i-na itikin.dinanna u4.15.kam 1 e]n.nu u4-˹mu a-na˺ gi6 ut-te-er 8) […] 3 en.nu u4-mi 3 en.nu gi6 455

Steele, Making Sense of Time, 472. Für die Weiterentwicklung der Astronomie siehe u.a. Neugebauer, A History of Ancient Mathematical Astronomy. 457 Hunger, Babylonische Quellen für die Länge von Tag und Nacht, 131. Siehe u.a. auch Steele, Making Sense of Time, 474, und Britton, Calendars, Intercalations and YearLengths in Mesopotamian Astronomy, 118. 458 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 163. Vgl. auch Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 113. 459 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 163 f. Hunger und Pingree machen darauf aufmerksam, dass der Text zwar stark zerstört ist, aufgrund des symmetrischen Aufbaus aber relativ sicher rekonstruiert werden kann. 456

6) Die ideale Zeit

113

9) [u4-mu ù gi6] mi-it-ḫa-ru Rs. 10) [iš-tu itikin.dinanna u4.1]5.kam a-di itigan.gan.è u4.15.kam iti 3 kam 11) [i-na itigan.gan.è u4.15.kam 1 en].nu u4-mu a-na gi6 i-na-ap-pa-al 12) [… 2] en.nu u4-mi 4 en.nu gi6 13) [iš-tu itigan.gan.è u4.15.kam a-d]i itiše.˹gur.ku5˺ u4.15.kam iti 3 kam 14) [i-na itiše.gur10.ku5 u4.15.kam 1 en].˹nu gi6 a-na˺ u4-˹mi i˺-na-ap-pa-al 15) [… 3] en.nu u4-˹mi 3˺ en.nu gi6 16) [u4-mu ù gi6] mi-it-ḫa-ru Vs. 1) [Im (Monat) Addaru, am 15. Tag, sind drei (Minen)460 Tag]wache und drei (Minen) Nachtwache; 2) [Tag und Nacht sind gl]eich lang. 3) [Vom 15. Tag des (Monats) Addaru bis zum] 15. Tag [des (Monat) Simānu] sind es drei Monate. 4) [Im (Monat) Simānu, am 15. Tag, wird eine Wache der Nacht a]uf den Tag übertragen; 5) [… vier Tag]wachen, 2 Nachtwachen. 6) [Vom 15. Tag des Simānu] bis zum 15. Tag des (Monats) Ulūlu sind es drei Monate. 7) [Im (Monat) Ulūlu, am 15. Tag,] wird [eine Wa]che des Tages zur Nacht zurückgekehrt sein; 8) […] drei Tagwachen und drei Nachtwachen. 9) [Tag und Nacht] sind gleich lang. Rs. 10) [Vom 1]5 [Tag des(Monat) Ulūlu] bis zum 15. Tag des Monats Kislīmu sind es drei Monate. 11) [Im (Monat) Kislīmu, am 15. Tag, wird eine Wa]che des Tages auf die Nacht übertragen; 12) [… zwei] Tagwachen und vier Nachtwachen. 13) [Vom 15. Tag des (Monats) Kislīmu b]is zum 15. Tag des (Monats) Addaru sind es drei Monate. 14) [Im (Monat) Addaru, am 15. Tag, wird eine Wa]che der Nacht auf den Tag übertragen; 15) [… drei] Tagwachen und drei Nachtwachen. 16) [Tag und Nacht] sind gleich lang.

460

So Hunger – Pingree, MUL.APIN, 163. Hunger und Pingree weisen darauf hin, dass die hier angegebenen Maße einer Messung mit einer Wasseruhr entstammen. Der Text selbst gibt keine Maße an. Da die späteren Texte dieser Art jedoch die gleichen Zahlenverhältnisse angeben, kann man zumindest davon ausgehen, dass die Interpretation korrekt ist. Vgl. auch Brown – Zólyomi, “Daylight Converts to Night-Time”, 150 und Anm. 10.

114

Teil II: Die Zeit in der Natur

Der schematische Text veranschaulicht, wie sich im Laufe eines Jahres – ausgehend vom Monat itiše.gur10.ku5 = Addaru bis zum gleichen Monat des kommenden Jahres – die Länge der Tage und Nächte saisonal verlängert und verkürzt. Die Veränderung erfolgt dabei in Schritten von jeweils drei Monaten, bei denen es sich um den zwölften, dritten, sechsten, neunten und schließlich wieder um den zwölften Monat handelt.461 Dem Text kann man entnehmen, dass im zwölften Monat Addaru, sowie im sechsten Monat Ulūlu die Solstitien verortet wurden. In diesen beiden Monaten sollten jeweils am 15. Tag die Tage und Nächte gleich lang sein. Im dritten Monat Simānu wird eine Wache auf den Tag übertragen. Das Verhältnis von Tag zu Nacht liegt damit bei 2:1. Der Tag sollte demnach genau doppelt so lange andauern wie die Nacht. Nachdem im sechsten Monat Ulūlu diese abgegebene Wache wieder auf die Nacht übertragen wurde, wird umgekehrt im neunten Monat Kislīmu eine Wache auf die Nacht übertragen. Zu der Zeit soll dann die Nacht genau doppelt so lange andauern wie der Tag. Bemerkenswert ist, dass die gleich langen Tage sowie der jeweils längste und kürzeste Tag genau am 15. Tag des entsprechenden Monats eintreten sollen, d.h. dem ideal gedachten Vollmondtag. Folgt man der bereits dargelegten Argumentation von Brown, handelt es sich hierbei erneut um auffällig idealisierte Daten.462 Das Beispiel veranschaulicht zudem einmal mehr, dass die theoretischen Grundlagen der idealen Zeit bereits in altbabylonischer Zeit vollständig ausgeprägt zutage treten. Anders als beim idealen Jahr und dem idealen Monat kann für den idealen Tag allerdings keine theologische Verankerung im Enūma eliš nachgewiesen werden. Dies kann allerdings dem Umstand geschuldet sein, dass der Textabschnitt, der sich dem Sonnengott zuwendet, nur fragmentarisch erhalten ist. Eine mythische Textstelle, die sich mit der Länge von Tag und Nacht auseinandersetzt, findet sich möglicherweise aber in dem sumerischen Text Inanna und An, auch bekannt als Inanna raubt den großen Himmel, der ebenfalls aus altbabylonischer Zeit überliefert ist. Der Text enthält folgende relevante Passage: Inanna und An, 146 f. (CBS 1531)463 146) [ì-ne-éš]-ta u4-da šid-bi ba-da-tur u4 ği6-bi-a ba-da-búr 147) [u4-da]-ta? en-nu-ùğ-bi 3-àm u4 ği6-bi-a ba-an-da-sá 146) [Von jetzt] an wird des Tages Zählung kleiner werden. Tag wird in Nacht übertragen.

461

Vgl. So auch Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 118. 462 Vgl. das Zitat von Brown auf Seite 96. 463 Brown – Zólyomi, “Daylight Converts to Night-Time”, 149. Ein weiterer Textzeuge, YBC 4665, vertauscht die beiden Zeilen, bildet sie aber ansonsten identisch ab.

6) Die ideale Zeit

115

147) [Von heute] an werden seine Wachen drei sein; Tag wird mit Nacht gleich sein. Die Übersetzung basiert auf der von Brown und Zólyomi vorgenommenen Interpretation und Gleichung des sumerischen Verbes búr mit dem akkadischen Verb napālu. Bei dem Wort napālu handelt es sich um das gleiche Verb, das in der zuvor besprochenen schematischen Darstellung in BM 17175+17284 genutzt wurde, um zu beschreiben, wie eine Tag- oder Nachtwache jeweils vom Tag auf die Nacht (oder umgekehrt) übertragen wurde.464 Der Text weist auf eine andere Tradition hin, nach der die Änderung der Tag- und Nachtlänge ursprünglich gar nicht im Rahmen der Schöpfung angelegt war, sondern erst durch die Handlungen der Göttin in Gang gebracht wurden.465 Die schematische Darstellung der Tages- und Nachtlängen ist im 1. Jt. v. Chr. noch stärker greifbar. Entsprechende Schemata finden sich auf der 14. Tafel von Enūma Anu Enlil sowie in MUL.APIN und i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a.466 In MUL.APIN wird die idealisierte Tages- und Nachtlänge beispielsweise im Rahmen der ersten Schaltregel aufgegriffen.467 Hunger und Pingree haben in ihrer Bearbeitung von BM 17175+17284 bereits darauf hingewiesen, dass sich das Datum des Frühlingsäquinoktiums in den späteren Quellen des 1. Jt. v. Chr. vom zwölften Monat auf den ersten Monat verschoben hat.468 Das entsprechende Schema aus MUL.APIN weist jedoch eine weitere Eigentümlichkeit gegenüber dem altbabylonischen Vorgänger auf: So wurden die angegebenen Daten mit ihrer jeweiligen Tages- und Nachtlänge noch mit dem Aufgang von Sternen sowie dem Lauf der Sonne verbunden. Die Bewegung der Sonne wurde dabei in der Maßeinheit ninda angegeben. Vom 15. Tag des Monats Duˀūzu ausgehend, der mit dem Aufgang des Sternbildes Pfeil verbunden und an dem mit einem Tag-Nacht-Verhältnis von 2:1 der längste Tag verortet wurde, sollte sich die Sonne mit 40 ninda pro Tag nach Süden bewegen, bis sie im Osten im Sternbild Waage aufgeht. Dort sind am 15. Tag des Monats Tašrītu Tag und Nacht wieder gleich lang. Das Schema springt an der Stelle drei Monate weiter und beginnt erneut mit dem Aufgang des Sternbildes Pfeil, dieses Mal am 15. Ṭebētu, an dem die längste Nacht verortet wurde. An dieser Stelle wird beschrieben, wie sich die Sonne wendet und mit derselben Geschwindigkeit von 40 ninda wieder nach Norden wandert, bis am 15. Nisannu erneut das Äquinoktium erreicht ist und das Verhältnis von Tag zu 464

Für die genaue Begründung siehe Brown – Zólyomi, “Daylight Converts to NightTime”, 149–153. Vgl. auch deren Übersetzung der beiden Zeilen mit „From now on the normal length of daylight becomes shorter, daylight converts to night-time. From today when its (= the day’s) watch is 3 (units) long, daylight is equal to night-time.“ 465 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Rund-Zahlen und Ideal-Rhythmen, 80 f. 466 Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 118. 467 Für eine Übersetzung siehe Kapitel 4.1.2.3. 468 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 163.

116

Teil II: Die Zeit in der Natur

Nacht wieder 1:1 beträgt. Auch hier zeigt sich, dass der Verlauf der Zeit, wenn er dem Ideal folgt, mit dem Aufgang von Sternen und Sternbildern synchronisiert sein sollte. Dies konnte bisher für den Lauf des Jahres sowie für die Bahn des Mondes gezeigt werden. Hier wird nun deutlich, dass auch die vier Jahrespunkte des Sonnenlaufs davon betroffen waren. Neben den Neuerungen, die MUL.APIN gegenüber seinem altbabylonischen Vorgänger eingebracht hat, lässt sich dennoch festhalten, dass das ursprüngliche Verhältnis in der Tages- und Nachtlänge von 1:1 während der Äquinoktien und von 2:1 während der Solstitien unverändert beibehalten wurde. In MUL.APIN finden sich noch zwei ganz ähnliche Schemata, die sich ebenfalls mit der Länge von Tag und Nacht auseinandersetzen. Beide Schemata beschreiben unverändert das gerade beschriebene Verhältnis der Tages- und Nachtlänge in den dafür charakteristischen Monaten. Beide Schemata zeigen jedoch jeweils noch besondere Eigenheiten. Das erste Schema findet sich auf Tafel II ii 21–42. Es legt dar, wie sich die Veränderung in der Länge des Tages anhand der Länge des Schattens messen lässt. Die Länge des Schattens wird dabei in Ellen (ammatu) angegeben, die Länge der Tageszeit dagegen in Doppelstunden (bēru) sowie uš und ninda.469 Das zweite Schema schließt sich direkt an das erste an und findet sich in Kol. ii 43 – iii 15. Anders als das vorherige Schema behandelt es speziell die Länge der Nacht jeweils am ersten und 15. Tag eines Monats. Die Angaben, die dabei gemacht werden, verwenden die Maßeinheit Minen (manû) und Schekel (šiqlu), wobei die Angaben sich nicht auf einfache Zahlen beschränken, sondern, ähnlich wie das Schema der Schattenlängen, präzisere Angaben mit Hilfe von Bruchzahlen machen. Dieses Schema nutzt als Vergleich die Zeitspanne vom Auf- und Untergang des Mondes, angegeben in uš und ninda. Die beiden Schemata präzisieren dadurch das ursprüngliche Tag-Nacht-Verhältnis noch weiter, indem sie auf kleinere Maßeinheiten zurückgreifen und sich jeweils auf eine Tageszeit spezialisieren. Beide Schemata weisen dabei auf verschiedene Arten der Zeitmessung hin: Während das erstgenannte Schema auf die Verwendung eines Gnomons verweist, deutet das Zweite auf die Nutzung einer Wasseruhr hin.470 Ein ganz ähnliches Schema ist auch in dem mathematisch-philologischen471 Werk i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a abgebildet, genauer auf der Rückseite des Textzeugen K 2164+2195+3510. Der Kolophon der Tafel nennt als Schreiber einen Nabû469

Für die Arten der Zeitmessung und die damit einhergehenden Maßeinheiten siehe Kapitel 8.1.3. 470 Siehe dazu Kapitel 8.1.3. 471 Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 17, schreibt diesbezüglich: „Babylonian scholars were at times concerned with explaining aspects of their culture. The explanations which they put forward frequently involved association of different items drawn from the cultural tradition. Sometimes, items were associated on the basis of mathematical or philological resemblances which appear artificial to the modern

6) Die ideale Zeit

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zuqup-kēna, der zur Zeit Sargons II. und Sanheribs aktiv war.472 Livingstone beschreibt den Inhalt der Tafel folgendermaßen: „K 2164+ is described in its colophon as a pirsu, ‘division’, (…). The division takes as its subject the moon god, Sîn, and elucidates various remarkable mathematical or philological relationships between periods or names important in the lunar cycle.“473 Da der Textzeuge somit den Mond und seine Phänomene aufgreift und ausdeutet, lässt sich nachvollziehen, dort auch ein entsprechendes Schema über die Länge der Nacht vorzufinden: i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a, 1–6 (K 2164+2195+3510)474 Rs. 1) diš ina itibára u4.1.kam 3,10 en.nun gi6 3,10 a.rá 4 12,40 ana šú ša 30 2) ki.min u4.15.kam 3,00 ki.min 3,00 a.rá 4 12,00 ana kur ša 30 3) diš ina itigu4 u4.1.kam 2,50 ki.min 2,50 a.rá 4 11,20 ana šú ša 30 4) ki.min u4.15.kam 2,40 ki.min 2,40 a.rá 4 11,40 ana kur ša 30 5) diš ina itisig4 u4.1.kam 2,30 ki.min 2,30 a.rá 4 10,00 ana šú ša 30 6) ki.min u4.15.kam 2,20 ki.min 2,20 a.rá 4 9,20 ana kur ša 30 Rs. 1) Wenn im (Monat) Nisannu, am ersten Tag, 3,10 Nachtwache (ist): 3,10 mal 4 (ist gleich) 12,40 bis zum Aufgang des Sîn; 2) dito, am 15. Tag, 3,00 dito: 3,00 mal 4 (ist gleich) 12,00 bis zum Untergang des Sîn. 3) Wenn im Monat Ajjaru, am ersten Tag, 2,50 dito: 2,50 mal 4 (ist gleich) 11,20 bis zum Aufgang des Sîn; 4) dito, am 15. Tag, 2,40 dito, 2,40 mal 4 (ist gleich) 11,40 bis zum Untergang des Sîn. 5) Wenn im Monat Simānu, am ersten Tag, 2,30 dito: 2,30 mal 4 (ist gleich) 10,00 bis zum Aufgang des Sîn; 6) dito, am 15. Tag, 2,20 dito: 2,20 mal 4 (ist gleich) 9,20 bis zum Untergang des Sîn. Der Text schildert in dem Zusammenhang eine Methode, um den Auf- und Untergang des Mondes zu berechnen. Die Berechnungen werden in dem Text auch noch für die restlichen Monate des Jahres angestellt. Im Zuge der Berechnungen enthält der Text auch eine schematische Darstellung der abnehmenden Länge der

mind, but were evidently regarded as significant by ancient thinkers.“ 472 Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 17. 473 Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 17. 474 Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 24–27.

.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Nacht. Der Text gibt zwar selbst keine Maßangaben an, aufgrund der Ähnlichkeit zu MUL.APIN ii 43–iii 15 kann man aber davon ausgehen, dass es sich auch hier um eine Angabe in Minen und Schekeln handelt.475 Zum Vergleich beschreibt die entsprechende Textstelle in MUL.APIN ebenfalls, dass am ersten Tag des Nisannu die Länge der Nacht drei Minen und 10 Schekel betragen sollte; die gleiche Zahl also, die auch in i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a für den ersten Tag des Nisannu angegeben wird. Man kann dem Textausschnitt entnehmen, dass in diesem Schema die Länge der Nacht alle 15 Tage um zehn Schekel abnimmt.476 Die kontinuierliche Veränderung hält bis zum ersten Tag des Monats Tašrītu an, dem angedachten Tag des Äquinoktiums. Die Nachtwache beträgt wie in allen bisherigen Darstellungen dabei genau drei Minen. Von dem datum an nimmt die Dauer der Nacht alle 15 Tage wieder um zehn Schekel zu, bis am 15. Ṭebētu offenbar das Wintersolstitium erreicht ist. Die längste Nacht wurde dort mit vier Minen dargestellt. Auch hier werden also die charakteristischen Tage des Sonnenlaufes mit den bereits bekannten Längen abgebildet. Ein letztes Tag-Nacht-Schema wurde in Enūma Anu Enlil aufgenommen: K 12296, IM 121332, BM 40592, 1–6477 1) [diš aš itibára] u4-15-kam 31/3 ma en.nun u4 22/3! ma en.nun gi6 2) [diš aš itibár]a u4-30-kam 31/2 ma en.nun u4 21/2 ma en.nun gi6 3) [diš aš i]tigu4 u4-15-kam 32/3 ma en.nun u4 21/3 ma en.nun gi6 4) [diš aš] itigu4 u4-30-kam 35/6! ma en.nun u4 2 ma 10 gín en.nun gi6 5) ˹diš˺ aš itisig4 u4-15-kam 4 ma en.nun u4 2 ma en.nun gi6 6) diš aš itisig4 u4-15-kam ur-ru ana gi6 i-na-pal u4.me lúgud.me gi6.me gíd.me 1) „[Im (Monat) Nisannu], am 15. Tag, sind 31/3 Minen Tagwache und 22/3 Minen Nachtwache. 2) [Im (Monat) Nisann]u, am 30. Tag, sind 31/2 Minen Tagwache und 21/2 Minen Nachtwache. 3) [Im (Mon]at) Ajjaru, am 15. Tag, sind 32/3 Minen Tagwache und 21/3 Minen Nachtwache. 4) [Im] (Monat) Ajjaru, am 30. Tag, sind 35/6 Minen Tagwache und 2 Minen und 10 Schekel Nachtwache. 5) Im (Monat) Simānu, am 15. Tag, sind 4 Minen Tagwache und 2 Minen Nachtwache. 6) Im (Monat) Simānu, am 15. Tag, wird Tag zu Nacht übertragen; die Tage werden kürzer, die Nächte werden länger.“

475

Vgl. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 114; Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 43. 476 Vgl. Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 43. 477 Al-Rawi – George, Enūma Anu Enlil XIV and other Early Astronomical Tables, 57 f.

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Auch in diesem Text nehmen die Tages- und Nachtlängen sukzessive in Abständen von 15 Tagen zu und ab. Das Schema unterscheidet sich zwar nicht von den bisher besprochenen Tag-Nacht-Schemata, doch ist im vorliegenden Beispiel die kontextuelle Verortung von besonderem Interesse. Die 14. Tafel von Enūma Anu Enlil stellt eine Art Kompendium mit verschiedenen Schemata dar, die sich mit der Sichtbarkeit des Mondes beschäftigen. Gleichzeitig handelt es sich bei der 14. Tafel gemäß des Kataloges VAT 7814 + AO 6470 aus Uruk um das Ende der ersten Sektion von Enūma Anu Enlil, die sich mit Mond-Omina auseinandersetzt.478 Die Einarbeitung dieses Schemas in eine umfassende Omen-Serie spricht erneut klar für die Interpretation Browns, dass ideal schemes im Rahmen der Divination Anwendung fanden. Auch für die Länge der Tage und Nächte lässt sich nachweisen, dass die Gelehrten den Jahrespunkten Beachtung schenkten. Dies verdeutlicht etwa der folgende Bericht, in dem das Frühlingsäquinoktium thematisiert wird: K 15479 1) u4.6.kám ša itibára 2) u4-mu ù mu-ši 3) šit-qu-lu 4) 6 kaskal.gíd u4-mu 5) 6 kaskal.gíd mu-ši 1) Am sechsten Tag des (Monats) Nisannu 2) sind Tag und Nacht 3) in Balance: 4) sechs Doppelstunden sind Tag 5) (und) sechs Doppelstunden sind Nacht. Die Bedeutung der Äquinoktien und Solstitien zeigt sich in dem Versuch, auch diese in späterer Zeit nach dem Aufkommen der mathematischen Astronomie im Voraus zu berechnen.480 Als Beispiel kann folgender Ausschnitt aus dem Text W 22925 dienen: W 22925481 1) mu.44.kam mar-taḫ-šá-as-su lugal sig 16 20 gub aš mu.an.na 11 u4-mu x x 2) 1 x482 11 11 u 16 27 ina mu.45.kam sig 27 20 gub 478

Al-Rawi – George, Enūma Anu Enlil XIV and other Early Astronomical Tables, 52. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 140. 480 Vgl. Hunger, Schematische Berechnung der Sonnenwenden. 481 Hunger, Schematische Berechnung der Sonnenwenden, 513–515. 482 Gemäß Hunger, Schematische Berechnung der Sonnenwenden, 513, Anm. 3, handelt es sich um ein Zeichen, das „wie die mit drei schrägen Keilen geschriebene Form der Zahl 9“ aussieht und im vorliegenden Kontext „mal“ bedeuten muss. 479

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Teil II: Die Zeit in der Natur

3) 2 x 11 22 u 16 38 30 tu-maš-šar tag4 8 šu 8 20 gub še 4) 3 x 11 33 u 16 49 30 tu-maš-šar tag4 19 sig 19 20 gub 5) 4 x 44 u 16 60 30 tu-maš-šar tag4 30 sig 30 20 gub 1) Jahr 44 des Artaxerxes, des Königs, (Monat) Simānu, 16. (Tag); Šamaš steht483; Jahr 11, Tag xx. 2) 1 mal 11 (ist) 11 und 16 (sind) 27: im 45. Jahr, (Monat) Simānu, (Tag) 27: Šamaš steht. 3) 2 mal 11 (ist) 22 und 16 (sind) 38; 30 löst du; 8 bleiben zurück; (Monat) Duˀūzu, (Tag) 8: Šamaš steht; (Monat) Addaru484. 4) 3 mal 11 (ist) 33 und 16 (sind) 49; 30 löst du; 19 bleiben zurück; (Monat) Simānu, (Tag) 19: Šamaš steht. 5) 4 mal 11 (ist) 44 und 16 (sind) 60; 30 löst du; 30 bleiben zurück; (Monat) Simānu, (Tag) 30: Šamaš steht. Die erhaltenen Zeilen deuten darauf hin, dass der Schreiber des Textes die Sonnenwenden für insgesamt 37 Jahre berechnet hat. Wie Hunger in seiner Bearbeitung des Textes erläutert hat, geht die Berechnung der Sonnenwenden zunächst von einem festen Datum aus, dem 16. Tag des dritten Monats Simānu im 44. Regierungsjahr des Artaxerxes (II.). Durch Addition eines Vielfachen von 11 Tagen wird das neue Datum für das nächste Jahr berechnet, wobei die Zahl, sollte sie zu hoch ausfallen, um einen Tag im Monat zu bezeichnen, noch einmal um das Maß von 30 reduziert wird. Der Text gibt weiterhin an, wenn zwischendurch ein Schaltmonat angesetzt werden muss.485 Während in den bisherigen Texten das Sommersolstitium am 15. Tag des Duˀūzu angesetzt wurde, zeichnet die vorliegende Berechnung ein weit differenzierteres Bild von der Verortung des Solstitiums. Der Text veranschaulicht dadurch, dass es sich bei den bisher besprochenen Texten um ideale Schemata handelt, die sich zwar nahe am tatsächlichen Zeitverlauf orientieren, aber eben keine realen Beobachtungen oder Berechnungen darstellen. Abschließend lässt sich festzuhalten, dass auch ein Abweichen vom idealen Tag als Omen ausgedeutet wurde. In den Briefen und Berichten aus Ninive wird von den Gelehrten des Königs wiederholt folgendes Omen zitiert: K 803486 4) diš u4 ana šid.me-šú gíd 5) bala u4-me gíd.meš

483

Ein Ausdruck für die Solstitien. Siehe CAD u, uzuzzu 2 d, 376, mit weiterer Literatur. Nach Hunger, Schematische Berechnung der Sonnenwenden, 514, ist hier ein Schaltmonat gemeint. 485 Hunger, Schematische Berechnung der Sonnenwenden, 515 f. 486 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 372. 484

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4) Wenn der Tag gemäß seines (normalen) Maßes lang ist: 5) eine Herrschaft langer Tage. Folgen die Tage demnach ihrer vorgesehenen, idealen Länge, galt dies als postives Omen, das in Analogie zur Protasis auf eine Herrschaft langer Tage hindeutet. Das Befolgen des idealen Zeitablaufes wird also auch im Zusammenhang mit dem Tag als etwas Positives gewertet, wie zuvor im Kontext des idealen 30-tägigen Monats. Es gibt einen weiteren, wenn auch späten Text, in dem die Tages- und Nachtlänge mit einer religiösen Dimension versehen wird. Dabei handelt es sich um die Tafel BM 34035 (Sp. I 131) aus arsakidischer Zeit, der sich mit verschiedenen astralen Phänomenen auseinandersetzt. Ein Abschnitt des Textes widmet sich den Solstitien und Äquinoktien und bringt sie in Zusammenhang mit einer Prozession von Göttinnen: BM 34035, 1–8487 1) ina itišu u4.11.kam šá dgi6uš-du10 u dka.gín.na dumu.munus.meš é.s[ag.íl] 2) ana é.zi.da il-la-ka-ni u ina itigan u4.3.kam dgaz.ba.[ba] 3) u dkiri4.zal.sur.ra dumu.munus.meš é.zi.da a-na é.sag.íl il-[la-ka-ni] 4) a-na muḫ-ḫi mi-ni-i ki-i il-la-ka-aˀ i-na itišu mu-ši ki-i i[k-ru]-ú 5) a-na ugu ur-ru-ku šá mu-ši dumu.munus.meš é.sag.íl ana é.zi.da it-tal-kani 6) é.zi.da é mu-ši šu-ú ina itigan u4-mu ki-i ik-ru-ú 7) dumu.munus.meš é.zi.da ur-ru-ku šá u4-mu ana é.sag.íl it-tal-ka-aˀ 8) é.sag.íl é u4-mu šu-ú 1) Im Monat Duˀūzu, am 11. Tag, gehen Ṣilluš-ṭāb und Kaginna, die Töchter des Es[agil], 2) zum Ezida und im Monat Kislīmu, am 3. Tag, (ge[hen]) Gazba[ba] 3) und Kirizalsurra, die Töchter des Ezida, zum Esagil. 4) Warum gehen sie? Im Monat Duˀūzu, wenn die Nächte ku[rz gewor]den sind, 5) gehen die Töchter des Esagil zum Ezida, um die Nächte (wieder) zu verlängern, 6) (denn) Ezida ist das Haus der Nacht. Im Monat Kislīmu, wenn die Tage kurz geworden sind, 7) gehen die Töchter des Ezida zum Esagil, um die Tage (wieder) zu verlängern, 8) (denn) das Esagil ist das Haus des Tages.

487

Epping – Strassmaier, Neue babylonische Planeten-Tafeln, 228, und Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, 255.

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Der Text gibt einen Einblick in eine andere Sichtweise auf die Länge von Tag und Nacht. Bei den bisherigen Quellen handelte es sich um schematische Darstellungen, die keinerlei Hinweis darauf geben, dass bei der saisonalen Variation in der Tages- und Nachtlänge irgendeine Gottheit aktiv eingegriffen hätte. Die schematischen Quellen vermitteln im Gegenteil den Eindruck, als wäre der Lauf der idealen Zeit ein weitgehend automatischer Prozess. Im vorliegenden Text wird jedoch explizit dargelegt, dass vier Göttinnen, jeweils zwei Töchter des Esagil und zwei Töchter des Ezida, im Rahmen von Prozessionen für die Verlängerung der Tage und Nächte verantwortlich waren, wenn diese zur Zeit der Solstitien kurz geworden sind. Im Text selbst wird die Frage gestellt, warum die Göttinnen eigentlich ihre Prozessionen antreten. Als Antwort auf die Frage wird die Verlängerung von Tag und Nacht als Erklärung angegeben. Die Vorstellungen, die dabei zum Ausdruck kommen, haben keine Parallele in den bisher besprochenen Quellen und müssen ohne weitere Belege daher als eigenständige Tradition angesehen werden. Der Text veranschaulicht die in Kapitel 1.2.1 besprochene Prämisse, dass die Zeitvorstellungen unterschiedlicher sozialer Gruppen voneinander abweichen. Während BM 34035 dem kultischen Bereich zugeordnet werden kann, entstammen die schematischen Texte dem umfassenden Gebiet der Gelehrsamkeit.488

6.4) Die Funktion der idealen Zeit Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Vorstellung von Zeit auf der Annahme aufbaut, dass den prototypischen Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag jeweils eine idealisierte Länge zugrunde liegt. Diese ideale Länge war unmittelbar mit den ebenfalls idealisierten Bewegungen und Aufgängen der Himmelskörper synchronisiert. Das Jahr bestand demzufolge aus genau 360 Tagen und setzte sich aus 12 Monaten zu je 30 Tagen zusammen. Der Verlauf des Jahres stand in Einklang mit dem Aufgang von Sternen und Sternbildern sowie den Bewegungen der Sonne und den Mondphases, die alle an festen kalendarischen Daten am Himmel erscheinen sollten. Die Ausarbeitung dieser idealisierten „Raum-Zeit“ kommt in den schematischen Quellen zur Geltung, was in deren möglicher Anwendung im Rahmen der Divination und der Kalenderschaltung begründet liegen mag. Gegen eine mögliche Nutzung der Texte im Hinblick auf den Kalender argumentiert Brown, der in den von ihm beschriebenen ideal schemes ein divinatorisches Werkzeug sieht: „Texts such as The Babylonian Diviner’s Manual (…) indicate that the “ideal intercalary schemes” served largely divinatory, rather than calendrical purpose, and merely evoked an existing rule of thumb whereby one additional month every three years of so sufficed to keep the vernal equinox in months XII and I. The record of intercalary months, from the earliest times right through to the period of concern here, shows that the 488

Siehe dazu Kapitel 7.

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calendar was also regularly affected by other forces, such as royal whim. Indeed, some Mesopotamian lunar calendars of the MA period were not regulated against the Sun at all, further demonstrating how insignificant to the general populace regulation probably was.“489 Nach Brown kamen die idealen Schemata als Interpretationshilfen in der Divination zum Einsatz.490 Es ermöglichte den Gelehrten, die Omina bzw. deren Auftreten einfacher in einen zeitlichen Kontext einzuordnen und zu interpretieren: „The ideal periods served the same purpose as the broad categories into which the visible phenomena of the heavens were divided – (…). Both reduced what would otherwise have been an infinite number of variables in any observation to a manageable few, all of which could be encoded with a particular value, and thereby made the heavens interpretable: (…)“491 Erschien ein astrales Phänomen in Übereinstimmung mit dem idealen Schema, galt es als gutes Omen; ein schlechtes Omen dagegen war es, wenn es außerhalb seiner idealen Zeitspanne auftrat.492 Die Verortung idealer Zeit im Kontext der Omenkunde wird im sogenannten Handbuch der Beschwörungskunst explizit hervorgehoben. Dieser Text ist durch mehrere Textzeugen aus dem 1. Jt. v. Chr. belegt.493 Das Handbuch listet zunächst zwei Omenkataloge auf: zum einen die „Zeichen der Erde“ (idāt erṣetim) und zum anderen die Zeichen des Himmels (idāt šamê), also Tafeln bzw. Tafelserien, die terrestrische und Himmelsomina zum Inhalt haben. Die zweite Hälfte des Textes wiederum gibt einzigartige Anweisungen zum Vorgehen bei der Interpretation von Omina.494 Im Rahmen dieser Anweisungen erscheint in Z. 57 folgende Aussage: Handbuch der Beschwörungskunst, 57495 57) 12 iti.meš šá mu.1.kam 6 uš496 u4-me-šá 57) Zwölf sind die Monate des Jahres, sechsmal 60 sind seine Tage.

489

Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 195. Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 103. Siehe auch Brown, Astral Divination, 80. So auch Cancik-Kirschbaum, Zeit und Ewigkeit, 37. 491 Brown, Mesopotamian Astral Science, 462. 492 Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 68, sowie Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 125 f. und 146–153. 493 Bis auf zwei Textzeugen in babylonischer Schrift sind die meisten Textzeugen im neuassyrischen Schriftduktus verfasst worden. Vgl. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 197. 494 Vgl. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 206. 495 Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 200. 496 Zur Schreibung der Zahl 60 mit dem Zeichen UŠ siehe CAD š3, šūši c, 382 f. 490

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Teil II: Die Zeit in der Natur

Diese einzelne Zeile verdeutlicht, dass die Gelehrten bei ihrer Arbeit von einem idealen Jahr ausgehen sollten. Interessanterweise wird hier eine sehr ähnliche Umschreibung vorgenommen, um die Anzahl der Tage eines Jahres darzustellen wie bereits in den Opferschauanfragen des Ur-dUtu aus altbabylonischer Zeit. Die Interpretation Browns wird somit bestätigt.497 Dennoch hing die Divination eng mit der Beobachtung des idealen Zeitverlaufs und der Aufrechterhaltung des Kalenders zusammen,498 sodass zumindest in sekundärer Funktion eine grobe Überwachung des Zeitverlaufs anhand der idealen Schemata nicht ausgeschlossen werden kann.499 Einige Briefe der Gelehrten unterstützten auch diese Interpretation. Die Wichtigkeit der Idealität für das gesamte Konzept von Zeit lässt sich auch an der theologischen Verankerung des idealisierten „Raum-Zeit“-Modells im Enūma eliš ablesen.500 Die Verbindung der Zeit mit dem Auf- und Untergang von Sternen war somit nicht nur eine praktische Information, sondern wurde als wichtiger Schöpfungsakt bei der Entstehung des Kosmos dargestellt.501 Die ideale Vorstellung von Zeit war somit ein integraler Bestandteil des Weltbildes und kann zweifellos als zentrales Element des babylonisch-assyrischen Zeitkonzeptes aufgefasst werden.502 In der Verortung der idealen Zeit im göttlich gestalteten Kosmos liegt auch der Grund dafür verborgen, dass die Abweichung des Zeitverlaufs vom Ideal negativ konnotiert war. Die Textpassage aus der fünften Tafel des Enūma eliš hat gezeigt, dass die Idealität im Zusammenspiel der Himmelskörper in der Schöpfung des Kosmos angelegt war.503 Die enge Verbindung zwischen der kosmischen Ordnung und der politisch-sozialen Ordnung der Welt wurde bereits von S. Maul hervorgehoben. Eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren des politischen 497

Siehe dazu auch Kapitel 9. Vgl. dazu die Ausführungen zum Handbuch der Beschwörungskunst in Kapitel 7. 499 Vgl. Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL.APIN, 12 f., die argumentieren, dass die idealen Schemata aus MUL.APIN durchaus mehreren Zwecken gedient haben können. Für die textlichen Hinweise zur Anwendung im Rahmen der Kalenderregulierung siehe Kapitel 4.1.2.3. 500 Vgl. Steele, Making Sense of Time, 473 f. 501 Vgl. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 151. Vgl. auch die Aussage von Lambert, Babylonian Creation Myths, 186: „After the year was fixed by the organisation of the 36 stars.“ 502 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Rund-Zahlen und Ideal-Rhythmen, 78, Anm. 16: „Die Bedeutung dieses Abschnitts (V. Tafel, Z. 1–52) für die Vermittlung von Erkenntnissen über die Natur des Universums wird unterschätzt, wenn man ihn auf eine Funktion als Ätiologie des babylonischen kultischen Kalenders reduziert. Die Einbindung solch umfassender Ausführungen gelehrten Wissens in ein ‚Epos‘ ist bemerkenswert. Dies lässt nicht nur – (…) – auf die hohe Bildung des Autors schließen, sondern auch auf ein entsprechendes Interesse des Publikums.“ Die Motivation der Gelehrten an zeitbezogenem Wissen soll an anderer Stelle besprochen werden. Siehe dazu Kapitel 7. 503 Vgl. Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 110. 498

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und sozialen Gefüges war demnach die Einhaltung der kosmischen Ordnung.504 Dies veranschaulicht ein Ausschnitt der Inschrift Ass. A., I. 31–38 des Asarhaddon, der auf den Textzeugen VA 8411 und UM 32-22-5 belegt ist:505 VA 8411 / UM 32-22-5506 31) d[30 u dut]u dingir.meš maš-šu-ú-te 32) áš-[šu d]e-en kit-te 33) ù mi-šá-ri 34) a-n[a kur] u un.meš šá-ra-ku 35) iti-š[a]m-ma ḫar-ra-an kit-te 36) ù mi-šá-ri ṣab-tu-ma 37) u4.[x].kám u4.14.kám 38) ú-[s]a-di-ru ta-mar-tú 31) [Sîn und Šam]aš, die Zwillingsgötter, 32) we[gen des Ur]teils des Rechts 33) und der Gerechtigkeit: 34) um sie de[m Land] und den Menschen zu schenken, 35) ergreifen sie monatlich den Pfad des Rechts 36) und der Gerechtigkeit; 37) am [x.] Tag und am 14. Tag 38) tritt die Sichtbarkeit regelmäßig ein. Ein Abdriften des Zeitverlaufs von seinem göttlich eingerichteten Idealzustand kam allerdings einer Änderung der der göttlich eingerichteten Ordnung gleich und war so gleichbedeutend mit einer Auflösung der kosmischen Ordnung selbst.507 Wie die hier vorgestellten Quellen zeigen, hatte dieser Zustand dementsprechend negative Auswirkungen auf die irdischen Verhältnisse. Dies impliziert im Umkehrschluss, dass die Schaltung des Kalenders einer Wiederherstellung der kosmischen Ordnung gleichkam, einer Rückkehr zum idealen Urzustand.508

504

Vgl. Maul, Der assyrische König, 202 f. Vgl. Maul, Der assyrische König, 202. Die Textzeugen sind aufgelistet bei Borger, Die Inschriften Asarhaddons, 1. 506 Borger, Die Inschriften Asarhaddons, 2. 507 Vgl. dazu die Schilderung am Beginn der vierten Tafel des Enūma eliš, in der die Entscheidungen Marduks als nicht änderbar charakterisiert werden. 508 Vgl. Maul, Rückwärts schauend in die Zukunft, 9 sowie Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 257–259. Für die Kalenderschaltung als Wiederherstellung der kosmischen Ordnung siehe auch Kapitel 8.2. Für die daran beteiligten Akteure siehe Kapitel 7 und 7.1. Für die Implikationen für den herrschenden König siehe Kapitel 9.1.1. 505

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft In den vorangegangenen Kapiteln wurde herausgearbeitet, wie sich das Phänomen der Zeit in der Natur offenbarte und wie es als Bestandteil des Kosmos eingeordnet und imaginiert wurde. Im Folgenden soll der Fokus auf der gesellschaftlichen Verortung der Zeit liegen. Ein Überblick über das bereits gut erforschte Kalenderwesen wird zeigen, wie das Phänomen Zeit zur gesellschaftlichen Anwendung organisiert und nutzbar gemacht wurde. Darüber hinaus soll der Fragestellung nachgegangen werden, welchen gesellschaftlichen Nutzen die Zeit über die Nutzung als als Hilfsmittel zur Orientierung und Datierung hatte. Eng mit allem verbunden ist die Frage, welche sozialen Gruppen sich mit dem Thema Zeit näher auseinandergesetzt haben und welche Relevanz die Zeit für sie hatte.

7) Die Träger der Zeitkonzepte Um die Frage zu beantworten, welche sozialen Gruppen sich mit dem Phänomen der Zeit näher auseinandergesetzt haben, müssen die Quellen insgesamt noch einmal in den Blick genommen werden. Die bisher vorgestellten naturkundlichen Informationen zum Phänomen Zeit stammen bisher zumeist aus sternenkundlichen Texten wie MUL.APIN, Briefen mit astronomisch-astrologischem Inhalt sowie theologischen Texten wie Hymnen, Gebeten und Mythen. Zu den bereits besprochenen Quellen kommen in den folgenden Kapiteln Texte aus dem Bereich der Divination und der Hemerologie sowie Gebete hinzu. Neben den großen Textgruppen hat sich gezeigt, dass Informationen zum Thema Zeit auch in anderen Quellen transportiert werden, beispielsweise in Listen oder auch in Königsinschriften sowie in Kommentar-Texten. Die aufgeführten Quellen entstammen auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Textgruppen, dennoch ist nahezu allen gemein, dass sie auf das Umfeld der babylonisch-assyrischen Gelehrsamkeit zurückgehen. Die Quellenlage ist hinsichtlich der Gelehrten des 1. Jt. v. Chr. außerordentlich gut. Allen voran die Gelehrten, die in direktem Kontakt mit dem neuassyrischen Königshof standen, haben mit ihren Briefen und Berichten an die assyrischen Könige ein Textkorpus hinterlassen, das einen einzigartigen Einblick in ihre Arbeit und ihr Selbstverständnis gewährt und dabei zugleich ihr Verhältnis zum Königshof beleuchtet. Aus Babylonien geben v.a. spätbabylonische Texte einen Einblick in das Wirken der Gelehrten. Die Gelehrten des 1. Jt. v. Chr. sind als soziale Gruppe daher bereits gut erforscht, sodass im Folgenden eine kurze Übersicht über die Gelehrten genügen soll, die darauffolgend als Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen dient.509 509

Für eine kurze, aber umfassende Einführung zu den Gelehrten der neuassyrischen Zeit

7) Die Träger der Zeitkonzepte

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Nicht jeder Schreibkundige galt automatisch als Gelehrter. Erst die Zugehörigkeit zu einer spezialisierten Berufsgruppe und das Studium der dazugehörigen Texte zeichneten einen Gelehrten aus.510 Welche Disziplinen der Gelehrsamkeit zugerechnet wurden, ist für die neuassyrische Zeit dank der Palastadministration gut bekannt. So enthält der vermutlich auf die Regierungszeit Asarhaddons oder Assurbanipals zu datierende Text K 1276 eine Liste mit 45 namentlich genannten Individuen, die jeweils unterschiedlichen Disziplinen zugeordnet wurden.511 Am neuassyrischen Königshof waren demnach der ṭupšar Enūma Anu Enlil, der āšipu, der bārû, der asû und der kalû vertreten. Diese fünf Gruppen von Gelehrten bilden den traditionellen Kern mesopotamischer Gelehrsamkeit und sind, bis auf den ṭupšar Enūma Anu Enlil, auch schon im 2. Jt. v. Chr. belegt.512 Zu den fünf traditionellen, mesopotamischen Gelehrtenkreisen gesellten sich am assyrischen Königshof die Auguren (dāgil iṣṣuri), die aus dem anatolisch-syrischen Raum bekannt sind sowie ägyptische Gelehrte (ḫarṭibi) und Schreiber (ṭupšarru muṣurajja). Im vorliegenden Kontext aber werden ausschließlich die traditionell mesopotamischen Gelehrtenkreise von Interesse sein.513 Die einzelnen Disziplinen waren, zumindest hinsichtlich ihrer Curricula, nicht klar voneinander abgegrenzt.514 Dies veranschaulicht der Text K 2248, bei dem es sich um ein Bruchstück einer umfangreicheren Tafel handelt, die einen Katalog mit Incipits enthält. Der Text wurde von W. G. Lambert unter dem modernen Titel Catalogue of Texts and Authors ediert.515 Die erste Zeile dieses Bruchstücks verweist möglicherweise darauf, dass die verzeichneten Texte sowohl der kalûtu als auch der āšipūtu zuzurechnen sind. Die Deutung setzt allerdings voraus, dass die von Lambert angesetzte Rekonstruktion des ersten, nicht erhaltenen Wortes als āšipūtu korrekt ist.516 Einen weiteren, eindeutigeren Hinweis darauf gibt ein an den König adressierter Brief des Marduk-šāpik-zēri, in dem er mehrere Personen auflistet, die aufgrund ihrer Fähigkeiten für den König von Interesse sein können.517 Auf der Rückseite des Briefes wird in den Zeilen 13 f. beispielsweise ein siehe die Einführung von Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XIII– XXX. 510 Vgl. Parpola, Mesopotamian Astrology and Astronomy, 52. 511 Für die Datierung des Textes siehe Fales – Postgate, Imperial Administrative Records I, XVII–XIX, und für die Bearbeitung ibid., 4 f. 512 Vgl. Rochberg, Scribes and Scholars, 359. 513 Über das Wirken der drei nicht-mesopotamischen Gelehrtengruppen am assyrischen Hof ist kaum etwas bekannt, da von ihnen, im Gegensatz zu den babylonischen und assyrischen Gelehrten, keine eigenen Texte überliefert sind. Siehe Radner, Royal DecisionMaking, 368. 514 Vgl. Rochberg, Before Nature, 67. 515 Die Bruchstücke der Tafel finden sich in einer zusammenhängenden Edition bei Lambert, A Catalogue of Texts and Authors. 516 Zur Diskussion siehe Lambert, A Catalogue of Texts and Authors, 68 f. 517 K 3034 + K 7655 + K 5440a + 82-5-22, 123b. Ediert bei Parpola, Letters of Assyrian

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

gewisser Kudurru genannt, der sowohl bārûtu beherrscht als auch āšipūtu und ṭupšarrūtu studiert hat.518 Die genannte Person Kudurru war folglich nicht nur in seiner ursprünglichen Disziplin geschult, sondern verfügte auch über zumindest grundlegendes Wissen zweier weiterer Gelehrtenkreise. S. Parpola argumentiert, dass die interdisziplinäre Ausbildung daraus resultierte, dass die einzelnen Disziplinen komplementär zueinander zur Anwendung kamen und als Ganzes dem Bereich der „Weisheit“ zuzurechnen sind.519 Unter den Gelehrten ragten nochmals diejenigen hervor, die ihre jeweilige Disziplin gemeistert haben und oftmals mehr als einer Disziplin mächtig waren.520 Diese Gelehrten trugen den Titel ummânu – „Experte“ oder „Meister“. Die ummânū fungierten als Gelehrte und Berater des Königs.521 Ihnen stand nach den neuassyrischen Quellen ein rab ṭupšarri vor, der als persönlicher Gelehrter des Königs fungierte.522 Dies wird aus einem Text der Bibliothek Assurbanipals ersichtlich, der u.a. von W. G. Lambert bearbeitet und in der Forschung als Advice to a Prince, oder auch als Babylonischer Fürstenspiegel betitelt wurde.523 Der Text beinhaltet zahlreiche Warnungen, wie sich ein guter König nicht verhalten sollte. So heißt es u.a.: „Hört er (= der König) nicht auf den ummânu, wird sein Land rebellieren.“524 Der Babylonische Fürstenspiegel gibt mit dem Zitat einen Hinweis darauf, welche Bedeutung den gelehrten Experten angerechnet wurde. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie, zumindest in neuassyrischer Zeit, oftmals in enger Verbindung zum Königtum standen.525 So nennt die synchronistische Königsliste aus Assur neben einigen Königen auch deren ummânu.526 Diese Königsliste beinhaltet zudem einen unmittelbaren Hinweis darauf, dass nicht nur die assyrischen, sondern auch die babylonischen Könige über einen Stab aus ummânū verfügten. Direkte textliche Belege aus Babylonien fehlen für weite Teile des ersten Jt. v. Chr. jedoch.527 Eine vergleichbare Liste, die zudem and Babylonian Scholars, Nr. 160. 518 Siehe Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 160: 13) mníg.gub ḫal-qu šá kur aš-[šurki šu-ú ba-ru-ti] i-le-ˀe-e 14) a-ši-pu-ú-tu ṭup-(šar)-r[u-tu il-ta-si a-na lugal] en-j[á ṭ]a-[a-bu] – “13) Kudurru, ein Flüchtiger aus As[sur. Dieser] beherrscht [bārûtu]; 14) āšipūtu (und) ṭupšar[rūtu hat er gelesen. Für den König mei]nen Herrn ist er [nützlich].“ 519 Parpola, Mesopotamian Astrology and Astronomy, 49–52. 520 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XIX. Siehe auch Rochberg, Before Nature, 64, und Lenzi, Secrecy and the Gods, 71, mit weiteren Quellenangaben. 521 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XXIV. 522 Lenzi, Secrecy and the Gods, 76. 523 Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 110–115, mit weiterer Literatur. 524 Z. 5) a-na um.me.a la i-qúl kur-su bal-su 525 Vgl. Lenzi, Secrecy and the Gods, 74. 526 Vgl. Reiner, The Etiological Myth of the ‘Seven Sages’, 9. Siehe auch Oppenheim, Babylonian and Assyrian Historical Texts, 272–274, mit weiteren Literaturangaben. 527 Lenzi, Secrecy and the Gods, 75 und Anm. 48, mit weiteren Quellenangaben.

7) Die Träger der Zeitkonzepte

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einen Einblick in das Selbstverständnis der Gelehrten gibt, ist aus dem seleukidischen Uruk erhalten.528 Diese Liste nennt nicht nur die ummânu, die den historisch belegten Königen zugeordnet wurden. Vielmehr stellt sie dem historischen Abschnitt zusätzlich die mythischen Weisen voran, die als apkallū bekannt sind. Während sieben apkallū in die mythische Zeit vor der Flut versetzt werden, wird ein letzter apkallu nach der Flut mit der Regierungszeit des Enmerkar in Verbindung gebracht. Anschließend daran wird nur noch auf die ummânu Bezug genommen. Die enge Verbindung der apkallū mit den ummânū wurde in der Forschung bereits intensiv herausgearbeitet. So macht E. Reiner bspw. darauf aufmerksam, dass einige der apkallū auch den Titel ummânu tragen.529 Die zuletzt genannte Liste demonstriert, dass sich die babylonischen Gelehrten in der Tradition der genannten vorsintflutlichen „sieben Weisen“ sahen. Diese lehrten den Menschen das Wissen um Zivilisation und Kultur. S. Parpola bemerkt diesbezüglich: „Accordingly, the role of scholars can be defined as that of the transmitters and unfolders of received wisdom; they were the human successors of semidivine sages, whom they emulated but would and could not surpass in wisdom.“530 Über die Rolle der Gelehrten am Königshof und ihre Bedeutung für den König geben die zahlreichen Briefe und Berichte der Gelehrten an die assyrischen Könige Auskunft. Dem König oblag die Verantwortung für das Wohlergehen des Landes und für die Versorgung der Götter zu sorgen. Zu seinen Pflichten gehörten somit die genaue Befolgung kultischer Vorschriften und gerechtes Handeln gegenüber den Menschen.531 Wenn der König diesem Ideal nicht entsprechen konnte, lief er Gefahr göttlichen Zorn zu erregen. Im Falle eines Fehlverhaltens, warnten die Götter den Betroffenen jedoch zunächst in Form von Omina. Sofern diese ignoriert wurden, brachten sie das eigentliche Übel als Strafe über den Betroffenen.532 Die Aufgabe der Gelehrten war es, den König vor solchen Konsequenzen zu bewahren. Im Vordergrund gelehrter Tätigkeit stand demnach der Schutz des Königs.533 Es lag in der Verantwortung der Gelehrten entsprechend ihren Disziplinen, Omina zu erkennen und zu interpretieren. Zudem hatten sie rituelle Gegenmaßnahmen einzuleiten, sollten die Omina Unheil für den König verheißen. Erkrankte der König oder eines seiner Familienmitglieder, bestand ihre Aufgabe zudem in der Heilung und Versorgung. S. Parpola hat die Aufgaben in seiner Edition der Briefe treffend zusammengefasst: 528

W 20030, 7; ediert von van Dijk, Die Tontafeln aus dem rēš-Heiligtum, 44–52. Reiner, The Etiological Myth of the ‘Seven Sages’, 8 f. 530 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XVIII. 531 Vgl. Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XV–XVII. 532 Zur Funktionsweise von Omina siehe Maul, Zukunftsbewältigung, 5–10. 533 Vgl. Maul, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, 204. 529

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

„The idea of royal protection, central to all activity of the scholars, finds expression in the phrase maṣṣartu ša šarri naṣāru, “to keep the kings watch,” which recurs frequently in the letters. A plain rendering is incapable of expressing the full meaning of the phrase, which involved watching, guarding and protecting the king, not so much from physical danger, but from straying from the path the gods had decreed. This the court scholars did by watching for and interpreting the signs that the gods sent and advising the king how these signs should be reacted to; by guarding the king’s behaviour in cultic and other areas to prevent him from becoming culticly impure or from performing some tasks on an inauspicious day; by protecting the king from portended evil and divine wrath through apotropaic rituals and chants to avert the evil and appease the angered god; and, finally, by restoring the harmony between the king and the gods through ritual purification ceremonies that removed the king’s sin and cleansed his persona of the evil thought or deed that had caused the sign to be sent.“534 Vor dem Hintergrund stellt sich nun die Frage, warum sich die Gelehrten mit dem Thema Zeit auseinandergesetzt haben. Welchen Stellenwert nahm die Zeit in ihrem täglichen Wirken ein? Wie soeben dargelegt, bestand die Aufgabe der Gelehrten darin, den König vor unbeabsichtigten Fehltritten gegenüber den Göttern zu bewahren sowie drohendes Unheil zu erkennen und abzuwenden. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, mussten die Gelehrten ihre natürliche und soziale Umwelt genauestens im Blick behalten. Sowohl die Zeichen des Himmels als auch die Zeichen auf der Erde wurden beobachtet und interpretiert, wobei die zahlreich belegten OmenKompendien zur Anwendung kamen. In der Theorie der babylonisch-assyrischen Vorzeichenkunde bedingten sich die Zeichen des Himmels und der Erde dabei gegenseitig: Wenn ein Omen im Himmel auftrat, musste auch eines auf der Erde erkennbar sein – und umgekehrt. Dies wird explizit im sogenannten Handbuch der Beschwörungskunst aufgeführt. In den ersten 40 Zeilen des Textes werden diverse Titel von Omen-Sammlungen in Form von Incipits aufgezählt. Diese werden wiederum unterteilt in Zeichen des Himmels und der Erde. Der weitere Verlauf des Textes, der diesen so einzigartig macht, enthält umfassende Anweisungen dazu, wie ein Gelehrter, der ein Omen interpretieren möchte, verfahren soll und was er dabei beachten muss. Im Zuge der genannten Fragestellungen nach der gesellschaftlichen Verortung der Zeit stellt der Text zweifellos eine der eindrücklichsten und wichtigsten Quellen dar. Der genannte zweite Abschnitt wird daher im Folgenden näher besprochen.

534

Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, XXII.

7) Die Träger der Zeitkonzepte

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Handbuch der Beschwörungskunst, Z. 41–71535 41) it-tum šá ina an-e lem-ne-tu4 ina ki-tim lem-ne-et 42) ša ina ki-tim lem-ne-tu4 ina an-e lem-ne-et 43) at-ta giskim.bi kin.kin-ma lu šá an lu šá ki-tim be-ma giskim.bi ḫul-šá kaš-še-di 44) lu ana kúr.meš lu ana be.meš lu ana su.kú it-tab-šá-ak-ku giskim.bi adan-šá ḫi-iṭ-ma 45) giskim mi-ḫir giskim la it-tab-ši-ma pi-is-sà-tú la ir-ta-ši 46) ú-ul ú-šet-ti-iq ḫul-šá ul zi-iḫ te-am 47) [(?)] an-nu-ti ḫi.ḫi-ma tukum.bi itiapin.du8.a ta 48) [ù m]ul šá ina igi-šú ṣip-ra ṭup-pi 2-ma ina šu-ka tu-kal 49) [gis]kim.bi zu-ma uru lugal u un.meš-šú 50) ina šu kúr nam.be ù su.kú šu-zu-bi 51) i-šal-lu-ka mi-nam ta-qab-bi 52) i-qab-bu-ka ki-i tu-še-et-ti-iq –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 53) šu.nigin 24 ṭup-pi i-da-at an u ki-tim 54) šá sig5-šú-nu u ḫul-šú-nu kaš-še-du-ú 55) giskim ma-la ina an-e ib-šu-ú ina ki-tim igi-ru 56) ina šà-šú-nu tam-mar an-nu-ú nam.búr.bi-šú-nu –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 57) 12 iti.meš šá mu.1.kam 6 uš u4-me-šá mi-na-at zag.muk 58) ina šu-ka dib-ma bi-ib-li u4.da.zal.lá-e ša ta-mar-ti mul.meš 59) a-dan-na-ti-šú-nu mit-ḫur-ti sag.mu šá mulaš.gán 60) ta-mar-ti d30 u dutu šá itiše u itikin 61) ni-ip-ḫa u igi.du8.a.meš šá d30 ar-ḫi-šam igi-ru kin.kin-ma 62) šit-qul-ta šá mul.mul u d30 šeš-ma li-pu-ul-ka-ma 63) šá mu iti.meš-šá iti.meš u4.meš-šú kin-ma mim-mu-ú te-pu-šu šu-ul-lim 64) e-nu-ma ina igi.du8.a d30 u4-mu er-pu gál-ka li-ti-ik-šú d[ug maš-qu-u] 65) e-nu-ma ina bi-ib-lu u4-mu er-pu gál-ka li-ti-ik-šú dug maš-qu-u 66) ana la-tak bi-ib-li u na-an-mur-ti gurun en iti 67) ù ša-at-tum ḫe-pi 68) 12 iti.meš ina šu-ka tu-kal a-na la-tak u4-me ki-nu-tim 69) šit-qul-ti mul.mul u d30 ina šuII-ka tu-kal 70) áš-ri šip-ki kin.kin-ma u4.meš diri.meš lu-ú ti-de-ma 71) mu.an.na ki-in-ma di-ri-ša šu-ul-lim it-i-id la te-eg-gi 41) Ein Zeichen, das im Himmel schlecht ist, ist auch auf der Erde schlecht, 42) (eines), das auf der Erde schlecht ist, ist auch im Himmel schlecht. 43) Du, untersuche die Zeichen, seien es die des Himmels, oder die der Erde.

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Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 200.

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44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Wenn eines Zeichens Übel bestätigt ist536, ist es für dich entstanden im Hinblick auf Feinde, Todesfälle und Hungersnot. Des Zeichens Zeitpunkt prüfe; ist kein Zeichen als Entsprechung des Zeichens entstanden und keine Aufhebung erfolgt537, wird es nicht vorübergehen, sein Unheil kann man nicht bannen, es wird herantreten. […] diese (Dinge) erwäge und „Wenn vom Monat Araḫsamna an“ sowie „Ein [Ste]rn, der vorne eine Spitze hat“, die zwei Tafeln, behalte in der Hand. (Wenn) du das [Zei]chen kennst, und man dich fragt, die Stadt des Königs und dessen Menschen aus der Hand des Feindes, des Todes oder der Hungersnot zu entlassen, was sagst du (dann)? (Wenn) man zu dir spricht, wie wirst du es vorübergehen lassen? –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Insgesamt 24 Tafeln mit Zeichen des Himmels und der Erde, deren Gutes und Böses bestätigt ist538. Zeichen so viele wie es im Himmel gibt und auf der Erde gesehen werden können, wirst du darin sehen. Dies sind ihre Lösungen! –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Zwölf sind die Monate des Jahres, sechsmal 60 sind seine Tage. Die Berechnung des Neujahres halte in deiner Hand; die Neumondstage, die Daten der Sichtbarkeit der Sterne, ihre festgesetzte Zeit, das Zusammentreffen des Jahresbeginns mit dem Sternbild Ikû, die Sichtbarkeit von Sîn und Šamaš in den Monaten Addaru (XII) und Ulūlu (VI) sowie das Aufleuchten und die Sichtbarkeit des Sîn, (wie) monatlich beobachtet, inspiziere immer wieder; die Konjunktion der Plejaden und des Sîn überwache: es möge dir Antworten geben.

Die Übersetzung der Verbform ist unklar. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 204, übersetzt die Zeile folgendermaßen: „When you look up a sign (in these omen collections) be it one in the sky or one on earth and if that signs evil portent is confirmed(?), …“ Zur Begründung der Übersetzung siehe ibid., 207 f. 537 Zu der Phrase pissatu rašû siehe den Kommentar bei Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 204, Anm. 30. 538 Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 205, übersetzt die Zeile mit „whose good and evil portents are in harmony(?).“

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63) Des Jahres Monate und der Monate Tage mache fest und alles, was du tust, vollende. 64) Wenn während der Beobachtung der Tag bewölkt ist, (erfolgt) die Erprobung durch ein [m.-Ge]fäß. 65) Wenn am Neumondtag der Tag bewölkt ist, (erfolgt) die Erprobung durch ein m.-Gefäß. 66) Um den Neumondtag und den Aufgang (des Mondes) zu bestimmen539: Inbu bēl arḫi 67) und das Jahr //abgebrochen// 68) Zwölf Monate hältst du in der Hand, um die festen Tage zu bestimmen. 69) Die Konjunktion der Plejaden und des Sîn behältst du in deinen Händen. 70) Den Horizont untersuchst du immer wieder auf und die überzähligen Tage kennst du. 71) Das Jahr mache fest und seine Schaltung vollende. Sei aufmerksam und nicht nachlässig! Der Textausschnitt bestätigt in den Z. 41 f. zunächst, dass die Zeichen des Himmels und der Erde gemeinsam betrachtet werden müssen. Aus dem weiteren Verlauf ergibt sich, wie der Gelehrte verfahren soll, wenn er ein Zeichen identifiziert hat. Und gleich zu Beginn dieser Anweisungen offenbart sich sogleich der Zusammenhang zwischen gelehrter Tätigkeit und Zeit. Demnach soll ein Gelehrter, sobald er ein Omen erkannt hat, den Zeitpunkt des Erscheinens prüfen. Der genaue Zeitpunkt des auftretenden Omens wird durch den in Kapitel 2.2 näher erläuterten Terminus adannu bezeichnet, der als festgesetzter, spezifischer Zeitpunkt oder Termin wiedergegeben werden kann. Der genaue Zeitpunkt des Auftretens eines Omens stellt somit einen wichtigen Baustein zu dessen korrekter Interpretation dar.540 Die Zeit im Blick zu behalten war für die Gelehrten also eine wichtige Voraussetzung, um ihre eigentliche Aufgabe – die Interpretation von Omina und den daraus resultierenden Schutz des Königs – erfüllen zu können. Der Zusammenhang von gelehrter Tätigkeit und Zeit wird in den Zeilen 57– 71 noch stärker herausgestellt. Dieser Textabschnitt stellt in aller Kürze dar, welche Aufgaben ein Gelehrter im Hinblick auf die Regulierung des Kalenders und der Festsetzung der Zeit zu erfüllen hatte und welche Methoden ihm dabei zur Verfügung standen.541 Der Abschnitt beginnt mit der Aussage, dass das Jahr sich aus 12 Monaten und „sechsmal 60“ Tagen zusammensetzt. Diese spezielle Formulierung begegnete schon im Zusammenhang der altbabylonischen ikribu-Gebete für Ur-Utu, welche die ältesten Belege für eine Nutzung des idealen Jahres 539

Wörtl. „zu erproben“. Siehe dazu Kapitel 9.1.1. 541 Vgl. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 210. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit diesem Textabschnitt bietet Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth. 540

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

außerhalb der Administration darstellen.542 Die Nutzung dieser Phrase in den Anweisungen des Handbuchs ist von großer Bedeutung für das Verständnis der vielfach erwähnten idealen Zeit. Der Text beweist somit nämlich, dass die ideale Zeit die Grundlage für die Tätigkeiten der Gelehrten war.543 Der Text fährt damit fort, die im Hinblick auf den Kalender wichtigen Punkte und Ereignisse zusammenzufassen. Es wird betont, dass der Gelehrte diese Besonderheiten konstant inspizieren muss. Der Text beginnt dabei konsequenterweise mit der Nennung von zag.muk (Akk. zagmukku), dem Zeitpunkt des Neujahres.544 C. Williams hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass anhand des Terminus minītu explizit von einer Berechnung des Neujahres die Rede ist.545 In der folgenden Zeile 59 wird jedoch deutlich, dass die Berechnung als alleiniges Kriterium für die Bestimmung des Neujahres nicht ausreicht. So soll auch beobachtet werden, ob der Beginn des Jahres mit dem des Sternenbildes ikû zusammentrifft. Hierin spiegelt sich die in Astrolab B dargestellte Tradition wider, den Beginn des Jahres mit diesem Sternenbild zusammenfallen zu lassen.546 Unmittelbar davor fordert der Text den Gelehrten zudem dazu auf, die festgesetzten Termine (adannātišunu) der Sterne zu inspizieren, d.h. also die Daten ihrer Sichtbarkeit zu überprüfen. Dies korrespondiert mit der in Kapitel 4.1.2.3 aufgezeigten Nutzung der Sterne und Sternenbilder als Kontrollinstanz der Zeitmessung. Deren Aufgänge sollten stets an festgesetzten Tagen des Jahres erfolgen, wodurch der korrekte Verlauf des Jahres anhand der Sterne nachvollzogen werden konnte. In diesem Kontext muss auch der Aufgang des Sternenbildes ikû am Jahresanfang verstanden werden. Bereits in Zeile 58 wird zudem darauf hingewiesen, dass neben den Sternen auch die Neumondtage im Blick behalten werden müssen. Nach der Inspektion der Sterne wendet sich der Text in den folgenden Zeilen 60–62 dann dem Mond zu. So soll in den Monaten VI und XII die Sichtbarkeit des Mondes und der Sonne beobachtet werden. Williams macht in diesem Zusammenhang auf eine der Schaltregeln aus MUL.APIN aufmerksam, welche die Beobachtung des Mondes und der Sonne in den Monaten der Äquinoktien erfordert. Gleichzeitig verweist Williams jedoch darauf, dass die Verortung der Äquinoktien in den Monaten VI und XII eigentlich einem altbabylonischen Schema entspricht und in Texten des

542

Vgl. Kapitel 6.1. Vgl. dazu auch Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography, 151 f., und Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 474 f. 544 Vgl. Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 475. 545 Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 475. 546 Vgl. auch Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 477 f., die darauf verweist, dass der Aufgang des Sternenbildes ikû an einigen Stellen von MUL.APIN nicht mit dem ersten Monat Nisannu in Verbindung gebracht wird, sondern mit dem elften Monat Šabaṭu. 543

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1. Jt. v. Chr. um einen Monat nach hinten verschoben erscheinen.547 Die in Zeile 62 angesprochene Konjunktion der Plejaden und des Mondes, die in der Forschung als „Plejaden-Schaltregel“ bekannt ist, gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass mit der Beobachtung des Mondes und der Sonne tatsächlich ebenfalls eine Schaltregel gemeint sein könnte. Die Nennung beider Schaltregeln lässt zudem den Schluss zu, dass die Gelehrten, die sich mit der Regulierung des Kalenders beschäftigten, beide Regeln simultan nutzten. In Zeile 61 wiederum geht der Text darauf ein, dass das monatlich auftretende (erste) Aufleuchten des Mondes sowie dessen Sichtbarkeit im Verlauf eines Monats beachtet werden müssen – ein Verweis auf den im Laufe der Arbeit mehrfach beschriebenen Umstand, dass ein neuer Monat mit der ersten Sichtbarwerdung der Mondsichel begann und einen synodischen Umlauf lang andauerte. Alle diese astronomischen Phänomene sollen dem Gelehrten letztendlich Antworten geben. Der Grund für die Beachtung der Phänomene wird in Zeile 63 dann auch klar benannt: Die Monate und Tage des Jahres sollen festgemacht werden. Die Schlussfolgerung liegt somit nahe, dass die Beobachtungen und Methoden letztendlich der Etablierung bzw. Regulierung des Kalenders dienten. Der Textausschnitt verdeutlicht im weiteren Verlauf, dass den Gelehrten neben der reinen Beobachtung der Himmelskörper noch weitere Hilfsmittel zur Verfügung standen, um diese Aufgabe zu erfüllen. So sollte im Falle einer Bewölkung – ein Problem, das in den Briefen und Berichten an die assyrischen Könige mehrfach thematisiert wird – auf ein mašqu-Gefäß zurückgegriffen werden. Aus etymologischen Erwägungen heraus folgern D. Brown, J. Fermor und C. Walker, dass es sich dabei um eine Art Wasseruhr gehandelt haben muss.548 Auch der Text Inbu bēl arḫi soll herangezogen werden, wenn es um die Bestimmung des Neumondtages und den Aufgang der neuen Mondsichel geht. Williams weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Referenz insofern ungewöhnlich ist, als es sich bei Inbu bēl arḫi eigentlich um eine Hemerologie handelt, die sich speziell mit den kultischen Angelegenheiten des assyrischen Königshauses auseinandersetzt.549 Ein Zusammenhang mit kalendarischer Regulierung lässt sich aufgrund des Inhalts daher nur schwer herstellen. Gemäß Williams könnte die Phrase „um den Neumondtag und den Aufgang (des Mondes) zu bestimmen“ inhaltlich auch noch zu den beiden vorherigen Zeilen gehören, welche die Nutzung des mašqu-Gefäßes fordern.550 Dies erschiene inhaltlich zwar sinnvoller, beraubte der Nennung von Inbu bēl arḫi aber jedes weiteren Kontextes. Da der Großteil der folgende Zeile 67 vom Schreiber mit dem Vermerk „abgebrochen“ 547

Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 478 und Anm. 13. Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 139 f., leiten mašqu von šaqû – „trinken, (mit Wasser) füllen“ ab. 549 Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 480 f. Vgl. Livingstone, The Magic of Time, 137. 550 Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 481. 548

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

versehen wurde, lässt sich auch nicht mehr feststellen, ob Inbu bēl arḫi vielleicht eher im Zusammenhang mit dieser Zeile zu verorten war. Im Anschluss daran wird die Aufforderung, die Konjunktion der Plejaden und des Mondes im Gedächtnis zu behalten, wiederholt. Die erneute Aufnahme des Themas erklärt sich dadurch, dass in den verbleibenden zwei Zeilen noch einmal die Schaltung des Kalenders aufgegriffen wird. Die Bedeutung von aš-ri šip-ki am Beginn der Zeile 70 bleibt jedoch unklar. Oppenheim lässt die entsprechende Stelle unübersetzt.551 Williams schlägt unter Verweis auf die Übersetzung von šipku als „Horizont“552 vor, die Phrase ašri šipki ebenfalls als „Horizont“ zu übersetzen, macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass die Übersetzung nicht gesichert ist.553 Vor dem inhaltlichen Hintergrund der geforderten Beobachtungen ist die Übersetzung aber zumindest nachvollziehbar. In jedem Fall, so stellt der Text klar, sollen dem Gelehrten die „überzähligen Tage“ (u4.meš diri.meš) bekannt sein. Aus der ersten Schaltregel in MUL.APIN II i 9–24554 wird deutlich, dass damit die Tage gemeint sind, die vom idealen Jahresverlauf abweichen und die Einfügung eines Schaltmonats notwendig machen. Entsprechend verlangt der Text in der letzten Zeile, das Jahr festzumachen und den Kalender notfalls zu schalten. Die letzte Aufforderung, bei allen Maßnahmen aufmerksam und keinesfalls nachlässig zu sein unterstreicht die Wichtigkeit, die der Aufrechterhaltung des korrekten Kalenders zukam. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe bleibt hier genauso wie in anderen Texten zwar unkommentiert, sie ergibt sich aber aus der weiter oben dargelegten Pflicht der Gelehrten, den König vor Unheil zu bewahren. Das Handbuch der Beschwörungskunst betont ausdrücklich, dass die Interpretation von Omina einer zeitlichen Komponente unterlag. Um diese korrekt interpretieren und somit den König und das Reich vor Unheil bewahren zu können, musste auch der Kalender seinem korrekten, idealen Verlauf folgen. Dies wird durch den Brief K 760 des Gelehrten Balasî noch einmal veranschaulicht. Darin warnt er den König davor, dass die Sterne nicht mehr mit dem Verlauf des Jahres übereinstimmen. Da es sich hierbei um eine gefährliche Situation handele, fordert er den König somit auf, einen Schaltmonat einzufügen. Die Regulierung des Kalenders war aber nicht nur für die Omenkunde von Bedeutung. Sie war auch eine Grundvoraussetzung für die Ermittlung der günstigen und ungünstigen Tage, Tageszeiten und Monate, d.h. für die Hemerologie und Menologie.555 Auch dieser Zweig der Gelehrsamkeit wurde im Handbuch der Beschwörungskunst aufgenommen. So folgt den hier in Übersetzung wiedergegebenen Ausführungen eine Tabelle, die alle Monate sowie die drei Nachtwachen 551

Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 205 und Anm. 41. CAD š3, šipku A, 1. d, 71. 553 Williams, Signs from the Sky, Signs from the Earth, 481. 554 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 72–77. 555 Siehe dazu Kapitel 9.2. 552

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aufzählt und ihnen günstige und ungünstige Werte zuteilt. Der inhaltliche Zusammenhang dieser Tabelle mit dem Text des Handbuchs erscheint unklar. Oppenheim sah in dieser Tabelle ein weiteres Hilfsmittel der Divination, das die Gelehrten konsultieren konnten, sollte sich im Rahmen der Divination eine mehrdeutige Situation ergeben.556 Dies erklärt jedoch nicht den militärischen Inhalt der Beischriften dieser Menologie, die auf günstige und ungünstige Zeiten für militärische Aktionen hindeuten.557 Einen entsprechenden Verweis hat Oppenheim in seiner Edition des Textes selbst angegeben.558 In jedem Fall aber verdeutlicht die angefügte Tabelle, dass die Gelehrten auch die günstigen und ungünstigen Zeiten im Blick behalten und darauf achten mussten, dass der König an einem solchen Tag keine Handlungen mit ggf. negativen Konsequenzen durchführt. Auch dieser Aspekt gelehrter Tätigkeit am Königshof wird durch entsprechende neuassyrische Briefe bestätigt.559 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Informationen zum Thema Zeit, die aus dem babylonisch-assyrischen Schrifttum überliefert sind, vornehmlich aus Texten stammen, die der gesellschaftlichen Schicht der Gelehrten zuzurechnen sind. Die Aufgaben der Gelehrten, so wie sie sich für das 1. Jt. v. Chr. darstellen, lagen v.a. darin, dem König beratend zur Seite zu stehen und ihn vor göttlichem Zorn zu bewahren. Letzteres geschah dadurch, dass sie ihre Umwelt konstant im Blick behielten und jedes Omen identifizierten, interpretierten und ggf. rituelle Gegenmaßnahmen einleiteten. Dies geschah etwa durch NamburbiRituale560 oder im Falle schweren Unheils auch durch die vorübergehende Einsetzung eines Ersatzkönigs.561

556

Vgl. Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 207: „Both, a confirmatory and a contradictory situation, would create the need for the diviner to consult the hemerological table offered at the end of the text.“ 557 Ein interessanter Bezug lässt sich hierbei jedoch zu dem achten Feldzugsbericht Sargons herstellen (= TCL 3++). In Kol. I 6–7 enthält der Text folgende Aussagen: „In the month Du’uzu, which establishes the decision of the peoples, the month of the mighty one, the foremost one of Enlil, the overpowering one of the gods, Ninurta, in the month about which Ninšiku, the lord of wisdom, wrote in an ancient tablet (that is favorable) for the gathering of armies (and) the making ready of camps.“ Die Übersetzung stammt von Lenzi, Secrecy and the Gods, 102. Der kurze Textabschnitt beschreibt, dass der Gott Ea die günstigen und ungünstigen Tage für die Durchführung militärischer Aktivitäten auf einer Tafel festgehalten hat. Möglicherweise handelt es sich bei der Tabelle im Diviner’s Manual um einen Auszug aus einer entsprechenden militärischen Hemerologie. 558 Oppenheim, A Babylonian Diviner’s Manual, 209 und Anm. 48. 559 Vgl. Livingstone, The Case of the Hemerologies, 109 f. 560 Vgl. Maul, Zukunftsbewältigung, 4. 561 Vgl. Ambos, Rituale für einen Frühaufsteher, 51 f.

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Ein Faktor in der Interpretation von Omina war der Zeitpunkt ihres Auftretens. So konnte ein Omen an verschiedenen Tagen unterschiedliche Folgen ankündigen, was ggf. Einfluss auf die Wahl der entsprechenden rituellen Gegenmaßnahme haben konnte. Darüber hinaus galt es zu beachten, dass es für bestimmte Handlungen und Vorhaben jeweils günstige und ungünstige, mitunter sogar gefährliche Zeiten gab. Auch dies musste zum Wohl des Königs in Betracht gezogen werden, wie die speziell auf das Königshaus ausgelegte Hemerologie Inbu bēl arḫi zeigt. Damit die Gelehrten ihre Pflichten also auch korrekt ausführen konnten, war es von großer Wichtigkeit, dass der Verlauf der Zeit in Form des Kalenders nicht aus dem angedachten Takt geriet. Um dies zu gewährleisten, gehörte die Überwachung und die ggf. notwendige Regulierung des Kalenders ebenfalls zu den Aufgaben der Gelehrten. Auch wenn die Beschäftigung mit Zeit nicht das eigentliche Ziel babylonisch-assyrischer Gelehrsamkeit darstellte, war es für die Gelehrten doch unabdingbar, sich genauestens mit der Zeit und dem Kalender auseinanderzusetzen. Dadurch erklärt sich, dass sich im babylonisch-assyrischen Schrifttum ein durchaus umfangreiches Wissen um die für den Verlauf der Zeit wichtigen Zyklen widerspiegelt. Aus den natürlichen Zyklen hat sich im Laufe der Zeit ein komplexes System des Kalenderwesens entwickelt, dessen Regulierung, Überwachung und Wirkung in verschiedensten Texten thematisiert wird. So vereinen sich auch die mitunter recht unterschiedlichen Teilkonzepte von Zeit und die vielfältigen Quellen letztendlich im Rahmen der Tätigkeiten der babylonischen und assyrischen Gelehrten. Neben den Gelehrten spielte jedoch mit dem König eine weitere gesellschaftliche Instanz eine herausragende Rolle in der Nutzbarmachung der Zeit. Wieder sind es die neuassyrischen Briefe, welche diese spezielle Rolle des Königs näher beleuchten: K 930562 Vs. 15) [ina ug]u da-re-e 16) [ša] mu.an.na 17) [sa lu]gal iq-bu-ni 18) [ma]-a itikin nid-ri 19) [a]-bu-tu! ku-˹un!˺-na-ta 20) [luga]l be-lí 21) [ina ug]u-ḫi Rs. 1) [lu-u d]a-a-ir! 2) [lugal be-l]í! ú-da 3) [u4.7.k]ám ša itidu6 4) den! il-lab-biš 5) [u4].8.kám ká pa-a-ti

562

Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 253.

7) Die Träger der Zeitkonzepte

139

6) [k]i-i šá itibar[ag den] 7) [a-n]a kaskal.2 ú-nam-[mu]-šu! 8) [par-ṣ]i! šá bàd.d[ingirk]i 9) [ki]-i an-nim-ma ˹e˺-[pu]-šu 10) [ket]-tú mi-i-nu š[i-ti]-ni 11) [lugal] be-lí lip-ru-[u]s 12) [liš-pur-r]a! (…) Vs.

Rs.

15) [Bezüg]lich der Schaltung 16) [des] Jahres, 17) [von der der Kö]nig sprach: 18) „Lasst uns den (Monat) Elūlu schalten!“ 19) [Die An]gelegenheit ist fest. 20) [Der Köni]g, mein Herr, 21) [möge diesbezüg]lich 1) von Dauer sein. 2) [Der König] mein [Herr] weiß, 3) (dass) am [siebten Tag] des Monats Tašrītu 4) Bēl angekleidet wird. 5) Am achten [Tag] ist das Tor geöffnet. 6) [W]ie im Monat Nis[annu wird Bēl] 7) sich [au]f den Weg machen. 8) Die Kultriten von Dēr 9) werden [wi]e diese [aus]geführt. 10) Wahrhaftig, was es zu tun gibt 11) möge [Der König], mein Herr, entscheiden 12) (und diesbezüglich) [schreib]en. (…)

Der Brief demonstriert, dass die Kontrolle über den Kalender nicht bei den Gelehrten lag, sondern beim König. Schon der bereits mehrfach angesprochene Brief des Balasî, in dem er den König eindringlich mahnt, den Kalender zu schalten, legt offen, dass den Gelehrten zwar die Überwachung des Kalenders übertragen wurde, sie aber lediglich eine beratende Funktion einnahmen. Allein der König war dazu befugt, die Regulierung des Kalenders tatsächlich anzuordnen.563 Sobald der König eine entsprechende Entscheidung getroffen hatte, mussten seine Anordnungen in den übrigen Städten des Reiches bekanntgegeben werden. Davon legt der folgende Brief Zeugnis ab:

563

Vgl. Ermidoro, Ruling over Time, 136.

140

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

82-5-22, 98564 Vs. 8) (…) ša man be-lí 9) iš-pur-an-ni ma-a itikin 10) da-a-ri iti an-ni-i 11) par-ṣi la te-ep-pa-šá 12) gi6 ša u4.6.kám mam-˹mu˺-sa-lam 13) a-na ká.dingirki 14) e-tar-ba Rs. 1) [pa]-na-tu-uš-šú 2) u4.3.kám dpa it-tal-[ka] 3) u4.4.kám u4.5.kám u4.6.kám 4) ká pa-an en u dpa 5) pa-ti-ja udu.siskur.meš 6) ep-šá ki-i un-qu 7) ša man en-já a-mur-u-ni 8) ṭè-e-mu a-sa-kan 9) re-eḫ-ti par-ṣi ša itikin 10) iti ša e-ra-ban-ni 11) ki-i ša man be-lí 12) iš-pur-an-ni ep-pu-šú Vs.

Rs.

564 565

8) (…). Bezüglich dessen, was der König, mein Herr 9) mir schrieb: „Der Monat Elūlu 10) ist geschaltet. In diesem Monat 11) führe die Kultriten nicht durch!“ 12–14) In der Nacht des sechsten Tages trat Ammu-salam in Babylon ein. 1) [Vo]r ihm, 2) am dritten Tag, ging Nabû. 3) Am vierten, fünften und sechsten Tag, 4) wurde vor Bēl und Nabû das Tor 5) offengehalten und Opfer 6) wurden dargebracht. Nachdem ich das gesiegelte Dokument 7) des Königs, meines Herren, gesehen hatte, 8) erließ ich die Anweisung 9) den Rest der Kultriten des Elūlu 10) im kommenden Monat565, 11) wie der König, mein Herr 12) mir schrieb, durchzuführen.

Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 357. Wörtl.: „Im Monat, der zu mir eintreten wird“.

7) Die Träger der Zeitkonzepte

141

Der Brief beschreibt, wie die Nachricht eines eingesetzten Schaltmonats die Stadt Babylon erreicht hat. Sogleich wurde angewiesen, den Kultbetrieb entsprechend anzupassen. Dadurch wird deutlich, dass die Einfügung von Schaltmonaten sehr konkrete Auswirkungen auf offizielle, kalendarisch verankerte Ereignisse wie den Kultbetrieb hatte.566

7.1) Mythische Vorbilder Viele gesellschaftlich relevante Ereignisse und Funktionen spiegelten sich in der altorientalischen Götterwelt wider. Im zweiten Teil der Arbeit wurde bereits auf die mythische Ebene Bezug genommen, indem der Ursprung der wahrnehmbaren Zeit thematisiert wurde. Als göttliche Protagonisten galten nach älterer Tradition zunächst die Götter Anu, Enlil und Ea, welche die Himmelskörper erschufen, in ihre Bahnen setzten und somit den Lauf der Zeit wahrnehmbar machten. In einer jüngeren Tradition, die durch das Enūma eliš vertreten wird, übernimmt Marduk diese Rolle im Zuge seiner umfassenden Weltschöpfung. Es stellt sich die Frage, ob die hier dargestellten Aufgaben der Gelehrten und des Königs in Bezug auf die Messung und Regulierung der Zeit auch Anklang auf mythischer Ebene gefunden haben. Schon im 3. Jt. v. Chr. wird der Gott Enki mit Weisheit sowie speziell mit Exorzismus und Magie in Verbindung gebracht.567 Die Rolle als Weisheitsgott blieb in den folgenden zwei Jahrtausenden erhalten und wurde noch erweitert, sodass sich letztendlich alle der weiter oben genannten mesopotamischen Gelehrtendisziplinen auf Enki / Ea zurückgeführt wurden.568 Ea war im 1. Jt. v. Chr. somit der Gott der Gelehrsamkeit und Prototyp des Gelehrten, der sein Wissen auch mit der Menschheit teilte.569 Es lässt sich für das 1. Jt. v. Chr. allerdings kein Hinweis darauf finden, dass Ea in irgendeiner Weise mit der Messung der Zeit und der Regulierung des Kalenders in Verbindung gebracht wurde. Zwei vereinzelte Belege sind allerdings in literarischen Texten des 2. Jt. v. Chr. erhalten: zum einen in Atram-ḫasīs und zum anderen in dem sumerischen Text Enki und die Weltordnung. Am Anfang der dritten Tafel des Atram-ḫasīs-Mythos fragt der gleichnamige Protagonist den Gott Enki / Ea nach der Bedeutung eines Traumes, den er gesehen 566

Vgl. Steele, Living With a Lunar Calendar, 378. Lenzi, Secrecy and the Gods, 105 f. 568 Vgl. Lenzi, Secrecy and the Gods, 77–103, der dort die einzelnen Disziplinen und ihre Corpora vorstellt und aufzeigt, wie die Vertreter der Disziplinen ihre Berufsgruppe durch den Rückbezug zu Enki / Ea legitimierten. Weiterhin macht Lenzi auf S. 103 darauf aufmerksam, dass zumindest zwei der Disziplinen, nämlich barûtu und ṭupšarrūtu, wohl erst sekundär mit Ea in Verbindung gebracht wurden. 569 Dies zeigt z.B. der auf S. 127 f. bereits vorgestellte Text Catalogue of Texts and Authors, in dem mehrere der dort aufgelisteten Texte auf Ea zurückgeführt werden. Vgl. auch Lenzi, Secrecy and the Gods, 106. 567

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

hat. Enki / Ea erklärt daraufhin in seiner bekannten Rede an die Rohrwand die Bedeutung des Traums. Dadurch enthüllt er Atram-ḫasīs die Pläne der Götter bezüglich der kommenden Sintflut. Im Zuge der Traumdeutung findet sich folgende kurze Textpassage: Atram-ḫasīs III, i 36 f.570 36) ip-te ma-al-ta-ak-ta šu-a-ti ú-ma-al-li 37) ba-a-aˀ a-bu-bi 7 mu-ši-šu iq-bi-šu 36) Er öffnete die Wasseruhr und füllte diese. 37) Das Kommen der Flut verkündete er ihm für die siebte Nacht. D. Brown, J. Fermor und C. Walker nehmen in ihrem Artikel The Waterclock in Mesopotamia ebenfalls auf diese Textstelle aus Atram-ḫasīs Bezug. Sie erläutern, dass es sich bei maltaktu um ein Instrument handelt, mit dem die Zeit gemessen wurde.571 Ob dieses Instrument ausschließlich mit Wasser oder auch mit Sand gefüllt gefüllt werden konnte, ist dagegen nicht eindeutig ersichtlich.572 In jedem Fall zeigt der vorliegende Kontext, dass der Gott Enki / Ea durchaus mit der Nutzung eines Zeitmessinstruments in Verbindung gebracht wurde. Die Textstelle veranschaulicht zudem, dass die entsprechenden Instrumente nicht dazu gedacht waren, die verrinnende Zeit im Allgemeinen zu messen. Sie dienten vielmehr dazu den Ablauf eines zuvor definierten Zeitrahmens zu bestimmen.573 Brown et al. verweisen in dem Zusammenhang auch auf die Etymologie von maltaktu, bei dem es sich um ein Nomen instrumenti zu latāku – „versuchen, ausprobieren“ bzw. „to check“ handelt.574 Einen deutlicheren Hinweis auf die Verbindung von Enki / Ea mit der Zeit gibt ein sumerischer Mythos, der als Enki und die Weltordnung bekannt ist. Der Mythos wurde möglicherweise in der Isin-Zeit zu Beginn des 2. Jt. v. Chr. verfasst.575 Der Text erzählt davon, wie Enki von Enlil die Befähigung erhält, die Schicksale zu bestimmen. Enki begibt sich daraufhin auf die Reise und bestimmt dem Land Sumer sowie den angrenzenden Regionen Magan, Meluḫḫa und Dilmun die Schicksale. Nach seiner Rückkehr nach Sumer teilt er bestimmten Göttern ihre spezifischen Funktionen zu. Am Ende des erhaltenen Textes beklagt Inanna, dass Enki ihr kein Schicksal zugewiesen hat. Enki antwortet auf die Klage mit einer 570

Lambert – Millard, Atra-ḫasīs, 90. Brown et al., The Waterclock in Mesopotamia, 132 f. 572 Vgl. AHw II, maltaktu(m), 596. 573 Vgl. Brown et al., The Waterclock in Mesopotamia, 130–132. 574 Brown et. al., The Waterclock in Mesopotamia, 132. Für die Übersetzungen siehe CAD l, latāku 2., 111, und AHw I, latāku(m), 540. Zu Nominalbildungen des Typs maprast und ihrer Deutung als Nomina instrumenti siehe von Soden, GAG, §56 c. 575 Espak, The God Enki, 96, mit Verweis auf Emelianov, Calendar Ritual in Sumerian Religion and Culture, 298 f. (Original in russischer Sprache). 571

7) Die Träger der Zeitkonzepte

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Rede, deren Ende allerdings nicht erhalten ist.576 Der Text beginnt mit einer hymnischen Preisung des Enki, aus der auch die folgenden Zeilen stammen: Enki und die Weltordnung, 17–19577 17) u4 šid-e iti é-ba ku4-ku4 mu šu du7-du7 18) mu šu du7 ukkin-e eš-bar šúm-mu-da 19) eš-bar kíĝ u4-da si sá-sá-e-da 17) (Enki), der die Tage zählt, den Monat in das Haus eintreten (lässt), der das Jahr vollendet, 18) um das vollendete Jahr der Versammlung zur Entscheidung vorzulegen; 19) der die Entscheidung sucht, um die Tage zu regulieren. Der kurze Textabschnitt verdient an dieser Stelle eine nähere Betrachtung, da er in der bisherigen Forschung zum Thema Zeit nur wenig Beachtung gefunden hat, dafür aber einige weitere Rückschlüsse auf bisher aufgeworfene Fragen und Beobachtungen zulässt. Bereits die erste Zeile des Textabschnittes stellt Enki als Verantwortlichen für den Ablauf der primären Zeiteinheiten und deren Überwachung dar. Er zählt die verstreichenden Tage, lässt daraufhin den Monat in sein „Haus“578 eintreten und vollendet letztendlich auch das Jahr. Nachdem Enki den Lauf der Zeit gemessen und das Jahr zur Vollendung gebracht hat, legt er das vollendete Jahr einer (Götter-)Versammlung zur Entscheidung über die weitere Regulierung des Kalenders vor.579 Zum Vergleich sei an dieser Stelle nochmals auf den Text KUB IV 47, Rs. 36 f. verwiesen, dem ältesten akkadisch-sprachigen Beleg für die in Enūma Anu Enlil 576

Inhaltsangabe in Anlehnung an Averbeck, Myth, Ritual, and Order in “Enki and the World Order”, 757. 577 Transliteration nach ETCSL (letzter Zugriff am 18.03.2019), http://etcsl.orinst.ox.ac. uk/cgi-bin/etcsl.cgi?text=c.1.1.3&display=Crit&charenc=gcirc#. 578 Diese sprachliche Wendung begegnete bereits in Kapitel 4.1.2.1 Es liegt nahe, dass hiermit die Zeitspanne gemeint ist, in der der Mond von der Erde aus betrachtet nicht zu sehen ist und die im babylonischen Kalendersystem wiederum die letzten Tage eines Monats markiert, bevor die schmale Mondsichel von Neuem zu sehen ist und ein neuer Monat beginnt. 579 Die Götterversammlung nach Abschluss eines Jahres weckt auch Assoziationen an das babylonische Neujahrsfest im Nisannu, wie es aus hellenistischer Zeit bekannt ist. Im Zuge des Festes musste der König am fünften Tag der Feierlichkeiten im Esagil vor Bēl beteuern, dass er nicht nachlässig gegenüber den Göttern, Babylon und deren Bewohnern war (Vgl. Linssen, The Cults of Uruk and Babylon, 82). Im Gegenzug entschieden die Götter in zwei Versammlungen dem König und dem Land das Schicksal. Linssen, The Cults of Uruk and Babylon, 71, schreibt diesbezüglich: „The main purpose of the festival was for the ruler to be reaffirmed in his office by the gods, and for his people to be assured of another peaceful and prosperous year.“

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

verbreitete Tradition, die Götter Anu, Enlil und Enki / Ea mit der Einrichtung der wahrnehmbaren Zeit in Verbindung zu bringen.580 Gemäß KUB IV 47 schufen Anu und Enlil die Himmelskörper; Ea verlieh ihnen anschließend Höhe. Der hier diskutierte Textausschnitt aus Enki und die Weltordnung stellt damit einen noch älteren Beleg für die Vorstellung dar, Enki mit dem Lauf der Zeit in Verbindung zu bringen. Die Überwachung des Zeitverlaufs durch Enki / Ea spiegelt sich möglicherweise auch in der Zuordnung der Sterne in den Zwölfmaldrei-Texten wider. So wurde in Astrolab B der erste Stern, der das neue Jahr anzeigte, beispielsweise Enki / Ea zugeordnet. 581 P. Steinkeller bezeichnet Enki im Kontext dieser Zeilen als „Master of Time“ und „a kind of Mesopotamian Chronos“.582 Die Zuschreibung greift jedoch zu weit. Weder wird Enki direkt als zeitgebende Gottheit dargestellt noch direkt mit der Etablierung der Zeit in Verbindug gebracht. Stattdessen tritt Enki vielmehr in der Rolle eines Gelehrten auf. Enki misst, bzw. zählt die verstreichenden Tage und sucht letztendlich die Entscheidung, wie der Verlauf der Zeit weiterhin zu regulieren sei. Die Regulierung führt er jedoch nicht selbstständig aus, sondern lässt sie im Rahmen einer Götterversammlung treffen. Dieses Vorgehen konnte anhand der Quellen des 1. Jts. v. Chr. bereits für die Gelehrten am assyrischen Königshof gezeigt werden. Auch diese überwachten zwar den Verlauf der Zeit und gaben dem König entsprechende Ratschläge, sie trafen aber nicht die endgültige Entscheidung bezüglich der Regulierung des Kalenders.583 Die vorliegende Textstelle legt dementsprechend den Schluss nahe, dass die Mechanismen zur Regulierung des Kalenders, wie sie uns im 1. Jt. v. Chr. begegnen, ebenfalls wesentlich älter sind und im Laufe des 2. und 1. Jt. v. Chr. weitgehend unverändert beibehalten wurden. Beachtenswert ist auch die Wortwahl im Hinblick auf die Kalenderregulierung: Der Text nutzt das Verb si--sá, das mit dem akkadischen Wort ešēru, bzw. šutēšuru wiedergegeben wird und die grundlegende Bedeutung „etw. gerademachen“, „etw. in Ordnung bringen“ hat. Auch in dem Kolophon des ZwölfmaldreiTextes BM 82923 wird si--sá als Logogramm genutzt, um anzugeben, dass Nacht und Tag wieder korrekt aufgestellt, d.h. also durch Schaltung wieder mit dem idealen Zeitverlauf in Übereinstimmung gebracht werden sollen.584 Indirekt wird so-

580

Siehe Kapitel 5.1. Siehe Kapitel 4.1.2.3 für die sog. „Astrolabien“ und speziell S. 50–52 für Astrolab B. 582 Steinkeller, Luck, Fortune, and Destiny in Ancient Mesopotamia, 11. 583 Siehe hierzu auch die Ausführungen bei Lenzi, Secrecy and the Gods, 27–64, in der er die Analogie zwischen der Götterversammlung und dem Beraterstab des Königs herausgearbeitet und auf die Bedeutung der Divination als Bindeglied zwischen göttlicher und irdischer Versammlung verwiesen hat. 584 BM 82923 37) šá níg.pàd.da gi6 u u4 si.sá.a gub.ba – „Aus einem Kommentar um Nacht und Tag korrekt hinzustellen“. 581

7) Die Träger der Zeitkonzepte

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mit auch in Enki und die Weltordnung Bezug genommen auf die angedachte Idealität des Zeitverlaufs sowie auf das Bestreben, den tatsächlichen Verlauf des Kalenders wieder mit dem idealen Zustand in Einklang zu bringen und somit die ursprüngliche kosmische Ordnung wiederherzustellen.585 In den drei kurzen hier diskutierten Zeilen des Textes spiegeln sich also bereits irdischen Verhältnisse wider, wie sie sich anhand von Briefen für das 1. Jt. v. Chr. feststellen lassen. Enki erfüllt damit genau die Aufgaben, die den Gelehrten zugedacht waren. Er behält den Verlauf der Zeit im Auge und reguliert den Kalender anhand des Maßstabs der Idealität. Wie bereits erwähnt, ist die Funktion von Enki / Ea als Regulator des Kalenders in den Quellen des 1. Jt. v. Chr. nicht mehr direkt nachweisbar, auch wenn sich seine Stellung als Gott der Weisheit und der Gelehrsamkeit keineswegs geändert hat. Der Text Enki und die Weltordnung als Ganzes weist zentrale Motive auf, die sich später auch im Enūma eliš finden lassen. Dazu zählt beispielsweise, dass Enki dazu ermächtigt wird, Schicksale zu bestimmen. Darüber hinaus nutzt er die ihm gegebenen Befugnisse, um den Weltgegenden und einzelnen Göttern ihre Funktionen zuzuweisen. Diese Aufgaben und Funktionen werden im Enūma eliš auf Marduk übertragen, der anschließend im Zuge seiner Schöpfungen auch die Grundlagen für die Wahrnehmung der Zeit und ihrer Messung in Form eines Kalenders etabliert. Als regulierende Kraft tritt jedoch auch Marduk nicht direkt in Erscheinung. Lediglich sein Stern Nēberu erfüllt in dem Zusammenhang fest definierte Aufgaben. Möglicherweise war die Aufgabe der Kalenderregulierung so selbstverständlich in die übrigen Aufgaben der Gelehrten eingebettet, dass sie im 1. Jt. v. Chr. keine besondere Erwähnung mehr in den theologischen Texten gefunden hat. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass sich diese Aufgabe auf die Gruppe der mit Enki / Ea assoziierten apkallū verlagert hat. Zu Beginn des Kapitels wurde bereits dargelegt, dass sich die Gelehrten, allen voran die ummânū, auf die vorsintflutlichen apkallū zurückführten und durch die Etablierung einer bis in vorsintflutliche Zeiten zurückführenden Tradition auch legitimierten. Auch wenn die Liste der apkallū aus Uruk, die eine direkte Verbindung zwischen den irdischen ummânū und den apkallū herstellt, eine vergleichsweise späte Erscheinungsformen darstellt, ist es doch wahrscheinlich, dass die darin verarbeitete Tradition auch schon in der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. bestanden hat.586 In diesem Zusammenhang sei auf einen kleinen Textausschnitt aus der dritten Tafel der Serie Bīt mēseri hingewiesen, der eine Beschwörung an die im Rahmen des Rituals verwendeten Abbilder der sieben Weisen enthält.587 Die Beschwörung ist zweisprachig und enthält folgenden Passus: 585

Vgl. dazu auch Kapitel 6.4. Siehe Lenzi, Secrecy and the Gods, 113–120. 587 Siehe Borger, Die Beschwörungsserie bīt mēseri, 192 f. und Reiner, The Etiological Myth of the ‘Seven Sages’. 586

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Bīt mēseri III, 7–9588 7) [7 nun.me] i7.da mú.mú.da giš.ḫur an ki-a si.sá-ne 8) [si-b]it ap-kal-lu šá ina na-a-ri ib-ba-nu-ú 9) muš-te-ši-ru ú-ṣu-rat an-e ù ki-tim 7–9) [Die sie]ben apkallū, die im Fluss entstanden sind, die die Pläne des Himmels und der Erde in Ordnung halten. Die Phrase giš.ḫur an.ki-a / uṣurāt šamê u erṣetim begegnete u.a. bereits im Kontext der Etablierung der Zeit in der fünften Tafel des Enūma eliš. Dort richtete Marduk die primären Zeiteinheiten mit ihren Gesetzmäßigkeiten ein, indem er die Pläne zeichnete. Auch in anderen mythischen Texten wird ersichtlich, dass die wahrnehmbare Zeit ein Teil der Pläne des Himmels und der Erde ist. In der vorliegenden Textstelle sind es die mythischen Weisen, die diese Pläne des Himmels und der Erde durch ihr Wirken in Ordnung halten. Zwar weist der hier vorliegende Textabschnitt keinen direkten Bezug zur Etablierung oder Erhaltung des Kalenders auf. Dennoch konnte bereits gezeigt werden, dass die menschlichen Gelehrten, die sich in ihrer Tätigkeit als Nachfolger der apkallū betrachteten, ebenfalls dieser Aufgabe nachgingen. Durch die konstante Überwachung der Himmelskörper und den Abgleich mit den idealen, ihnen zugedachten Zyklen, hielten die Gelehrten den Kalender in Ordnung und achteten darauf, dass die ursprünglich von den Göttern etablierten Pläne des Himmels und der Erde eingehalten wurden. Die Textstelle deutet hypothetisch daraufhin, dass die entsprechenden Tätigkeiten auf die apkallū zurückgeführt wurden.

588

Transliteration nach Reiner, The Etiological Myth of the ‘Seven Sages’, 2.

8) Die Organisation der Zeit Im vorangegangenen Kapitel konnte herausgestellt werden, dass sich die Gelehrten mit dem Phänomen der Zeit auseinandergesetzt haben, um den Kalender aufrechterhalten zu können, der für Ihre Aktivitäten von essenzieller Bedeutung war. Im folgenden Kapitel sollen daher die Organisation der Zeit in Zeiteinheiten sowie die Methoden der Zeitmessung und das Kalenderwesen näher betrachtet werden. Zwar wurde das Kalenderwesen in der Forschung schon intensiv behandelt, doch da der Kalender die Grundlage für die gesellschaftliche Verortung des Phänomens Zeit darstellt, soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick gegeben werden.

8.1) Zeitmessung und Zeiteinheiten Aus den Zyklen der Himmelskörper, allen voran des Mondes, wurden die primären Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr abgeleitet, die aufgrund ihrer Regelmäßigkeit das primäre System der Zeitwahrnehmung darstellen.589 Aus ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen wurden die Zeiteinheiten in Form von Kalendersystemen systematisiert. Diese Systeme treten bereits mit dem Einsetzen der Schriftkultur in Mesopotamien zutage.590 Die Voraussetzung dafür, ein Kalendersystem zu etablieren und aufrechtzuerhalten, ist die Möglichkeit, den Lauf der Zeit wahrnehmen und messen zu können. Für die unterschiedlichen Zeiteinheiten, aber auch für unterschiedliche Situationen, wurden dabei mitunter verschiedene Methoden der Zeitmessung genutzt.

8.1.1) Beobachtung Die Bewegungen und Zyklen der Himmelskörper stellten die Basis für die Zeitwahrnehmung dar. Dementsprechend bildete die Beobachtung der Himmelskörper auch die grundlegendste Methode der Zeitmessung.591 Vor allem die Beobachtung des Mondes spielte dabei eine wesentliche Rolle. Ein neuer Monat begann offiziell an dem Abend, an dem der Mond nach seiner Phase der Unsichtbarkeit das erste Mal als schmale Mondsichel wieder sichtbar wurde.592 Der kalendarische Monat entsprach damit einem synodischen Monat. Durch die dem synodischen Monat zugrunde liegende Varianz konnte der Mond nach seiner Phase der Unsichtbarkeit allerdings entweder am Abend des 30. Tages 589

Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 113 f. Vgl. Selz, Vom „vergangenen Geschehen“ zur „Zukunftsbewältigung“, 467 f. Vgl. auch Katz, Time in Death and Afterlife, 117. 591 Vgl. Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 66. 592 U.a. Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 4; Brack-Bernsen, The 360Day Year in Mesopotamia, 83; Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 143, und Beaulieu, The Impact of Month-lengths, 66. 590

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

oder aber auch schon am Abend des 29. Tages sichtbar werden, wobei die Abfolge der unterschiedlich langen Monate äußerst irregulär verlief.593 Diesem Umstand war es auch geschuldet, dass der Beginn eines jeden Monats durch Beobachtung festgelegt werden musste.594 Die Beobachtung des Mondes zur Bestimmung eines neuen Monats lässt sich anhand zahlreicher entsprechender Aussagen in den Briefen und Berichten aus dem Palastarchiv von Niniveh nachvollziehen.595 83-1-18, 278596 Vs. 1) [a-na lugal en-ja] 2) [árad-k]a m[na-bu-u-a] 3) [d]ak u d[amar.utu] 4) [a]-na lugal en-ja 5) lik-ru-bu 6) u4.29.kám 7) ma-ṣar-tu 8) ni-ta-ṣar Rs. 1) d30 né-ta-mar Vs.

Rs.

1) [Für den König, meinen Herren], 2) de[in Diener Nabû’a] 3) Nabû und [Marduk] 4) mögen [d]en König, meinen Herren, 5) segnen. 6) (Am) 29. Tag 7/8) haben wir Wache gehalten; 1) Sîn haben wir gesehen.

Der Umstand, dass ein neuer Monat am Abend mit der ersten Sichtbarwerdung des Mondes bestimmt wurde, zeigt zudem, dass auch der kalendarische Tag am Abend begann. Einen weiteren Hinweis darauf geben die astronomischen Tagebücher, die zuerst die Ereignisse des Abends und der Nacht aufzählen und sich danach erst den Ereignissen des (hellen) Tages zuwenden.597 Einen weiteren, wenn auch weniger deutlichen Hinweis auf den Beginn eines neuen Tages am Abend, sieht M. P. Streck in dem Text 83-1-18, 9. Es handelt sich dabei um einen 593

Vgl. u.a. Steele, Making Sense of Time, 479, und Beaulieu, The Impact of Monthlengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67. Siehe auch Kapitel 6.2. 594 Beaulieu, P.-A., The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 66 f. 595 Vgl. Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 135, und Steele, Making Sense of Time, 472. 596 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 126. 597 Streck, Tag, Tageszeiten, 403, mit Verweis auf Sachs, Astronomical Diaries 1, 13.

8) Die Organisation der Zeit

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Brief des Gelehrten Issar-šumu-ereš an den assyrischen König, der die Durchführung eines Eides thematisiert. 83-1-18, 9598 Rs. 1) ú-la-a lugal be-li 2) i-qab-bi 3) lil-li-ku dul-la-šú-nu 4) le-e-pu-šu 5) li-ri-qu-u-ni 6) u4.15.kám li-kar-ku 7) lil-lik-ú-ni 8) gab-bu am-ma-ka 9) ki-i a-ḫe-iš 10) ina šà-bi a-de-e le-e-ru-bu 11) ù ki-i an-nim-ma 12) ina bi-ib-la-a-ni 13) ša itibára! šà-ṭir 14) u4.15.kám la i-ta-am-ma! 15) [di]ngir! i-ṣa-bat-s[u!] 16) u4.15.kám ina kal-[la-ma-ri] 17) ina šà a-de-e le-e-[ru-bu] 18) gi6 ša u4.˹16˺.[kám] 19) ina igi mul.meš liš-ku-[nu] Rs.

598

1) Oder der König, mein Herr 2) befiehlt: 3) Sie mögen gehen, ihre Arbeit 4) verrichten 5) (und dann) wieder frei sein. 6) Am 15. Tag sollen sie augenblicklich599 7) kommen; 8) alle sollen dort 9) zusammen 10) in den Eid eintreten. 11) Aber dies 12) ist in den Hemerologien600 13) zum Nisannu geschrieben: 14) „Am 15. Tag darf er nicht schwören, 15) ein [Go]tt wird ih[n] ergreifen!“

Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 6. Unklar. Vgl. CAD k, karāku 3, 199. 600 Siehe CAD b, biblu C, 222. 599

150

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

16) Am 15. Tag, am frü[hen Morgen] 17) mögen sie in den Eid ein[treten] 18) (aber) in der Nacht des 16. Tages 19) im Angesicht der Sterne mögen sie (ihn erst) able[gen]. Der Brief sagt aus, dass gemäß eines hemerologischen Textes am 15. Tag des Nisannu kein Eid geschworen werden sollte. Der Gelehrte gibt dem König daraufhin den Ratschlag, die Leute zwar am frühen Morgen des 15. Tages mit dem Leisten des Schwurs beginnen zu lassen, jedoch so, dass die Vollendung erst in der Nacht des 16. Tages stattfindet. Daraus kann man schließen, dass der genannte 15. Tag am Abend sein Ende finden und somit in der Nacht der 16. Tag beginnen konnte.601 Der Text stellt für sich allein noch keinen Beweis für den Beginn eines neuen Tages am Abend dar, denn der 16. Tag könnte theoretisch auch am Morgen begonnen haben. Zusammen mit den bereits genannten Hinweisen wird jedoch deutlich, dass hier mit der Nacht des 16. Tages wohl auch dessen Beginn gemeint ist. Der genaue Beginn eines neuen Tages wird in den Texten nicht genannt. In der bisherigen Forschung wird jedoch zumeist der Zeitpunkt des Sonnenuntergangs als Beginn des Tages deklariert – ohne dies jedoch näher zu erläutern.602 Anhand des in Kapitel 4 und 5 besprochenen Quellenmaterials liegt der Schluss nahe, dass der Mond der primäre Bezugspunkt für den Tagesbeginn war.603 Die besprochenen Quellen zeigen dezidiert auf, dass der Mond mit der Bestimmung des Tages in Verbindung gebracht wurde. Da auch der erste Tag eines neuen Monats mit der Sichtbarwerdung der Mondsichel begann, liegt der Schluss nahe, den Beginn des Tages ebenfalls mit der Sichtbarwerdung des Mondes in Verbindung zu bringen. Auch die Sterne spielten für die Wahrnehmung der Zeit und die Überwachung des idealen Zeitverlaufs eine bedeutende Rolle. So sollte anhand des Sternes mul iku bspw. der Beginn des neuen Jahres bestimmt werden.604 Auch die bereits beschriebenen ziqpu-Sterne kamen – neben ihrer kalendarischen Verankerung – bei der Messung der Zeit zur Anwendung.605 Sobald ersichtlich wurde, welcher Stern zu Beginn der Nacht kulminierte, konnten weitere Zeitintervalle der Nacht

601

Vgl. Streck, Tag, Tageszeit, 403. Siehe u.a. Smith, Babylonian Time Reckoning, 74; Linssen, The Cults of Uruk and Babylon, 25; Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 66; Sallaberger, Der kultische Kalender der Ur III-Zeit, 5, und Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 107. 603 So auch Steele, Making Sense of Time, 471, und Verderame, The Moon and the Power of Time Reckoning, 127. 604 Vgl. S. 52. 605 Steele, Short Time in Mesopotamia, 98 f. 602

8) Die Organisation der Zeit

151

durch die danach aufsteigenden Sterne bestimmt werden.606 So werden in MUL. APIN bspw. die ziqpu-Sterne mit weiteren danach aufgehenden Sternen erwähnt.607 D. Brown macht darauf aufmerksam, dass diese Art der Zeitmessung voraussichtlich die Nutzung der Wasseruhr komplementierte bzw. die Intervalle zwischen den Aufgängen von ziqpu-Sternen möglicherweise auch durch die Messung mit einer Wasseruhr bestimmt wurden.608

8.1.2) Messung Um die primären Zeiteinheiten Jahr, Monat und Tag festzulegen, reichte die einfache Beobachtung aus. Wie soeben am Beispiel der ziqpu-Sterne verdeutlicht, verlangten einige Aktivitäten aber mitunter präzisere Zeitangaben.609 Für die weitere Unterteilung des Tages oder andere, kleinere Zeitintervalle war daher eine präzisere Form der Zeitmessung nötig. Diese erfolgte im 1. Jt. v. Chr. auf zweifache Weise: „There are two basic methods of measuring time in ancient cultures. On the one hand we have the water clock where the amount of outflowing water helps to subdivide the day. On the other hand, we meet with the gnomon, i.e. a vertical stick or pole casting a shadow whose varying length is again put into relationship with the length of the pole. Since antiquity both methods have been used alternatively, the gnomon during the day and the water-clock at night.“610 Die Nutzung eines Gnomons zur Bestimmung der Tageslänge lässt sich aus schematischen Tabellen ableiten, welche die Schattenlänge an bestimmten Tagen des Jahres abbilden. Eine solche Tabelle findet sich bspw. in MUL.APIN.611 MUL.APIN II, ii 21–40612 21) diš ina itibára u4.15.kam 3 ma.na en.nun u4-mi 3 ma.na en.nun gi6 22) 1 ina 1 kùš gišmi 21/2 danna u4-mu 23) 2 ina 1 kùš gišmi 1 danna 7 uš 30 ninda u4-mu 24) 3 ina 1 kùš gišmi 2/3 danna 5 uš u4-mu 25) diš ina itišu u4.15.kam 4 ma.na en.nun u4-mi 2 [ma.na] en.nun gi6 606

Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 111. Siehe auch Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 112. 608 Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 111 f. 609 Vgl. Verderame, Le calendrier et la mesure du temps, 122, und Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 116. 610 Falk, Measuring time in Mesopotamia and ancient India, 109. 611 Erstmals publiziert wurde die Schattentabelle von Weidner, Ein babylonisches Kompendium der Himmelskunde, 186–208. Vgl. auch Falk, Measuring time in Mesopotamia and ancient India, 114., und Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 120. 612 Hunger – Pingree, MUL.APIN, 96–101. 607

152

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

1 ina 1 kùš gišmi 2 danna u4-mu 2 ina 1 kùš gi[šmi 1 dan]na u4-mu 3 ina 1 kùš gišmi 2/3 danna u4-mu 4 ina 1 kùš gišmi 1/2 danna u4-mu 5 ina 1 kùš gišmi 12 uš u4-mu 6 ina 1 kùš gišmi 10 uš u4-mu 8 ina 1 kùš gišmi 7 uš 30 ninda u4-mu 9 ina 1 kùš gišmi 6 uš 40 ninda u4-mu 10 ina 1 kùš gišmi 6 uš u4-mu diš ina itidu6 u4.15.kam 3 ma.na en.nun u4-mi 3 ma.na en.nun gi6 1 ina 1 kùš gišmi 21/2 danna u4-mu 2 ina 1 kùš gišmi 1 danna 7 uš 30 ninda u4-mu 3 ina 1 kùš gišmi 2/3 danna 5 uš u4-mu diš ina itiab u4.15.kam 2 ma.na en.nun u4-mi 4 ma.na en.nun gi6 1 ina 1 kùš gišmi 3 danna u4-mu 2 ina 1 kùš gišmi 11/2 danna u4-mu 3 ina 1 kùš gišmi 1 danna u4-mu 4 ina 1 kùš gišmi 2/3 danna 2 uš 30 ninda u4-mu 38) 5 ina 1 kùš gišmi 18 uš u4-mu 6 ina 1 kùš gišmi 1/2 danna u4-mu 39) 8 ina 1 kùš gišmi 11 uš 15 ninda u4-mu 9 ina 1 kùš gišmi 10 uš u4-mu 40) 10 ina 1 kùš gišmi 9 uš u4-mu 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

21) Wenn im Nisannu, am 15. Tag, 3 Minen Tagwache und 3 Minen Nachtwache (sind): 22) Eine von einer Elle Schatten: 21/2 Doppelstunden (sind) Tag; 23) zwei von einer Elle Schatten: 1 Doppelstunde, 7 uš und 30 ninda (sind) Tag; 24) drei von einer Elle Schatten: 2/3 Doppelstunde und 5 uš (sind) Tag. 25) Wenn im Duˀūzu, am 15. Tag, 4 Minen Tagwache und 2 [Minen] Nachtwache (sind): 26) Eine von einer Elle Schatten: 2 Doppelstunden (sind Tag); zwei von einer Elle [Schatten: 1 Doppel]stunde (ist) Tag; 27) drei von einer Elle Schatten: 2/3 Doppelstunden (ist) Tag; vier von einer Elle Schatten: 1/2 Doppelstunde (ist) Tag; 28) fünf von einer Elle Schatten: 12 uš (sind) Tag; sechs von einer Elle Schatten: 10 uš (sind) Tag; 29) acht von einer Elle Schatten: 7 uš und 30 ninda (sind) Tag; 30) neun von einer Elle Schatten: 6 uš und 40 ninda (sind) Tag; zehn von einer Elle Schatten: 6 uš (sind) Tag. 31) Wenn im Tašrītu, am 15. Tag, 3 Minen Tagwache und 3 Minen Nachtwache sind: 32) Eine von einer Elle Schatten: 21/2 Doppelstunden (sind) Tag; 33) zwei von einer Elle Schatten: 1 Doppelstunde, 7 uš und 30 ninda (sind) Tag; 34) drei von einer Elle Schatten: 2/3 Doppelstunde und 5 uš (sind) Tag. 35) Wenn im Ṭebētu 2 Minen Tagwache und 4 Minen Nachtwache sind: 36) Eine von einer Elle Schatten: 3 Doppelstunden (sind) Tag; zwei von einer Elle Schatten: 11/2 Doppelstunden (sind) Tag;

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37) drei von einer Elle Schatten: 1 Doppelstunde (ist) Tag; vier von einer Elle Schatten: 2/3 Doppelstunde, 2 uš und 30 ninda (sind) Tag; 38) fünf von einer Elle Schatten: 18 uš (sind) Tag; sechs von einer Elle Schatten: 1/2 Doppelstunde (ist) Tag; 39) acht von einer Elle Schatten: 11 uš und 15 ninda (sind) Tag; neun von einer Elle Schatten: 10 uš (sind) Tag; 40) zehn von einer Elle Schatten: 9 uš (sind) Tag. Der Textabschnitt zeigt, wie die Länge eines Tages an den beiden Äquinoktien und Solstitien anhand der Gleichsetzung mit der Länge des Schattens bestimmt wurde. Daraus ergeben sich drei Maßangaben, in denen die Zeit gemessen wurde: bēru, UŠ und ninda.613 Alle drei Zeiteinheiten sind ursprünglich Distanzangaben.614 Bēru ist wohl die geläufigste Einheit und bezeichnet eine Doppelstunde.615 Die Länge zeigt sich daran, dass der Tag sich in insgesamt zwölf bēru aufteilte.616 UŠ stellt 1/30 einer Doppelstunde dar, also ca. vier Minuten.617 Ein UŠ wiederum entspricht 60 ninda.618 Bei der Schatten-Tabelle in MUL.APIN handelt es sich allerdings ebenfalls um ein ideal scheme, wie es in Kapitel 6 beschrieben wurde.619 Schon Neugebauer hat festgestellt, dass die Tabelle primär auf Berechnung beruht und weniger auf tatsächlicher Messung. Dies zeige sich u.a. daran, dass nach Neugebauer die Daten für das Winter- und das Sommersolstitium vertauscht wurden. Wie Neugebauer selbst dargelegt hat, impliziert diese Interpretation allerdings, dass der Mittagsschatten an allen vier Kardinalpunkten des Jahres gleich lang ist. Dies kann aufgrund der im Laufe des Jahres unterschiedlichen Höhe der Sonne am Himmel nicht mit den realen Gegebenheiten übereinstimmen.620 Friberg lehnt die Interpretation Neugebauers in seinem zusammen mit Hunger und Al-Rawi verfassten Artikel Seed and Reeds, 498 f. ab. Er argumentiert stattdessen, dass die Zeiteinheiten bēru und UŠ in diesem Text als Temporalstunden oder Seasonal Hours aufzufassen seien, die unabhängig von der Jahreszeit immer

613

Vgl. Steele, Short Time in Mesopotamia, 97 f. Vgl. van den Hout, Maße und Gewichte, 467. 615 Smith, Babylonian Time Reckoning, 74. 616 Van den Hout, Maße und Gewichte, 467. 617 Smith, Babylonian Time Reckoning, 75. Siehe u.a. auch Rochberg-Halton, Babylonian Seasonal Hours, 147. UŠ erfüllte insgesamt die Funktion einer terrestrischen Distanz (ca. 360 m), einer Zeiteinheit (4 Min.) und auch einer himmlischen Distanz (1°). Siehe Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 109. 618 Hunger, Zeitmessung, 311. 619 Für eine kurze Zusammenfassung der damit zusammenhängenden Diskussion und Forschungsmeinungen siehe Hunger, Zeitmessung, 313 f. 620 Neugebauer, A History of Ancient Mathematical Astronomy, 544 f. Vgl. Auch Hunger – Pingree, MUL.APIN, 153. 614

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

1

/12 eines Tages darstellen.621 Dies hat wiederum zur Folge, dass sie in den verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlich lang sind.622 Der erste eindeutige Hinweis auf die Verwendung von seasonal hours findet sich in dem neubabylonischen Bericht K 2077 + 3771.623 Der Bericht ist auf der Vorderseite stark beschädigt, aber die Tafel enthält mehrere Tabellen, die Angaben in UŠ und ninda machen.624 Pingree und Reiner haben herausgearbeitet, dass es sich bei den Angaben in den Tabellen um die Länge der seasonal hours von jedem 15. Tag eines idealen Jahres handelt.625 Durch die Zusammenrechnung der oben genannten Einheiten konnte Pingree in seinem astronomischen Kommentar zeigen, dass die Ergebnisse mit den u.a. aus MUL.APIN bekannten Schemata zur Länge der Wachen übereinstimmen. Pingree bemerkt in seinem Kommentar diesbezüglich: „This simple structure, then, is based on the well-known Babylonian parameter for the ratio of the longest to the shortest day in the year, 2:1, attested in Tablet XIV of Enūma Anu Enlil and elsewhere.“626 Pingree macht weiterhin darauf aufmerksam, dass die Einteilung in seasonal hours in Ägypten bereits um 1300 v. Chr. belegt ist. Die Nennung eines lú.sag lugal ḫattu-ú in Rs. 10 sieht er als Möglichkeit, dass die Einteilung des Tages in seasonal hours von Ägypten über Syrien nach Mesopotamien gelangte.627 Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wurde das System aber offenbar nicht einfach übernommen, sondern an das bereits in altbabylonischer Zeit etablierte System der Wachen und Doppelstunden angeglichen und darauf abgestimmt. Weiterhin konnte Rochberg aufzeigen, dass die seasonal hours im weiteren Verlauf des 1. Jt. v. Chr. umfassendere Anwendung fanden, v.a. im Bereich der aufkommenden Horoskope. Die seasonal hours werden in diesem Kontext mit dem Lexem simānu wiedergegeben.628 Zuletzt bleibt anzumerken, dass die Hinweise auf die Nutzung eines Gnomons zur Zeitmessung lediglich theoretischen Texten entstammen und nicht über weitere Sekundärquellen nachgewiesen werden können. Gleichzeitig zeigt das Schema aus MUL.APIN II, ii 21–40, dass es noch eine zweite Möglichkeit gab, die Zeit zu messen. So wird die Länge der Wachen an den vier dargestellten Tagen jeweils in Minen angegeben. Der gesamte Tag wird

621

Steele, Short Time in Mesopotamia, 97. U.a. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 259, mit weiteren Literaturangaben. 623 Ediert bei Pingree – Reiner, A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours. 624 Pingree – Reiner, A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours, 54. 625 Pingree – Reiner, A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours, 50. 626 Pingree – Reiner, A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours, 54. 627 Pingree – Reiner, A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours, 54 f. 628 Rochberg-Halton, Babylonian Seasonal Hours, und Rochberg, In the path of the Moon, 167–187. 622

8) Die Organisation der Zeit

155

dabei in insgesamt sechs Wachen (en.nun) eingeteilt, deren Länge dementsprechend im Laufe des Jahres schwankt.629 Die Schwankungen offenbaren sich in unterschiedlich großen Angaben der Minen. Die Mine ist, anders als die oben genannten Einheiten, keine Distanzeinheit, sondern eine Gewichtseinheit. Die Nutzung einer Gewichtseinheit wiederum legt nahe, dass für diese Art der Messung eine Art Wasseruhr zur Anwendung kam.630 Der Gebrauch von Wasseruhren631 ist seit der altbabylonischen Zeit durch lexikalische Einträge, mathematische Texte und sogar im Atram-ḫasīs-Mythos belegt.632 D. Brown, J. Fermor und C. Walker, die sich intensiv mit der Wasseruhr auseinandergesetzt haben, fassen die frühen Hinweise auf dieses Instrument folgendermaßen zusammen: „In summary, the philological evidence from the OB period on suggests that a wooden gišdib-dib, known in Akkadian as a dibdibbu and sometimes as a maltaktum, was a time-measuring device which could be filled and which involved a cylinder/prism out of which dripped water, the quantity of which may have been assessed by weight. It may also have included a part which filled slowly. Perhaps an alternative existed which used sand.“633 Die dadurch gemessenen Zeiteinheiten werden in Minen (ma.na) und Schekeln (gín) angegeben, wobei eine Mine 60 Schekeln entspricht.634 Auch wenn der Gebrauch von Wasseruhren in Babylonien und Assyrien nachgewiesen werden kann, ist die genaue Funktion aufgrund fehlenden Quellenmaterials schon seit Jahrzehnten Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.635 So bemerken Brown, Fermor und Walker: „We possess no recognised examples, however fragmentary, from ancient Mesopotamia of outflowing water clocks. Any reconstruction of them relies on textual evidence and what is known to be both physically possible and

629

Steele, Short Time in Mesopotamia, 95–97. Hunger, Babylonische Quellen für die Länge von Tag und Nacht, 130. 631 Sumerisch gišdib.dib = Akk. dibdibbu. Auch maltaktu ist als Wort für eine Art Wasseruhr belegt. Das Handbuch der Beschwörungskunst nennt in Z. 64 f. zudem ein Gefäß namens mašqû, das eingesetzt werden sollte, wenn die Beobachtung des Mondes durch Wolken behindert wurde. Vgl. Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 139 f. 632 Siehe Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 132 f. 633 Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 133. 634 Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 131, und Hunger, Zeitmessung, 311. Vgl. auch Smith, Babylonian Time Reckoning, 77, sowie Koch, Wache und Mine im antiken Mesopotamien, 187. 635 So z.B. bei Thureau-Dangin, Le clepsydre babylonienne, 144; Neugebauer, Studies in Ancient Astronomy. VIII: The Water Clock in Babylonian Astronomy, 37–43; Høyrup, A Note on Water-Clocks and on the Authority of Texts, 192–194, sowie Gehlken, Der längste Tag in Babylon, 64 f. 630

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

impossible.“636 Die lange einflussreichste Rekonstruktion der Funktionsweise babylonischer Wasseruhren hat Neugebauer in seinem Artikel Studies in Ancient Astronomy. VIII. The Water Clock in Babylonian Astronomy vorgeschlagen. Er schreibt dort: „The simplest possibility is certainly the outflow from a cylindrical vessel of height h, emptied through a hole at the bottom. The time t needed to empty such a vessel completely is then given by t = c√h, where c is a constant depending upon the outlet and the area of the cross section of the cylinder.“637 Brown et al. machen allerdings darauf aufmerksam, dass das Modell Neugebauers einige Probleme aufweist. So hat bereits Neugebauer selbst festgestellt, dass das Verhältnis von 2:1 für den längsten und kürzesten Tag des Jahres, wie es sich aus dem oben genannten Text sowie aus weiteren schematischen Texten ergibt, kaum der Realität entsprechen kann.638 Neugebauer nimmt daher an, dass „The key to the solution of this dilemma lies in recognizing that, since KUGLER’S interpretation of mana as the weight of water in a clepsydra is undoubtedly correct, the outflow of water must not be taken as simply proportional to time.“ 639 J. Høyrup unterzog die von Neugebauer durchgeführten Berechnungen einer kritischen Evaluation und kam diesbezüglich zu dem Schluss: „We are thus left without means to explain from the physics of a waterclock why the compiler of MUL.APIN would give a value for the ratio between the longest and the shortest day which even with the techniques of the day could be seen to be far removed from truth.“640 Erst Brown, Fermor und Walker, die den Aussagen Neugebauers ebenfalls widersprechen, geben an, dass die Texte im Kontext der Divination zu verstehen sind. Dieses Verhältnis von 2:1 entspricht ebenfalls der Vorstellung eines idealen Zeitverlaufs.641 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Texte, die Maßangaben wie Schekel und Mine nutzen, um den Verlauf der Zeit anzuzeigen, zwar eindeutig darauf hinweisen, dass entsprechende Instrumente zur Anwendung kamen, die Angaben in

636

Brown et al., The Water Clock in Mesopotamia, 130. Neugebauer, Studies in Ancient Astronomy. VIII: The Water Clock in Babylonian Astronomy, 39. 638 Neugebauer, Studies in Ancient Astronomy. VIII: The Water Clock in Babylonian Astronomy, 39. Vgl. auch Brown – Fermor – Walker, The Water Clock in Mesopotamia, 135. 639 Neugebauer, Studies in Ancient Astronomy. VIII: The Water Clock in Babylonian Astronomy, 39. 640 Høyrup, A Note on Water-Clocks and on the Authority of Texts, 194. 641 Brown – Fermor – Walker, The Water Clock in Mesopotamia, 138. 637

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157

diesen Texten stellen aber keine empirisch gemessenen, sondern idealisierte Zeitverläufe dar. Ähnlich äußert sich auch Brown, der die Auffassung vertritt, dass die Gelehrten, ausgehend von der Idee eines idealen Universums, Maßeinheiten nutzten, die den Idealzustand widerspiegelten.642 Die komplementäre Nutzung beider Systeme veranschaulicht die 14. Tafel von Enūma Anu Enlil. Die 14. Tafel beschließt den ersten Abschnitt von Enūma Anu Enlil, der mitunter auch als eigenständiges Werk namens igi.du8.a.me šá 30 – „Beobachtungen des Mondes“ aufgeführt wird.643 Dieser erste Abschnitt beschäftigt sich demnach ausschließlich mit Omina zur Sichtbarkeit des Mondes.644 Die 14. Tafel enthält allerdings keine Omina mehr, sondern insgesamt vier Schemata, welche die Veränderung der Sichtbarkeit des Mondes abbilden.645 Die ersten beiden Schemata zeigen die Dauer der Sichtbarkeit des Mondes während eines äquinoktial-Monats, wobei Schema A auf das Maßsystem mit UŠ zurückgreift und Schema B in Schekeln und Minen misst.646 Die Einbettung dieser Schemata in ein umfassendes divinatorisches Werk ist insofern bemerkenswert, als dass sie die Interpretation von Brown, Fermor und Walker unterstreicht, nach der die Schemata zur Zeitmessung im Kontext der Divination betrachtet werden müssen. Aus der Messung der Zeit ergab sich auch die weitere Einteilung des Tages in Wachen (maṣṣartu) und Doppelstunden (bēru), die auch außerhalb astronomischer Kontexte Verbreitung gefunden hat. Der Tag setzte sich dabei je nach Zählweise aus zwölf Doppelstunden oder sechs Wachen zusammen.647 Bei den Wachen wurde wiederum eine Unterscheidung vorgenommen in Tag- und Nachtwachen. Während die Doppelstunden in ihrer Länge fest definiert waren, variierten die Wachen, abhängig von der jeweiligen Jahreszeit.648 Dies wird durch den weiter oben beschriebenen Text sowie andere Schemata deutlich, die vornehmlich in MUL.APIN verarbeitet worden sind.649 So soll die Länge der Tag- und Nachtwachen an den Äquinoktien gleichmäßig 3 Minen betragen, während am Sommersolstitium der Tag und am Wintersolstitium die Nacht jeweils 4 Minen betragen soll. Dabei änderte sich nicht die Anzahl der Wachen, sondern deren Länge variierte in den verschiedenen Jahreszeiten.650

642

Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 111. Nach einem seleukidenzeitlichen Katalog aus Uruk. Siehe dazu Weidner, Die astrologische Serie Enûma Anu Enlil, 186–189. 644 Vgl. Al Rawi – George, Enūma Anu Enlil XIV, 52. 645 Al Rawi – George, Enūma Anu Enlil XIV, 52–54. Für das dritte Schema, das saisonale Veränderungen in der Länge von Tag und Nacht abbildet, siehe auch Kapitel 6.3. 646 Vgl. die Übersicht bei Al Rawi – George, Enūma Anu Enlil XIV, 53. 647 Vgl. Smith, Babylonian Time Reckoning, 74. 648 Vgl. Rochberg, In the Path of the Moon, 168. 649 Siehe v.a. Kapitel 6.1 und 6.3 für Textbeispiele. 650 Vgl. Brown, The Cuneiform Conception of Celestial Space and Time, 106. 643

158

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Insgesamt lässt sich bezüglich der Zeitmessung feststellen, dass sowohl bei der Wasseruhr als auch beim Gnomon sowie in Bezug auf die seasonal hours ursprünglich anderweitig verwendete Maßeinheiten zur Anwendung kamen. Die sekundäre Nutzung der Maßeinheiten sowie die die Tatsache, dass Instrumente der Zeitmessung erst in den Texten des 2. Jt. v. Chr. nachweisbar sind, lassen die Vermutung zu, dass die Messung der Zeit eine spätere Entwicklung darstellt. Die Beobachtung der Himmelskörper, die sich bereits im 3. Jt. v. Chr. textliche nachweisen lässt, stellt somit die älteste und auch primäre Form der Zeitmessung dar. Sekundär kamen die hier beschriebenen Messinstrumente zum Einsatz, wenn eine Beobachtung nicht möglich oder präzise genug war.

8.1.3) Berechnung Die Bestimmung der Zeit primär durch Beobachtung der Gestirne hatte zudem auch einen entscheidenden Nachteil: Bei zu starker Bewölkung war es den Gelehrten nicht möglich, den genauen Monatsbeginn festzulegen.651 So erklärt bspw. der Gelehrte Issar-nadin-apli dem König: 83-1-18, 12652 Vs. 11) ina u4.29.kám 12) [m]a-ṣar-tu 13) [n]i!-ta-ṣa-ar Rs. 1) [bé-et ta]-mar-ti 2) [im.diri d]30 la né-mur Vs. Rs.

11) Am 29. Tag 12/13) hielten wir Wache, 1) [(aber) das Haus der Be]obachtung 2) [war bewölkt.] Sîn haben wir nicht gesehen.

Die Vermutung liegt nahe, dass die potentielle Undurchführbarkeit präziser Beobachtungen zu verstärkten Bemühungen geführt hat, die erste Sichtbarkeit des Mondes im Voraus zu bestimmen.653 Erste Bemühungen in diese Richtung lassen sich im 7. Jh. v. Chr. anhand der Briefe und Berichte der Gelehrten nachweisen.654 651

Vgl. Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 66. 652 Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 138. 653 Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 239–243, sieht speziell in den Arbeitsbedingungen der assyrischen Gelehrten, die stark von der Gunst des Königs abhingen, einen Katalysator für die aufkommenden Berechnungen in neuassyrischer Zeit. Die Möglichkeit böse Omina vorherzusagen, so Brown, würde den dazu fähigen Gelehrten in der Gunst des Königs steigen lassen. Siehe auch Brown, Mesopotamian Astral Science, 463. 654 Vgl. Brown, Mesopotamian Planetary Astronomy-Astrology, 189–207. Vgl. auch

8) Die Organisation der Zeit

159

Die Vorhersagen wurden jedoch wohl nur ca. 14 Tage im Voraus gemacht, wenn Mond und Sonne in Opposition zueinanderstanden, sodass schon abschätzbar war, wann der Tag des Neulichts eintreten wird.655 Beispiele für vorhergesagte 29- oder 30-Tage-Monate finden sich zudem in späteren astronomischen Tagebüchern.656 Die intensive Beobachtung der Himmelskörper und die Aufzeichnung ihrer Bewegungen in der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. führte dazu, dass langjährige astronomische Intervalle ins Blickfeld der Gelehrten traten, was die Fähigkeiten der Vorausberechnung im späteren Verlauf des 1. Jt. v. Chr. maßgeblich begünstigt hat. In spätbabylonischer Zeit, im 6. Jh. v. Chr., begann sich somit die mathematische Astronomie zu entfalten. In der Folge entwickelten sich auch Methoden, um den Beginn eines Monats im Voraus zu berechnen.657 Dabei spielte eine Reihe von Faktoren eine Rolle, die in der Forschung als Lunar Six bekannt sind.658 Bei diesen Lunar Six handelt es sich um sechs Zeitintervalle, gemessen in UŠ659, die im Zusammenhang mit dem Auf- und Untergang von Sonne und Mond stehen. Die Messung des ersten Zeitintervalls (bezeichnet als NA) erfolgte am ersten Tag des Monats. Vier weitere Intervalle (genannt ŠÚ, NA, ME und GE6) wurden zur Zeit des Vollmonds gemessen. Die Messung des letzten Intervalls (genannt KUR) wurde schließlich am letzten Tag des Monats durchgeführt.660 Die systematische Beobachtung der Lunar Six begann spätestens im 7. Jh. v. Chr.661 Lunar Six-Intervalle wurden v.a. in astronomischen Tagebüchern, den sogenannten Goal-Year-Texten und auch individuellen Tafeln festgehalten, die sich auf die Angabe dieser Daten beschränken.662 Die Berechnung eines Monatsbeginns basierte auf diesen Aufzeichnungen. So wurden künftige Lunar Six-Daten anhand von Daten berechnet, die 18 und 181/2 Jahren zurücklagen.663

Brown, Mesopotamian Astral Science, 463. 655 Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67 und 72; Steele, The Lengths of the Month in the Mesopotamian Calendars, 143 f., und Steele, Making Sense of Time, 479. 656 Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 139. 657 Steele, Making Sense of Time, 479, und Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 67. 658 Benennung nach Sachs, A Classification of the Babylonian Astronomical Tablets of the Seleucid Period, 281. 659 Ein UŠ entspricht ca. 4 Minuten. Siehe Hunger, Zeitmessung, 311. 660 Huber – Steele, Babylonian Lunar Six Tablets, 3. Dort findet sich auch eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Zeitintervalle der Lunar Six. Vgl. auch Steele, Making Sense of Time, 479 f. 661 Steele, Making Sense of Time, 479 f. 662 Huber – Steele, Babylonian Lunar Six Tablets, 4. 663 Steele, Living With a Lunar Calendar, 379.

160

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Der aus seleukidischer Zeit stammende Text TU 11 (AO 6455), der neben astrologischem Inhalt auch zahlreiche astronomische Verfahrensweisen abbildet, beinhaltet insgesamt acht Sektionen, die sich mit der Berechnung der Länge eines kommenden Monats beschäftigen.664 Dabei kommen auch die besagten Lunar Six zum Einsatz. TU 11, § 14665 Vs. 29) lal-ú kun-nu ana igi-ka be-ma ina 18 bar 1 ṭi-pi ki-šú ul ṭe-pi gu4 šá egiršú kun-nu šal-šú 30) ša šú u na 6 šú ta na šá u4.1.kam šá gu4 zi-ma al-la bar šá eli-šú lal gu4 šá mu-ka eš-še-tú kun-nu 31) ma-la ina 18-ka kun-nu u ṭi-pi ki-šú la ṭe-pu-ú ù nis-ḫu ta šà zi-ma al-la iti 32) šá eli-šú lal-ú ana kun-nu e ki-i ina 18-ka kun-nu ṭi-pi ki-šú la ṭe-pu-ú ù nis-ḫu ta 33) lìb-bi zi-ma al-la 10 uš lal-ú ana kun-nu e be-ma ina 18-ka kun-nu u ṭi-pi ki-šú ṭe-pi ana gur-ru e Vs. 29) Damit du einen geringen oder festen (Monat)666 siehst: Wenn im 18. (vorhergehenden Jahr), der Nisannu (an Tag) 1 (beginnt), eine Ergänzung nicht dazu addiert ist, der Ajjaru, der danach folgt, fest ist. Ein Drittel 30) von ŠÚ und NA sind 6; von NA des ersten Tages des Ajjaru ziehst du es ab; (wenn) es weniger ist, als im Nisannu, der davor war, ist der Ajjaru des neuen Jahres fest. 31) Welcher (Monat) auch immer in deinem 18. (vorhergehenden Jahr) fest ist und (zu dem) keine Ergänzung addiert ist und von dem eine Subtraktion abgezogen wird, (und) der 32) geringer ist als der vorherige Monat, erklärst du für fest. Wenn in deinem 18. (vorhergehenden Jahr) (ein Monat) fest ist, eine Ergänzung dazu nicht hinzugefügt wird und eine Subtraktion 33) davon abgezogen wird und sie geringer667 ist als 10 UŠ, erklärst du für fest. Wenn in deinem 18. (Jahr) (ein Monat) fest ist und eine Ergänzung hinzugefügt wird, erklärst du für hohl.

664

Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 93 f., und Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 25 und 27. 665 Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 9 und 14. 666 Diese und folgende Ergänzung entstammen der Übersetzung von Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 14. 667 Nach Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 21 und 45, müsste es an dieser Stelle eigentlich „mehr als 10 UŠ“ heißen, da die Berechnung sonst nicht aufginge.

8) Die Organisation der Zeit

161

Anhand des Textes wird ersichtlich, wie aufbauend auf der sogenannten GoalYear-Methode die Länge einiger Monate im Voraus berechnet wurde.668 Diese Methode basiert auf dem Saros-Zyklus, einer Periode von 18 Jahren, die beinahe 223 synodischen Monaten entspricht. In sogenannten Goal-Year-Texten wurden neben planetaren Daten für eine bestimmte Anzahl von Jahren auch lunare Daten wie Finsternisse und die Lunar Six festgehalten.669 Diese wurden genutzt, um lunare und planetare Phasen in einem bestimmten Jahr, dem Goal-Year, vorherzusagen.670 Für die Vorausberechnung der Monatslänge wurden die lunaren Werte genutzt, die einen Saros-Zyklus zuvor aufgezeichnet worden waren. Der Textausschnitt macht weiterhin deutlich, dass auch in seleukidischer Zeit noch das Bedürfnis bestand, die Länge eines Monats möglichst früh zu erkennen. Die Verwendung des Terminus technicus kunnu in Z. 29 lässt darauf schließen, dass auch der 30-tägigie, ideale Monat im späten 1. Jt. v. Chr. noch Beachtung gefunden hat. Dass selbst für die mathematische Astronomie noch ideale Schemata genutzt wurden, ist nach J. M. Steele möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die nicht-mathematischen Methoden der Astronomie sehr viel einfacher zu handhaben waren.671 P.-A. Beaulieu macht darauf aufmerksam, dass die Praxis der Beobachtung wahrscheinlich trotz der Möglichkeit der Vorausberechnung weiter durchgeführt wurde, vornehmlich wohl im Hinblick auf kultische Aktivitäten.672 Auch Steele beschreibt, dass die Methode, den Beginn des Monats im Voraus zu berechnen, erst spät, in seleukidischer und parthischer Zeit, akzeptiert wurde.673 Tatsächlich enthalten einige der Texte, die Lunar Six-Daten festhalten, die Notiz, dass die Zeitintervalle auch tatsächlich beobachtet wurden.674 Die Erkenntnis, dass astrale Phänomene in größeren Intervallen auftraten, hatte auch Auswirkungen auf die Praxis der Kalenderschaltung. In der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. basierte die Methode der Schaltung noch auf der Beobachtung der Sterne und des Mondes in Verbindung mit dem idealen Zeitverlauf. Doch in persischer Zeit lässt sich zeigen, dass diese Praxis durch eine regelmäßige Schaltung, basierend auf dem Meton-Zyklus, abgelöst wurde. Der Meton-Zyklus,

668

Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 44. Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 167 f. 670 Brack-Bernsen – Hunger, TU 11, 32–34. Siehe speziell S. 34 für die genauen Formeln zur Berechnung der Lunar Six nach der Goal-Year-Methode. Für alternative Methoden, die ebenfalls in TU 11 dargelegt werden, siehe S. 36–40. 671 Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 144. 672 Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 87. 673 Steele, The Lengths of the Month in Mesopotamian Calendars, 143 f. 674 Huber, Babylonian Short-Time Measurements: Lunar Sixes, 225. 669

162

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

benannt nach dem gleichnamigen griechischen Astronomen Meton von Athen, umfasst 235 lunare Monate, die wiederum 19 solaren Jahren entsprechen.675

8.2) Das Kalenderwesen Zielpunkt aller Bemühungen der Zeiterfassung war die Etablierung und Aufrechterhaltung des Kalenders. Erneut muss man feststellen, dass kein Begriff für Kalender im Sumerischen oder Akkadischen nachweisbar ist.676 Dennoch lassen sich in allen Epochen des Vorderen Orients verschiedene Kalendersysteme im Sinne eines Organisationssystems der Zeiteinheiten erkennen.677 Die Gründe dafür, Zeiteinheiten in ein kohärentes System einzubetten, liegen in der Wirtschaftsverwaltung und der Notwendigkeit, gesamtgesellschaftlich relevante Ereignisse wie Feste oder aber den täglichen Tempelkult zu organisieren. Dies zeigt sich beispielhaft daran, dass die Benennung der Monate häufig auf landwirtschaftlichen oder kultischen Begebenheiten beruhte.678 Im 3. Jt. v. Chr. lassen sich noch verschiedenste Kalendersysteme nebeneinander nachweisen – jeweils erkennbar an der unterschiedlichen Benennung der Monatsnamen.679 Doch bereits zu der Zeit gab es Kalendersysteme, die eine überregionale Bedeutung gewannen. Dazu zählte der Semitic Calendar of the Third Millennium680, der zwischen 2600 und 2200 v. Chr. vornehmlich in Ebla und Mari, aber auch in Ešnunna, Abu Ṣalabikh, Gasur und Lagaš genutzt wurde.681 Erste Anläufe zu einer Vereinheitlichung des Kalendersystems finden sich alerdings erst nach dem Fall der Ur III-Dynastie. Vermutlich unter Išbi-Erra von Isin wurde der sumerische Kalender Nippurs im Sinne einer ökonomischen und politischen Vereinheitlichung des Reiches in weiten Teilen Südmesopotamiens adaptiert. Weiter nördlich, in amurritisch geprägten Städten wie Mari, wurde zwar bis zu in die Regierungszeit Samsuilunas ein lokaler amurritischer Kalender genutzt, doch kam zugleich auch der sumerische Kalender Nippurs zur Anwendung.682 Es ist nicht vollständig geklärt, wann sich Standard Mesopotamian Calendar683 etablierte. Es ist allerdings ersichtlich, dass unter der Regentschaft Samsu-

675

Brown, Mesopotamian Astral Science, 464 f., und Steele, Making Sense of Time, 476

f. 676

Steele, Making Sense of Time, 470. Vgl. Steele, Making Sense of Time, 470. 678 Vgl. Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 5. 679 Die einzelnen Kalendersysteme sollen an dieser Stelle nicht näher beschrieben werden. Für eine umfangreiche Übersicht über die einzelnen Kalender und weitere Literaturangaben siehe Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East. 680 Nach Pettinato, The Archives of Ebla, 147. 681 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 23–25. 682 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 11 und 225 f. 683 Die Benennung folgt Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East. 677

8) Die Organisation der Zeit

163

ilunas von Babylon die Nutzung der amurritischen Kalender im Norden vollständig beendet wurde. An ihre Stelle treten in den Dokumenten die sumerischen Monatsnamen des Nippur-Kalenders. Während die sumerischen Monatsnamen in der Regierungszeit Išbi-Erras offenbar noch so ausgesprochen wurden, handelt es sich bei den sumerischen Monatsnamen im Rahmen des Standard Mesopotamian Calendar nur noch um Logogramme.684 Somit wurden die Monatsnamen des Nippur-Kalenders weiterhin genutzt, indem sie in den Standard-Kalender einflossen.685 Erste syllabische Schreibungen der standardisierten Monatsnamen finden sich in Personennamen der kassitischen und mittelbabylonischen Zeit. Die früheste Bilingue, welche die logographischen Schreibungen mit den syllabischen Schreibungen zusammenbringt, findet sich in der bereits in Kapitel 2.1 zitierten lexikalischen Liste ur5-ra = ḫubullu, die auf das Ende des 2. Jt. v. Chr. datiert.686 ur5-ra = ḫubullu I, 221–232 ni-sa-an-nu 221) itibára.zag.gar a-a-ru 222) itigu4.si.sá si-ma-nu 223) itisig4.ga du-ú-zu 224) itišu.numun.na a-bu 225) itine.ne.gar ú-lu-lu 226) itikin.dinnin.na taš-ri-tú 227) itidu6.kù a-ra-aḫ-sam-na 228) itiapin.du8.a ki-si-li-mu 229) itigan.gan.na iti ṭe-bi-tum 230) ab.ba.è šá-ba-ṭu 231) itizíz.àm ad-da-ru 232) itiše.kin.kud Während die logographische Schreibung vollständig auf den sumerischen Kalender Nippurs zurückgeht, scheinen die syllabischen Pendants verschiedenster Herkunft zu sein.687 Cohen bemerkt diesbezüglich: „Based on the peculiarities of this calendar, the Standard Mesopotamian calendar may have been an artificial creation, a means to unify a divergent empire. It may have been difficult to perpetuate the use of a Sumerian calendar outside of Southern Mesopotamia. However, the economic and 684

Vereinzelte syllabische Schreibungen der Monatsnamen aus Mari legen nahe, dass der sumerische Name tatsächlich auch ausgesprochen wurde, siehe Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 226. 685 Vgl. Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 115. 686 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 13 und 297 f. 687 Siehe Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 303, für eine Übersicht über die mögliche Herkunft einzelner Monatsnamen.

164

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

political advantages of a single, standard calendar were as obvious in the second millennium B.C. as they had been on a smaller scale hundreds of years earlier to Išbi-Erra of Isin. So, rather than select one particular city’s calendar as the new Reichskalender – (…) – the Babylonian administration invented a hybrid Reichskalender, culling months from various calendars throughout the realm and beyond, thereby hoping to gain international acceptance.“688 Die Nutzung des standardisierten Kalenders breitet sich in der Folgezeit über Südund Zentralmesopotamien hinaus aus. Um 1500 v. Chr. kann der Kalender etwa in Alalaḫ nachgewiesen werden.689 Eine gewisse Sonderstellung nimmt der assyrische Kalender ein. So ist noch im 12. Jh. v. Chr. aus Assyrien das Phänomen der Doppeldatierung bekannt, bei dem Dokumente zum einen mit den assyrischen Monatsnamen, gleichzeitig aber auch mit den südmesopotamischen Monatsnamen datiert wurden.690 Erst die Nachfolger Tiglat-Pilesars I. nutzen ausschließlich die südmesopotamischen Monatsnamen. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass der ursprüngliche assyrische Kalender gänzlich lunar ausgerichtet war und somit keine Schaltmonate kannte, was zur Folge hätte, dass das die Monate des Jahres sich im Laufe der Jahre saisonal verschieben.691 Die Gründe für die Übernahme des südmesopotamischen Kalenders in Assyrien liegen nach Cohen darin begründet, dass ein rein lunarer Kalender zu Komplikationen bei überregionalen Verträgen führte, da es kaum möglich gewesen wäre, einen solchen Kalender mit den Kalendern anderer Gebiete in Übereinstimmung zu bringen.692 E. Cancik-Kirschbaum und J. C. Johnson argumentieren hingegen, dass die Doppeldatierung dazu diente, den administrativen und den kultischen Kalender in einer Notationsform zu vereinen.693 In jedem Fall kam der Standard Mesopotamian Calendar um 1100 v. Chr. letztendlich in ganz Mesopotamien und sogar über das Kerngebiet hinaus zur Anwendung.694

688

Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 303 f. Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 302. 690 Vgl. Cancik-Kirschbaum – Johnson, Middle Assyrian Calendrics, 128 f. 691 Die These wurde rezent vertreten von Jeffers, The Nonintercalated Lunar Calendar, entgegen Cancik-Kirschbaum – Johnson, Middle Assyrian Calendrics, die argumentieren, dass auch der assyrische Kalender saisonal gebunden war. 692 Die Organisation des alt- und v.a. mittelassyrischen Kalendersystems ist noch nicht abschließend geklärt. Vielfach wird in der Forschung die These vertreten, dass der assyrische Kalender lunar ausgerichtet war und sich somit im Laufe der Jahre saisonal verschob 693 Cancik-Kirschbaum – Johnson, Middle Assyrian Calendrics, 129–145. 694 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 300 f. 689

8) Die Organisation der Zeit

165

Der Standard Mesopotamian Calendar wurde somit zu einem universellen Kalender, der praktisch im gesamten Vorderen Orient genutzt wurde.695 In assyrischen Texten des 1. Jt. v. Chr. lassen sich trotz weitgehender Übernahme des babylonischen Kalendersystems teilweise noch alternative Monatsnamen feststellen.696 Der Standard Mesopotamian Calendar zeichnet sich aber nicht nur durch seine weite geographische Verbreitung aus, er findet auch für den Rest der keilschriftlichen Überlieferung als Standard-Kalender Verwendung und breitet sich sogar auf den aramäisch-sprachigen Raum aus.697 Er stellt damit das Fundament dar, auf dem das Konzept von Zeit im 1. Jt. v. Chr. steht. Es ist daher zu klären, wie dieses Kalendersystem aufgebaut ist und wie es funktioniert. Zunächst lässt sich festhalten, dass es kaum Texte aus dem 2. Jt. v. Chr. gibt, die Rückschlüsse auf die Funktion des Kalenders zulassen. Entsprechende Quellen finden sich erst im 1. Jt. v. Chr.698 Der Beginn des Jahres, der mit dem eigenen Terminus zagmukku699 bezeichnet wurde, fiel auf den Monat Nisannu. Dies wird zum einen indirekt dadurch deutlich, dass der Nisannu in Aufzählungen wie der oben vorgestellten aus ur5-ra = ḫubullu als erstes aufgeführt wird. Zum anderen existieren aber auch Textstellen, die den Nisannu explizit als den ersten Monat des Jahres ausweisen. So berichtet ein Fragment einer Inschrift Asarhaddons, dass dieser im Nisannu, dem ersten Monat, aus seiner Stadt Assur zum Feldzug gegen Ägypten aufgebrochen sei.700 Sofern die Zeit noch ihrem ideal angedachten Verlauf folgte, fiel der Beginn des Jahres mit dem Frühlingsäquinoktium zusammen.701 Durch die Äquinoktien wurde das Jahr gleichsam in zwei Teile geteilt,702 was v.a. in kultischer Hinsicht von großer Bedeutung war, da sich bestimmte Feste in den zwei Jahreshälften spiegelten.703 Auch wenn der Mond die bedeutendste Rolle als Zeitgestirn spielte, war der Kalender nicht rein lunar ausgerichtet. Der Kalender ergab sich vielmehr aus dem

695

Vgl. Cohen, Festivals and Calendars, 2. Eine Übersicht findet sich bei Cohen, Festivals and Calendars, 382 f. 697 Vgl. Brack-Bernsen, The 360- Day Year in Mesopotamia, 93, sowie Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 299. 698 Steele, Making Sense of Time, 472. 699 Von Sum. zag.mu. Die lexikalische Liste ur5-ra = ḫubullu charakterisiert zag.mu explizit als rēš šattim. Siehe Tafel I, Z. 220. 700 Frt. F = K 3082 + K 3086 + Sm 2027. Nach Borger, Die Inschriften Asarhaddons Königs von Assyrien, 111 f., Z. 10: ina itibára iti reš-tu-u ul-tú uru-ja Aš-šur at-tu-muš. 701 Smith, Babylonian Time Reckoning, 74. Vgl. auch Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 14. 702 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 6 f. 703 So wurde bspw. zweimal im Jahr ein Neujahrsfest gefeiert. Vgl. Linssen, The Cults of Uruk and Babylon, 71. 696

166

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Zusammenspiel von Mond- und Sonnenlauf und war somit luni-solar.704 Die zwölf synodischen Monate kommen zusammen allerdings nur auf 354 Tage und stimmen somit nicht mit einem solaren Jahr überein. Dies hatte zur Folge, dass der Verlauf des kalendarischen Jahres im Laufe der Zeit immer weiter von seinem Ideal abwich. Dieser Vorgang war den Menschen bewusst. Er zeigte sich dadurch, dass natürliche Ereignisse wie der Aufgang bestimmter Sterne, oder jahreszeitliche Phänomene wie die Flut, nicht mehr an den dafür vorgesehenen kalendarischen Daten eintraten.705 Um diesem Vorgang entgegenzuwirken, wurde zu gegebener Zeit geschaltet, um den kalendarischen wieder mit dem saisonalen Jahresverlauf in Übereinstimmung zu bringen. In der Praxis wurde gleich ein ganzer Schaltmonat eingefügt.706 Zumeist wurde dabei entweder der sechste oder der zwölfte Monat gedoppelt.707 Die Wahl dieser beiden Monate als Schaltmonat lässt sich dadurch nachvollziehen, dass beide Monate das Ende einer Jahreshälfte markieren. Jeweils mit dem Frühlings- und Herbstäquinoktium begann eine der Jahreshälften, wodurch die Teilung des Jahres in zwei Hälften sicher nicht zufällig mit dem saisonalen Jahr übereinstimmte.708 Der Kalender benötigte, wenn er den idealen Längen folgt, alle zwei bis drei Jahre einen Schaltmonat.709 Solche Intervalle sind teilweise aus Aufzeichnungen belegt. Im Kontrast dazu finden sich aber ebenso direkt aufeinander folgende Schaltjahre ohne ein erkennbares Schema.710 Möglicherweise begannen babylonische Gelehrte bereits in der Regierungszeit des Nabonassar zu erkennen, dass 235 Mondmonate etwa einem Zyklus von 19 solaren Jahren entsprechen – ein Schema, das noch heute als Meton-Zyklus bekannt ist.711 Da 19x12 Monate insgesamt nur 228 Mondmonate ergeben, benötigte das Schema im Laufe der 19 Jahre somit insgesamt sieben Schaltmonate.712 Belegt ist die Anwendung der Schaltung durch dieses Schema jedoch erst in achaemenidischer Zeit.713

704

Steele, Making Sense of Time, 471. Vgl. Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 5. 706 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 4. 707 Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 115. 708 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 6 f. 709 Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 83. 710 Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 119. 711 Cohen, The Cultic Calendars of the Ancient Near East, 6; nach Dubberstein – Parker, Babylonian Chronology 626 B.C. – A.D. 45., 2. 712 Brown et al., The Interactions of Ancient Astral Science, 35. 713 Siehe u.a. Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 122; Steele, Making Sense of Time, 476, und Brown et al., The Interactions of Ancient Astral Science, 35. 705

8) Die Organisation der Zeit

167

Die Diskrepanz zwischen idealem und realem Zeitverlauf führte dazu, dass in der Forschung zwischen verschiedenen, parallel genutzten Kalendersystemen unterschieden wird.714 Die Unterscheidung reflektiert jedoch eine moderne Sichtweise. Aus den Schriftquellen wird nicht ersichtlich, dass der idealisierte und der tatsächliche Verlauf des Kalenderjahres als separate Formen der Zeitorganisation aufgefasst wurden. Grundlage war, zumindest im 1. Jt. v. Chr., immer der ideale Kalender. Die darin verorteten Längen der Zeiteinheiten wurden offenbar als Standard angesehen.715 Die Unterschiede zwischen dem Kalendersystem und dem realen Verlauf der Zeit waren den Menschen zwar bewusst, erkennbar unterschiedliche Systeme der Zeitorganisation haben sich deshalb aber nicht herausgebildet. Englund schreibt in dem Zusammenhang passend von einer Dichotomie zwischen administrativer Genauigkeit und religiöser Realität.716 Die daraus entstandene Diskrepanz wurde in Form von Omina ausgedeutet.717 In der bisherigen Forschung wurde – auch im Hinblick auf die spätere biblische Tradition des Sabbats – immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die altorientalischen Quellen bereits Hinweise auf die weitere Unterteilung des Monats in Wochen beinhalten. So argumentiert A. L. Oppenheim bspw., dass der Text UCBC 407, ein Exzerpt der Zeilen 168–187 der lexikalischen Liste ur5-ra = ḫubullu,718 den Anschein erwecke, eine Auflistung der sieben Tage einer Woche zu enthalten.719 Gegen diese Interpretation spricht sich jedoch J. Lewy aus.720 Eine kultische Aufteilung des Monats lässt sich tatsächlich nachvollziehen, z.B. durch 714

Brack-Bernsen, The 360-Day Year in Mesopotamia, 83 f., unterscheidet bspw. zwischen einem kultischen bzw. zivilen und einem administrativen Kalender, wobei letzterer den ideal gedachten Zeitverlauf abbildet. Dieser wurde gemäß Britton zwar für Kalkulationen, zunächst in der Buchhaltung, später auch in der Astronomie genutzt, nicht jedoch zur Datierung. Britton, Calendars, Intercalations and Year-Lengths in Mesopotamian Astronomy, 115–117, unterscheidet nicht nur zwischen einem zivilen und einem administrativen Kalender, sondern differenziert weiter nach den idealen Zeitangaben eines administrativen Kalenders und den idealen Zeitangaben eines schematischen Kalenders. Letzterer stellt nach Britton eine Abstraktion des administrativen Kalenders dar, d.h. die Idee eines idealen Zeitverlaufs wurde auf weitere Gebiete außerhalb der Administration übertragen. Der administrative Kalender war gemäß Britton wiederum eher eine Kalkulations-Konvention als sein eigentlicher Kalender. Noch in der kürzlich erschienenen Edition von Hunger – Steele, The Babylonian Astronomical Compendium MUL.APIN, 8, ziehen Hunger und Steele eine scharfe Trennlinie zwischen dem schematischen Kalender von 360 Tagen und dem alltäglichen luni-solaren Kalender. 715 Vgl. Beaulieu, The Impact of Month-lengths on the Neo-Babylonian Cultic Calendar, 79. 716 Englund, Administrative Timekeeping in Ancient Mesopotamia, 180. 717 Siehe dazu näher Kapitel 9.1.1. 718 Oppenheim, The Neo-Babylonian Week again, 28. Ein Teil der angegebenen Zeilen wird auch auf S. 14 f. wiedergegeben. 719 Oppenheim, Assyriological Gleanings II. 720 Lewy, Neo-Babylonian Names of the Days of the Week?.

168

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

die eššēšu-Feste. Diese seit der Ur-III-Zeit bekannten Feste wurden in Übereinstimmung mit den Mondphasen am 1., 7. und 15. Tag jedes Monats gefeiert. Eine ähnliche Aufteilung des Monats lässt sich auch gezielt für den Tempel des Sonnengottes in Sippar nachweisen.721 Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass die dadurch entstehenden Zeiträume zwischen den einzelnen Festtagen als kalendarische Einheit genutzt wurden. Eine Ausnahme davon bildet das Lexem ḫamuštum, das allerdings nur in altassyrischen Texten belegt ist. Dieses bezeichnet gleichzeitig ein Amt und eine Zeiteinheit, deren genaue Länge allerdings nicht vollständig geklärt ist.722 J. G. Dercksen kommt in seiner Auswertung des Lexems zu dem Schluss, dass es voraussichtlich eine Zeitspanne von 6 oder 10 Tagen umfasste, wobei er 10 Tage für wahrscheinlicher hält. Zugleich macht er aber auch darauf aufmerksam, dass sich der Terminus mitunter wohl auch auf Monate bezieht.723

721

Maul, Gottesdienst im Sonnenheiligtum zu Sippar, 301. Dercksen, Weeks, Months and Years in Old Assyrian Chronology, bietet eine umfassende Diskussion zu ḫamuštum. 723 Dercksen, Weeks, Months and Years in Old Assyrian Chronology, 239. 722

9) Die Qualität der Zeit Im Laufe der vorliegenden Arbeit wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass wichtige Quellen zum Thema Zeit ihren Sitz im Leben im Bereich der Divination hatten. Als Rezipienten dieser Quellen wurden die Gelehrten identifiziert, deren primäre Aufgabe darin bestand, den König vor göttlichem Missfallen zu bewahren, vor drohendem Unheil zu warnen und etwaige Bedrohungen durch rituelle Maßnahmen an ihm vorbeiziehen zu lassen. Um dieser Aufgabe nachzukommen, standen den Gelehrten diverse divinatorischen Maßnahmen zur Verfügung: von der weit verbreiteten Eingeweideschau über die Beobachtung verschiedenster Vorzeichen bis hin zu der umfangreichen Lehre von den günstigen und ungünstigen Tagen. Im folgenden Kapitel wird nun der Zusammenhang zwischen Zeit und Divination im Detail betrachtet. Die verschiedenen Wege der Divination wurden von den darauf spezialisierten Gelehrten in Form zahlreicher Primärquellen überliefert, die dabei im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

9.1) Die Zeit in der Omenkunde Die Bedeutung der Divination kann für den babylonisch-assyrischen Kulturraum kaum überschätzt werden.724 Ab dem 2. Jt. v. Chr. sind zahlreiche Textquellen aus den unterschiedlichsten Zweigen der Divination überliefert. Die Quellen und Hinweise auf die Verbreitung divinatorischer Praxis stammen dabei nicht nur aus dem mesopotamischen Kernland, sondern aus nahezu allen benachbarten Regionen und Kulturen, was einen Hinweis darauf gibt, dass sich die divinatorischen Techniken vom Zweistromland ausgehend über den gesamten Alten Orient verbreitet haben.725 Im Allgemeinen lassen sich für den Alten Orient zwei Arten der Divination feststellen: Zum einen konnten die Gelehrten aktiv die Zustimmung oder die Entscheidungen der Götter zu spezifischen Sachverhalten erfragen (omina impetrativa), zum anderen konnten die Götter völlig ohne menschliche Anfrage ihren Willen kundtun (omina oblativa).726

724

Maul, Omina und Orakel, 49. Der Artikel gibt insgesamt einen umfassenden und detaillierten Überblick über die Divination in Mesopotamien, die umfangreichen Textquellen, die in dem Kontext entstanden sind, und die dazu verfasste Fachliteratur. Eine monographische Gesamtdarstellung der altorientalischen Quellen zur Divination bietet Koch, Mesopotamian Divination Texts. 725 Für die Eingeweideschau vgl. Fincke, Divination im Alten Orient, 9, mit weiterer Literatur. Zur Verbreitung astrologischer Omina siehe Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 44–51. 726 Vgl. Maul, Zukunftsbewältigung, 3.

170

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Zu den omina impetrativa gehörten u.a. die Methoden der Öl-727, Rauch-728 und Mehl-Omina729. Diese waren vergleichsweise kostengünstig und konnten mit geringerem Aufwand in kurzer Zeit durchgeführt werden.730 Eine weitere Methode, aktiv Informationen von den Göttern einzuholen, war die Inkubation von Träumen.731 Angesichts der Quellenlage war die Methode der Eingeweideschau jedoch am bedeutendsten. Dabei wurden die Innereien eines Opferlammes, v.a. dessen Leber, nach einer ausgefeilten Methodik untersucht und interpretiert.732 Wollten die Götter von sich aus den Menschen etwas mitteilen, geschah dies überwiegend durch Omina. Die von den Göttern gesandten Zeichen konnten sich nach altorientalischer Vorstellung in der gesamten Umwelt des Menschen manifestieren. Dies führte dazu, dass im Zuge der Kanonisierung und Serialisierung umfangreiche Omen-Serien mit unterschiedlichen Schwerpunkten entstanden. Die größten Gruppen bilden dabei zweifellos die „Zeichen des Himmels“ und die „Zeichen der Erde“, also astronomisch-atmosphärische733 und terrestrische Omina734. Doch auch anormale Geburten von Menschen und Tieren galten als Vorzeichen.735 Darüber hinaus konnte sogar das Verhalten und Aussehen der 727

Die Öl-Omina wurden von Pettinato, Die Ölwahrsagung bei den Babyloniern, Band I + II, monographisch bearbeitet. 728 Nur sehr wenige Tafeln – alle aus altbabylonischer Zeit – sind den Rauch-Omina gewidmet. Für einen kurzen Überblick mit weiterer Literatur siehe Leichty, Literary Notes, 143–145. 729 Für einen Überblick über die Praxis der Mehl-Omina siehe Maul, Aleuromantie. 730 Maul, Aleuromantie, 117 f., bezeichnet diese Verfahren deswegen auch als „kleine“ Opferschauverfahren. 731 Einen umfangreichen Überblick über Träume im Alten Orient gibt Zgoll, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien; Für inkubierte Träume siehe insbesondere die S. 309–351. 732 Siehe u.a. Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens; Starr, Queries to the Sungod; Starr. The Rituals of the Diviner und Fincke, Divination om Alten Orient. 733 Zusammengefasst in der Serie Enūma Anu Enlil. Die Serie liegt bis heute nur in Teileditionen vor. Zu den wichtigsten Werken gehören Weidner, Die astrologische Serie Enûma Anu Enlil, der eine frühe Übersicht über das Textmaterial bietet; Al-Rawi – George, The XIV Tablet of Enūma Anu Enlil, die eine Bearbeitung der 14. Tafel vorgelegt haben; Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, die die Tafeln 15–22 ediert hat; van Soldt, Solar Omens of Enuma Anu Enlil, der die daran anschließenden Tafeln 23– 29 bearbeitet hat; Gehlken, Weather Omens of Enuma Anu Enlil, der die Tafeln 44–49 ediert hat, und schließlich Reiner, die mit Babylonian Planetary Omens eine Edition der Tafeln 50 und 51 vorgelegt und zudem die 63. Tafel in The Venus-Tablet of Ammiṣaduqa bearbeitet hat. 734 Zusammengefasst in der aus ca. 107 Tafeln bestehenden Serie Šumma ālu, die von Freedman, If a City is Set on a Height, teilediert wurde. 735 Die entsprechende Serie, die in kanonisierter Form aus der Bibliothek des Assurbanipal überliefert ist, umfasste 24 Tafeln. Diese wurden von Leichty, The Omen Series Šumma izbu ediert.

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Mitmenschen zeichenhaft gedeutet werden.736 Nicht zuletzt wurden auch unprovozierte Träume als von den Göttern gesandte Omen gesehen. Die Ausdeutung solcher Träume erfolgte ebenfalls über eine Serie mit speziellen Traumomina.737 Neben den in sehr großer Zahl überlieferten Omina konnte die Kommunikation seitens der Götter schließlich auch über menschliche Propheten oder Ekstatiker738 erfolgen.739 Im 3. Jt. v. Chr. sind die Hinweise auf Divination noch indirekter Natur und auch nur von vergleichsweise geringer Zahl.740 Die Nutzung der Divination auch im 3. Jt. v. Chr. wird hauptsächlich daraus ersichtlich, dass die verschiedenen divinatorischen Praktiken und die zugehörigen Texte in altbabylonischer Zeit bereits voll entwickelt zutage treten.741 U. Koch-Westenholz schließt daraus, dass es bis dahin eine vornehmlich mündliche Form der Tradierung gegeben haben muss.742 Ab der altbabylonischen Zeit treten die verschiedenen oben genannten Zweige der Divination jeweils in Form eigener Textquellen in Erscheinung.743 Im Falle der astrologischen Omina ist die Quellenlage zu dieser Zeit aber weiterhin eher rar.744 Die Quellen, die es in altbabylonischer Zeit bereits gibt, beschäftigen sich wiederum fast ausschließlich mit Mondfinsternis-Omina.745 Allerdings weisen diese Texte bereits Strukturen und Elemente auf, die auch in der kanonisierten Form des 1. Jt. v. Chr. zu finden sind. Dazu zählt etwa der Umstand, dass Eklipsen 736

Die sogenannten physiognomischen oder morphoskopischen Omina, deren Hauptserie Alamdimmû mitsamt den assoziierten Serien und Kommentartexte von B. Böck in ihrem Werk Die Babylonisch-assyrische Morphoskopie ediert wurden. 737 Das sogenannte assyrische Traumbuch, das von A. Leo Oppenheim in seinem Werk The Interpretation of Dreams in the Ancient Near East ediert und bearbeitet wurde. 738 Vgl. Parpola, Assyrian Prophecies, XLVI: „In any case, it is certain that Neo-assyrian Prophecy continued to be ecstatic in character.“ 739 Vgl. Maul, Omina und Orakel, 47. Da die Prophetie offenbar grundsätzlich mündlich erfolgte (Vgl. Parpola, Assyrian Prophecies, LXIII) und naturgemäß stark situationsgebunden war, konnte diese, anders als Omina, nicht in Form großer Serien kanonisiert werden. Überliefert ist die Praxis der Prophetie in Mesopotamien dennoch durch die altbabylonischen Briefe aus Mari und einige niedergeschriebene Prophetien aus neuassyrischer Zeit. 740 Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens, 13 f., und Fincke, Divination im Alten Orient, 9. Vgl. auch die überblicksartig dargestellten Quellen zur Sternenkunde im 3. Jt. v. Chr. in Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 32–34. 741 Vgl. Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 36: „The most cogent argument for a third-millennium origin of Babylonian divination, including astrology, would be its advanced state of development already in the Old Babylonian period.“ 742 Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens, 11. 743 Maul, Zukunftsbewältigung, 4. Siehe auch Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 36, und Freedman, If a City Is Set on a Height I, 13. 744 Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 40. 745 Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celectial Divination, 19–22.

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an bestimmten Tagen als Omen aufgeführt werden, an denen eine Verfinsterung aus astronomischer Perspektive gar nicht möglich ist.746 Auch der Zeitfaktor bei der Interpretation von Eklipsen ist in altbabylonischer Zeit bereits belegt.747 In der zweiten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. bleibt die Anzahl der Quellen zunächst ebenfalls gering. So stammen aus dem mesopotamischen Kernland nur einige wenige Texte.748 Die zunehmende Bedeutung astrologischer Omina offenbart sich jedoch dadurch, dass entsprechende Quellen auch außerhalb des mesopotamischen Kernlandes gefunden wurden, darunter in Hattuša, Emar, Qatna, Nuzi, Alalach, Ugarit und sogar in Elam, sodass sich das Wissen bereits verbreitet haben muss.749 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für die anderen Zweige der Divination feststellen.750 In der zweiten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. setzte der Prozess der Kanonisierung der Texte des Stream of Tradition ein.751 Im Zuge dieses Prozesses wurden die verschiedenen divinatorischen Praktiken in thematisch klassifizierten Tafelserien zusammengefasst.752 Deren Textzeugen sind zumeist aber erst aus dem 1. Jt. v. Chr. überliefert.753 In dieser Zeit begannen assyrische Könige im Zuge militärischer Konflikte auch systematisch damit, divinatorische und kultische Texte aus Babylonien abzuschöpfen und nach Assyrien bringen zu lassen – eine Praxis, die auch einige Jahrhunderte später, im fortgeschrittenen 1. Jt. v. Chr., noch nachweisbar ist.754 Ein erheblicher Teil des divinatorischen Quellenmaterials stammt dementsprechend aus der neuassyrischen Zeit. Auch die Sternenkunde erreichte zu der Zeit ihre erste umfassende Ausprägung.755 Zudem trat eine umfangreiche

746

Vgl. Hunger – Pingree, Astral Sciences, 7. Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 38. 748 Hunger – Pingree, Astral Sciences, 12. Siehe auch Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 41–44. 749 Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 44–51. 750 So stammen bspw. die ersten Texte des Šumma ālu-Typs ebenfalls aus der altbabylonischen Zeit. Die überwiegende Mehrheit der Textzeugen kann jedoch in das 7. Jh. v. Chr. datiert warden. Siehe Freedman, If a City Is Set on a Height, 13. 751 Siehe v.a. den einschlägigen Artikel von Lambert, Ancestors, Authors, and Canonicity. 752 Vgl. Maul, Zukunftsbewältigung, 4. 753 Darunter die astronomisch-meteorologische Serie Enūma Anu Enlil, die Serie Šumma ālu, die terrestrische Omina behandelt, weiterhin Šumma izbu, welches die Omina zu anormalen Geburten abdeckt und das sog. Assyrische Traumbuch, welches die Traumomina zusammenfasst. 754 Vgl. Cancik-Kirschbaum, Überlegungen zu Schrift, Schriftlichkeit und der ‘Mobilität von Wissen’ im Alten Orient, 110 f., und Frahm, Headhunter, Bücherdiebe und wandernde Gelehrte, 21. 755 Vgl. Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 51, und Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens, 25. 747

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Kommentar-Literatur zu den serialisierten Texten hinzu, die alternative Apodosen, Nebenüberlieferungen, und sprachliche Erläuterungen zu den Primärtexten boten.756

9.1.1) Die Zeit in den omina oblativa Die grundlegende Funktion von Zeit in der Beobachtung und Ausdeutung der von göttlicher Seite gesandten Omina ist im Handbuch der Beschwörungskunst zusammenfassend dargestellt und wurde in Kapitel 7 erläutert. Dort heißt es: „Des Zeichens Zeitpunkt überprüfe; ist kein Zeichen als Entsprechung des Zeichens entstanden und keine Aufhebung erfolgt, wird es nicht vorübergehen, sein Unheil kann man nicht bannen, es wird herantreten. […] diese (Dinge) erwäge und „Wenn vom Monat Araḫsamna an“ sowie „Ein Stern, der vorne eine Spitze hat“, die zwei Tafeln, behalte in der Hand.“757 Die mit der Beobachtung und Ausdeutung des Omens beauftragten Gelehrten sollten für die Interpretation also zunächst feststellen, zu welcher Zeit sich das Omen ereignete. Dieser Zeitpunkt wurde mit dem Lexem adannu beschrieben. Der Begriff wurde bereits in Kapitel 2.2 vorgestellt und bezeichnet einen zuvor festgelegten Zeitpunkt, bzw. einen Termin. Die Bedeutung der Aufforderung, den Zeitpunkt eines Omens festzustellen, offenbart sich auch in den eigentlichen Omen-Sammlungen.758 Im Folgenden wird ein Auszug aus der 22. Tafel der Serie Šumma ālu als Beispiel angeführt, in der das Zusammentreffen mit einer Schlange anhand des Zeitpunktes ausgedeutet wird: Šumma ālu XXII, 1–34759 1) diš ina itibára u4.1.kám na la-am ta giš.ná gìr-šú ana ki gar-nu muš ta ḫabrud.da è-ma la-am ma-am-man igi lú igi lú.bi ina šà mu.bi ug7 šum4ma lú.bi ti.la ḫa-šiḫ sag.du ú-ḫar-ra-ár te.meš-šú ú-gal-lab iti.3.kám ušta-pa-áš-šaq-ma ti-uṭ 2) diš ina itibára u4.1.kám muš na igi ina šà mu.bi ug7: uš-ta-pa-áš-šaq-ma ti 3) diš ina itibára ta u4.1.kám en u4.10.kám muš lú igi lú.bi u4.meš-šú lugud.da.meš i.bí.za igi 4) diš ina itibára ta u4.1.kám en u4.30.kám muš lú igi lú.bi u4.meš-šú lugud.da nam.érim dib-su 756

Siehe u.a. Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 76, und Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens, 20 f. Vgl. die zahlreichen unterschiedlichen Kommentare-Texte, die allein für Enūma Anu Enlil entstanden sind. Diese werden aufgelistet und beschrieben u.a. von Koch-Westenholz, Babylonian Astrology, 82–91, und Maul, Omina und Orakel, 54. Eine umfangreiche Studie über die babylonisch-assyrische Kommentar-Literatur hat E. Frahm mit seinem Werk Babylonian and Assyrian Text Commentaries vorgelegt. 757 Z. 44–48. Siehe Kapitel 7. 758 Vgl. Koch, Mesopotamian Divination Texts, 212. 759 Freedman, If a City Is Set on a Height Vol. II, 8–13.

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5) diš ina itibára u4.1.kám muš ana ugu lú šub-ut lú.bi ina šà mu.bi ug7 6) diš ina itibára ta u4.1.kám en u4.15.kám muš ana ugu lú šub-ut lu gig lu ki.šú dan-na dib-su 7) diš ina itibára ta u4.1.kám en u4.30.kám muš ana ugu lú šub-ut šu.bi.dil. àm760 8) diš ina itibára ta u4.1.kám en u4.30.kám muš ana igi lú šub-ut šu.bi.dil.àm (…) 21) diš ina zag.muk ina itibára u4.1.kám lu ina itigu4 u4.1.kám lu ina kal u4-mi lu ina kal gi6 muš na igi lú.bi ina šà mu.bi ug7 šum4-ma na.bi ti.la ḫa-šiḫ sag.du ú-ḫar-ra-ár te.meš-šú ú-gal-lab 3 iti.meš šú-nu-ti uš-ta-pa-šaqma ti-uṭ kimin ti-bu kaš-du na.bi ina á.gú.zi.ga ana damar.utu ú-še-di-ma sig5 kimin ki.šú gig igi na.bi damar.utu ú-še-ˀu-ú-ma ḫul-šú du8 lú.bi ina pap.ḫal u bad4 è 22) diš ina itibára lu ina itigu4 muš na igi na.bi ina šà mu.bi ug7 ana ti.la-šú sag.du-su ú-ḫar-ra-ar te.meš-šú ú-gal-lab 3 iti.meš šú-nu-ti ra-man-šú ú-ḫar-ra-ar-ma ti-uṭ 23) diš ina itigu4 ta u4.1.kám en u4.15.kám muš na igi na.bi u4.me-šú lugud.me i.bí.za igi-mar 24) diš ina itigu4 muš ana ugu na šub-ut lu gig lu ki.šú dan-nu dib-su 25) diš ina itisig4 muš lu ana igi na lu ana egir na šub-ut ni-[ziq-tú] 26) diš ina itišu muš na igi [kimin] 27) diš ina itine muš na igi [kimin] 28) diš ina itikin muš na igi [kimin] 29) diš ina itidul muš na igi [kimin] 30) diš ina itiapin [muš na] igi [kimin] 31) diš ina itigan [muš na] igi [kimin] 32) diš ina itiab muš n[a] igi [kimin] 33) diš ina itizíz ina qé-reb en.te.na muš ina sila dagal.la igi un.me dumu.meši-na níg.šu-ši-na ana ki.lam è-a 34) diš ina itiše na muš igi [e]k-let nam-rat 1) Wenn im Nisannu, am ersten Tag, ein Mann (noch) bevor er vom Bett aus seinen Fuß auf den Boden setzt, eine Schlange aus dem Loch hervorkommt und sie, bevor irgendjemand sie sieht, den Mann sieht, wird dieser Mann innerhalb dieses Jahres sterben. Wenn dieser Mann zu Leben wünscht, muss er sein Haupt freilegen761, seine Wangen muss er rasieren. 760

Leichty, šumma izbu, 27 zu šu.bi.dil.àm: „This word, like MIN oder KIMIN, functions like the English ditto mark. It always stands alone as the full apodosis and means that the apodosis is exactly the same as that of the preceeding omen.“ 761 Das hier genutzte Verb ḫarāru bedeutet „graben“, „aushöhlen“. Vgl. AHw I, 323. Freedman, If a City is set on a Height, Vol. II, 9, lässt das Verb an dieser Stelle unübersetzt. Vor dem Hintergrund der geforderten Rasur der Wangen liegt die Vermutung nahe, dass damit ein Euphemismus für die Rasur des Haupthaares gemeint sein könnte.

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Drei Monate lang wird er in Schwierigkeiten sein, aber er wird leben. 2) Wenn im Nisannu, am ersten Tag, eine Schlange einen Mann sieht, wird er innerhalb dieses Jahres sterben: er wird in Schwierigkeiten sein, aber er wird leben. 3) Wenn im Monat Nisannu, vom ersten Tag bis zum zehnten Tag, eine Schlange einen Mann sieht, werden dessen Tage kurz sein; er wird finanzielle Verluste erblicken. 4) Wenn im Monat Nisannu, vom ersten bis zum 30. Tag, eine Schlange einen Mann sieht, werden des Mannes Tage kurz sein; ein Eid wird ihn ergreifen. 5) Wenn im Monat Nisannu, am ersten Tag, eine Schlange auf einen Mann fällt, wird dieser Mann innerhalb dieses Jahres sterben. 6) Wenn im Monat Nisannu, vom ersten Tag bis zum 15. Tag, eine Schlange auf einen Mann fällt, werden entweder eine Krankheit oder schwere Haft ihn ergreifen. 7) Wenn im Nisannu, vom ersten bis zum 30. Tag, eine Schlange auf einen Mann fällt, ebenso. 8) Wenn im Nisannu, vom ersten bis zum 30. Tag, eine Schlange vor einen Mann fällt, ebenso. (…) 21) Wenn an Neujahr, im Nisannu, am ersten Tag, oder im Ajjaru, am ersten Tag, (sei es) am gesamten Tag oder der gesamten Nacht, eine Schlange einen Mann sieht, wird dieser Mann innerhalb dieses Jahres sterben. Wenn dieser Mann zu Leben wünscht, muss er sein Haupt freilegen, seine Wangen muss er rasieren. Diese drei Monate lang wird er in Schwierigkeiten sein, aber er wird leben. Ebenso: eine erfolgreiche Erhebung; dieser Mann muss es Marduk am Morgen wissen lassen und es wird gut sein. Ebenso: Haft und Krankheit wird er sehen; dieser Mann muss Marduk aufsuchen und sein Böses wird gelöst werden; aus Schwierigkeiten und Not wird er herauskommen. 22) Wenn im Nisannu oder im Ajjaru, eine Schlange einen Mann ansieht, wird dieser Mann innerhalb dieses Jahres sterben. Um zu leben muss er sein Haupt freilegen (und) seine Wangen rasieren; diese drei Monate muss er sich selbst freilegen und er wird leben. 23) Wenn im Ajjaru, vom ersten Tag bis zum 15. Tag, eine Schlange einen Mann ansieht, werden dieses Mannes Tage kurz sein; er wird finanzielle Verluste sehen. 24) Wenn im Ajjaru eine Schlange auf einen Mann fällt, werden entweder Krankheit oder schwere Haft ihn ergreifen. 25) Wenn im Simānu eine Schlange entweder vor oder hinter einen Mann fällt: Leid. 26) Wenn im Duˀūzu eine Schlange einen Mann ansieht: [ebenso].

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27) Wenn im Abu eine Schlange einen Mann ansieht: [ebenso]. 28) Wenn im Ulūlu eine Schlange einen Mann ansieht: [ebenso]. 29) Wenn im Tašrītu eine Schlange einen Mann ansieht: [ebenso]. 30) Wenn im Araḫsamna [eine Schlange einen Mann] ansieht: [ebenso]. 31) Wenn im Kislīmu [eine Schlange einen Mann] ansieht: [ebenso]. 32) Wenn im Ṭebētu eine Schlange einen Ma[nn] ansieht: [ebenso]. 33) Wenn im Šabāṭu, mitten im Winter, einen Mann eine Schlange auf einem Platz sieht, werden die Leute ihre Söhne und ihren Besitz zum Marktwert herausgehen lassen. 34) Wenn im Addaru ein Mann eine Schlange sieht, wird Finster[nis] zu Licht. Das Beispiel verdeutlicht, warum der Zeitpunkt des Auftretens eines Omens von fundamentaler Bedeutung für dessen Interpretation war. Je nach Zeitpunkt konnte das gleiche Omen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Diese reichten von sehr positiven, bis hin zu eindeutig negativen Konsequenzen. Dies impliziert, dass die Götter den Zeitpunkt eines Omens genau festlegen mussten, um den Menschen ihr Wohlwollen, oder Missfallen verständlich zu machen. Nach der besprochenen Textstelle aus dem Handbuch der Beschwörungskunst standen dem interpretierenden Gelehrten dabei weitere Tafeln zur Verfügung, welche die Deutung erleichtern sollten. Der im Handbuch in Z. 23 genannte Text „Wenn vom Monat Araḫsamna an“ scheint, sofern man das Incipit als Hinweis versteht, den zeitlichen Aspekt der Interpretation zu unterstützen. Der Text ist allerdings nur durch sein Incipit bekannt und darüber hinaus nicht erhalten. Sofern nicht explizit angegeben, war das in der Protasis beschriebene Omen nur für den angegebenen Tag gültig. Wie das hier vorgebrachte Beispiel zeigt, konnten sich die in der Apodosis zum Ausdruck gebrachten Auswirkungen des Omens aber auch durchaus auch auf einen längeren Zeitraum beziehen.762 Das gleiche Ereignis wird in den folgenden Zeilen 3 und 4 aufgegriffen und unter neuen zeitlichen Parametern betrachtet. Die verwendete Phrase ta u4.x.kám en u4.x.kám beschreibt den Zeitraum, für den das Omen seine Gültigkeit besaß. Die Dauer konnte dabei wenige Tage bis zu einem Monat betragen. Die 10. Tafel von Šumma ālu enthält in den Zeilen 5’ f. und 12 f. sogar die Angabe, dass die dabei genannten Omina für ein ganzes Jahr Gültigkeit besaßen, vom „Nisannu, vom

762

Die Nennung von drei Monaten Wirkungsdauer ist eine vergleichsweise seltene Angabe. Eine ähnliche Angabe für nur 15 Tage Wirkungsdauer findet sich ebenfalls in Šumma ālu, Tafel 20, Z. 15. Dort heißt es diš bi-ir-ṣu gin7 nu-ri igi.du8 na.bi u4.15.kám uzu.bi nu dùg.ga – „Wenn eine Lichterscheinung wie eine Lampe beobachtet wird, wird dieses Mannes Fleisch für 15 Tage nicht gut sein.“ (Freedman, If a City is set on a Height, Vol. I, 296 f.). Die meisten Folgen, die aus Omina hervorgehen, sind zeitlich unspezifisch und beziehen sich auf das Leben des Betroffenen im Allgemeinen.

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ersten Tag bis zum Schaltmonat Addaru, am 30. Tag.“763 Das genannte Omen – die Entweihung von Heiligtümern – war, der Schwere des Vergehens entsprechend, demnach immer ein schlechtes Omen.764 Der Textabschnitt nennt im Folgenden weitere Omina. Dabei wird wieder die entsprechende Gültigkeitsdauer angegeben, bis schließlich in Z. 21 das zuerst genannte Omen noch einmal wiederholt wird. In diesem Kontext wird die interessante und wichtige Aussage getroffen, dass dieses Omen für den gesamten Tag und die gesamte Nacht gültig war. Dagegen hing die Wirkung anderer Omina von einer bestimmten Tages- oder Nachtzeit ab. Auch dafür finden sich vereinzelte Beispiele in Šumma ālu: Šumma ālu XIX, 57’–63’765 57’) diš ina é na gidim ina en.nun.an.usan ka.ka-si lú.bi ul ul-tab-bar 58’) diš ina é na gidim ina en.nun.muru4.ba ka.ka-si kur-ád áš: til u4-me 59’) diš ina é na gidim ina en.nun.u4.zal.li ka.ka-si arḫuš dingir ana lú gál-ši 60’) diš ina é na gidim ina an.ne ka.ka-si en é ki.kal dib-su 61’) diš ina é na gidim ina an.ne u4 ka.ka-si úš ina é na ug7 62’) diš ina é na gidim ina á.u4.te.na ka.ka-si ana idim til u4-me ana maš.en.gag ta-a-a-rat dingir.me igi-mar 63’) diš ina é na gidim ina á.gú.zi.ga ka.ka-si ki-ṣir šà dingir ana na du8 57’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist während der ersten Nachtwache unablässig schreit, wird dieser Mann nicht alt werden. 58’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist während der mittleren Nachtwache unablässig schreit; Erreichen eines Wunsches: Ende der Tage. 59’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist während der Morgenwache unablässig schreit, wird das Erbarmen eines Gottes für den Mann vorhanden sein. 60’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist am Mittag unablässig schreit, werden Schwierigkeiten den Herren des Hauses ergreifen. 61’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist am Nachmittag766 unablässig 763 iti

bára ta u4.1.kám en itidiri.še u4.30.kám. Vgl. Freedman, If a City is set on a Height, Vol. I, 160. 764 In Z. 6’ wird die Entweihung (ú-šal-pit) eines ub.líl.lá genannt und in Z. 13’ die Entweihung eines bára. In den Zeilen 5’ f. und 13’ sind keine Apodosen erhalten. Lediglich aus der Z. 12’, die ebenfalls einen entsprechenden Zeitraum nennt, ist ein Teil der Apodosis erhalten, die dem Betroffenen Verärgerung (kiṣir libbi), vermutlich eines Gottes, ankündigt. Vgl. Freedman, If a City is set on a Height, Vol. I, 160 f. 765 Freedman, If a City is set on a Heights, Vol. I, 280 f. 766 Freedman, If a City is set on a Height, 281, übersetzt die Zeitangabe in dieser Zeile folgendermaßen: „If a ghost is persistently crying out in a man’s house at … midday, (…).“ Da der Mittag (an.ne) bereits in der vorangehenden Zeile genannt wird, muss es sich bei an.ne u4 um eine andere Tageszeit handeln. Da die darauffolgende Zeile 63 den Abend

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schreit, wird ein Sterbender im Haus des Mannes sterben. 62’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist am Abend unablässig schreit, für einen Gewichtigen: Ende der Tage; Für einen muškēnu: Er wird die Rückkehr der Götter sehen. 63’) Wenn im Haus eines Mannes ein Totengeist am Morgen unablässig schreit, wird der Zorn eines Gottes für den Mann gelöst. Dieser Textabschnitt veranschaulicht dabei, dass nicht nur die Monate und Tage entscheidend waren, um die Auswirkungen eines Omens zu bestimmen. Vielmehr konnten sogar die Tageszeiten zu sehr unterschiedlichen Interpretationen des gleichen Omens führen. Während das Schreien eines Geistes am Morgen als positives Omen gesehen werden konnte, war das gleiche Phänomen am Abend und in der Nacht sowie zur Mittagszeit deutlich negativer konnotiert.767 Im letzten Abschnitt des zuvor besprochenen Textausschnitts zu den Schlangenomina werden schließlich die restlichen Monate aufgeführt. Zudem wird dargelegt, welche Bedeutung sie in den jeweiligen Monaten hatten. Dabei wird schnell deutlich wird, dass diejenigen Omina negativer Art waren, die in jedem einzelnen Monat eine negative Konnotation hatten. Insgesamt veranschaulichen Šumma ālu, dass Zeit, sowohl in Form einzelner Zeitpunkte als auch in Form größerer Zeiträume, ein entscheidender Faktor für die Bedeutung und die Interpretation eines Omens sein konnte. Sogar die Folgen eines Omens konnten sich auf bestimmte Zeiträume auswirken. Darüber hinaus offenbart der Text einmal mehr, dass der ideale 30-tägige Monat als Referenzrahmen diente. Zudem zeigen die Beispiele die formalen Möglichkeiten auf, wie sich Zeit im Rahmen der Omen-Texte manifestieren konnte. Die Monate waren demnach nicht nur Faktoren in der Interpretation des Omens, sondern dienten textintern auch als Gliederungsmerkmal. So konnten Omina innerhalb eines genannten Monats wiederum an einem ganz spezifischen Tag auftreten. Innerhalb der Tage konnten die einzelnen Tageszeiten abermals als Mittel der Textgliederung dienen. Die Zeit als Faktor der Interpretation wurde in den Texten zumeist systematisch von den größeren zu den kleineren Zeiteinheiten ausgearbeitet.

(á.gú.zi.ga) nennt, liegt es nahe, in der hier besprochenen Zeile vom Nachmittag auszugehen. 767 Vgl. auch Šumma ālu XX, 32 f. (Freedman, If a City is set on a Height, 98 f.): 32) diš bi-ir-ṣu ina gi6 ig[i.du8 na.b]i šà-bi nu dùg.ga. gar-šú 33) diš bi-ir-ṣu ina igi u4.zal.li ig[i.du8] na.bi dutu ḫul nu te-šú. 32) Wenn eine Lichterscheinung in der Nacht beob[achtet wird], wird die[sem Mann] ein ungutes Herz gesetzt. 33) Wenn eine Lichterscheinung am frühen Morgen beob[achtet wird], wird diesem Mann Šamaš das Böse sich nicht nähern lassen.

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Insgesamt lässt sich aber konstatieren, dass Zeitangaben in den terrestrischen Omina der Serie Šumma ālu vergleichsweise selten vorkommen. So finden sich die meisten Zeitangaben in den Tafeln 5, 10, 11, 16, 17 und 19, die sich, von der 19. Tafel abgesehen, vornehmlich mit dem Bau verschiedener Gebäude beschäftigen. Diese Tafeln stellen allerdings wieder einen Sonderfall dar, da sie formal zwar wie Omina aufgebaut sind, d.h. die typische Protasis – Apodosis-Folge aufweisen, inhaltlich jedoch dem menologischen Text Iqqur īpuš näherstehen.768 Genau wie Iqqur īpuš geben diese Tafeln Anweisungen, in welchem Monat die beabsichtigte Tätigkeit gute bzw. negative Auswirkungen haben wird. Statt also spontan auftretende Omina zu beschreiben, beziehen sich die Angaben auf geplante Vorhaben. Lässt man folglich die eher menologischen Tafeln von Šumma ālu außer Betracht, verbleiben nur noch vergleichsweise wenige Textstellen, in denen der Faktor Zeit tatsächlich genannt wird. Dabei stellt die oben in Übersetzung wiedergegebene Textstelle das umfangreichste Beispiel aus den publizierten 40 Tafeln von Šumma ālu dar.769 Auch bei den Geburtsomina spielt Zeit nur an einer Stelle eine Rolle: Das Ende der vierten Tafel, die sich an dieser Stelle mit menschlichen Geburten beschäftigt, enthält Omina, die sich speziell auf die Geburten bei königlichen Frauen (munus.lugal) beziehen.770 Dort findet sich in den Zeilen 62’ und 63’ die bereits bekannte Formel, die ein Omen einem gewissen Zeitraum zuweist, konkret dem Nisannu, vom ersten bis zum 30. Tag und dem Addaru, ebenfalls vom ersten bis zum 30. Tag.771 Die Zeilen 65’–73’, die den erhaltenen Rest der Tafel bilden, nennen zudem weitere Omina, die sich jeweils auf einen bestimmten Monat bzw. letztlich auf das zweite Jahr, möglicherweise das Jahr der Schwangerschaft beziehen.772 Die Apodosen der Zeilen 62’ und 63’ sowie 65’–73’ sind allerdings nicht erhalten, sodass die genaue Einordnung des Zeitfaktors in den Kontext nicht möglich ist.773 Die ebenfalls recht zahlreich vertretenen morphoskopischen Omina nutzen den Zeitfaktor bei der Interpretation dagegen – soweit ersichtlich – überhaupt nicht.

768

Siehe auch Kapitel 9.2, das sich gezielt mit den hemerologischen und menologischen Texten beschäftigt. 769 Weitere Beispiele für die Verwendung von Zeit in Šumma ālu finden sich in den Tafeln XIX, 85’–97’; XX, 32 f. XXII, 1–34, XXXII, 19 und XXXVIII, 24’ und 105’. 770 Die fünfte Tafel wendet sich schließlich den Omina zu, die auf anormale Geburten von Tieren zurückgehen. 771 62’) [diš ina itibára] ta [u4.1.kam en u4.30.kam … ù.tu] tur.diš.bi […] 63’) [diš ina] itiše ta u4.[1.kam en u4.30.kam … ù.tu] tur.diš.bi ana ˹x˺ […]. Transliteration nach Leichty, The Omen Series šumma izbu, 72. x 772 So die Interpretation von Leichty, The Omen Series šumma izbu, 72 und Kommentar zu Z. 65’. 773 Labat, Un calendrier babylonien, § 64, 132 f. und Anm. 5

180

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Das vergleichsweise seltene Vorkommen des Zeitfaktors in den terrestrischen, physiognomischen und Geburts-Omina hängt möglicherweise damit zusammenhängen, dass es sich um ad-hoc-Situationen handelt, die lokal stark begrenzt waren und somit nur von einer oder wenigen Personen beobachtet werden konnten. Da diese Omina in der Regel also keiner rhythmischen Wiederkehr unterlagen, scheint der Zeitfaktor bei der Interpretation eher nebensächlich gewesen zu sein. Dabei ist nicht auszuschließen, dass der Zeitfaktor zwar beachtet, aber nicht detailliert in den Omen-Serien aufgeschlüsselt wurde. In dem Fall stellte sich jedoch die Frage nach der Systematik und Koheränz des Zeitfaktors. Eine Regel, wonach manche Monate grundsätzlich positive oder negative Interpretationen zuließen, lässt sich für Šumma ālu jedenfalls kaum erkennen. Zwar sind für manche Monate entsprechende Tendenzen sichtbar, doch finden sich im Allgemeinen für einen Monat – abhängig von dem jeweiligen Omen – sowohl positive als auch negative Interpretationen.774 Ganz anders ist der Befund im Hinblick auf die astronomisch-meteorologischen Omina, den „Zeichen des Himmels“, die in der Serie Enūma Anu Enlil zusammengefasst wurden. Der überwiegende Teil der bisher bekannten und edierten Tafeln dieses Werkes weist eine zeitliche Komponente auf. Dies dokumentiert beispielhaft folgender Textausschnitt aus der 21. Tafel von Enūma Anu Enlil. Allein die ersten 22 Tafeln dieser Serie thematisieren Phänomene, die am Mond beobachtet werden können. Bei der 21. Tafel handelt es sich um eine von insgesamt acht Tafeln, die sich mit dem überaus bedeutsamen Omen einer Mondfinsternis auseinandersetzten:775 EAE 21, § 1 und 2776 §I 1) diš ina itibára u4.14.kam an.mi gar-ma ina im.u18.lu [sar-ma ina im …777 izku] 2) ina en.nun an.úsan sar-ma ina en.nun muru4.ba iz-ku [im.u18.lu ina šu-ka tu-kal KAxMI-šú igi-ma] 3) ana lugal a.ga.dèki eš.bar sum-in lugal uriki b[e šum-ma lugal] 4) an.mi i-te-ti-iq-šú ub-bu-ṭú u su.gu7 gál-ma un.meš tur.meš!-ši-na ana ki.lam è.meš 5) kur gal ana kur tur ana ti du-ak 6) diš u4.15.kam an.mi gar-ma ina šà.ḫul it-bal u mul gal šub-ut bi-ib-lu kur 774

Tendenziell negative Monate waren die Schaltmonate sowie die Monate Kislīmu und Ṭebētu, die dementsprechend vorwiegend negative Interpretationen nach sich ziehen. 775 Nach dem von Weidner, Die astrologische Serie Enûma Anu Enlil, 186 f., publizierten, seleukidischen Katalog aus Uruk handelt es sich dabei um die Tafeln 15–22. Vgl. Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 18 und Anm. 2. 776 Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 233–236. 777 Vgl. Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 233, Anm. 2.

9) Die Qualität der Zeit

181

tùm ki.lam kur tur 7) [diš u4].16.kam an.mi gar kimin min šèg.meš ina an-e a.kal ina be tar.meš 8) diš u4.20.kam an.mi gar kimin min lugal ana lugal sal.kúr kin-ár 9) diš u4.21.kam an.mi gar kimin min a.ab.ba ḫád.du ma.dam a.ab.ba záḫ še ina nap-šá-ra-a-ti lá-ṭi še tur ki.lam tur § II 1) diš ina itigu4 u4.14.kam an.mi gar-ma ina im.si.sá sar-ma ina im.kur.ra izku 2) ina en.nun.murub4.ba sar-ma ina en.nun.u4.zal.li iz-ku im.si.sá ina šu-ka tukal 3) KAxMI-šú igi-ma ana lugal nim.maki eš.bar sum-in šub-tim lugal nim.maki 4) ina gištukul gál-ši la ta-ar re-di-I ana un.meš-šú 5) diš u4.15.kam an.mi gar lugal illat.meš-šú kimin SAL.TU.tu-šú778 bal.meššú dudu.idim sar-ma máš.anše záḫ 6) diš u4.16.kam an.mi gar lugal be-ma kur i-ḫar-ru-ub na-me-e kúr pa-aṣ giš.gan 7) diš u4.20.kam an.mi gar lugal ina aš.te-šú zi-ma man-ma aš.te dib-bat 8) diš u4.21.kam an.mi gar ḫi-ṣib a.ab.ba záḫ-ma a.ab.ba ap-pa-ru i-šìr qí-nu mušen uš-šú §I 1) Wenn im Nisannu, am 14. Tag, eine Eklipse auftritt und (diese) im Süden [beginnt und im … aufklart]; 2) (diese) während der ersten Nachtwache beginnt und in der mittleren Nachtwache aufklart: [den Osten behältst du in der Hand, seine Eklipse wirst du sehen]; 3) für den König von Akkad wird die Entscheidung getroffen; der König von Akkad wird ster[ben. Wenn dem König 4) die Eklipse vorübergeht, werden Mangel und Hungersnot auftreten und die Leute werden ihre Kinder zum Marktpreis herausgehen lassen; 5) das große Land wird zum kleinen Land gehen, um zu leben. 6) Wenn am 15. Tag eine Eklipse auftritt, er in Kummer verschwand und ein großer Stern fiel, wird Hochwasser das Land wegtragen; der Marktpreis des Landes wird gering sein. 7) [Wenn am] 16. [Tag] eine Eklipse auftritt, dito dito, wird der Regen im Himmel und das Hochwasser in der Quelle abgeschnitten werden. 778

Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 235, Anm. 1, macht darauf aufmerksam, dass die sonderbare Schreibung sal.tu.tu in den Textzeugen C und D durch die syllabische Schreibung til-la-te (C), bzw. til-˹la˺-[t]i (D) ersetzt wird. Rochberg schlägt daher vor, die Schreibung entweder zu BE!-la!-tu zu emendieren, die syllabische Lesung šal-ṭú-tu anzunehmen oder es als Pseudologogramm für tillatu zu betrachten. Aufgrund der parallelen Textzeugen C und D erscheint zumindest die syllabische Lesung šalṭú-tu unwahrscheinlich.

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

8) Wenn am 20. Tag eine Eklipse auftritt, dito dito, wird ein König einem (anderen) König Feindschaft erklären. 9) Wenn am 21. Tag eine Eklipse auftritt, dito dito, wird das Meer austrocknen; der Ertrag des Meeres wird verschwinden; das Getreide im n.-Korb wird gering sein; das Getreide wird gering sein; der Marktwert wird gering sein. § II 1) Wenn im Ajjaru, am 14. Tag, eine Eklipse auftritt und (diese) im Norden beginnt und im Osten aufklart; 2) (diese) in der mittleren Nachtwache beginnt und in der Morgenwache aufklart; den Norden behältst du in der Hand, 3) seine Eklipse wirst du sehen; für den König von Elam wird die Entscheidung getroffen. Der Fall des Königs von Elam 4) durch die Waffe wird vorhanden sein; keine Rückkehr des Soldaten zu seinen Leuten. 5) Wenn am 15. Tag eine Eklipse auftritt, des Königs Truppen dito; seine Hilfstruppen werden gegen ihn rebellieren; der Planet779 wird aufgehen (und) das Vieh wird zugrunde gehen. 6) Wenn am 16. Tag eine Eklipse aufritt, wird der König sterben und das Land wird verwüstet; die Steppe wird der Feind schlagen. 7) Wenn am 20. Tag eine Eklipse auftritt, wird sich der König von seinem Thron erheben und ein anderer wird den Thron ergreifen. 8) Wenn am 21. Tag eine Eklipse auftritt, wird der Ertrag des Meeres verschwinden; das Meer …780 Sumpf; das Nest eines Vogels wird sein Grund. Der Text folgt im weiteren Verlauf diesem Schema und handelt so auch die weiteren Monate des Jahres ab. Der Textabschnitt orientiert sich damit an der systematischen Gliederung nach Zeiteinheiten, die bereits am Beispiel der SchlangenOmina gezeigt werden konnte. Dieses Ordnungsschema, das die Zeiteinheiten als Mittel der Textgliederung nutzt, ist speziell für die Mondfinsternis-Omina bereits in altbabylonischer Zeit nachweisbar.781 Zugleich verdeutlicht der Text exemplarisch, dass die Interpretation von Finsternis-Omina überaus komplex war, und die Zeit eine wesentlich umfangreichere Rolle bei der Interpretation spielte, als in den Beispielen aus Šumma ālu. So war nicht nur der Monat entscheidend, in dem das astrale Ereignis stattfand, sondern auch der Tag sowie die Nachtwache. 779

Nach Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 235, Anm. 2, muss mit dem Planeten der Mars gemeint sein, da der Aufgang des Mars auch in anderen divinatorischen Texten mit dem Niedergang des Viehs in Verbindung gebracht wurde. 780 Vgl. Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 236, Anm. 5. Eine parallele Textstelle findet sich in EAE 21 a 8’–9’, allerdings unter Verwendung des Verbes emû – „werden (zu)“. 781 Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 19 f. und 36.

9) Die Qualität der Zeit

183

Im Gegensatz zu den lokal begrenzten terrestrischen Omina konnten astrale Ereignisse wie die hier aufgeführten Eklipsen im gesamten Land und weit darüber hinaus beobachtet werden. Die gleichsam globale Natur dieser Ereignisse erschwerte naturgemäß die Bestimmung, welchem König bzw. welchem Land das von den Göttern gesandte Omen zugedacht war. Um den Adressaten eines astralen Omens zu bestimmen, wurde ein System aus Assoziationen genutzt, dass bestimmte Begebenheiten, die beim Auftreten des Omens herrschten, mit einer von jeweils vier Regionen in Verbindung brachten. Bei Eklipsen bestand zunächst die Möglichkeit, die betroffene Region anhand der Bewegung des Schattens auf der Oberfläche des Himmelskörpers zu bestimmen.782 Zu diesem Zweck wurde die Oberfläche des Mondes in vier Quadranten eingeteilt, die jeweils mit einer Region in Verbindung gebracht wurden.783 In der Regel handelte es sich dabei um die Regionen Akkad, Subartu / Gutium, Elam und Amurru, die auf dem Himmelskörper meist entsprechend der Himmelsrichtung verortet waren.784 Die historisierende Benennung dieser Regionen entsprach im 1. Jt. v. Chr. längst nicht mehr der politischen Wirklichkeit, doch konnten sie von den Gelehrten offenbar zur Bestimmung der aktuellen politischen Akteure genutzt werden. Entsprechend stellte bereits Rochberg-Halton fest: „These are schematic geographical terms and have little to do with actual political boundaries. This has its origins in the early cosmographic conception of the “four quarters” (kibrāt arbaˀim) and the “four corners” (tubqāt arbaˀim) known from the royal titular and historical inscriptions. The division of the world into four is intrinsically bound up with the four winds, and hence the four cardinal points.“785 Die Gleichsetzung der altertümlichen Namen mit zeitgenössischen Regionen der neuassyrischen Zeit wird beispielhaft in dem Brief ABL 337 deutlich. Darin erläutert Mār-Issar dem König, dass mit Amurru das Land Hatti oder alternativ Chaldea gemeint ist.786 Der Schattenwurf einer Eklipse und die daraus resultierende Einteilung des Mondes in Quadranten war aus gegebenem Anlass diesem speziellen astralen Ereignis vorbehalten. Es gab darüber hinaus noch weitere Faktoren, anhand derer der Adressat eines astralen Omens bestimmt werden konnte. Darüber gibt beispielhaft der Brief K 1049 des Gelehrten Issar-šumu-ereš Auskunft:

782

Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 51–55. Für eine Übersicht der diesbezüglichen Schemata siehe Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 51–55. 784 Siehe Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 53 f. 785 Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 51. 786 Parpola, Letters of Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 347, Rs. 14’ f. Vgl. auch Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 51 f. 783

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

K 1049787 Vs. 6) ina ugu m[a-ṣar]-ti 7) šá lú.[engar be-l]i 8) iš-p[ur-an-ni] 9) m[a]-˹a˺ [ x x x] Rest der Vs. abgebrochen Rs. 1’) ma-a šum-ma i!-˹šá!˺-[kan] 2’) mi-i-nu a-bat-su 3’) u4.14.kam kur nim.maki 4’) itisig4 kur mar.tuki 5’) eš.bar-šú a-na šeš.unugki 6’) ù šum-ma is-sa-kan 7’) qaq-qu-ru é ú-la-pat-an-ni 8’) ù šá-a-ri a-li-ku 9’) is-se-niš i-na-sa-ḫa Vs.

6) Wegen der Wache, 7) bezüglich derer der [Bauer], mein [Herr] 8) [mir schr]ieb: 9) „… Rest der Vs. abgebrochen Rs. 1’) Wenn sie788 eintritt, 2’) was ist ihr789 Wort?“ 3’) Der 14. Tag (bedeutet) Elam, 4’) der Monat Simānu (bedeutet) Amurru. 5’) Dessen Entscheidung (gilt) für Uruk. 6’) Und wenn sie eintritt, 7’) das Gebiet und Haus, (das) sie berührt 8’) und der Wind, der weht, 9’) werden zusammen exzerpiert. Auch dieser Text scheint sich mit einer erwarteten Eklipse zu befassen.790 Der Text zeigt beispielhaft aber die verschiedenen Faktoren auf, die zur Interpretation des Ereignisses herangezogen werden konnten. So stellt der Wind, der zum Zeitpunkt der Beobachtung weht, ein Merkmal dar, das bei der Interpretation eine 787

Parpola, Letters of Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 26. Nach der Übersetzung von Parpola ist in dem Text eine Eklipse gemeint. 789 Wörtl. „sein“. 790 Das Wort für Eklipse wird in dem Brief nicht erwähnt oder hat in dem nicht erhaltenen Abschnitt des Briefes gestanden. Vgl. aber die Übersetzung von Parpola. Siehe auch den weiter oben übersetzten Textabschnitt aus EAE 21. Dort wird das Erscheinen einer Eklipse mit dem Verb šakānu wiedergegeben, das auch in dem hier zitierten Brief zur Anwendung kommt. 788

9) Die Qualität der Zeit

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Rolle spielte.791 Die bereits erwähnte Methode, zu beobachten, welcher Bereich vom Schatten der Finsternis berührt wird, findet ebenfalls wieder Anwendung. Besonders relevant sind im vorliegenden Kontext aber die Zeilen Rs. 3‘ f., die deutlich aussagen, dass der Zeitpunkt des Auftretens offenbar nicht nur die Konsequenzen des Omens bestimmte, sondern gleichzeitig in ein System aus Assoziationen eingebunden war, das auf die vom Omen betroffene Region hindeutete. Dies führte dazu, dass ein beobachtetes astrales Omen, das negative Konsequenzen ankündigt, nicht zwangsläufig zur Gefahr wurde: K 8713792 Rs. 7) giskim.meš ma-la il-li-ka-ni šá kur uri.ki ù lú.nun.meš-šú ši-na 8) mim-ma ina šà lum-ni-ši-na ana lugal be-lí-já ul te-ḫi an.mi d30 u dutu šá ina itisig4 gar-an 9) giskim.meš an-na-tu šá ḫul-nu šá kur uri.ki ù lugal.meš šá kur mar.tuki šá kur uri.ki 10) ši-na ù a-du-ú ina itigan a-ga-a an.mi iš-šak-kan iti˹še?˺ iti KI ME 11) ù mulsag.me.gar ina an.mi-šá gub-az ana lugal be-lí-ja šul-mu Rs. 7) Die Zeichen, so viele wie kamen, betreffen Akkad und dessen Fürsten. 8) All dessen Böses wird sich dem König, meinem Herrn, nicht nähern. Die Eklipse des Sîn und des Šamaš, die im Simānu erschien, 9) diese Zeichen des Bösen betreffen Akkad und die Könige von Amurru und Akkad 10) und nun, in diesem Kislīmu, wird eine Eklipse erscheinen. Der Kislīmu793 ist der Monat …794 11) und Jupiter wird in der Eklipse stehen. Für den König, meinen Herren (bedeutet dies) Wohlergehen. Eine schematische Zusammenstellung zumindest eines Teils dieser zeitlichen Assoziationen findet sich in der auf mehreren Fragmenten erhaltenen Great Star

791

Zum Wind als Faktor der Ausdeutung einer Eklipse siehe ausführlich Rochberg-Halton, Aspects of Babylonian Celestial Divination, 57–60. 792 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 502. 793 So die Übersetzung von Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, 279. Das in der Transliteration angegebene Zeichen še deutet eigentlich auf den Monat Addaru, jedoch lässt sich dadurch nicht erklären, warum der Schreiber des Briefes zunächst eine Eklipse im Kislīmu voraussagt, dann aber eine Erklärung für den Monat Addaru (itiše) gibt. 794 Auch Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings 279, lässt die betreffende Stelle unübersetzt.

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

List.795 Der Text ist sowohl in einer neuassyrischen, als auch in einer neubabylonischen Version erhalten, wurde aber bis heute nicht vollständig ediert.796 Der erhaltene Abschnitt beginnt zunächst mit einer Gleichsetzung von Sternen mit entweder anderen Konstellationen oder mit Göttern. Von Z. 183’–186’ führt die Liste die bereits dargestellte Gleichsetzung von Mondquadranten mit den vier Regionen Akkad, Elam, Amurru und Subartu auf.797 Darauf folgen weitere Aufzählungen von Sternen, z.B. der jeweils zwölf Sterne Elams und Amurrus, der sieben lumāšu-Sterne oder der Planeten. In Z. 257’ beginnt ein kalendarischer Abschnitt, der im vorliegenden Kontext von besonderem Interesse ist. Dieser Abschnitt wird durch eine Gleichsetzung der Monate des Standard Mesopotamian Calendar mit elamischen Monatsnamen eingeleitet.798 Darauf folgt ab Z. 270’ schließlich die Assoziation der einzelnen Monate mit den vier Regionen:

795

Great Star List, 270’–277’799 270’) itibára kur uriki 271’) itisig4 272’) itišu 273’) šu-tab-lak-kut-tum 274’) itibára itine itigan 275’) itigu4 itikin itiab 276’) [itisig4] itidu6 itizíz 277’) [itišu] itiapin itiše

gu4 kur nim.maki kur mar.tuki kur suki u gu-ti-i sukud.gin7 kur uriki kur nim.maki kur mar.tuki kur su.bir4ki

270’) Nisannu Akkad 271’) Simānu 272’) Duˀūzu 273’) Der Zyklus 274’) Nisannu, Abu, Kislīmu 275’) Ajjaru, Elūlu, Ṭebētu 276’) [Simānu], Tašrītu, Šabāṭu 277’) [Duˀūzu], Araḫsamna, Addaru

Ajjaru Elam Amurru Subartu und Gutium wie oben Akkad Elam Amurru Subartu

iti

Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 22. Für eine Übersicht über die erhaltenen Fragmente siehe Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 187, sowie Horowitz, A New Source for the Great Star List, 68 f. 796 Siehe Horowitz, A New Source for the Great Star List, 68 f. 797 Wobei die Anordnung der Quadranten hier nicht den Himmelsrichtungen entspricht. So werden Akkad mit der rechten Seite, Elam mit der linken Seite, Amurru mit der oberen und Subartu mit der unteren Seite des Mondes in Verbindung gebracht. 798 Hunger – Pingree, Astral Sciences in Mesopotamia, 22. Vgl. auch Cohen, Cultic Calendars, 362–364. 799 Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 200–203.

9) Die Qualität der Zeit

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Die Great Star List zeigt damit ausführlich für jeden der zwölf regulären Monate die Assoziation mit einer Region auf. Die Assoziationen von Zeitangaben mit Ländern betraf aber nicht nur die Monate, sondern auch die drei Wachen: Great Star List, 290’–292’800 290’) en.nun.an.ta 291’) en.nun.muru4.ba 292’) en.nun.u4.zal.li

kur u[riki] kur marki kur nimki

290’) Die erste Nachtwache 291’) Die mittlere Nachtwache 292’) Die Morgenwache

Ak[kad] Amurru Elam

Die Assoziationen einzelner Tage mit Regionen wurden in der Great Star List zwar nicht eingearbeitet, der oben genannte Brief verdeutlicht jedoch, dass auch die Tage eines Monats in dieses System mit eingebunden waren. Die Annahme wird unmittelbar durch den Text Šumma Sîn ina tāmartišu bestätigt. Bei diesem Text handelt es sich um einen mukallimtu-Kommentar zu Enūma Anu Enlil. Der Text stellt eine Besonderheit dar, da er sich inhaltlich nicht streng an den Bezugstext EAE anlehnt, sondern eher die generellen Prinzipien des Textes aufgreift und dabei auch die Omina neu gruppiert. Zudem wurde Šumma Sîn ina tāmartišu seinerseits serialisiert.801 Auf der vierten Tafel findet sich eine Kompilation der schematischen Assoziationen, die sich in ähnlicher Form auch in der Great Star List finden.802 Šumma Sîn ina tāmartišu IV, 9’–18’803 9’) [diš an.ku10 en.nun.an.úsan] ˹a-na nam.ug7.meš : diš an.ku10˺ en.nun. murub4.ba a-na ki.lam tur.ra 10’) [diš an.ku10 en.nun.ud.]˹zal.le a-na gig an.ti.la (:)˺ diš ud.˹dug4˺.ga en. nun.an.úsan a-na 3 iti u4.10.kám 11’) [diš ud.dug4.ga] ˹en.nun.murub4.ba a-na 6˺ iti ˹u4˺.20.kám ˹:˺ diš ˹ud˺. dug4.ga en.nun.ud.zal.˹le˺ a-na 10 iti.meš 12’) [diš an.ku10 en.]˹nun.an.úsan a-na kur uriki˺ : diš an.ku10 en.nun.murub4. ba a-na kur su.bir4ki 13’) [diš an.ku10 en.nun.]˹ud.zal.le a-na˺ kur ˹nim.maki˺ : diš itibára itine itigan kur uriki 14’) [diš itigu4 itikin] ˹itiab kur nim˺.ma˹ki˺ : diš itisig4 itidu6 itizíz kur mar.tuki 800

Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology, 202 f. Koch-Westenholz, The Astrological commentary šumma Sîn ina tāmartīšu, 150 f. 802 Vgl. Wainer, Traditions of Mesopotamian Celestial-Divinatory Schemes, 72. Für eine Analyse der Unterschiede zwischen den Schemata siehe ibid., 59–63. Siehe weiterhin Steele, Short Time in Mesopotamia, 109. 803 Wainer, Traditions of Mesopotamian Celestial-Divinatory Schemes, 57 f. 801

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

15’) [diš itišu itiapin itiše kur] su.bir4˹ki˺ iti.meš šá an.ta.lù d30 16’) [diš u4.13.kám kur uriki u4.14.]˹kám˺ kur ˹nim˺.ma˹ki˺ u4.15.kám kur mar.˹tu˺ki u4.16.kám su.bir4ki u4.meš šá an.ta.lù d30 17’) [diš im.u18.lu kur nim.maki] ˹im.si.sá˺ kur uriki ˹im˺.kur.ra kur su.bir4ki u gu-ti-i im.mar.tu kur mar.tuki 18’) [diš kaskal šu]-ut d+en.líl [kur uri]˹ki kaskal˺ šu-ut da-˹nim˺ kur nim.maki kaskal šu-ut dé-a kur mar.tuki u su.bir4ki 9’) [Eine Finsternis (während) der ersten Nachtwache] (steht) für Tod : Eine Finsternis (während) der mittleren Nachtwache (steht) für einen sinkenden Marktwert. 10’) [Eine Finsternis (während) der dritten Nachtw]ache (steht) für ein Kranker wird leben : Der Termin der ersten Nachtwache (steht) für drei Monate (und) zehn Tage. 11’) [Der Termin] der mittleren Nachtwache (steht) für sechs Monate (und) 20 Tage : Der Termin der dritten Nachtwache (steht) für zehn Monate. 12’) [Eine Finsternis (während) der] ersten [Na]chtwache (steht) für das Land Akkad : Eine Finsternis (während) der mittleren Nachtwache (steht) für das Land Subartu. 13’) [Eine Finsternis (während)] der dritten [Nachtwache] (steht) für das Land Elam : Nisannu, Abu, Kislīmu (stehen für) das Land Akkad. 14’) [Ajjaru, Elūlu], Ṭebētu (stehen für) das Land Elam : Simānu, Tašrītu, Šabāṭu (stehen für) das Land Amurru. 15’) [Duˀūzu, Araḫsamna, Addaru (stehen für) das Land] Subartu; Monate der Verfinsterung des Mondes. 16’) [Der 13. Tag (steht für) das Land Akkad, der 14. Tag] (steht für) das Land Elam, der 15. Tag (steht für) das Land Amurru, der 16. Tag (steht für) Subartu; Tage der Verfinsterung des Mondes. 17’) [Der Süden (steht für) das Land Elam], der Norden (Steht für) das Land Akkad, der Osten (steht für) das Land Subartu oder Gutium, der Westen (steht für) das Land Amurru. 18’) [Der Pfad de]s Enlil (steht für) [das Land Akkad], der Pfad des Anu (steht für) das Land Elam, der Pfad des Ea (steht für) das Land Amurru oder Subartu. Auch hier wird auf eine Eklispe Bezug genommen und detailliert geschildert, welche Auswirkungen die einzelnen Zeitangaben auf die Interpretation einer Eklipse haben. Dabei wird demonstriert, dass der Tag des Auftretens im Interpretationsschema ebenso von Bedeutung ist, wie auch der Monat oder die Nachtwache. Zugleich sticht noch einmal heraus, dass der Zeitpunkt des Auftretens auch Auswirkungen auf die Wirkungsdauer des Omens hatte.

9) Die Qualität der Zeit

189

Neben den prominent vertretenen Eklipsen ist aber auch die Interpretation anderer astronomischer Omina von zeitlichen Faktoren abhängig, wie etwa die 51. Tafel von Enūma Anu Enlil zeigt: EAE 51, ix 6 (= K 3921 + D.T. 134 + Rm. 105, i 12–14 und K 8271, 6’–8’)804 12) mul šá ina zi im.ux.lu du-zu mulbir dni-ru dé-a ina itikin igi-mar u du-an? 13) be-ma mul.bi nim-ma igi ki.a [me-reš kur si.sá] 14) be-ma mul.bi u4.zal-ma igi ki.a [me-reš kur nu si.sá] 12) Der Stern, der beim Aufziehen des Südwindes steht, ist die Niere, das Joch, Ea. Im Monat Ulūlu wird er sichtbar und steht805: 13) Wenn dieser Stern früh ist und am Ort gesehen wird, [wird das kultivierte Land des Landes in Ordnung sein.] 14) Wenn dieser Stern spät806 ist und am Ort gesehen wird, [wird das kultivierte Land des Landes nicht in Ordnung sein.] Der Textausschnitt beginnt zunächst mit der Aussage, dass der Stern Niere, bzw. Joch im Monat Ulūlu aufgehen soll. Der Zeitpunkt des Aufgangs wird anschließend in Omina verarbeitet. So gilt der frühe Aufgang des Sterns als gutes landwirtschaftliches Omen, der späte Aufgang hingegen wird negativ gedeutet. Die Bedeutung des frühen und späten Aufgangs von Sternen wird einige Zeilen später im selben Text detaillierter ausgeführt: EAE 51, ix 13 (= K 3921 + D.T. 134 + Rm. 105, i 25–27 und K 8271, 20ʼ– 22ʼ)807 25) ina itigu4 mul.mul dingir imin.b[i (dingir.meš gal.meš) be-ma ina u4.du11. ga-šú-nu kur.meš-ni dingir.meš gal.meš nígin.meš-ma] 26) galga kur ana munussig5 galga.meš im.[meš du10.ga.meš du.meš be-ma ina la u4.du11.ga-šú-nu kur.meš-ni (dingir.meš gal.meš nígin.meš-ma)] 27) galga kur ana sal.ḫul galga.meš im.[meš ḫul.meš du.meš šà.ḫul un.meš gar-an] 25) Im Ajjaru die Sterne, die sieben [Götter, (die großen Götter): Wenn sie zu ihrem (vorbestimmten) Zeitpunkt aufgehen, werden sich die großen Götter versammeln und] 26) beraten und dem Land Gutes raten; [gute] Wind[e werden wehen. Wenn sie nicht zu ihrem (vorbestimmten) Zeitpunkt aufgehen, (werden sich die großen Götter versammeln und)] 804

Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 56 f. So die Übersetzung von Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 57. 806 Siehe Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 91, mit Verweis auf uḫḫuru, das laut CAD u, uḫḫuru A, 42, logographisch durch za-al wiedergegeben werden kann. 807 Reiner, Babylonian Planetary Omens, Part two, 58 f. 805

190

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

27) beraten und dem Land Schlechtes raten; [böse] Wind[e werden wehen; den Leuten wird Kummer bereitet.] Der frühe und späte Aufgang von Sternen geht erneut einher mit der Nutzung des Begriffs adannu, hier logographisch wiedergegeben durch u4.du11.ga – wörtlich der „genannte Tag“. Der Begriff adannu impliziert, dass der Aufgang der Sterne zu vorbestimmten Zeiten erfolgen sollte. Die negative Interpretation verspäteter Sternenaufgänge wurde bereits anhand des kurzen Briefes K 760 des Balasî an den König demonstriert. Mit dieser Textstelle offenbart sich unmittelbar, dass die ideale Zeit nicht nur ein theoretisches Konstrukt war, sondern konkrete Anwendung in der Omenkunde fand. D. Brown fasst die Funktion folgendermaßen zusammen: „The usefulness of the ideal schemes to the diviners is clear, for it permitted them to encode the repeating behaviour of the heavens with meaning, and assign value to the temporal component of an event, just as certain of the planets, constellations, directions, orientations and events were encoded as either benefic or malefic.“808 Noch deutlicher tritt dies in den Mondomina zutage, die vielfach in den Briefen und Berichten der Gelehrten zitiert werden. Diese speziellen Omina nehmen das Erscheinen der neuen Mondsichel sowie den Vollmond als Ausgangspunkt. Wie in Kapitel 6.2 dargelegt, sollten die Mondphasen jeweils an festgelegten Tagen eines Monats entstehen. Je nachdem, ob der Mond diesem idealen kalendarischen Verlauf folgte, galt dies als positives oder negatives Omen.809 81-2-4, 82810 Vs. 1) dis u4.13.kám 30 u dutu 2) ki a-ḫa-meš igi.meš 3) ka nu gi.na a-lak-ti la ṭa-ab-ti 4) ina kur gál-ši 5) lú.kúr ina kur ti-qí Vs.

808

1) Wenn am 13. Tag Sîn und Šamaš 2) zusammen gesehen werden: 3) unzuverlässige Rede; ungute Wege 4) werden im Land vorhanden sein; 5) ein Feind wird im Land plündern.

Brown, Astronomy – Astrology in Mesopotamia, 50. Vgl. Brown, Mesopotamian Astral Science, 461. 810 Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 360. 809

9) Die Qualität der Zeit

191

Das im Beispiel aufgeführte Omen ist negativ, da die Opposition von Mond und Sonne nicht in der dafür angedachten Monatsmitte stattfand. In völligem Kontrast hierzu steht, dass das Auftauchen des Vollmondes am 14. Tag in den Briefen und Reporten als sehr positiv angesehen wird: K 714811 Vs. 1) diš u4.14.kám d30 u dutu 2) ki a-ḫa-meš igi.meš 3) ka gi.na šà kur dùg-ab 4) ḫu-ud šà-bi un.meš gar-an 5) dingir.meš kur uri.ki Rs. 1) a-na sig5-tim i-ḫas-sa-su 2) diš 30 ù dutu šu-ta-tu-ú 3) lugal kur pi.2 ú-rap-pa-áš Vs.

Rs.

1) Wenn am 14. Tag Sîn und Šamaš 2) zusammen gesehen werden: 3) zuverlässige Rede; das Herz des Landes wird zufrieden sein; 4) Freude des Herzens wird den Leuten gesetzt; 5) Die Götter werden sich an Akkad 1) in Güte erinnern. 2) Wenn Sîn und Šamaš sich gegenüberstehen, 3) wird der König des Landes sein Verständnis erweitern.

Die beiden folgenden Beispiele erläutern, wie auch die erste Sichtbarkeit des Mondes und somit der Beginn des Monats als Omen gedeutet wurde: K 696812 1) diš 30 ina u4.1.kám igi 2) ka gi.na šà kur du10.ga 3) diš u4-mu a-na mi-na-tu-šú e-ri-ik 4) bala u4.meš gíd.meš 5) diš 30 ina igi.lal-šú aga a-pir 6) lugal a-šá-ri-(du)-tú du-ak 1) Wenn Sîn am ersten Tag sichtbar wird: 2) wahre Rede; das Herz des Landes wird gut sein. 3) Wenn der Tag gemäß seines (normalen) Maßes lang ist: 4) eine Herrschaft langer Tage. 5) wenn Sîn bei seinem Erscheinen eine Krone trägt: 6) der König wird Ansehen erreichen. 811 812

Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 361. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 10.

192

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

K 722813 Vs. 1) diš 30 ina itiab u4.30.kám igi 2) su.bir4ki aḫ-la-mu-ú kú 3) eme a-ḫi-tum kur mar.tuki 4) en-el Vs.

1) Wenn Sîn im (Monat) Ṭebētu am 30. Tag sichtbar wird, 2) werden die Aramäer Subartu verschlingen; 3) ein Fremdsprachiger wird Amurru 4) beherrschen.

Die monatlichen Mondomina nehmen eine Sonderstellung in der Divination ein. Zum einen werden sich in den Briefen und Berichten im Zusammenhang mit der Beobachtung des Mondes überdurchschnittlich häufig zitiert, was sicherlich damit zusammenhängt, dass die Beobachtung des Mondes monatlich erfolgte. Zum anderen beziehen sie sich in ihren Apodosen auf das Ansehen und das Wohlergehen des Königs. In diesem Sinne funktionieren die kalendarischen Mondomina wie eine monatliche Bewertung des Regenten seitens der Götter. Kam der König seinen Pflichten nach, zu denen auch die Regulierung des Kalenders als Ausdruck kosmischer Ordnung gehörte (siehe Kapitel 7), waren die Götter zufrieden und bezeugten ihr Wohlwollen durch die Aussicht auf ein langes Leben. Die korrekte Erfüllung der Pflicht offenbarte sich in Form der idealen Zeit, indem die Gestirne und astrale Phänomene zu den angedachten Zeitpunkten auftraten. In Analogie dazu konnte die Vernachlässigung der kosmischen Ordnung dazu führen, dass die idealen Zyklen aus dem Takt gerieten. Dieser Zustand erregte das Missfallen der Götter, was sich in entsprechend negativen Omina manifestierte. Eine Bestätigung dieser Interpretation beitet die sog. großen Jagdinschrift des Assurbanipal. In dieser Inschrift folgt nach der der einleitenden Titulatur des Königs eine Auflistung von Göttern, die dem König wohlwollend gegenüberstehen. Unter diesen Göttern befinden sich auch Sîn und Šamaš, über die in der 19. Zeile folgende Aussage getätigt wird: K 2867 + Ki. 1904-10-9, 11814 19) d30 dutu ina an-ni-šú-nu ke-e-ni iti-šam iš-ta-nap-pa-ru-u-ni i-da-at dumqí 19) Sîn (und) Šamaš schicken mir in ihrer festen Zustimmung monatlich gute Zeichen. Der Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf der Aussage, dass die positiven Zeichen dem König regelmäßig jeden Monat gesandt werden. Die Vermutung 813 814

Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, Nr. 264. Bauer, Das Inschriftenwerk Assurbanipals, 87.

9) Die Qualität der Zeit

193

liegt nahe, dass hierbei auf das gemeinsame Auftreten von Mond und Sonne im Zuge ihrer Opposition und Konjunktion Bezug genommen wird. Durch die regelmäßige Wiederkehr lassen sich die angesprochenen Omina mit den kalendarischen Mondomina der Briefe und Berichte in Verbindung bringen.

9.1.2) Die Zeit in den omina impetrativa Auch bei den omina impetrativa kam der Zeitfaktor bei der Interpretation zur Anwendung. Dies lässt sich etwa im Rahmen der Traumdeutung erkennen. Träume konnten plötzlich auftreten oder aber gezielt hervorgerufen werden. Die Beschreibung von Träumen – sowohl unprovozierter als auch inkubierter Natur – ist ein in der keilschriftlichen Überlieferung gut bezeugtes Phänomen, das bereits Mitte des 3. Jt. v. Chr. erstmals auf der sogenannten Geierstele des Eanatum greifbar wird und sich bis in die persische Zeit des 4. Jh. v. Chr. nachweisen lässt.815 Träume und ihre Deutung wurden dabei in verschiedensten Textgattungen aufgegriffen.816 So treten Traumerfahrungen immer wieder als literarisches Motiv auf und werden beispielsweise im Rahmen von Königsinschriften geschildert. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der in den Gudea-Zylindern beschriebene Traum des Herrschers, der ihn zum Tempelbau animiert. Auch in literarischen Texten sind Träume häufig vertreten. Als Beispiel kann der berühmte Traum herangezogen werden, in dem Atram-ḫasīs von der kommenden Sintflut erfährt. Auch im Gilgameš-Epos kommen Traumschilderungen immer wieder vor. Nicht zuletzt soll sogar das gesamte Erra-Epos auf einen Traum zurückgehen, den der Verfasser gesehen hat.817 Die Praxis, Träume zu deuten, lässt sich auch anhand von Briefen nachweisen, etwa aus dem altbabylonischen Archiv von Mari, sowie aus neuassyrischer und spätbabylonischer Zeit.818 Zuletzt sind auch Traumomina erhalten, die in der als d zaqīqu bekannten Serie zusammengefasst wurden, die zu den Funden aus der Bibliothek des Assurbanipal zählt.819 A. L. Oppenheim beschreibt in seiner Edition der Traumomina, dass Traumberichte jeweils in einen Rahmen eingebettet sind, in dem Auskunft darüber gegeben wird, welche Begebenheit unter welchen Umständen im Traum gesehen wurde. Zum Zeitaspekt schreibt Oppenheim hingegen: „The time of the night at which the dream occured does not seem to have mattered (…), because it is never expressly stated, (…).“820 Als einzige Ausnahme führt er ludlul bēl nēmeqi § 8, 14 auf. Dem widerspricht A. Zgoll in ihrem Werk Traum und Welterleben: „Der Zeitpunkt war ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung eines Traumes – nicht 815

Zgoll, Traum und Welterleben, 17 f. Einen umfangreichen Katalog der sumerischen und akkadischen Traumerzählungen bietet Zgoll, Traum und Welterleben, 547–553. 817 Tafel V, Z. 42–44. Vgl. Cagni, The Poem of Erra, 60. 818 Zgoll, Traum und Welterleben, 18. 819 Oppenheim, The Interpretation of Dreams, 261. 820 Oppenheim, The Interpretation of Dreams, 187. 816

194

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

jeder Zeitpunkt war geeignet.“821 So wird in literarischen Texten häufig geschildert, dass der Traum in der Nacht stattfand.822 Mitunter wird der Zeitpunkt auch noch präzisiert. Eine immer wieder auftretende Wendung ist dabei ina šāt mūši. Zgoll interpretiert diese Zeitangabe konkret als mittlere Nachtwache823 und kommt daher zu dem Schluss, dass die Zeit der mittleren Nachtwache im 1. Jt. v. Chr. der korrekte Zeitpunkt für einen divinatorischen Traum war.824 Diese Interpretation basiert auf der allerdings als unklar markierten Übersetzung von Sodens im AHw.825 Die Gleichsetzung von šāt mūši mit der mittleren Nachtwache führt von Soden auf den Text K 2008 Kol. IV, Z. 36 zurück – einem aus der Bibliothek des Assurbanipal stammenden Textzeugen der lexikalischen Liste an.ta.gal = šá-qu-ú.826 Die Z. 36 ist allerdings in der ersten Hälfte abgebrochen, sodass nicht klar ist, welches Wort nun mit šāt mūši gleichgesetzt wurde. Aus dem Kontext ergibt sich, dass es sich möglicherweise um die mittlere Nachtwache handeln könnte. So nennt die vorhergehende Zeile mut-ta-at mu-ši – „Mitte der Nacht“.827 Einen weiteren Hinweis darauf, dass Träume erst im weiteren Verlaufe der Nacht divinatorisch relevant wurden, gibt der Brief A 3582 aus dem altbabylonischen Archiv von Mari.828 Der Brief bezeugt, dass Träume, die in der ersten Hälfte der Nacht gesehen wurden, für divinatorische Zwecke irrelevant waren. A 3582829 1) [a-n]a b[e]-l[í-ja] 2) qí-[bí-ma] 3) um-ma dutu-i-i[n-ma-t]im 4) ìr-ka-a-[ma] (…) 20) ù aš-šum šu-ut-tim 21) ša sa-am-mé-e-tar e-pu-úš 22) šu-ut-tum ši-i ba-ri-ri-tum-ma 23) [ú-u]l na-aṭ-la-at 1) [Z]u [meinem] H[e]rre[n] 2) spr[ich]: 821

Zgoll, Traum und Welterleben, 323. Für eine Übersicht über die entsprechenden Textstellen siehe Zgoll, Traum und Welterleben, 131. 823 Vgl. Zgoll, Traum und Welterleben, 130. 824 Zgoll, Traum und Welterleben, 323–325. 825 AHw II, mūšu 5 b, 687. 826 CT 18, 35. 827 Vgl. den Verweis in AHw II, mūšu 5 b, 687, auf muttatu. 828 Vgl. Zgoll, Traum und Welterleben, 363. Dort bezeichnet als Mari 19. 829 Durand, Archives épistolaires de Mari I/1, Nr. 142. 822

9) Die Qualität der Zeit

195

3) folgendermaßen: Šamaš-ī[n-mā]tim, 4) dein Diener: (…) 20) Und wegen des Traumes 21) des Sammêtar: Ich überprüfte (ihn); 22) dieser Traum ist (aus) der ersten Nachtwache. 23) Er wird nicht berücksichtigt. Neben der Traumdeutung waren auch die Aktivitäten des bārû auf vielfache Weise einer zeitlichen Komponente unterworfen. Dies betrifft vornehmlich die divinatorische Praxis der Eingeweideschau, die bereits durch Texte des 3. Jts. v. Chr. belegt ist und sich in weiten Teilen des Alten Orients etabliert hat.830 Im 1. Jt. v. Chr. wird durch zahlreiche schriftlich fixierte Orakelanfragen und Berichte der Gelehrten deutlich, welchen Stellenwert die Eingeweideschau insbesondere für den König und seine Aktivitäten einnahm.831 So beschreiben die Ritualtafeln für den bārû in Z. 29, dass die Durchführung der Riten an einem günstigen Tag erfolgen soll.832 Die Nennung eines günstigen Tages weist auf die weit verbreiteten Hemerologien und Menologien hin, die im folgenden Kapitel näher betrachtet werden. Es zeigt sich im vorliegenden Kontext, dass die Opferschau demnach nicht an jedem Tag durchgeführt werden durfte, sondern nur an dafür als günstig erachteten Tagen.833 Die Wichtigkeit dieser Gebote wird daran ersichtlich, dass die Texte Inbu bēl arḫi und KAR 151, Rs. 52–64834 explizit die Tage hervorheben, an denen die Durchführung einer Leberschau günstig war.835 A. Livingstone hat diese Gebote mit den alltäglichen Dokumenten des assyrischen Königshofes verglichen und dabei festgestellt, dass sich die Opferschauer, soweit ersichtlich, zumeist an die hemerologischen Vorgaben gehalten haben.836 Unabhängig davon war auch die Vorbereitung und Durchführung der Opferschau an festgelegte Zeiträume gebunden. Der Ablauf einer Opferschau lässt sich anhand von Ritualtexten rekonstruieren, die aus neuassyrischer Zeit erhaltenen

830

Maul, Omina und Orakel, 47. Vgl. auch Fincke, Divination im Alten Orient, 9. Vgl. Starr, The Rituals of the Diviner, 108 f. 832 Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der Babylonischen Religion, I. Ritualtafeln für den Wahrsager Nr. 1–20. 833 Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 32–35. 834 Bei KAR 151 handelt es sich um einen Kommentartext, der die jeweils 15 günstigen Tage eines Monats auflistet, die sich für die Durchführung einer Opferschau eignen. Siehe Jeyes, Divination as Science, 31 und Anm. 39, sowie Fincke, Divination im Alten Orient, 10 und Anm. 44. 835 Livingstone, The Case of the Hemerologies, 108 f. 836 Livingstone, The Case of the Hemerologies, 109 f. 831

196

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

sind.837 So beginnen die Vorbereitungen einer Opferschau bereits vor Sonnenuntergang. Sobald die Sterne zu sehen sind, werden zunächst Opfertische hergerichtet und anschließend die „Götter der Nacht“ sowie Anu, Enlil und Ea angerufen. Bei Sonnenaufgang werden dann Šamaš und Adad838 sowie weiteren großen Göttern Opfer dargebracht und der Opferschauer reinigt sich mit Weihwasser. In der Morgendämmerung, mit dem ersten Sonnenlicht, wird dem Opfertier schließlich unmittelbar vor der Schlachtung das Anliegen des Bittenden ins Ohr geflüstert.839 Der zeitliche Ablauf einer Opferschau war dabei keineswegs willkürlich gewählt. So galt der Sonnenaufgang als perfekter Zeitpunkt, um dem Sonnengott in seiner Funktion als Richter ein Anliegen vorzutragen.840 Um das Gelingen einer Opferschau zu gewährleisten musste die genannten zeiträume vom bārû dementsprechend eingehalten werden. Dies bezeugen schriftlich niedergelegte Orakelanfragen explizit.841 Diese enthalten am Ende jeweils eine Reihe sog. ezib-Formeln, in denen der Opferschauer die Götter darum bittet, über mögliche Fehler während der Durchführung der Opferschau hinwegzusehen.842 Sm. 662843 Rs. 1) e-zib šá ana-ku dumu lú.ḫal [arad-ka mim-ma lu-ˀu-ú gu7 nag-ú šéš-šú] 2) ku-un šu bal-ú u[š-pe-lu ú-lu ta-mit ina ka-ja ip-tar-ri-du] 3) lal.meš-ú u4-mu iš-[qa-a x x x x] Rs. 1) Abgesehen davon, dass ich, ein Opferschauer, [dein Diener, etwas Unreines gegessen, getrunken, oder mich damit gesalbt habe], 2) (dass) ich den festen Ablauf geändert und ge[tauscht oder den Wortlaut in meinem Mund durcheinandergebracht] 3) oder falsch ausgesprochen habe, (oder dass) der Tag fort[geschritten ist …].

837

Vgl. Fincke, Divination im Alten Orient, 10–13. Ediert bei Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der babylonischen Religion, 82–121 (Texte 1–25) und 186–219 (Texte 71–101). 838 Der Sonnengott Šamaš in seiner Funktion als Richter und der Wettergott Adad in seiner Funktion als Herr der Divination stellen die zentralen Gottheiten einer Opferschau dar. 839 Eine zusammenfassende Darstellung des Ritualgeschehens mit umfassenden Erläuterungen bietet Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 32–54. 840 Vgl. Maul, Zukunftsbewältigung, 9. 841 Vgl. Koch, Concepts and Perceptions of Time in Mesopotamian Divination, 135. 842 Starr, Queries to the Sungod, XIII und XX–XXVII. 843 Starr, Queries to the Sungod, Nr. 98. Da es sich bei der vorliegenden Textstelle um eine der standardisierten ezib-Formeln handelt (Ezib 6/7 nach Starr, Queries to the Sungod, XXIII–XXV), kann der abgebrochene Inhalt rekonstruiert werden.

9) Die Qualität der Zeit

197

Mit der hier zitierten ezib-Formel bittet der Opferschauer darum, der Sonnengott möge darüber hinwegsehen, wenn die Opferschau nicht wie vorgesehen am Morgen stattfindet, sondern im bereits fortgeschrittenen Tagesverlauf. Die ezib-Formel dokumentiert somit, dass die Missachtung des korrekten zeitlichen Ablaufs als Fehlverhalten verstanden und somit schlimmstenfalls zum Scheitern der Opferschau führen konnte. Zuletzt kamen bei barûtu auch die gleichen Mechanismen der Assoziation zum Einsatz, wie sie bereits im Rahmen der omina oblativa dargestellt wurden. So sind Texte erhalten, die das Fehlen der Gallenblase oder des „Fingers“ (ubānu) ausdeuten und dabei, je nachdem in welchem Monat die Eingeweideschau stattgefunden hat, unterschiedliche Interpretationen zulassen.844 Der spätbabylonische Text W 22666/0845 beschreibt sogar, dass die Leber in zwölf Abschnitte eingeteilt wurde, die jeweils mit einer Gottheit, einem Monat und einem charakteristischen Sternbild assoziiert wurden, das im benannten Monat aufgehen sollte.846 W 22666/0 Vs. 10) me.ni 11) 12) silim 13) zé 14) 15)

d

nin.é.gal itine mullugal.é.gal pan it-ti mullugal d iškur itikin mulugamušen d a-nim itidu6 mulzi-ba-ni-tu4 mu-kin-na-at zi ad i?-[ ] mul

Vs. 10) das „Palasttor“847 Ninegal; (der Monat) Abu; (das Sternbild) König des Palastes 11) der Bogen zusammen mit dem König 12) das „Heil“ Adad; Ulūlu; der Rabe 13) die „Bittere“ Anu; Tašrītu; Zibanītu 14) die das Brustbein848 festmacht 15) x[] Der Text zeigt, dass die Mechanismen der Assoziation von den Omina auch auf die Leberschau übertragen wurde. Dies geht mit der im 1. Jt. v. Chr. greifbaren

844

Koch-Westenholz, Babylonian Liver Omens, 25, Anm. 65, mit einer Auflistung der entsprechenden Textzeugen. 845 Von Weiher, Uruk IV, Nr. 159. 846 Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 286 f. 847 Für die Benennung der einzelnen Teile der Leber siehe Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 73. 848 Akk. sikkat ṣēli.

198

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Einsicht einher, dass die Zeichen der Leber und des Himmels (wie auch schon die Zeichen des Himmels und der Erde) einander ergänzten.849

9.2) Zeit in den Hemerologien und Menologien In enger Verbindung zur Divination stehen die Hemerologien und Menologien.850 Bei den Hemerologien handelt es sich um Texte, die aufzeigen, ob ein bestimmter Tag oder eine Tageszeit für bestimmte Aktivitäten als günstig oder ungünstig anzusehen ist.851 Einige Tage werden sogar als gefährlich eingestuft.852 Eine Variante dieses Textgenres bilden die Menologien, die mit der gleichen Intention die Günstigkeit oder Ungünstigkeit der einzelnen Monate abbilden.853 Die Eigenbezeichnung der hemerologischen und menologischen Texte lautet akk. utukkū, was auf das Sumerische u4.du10.ga – „guter Tag“ zurückgeht.854 Auch für die Hemerologien und Menologien lässt sich nachvollziehen, dass diese nicht erst im 1. Jt. v.Chr. aufkamen, sondern auf wesentliche ältere Traditionen zurückgreifen. Möglicherweise geht das Textgenre schon auf sumerische Ursprünge zurück, obwohl bisher nur sehr wenig sumerisches Textmaterial bekannt wurde.855 Labat weist in seiner frühen Edition der Texte aus Assur aber darauf hin, dass sich das Textgenre kaum über die kassitische Zeit hinaus zurückverfolgen lässt.856 Für die altbabylonische Zeit ist die Quellenlage dementsprechend noch nicht sehr ausgeprägt. Briefe aus dem Archiv von Mari legen jedoch nahe, dass die Vorstellung einer günstigen und ungünstigen Zeit in altbabylonischer Zeit Beachtung gefunden hat, auch wenn die Primärquellen noch weitgehend fehlen.857 Labat sieht darin jedoch die Möglichkeit, dass die Nutzung der Hemerologien und Me-

849

Maul, Die Wahrsagekunst im Alten Orient, 285–289. Gemäß Cavigneaux – Al-Rawi, New Sumerian Literary Texts from Tell Haddad (Ancient Meturan), 97, kann die hemerologische und menologische Tradition als Zweig der Divination betrachtet werden. 851 U.a. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 13, und Livingstone, The Use of Magic in the Assyrian and Babylonian Hemerologies and Menologies, 59. 852 Vgl. Reiner, Astral Magic in Babylonia, 113. 853 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 15. 854 Livingstone, How the Common Man Influences the Gods of Sumer, 216, und Livingstone, The Case of the Hemerologies, 97. 855 Cavigneaux – Al-Rawi, New Sumerian Literary Texts from Tell Haddad (Ancient Meturan): A First Survey, 96. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 17, ist ebenfalls der Ansicht, dass die Grundidee günstiger und ungünstiger Tage bereits in das 3. Jt. v. Chr. zurückreicht. 856 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 17. 857 Charpin – Ziegler, Masters of Time, 66. 850

9) Die Qualität der Zeit

199

nologien noch nicht so ausgeprägt war wie in den nachfolgenden Jahrhunderten.858 In jedem Fall lässt sich konstatieren, dass das hemerologische und menologische Textmaterial in der altbabylonischen Zeit noch nicht in größeren kompilationen gesammelt wurde, die sich inhaltlich gleich auf das ganze Jahr beziehen, sondern allenfalls in kleineren Auszügen, die sich jeweils mit speziellen Tagen befassen.859 Die Quellenlage ändert sich in der zweiten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. und erweckt den Eindruck, als hätten spätestens in der Kassiten-Zeit alle größeren Städte Babyloniens eine umfassende hemerologische Sammlung ausgearbeitet.860 Aus etwas späterer Zeit stammt auch das erste hemerologische Sammelwerk KAR 177, das in Assur gefunden wurde. Schrift und Sprache des Textes zeigen eindeutig, dass es sich um einen assyrischen Text handelt. Der Kolophon des Textes legt hingegen nahe, dass es sich um die Abschrift eines Originals aus der KassitenZeit handeln muss, das für König Nazi-maruttaš aus den verschiedenen hemerologischen Traditionen der südmesopotamischen Städte Sippar, Nippur, Babylon, Ur, Larsa, Uruk und Eridu kollationiert und zusammengestellt worden war.861 VAT 9663, Vs. Kol. IV, 25 – Rs. Kol. I, 3862 Vs. 25) u4.meš du10.ga.meš ka 7 ṭ[up-pa-a-n]i863 26) gaba-ri sipparki nibruki 27) ká.dingir.raki larsamki 28) uri5ki unugki u eri-du10ki 29) um-ma-a-ni ú-na-as-si-hu-ma 30) ú-na-as-si-qu-ma 31) a-na mna-zi-múru-˹taš˺ 32) lugal šú sum-nu 33) ana ˹ṣu-ub!˺-bu-ut qé-e 858

Labat untermauert sein Argument dadurch, dass er aufzeigt, dass die ältesten hepatoskopischen Texte auf den 19. und 21. Tag datieren, die in den späteren Hemerologien als besonders unheilvoll galten und eine Befragung der Götter untersagten. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 17. 859 Cavigneaux – Al-Rawi, New Sumerian Literary Texts from Tell Haddad (Ancient Meturan): A First Survey, 96. 860 Hulin, A Hemerological Text from Nimrud, 42. 861 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 18. 862 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 33, und Hulin, A Hemerological Text from Nimrud, 42. 863 Die Tafel ist an dieser Stelle beschädigt. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 162, ergänzt an der Stelle [tuppāti]. Das Fragment VAT 11609, bearbeitet durch Heeßel, „Sieben Tafeln aus sieben Städten“, 171–173, bestätigt grundsätzlich die Richtigkeit der Lesung Labats. Lediglich das letzte Zeichen des Wortes ist auch auf dem genannten Duplikat beschädigt und nicht zu erkennen. Heeßel ergänzt in seiner Bearbeitung der Textstelle ṭ[up-pa-a-n]i.

200

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Rs.

1) za-re-e šèr-re-e 2) ša-ba-áš ka-re-e 3) ù mim-ma ṣe-bu-ut du10.ga

Vs.

25) Die guten Tage nach dem Wortlaut von sieben T[afeln]; 26) Vorlagen aus Sippar, Nippur, 27) Babylon, Larsa, 28) Ur, Uruk und Eridu. 29) Die Gelehrten exzerpierten (sie), 30) suchten (sie) aus und 31) Nazimaruttaš, 32) dem König der Gesamtheit, gaben sie (sie), 33) um Fäden zu spinnen, 1) Kinder zu zeugen, 2) Haufen von Getreide zu sammeln 3) und für jedes gute Vorhaben.

Rs.

Ausgehend von der Quellenlage erreicht die hemerologische Tradition dann im 1. Jt. v. Chr. ihre volle Ausprägung. So stellt Livingstone fest: „In the first millennium practically all the major sites in Babylonia and Assyria have yielded material of this kind and in those cases where individual literary archives can be reconstructed, ud-dùg-ga, uttukū of one kind or another are almost omnipresent.“864 Die Tradierung hemerologischer und menologischer Texte lässt sich bis in die seleukidische Zeit weiter nachweisen.865 Beachtlicher noch als die lange Tradierung der hemerologisch-menologischen Texte ist ihre geographische Verbreitung. Das meiste Textmaterial stammt aus Babylonien, genauer aus den Städten Babylon, Sippar, Uruk, Ur, Kiš und Nippur.866 Weitere Quellentexte stammen aus den assyrischen Städten Assur, Kalaḫ, Niniveh und Ḫuzirana.867 Doch die Verbreitung dieser Textgattung ist nicht auf Babylonien und Assyrien beschränkt, sondern erstreckt sich, analog zu anderen Zweigen der Divination, über nahezu den gesamten Vorderen Orient. Textzeugen des sogenannten babylonischen Almanachs sind im 13. Jh. v. Chr. u.a. in Emar,

864

Livingstone, How the Common Man Influences the Gods of Sumer, 218. Die Textzeugen des babylonischen Almanachs bspw. reichen von der Mitte des 2. Jt. v. Chr. bis in die seleukidische Zeit. Vgl. Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 2. 866 Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 2. 867 Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 2. 865

9) Die Qualität der Zeit

201

Ugarit und auch Ḫattuša belegt.868 Zudem fand sich auch in Elam hemerologisches Textmaterial.869 Fast allen Textvertretern liegt eine gemeinsame, grundlegende Struktur zugrunde, in der zuerst der betreffende Tag genannt wird und daran anschließend die Qualität des Tages. An die grundlegende Einstufung des Tages können sich weiterführende Informationen anschließen, die wiederum von der übergeordneten Thematik des jeweiligen hemerologischen Textes abhängen. Die Tage werden dabei vorrangig als še / magir – „günstig“ oder als nu še / lā magir – „ungünstig“ qualifiziert. Unabhängig davon, ob Tage bereits als günstig oder ungüntig eingestuft wurden, galten einige Tage darüber hinaus als ḫul.gál / lemnu – „böse, gefährlich“.870 Mitunter wurden die qualitativen Zuschreibungen auch auf die einzelnen Tageszeiten ausgeweitet. Als Kontrast dazu konnte wiederum angegeben werden, dass ein Tag kališ še / magir – „vollständig günstig“ war. Darüber hinaus unterscheiden sich die einzelnen Hemerologien und Menologien in ihrer Form teilweise stark voneinander. Bei den einfachsten Texten handelt es sich um Listen, die lediglich aufzählen, ob die einzelnen Tage des Jahres günstig oder ungünstig sind, ohne weitere Informationen zu enthalten.871 Daneben sind auch große Kompilationen überliefert, die neben der einfachen qualitativen Aussage noch zahlreiche weitere Informationen aufführen können.872 Der Text Inbu bēl arḫi bspw. setzt sich aus einer umfangreichen Anzahl von Tafeln zusammen. Der Text gibt für jeden Tag des Jahres seinen günstigen, ungünstigen, oder gefährlichen Charakter an und enthält zusätzlich Informationen, welcher Gottheit der Tag geweiht ist, bzw. mit welchen Festen und anderen religiösen Ereignissen der Tag in Verbindung steht. Hinzu kommen weitere Erläuterungen zu angebrachten Opfergaben, Vorschriften und Verboten, die an dem betreffenden Tag beachtet werden müssen: K 2514 + K 4101873 31) [diš u4].11.kám šá-lam ma-zal-ti šá dtaš-me-tu4 u dz[ar-pa]-ni-tu4 u4 še 32) e-nu-ma iti aga taš-riḫ-ti n[a-š]u-u gur[un ḫa-d]u-ú lugal ina gi6 33) nidba-šú ana 30 ú-k[an ni-qé-e bal-qí] íl šu-šú ki dingir še-mi 31) Elfter Tag: Grüßen des Standortes der Tašmētu und der Zarpanītu; ein günstiger Tag. 32) Sobald der Mond eine glorreiche Krone trägt und die Frucht sich freut, setzt der König in der Nacht

868

Livingstone, How the Common Man Influences the Gods of Sumer, 218. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 24. 870 Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 66. 871 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 14. 872 Z.B. der sogenannte babylonische Almanach, Inbu bēl arḫi, KAR 178 und Iqqur īpus. 873 Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 14. 869

202

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

33) Sîn sein Speiseopfer vor. Er bringt ein Opfer dar. Seine Handerhebung wird vom Gott erhört. Neben den einfach gehaltenen Listen und den großen Sammlungen sind weiterhin Exzerpte überliefert, d.h. also Hemerologien, die sich mit einer begrenzten Zeitperiode beschäftigen. Belegt sind solche Exzerpte z.B. für den Beginn des Monats Nisannu und des Monats Tašrītu, also jeweils für den Beginn einer Jahreshälfte. Vor allem die Hemerologie für den Beginn des Monats Tašrītu – nach babylonischer Vorstellung eine besonders gefährliche Zeit des Jahres – scheint gemessen an der Zahl der Textfunde zu einer der populärsten Hemerologien gehört zu haben.874 Darüber hinaus wurden oftmals die günstigen Tage eines Jahres separat zusammengestellt.875 Auch den als gefährlich eingestuften Tagen wurde eine besondere Aufmerksamkeit zuteil:876 K 2514+ (Inbu bēl arḫi)877 55) [diš u4.19.kám eb-bu-ú šá dgu-la u4 še u4 ḫul.gál sipa un.meš gal].meš nu.al.šeg6.gá gu7 56) [túg pag-ri-šú ul kúr-ár eb-bu-ti ul mu4.mu4] ni-qu-u ul bal-qí 57) [lugal gišgigir ul u5 šal-ṭiš ul i-ta-me a]-šar pu-uz-ri lúḫal inim ul gar 58) [lugal šuk-su ana dnin.urta dm]e.me gar-ma igi 55) [Der 19. Tag, (der des) Zornes der Gula: ein günstiger Tag, ein gefährlicher Tag. Der König der zahl]reichen [Menschen] wird keine ungekochte Nahrung essen. 56) [Das Gewand seines Körpers wird er nicht wechseln, reine (Kleidung) wird er nicht anziehen.] Ein Opfer wird er nicht darbringen. 57) [Der König wird keinen Streitwagen fahren. Er wird nicht mit Autorität sprechen.] Am verborgenen [O]rt wird der Opferschauer keine Erklärungen geben. 58) [Der König wird sein Speiseopfer für Ninurta und G]ula geben und es wird akzeptiert. Der hier zitierte Textausschnitt stammt ebenfalls aus der Hemerologie Inbu bēl arḫi. Das Beispiel veranschaulicht, wie der als gefährlich eingestufte Tag sich unmittelbar auf die Aktivitäten des Königs auswirkt, indem ihm zahlreiche Verbote auferlegt werden. Zugleich wird ersichtlich, dass ein Tag günstig oder ungünstig und zugleich als gefährlich gelten konnte. In Inbu bēl arḫi betrifft die

874

Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 14 f. Vgl. Livingstone, The Case of the Hemerologies, 102. 876 Vgl. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 14 und 45, sowie Reiner, Astral Magic in Babylonia, 113. 877 Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 205. 875

9) Die Qualität der Zeit

203

Zuschreibung jeweils den 7., 14., 19., 21. und 28. Tag. Vom 19. Tag abgesehen, der als Tag des „Zornes der Gula“ ausgewiesen wird, bietet der Text selbst allerdings kaum Erklärungen für die besondere Einstufung als „gefährlich“. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die erwähnten, aber nicht näher erläuterten Assoziationen mit bestimmten Göttern und kultischen Aktivitäten eine Rolle spielen. Darüber hinaus wird lediglich beschrieben, welche Tabus an den jeweiligen Tagen zu beachten sind. Der Umfang der dabei aufgeführten Informationen erklärt sich dadurch, dass Inbu bēl arḫi speziell auf die Aktivitäten des Königs ausgerichtet ist. Schon B. Landsberger hat allerdings darauf verwiesen, dass gerade die Tage der Mondphasen als Unglückstage galten und betonte auch auf die besondere Bedeutung der Zahl Sieben.878 Dabei ist wiederum zu beachten, dass die Erklärung sich lediglich auf Inbu bēl arḫi bezieht. Andere hemerologische Texte zeigen Varianten in der Zuschreibung der gefährlichen Tage.879 Insgesamt bleibt die Erklärung für die gefährlichen Tage somit spekulativ. Lediglich Konsequenzen und Verbote, die sie nach sich ziehen, werden daraus ersichtlich. Anhand hemerologischer Texte lässt sich weiterhin nachvollziehen, dass auch der medizinische Bereich von einer zeitlichen Komponente beeinflusst war. Verschiedene Hemerologien legen explizit dar, dass die Behandlung von Krankheiten nicht an den als gefährlich eingestuften Tagen eines Monats erfolgen sollte.880 Das Behandlungsverbot in Inbu bēl arḫi richtet sich konkret an die als asû bezeichnete medizinische Gelehrtengruppe und drückt sich durch die Phrase lúa.zu ana gig šu-su ul ub-bal – „Der Arzt darf seine Hand keinem Kranken entgegenstrecken“ aus. Die Tafelserie SA.GIG zeigt ergänzend dazu auf, dass bestimmte Tage bei der Herstellung von Arzneien von Bedeutung waren.881 SA.GIG XXIX882 4) diš ina mu.3.‹kam› šub-šu ina sag.ba-ma til a-na nu til-šu 5) úšakira šá ina u4.˹30.kam˺ zi súd ina a íd ḫe.ḫe šéš-su-ma din 4) Wenn er (= dlugal ùr.ra / Bēl-ūri)883, ihn im dritten Jahr befällt, wird er an 878

Landsberger, kultischer Kalender, 92, 119–126. Siehe etwa beispielhaft die „Offering Bread Hemerology“, die insgesamt neun gefährliche Tage kennt, den 1., 7., 9., 14., 19., 21., 24., 29. und 30. Tag. Siehe Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 149. 880 Vgl. Steele, Real and Constructed Time, 72. 881 Vgl. Steele, Living with a Lunar Calendar, 376. 882 Kinnier-Wilson, Infantile and Childhood Convulsions, 63. 883 Siehe den Kommentar von Kinnier Wilson, Infantile and Childhood Convulsions, 64: „It is well known that convulsions in infants and young children form a special category in neurological disorders. The nervous system at this age is relatively immature, and brain irritation, however caused, may send signals to the nerves which cause contracture of various kinds in the responding muscles. In fact such convulsions ‘vary in severity from localised twitching (often seen in the newborn) to major seizures,’ and this statement 879

204

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

seinem Kopf verbleiben. Damit er nicht verbleibt, 5) eine šakirû-Pflanze884, die am 30. Tag herausgezogen wurde, zerstößt du, mit dem Wasser des Flusses vermischt du (sie) und reibst ihn damit ein. Er wird leben. Besonders der hier genannte Tag des Neumonds wird als Tag geschätzt, an dem Arzneimittel geerntet oder dem Patienten verabreicht werden konnten.885 Auch wenn die Textstelle dies nicht unmittelbar benennt, liegt die Vermutung nahe, dass entsprechende hemerologische Vorgaben dabei eine Rolle gespielt haben könnten. In der zweiten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. kommt es auch bei den medizinischen Texten zu einer ähnlichen Entwicklung wie sie schon anhand der Opferschau demonstriert werden konnte. Im Zuge dieser Entwicklung werden medizinische Wirkstoffe, allen voran Holz, Stein und Pflanze, mit Tierkreiszeichen und deren korrespondierenden Monaten assoziiert. Der Zeitfaktor scheint dabei eine noch gesteigerte Wirkung in der Medizin erhalten zu haben, da in verschiedenen Monaten, unterschiedliche Substanzen zur Heilung des gleichen Leidens genutzt werden sollten. Die Zeit wurde somit zum bestimmenden Faktor bei der Therapie.886 Neben den hemerologischen Texten, die den Zeiteinheiten eine Qualität zuweisen und oftmals einer thematischen Ordnung folgen, gibt es eine zweite Gruppe von Texten, die das Schema der Divination wieder aufnehmen, indem sie aus einer Protasis und einer Apodosis zusammengesetzt sind.887 Zu dieser Gruppe ist ein Großteil der Menologien zu rechnen. Im Fokus dieser zweiten Textgruppe steht nicht der Tag selbst, sondern eher die Aktivität, die dargestellt wird. Iqqur īpuš, § 43888 1) diš ina itibára pú bad-te ina-an-ziq 2) diš ina itigu4 min še-im i-ḫa-šaḫ 3) diš ina itisig4 min še-im tuk-ši 1) Wenn er im Monat Nisannu einen Brunnen öffnet, wird er leiden. 2) Wenn er im Monat Ajjaru ditto, wird er Gerste benötigen. would accord with the offered translation of line 1: ‘If Bēl-ūri is present (with the child) from birth.’ With ‘major seizures’ one enters a field which belongs equally to epilepsy, and later entries on the tablet which relate to attacks of the thirtieth year and beyond are certainly concerned with that condition.“ 884 Nach Kinnier Wilson, Infantile and Childhood Convulsions, 65, ist die Pflanze nicht identifiziert. 885 Reiner, Astral Magic, 134 f. 886 Siehe dazu im Allgemeinen Heeßel, Astrological Medicine in Babylonia. Siehe auch Steele, Living with a Lunar Calendar, 376 und Steele, Real and Constructed Time, 74–80. 887 Vgl. Labat, Hémérologies et Ménologies d’Assur, 14–16. 888 Transliteration nach Labat, Un Calendrier babylonien, 110.

9) Die Qualität der Zeit

205

3) Wenn im Monat Simānu ditto, wird er Gerste haben. Weiterhin lässt sich eine Unterteilung vornehmen, hinsichtlich der angedachten Zielgruppe der hemerologischen und menologischen Texte. So richtet sich der babylonische Almanach, der große Teile des alltäglichen Lebens abdeckt, allem Anschein nach an weite Teile der Bevölkerung.889 Die Brotopfer-Hemerologie scheint im Gegensatz dazu höhere Kreise der Gesellschaft zu adressieren, d.h. also Leute, die auch über die Mittel verfügten, den dort gegebenen Anweisungen Folge zu leisten.890 Es existieren sogar drei Hemerologien, die speziell auf den Gebrauch durch den König ausgelegt sind. Dazu zählen neben dem bereits zitierten Text Inbu bēl arḫi auch die sog. Finsternis-Hemerologie und die Hemerologie für Nazimaruttaš.891 Man kann somit darauf schließen, dass der qualitative Aspekt des Zeitkonzeptes in breiteren Bevölkerungsschichten bekannt war und rezipiert wurde. Auch die hemerologisch und menologischen Texte basieren letztendlich auf der Idee des idealisierten Zeitverlaufs, indem sich die Angaben grundsätzlich auf 30-tägige Monate beziehen.892 Die Bedeutung, die der korrekten Bestimmung des ersten Monatstages beigemessen wurde, wird in Anbetracht der Hemerologien noch einmal deutlicher. Um die Hemerologien richtig nutzen zu können, war es von fundamentaler Bedeutung, den korrekten Monatsverlauf zu kennen.893 Dies lässt sich einmal mehr an der Korrespondenz der Gelehrten mit dem assyrischen Königshof aufzeigen: Rm. 73894 Vs. 8) u4.20.kám 9) u4.22.kám 10) u4.25.kám 11) a-na šá-ka-nu Rs. 1) ša a-de-e 2) ṭa-a-ba 3) im-ma-at lugal be-li 4) i-qab-bu-u-ni 5) nu-šá-aṣ-bi-it 6) liš-ku-nu 889

Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 7. Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 104. 891 Livingstone, The Case of the Hemerologies, 98, und Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars, 2. 892 Vgl. Livingstone, The Use of Magic in the Assyrian and Babylonian Hemerologies and Menologies, 59. Siehe auch Koch, Mesopotamian Divination Texts, 215. 893 Vgl. Steele, The Lengths of the Months, 136. 894 Parpola, Letter from Assyrian and Babylonian Scholars, Nr. 5. 890

206

Vs.

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

8) Der 20. Tag, 9) der 22. Tag 10) (und) der 25. Tag 11 / Rs. 1) sind für die Schließung des Vertrages 2) gut. 3) Wenn der König, mein Herr, 4) mir befiehlt, 5) lassen wir (sie) ergreifen 6) (und dann) mögen sie (ihn) schließen.

Der Brief veranschaulicht, dass die Durchführung eines Treueeides auf den assyrischen König im Hinblick auf gute Tage abgestimmt wurde. Der Text zeigt damit zugleich, dass hemerologische und menologische Gesichtspunkte bei den offiziellen Handlungen des Königs eine wichtige Rolle spielten. So wurden auch Opferschaurituale, die den König betrafen, nicht an Tagen durchgeführt, die gemäß der königlichen Hemerologie Inbu bēl arḫi als ungünstig dafür eingestuft wurden.895 Auch die offiziellen Königsinschriften zeugen von der Beachtung hemerologischer und menologischer Regeln: Assurbanipal Prisma T, v 33–45896 33) ina u4-me-šú é á-ki-it d15 gašan-ja 34) ša qé-reb ninaki 35) ša ki-ma ama a-lit-ti tu-ra[b]-ba-an-ni 36) lú.kúr.meš-ja i-n[a-r]u 37) gi-mir ma-al-ki ú-šak-˹ni˺-šá 38) a-na ˹gìr˺.2-ja ša mlugal-gi.˹na˺ 39) ad.ad ad dù-a 40) šà.bal.bal me[n]-ba-ni dumu ma-da-si 41) ša du-ru-[u]g-šú bal.tilki 42) e-pu-šu l[a-b]a-riš il-lik 43) mi-qit-[ta]-šá ad-ki 44) ina iti ˹šal-me˺ u4-me še-me-e 45) at-ta-ad-˹di˺ tem-me-en-šá 33) In diesen Tagen (wurde) das Akītu-Haus der Ištar, meiner Herrin, 34) das (sich) im Inneren von Ninive (befindet), 35) – die mich wie eine leibliche897 Mutter großgezogen hat, 36) die meine Feinde tötet, 37) die alle Könige sich verbeugen lässt 895

Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 67. Novotny, Selected Royal Inscriptions of Assurbanipal, 91. 897 Wörtlich: „wie eine Mutter, die geboren hat“. 896

9) Die Qualität der Zeit

207

38) zu meinen Füßen, (das Haus,) das Sargon, 39) der Großvater des Vaters, meines Erzeugers, 40) ein Nachkomme des Enlil-bāni, der Sohn von Adāsi, 41) dessen Herkunftsort898 Assur ist, 42) erbaute, – alt. 43) Dessen Schutt entfernte ich. 44) In einem günstigen Monat, an einem verheißungsvollen Tag, 45) legte ich dessen Gründung. Die Instandhaltung und ggf. Renovierung eines Tempels gehörten zu den wichtigsten Aufgaben assyrischer und babylonischer Könige. Das gewählte Beispiel legt dar, dass Assurbanipal, bevor er mit der Renovierung des Ištar-Tempels begann, einen günstigen Monat und weiterhin einen günstigen Tag abgewartet hat. Die Wendung tritt formelhaft in vielen Königsinschriften auf. Die bereits genannte Menologie Iqqur īpuš enthält Passagen, die zeigen, dass der Bau eines Tempels tatsächlich unter menologischen Gesichtspunkten erfolgen sollte. Robson bemerkt diesbezüglich: „The scholarly view of time as favorable or unfavorable, dangerous or safe dictated their patterns of professional activity and deeply influenced the timing of matters of state.“899 Livingstone wirft einen weiteren wichtigen Punkt in Bezug auf die hemerologische und menologische Tradition auf. Er schreibt: „It is unlikely that we will ever completely understand the background to these associations. For one thing, it is not always easy to distinguish between that which is simply conditioned by the phases of the moon, combined with then current religious ideas, and that which is embedded in what was by the second Sargonid period a more than millennium long tradition.“900 Die Gründe für die Qualifizierung der einzelnen Tage, Monate oder Wachen als günstig, ungünstig oder gefährlich, lässt sich demnach kaum noch nachvollziehen. Und selbst wenn der Grund in den Hemerologien selbst genannt wird, wie beim gefährlich eingestuften Tag des Zornes der Gula in Inbu bēl arḫi, bleiben die mythischen und kultischen Hintergründe zumeist weiterhin unklar. Der Schluss liegt nahe, dass die Assoziation von Zeiteinheiten mit bestimmten Göttern dabei eine Rolle spielte.901 Als Beispiel dafür kann der achte Feldzugsbericht Sargons II.

898

Vgl. CAD d, durgu b, 191: „place of ultimate origin“. Robson, Scholarly Conceptions and Quantifications of Time, 82. 900 Livingstone, The Case of Hemerologies, 103. 901 Für eine vollständige Liste aller Tage mit ihren assoziierten Göttern siehe die soge899

208

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

dienen (TCL++): TCL 3++, Kol. I, 6–8902 6) i-na itišu.gar.numun.na mu-kin ṭè-em ad-na-a-ti iti gaš-ri ibila a-ša-redidi ša den.líl kaš-kaš dingir.meš dnin.urta 7) ša a-na pu-uḫ-ḫur um-ma-ni šul-lu-um ka-ra-ši i-na ṭup-pi maḫ-ri iš-ṭu-rušu en ne-‹me›-qi dnin.ši.kù 8) ul-tu urukal-ḫa uru lugal-ti-ja am-muš-ma i7za-ban an.ta-ú i-na kiš-šá-ti-šu šam-riš e-bir 6) Im Monat Duˀūzu, der die Pläne der Welt festmacht, dem Monat des mächtigen (und) hervorragenden Erbsohnes des Enlil, dem Allmächtigsten unter den Göttern, Ninurta, 7) der für die Versammlung des Heeres und die Aufrechterhaltung eines Feldlagers auf einer alten Tafel vom Herrn der Weisheit, Niššīku, festgeschrieben wurde, 8) brach ich von Kalḫu, der Stadt meines Königtums auf und überquerte grimmig den oberen Zab in seiner vollen Flut. Sargon II. erläutert in dem Abschnitt seiner Inschrift, dass er seinen Feldzug im Monat Duˀūzu begann, da dieser vom Weisheitsgott Ea für die Versammlung des Heeres vorgeschrieben wurde. Sollte es sich bei dieser Tafel um einen menologischen Text handeln, so ist er nicht bekannt. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings die menologische Tabelle, die das Ende des Handbuchs der Beschwörungskunst bildet und anscheinend ebenfalls einen militärischen Kontext aufweist. Möglicherweise handelt es sich dabei um das Exzerpt einer entsprechenden Menologie. Der Grund, den Duˀūzu als günstig für den Auszug eines Heeres zu charakterisieren, mag – neben der Notwendigkeit militärische Aktionen im Sommer durchzuführen – auf mythischer Ebene mit der Assoziation des Monats mit Ninurta zusammenhängen. Ninurta zog als Held der Götter ebenfalls in den Kampf, um die Feinde der Götter zu schlagen und spielt daher in der assyrischen Königsideologie eine bedeutende Rolle.903 Die Vermutung liegt nahe, dass ein Monat, der mit Ninurta assoziiert wurde, somit als günstig für militärische Aktionen eingestuft wurde. Für die wenigsten hemerologischen Angaben können allerdings solche Erklärungen herangezogen werden.

nannte Lipšur-Litanei, die zu Beginn des folgenden Kapitels in Übersetzung wiedergegeben wird. 902 Mayer, Der achte Feldzug Sargons II., 96 f. Eine Zusammenstellung der Textzeugen findet sich ibid., 3. 903 Maul, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, 210–212.

10) Die Zeit als numinose Erscheinung In Kapitel 3 wurde bereits in aller Kürze auf die Merkmale verwiesen, die das babylonisch-assyrische Naturverständnis bestimmen. Dazu zählt auch die Vorstellung, dass Naturphänomene als numinose Wesen in Erscheinung treten konnten. Das Phänomen der Zeit bildet davon keine Ausnahme. Den wohl umfangreichsten Befund für diese Annahme bilden die Fragmente einer sog. Lipšur-Litanei, die aus dem Nabû-Tempel in Nimrud stammen und auf die neuassyrische Zeit datieren.904 ND 4389, 3305/77 und AO 6775905 48’) itibara.zag.gar lip-šur šá ˹da-num den.líl˺ lip-šur šá dé-a en te-ne-še-ti 49’) itigu4.si.sá iti lip-šur šá d30 dumu reš-ti-e šá dBAD 50’) sig4.ga 51’) itišu.numun.na lip-šur šá sag.kal dnin.urta lip-šur šá dnin.giš.zi.da en ki-ti 52’) itine.ne.gar iti d 53’) kin. inanna lip-šur šá dinanna gašan kur.kur lip-šur šá dutu qu-ra-di 54’) itidu6.kù iti 55’) apin.du8.a lip-šur šá en abgal dingir.meš damar.utu lip-šur šá ur.sag gal dumue du.gur 56’) itigan.gan.è lip-šur šá sukkal da-num 57’) itiab.ba.è iti lip-šur šá diškur gú.gal an-e ki-tim 58’) zíz.a.an iti lip-šur šá d7.bi dingir.meš gal.meš 59’) še.in.kud lip-šur šá den.líl 60’) u4.1.kám lip-šur šá dinanna.meš 61’) u4.2.kám lip-šur nu-bat-tu šá damar.utu 62’) u4.3.kám lip-šur u4.èš.èš šá dnà 63’) u4.4.kám lip-šur šá en é.kur 64’) u4.5.kám lip-šur šá diškur 65’) u4.6.kám [li]p-šur šá n[u-ba]t-tu ša dé-a ana damar.utu maš? gar 66’) u4.7.kám [lip]-šur [u4.è]š.˹èš˺ šá dnà 67’) [u4.8].kám [li]p-šur [šá dgu]-la 68’) [u4.9].kám [li]p-šur [šá] dpap.sukkal 69’) u4.10.kám [l]ip-šur ša-lam man-zal-ti šá ‹ d ›ṣar-pa-ni-tum 70’) u4.11.kám [l]ip-šur [se.]gar! šá dgu-la 71’) u4.12.kám [l]ip-šur šá [x] d30 72’) u4.13.kám [l]ip-šur šá dnin.líl 73’) u4.14.kám [l]ip-šur šá dnin.é.an.na 74’) u4.15.kám 904

Der Begriff wurde erstmals verwendet und geprägt durch E. Reiner in ihrem Artikel Lipšur Litanies, 129. Zur Datierung siehe Wiseman, A Lipšur Litany from Nimrud, 175. 905 Wiseman, A Lipšur Litany from Nimrud, 176–182.

210

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

u4.16.kám [l]ip-šur [nu-bat-t]u šá damar.[u]tu? [l]ip-šur [u4.èš.èš] šá dnà u4.17.kám [l]ip-šur ezen ḫu-un-ṭi šá dutu u4.18.kám [u4.19.kám] lip-šur ib-bu-u šá dgu-la [u]4.20.kám lip-šur šá dutu lip-šur e-peš níg.[šita5] šá d30 [u dut]u u4.21.kám lip-šur [a]-ki-t[u] šá d[utu u diškur] u4.22.kám lip-šur gug.ga.qu šá dx u4.23.kám lip-šur šu-du-ut 7 gišgi6 dnin.maḫ u4.24.kám lip-šur ša-da-ḫu šá dinanna tin.tirki u4.25.kám lip-šur na-de-e sig4 šá dnin.maḫ u4.26.kám lip-šur mé-lul-tu šá du.gur u4.27.kám lip-šur bu-bu-lu šá d30 u4.28.kám lip-šur šá dé-a u4.29.kám lip-šur šá da-num u4.30.kám u4 nu-bat-tum u4.èš.èš u4.15.kám u4.19.kám u4.20.kám u4.ná.àm u4.30. kám 91’) u4-mu iti u mu.an.na šá nenni lip-šu-ru a-ra-an-šú 75’) 76’) 77’) 78’) 79’) 80’) 81’) 82’) 83’) 84’) 85’) 86’) 87’) 88’) 89’) 90’)

48’) Der Nisannu möge erlösen, der (Monat) des Anu und des Enlil; 49’) der Ajjaru möge erlösen, der (Monat) des Ea, dem Herrn der Menschheit; 50’) der Simānu möge erlösen, der (Monat) des Sîn, des erstgeborenen Sohnes des Enlil; 51’) der Duˀūzu möge erlösen, der (Monat) des Kriegers Ninurta; 52’) der Abu möge erlösen, der (Monat) Ningišzidas, des Herren der Unterwelt; 53’) der Elūlu möge erlösen, der (Monat) der Ištar, der Herrin der Länder; 54’) der Tašrītu möge erlösen, der (Monat) des Helden Šamaš; 55’) der Araḫsamna möge erlösen, der (Monat) des Herren, des Weisen der Götter, Marduk; 56’) der Kislīmu möge erlösen, der (Monat) des großen Helden, des Sohnes, Nergal; 57’) der Ṭebētu möge erlösen, der (Monat) des Wesirs des Anu; 58’) der Šabāṭu möge erlösen, der (Monat) des Adad, des Kanalinspektors von Himmel und Erde; 59’) der Addaru möge erlösen, der (Monat) der Sieben, der großen Götter; 60’) der erste Tag möge erlösen; der (Tag) des Enlil; 61’) der zweite Tag möge erlösen; der (Tag) der Göttinnen; 62’) der dritte Tag möge erlösen; der (Tag) des Abendfestes des Marduk; 63’) der vierte Tag möge erlösen; der (Tag) des eššēšu-Festes des Nabû; 64’) der fünfte Tag möge erlösen; der (Tag) des Herren des Ekur; 65’) der sechste Tag möge erlösen; der (Tag) des Adad;

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

211

66’) der siebte Tag möge erlösen; der (Tag) des Nachtfestes des Ea; für Marduk, den Ersten, gesetzt. 67’) der achte Tag möge erlösen; der (Tag) des eššēšu-Festes des Nabû; 68’) der neunte Tag möge erlösen; der (Tag) der Gula; 69’) der zehnte Tag möge erlösen; der (Tag) des Papsukkal; 70’) der elfte Tag möge erlösen; der (Tag) des Wohlergehens der Position der Ṣarpanītu 71’) der zwölfte Tag möge erlösen; der (Tag) des Türriegels, der Gula; 72’) der 13. Tag möge erlösen; der (Tag) des [x] des Sîn; 73’) der 14. Tag möge erlösen; der (Tag) er Ninlil; 74’) der 15. Tag möge erlösen; der (Tag) der Herrin des Eanna; 75’) der 16. Tag möge erlösen; der (Tag) des [Nachtfest]es des Marduk; 76’) der 17. Tag möge erlösen; der (Tag) des [eššēšu-Festes] des Nabû; 77’) der 18. Tag möge erlösen; der (Tag) des ḫunṭu-Festes des Šamaš; 78’) der 19. Tag möge erlösen; der (Tag) des Zorns der Gula; 79’) der 20. Tag möge erlösen; der (Tag) des Šamaš; 80’) der 21. Tag möge erlösen; der (Tag) der Abrechnung des Sîn und Šamaš; 81’) der 22. Tag möge erlösen; der (Tag) des [A]kit[u]-Festes des [Šamaš und Adad]; 82’) der 23. Tag möge erlösen; der (Tag) der guqqanu-Opfer des X; 83’) der 24. Tag möge erlösen; der (Tag) des Edikts, der sieben Schatten der Ninmaḫ; 84’) der 25. Tag möge erlösen; der (Tag) der Prozession der Ištar von Babylon; 85’) der 26. Tag möge erlösen; der (Tag) des Werfens des Ziegels der Ninmaḫ; 86’) der 27. Tag möge erlösen; der (Tag) des Spiels des Nergal; 87’) der 28. Tag möge erlösen; der (Tag) des Verschwindens des Sîn; 88’) der 29. Tag möge erlösen; der (Tag) des Ea; 89’) der 30. Tag möge erlösen; der (Tag) des Anu; 90’) das Nachtfest, das eššēšu-Fest, der 15. Tag, der 20. Tag, der Neumondstag, der 30. Tag, 91’) der Tag, der Monat und das Jahr mögen die Schuld des NN erlösen. Der Text stellt in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit dar. Zum einen enthält er eine Reihe von Assoziationen zwischen Zeiteinheiten und Gottheiten, wobei jeder Monat einer bestimmten Gottheit gewidmet ist. Darunter finden sich wiederum diverse Gottheiten, die in Kapitel 4 und 5 bereits mit der Zeit in Verbindung gebracht werden konnten: Anu, Enlil und Ea, Sîn und Šamaš und auch die Sieben, eine Bezeichnung der Plejaden, die bei der Schaltung des Kalenders eine große Rolle spielen. Analog dazu werden auch die Tage entweder mit einer Gottheit oder mit einem bestimmten kultischen Ereignis in Verbindung gebracht. Auch die

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Lipšur-Litanei geht dabei wieder von einem idealen 30-Tage-Monat aus. Zum anderen gibt auch dieser Text einen interessanten Einblick in die Einordnung des Phänomens Zeit in das babylonisch-assyrische Weltbild. Wie D. J. Wiseman bereits gezeigt hat, handelt es sich bei der hier gezeigten Litanei offenbar nur um die erste Tafel eines längeren Textes. Der zweite Teil, der bereits von E. Reiner im Artikel Lipšur Litanies ediert wurde, schließt unmittelbar daran an.906 Zusammen ergibt sich demnach folgende interne Gliederung: Nacheinander werden zunächst eine große Anzahl von Göttern und sodann die Zeiteinheiten angerufen. Auf der zweiten Tafel fährt der Text dann mit der Anrufung von Gebirgen und von verschiedenen Gewässern fort. In gewissem Sinne reflektiert der Text damit die Reihenfolge der Schöpfung, wie sie auch im Enūma eliš geschildert wird. Am Anfang steht dort die göttliche Welt, hier repräsentiert durch die verschiedenen Götter und ihre Heiligtümer. Anschließend erfolgt im Enūma eliš die Erschaffung des Himmels und der Himmelskörper sowie die damit verbundene Etablierung der messbaren Zeit. Erst nach Vollendung der oberen Gefilde, widmet sich Marduk im Schöpfungsakt der Erde, wobei das Enūma eliš dezidiert auf Flüsse, Quellen und vermutlich auch Gebirge eingeht. Enūma eliš V, 55–58:907 55) ip-te-ma i-na igi.II-šá pu-r[a-at-ta] ˹i˺-di-ig-lat 56) na-ḫi-ri-šá up-t[e]-ḫa-a x x (x) e-te-ez-ba 57) iš-pu-uk ina ṣir-ti-šá x [x x]-˹e˺ bi-ru-ti 58) nam-ba-ˀi [u]p-ta-li-šá ana ba-ba-lì kup-pu 55) Er öffnete aus ihren Augen heraus den Eu[phrat] und den Tigris, 56) und verschloss dann ihre Nasenlöcher (und) … ließ er zurück. 57) Er häufte auf ihren Brustwarzen die weiten [Berge] auf 58) (und) bohrte Wasserlöcher, um Brunnen bereitzustellen. Die Zeit erscheint damit in der Lipšur-Litanei wie schon im Enūma eliš als Teil der göttlich eingerichteten Weltordnung, indem sie mit anderen Elementen der Natur in eine Reihe gestellt wird. In ihrer Struktur wiederum erinnert die Lipšur-Litanei an eine lexikalische Liste, in der zunächst alle Monate des Jahres und anschließend alle Tage des Monats aufgezählt werden. Anschließend werden besondere Festtage innerhalb eines Monats noch einmal gesondert hervorgehoben. Die primären Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr beschließen letztendlich die Liste. In Anlehnung an die Prämisse, dass lexikalische Listen einen Aspekt der Welt abbilden, liegt die Vermutung

906 907

Wiseman, A Lipšur Litany from Nimrud, 175. Lambert, Babylonian Creation Myths, 100 f.

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

213

nahe, dass auch die ausführliche, listenartige Aufzählung der Litanei darauf bedacht war, die Zeit als Ganzes anzusprechen.908 Das auffälligste Merkmal ist jedoch, dass in der Lipšur-Litanei die Teile der Weltordnung – und damit auch die Zeit in Form ihrer Zeiteinheiten – nicht mehr nur als reines Bezugssystem oder als Objekt von göttlichen Handlungen in Aktion treten, sondern eine aktive Rolle einnehmen. Die Zeiteinheiten werden dabei direkt angesprochen und aufgefordert, zu handeln und den von Sünde und Fluch belasteten Ritualteilnehmer zu erlösen. Die Nähe der Litaneien zur Serie Šurpu wurde bereits früh postuliert.909 Dabei rückt im vorliegenden Kontext zunächst die dritte Tafel von Šurpu in den Fokus. Dort findet sich eine Auflistung verschiedener Eide (māmītu), von denen der Betroffene vorsorglich erlöst werden soll. Dazu gehören wiederum Eide, die in direkter Verbindung mit Zeiteinheiten stehen: Šurpu III, 101–103, 114–115910 101) ma-mit nu-bat-te ù […] 102) ma-mit u4.è[š.èš …] 103) ma-mit mu-ši […] 104) ma-mit d30 […] 105) ma-mit dšá-maš […] (…) 114) ma-mit en u4-mi ḫa-sa-si 115) ma-mit u4-mu iti u mu.an.na 101) Der Eid des Nachtfestes und […] 102) Der Eid des e[ššēšu-Festes …] 103) Der Eid der Nacht […] 104) Der Eid des Sîn […] 105) Der Eid des Šamaš […] (…) 114) Der Eid des Beachtens des Herren des Tages. 115) Der Eid des Tages, des Monats und des Jahres. Neben einigen Festen wird dabei zunächst der Eid der Nacht und der beiden zeitanzeigenden Gottheiten Sîn und Šamaš genannt. Einige Zeilen später wird die Zeit thematisch erneut aufgegriffen. Dabei sticht das Epitheton „Herr des Tages“ heraus, vergleichbar mit der Bezeichnung des Mondgottes als „Herr des Monats“ in Inbu bēl arḫi. Das Epitheton „Herr des Tages“ bezieht sich in dem Fall allerdings

908

Vgl. S. 13. Reiner, Lipšur Litanies, 129, mit entsprechenden Literaturangaben. 910 Reiner, Šurpu, 22. 909

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

auf Marduk.911 Zuletzt werden mit dem Eid des Tages, des Monats und des Jahres erneut alle primären Zeiteinheiten aufgeführt, wodurch nicht nur ausgewählte Zeitabschnitte, sondern erneut die Zeit als Phänomen insgesamt angesprochen wird. Im Gegensatz zur Lipšur-Litanei wurde in Šurpu III darauf verzichtet, die einzelnen Tage und Monate noch einmal explizit zu nennen. Im weiteren Verlauf des Texts, auf Tafel VIII, findet sich eine Anrufung an den Gott Martu. An deren Ende wird die Bitte ausgesprochen, dass bestimmte Vergehen und Gefahren für den Betroffenen gelöst werden. Auch hierbei werden die Zeiteinheiten in die Anrufung eingebunden: Šurpu VIII, 41–47912 41) d[Mar]-tu ddingir-Mar-tu na-áš gam-li ba.an.du8.du8-e mul-li-lu muš-šipu 42) an-e ù ki-tim u4-mu iti ù mu.an.na nu-bat-ti u4.èš.èš u4.7.kám u4.15.kám u4.20.1.lal.kám 43) u4.20.kám u4.25.kám u4.ná.àm u4 rim-ki u4.ḫul.gál u4.30.kám a-ra-an-ka ma-mit-ka 44) ḫi-ṭi-it-ka gíl-lat-ka ni-iš-ka mu-ru-uṣ-ka ta-ni-iḫ-ka kiš-pu ru-ḫu-u ru-suu 45) up-šá-šu-u ḫul.meš šá lú.meš šá a-na ka-a-šá a-na é-ka a-na numun-ka a-na nunuz-ka 46) it-ta-nab-šu-ú it-ta-nap-ri-ku it-ta-na-an-ma-ru 47) lu pa-aṭ-ra-nik-ka lu-u pa-áš-ra-nik-ka lu-u pa-as-sa-nik-ka 41) [Mar]tu, Dingir-Martu, der den Krummstab und den Eimer trägt, der Reinigende, der Beschwörende 42) des Himmels und der Erde, Tag, Monat und Jahr, Nachtfest, eššēšu-Fest, siebter Tag, 15. Tag, 19. Tag, 43) 20. Tag. 25. Tag, Tag des Verschwindens, Tag der Waschung, böser Tag, 30. Tag: deine Schuld, dein Eid, 44) dein Verbrechen, deine Untat, dein Eid, deine Krankheit, deine Ermüdung, Hexerei, Zauberei, Magie, 45) die bösen Umtriebe der Leute, die für dich, dein Haus, deine Nachkommenschaft, deinen Nachwuchs 46) immer wieder zustande kommen, ein Hindernis bilden, immer wieder gesehen werden, 47) mögen für dich entbunden werden, mögen für dich gelöst werden, mögen für dich aufgehoben werden.

911 912

Vgl. Tallqvist, Akkadische Götterepitheta, 56, mit Verweis auf KAR 25, II 10. Reiner, Šurpu, 41.

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

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Erneut lässt sich feststellen, dass nicht ausschließlich spezifische Tage angerufen werden, sondern „Tag, Monat und Jahr“ und somit wie in der Lipšur-Litanei die Zeit in ihrer Gesamtheit. Die Lipšur-Litanei und Šurpu vermitteln damit noch einmal eindrücklich, dass auf sprachlicher Ebene auf die primären Zeiteinheiten zurückgegriffen wurde, um eine Abstraktion des Zeitbegriffs zu erreichen. Die primären Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr treten dann auch in vereinzelten Abwehrritualen auf. So etwa in einer sumerisch-akkadischen Bilingue, die in neubabylonischem Duktus verfasst wurde und in der, wie in der eingangs vorgestellten Lipšur-Litanei, eine Reihe von Entitäten angerufen werden, die das Böse vertreiben sollen.913 Zu diesem Zweck werden werden dort am Beginn der noch erhaltenen Tafel zunächst die Nacht und die nächtlichen Sterne sowie anschließend die Sonne und der Mond adressiert und damit alle Gestirne, die in der Zeitwahrnehmung eine Rolle spielen. Der Bezug zu Zeit tritt dann eindeutig in den Zeilen 13 f. hervor: PBS I/2 115914 13) zi u4 sakar-u4! mu-a ḫé 14) niš u4-mu ár-ḫu u šat-ti 13/14) Eid des Tages, des Monats und des Jahres. Eine Hymne an Marduk wiederum enthält eine Textpassage, in der die primären Zeiteinheiten offenbar angerufen werden, um Segnungen zu verteilen: BM 68593915 10) u4-mu iti u mu.an.na ana en-iá ku-ru-ub x[…] 10) Tag, Monat und Jahr, segnet meinen916 Herren […]. Bei dieser Textstelle ist jedoch zu beachten, dass ohne den Kontext nicht vollständig bestimmt werden kann, ob hier tatsächlich die drei prototypischen Zeiteinheiten als segnende Entitäten auftreten. Die Verwendung der Präposition ana lässt zwar die Möglichkeit zu, dass die Zeiteinheiten hier als Subjekt der Handlung auftreten, anderseits aber stimmt die erhaltene Verbform im Imperativ Sg. m. nicht mit mehreren Subjekten überein. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Zeitangaben als direktes Objekt der Handlung zu betrachten. 913

Publiziert wurde der Text in Gänze bei Lutz, Selected Sumerian and Babylonian Texts, Nr. 115. 914 Lambert, Units of Time as Cosmic Powers, 189. 915 Bislang ist der Text offenbar nicht publiziert. Nur bei Lambert findet sich die entsprechende Textpassage zu den Zeiteinheiten. 916 Lambert übersetzt „Day, month and year, bless Bēl .[…]“ und lässt somit das von ihm selbst transliterierte Zeichen iá außer Acht.

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

Einen eindeutigen und zugleich umfangreichen Eindruck vermittelt das Abwehrritual W 22728/0. W 22728/0 = IM 135197917 9) (…) eb˺-bé-˹ku˺ 10) za-ka-ku u ˹nam-ra˺-k[u u?] ˹šá munus˺uš11.˹zu˺.mu ˹lip-pa-ṭir˺ ri-˹kis-su˺ 11) u4-mu iti mu.an.n[a] ˹u4˺.[7].k[am u4.1]5.kam u4.˹ná.àm˺ u4.ḫ[ul.gá]l ˹u4.30.kam˺ 12) ˹li-paṭ-ṭi-ru kip˺-di-i[a5] munusu[š11.zu.mu] x x ˹te˺ x x 13) [u4].˹30˺.kam gú-su be-˹en˺-n[u] ˹ṣa˺-a-a-i-˹du?˺ ugu-šú lim-ḫaṣ 14) [ana dna]m.tar sukkal ki-tim lip-˹qí˺-du-šú ˹d˺[n]am.tar sukkal ki-tim ṭèen-šú lis-pu-˹uḫ˺ 15) [pa-gar(?)]-˹šú liq-bir˺ š[á] munusuš11.zu.mu zi-šú lib-le-ma 16) [ana-ku lu-ub-l]uṭ ˹u4˺-mu u nam tùm-ši ana kur.nu.˹gi4˺ 9) (…) Ich bin rein, 10) ich bin sauber, [ich b]in strahlend [und] meiner Hexe Band möge gelöst sein. 11) Tag, Monat (und) Jah[r], der [7.] Tag, der 1[5. Tag], der Tag des Neumonds, der b[öse] Tag und der 30. Tag 12) mögen lösen die Plän[e] [meiner] H[exe] x x x x 13) Der 30. [Tag] möge ihren918 Nacken, die herumstreifende Epileps[ie] ichren Schädel schlagen. 14) [Na]mtar, dem Wesir der Unterwelt möge man sie übergeben; [N]amtar, der Wesir der Unterwelt, möge ihren Verstand zerstreuen 15) (und) ihren [Körper] begraben. Meiner Hexe Leben möge er auslöschen. 16) [Ich (aber) möge leb]en! Der Tag und das Schicksal mögen sie der Unterwelt überbringen. Die Zeiteinheiten sollen dabei sowohl ihrer erlösenden Funktion nachgehen als auch die Ursache des Unheils – in diesem Fall eine Hexe – bestrafen. Neben der allgemeinen Anrufung von Tag, Monat und Jahr werden zusätzlich noch der 7., 15. und 30. Tag genannt. Die Besonderheit an diesem Text ist, dass man die Auswahl der Tage anhand der Ritualanweisung nachvollziehen kann: So verdeutlicht Z. 4 des Textes, dass das Ritual an den aufgeführten Tagen eines Monats stattfinden sollte.919 Besonders sticht heraus, dass auch der individuelle Todestag der

917

Abusch – Schwemer, Corpus of Mesopotamian Anti-Witchcraft Rituals Vol. 3, 234. Mein Dank gilt Prof. Dr. Daniel Schwemer, der mir die zum Zeitpunkt der Einreichung noch unveröffentlichte Bearbeitung des Textes zur Verfügung gestellt hat. 918 Wörtl. „seinen“, obwohl in der erhaltenen Z.15 ausschließlich eine Hexe aufgeführt wurde (munusuš11.zu). So auch im weiteren Verlauf des Textes. 919 Abusch – Schwemer, Corpus of Mesopotamian Anti-Witchcraft Rituals Vol. 3, 233.

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

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Hexe – ersichtlich an der gemeinsamen Nennung mit šīmtu – „Schicksal“ – personifiziert wird und zugunsten des Bittenden in Aktion treten soll. Zuletzt handelt es sich bei W 22728/0 um einen Text aus dem spätbabylonischen Uruk, genauer aus dem 5. Jh. v. Chr.,920 was zeigt, dass die Vorstellung einer numinosen Zeit ebenfalls weiter tradiert wurde. Dies wird auch aus der Beschwörung Lugal ta-è-a / šarru ittaṣâ 921 ersichtlich, die auf einer seleukidischen Tafel aus Uruk erhalten ist und im Zuge einer Prozession zur Anwendung kam.922 Lugal ta-è-a, 32–38923 32) da-num ra-bu-ú an-e u ki-tim lik-ru-bu-ka 33) den-líl dé-a u dbe-let-dingir.meš ḫa-diš lik-ru-bu-ka 34) dingir.meš ki-lal-la-an d30 u dutu ina igi dù.àm-šu-nu lik-ru-bu-ka 35) dNergal u dimin.bi ina kun-nu lib-bi-šu-nu lik-ru-bu-ka 36) digigi ša an-e u da.nun.na.ki ša ki-tim lik-ru-bu-ka 37) dingir.meš ša ap-si-i u dingir.meš ša ku.azag lik-ru-bu-ka 38) u4-mu iti u mu u4-mi-šam lik-ru-bu-ka 32) Möge Anu, der Große des Himmels und der Erde dich segnen; 33) mögen Enlil, Ea und Bēlet-ilī dich freudig segnen; 34) mögen die beiden Götter, Sîn und Šamaš in ihrer Gesamtheit dich segnen; 35) mögen Nergal und die Sieben in ihren festen Herzen dich segnen; 36) mögen die Igigi des Himmels und die Anunnaki der Erde dich segnen; 37) mögen die Götter des Apsû und die Götter des KU.AZAG dich segnen; 38) mögen Tag, Monat und Jahr dich täglich segnen. Auch in diesem Text werden neben den für den Lauf der Zeit relevanten Göttern auch die primären Zeiteinheiten angerufen und um Segnungen gebeten. Weiterhin enthält mit Maqlû auch die zweite große Ritualserie des 1. Jt. v. Chr. Textstellen, in denen Zeiteinheiten im Rahmen der Gebete angesprochen werden. Die wohl eindrücklichste dieser Textstellen ist ein Gebet an die Götter der Nacht, welches die Serie auf der ersten Tafel einleitet. Dort heißt es: Maqlû I, 1–5; 29 f.924 1) én al-si-ku-nu-ši dingir.meš mu-ši-˹ti˺ 2) it-ti-ku-nu al-si mu-ši-tu4 kal-la-tu4 kut-tùm-tu4 3) al-si ba-ra-ri-tu4 qab-li-tu4 u na-ma-ri-tu4 4) áš-šú munusuš11.zu ú-kaš-šip-an-ni

920

Abusch – Schwemer, Corpus of Mesopotamian Anti-Witchcraft Rituals Vol. 3, 233. Ediert bei Clay, Babylonian Records, Nr. 7. 922 Clay, Babylonian Records, 17. 923 Clay, Babylonian Records, 19 und 21. 924 Abusch, The Magical Ceremony Maqlû, 231. 921

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5) e-le-ni-tu4 ub-bi-ra-an-ni (…) 29) ina ugu kiš-pi-ša lim-ḫa-ṣu-ši dingir.meš mu-ši-ti 30) 3 en.nun.meš šá mu-ši lip-šu-ra! ru-ḫe-šá lem-nu-ti 1) Beschwörung: Ich rief euch, Götter der Nacht. 2) Mit euch rief ich die Nacht, die verhüllte Braut. 3) Ich rief die Abendwache, die mittlere Wache und die Dämmerung. 4) Wegen der Hexe, die mich verhext hat, 5) der tückischen Frau, die mich gebunden hat. (…) 29) Wegen ihrer Hexerei schlagt sie, Götter der Nacht! 30) Die drei Wachen der Nacht mögen ihre böse Zauberei lösen! Der größte Unterschied zu Šurpu und den anderen bisher aufgeführten Textstellen besteht darin, dass hier nicht mehr Jahr, Monat und Tag, sowie zusätzlich die besonderen Tage des Jahres und des Monats angerufen werden, sondern zunächst exklusiv die Nacht in ihrer Gesamtheit und anschließend die drei Wachen, aus denen sich die Nacht zusammensetzt. Die Aufgaben sind in diesem Gebet jedoch die gleichen wie auch in Šurpu und den Lipšur-Litaneien: Die Nachtwachen sollen den betroffenen Ritualteilnehmer von der Hexerei, die ihn befallen hat, erlösen (pašāru). Auf der vierten Tafel wird die Nacht erneut angesprochen, um die Macht der Hexen und Hexer über den Betroffenen zu brechen und die Übeltäter zu bestrafen: Maqlû IV, 93 f.925 93) mu-ši-tu4 kal-la-tu4 kut-tùm-t[u4] 94) gištukul-šú-nu liš-bir-ma ˹la ṣa-la˺-lu ˹li˺-mid-su-nu-˹te˺ tu6.é[n] 93) Die Nacht, die verhüllte Braut, 94) möge ihre Waffen zerbrechen; Schlaflosigkeit möge sie ihnen auferlegen! Ein ähnliches und doch einzigartiges Beispiel bietet eine Beschwörung im Rahmen eines Rituals gegen Nierenleiden.926 Die Beschwörung ist durch sieben Textzeugen u.a. aus der Bibliothek des Assurbanipal bekannt und wurde zuletzt von M. Stol bearbeitet. K 4609++927 1) én a-na-ku nu-bat-tum a-ḫat dMarduk 925

Abusch, The Magical Ceremony Maqlû, 124 und 324. Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 251. 927 Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 251–255. Eine Übersicht über die Textzeugen findet sich ibid., 251. 926

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

219

d

za-ap-pu e-ra-an-ni dba-a-lum ú-li-da-an-ni d LÚ.ḪUŠ.A ana li-qu-ti-šú928 il-qa-an-ni íl-ši šu.si.meš-ja ina bi-rit dza-ap-pi u dba-a-lum a-šá-kan ul-te-šeb ina pa-ni-ja diš-tár be-el-tum a-pi-lat ku-mu-ú-a šeš dMarduk um-mi šá-pat-tú ad-ú-a a-ra-aḫ it-ti-ja lip-šu-ru ka-lu-ú ta-ma-a-ti ma-mit at-mu-ú la tu-qar-ra-ba re-mé-nu-ú dMarduk

1) 2) 3) 4) 5) 6)

Beschwörung: Ich bin der Abend, die Schwester des Marduk, Zappu empfing mich, Bālum gebar mich. Luḫušû nahm mich als sein Adoptivkind (Alternativ: als seine Braut) an. Ich929 erhebe meine Finger und lege sie zwischen Zappu und Bālum. Ich lasse Ištar, die Herrin, die für mich eintritt, vor mir sitzen. (Mein) Bruder (ist) Marduk, meine Mutter (ist) der 15. Tag, mein Vater ist der erste Tag des Monats. 7) Zusammen mit mir mögen alle Meere erlösen. 8) Der Eid, den ich schwor, darf nicht näherkommen, gnädiger Marduk!

Die letzten zwei Zeilen verdeutlichen, dass der Textausschnitt funktional zu den bisherigen Quellen gezählt werden kann, da die genannte Zeiteinheit auch hier eine erlösende Funktion erfüllen soll.930 Der Text ist jedoch einzigartig, da er eine Zeiteinheit zugleich in eine Genealogie einbindet. Bei zappu handelt es sich um eine Bezeichnung für die Plejaden.931 Bālum wiederum ist gemäß der Liste ḪAR.gud = imru = ballu VI 31 ein Name für den Planeten Mars.932 Luḫušû wiederum steht für eine Inkarnation des Nergal.933 Bemerkenswert ist zudem, dass in Z. 6 der erste und der 15. Tag des Monats als Vater und Mutter des Abends tituliert werden. Nach der Interpretation von Stol ist der Inhalt des Textes zwar schwer verständlich, doch sieht er in der Genealogie Hinweise darauf, dass es sich bei dem in Z. 1 genannten Abend um einen spezifischen Abend des Jahres handelt. So weist Stol darauf hin, dass der Mond zu Jahresbeginn idealerweise zusammen mit den Plejaden beobachtet werden soll. In den in Z. 4 genannten Fingern sieht 928

In dem Textzeugen K 8447 wird li-qu-ti-šú durch kal-lu-ti-šú – „seine(r) Braut“ ersetzt. Vgl. den Variantenapparat bei Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 252. 929 Die Logographische Schreibung des Verbs gibt keinen Hinweis darauf, welche Person die Handlung durchführt. Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 252, übersetzt die Textstelle folgendermaßen: „[I] (?) raise my fingers ..:“. Die Annahme, dass nubattum nun in der 1. Person spricht, wird allerdings dadurch bekräftigt, dass die folgende Verbform syllabisch geschrieben wird. 930 Vgl. Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 253. 931 CAD z, zappu, 50. 932 Der entsprechende Eintrag lautet: MULNU.ME.A = ba-lum = dṢal[batānu]. Siehe CAD b, bālu, 74. 933 Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 253.

220

Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

er als die zehn Tage Differenz zwischen dem lunaren und dem solaren Jahr. Insgesamt verortet Stol den genannten Abend somit am Jahresbeginn.934 Die drei Nachtwachen mit ihren dazugehörigen Sternen treten wiederum in der Serie Bīt mēseri in Erscheinung. Dort wird auf der zweiten Tafel eine Rezitation vor der Figur des Lugalgirra verlangt, der gegen diverse Dämonen und feindlich gesinnte Entitäten vorgehen soll, die dem Menschen gefährlich werden können. In den Zeilen 43–47 wird Lugalgirra dann auch mit der ersten und zweiten Nachtwache in Verbindung gebracht: Bīt mēseri II, 43–47935 43) ú-qa-diš-ku dlugal.gìr.ra an-e ša-lal-ti-šú-nu 44) šu-ut da-nim šu-ut den.líl šu-ut dé-a 45) al-si at.kal.igi en.nun ša ba-ra-ar-ti eq-ri ki-ša dingir.meš ša šà-šá 46) as-si at.ḫu.ḫu en.nun šá murub4-ti eq-ri ki-šá dingir.meš ša šà-šá 47) mulmul mulšudun mulsipa.zi.an.na 43) Ich habe dir, Lugalgirra, ihre drei Himmel gereinigt: 44) den des Anu, den des Enlil und den des Ea. 45) Ich rief AT.KAL.IGI, die Wache der Dämmerung; ich rief mit ihr herbei die Götter, die sich in ihr befinden; 46) ich rief AT.ḪU.ḪU, die mittlere Nachtwache; ich rief mit ihr herbei die Götter, die sich in ihr befinden: 47) die Plejaden, das Joch und den rechten Hirten des An. Die schützende Funktion der Nachtwachen hat auch Eingang in ein literarisches Werk gefunden. Auf der dritten Tafel des Gilgameš-Epos, kurz nachdem Gilgameš und Enkidu den Entschluss gefasst haben in den Zedernwald zu ziehen, wendet sich Ninsun, die göttliche Mutter des Gilgameš, an den Sonnengott Šamaš: Gilg. III, 46–58936 46) am-me-ni taš-kun ˹ana ma˺-[ri-ja dgi]š-gím-maš lìb-bi la ṣa-li-la te-midsu 47) ˹e˺-nin-na-ma tal-pu-us-su-ma il-lak 48) ˹ur˺-ḫa ru-qa-ta a-šar dḫum-ba-ba 49) qab-la šá la i-du-ú i-maḫ-ḫar 50) gi-ir-ru šá la i-du-ú i-rak-kab 51) a-di u4-mu il-la-ku ù i-tur-ra 52) a-di i-kaš-šá-du a-na gištir gišeren 53) a-di dḫum-ba-ba da-pi-nu i-nar-ru 934

Stol, The Moon as Seen by the Babylonians, 251–253. Meier, Die zweite Tafel der Serie bīt mēseri, 142 f. 936 George, The Babylonian Gilgameš Epic, 576 f. 935

10) Die Zeit als numinose Erscheinung

54) 55) 56) 57) 58)

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u mim-ma lem-nu šá ta-zer-ru ú-ḫal-laq ina kur [i]na u4-mi šá at-ta i-tu-ú x […] [š]i-i a-a i-dur-ka da-a kal-lat li-ḫa-˹sis˺-ka [š]á-a-šú a-na en.nun.meš šá gi6 ˹pi˺-q[id-s]u [ina en.nun.]an.úsan […] x-ma

46) „Warum setztest du und legtest ihm, meinem Sohn Gilgameš, ein unruhiges Herz auf? 47) Nun berührtest du ihn und er wird gehen 48) den fernen Pfad, (zum) Ort des Humbaba. 49) Einem Kampf, den er nicht kennt, wird er entgegentreten, 50) einen Weg, den er nicht kennt, wird er entlangreiten. 51) Während der Tage, an denen er geht und wieder zurückkehrt, 52) bis er den Zedernwald erreicht, 53) bis er den wilden Humbaba tötet 54) und alles Böse, das du hasst, im Lande zerstört, 55) [a]m Tag, wo du (selbst) neben ihm gehst937 x […] 56) soll [s]ie sich nicht fürchten, Aja, die Braut, möge dich erinnern: 57) „[I]hn vertraue den Wachen der Nacht an! 58) [Während der] ersten [Wache …]“ “ Der Text beginnt an der entscheidenden Passage abzubrechen, doch es wird noch deutlich, dass der Sonnengott Gilgameš am Tage schützen wird, während die Sonne selbst am Himmel steht. Des Nachts aber soll Gilgameš dem Schutz der Nachtwachen anvertraut werden. Möglicherweise lassen sich die personifizierten Zeiteinheiten sogar auf ikonographischer Ebene finden. So identifiziert F. A. M. Wiggermann den Löwenköpfigen und Adler-füßigen Ugallu als Zeit-Dämon.938 Dieser gehört laut Wiggermann zu der Gruppe der ud-Dämonen und damit zu personifizierten Tagen: „Demons of this class personify the moments of divine intervention in human life, for instance the Evil day of one’s death, or the eventful Days that brought the Ur III empire to its end. Such Day-Demons, especially the bad ones, were imagined as roaring storms, and visualized as leonine monsters.“939 Der Ugallu taucht vornehmlich in der Ikonographie magischer Amulette auf und entfaltet im Rahmen der Rituale, in denen die jeweiligen Amulette zur Anwen-

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George, The Babylonian Gilgemeš Epic, 577, übersetzt die Zeile mit „by day when [you …] the boundary [of …,]“. 938 Wiggermann, Some Demons of Time, 110 f. 939 Wiggermann, Some Demons of Time, 111, mit Verweis auf Wiggermann, Mesopotamian Protective Spirits, 171 f.

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Teil III: Die Zeit in der Gesellschaft

dung kommen, ebenfalls eine apotropäische Wirkung, was mit dem textlichen Befund korreliert.940 Insgesamt zeigt sich, dass die Zeiteinheiten in ihrer numinosen Form eine schützende Funktion einnehmen. Die Texte erläutern jedoch nicht, warum die Zeiteinheiten eine solche Funktion einnehmen sollten. Eine Antwort auf diese Frage bieten möglicherweise die Art der Bedrohung und der Zeitpunkt, an dem diese auftreten. So spielt evtl. die hemerologische Tradition eine Rolle, wenn Tage, Monate und Jahre um Erlösung gebeten werden. Texte wie Šurpu wenden sich gegen Bedrohungen, die durch Verfehlungen und Tabubrüche des betroffenen Menschen hervorgerufen wurden. Tabus und Handlungsvorschriften wiederum finden sich in hemerologischen und menologischen Texten. Es können allerdings keine direkten intertextuellen Bezüge hergestellt werden, sodass die Verbindung spekulativ bleibt. Der wiedergegebene Text W 22728/0 zeigt hingegen deutlich, dass die Tage angerufen wurden, an denen das entsprechende Ritual durchgeführt wurde. In Maqlû wiederum wird ersichtlich, dass Übergriffe durch Hexerei und Dämonen oftmals in der Nacht stattfanden. Die Anrufung der Nachtwachen, um dieses Übel abzuwehren, erscheint daher naheliegend. Im Falle der Anrufung aller primären Zeiteinheiten wurde möglicherweise kein spezifischer Zeitpunkt bedacht, sodass vorsorglich alle Zeiteinheiten angerufen wurden. In jedem Fall bezeugen alle bearbeiteten Textstellen, dass die unterschiedlichen Zeiteinheiten, egal ob bestimmte Tage, Monate oder die Nachtwachen, als aktiv handelnde Entitäten auftreten konnten. Die Anrufung erfolgt dabei stets in apotropäischen Kontexten, in denen die Zeiteinheiten neben anderen Naturphänomenen oder Göttern, das Böse, das den Menschen bedroht, abhalten oder austreiben. Dabei ist auffällig, dass die Nachtwachen offenbar vornehmlich zur Abwehr äußerer Bedrohungen herangezogen werden, während Tage, Monate und Jahre eine allgemeinere Schutzfunktion übernehmen.

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Wiggermann, Some Demons of Time, 111.

Teil IV: Auswertung 11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit zu den babylonisch-assyrischen Zeitvorstellungen des 1. Jt. v. Chr. bildete die vermeintliche Problematik, dass weder das Akkadische noch das Sumerische ein Wort erkennen lassen, das mit einem abstrakten Zeitbegriff gleichgesetzt werden kann. Im Zuge der Untersuchung konnte jedoch festgestellt werden, dass anstelle eines einzigen, abstrakten Zeitbegriffes ein umfassendes Netzwerk spezifischer Zeitbegriffe zur Anwendung kam (Kapitel 2). Im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Zeit, lassen sich die Zeitbegriffe in zwei größere Gruppen einteilen: Die erste Gruppe bilden die Begriffe für Tag, Monat und Jahr. Von herausragender Bedeutung ist dabei v.a. das Wort für Tag (u4 / ūmu), da viele abgeleitete Zeitwörter mit dem Element u4 bzw. ūmu gebildet werden. Die umfassende Nutzung des Lexems u4 lässt sich bereits im Sumerischen feststellen, in der u4 zur Bildung zahlreicher temporaler Konjunktionen und Adverbien genutzt wurde. Weiterhin lässt sich konstatieren, dass eine Kombination der Begriffe Tag, Monat und Jahr die vergehende Zeit im Allgemeinen bezeichnet, sodass auf sprachlicher Ebene unter Zuhilfenahme konkreter Zeitbegriffe eine gewisse Abstraktion erreicht werden konnte. Insgesamt zeichnen sich die primären Zeitbegriffe dadurch aus, dass ihre Längen von den Zyklen der Himmelskörper abgeleitet wurden und somit fest definiert und messbar waren. Sie sind zudem völlig unabhängig vom sozialen Kontext anwendbar, um zeitliche Relationen herzustellen. Die drei Zeiteinheiten bilden somit die Grundlage des Kalenders. Zugleich stellen sie den sprachlichen Kern dar, um den sich das Konzept von Zeit entwickelt hat. Alle Eigenschaften, die das Konzept von Zeit formen, beziehen sich auf die Begriffe Tag, Monat und Jahr. Im Rahmen dieser Arbeit werden sie daher als primäre Zeiteinheiten behandelt (Kapitel 2.1). Im Kontrast dazu stehen die sekundären Zeitbegriffe, die – mit Ausnahme der Tag- und Nachtwachen (maṣṣartu) – keine erkennbare Rolle für das untersuchte Konzept von Zeit spielen. Die sekundären Zeitbegriffe werden von sozialen, ökonomischen und mitunter auch physikalischen Begebenheiten abgeleitet. Ihre Länge ist im Gegensatz zu den primären Zeiteinheiten nicht fest definiert, sondern abhängig von der Länge des bestimmenden Ereignisses. Sie lassen sich dementsprechend nur für vergleichsweise grobe Datierungen heranziehen (Kapitel 2.3). Eine Sonderstellung nehmen die Zeitbegriffe adannu und simanu ein, die im Voraus festgesetzte (adannu) bzw. als angemessen betrachtete (simanu) Zeitpunkte und Zeiträume bezeichnen. Diese Bedeutungsnuancen kommen im Kontext der Idealität des Zeitverlaufs und der Divination zur Geltung (Kapitel 2.2). Die Identifizierung der primären Zeiteinheiten als Kern des Zeitkonzeptes

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Teil IV: Auswertung

zieht eine Fokussierung auf Quellen nach sich, die sich im weitesten Sinne mit kalendarischen und astronomisch-astrologischen Belangen befassen (Kapitel 1.3). Eine zentrale Quellengruppe bilden Schemata, wie sie in MUL.APIN, Enūma Anu Enlil, i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a oder den Zwölfmaldrei-Texten vorkommen. Diese Texte vermitteln das naturkundliche Wissen, das dem Konzept von Zeit zugrunde liegt. Auch theologische Texte, wie Mythen und Hymnen, spiegeln dieses Wissen wider und verorten es im Weltbild der Verfasser. Nicht zuletzt finden sich auch in Königsinschriften Abschnitte, die entsprechende sternenkundliche und kalendarische Themen aufgreifen. Eine äußerst wichtige Quellengruppe stellen die Briefe und Berichte der assyrischen und babylonischen Gelehrten dar, die an den neuassyrischen Königshof in Ninive gesandt wurden. Diese Texte veranschaulichen, welche Rolle das Konzept von Zeit für die Gelehrten und den König spielte und wie das ansonsten nur theoretisch greifbare Wissen angewandt wurde. Dabei wird deutlich, dass das Zeitkonzept in enger Verbindung mit der Divination steht, weshalb auch Texte aus dem weiten Feld der Divination in das Quellenkorpus aufgenommen wurden. Eine besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das sogenannte Handbuch der Beschwörungskunst; ein einzigartiger Text, der die enge Verbindung von Divination, Astronomie und dem Kalenderwesen darstellt und somit gleichsam als zusammenfassende Gesamtdarstellung des beinahe gesamten Zeitkonzeptes gelten kann. Einzig der Aspekt numinoser Zeitvorstellungen wird darin nicht reflektiert. Dieser tritt wiederum in apotropäischen Ritualtexten und Löseritualen zutage, die somit ebenfalls in die Untersuchung einfließen. Die sternenkundlichen, divinatorischen und theologischen Texte weisen dabei wesentliche intertextuelle Bezüge zueinander auf. Dies liegt zum einen daran, dass das Konzept von Zeit in den Quellen des 1. Jt. v. Chr. bereits voll entwickelt erscheint. Lediglich die Mythen lassen unterschiedliche Traditionen nebeneinander bestehen. Die Anzahl der möglichen Aussagen zu dem Thema wird weiterhin dadurch eingeschränkt, dass der Personenkreis, der das Konzept von Zeit rezipiert hat, stark limitiert war. Die Quellen gehen auf den Kreis der Gelehrten zurück, die v.a. in neuassyrischer Zeit in enger Verbindung mit dem Königtum standen. Das theoretische Wissen um den Lauf der Zeit steht somit nur einem sehr kleinen Personenkreis zur Verfügung. Durch die praktischen Tätigkeiten der Gelehrten entfaltet sich das Konzept von Zeit jedoch auch auf einer breiteren gesellschaftlichen Ebene. Dies betriff wiederum die qualitativen und numinosen Eigenschaften der Zeit, die in der Divination, der Hemerologie und in Ritualen zum Ausdruck kommen. Ganz im Sinne von N. Elias kann die Bedeutung des Zeitkonzeptes auch im Alten Orient also nur vollständig erfasst werden, wenn man die Zeit in der Natur und die Zeit in der Gesellschaft zusammen in den Blick nimmt (Kapitel 1.2).

11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit

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Sowohl nach assyrischer als auch babylonischer Auffassung galt es als Aufgabe des Königs, die Versorgung der Götter durch Aufrechterhaltung des Tempelkultes zu gewährleisten und für das Wohlergehen der Menschen zu sorgen. Diese Aufgaben zogen die Pflicht nach sich, religiöse Vorschriften einzuhalten und gerecht zu handeln. Eine Missachtung der Aufgaben und Pflichten ging mit der Gefahr einher, den Zorn der Götter zu erregen. Ihr Wohlwollen oder Missfallen drückten die Götter durch Omina und Orakel aus. Die Aufgabe der Gelehrten wiederum bestand darin, die von den Göttern geschickten Zeichen zu erkennen, zu interpretieren und ggf. rituelle Gegenmaßnahmen einzuleiten, um das angezeigte Übel vorübergehen zu lassen. Es oblag demnach den Gelehrten, den König vor entsprechenden Gefahren zu schützen und ihn recht zu leiten. Vor dem Hintergrund der Pflichten, die Gelehrte zu erfüllen hatten, sind die Ausführungen des Handbuchs der Beschwörungskunst zu verstehen. Der Text legt dar, dass der Zeitpunkt, an dem ein Omen auftritt, berücksichtigt werden muss. Damit zeigt der Text die bedeutende Rolle auf, die Zeit im Rahmen der Divination einnimmt. Neben den Anweisungen zur Interpretation eines Omens beschreibt der Text auch in aller Kürze, was ein Gelehrter beachten muss, um den korrekten Verlauf der Zeit im Blick zu behalten und den Kalender zu regulieren. Sowohl die Interpretation von Omina als auch die Beachtung hemerologischer Vorschriften hingen maßgeblich davon ab, dass der Kalender noch seinem angedachten Verlauf folgte. Ein fundiertes Wissen um den Verlauf der Zeit sowie die Methoden der Beobachtung und Messung waren für die Gelehrten demnach von entscheidender Bedeutung, da nur so die Aufrechterhaltung des Kalenders und dessen notwendige Regulierung gewährleistet werden konnte. Die Wichtigkeit dieses Wissens drückt sich im Handbuch der Beschwörungskunst auch durch die abschließende Aufforderung aus, bei der Ausführung der kalendarischen Tätigkeiten nicht nachlässig zu sein. Der Stellenwert dieser Tätigkeit wird implizit durch die primären Aufgaben der Gelehrten deutlich: Ein korrekt regulierter Kalender war eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Gelehrten auftretende Omina korrekt interpretieren und hemerologische Vorgaben beachten konnten. Ein unzureichend regulierter Kalender konnte somit im schlimmsten Fall fatale Auswirkungen auf den König und das gesamte Land haben (Kapitel 7). Die Abhängigkeit des Königs von einem korrekten Kalender mag auch dazu beigetragen haben, dass die Kalenderregulierung nicht allein in der Hand der Gelehrten lag. Diese übernahmen dabei zwar eine zentrale Rolle, indem sie den Lauf der Zeit kontrollierten, die endgültige Entscheidungsgewalt über den Kalender lag allerdings allein beim König. Dies ist mehrfach in Briefen an den assyrischen Königshof bezeugt. Die Bedeutung der Zeit für die Gelehrten hat auch Widerhall auf mythischer Ebene gefunden, wenn auch in wesentlich älterem Textmaterial (Kapitel 7.1). So beschreibt der Mythos Enki und die Weltordnung, wie der Weisheitsgott Enki den

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Teil IV: Auswertung

Verlauf der Zeit verfolgt und anhand dessen den Kalender reguliert. In altbabylonischen Atram-ḫasīs-Mythos wiederum wird dargelegt, wie Enki die Zeit bis zur kommenden Sintflut mithilfe einer Wasseruhr misst. Im 1. Jt. v. Chr. ist der Zusammenhang von Enki / Ea und der Zeitmessung nicht mehr direkt fassbar. Einzig der bearbeitete Abschnitt aus dem achten Feldzug Sargons II. (TCL 3++) macht deutlich, dass die hemerologische Tradition dem Weisheitsgott zugeschrieben wurde. Möglicherweise hat sich die Aufgabe auf die apkallū, die mythischen Weisen und ersten Gelehrten verlagert. So heißt es in Bīt mēseri, dass ihre Aufgabe darin bestand, die Pläne des Himmels und der Erde in Ordnung zu halten. Die Pläne kommen dabei einer Ordnung des Kosmos gleich, die im Zuge der Schöpfung eingerichtet wurde. Die Zeit bildet einen integralen Bestandteil jener Pläne des Himmels und der Erde. Dies zeigen die mythischen Texte eindrücklich. So lassen sich im ausgehenden 2. sowie im 1. Jt. v. Chr. mehrere mythische Texte und Textpassagen nachweisen, die das Thema Zeit aufgreifen (Kapitel 5.1). Diese Texte erläutern wie, warum und von wem die Zeit wahrnehmbar gemacht wurde. Der Beginn der fünften Tafel des Enūma eliš stellt dabei den mit Abstand umfangreichsten Text jener Art dar. Das Enūma eliš beschreibt wie Marduk, nach seinem Sieg über Tiāmat mit der Schöpfung des Kosmos beginnt. Im Zuge dessen erschafft er zunächst die Sternenkonstellationen und plant die primären Zeiteinheiten, wobei der Text dies mit dem Zeichnen eines Planes umschreibt. Anschließend teilt Marduk den Himmel in drei Pfade ein und setzt seinen eigenen Stern Nēberu sowie die Sterne Enlils und Eas an den Himmel, um den Lauf der übrigen Sterne zu kontrollieren. Weiterhin etabliert er den Mond und gibt diesem die Anweisung sein Erscheinungsbild in einem 30-tägigen Zyklus zu ändern und somit die Mondphasen einzuführen. Der Text weist in den darauffolgenden Zeilen starke Beschädigungen auf, doch aus den erhaltenen Textfragmenten wird deutlich, dass auch die Sonne Anweisungen erhält, die – so lassen es die Erwähnung des Neujahres und der Wachen erahnen – ebenfalls eine Relevanz für die Zeitwahrnehmung haben. Insgesamt schildert das Enūma eliš, wie die Zeit wahrnehmbar gemacht wurde, indem sie durch die zyklischen Bewegungen der Himmelskörper in Zeiteinheiten aufgeteilt wurde. Dies verdeutlicht, dass die Etablierung wahrnehmbarer Zeit unmittelbar auf den Kalender ausgerichtet war. Das Enūma eliš weist dementsprechend enge intertextuelle Bezüge zu anderen sternenkundlichkalendarischen Texten wie MUL.APIN oder Zwölfmaldrei auf. Neben dem Enūma eliš existieren weitere, kürzere Textpassagen, die das Thema aufgreifen. So zeigt der Text Ištars Erhöhung, dass Sonne und Mond die Verantwortung für die Anzeige der Zeit übertragen wurde. Das Fragment K 7076 ist stark beschädigt, weist aber einen mythischen Inhalt auf, der ebenfalls einen Bezug zur Einführung der wahrnehmbaren Zeit erkennen lässt. Durch die Nennung von Minen, die als Maßangabe in der Messung von Zeit zur Anwendung kommen, besteht die Möglichkeit, dass der Text auch die mythischen Ursprünge der Zeitmessung thematisiert hat.

11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit

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Zuletzt enthält Enūma Anu Enlil, die umfangreiche Serie astraler und meteorologischer Omina, drei verschiedene mythische Passagen, die jeweils die Sterne, die Sonne und den Mond in den Vordergrund rücken und dabei in Zusammenhang mit der Etablierung der Zeit bringen. Allen voran die als šanîš gekennzeichnete, akkadische Version zeigt erneut auf, dass die Etablierung der Zeit mit den bereits genannten Plänen in Verbindung steht. Darüber hinaus erläutert der Textabschnitt, dass die Einführung der wahrnehmbaren Zeit dezidiert im Hinblick auf die Menschheit geschah. Alle mythischen Texte teilen somit die gleichen literarischen Motive hinsichtlich der Etablierung zyklisch-wahrnehmbarer Zeit. Unterschiede lassen sich jedoch hinsichtlich der göttlichen Akteure feststellen. So gilt im Enūma eliš Marduk als derjenige, der den Kosmos geschaffen, geordnet und somit die Wahrnehmbarkeit der Zeit hergestellt hat. In den übrigen Texten fällt diese Aufgabe der Göttertrias Anu, Enlil und Ea zu. Da die Göttertrias in mehreren Texten auftaucht und auch bereits im 2. Jt. v. Chr. mit der Einführung der Himmelskörper und der messbaren Zeit in Verbindung gebracht wird, kann man zweifellos davon ausgehen, dass es sich dabei um die ältere Tradition handelt. Dafür spricht auch, dass das Enūma eliš die Erhöhung Marduks intendiert, indem ihm Aufgaben und Rollen zugeschrieben werden, die ursprünglich anderen Göttern zukamen. In der Änderung des mythischen Motivs offenbart sich der Aspekt der Macht, der mit dem Konzept von Zeit verbunden war: Auf irdischer Ebene oblag es allein dem König über den Kalender zu bestimmen. Auf göttlicher Ebene wiederum kam es den höchsten Göttern zu, die wahrnehmbare Zeit – und damit auch den Kalender – zu etablieren. In der Erzählung vom Aufstieg Marduks wird diese Aufgabe konsequenterweise auf Marduk übertragen. Das Enūma eliš offenbart zugleich, dass die Zeit schon vorhanden gewesen sein muss, bevor sie durch die Einsetzung der Himmelskörper wahrnehmbar gemacht wurde (Kapitel 5.2). So entstehen vor den Ereignissen um Marduk bereits mehrere Generationen von Göttern und es entfalten sich aufeinander folgende Ereignisse, die zum Kampf zwischen Marduk und Tiāmat führen. Bei diesem Aspekt der Zeit handelt es sich um die Dauerhaftigkeit bzw. Ewigkeit, die durch das Götterpaar Dūri und Dāri verkörpert wird. Die dauerhafte Zeit erstreckt sich linear in Zukunft und Vergangenheit, ohne einen erkennbaren Anfang oder ein erwartbares Ende. Das Konzept von Zeit setzt sich somit aus zwei Ebenen zusammen: Die Zeit an sich ist in Form der Ewigkeit zunächst linear und nicht messbar; sie liegt allem zugrunde. Erst durch die Erschaffung der Himmelsköper werden regelmäßige Zyklen etabliert, die Zeit quantifizierbar machen. Das Ergebnis der Quantifizierung sind die zyklischen primären Zeiteinheiten (Kapitel 4). Schon in Inschriften des 3. Jts. v. Chr. lässt sich erkennen, dass der Mond für die Zeitwahrnehmung eine überragende Stellung einnahm, die bis in das 1. Jt. v. Chr. unverändert nachweisbar ist (Kapitel 4.1.2.1). Alle drei primären Zeiteinheiten wurden auf den Mond zurückgeführt. Eine synodische Periode des Mondes

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Teil IV: Auswertung

bildete einen Monat; zwölf synodische Monate wiederum bildeten ein Jahr. Die Verbindung von Mond und Tag lässt sich dadurch erklären, dass ein neuer Tag am Abend begann, voraussichtlich mit der Sichtbarwerdung des Mondes. Eine sekundäre, aber keineswegs unwichtigere Rolle nahmen die Sonne (Kapitel 4.1.2.2) sowie die Sterne und Planeten (Kapitel 4.1.2.3) ein. Sowohl die Sonne als auch die Sterne wurden im Rahmen der Zeitwahrnehmung dabei mit spezifischen Funktionen bedacht. Im Zuge dessen wird die Sonne vornehmlich zusammen mit dem Mond genannt. Das Enūma eliš zeigt auf, dass die Opposition und die Konjunktion von Sonne und Mond jeweils die Mitte und das Ende des Monats signalisieren. Briefe und Berichte der Gelehrten bestätigen, dass diese beiden astralen Phänomene dezidiert beobachtet wurden. Die Nennung der Wachen im zerstörten Abschnitt der fünften Tafel des Enūma eliš könnte darauf hinweisen, dass die Sonne auch in einem Zusammenhang mit den Wachen gebracht werden kann. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass die Göttin Ninsun im Gilgameš-Epos den Sonnengott dazu anhält, ihren Sohn Gilgameš tagsüber zu schützen und ihn des nachts von den Nachtwachen beschützen zu lassen (Kapitel 10). Der große Šamaš-Hymnus sowie MUL.APIN offenbaren, dass die Sonne auch für den Wechsel der Jahreszeiten und die damit zusammenhängende Variation der Tageslänge im Verlauf eines Jahres verantwortlich gemacht wurde (Kapitel 4.1.3). Insgesamt lässt sich zeigen, dass die primären Zeiteinheiten, die durch den Mond wahrnehmbar gemacht wurden, durch die Sonne noch präziser unterteilt werden konnten. Im Zusammenspiel mit dem Mond nimmt die Sonne zusätzlich noch eine kontrollierende Funktion ein: Sofern Konjunktion und Opposition von Sonne und Mond zu den kalendarisch angedachten Zeitpunkten – d.h. also zur Mitte und am Ende des Monats – stattfanden, folge der Kalender noch seinem angedachten Verlauf. Die Interpretation der Sonne als Kontrollinstanz im kalendarischen Kontext wird dadurch erhärtet, dass der Sonnengott auch auf Erden als Ordnungsmacht auftritt; er gilt als „derjenige, der recht leitet“ (muštēširu). Eine ähnliche Funktion nehmen auch die Sterne ein. So beschreibt das Enūma eliš wie Marduk zunächst die lumāšu-Sterne einrichtet. Nach der Great Star List handelt es sich dabei um eine Gruppe von sieben Sternen. Vergleicht man dies mit den Listen von MUL.APIN so wird deutlich, dass diese Sterne in relativer Nähe zu den Äquinoktien und Solstitien aufgehen sollten. Im Enūma eliš wird weiterhin geschildert, wie Marduk ein System etabliert, nach dem jeden Monat des Jahres drei charakteristische Sterne aufgehen. Dieses System ist als Zwölfmaldrei bekannt und wird in den sogenannten Astrolabien verarbeitet. Das Bezugssystem bilden dabei drei imaginierte Pfade am Nachthimmel, die mit den drei Zeit gebenden Gottheiten Anu, Enlil und Ea assoziiert sind. Die Sterne sollten dabei jeweils in einem dieser Pfade aufgehen. Dem Stern muliku kommt in diesem System eine besondere Aufgabe zu, denn dieser Stern markiert den Beginn des Jahres. Auch der Stern Marduks, Nēberu, erfüllt eine spezielle Funktion. Laut dem Enūma eliš und MUL.APIN soll Nēberu

11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit

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dafür Sorge tragen, dass die anderen Sterne ihre zugewiesenen Pfade einhalten. Eine nicht näher definierte Rolle spielen dabei auch die Sterne Eas (mulku6) und Enlils (mulapin). Zudem soll Nēberu im letzten Monat des Jahres aufgehen. Eine entsprechende Funktion im Zusammenhang mit dem Jahresende wird allerdings nicht explizit erwähnt. Eine weitere relevante Gruppe bilden die ziqpu-Sterne. Diese sollten an einem festgelegten kalendarischen Datum jeweils mit weiteren Sternen aufgehen und kulminieren. Die Sterne bildeten insgesamt also ein komplexes Kontrollsystem, indem der Lauf der Zeit mit den Auf- und Untergängen von Sternen synchronisiert wurde. So konnte im gesamten Jahresverlauf nachvollzogen werden, ob der Kalender noch seinem angedachten Lauf folgte. Dies zeigt sich auch daran, dass die in MUL.APIN dargelegten Schaltregeln auf der Beobachtung der Sterne und des Mondes basierten. Insgesamt war die Beobachtung die Hauptmethode bei der Aufrechterhaltung des Kalendersystems (Kapitel 8.1.1). Die gelegentliche Undurchführbarkeit von Beobachtungen im Falle von Bewölkung lässt jedoch auch ergänzende Methoden hinzutreten. So sind auch zwei Arten der Zeitmessung bekannt: Zum einen die Messung mit einem Gnomon, ersichtlich aus der Tabelle der Schattenlängen in MUL.APIN. Zum anderen lassen sich verschiedene Termini für Wasseruhren nachweisen (Kapitel 8.1.3). Die Quellen zeigen jedoch nur, dass solche Instrumente zur Anwendung kamen, geben aber kaum Information über die genaue Funktion und Anwendung preis. Auch das Handbuch der Beschwörungskunst besagt lediglich, dass eine Art Wasseruhr im Falle einer Bewölkung zur Anwendung kommen sollte. Aus der Messung ergeben sich die weit verbreiteten Aufteilungen des Tages in Doppelstunden (bēru) und Wachen (maṣṣartu). Während die Doppelstunden als Ergebnis des Gnomons eine feste Länge aufweisen, variiert die Länge der durch Wasseruhren gemessenen Wachen im Verlauf eines Jahres. Zusätzlich konnte ein System aus seasonal hours nachgewiesen werden, die immer 1/12 eines Tages darstellen und dementsprechend im Laufe des Jahres unterschiedlich lang sind. Dieses System geht möglicherweise auf ägyptische Einflüsse zurück. Sollte dies der Fall sein, wurde es allerdings vollständig an das mesopotamische System der Wachen adaptiert. Die dritte Methode besteht darin, kalendarisch relevante astrale Ereignisse im Voraus zu berechnen (Kapitel 8.1.2). Die Berechnung wurde v.a. für den Beginn des Monats angewandt. Schon die neuassyrischen Briefe lassen erste Versuche erkennen, den Beginn eines Monats, d.h. die erste Sichtbarwerdung der neuen Mondsichel, im Voraus zu berechnen. Das Bedürfnis, den Beginn des Monats möglichst früh zu kennen, hat im weiteren Verlauf des 1. Jt. v. Chr. zu einem komplexen Rechensystem geführt, dass Daten vorangehender Beobachtungen verwendet, um Berechnungen zu künftigen Monatslängen anzustellen. Diese Daten sind in der Forschung als Lunar Six bekannt. Auch die dritte Methode der

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Teil IV: Auswertung

Schaltung, die in MUL.APIN beschrieben wird, nutzt Berechnungen, um zu zeigen, dass theoretisch alle drei Jahre eine Schaltung notwendig war. Das komplexe Zusammenspiel aus Gestirnen und kalendarischem Zeitverlauf, das sich in allen vorgestellten Texten findet, ist jedoch theoretischer Natur. In der bisherigen Forschung wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die in den Texten verwendeten Daten auffällig idealisiert sind und nicht auf tatsächlichen Beobachtungen beruhen können. Schon im frühen 3. Jt. v. Chr. findet sich ein vereinfachtes Kalendersystem, das im Rahmen administrativer Vorgänge zur Anwendung kam. Ab der altbabylonischen Zeit lässt sich nachweisen, dass auch in gelehrten Kontexten von einem idealisierten Jahresverlauf ausgegangen wurde, in dem die primären Zeiteinheiten mit idealen Längen bedacht und mit dem Lauf der Gestirne in oben beschriebener Weise in Einklang gebracht worden waren (Kapitel 6). So erläutert das Handbuch der Beschwörungskunst dezidiert, dass das Jahr sich aus 360 Tagen zusammensetzt. Diese Auffassung spiegelt sich auch in astronomischen Schemata. So zeigen die Intervalle zwischen Sternenaufgängen in MUL.APIN, dass zwischen den Aufgängen desselben Sterns genau 360 Tage liegen sollen. Auch der Lauf der Sonne und die davon abhängigen Jahreszeiten waren im Rahmen der Idealisierung mit genau festgelegten kalendarischen Daten verbunden (Kapitel 6.1). Doch nicht nur das Jahr, auch der Monat folgt einem idealen Verlauf, der dadurch charakterisiert war, dass ein Monat immer genau 30 Tage andauerte (Kapitel 6.2). Die charakteristischen Erscheinungsformen der Mondphasen waren dabei ebenfalls mit festen kalendarischen Daten verbunden. Zusätzlich sollte auch der Mond gemäß MUL.APIN in seinem Lauf am Nachthimmel bestimmte Sterne passieren. Die Konjunktion und Opposition mit der Sonne dienten ebenfalls dazu, zu prüfen, ob der Lauf der Mondphasen noch mit dem Kalender synchron war. Die Bedeutung, die der Länge des Monats zugeschrieben wurde, lässt sich daran erkennen, dass sich eine eigene Terminologie dafür etabliert hat. Monate, die genau 30 Tage andauerten und damit dem Ideal folgten, galten als kunnu – „fest“; Monate hingegen, in denen die dünne Mondsichel zu früh am Nachthimmel erschien, galten als turru – „zurückgewendet“. Briefe belegen, dass die Länge des Monats durchaus Auswirkungen auf den Kultbetrieb hatte, was das zuvor geschilderte große Interesse an der Berechnung der Monatslänge erklärt. Auch der Tag folgte einem idealen Lauf, der sich in Form eines idealisierten Tag-Nacht-Schemas ausdrückt (Kapitel 6.3). Demnach sollten die Längen der Tag- und Nachtwachen an den Äquinoktien jeweils gleich lang sein und an den Solstitien jeweils ein Verhältnis von 1:2 betragen. Die ideale Länge des Tages war wiederum mit dem Lauf der Sonne assoziiert. Ein erstes Tag-Nacht-Schema ist bereits aus altbabylonischer Zeit belegt, genau wie die erste Erwähnung des 360-Tage-Jahres in einem gelehrten Kontext. Die wahrnehmbare Zeit zeichnet sich also dadurch aus, dass sie einem idealisierten Zeitverlauf folgte. Die Untersuchung konnte zeigen, dass der Idealität eine

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höhere Bedeutung zukam, als die bisherige Forschung zumeist vermuten lässt. Der ideale Zeitverlauf war nicht nur ein vereinfachter Kalender und eine Interpretationshilfe in der Divination, obwohl dies zweifellos die vorrangige Funktion war. Die Idealität stellt, zumindest in den Quellen des 1. Jt. v. Chr. vielmehr eine zentrale Eigenschaft des Zeitkonzeptes dar (Kapitel 6.4). Ausnahmslos alle sternenkundlich-kalendarischen Schemata operieren mit dem idealen Zeitverlauf. So konnte in dem Zusammenhang auch gezeigt werden, dass der Lauf der Gestirne und ihr Zusammenwirken ein komplexes Kontrollsystem bilden, das eine Abgleich des Kalenders mit dem ideal angedachten Zeitverlauf ermöglichen sollte. Briefe und Berichte zeugen davon, dass die Gelehrten dieses System trotz der scheinbaren Diskrepanz mit dem tatsächlichen Zeitverlauf auch angewendet haben. Die Vorstellung einer idealen Zeit war somit nicht nur eine theoretische Überlegung, sie hatte sehr konkrete Auswirkungen auf den tatsächlichen Kalender und die Tätigkeiten, die vom Kalender beeinflusst wurden. Die Bedeutung der Idealität offenbart sich nicht zuletzt in Anbetracht der zahlreichen Texte, die ideale Schemata enthalten oder aufgreifen. Darunter befinden sich Texte wie MUL.APIN, die 14. Tafel von Enūma Anu Enlil, die Zwölfmaldrei-Texte und i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a. Allen voran MUL.APIN setzt sich vollständig aus idealen Schemata zusammen. Es wäre in diesem Zusammenhang keine Übertreibung, den Text nicht nur als astronomisch-astrologisches Kompendium zu betrachten, sondern auch als detaillierte Ausarbeitung der natürlichen Grundlagen der Zeitwahrnehmung. Nicht zuletzt thematisiert das Enūma eliš die Einsetzung dieses idealen Zeitsystems und offenbart es so als Grundlage des babylonisch-assyrischen Zeitverständnisses. Die idealisierte Vorstellung von Zeit war demnach bereits in der Schöpfung angelegt und stellt somit einen Teil des Weltbildes dar. Die ideale Zeit war ein Teil der ursprünglichen Pläne des Himmels und der Erde. Daher ist es nicht verwunderlich, dass alle Teilkonzepte und Eigenschaften immer wieder die Idealität reflektieren und durch diese auch direkt beeinflusst werden. Dies erklärt auch die Ausdeutung der idealen Zeit in divinatorischer Hinsicht (Kapitel 9.1.1). Wie einige Briefe an den neuassyrischen Königshof belegen, galt als günstiges Omen für den König, wenn der Tag seine ideale Länge gemäß der Tag-Nacht-Schemata aufwies. Für den König deutete dies bspw. auf ein langes Leben hin. Entsprechende Omina lassen sich auch mehrfach für den idealen Monat nachweisen. So galt es als positives Omen für den König, wenn ein Monat seine ideale Länge von 30 Tagen erreichte; ging der Mond jedoch zu früh auf, wurde dies als negatives Omen gedeutet. Anhand der großen Jagdinschrift des Assurbanipal (Kapitel 9.1) konnte gezeigt werden, dass diese Zeit-Omina als regelmäßige Beurteilung der Regentschaft eines Königs seitens der Götter verstanden wurden. Der Bezug der Zeit-Omina auf den König lässt sich auch dadurch erklären, dass der König für die Aufrechterhaltung des Kalenders verantwortlich war. Die Entscheidung den Kalender zu regulieren, lag allein beim König. Vor

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Teil IV: Auswertung

dem Hintergrund der idealen Zeit war die Aufrechterhaltung des idealen Zeitverlaufs gleichbedeutend mit der Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung. Eine Vernachlässigung des Kalenders ließ die göttlich eingerichtete Ordnung dementsprechend aus dem Takt geraten und hatte für den König als Verantwortlichen entsprechend negative Konsequenzen. Verhielt der König sich nach dem Willen der Götter rechtmäßig, hielten auch die Himmelskörper ihr kalendarisch verankertes ideales Maß ein. Der Lauf der Zeit konnte aber nicht nur selbst als Omen gedeutet werden, die Zeit war auch ein wichtiger Faktor in der Interpretation anderer Omina (Kapitel 9). So konnte das gleiche Omen an unterschiedlichen Tagen, Tageszeiten, Monaten, und sogar in bestimmten Zeiträumen völlig unterschiedliche Auswirkungen haben. Dementsprechend findet sich auch im Handbuch der Beschwörungskunst die Anweisung den Zeitpunkt eines Omens zu prüfen. Der Zeitfaktor findet sich in terrestrischen Omina dabei vergleichsweise selten (Kapitel 9.1.1). Dies mag damit zusammenhängen, dass terrestrische Omina nur lokal auftreten konnten und dementsprechend nur für eine sehr begrenzte Anzahl Beobachter wahrnehmbar waren. Anders verhielt es sich indes mit astralen Omina. Diese waren weithin für jedermann sichtbar. Somit musste bei der Interpretation auch überprüft werden, auf wen sich das astrale Omen bezog. Die Zeit spielte bei der Bestimmung des Betroffenen eine wesentliche Rolle. Dabei half ein System zeitlicher Assoziationen, in dem die Monate, die Tage des Monats und die drei Nachtwachen jeweils mit einem der vier Länder Akkad, Elam, Amurru und Subartu/Gutium assoziiert wurden. Je nachdem, wann das Omen erschien, konnte somit bestimmt werden, welcher König davon betroffen war. Neben den Omina waren auch andere Formen der Divination von der Zeit beeinflusst (Kapitel 9.1.2). So wird deutlich, dass im Rahmen der Traumomina und der Trauminkubation nur solche Träume bedeutungstragen waren, die zu einer bestimmten Nachtzeit gesehen wurden. Aus einem altbabylonischen Brief aus Mari wird ersichtlich, dass nur Träume der zweiten Nachthälfte dazu zählten. Auch im 1. Jt. v. Chr. wird beschrieben, dass die bedeutungstragenden Träume erst im weiteren Verlauf der Nacht gesehen wurden. In den Ritualen des bārû war die Zeit ebenfalls ein bestimmender Faktor. So zeigen die Ritualtexte, dass die Vorbereitungen einer Opferschau am Abend begannen und sich durch den Verlauf der Nacht zogen, bis dann die eigentliche Opferschau am Morgen durchgeführt werden konnte. Auch bei der Interpretation des Befundes kam nicht zuletzt ein System zeitlicher Assoziationen zum Einsatz, wie sie auch für die Omina belegt sind. Aus Briefen sowie dem Text Inbu bēl arḫi wird zudem ersichtlich, dass die Durchführung einer Opferschau an hemerologische Vorgaben gebunden war. D.h. eine Opferschau durfte nur an Tagen durchgeführt werden, die dafür als günstig erachtet wurden. Das gleiche gilt für medizinische Therapien. So war es dem asû laut Inbu bēl arḫi bspw. untersagt am 7., 14., 21. und 28. Tag des Monats tätig zu werden. Nicht zuletzt konnte auch die

11) Das babylonisch-assyrische Konzept von Zeit

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die Zubereitung von Heilmitteln an bestimmte Tage des Monats geknüpft sein. Das System der Hemerologien und Menologien bildet einen weiteren wesentlichen Aspekt des Zeitkonzeptes (Kapitel 9.2). Die entsprechenden Texte zeigen ein System auf, nach dem alle Tage eines Jahres bzw. die Monate des Jahres und mitunter sogar die einzelnen Tageszeiten entweder als günstig, ungünstig oder sogar gefährlich eingestuft werden. Die Texte liegen in unterschiedlichen Formen vor und beziehen sich auf deutlich unterschiedliche Inhalte. So handelt es sich bei einigen Hemerologien um einfache Listen, die günstige oder ungünstige Tage auflisten. Andere Hemerologien, darunter bspw. Inbu bēl arḫi, enthalten zu jedem der genannten Tage umfangreiche Anweisungen und Warnungen sowie teilweise die Konsequenzen, die bei Missachtung entstehen. Die Menologien hingegen folgen einem Aufbau, der stärker an die Omen-Sammlungen erinnert. So steht in den Abschnitten von Iqqur īpuš jeweils eine Aktivität im Vordergrund. Anschließend folgt eine Auflistung der einzelnen Monate und eine Beurteilung, ob die Durchführung in den einzelnen Monaten positive oder negative Auswirkungen hat. Die Gründe für die Beurteilung der einzelnen Zeiteinheiten ist jedoch kaum noch nachvollziehbar. Den letzten Aspekt des Zeitkonzeptes bildet die Vorstellung, dass die Zeiteinheiten Tag, Monat und Jahr sowie die Nachtwachen auch personifiziert auftreten konnten (Kapitel 10). Dieser spezielle Aspekt der Zeit weist keine unmittelbaren Bezüge mehr zu dem komplexen Geflecht sternenkundlicher Texte und der darin transportierten Vorstellungen auf. Zudem ist die Personifizierung der Zeit auf apotropäische und exorzistische Rituale beschränkt. Im Rahmen dieser Texte werden die Zeiteinheiten direkt angesprochen und um Unterstützung gebeten. Sie sollen dabei entweder das von Tabubrüchen hervorgerufene Unheil lösen oder durch Hexerei von außen herangetragenes Übel abwehren und die Verursacher zur Rechenschaft ziehen. Die Zeiteinheiten treten damit also als aktiv handelnde, numinose Entitäten in Erscheinung. Die vorliegende Untersuchung legt abschließend nahe, dass Zeit nach babylonisch-assyrischer Auffassung kein abstraktes Phänomen war. Stattdessen war es direkt an die wahrnehmbaren Zeiteinheiten gekoppelt, die zugleich als Grundlage des Kalenders dienten. Die Eigenschaften, die den primären Zeiteinheiten dabei zugeschrieben wurden, sind das Resultat der unmittelbaren gesellschaftlichen Verortung des Phänomens im Rahmen der Tätigkeiten der Gelehrten. Unter den einzelnen Eigenschaften sticht insbesondere die Idealität der Zeit heraus. In der bisherigen Forschung wurde, mit wenigen Ausnahmen, v.a. auf deren Funktion als schematisches Hilfsmittel in der Divination Bezug genommen. Die Untersuchung konnte jedoch zeigen, dass es sich vielmehr um die zentrale Eigenschaft des Zeitkonzeptes handelt, die in allen Quellengattungen aufgenommen wurde und als Grundlage für die Nutzbarmachung der Zeit in den gelehrten Betätigungsfeldern diente. Die Idealität der Zeit war ein integraler Bestandteil der

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Teil IV: Auswertung

Funktion des Kosmos und wurde im Zuge dessen mit dem Lauf der unterschiedlichen Himmelskörper in Beziehung gesetzt und zu einem komplexen System verwoben. Dadurch wurde die ideale Zeit zugleich zum Maßstab, an dem sich der Verlauf des Kalenders messen lassen musste. Vor dem Hintergrund der Wichtigkeit, die den gelehrten Tätigkeiten für den König und das Land beigemessen wurden, sowie der großen Anzahl unterschiedlicher Texte, die sich mit den verschiedenen Teilkonzepten von Zeit befassen, liegt der Schluss nahe, auch dem Wissen um Zeit und der Verortung des Phänomens im Weltbild eine größere Bedeutung beizumessen, als die bisherige Forschung vermuten lässt. Ohne das Wissen um die unterschiedlichen Aspekte des Zeitkonzeptes konnten die Gelehrten ihre Aufgaben nur ungenügend erfüllen, was nach altorientalischer Vorstellung fatale Auswirkungen auf den König und das Land haben konnte. Nicht umsonst beendet das Handbuch der Beschwörungskunst seine kalendarischen Anweisungen mit den Worten: „Sei aufmerksam und nicht nachlässig!“ Die Untersuchung von Zeit als Phänomen der Natur und die damit einhergehende Fokussierung auf die reichlich vorhandenen Quellen der neuassyrischen und neubabylonischen Zeit führte allerdings dazu, dass bestimmte Aspekte im Rahmen dieser Arbeit nur angeschnitten werden konnten oder gar vollständig ausgeklammert werden mussten. In diesem Sinne bildet die Arbeit zugleich einen Ausgangspunkt für künftige Forschung. So konnte im Laufe der Arbeit immer wieder gezeigt werden, dass viele Eigenschaften des Zeitkonzepts bereits in der altbabylonischen Zeit und sogar schon im 3. Jt. v. Chr. nachweisbar sind. Größtenteils erscheinen diese frühen Ausformungen zudem noch unverändert im Vergleich mit ihrer späteren Erscheinungsform im 1. Jt. v. Chr. Eine umfassende Untersuchung vor allem des sumerischen Textmaterials ist somit ein Desiderat weiterer Forschungen, da es Aufschluss darüber geben könnte, ob und ggf. wie sich die Zeitvorstellungen im Laufe dieser langen Zeitspanne geändert haben. Die Theorie der sozialen Zeit bietet ebenfalls noch weitere Forschungsansätze. So fehlen vielfach noch systematische Forschungen zu den Ausformungen und Auswirkungen die Zeit in unterschiedlichen sozialen Kontexten, bspw. der Politik oder der Wirtschaft und Administration. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob und wie weit das gelehrte Konzept von Zeit auch in anderen Teilen der Bevölkerung Verbreitung fand.

Verzeichnisse Abkürzungsverzeichnis A AB AcOr ActAnt AfO AHw AJSL AnOr AO AOAT ArOr AuOrS AUWE BagF BagM BASOR BBVO BiMes BiOr BM CAD CBS CDLP CDOG CM CNIP CT CUSAS EAE EASTM ePSD ETCSL GMTR Gilg. HdO

Tafeln in der Sammlung des Oriental Institute, University of Chicago Assyriologische Bibliothek Acta Orientalia Acta Antiqua Academiae Scientiarium Hungaricae Archiv für Orientforschung W. von Soden, Akkadisches Handwörterbuch American journal of Semitic Languages and Literatures Analecta Orientalia Museumssignatur Louvre (Antiquités orientales) Alter Orient und Altes Testament Archiv Orientalni Aula Orientalis Supplementa Ausgrabungen aus Uruk-Warka, Endberichte Baghdader Forschungen Baghdader Mitteilungen Bulletin of the American Schools of Oriental Research Berliner Beiträge zum Vorderen Orient Bibliotheca Mesopotamica Bibliotheca Orientalis Museumssignatur des British Museum The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago Museumssignatur des University Museum in Philadelphia (Catalogue of the Babylonian Section) Cuneiform Digital Library Preprints Colloquien der Deutschen Orient-Gesellschaft Cuneiform Monographs Carsten Niebuhr Institute Publications Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum Cornell University Studies in Assyriology and Sumerology Enūma Anu Enlil East Asian Science, Technology, and Medicine electronic Pennsylvania Sumerian Dictionary Project Electronic Text Corpus of Sumerian Literature Guides to the Mesopotamian Textual Record Gilgameš-Epos Handbuch der Orienalistik

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HS IM JANES JAOS JCS JESHO JNES JSS K KAR

Verzeichnisse

Signatur der Hilprecht-Sammlung in Jena Museumssignatur des Iraq Museum in Baghdad Journal of the Ancient Near Eastern Society Journal of the American Oriental Society Journal of Cuneiform Studies Journal of the Economic and Social History of the Orient Journal of Near Eastern Studies Journal of the Semitic Studies Museumssignatur des British Museum (Kuyunjik) E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts I/II (= WVDOG 28) KUB Keilschrifturkunden aus Boghazköi LSS Leipziger Semitistische Studien MC Mesopotamian Civilisations MDOG Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin MSL Materialien zum Sumerischen Lexikon NABU Nouvelles Assyriologiques Brèves et Utilitaires NCBT Signatur der Newell Collection of Babylonian Tablets (jetzt Yale University, New Haven) ND Tafelsignatur für Texte aus Nimrūd (Kalach) in London und Baghdad OBO Orbis Biblicus et Orientalis OPKF Occasional Publications of the Samuel Noah Kramer Fund ORA Orientalische Religionen in der Antike OrNS Orientalia, Nova Series PBS University of Pennsylvania, Publications of the Babylonian Section RA Revue d’Assyriologie et d’Archéologie Orientale RIME The Royal Inscriptions of Mesopotamia, Early Periods RlA Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie Rm. Museumssignatur des British Museum (Rassam) SAA State Archives of Assyria SAAB State Archives of Assyria. Bulletin SAACT State Archives of Assyria. Cuneiform Texts SAAS State Archives of Assyria. Studies SAOC Studies in Ancient Oriental Civilisation SEL Studi Epigrafici e Linguistici sul Vicino Oriente Antico Sm. Museumssignatur des British Museum (Smith) StOr Studia Orientalia StPohl: SM Studie Pohl: Series Maior StSem Studi Semitici TCS Texts from Cuneiform Sources TU F. Thureau-Dangin, Tablettes d’Uruk

Abkürzungsverzeichnis

UAVA VAT YBC W WVDOG ZA ZDMG

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Untersuchungen zur Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie Museumssignatur Berlin (Vorderasiatische Abteilung. Tontafeln) Tafelsignatur (Yale Babylonian Collection) Uruk-Warka, Signatur der Funde Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

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105, 114, 124–125, 141, 145– 146, 212, 226–228, 231, 241 Farmer’s Instructions • 47, 86, 239 Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt • 20 Gilgameš-Epos • 9, 73, 193, 220, 228, 235 Gilg. III, 46–58 • 220 Great Star List • 48, 71, 186–187, 228, 242 Gudea Zyl. B • 36 Handbuch der Beschwörungskunst • 9, 65–66, 102, 123–124, 130– 131, 136, 155, 173, 176, 224– 225, 229–230, 232, 234 i.NAM.giš.ḫur.an.ki.a • 70, 115– 118, 224, 231 IM 80213 • 94 IM 80214 • 94–95 IM 85469 + IM 85470 • 38 IM 121332 • 118 Inanna und An • 114 Inbu bēl arḫi • 133, 202, 206 Iqqur īpuš • 179, 204, 207, 233 Ištars Erhöhung • 80–82, 226 K 15 • 119 K 685 • 40 K 696 • 191 K 714 • 191 K 722 • 192 K 760 • 62, 136, 190 K 803 • 105, 120 K 930 • 138 K 1049 • 183–184 K 1276 • 127 K 1368 • 103, 111 K 2008 • 194 K 2077 + 3771 • 154

254

Quellen-Index

K 2248 • 127 K 2514 + K 4101 • 201–202 K 2867 + Ki. 1904-10-9, 11 • 192 K 3034 + K 7655 + K 5440a + 825-22, 123b • 127 K 3082 + K 3086 + Sm 2027 • 165 K 4292 • 49 K 4559 • 39–40 K 4609++ • 218 K 7076 • 83–84, 226 K 8713 • 185 K 12296 • 118 KAR 151 • 195 KAR 177 • 199 KUB IV 47 • 49, 79, 143 Lugal ta-è-a • 217 Maqlû • 217–218, 222, 238 MUL.APIN • 8, 48, 50, 52, 54, 56– 61, 64, 70–71, 96–101, 108– 109, 112–113, 115–116, 118, 124, 126, 134, 136, 151, 153– 154, 156–157, 167, 224, 226, 228–231, 243 NCBT 58 • 106 NCBT 1132 • 108 ND 4389, 3305/77 und AO 6775 • 209 PBS I/2 115 • 215

Rm. 73 • 205 Rm. 208 • 110 Rm. 288 • 39–40 SA.GIG • 203, 243 Šamaš-Hymnus • 44, 228 Sm. 662 • 196 Sm. 1027 • 109 Sm. 1974 • 111 Šumma ālu • 170, 172–173, 176– 180, 182, 241 Šumma izbu • 170, 172 Šumma Sîn ina tāmartišu • 187 Šurpu • 213–215, 218, 222, 247, 251 synchronistische Königsliste • 128 TCL 3++ • 137, 208, 226 TU 11 • 160 ur5-ra = ḫubullu • 9, 13, 16–17, 19, 21, 163, 165, 167 VA 8411 / UM 32-22-5 • siehe Ass. A. VAT 7814 + AO 6470 • 119 VAT 9663 • 199 W 20030, 7 • 129 W 22666/0 • 197 W 22728/0 • 216–217, 222 W 22925 • 119