Angewandte Differentialgleichungen: Band 1 Kinetik, Biomathematische Modelle 9783110683806, 9783110683790

Dieses 6-bändige Werk befasst sich mit den Anwendung von Differentialgleichungen in diversen Bereichen der Physik, Ingen

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Angewandte Differentialgleichungen: Band 1 Kinetik, Biomathematische Modelle
 9783110683806, 9783110683790

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Adriano Oprandi Angewandte Differentialgleichungen De Gruyter Studium

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Adriano Oprandi

Angewandte Differential­ gleichungen | Band 1: Kinetik, Biomathematische Modelle

Mathematics Subject Classification 2010 65L10 Author Adriano Oprandi Bartenheimerstr. 10 4055 Basel Schweiz [email protected]

ISBN 978-3-11-068379-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068380-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068406-3 Library of Congress Control Number: 2020938224 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlaggestaltung: dianaarturovna / iStock / Getty Images Plus Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt 1

Einleitung | 1

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Differenzialgleichungen mit getrennten Variablen | 2 Das Richtungsfeld einer Differenzialgleichung | 2 Differenzialgleichungen der Form y 󸀠 = f(ax + by + c) | 4 Differenzialgleichungen der Form y 󸀠 = f(y/x) | 4 Differenzialgleichungen mit beliebigen Substitutionen | 5

3

Homogene und inhomogene lineare Differenzialgleichung 1. Ordnung | 7

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Wachstumsmodelle einer Größe | 9 Lineares und quadratisches Wachstum | 9 Exponentielles Wachstum | 10 Beschränktes Wachstum | 11 Logistisches Wachstum | 13 Allee-Effekt | 16

5 5.1 5.2 5.3

Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung | 18 Symbiose- und Konkurrenzmodelle | 18 Kompartimentmodelle | 20 Periodisch schwankende Konkurrenzmodelle | 22

6

Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung mit Konkurrenzterm | 24 Autonome Systeme und der Gleichgewichtssatz | 25

6.1 7 7.1 7.2 7.3 7.4

Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1 | 28 Numerisches Lösen von Differenzialgleichungen | 29 Das Lotka-Volterra-Modell 1 | 32 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1 | 36 Das Lotka-Volterra-Modell 2 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum) | 44

8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

Stabilitätssätze | 49 Stabilität bei nichtlinearen autonomen DGLen | 49 Die Lösung einer homogenen linearen DGL über die Eigenwerte | 54 Stabilität einer linearen homogenen DGL für n = 2 | 60 Die direkte Lösung einer linearen homogenen DGL | 63 Stabilität von nichtlinearen und linearisierten DGLen | 66 Stabilität mittels Lyapunov-Funktionen | 73

VI | Inhalt

9 9.1 9.2 9.3

Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2 | 80 Das Lotka-Volterra-Modell 3 (= Modell der Konkurrenz zweier Arten um dieselbe Ressource mit festen Einzelkapazitäten) | 80 Das Lotka-Volterra-Modell 4 (= Modell der Konkurrenz zweier Arten um dieselbe Ressource mit variablen Einzelkapazitäten) | 85 Das Lotka-Volterra-Modell 5 (= Konkurrenz zweier Arten um eine feste Ressourcemenge) | 87

10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Differenzial- und Differenzengleichungen | 95 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 1 | 95 Verzweigungen | 99 Gestörte Verzweigungen | 109 Der Banach’sche Fixpunktsatz | 113 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2 | 116

11 11.1

11.3

Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3 | 125 Das Lotka-Volterra-Modell 6 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum und beschränkter Fressmenge der Räuber) | 127 Das Lotka-Volterra-Modell 7 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum, beschränkter Fressmenge und intraspezifischer Konkurrenz der Räuber) | 135 Nahrungskettemodelle | 136

12 12.1 12.2 12.3

Zeitverzögerte Differenzialgleichungen | 140 Lineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen | 141 Nichtlineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen | 147 Linearisierte verzögerte Differenzialgleichungen | 149

13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6

Epidemiemodelle | 154 Epidemisches Modell SI | 154 Epidemisches Modell SIS | 155 Epidemisches Modell SIR | 157 Endemisches Modell SIR nach Soper 1 | 159 Endemisches Modell SIR nach Soper 2 | 161 Endemisches Modell SIR mit gleicher Zu- und Abwanderungs-Rate ohne krankheitsbedingtem Tod | 162 Endemisches Modell SIR mit gleicher Zu- und Abwanderungs-Rate und krankheitsbedingtem Tod | 163 Endemisches Modell SIR mit gleicher Zu- und Abwanderungs-Rate ohne krankheitsbedingten Tod mit Impfung | 164

11.2

13.7 13.8

Inhalt |

14 14.1 14.2

Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung | 166 Verfolgungs- und Fluchtkurven | 166 Die Brachistochrone | 172

Übungen | 177 Weiterführende Literatur | 195 Stichwortverzeichnis | 197

VII

1 Einleitung Die Differenzialgleichung (DGL) bildet ein mächtiges Werkzeug der mathematischen Modellierung in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften. Mit Hilfe solcher Glei­ chungen lassen sich zeitlich oder örtlich abhängige Vorgänge beschreiben, wobei die Zustandsänderung in infinitesimal kleinen Zeitschritten erfolgt. Die Lösung einer sol­ chen Gleichung stellt den Zusammenhang zwischen zwei oder mehr betrachteten Grö­ ßen her und ist meistens eine explizite Funktion. Wir reden dann von einem zeitkon­ tinuierlichen dynamischen System. „Dynamisch“ deshalb, weil der weitere Verlauf lediglich vom Anfangszustand, aber nicht von der Wahl des Anfangszeitpunkts ab­ hängt. Im Gegensatz dazu bezeichnet ein zeitdiskretes dynamisches System einen in gleichgroßen Zeitsprüngen sich ändernden Zustand. Zu dessen Beschreibung ver­ wenden wir eine Rekursionsvorschrift. Die zugehörige Gleichung nennen wir Diffe­ renzengleichung (DFGL). Mit Hilfe solcher Rekursionsvorschriften kann man spezielle Lösungen mit gewis­ sen Anfangswerten über eine Simulation mit dem Rechner gewinnen. Oft interessiert aber weniger eine spezielle, sondern vielmehr die Menge aller möglichen Lösungen, insbesondere ihr Langzeitverhalten. Wir werden sehen, dass dabei die sogenannten Gleichgewichtspunkte der zugehörigen DGL bzw. DFGL eine zentrale Rolle spielen.

https://doi.org/10.1515/9783110683806-001

2 Differenzialgleichungen mit getrennten Variablen Als Erstes machen wir uns mit verschiedenen Arten von DGLen vertraut und suchen Ansätze zu deren Lösung. Alle DGLen haben eines gemeinsam: Ist y(x) eine Funktion und sind y󸀠 (x), y󸀠󸀠 (x) usw. die zugehörigen Ableitungen, dann verknüpft eine DGL die Größen y, y󸀠 , y󸀠󸀠 usw. miteinander. Aus der unendlichen Anzahl von DGLen werden wir nur einen kleinen Teil behandeln, nämlich solche, bei denen nebst y nur die erste Ableitung y󸀠 auftaucht. Wir unterscheiden zwei Grundtypen: 1. 2.

y󸀠 + f(x)g(y) = 0 󸀠

y + f(x)y = g(x)

y󸀠 + xy2 = 0

Beispiel:

DGL mit getrennten Variablen,

󸀠

y + xy = sin x

Beispiel:

Lineare DGL 1. Ordnung.

2.1 Das Richtungsfeld einer Differenzialgleichung Beispiel 1. Wir betrachten die DGL y󸀠 = x .

(2.1)

Bevor wir die Gleichung lösen, wollen wir diese geometrisch interpretieren (Abb. 2.1).

Abb. 2.1: Linienelemente

Die Gleichung y󸀠 = x ordnet jedem Punkt P(x, y) der Ebene einen Wert y󸀠 (x) = x zu, nämlich den Steigungswert im Punkt P(x, y). Dieser Wert gibt die Richtung der Tan­ gente an den Graph von y(x) an. Auf diese Weise entsteht das Richtungsfeld der DGL. Mit Hilfe dieses Richtungsfeldes kann wenigstens annähernd eine Vorstellung vom Verlauf der Lösungskurve gewonnen werden, indem man durch einen kurzen Strich im jeweiligen Punkt P(x, y), genannt Linienelement, die Tangentenrichtung markiert. Nun zur Lösung der DGL y󸀠 = x. Beispielsweise nimmt man y󸀠 = 0

󳨐⇒

x=0

󸀠

y = ±1

󳨐⇒

x = ±1

y = ±2

󳨐⇒

x = ±2

Die Kurven sind somit Parabeln (Abb. 2.2 links) https://doi.org/10.1515/9783110683806-002

2.1 Das Richtungsfeld einer Differenzialgleichung

| 3

Man erhält nacheinander y󸀠 = x ,

dy =x, dx

dy = x ⋅ dx ,

∫ 1 ⋅ dy = ∫ x ⋅ dx ,

y(x) =

x2 +C 2

Beispiel 2. Wir betrachten die DGL y󸀠 = −

x . y

(2.2)

Beispielsweise nimmt man y󸀠 = 0

󳨐⇒

x=0

󸀠

󳨐⇒

󸀠

󳨐⇒

y = ∓x x y=∓ 2

y = ±1 y = ±2

Die Kurven sind demnach Kreise (Abb. 2.2 rechts) Man erhält nacheinander x , y y2 x2 = − + C1 , 2 2 y󸀠 = −

dy x =− , dx y y2 = −x2 + C ,

Abb. 2.2: Linienelemente zu (2.1) und (2.2)

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 1 und 2.

y ⋅ dy = −x ⋅ dx , y(x) = ±√C − x2

∫ y ⋅ dy = − ∫ x ⋅ dx ,

4 | 2 Differenzialgleichungen mit getrennten Variablen

2.2 Differenzialgleichungen der Form y 󸀠 = f(ax + by + c) Für solche DGLen verwendet man die Substitution u = ax + by + c. Dann folgt du dy =a+b⋅ = a + by󸀠 . dx dx Daraus wird du = dx . u 󸀠 = a + b ⋅ f(u) oder a + b ⋅ f(u) Durch Integration du = ∫ dx ∫ a + b ⋅ f(u) erhält man die Formel du =x+C. ∫ a + b ⋅ f(u) Beispiel. y󸀠 = x + y. Mit Hilfe der Substitution u = x + y wird daraus u 󸀠 = 1 + y󸀠 oder u 󸀠 = 1 + u. du = ∫ dx 󳨐⇒ ln(1 + u) = x + C1 󳨐⇒ 1 + u = C ⋅ e x . ∫ 1+u Schließlich ist y(x) = C ⋅ e x − x − 1. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 3.

2.3 Differenzialgleichungen der Form y 󸀠 = f(y/x) Solche DGLen löst man mit der Substitution u = yx . Es folgt y = ux. Daraus wird du dx y󸀠 = u 󸀠 ⋅ x + u oder u 󸀠 ⋅ x = f(u) − u und = . f(u) − u x Durch Integration du dx ∫ =∫ f(u) − u x folgt die Formel du ∫ = ln x + C . f(u) − u y Beispiel 1. y󸀠 = + 1. x Substitution u = xy . Daraus wird y = ux. Weiter ist y󸀠 = u󸀠 ⋅ x + u = u + 1 Man erhält

y = ln x + C x

󳨐⇒

󳨐⇒

∫ du = ∫

dx . x

y(x) = x ⋅ (ln x + C) .

2.4 Differenzialgleichungen mit beliebigen Substitutionen |

Beispiel 2. y󸀠 =

5

y x 2 +( ) . x y

Substitution u = yx . Wieder ist y = ux. Weiter hat man y󸀠 = u󸀠 ⋅ x + u = u +

1 u2

󳨐⇒

∫ u 2 du = ∫

dx x

󳨐⇒

u3 = ln x + C1 . 3

Daraus erhält man u 3 = 3 ln x + C

u = √3 ln x + C . 3

󳨐⇒

Es folgt y(x) = x ⋅ √3 ln x + C. 3

2.4 Differenzialgleichungen mit beliebigen Substitutionen Das Prinzip der Substitution eines Terms gilt natürlich nicht nur für die in den bei­ den vorherigen Kapiteln erwähnten Formen. Sie wurden zuerst getrennt voneinander behandelt, weil jene in DGLen häufig auftreten. Die nachstehenden DGLen zeigen wei­ tere mögliche Substitutionen. Beispiel 1. y󸀠 =

x2 + y2 − x . y

Substitution u = x2 + y2 . Es folgt u 󸀠 = 2x + 2yy󸀠 . Daraus wird y󸀠 = 󸀠

u −2x 2y

=

u−x y . Weiter

u󸀠 −2x 2y .

Folglich ist

hat man

u 󸀠 − 2x = 2u − 2x

u 󸀠 = 2u

󳨐⇒

󳨐⇒



dx = ∫ 2 dx . u

Es ergibt sich ln u = 2x + C1 󳨐⇒ u = Ce2x . Schließlich erhält man daraus y(x) = ±√Ce2x − x2 . Beispiel 2. y󸀠 = xy + y ⋅ ln y. 󸀠

Substitution u = ln y. Es folgt u󸀠 = yy . Daraus wird y󸀠 = e u u 󸀠 . Folglich ist e u u 󸀠 = xe u + e u u. Weiter ist u 󸀠 = x + u. Substitution x + u = z. Es folgt z󸀠 − 1 = z 󳨐⇒ z󸀠 = z + 1. Daraus wird dz ∫ = ∫ dx . z+1 Man erhält ln(z + 1) = x + C1 . Aufgelöst nach z ist z = Ce x − 1. Nacheinander folgt u = Ce x − x − 1 und endlich y(x) = e Ce

x

−x−1

.

6 | 2 Differenzialgleichungen mit getrennten Variablen 1 . x+y Substitution u = x + y. Es folgt u 󸀠 = 1 + y󸀠 . Daraus wird Beispiel 3. y󸀠 =

u󸀠 − 1 = Weiter ist ∫

u du = ∫ dx u+1

1 u

oder

oder

u󸀠 =

∫ (1 −

1+u . u 1 ) du = ∫ dx . 1+u

Man erhält u − ln(1 + u) = x + C

󳨐⇒

x + y − ln(1 + x + y) = x + C1 .

Folglich ist y = ln(1 + x + y) + C1

oder

y(x) = Ce y − x − 1 .

Die Darstellung der Lösung ist in diesem Fall nur in impliziter Form möglich. Die Lö­ sungskurve muss numerisch bestimmt werden (siehe Kapitel 7.1).

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 4.

3 Homogene und inhomogene lineare Differenzialgleichung 1. Ordnung Diese Gleichungen sind von der Form y󸀠 + f(x)y = g(x), wobei f und g stetig sind. Beispiel: y󸀠 + xy = x2 . Solche Gleichungen lassen sich nicht mehr durch Trennung der Variablen lösen. Wir unterscheiden: a) Homogene Gleichung: y󸀠 + f(x)y = 0 und b) Inhomogene Gleichung: y󸀠 + f(x)y = g(x). Die homogene Gleichung lässt sich durch Trennung der Variablen lösen. Die inhomo­ gene Gleichung hängt insofern mit der homogenen zusammen, weil die rechte Seite der Gleichung durch die Funktion g(x) „gestört“ wird. Man nennt g(x) deshalb auch Störfunktion. y󸀠 + f(x)y = 0

⇐⇒

dy = −f(x) dx y

⇐⇒

ln y = − ∫ f(x) dx + C 1

⇐⇒



dy = − ∫ f(x) dx . y

⇐⇒

y(x) = C ⋅ e− ∫ f(x) dx .

Nun zur Lösung der inhomogenen Gleichung y󸀠 + f(x)y = g(x). Die Idee stammt von Lagrange und heißt Methode der „Variation der Konstante“. Er fasst die Konstante C jetzt nicht als feste Zahl, sondern als eine Funktion C = C(x) auf und versucht den Ansatz y(x) = C(x) ⋅ e − ∫ f(x) dx . Eingesetzt ergibt das y󸀠 (x) = C󸀠 (x) ⋅ e− ∫ f(x) dx + C(x) ⋅ (e− ∫ f(x) dx)

󸀠

= C󸀠 (x) ⋅ e− ∫ f(x) dx − C(x) ⋅ f(x) ⋅ e − ∫ f(x) dx . Man erhält C󸀠 (x) ⋅ e− ∫ f(x) dx − C(x) ⋅ f(x) ⋅ e − ∫ f(x) dx + f(x) ⋅ C(x) ⋅ e− ∫ f(x) dx = g(x) und daraus C󸀠 (x) ⋅ e− ∫ f(x) dx = g(x). Somit folgt C󸀠 (x) = g(x) ⋅ e∫ f(x) dx

⇐⇒

∫ C󸀠 (x) dx = ∫ (g(x) ⋅ e ∫ f(x) dx) dx

⇐⇒

C(x) = ∫ (g(x) ⋅ e∫ f(x) dx ) dx + C1

⇐⇒

y(x) = e− ∫ f(x) dx ⋅ (∫ (g(x) ⋅ e∫ f(x) dx) dx + C1 ) .

https://doi.org/10.1515/9783110683806-003

8 | 3 Homogene und inhomogene lineare Differenzialgleichung 1. Ordnung

Die Formel ist weniger wichtig als vielmehr das Vorgehen: 1. Homogene Gleichung lösen. 2. Variation der Konstanten. Im Ansatz C(x) verwenden. 3. C(x) berechnen. 4. C(x) einsetzen und y(x) berechnen. Beispiel 1.

y = x ⋅ cos x x y y󸀠 − = 0 x

y󸀠 −

Inhomogene DGL Homogene DGL

1.

Löse



dy dx =∫ y x

󳨐⇒

ln y = ln x + C1

2.

Ansatz

y(x) = C(x) ⋅ x

󳨐⇒

y󸀠 (x) = C󸀠 (x) ⋅ x + C(x)

3.

Einsetzen

C󸀠 (x) ⋅ x + C(x) − C(x) = x ⋅ cos x

4. Ergebnis

󳨐⇒

C󸀠 (x) = cos x

󳨐⇒

C(x) = sin x + C1

y=C⋅x

y(x) = x ⋅ sin x + C1 ⋅ x

Beispiel 2.

y󸀠 + y = e x 󸀠

y +y=0 dy = − ∫ dx y

Inhomogene DGL Homogene DGL

1.

Löse



2.

Ansatz

y(x) = C(x) ⋅ e −x

3.

Einsetzen

C󸀠 (x) ⋅ e−x − C(x) ⋅ e−x + C(x) ⋅ e−x = e x

󳨐⇒ 󳨐⇒

ln y = −x + C1

󳨐⇒

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 5.

y = C ⋅ e−x

y󸀠 (x) = C󸀠 (x) ⋅ e−x − C(x) ⋅ e−x

C󸀠 (x) = e2x 1 󳨐⇒ C(x) = ⋅ e2x + C1 2 1 2x 1 y(x) = ( ⋅ e + C1 ) ⋅ e−x = ⋅ e x + C1 ⋅ e−x 2 2 󳨐⇒

4. Ergebnis

󳨐⇒

4 Wachstumsmodelle einer Größe Das Prinzip zum Aufstellen einer DGL ist immer dasselbe. Es wird ein infinitesimal kleines Element betrachtet. Dies kann ein Zeitintervall, ein Streckenintervall, ein Vo­ lumenintervall usw. sein. Für dieses unendlich kleine Element nimmt man einen dem gewählten Modell entsprechenden Zusammenhang zwischen den betrachteten Grö­ ßen an. Graphisch bedeutet das, dass die zugehörige Lösungskurve, die diese Abhängig­ keit der Größen sichtbar macht, durch einen Polygonzug, bestehend aus unendlich vielen Strecken, gedacht werden kann. Dieser geht beim Grenzübergang in die Lö­ sungskurve über. Es ist erstaunlich, dass die Entscheidung darüber, wie die Kurve dann im „Gros­ sen“ aussehen wird, im mikroskopisch „Kleinen“ gefällt wird. Im Folgenden reden wir häufig von Wachstum. Allgemein müsste man von einer Änderung der betrachteten Größen sprechen, um die Zerfallsprozesse ebenfalls mit einzubeziehen. Wir werden diese Unterscheidung nicht immer explizit ansprechen.

4.1 Lineares und quadratisches Wachstum Wir betrachten die DGL einer Größe mit ẏ = k, k ∈ ℝ. Die Änderung von y ist konstant und somit unabhängig von der aktuellen Größe y = y(t). Die Lösung ist natürlich eine lineare Funktion y(t) = kt + y0 . Beispiele. Ein Körper wird aus einer Höhe h mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 senk­ recht nach unten geworfen. Wir sehen vom Luftwiderstand ab. Außerdem betrachten wir die Fallbeschleunigung als konstant. Es sollen Formeln für die Geschwindigkeit v(t) zur Zeit t und die zurückgelegte ̇ = g. Strecke s(t) zur Zeit t bestimmt werden. Es gilt v(t) dv =g dt

⇐⇒

dv = g ⋅ dx .

Folglich ist v(t)

t

∫ dv = g ⋅ ∫ dt v(0)

󳨐⇒

v(t) = v0 + gt

̇ = Weiter gilt v(t) = s(t)

⇐⇒

v(t) − v(0) = g ⋅ t

0

„Gleichmässige Bewegung mit Anfangsgeschwindigkeit“ . ds dt . Nach Variablen getrennt:

https://doi.org/10.1515/9783110683806-004

ds = (v0 + gt) dt = v0 ⋅ dt + gt ⋅ dt.

10 | 4 Wachstumsmodelle einer Größe

Nochmals integriert, ergibt sich s(t)

t

t

∫ ds = v0 ∫ dt + g ∫ t dt s(0)

0

⇐⇒

s(t) − s(0) = v0 t +

1 2 gt . 2

0

1 󳨐⇒ s(t) = s0 + v0 t + gt2 „Beschleunigte Bewegung mit Anfangsgeschwindigkeit“. 2 DGLen mit konstanter Ableitung dy dx = k ⇐⇒ dy = k ⋅ dx sind natürlich einfach. Man kann unmittelbar vom „Kleinen“ zum „Grossen“ übergehen und erhält die Lö­ sung y(x) = k ⋅ x oder y(x) = k ⋅ x + C. Solche linearen Zusammenhänge gibt es zur Genüge. Ein weiteres Beispiel ist das Federgesetz F = D ⋅ x, wobei F die rücktreibende Kraft, D die Federkonstante und x die Auslenkung bezeichnet. Natürlich kann man auch hier dF = D ⋅ dx schreiben, weil x ja beliebig ist. Nochmalige Integration ergibt die Spannenergie der Feder, denn dW = F ⋅ dx be­ zeichnet die verrichtete Arbeit dW längs des Weges dx um die Feder um dx zu dehnen. W(x)

dW = F ⋅ dx = Dx ⋅ dx

⇐⇒

W(0)

󳨐⇒

x

∫ dW = D ∫ x dx .

E(x) =

0

1 2 Dx . 2

Die verrichtete Arbeit ist als Spannenergie in der Feder gespeichert.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 6 und 7.

4.2 Exponentielles Wachstum Gegeben sei die DGL ẏ = ky, k ∈ ℝ. Hier ist die Änderung abhängig von der mo­ mentanen Anzahl y. Beispielsweise hat ein doppelt so großes y eine doppelt so große Änderung ẏ zur Folge. Wir schreiben dy dt = ky, separieren nach Variablen und bilden vorerst das uneigentliche Integral: ∫

dy = k ⋅ ∫ dt . y

Folglich ist ln y = k ⋅ t + C1 , woraus y(t) = e kt+C1 = e C1 e kt = C ⋅ e kt entsteht. Den Anfangswert legen wir fest zu y(0) = y0 . Damit ist C = y0 und die Lösung hat die Gestalt y(t) = y0 ⋅ e kt . Der Graph von y(t) entspricht einer Exponentialfunktion.

4.3 Beschränktes Wachstum |

11

Beispiel. Die Vermehrung von Bakterien in der Anlaufphase = lag phase (engl. „krie­ chen“) zeigt einen exponentiellen Charakter (Abb. 4.1). Für einen kleinen Zeitraum ist die Zunahme der Bakterien in einem Zeitintervall [t, t + dt] proportional zur bestehenden Anzahl y(t) und proportional zur verstriche­ nen Zeit dt. In der Wachstumsphase oder englisch log phase (von logarithmisch) ist die Zu­ nahme praktisch konstant. Wie man die darauffolgende stationäre Phase beschreibt, sehen wir im nächsten Wachstumsmodell.

Abb. 4.1: Bakterienwachstum

4.3 Beschränktes Wachstum Keine Population kann bis ins Unermessliche wachsen. Im Tierreich werden Nah­ rungsknappheit und Revierverkleinerung eine Rolle spielen. Beim Menschen sind es Energieversorgung, Arbeitslosigkeit und Epidemien. Der Mensch könnte zusätzlich durch Geburtenkontrolle das Wachstum steuern. Wir müssen deshalb das exponen­ tielle Modell anpassen. Für kleine Zeitintervalle dt soll die Zunahme dy proportional zur verstrichenen Zeit dt, aber proportional zur Restmenge G − y, wenn G die Kapazitätsgrenze des Le­ bensraums bezeichnet, sein. Natürlich muss dabei der Startwert y(0) sinnvollerweise kleiner als G sein. Damit erreichen wir, dass die Zunahme mit wachsendem y stagniert. Unsere DGL lautet demnach ẏ = k(G − y) = kG − ky. Schauen wir uns die beiden Terme einzeln an, so erkennen wir darin eine konstante Zunahme plus eine proportio­ nale Abnahme, also eine Kombination aus linearem und exponentiellem Wachstum. Später werden wir Terme der Form −ky auch als Abnahme einer Population y und den Faktor k (sofern k > 0) als Sterberate interpretieren.

12 | 4 Wachstumsmodelle einer Größe

Ausgehend von

dy dt

= k(G − y) berechnen wir ∫

dy = k ⋅ ∫ dt . G−y

Daraus erhalten wir − ln(G − y) = k ⋅ t + C

󳨐⇒

ln(G − y) = −k ⋅ t + C .

Weiter ist G − y(t) = e−kt+C1 = C ⋅ e−kt und y(t) = G − C ⋅ e−kt . Mit der Anfangsbedingung y(0) = y0 wird C = G − y0 und die Lösung bekommt die Form (Abb. 4.2) y(t) = G − (G − y0 ) ⋅ e−kt . (4.1) Ist speziell y(0) = 0, so erhält man y(t) = G ⋅ (1 − e −kt ). Der Graph von y(t) entspricht einer beschränkten Funktion. Es gilt limt→∞ y(t) = G.

Abb. 4.2: Graphen zu (4.1)

Vergleicht man den Graph mit demjenigen des Bakterienwachstums, so erkennt man, dass die Beschreibung der Bakterienmenge in diesem Fall nur für die 3. Phase, die stationäre Phase, zu gebrauchen wäre. Beispiel. In einer Stadt gibt es 40.000 Haushalte, von denen schätzungsweise jeder Fünfte für den Kauf eines neu auf den Markt gebrachten I-Pads in Frage kommt. Es ist damit zu rechnen, dass der Absatz des I-Pads im Laufe der Zeit schwieriger wird, da der Kreis möglicher Käufer und deren Kauflust abnimmt. In den ersten drei Monaten werden 1700 I-Pads verkauft. Wir nehmen an, dass pro Monat immer derselbe Anteil der noch nicht betroffenen Haushalte ein I-Pad kauft. Mit dem Ansatz y(t) = 8000 ⋅ (1 − e−kt ) folgt 1700 = 8000 ⋅ (1 − e−3k ). Daraus wird k ≅ 0,08 und insgesamt y(t) = 8000 ⋅ (1 − e−0,08t ). Natürlich müssten einige Schätzgrößen für den Verkauf vorliegen, um ein gemitteltes k zu erhalten.

4.4 Logistisches Wachstum |

13

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 8 bis 31.

Bemerkung. Es gibt natürlich noch weitere Modelle für ein beschränktes Wachstum, beispielsweise ̇ = k ⋅ y(t) ⋅ ln ( y(t)

G ) . y(t)

4.4 Logistisches Wachstum Betrachtet man erneut die Graphik zur Vermehrung von Bakterien, so können wir mit dem exponentiellen und dem beschränkten Wachstum die Wachstums- und die Sättigungsphase nur getrennt beschreiben. Die Vereinigung aller drei Phasen – An­ passung, Vermehrung, Sättigung – in einem einzigen Modell lieferte 1838 erstmals P. F. Verhulst. Unsere gesuchte DGL muss sicher einen exponentiellen Teil ẏ = k 1 y beinhalten. Da jede Spezies einen gewissen Raum für sich beansprucht, werden zwei Individuen um denselben Raum konkurrieren, sich somit behindern und das auf Kosten der ge­ samten Population. Deswegen werden Nutzpflanzen in einem gewissen Abstand zu­ einander gesät. Diese Verdrängung muss mit wachsender Anzahl von y größer wer­ den, was bedeutet, dass man einen Zusatz ẏ = −k 2 y ansetzen könnte. Mit k 2 < k 1 läuft das lediglich auf ẏ = (k 1 − k 2 )y und somit ein beschränktes Wachstum hinaus. Ist k 2 > k 1 , dann ist eine exponentielle Abnahme die Folge. Einen passenden Einfluss für die Verdrängung erhält man mit dem Term −k 2 y2 . Die DGL hat dann die Gestalt ẏ = k 1 y − k 2 y2 = y(k 1 − k 2 y) = k 2 y (

k1 − y) = ky(G − y) . k2

Sie erfüllt auch die Bedingung, dass für y = G die Änderung Null wird. Definition. Ist y die Größe einer Spezies, dann bezeichnet man Terme der Form −ky2 als intraspezifische Konkurrenz. Damit meint man den Kampf der einzelnen Individuen dieser Spezies um denselben Lebensraum. Dieser kann durch gegenseitiges Stören bei der Nahrungssuche oder durch Revierkämpfe entstehen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Term −k 2 y2 zu erklären. Eine Begründung wäre folgende: Stehen sich y Individuen gegenüber, dann werden y2 Kämpfe mit der Verlustrate k 2 ausgefochten. Die DGL ẏ = k 1 k 2 y(G − y) = ky(G − y) kann man auch als eine Zusammensetzung von exponentiellem mit beschränktem Wachstum sehen. Bis zu y = G2 ist der erste Fak­

14 | 4 Wachstumsmodelle einer Größe

tor der Bremser und der Zweite der Beschleuniger. Dann kehren sich die Eigenschaften um. Zur Lösung trennen wir dy dt = ky(G − y) und berechnen ∫

dy = k ⋅ ∫ dt . y(G − y)

Die Anwendung der Partialbruchzerlegung liefert 1 1 1 ∫( + ) dy = k ⋅ ∫ dt . G y G−y Daraus wird 1 ⋅ (ln y − ln |G − y|) = k ⋅ t + C2 G und weiter ist

󳨐⇒

ln (

y ) = k ⋅ G ⋅ t + C1 , für y > 0 |G − y|

y = C ⋅ e kt |G − y|

󳨐⇒

y = C ⋅ e kGt |G − y| .

y = CGe kGt − Cye kGt

󳨐⇒

y ⋅ (Ce kGt + 1) = CGe kGt

Für y < G folgt

und y(t) =

CG G CGe kGt = = . 1 kGt −kGt Ce + 1 C + e 1 + C ⋅ e−kGt

Mit der Anfangsbedingung y(0) = y0 =

G 1 + 1C

wird

G 1 G − y0 = −1= C y0 y0

und es entsteht die Lösung (Abb. 4.3) y(t) =

G y0 y0

+

G−y0 y0



e−kGt

=

y0 ⋅ G . y0 + (G − y0 ) ⋅ e−kGt

(4.2)

Es gilt limt→∞ y(t) = G. Für y > G ergibt sich dieselbe Lösung. Wir wollen noch den Zeitpunkt des größten Anstiegs ermitteln. Dazu benötigen wir weder die erste noch die zweite zeitliche Ableitung von y(t). ̇ = k ⋅ y(t) ⋅ (G − y(t)) ist der Zuwachs im Scheitelpunkt Ausgehend von der DGL y(t) ̇ maximal, also wenn y(t) = G2 ist. In diesem Fall hat man von y(t) ẏ Max (t) = k ⋅

G kG2 G ⋅ (G − ) = . 2 2 4

Für den Zeitpunkt setzt man den Lösungsausdruck für y(t) in die DGL ein und erhält kG2 y0 ⋅ G y0 ⋅ G ⋅ (G − ) . =k⋅ −kGt 4 y0 + (G − y0 ) ⋅ e y0 + (G − y0 ) ⋅ e−kGt

4.4 Logistisches Wachstum |

15

Abb. 4.3: Graphen zu (4.2)

Es folgt 1 y0 (G − y0 ) ⋅ e−kGt = ⋅( ) , −kGt 4 y0 + (G − y0 ) ⋅ e y0 + (G − y0 ) ⋅ e−kGt (y0 + (G − y0 ) ⋅ e−kGt )2 = 4y0 (G − y0 ) ⋅ e−kGt , 2

y0 2 − 2y0 (G − y0 ) ⋅ e−kGt + (G − y0 )2 ⋅ e−2kGt = 0 (y0 − (G − y0 ) ⋅ e Aus e−kGt =

y0 G−y0

und

−kGt 2

) =0.

ergibt sich schließlich tM =

1 G − y0 ) . ⋅ ln ( kG y0

Als praktisches Beispiel ist die Messreihe einer Hefekultur, zusammen mit der zuge­ hörigen Graphik, angeführt (Abb. 4.4). Zeit t [h] Hefemenge N(t) [mg]

0 9,6

1 18,3

2 29,0

3 47,2

4 5 6 7 8 9 71,1 119,1 174,6 257,3 350,7 441,0

Zeit t [h] 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Hefemenge N(t) [mg] 513,3 559,7 594,8 629,4 640,8 651,1 655,9 659,6 661,8

Die Hefe wächst nicht bis ins Unendliche, weil mit dem Stoffwechsel der Pilze auch Alkohol produziert wird, der sich hemmend auf das Wachstum der Hefe auswirkt so, dass ab einer bestimmten Menge Alkohol das Wachstum zum Stillstand kommt. Die logistische Funktion beschreibt das Wachstum der Hefekultur bisher am bes­ ten. Um den Faktor k zu bestimmen, müsste man alle Messwerte in den Funktionsan­ satz N(t) einsetzen und für k über alle erhaltenen Werte mit Hilfe einer Regressions­ geraden mitteln.

16 | 4 Wachstumsmodelle einer Größe

Abb. 4.4: Hefewachstum

Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Einheiten. Da ẏ eine Änderung bezeichnet, müssen die Koeffizienten zwangsweise Raten darstellen. Nehmen wir als Beispiel die logistische DGL ẏ = ky(G − y), wobei y beispielsweise die Anzahl Schafe in einem geschlossenen Gebiet darstellt. Die Einheit von ẏ wäre dann beispielsweise 1 [ Schafe Monat ] und k bekäme die Einheit [ Monat2 ]. Es kann auch sein, dass in einem Modell die Population nur in einem Teilgebiet ermittelt wird, um die gesamte Anzahl auf das gesamte Gebiet hochzurechnen. In diesem Fall würde y eine Dichte mit der möglichen Einheit [ Schafe ] darstellen. Die Einheiten von ẏ und k würden entsprechend angepasst km2 werden.

4.5 Allee-Effekt Das logistische Wachstum unterstellt, dass die Konkurrenz umso größer ist, je mehr Individuen vorhanden sind. In der Natur kommt es aber vor, dass sich eine größere Po­ pulation als Vorteil für das Individuum erweist. Dies nennt man den Allee-Effekt nach dem gleichnamigen amerikanischen Ökologen. Nehmen wir einen Fischschwarm. Kleine Populationen sind für den Einzelnen nachteilig. Erstens sind Paarungen selte­ ner und zweitens sind sie Räubern eher ausgeliefert. Ab einer gewissen Anzahl steigt die innerspezifische Konkurrenz hinsichtlich Paarung und Futterneid. Man erkennt, dass der Effekt typischerweise nur bei kleinen Populationen auftritt. Um diesen Sachverhalt zu erfassen, erweitert man die DGL zu ẏ = ky(G − y)(y − M) mit M < G. Damit wird erreicht, dass ẏ < 0 für y < M und ẏ > 0 für y > M wird. Der

4.5 Allee-Effekt | 17

letzte Term wirkt im Gegensatz zu den beiden anderen als rücktreibend. M ist dabei die Schwelle: je größer M, umso stärker ist der Allee-Effekt. Die Partialbruchzerlegung ergibt 1 1 1 1 = − − y(G − y)(y − M) M(G − M)(y − M) G(G − M)(y − G) MGy 1 G M G−M = [ − − ] . MG(G − M) (y − M) (y − G) MGy Die Integration liefert 1 [ln |y − M|G − ln |y − G|M − ln |y|G−M ] = t + C kMG(G − M)

für

y>0

und folglich t=

|y − M|G 1 )−C. ln ( kMG(G − M) |y − G|M |y|G−M

(4.3)

Für die Darstellung sei C = 0, k = 1, M = 1, G = 2. Nur, wenn der Startwert über der Schwelle M liegt, konvergiert die Lösung gegen G (Abb. 4.5).

Abb. 4.5: Graph zu (4.3)

5 Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung Bisher haben wir nur die Veränderung einer Größe unter gewissen Anfangsbedingun­ gen betrachtet. Jetzt wollen wir zwei Größen ins Auge fassen, die sich gegenseitig be­ einflussen.

5.1 Symbiose- und Konkurrenzmodelle Wir beginnen mit dem einfachstmöglichen Modell. y1 (t) und y2 (t) seien zwei Größen, z. B. Populationen zur Zeit t und es gelte ẏ 1 = α ⋅ y2 ẏ 2 = β ⋅ y1 . I)

Für α, β > 0 beschreibt das DGL-System ein einfaches Symbiosemodell. y2 trägt zum Wachstum von y1 bei mit dem Faktor α. Umgekehrt trägt y1 zum Wachstum von y2 bei mit dem Faktor β. Die Kombination beider Gleichungen liefert ÿ 1 = α ⋅ ẏ 2 = α ⋅ β ⋅ y1 . Zur Lösung der DGL (2. Ordnung) ÿ 1 = αβ ⋅ y1 setzen wir an: y1 (t) = C ⋅ e kt

󳨐⇒

ÿ 1 = C ⋅ k 2 e kt = αβ ⋅ C ⋅ e kt

󳨐⇒

k 2 = αβ .

Also folgt y1 (t) = C1 ⋅ e kt + C2 ⋅ e−kt

mit

k = √αβ .

Dann gilt

ẏ 1 1 = ⋅ (C1 k ⋅ e kt − C2 k ⋅ e−kt ) . α α Die Anfangsbedingungen seien y1 (0) = M1 und y2 (0) = M2 . Dann ergibt dies y2 (t) =

y1 (0) = C1 + C2 = M1 y2 (0) =

1 ⋅ (C1 k − C2 k) = M2 α

󳨐⇒

C1 + C2 = M1

󳨐⇒

C1 − C2 =

αM2 k

Die Addition beider Gleichungen führt zu 2C1 = M1 + 󳨐⇒

C1 =

αM2 k

α 1 (M1 + √ M2 ) , 2 β

C2 = M1 − C1 = M1 − https://doi.org/10.1515/9783110683806-005

α α 1 1 (M1 + √ M2 ) = (M1 − √ M2 ) 2 β 2 β

5.1 Symbiose- und Konkurrenzmodelle | 19

󳨐⇒

y1 (t) =

α α 1 ((M1 + √ M2 ) ⋅ e√αβ⋅t + (M1 − √ M2 ) ⋅ e−√αβ⋅t ) 2 β β

y2 (t) =

α α 1√ β ((M1 + √ M2 ) ⋅ e√αβ⋅t − (M1 − √ M2 ) ⋅ e−√αβ⋅t ) . 2 α β β

Schließlich erhält man y1 (t) =

1 ((√β ⋅ M1 + √α ⋅ M2 ) ⋅ e√αβ⋅t 2√β + (√β ⋅ M1 − √α ⋅ M2 ) ⋅ e−√αβ⋅t ) (5.1)

1 y2 (t) = ((√β ⋅ M1 + √α ⋅ M2 ) ⋅ e√αβ⋅t 2√α − (√β ⋅ M1 − √α ⋅ M2 ) ⋅ e−√αβ⋅t ) Es ist erstaunlich, dass ein so einfach anmutendes DGL-System eine überaus kom­ plizierte Lösung besitzt. Es gilt limt→∞ y1 (t) = limt→∞ y1 (t) = ∞. Der Graph von y1 hat die Form eines Kosinus Hyperbolicus und der Verlauf von y2 entspricht einem Sinus Hyperbolicus (Abb. 5.1).

Abb. 5.1: Graphen zu (5.1)

II) Für α, β < 0 beschreibt das DGL-System ein Konkurrenzmodell. Beide Populatio­ nen hemmen das Wachstum der Anderen oder bekämpfen sich. Die obigen Lö­ sungen gelten dann nicht mehr. Siehe dazu Übung 32.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 32 und 33.

20 | 5 Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung

5.2 Kompartimentmodelle Mit dem Kompartimentmodell beschreibt man sogenannte Diffusionsprozesse, also Übergänge von Flüssigkeiten oder Stoffen von einem Kompartiment zum anderen. Das können Konzentrationsänderungen im Blut sein (1. Kompartiment), die zur Änderung im Gewebe führen (2. Kompartiment). Das Modell stammt aus der Medizin und findet in der Pharmakokinetik Anwen­ dung. Da die gleichzeitige Messung von Konzentrationen in verschiedenen Organen praktisch unmöglich ist, fasst man einige Organe zu einem Kompartiment zusammen. Im Allgemeinen betrachtet man höchstens drei Kompartimente. Nachfolgend einige Beispiele (Abb. 5.2):

Abb. 5.2: Kompartimentmodelle

Alle obigen Modelle entsprechen Diffusionsprozessen in der Praxis. Die vier DGL-Systeme sind allesamt von der Form ẏ 1 = α ⋅ y1 + β ⋅ y2 ẏ 2 = γ ⋅ y1 + δ ⋅ y2 . Mit der Lösung dieses Systems, sind auf einen Schlag alle möglichen Fälle ebenfalls gelöst. Dazu betrachten wir wieder die zweite Ableitung, diesmal von y2 . Es folgt nach­ einander ÿ 2 = γ ⋅ ẏ 1 + δ ⋅ ẏ 2 = γ ⋅ (α ⋅ y1 + β ⋅ y2 ) + δ ⋅ ẏ 2 , ẏ 2 − δ ⋅ y2 ) + β ⋅ y2 ) + δ ⋅ ẏ 2 = α ⋅ ẏ 2 − αδ ⋅ y2 + βγ ⋅ y2 + δ ⋅ ẏ 2 , ÿ 2 = γ ⋅ (α ⋅ ( γ und schließlich ÿ 2 = (α + δ)ẏ 2 + (βγ − αδ) ⋅ y2 .

5.2 Kompartimentmodelle | 21

Der Lösungsansatz lautet y2 (t) = C ⋅ e kt . Dann folgt k 2 ⋅ Ce kt − (α + δ) ⋅ k ⋅ Ce kt − (βγ − αδ) ⋅ Ce kt = 0 . Somit ist

k 2 − (α + δ) − (βγ − αδ) = 0 󳨐⇒

k 1,2 =

(α + δ) ± √(α + δ)2 + 4(βγ − αδ)

. 2 Gesamthaft hat man y1 (t) = C1 ⋅ e k1 t + C2 ⋅ e k2 t . Mit den Anfangsbedingungen y1 (0) = M1 und y2 (0) = M2 folgt y2 (0) = C1 + C2 = M2 ẏ 2 (0) = k 1 C1 + k 2 C2 = γM1 + δM2 . 󳨐⇒

k 1 C1 + k 2 (M2 − C1 ) = γM1 + δM2

󳨐⇒

(k 1 − k 2 )C1 + k 2 M2 = γM1 + δM2 .

Es ergibt sich γM1 + (δ − k 2 )M2 C1 = , k1 − k2 M2 (k 1 − k 2 ) − γM1 − (δ − k 2 )M2 M2 k 1 − γM1 − δM2 C2 = M2 − C1 = = k1 − k2 k1 − k2 −γM1 − (δ − k 1 )M2 γM1 + (δ − k 1 )M2 = =− . k1 − k2 k1 − k2 Schließlich ist

y2 (t) = (

γM1 + (δ − k 2 )M2 γM1 + (δ − k 1 )M2 ) ⋅ e k1 t − ( ) ⋅ e k2 t k1 − k2 k1 − k2

und ẏ 2 (t) − δy2 (t) C1 ⋅ k 1 e k1 t + C2 ⋅ k 2 e k2 t − δ ⋅ C1 e k1 t − δ ⋅ C2 e k2 t = γ γ C1 (k 1 − δ) k1 t C2 (k 2 − δ) k2 t = ⋅e + ⋅e γ γ

y1 (t) =

oder γM1 + (δ − k 2 )M2 (k 1 − δ) )⋅( ) ⋅ e k1 t k1 − k2 γ γM1 + (δ − k 1 )M2 (k 2 − δ) −( )⋅( ) ⋅ e k2 t k1 − k2 γ

y1 (t) = (

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 34 bis 39.

22 | 5 Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung

5.3 Periodisch schwankende Konkurrenzmodelle Gehen wir zurück zu Kapitel 5.1, dann sehen wir, dass der Fall III) ẏ 1 = α ⋅ y2 ẏ 2 = −β ⋅ y1

mit α, β > 0

noch nicht untersucht wurde. Dies wollen wir jetzt nachholen. Auf den ersten Blick scheint es so, dass die Population y1 ungehindert wächst, während die Spezies y2 stirbt. Vermindert sich aber y2 , dann wird die Population y1 , die auf Basis von y2 wächst, ebenfalls eingehen. Es gilt 1 ÿ 1 = α ⋅ ẏ 2 = −α ⋅ β ⋅ y1 und y2 = ⋅ ẏ 1 . α Die allgemeine Lösung lautet hier y1 (t) = C1 ⋅ cos(kt) + C2 ⋅ sin(kt)

mit k = √αβ

und

k (−C1 ⋅ sin(kt) + C2 ⋅ cos(kt)) . α Die Anfangsbedingungen seien y1 (0) = M1 und y2 (0) = M2 . Dann ergibt dies y2 (t) =

y1 (0) = C1 = M1

und

y2 (0) =

k ⋅ C2 = M2 α

󳨐⇒

C2 =

αM2 . k

Schließlich ist

y1 (t) = M1 ⋅ cos(√αβ ⋅ t) + √

α ⋅ M2 ⋅ sin(√αβ ⋅ t) β

y2 (t) = M2 ⋅ cos(√αβ ⋅ t) − √

β ⋅ M1 ⋅ sin(√αβ ⋅ t) α

Wählen wir beispielsweise α = 0,1, β = 0,3, M1 = 10, M2 = 20, dann lauten die zugehörigen Graphen (Abb. 5.3) y1 (t) = 10 ⋅ cos(√0,03 ⋅ t) + √

1 ⋅ 20 ⋅ sin(√0,03 ⋅ t) 3

(5.2)

y2 (t) = 20 ⋅ cos(√0,03 ⋅ t) − √3 ⋅ 10 ⋅ sin(√0,03 ⋅ t) . Der trigonometrische Verlauf endet, praktisch gesehen, natürlich zu den Zeiten t1 = 14,02 bzw. t2 = 4,95 für die entsprechende Population, aber der periodische Verlauf weist schon auf das Modell von Lotka-Volterra hin.

5.3 Periodisch schwankende Konkurrenzmodelle | 23

Abb. 5.3: Graphen zu (5.2)

Berücksichtigt man nämlich noch die Interaktion der beiden Spezies, dann erge­ ben sich periodisch schwankende Verläufe. Die Spezies stirbt nicht aus, sondern kann sich wieder erholen.

6 Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung mit Konkurrenzterm Im Folgenden werden wir DGL-Systeme betrachten, die sich von den bisherigen der Form ẏ 1 = αy1 + βy2 ẏ 2 = γy1 + δy2 dahingehend unterscheiden, dass beiden Gleichungen ein Konkurrenzterm εy1 y2 hinzugefügt wird. Dieser charakterisiert, allgemein gesprochen, die Zu- oder Abnah­ me der betreffenden Population bei einem Kontakt von Individuen verschiedener Spezies. Definition. Sind y1 und y2 Größen zweier Spezies, dann bezeichnet man Terme der Form −βy1 y2 als interspezifische Konkurrenz und meint damit die Verdrängung der einen Spezies auf Kosten der anderen. Das neue System hat dann die Gestalt ẏ 1 = αy1 + βy2 + εy1 y2 ẏ 2 = γy1 + δy2 + λy1 y2 . Zum besseren Verständnis geben wir jetzt schon eine Übersicht über die Modelle, die wir betrachten werden. Daran kann man erkennen, wie aus einem Grundmodell die Folgemodelle durch Addition oder Subtraktion von Produkttermen entstehen. Wir werden abgesehen vom Lotka-Volterra-Modell 1 (LVM1), ebenfalls die mit LVM2 und LVM3 gekennzeichneten Modelle unter Berücksichtigung der Populationsbeschrän­ kung ausführlich analysieren. Man beachte die jeweiligen Vorzeichen.

Kooperation

Räuber-Beute

Wettbewerb

Ohne Berücksichtigung einer möglichen Überbevölkerung

Mit Berücksichtigung einer möglichen Überbevölkerung

ẏ 1 = y 1 (α + βy 2 )

ẏ 1 = y 1 (α − εy 1 + βy 2 )

ẏ2 = y 2 (γ + δy 1 )

ẏ 2 = y 2 (γ − λy 2 + δy 1 )

ẏ1 = y 1 (α − βy 2 )

ẏ 1 = y 1 (α − εy 1 − βy 2 )

ẏ2 = y 2 (−γ + δy 1 ) LVM1

ẏ 2 = y 2 (−γ + λy 2 + δy 1 ) LVM2

ẏ1 = y 1 (α − βy 2 )

ẏ 1 = y 1 (α − εy 1 − βy 2 )

ẏ2 = y 2 (γ − δy 1 )

ẏ 2 = y 2 (γ − λy 2 − δy 1 ) LVM3,4

Bemerkung. Wir werden sehen, dass im LVM2 der Term λy2 für die Beschränkung der Räuberpopulation unnötig ist. Sofern sich diese ausschließlich von der vorhandenen, endlichen Beutemenge ernährt, ist die Anzahl seiner Spezies ebenfalls automatisch begrenzt. https://doi.org/10.1515/9783110683806-006

6.1 Autonome Systeme und der Gleichgewichtssatz |

25

Da diese Systeme nicht mehr geschlossen gelöst werden können, müssen wir sie als Differenzengleichungen diskretisiert belassen und den Verlauf der beiden Größen über eine numerische Simulation einsehen. Damit begnügen wir uns aber nicht. Im Weiteren sollen analytische Methoden her­ geleitet werden, die es erlauben, die Konvergenz von Lösungen streng mathematisch zu untermauern.

6.1 Autonome Systeme und der Gleichgewichtssatz ̇ = Definition. Eine autonome DGL (auch dynamisches System) ist gegeben durch y(t) f(y(t)) mit y(t0 ) = y0 . Dabei ist f als Ableitung einer stetig differenzierbaren Funktion stetig. Autonom bedeutet, dass f unabhängig von t sein soll. Ausgeschrieben für n = 2: (

ẏ 1 (t) f1 (y1 (t), y2 (t)) )=( ) . ẏ 2 (t) f2 (y1 (t), y2 (t))

Beispiel. (

y1 − y2 ẏ 1 )=( ) (autonom) , ẏ 2 y2 − y21

ẏ 1 ty1 − y2 ( )=( ) (nicht autonom) ẏ 2 y2 − ty21

Eine Lösung y(t) = ( yy12 (t) (t) ) ist dann eine stetig differenzierbare Funktion. Wir nennen eine solche Lösung auch Trajektorie oder Bahn. Integrieren wir die DGL von t0 bis t und beachten, dass y(t0 ) = y0 die Anfangsbe­ dingung darstellt, dann erhalten wir t

t

̇ dτ = ∫ f(y(τ)) dτ . ∫ y(τ) t0

t0

Das erste Integral ergibt aber y(t) − y(t0 ). Folglich ist t

y(t) = y0 + ∫ f(y(τ)) dτ . t0

Diese heißt Integraldarstellung der Lösung. Ausgeschrieben für n = 2: t

∫ f1 (y1 (t), y2 (t)) dτ y10 y1 (t) t ( ) ) = ( ) + ( 0t ( ) y2 (t) y20 ∫ f2 (y1 (t), y2 (t)) dτ (t 0

)

26 | 6 Systeme von Differenzialgleichungen 1. Ordnung mit Konkurrenzterm

Als Nächstes definieren wir, was wir unter einem Gleichgewichtspunkt verstehen wol­ len. ∞

y ̇ Definition. y∞ := ( y1∞ ) heißt Gleichgewichtspunkt (GWP) einer DGL y(t) = f(y(t)), 2 falls ∞ f1 (y∞ 1 , y 2 )) = (0) ( ∞ ∞ f2 (y1 , y2 ) 0

ist. Man nennt die zugehörige Lösung dann auch stationäre Lösung oder Nulllösung. Nun beweisen wir den folgenden ̇ = f(y(t)) mit y(t0 ) = y0 . Gleichgewichtssatz. Gegeben ist die DGL y(t) Ist y(t) eine Lösung, die für t → ∞ gegen y konvergiert, dann ist y ein Gleichgewichts­ punkt, das heißt es gilt f(y) = 0. Insbesondere besagt der Satz, dass mit der Kenntnis der Gleichgewichtspunkte alle möglichen Grenzwerte der Lösungskurven gegeben sind. Beweis. Da y(t) gegen y konvergiert, folgt aus der Stetigkeit von f die Konvergenz von f(y(t)) gegen f(y). Die punktweise Stetigkeit genügt. Es bleibt zu zeigen, dass f(y) = 0 ist. Dazu beweisen wir, dass zu beliebigem ε > 0 eine Zeit t ε existiert, so dass für alle t ≥ t ε gilt: |y(t) − y(t ε )| ≤ ε . Dazu wählen wir t ε so groß, dass für alle t ≥ t ε gilt: |y(t) − y| ≤

ε 3

und |f(y(t)) − f(y)| ≤

ε , 3

was wegen der Konvergenz von y(t) und der Stetigkeit von f immer möglich ist. Wir betrachten 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ f(y(τ)) dτ󵄨󵄨 = 󵄨󵄨∫ f(y) dτ − [∫(f(y(τ)) − f(y)) dτ]󵄨󵄨󵄨 = |y(t) − y(t ε )| 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨t 󵄨󵄨 󵄨󵄨t [t ε ]󵄨󵄨󵄨 󵄨ε 󵄨 󵄨ε Umgekehrte 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 Dreiecksungleichung 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 ≥ 󵄨󵄨󵄨∫ f(y) dτ󵄨󵄨󵄨 − 󵄨󵄨󵄨∫(f(y(τ)) − f(y)) dτ󵄨󵄨󵄨 . 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨t ε 󵄨󵄨 󵄨󵄨t ε 󵄨󵄨 Integraldarstellung

Insgesamt haben wir demnach 󵄨󵄨 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨∫ f(y) dτ󵄨󵄨 ≤ |y(t) − y(t ε )| + 󵄨󵄨∫(f(y(τ)) − f(y)) dτ󵄨󵄨󵄨 . 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨t 󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨t ε 󵄨ε 󵄨

6.1 Autonome Systeme und der Gleichgewichtssatz |

27

Dies wird zu 󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 (t − t ε ) ⋅ |f(y)| ≤ |y(t) − y + y − y(t ε )| + 󵄨󵄨󵄨∫(f(y(τ)) − f(y)) dτ󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨t ε 󵄨󵄨 t

󳨐⇒

(t − t ε ) ⋅ |f(y)| ≤ |y(t) − y| + |y − y(t ε )| + ∫ |f(y(τ)) − f(y)| dτ

󳨐⇒

ε ε ε (t − t ε ) ⋅ |f(y)| ≤ + + (t − t ε ) ⋅ . 3 3 3



Die Ungleichung gilt für alle t ≥ t ε , also auch für t = t ε + 1, woraus |f(y)| ≤ ε entsteht.

7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1 Zwei sehr vereinfachte Modelle dieser Art haben wir schon kennengelernt: Das Sym­ biose- und das Konkurrenzmodell. Der Ausgangspunkt für weitere Modelle führt uns zurück in die Zeit des 1. Welt­ kriegs. Es fiel auf, dass in Häfen am Mittelmeer der Anteil der gefangenen Haie unge­ wöhnlich stark anstieg. Aus der Tabelle entnimmt man den in Triest gefangenen Teil der Haie in Prozent gegenüber dem gesamten Fang von 1914 bis 1923. 1914

1915

1916

1917

1918

1919

1920

1921

1922

1923

11,9 %

21,4 %

22,1 %

21,2 %

36,4 %

27,3 %

16,0 %

15,9 %

14,8 %

10,7 %

Innerhalb der vier Kriegsjahre stieg der Anteil der Haie auf das Dreifache und fiel dann bis 1923 wieder auf etwa denselben Stand wie 1914 zurück. Wir gehen davon aus, dass die prozentualen Fangquoten den prozentualen Anteilen der Haie gegen­ über dem aktuellen Fischbestand entsprechen. Anders gesagt: Es wurde beispielswei­ se nicht plötzlich mehr gefischt mit dem Einsatz zusätzlicher Fischkutter. Durch den Ausbruch des Kriegs wurden unter anderem auch Fischer einberufen, so dass die Fischerei fast zum Erliegen kam. Dadurch nahm der Haibestand wie auch der gesamte Bestand zu. Das erklärt aber nicht die Zunahme des Haianteils am gesam­ ten Meeresfang. Haie stehen in der Nahrungskette an oberster Stelle. Weiter nehmen wir an, dass jeglicher Fisch, der in den Netzen der Triester Fischer landete, auch zur Beute der Haie gehörte. Dann kann man zwei Fragen stellen. 1. Wie verändern sich die beiden Populationen Hai und Fisch mit der Zeit ohne Fischfang oder irgendwelchem anderen Eingriff von außen? Dies wird in Kapi­ tel 7.2 untersucht. 2. Warum wächst die Zahl der Haie gegenüber der Fischzahl bei einem Eingriff des Menschen (verminderter Fischfang)? Die Beantwortung dieser Frage geben wir in Kapitel 7.3. Wir nähern uns an diese neue Art von Modellen an und betrachten dazu eine Schaf­ herde y2 , die sich vom Gras einer Weide y1 ernährt. Genausogut könnten wir ein Rudel Füchse zugrunde legen, die ihren Fortbestand über eine Hasenpopulation sichert. All­ gemein spricht man hier von einem Räuber-Beute-System. Es soll untersucht werden, welche Anzahl Schafe die Weide verträgt, bevor diese einbricht. Dazu benötigen wir einen neuen Begriff. Definition. Als Isokline bezeichnet man Orte gleicher Steigung. Der Begriff wird in den folgenden zwei Versuchen verständlich werden. https://doi.org/10.1515/9783110683806-007

7.1 Numerisches Lösen von Differenzialgleichungen

| 29

1. Modellansatz. Die Weide vergrößere sich gemäß einem beschränkten Wachstum, ẏ 1 = α(K − y1 ) − βy1 y2 . Die Isokline ist (Abb. 7.1 links) y2 =

α K ( − 1) . β y1

(7.1)

Wächst die Population der Schafe, so gibt es immer weniger zu fressen. Die Weide muss zwangsweise zusammenbrechen, weil nur endlich viel Gras zur Verfügung steht. Das Unrealistische ist in der Einschränkung zu finden, dass die Schafe erst warten müssen, bis sie auf die Weide dürfen. 2. Modellansatz. Die Weide soll nun logistisch wachsen. ẏ 1 = αy1 (K − y1 ) − βy1 y2 . Als Isokline erhält man die Gerade (Abb. 7.1 rechts) y2 =

α (K − y1 ) . β

(7.2)

Hier ergibt sich ein unmittelbarer Zusammenbruch der Weide, falls die Schafpopula­ tion den Wert αβ K erreicht oder übersteigt.

Abb. 7.1: Isokline zu (7.1) und (7.2)

7.1 Numerisches Lösen von Differenzialgleichungen Lassen sich DGLen oder Systeme nicht mehr geschlossen lösen, dann benötigt man numerische Verfahren, um den Verlauf der Lösung darzustellen. Dazu wird die DGL diskretisiert. Drei Verfahren sollen vorgestellt werden. Ausgangspunkt sei die DGL y󸀠 (x) = f(x, y). 1. Das Euler-Verfahren Die Lösung y = y(x) soll durch einen Polygonzug der Schrittweite h angenähert wer­ den. Je feiner h gewählt wird, umso besser entspricht der Polygonzug der Lösungskur­ ve. (Abb. 7.2 links). Wir betrachten dazu ein Intervall [x i , x i+1 ].

30 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Abb. 7.2: Euler- und Trapezverfahren

Entwickelt man nach Taylor den Ausdruck y(x i + h) um die Stelle x i bis zum linea­ ren Term, so erhält man y(x i + h) = y(x i ) + y󸀠 (x i ) ⋅ (x i + h − x i )

oder

y(x i + h) = y(x i ) + f(x i , y(x i )) ⋅ h .

Mit den Abkürzungen y i := y(x i ) und x i+1 := x i + h ergibt sich eine Rekursionsformel für die Punkte des Polygonzugs (Euler-Verfahren): x i+1 = x i + h y i+1 = y i + h ⋅ f(x i , y i ) .

(7.3)

2. Das Trapez-Verfahren Zur Herleitung schreiben wir die DGL y󸀠 (x) = f(x, y) um. Nach dem Hauptsatz der b Integralrechnung gilt ∫a f(t) dt = F(b) − F(a), wenn F 󸀠 (x) = f(x). Angewendet auf unsere DGL mit a = x i und b = x i+1 folgt x i+1

∫ f(t, y(t)) dt = y i+1 − y i xi

oder schließlich

x i+1

y i+1 = y i + h ⋅ ∫ f(t, y(t)) dt , xi

was ebenfalls eine Rekursionsformel für die Punkte des Polygonzugs ist. Nun müssen wir noch das Integral annähern. Hierzu gäbe es viele Möglichkeiten. Wir wählen das Trapez, das sich ergibt, wenn man das Kurvenstück innerhalb des Intervalls durch eine Strecke ersetzt (Abb. 7.2 rechts) Der Flächeninhalt A des Trapezes beträgt dann 1 A = h ⋅ [f(x i , y i ) + f(x i + h, y i+1 )] . 2 Ersetzt man das obige Integral durch den Wert A, so erhält man die Rekursionsformel für das Trapezverfahren: x i+1 = x i + h (7.4) 1 y i+1 = y i + h ⋅ [f(x i , y i ) + f(x i + h, y i+1 )] . 2

7.1 Numerisches Lösen von Differenzialgleichungen

| 31

3. Das Heun-Verfahren Wird der Wert von y i+1 aus Gleichung (7.4) durch den Wert aus (7.3) ersetzt, so ergibt sich das Heun-Verfahren: x i+1 = x i + h 1 y i+1 = y i + h ⋅ [f(x i , y i ) + f(x i + h, y i + h ⋅ f(x i , y i ))] . 2 Die drei Verfahren besitzen in der aufgelisteten Reihenfolge Fehler der Ordnung h, h2 , h3 respektive. Für h = 0,1 wäre das ein Fehler für y i von 0,1, 0,01, 0,001 resp. Für die folgenden Anwendungen wählen wir trotzdem bis auf Weiteres das EulerVerfahren. Es ist genügend genau, wir ersparen uns komplizierte Rekursionsformeln und erreichen bei Bedarf eine Verbesserung durch verkleinern der Schrittweite. Beispiel. Gegeben: ẏ = 0,2y(10 − y) .

Gesucht: y = y(t) mit y(0) = 1 .

(7.5)

Die genaue Lösung lautet wie bekannt y(t) =

y0 ⋅ G 10 = . y0 + (G − y0 ) ⋅ e−kGt 1 + 9 ⋅ e−2t

Für die Diskretisierung schreiben wir die DGL zuerst als dy = 0,2y(10 − y) dt. Als Schrittlänge wählen wir dt = 0,1. Dann wird daraus y i+1 − y i = 0,2y i (10 − y i )0,1. Dieses und alle folgenden Programme werden mit Hilfe eines TI-Nspire CX CAS erstellt. Die Vorschrift lautet übersetzt y i := y i + 0,2y i (10 − y i )0,1. Das zugehörige Programm für die numerische Lösung sieht dann so aus: Define DGL(n) Prgm xa:= {xi} ya:= {yi} xi:= 0 yi:= 1 (Anfangsbedingung y(0) = 1) For i,1,n xi:= xi + 0.1 yi:=yi+0.2⋅yi(10-yi)⋅0.1 xa:= augment(xa,{xi}) ya:= augment(ya,{yi}) End For Disp xa, ya End Prgm

32 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Abb. 7.3: Simulation von (7.5)

Führt man das Programm für n = 100 aus, so ergibt sich eine sehr gute Überein­ stimmung mit der genauen Lösung (Abb. 7.3). Die Genauigkeit kann beliebig verbes­ sert werden, indem man kleinere Schrittweiten wählt. Dafür muss dann natürlich die Schrittanzahl erhöht werden, um denselben Zeitbereich zu erfassen.

7.2 Das Lotka-Volterra-Modell 1 Der italienische Mathematiker Vito Volterra (1860–1940) und der österreichisch-ame­ rikanische Biophysiker Alfred James Lotka (1880–1949) entwickelten in den Zwanzi­ gerjahren des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Modellen zur Beschreibung der Inter­ aktion zweier Spezies. Ihre Arbeiten begründeten die mathematische Ökologie. Im Zu­ sammenhang mit der Frage nach den Gründen für die überproportionale Zunahme der Haie im Mittelmeer während des 1. Weltkriegs formulierte Volterra das System nicht­ linearer, autonomer (nicht explizit von t abhängiger) Differenzialgleichungen für die gesuchten Populationen y1 (t) der Beute und y2 (t) der Räuber. Dabei sind α, β, γ, δ positive Konstanten. ẏ 1 = αy1 − βy1 y2 = y1 (α − βy2 ) ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 = y2 (γy1 − δ) .

(7.6)

Wir sehen, dass jetzt in beiden Gleichungen ein Term für die Interaktion erscheint. Um sich die Gleichungen plausibel zu machen, betrachten wir zunächst jede der beiden Spezies für sich: In Abwesenheit der Räuber, also für y2 = 0, genügt y1 der Differenzialgleichung y1̇ = α ⋅ y1 , y1 würde somit exponentiell wachsen. In Abwesenheit der Beute, also für y1 = 0, genügt y2 der Differenzialgleichung ̇ y2 = −δ ⋅ y2 , y2 würde schließlich exponentiell fallen.

7.2 Das Lotka-Volterra-Modell 1

| 33

Nimmt man an, dass jedes Aufeinandertreffen mit einer konstanten Rate dazu führt, dass der Räuber die Beute frisst, so nimmt die Beute dadurch pro Zeiteinheit um die Größe βy1 y2 ab, wobei β irgendeine Proportionalitätskonstante ist. Gleichzeitig führt jeder Fressakt – wir nehmen an, unmittelbar – zu einer Zunah­ me der Anzahl der Räuber proportional zur Menge der aufgenommenen Nahrung und daher eine Zunahme von der Größe γy1 y2 mit einer weiteren Proportionalitätskon­ stanten γ. Kritik und Ausblick: a) Der Term αy1 besagt, dass sich die Beute exponentiell vermehren würde. Eine Anpassung dazu wird im Modell 2 geliefert. b) Im Term βy1 y2 wird noch nicht berücksichtigt, dass der Räuber irgendwann auch eine Sättigung verspürt und sich nicht immer mit einer konstanten Fressrate von β ernähren wird. Diese Tatsache wird auch Auswirkungen auf die Wachstumsrate γ haben und im Modell 3 beachtet. Jetzt betrachten wir ein Zahlenbeispiel und schreiben ein Programm, das wir für un­ sere Simulation benötigen. Dabei identifizieren wir die Hasen mit der Beute und die Füchse mit den Räubern. α β γ δ y1 (0) y2 (0)

Zuwachsrate (z. B. pro Woche) der Hasen ohne Störung Fressrate der Räuber = Sterberate der Beute (z. B. pro Woche) Zuwachsrate (z. B. pro Woche) der Füchse Sterberate der Füchse (z. B. pro Woche), falls keine Beute vorhanden Anfangsbestand der Hasen Anfangsbestand der Füchse

0,2 0,04 0,008 0,1 5 (z. B. in 100er) 2 (z. B. in 100er)

Der Wert von γ ist um so viel kleiner als β, weil ein toter Hase nicht gleichzeitig mit der Geburt eines Fuchses gleichzusetzen ist, ansonsten müsste man β = γ wählen. Im Modell ist β = 5γ, was bei fünf toten Hasen zu einem zusätzlichen Fuchs pro Zeiteinheit führt. Natürlich müssen diese Raten über Jahre durch Zählung in einem bestmöglich abgeschlossenen Gebiet ermittelt werden. Das Programm zur Simulation des Lotka-Volterra-Modells 1 lautet: Define volterra(n)= Prgm xa:= {x1i} }. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Damit werden die Daten als Punkte in ya:= {y1i} eine Liste aufgenommen. xb:= {x2i} yb:= {y2i} x1i:= 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Start x-Koordinate x2i:= 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Start y-Koordinate y1i:= 5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Startbestand Hasen, y1 y2i:= 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Startbestand Füchse, y2

34 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

For i,1,n x1i:= x1i + 1 }. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . x2i:= x2i + 1 y1i:= y1i + y1i⋅(0.2 - 0.04⋅y2i) } y2i:= y2i + y2i⋅(0.008⋅y1i - 0.1) xa:= augment(xa,{x1i}) ya:= augment(ya,{y1i}) xb:= augment(xb,{x2i}) yb:= augment(yb,{y2i}) End For Disp xa, ya, xb, yb End Prgm

Alte Koordinate ist gleich neue um 1 vergrößert Alte y-Koordinate ist gleich neue plus die Zunahme

Wir führen das Programm für n = 200 aus. Es ergibt sich der in Abb. 7.4 dargestellte Verlauf.

Abb. 7.4: Simulation von (7.6)

Interpretation: Ein Fuchs ist darauf angewiesen, eine bestimmte Anzahl Hasen pro Zeit zu erlegen, um nicht zu verhungern. Viele Füchse erlegen viele Hasen und re­ duzieren somit den Hasenbestand. Ein kleinerer Hasenbestand führt aber dazu, dass nicht mehr alle Füchse genug Hasen finden und somit einige verhungern. Damit redu­ ziert sich langfristig auch der Fuchsbestand. Wenn weniger Füchse die Hasen jagen, kann der Hasenbestand sich wieder erholen. Aus dem Verlauf des Graphen erkennen wir, dass sich daraus sowohl für den Hasen wie für den Fuchsbestand eine zyklische Schwingung ergibt, wobei die Anzahl Füchse dem Hasenbestand zeitlich hinterher­ hinkt. Bemerkung. Das Programm beinhaltet das Euler-Verfahren mit der Schrittweite 1.

7.2 Das Lotka-Volterra-Modell 1

| 35

Die Trajektorie Man nennt die Zunahme der Räuber als Funktion der Beutetiere die Trajektorie oder Bahn des Systems: y2 (t) = g(y1 (t)). Für die Darstellung der Trajektorie fügt man in das bestehende Programm drei Befehle ein: xc:= augment(ya,{y1i}) yc:= augment(yb,{y2i}) Disp . . . ..xc, yc Für die Trajektorie erhält man (Abb. 7.5)

Abb. 7.5: Simulation der Trajektorie

∞ Die Trajektorie scheint eine geschlossene Kurve zu sein, die um den GWP G(y∞ 1 , y2 ) kreist. In unserem Beispiel ist G(12,5, 5).

Durchschnittliche Population während einer Periode Wir zeigen einen wichtigen Zusammenhang, der für Interpretationen unentbehrlich ist. Dazu seien y1 (t) und y2 (t) die Lösungen von ẏ 1 = y1 (α − βy2 ) ẏ 2 = y2 (γy1 − δ) . Mit T bezeichnen wir die Periode des Systems. Dann definieren wir die zeitlichen Mit­ telwerte T

1 y 1 := ∫ y1 (t) dt T 0

T

und

1 y2 := ∫ y2 (t) dt . T 0

36 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Es gilt

ẏ 1 (t) y1 (t)

= α − βy2 (t), woraus T

T

0

0

1 ẏ 1 (t) 1 ∫ dt = ∫(α − βy2 (t)) dt T y1 (t) T folgt.Das erste Integral ist T

d 1 1 ∫ [ln(y1 (t))] dt = [ln(y1 (T)) − ln(y1 (0))] = 0 , T dt T

weil

y1 (T) = y1 (0) .

0

Somit erhalten wir 0=

T

T

0

0

1 1 ∫(α − βy2 (t)) dt = α − ∫ βy2 (t) dt = α − β ⋅ y 2 . T T

Schließlich ist y2 =

α = y∞ 2 β

und analog

y1 =

δ = y∞ 1 . γ

Wir halten fest: Der zeitliche Mittelwert längs einer Periode entspricht den Gleichgewichtswerten, um welche die Werte kreisen. Diese Erkenntnis erlaubt es, das „Haiproblem“ von wei­ ter oben zu erklären. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 40.

7.3 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1 Wir wollen auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen, weshalb der Anteil der Haie zunahm, obwohl die Fangquote (realistischerweise) um denselben Faktor ab­ nahm. Nehmen wir an, auf die Populationen y1 und y2 wirke ein dezimierender Einfluss. Dies kann zum Beispiel aktiv durch ein Gift geschehen oder passiv durch ein Fangver­ bot, eine zeitlich begrenzte Jagdsaison oder wie im Beispiel durch eingeschränkten Fischfang. Die Populationen sollen also mit den Raten η und λ dezimiert werden. Das zugehörige Differenzialgleichungssystem sieht dann wie folgt aus: ẏ 1 = αy1 − βy1 y2 − ηy1 ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 − λy2 In unserem Fall ist η = λ = ε.

oder

ẏ 1 = y1 [(α − η) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γy1 − (δ + λ)] .

7.3 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1 | 37

Somit hat man

ẏ 1 = y1 [(α − ε) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γy1 − (δ + ε)] .

Der vom Ursprung verschiedene GWP beträgt G( δ+ε γ ,

α−ε β ).

Wir wissen, dass die mitt­

und y2 = betragen. leren Bestände y 1 = Der Eingriff besteht nun darin, dass man die bestehende Fangquote ε verändert, in diesem Fall reduziert. Dann sind die neuen Mittelwerte ỹ 1 < y1 bzw. ỹ 2 > y2 . Daraus folgt, dass zwar der Fischbestand abnimmt, der Haibestand hingegen zu­ nimmt. Damit ist die Frage der Fischfangzahlen von Triest beantwortet. Ein weiteres Beispiel für den Eingriff des Menschen in ein Ökosystem ist fol­ gendes: 1980 erschien in einem Magazin folgender historischer Rückblick: δ+ε γ

α−ε β

Die amerikanische Citrusindustrie drohte zusammenzubrechen, nachdem um 1870 zufällig ein gefährlicher Parasit, die Schildlaus Icerya purchasi, eingeschleppt worden war. Nachdem man dann ihren natürlichen Feind, eine Marienkäferart, 1888 auch eingeführt hatte, wurde die Schild­ lauspopulation innerhalb weniger Jahre wieder auf eine niedrige Dichte reduziert. Um Schildläu­ se zu töten, versuchte man sie ab 1940 durch den Einsatz von DDT, einem Insektizid, noch stärker zu bekämpfen. Da aber durch das DDT auch die Räuberpopulation abnahm, wurde auch das Gleichgewicht zwi­ schen Räuber und Beute gestört, und die Beutepopulation, die für die Citrusplantagen gefährli­ che Schildlaus, nahm wieder zu.

Wieder kann man die zentrale Frage stellen: Inwiefern wirkt sich ein Eingriff des Menschen durch Einsatz von Gift sogar günstig für die Schildläuse aus? Zuerst betrachten wir den Einsatz von Gift gegen die Schildläuse alleine. Beispiel 1. y1 Schildläuse, y2 Menge an Insektizid ẏ 1 = y1 [(α − η) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γy1 − (δ + λ)] . Zur Bekämpfung von Schildläusen wird eine Menge y2 an Insektizid (Räuber) einge­ setzt. α bezeichnet weiterhin die Wachstumsrate der Läuse. Da die Läuse nur im Kon­ takt mit dem Gift dezimiert werden, ist weiterhin β ≠ 0, aber η = 0. Weiter beeinflusst der Gifteinsatz die Insektizidmenge selber nicht, weshalb λ Null ist. Wir nehmen aber an, dass sich die Giftmenge mit der Rate δ verringert, sei es, dass Teile des Giftes im Boden versickern, Regen die Konzentration mindert usw. Schließlich ist γ = 0, weil sich die Giftmenge bei Kontakt mit den Läusen nicht vermehrt. Somit reduziert sich das System zu ẏ 1 = y1 (α − βy2 ) ẏ 2 = −δy2

mit α = 0,1, β = 0,3, δ = 0,2, y1 (0) = y2 (0) = 1 .

Dieses System lässt sich explizit lösen.

38 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1 Die zweite DGL besitzt die Lösung y2 (t) = y2 (0) ⋅ e−δt . Eingesetzt in die erste DGL erhalten wir ẏ 1 (t) = α ⋅ y1 (t) − β ⋅ y2 (0) ⋅ y1 (t) ⋅ e−δt . Die Trennung der Variablen führt auf ẏ 1 (t) = α − β ⋅ y2 (0) ⋅ e−δt y1 (t) β ⋅ y2 (0) −δt ln(y1 (t)) = α ⋅ t + ⋅e . δ

󳨐⇒ Die Integration ergibt

y1 (t) = C ⋅ e α⋅t+

β⋅y2 (0) −δt ⋅e δ

.

Mit der Anfangsbedingung ist y1 (0) = C ⋅ e

β⋅y2 (0) δ

und es folgt

C = y1 (0) ⋅ e−

β⋅y2 (0) δ

.

Schließlich erhält man y1 (t) = y1 (0) ⋅ e α⋅t+

β⋅y2 (0) ⋅(e −δt −1) δ

.

Für die zugehörigen Graphen setzen wir die entsprechenden Zahlen ein (Abb. 7.6): y1 (t) = e0,1⋅t+ 0,2 ⋅(e 0,3

−0,2⋅t

−1)

(7.7)

y2 (t) = e−0,2t

Bei der Wahl der Koeffizienten ergibt sich ein Minimum. Für die Berechnung seiner Lage setzen wir die Lösungsausdrücke von y1 (t) und y2 (t) ein: ẏ 1 (t) = α ⋅ y1 (0) ⋅ e α⋅t+

β⋅y2 (0) ⋅(e −δt −1) δ

− β ⋅ y2 (0) ⋅ y1 (0) ⋅ e α⋅t+

β⋅y2 (0) ⋅(e −δt −1) δ

Nullsetzen ergibt 0 = y1 (0) ⋅ [α − β ⋅ y2 (0) ⋅ e−δt ] ⋅ [e α⋅t+

β⋅y2 (0) ⋅(e −δt −1) δ

] .

Die zweite Klammer bleibt positiv. Aus der ersten Klammer erhält man 1 α t = − ln ( ) δ β ⋅ y2 (0) mit der Bedingung: β ⋅ y2 (0) > α > 0 für die Existenz.

Abb. 7.6: Graphen von (7.7)

⋅ e−δt .

7.3 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1 |

39

Im Beispiel ist t = 5,49. Zu dieser Zeit ist die Menge der Schädlinge minimal. Interessant ist noch der Fall δ = 0. Dafür muss die Giftmenge aufrecht erhal­ ten werden. Dann ist ẏ 2 = 0 und y2 (t) = y2 (0). Für y1 (t) muss der Grenzwert −δt limδ→0 e δ−1 = −t gebildet werden. Man erhält y1 (t) = e−1.4t . Mit der Zeit ist man zwar die Schildläuse los, muss dafür aber Pestizide im Boden in Kauf nehmen. Nun zum oben im Zeitungsausschnitt beschriebenen Beispiel. Beispiel 2. y1 Schildläuse, y2 Marienkäfer ẏ 1 = y1 [(α − η) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γy1 − (δ + λ)] . Der Unterschied zum vorigen Beispiel besteht darin, dass der Gifteinsatz beide Spezies unabhängig vom gemeinsamen Kontakt mit den Raten η bzw. λ dezimieren wird. α−η Der vom Ursprung verschiedene Gleichgewichtspunkt beträgt G( δ+λ γ , β ). Wie­ der betrachten wir zuerst die mittleren Bestände ohne Gifteinsatz: y1 =

δ γ

und

y2 =

α . β

Setzt man Gift ein, dann sind die neuen Mittelwerte ỹ 1 =

δ+λ γ

und

ỹ 2 =

α−η β

und es ist offensichtlich ỹ 1 > y 1 bzw. ỹ 2 < y 2 . Daraus folgt, dass zwar der Läusebestand zunimmt, während die Maikäferpopu­ lation abnimmt. Natürlich könnte man so viel Gift einsetzen, dass η ≥ α ist. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 41.

In der Übung 40 wurde ein möglicher Verlauf für das Räuber-Beute-Modell simuliert. Zusätzlich zur Simulation sollen drei weitere Arten der Modellanalyse hibzugefügt werden. Zur Untersuchung eines dynamischen Systems stehen dann folgende vier Mög­ lichkeiten zur Verfügung: Über die Anschauung: Analytisch: Über die Anschauung:

1. 2. 3. 4.

Skizzieren des Vektorfeldes. Linearisierung und Stabilitätssatz, Auffinden einer Lyapunov-Funktion. Eine numerische Simulation.

Wir wollen es so handhaben, dass eine Simulation erst am Ende der jeweiligen Mo­ dellanalyse erfolgt, und diese auch meist in den Übungsteil verlegen.

40 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Das Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 1 Eigentlich müssten wir bei einem Vektorfeld nicht nur die Pfeilrichtung, sondern auch die Pfeillängen berücksichtigen. Letzteres vernachlässigen wir und nennen unser Feld trotzdem Vektorfeld. In unserem Modell sind die Isoklinen y1 = δγ und y2 = αβ . Dadurch wird der erste Quadrant in vier Gebiete zerlegt. Es ergibt sich folgendes Bild (Abb. 7.7):

Abb. 7.7: Isoklinen und Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 1

Aus dem Vektorfeld entnimmt man B1 : ẏ 1 < 0 ,

ẏ 2 > 0 ,

B2 : ẏ 1 < 0 ,

ẏ 2 < 0 ,

B3 : ẏ 1 > 0 ,

ẏ 2 < 0 und

B4 : ẏ 1 > 0 ,

ẏ 2 > 0

Auf den Isoklinen selber ist entweder ẏ 1 = 0 oder ẏ 2 = 0. Beides gleichzeitig nur in G. Anhand des Vektorfeldes lässt sich nur eine Kreisbewegung feststellen. Die Lö­ sungskurve gelangt vom Gebiet, in dem sie startet, zum nächsten usw. Es sind vier Fälle möglich, von denen wir zwei ausschließen können: a) Die Trajektorie schneidet sich zu irgendeinem Zeitpunkt. Dies ist unmöglich, an­ sonsten gäbe es zwei verschiedene Lösungskurven vom Schnittpunkt aus, entge­ gen dem Eindeutigkeitssatz. b) Die Lösungskurve könnte um den Anfangspunkt herumlaufen. Dann müsste sie sich ständig umkreisen ohne sich je zu schneiden oder berühren, was wieder­ um dem Eindeutigkeitssatz widerspräche. Da aber die Zunahmen ẏ 1 und ẏ 2 nach oben beschränkt sind, ist eine unbeschränkt verlaufende Trajektorie unmöglich. Einen plötzlichen Stillstand der Kurve in einem Punkt P, der nicht G ist, kann man ebenfalls ausschließen, da nur G als Grenzwert in Frage kommt. c) Die Trajektorie bildet eine geschlossene Kurve. d) Die Lösung verläuft spiralförmig gegen G. Die letzten beiden Varianten sind möglich.

7.3 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1 | 41

Die Linearisierung des Lotka-Volterra-Modells 1 Das Prinzip der Linearisierung erklären wir an einem bekannten Beispiel, dem Faden­ pendel (Abb. 7.8, für eine Herleitung siehe auch 2. Band).

Abb. 7.8: Skizze zum Fadenpendel

̈ ⋅l = Die beschleunigende Kraft wird mit der rücktreibenden Kraft verglichen: m φ(t) g ̈ + l ⋅ sin φ(t) = 0. −mg ⋅ sin φ(t). Man erhält φ(t) φ3

φ5

Entwickelt man sin φ nach Taylor um φ = 0, dann ist sin φ = φ − 3 + 5 ∓ . . .. Linearisieren bedeutet, alle Potenzen von φ höher als φ1 zu vernachlässigen, wo­ ̈ + gl ⋅ φ(t) = 0 übergeht. mit die DGL in ihre linearisierte Form φ(t) Die Lösung ist dann φ(t) = φ(0) ⋅ cos (√

g ⋅ t) . l

Im Fall des Lotka-Volterra-Modells betrachten wir lineare Änderungen z1 (t), z2 (t) um ∞ n n δ α den GWP G(y∞ 1 , y 2 ) = G( γ , β ) und vernachlässigen sowohl Potenzen von z1 , z2 mit n ≥ 2 als auch auftretende Produkte z1 z2 . Ausgehend von ẏ 1 = αy1 − βy1 y2 ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 ∞ setzen wir an: y1 = y∞ 1 + z1 und y 2 = y 2 + z2 . Eingesetzt in das DGL-System erhält man ∞ ∞ ż1 = α(y∞ 1 + z1 ) − β(y 1 + z1 )(y 2 + z2 ) ∞ ∞ ż2 = γ (y∞ 1 + z1 ) (y 2 + z2 ) − δ (y 2 + z2 )

󳨐⇒

∞ ∞ ∞ ∞ ż1 = αy∞ 1 + αz1 − βy 1 y 2 − βy 1 z2 − βy 2 z1 − βz1 z2 ∞ ∞ ∞ ∞ ż2 = γy∞ 1 y 2 + γy 1 z2 + γy 2 z1 + γz1 z2 − δy 2 − δz2 .

Linearisiert lautet das System ∞ ∞ ∞ ∞ ż1 = αy∞ 1 + αz1 − βy 1 y 2 − βy 1 z2 − βy 2 z1 ∞ ∞ ∞ ∞ ż2 = γy∞ 1 y 2 + γy 1 z2 + γy 2 z1 − δy 2 − δz2 .

42 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1 δ ∞ Wir ersetzen y∞ 1 = γ , y2 =

δ γ δ ż2 (t) = γ ⋅ γ

ż1 (t) = α ⋅

α β

und erhalten

δ δ α α ⋅ − β ⋅ z2 − β ⋅ z1 γ β γ β α α α δ ⋅ + γ ⋅ z2 + γ ⋅ z1 − δ ⋅ − δz2 β γ β β + αz1 − β ⋅

βδ z2 (t) γ αγ = z1 (t) . β

=−

Bildet man die zweiten Ableitungen nach der Zeit, so entsteht βδ βδ αγ ż2 (t) = − ⋅ z1 (t) = −αδ ⋅ z1 (t) γ γ β βδ αγ αγ ż1 (t) = ⋅ (− ) z1 (t) = −αδ ⋅ z2 (t) . z̈2 (t) = β β γ z̈1 (t) = −

Die Lösungen sind jeweils z1 (t) = A1 cos(√αδ ⋅ t) + B1 sin(√ αδ ⋅ t) z2 (t) = A2 cos(√αδ ⋅ t) + B2 sin(√ αδ ⋅ t) . Aufgrund der Oszillation von z1 (t) und z2 (t) mit der Zeit gilt dasselbe auch für die Lösungen y1 (t) und y2 (t) um den GWP G. Beim Übergang von einem nichtlinearen zu einem linearen System geht Informa­ tion verloren. Der Verlust entspricht dem Übergang von globalen Eigenschaften zu lo­ kalen Eigenschaften in der Nähe des Gleichgewichtspunkts in unserem Fall. Wir kön­ nen somit von der lokalen Periodizität des Systems durch Linearisieren allein nicht auf die globale Periodizität desselben Systems schließen, auch dann nicht, wenn die globale Periodizität eine Tatsache ist. Es lässt sich einzig aussagen, dass es in einer kleinen Umgebung so ist. Wie groß diese Umgebung ist, weiß man nicht. Dies gilt auch für das Fadenpendel mit der Nulllage als GWP. Wir werden das Prin­ zip der Linearisierung zu einem späteren Zeitpunkt verallgemeinern. Eine Funktion V(y 1 , y2 ) (später Lyapunov-Funktion) für das Lotka-Volterra-Modell 1 Wir betrachten den Quotienten ẏ 2 γy1 y2 − δy2 = . ẏ 1 αy1 − βy1 y2 Dann folgt αy1 ẏ 2 − βy1 y2 ẏ 2 − γy1 ẏ 1 y2 + δ ẏ 1 y2 = 0 . Die Division durch y1 y2 , wobei y1 (t), y2 (t) ≠ 0 für alle t ist, ergibt γ ẏ 1 − δ oder γ(y1 − y∞ 1 )

ẏ 1 ẏ 2 + β ẏ 2 − α =0 y1 y2

ẏ 1 ẏ 2 δ α und y∞ . + β(y2 − y∞ = 0 mit y∞ 2 ) 1 = 2 = y1 y2 γ β

7.3 Eingriffe von außen in das Lotka-Volterra-Modell 1

| 43

Folglich ist d ∞ [γ (y1 − y∞ 1 ln(y 1 )) + β (y 2 − y 2 ln(y 2 ))] = 0 . dt Dies bedeutet aber, dass ∞ V ∗ (y1 , y2 ) = γ (y1 − y∞ 1 ln(y 1 )) + β (y 2 − y 2 ln(y 2 )) = konst.

für alle t ist. Dasselbe gilt dann auch für die Funktion ∞ V(y1 , y2 ) = γ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

y1 y2 ∞ )) + β (y2 − y∞ 2 − y 2 ln ( ∞ )) y∞ y 1 2

∞ mit der zusätzlichen Eigenschaft, dass V(y∞ 1 , y 2 ) = 0 ist. Damit bewegen sich die Lösungen der DGL für alle t auf Niveaulinien der Funktion V(y1 , y2 ). Die Teilfunktionen ∞ H1 (y1 ) = y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

y1 ) y∞ 1

und

∞ H2 (y2 ) = y2 − y∞ 2 − y 2 ln (

y2 ) y∞ 2

sind konvex, da die zweiten Ableitungen positiv sind: y∞ dH i (y i ) =1− 1 , yi yi

d2 H i (y i ) y∞ = i2 > 0 . y2i yi

Zudem ist H i (y i ) → +∞ für y i → −∞. Somit stellt V(y1 , y2 ) eine konvexe Fläche ∞ mit einem globalen Minimum im Punkt G(y∞ 1 , y 2 ) dar. Für eine bessere Darstellung setzen wir die Achsen etwas tiefer. Eigentlich müssten diese entlang der gestrichelten Linie verlaufen (Abb. 7.9). Daraus folgt unmittelbar, dass Ω := {(y1 (t), y2 (t)) | V(y1 , y2 ) = konst.} eine ge­ ∞ schlossene Kurve um den GWP G(y∞ 1 , y 2 ) beschreibt.

Abb. 7.9: Skizze zur Lyapunov-Funktion

44 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Nun könnte sich die Kurve erst nach unendlich langer Zeit wiederholen. Dann wäre dieser Kurvenpunkt ein Grenzwert, was aber unmöglich ist, da nur G als Grenz­ wert in Frage kommt. Somit muss die Kurve in endlicher Zeit durchlaufen werden. Wir können aber weder die Länge der Periode noch den Zeitpunkt angeben, wann ein be­ stimmter Wert der Trajektorie erreicht wird. Dies könnte nur ein Experiment liefern.

7.4 Das Lotka-Volterra-Modell 2 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum) In unserem vorhergehenden Modell wäre eine beliebige Anzahl Hasen möglich. Wenn wir aber realistischerweise das Weideland beschränken, dann kann dieses auch nur eine maximale Anzahl Hasen K ernähren. Deshalb setzen wir für den Zuwachs der Hasen nicht ein exponentielles Wachstum αKy1 , sondern ein logistisches Wachstum αKy1 − αy21 an. Zur Abkürzung sei K := yMax 1 . Das Gleichungssystem modifiziert sich dann zu: ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γy1 − δ] .

(7.8)

Mit der Beschränktheit der Beute ist der Bestand der Räuber ebenfalls automatisch begrenzt. Wir wählen α = 0,006, β = 0,03, γ = 0,008, δ = 0,1, y1 (0) = 5, y2 (0) = 2 und K = 50. Einzig die beiden folgenden Programmzeilen werden angepasst: y1i:= y1i+0.006⋅y1i⋅(50-y1i)-0.03⋅y1i⋅y2i y2i:= y2i+0.008⋅y1i⋅y2i-0.1⋅y2i. Es ergibt sich folgender Verlauf (Abb. 7.10)

Abb. 7.10: Simulation von (7.8)

7.4 Das Lotka-Volterra-Modell 2 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum) |

45

Das Bild der Trajektorie ist (Abb. 7.11)

Abb. 7.11: Trajektorie des Lotka-Volterra-Modells 2 ∞ Die Trajektorie scheint eine Spirale zu sein, die sich um den GWP G(y∞ 1 /y 2 ) windet. Als Gleichgewichtspunkte ergeben sich außer der Nulllösung der GWP

y∞ 1 =

δ , γ

y∞ 2 =

δ α (K − ) β γ

und als Spezialfall y∞ 1 = K ,

y∞ 2 =0,

falls

γK = δ .

Für unser Beispiel ist G(12,5, 7,5). Nach diesem Modell existiert y∞ 1 immer. Damit stirbt die Beutepopulation nie aus. Hingegen ist die Existenz der Räuber an die Bedingung γK > δ geknüpft, was man so interpretieren kann: Die Fressrate der Räuber mal die Kapazitätsgrenze der Beute muss immer noch größer als die Sterberate der Räuber sein, damit eine Aussicht auf Existenz für die Räuber besteht. Das Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 2 Die Isoklinen sind y1 = δγ und y2 = αβ (K − y1 ). Es ergeben sich zwei Fälle (Abb. 7.12). Konvergenz im Fall I. Startet die Lösung im Bereich B1 , dann muss sie in endlicher Zeit in den Bereich B2 gelangen, denn die Zunahme ẏ 1 ist beschränkt. Von da aus be­ wegt sich die Trajektorie zwangsweise über das Gebiet B3 nach B4 usw. Aus den Über­ legungen am Vektorfeld des 1. Modells wissen wir, dass entweder eine geschlossene Kurve oder eine zu G hin verlaufende Spirale als Trajektorie in Frage kommt. Einzig, wenn die Lösung vom Gebiet B0 ausgeht, ist ein direkter Weg, wie eingezeichnet, mög­ lich (Zahlenbeispiel: α = 0,02, β = 0,03, γ = 0,008, δ = 0,2, y1 (0) = 27, y2 (0) = 2, K = 29).

46 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

Abb. 7.12: Isoklinen und Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 2

Konvergenz im Fall II. Startet die Trajektorie in B3 , dann bleibt sie auch für alle Zeiten dort. Folglich muss sie konvergieren, und in Frage kommt nur (K, 0). Geht die Lösung von B2 aus, so kann sie direkt gegen (K, 0) konvergieren oder tut dies über B3 . Bei einem Start von B1 aus schließlich muss die Bahn in endlicher Zeit aufgrund der Be­ schränktheit von ẏ 1 in das Gebiet B2 eindringen. In jedem Fall stirbt hier also die Räu­ berpopulation aus und die Beutespezies kann sich bis zu ihrem Maximalwert vermeh­ ren. Die Linearisierung des Lotka-Volterra-Modells 2 Ausgehend von ẏ 1 = αy1 (K − y1 ) − βy1 y2 ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 y∞ 1

setzen wir an: y1 = + z1 und y2 = y∞ 2 + z2 . Eingesetzt in das DGL-System erhält man ∞ ∞ ∞ ż1 = α(y∞ 1 + z1 )(K − y 1 − z1 ) − β(y 1 + z1 )(y 2 + z2 ) ∞ ∞ ż2 = γ(y∞ 1 + z1 )(y 2 + z2 ) − δ(y 2 + z2 )

󳨐⇒

∞2 ∞ ∞ 2 ż1 = αKy∞ 1 − αy 1 − αy 1 z1 + αKz1 − αy 1 z1 − αz1 ∞ ∞ ∞ − βy∞ 1 y 2 − βy 1 z2 − βy 2 z1 − βz1 z2 ∞ ∞ ∞ ∞ ż2 = γy∞ 1 y 2 + γy 1 z2 + γy 2 z1 + γz1 z2 − δy 2 − δz2 .

Linearisiert lautet das System ∞ ∞ ∞ ∞ ∞ ż 1 = y ∞ 1 (αK − αy 1 − βy 2 ) + (αK − 2αy 1 − βy 2 )z1 − βy 1 z2 ∞ ∞ ∞ ż 2 = y ∞ 2 (γy 1 − δ) + γy 2 z1 + (γy 1 − δ)z2 . δ ∞ α δ Wir ersetzen y∞ 1 = γ , y 2 = β (K − γ ) und erhalten

δ (αK − γ αγ ż2 = (K − β

ż1 =

βδ αδ δ 2αδ δ − α (K − )) + (αK − − α (K − )) z1 − z2 γ γ γ γ γ δ ) z1 . γ

7.4 Das Lotka-Volterra-Modell 2 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum) | 47

Weiter vereinfacht entsteht αδ βδ z1 (t) − z2 (t) γ γ αγ δ ż2 (t) = (K − ) z1 (t) . β γ ż1 (t) = −

Bildet man die zweiten Ableitungen nach der Zeit, so erhält man z̈1 (t) = −

αδ βδ αδ βδ αγ δ ż1 (t) − ż2 (t) = − ż1 (t) − ⋅ (K − ) z1 (t) γ γ γ γ β γ

und schließlich z̈1 (t) + a ż1 (t) + bz1 (t) = 0 mit

a=

αδ αδ , b= (γK − δ) . γ γ

Entscheidend für die Art der Lösungen ist die Diskriminante D = a2 − 4b der charak­ teristischen Gleichung x2 + ax + bx = 0. 2 2 In unserem Fall ist D = αγ2δ − 4 ⋅ αδ γ (γK − δ). Es ergeben sich drei Fälle. 1. D > 0. Man erhält als Lösung z1 (t) = C1 ⋅ e k1 t + C2 ⋅ e k2 t

mit

k 1,2 =

−a ± √a2 − 4b 2

Mit γK − δ > 0 sind a, b > 0 und somit k1 , k 2 < 0. z2 (t) ergibt sich durch Integration zu z2 (t) =

2.

δ αγ (K − ) (C1 ⋅ e k1 t + C2 ⋅ e k2 t ) β γ

oder kurz z2 (t) = D1 ⋅ e k1 t + D2 ⋅ e k2 t . Da k 1 , k 2 < 0, konvergieren z1 (t) und z2 (t) gegen den GWP F(0, 0). Dies gilt aber nur in einer Umgebung U von F. Für eine linearisierte DGL ist der GWP natürlich ∞ immer der Ursprung. Folglich konvergieren y1 = y∞ 1 + z1 und y 2 = y 2 + z2 gegen ∞ ∞ G(y1 , y2 ) (in einer Umgebung U von G). D < 0. Es ist dann −a ± i√a2 − 4b k 1,2 = . 2 Mit der Abkürzung ω =

√4b−a 2 2

ergibt sich

z1 (t) = e− 2 t ⋅ (C1 ⋅ cos(ωt) + C2 ⋅ sin(ωt)) a

und z2 (t) = e− 2 t ⋅ (D1 ⋅ cos(ωt) + D2 ⋅ sin(ωt)) . a

Beide Kurven sind exponentiell fallende periodische Funktionen. Die Trajektorie von (z1 , z2 ) bildet eine zum GWP F(0, 0) fallende Spirale, woraus folgt, dass die Bahn von (y1 , y2 ) als Verschiebung im Koordinatensystem ebenso (in einer Um­ ∞ gebung U von G) in derselben Form gegen G(y∞ 1 , y 2 ) hinläuft.

48 | 7 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 1

3.

D = 0. Dies ist gleichbedeutend mit k 1,2 = − 2a . Folglich hat man z1 (t) = C1 ⋅ e− 2 t a

und

z2 (t) = C2 ⋅ e− 2 t . a

Somit konvergiert die Bahn des linearisierten Systems gegen den Ursprung und diejenige des nichtlinearen Systems gegen G( δγ , 0) = G(K, 0). Eine Funktion V(y 1 , y2 ) für das Lotka-Volterra-Modell 2 Wir führen dies später etwas eleganter durch, nachdem wir mehr Erfahrung im Um­ gang mit sogenannten Lyapunov-Funktionen gewonnen haben.

8 Stabilitätssätze Ein Hauptziel wird sein, Aussagen über die Konvergenz der Lösungskurven eines nichtlinearen DGL-Systems aus dessen Linearisierung zu gewinnen. Ein konkretes Beispiel hierzu. Gegeben sei das nichtlineare DGL-System ẏ 1 = y2 − y1 y2 ẏ 2 = −y1 − y22 . Der einzige Gleichgewichtspunkt ist G(0, 0). Linearisieren wir (um G), dann erhalten wir vorerst genau dasselbe System ż1 = z2 − z1 z2 ż2 = −z1 − z22 . Die Linearisierung ist dann ż 1 = z 2 ż2 = −z1

mit

G(0, 0) als GWP .

Die zentrale Frage lautet: Kann man das Konvergenzverhalten von Trajektorien des linearisierten Systems auf das zugehörige nichtlineare System übertragen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen kann man dies lokal, für eine gewisse Umgebung von G, oder sogar global tun? Diese Frage wollen wir im Weiteren untersuchen.

8.1 Stabilität bei nichtlinearen autonomen DGLen Als wichtigsten Begriff definieren wir zuerst die Stabilität einer Lösung. Unsere De­ finition beschränkt sich zwar auf autonome Systeme, aber sie gilt natürlich für eine beliebige DGL. Definition. Eine Lösung x(t) der DGL ẏ = f(y(t)) heißt stabil, wenn folgendes gilt: Zu jedem ε > 0 gibt es ein δ > 0 so, dass für alle Lösungen z(t) der DGL aus |z(0)−x(0)| < δ folgt, dass |z(t) − x(t)| < ε für 0 ≤ t < ∞ gilt. Die Lösung heißt asymptotisch stabil, wenn sie stabil ist und zusätzlich lim t→∞ |z(t) − x(t)| = 0 ist. Ansonsten heißt die Lösung instabil. In Worten ausgedrückt: Jede Lösung, die in der δ-Umgebung von x(0) startet, darf die ε-Umgebung nicht verlassen.

https://doi.org/10.1515/9783110683806-008

50 | 8 Stabilitätssätze Folgerung. Jeder GWP x∞ liefert somit die konstante Lösung x(t) = x∞ , weswegen wir in diesem Fall den GWP selber stabil, asymptotisch stabil oder instabil nennen. Ist der GWP asymptotisch stabil, sagen wir auch, er sei anziehend, im instabilen Fall abstoßend. Bemerkung. Man kann den Begriff der Stabilität auch mit demjenigen des Potenzials in Zusammenhang bringen. Schreiben wir f(y) = − dV dy , dann kann man V(y) als Poten­ zial interpretieren. Als Beispiel sei das Gravitations- oder das elektrostatische Poten­ zial genannt: c c f(y) = 2 und V(y) = − . y y Daraus folgt dV dV dy dV dV 2 = = f(y) = − ( ) ≤0. dt dy dt dy dy Damit ist die momentane Änderung des Potenzials (außer in einer Quelle oder einer Senke) mit der Zeit immer negativ, denn die Kraft wirkt, dem Prinzip des kleinsten Zwangs folgend, immer in Richtung abnehmender potenzieller Energie. Konkret am Beispiel ẏ = y3 − y illustriert, bestimmen wir die GWPe zu y = −1, 0, 1. Das Potenzial ist dann V(y) = 14 y4 − 14 y2 + C (Abb. 8.1). Denken wir uns eine Kugel irgendwo auf der Kurve von V losgelassen, dann wird diese immer zu einem tieferen Punkt (niedrigerem Potenzial) rollen, außer sie befin­ det sich schon in den Extrempunkten von V. Dabei werden kleine Störungen die Kugel nicht von den Senken, wohl aber von der Quelle wegbewegen. Damit ist auch die Sta­ bilität in den drei Extrempunkten dargelegt.

Abb. 8.1: Potenzial und Stabilität

Beispiel 1. ẏ = y mit y(0) = a. Der GWP (in diesem Fall Gleichgewichtsstelle) ist x∞ = 0. Die Lösung lautet x(t) = ae t

mit

x(0) = a .

8.1 Stabilität bei nichtlinearen autonomen DGLen |

51

Jetzt ändern wir die Anfangsbedingung ab zu y(0) = a + γ. Dann entsteht die Lösung z(t) = (a + γ)e t

mit

z(0) = a + γ .

Obwohl |z(0) − x(0)| = γ < δ, gilt doch |z(t) − x(t)| = γe t → ∞. Trotz der (beliebig klein wählbaren) Anfangsänderung γ streben die beiden Lö­ sungen auseinander. Die Lösung x(t) = ae t ist instabil und somit der GWP x∞ = 0 abstoßend. Beispiel 2. ẏ = −y mit y(0) = a. Es ist wieder x∞ = 0. Die Lösung lautet x(t) = ae−t

mit

x(0) = a .

Mit der geänderten Anfangsbedingung y(0) = a + γ entsteht z(t) = (a + γ)e t

mit

z(0) = a + γ .

Somit folgt aus |z(0) − x(0)| = γ < δ, dass |z(t) − x(t)| = γe −t → 0. Damit ist die Lösung x(t) = ae−t bzw. der Punkt x∞ = 0 asymptotisch stabil. Beispiel 3. ẏ = −y2 mit y(0) = a. Es ist x∞ = 0. Als Lösung erhält man x(t) =

a 1 + at

mit

x(0) = a .

Mit der geänderten Anfangsbedingung y(0) = a + γ entsteht z(t) =

a+γ 1 + (a + γ)t

mit

z(0) = a + γ .

Somit folgt aus |z(0) − x(0)| = γ < δ, dass |z(t) − x(t)| =

a γ a+γ − = →0. 1 + (a + γ)t 1 + at (1 + at)(1 + (a + γ)t)

Damit ist die Lösung x(t) =

a 1+at

bzw. der Punkt x∞ = 0 asymptotisch stabil.

Beispiel 4. ẏ = ky(G − y) mit y(0) = a. Hier hat man zwei Gleichgewichtspunkte, ∞ x∞ 1 = 0, x 2 = G. Die Lösung lauet x(t) =

aG a + (G − a)e−kt

mit

x(0) = a .

Mit der geänderten Anfangsbedingung y(0) = a + γ entsteht z(t) =

(a + γ)G a + γ + (G − (a + γ))e−kt

mit

z(0) = a + γ .

52 | 8 Stabilitätssätze Somit folgt aus |z(0) − x(0)| = γ < δ, dass |z(t) − x(t)| =

(a + γ)G aG − →G−G=0. a + γ + (G − (a + γ))e−kt a + (G − a)e−kt

Es bleibt die Frage, für welchen der beiden Gleichgewichtspunkte nun diese Rechnung bestimmt ist. Man kann den Stabilitätsbegriff auch in folgender Skizze darstellen (Abb. 8.2).

Abb. 8.2: Skizze zum Stabilitätsbegriff

Beispiel 5. Wir kehren an dieser Stelle noch einmal zum Fadenpendel zurück. Die ̈ Bewegungsgleichung lautete φ(t) + gl ⋅ sin φ(t) = 0. Setzen wir y1 (t) := φ(t) und ̇ y2 (t) := φ(t), dann folgt ẏ 1 (t) = y2 (t) und wir erhalten das zugehörige autonome DGL-System y2 ẏ 1 ) := f(y1 , y2 ) . ( )=( g ẏ 2 − l ⋅ sin y1 Die Gleichgewichtspunkte sind G1 (0, 0) und G2 (π, 0). Dabei bezeichnet die erste Koordinate den Auslenkwinkel gegenüber der Nulllage und die zweite Koordinate die Momentangeschwindigkeit für diesen Winkel. Die Erfahrung zeigt, dass G1 (0, 0) stabil ist, sofern man den Auslenkwinkel nicht gleich π wählt. Die Masse pendelt um die Nulllage. Nähme man einen Reibungsterm ̇ hinzu, dann bekäme man eine asymptotische Stabilität für G1 . Hin­ der Form −k ⋅ φ(t) gegen ist G2 (π, 0), obwohl schwer zu realisieren, instabil. Jede noch so kleine Auslen­ kung von G2 würde die Masse nicht mehr in dieselbe Lage zurückkehren lassen. Wem diese letzte Aussage etwas merkwürdig erscheint, der betrachte ein physikalisches Pendel. Es gelten dieselben Aussagen.

8.1 Stabilität bei nichtlinearen autonomen DGLen | 53

Beispiel 6. Zugrunde liegt ein nichtlineares DGL-System ẏ 1 = 0,2 ⋅ y2 + 0,2 ⋅ y21 ẏ 2 = −0,2 ⋅ y1 + 0,2 ⋅ y22 .

(8.1)

Der Faktor 0,2 ist bloß ein Zugeständnis an die numerische Simulation, damit die dis­ kret berechneten Punkte näher beieinander liegen. Die Gleichgewichtspunkte sind G1 (0, 0) und G2 (1, −1). Das linearisierte System reduziert sich zu ẏ 1 = 0,2 ⋅ y2 ẏ 2 = −0,2 ⋅ y1 mit dem einzigen GWP G1 (0, 0). Man erkennt, dass über die Linearisierung keine Aussage für G2 (1, −1) möglich sein wird. Wieder bilden wir die zweite Ableitung: ÿ 1 = 0,2 ⋅ ẏ 2 = −0,04 ⋅ y1 . Wählen wir beispielsweise y1 (0) = y2 (0) = 1, dann lauten die Lösungen y1 (t) = cos(0,2t) + sin(0,2t) y2 (t) = cos(0,2t) − sin(0,2t) . Daraus folgt y21 + y22 = 2 (Abb. 8.3). Die Lösungstrajektorie ist ein Kreis um G1 , womit G1 stabil ist. Wir fragen uns, ob G1 auch für das nichtlineare System lokal oder sogar global stabil ist. Dazu bestimmen wir die Isoklinen: y2 = −y21 und y2 = ±√y1 . Dadurch wird die Ebene in fünf Gebiete zerlegt. Startet man in B2 , so läuft die Trajektorie entlang der Kurve y2 = −√y1 weg. Be­ ginnt die Lösung in B3 , dann gelangt man zwangsweise ins Gebiet B4 , und von da aus nach B1 . Ist man in der „Anziehungsumgebung“ von G1 , dann läuft die Bahn entlang einer Spirale nach G1 . Die Trajektorie ist dann exponentiell stabil. Es kann aber auch sein, dass der Startpunkt schon zu weit weg von G1 gewählt wurde, so dass sich die Lösung von B1 aus entlang von y2 = −√y1 immer weiter entfernt. Startet man schließ­ lich in B5 , dann führt der Weg über B3 und B4 nach B1 und dasselbe kann geschehen.

Abb. 8.3: Isoklinen und Vektorfeld von (8.1)

54 | 8 Stabilitätssätze

Daraus wird ersichtlich, dass G2 auf alle Fälle instabil ist. Damit G1 stabil ist, muss der Startpunkt in der Umgebung V von G1 liegen. Wie groß diese ist, kann man nur über eine Simulation ermitteln. Beispielsweise läuft die Trajektorie für (y1 (0), y2 (0)) = (0,3, 0,3) gegen G1 , was eine lokale asymptoti­ sche Stabilität erkennen lässt. Hingegen bewegt sich die Bahn bei (y1 (0), y2 (0)) = (0,4, 0,4) weg von G1 . Dieses Beispiel deckt mehrere Dinge auf: 1. Durch die Linearisierung geht ein GWP verloren. 2. Das lineare System ergibt lokale Stabilität in G1 , wohingegen das Vektorfeld des nichtlinearen Systems sogar auf eine asymptotische Stabilität im selben Punkt schließen lässt. Es stellt sich hier sogar die Frage, ob wir überhaupt Ergebnisse vom linearen System auf das nichtlineare übertragen können. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 42.

8.2 Die Lösung einer homogenen linearen DGL über die Eigenwerte ̇ = Ay(t). Gegeben ist eine lineare homogene DGL der Form y(t) Dabei ist A eine n×n-Matrix. Ähnlich wie bei der eindimensionalen DGL ẏ = λy, y(0) = y0 mit der Lösung y(t) = y0 ⋅ e λt , setzen wir im mehrdimensionalen Fall die Lösung an als y(t) = e λt ⋅ v.⃗ Eingesetzt in die DGL erhalten wir λe λt ⋅ v⃗ = Ae λt ⋅ v⃗ = e λt ⋅ A v⃗ . 󳨐⇒

A v⃗ = λ v⃗ .

Dies bedeutet, dass λ ein Eigenwert der Matrix A sein muss. Für n = 2 gibt es drei Fälle zu unterscheiden. A besitzt a) zwei verschiedene Eigenvektoren, b) einen Eigenvektor oder c) zwei konjugiert komplexe Eigenvektoren Fall a) Beispiel: A = ( 31 24 ). Für die Eigenwerte muss die Gleichung A − Eλ = 0 betrachtet 2 werden: ( 3−λ 1 4−λ ) = 0. Dieses System ist eindeutig lösbar, wenn die Determinante

8.2 Die Lösung einer homogenen linearen DGL über die Eigenwerte |

55

Null ist: det(A − Eλ) = (3 − λ)(4 − λ) − 2 = 0 λ2 − 7λ + 10 = 0

󳨐⇒

󳨐⇒

(λ − 5)(λ − 2) = 0 .

Somit ist λ1 = 5, λ2 = 2 und die Funktionen z1 (t) = e5t , z2 (t) = e2t bilden ein Funda­ mentalsystem. Die zugehörigen Eigenvektoren sind die Spalten der Matrix gebildet aus v⃗1 = ( 11 ) 2 ). und v⃗ 2 = ( −1 Die Lösung hat vorerst die Gestalt (

y1 (t) 1 2 ) = C1 ⋅ e5t ⋅ ( ) + C2 ⋅ e2t ⋅ ( ) . 1 −1 y2 (t)

2 Wählen wir beispielsweise ( yy12 (0) (0) ) = ( 1 ), dann entsteht das System

C1 + 2C2 = 2 C1 − C2 = 1 mit den Konstanten C1 = 43 , C2 = 13 . Die Lösung des Systems ẏ 1 3 ( )=( ẏ 2 1

2 y1 )( ) y2 4

mit

(

2 y1 (0) )=( ) y2 (0) 1

lautet dann (

4 5t y1 (t) e + 2 e2t ) = ( 43 5t 31 2t ) . y2 (t) 3e − 3e

Um sicherzustellen, dass die Funktionen z1 (t) = e5t , z2 (t) = e2t linear unabhängig sind und damit ein Fundamentalsystem bilden, benutzt man die Wronski-Determi­ nante. Sie ist definiert als 󵄨󵄨 z 󵄨󵄨 1 󵄨󵄨 󵄨󵄨 ż1 󵄨 W(t) = 󵄨󵄨󵄨󵄨 . 󵄨󵄨 .. 󵄨󵄨󵄨 (n+1) 󵄨󵄨z 󵄨 1

z2 ż 2 .. . (n+1)

z2

⋅⋅⋅ ⋅⋅⋅ .. . ⋅⋅⋅

󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 . 󵄨󵄨 󵄨󵄨 (n+1) 󵄨󵄨󵄨 z n 󵄨󵄨 zn ż n .. .

Wir benötigen nur den Fall n = 2. 󵄨󵄨 󵄨z 1 W(t) = 󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨ż1

󵄨 z2 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 . ż2 󵄨󵄨󵄨

Es gilt: Zwei Lösungen der DGL sind genau dann linear unabhängig, wenn ihre Wronski-Determinante nicht Null ist.

56 | 8 Stabilitätssätze Beweis. Nehmen wir an, es sei z2 = c ⋅ z1 , dann ist auch ż2 = c ⋅ ż1 und folglich W(t) = c ⋅ ż1 z1 − c ⋅ ż1 z1 = 0. Ist andererseits W(t) = 0, dann muss z1 ż2 − ż1 z2 = 0 sein. Da z21 ≠ 0, ist das gleichbedeutend mit z1 ż2 − ż1 z2 =0, z21 was man auch als

d z2 dt ( z1 )

= 0 schreiben kann. Dies bedeutet aber

z2 z1

= c.

Im Fall von zwei verschiedenen Eigenwerten ist die Wronski-Determinante nie Null: W(t) = λ2 ⋅ e λ 1 t ⋅ e λ 2 t − λ1 ⋅ e λ 1 t ⋅ e λ 2 t = (λ2 − λ1 ) ⋅ e(λ 1+λ 2 )t ≠ 0 . Nun zur Stabilität unseres Beispiels: ẏ 1 = 3y1 + 2y2 ẏ 2 = y1 + 4y2 . Der einzige GWP ist wie immer G(0, 0). Da sich die Lösung aus zwei steigenden Expo­ nentialfunktionen zusammensetzt, läuft die Lösung für jeden Startpunkt von G weg, woraus in jedem Fall die Instabilität von G erwächst. Das zugehörige Vektorfeld untermauert dies (siehe Abb. 8.4). Die Isoklinen sind 3 1 y2 = − y1 , y2 = − y1 . (8.2) 2 4 Fall b) Beispiel: A = (

4 −1

1 ). 2

det(A − Eλ) = (4 − λ)(2 − λ) + 1 = 0 󳨐⇒

λ2 − 6λ + 9 = 0

󳨐⇒

(λ − 3)2 = 0

󳨐⇒

λ=3.

(siehe Abb. 8.4)

Daraus erhält man die Funktion z1 (t) = e3t und den zugehörigen Eigenvektor v⃗1 = 1 ). Um das Fundamentalsystem zu ergänzen, macht man den Ansatz z (t) = ( −1 2 (u⃗ + t v⃗1 )e λt mit noch unbekanntem Vektor u⃗ (vgl. wieder 2. Band). Eingesetzt in A v⃗ = λ v⃗ ergibt sich Az2 = e λt ⋅ A u⃗ + te λt ⋅ A v⃗1 = e λt ⋅ A u⃗ + tλe λt ⋅ v⃗1 . Andererseits ist auch Az2 = ż2 = e λt ⋅ v⃗1 + λ(u⃗ + t v⃗1 )e λt = e λt ⋅ v⃗1 + λe λt ⋅ u⃗ + te λt ⋅ v⃗1 . Zusammen haben wir e λt ⋅ A u⃗ + tλe λt ⋅ v⃗ 1 = e λt ⋅ v⃗ 1 + λe λt ⋅ u⃗ + te λt ⋅ v⃗1 .

8.2 Die Lösung einer homogenen linearen DGL über die Eigenwerte | 57

Abb. 8.4: Isoklinen und Vektorfeld von (8.2), (8.3) und (8.4)

Daraus wird A u⃗ = v⃗1 + λ ⋅ u⃗ und schließlich (A − λE)u⃗ = v⃗ 1 ersichtlich. Dies ermöglicht es, einen zweiten Eigenvektor zu finden. Für unser Beispiel ist (

1 −1

1 1 u1 )( ) = ( ) −1 u2 −1

u1 + u2 = 1 .

󳨐⇒

Wir nehmen z. B. u 1 = 1, u 2 = 0 und erhalten als zweiten Eigenvektor 1 1 1+t v⃗2 = u⃗ + t v⃗1 = ( ) + t ( ) = ( ) . 0 −1 −t 2 Wählen wir beispielsweise ( yy12 (0) (0) ) = ( 1 ), dann entsteht das System

C1 + C2 = 2 −C1 = 1 mit den Konstanten C1 = −1, C2 = 3. Die Lösung des Systems ẏ 1 4 ( )=( −1 ẏ 2

1 y1 )( ) 2 y2

mit

(

y1 (0) 2 )=( ) y2 (0) 1

lautet dann (

1 1+t e3t (2 + 3t) y1 (t) ) = −e3t ⋅ ( ) + 3 ⋅ e3t ⋅ ( ) . ) = ( 3t y2 (t) e (1 − 3t) −1 −t

Im Fall von einem einzigen Eigenwert lautet das allgemeine Fundamentalsystem somit z1 (t) = e λt , z2 (t) = te λt . Die Wronski-Determinante ist dabei nie Null: W(t) = e λt ⋅ (e λt + tλe λt )e λ 2 t − tλe λt e λt = e2λt + tλe2λt − tλe2λt = e2λt ≠ 0 . Die Lösung besteht wieder aus zwei steigenden Exponentialfunktionen, womit die Lö­ sung von G(0, 0) wegläuft. G ist instabil (Abb. 8.4). Das zugehörige Vektorfeld entnimmt man wieder Abb. 8.4. Die Isoklinen sind 1 y2 = −4y1 , y2 = y1 . (8.3) 2

58 | 8 Stabilitätssätze

Fall c) Beispiel: A = (

2 −1

1 ). 2

det(A − Eλ) = (2 − λ)2 + 1 = 0

󳨐⇒

λ1,2 = 2 ± i .

Daraus erhält man die Funktionen z1 (t) = e(2+i)t , z2 (t) = e(2−i)t mit den zugehörigen i ). Eigenvektoren v⃗1 = ( 1i ) , v⃗ 2 = ( −1 Die Lösung hat vorerst die Gestalt (

y1 (t) i i ) = C1 ⋅ e(2+i)t ⋅ ( ) + C2 ⋅ e(2−i)t ⋅ ( ) . 1 −1 y2 (t)

2 Wählen wir beispielsweise ( yy12 (0) (0) ) = ( 1 ), dann entsteht das System

iC1 + iC2 = 2 C1 − C2 = 1 mit den Konstanten C1 = 12 − i, C2 = − 12 − i. Die Lösung des Systems (

ẏ 1 2 )=( ẏ 2 −1

1 y1 )( ) y2 2

mit

(

y1 (0) 2 )=( ) y2 (0) 1

lautet dann (

1 1 i i y1 (t) ) = ( − i) ⋅ e(2+i)t ⋅ ( ) − ( + i) ⋅ e(2−i)t ⋅ ( ) . 2 2 1 −1 y2 (t)

Zeilenweise geschrieben ist dann 1 1 y1 (t) = ( i + 1) ⋅ e(2+i)t − ( i − 1) ⋅ e(2−i)t 2 2 1 1 2t = ( i + 1) ⋅ (e cos t + ie2t sin t) − ( i − 1) ⋅ (e2t cos t − ie2t sin t) 2 2 = 2e2t cos t − e2t sin t = e2t (2 cos t − sin t) 1 1 y2 (t) = ( − i) ⋅ e(2+i)t + ( + i) ⋅ e(2−i)t 2 2 1 1 2t = ( − i) ⋅ (e cos t + ie2t sin t) + ( + i) ⋅ (e2t cos t − ie2t sin t) 2 2 = e2t cos t + 2e2t sin t = e2t (cos t + 2 sin t) . Für das Vektorfeld erhält man wieder Ähnliches (Abb. 8.4). Die Isoklinen sind 1 y2 = −2y1 , y2 = y1 . 2

(8.4)

8.2 Die Lösung einer homogenen linearen DGL über die Eigenwerte |

59

Die Lösung besteht wieder aus zwei periodisch steigenden Exponentialfunktionen, womit die Lösung von G(0, 0) wegläuft. G ist instabil. Die Unabhängigkeit der beiden Lösungen zeigen wir für diesen Fall allgemein. Mit den beiden konjugiert komplexen Eigenwerten λ1,2 = α ± iβ sind die Lösungen gegeben durch y1 (t) = e(α+iβ)t = e αt ⋅ e iβt = e αt ⋅ [cos(βt) + i sin(βt)] y2 (t) = e(α−iβ)t = e αt ⋅ e−iβt = e αt ⋅ [cos(βt) − i sin(βt)] . Mit y1 (t) und y2 (t) sind auch Summe, Differenz und Vielfache davon Lösungen des Systems: z1 (t) =

y1 (t) + y2 (t) = e αt ⋅ cos(βt) , 2

z2 (t) = −i

(y1 (t) − y2 (t)) = e αt ⋅ sin(βt) . 2

z1 (t) und z2 (t) sind das gesuchte Fundamentalsystem. Wir zeigen, dass die WronskiDeterminante nie Null ist. W(t) = e αt cos(βt)(αe αt sin(βt) + βe αt cos(βt)) − (αe αt cos(βt) − βe αt sin(βt))e αt sin(βt) = αe2αt sin(βt) cos(βt) + βe 2αt cos2 (βt) − αe2αt sin(βt) cos(βt) + βe 2αt sin2 (βt) = βe2αt ≠ 0 . Zusammenfassung Das Fundamentalsystem besteht aus Funktionen der Form z i (t) = e λ i t ⋅ p i (t), wobei p i (t) entweder eine lineare oder trigonometrische Funktion ist. Der GWP G(0, 0) musste in allen drei Fällen zwangsweise instabil sein, waren die Eigenwerte (oder dessen Realteil) doch immer positiv. Sind die Eigenwerte Null, dann folgert man Stabilität. Letztlich verlangt asymptotische Stabilität immer negative Ei­ genwerte. Bemerkung. Im allgemeinen Fall n > 2 kann man zeigen, dass das Fundamentalsys­ tem und somit jede Lösung von ẏ = Ay eine Linearkombination von Funktionen der Form e λ i t t k , e λ i t ⋅ t k cos(βt) und e λ i t ⋅ t k sin(βt) ist. Für den Beweis müsste man die Ma­ trix A in Jordan-Normalform überführen und Einiges mehr herleiten. Wir beschränken uns auf den Fall n = 2, mehr brauchen wir nicht.

60 | 8 Stabilitätssätze

8.3 Stabilität einer linearen homogenen DGL für n = 2 Mit der Kenntnis der Lösungsform für das 2×2-System ist auch eine vollständige Klas­ sifizierung aller Phasendiagramme möglich. ̇ = Ay(t) mit y(0) = y0 . Gegeben ist die autonome DGL y(t) I) A hat zwei verschiedene, reelle Eigenwerte λ1 ≠ λ2 . Die allgemeine Lösung lautet y1 (t) = ae λ 1 t + be λ 2 t , y2 (t) = ce λ 1 t + de λ 2 t 1) λ2 = 0. Dann ist y1 (t) = ae λ 1 t + b, y2 (t) = ce λ 1 t + d. Mit der Transformation z1 = y1 − b, z2 = y2 − d erhalten wir z1 (t) = ae λ 1 t , z2 (t) = ce λ 1 t , woraus die Trajektorie y2 = ac y1 entsteht. Damit verläuft die Bahn geradlinig hin zum Ursprung oder weg von ihm. Man erhält einen Stern (Knoten 1. Art). a) λ1 < 0. Die Trajektorie entspricht einem asymptotisch stabilen Stern (Abb. 8.6, 1. Skizze). Als Beispiel sei y2 = 2y1 . Für a = b = d = 1, c = 2 und λ1 = − ln 2 ist dann z1 (t) = 2−t , z2 (t) = 21−t . Der Startpunkt liegt bei S+ (1, 2) und die Trajektorie läuft zum Ursprung. Für a = −1, b = d = 1, c = −2 und λ1 = − ln 2 bewegt sich die Bahn von S− (−1, −2) aus gegen O. b) λ1 > 0. In diesem Fall ist der Stern instabil (Abb. 8.6, 2. Skizze). 2) λ1 , λ2 < 0 (Abb. 8.6, 3. Skizze). Mit den konkreten Werten λ1 = −2, λ2 = −1 und a = b = c = d = 1 ist dann y1 (t) = ±e−2t ± e−t , y2 (t) = ±e−2t ± e−t . Es ergeben sich acht verschiedene Vorzeichenkombinationen (Abb. 8.5).

Abb. 8.5: Vorzeichenkombinationen

Die Bahn nennen wir einen asymptotisch stabilen Knoten 2. Art. Für y1 (t) = ky1 (t) entsteht ein asymptotisch stabiler Stern. 3) λ1 , λ2 > 0. Der Knoten ist instabil (Abb. 8.6, 4. Skizze). 4) λ1 < 0, λ2 > 0 (Abb. 8.6, 5. Skizze). Mit den konkreten Werten λ1 = −2, λ2 = 1 und a = b = c = d = ±1 erhält man für die Bahn mit denselben Vorzeichen­ kombinationen wie bei 2) einen instabilen Sattel.

Abb. 8.6: Phasendiagramme für zwei verschiedene reelle Eigenwerte

8.3 Stabilität einer linearen homogenen DGL für n = 2 |

61

II) A hat zwei gleiche, reelle Eigenwerte λ1 = λ2 = λ. Die allgemeine Lösung lautet y1 (t) = ae λt + bte λt , y2 (t) = be λt . 1. λ = 0. Das obige Lösungssystem reduziert sich zu y1 (t) = a + bt, y2 (t) = b. Es ergibt sich eine instabile Schar von Geraden (Abb. 8.7, 1. Skizze). 2. λ ≠ 0. Für die Trajektorie schreiben wir zuerst yb2 = e λt . Aufgelöst nach t: t = 1λ ln | yb2 |. Daraus wird y1 (t) = ba y2 (t) + ty2 (t) = ab y2 (t) + yλ2 ln | yb2 |. a) λ < 0. Zahlenbeispiel: λ = −1, a = 1, b = 1, 2, 4, 8, 16. Die Bahn ent­ spricht einem asymptotisch stabilen Knoten (3. Art – Abb. 8.7, 2. Skizze) b) λ > 0. Zahlenbeispiel: λ = 1, a = 1, b = 1, 2, 4, 8, 16. In diesem Fall ist der Knoten instabil (Abb. 8.7, 3. Skizze).

Abb. 8.7: Phasendiagramme für zwei gleiche reelle Eigenwerte

III) A hat zwei konjugiert komplexe Eigenwerte λ1 = α + iβ, λ1 = α − iβ, β ≠ 0. Die Lösungen haben dann die Gestalt y1 (t) = e αt (a cos βt + b sin βt), y2 (t) = e αt (a sin βt − b cos βt). 1. α = 0. Für die Trajektorie folgt y21 +y22 = a2 +b 2 . Dies entspricht einem stabilen Kreis mit Radius √a2 + b 2 (Abb. 8.8, 1. Skizze). 2. α ≠ 0. Die Gleichung der Bahn wird zu y21 + y22 = e2αt (a2 + b 2 ). a) α < 0. Als Kurve erhält man eine asymptotisch stabile Spirale (Abb. 8.8, 2. Skizze). Zahlenbeispiel: α = −0,1, a = 2, b = 1. b) α > 0. In diesem Fall ist die Spirale instabil (Abb. 8.8, 3. Skizze). Zahlen­ beispiel: α = 0,1, a = 2, b = 1.

Abb. 8.8: Phasendiagramme für zwei komplex konjugierte Eigenwerte

Bemerkung. Die verschiedenen Knotenarten wurden lediglich nach obiger Reihenfol­ ge nummeriert.

62 | 8 Stabilitätssätze Stabilität ist gleichbedeutend mit Re λ i ≤ 0. Für eine 2 × 2-Matrix lassen sich einfache Bedingungen dafür herleiten: A=(

a c

b ) , d

det (

a−λ c

(a − λ)(d − λ) − bc = 0 ,

b )=0. d−λ

λ2 − (a + d)λ + ad − bc = 0 ,

λ2 − Spur A ⋅ λ + det A = 0 . 󳨐⇒

λ1,2 =

Spur A ± √(Spur A)2 − 4 det A . 2

Spur A = λ1 + λ2 ,

det A = λ1 ⋅ λ2 .

Daraus ergeben sich für alle obigen Fälle Bedingungen an die Spur bzw. die Determi­ nante: I) 1. a) λ2 = 0, λ1 < 0 󳨐⇒ det A = 0, Spur A < 0 b) λ2 = 0, λ1 > 0 󳨐⇒ det A = 0, Spur A > 0 2. λ1 , λ2 < 0 󳨐⇒ Spur A < 0, det A > 0 3. λ1 , λ2 > 0 󳨐⇒ Spur A > 0, det A > 0 4. λ1 < 0, λ2 > 0 󳨐⇒ det A < 0 II) 1. 2.

λ = 0 󳨐⇒ Spur A = det A = 0 a) λ < 0 󳨐⇒ (Spur A)2 = 4 det A, Spur A < 0 b) λ > 0 󳨐⇒ (Spur A)2 = 4 det A, Spur A > 0

III) 1. 2.

α = 0 󳨐⇒ Spur A = 0 a) α < 0 󳨐⇒ (Spur A)2 < 4 det A, Spur A < 0 b) α > 0 󳨐⇒ (Spur A)2 < 4 det A, Spur A > 0

Schließlich erhalten wir die Übersicht in Abb. 8.9.

Abb. 8.9: Übersicht Phasendiagramme und Bedingungen

8.4 Die direkte Lösung einer linearen homogenen DGL

| 63

8.4 Die direkte Lösung einer linearen homogenen DGL Ausgehend von der DGL ẏ = Ay mit y(0) = y0 wollen wir zeigen, dass die Lösung nicht unbedingt über die Eigenwerte bestimmt werden muss. Dazu definieren wir die Matrix e tA := E + tA +

∞ k t t2 2 tk A + ⋅ ⋅ ⋅ + Ak + ⋅ ⋅ ⋅ = ∑ Ak . 2 k! k! k=0

Um zu zeigen, dass der Ausdruck wohldefiniert ist, müssen wir eine Matrixnorm fest­ legen. Wir zeigen, dass die Wahl der Norm beliebig ist, sofern sie die weiter unten ange­ führten Bedingungen i)–iii) erfüllt. Man sagt, dass zwei Normen | ⋅ |A und | ⋅ |B äquivalent sind, wenn es Zahlen m und M gibt, so dass m| ⋅ |A ≤ | ⋅ |B ≤ M| ⋅ |A gilt. 1 1 Umgekehrt folgt dann M | ⋅ |B ≤ | ⋅ |A ≤ m | ⋅ |B . Beweis. Wir benötigen noch die Ungleichung von Cauchy-Schwarz. Sind u = (u 1 , u 2 , . . . , u n ) und v = (v1 , v2 , . . . , v n ) ∈ ℝn zwei Vektoren, dann gilt n

n

n

i=1

i=1

i=1

∑ u i vi ≤ √ ∑ u i 2 ⋅ √∑ vi 2 . Den einfachsten Beweis erhält man über das Skalarprodukt aus der Vektorgeometrie: cos φ =

∑ni=1 u i v i √∑ni=1 u i 2 ⋅ √∑ni=1 v i 2

.

Folglich ist n

n

n

n

n

i=1

i=1

i=1

i=1

i=1

∑ u i v i = cos φ ⋅ √ ∑ u i 2 ⋅ √ ∑ v i 2 ≤ √ ∑ u i 2 ⋅ √ ∑ v i 2 . Das Gleichheitszeichen gilt nur, falls φ = 0° oder φ = 180° ist, was gleichbedeutend mit der linearen Abhängigkeit von u und v ist. Für die Äquivalenz zweier Normen genügt es zu zeigen, dass jede beliebige Norm | ⋅ |B (für Vektoren) bzw. ‖ ‖B (für Matrizen) zu irgendeiner, sagen wir der Euklidischen Norm |u|E = √∑ni=1 |u i |2 , äquivalent ist. Fasst man eine n × n-Matrix als n2 -dimensionalen Vektor auf, dann ist die zuge­ hörige Matrixnorm einfach n

n

n2

‖A‖E := √ ∑ ∑ |a ij |2 = √ ∑ |a k |2 . j=1 i=1

k=1

64 | 8 Stabilitätssätze Bezeichnen wir sodann mit e i den i-ten Einheitsvektor, dann ist u = ∑nk=1 u i e i für u ∈ ℝn . Man erhält 󵄨󵄨 n 󵄨󵄨 n 󵄨󵄨 󵄨󵄨 |u|B = 󵄨󵄨󵄨 ∑ u i e i 󵄨󵄨󵄨 ≤ ∑ |u i ||e i |B 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨k=1 󵄨B k=1 (8.5) n

n

≤ √ ∑ |u i |2 ⋅ √ ∑ |e i |2B = |u|E ⋅ M i=1

n

mit

i=1

M 2 = ∑ |e i |2B i=1

Dann gilt auch |u − v|B ≤ |u − v|E ⋅ M für u, v ∈ Mit der umgekehrten Dreiecksungleichung folgt ||u|B −|v|B | ≤ |u − v|B ≤ |u − v|E ⋅M. Das bedeutet aber, dass die Funktion | ⋅ |B : ℝn → ℝ gleichmäßig stetig (sogar Lipschitz-stetig) ist. Da die Einheitskugel K n := {u ∈ ℝn | |u|E = 1} kompakt ist (beschränkt und abgeschlossen), nimmt die Funktion |u|B dort ein Minimum an, d. h., es existiert ein ũ ∈ K n derart, dass ℝn .

m := |u|̃ B = inf |u|B . u∈K n

Nun betrachten wir u ∈ ℝn \ {0} beliebig, dann ist |u|u E ∈ K n , denn | |u|u E |E = Bezüglich der | ⋅ |B -Norm folgt dann 󵄨󵄨󵄨 u 󵄨󵄨󵄨 1 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨 |u| 󵄨󵄨󵄨 = |u| |u|B ≥ m 󳨐⇒ m ⋅ |u|E ≤ |u|B . E 󵄨 E 󵄨B

1 |u|E |u|E

= 1.

Insgesamt haben wir m ⋅ |u|E ≤ |u|B ≤ M ⋅ |u|E . Beispiel. |u|S := ∑ni=1 |u i | ist die Summennorm. Aus ∑ni=1 |u i |2 ≤ (∑ ni=1 |u i |)2 folgt durch Wurzelziehen |u|E ≤ |u|S ≤ √n ⋅ |u|E . Die rechte Ungleichung folgt aus der Ungleichung (8.5): n

n

n

i=1

i=1

i=1

|u|S ≤ √ ∑ |u i |2 ⋅ √ ∑ |e i |2S = |u|E ⋅ √ ∑ 1 = |u|E ⋅ √n Als Nächstes zeigen wir, dass durch diese Norm ein Banachraum (vollständig normier­ ter Vektorraum) definiert wird. Dafür müssen die folgenden drei Bedingungen erfüllt werden (wir lassen dabei den Index E jetzt weg und meinen die Euklidische Norm): i)

‖A‖ = 0 󳨐⇒ A = 0 ,

ii) ‖αA‖ = |α| ⋅ ‖A‖

und

iii) ‖A + B‖ ≤ ‖A‖ + ‖B‖ Beweis. n2

i)

‖A‖ = √ ∑ |a i |2 = 0 󳨐⇒ a i = 0 󳨐⇒ A = 0 i=1

8.4 Die direkte Lösung einer linearen homogenen DGL

n2

| 65

n2

ii) ‖αA‖ = √ ∑ |αa i |2 = |α| ⋅ √ ∑ |a i |2 = |α| ⋅ ‖A‖ i=1

i=1

n2

n2

iii) ‖A + B‖2 = ∑ |a i + b i |2 ≤ ∑ (|a i |2 + 2|a i ||b i | + |b i |2 ) i=1

i=1

n2

n2

n2

n2

i=1

i=1

i=1

i=1

≤ ∑ |a i |2 + 2√ ∑ |a i |2 ⋅ √ ∑ |b i |2 + ∑ |a i |2 = (‖A‖ + ‖B‖)2 . Da sowohl Matrix- als auch Vektornorm später in gemeinsamen Abschätzungen vor­ kommen, müssen sie verträglich sein, was bedeutet, dass |Au| ≤ ‖A‖⋅|u| für alle u ∈ ℝn gilt. n

n

n

n

|Au|2 ≤ ∑ ∑ |a ij |2 |u i |2 ≤ ∑ ∑ |a ij |2 |u|2 = ‖A‖2 |u|2 . j=1 i=1

j=1 i=1

Im Folgenden schreiben wir deswegen nur noch einen Betragsstrich. Nun kehren wir endlich zur Wohldefiniertheit der Matrix e tA zurück. Es ist 󵄨󵄨 ∞ 󵄨 ∞ k ∞ k 󵄨󵄨 (tA)k 󵄨󵄨󵄨󵄨 ∞ 1 t t |e tA | = 󵄨󵄨󵄨 ∑ 󵄨󵄨 ≤ ∑ |(tA)k | = ∑ |A k | ≤ ∑ |A|k 󵄨󵄨 󵄨󵄨 k! k! k! k! k=0 k=0 󵄨k=0 󵄨 k=0 ∞ k ∞ t (tn2 M 2 )k 2 2 ≤ ∑ (n2 M 2 )k = ∑ = e n M ⋅t mit M := max{|a ij |} . k! k! k=0 k=0 Mit Hilfe des Majorantenkriteriums folgt, dass e tA konvergiert und somit wohldefiniert ist. k Für den Konvergenzradius r := | aak+1 | von e tA gilt 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 (tA)k (k + 1)! 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨󵄨 k + 1 󵄨󵄨󵄨󵄨 k + 1 󵄨󵄨 = 󵄨 ⋅ →∞. r = 󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨= t|A| 󵄨󵄨 k! (tA)k+1 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 tA 󵄨󵄨󵄨 Somit darf man sorglos die Reihe gliedweise ableiten: ∞ ∞ ∞ d tA 1 d Ak d k Ak d ∞ (tA)k (e ) = (∑ )= ∑ ⋅ ((tA)k ) = ∑ ⋅ (t ) = ∑ ⋅ k ⋅ t k−1 dt dt k=0 k! k! dt k! dt k! k=0 k=0 k=0 ∞

∞ A k−1 (tA)l ⋅ t k−1 = A ⋅ ∑ = A ⋅ e tA (k − 1)! l! k=1 l=0

=A⋅ ∑

Damit haben wir die (direkte) Lösung des Problems ẏ = Ay mit y(0) = y0 gefunden. Sie lautet y(t) = e tA ⋅ y0 . Die Eindeutigkeit kann man so einsehen: Sei z(t) eine andere Lösung von ẏ = Ay mit y(0) = y0 . Wir betrachten die Funktion e−tA ⋅ z(t) und bilden die erste Ableitung: d −tA ̇ = −e−tA ⋅ Az(t) + e−tA ⋅ Az(t) = 0 . (e ⋅ z(t)) = −Ae−tA ⋅ z(t) + e−tA ⋅ z(t) dt Da demnach e−tA ⋅ z(t) = konst. = k, folgt z(t) = k ⋅ e tA . Dies gilt insbesondere auch für t = 0: y0 = z(0) = k ⋅ e0⋅A = k. Somit ist z(t) = y(t).

66 | 8 Stabilitätssätze ẏ 1 3 Beispiel. ( ) = ( 1 ẏ 2

2 y1 y1 (0) 2 ) ( ) mit ( ) = ( ) (siehe 7.2, Fall a). 4 y2 (0) y2 1

Wir wollen die bekannte Lösung (

4 5t e + 2 e2t y1 (t) ) = ( 34 5t 31 2t ) y2 (t) 3e − 3e

mit derjenigen vergleichen, die man mit der eben hergeleiteten direkten Lösung er­ zielt. (

∞ (tA)k y1 (t) ⋅ y0 ) = e tA ⋅ y0 = ∑ k! y2 (t) k=0

1 =( 0

0 2 3 )( )+ t( 1 1 1

+

t4 219 ( 24 203

+

t6 5251 ( 720 5187

t2 11 2 2 )( )+ ( 2 7 4 1

t5 1063 406 2 )( ) + ( 120 1031 422 1

t3 47 14 2 )( )+ ( 6 39 18 1

78 2 )( ) 80 1

2062 2 )( ) 2094 1

10.374 2 )( ) + ⋅⋅⋅ 10.438 1

t3 172 t4 844 t5 4188 t2 36 2 8 )+ ( )+ ( ) = ( )+ t( )+ ( )+ ( 2 32 6 158 24 828 120 4156 1 6 +

t6 20.876 ( ) + ⋅⋅⋅ 720 20.812

2 + 8t + 18t2 + =( 1 + 6t + 16t2 +

86 3 3 t

+

211 4 6 t

79 3 3 t

+

69 4 2 t

+

+

349 5 10 t

+

5219 6 180 t

+ ⋅⋅⋅

1039 5 30 t

+

5203 6 180 t

+ ⋅⋅⋅

)→(

4 5t 3e

+ 23 e2t

4 5t 3e

− 13 e2t

) .

Im konkreten Fall kommt man mit einem Ansatz wohl schneller zum Ziel als mit der direkten Lösung.

8.5 Stabilität von nichtlinearen und linearisierten DGLen Es erscheint sinnvoll, die bisherigen und die bevorstehenden Typen von DGLen ein­ ander gegenüberzustellen, um Verwirrungen zu vermeiden. Es bezeichnen ̇ = Ay eine lineare homogene DGL, I. y(t) ̇ II. y(t) = Ay + b(y) eine lineare inhomogene DGL, ̇ = f(y) eine nichtlineare DGL und III. y(t) ̇ = f(y) + Jf(y) ⋅ f(y − y) + g(y) die Linearisierung von III. um einen Punkt y des IV. y(t) Definitionsbereichs von f . Die Gestalt der Matrix Jf klären wir später.

8.5 Stabilität von nichtlinearen und linearisierten DGLen | 67

̇ = f(y(t)) mit y(0) = y0 . Gegeben ist eine nichtlineare DGL y(t) Ziel ist es, die Stabilitätseigenschaften des bekannten linearen Systems auf das nichtlineare zu übertragen. Für eine allgemeine Aussage benötigen wir dazu zwei Vor­ bereitungen und den Stabilitätssatz. Vorbereitung 1: Die formale Lösung der inhomogenen DGL ̇ = Ay(t) + g(y) für t ∈ [t0 , a] mit y(t0 ) = y0 . Ausgangspunkt ist die DGL y(t) ̇ = Die Funktion g(y) heißt auch Störfunktion, weil sie das homogene System y(t) Ay(t) stört. Die (formale) Lösung lautet t

y(t) = e(t−t 0)A y0 + ∫ e(t−τ)A g(y(τ)) dτ . t0

Es soll gezeigt werden, dass die formale Lösung die obige DGL erfüllt. Beweis. Die Anfangsbedingung ist erfüllt: t0

y(t0 ) = e

0⋅A

y0 + ∫ e(t−τ)A g(y(τ)) dτ = 1 ⋅ y0 + 0 = y0 . t0

Wir schreiben noch t

y(t) = e

(t−t 0 )A

t tA −τA

y0 + ∫ e e

g(y(τ)) dτ = e

tA

(e

−t 0 A

t0

y0 + ∫ e−τA g(y(τ)) dτ) , t0

bevor wir die Lösung an der DGL prüfen: t

̇ = y(t)

d tA (e ) ⋅ (e−t 0 A y0 + ∫ e−τA g(y(τ)) dτ) dt t0

t

+e

tA

d ⋅ (e−t 0 A y0 + ∫ e−τA g(y(τ)) dτ) dt t0

t

= Ae tA ⋅ (e−t 0 A y0 + ∫ e−τA g(y(τ)) dτ) + e tA ⋅ e−tA g(y(t)) t0 t

= A ⋅ (e(t−t 0)A y0 + ∫ e(t−τ)A g(y(τ)) dτ) + g(y(t)) = Ay(t) + g(y(t)) . t0

Wir nennen die Lösung deshalb formal, weil die Lösung y(t) selber im Integranden erscheint. Für eine praktische Berechnung von y(t) ist sie unbrauchbar. Sie dient nur Beweiszwecken.

68 | 8 Stabilitätssätze

Vorbereitung 2: Die Abschätzung von Gronwall Sei g(t) eine in einer ε-Umgebung von t0 stetige Funktion: |t − t0 | ≤ ε. t Besitzt g(t) die Abschätzung g(t) ≤ a + b ∫t g(τ) dτ mit a ≥ 0, b > 0, so gilt 0

g(t) ≤ a ⋅ e b(t−t 0) .

Beweis. Wir betrachten die Funktion t

h(t) := e−bt ∫ g(τ) dτ t0

̇ = −b ⋅ h(t) + e −bt g(t). Aus der Definition von h(t) folgt und leiten nach der Zeit ab: h(t) t bt ∫t g(τ) dτ = e h(t). Damit erhalten wir 0

t

e−bt g(t) ≤ e−bt (a + b ∫ g(τ) dτ) = a ⋅ e−bt + b ⋅ h(t) . t0

Deswegen ist ̇ = −b ⋅ h(t) + e−bt g(t) ≤ −b ⋅ h(t) + ae−bt + b ⋅ h(t) = ae−bt . h(t) Integriert von t0 bis t und unter Beachtung von h(t0 ) = 0 entsteht h(t) = ab (e−bt 0 −e−bt ). Schließlich folgt t

g(t) ≤ a + b ∫ g(τ) dτ ≤ a + b ⋅ e bt h(t) ≤ a + b ⋅ e bt ⋅ t0

a −bt 0 − e−bt ) (e b

≤ a + a ⋅ e b(t−t 0) − a = a ⋅ e b(t−t 0) . ̇ Für den folgenden Satz betrachten wir die DGL y(t) = f(y(t)) und nehmen o. B. d. A. an, dass y = 0 ein GWP ist. Andernfalls wäre y∞ ≠ 0 ein GWP und f(y∞ ) = 0. In ̇ diesem Fall würden wir die DGL z(t) = f(z(t)) mit z(t) = y(t) + y∞ für den Beweis verwenden und f hätte dann y = 0 als GWP, da f(y∞ ) = 0. Die Lösungskurve z(t) wäre gegenüber y(t) lediglich im Koordinatensystem um y∞ verschoben, die Form bliebe aber bestehen. Der Stabilitätssatz für eine inhomogene DGL. Gegeben ist die DGL ̇ = f(y(t)) = Ay(t) + g(y) y(t)

mit

y(0) = y0 .

Weiter gelte: i) g(y) ist für |y| ≤ α (kompakte Kugel) definiert und stetig für t ≥ 0, ii) lim|y|→0

|g(y)| |y|

= 0 gleichmäßig für 0 ≤ t < ∞ und

iii) Re λ i < 0 für alle Eigenwerte λ i von A.

8.5 Stabilität von nichtlinearen und linearisierten DGLen | 69

Behauptung: Die Nulllösung y = 0 ist lokal asymptotisch stabil, wenn o. B. d. A. der Null­ punkt GWP ist. Beweis. Da Re λ i < 0, findet man eine Zahl β, so dass Re λ i < −β mit β > 0. Wir wissen, dass die Lösung des linearen Systems ẏ = Ay mit y(0) = y0 über die Eigenwerte geschrieben werden kann als y(t) = e λt ⋅ p(t), wobei p(t) = ( pp12 (t) (t) ) und jedes p i (t) vom Grad ≤ n ist (Dies gilt auch für n > 2, bewiesen haben wir es aber nur für n = 2). Somit lässt sich p i (t) durch eine Exponentialfunktion abschätzen. Schreiben wir dazu −β − Re λ = ε > 0, dann gilt |p i (t)| ≤ c i ⋅ e εt . Folglich ist |e λt ⋅ p(t)| ≤ |c i ⋅ e λt ⋅ e εt | = c i |e(λ+ε)t | ≤ c i ⋅ e(Re λ+ε)t = c i ⋅ e−βt . Da dies für beide Komponenten richtig ist, folgt |e tA ⋅ y0 | ≤ |y0 | ⋅ |c1 ⋅ e λ 1 t ⋅ p i (t) + c2 ⋅ e λ 2 t ⋅ p2 (t)| (Beim Beweis für n > 2 weitere Terme addieren) ≤ |y0 | ⋅ (c1 ⋅ e−βt + c2 ⋅ e−βt ) ≤ |y0 | ⋅ (c1 + c1 )e−βt = |y0 | ⋅ c ⋅ e−βt . Wir haben ebenfalls o. b. d. A. t0 = 0 angenommen. Ansonsten erhält man eine ähnli­ che Abschätzung: |e(t−t 0)A | = |e tA ||e−t 0 A | ≤ c ⋅ e−βt ⋅ |e−t 0 A | = d ⋅ e−βt . Aus der Bedingung ii) folgt wegen der Konvergenz lim

|y|→0

|g(y)| =0, |y| β

dass sich ein δ > 0 finden lässt, so dass für |y| < δ, t ≥ 0 und damit |g(y)| ≤ 2c ⋅ |y| gilt. (Hier muss die Abschätzung genügend klein sein, der Faktor 12 ist wichtig.) ̇ = Ay(t) + g(y) mit y(0) = y0 lautet nach Vorbereitung 1 somit Die Lösung von y(t) t

y(t) = e

(t−t 0)A

y0 + ∫ e(t−τ)A g(y(τ)) dτ . t0

Diesen Ausdruck schätzen wir ab: |y(t)| = |e

(t−t 0 )A

󵄨󵄨 t 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 (t−τ)A 󵄨 y0 | + 󵄨󵄨󵄨∫ e g(y(τ)) dτ󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨t 0 󵄨󵄨 t

󳨐⇒

|y(t)| = |y0 | ⋅ c ⋅ e

−β(t−t 0)

+ ∫ |e(t−τ)A | ⋅ |g(y(τ))| dτ t0 t

≤ |y0 | ⋅ c ⋅ e−β(t−t 0) + ∫ c ⋅ e−β(t−τ) ⋅ t0

β ⋅ |y(τ)| dτ 2c

70 | 8 Stabilitätssätze Die Multiplikation mit e βt liefert t

e βt ⋅ |y(t)| ≤ |y0 | ⋅ c ⋅ e βt 0 +

β ∫ e βτ ⋅ |y(τ)| dτ . 2 t0

Die Funktion e βt ⋅ |y(t)| erfüllt die Voraussetzung der Abschätzung von Gronwall (Vor­ bereitung 2) mit a = |y0 | ⋅ c ⋅ e βt 0 und b = 2β , woraus wir folgern können, dass β

β

β

β

e βt ⋅ |y(t)| ≤ |y0 | ⋅ c ⋅ e βt 0 ⋅ e 2 (t−t 0) = |y0 | ⋅ c ⋅ e 2 t 0 ⋅ e 2 t = |y0 | ⋅ C ⋅ e 2 t . Die Division durch e βt liefert das gewünschte Ergebnis: β

|y(t)| ≤ |y0 | ⋅ C ⋅ e− 2 t . Wählt man also zur ε-Umgebung, |y0 | ≤ ε die δ-Umgebung folgendermaßen: δ(ε) = β ε ⋅ C ⋅ e− 2 t 0 , dann ist |y(t)| ≤ δ. Die gesamte Trajektorie verbleibt somit in der δ-Umgebung um den Nullpunkt beim Start in der ε-Umgebung vom Nullpunkt. Das garantiert die Stabilität. Aus der letz­ ten Ungleichung erhalten wir sogar eine asymptotische (exponentielle) Stabilität der Nulllösung (o. b. d. A. war der Nullpunkt unser GWP). ̇ = f(y(t)) eine nichtlineare DGL und f ste­ Folgerung (Linearisierte Stabilität). Sei y(t) tig differenzierbar (wir werden sehen, dass damit genau die Bedingungen i) und ii) des vorigen Satzes erfüllt sind). Weiter ist y∞ ein GWP von f . Wir linearisieren um y∞ und erhalten ̇ = f(y(t)) = Jf(y∞ )(y − y∞ ) + g(y − y∞ ) , y(t) Dabei heisst

∂f 1 ∂y1 ∂f 2 ∂y1

Jf = ( . ..

∂f n

( ∂y1

wobei

∂f 1 ∂y2 ∂f 2 ∂y2

⋅⋅⋅

.. .

..

∂f n ∂y2

⋅⋅⋅

⋅⋅⋅ .

∂f 1 ∂y n ∂f 2 ∂y n

.. .

g(y − y∞ ) = O(|y − y∞ |) .

)

∂f n ∂y n )

die Jacobi-Matrix. Schreiben wir die Gleichung als g(y − y∞ ) = f(y) − Jf(y∞ )(y − y∞ ), so ist Voraus­ setzung i) des eben bewiesenen Satzes erfüllt, weil f stetig differenzierbar ist. Um der Bedingung ii) zu genügen, bestimmen wir g(y − y∞ ) f(y) − Jf(y∞ )(y − y∞ ) f(y) − f(y∞ ) = = − Jf(y∞ ) y − y∞ y − y∞ y − y∞ und bilden lim

y→y∞

|g(y − y∞ )| f(y) − f(y∞ ) = lim | − Jf(y∞ )| = 0 , y→y∞ |y − y∞ | y − y∞

weil wiederum f stetig differenzierbar ist.

8.5 Stabilität von nichtlinearen und linearisierten DGLen | 71

Sofern noch Re λ i < 0 für die Jacobi-Matrix Jf(y∞ ) gilt, folgt, dass die Nulllösung ̇ = f(y(t)) lokal asymptotisch stabil ist. der nichtlinearen DGL y(t) Im Fall n = 1 fällt die Jacobimatrix mit der ersten Ableitung und dem Eigenwert ∂f zusammen: Jf(y∞ ) = ∂y (y∞ ) = λ. Damit können wir unsere Ergebnisse zusammenfassen. 1. Stabilitätssatz, n = 1 (Linearisierte Stabilität). Gegeben ist die nichtlineare DGL ̇ = f(y(t)) mit GWP y∞ . y(t) ∂f Dann ist y∞ lokal asymptotisch stabil, wenn ∂y (y∞ ) < 0 ist. Speziell für n = 2 haben wir die Stabilität über die Determinante und die Spur von Jf(y∞ ) bestimmt. 2. Stabilitätssatz, n = 2 (Linearisierte Stabilität). Gegeben ist die nichtlineare DGL ̇ = f(y(t)) mit GWP y∞ . A := Jf(y∞ ) ist die Jacobimatrix. y(t) y∞ ist lokal asymptotisch stabil, wenn beide Eigenwerte strikt negativen Realteil be­ sitzen. Das ist gleichbedeutend damit, dass det A > 0, Spur A < 0 ist. y∞ ist instabil, wenn mindestens ein Realteil positiv ist (ohne Beweis). Im Falle, dass Re λ i ≤ 0 und mindestens ein Eigenwert Null ist, kann keine Aussage gemacht werden. Bemerkung. Man kann nicht genug betonen, dass die asymptotische Stabilität eines Gleichgewichtspunkts für eine nichtlineare DGL nur lokal gilt. Wie groß die Umge­ bung ist, weiß man vorerst nicht. ẏ 1 y2 − y21 f1 (y1 , y2 ) Beispiel 1. ( ) = ( )=( ). G1 (0, 0), G2 (1, 1) f2 (y1 , y2 ) ẏ 2 y1 − y22 ∂f 1 1 ( ∂y ∂f 2

∂y1

−2y1 ( 1

󵄨 1 󵄨󵄨󵄨 )󵄨󵄨󵄨 −2y2 󵄨󵄨y

∂f 1 ∂y2 ∂f 2 ) ∂y2

1 =0,y 2 =0

−2y1 =( 1 0 =( 1

1 ) 0

1 ) −2y2 󳨐⇒

Spur = 0 ,

det = −1 < 0

Der Stabilitätssatz kann nicht angewendet werden. Für G1 (0, 0) ist mit unseren bishe­ rigen Mitteln keine Aussage möglich. −2y1 ( 1

󵄨 1 󵄨󵄨󵄨 )󵄨󵄨󵄨 −2y2 󵄨󵄨y

1 =1,y 2 =1

−2 =( 1

G2 (1, 1) ist lokal asymptotisch stabil.

1 ) −2

󳨐⇒

Spur = −4 < 0 , det = 3 > 0

72 | 8 Stabilitätssätze

Beispiel 2. (

ẏ 1 y1 [α − βy2 ] f1 (y1 , y2 ) )=( )=( ) . (Lotka-Volterra-Modell 1) y2 [γy1 − δ] f2 (y1 , y2 ) ẏ 2

∞ = ( Jf | y1 =y∞ 1 ,y 2 =y 2

󵄨 −βy1 󵄨󵄨󵄨 )󵄨󵄨󵄨 γy1 − δ 󵄨󵄨y

α − βy2 γy2

− βδ γ ) 0

0 = ( αγ β

󳨐⇒

δ 1= γ

,y2 = αβ

Spur J = 0 ,

det J = αδ > 0

Der Stabilitätssatz ist nicht anwendbar. Als Zusatz können wir über die Eigenwerte die Trajektorie in einer Umgebung um den GWP angeben und diese vergleichen mit der linearisierten Lösung aus Kapitel 7.3. λ2 + αδ = 0

󳨐⇒

λ1,2 = ±i√αδ .

Daraus folgt y1 (t) = A1 cos(√αδ ⋅ t) + B1 sin(√ αδ ⋅ t) y2 (t) = A2 cos(√αδ ⋅ t) + B2 sin(√ αδ ⋅ t) (in Übereinstimmung mit der Lösung in Kapitel 7.3.). ẏ 1 y1 [α(K − y1 ) − βy2 ] f1 (y1 , y2 ) Beispiel 3. ( ) = ( )=( ) (Lotka-Volterra-Modell 2) y2 [γy1 − δ] f2 (y1 , y2 ) ẏ 2 ∞ Jf(y∞ 1 , y2 ) = (

=( 󳨐⇒

Spur J = −

󵄨 −βy1 󵄨󵄨󵄨 )󵄨󵄨󵄨 γy1 − δ 󵄨󵄨y

αK − 2αy1 − βy2 γy2 αγ αδ γ − β (K αγ δ β (K − γ )

αK − 2 ⋅

αδ 0, γ

αγ β

− αδ γ (K − δγ )

− βδ γ ) 0

da γK > δ

∞ Wir können schließen, dass G(y∞ 1 , y 2 ) lokal asymptotisch stabil ist. Auch hier liefert der Vergleich mit der linearisierten Lösung dasselbe wie in Kapi­ tel 7.3. Man erhält dieselbe charakteristische Gleichung

λ2 + aλ + b = 0

a=

αδ , γ

b=

αδ (γK − δ) . γ

Da γK − δ > 0, sind a, b > 0 und somit λ1,2 =

−a ± √a2 − 4b 0 für eine ε-Umgebung der Null, aber ohne Null: 0 < |y| < ε und ̇ iii) V(y) ≤ 0 für dieselbe Umgebung: |y| < ε gilt. ̇ Bemerkungen. Ist V(y) < 0 für |y| < ε, dann nennt man die Funktion streng, sonst schwach. Eine solche Funktion besitzt also die Nulllösung als Lösung. Weiter nimmt sie auf dem Rand eines kompakten Kreisrings (zweidimensional) oder einer kompak­ ten Hohlkugel (dreidimensional) jeweils um den Ursprung positive Werte an. Die Richtungsableitung auf besagtem Rand zeigt nach „unten“ oder ist waagrecht. Man könnte auch eine globale Lyapunov-Funktion auf ganz ℝn definieren. Dazu müsste man den Zusatz 0 < |y| < ε weglassen. ̇ Es muss noch geklärt werden, was V(y) bedeuten soll: ̇ V(y) = ∇V(y) ∘ ẏ = ∇V(y) ∘ f(y) , wobei ∂V ∂y1

. ∇V = ( .. ) ∂V ∂y n

den Gradienten bezeichnet. Die Operation mit dem Kringel steht für das Skalarpro­ dukt. Setzt man für y eine Lösung von ẏ = f(y(t)) ein, sagen wir z(t), dann hat man ̇ V(z(t)) = ∇V(z(t))∘ f(z(t)). Dies bedeutet, dass nur das Vektorfeld der Lösung bekannt sein muss, um die Ableitung von V(y) nach der Zeit zu bestimmen. Der Grund dafür liegt in der Gleichheit von ẏ und f(y(t)). Beispiel 1a. Wir zeigen, dass man im Fall einer eindimensionalen DGL der Form ÿ = f(y(t)) immer eine Lyapunov-Funktion angeben kann. Setzen wir y1 = y, y2 = y,̇ dann folgt ẏ 1 = y2 , ÿ 1 = f(y1 ). Damit erhält man (

y2 ẏ 1 )=( ) := h(y1 , y2 ) . ẏ 2 f(y1 )

74 | 8 Stabilitätssätze ̇ 1 , y2 ) = ∇V(y1 , y2 ) ∘ g(y1 , y2 ) ≤ 0 oder Für eine Lyapunov-Funktion V muss V(y ∂V 1 ( ∂y )∘( ∂V

∂y2 ∂V sein. Setzen wir ∂y = −f(y1 ) und 1 dukts. Somit wird durch

∂V ∂y2

y2 )≤0 f(y1 )

= y2 , dann folgt die Gleichheit des Skalarpro­

V(y1 , y2 ) =

1 2 y − ∫ f(y1 ) dy1 2 2

eine Lyapunov-Funktion definiert. Beispiel 1b. Ein konkretes Beispiel zum vorigen stellt das Fadenpendel dar. Es ist ẏ 1 y2 ( )=( g ) := h(y1 , y2 ) , ẏ 2 − l sin y1

̇ . mit y1 (t) = φ(t) und y2 (t) = φ(t)

Die Lyapunov-Funktion lautet y1

V(y1 , y2 ) =

1 2 1 g y + ∫ sin γ1 dγ1 = y22 + (1 − cos y1 ) . 2 2 2 l 0

Der erste Term beschreibt bis auf den Faktor m die kinetische Energie, wogegen der zweite Term bis auf den Faktor ml2 die potenzielle Energie darstellt. Wir testen, ob diese Funktion eine Lyapunov-Funktion ist: i) V(0, 0) = 0 ist erfüllt, ii) V(y1 , y2 ) > 0 für 0 < |y| < π und ̇ 1 , y2 ) = 0 gilt nach Konstruktion. iii) V(y Somit ist V(y1 , y2 ) eine schwache Lyapunov-Funktion und G(0, 0) stabil. Dies ist der gesuchte analytische Beweis für dieses Beispiel. Bemerkung. Die Linearisierung führt auf 0 Jf(y1, y2) = ( g − l cos y1

1 ) . 0

Weiter ist 0 Jf(0, 0) = ( g −l

1 ) 0

󳨐⇒

det Jf = 0 ,

was keine Anwendung des Stabilitätssatzes erlaubt. Beispiel 2. (

ẏ 1 y2 )=( ). ẏ 2 −y2 − y31

G(0, 0) ist einziger GWP. Die Linearisierung liefert Jf(y1, y2) = (

0 −3y21

1 ) , −1

0 Jf(0, 0) = ( 0

1 ) , −1

det Jf = 0 .

8.6 Stabilität mittels Lyapunov-Funktionen |

75

Der Stabilitätssatz kann nicht angewendet werden. Deswegen suchen wir eine Lyapu­ nov-Funktion, um die Stabilität in G zu untersuchen. 1. Versuch. V(y1 , y2 ) = ay21 + by22 . Die Bedingungen i) und ii) sind erfüllt. ̇ 1 , y2 ) = (2ay1 ) ∘ ( y2 ) V(y 2by2 −y2 − y31 = 2ay1 y2 + 2by2 (−y2 − y31 ) = 2ay1 y2 − 2by31 y2 − 2by22 Der letzte Term ist negativ, aber die ersten beiden Terme verschwinden nur für a = b = 0. 2. Versuch. V(y1 , y2 ) = ay21 + by41 + cy22 + dy42 . 3 ̇ 1 , y2 ) = (2ay1 + 4by1 ) ∘ ( y2 ) V(y 3 2cy2 + 4dy2 −y2 − y31

= 2ay1 y2 + 4by31 y2 − 2cy22 − 2cy31 y2 − 4dy42 − 4dy31 y32 ̇ 1 , y2 ) = Man erkennt, dass man sogar a = d = 0 wählen kann. Übrig bleibt V(y 2(2b − c)y31 y2 − 2cy22 . Mit beispielsweise b = 1, c = 2 erhält man die starke Lya­ ̇ 1 , y2 ) = −2cy2 < 0. punov-Funktion V(y1 , y2 ) = y41 + 2y22 mit V(y 2 Somit ist G(0, 0) asymptotisch stabil. ẏ 1 −y1 + y21 Beispiel 3. ( ) = ( ). ẏ 2 −y2 − y1 y2 G(0, 0) ist einziger GWP. Die Linearisierung liefert −1 + 2y1 Jf(y1, y2) = ( −y2

0 ) , −1 − y1

−1 Jf(0, 0) = ( 0

0 ) . −1

det Jf = 1 > 0, Spur = −2 < 0. Hier liefert der Stabilitätssatz eine lokale asymptotische Stabilität. Wie groß ist aber die Umgebung? Dazu suchen wir eine Lyapunov-Funktion. Versuch. V(y1 , y2 ) = ay21 + by22 . 2 ̇ 1 , y2 ) = (2ay1 ) ∘ ( −y1 + y1 ) = −2ay2 + 2ay3 − 2by2 − 2by1 y2 V(y 1 2 2 1 2by2 −y2 − y1 y2

Den zweiten und vierten Term bekommt man nur mit a = b = 0 weg. Eine globale Stabilität können wir nicht zeigen, aber zumindest eine lokale. ̇ 1 , y2 ) = −2ay2 (1 − y1 ) − 2by2 (1 + y1 ), dann ist V(y ̇ 1 , y2 ) < 0, Schreiben wir V(y 1 2 falls gleichzeitig 1 − y1 > 0 und 1 + y1 > 0 gilt. Dies ist im Streifen |y1 | < 1 (die ε-Umgebung der Null) der Fall. Somit können wir zumindest folgern, dass G(0, 0) für |y1 | < 1 lokal asymptotisch stabil ist. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 44.

76 | 8 Stabilitätssätze

Nun soll folgender Satz bewiesen werden: Zweiter Stabilitätssatz. Gegeben ist die autonome DGL ẏ = f(y(t)) mit y = 0 als Lösung (o. B. d. A.). A) Existiert für obige DGL eine schwache Lyapunov-Funktion, dann ist die Nulllö­ sung stabil. B) Existiert für die DGL eine starke Lyapunov-Funktion, dann ist die Nulllösung asymptotisch stabil. Beweis zu A). Wir müssen zeigen, dass es zu jedem ε ein δ(ε) gibt, so dass jede Lö­ sung, die in der δ-Umgebung startet, die ε-Umgebung nicht mehr verlässt. Wir nehmen dazu eine kompakte ε-Kugel um den Ursprung K ε (0) (Abb. 8.10). Mit m bezeichnen wir das Minimum von V(y) auf dem Rand der Kugel, also m := min{V(y) | |y| = ε}. (Folglich ist V(y) ≥ m auf dem Rand). Weil V(y) > 0 für alle y ≠ 0, muss auch m > 0 sein.

Abb. 8.10: Skizze zu Beweis A)

Wegen der Stetigkeit von V(y) muss es ein δ(ε) < ε geben, so dass alle Werte V(y) in der δ-Kugel kleiner als m sind. Wir können das δ so klein wählen, bis V(y) ≤ m 2 erreicht wird. Zusammen also: 0 ≤ V(y) ≤

m 2

für alle

y ∈ K δ (0) ⊆ K ε (0) .

Nun sei y0 ∈ K δ (0) ein beliebiger Startpunkt und z(t) die Lösung von ẏ = f(y) mit y(0) = y0 . Zu zeigen bleibt, dass mit |z(0)| < δ die gesamte Lösung z(t) in der ε-Kugel verbleibt. Nehmen wir das Gegenteil an. Dann gibt es eine Zeit t+ , so dass |z(t)| < ε für 0 < t < t+ < ∞ und |z(t+ )| = ε. Somit wäre t+ der kleinste Zeitpunkt, an dem der Rand erreicht wrd. (Folglich ist auch V(z(t+ )) ≥ m auf dem Rand). Nun kommt die Eigenschaft iii) einer Lyapunov-Funktion zum Zug: Es gibt zwei ̇ Wege, um den Schluss zu vollziehen: Da V(y) ≤ 0 für alle y ≠ 0 folgt, dass V(z(t+ )) ≤ V(z(0))

(1. Variante) 󳨐⇒ ein Widerspruch.

m ≤ V(z(t+ )) ≤ V(z(0)) ≤

m , 2

8.6 Stabilität mittels Lyapunov-Funktionen |

77

t

̇ dτ ≤ 0 ∫ V(z(τ))

(2. Variante)

0 t

̇ dτ = V(z(t)) − V(z(0)) ∫ V(z(τ)) 0

Insbesondere gilt die Gleichung für t = t+ , was zu V(z(t+ )) ≤ V(z(0)) und damit zum selben Widerspruch führt. Beweis zu B). Wieder wählen wir eine kompakte ε-Kugel um den Nullpunkt: K ε (0). Wir zeigen, dass jede Lösung z(t), die in der δ-Kugel um den Nullpunkt startet, nicht nur in K ε (0) verbleibt, sondern sogar gegen Null konvergiert: lim t→∞ z(t) = 0. Da V(y) streng monoton fällt und nach unten beschränkt ist, existiert der Grenz­ wert V∞ := limt→∞ V(y(t)). Mit V(y) > 0 für y ≠ 0 ist auch V∞ ≥ 0. Wir zeigen, dass V∞ = 0 ist. Angenommen, es wäre V∞ > 0. Da V(y(t)) monoton fällt, ist V(y(t)) ≥ V∞ > 0 für t ≥ 0. Aufgrund der Stetigkeit von V(y) findet sich ein δ(ε) < ε mit 0 ≤ V(y) < V∞ für alle y ∈ K δ (0) ⊆ K ε (0) (dies ist derselbe Beweisschritt wie im Beweis A). Sei y0 ∈ K δ (0) ein beliebiger Startpunkt und z(t) die Lösung von ẏ = f(y) mit y(0) = y0 . Dann verläuft die gesamte Lösung z(t) in der Kugelschicht Ks := K ε (0) \ K δ (0) für t ≥ 0. Bei Ks handelt es sich um eine kompakte Menge (abgeschlossen und beschränkt). Da weiter V̇ stetig ist (V ist stetig differenzierbar), existiert das Maximum ̇ M := max{ V(y) | y ∈ Ks }. ̇ ̇ Mit V(y) < 0 für y ≠ 0 ist auch M < 0 und V(z(t)) ≤ M < 0 für t ≥ 0. Wie im Beweis A) integrieren wir: t

t

̇ ∫ V(z(τ)) dτ ≤ ∫ M dτ = Mt . 0

󳨐⇒

0

V(z(t)) − V(z(0)) = Mt

󳨐⇒

V(z(t)) ≤ V(z(0)) + Mt

für

t≥0.

Also ist lim t→∞ V(z(t)) = −∞, ein Widerspruch zur Voraussetzung, dass V(z(t)) ≥ 0. Somit muss V∞ = limt→∞ V(z(t)) = 0 sein. Aufgrund der Stetigkeit von V(y) ist zwangsweise limt→∞ z(t) = 0. Ansonsten existierte eine Teilfolge t k , für die z(t k ) ge­ gen einen anderen Grenzwert ỹ ≠ 0 konvergiert. Das kann aber nicht sein, denn wegen der Stetigkeit von V(y) hat man dann limt→∞ V(z(t)) = V∞ = 0 und limt→∞ V(z(t k )) = ̃ Nach Voraussetzung ist dann V(y)̃ > 0. Da es nur einen Grenzwert gibt, wäre V(y). 0 = V∞ = V(y)̃ > 0 mit dem Widerspruch 0 > 0.

78 | 8 Stabilitätssätze ẏ 1 y1 [α − βy2 ] Beispiel 4. ( ) = ( ) mit G( δγ , αβ ) (Lotka-Volterra-Modell 1) y2 [γy1 − δ] ẏ 2 Für eine Lyapunov-Funktion gehen wir wieder zurück zum Ausgangspunkt. Wir erhielten am Ende von Kapitel 7.3 eine Funktion ∞ V ∗ (y1 , y2 ) = γ(y1 − y∞ 1 ln(y 1 )) + β(y 2 − y 2 ln(y 2 )) , ∞ die in G(y∞ 1 , y 2 ) ihr eindeutiges Minimum besitzt. Subtrahieren wir diesen Wert ∞ ∞ ∞ ∞ ∞ V ∗ (y∞ 1 , y 2 ) = γ(y 1 − y 1 ln(y 1 )) + β(y 2 − y 2 ln(y 2 ))

von V ∗ (y1 , y2 ), dann lautet der Ansatz für unsere Lyapunov-Funktion ∞ V(y1 , y2 ) := V ∗ (y1 , y2 ) − V ∗ (y∞ 1 , y2 ) . ∞ ∞ ∞ ∞ V(y1 , y2 ) = γ(y1 − y∞ 1 − y 1 ln(y 1 ) + y 1 ln(y 1 )) + β(y 2 − y 2 ∞ ∞ − y∞ 2 ln(y 2 ) + y 2 ln(y 2 )) ∞ V(y1 , y2 ) = γ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

y1 y2 ∞ )) + β (y2 − y∞ 2 − y 2 ln ( ∞ )) y∞ y 1 2

∞ i) V(y∞ 1 , y 2 ) = 0 ist erfüllt. ∞ ii) V(y1 , y2 ) > 0 für (y1 , y2 ) ≠ (y∞ 1 , y 2 ). Dies gilt, weil beide Teilfunktionen H i (y i ) von V(y1 , y2 ) konvex sind:

y∞ dH i (y i ) = 1− 1 , yi yi iii)

d2 H i (y i ) y∞ = i2 > 0 . y2i yi

̇ 1 , y2 ) = γ (ẏ 1 − y∞ ẏ 1 ) + β (ẏ 2 − y∞ ẏ 2 ) = γ(y1 − y∞ ) ẏ 1 + β(y2 − y∞ ) ẏ 2 . V(y 1 2 1 2 y1 y2 y1 y2 ∞ = γ(y1 − y∞ 1 )(α − βy 2 ) + β(y 2 − y 2 )(γy 1 − δ)

= γ (y1 −

δ α ) (α − βy2 ) + β (y2 − ) (γy1 − δ) γ β

= (γy1 − δ)(α − βy2 ) + (βy2 − α)(γy1 − δ) = (γy1 − δ)(α − βy2 + βy2 − α) = 0 ̇ 1 , y2 ) = Somit ist V(y1 , y2 ) eine schwache Lyapunov-Funktion für obige DGL mit V(y ∞ ∞ 0, was bedeutet, dass G(y1 , y2 ) global stabil ist. Dies ist der gesuchte analytische Beweis für die Lösung des Lotka-Volterra-Modells 1.

8.6 Stabilität mittels Lyapunov-Funktionen

ẏ 1 y1 [α(K − y1 ) − βy2 ] Beispiel 5. ( ) = ( ) mit G ( δγ , ẏ 2 y2 [γy1 − δ]

α β

|

79

(K − δγ )) (Lotka-VolterraModell 2)

Wir wählen dieselbe Lyapunov-Funktion: y1 y2 ∞ )) + β (y2 − y∞ 2 − y 2 ln ( ∞ )) y∞ y 1 2 ∞ ẏ 1 ∞ ẏ 2 γ(y1 − y1 ) + β(y2 − y2 ) y1 y2 α δ γ(y1 − y∞ (K − )) (γy1 − δ) 1 )(α(K − y 1 ) − βy 2 ) + β (y 2 − β γ δ δ δ γ (y1 − ) (α(K − y1 ) − βy2 ) + (βy2 − α (K − )) γ (y1 − ) γ γ γ δ αδ γ (y1 − ) (αK − αy1 − αK + ) γ γ

∞ V(y1 , y2 ) = γ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

̇ 1 , y2 ) = V(y = = =

= αγ (y1 −

δ δ δ 2 ) ( − y1 ) = −αγ (y1 − ) < 0 für γ γ γ

y 1 ≠ y ∞ 1 .

̇ 1 , y2 ) < 0, Somit ist V(y1 , y2 ) eine starke Lyapunov-Funktion für obige DGL mit V(y ∞ ∞ was bedeutet, dass G(y1 , y2 ) global asymptotisch stabil ist. Dies ist der gesuchte analytische Beweis für die Lösung des Lotka-Volterra-Modells 2.

9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2 Die Stabilitätsätze gestatten eine viel effizientere Untersuchung des Langzeitverhal­ tens von Lösungen. Dies wollen wir nun angehen.

9.1 Das Lotka-Volterra-Modell 3 (= Modell der Konkurrenz zweier Arten um dieselbe Ressource mit festen Einzelkapazitäten) Bisher waren die Rollen Räuber und Beute klar abgegrenzt. In diesem Kapitel betrach­ ten wir den Kampf zweier Arten um dasselbe Jagdrevier oder dieselbe Nahrungsquelle. Jedes Individuum einer Population stellt somit eine potenzielle Beute dar oder kann selber zum Räuber werden. Die Konkurrenz der Arten gehört zu den wichtigsten Prinzipien der Darwin’schen Lehre von der Evolution des Lebens. Es lassen sich vielfältige Verdrängungsvorgänge zwischen Arten unmittelbar beobachten, wie etwa ein Gartenbesitzer, der um den Er­ halt seiner Zierpflanzen oder seines Rasens gegen das wuchernde „Unkraut“ kämpft, den täglichen Kampf von Taube und Spatz um ein Krümel Brot oder, für uns eher un­ bemerkt, wenn Bäume sich um mehr Licht, Wasser und Mineralien bemühen. Alle Organismen besitzen das Bestreben sich fortzupflanzen und auszubreiten. Sie erreichen neue Gebiete aus eigener Kraft oder werden von Wind, Wasser oder durch andere Organismen verschleppt. Die Ausbreitung und Besiedlung neuer Gebie­ te war in früheren Zeiten nur begrenzt möglich, da es geographisch unüberwindbare Barrieren gab. Zum Beispiel verhindern die Ozeane den interkontinentalen Arten­ austausch. Diese geographische Isolation war wichtig für die Entstehung der Arten. Der Mensch hat diese natürlichen Barrieren in kürzester Zeit überwindbar gemacht. Er transportiert Organismen in Schiffen und Flugzeugen über diese Grenzen hin­ weg. Der Mensch bringt beabsichtigt Agrarpflanzen und Nutztiere in neue Gebiete. 1. Ein Beispiel für die Einschleppung eines Nutztieres ist die Kaninchenplage in Aus­ tralien. Das Europäische Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) wurde zur Fleisch- und Fellgewinnung von den Siedlern nach Australien gebracht. 24 Kaninchen sind als Jagdwild im Jahr 1859 ausgesetzt worden. Sie hatten keine natürlichen Fein­ de und vermehrten sich stark. Dabei breitete sich ihr Habitat mit einer enormen Geschwindigkeit von mehr als 100 km pro Jahr aus. Der verursachte Schaden in der Landwirtschaft beträgt immer noch mindestens 200 Millionen Australische Dollar pro Jahr. 2. Der Asiatische Marienkäfer wurde bereits ab 1916 zur biologischen Schädlingsbe­ kämpfung von Läusen in einige US-Staaten importiert. Seither hat er sich in ganz Nordamerika ausgebreitet. In Europa wurde der asiatische Marienkäfer ab 1995 https://doi.org/10.1515/9783110683806-009

9.1 Lotka-Volterra-Modell 3 (Konkurrenzmodell, selbe Ressource, feste Kapazitäten) |

81

als Läusevertilger in Gewächshäusern verkauft. Inzwischen breitet er sich unkon­ trolliert in den USA und Europa rasant aus und verdrängt unsere heimische Ma­ rienkäferart. Zur Modellbildung bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Wir beginnen damit, gemäß dem Modell 2 die Bestände über ein logistisches Wachstum zu begrenzen, das, wie schon gesagt, ebenfalls den intraspezifischen Kampf erfasst, also ẏ 1 = αy1 (K1 − y1 ) ẏ 2 = γy2 (K2 − y2 ) . := K1 und yMax := K2 . Da beide Arten in Konkurrenz stehen, muss Dabei sind yMax 1 2 noch ein Term subtrahiert werden, der den interspezifischen Kampf um die Ressource erfasst: ẏ 1 = αy1 (K1 − y1 ) − βy1 y2 = y1 [α(K1 − y1 ) − βy2 ] ẏ 2 = γy2 (K2 − y2 ) − δy1 y2 = y2 [γ(K2 − y2 ) − δy1 ] . Für die Gleichgewichtspunkte erhält man G1 (0, 0), G2 (K1 , 0), G3 (0, K2 ). Für den letzten GWP schreiben wir ∞ αK1 − αy∞ 1 − βy 2 = 0

󳨐⇒

∞ γK2 − γy∞ 2 − δy 1 = 0

∞ αγK1 − αyγ∞ 1 − βγy 2 = 0 ∞ −βγK2 + βδy∞ 1 + βγy 2 = 0

Die Addition beider Gleichungen liefert αγK1 − βγK2 + y∞ 1 (βδ − αγ) = 0 Man erhält y∞ 1 =

γ(αK1 − βK2 ) , αγ − βδ

y∞ 2 =

α(γK2 − δK1 ) . αγ − βδ

Der Spezialfall αK1 − βK2 und γK2 − δK1 zieht αγ = βδ nach sich. Somit hätte man einen Ausdruck 00 . Diese Unstetigkeit kann behoben werden durch y∞ 1 = y∞ 2

βδ

βδ

βδ

βδ

γ(αK1 − βK2 ) γ (αK1 − γ K1 ) γK1 (α − γ ) γK1 (αγ − βδ) = = = = K1 αγ − βδ αγ − βδ αγ − βδ γ(αγ − βδ)

α(γK2 − δK1 ) α (γK2 − α K2 ) αK2 (γ − α ) αK1 (αγ − βδ) = = = = = K2 . αγ − βδ αγ − βδ αγ − βδ α(αγ − βδ)

Die notwendige Bedingung αγ > βδ für die Existenz beider Arten heißt auch HawkinsSimon-Bedingung und stammt ursprünglich aus der Wirtschaftswissenschaft: Sie lau­ tet: Die intraspezifische Konkurrenz beider Bestände (αγ) muss größer sein als der gegenseitige Einfluss auf das jeweils andere System (βδ).

82 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2

Das Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 3 Die Isoklinen sind y2 = αβ (K1 − y1 ) und y2 = K2 − δγ y1 . Für die Bestimmung der Vor­ zeichen benutzen wir α ẏ 1 = βy1 ( (K1 − y1 ) − y2 ) β δ ẏ 2 = γy2 (K2 − y1 − y2 ) . γ Daraus entstehen fünf Fälle (Abb. 9.1). Fall I. Die beiden Isoklinen sind identisch. Von B1 aus kann die Trajektorie direkt ge­ gen K1 oder K2 laufen. Schneidet die Bahn auf ihrem Weg die Isokline, dann bleibt sie da stehen, da ẏ 1 = ẏ 2 = 0. Sie erreicht dann ein indifferentes Gleichgewicht. Diesen Fall nennt man Indifferenz. Von B2 aus ist nur das indifferente Gleichgewicht möglich. K1 und K2 sind instabil. Fall II. Die Trajektorie läuft entweder von B1 direkt oder über B2 und B3 nach K1 . Hier überlebt nur die Spezies y1 . K1 ist global asymptotisch stabil. Fall III. Die Bahn steuert entweder von B1 direkt oder über B2 und B3 nach K1 zu. Die überlebende Spezies ist y2 . K2 ist global asymptotisch stabil.

Abb. 9.1: Isoklinen und Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 3

9.1 Lotka-Volterra-Modell 3 (Konkurrenzmodell, selbe Ressource, feste Kapazitäten) |

83

Fall IV. Die Bahn kann weder von B1 noch von B3 aus direkt zu S hinsteuern, denn jede Umgebung von S enthält auch Teilgebiete von B2 und B4 , von wo aus sich jede Trajektorie von S wegbewegt. Damit bleibt nur die Möglichkeit hin zu K1 oder K2 . Je nach Startpunkt überlebt die Spezies y1 oder y2 . Man nennt dies ambivalente Exklu­ sion. Fall V. Von B1 oder B3 kann die Trajektorie direkt oder über B2 und B4 zum Gleich­ gewichtspunkt G laufen. Hier erreichen wir die Koexistenz der beiden Spezies. G ist global asymptotisch stabil. Die Linearisierung des Lotka-Volterra-Modells 3 Die Jacobi-Matrix ergibt sich zu Jf(y1 , y2 ) = ( G1 (0, 0)

αK1 − 2αy1 − βy2 −δy2

󳨐⇒

Jf(0, 0) = (

−βy1 ) , γK2 − 2γy2 − δy1

αK1 0

0 ) γK2

mit zwei positiven Eigenwerten. G1 ist somit instabil. G2 (K1 , 0)

󳨐⇒

Jf(K1 , 0) = (

−αK1 0

λ1 = −αK1 < 0 ,

−βK1 ) , γK2 − δK1 λ2 = γK2 − δK1 < 0 .

Dies ist die Bedingung an den 2. Eigenwert für asymptotische Stabilität (siehe II.). G2 (0, K2 )

󳨐⇒

Jf(0, K2 ) = (

αK1 − βK2 −δK2

λ1 = −γK2 < 0 ,

0 ) , −γK2

λ2 = αK1 − βK2 < 0 .

Dies ist die Bedingung an den 2. Eigenwert für asymptotische Stabilität (siehe III.). Wir untersuchen mit diesen Ergebnissen die fünf Fälle. ∞ I. αK1 = βK2 , γK2 = δK1 , y∞ 1 = K1 , y2 = K2 . Jf(K1 , K2 ) = (

−(αK1 + βK2 ) −δK2

−βK1 ) , −(γK2 + δK2 )

det Jf > 0 ,

Spur A < 0 .

Asymptotische Stabilität. Beide Populationen wachsen monoton hin zu ihrem Ma­ ximum. ∞ II. αK1 ≥ βK2 , γK2 < δK1 , y∞ 1 > 0, y 2 < 0. Hier braucht es keine genaue Analyse. Es überlebt nur die Population y1 . ∞ III. αK1 < βK2 , γK2 ≥ δK1 , y∞ 1 < 0, y 2 > 0. Es überlebt nur die Population y 2 . ∞ ∞ IV. αK1 < βK2 , γK2 < δK1 , y1 < 0, y2 < 0. In diesem Fall überlebt diejenige Art, die am Anfang stärker ist.

84 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2 V. αK1 > βK2 , γK2 > δK1 . In diesem letzten Fall gilt die Stabilität allgemein:

∞ Jf(y∞ 1 , y2 ) = (

∞ αK1 − 2αy∞ 1 − βy 2 −δy∞ 2

−βy∞ 1 ∞) . γK2 − 2γy∞ 2 − δy 1

∞ Spur Jf = αK1 + γK2 − y∞ 1 (2α + δ) − y 2 (β + 2γ)

=

(αγ − βδ)(αK1 + γK2 ) − (2αγ − γδ)(αK1 − βK2 ) − (αβ + 2αγ)(γK2 − δK1 ) αγ − βδ +

=

−αγδK1 + βγδK2 − αβγK2 + αβδK1 − 2αγ2 K2 + 2αγδK1 αγ − βδ

αγ[(βK2 − αK1 ) + (δK1 − γK2 )] αγ − βδ

∞ ∞ ∞ ∞ det Jf = αγK1 K2 − 2αγK1 y∞ 2 − αδK1 y 1 − 2αγK2 y 1 + 4αγy 1 y 2 ∞ ∞2 ∞ ∞ ∞ ∞ + 2αδy∞2 1 − βγK2 y 2 + 2βγy 2 + βδy 1 y 2 − βδy 1 y 2

=

αγK1 K2 (αγ − βδ) αγ(αK1 − βK2 )(δK1 + 2γK2 ) − αγ − βδ αγ − βδ −

=

αγ(γK2 − δK1 )(2αK1 + βK2 ) αγ − βδ

4α2 γ2 (αK1 − βK2 )(γK2 − δK1 ) (αγ − βδ)2 + 2[

αγ2 δ(αK1 − βK2 )2 α 2 βγ(γK2 − δK1 )2 + ] (αγ − βδ)2 (αγ − βδ)2

= ̂ A+B+C+D+E D+E=

4α3 γ3 K1 K2 − 4α 3 γ2 δK12 − 4α 2 βγ3 K22 + 4α 2 βγ2 δK1 K2 + 2α 3 γ2 δK12 (αγ − βδ)2 +

4α3 γ3 K1 K2 − 4α 3 γ2 δK12 − 4α 2 βγ3 K22 + 4α 2 βγ2 δK1 K2 + 2α 3 γ2 δK12 (αγ − βδ)2

A+B+C=

α 2 γ2 K1 K2 − αβγδK1 K2 − αγ[−αδK12 + 4αγK1 K2 − 2βδK1 K2 − βγK22 ] αγ − βδ

=

(αγ − βδ)(−3α 2 γ2 K1 K2 + αβγδK1 K2 + α 2 γδK12 + αβγ2 K22 ) (αγ − βδ)2

=

−3α 3 γ3 K1 K2 + α 2 βγ2 δK1 K2 + α 3 γ2 δK12 + α 2 βγ3 K22 (αγ − βδ)2 +

3α2 βγ2 δK1 K2 − αβ 2 γδ2 K1 K2 − α 2 βγδ2 K12 − αβ 2 γ2 δK22 (αγ − βδ)2

9.2 Lotka-Volterra-Modell 4 (Konkurrenzmodell, selbe Ressource, variable Kapazitäten) | 85

A+B+C+D+E=

α 3 γ3 K1 K2 − αβ 2 γδ2 K1 K2 − α 3 γ2 δK12 (αγ − βδ)2 +

= Schließlich ist det Jf =

α 2 βγδ2 K12 + αβ 2 γ2 δK22 − α 2 βγ3 K22 (αγ − βδ)2

αγK1 K2 (αγ + βδ) − α 2 γδK12 − αβγ2 K22 αγ − βδ

αγ[(αK1 − βK2 )(γK2 − δK1 )] αγ − βδ

Aufgrund der Voraussetzung ist det JF > 0 und Spur Jf < 0, was die asymptoti­ sche Stabilität nachweist.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 45.

Eine Lyapunov-Funktion für das Lotka-Volterra-Modell 3 Wir können zwar das System zu ẏ 1 ∞ = −α(y1 − y∞ 1 ) − β(y 2 − y 2 ) y1 ẏ 2 ∞ = −γ(y1 − y∞ 1 ) − δ(y 2 − y 2 ) y2 umschreiben, aber die vier gleichen Vorzeichen verunmöglichen es, eine geeignete Lyapunov-Funktion zu finden. Diesen Weg müssen wir hier abbrechen.

9.2 Das Lotka-Volterra-Modell 4 (= Modell der Konkurrenz zweier Arten um dieselbe Ressource mit variablen Einzelkapazitäten) Dieses Modell geht von der Vorstellung aus, dass aufgrund der Populationsschwan­ kungen der einzelnen Spezies und der entstehenden Konkurrenz der beiden Arten die Einzelkapazitäten K1 und K2 im Verlaufe der Zeit angepasst werden müssen. Zur Ver­ einfachung wählt man K1 = K2 . Bezeichnet K die maximale Gesamtkapazität, die das System verträgt, dann kann man beispielsweise einen Term der Art K1 = K2 = K − (c1 y1 + c2 y2 ) ansetzen. Die Gleichung beschreibt eine Ebene im Raum mit den Achsenabschnitten a = Kc 11 , b = Kc 22 , c = K. Ersetzen wir im LVM3 die Einzelkapazitäten, dann entsteht das System ẏ 1 = y1 [α(K − c1 y1 − c2 y2 − y1 ) − βy2 ] ẏ 2 = y2 [γ(K − c1 y1 − c2 y2 − y2 ) − δy1 ] .

86 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2 Mit den Abkürzungen ε1 = c1 + 1, ε2 = c2 + 1, λ1 = αc2 + β, λ2 = γc1 + δ wird daraus K − y1 ) − λ1 y2 ] ε1 K ẏ 2 = y2 [γ(K − ε2 y2 ) − λ2 y1 ] = y2 [γε2 ( − y2 ) − λ2 y1 ] . ε2 ẏ 1 = y1 [α(K − ε1 y1 ) − λ1 y2 ] = y1 [αε1 (

Dieses System entspricht bis auf die Koeffizienten dem Modell 3. Anstelle von K1 und K2 , α, γ, β, δ treten neu εK1 , εK2 , αε1 , γε2 , λ1 , λ2 . Für die Gleichgewichtspunkte erhält man G1 (0, 0), G2 ( εK1 , 0), G3 (0, εK2 ). Der letzte GWP G4 lautet y∞ 1 = y∞ 2

=

γε2 K (α − λ1 ε12 ) αγε1 ε2 − λ1 λ2 αε1 K (γ − λ2 ε11 ) αγε1 ε2 − λ1 λ2

=

γK(αε2 − λ1 ) γK(α − β) = αγε1 ε2 − λ1 λ2 αγε1 ε2 − λ1 λ2

=

αK(γε1 − λ2 ) αK(γ − δ) = . αγε1 ε2 − λ1 λ2 αγε1 ε2 − λ1 λ2

Für die Existenz muss α > β und γ > δ sein. Das bedeutet lediglich größere Wachs­ tums- als Sterberaten. Damit ist automatisch der Nenner größer Null, denn es ist αγε1 ε2 − λ1 λ2 = αγ(c1 + 1)(c2 + 1) − (αc2 + β)(γc1 + δ) = γc1 (α − β) + αc2 (γ − δ) + αγ − βδ > 0 . Das Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 4 Die Isoklinen sind y2 =

α (K − ε1 y1 ) λ1

und

y2 =

1 λ2 (K − y1 ) . ε2 γ

Es ergeben sich dieselben fünf Unterscheidungen wie beim LVM3. Wir beschränken γK K K uns auf den Fall mit αK λ 1 > ε 2 und λ 2 > ε 1 , was gleichbedeutend mit α > β und γ > δ ist. Das Vektorfeld ist entsprechend gleich wie im Modell 3 und deutet auf eine globale Stabilität von G4 hin. Die Linearisierung des Lotka-Volterra-Modells 4 Die Jacobi-Matrix lautet Jf(y1 , y2 ) = (

αK − 2αε1 y1 − λ1 y2 −λ2 y2

−λ1 y1 ) . γK − 2γε2 y2 − λ2 y1

In Analogie erhält man dieselben Ergebnisse: – G1 ist instabil. – G2 ist stabil, falls δ > γ. Dann stirbt y2 aus und y1 überlebt. – G3 ist stabil, falls β > α. Dann stirbt y1 aus und y2 überlebt.

9.3 Lotka-Volterra-Modell 5 (Konkurrenzmodell, feste Ressourcemenge) |

87

∞ Für den GWP G4 (y∞ 1 , y 2 ) können mit den obigen Ersetzungen sowohl Spur als auch Determinante unmittelbar angegeben werden:

Spur Jf = =

αγε1 ε2 [(λ1 εK2 − αε1 εK1 ) + (λ2 εK1 − γε2 εK2 )] αγε1 ε2 − λ1 λ2 αγε1 ε2 K [ ε12 (λ1

− αε2 ) +

1 ε 1 (λ2

− γε1 )]

αγε1 ε2 − λ1 λ2 αγK[ε1 (α − β) + ε2 (γ − δ)] =− β und γ > δ ,

αγε1 ε2 [(αε1 εK1 − λ1 εK2 ) (γε2 εK2 − λ2 εK1 )] αγε1 ε2 − λ1 λ2

αγK 2 [(α − β)(γ − δ)] = >0, αγε1 ε2 − λ1 λ2

=

αγK 2 [(αε2 − λ1 )(γε1 − λ2 )] αγε1 ε2 − λ1 λ2

falls α > β und γ > δ .

Damit ist G4 lokal asymptotisch stabil. Eine Lyapunov-Funktion findet sich aus dem­ selben Grund, wie schon im Modell 3 erläutert, nicht. LVM3 und LVM4 stehen gleich­ wertig nebeneinander. Es gibt keinen Grund, das eine Modell dem anderen vorzuzie­ hen. Sinnvolle Werte für eine Simulation sind z. B. α = 0,006, β = 0,001, γ = 0,01, δ = 0,003, c1 = 0,06, c2 = 0,08. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 46.

9.3 Das Lotka-Volterra-Modell 5 (= Konkurrenz zweier Arten um eine feste Ressourcemenge) Im Unterschied zum vorigen Modell, bei dem keine spezifische Ressource, um die ge­ stritten wird, vorgegeben ist, wird nun die Menge der Nahrungsquelle definiert. Wie erwähnt, kann es je nach Bedarf geschehen, dass sich zwei oder mehr Pflan­ zenarten, Tierarten, Stämme oder sogar Völker dieselbe Nahrungsquelle streitig ma­ chen. Der Wettlauf um den Zugriff auf und die Sicherung von Wasserquellen ist schon längst entbrannt und wird in Zukunft wohl zu Konflikten führen. Der Chemostat In einem viel kleineren Rahmen betrachten wir zwei gezüchtete Planktonarten, de­ ren Zellaufbau mit Hilfe derselben Minerallösung in einem sogenannten Chemostat (Bioreaktor) abläuft.

88 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2

Zwei Beispiele sollen den Nutzen einer solchen Zucht erläutern. A) Die Mikroorganismen (z. B. Hefen), die natürlicherweise auf den Schalen unserer Früchte vorhanden sind, sorgen für die (in diesem Fall langsame) Umwandlung von Zucker zu Alkohol, wenn man die Nahrung längere Zeit stehen lässt. Bis vor 150 Jahren war nicht bekannt, dass Mikroorganismen die Gärung in Gang setzen und Alkohol erzeugen. Dringen die Hefen ins Innere ein, so findet diese Umwand­ lung sogar ohne Sauerstoff statt. Bei dieser spontanen Gärung konkurrieren die verschiedenen Hefearten miteinander, sodass man im schlimmsten Fall ein unge­ nießbares Produkt erhält. Aus diesem Grund werden Reinzuchthefen verwendet, die sich gegenüber anderen Arten durchsetzen. Diese werden mit Hilfe des unten beschriebenen Chemostats gewonnen. B) Phytoplankton baut mit Hilfe der Photosynthese aus Kohlenstoffdioxid und Mi­ nerale seine Körpersubstanz auf, die man Biomasse nennt. Das Phytoplankton ist damit die Nahrungsbasis für Seen und Meere. Das Phytoplankton wird von klei­ nen Krebstieren und anderen Tieren gefressen, die am Boden der Binnengewässer und Meere leben. Diese bieten wiederum Fischen Nahrung. Vorerst soll eine einzige Planktonart gezüchtet werden. Die Apparatur wird unterteilt in (Abb. 9.2)

Abb. 9.2: Schema Chemostat

Im Chemostat wird der Inhalt ständig verrührt. Die Pfeile sollen anzeigen, dass mit einer gewissen konstanten Rate Wasser mit Inhaltsstoffen zu- und abgeführt wird. Mit y N bezeichnen wir die Konzentration der Mineralien im Chemostat und mit y1 die Konzentration der Planktonart im selben Gefäß. Um dieses System gemäß einem Lotka-Volterra-Modell (LVM) behandeln zu kön­ nen, müssen wir einige Uminterpretationen vornehmen. Die „Beute“ entspricht hier der Mineralienkonzentration y N , während der „Räuber“ durch die Konzentration y1 der Planktonart dargestellt wird. Dem Chemostatbehälter wird mit einer Durchfluss­ rate α[ 1h ] und einer Konzentration N0 die Mineralmenge αN0 beigemischt. Diese ent­ spricht im LVM1 den „Geburten“ von y N . Sie ist im Gegensatz zum dortigen Modell nicht von der bestehenden Menge y N abhängig, sondern eben konstant αN0 . (Die Aus­ spülrate ist für y N und y1 dieselbe, weil sich sowohl Minerale, als auch Plankton im selben Gefäß befinden.) Die „Sterbefälle“ von y N setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Erstens aus ei­ nem Teil αy N , der in den Behälter 2 gespülten Mineralkonzentration und zweitens

9.3 Lotka-Volterra-Modell 5 (Konkurrenzmodell, feste Ressourcemenge) |

89

aus einem Teil, der die Aufnahme der Minerale des Phytoplanktonstamms beschreibt: F y N y1 (vgl. LVM3). F1 kennzeichnet die maximal mögliche „Fressmenge“ von β F+y N y1 , also die größtmögliche Mineralmenge, die verarbeitet werden kann. Im Falle von F y1 stellen β F+y y N y1 die „Geburten“ und die Ausspülrate αy1 die „Sterbefälle“ dar. N Schließlich erhalten wir folgendes System von DGLen: ẏ N = α(N0 − y N ) − β ẏ 1 = β

F y N y1 F + yN

F y N y1 − αy1 . F + yN 3

m , F = 1 mg , α = 0,2 1h , β = 0,3 mg⋅h . Als Zahlenbeispiel wählen wir N0 = 3 mg m3 m3 Für das zugehörige Programm geben wir nacheinander die folgenden Startkom­ binationen an:

y N (0) y1 (0)

1 0,5

1 2

3 0,5

3 2

Define chemostat(n)= Prgm xa:= {x1i} ya:= {y1i} xb:= {x2i} yb:= {y2i} x1i:= 0 x2i:= 0 y1i:= 1 ; 1 ; 3 ; 3 y2i:= 0.5 ; 2 ; 0.5 ; 2 For i,1,n x1i:= x1i + 1 x2i:= x2i + 1 1 y1i:= y1i+0.2⋅(3-y1i)-0.3⋅ 1+y1i ⋅ y1i⋅ y2i 1 y2i:= y2i+0.3⋅ 1+y ⋅ y1i ⋅ y2i − 0.2⋅ y2i 1

xa:= augment(xa,{x1i}) ya:= augment(ya,{y1i}) xb:= augment(xb,{x2i}) yb:= augment(yb,{y2i}) xc:= augment(ya,{y1i}) yc:= augment(yb,{y2i}) End For Disp xa, ya, xb, yb, xc, yc End Prgm

90 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2

Abb. 9.3: Simulation des Chemostat-Modell

Anhand der vier Trajektorien (Abb. 9.3) erkennt man, dass die Konzentrationen einer stationären Gleichgewichtskonzentration zustreben. Diese wollen wir berechnen und setzen dazu ẏ N = ẏ 1 = 0. 0 = α(N0 − y∞ N )−β 0=β

F ∞ y∞ N y1 F + y∞ N

F ∞ ∞ y∞ N y 1 − αy 1 F + y∞ N

󳨐⇒

y∞ 1 (β

󳨐⇒

β

F y∞ N − α) = 0 F + y∞ N

F y∞ N = α F + y∞ N

Es folgt ∞ βFy∞ N = αF + αy N

󳨐⇒

y∞ N (βF − α) = αF

󳨐⇒

y∞ N =

αF . βF − α

∞ ∞ ∞ Da N0 = y∞ N + y 1 ist, erhält man y 1 = N 0 − y N . Es muss βF − α > 0 sein, sonst würde mehr in Behälter 2 weitergespült, als in Behälter 1 verarbeitet wird, und die Konzentration wäre negativ. mg mg 0,2⋅1 ∞ Für unser Beispiel ist y∞ N = 0,3⋅1−0,2 = 2 m3 und y 1 = 1 m3 . Die Konzentration der Mineralien im Chemostat bleibt auch bei grösserer Mineral­ konzentration N0 konstant, es kann aber mehr Plankton pro m3 abgeschöpft werden.

1. Das Vektorfeld des Chemostatmodells Für die Isoklinen schreiben wir das System um zu ẏ N =

βFy N α [ (N0 − y N )(F + y N ) − y1 ] F + y N βFy N

ẏ 1 =

(βF − α)y1 [y N − y∞ N ] F + yN

9.3 Lotka-Volterra-Modell 5 (Konkurrenzmodell, feste Ressourcemenge) |

91

und definieren zudem G(y N ) :=

α (N0 − y N )(F + y N ) . βFy N

Die Isoklinen lauten y N = y∞ N und y 1 = G(y N ). Es gilt zwei Fälle zu unterscheiden (Abb. 9.4): Im ersten Fall konvergiert die Bahn gegen N0 , im zweiten Fall gegen G. Man hat in jedem Fall globale asymptotische Stabilität.

Abb. 9.4: Isoklinen und Vektorfeld des Chemostat-Modell

2. Eine Lyapunov-Funktion für das Chemostatmodell Wir machen den Ansatz V(y1 , y2 ) =

βF − α yN y1 ∞ ∞ ∞ (y N − y∞ N − y N ln ( ∞ )) + β (y 1 − y 1 − y 1 ln ( ∞ )) . F yN y1

∞ i) V(y∞ 1 , y 2 ) = 0 ist erfüllt. ∞ ii) V(y1 , y2 ) > 0 für (y1 , y2 ) ≠ (y∞ 1 , y 2 ). (Die Teilfunktionen sind konvex.)

̇ 1 , y2 ) = βF − α (y N − y∞ ) ẏ N + β(y1 − y∞ ) ẏ1 . iii) V(y 1 N y F y1 N =

βF βF − α βF − α (y N − y∞ (G(y N ) − y1 ) + β(y1 − y∞ (y N − y∞ 1 ) N ) N ) F F + yN F + yN

=

βF − α ∞ (y N − y∞ N )[β(G(y N ) − y 1 ) + β(y 1 − G(y N ))] F + yN

=

β(βF − α) ∞ (y N − y∞ N )[G(y N ) − G(y N )] . F + yN

∞ Wir kürzen ab: A(y N ) = (y N − y∞ N ) und B(y N ) = G(y N ) − G(y N ). ∞ Für 0 < y N < y∞ N ist A(y N ) < 0 und B(y N ) > 0, wohingegen für y N > y N gilt: A(y N ) > 0 und B(y N ) < 0. Somit hat man die gewünschten verschiedenen Vorzeichen ̇ 1 , y2 ) < 0 für (y1 , y2 ) ≠ (y∞ , y∞ ). G(y∞ , y∞ ) ist global asymptotisch stabil. und V(y 1 2 1 2

92 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2

Erweiterung des Systems auf zwei Planktonarten Die Konkurrenz beginnt, wenn die beiden im selben Chemostat sich befindenden Planktonarten dieselbe endliche Mineralienmenge angeboten bekommen. Es bezeichnen y N die Konzentration der Mineralien und y1 bzw. y2 die Konzen­ trationen der beiden Planktonarten im Chemostat. Die zugehörigen maximal zu ver­ arbeitenden Mineralkonzentrationen seien F1 bzw. F2 . Das obige System von DGLen ändert sich zu ẏ N = α(N0 − y N ) − β

F1 F2 y N y1 − γ y N y2 F1 + y N F2 + y N

F1 y N y1 − αy1 F1 + y N F2 ẏ 2 = γ y N y2 − αy2 . F2 + y N ẏ 1 = β

Bei der Bestimmung der Fixpunkte (ẏ N = ẏ 1 = ẏ 2 = 0) müssen wir uns hier die Fra­ ge stellen, ob beide Arten nebeneinander wachsen können oder sich behindern. Es ergeben sich drei Fälle. ∞ ∞ I. Beide Arten gehen ein: y∞ 1 = y 2 = 0 󳨐⇒ y N = N 0 . ∞ ∞ II. Beide Arten wachsen: y1 , y2 ≠ 0. Aus F1 F2 ∞ ∞ ∞ 0 = (β y∞ und 0 = (γ ∞ y N − α) y 2 N − α) y 1 F1 + y∞ F + y 2 N N ∞ folgt durch Division mit y∞ 1 bzw. y 2 , dass

y∞ N =

αF1 βF1 − α

und

y∞ N =

αF2 γF2 − α

ist. Das ist nur möglich, wenn gilt αF1 αF2 = βF1 − α γF2 − α

󳨐⇒

γF1 F2 − αF1 = βF1 F2 − αF2 .

Beispielsweise aufgelöst nach γ erhält man die Koexistenzbedingung: γ=β−

α(F2 − F1 ) . F1 F2

In diesem Fall sind auch die relativen Wachstumsraten gleich: β

F1 F2 ∞ y∞ ∞ yN − α N −α = γ F1 + y∞ F 2 + yN N

Man erhält y∞ N =

󳨐⇒

ẏ ∞ 1 y∞ 1

=

ẏ ∞ 2 . y∞ 2

∞ βF1 F2 + βF1 y∞ N = γF 1 F 2 + γF 2 y N .

F1 F2 (γ − β) . βF1 − γF2

∞ ∞ Aus der ersten DGL ergibt sich lediglich N0 = y∞ N + y1 + y2 .

9.3 Lotka-Volterra-Modell 5 (Konkurrenzmodell, feste Ressourcemenge) |

93

∞ Die Grenzwerte y∞ 1 und y 2 sind in diesem Fall abhängig von der Startgrösse y 1 (0) und y2 (0), aber unabhängig von y N (0). Für unser Programm wählen wir y1 (0) = y2 (0) = 1. Außerdem sei F1 = 1, F2 = 3 und α = 0,2, β = 0,3. Dann ergibt sich (Abb. 9.5)

γ = 0,3 − =2

2 3 ⋅ (− 15 ) 0,2 ⋅ (3 − 1) 1 0,2 0,6 = = und y∞ = = N 1⋅3 6 0,3 − 0,2 0,5 − 0,2 0,3 − 0,5

mg . m3

Define chemostat2(n)= Prgm xa:= {x1i} ya:= {y1i} xb:= {x2i} yb:= {y2i} xc:= {x3i} yc:= {y3i} x1i:= 0 x2i:= 0 x3i:= 0 y1i:= 1 y2i:= 1 y3i:= 1 For i,1,n x1i:= x1i + 1 x2i:= x2i + 1 x3i:= x3i + 1 y1i:= y1i + 0.2 ⋅ (3 − y1i) − 0.3 ⋅ y2i:= y2i + y3i:= y3i +

1 0.3 ⋅ 1+y1 1 3 6 ⋅ 3+y1i ⋅

1 1+y1i

⋅ y1i ⋅ y2i −

1 6



3 3+y1i

⋅ y1i ⋅ y3i

⋅ y1i ⋅ y2i − 0.2 ⋅ y2i y1i ⋅ y3i − 0.2 ⋅ y3i

xa:= augment(xa,{x1i}) ya:= augment(ya,{y1i}) xb:= augment(xb,{x2i}) yb:= augment(yb,{y2i}) xc:= augment(xc,{x3i}) yc:= augment(yc,{y3i}) End For Disp xa, ya, xb, yb, xc, yc End Prgm Im stationären Zustand ergibt sich etwa y∞ 1 = 0,59

mg m3

und y∞ 2 = 0,41

mg . m3

94 | 9 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 2

Abb. 9.5: Simulation Chemostat mit zwei Planktonarten

III. Nur eine Art wächst: Bei der Unmöglichkeit einer Koexistenz ist das Gleichgewicht gestört und es gilt somit αF1 αF2 ≠ . βF1 − α γF2 − α Für unser Beispiel mit F1 = 1, F2 = 3 und α = 0,2, β = 0,3 bedeutet das A) y1 wächst, y2 geht ein, falls γ < 16 . B) y2 wächst, y1 geht ein, falls γ > 16 . In diesen Fällen lässt sich das Verhältnis im Unendlichen unabhängig von den Startgrössen berechnen: αF1 ∞ ∞ ∞ A) y∞ und y∞ 2 = 0 , y 1 ≠ 0 󳨐⇒ y N = 1 = N0 − y N . βF1 − α ∞ ∞ B) y∞ 1 = 0 , y 2 ≠ 0 󳨐⇒ y N =

αF2 ∞ und y∞ 2 = N0 − y N . γF2 − α

10 Differenzial- und Differenzengleichungen In den bisherigen Modellen haben wir ausgehend von einer autonomen DGL ẏ = f(y) diese zu einer DFGL y n+1 = y n +f(y n ) diskretisiert, um den Verlauf zu simulieren, da die explizite Lösung y(t) nicht zugänglich war. Es ergaben sich durchwegs Punktfolgen, die stetigen Funktionen ähneln, also keine „bösen Überraschungen“. Die Frage ist, ob sich Eigenschaften der Lösung einer DGL auf die zugehörige DFGL übertragen. Insbesondere wollen wir untersuchen, ob das Langzeitverhalten dasselbe ist. Da­ zu werden wir in einigen Beispielen die entstehenden Lösungen einander gegenüber­ stellen. Zudem wird der Begriff der Verzweigung eine Rolle spielen.

10.1 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 1 Stellen wir uns vor, ein Glas kalte Milch wird aus dem Kühlschrank genommen und wir beobachten durchwegs dessen Erwärmung. Hier macht es Sinn, für den Verlauf ein kontinuierliches Modell über eine Differenzialgleichung anzusetzen. Im Vergleich dazu betrachten wir ein Girokonto auf der Bank, das beispielsweise am Ende jedes Monats denselben Betrag aufweist. Innerhalb des verstrichenen Zeit­ raums können aber alle möglichen Transaktionen durchgeführt worden sein. Zumin­ dest wären diese für uns einsichtig, falls es unser eigenes Konto ist. Übertragen auf eine Population in einem bestimmten Gebiet bedeutet das, dass die Schwankungen nur zu bestimmten Zeiten erfasst werden können (außer man ver­ sieht jedes Tier mit einem Peilsender). Hier drängt sich deswegen ein zeitdiskretes Modell über eine Differenzengleichung auf. Man erkennt an diesen Beispielen, dass die Wahl zwischen diskretem und kontinuierlichem Modell oft praktisch bedingt ist. In diesem Kapitel vergleichen wir an drei Beispielen eine autonome DGL mit ihrer zugehörigen DFGL. Interessant für uns wird nun sein, wie die Lösungen im jeweiligen System lauten und ob dieselben Stabilitätsaussagen gelten. Obwohl die Begriffe des Gleichgewichtspunkts und des Fixpunkts dasselbe be­ zeichnen, nämlich den Grenzpunkt des Langzeitverhaltens, verwenden wir Ersteren nur im Zusammenhang mit dem kontinuierlichen und Letzteren nur für den diskreten Fall. Lineare DGL und DFGL Beispiel 1 (Exponentielles Wachstum). Wir betrachten in Abständen von ∆t die Größe y(t), die sich pro Zeiteinheit um ein Vielfaches p(∆t) vergrößert: y(t+∆t) = y(t)+p(∆t)⋅ y(t) oder y(t + ∆t) = (1 + p(∆t))y(t) = q(∆t) ⋅ y(t). Mit y(0) = y 0 kann man schreiben y(n ⋅ ∆t) = y0 ⋅ q(∆t) ⋅ q(2 ⋅ ∆t) ⋅ ⋅ ⋅ q(n ⋅ ∆t). Für den Spezialfall einer konstanten Zunahme q(n⋅∆t) = q folgt y(n⋅∆t) = y0 q n⋅∆t . https://doi.org/10.1515/9783110683806-010

96 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Für den Übergang von diskreten hin zu beliebig kleinen Zeitintervallen schreiben p(∆t) ̇ = p(∆t) ∆t ⋅ y(t). Der Grenzübergang liefert y(t) = lim∆t→0 [ ∆t ] ⋅ y(t). Die Existenz des Grenzwerts ist gleichbedeutend damit, dass lim∆t→0[ p(∆t)−p(0) ] ∆t mit p(0) = 0 existiert. Beispielsweise erhalten wir für den Grenzwert im Falle einer linearen Zunahme p(∆t) mit der Zeit ∆t eine konstante Änderungsrate k. Die Lösung ̇ = ky(t) ist y(t) = y0 e kt , falls y(0) = y0 . der sich ergebenden DGL y(t) Ist p(∆t) ≠ konst., so ist die Änderungsrate eine Funktion von t und man erhält ̇ = k(t)y(t). Die Trennung der Variablen liefert yẏ = k(t) keine autonome DGL mehr: y(t) mit der Lösung wir

y(t+∆t)−y(t) ∆t

t

y(t) = y0 e∫0 k(τ) dτ , t2

falls wieder y(0) = y0 ist. Beispielsweise mit k(t) = t folgt y(t) = y0 e 2 . Da wir ausschließlich autonome DGLen betrachten, sind unsere Raten immer konstant. Man kann die Lösung des diskreten und kontinuierlichen Systems in beliebig vielen n Zeit­ punkten zur Übereinstimmung miteinander bringen. Es ist y(n ⋅ ∆t) = y0 q n⋅∆t und y(n ⋅ ∆t) = y0 e kn⋅∆t , woraus unmittelbar q = e k resultiert. Kürzen wir y(n ⋅ ∆t) = y n ab, dann haben die DGL und die zugehörige DFGL fol­ gende Gestalt mit entsprechenden Lösungen: ẏ = ky y(t) = y0 e kt

y n+1 = e k y n y n = y0 e nk .

Die beiden Lösungen stimmen in den diskreten Zeitpunkten überein und die Graphen k können für q ≠ e k über den Faktor eq „zur Deckung“ gebracht werden. Natürlich ist das kontinuierliche System im einzigen GWP y∞ = 0 instabil, da die Linearisierung Jf(0) = k > 0 ergibt. Im diskreten System erkennt man die Instabilität bis auf Weiteres nur anhand des Verlaufs von y n . Beispiel 2 (Beschränktes Wachstum). Das kontinuierliche System wird beschrieben durch die DGL ẏ = k(G − y) = kG − ky und y∞ = G ist einziger GWP. Für dessen lokale Stabilität bestimmen wir Jf(G) = −k < 0. Für eine globale asymptotische Stabilität betrachten wir die Lyapunov-Funktion V(y) = (y − G)2 > 0 für Es folgt

y ≠ G .

̇ V(y) = 2(y − G)ẏ = −2k(G − y)2 < 0 für

y ≠ G .

)e−kt , falls

y(0) = y0 . Die Lösung ist bekanntlich y(t) = G − (G − y0 Für die diskrete Zustandsänderung erhalten wir y n+1 = y n + p(G − y n ), wobei p < 1 eine feste Rate bezeichnet. Für den Fixpunkt y∗ erhält man y∗ = y∗ + p(G − y∗ ), also y∗ = G. Weiter ist y n+1 = y n + pG − py n = pG + (1 − p)y n = pG + qy n .

10.1 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 1

| 97

Wir berechnen nacheinander y1 = pG + qy0 , y2 = pG + qy1 = pG + q(pG + qy0 ) = pG(1 + q) + q2 y0 und y3 = pG + qy2 = pG + q(pG(1 + q) + q2 y0 ) = pG(1 + q + q2 ) + q3 y0 . Mit Induktion folgt y n = pG(1 + q + ⋅ ⋅ ⋅ q n−1 ) + q n y0 und folglich y n = pG ⋅

1 − qn 1 − qn + q n y0 = pG ⋅ + q n y0 = G ⋅ (1 − q n ) + q n y0 = G − (G − y0 )q n . 1−q p

Weiter ist limn→∞ y n = G. Somit ist G auch hier global asymptotisch stabil. Man erkennt unmittelbar, dass diskrete und kontinuierliche Lösung in n Zeit­ punkten übereinstimmen, falls q = e−k ist. In diesem Fall würden DGL und DFGL folgende Gestalt erhalten: y n+1 = (1 − e−k )G + e−k y n

ẏ = k(G − y) y(t) = G − (G − y0 )e−kt

y n = G − (G − y0 )e−kn .

Nichtlineare DGL und DFGL Sobald die Linearität einer autonomen DGL 1. Ordnung aufgehoben wird, können erhebliche Unterschiede zwischen den Lösungskurven auftreten. Als Erstes wollen wir uns überlegen, welche Kurvenform Lösungen einer eindimensionalen autonomen DGL überhaupt besitzen können. Beispiel. ẏ = ky(G − y)(y − M) ,

0 M nimmt man die Lya­ punov- Funktion V(y) = (y − G)2 und erhält ̇ V(y) = 2(y − G)ẏ = −2k(y − G)2 (y − M) < 0

falls

y>M.

Ergebnis. a) Die Trajektorie einer autonomen DGL ẏ = f(y) ist streng monoton steigend, falls ẏ = f(y) > 0, und streng monoton fallend, falls ẏ = f(y) < 0 gilt. Oszillation ist unmöglich. b) Die Trajektorie einer DFGL y n+1 = f(y n ) besitzt die Möglichkeit zur Oszillation. Beweis zu a). Nehmen wir an, die Lösung z(t) sei periodisch mit der Periode T. Wir zeigen, dass nur eine konstante Funktion für z(t) in Frage kommt. t+T 2 ds ̇ Ausgehend von z(t + T) = z(t) für alle t betrachten wir das Integral ∫t [z(s)] und erhalten t+T

t+T

z(t+T)

̇ ̇ ds = ∫ f(z) dz = F(z(t + T)) − F(z(t)) = 0 , ds = ∫ f(z(s)) ⋅ z(s) ∫ [z(s)] 2

t

t

z(t)

̇ 2 für alle t gleich wenn F eine Stammfunktion von f ist. Damit ist der Integrand [z(t)] ̇ die Nullfunktion auf dem ganzen Intervall und schließlich z(t) = konst. Null, also z(t)

Ein zum Allee-Effekt passendes diskretes Modell, das diskrete logistische Wachstum, behandeln wir erst in Kapitel 10.5. Als einfaches Beispiel zur Illustration von b) be­ trachten wir y n+1 = y2n mit y0 = 1. Der (instabile) Fixpunkt ist y∗ = √2. Man erhält y n = 1 für n gerade und y n = 2 für n ungerade.

10.2 Verzweigungen |

99

Ergebnis a) (im Gegenteil zu b)) besagt unter anderem, dass man periodische Schwankungen einer Population mit Hilfe einer kontinuierlichen autonomen DGL nicht erfassen kann, egal wie man die Konkurrenz der Spezies untereinander mo­ delliert. In Kapitel 12 werden wir die Oszillationseigenschaft auch für zeitverzögerte DGLen nachweisen.

10.2 Verzweigungen Im Gegensatz zu bisher nehmen wir ein autonomes System, das zusätzlich von einem Parameter k abhängen soll: ẏ = f(k, y). k ∈ ℝ. Definition. Ein Punkt k heißt Verzweigungswert der obigen DGL, wenn die Trajektorie für k ihre Stabilität ändert. Wir identifizieren dabei den Verzweigunswert k mit dem entsprechenden Punkt im k, y-Diagramm. Bemerkung. Es gibt auch mehrparametrische Verzweigungen. Wir beschränken uns im Weiteren auf einen Parameter. Die folgenden Verzweigungen sollen in einem zweidimensionalen System dargestellt werden. Dabei beinhaltet die erste DGL ẏ 1 = f(k, y1 ) die eigentliche Verzweigungart, wogegen die zweite DGL als ẏ 2 = −y2 gewählt wird. Damit ist die asymptotisch stabile Lösung für y2 (t) = Ce−t gesichert und das Augenmerk kann ganz auf die erste DGL gelegt werden. Die Gleichgewichte liegen somit alle auf der y1 -Achse. Anhand des Verlaufs der Trakjektorie im Phasenraum (y1 , y2 -Diagramm) wird auch die Namensgebung der Verzweigungsart offensichtlich. Ein lineares System besitzt nie eine Verzweigung, denn aus der Normalform ẏ 1 = k − y1 ẏ 2 = −y2 0 ist G(k, 0) der einzige GWP und immer stabil, da Jf(y1 , y2 ) = ( −1 0 −1 ).

A) Sattel-Knoten-Verzweigung

ẏ 1 = k − y21 ẏ 2 = −y2

a) k < 0. Keine reellen Gleichgewichtspunkte. 1 , y2 (t) = C2 e−t (Abb. 10.2 links). Für die Trajektorie b) k = 0. G(0, 0), y1 (t) = t+C 1 kann man y1 nach t auflösen und in y2 einsetzen. Da man nicht davon ausgehen kann, dass sich das auch für die kommenden Fälle einfach tun lässt, bestimmen dy2 2 1 wir die Bahn so: Aus dy dt = −y 1 und dt = −y 2 ergibt sich dy2 dy1 = dt = 2 . y2 y1

100 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Abb. 10.2: Sattel-Knoten-Verzweigung für k = 0 und k > 0

Durch beidseitige Integration entsteht ln |y2 | = −

1 + C1 , y1

und mit C > 0 schließlich y2 = ±Ce

|y2 | = Ce

− y1

1

− y1

1

.

Darstellung der Zeitpunkte für y1 (0) = y2 (0) > 0 (Abb. 10.2 links). Für die Stabilität betrachten wir −2y1 Jf(y1 , y2 ) = ( 0

0 ) , −1

Jf(0, 0) = (

0 0

0 ) . −1

Der Stabilitätssatz kann nicht angewendet werden, da ein Eigenwert Null ist. Es ist vorerst keine Aussage möglich. Die lokale asymptotische Stabilität wird aber aus Abb. 10.2 links ersichtlich und kann über die Lyapunov-Funktion V(y1 , y2 ) = y21 + y22 gezeigt werden. ̇ Es ist V(y) = −2y31 − 2y22 < 0 für y1 , y2 > 0. Die zugehörige Umgebung ist somit auch ermittelt. c) k > 0. Zwei Gleichgewichtspunkte G1 (−√k, 0), G2 (√k, 0) (Abb. 10.2 rechts). Für die Bahn schreiben wir nacheinander dy2 dy1 =− , y2 k − y21 ln |y2 | = − ln |y2 | =



1 dy2 1 1 ∫( =− + ) dy1 , y2 √k + y1 √k − y1 2√k

1 (ln |√k + y1 | − ln |√k − y1 |) + C1 , 2√k

|y1 − √k| 1 ln ( ) + C1 , 2√k |y1 + √k| 1

|y1 − √k| 2√k |y2 | = C ( . ) |y1 + √k|

10.2 Verzweigungen |

101

Aus der Zeichnung (Abb. 10.2 rechts) wird die Bezeichnung nun deutlich: Ein Sat­ tel und ein Knoten (k > 0) kollidieren und es entsteht ein Sattel-Knoten (k = 0). Für die Stabilität von G1 betrachten wir 2√k Jf(−√k, 0) = ( 0

0 ). −1

Der positive Eigenwert zieht nach dem Stabilitätssatz die Instabilität von G1 nach sich. 0 ). Aus den beiden negativen Eigenwerten folgert Für G2 ist Jf(√k, 0) = ( −20√k −1 man die lokale asymptotische Stabilität für G2 . Mit der Lyapunov-Funktion V(y1 , y2 ) = (y21 − k)2 + y22 kann man die Umgebung ̇ angeben: V(y) = −4y1 (y21 − k)2 − 2y22 < 0 für y1 , y2 ≠ G2 und y1 > −√k. Ergebnis. An einer Sattel-Knoten-Verzweigung entsteht aus einem stabilen GWP (k = 0) ein Paar aus Gleichgewichtspunkten, einer anziehend, der andere abstoßend (k > 0). Man nennt dies die superkritische Variante. Das k, y1 -Diagramm ergibt eine Parabel, bzw. eine Wurzelfunktion mit einem sta­ bilen oberen (fett) und einem instabilen unteren Ast (gestrichelt) (Abb. 10.3 links). Im Vergleich dazu, wenn ẏ 1 = k + y21 , ẏ 2 = −y2 , nennen wir die Verzweigung subkritisch. Mit wachsendem k entsteht aus einem Paar von GWPen (k < 0) verschiedener Stabilität ein instabiler GWP (k = 0) (Abb. 10.3 rechts). Man nennt die DGL ẏ = k±y2 die Normalform für eine Sattel-Knoten-Verzweigung.

Abb. 10.3: Varianten einer SattelKnoten-Verzweigung

Beispiel. ẏ = r − y − e−y . Wir setzen 0 = r − y − e−y , r − y = e−y . a) r < 1. Keine rellen Gleichgewichtspunkte. b) r = 1. Genau ein GWP und zwar y = 0. c) r > 1. Genau zwei GWPe, numerisch zu bestimmen. Wir entwickeln e−y um y = 0: y2 e−y ≈ 1 − y + 2 (bis zur 2. Potenz von y muss man gehen, aber nicht höher, sonst erhält man nicht 0, 1 oder 2 GWPe). Es entsteht ẏ = r − y − (1 − y +

y2 y2 ) = r−1− . 2 2

102 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen Setzt man z := 2y und k := r−1 2 , dann folgt durch diese Umskalierung die bekannte Form der superkritischen Variante ż = k − z2 . Hier ist k = 0 der Verzweigungspunkt, also r = 1 Verzweigungspunkt der ursprünglichen DGL. B) Falten-Verzweigung

ẏ 1 = y1 (k − y1 ) ẏ 2 = −y2

a) k = 0. G(0, 0), Siehe A). b) k > 0 (Abb. 10.4 links). Zwei Gleichgewichtspunkte G1 (0, 0), G2 (k, 0). Die Trajek­ torie wird wie üblich über die folgende DGL bestimmt: dy1 dy2 =− . y2 y1 (k − y1 ) Weiter ist 1 1 dy2 1 = − ∫( + ) dy1 , y2 k y1 k − y1 1 ln |y2 | = − (ln |y1 | − ln |k − y1 |) + C1 , k 1 |k − y1 | ln |y2 | = ln ( ) + C1 , k |y1 |



1

|y2 | = C (

|k − y1 | k ) . |y1 |

Die Jacobi-Matrix lautet Jf(y1 , y2 ) = (

k − 2y1 0

0 ) . −1

0 ). Aus dem positiven Eigenwert er­ Für die Stabilität von G1 ist Jf(0, 0) = ( 0k −1 wächst die Instabilität von G1 . Für G2 haben wir einen lokal asymptotisch stabilen Knoten. Der Stabilitätssatz bestätigt dies:

Jf(k, 0) = (

−k 0

0 ) −1

mit det Jf = k > 0 und Spur Jf = −k − 1 < 0 .

Mit der Lyapunov-Funktion: V(y1 , y2 ) = (y1 − k)2 + y22 kann man die Umgebung angeben: ̇ V(y) = −2y1 (y1 − k)2 − 2y22 < 0 für y1 , y2 ≠ G2 und y1 > 0 . c) Im Falle von k < 0 sind die Rollen vertauscht: 0 ist ein asymptotisch stabiler Kno­ ten und k ist ein instabiler Sattel (Abb. 10.4 rechts).

10.2 Verzweigungen |

103

Abb. 10.4: Falten-Verzweigung für k>0 und k −1. Genau zwei GWPe, numerisch zu bestimmen. Substitution: u := y − 1, dann ist u̇ = r ln(1 + u) + u. 2 Wir entwickeln ln(1+ u) um u = 0. Es entsteht ln(1+ u) ≈ u − u2 unter Verwendung 2 3 von ln(1 + u) = u − u2 + u3 ∓ ⋅ ⋅ ⋅ für u > 0. Man erhält u̇ = r (u −

u2 u2 ) + u = (r + 1)u − . 2 2

Setzt man z :=

r r u = (y − 1) und 2 2

k := r + 1 ,

dann folgt ż = kz − z2 . Hier ist k = 0 der Verzweigungspunkt, also r = −1 Verzwei­ gungspunkt der ursprünglichen DGL.

104 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

C) Heugabel-Verzweigung ẏ 1 = y1 (k − y21 ) ẏ 2 = −y2 a) k < 0 (Abb. 10.6 links). Keine reellen GWPe außer G(0, 0). Für die Bahn berechnen wir nacheinander dy2 dy1 =− , y2 y1 (k − y21 )



1 1 y1 dy2 = − ∫( + ) dy1 , 2 y2 k k − y1 y1

1 1 ln |y2 | = − (− ln |k − y21 | + ln |y1 |) + C1 , k 2 ln |y2 | =

1 (ln |k − y21 | − 2 ln |y1 |) + C1 , 2k

|y2 | = C (

|k − y21 | y21

−k − 3y21 Jf(y1 , y2 ) = ( 0

ln |y2 | =

|k − y21 | 1 ln ( ) + C1 , 2k y21

1 2k

)

.

0 ) , −1

Jf(0, 0) = (

−k 0

Aufgrund des positiven Eigenwerts ist G instabil.

Abb. 10.6: Heugabel-Verzweigung für k < 0, k = 0 und k > 0

0 ) . −1

10.2 Verzweigungen |

105

b) k = 0. G(0, 0) (Abb. 10.6 mitte). Die Trajektorie bestimmen wir über dy2 dy1 = 3 y2 y1

und

ln |y2 | = −

1 + C1 2y21

Mit C > 0 folgt y2 = ±Ce



1 2y2 1

zu |y2 | = Ce



1 2y2 1

.

.

Darstellung der Zeitpunkte für y1 (0) = y2 (0) > 0 Die Jacobi-Matrix ist Jf(y1 , y2 ) = (

−3y21 0

0 ) , −1

0 Jf(0, 0) = ( 0

0 ) . −1

Vorerst ist keine Aussage möglich. Aus der Trajektoriengleichung zumindest wird die globale asymptotische Stabilität ersichtlich. Analytisch findet man die Lyapu­ nov-Funktion V(y1, y2) = y21 + y22 . Es ist ̇ V(y) = −2y41 − 2y22 < 0 für (y1 , y2 ) ≠ (0, 0) . c)

k > 0 (Abb. 10.6 rechts). Drei Gleichgewichtspunkte G1 (0, 0), G2 (−√k, 0), G3 (√k, 0). Die DGL für die Bahn berechnet sich zu: dy1 dy2 =− . y2 y1 (k − y21 ) Es folgt dy2 1 y1 1 = − ∫( + ) dy2 , y2 k y1 k − y21 1 1 ln |y2 | = − (ln |y1 | − ln |k − y21 |) + C1 , k 2 |k − y21 | 1 1 ) + C1 , ln |y2 | = − (2 ln |y1 | − ln |k − y21 |) + C1 , ln |y2 | = ln ( 2k 2k y21



|y2 | = C (

|k − y21 | y21

1 2k

)

.

Für die Stabilität betrachten wir Jf(y1 , y2 ) = (

k − 3y21 0

0 ) , −1

k Jf(0, 0) = ( 0

0 ) . −1

Aufgrund des positiven Eigenwerts ist G1 instabil. 0 Jf(−√k, 0) = ( −2k 0 −1 ) führt nach dem Stabilitätssatz zu einem lokal asymptotisch stabilen Knoten in G2 : det Jf = 2k > 0 und Spur Jf = −2k − 1 < 0. Ebenso für G3 . Mit der Lyapunov-Funktion V(y1, y2) = (y21 − k)2 + y22 kann man die Umgebung angeben: ̇ V(y) = −4y21 (y21 − k)2 − 2y22 < 0

für y1 , y2 ≠ G2 und (y1 , y2 ) ≠ (0, 0) .

106 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Ergebnis. An einer superkritischen Heugabel-Verzweigung entsteht aus einem stabi­ len GWP (k = 0) ein Paar aus anziehenden Gleichgewichtspunkten und ein dazwi­ schen liegender abstoßender GWP (k > 0). Das k, y1 -Diagramm ergibt eine Gerade mit einem stabilen oberen und einem instabilen unteren Teil. Die Bezeichnung „Heugabel“ ist diesem Diagramm entlehnt (Abb. 10.7 links). Die subkritische Variante mit ẏ 1 = y1 (k − y21 ) lässt zwei instabile GWPe und einen dazwischen liegenden instabilen GWP (k < 0) zu einem instabilen GWP verschmelzen (k = 0) (Abb. 10.7 rechts).

Abb. 10.7: Varianten einer Heugabel-Verzweigung

Beispiel. ẏ = ry − sinh(y), GWP: ry = sinh(y). a) r ≤ 1. Genau ein GWP und zwar y = 0. b) r > 1. Genau drei GWPe, numerisch zu bestimmen. Wir entwickeln sinh(y) um y = 0. Es entsteht sinh(y) ≈ y + sinh(y) = y +

y3 3!

+

y5 5!

y3 6

unter Verwendung von

+ ⋅ ⋅ ⋅ für y > 0. Man erhält ẏ = ry − y −

y3 y3 = y(r − 1) − . 6 6

Setzt man z := √y und k := r − 1, dann folgt ż = kz − z3 . Hier ist k = 0 der Verzwei­ 6 gungspunkt, also r = 1 Verzweigungspunkt der ursprünglichen DGL. D) Hopf-Verzweigung Wir haben bisher nur das einfachste Verhalten von Trajektorien, die Konvergenz gegen eine Ruhelage, untersucht. Lösungen können aber auch gegen Grenzzyklen konvergieren, d. h. sich dem Verlauf periodischer Bahnen annähern. Im eindimensionalen Fall entspricht dieser Grenzzyklus einer Oszillation zwischen zwei (Häufungs-)Punkten. Dies ist nur im diskreten Fall einer DFGL möglich. Ein Beispiel dazu folgt weiter unten. Soll die Trajektorie einer Kreisbahn zustreben, dann muss die DGL (im kontinu­ ierlichen Fall) mehrdimensional sein. Betrachten wir den zweidimensionalen Fall. Aus Kapitel 8.3 ist folgendes bekannt: Damit in der Umgebung eines Punktes die Lösung Kreis- oder Spiralform besitzt, muss die zugehörige Jacobi-Matrix notwendigerweise zwei konjugiert komplexe Eigenwerte liefern.

10.2 Verzweigungen |

Beispiel. I. ẏ 1 = −y2 + y1 (k − y21 − y22 ) II. ẏ 2 = y1 + y2 (k − y21 − y22 ) ,

107

k∈ℝ

G(0, 0) ist der einzige GWP. Weiter betrachten wir die Jacobi-Matrix: Jf(y1 , y2 ) = (

k − 3y21 − y22 1 − 2y1 y2

−1 − 2y1 y2 ) . k − y21 − 3y22

mit den Eigenwerten λ1,2 = k ± i. Es ist Jf(0, 0) = ( 1k −1 k ) Der Stabilitätssatz besagt, dass für k < 0 der Punkt G lokal asymptotisch stabil ist – die Lösung konvergiert in Form einer Spirale gegen G – und für k > 0 instabil ist. Für k = 0 kann vorerst keine eindeutige Aussage getroffen werden. Die Linearisierung um G für k = 0 erzeugt aber die rein imaginären Eigenwerte λ1,2 = ±i und legt nahe, dass die Trajektorie in einen stabilen Grenzzyklus übergeht. Dies wollen wir zeigen und transformieren hierzu in Polarkoordinaten: y1 = r cos φ, y2 = r sin φ. Dann folgt y21 + y22 = r2 und ẏ 1 = r ̇ cos φ − r φ̇ sin φ ẏ 2 = r ̇ sin φ + r φ̇ cos φ . Eingesetzt erhält man I.

r ̇ cos φ − r φ̇ sin φ = −r sin φ + r cos φ(k − r2 )

II. r ̇ sin φ + r φ̇ cos φ = r cos φ + r sin φ(k − r2 ) . Die Gleichungen I. und II. werden mit cos φ bzw. sin φ multipliziert und es folgt I.

r ̇ cos2 φ − r φ̇ sin φ cos φ = −r sin φ cos φ + r cos2 φ(k − r2 )

II. r ̇ sin2 φ + r φ̇ sin φ cos φ = r sin φ cos φ + r sin2 φ(k − r2 ) . I.+II. ergibt r ̇ = r(k − r2 ). Die Gleichungen I. und II. werden mit sin φ bzw. cos φ multipliziert, was zu I.

r ̇ sin φ cos φ − r φ̇ sin2 φ = −r sin2 φ + r sin φ cos φ(k − r2 )

I.

r ̇ sin φ cos φ + r φ̇ cos2 φ = r cos2 φ + r sin φ cos φ(k − r2 )

führt. I. − II. ergibt −2r φ̇ = −2r, also φ̇ = 1. In Polarkoordinaten lautet unser System somit r ̇ = r(k − r2 ) φ̇ = 1 . Man erkennt die Analogie zur Heugabel-Verzweigung.

108 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen Die DGL φ̇ = 1 bedeutet, dass die Winkeländerung streng monoton wachsend ist, also φ(t) = φ0 + t. a) k = 0. In diesem Fall bestehen die möglichen Ruhelagen bloß aus dem GWP G(r = 0, φ). Der Drehwinkel spielt hier überhaupt keine Rolle. Die Trajektorie bestimmen wir über dφ = − dr zu φ = 2r12 + C. Mit wachsendem r3 Drehwinkel muss der Radius gegen Null konvergieren. Daraus wird die globale asymptotische Stabilität von G ersichtlich. Analytisch ̇ nehmen wir die Lyapunov-Funktion V(r) = r2 . Es ist V(r) = −2r4 < 0 für r ≠ 0. b) k > 0. Man erhält zwei Gleichgewichtszustände: Den GWP G(r = 0) von vorhin und den Grenzkreis Z = {(r, φ) | r = √k, φ = R}. Für die Trajektorie berechnen wir (Abb. 10.8) 1 r dr 1 , ∫ dφ = ∫ ( + ) dr , k r k − r2 r(k − r2 ) 1 1 1 φ = (ln r − ln |k − r2 |) + C , φ = (2 ln r − ln |k − r2 |) + C , k 2 2k r2 1 ln ( φ= )+C. 2k |k − r2 |

dφ =

Der Punkt G wird somit instabil und es entsteht ein global asymptotischer Grenz­ zyklus mit Radius r = √k. Dazu wählen wir die Lyapunov-Funktion zu V(r) = ̇ (r2 − k)2 . Es folgt V(y) = −4r2 (r2 − k)2 < 0 für r ≠ 0.

Abb. 10.8: Trajektorie einer Hopf-Verzweigung

Ergebnis. An einer superkritischen Hopf-Verzweigung entsteht aus einem stabilen GWP (k = 0) ein stabiler Grenzzyklus mit einem instabilen GWP (k > 0). Das k, y1 , y2 -Diagramm ist hier offensichtlich ein Paraboloid (Abb. 10.9 links). Subkritische Hopf-Verzweigung: r ̇ = r(k + r2 ), φ̇ = 1. Aus einem stabilen GWP (k < 0) entsteht ein stabiler Grenzzyklus zusammen mit einem instabilen GWP (k > 0). Das k, y1 , y2 -Diagramm ist auch in diesem Fall ein Paraboloid. Aus einem insta­ bilen GWP (k > 0) wird ein stabiler GWP (k = 0), um den ein periodischer, instabiler Orbit kreist (Abb. 10.9 rechts).

10.3 Gestörte Verzweigungen | 109

Abb. 10.9: Varianten einer Hopf-Verzweigung

Bemerkung. Es gibt noch weitere mehrdimensionale Verzweigungen. Diese bespre­ chen wir nicht, weil sie in unseren folgenden Modellen nicht auftreten werden.

10.3 Gestörte Verzweigungen Wie wollen untersuchen, was geschieht, wenn wir die drei oben genannten Normal­ verzweigungen durch Hinzunahme eines Terms stören. Wir nennen diese dann gestör­ te Verzweigungen. a) Gestörte Sattelknoten-Verzweigung ẏ = k + ay − y2 mit dem linearen Störungs­ term ay, a ∈ ℝ. Dadurch werden die Nullstellen von ẏ nach rechts oder links verschoben, was be­ deutet, dass die Verzweigungswerte dieselben wie im ungestörten System sind. Analytisch kann man das auch über eine Transformation einsehen: y := z + 2a . Dann folgt ẏ = ż = k + a (z +

a 2 a2 2 a2 2 a2 a )−(z + ) = k + az + − z − az − = k+ − z = k ∗ − z2 . 2 2 2 4 4

b) Gestörte Falten-Verzweigung ẏ = a + ky − y2 mit der Störungskonstante a ∈ ℝ. Die Transformation y := z + 2k führt zum selben Ergebnis wie bei a) mit vertausch­ ten Rollen für a und k. c) Gestörte Heugabel-Verzweigung Bei der Störung dieser Art von Verzweigung werden wir zwei neue Eigenschaften der Verzweigungs-Analysis kennenlernen. Wenn wir in den folgenden Modellen I. bis III. von stabilen Zuständen sprechen, bezieht sich das nur insofern auf eine Population, solange der Wert von y positiv ist, ansonsten meinen wir es rein ana­ lytisch. I. ẏ = a + ky − y3 mit der Störungskonstante a ∈ ℝ. Beispiel: ẏ = −2 + ky − y3 (Abb. 10.10). Für die GWPe gilt ky = 2 + y3 . Ein Verzweigungswert stellt sich für k = 3 ein. Die Stabilität entscheiden wir mittels Jf(y) = k − 3y2 (S steht für stabil, I für instabil) Im Verzweigungsdiagramm ist der Verlauf der GWPe für den ungestörten Fall grau und für den gestörten schwarz markiert (Abb. 10.11).

110 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Abb. 10.10: Stabilität zu Beispiel I

Abb. 10.11: Verzweigungsdiagramm von Beispiel I

Befindet sich die Größe y für wachsende k mit k 0 < 3 in einem Gleichge­ wichtszustand des unteren Asts, so folgt sie auch den Zuständen entlang die­ ses Astes. Bei wachsendem k mit k 0 > 3 sind zwei stabile Wege möglich. Für fallende k führt der untere Ast nur entlang desselben. Ist man schließlich für fallende k mit k 0 > 3 auf dem stabilen oberen Ast, so wird am Verzweigungs­ punkt A für k = 3 die Bahn nicht mehr kontinuierlich verlaufen, sondern auf den darunterliegenden stabilen Ast springen und entlang dieses Astes wei­ terlaufen. Ergebnis 1. Bei gestörten Verzweigungen entstehen an Verzweigungsstellen Trajektoriensprünge zwischen stabilen Zuständen.

10.3 Gestörte Verzweigungen | 111

Abb. 10.12: Stabilität von Beispiel II

Abb. 10.13: Verzweigungsdiagramm von Beispiel II

II. ẏ = ky + ay2 − y3 mit dem Störungsterm ay2 , a ∈ ℝ. Beispiel: ẏ = ky − 2y2 − y3 (Abb. 10.12). Für die GWPe gilt ky = 2y2 + y3 . Die Verzweigungswerte befinden sich an den Stellen k = −1 und k = 0. Die Stabilität entscheiden wir mittels Jf(y) = k − 4y − 3y2 . Im Verzweigungsdiagramm ist der Verlauf der GWPe für den ungestörten Fall grau und für den gestörten schwarz markiert (Abb. 10.13). Bei wachsendem k ist nur ein stabiler Verlauf möglich, von A zu O und weiter. Für fallende k mit k 0 > −1 führt der untere Ast nur entlang desselben bis zum Punkt C, von wo aus die Trajektorie zum Punkt A springt. Ist man schließlich für fallende k mit k 0 > 0 auf dem stabilen oberen Ast, so sind zwei Verläufe möglich: Entweder bis zum Verzweigungspunkt O hin zu A, oder ein Sprung von O nach B, dann bis zu C und ein weiterer Sprung hin zu A. Den Unter­ schied zwischen den Wegen OA und BC nennen wir Hysterese (vgl. Hysterese eines elastischen Körpers oder diejenige eines ferromagnetischen Körpers). Ergebnis 2. Bei gestörten Verzweigungen sind verschieden „lange“ Trajekto­ rien entlang stabiler Zustände möglich.

112 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Abb. 10.14: Stabilität für ein reales System

III. ẏ = a + ky + by2 − y3 . Mit der Transformation y := z + 3b lässt sich der qua­ dratische Term entfernen und es entsteht ż = a∗ + k ∗ z − z3 mit dem Ergebnis aus I. Im realen System kann man eine Population nicht auf die obige Weise mo­ dellieren. Man muss die Änderung ẏ so verfeinern, dass für alle k durchwegs mindestens eine stabile Populationsgröße y ≥ 0 gewährleistet ist. Dies er­ reicht man, indem man die bisherigen Normalformen durch einen Term der Potenz vier oder höher erweitert. Zudem wird dadurch einem langsameren Anstieg der Population für große k > 0 Rechnung getragen. Aus Symmetriegründen nehmen wir einen Term 5. Ordnung: ẏ = ky + y3 + ay5 . Beispiel: ẏ = ky + y3 − 0,25y5 (Abb. 10.14). Für die GWPe gilt ky = 0,25y5 − y3 . Die Gleichung lässt sich auflösen zu y a = ±√2(1 − √k + 1)

und

y b = ±√2(1 + √k + 1)

Die Verzweigungswerte befinden sich an den Stellen k = −1 und k = 0. Die Stabilität entscheiden wir mittels Jf(y) = k + 3y2 − 1,25y4 . Das Verzweigungsdiagramm enthält zwei Sattel-Knoten-Verzweigungen und eine Heugabel-Verzweigung (Abb. 10.15). Auch hier ist das Phänomen der Hys­ terese sichtbar. Für wachsende k existiert bis k = 0 kein Individuum. Das System befindet sich in einem stabilen Zustand. Sobald k > 0 erwacht die Po­ pulation zum Leben und ihre Größe wächst sprunghaft auf einen Wert y = 2, einem ebenfalls stabilen Zustand, und von da an weiter. Vermindert sich die Populationszahl, dann verläuft die Trajektorie für entsprechend fallende Wer­ te von k am Punkt B vorbei bis hin zu C. Für k < −1 bricht die Population plötzlich ein. Einen solchen Einbruch kann man folgendermaßen erklären: Der kontinu­ ierliche Verlauf des lokalen Ökosystems bricht aufgrund einer Epidemie ein. Es sind aber auch äußere Umstände denkbar, wie z. B. Kälteeinbruch, Beginn der Jagdsaison usw. Eine plötzliche Zunahme hingegen weist auf günstige kli­ matische Bedingungen, üppiges Nahrungsangebot oder das Fehlen eben ge­ nannter Einschränkungen hin.

10.4 Der Banach’sche Fixpunktsatz | 113

Abb. 10.15: Verzweigungsdiagramm für ein reales System

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 47 und 48.

10.4 Der Banach’sche Fixpunktsatz Die Stabilitätssätze erlauben es, das Konvergenzverhalten von kontinuierlichen Sys­ temen zu untersuchen. Als Hilfsmittel bei Stabilitätsfragen von diskreten Systemen beweisen wir den Fixpunktsatz von Banach, kurz BFS. Mit V1 bis V3 bezeichnen wir die Voraussetzungen. Banach’scher Fixpunktsatz. (V1) I sei ein abgeschlossenes Intervall, (V2) T sei eine Selbstabbildung, d. h. T(I) ⊆ I und (V3) T ist kontrahierend, d. h., es existiert 0 < L < 1 mit |T(a) − T(b)| ≤ L|a − b| für alle a, b ∈ I. Dann hat T genau einen Fixpunkt y∗ ∈ I, d. h. T(y∗ ) = y∗ und die Folge y n+1 := T(y n ) konvergiert für alle Startpunkte y0 ∈ I gegen y∗ . (V3) bedeutet, dass die Bildpunkte näher beieinander liegen als die Ausgangspunkte. (V2) sichert, dass der Fixpunkt innerhalb des Intervalls I zu liegen kommt.

114 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Abb. 10.16: Graph von (10.3)

Gegenbeispiel zu (V2) (Abb. 10.16): T(y) = y + sin y

(10.3)

9π [ 3π 4 , 4 ]

≈ [2,36, 7,07], dann ist T(I) = [2,40, Nimmt man beispielsweise I = 7,19] ⊈ I. Je nach Wahl von y0 konvergiert dann die Folge y n gegen F1 oder F2 . Beweis. Es ist |y n+1 − y n | ≤ L|y n − y n−1 |. Dies zieht die Ungleichheitskette |y n+1 − y n | ≤ L|y n − y n−1 | ≤ L2 |y n−1 − y n−2 | ≤ ⋅ ⋅ ⋅ ≤ L n |y1 − y0 | nach sich. Nun betrachten wir k, n, m ∈ ℕ beliebig mit m = n + k. Es gilt |y n − y m | = |y n − y n+1 + y n+1 − y n+2 + y n+2 − ⋅ ⋅ ⋅ − y m−1 + y m−1 − y m | ≤ |y n − y n+1 | + |y n+1 − y n+2 | + |y n+2 − y n+3 | + ⋅ ⋅ ⋅ + |y m−1 − y m | ≤ L n |y1 − y0 | + L n+1 |y1 − y0 | + L n+2 |y1 − y0 | + ⋅ ⋅ ⋅ + L m−1 |y1 − y0 | ≤ L n (1 + L + L2 + ⋅ ⋅ ⋅ + L m−1−n )|y1 − y0 | = L n

1 − L m−n |y1 − y0 | 1−L

1 − Lk 1 |y1 − y0 | ≤ L n |y1 − y0 | . 1−L 1−L Da nun L < 1 ist, folgt ≤ Ln

lim |y n − y m | ≤ lim L n

n→∞

Damit ist y n eine Cauchy-Folge.

n→∞

1 |y1 − y0 | = 0 . 1−L

10.4 Der Banach’sche Fixpunktsatz |

115

Nun greift (V1), denn aus der Abgeschlossenheit unseres metrischen Raumes folgt die Vollständigkeit, so dass also jede Cauchy-Folge konvergiert. Somit ist limn→∞ y n = y. y erweist sich als Fixpunkt. Dazu betrachten wir |y − T(y)| = |y − y n + y n − T(y)| ≤ |y − y n | + |y n − T(y)| = |y − y n | + |T(y n−1 ) − T(y)| ≤ |y − y n | + L|y n−1 − y| → 0 . Also ist T(y) = y. Dies ist nichts Anderes als die Stetigkeitsbedingung von T: Aus y n → y folgt T(y n ) → T(y) oder y n+1 → T(y). Zusammen ist T(y) = y. Die Eindeutigkeit zeigen wir indirekt. Wäre y ≠ y∗ , dann ist |y − y∗ | = |T(y) − T(y∗ )| ≤ L|y − y∗ | < |y − y∗ | . Dieser Widerspruch ist nur durch y = y∗ aufzulösen. Bemerkung. Der BFS ist ein lokaler Satz. Globale Stabilität lässt sich damit nicht zei­ gen. Folgerung. (V1) I sei ein abgeschlossenes Intervall, (V2) T sei eine differenzierbare Funktion und (V3) y∗ sei ein Fixpunkt von T mit |T 󸀠 (y∗ )| < 1. Dann konvergiert jede Folge y n mit y0 ∈ I gegen y∗ ∈ I. Für |T 󸀠 (y∗ )| > 1 läuft die Lösung vom Fixpunkt weg. |T 󸀠 (y∗ )| = 1 lässt keine Aussage zu. Bemerkung. Die Bedingung |T 󸀠 (y∗ )| < 1 bedeutet, dass die Funktion T in einer Umge­ bung des Fixpunkts „genügend flach“ ist, nämlich kleiner als die Steigung der ersten Winkelhalbierenden. Beweis. Um den BFS anzuwenden, müssen wir zeigen, dass T a) kontraktiv und b) selbstabbildend ist. a) Da T differenzierbar ist, kann der Mittelwertsatz angewendet werden. Er besagt, dass für alle a, b ∈ I ein z ∈ [a, b] existiert, so dass T(a) = T(b) + T 󸀠 (z) ⋅ (a − b) gilt. Folglich ist |T(a) − T(b)| ≤ Max|T 󸀠 (z)| ⋅ |a − b|. Wegen der Abgeschlossenheit z∈I

von I existiert dieses Maximum: L := Max|T 󸀠 (z)|. z∈I

Damit nun L < 1 ist, wählen wir h so klein, dass im Intervall I := [y∗ − h, y∗ + h] das Maximum L immer noch kleiner als 1 bleibt. (Aufgrund der Stetigkeit von T existiert eine solche Umgebung). Dann ist T kontraktiv.

116 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen b) Für jedes y ∈ I ist |T(y) − y∗ | = |T(y) − T(y∗ )| ≤ L|y − y∗ | < Lh < h. Damit folgern wir, dass T(y) ∈ I und T(I) ⊆ I. Ist |T 󸀠 (y∗ )| > 1, dann muss aufgrund der Stetigkeit von T auch |T 󸀠 (y)| > 1 für alle y in einer Umgebung von y∗ sein, womit keine Konvergenz innerhalb von I möglich ist.

10.5 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2 Mit Hilfe der Stabilitätsätze und des BFS sind wir in der Lage, nichtlineare (eindimen­ sionale) DGLen bzw. DFGLen im Vergleich zu untersuchen. Beispiel 1. A) Kontinuierlich ẏ = −y + k√y a) k < 0. Es gibt keine reellen GWPe. b) k = 0. ẏ = −y. G(0, 0) und die Lösung ist y(t) = Ce−t . Jf(y) = −1 < 0. ̇ Für die globale asymptotische Stabilität nehmen wir V(y) = y2 . V(y) = 2y ẏ = −2y2 < 0 für y ≠ 0. ∞ 2 c) Hier ergeben sich zwei Gleichgewichtspunkte: y∞ 1 = 0 und y 2 = k und es ist ∫

dy = ∫ dt , √y(k − √y)

−2 ln |k − √y| = t + C ,

t = C − 2 ln |k − √y| . (10.4)

Für die Darstellung wählen wir C = 2 und k = 3 (Abb. 10.17). Um die Stabilität zu untersuchen, linearisieren wir: Jf(y) = −1 +

Abb. 10.17: Graph von (10.4)

k . 2√y

10.5 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2

| 117

Es folgt Jf(0) = ∞ und Jf(k 2 ) = − 12 < 0. Der erste GWP ist instabil, der zweite lokal asymptotisch stabil. Weiter ist V(y) = (k − √y)2 , ̇ V(y) = 2(k − √y) (−

(k − √y)(k − √y)√y 1 ) ẏ = − = −(k − √y)2 < 0 2 ⋅ √y √y

für y ≠ k 2 . Somit ist der zweite GWP global asymptotisch stabil. Zudem erweist sich k = 0 als Sattel-Knoten Verzweigungswert. B) Diskret y n+1 = y n − y n + p√y n = p√y n := T(y n ) , p > 0 . y∗1

y∗2

(10.5)

Die Fixpunkte sind = 0 und = Um den BFS anzuwenden, setzen wir I := [p2 − h, p2 + h]. Es folgt T(I) = [p√p2 − h, p√p2 + h] ⊆ I p2 .

für alle p und h genügend klein. Weiter ist 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 p 󵄨󵄨󵄨 1 󵄨󵄨 = < 1 . |T 󸀠 (p2 )| = 󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 2√p2 󵄨󵄨󵄨 2 Alle Voraussetzungen sind erfüllt. Somit konvergiert jede in I startende Folge ge­ gen p2 und dieser Fixpunkt ist lokal asymptotisch stabil. Dies hätte man auch direkt sehen können, da y n eine explizite Darstellung erlaubt: Wir erhalten nacheinander 1

y1 = p(y0 ) 2 ,

1

3

1

y2 = p(y1 ) 2 = p 2 (y0 ) 4 ,

7

1

y3 = p 4 (y0 ) 8

und mit Induktion (Abb. 10.18 links) n

2 −1 1 1 y n = p 2n−1 (y0 )( 2 ) = p2−( 2 )

Abb. 10.18: Punktfolge von (10.5)

n

n−1

1 (y0 )( 2 ) . n

lim y n = p2 .

n→∞

118 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen Damit haben wir einen stabilen Fixpunkt, y∗2 = p2 , und einen instabilen Fixpunkt y∗1 = 0. Für eine Skizze wählen wir p = 3. Die Punkte (n, y n ) liegen auf dem Kurvenstück des kontinuierlichen Modells, das sich von unten an den Fixpunktwert anschmiegt und vom Punkt P(0, 1) startet (Abb. 10.18 rechts). Beispiel 2. A) Kontinuierlich ẏ = −ky + 1y , k ≥ 0 a) k = 0. ẏ = 1y , kein GWP. 1 b) k > 0. Die GWPe sind y∞ 1,2 = ± √ . Weiter gilt k



dy = ∫ dt, 1 − ky2



1 ln |1−ky2 | = t+C, 2k

t = −C−

1 ln |1−ky2 |. (10.6) 2k

Darstellung für C = k = 1 (Abb. 10.19).

Abb. 10.19: Graph von (10.6)

Die Jacobi-Matrix lautet (y) = −k − y12 . Es gilt Jf(± √1 ) = −2k < 0. Also sind beide k GWPe lokal asymptotisch stabil. Eine mögliche Lyapunov-Funktion ist 4y(ky2 − 1)(1 − ky2 ) ̇ V(y) = (ky2 −1)2 , V(y) = 2(ky2 −1)2y ẏ = = −4(ky2 −1)2 < 0 y

119

10.5 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2 |

für y ≠ ± √1 . Die zugehörigen maximalen Umgebungen sind k

y < 0 für y∞ 1 =

1 , √k

y > 0 für y∞ 2 =−

1 . √k

Verzweigungen gibt es in diesem Fall nicht. B) Diskret y n+1 = y n − py n + y1n = (1 − p)y n + y1n := T(y n ), p > 0. 1 Durch Lösen der Gleichung y∗ = (1 − p)y∗ + y1∗ erhält man y∗1,2 = ± √p . Im Folgen­ den beschränken wir uns auf den positiven Fixpunkt y∗ =

1 . √p

Fall 1 (0 < p < 1). Wir wählen I := [y∗ − h, y∗ + h] und müssen zeigen, dass T(I) ⊆ I gilt. Dazu muss a) y∗ − h ≤ T(y∗ − h) ≤ y∗ + h und b) y∗ − h ≤ T(y∗ + h) ≤ y∗ + h gezeigt werden. Beweis. a) Die linke Ungleichung führt auf y∗ − h ≤ (1 − p)(y∗ − h) + Daraus wird zuerst p(y∗ − h) ≤

1 ∗ y∗ −h , dann (y

− h)2 ≤

1 p

1 y∗ −h .

und schließlich

1 , √p

1 √p

−h ≤

was für alle h gilt. Für die rechte Ungleichung schreiben wir (1 − p)(y∗ − h) +

1 ≤ y∗ + h . y∗ − h

Wir folgern nacheinander 1 ≤ 2h + p(y∗ − h) , −h 2h 1≤ − 2h2 + 1 − 2√ph + ph2 , √p y∗

1 ≤ 2h (

2 1 1 − h) + p ( − h) , √p √p

0 ≤ 2 − 2√ph − 2p + p√ph

und erhalten die Bedingung h
1). |T 󸀠 (y∗ )| = |1 − 2p| > 1. y∗ = Folgen divergieren.

1 √p

ist instabil und alle in I startenden

Beispiel 3. A) Kontinuierlich ẏ = ky(G − y) ,

k>0.

Die Lösung lautet bekanntlich (Abb. 10.20 links) y(t) =

y0 G . y0 + (G − y0 )e−kGt

Abb. 10.20: Graph von (10.7) und Punktfolge von (10.8)

(10.7)

10.5 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2 |

121

∞ Die GWPe sind y∞ 1 = 0 und y 2 = G, Jf(y) = kG − 2y. Jf(0) = kG > 0 instabil. Weiter gilt Jf(G) = −kG < 0 und mit V(y) = (G − y)2 folgt ̇ V(y) = −2ky(G − y)2 < 0 für y ≠ G und somit die globale asymptotische Stabilität. B) Diskret z n+1 = z n + qz n (F − y n ) = z n (1 + qF − qz n ) (10.8)

Die Transformation y n =

q 1+qF z n

führt zu

1 + qF 1 + qF y n+1 = y n [(1 + qF − (1 + qF)y n )] q q oder y n+1 = (1 + qF)y n [(1 − y n )] . Mit p := 1 + qF entsteht y n+1 = py n (1 − y n ) := T(y n ). Da die Funktion T bei M( 12 , 4p ) ihr Maximum besitzt, ist T(I) ⊆ I, falls I := [0, 1] und 0 < p < 4 gewählt wird. Für die Fixpunkte schreiben wir y∗ = py∗ (1 − y∗ ) und finden y∗1 = 0 und y∗2 = p−1 p . Die Stabilität entscheiden wir mittels |T 󸀠 (y)| = p|1 − 2y|. Speziell ist |T 󸀠 (y∗1 )| = p, |T 󸀠 (y∗2 )| = |2 − p|. Fall 1 (0 < p < 1). |T 󸀠 (y∗1 )| < 1, also lokal asymptotisch stabil. |T 󸀠 (y∗2 )| > 1, somit instabil, y∗2 liegt nie im 1. Quadranten. Fall 2 (1 < p < 3). |T 󸀠 (y∗1 )| > 1, instabil. |T 󸀠 (y∗2 )| < 1, lokal asymptotisch stabil. Für p = 2 fällt der Schnittpunkt von T und y = x mit dem Scheitelpunkt von T zusammen. Fall 3 (3 < p < 4). |T 󸀠 (y∗1 )| > 1, instabil. |T 󸀠 (y∗2 )| > 1, ebenfalls instabil. Hier stellt sich die Frage, welcher Art die Instabilität in y∗2 ist. Nehmen wir beispielsweise p = 3,1, so erhalten wir mit y0 = 0,8 Werte, die sich an zwei Stellen häufen: y12 ≈ y14 ≈ 0,765, y13 ≈ y15 ≈ 0,557 (Abb. 10.20 rechts). Als Nächstes wollen wir die genaue Lage der beiden Häufungspunkte in Abhängigkeit von p berechnen. Dazu muss zwangsweise T 2 (y) = T(y) sein mit T 2 (y) = p2 y(1 − y)(1 − py(1 − y)) . Es folgt p2 y(1 − y) − p3 y2 (1 − y)2 − y = 0 . Nach Abspalten der Lösung y = 0 hat man p2 − p2 y − p3 y + 2p3 y2 − p3 y3 − 1 = 0 . Division durch p3 ergibt y3 − 2y2 + (1 +

1 1 1 )y + 3 − = 0 . p p p

122 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Weiter wird der zweite Fixpunkt durch Polynomdivision abgespalten: [y3 − 2y2 + (1 +

1 1 1 1 1 1 1 ) y + 3 − ] : [y − (1 − )] = y2 − (1 + ) y + 2 + . p p p p p p p

Für die zwei neuen Fixpunkte wird die Gleichung py2 − p(p + 1)y + p + 1 = 0 gelöst: y± =

p(p + 1) ± √ p2 (p + 1)2 − 4p2 (p + 1) . 2p2

Die beiden neuen Fixpunkte sind y± =

p + 1 ± √p2 − 2p − 3 p + 1 ± √D = . 2p 2p

Für die Existenz der Beiden lautet die Bedingung (p + 1)(p − 3) > 0, also p > 3 wie gehabt. Für 1 < p < 3 ist der Fixpunkt y∗2 = p−1 p asymptotisch stabil. Für p = 3 wird dieser instabil. Für diesen Wert erhält man somit einen Hopf-Verzweigung. Die Lösung oszilliert mit der Periode 2. Lange währt die Stabilität der beiden neuen Fixpunkte nicht. Betrachten wir dazu dT 2 (y) = p2 − 2p2 y − 2p3 y + 6p3 y2 − 4p3 y3 = p2 (1 − 2y − 2py + 6py2 − 4py3 ) dy = p2 (1 − 2y(p + 1) + 2py2 (3 − 2y)) = p2 (1 − 2y(p + 1 − py(3 − 2y))) . p + 1 ± √D dT 2 p + 1 ± √D p + 1 ± √D (y+ ) = p2 (1 − 2 (p + 1 − p (3 − 2 ))) dy 2p 2p 2p = p2 (1 −

p + 1 + √D p + 1 + √D 2p − 1 − √D (p + 1 − ( ))) p 2 p

= p2 (1 −

p + 1 + √D 2p2 + 2p − [(p + 1)(2p − 1) − (p + 1)√ D ( p 2p +

Für

dT 2 dy (y − )

(2p − 1)√D − (p2 − 2p − 3)] )) 2p

= p2 (1 −

p + 1 + √D 2p2 + 2p − [p2 + 3p + 2 + (p − 2)√ D] ( )) 2p 2p2

= p2 (1 −

p + 1 + √D 2 (p − p − 2 − (p − 2)√ D)) 2p2

=

1 [2p2 − ((p + 1)(p2 − p − 2) − (p + 1)(p − 2)√ D + (p2 − p − 2)√D 2 − (p − 2)(p2 − 2p − 3))]

=

1 [2p2 − (4p2 − 4p − 8)] = −p2 + 2p + 4 . 2

entsteht derselbe Ausdruck.

10.5 Differenzial- und Differenzengleichungen im Vergleich Teil 2

| 123

Die Stabilitätsbedingung verlangt 󵄨󵄨 󵄨󵄨 2 󵄨󵄨 󵄨󵄨 dT 2 󵄨 󵄨󵄨 (y ) 󵄨󵄨 dy + 󵄨󵄨󵄨 = | − p + 2p + 4| < 1 . 󵄨 󵄨 Dies wird erfüllt, wenn 3 < p < 1 + √6, mit 1 + √6 ≈ 3,449. Für ein p in diesem Bereich wechselt die Folge für alle Startwerte außer 0, 1 und p−1 p zwischen den beiden Häufungspunkten y + und y − . Was geschieht, wenn p > 1 + √6 gewählt wird? Eine Simulation mit p = 3,5 und y0 = 0,8 zeigt die Häufung der Werte an 4 Stellen (für fast alle Startwerte): y25 ≈ y29 ≈ 0,501 y24 ≈ y28 ≈ 0,827 y23 ≈ y27 ≈ 0,383 y22 ≈ y26 ≈ 0,875 . Die genauen Werte in Abhängigkeit von p lassen sich nicht mehr analytisch ermitteln, denn T 4 (y) ist eine Funktion 16. Grades, die dies auch nach Abspalten der Fixpunkte y∗1,2 und y± nicht zulässt. Deswegen muss man sich mit einer numerischen Bestim­ mung begnügen. Wählt man beispielsweise p = 3,55 > 1 + √6, dann stellt sich mit y0 = 0,8 ein 8er-Zyklus ein: y34 ≈ y42 ≈ 0,887 y35 ≈ y43 ≈ 0,355 y36 ≈ y44 ≈ 0,813 y37 ≈ y45 ≈ 0,540 y38 ≈ y46 ≈ 0,882 y39 ≈ y47 ≈ 0,370 y40 ≈ y48 ≈ 0,828 y41 ≈ y49 ≈ 0,506 . Mittels Intervallschachtelung erhält man das p-Stabilitätsintervall für diesen 8erZyklus zu 3,544090 < p < 3,564407 . Mit fortschreitendem p findet eine ganze Kaskade von Periodenverdoppelungen statt. Die zugehörigen Stabilitätsintervalle werden dabei immer kleiner.

124 | 10 Differenzial- und Differenzengleichungen

Periode

p-Stabilitätsintervall

2 4 8 16 32 64 128

3 < p < 1 + √6 1 + √6 < p < 3,544090 3,544090 < p < 3,564407 3,564407 < p < 3,568759 3,568759 < p < 3,569692 3,569692 < p < 3,569891 3,569891 < p < 3,569934

Ab einem Wert von p ≈ 3,57 tritt Chaos ein, was bedeutet, dass die Abstände zwischen den Häufungspunkten so klein werden, dass die einzelne Werte nicht mehr voneinan­ der zu unterscheiden sind. Die Folge springt zwischen den (endlich vielen) Werten hin und her und jeder Wert zwischen 0 und 1 ist sozusagen gleich wahrscheinlich. Für 3,57 < p < 4 gibt es aber immer wieder kleine p-Umgebungen mit Häufungs­ punkten. In der Nähe von p = 3,82 stellt sich ein 3er-Zyklus ein, der von einem 6erZyklus abgelöst wird. Ebenso existieren Periodenverdoppelungen von 5er-, 7er-, 9er-, 11er-Zyklen usw. Alle Perioden kommen vor. Beginnt das diskrete System für einen Parameterwert p = p∗ zu schwingen, dann kann dies ein Indikator dafür sein, dass die Lösung für größere Werte von p nicht mehr vorhersagbar ist. Im eben gezeigten Beispiel geht die anfangs stabile Lösung in ein chaotisches Ver­ halten über. Im Gegensatz dazu erlischt der 2er-Zyklus in Beispiel 2 ebenso schnell, wie er ent­ standen ist. Eine chaotische Entwicklung ist ein Phänomen diskreter Systeme, weshalb wir das Langzeitverhalten der kommenden Populationsmodelle – bei einer Simulation ja zwangsweise diskretisiert – mit Berücksichtigung veränderlicher Parameterwerte un­ tersuchen wollen.

11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3 In diesem Kapitel kehren wir zu den Räuber-Beute-Modellen zurück. In den bisherigen Modellen haben wir die Abnahme der Beutepopulation y1 durch die Räuber y2 mit dem Term −βy1 y2 angesetzt, was bedeutet, dass für die doppelte Anzahl an Beute bei gleicher Räuberzahl auch doppelt so viel gefressen wird. Das ist für kleine y1 in Ordnung, aber für wachsende y1 unrealistisch. Deswegen sieht unser neuer Ansatz so aus: ẏ 1 = αy1 (K − y1 ) − β ⋅ f(y1 )y2 ẏ 2 = y2 (γ ⋅ f(y1 ) − δ) . Die Funktion f(y1 ) muss drei Bedingungen genügen. Erstens muss sie für wachsen­ de y1 steigen. Zweitens muss f(y1 ) im Gegensatz zu den bisherigen Modellen aber nach oben beschränkt sein, d. h. limy1 →∞ f(y1 ) = 1. Schließlich soll sinnvollerweise f(0) = 0 sein. Es sind viele Modelle denkbar. Wir wählen für den Moment drei aus: Modell A). Man wählt einen Term der Art f(y1 ) = dar.

y1 F+y1 . F

stellt dabei eine Art Schranke

Modell B). Denkbar wäre auch ein Ansatz der Art f(y1 ) = 1 − e Modell C). Als letzten Vorschlag betrachten wir f(y1 ) =

y21

C 2 +y21

y

− C1

1

.

.

Die Koeffizienten C1 und C2 müssten den Messdaten angepasst werden. Wir wählen die beiden Koeffizienten so, dass die drei Funktionsgraphen von f(y1 ) einen ähnlichen Verlauf aufweisen. Für eine Simulation sei später F = 5, weswegen y1

f(y1 ) = 1 − e− 2F

und

f(y1 ) =

y21 F2

+ y21

sinnvoll erscheinen. Wir vergleichen kurz den Änderungsteil ẏ 1β := −β ⋅ f(y1 )y2 der Beutepopulation für das bisherige Modell ohne Beschränkung mit den drei neuen Ansätzen. Die Werte seien β = 0,3, F = 5, y1 = 8. Im bisherigen Modell war f(y1 ) = y1 , was ẏ 1β = −0,24y2 ergäbe. Mit den drei neuen Ansätzen erhält man ẏ 1β = −β

y1 8 ⋅ y2 = −0,18y2 , y2 = −0,3 ⋅ F + y1 5+8 y1

ẏ 1β = −β (1 − e− 2F ) y2 = −0,3 ⋅ (1 − e− 10 ) ⋅ y2 = −0,17y2 ẏ 1β = −β

y21 F 2 + y21

y2 = −0,3 ⋅

8

64 ⋅ y2 = −0,22y2 . 25 + 64

Mit den gewählten Zahlen sind die Änderungen fast gleich groß. Wir setzen im Weiteren der Einfachheit halber y1 = y. https://doi.org/10.1515/9783110683806-011

und

126 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3

Die Zunahmen ẏ A =

y , F+y

y

ẏ B = (1 − e− 2F )

und

ẏ C =

y2 F 2 + y2

sind in Abb. 11.1 links für F = 5 dargestellt. Alle drei Graphen, aber insbesondere derjenige von ẏ C , tragen dem Umstand Rechnung, dass bei kleinen Beutezahlen y1 der Zugriff auf diese Individuen schwierig ist, weil sie weiter verstreut sind. Entscheidend ist, was die Durchführung am konkreten Beispiel erbringt. Unsere Zahlwerte sind α = 0,01, β = 0,3, γ = 0,03, δ = 0,1, y1 (0) = 5, y2 (0) = 2, F = 5, K = 20. Es ergeben sich die drei Graphen. Dargestellt sind nur die Beutepopulationen (z. B. in 100er) (Abb. 11.1 rechts). Die drei Verläufe sind praktisch identisch. Letztlich können nur Langzeitstudien im offenen Gelände darüber Auskunft geben, welcher Ansatz für die begrenzte Fress­ menge der tatsächlichen zeitlich abhängigen Individuenanzahl am nächsten kommt und ob die Modellwahl zu einem merklichen Unterschied führt.

Abb. 11.1: Drei Modellterme im Vergleich

Man muss noch erwähnen, dass die Zahlen so gewählt sind, dass die zugehörigen Tra­ jektorien allesamt asymptotisch stabil sind und die Verläufe verglichen werden kön­ nen. Es gibt keinen Grund, weshalb man den einen Ansatz dem anderen vorziehen sollte, sofern nicht Messungen vorliegen, die mit einem bestimmten Modell besser vereinbar sind. Ein zweiter Grund für die Wahl eines der drei vorgeschlagenen Model­ le wären die Verzweigungseigenschaften bei der Abhängigkeit eines Parameters (oder mehrerer). Eine solche Analyse betrachten wir anschließend. Bemerkung. Das Modell A nennt man auch das Modell von Monod, nach dem gleich­ namigen Biochemiker. Es beschreibt die Wachstumsgeschwindigkeit von Mikroorga­ nismen.

11.1 Lotka-Volterra-Modell 6 (Beutewachstum und Fressmenge der Räuber beschränkt) | 127

Abb. 11.2: Bausteine zur Modellierung von Populationen

An dieser Stelle scheint es sinnvoll zu sein, eine kleine Übersicht über die drei wich­ tigsten Bausteine zur Modellierung von zeitlich abhängigen Wachstumsarten zu ge­ ben (Abb. 11.2).

11.1 Das Lotka-Volterra-Modell 6 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum und beschränkter Fressmenge der Räuber) Bevor wir das eigentliche zweidimensionale Modell betrachten, gehen wir in einem ersten Schritt von einer konstanten Räuberpopulation y2 aus. Das folgende Modell wurde in einem bestimmten Zusammenhang erstellt. In den kanadischen Wäldern beobachtet man, dass Fichtenwälder so groß wie die Fläche der Schweiz in Abständen von etwa 50 bis 80 Jahren durch den Befall einer bestimmten Raupenart absterben. Diese ernähren sich von den Knospen und Nadeln des Baumes und bringen dadurch den Wuchs der Fichte nach etwa 6 bis 7 Jahren zum Erliegen. Zudem wurde festgestellt, dass die Raupenpopulation plötzlich sprunghaft ansteigen kann. Als natürliche Feinde der Raupen zählen Vögel, die jene erst dann zu einer ihrer Hauptnahrungsquellen wählen, wenn die Katastrophe nicht mehr abwendbar ist. Das Ende der 70er des vorigen Jahrhunderts vorgeschlagene Modell lautet: ẏ = αy(K − y) − β

y2 . F + y2

Bsp. F = 2, K = 20, β = 0,2. y ist die Raupenpopulation. Ihr logistisches Wachstum wird mit einen Konkurrenzterm gemäß dem Modell C aus Kapitel 11 versehen.

128 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3

Abb. 11.3: Bestimmen der Gleichgewichtspunkte

Für die Bestimmung der GWPe (außer der Null) betrachten wir den Verlauf der beiden Funktionen (Abb. 11.3) f1 (y) = α(K − y)

und

f2 (y) = β

y F + y2

für

F = 2 , K = 20 , β = 0,2 .

Dabei soll α unser zu variierender Parameter sein. Es ergeben sich fünf verschiedene Lagen. Der Graph von f1 (y) ist Tangente zu f2 (y) für α = 0,00192 bzw. α = 0,00382. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Anzahl der GWPe der fünf Lagen, ihre Stabilität und den zugehörigen Bereich für den Parameter α. Lage

Anzahl GWPe

α-Bereich

Werte der GWPe und Stabilität

1

2

α < 0,00195 z. B. α = 0,001

y 1∞ = 0, instabil y 2∗ = 0,20, stabil

2

3

α = 0,00195

y 1∞ = 0, instabil y 2∞ = 0,42, stabil y 3∞ = 9,85

3

4

0,00195 < α < 0,00382 z. B. α = 0,0025

y 1∞ y 2∞ y 3∞ y 4∞

4

3

α = 0,00382

y 1∞ = 0, instabil y 2∞ = 1,52 y 3∞ = 16,93, stabil

5

2

α > 0,00382 z. B. α = 0,005

y 1∞ = 0, instabil y 2∞ = 17,76, stabil

= 0, instabil = 0,56, stabil = 4,88, instabil = 14,63, stabil

Aufschlussreicher ist das Verzweigungsdiagramm

11.1 Lotka-Volterra-Modell 6 (Beutewachstum und Fressmenge der Räuber beschränkt) | 129

Abb. 11.4: Verzweigungdiagramm der Raupenpopulation

Das Verzweigungsdiagramm enthält eine superkritische und eine subkritische Sattel-Knoten-Verzweigung (Abb. 11.4). Es gibt bis zum Punkt A eine stabile, von Null verschiedene Lösung. Würden die Vögel die Raupen vor Erreichen ihrer kritischen Wachstumsrate α = 0,00382 dezimieren, dann könnte die Katastrophe noch aufgehalten werden. Steigt aber der Wert von α, dann schnellt die Anzahl der Raupen hoch von A zu C (Hystere­ se, die Nulllösung ist instabil). Die Fichten werden immer weiter geschädigt, bis sie absterben. Dadurch geht auch die Raupenpopulation zurück und zwar entlang des oberen Astes. Wird der Punkt B erreicht, so sackt ihre Anzahl plötzlich ab und der Prozess kann von Neuem beginnen. Das eigentliche zweidimensionale Modell y1 Entsprechend setzen wir anstelle von y1 neu F+y . Die mathematische Analyse mit die­ 1 sem Modell ist verglichen mit den anderen zwei Modellen B und C einfacher. Die Fress­ menge der Beute muss man nicht einschränken, da diese nichts mit dem Schwanken der Räuberpopulation zu tun hat. Für eine sich verändernde Räuberpopulation sieht das System so aus: y2 ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) − β ] F + y1 y1 ẏ 2 = y2 [γ − δ] . F + y1 Zur Bestimmung der Gleichgewichtspunkte außer G1 (0, 0) und G2 (K, 0) setzen wir ẏ 1 = ẏ 2 = 0 und erhalten 1 0 = α(K − y∞ y∞ und 1 )−β 2 F + y∞ 1 y∞ δF ∞ 0 = γ 1 ∞ − δ 󳨐⇒ γy∞ 󳨐⇒ y∞ . 1 = δF + δy 1 1 = F + y1 γ−δ

130 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3

Eingesetzt folgt α(K − y∞ 1 )= β

y∞ 2 F + y∞ 1

󳨐⇒

α ∞ ∞ (K − y∞ 1 )(F + y 1 ) = y 2 β

und α δF δF α K(γ − δ) − δF F(γ − δ) + δF (K − ) (F + )= ( )( ) β γ−δ γ−δ β γ−δ γ−δ α (γK − δK − δF)γF αγF K(γ − δ) − δF ⋅ = . = ⋅ β β (γ − δ)2 (γ − δ)2

y∞ 2 =

Hier taucht neu die für beide Populationen notwendige Existenzbedingung γ > δ auf. Die Räuber ihrerseits könnten in diesem Modell aussterben, dann nämlich, wenn ∞ y∞ 2 < 0 wird. Dies ist gleichbedeutend mit K(γ − δ) < δF oder K < y 1 (vgl. I. weiter unten). Wir betrachten im Hinblick auf eine Analyse der Lösungen zuerst das folgende Vektorfeld. Das Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 6 α Die Isoklinen sind y1 = y∞ 1 und y 2 = β (K − y 1 )(F + y 1 ). Letztere ist eine Parabel. Die Ableitung liefert dy2 α = (K − F − 2y1 ) . dy1 β Das Maximum liegt bei y1 = y1 =

K−F 2

und beträgt

α K−F K−F α 2K − K + F 2F + K − F α (K − ) (F + )= ( )( )= (F + K)2 . β 2 2 β 2 2 4β

Der Wert bezeichnet die maximal mögliche Population der Räuber. Um die Vorzeichen von ẏ 1 und ẏ 2 besser bestimmen zu können, schreiben wir die DGLen um zu βy1 α [ (K − y1 )(F + y1 ) − y2 ] F + y1 β (γ − δ) [y1 − y∞ ẏ 2 = y2 1 ]. F + y1

ẏ 1 =

Damit ergeben sich zwei Fälle mit den zugehörigen Skizzen in Abb. 11.5. Konvergenz im Fall I. Vom Bereich B1 gelangt die Trajektorie nach B2 , von wo aus sie direkt gegen K konvergieren kann, oder dasselbe über den Bereich B3 vollzieht. Die Population y2 stirbt somit aus. Konvergenz im Fall II. Startet die Trajektorie in B0 , so ist eine direkte Konvergenz zu G möglich. Ansonsten sind sowohl eine geschlossene Kurve um G als auch eine spiralförmige Bahn hin zu G denkbar.

11.1 Lotka-Volterra-Modell 6 (Beutewachstum und Fressmenge der Räuber beschränkt) | 131

Abb. 11.5: Isoklinen und Vektorfeld des Lotka-Volterra-Modells 6

Eine Lyapunov-Funktion für das Lotka-Volterra-Modell 6 Wir schreiben βy1 (G(y1 ) − y2 ) F + y1 γ−δ ẏ 2 = y2 (y1 − y∞ 1 ) F + y1 ẏ 1 =

mit

G(y1 ) =

α ∞ (K − y1 )(F + y1 ), G(y∞ 1 ) = y2 β

und versuchen (fast) denselben Ansatz wie bei den beiden bisherigen Modellen: V(y1 , y2 ) =

γ−δ y1 y2 ∞ ∞ ∞ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln ( ∞ )) + β (y 2 − y 2 − y 2 ln ( ∞ )) . F y1 y2

∞ i) V(y∞ 1 , y 2 ) = 0 ist erfüllt, ∞ ii) V(y1 , y2 ) > 0 für (y1 , y2 ) ≠ (y∞ 1 , y 2 ) (die Teilfunktionen sind konvex) und ̇ 1 , y2 ) = (γ − δ)(y1 − y∞ ) ẏ1 + β(y2 − y∞ ) ẏ 2 . iii) V(y 1 2 y1 y2 β γ−δ ∞ (G(y1 ) − y2 ) + β(y2 − G(y∞ (y1 − y∞ = (γ − δ)(y1 − y1 ) 1 )) 1 ) F + y1 F + y1 γ−δ ∞ (y1 − y∞ = 1 )[β(G(y 1 ) − y 2 ) + β(y 2 − G(y 1 ))] F + y1 β(γ − δ) ∞ (y1 − y∞ = 1 )[G(y 1 ) − G(y 1 )] . F + y1 ∞ Wir müssen erreichen, dass A(y1 ) := (y1 − y∞ 1 ) bzw. B(y 1 ) := G(y 1 ) − G(y 1 ) verschie­ dene Vorzeichen haben. Hierzu gibt es drei Fälle zu unterscheiden:

Fall I (Abb. 11.6 links). Wählt man y1 < y∞ 1 , dann ist A(y 1 ) < 0, B(y 1 ) > 0. Für y 1 > ̇ 1 , y2 ) < 0. Damit ist G global y∞ erhält man A(y ) > 0, B(y ) < 0. Folglich ist V(y 1 1 1 asymptotisch stabil für y1 ∈ U = ℝ+ \ {y∞ }. 1 Fall II (Abb. 11.6 mitte). Ist y1 < y∞ 1 , dann folgt A(y 1 ) < 0, B(y 1 ) > 0, solange y 1 > ∞ K − F − y∞ bleibt. Für y > y ergibt sich A(y1 ) > 0, B(y1 ) < 0. Zusammen hat man 1 1 1 ̇ V(y1 , y2 ) < 0. Damit ist G lokal asymptotisch stabil für y1 ∈ U mit U = {y1 | y1 > K − F − y∞ 1 }.

132 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3

Abb. 11.6: Lyapunov-Umgebungen des Lotka-Volterra-Modells 6

∞ Fall III (Abb. 11.6 rechts). Wählt man y1 < y∞ 1 , so ist A(y 1 ) < 0, B(y 1 ) < 0. Für y 1 > y 1 ∞ erhält man A(y1 ) > 0, B(y1 ) < 0, solange y1 > K − F − y1 gilt. In diesem Fall findet sich keine Umgebung von G.

In zwei von den drei Fällen stellt V(y1 , y2 ) eine Lyapunov-Funktion für obige DGL dar. Offensichtlich haben wir es hier mit einer Stabilitätsänderung des GWPs zu tun, die mit der Variation, beispielsweise des Parameters K, einhergeht. Im Falle von K = 2y∞ 1 + F wird der GWP instabil. Die Art der Instabilität untersuchen wir lokal und berechnen ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) − β ẏ 2 = y2 [γ

y2 ] F + y1

y1 − δ] . F + y1

Die Linearisierung des Lotka-Volterra-Modells 6 ∞ Wir betrachten die Jacobi-Matrix von f(y) für G(y∞ 1 , y 2 ): βFy2 − (F+y 2 − α(2y 1 − K) 1) Jf(y1 , y2 ) = ( γFy 2

(F+y1)2

βy1 − F+y 1 γy1 F+y1

−δ

) .

0 Weiter ist Jf(0, 0) = ( αK 0 −δ ). Daraus entnimmt man einen positiven und einen negati­ ven Eigenwert, womit dieser GWP instabil ist.

−αK Jf(K, 0) = ( 0

βK

− F+K γK F+K

−δ

) .

∞ Der zweite Eigenwert λ2 wird für K = y∞ 1 Null. Da notwendigerweise K > y 1 sein muss, ist λ2 > 0. Damit ist auch dieser GWP instabil.

11.1 Lotka-Volterra-Modell 6 (Beutewachstum und Fressmenge der Räuber beschränkt) |

133

Schließlich gilt es noch ∞ Jf(y∞ 1 , y2 ) = (

=(

− α [⋅ K(γ−δ)−δF γ α β

2δF γ−δ

+ K]

− βδ γ

⋅ [K(γ − δ) − δF]

αδ γ(γ−δ) (δ(K + F) − γ(K − α β (γK − δ(F + K))

0 F))

)



βδ γ

0

)

zu betrachten. ∞ Soll G(y∞ 1 , y 2 ) lokal asymptotisch stabil sein, dann muss det J > 0 und Spur J < 0 sein. Die erste Ungleichung liefert aus γK > δ(F + K) die Bedingung K > y∞ 1 . Für die Bedingung an die Spur erhält man γ(K − F) < δ(K + F). 󳨐⇒

γK − γF < δK + δF

󳨐⇒

γK − δK < γF + δF

󳨐⇒

K(γ − δ) < F(γ − δ) + 2δF

󳨐⇒

K < F+2

󳨐⇒

K < F + 2y∞ 1 .

δF γ−δ

∞ Zusammen hat man für Stabilität y∞ 1 < K < F + 2y 1 , in Übereinstimmung mit den mittels der Lyapunov-Funktion angestellten Überlegungen. Als Zahlenbeispiel wählen wir α = 0,01, β = 0,3, γ = 0,03, δ = 0,1, F = 5. Dann erhält man y∞ 1 = 10 und somit 10 < K < 25. Bevor wir zur Simulation schreiten, können wir noch analytisch untersuchen, was ∞ in einer Umgebung des GWPs G(y∞ 1 , y 2 ) für K = 24, 25, 26 geschieht. ∞ Für y∞ 1 = 10 ist y 2 = 0,5(K − 10). Die zugehörige Matrix hat dann die Gestalt

(

K−25 150

− 15

K−10 600

0

) .

Die Eigenwertgleichung lautet

󳨐⇒

K − 25 K − 10 λ+ =0. 150 3000 3000λ2 − 20(K − 25)λ + K − 10 = 0

󳨐⇒

λ1,2 =

λ2 −

K − 25 ± √K 2 − 12.050K + 120.625 . 6000

Für K = 24 folgt λ1,2 = −0,00016 ⋅ ⋅ ⋅ ±0,06831i, was aufgrund des negativen Realteils der lokal asymptotischen Stabilität der Form einer Spirale gleichkommt. Für K = 25 folgt λ1,2 = ±0,07071. Hier ist keine Aussage möglich.

134 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3 Für K = 26 folgt λ1,2 = 0,00016 ⋅ ⋅ ⋅ ± 0,07303i. Der positive Realteil führt zu einer Instabilität. Die Trajektorie läuft spiralartig vom GWP weg. Die Instabilität ab K = 25 könnte bedeuten, dass die Spiralform der Trajektorie so lange weiterwächst, bis entweder y1 < 1 oder y2 < 1 wird, und somit das System kollabiert. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass sich die Lösung hin zu einem Grenz­ zyklus bewegt. Damit würde sich für K = 25 eine Hopf-Verzweigung einstellen. Genau dieses Verhalten zeigt die Simulation. Eine Vorhersage ist mit unseren bis­ herigen Mitteln nicht möglich. Dazu bedürfte es des Satzes von Poincaré-Bendixson. Der zugehörige Beweis ist mit einigen neuen Begriffen verbunden und sehr aufwen­ dig. Wir verlassen uns deshalb auf die Simulation, indem wir in einer Tabelle die GWPe bzw. die minimalen und maximalen y1 -und y2 -Werte des Grenzzyklus festhalten und in einem K, y1 - bzw. K, y2 -Verzweigungsdiagramm diese Werte darstellen (Abb. 11.7). Als Startwert wählen wir y1 (0) = 5, y2 (0) = 2 und erhalten K

y1∞

22 23 24 25 26 27 28

10 10 10 10 10 10 10

[y1min , y1max ]

y2∞

[y2min , y2max ]

[8,9, 11,2] [6,3, 15,1] [4,9, 17,8] [3,9, 20,3]

6 6,5 7 7,5 8 8,5 9

[7,1, 7,9] [6,1, 9,2] [5,5, 10,2] [4,8, 11,0]

Für K = 33 ist erstmals y1 < 0 und die Populationen sterben aus.

Abb. 11.7: Verzweigung des Lotka-Volterra-Modells 6

11.2 Lotka-Volterra-Modell 7 |

135

11.2 Das Lotka-Volterra-Modell 7 (= Modell mit beschränktem Beutewachstum, beschränkter Fressmenge und intraspezifischer Konkurrenz der Räuber) In den bisherigen Räuber-Beute-Modellen, mit Ausnahme des allerersten, floss die in­ traspezifische Konkurrenz der Beute im logistischen Ansatz ein, wogegen bei den Räu­ bern dieser hindernde Einfluss unberücksichtigt blieb. Je größer die Räuberpopulation y2 , umso größer wird diese Konkurrenz und umso kleiner fällt ihr Wachstum aus. Für die Beutespezies y1 hat eine größere Anzahl an Räubern eine kleinere Abnahme zur Folge. Dieser Sachverhalt kann durch den Term y1 , F + y1 + εy2

ε>0

beschrieben werden. Unser neues Modell erhält somit die Gestalt ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) − β ẏ 2 = y2 [γ

y2 y2 ] F + y1 + εy2

y1 − δ] . F + y1 + εy2

Die Berechnung des von G1 (0, 0) und G2 (K, 0) verschiedenen GWPs ist allgemein möglich. Die Ausdrücke werden sehr schnell unübersichtlich, weshalb wir bis auf den Parameter K direkt zu einem Zahlenbeispiel schreiten: α = 0,01, β = 0,3, γ = 0,03, δ = 0,1, ε = 0,1, F = 5. Man erhält y∞ 1 =

1 √ 2 ( K − 200k + 14.000 + k − 100) > 0 für alle K und 2

y∞ 2 =

5 √ 2 ( K − 200k + 14.000 + k − 120) > 0 für K > 10 . 2

Die Jacobimatrix lautet 3y2 (y2 +50) − (10y 2 − 1 +y 2 +50) Jf(y1 , y2 ) = (

y1 50

+

30y2 (y2 +50) 2⋅(10y1 +y2 +50)2

K 100

30y1 (y1 +5) − (10y +y +50)2 1

2

15y1 (y1 +5) (10y1 +y2 +50)2



1 10

) .

Für K = 32 erhalten wir G(12,43, 12,16) und 0,00612 Jf(G) = ( 0,03261

−0,18696 ) . −0,00652

Dies führt zu den Eigenwerten λ1,2 = −0,00020 ± 0,07783i, woraus wir die asympto­ tische Stabilität folgern können.

136 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3

Abb. 11.8: Verzweigung des Lotka-Volterra-Modells 7

Für K = 33 erhalten wir G(12,57, 12,84) und Jf(G) = (

0,01054 0,03405

−0,18638 ) . −0,00681

Dies führt zu den Eigenwerten λ1,2 = 0,00186 ± 0,07919i, woraus die Instabilität resultiert. Wieder erweist sich K = 33 als Wert einer Hopf-Verzweigung (Abb. 11.8). Als Startwert wählen wir y1 (0) = 5, y2 (0) = 2 und es ergibt sich K

y1∞

30 31 32 33 34 35 36

12,17 12,30 12,43 12,57 12,71 12,85 12,99

[y1 min , y1 max ]

y2∞

[y2 min , y2 max ]

[9,1, 16,8] [7,9, 19,3] [7,0, 21,5] [6,2, 23,5]

10,85 11,50 12,16 12,84 13,53 14,23 14,94

[10,9, 14,2] [10,5, 15,4] [10,1, 16,4] [9,8, 17,4]

Die intraspezifische Konkurrenz der Räuber gestattet es der Beutespezies, ihre maxi­ male Kapazität verglichen mit dem LVM4 bis auf K = 47 zu erhöhen, bevor erstmals y1 < 1 wird und das System kollabiert.

11.3 Nahrungskettemodelle Die Basis einer Nahrungskette bilden ein oder mehrere Nahrungshersteller. Jede nach­ folgende Art ist Konsument, aber auch Produzent der nächsthöheren Spezies. Am Schluss der Kette stehen die Endkonsumenten. Wir betrachten eine vereinfachte Dreierkette, mit einem einzigen Produzenten y1 (Weide), gefolgt von einem Zwischen­ konsumenten y2 (Hase) hin zum Räuber y3 (Fuchs).

11.3 Nahrungskettemodelle | 137

Die bisher verwendeten Module kann man zu den verschiedensten DGLen für ein solches Modell zusammenstellen. Wir stellen nur zwei genauer vor. Das Erste orien­ tiert sich am LVM2, wogegen das Zweite das LVM4 als Grundlage besitzt. Modell 1 In Anlehnung an das LVM2 lautet unser Dreiersystem ẏ 1 = αy1 (K − y1 ) − βy1 y2 = y1 [α(K − y1 ) − βy2 ] ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 y3 − εy2 = y2 [γy1 − δy3 − ε] ẏ 3 = λy2 y3 − μy3 = y3 [λy2 − μ] Für die Isoklinen ergibt sich y2 = γ δ (y 1

α β (K

mit

α, β, γ, δ, ε, λ, μ > 0 .

− y1 ), Ebene senkrecht auf der y1 y2 -Ebene,

y3 = − ε), Ebene senkrecht auf der y1 y3 -Ebene und y2 = μλ , Ebene senkrecht auf der y1 y2 -Ebene, parallel zur y1 y3 -Ebene. Zur Bestimmung von Gleichgewichtspunkten erhält man das System y∞ 1 =0 y∞ 2 y∞ 3

(11.1a)

=0

(11.2a)

=0

(11.3a)

∞ α(K − y∞ 1 ) − βy 2 = 0

γy∞ 1

− δy∞ 3 −ε ∞ λy2 − μ

(11.1b)

=0

(11.2b)

=0

(11.3b)

mit acht möglichen Kombinationen. (11.1a,11.2a,11.3a) ergibt den Nullpunkt G1 (0, 0, 0). (11.1a,11.2a,11.3b) führt auf μ = 0 und ist nicht erfüllbar. (11.1a,11.2b,11.3a) ist nicht erfüllbar, denn es wäre ε = 0. ε (11.1a,11.2b,11.3b) ist im 1. Oktanten nicht erfüllbar, denn es folgt y∞ 3 = − δ < 0. (11.1b,11.2a,11.3a) ergibt G2 (K, 0, 0). (11.1b,11.2a,11.3b) führt auf μ = 0 und ist nicht erfüllbar. (11.1b,11.2b,11.3a) ergibt den GWP G3 ( εγ , αβ (K − γε ), 0). (11.1b,11.2b,11.3b) ergibt den GWP G4 (K −

βμ μ γ αλ , λ , δ (K



βμ αλ )

− δε ).

G4 liegt im 1. Oktanden, weswegen wir diesen genauer untersuchen. Eine Lyapunov-Funktion Wir definieren eine geeignete Lyapunov-Funktion und zeigen mit deren Hilfe, dass G4 global asymptotisch stabil ist. Dafür setzen wir an: ∞ V(y1 , y2 , y3 ) = γ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

+

y1 y2 ∞ )) + β (y2 − y∞ 2 − y 2 ln ( ∞ )) y∞ y 1 2

y3 βδ ∞ (y3 − y∞ 3 − y 3 ln ( ∞ )) λ y3

Wir zeigen, dass V(y1 , y2 , y3 ) eine Lyapunov-Funktion darstellt.

138 | 11 Koexistenz und Konkurrenz mehrerer Arten Teil 3 ∞ Beweis. i) V(y∞ 1 , y 2 ) = 0 ist erfüllt, ∞ ii) V(y1 , y2 ) > 0 für (y1 , y2 ) ≠ (y∞ 1 , y 2 ) (die Teilfunktionen sind konvex) und ̇ 1 , y2 , y3 ) = γ(y1 − y∞ ) ẏ 1 + β(y2 − y∞ ) ẏ2 + βδ (y3 − y∞ ) ẏ 3 iii) V(y 1 2 3 y1 y2 λ y3 μ ∞ = γ(y1 − y1 )(α(K − y1 ) − βy2 ) + β (y2 − ) (γy1 − δy3 − ε) λ βμ ε βδ γ + (y3 − (K − ) + ) (λy2 − μ) λ δ αλ δ

= γ(y1 − y∞ 1 )(α(K − y 1 ) − βy 2 ) μ βμ ) [γy1 − δy3 − ε + δy3 − γK + γ + ε] λ αλ μ ∞ = γ(y1 − y∞ 1 )(α(K − y 1 ) − βy 2 ) + β (y 2 − ) [γ(y 1 − y 1 )] λ βμ ∞ = γ(y1 − y∞ ] = αγ(y1 − y∞ 1 ) [αK − αy 1 − βy 2 + βy 2 − 1 )(y 1 − y 1 ) λ + β (y2 −

2 = −αγ(y1 − y∞ 1 ) < 0 für

y 1 ≠ y ∞ 1 .

Bemerkung. Für eine Darstellung der Trajektorie muss man zu einer 3D-Animation übergehen. Die Projektionen auf die 3 Koordinatenebenen ergeben jeweils konvergie­ rende Spiralen.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 49.

Modell 2 In Anlehnung an das LVM4 lautet unser Dreiersystem βF1 y2 ] F1 + y1 γF1 δF2 ẏ 2 = y2 [ y1 − y3 − ε] F1 + y1 F2 + y2 λF2 y2 − μ] . ẏ 3 = y3 [ F2 + y2 ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) −

Die Isoklinen lauten α (K − y1 )(F1 + y1 ) , Parabelwand senkrecht auf der y1 y2 -Ebene , βF1 γF1 F2 + y2 ε y3 = ⋅ y1 − (F2 + y2 ) , Fläche im Raum und δF2 F1 + y1 δF2 μF2 y2 = , Ebene senkrecht auf der y1 y2 -Ebene, parallel zur y1 y3 -Ebene . λF2 − μ y2 =

11.3 Nahrungskettemodelle | 139

Zur Bestimmung von Gleichgewichtspunkten erhält man das System y∞ 1 =0

(11.4a)

α ∞ ∞ (K − y∞ 1 )(F 1 + y 1 ) − y 2 = 0 βF1

(11.4b)

y∞ 2 =0

(11.5a)

ε γF1 F2 + y∞ 2 ∞ ∞ ⋅ y1 − (F2 + y∞ 2 ) − y3 = 0 δF2 F1 + y∞ δF 2 1

(11.5b)

y∞ 3 =0

(11.6a)

μF2 − y∞ 2 =0. λF2 − μ

(11.6b)

(11.4a,11.5a,11.6a) ergibt den Nullpunkt G1 (0, 0, 0). 2 (11.4a,11.5a,11.6b) führt auf λFμF2−μ = 0 und ist nicht erfüllbar. (11.4a,11.5b,11.6a) ist im 1. Oktanten nicht erfüllbar, denn es wäre y∞ 2 = −F 2 . ∞ ε (11.4a,11.5b,11.6b) ist im 1. Oktanten nicht erfüllbar, man erhält y∞ 3 = − δF 2 (F 2 + y 2 ). (11.4b,11.5a,11.6a) ergibt G2 (K, 0, 0). μF 2 = 0 und ist nicht erfüllbar. (11.4b,11.5a,11.6b) führt auf λF2−μ (11.4b,11.5b,11.6a) ergibt den GWP G3 (a, b, 0). Dieser ist aber weniger von Interesse. μF 2 ∞ (11.4b,11.5b,11.6b) ergibt den GWP G4 (y∞ 1 , λF 2 −μ , y 3 ). Die Koordinaten von G4 sollen genau bestimmt werden. Aus (11.4b) folgt βF1 ∞ y , α 2 ∞ ∞ β y∞2 1 − (K − F 1 )y 1 − F 1 (K − y 2 ⋅ ) = 0 , α F 1 ∞ y∞2 (βy∞ 1 − (K − F 1 )y 1 + 2 − αK) = 0 , α ∞2 = KF1 + (K − F1 )y∞ 1 − y1

y∞ 1 =

(K − F1 ) ± √(K − F1 )2 − 4 ⋅ 2

F1 ∞ α (βy 2

− αK)

.

∞ Für die Existenz von y∞ 1 muss entweder βy 2 − αK < 0 sein. Dann gilt die positive Lösung. ∞ 4α 2 Andernfalls ist βy∞ 2 − αK > 0, aber F 1 (K − F 1 ) > (βy 2 − αK). Dann sind beide Lösungen möglich. y∞ 3 ergibt sich dann über Gleichung (11.5b). Zur Untersuchung der Stabilität beschränken wir uns auf die Variation eines einzi­ gen Parameters, beispielsweise K. Wir werden in der zugehörigen Übung sehen, dass die Erhöhung des Werts K zur Folge hat, dass aus einer Periodenverdoppelung eine ganze Kaskade entsteht und das System ins Chaos fällt.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 50.

12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen Eine Schwäche der bisherigen Modelle besteht darin, dass die Populationsänderung stets auf den aktuellen Populationsbestand bezogen ist. Berücksichtigt man die Zeit­ dauer für die Geschlechtsreife und die Trägheit der Weibchen, so erkennt man, dass die Wirkung nicht unmittelbar, sondern zeitverzögert auf die Ursache folgt. Um beiden Ursachen Rechnung zu tragen, setzt man in der logistischen Gleichung die Änderung des Bestands sowohl in Abhängigkeit des aktuellen als auch eines vorangegangen Zu­ stands an: ̇ = ky(t)(G − y(t − T)) . y(t) Dabei ist T die Verzögerungszeit. Will man alle Werte während der Zeitspanne T berücksichtigen, und setzt voraus, dass weiter zurückliegende Werte weniger ins Gewicht fallen sollen, dann kann man T den Term y(t − T) als eine Verzögerungsverteilung ∫0 y(t − s)k(s) ds schreiben, wo­ T

bei k(s) eine Gewichtsfunktion darstellt, so dass die Bedingung ∫0 k(t) dt = 1 erfüllt ist. Noch realistischer wäre eine Verzögerungsverteilung, die vergangene Werte über ∞ einen „unendlich“ langen Zeitraum miteinbezieht: ∫0 y(t − s)k(s) ds. Für die Gewichtsfunktion käme dann k(t) = e −t in Frage. Bei einer autonomen DGL hatten wir ja eine Oszillation ausgeschlossen. Verzöger­ te DGLen hängen explizit von der Zeit ab und besitzen tatsächlich die Möglichkeit zur Oszillation. Beweis. Betrachten wir die verzögerte logistische Gleichung und es sei y(t1 ) = G. Wei­ ̇ > 0 für ter gäbe es ein t < t1 mit y(t − T) < G. Dann ist G − y(t − T) > 0 und somit y(t) ̇ 1 ) > 0. t < t1 . Insbesondere ist y(t Also steigt y(t) für t = t1 noch, denn erst für t = t1 + T gilt y(t − T) = y(t1 ) = G und ̇ = 0. Folglich gibt es ein t2 mit y(t2 ) = G, so dass für t1 + T < t < t2 gilt: y(t − T) > G y(t) ̇ < 0. Damit sind periodische Lösungen möglich. und auch y(t) Zur Analyse solcher (zeit)verzögerten Differenzialgleichungen (VDGL) stehen drei Me­ thoden zur Verfügung. 1. Die Lösung kann mit einer angenommenen „Anfangslösung“ über ein Intervall, das mindestens so lang wie die Verzögerung T ist, konstruiert werden. Diese Me­ thode ist, wie wir sehen werden, aber nur dann anwendbar, wenn die auftreten­ den unbestimmten Integrale auch geschlossen angegeben werden können. 2. Der Verlauf der Lösung kann über eine Simulation gewonnen werden. Dies ist oh­ ne Einschränkung immer möglich. 3. Für die Lösung setzt man einen Ausdruck an, der zu einer charakteristischen Gleichung für die sogenannten Eigenwerte führt. Es wird sich zeigen, dass die­ se Methode zur Darstellung der Lösung zwar ungeeignet, aber zur analytischen Betrachtung der Lösung brauchbar ist. https://doi.org/10.1515/9783110683806-012

12.1 Lineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen |

141

12.1 Lineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen ̇ = −y(t − 2π ). Der einzige GWP ist y∞ = 0. Beispiel 1. y(t) Diese DGL besitzt das Ergebnis y(t) = a⋅cos t+b⋅sin t. Offensichtlich ist der GWP stabil, aber nicht asymptotisch stabil. Zur Bestimmung der Koeffizienten a und b genügen hier die üblichen Anfangsbedingungen y(0) und y󸀠 (0). Beispiel 2. ̇ = −y(t − 1) . y(t)

(12.1)

Der einzige GWP ist y∞ = 0. Diese DGL kann nicht explizit gelöst werden. 1. Methode. Wir konstruieren schrittweise eine Lösung und nehmen an, durch Mes­ sung sei bekannt, dass y(t) = 1 für −1 ≤ t ≤ 0. ̇ = −y(t − 1) = −1. Die Integration – Für 0 ≤ t ≤ 1: y(t) y(t)

t

∫ dz = − ∫ 1 ds 0

y(0)



ergibt y(t) − y(0) = −t. Daraus folgt mit y(0) = 1, dass y(t) = 1 − t. Damit ist dann y(t − 1) = 1 − (t − 1) = 2 − t. ̇ = −y(t − 1) = t − 2. Die Integration Für 1 ≤ t ≤ 2: y(t) y(t)

t

∫ dz = ∫(s − 2) ds 1

y(1)

ergibt y(t) − y(1) =

t2 2

− 2t − 12 + 2. Daraus folgt mit y(1) = 0, dass y(t) = 2

Dies schreiben wir als y(t) = − t + 12 − t + 1 2 Folglich ist dann y(t − 1) = 2 − t + (t−2) 2 . 2 ̇ = −y(t − 1) = t − 2 − (t−2) Für 2 ≤ t ≤ 3: y(t) 2 . t 2



=1−t+

(t−1) 2

2

.

Die Integration y(t)

t

∫ dz = ∫ (s − 2 − y(2)

(s − 2)2 ) ds 2

2

− 2 + 4. ergibt y(t) − y(2) = t2 − 2t − (t−2) 6 Daraus folgt mit y(2) = − 12 , dass 2

y(t) = –

t2 (t − 2)3 3 (t − 1)2 (t − 2)3 − 2t − + =1−t+ − . 2 6 2 2 6

Für 3 ≤ t ≤ 4: y(t) = 1 − t +



usw.

3

(t − 1)2 (t − 2)3 (t − 3)4 − + 2 6 24

t2 2

− 2t + 32 .

142 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen

Abb. 12.1: Graph von (12.1)

Außer bei t = 0 ist die Funktion in den Übergangsstellen stetig (Abb. 12.1). Die Nulllösung scheint asymptotisch stabil zu sein. Als Populationsmodell kann dieses nicht mehr interpretiert werden, weil die Individuenzahl negativ wird. Die Spe­ zies würde in endlicher Zeit aussterben. 2. Methode. Für eine Simulation wählen wir in der Heun-Formel (siehe Kapitel 7.1) die Schrittweite h = 0,1. Als „Vorgeschichte“ der Lösung sei wieder y(t) = 1 für −1 < t < 0. Damit sind y−9 bis y0 und ebenfalls y1 gleich 1. Die Funktion f(y) entspricht −y(t − 1). Eingesetzt erhält man y n+1 = y n + 0,05{−y n−10 − [y n−10 + 0,1(−y n−10 )]}. Für y1 bis y11 reduziert sich dies zu y n+1 = y n − 0,095. Für y12 und folgende gilt y n+1 = y n − 0,095y n−10 . Man erhält eine sehr gute Übereinstimmung mit dem Graphen der konstruierten Lösung (Abb. 12.2). 3. Methode. Wir machen einen Ansatz der Form y(t) = Ce λt , in der Hoffnung, dass dieser die VDGL erfüllt und alle λ-Werte negativen Realteil besitzen. Dann wäre die Lösung asymptotisch stabil, wie wir wissen. Eingesetzt in die Gleichung ergibt sich Cλe λt = −Ce λ(t−1) ,

λ = −e−λ .

Das nennt man die charakteristische (Eigenwert)-Gleichung. Reelle Lösungen besitzt sie nicht. Für komplexe Lösungen schreiben wir λ = γ + iδ. γ + iδ = −e−(γ+iδ) = −e−γ (cos δ − i sin δ) mit Aufgespalten in Real- und Imaginärteil ist γ = −e−γ cos δ

und

δ = e−γ sin δ .

δ ≠ 0 .

12.1 Lineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen

|

143

Abb. 12.2: Konstruierte Lösung und Simulation von (12.1)

Man erkennt, dass mit δ auch −δ eine Lösung ist. Daher beschränken wir uns auf δ > 0. Annahme: γ > 0. Dann ist e−γ < 1 und aus der 2. Gleichung folgt δ < sin δ. Dies ist aber ein Widerspruch für δ > 0. γ = 0 ist nur für δ = 0 erfüllbar. Somit sind alle Realteile negativ und die Nulllösung global asymptotisch stabil. Damit haben wir im Gegensatz zu den beiden anderen Methoden bewiesen, dass die Lösung gegen die Nulllösung konvergiert. Wollten wir die Lösung nun als unendliche Reihe darstellen, dann müsste man zuerst alle Eigenwerte bestimmen. Zu deren Berechnung schreiben wir δγ = − cot δ oder γ = −δ cot δ. Man findet δ = e δ cot δ sin δ. Die folgende Tabelle enthält die ersten fünf Werte. γk

δk

−0,315 −2,062 −2,653 −3,020 −3,499

±1,337 ±7,589 ±13,949 ±20,272 ±32,880

Die Lösung hat die Gestalt ∞

y(t) = ∑ c k e λ k t

mit

λ k = γ k + iδ k .

k=−∞

Reell geschrieben lautet sie ∞

y(t) = ∑ a k e γ k t (cos(δ k t) + sin(δ k t)) . k=−∞

144 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen Da γ−k = γ k und δ−k = −δ k , reduziert sich die Reihe zu ∞

y(t) = ∑ e γ k t (c k cos(δ k t) + d k sin(δ k t)) . k=1

Man erkennt, dass die Lösung genau dann eindeutig ist, wenn man „alle“ Stützwerte des Intervalls −1 < t < 0 in den Ausdruck für y(t) einsetzt, oder anders gesagt, alle un­ endlich vielen Eigenwerte berücksichtigt. Aus diesem Grund ist die Reihendarstellung als Lösungsausdruck nicht umsetzbar. ̇ = ay(t) + by(t − T). Der einzige GWP ist y∞ = 0. Beispiel 3. y(t) Analytisch gesehen, ist eine Konstruktion der Lösung gemäß der 1. Methode durchführbar. Uns interessiert aber vielmehr, für welche T das System stabil bleibt. Deshalb untersuchen wir die vier möglichen Fälle mit der 3. Methode. ̇ = ay(t) + by(t − T), a, b > 0. I. y(t) Ist a ≠ b, dann ist der GWP y∞ = 0. Für a = b hat man y∞ = y0 . In beiden Fällen ist die Lösung aber instabil, denn ein Lösungsansatz der Form y(t) = Cλe λt führt auf die charakteristische Gleichung λ = a + be−λT , die in jedem Fall eine positive reelle Lösung besitzt. ̇ = −ay(t) + by(t − T), a, b > 0. II. y(t) Dies entspricht einem konkreten Modell: b ist die Fortpflanzungsrate, a die Ster­ berate und T wäre die Durchschnittszeit für die Geschlechtsreife. Die charakteristische Gleichung lautet λ = −a + be −λT . Um eine positive reelle Lösung zu vermeiden, muss a > b sein. Der GWP ist dann y∞ = 0. Um alle möglichen Eigenwerte zu erfassen, zerlegen wir die charakteristische Gleichung in Real- und Imaginärteil: γ + iδ = −e−(γ+iδ)T = −e−γT (cos δT − i sin δT) , γ = −a + be−γT cos δT

und

δ = −be−γT sin δT Nehmen wir an, es sei γ > 0, dann folgt mit e−γT < 1 und a > b, dass γ < −a + b cos δT < −a + a cos δT ≤ 0 ist, was einen Widerspruch darstellt. Oder so: γ + iδ = −e−γT (cos δT − i sin δT). Der linke Teil stellt eine senkrechte Gerade, der rechte Teil einen Kreis mit Mittelpunkt M(−a, 0) und Radius b in der komplexen Ebene dar. Da a > b, kann die Gerade nur für γ < b − a < 0 den Kreis schneiden. Ergebnis. Die Nulllösung ist für jedes T global asymptotisch stabil, falls a > b.

12.1 Lineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen |

145

̇ = ay(t) − by(t − T), a, b > 0. III. y(t) Es folgt λ = a − be−λT . Für die (komplexen) Eigenwerte betrachten wir γ = a − be−γT cos δT

und

δ = be−γT sin δT .

Sowohl positive als auch negative Realteile sind möglich. Im Grenzfall ist γ = 0. Dann erhalten wir 0 = a − b cos δT

und

δ = b sin δT .

Durch Quadrieren der beiden Gleichungen entsteht a2 + δ2 = b 2 , δ = ±√b 2 − a2 . Wir beschränken uns auf positive Werte für δ. Eingesetzt erhalten wir T=

1 √b 2



a2

a arccos ( ) . b

Für die Existenz muss b > a sein. Wir überlegen uns, dass dies eine Obergrenze ist und schreiben dazu γ = a − be−γT cos δT = a − δ cos δT. Bei festen a, b, δ > 0 und obigem T wird γ = 0. Da der Kotangens monoton fallend ist, wird bei steigendem T der Ausdruck δ cos δT kleiner und somit γ > 0. Damit ist T eine Obergrenze. Es stellt sich die Frage, wie das Langzeitverhalten aussieht, falls die Obergrenze genau erreicht wird. Dies beantworten wir zuerst für den Spezialfall a = 0. π Man erhält T = 2b . Wählen wir b = 2π , dann hat man T = 1. Betrachten wir also die VDGL π ̇ = − y(t − 1) , y(t) 2

mit y(t) = 1 für − 1 < t < 0 .

(12.2)

Für die Funktion f(y) = − 2π y(t − 1) erhält man diskretisiert π π π y n+1 = y n + 0,05 {− y n−10 − [y n−10 + 0,1 (− y n−10 )]} . 2 2 2 Für y1 bis y11 reduziert sich dies zu y n+1 = y n −

π(40 − π) = y n − 0,145 . 800

Für y12 und folgende gilt y n+1 = y n −

π(40 − π) y n−10 = y n − 0,145y n−10 . 800

Man erhält einen stabilen periodischen Verlauf. Somit liegt bei T = 1 eine Hopḟ = −y(t − 1) skizziert Verzweigung vor. Zum Vergleich ist auch die Lösung von y(t) (Abb. 12.3).

146 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen

Abb. 12.3: Simulation von (12.2)

Die Periode lässt sich gut abschätzen. Aus π γ = − e−γ cos δ 2

und

δ=

π −γ e sin δ 2

folgt

π δ cot δ sin δ und γ = −δ cot δ . e 2 Die ersten beiden Wertepaare sind (0, ± π2 ), (−1,604, ±7,647). Die Lösung schreibt sich dann als δ=

π π y(t) ≈ e γ1 t (c1 cos(δ1 t) + d1 sin(δ1 t)) = c1 cos ( t) + d1 sin ( t) . 2 2 Für die Periode p genügt auch eine einzige trigonometrische Funktion: p = Die Simulation liefert p ≈ 4,1. Dasselbe können wir für ein Beispiel mit a ≠ 0 anwenden: ̇ = ay(t) − by(t − T) , a = 1 , b = 2 . y(t)

T=

2π π 2

= 4.

1 1 arccos ( ) = 0,605 . 2 √3

Aus γ = 1 − 2e−γT cos δT

und

δ = 2e−γT sin δT

folgt δ = 2e T(δ cot δT−1) sin δT

und

γ = 1 − δ cot δT .

Die ersten beiden Wertepaare sind (0, ±√3), (−3,114, ±12,463). Wieder schreiben wir für die Lösung y(t) ≈ e γ1 t (c1 cos(δ1 t) + d1 sin(δ1 t)) . Für die Periode p genügt auch eine einzige trigonometrische Funktion. Mit δ1 = √3 beträgt die Periode: p = 2π ≈ 3,63. √ 3

12.2 Nichtlineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen

| 147

Ergebnis. Die Nulllösung ist für 1

T
a. Für T = T0 erhält man eine HopfVerzweigung. ̇ = −ay(t) − by(t − T), a, b > 0. IV. y(t) Für die Eigenwerte lautet die charakteristische Gleichung λ = −a − be−λT . Es folgt γ = −a − be−γT cos δT

und

δ = be−γT sin δT

mit der Lösung T=

1

a [π − arccos ( )] b √ b 2 − a2

für

b>a.

Dieselbe Überlegung wie in III. bestätigt dies als eine Obergrenze. Im Fall b ≤ a schreiben wir −λ = a + be −λT und fassen die linke Seite als senk­ rechte Gerade und die rechte als Kreis mit Mittelpunkt M(a, 0) und Radius b auf. Schnittpunkte sind für γ < a − b < 0 möglich. In diesem Fall ist T beliebig. Ergebnis. Die Nulllösung ist für T
a. Für T = T0 erhält man eine HopfVerzweigung. Für b ≤ a ist die Nulllösung für jedes T global asymptotisch stabil. π Speziell für a = 0 ist T < 2b .

12.2 Nichtlineare zeitverzögerte Differenzialgleichungen Einführungsbeispiel. ̇ = y(t)[2 − y(t − 1)] . y(t) ∞ Die GWPe sind y∞ 1 = 0 und y 2 = 2.

1. Methode. Wir gehen von y(t) = 1 für −1 ≤ t ≤ 0 aus. – Für 0 ≤ t ≤ 1: ̇ = y(t) . y(t) Mit y(0) = 1 ist die Lösung y(t) = e t . Folglich ist dann y(t − 1) = e t−1 .

(12.3)

148 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen

Abb. 12.4: Konstruierte Lösung von (12.3)



Für 1 ≤ t ≤ 2: ̇ = y(t)[2 − e t−1 ] y(t)





oder

ẏ dy = ∫(2 − e t−1 ) dt . y

Die Integration ergibt ln[y(t)] = 2t − e t−1 + C. t−1 Daraus wird y(t) = Ce2t−e . t−1 Mit y(1) = e folgt C = 1 und somit y(t) = e2t−e . Für 2 ≤ t ≤ 3: Eine weitere geschlossene Integration ist nicht mehr möglich. Man muss mit numerischen Methoden weiterfahren. Beispielsweise ersetzt man die eben bestimmte Funktion durch eine Funktion 3. Grades f(t) unter Beachtung, dass f(1) = e, f(2) = e 4−e , f 󸀠 (1) = e, f 󸀠󸀠 (1) = 0 gilt und erhält y(t) ≈ 101,16 ⋅ e0,46x

4

−3,67x 3 +9,64x 2 −9,95x

– usw. Auch hier wird, zumindest im Ansatz, eine Oszillation gegenüber dem unverzögerten Modell sichtbar (Abb. 12.4). 2. Methode. Dazu wählen wir wieder h = 0,1 und y(t) = 1 für −1 < t < 0. Damit sind y−9 bis y0 und ebenfalls y1 gleich 1. Für die Funktion f(y) = y(t)[2 − y(t − 1)] erhält man y n+1 = y n + 0,05{y n (2 − y n−10 ) + [y n + 0,1y n (2 − y n−10 )][2 − y n−10 ]} . Für y1 bis y11 reduziert sich dies zu y n+1 = 1,105y n . Für y12 und folgende gilt y n+1 = 0,005y n (y2n−10 − 24y n−10 + 244). Der Verlauf des Graphen (Abb. 12.5) zeigt lediglich, dass bei einem Startwert von y(0) = 1 und einem Anfangsabstand von Eins zum jeweiligen GWP die Lösungswerte anwachsen, um dann periodisch um einen Wert von etwa 3,5 zu pendeln. Somit kann keine lokale asymptotische Stabilität gewährleistet werden. Im Falle von y∞ 2 = 0 wer­ den wir anschließend zeigen, dass dieser instabil ist. Für die Stabilität von y∞ 1 = 2 ist weniger die Umgebung, als vielmehr das Zusammenspiel zwischen den Zahlen k, G ̇ = ky(t)[G − y(t − T)] verantwortlich. und T der VDGL y(t)

12.3 Linearisierte verzögerte Differenzialgleichungen |

149

Abb. 12.5: Simulation von (12.3)

Wir möchten die VDGL auch analytisch untersuchen. Mit der 3. Methode lässt sich aber auf Anhieb kein Lösungsansatz finden, der auf eine charakteristische Gleichung führt. Wir müssen uns deswegen auf lokale Eigenschaften beschränken und mit Li­ nearisierungen arbeiten. Bemerkung. Aufgrund des verzögerten Terms kann auch keine Analyse mit einer ein­ dimensionalen Jacobi-Matrix durchgeführt werden.

12.3 Linearisierte verzögerte Differenzialgleichungen In diesem Kapitel besprechen wir Modelle, die zur Analyse einer Linearisierung be­ dürfen. ̇ = ky(t)[G − y(t − T)] mit k, G > 0 1. Modell: y(t) (Verzögertes logistisches Wachstum) Dies entspricht der Verallgemeinerung des Einführungsbeispiels von Kapitel 12.2. Der Term y2 (t) wird dabei durch einen verzögerten Term y(t) ⋅ y(t − T) ersetzt. ∞ Die GWPe sind y∞ 1 = 0 und y 2 = G. ∞ i) Die Linearisierung um y1 ergibt lediglich y(t) = 0 + z(t). ̇ ≈ kGz(t) − kz(t) ⋅ z(t − T) folgen, was sich zu einem exponen­ Daraus würde z(t) tiellen Wachstum reduziert. Somit wäre y∞ 1 = 0 instabil. = G, so setzt man y(t) = G + z(t). Eingesetzt erhält man ii) Linearisiert man um y∞ 2 ̇ = k(G + z(t))(G − (G − z(t − T))) = k(G + z(t))(−z(t − T)) z(t) = −kGz(t − T) − kGz(t)z(t − T) . ̇ ≈ −kGz(t − T). Linearisiert: z(t)

150 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen π Nach dem Ergebnis von Beispiel 3, IV, Kapitel 12.1 folgt, dass z(t) = 0 für T < 2kG ∞ global asymptotisch stabil ist. Folglich ist y2 = G der ursprünglichen Gleichung π für T < 2kG lokal asymptotisch stabil.

̇ = ky(t)[G − ay(t) − by(t − T)] mit a, b, k, G > 0 2. Modell: y(t) Auch in diesem Fall handelt es sich um eine Variante des verzögerten logistischen ∞ G Wachstums. Die GWPe sind y∞ 1 = 0 (wieder instabil) und y 2 = a+b := y ∞ . Aus dem Ansatz z(t) = y∞ + z(t) für die Linearisierung folgt ̇ = k[y∞ + z(t)][G − a(y∞ + z(t)) − b(y∞ + z(t − T))] z(t) = kG(y∞ + z(t)) − ak(y∞ + z(t))2 − bk(y∞ + z(t))(y∞ + z(t − T)) = kGy∞ + kGz(t) − aky2∞ − 2aky∞ z(t) − akz2 (t) − bky2∞ − bky∞ z(t − T) − bky∞ z(t) − bkz(t)z(t − T) . Nach Vernachlässigen der höheren Potenzen verbleibt ̇ ≈ kGy∞ + kGz(t) − aky2∞ − 2aky∞ z(t) − bky2∞ − bky∞ z(t − T) − bky∞ z(t) z(t) = ky∞ (G − ay∞ − by∞ ) + k(G − 2ay∞ − by∞ )z(t) − bky∞ z(t − T) = k(G − y∞ (2a + b))z(t) − bky∞ z(t − T) = −aky∞ z(t) − bky∞ z(t − T) . Ergebnis. Nach Beispiel 3, IV, Kapitel 12.1 folgt, falls b > a, dass die Nulllösung von z(t) für T
a folgt −b < −a. Deswegen erhalten wir die Abschätzung 1 1 ̇ V(y) < − ak(y − y∞ )2 − ak(y − y∞ )(y(t − T) − y∞ ) − ak(y(t − T) − y∞ )2 2 2 1 2 = − ak[(y − y∞ ) + 2(y − y∞ )(y(t − T) − y∞ ) + (y(t − T) − y∞ )2 ] 2 1 = − ak[(y − y∞ ) + (y(t − T) − y∞ )]2 ≤ 0 . 2 ̇ = −ay(t − T) + ky(t)[G − y(t)] mit a, k, G > 0 3. Modell: y(t) ∞ a Die GWPe sind y∞ 1 = 0 und y 2 = G − k mit kG > a. ∞ ̇ ≈ kGz(t) − az(t − T). i) y1 = 0. Die Linearisierung z(t) = 0 + y(t) führt zu z(t) Die notwendige Bedingung a > kG (siehe Beispiel 3, III, Kapitel 12.1) ist erfüllt. Ergebnis. Die Nulllösung von z(t) ist global asymptotisch und die Nulllö­ sung von y(t) lokal asymptotisch stabil für T< ii) y∞ 2 = G−

a k

1 √ a2



(kG)2

arccos (

kG ) . a

:= y∞ mit kG > a. Die Linearisierung z(t) = y∞ + y(t) führt zu ̇ = −a(y∞ + z(t − T)) + k(y∞ + z(t))[G − y∞ − z(t)] z(t) = −ay∞ − az(t − T) + kG(y∞ + z(t)) − k(y∞ + z(t))2 .

Folglich ist ̇ ≈ −ay∞ − az(t − T) + kGy∞ + kGz(t) − ky2∞ − 2ky∞ z(t) z(t) = −az(t − T) + kGz(t) − 2ky∞ z(t) = −az(t − T) + k(G − 2y∞ )z(t) = (2a − kG)z(t) − az(t − T) .

152 | 12 Zeitverzögerte Differenzialgleichungen a) a < kG < 2a. Nach Beispiel 3, III, Kapitel 12.1 folgt: Ergebnis. Die Nulllösung von z(t) ist global asymptotisch und der a GWP y∞ 2 = G − k der ursprünglichen VDGL ist lokal asymptotisch stabil für T
2a − kG. Das entspricht kG > a, was erfüllt ist. b) kG > 2a. Nach Beispiel 3, IV, Kapitel 12.1, folgt: Ergebnis. Die Nulllösung von z(t) ist global asymptotisch und der a GWP y∞ 2 = G − k der ursprünglichen VDGL lokal asymptotisch stabil für T
2a − kG. Das entspricht kG > a und ist mit kG > 2a erfüllt.

̇ = ky(t)[G − ay(t) − b y(t ̇ − T)] mit a, b, k, G > 0 4. Modell: y(t) ∞ G Die GWPe sind y∞ = 0 und y = . 1 2 a ̇ = kz(t)[G− az(t)− b z(t− ̇ T)]. i) y∞ 1 = 0. Die Linearisierung z(t) = 0+ y(t) führt zu z(t) ̇ Folglich ist z(t) ≈ kGz(t). Damit ist die Nulllösung von z(t) bzw. y(t) instabil. G ii) y∞ 2 = a := y ∞ . Die Linearisierung z(t) = y ∞ + y(t) führt zu ̇ − T)] ̇ = k(y∞ + z(t))[G − a(y∞ + z(t)) − b z(t z(t) ̇ − T) . = kG(y∞ + z(t)) − ak(y∞ + z(t))2 − bk(y∞ + z(t))z(t Folglich ist ̇ − T) ̇ ≈ kGy∞ + kGz(t) − aky2∞ − 2aky∞ z(t) − bky∞ z(t z(t) ̇ − T) = −kGz(t) − c z(t ̇ − T) mit c = = kGz(t) − 2aky∞ z(t) − bky∞ z(t

bkG . a

Mit dem Ansatz z(t) = Ce λt erhält man λ = −kG + cλe−λT . Setzen wir λ = γ + iδ, dann entsteht γ + iδ = −kG + ce−γT (γ + iδ)(cos δT − i sin δT) γ + iδ = −kG + ce

−γT

(γ cos δT + δ sin δT) + ce

und

−γT

(iδ cos δT − iγ sin δT) .

Aufgespalten in Real- und Imaginärteil ist γ + kG = ce −γT (γ cos δT + δ sin δT)

und

δ = ce−γT (δ cos δT − γ sin δT) .

12.3 Linearisierte verzögerte Differenzialgleichungen

| 153

Im Grenzfall haben wir γ = 0. Dann ergibt sich kG = cδ sin δT, δ = cδ cos δT. a = cos δT. Insbesondere ist 1c = cos δT oder bkG Durch Quadrieren der beiden Gleichungen entsteht (kG)2 + δ2 = (cδ)2

󳨐⇒ 󳨐⇒

(kG)2 (akG)2 = c2 − 1 (bkG)2 − a2 akG δ=± . √(bkG)2 − a2 δ2 =

Wir beschränken uns auf positive Werte für δ, lösen nach T auf und erhalten: a Ergebnis. Die Nulllösung von z(t) bzw. der GWP y∞ 2 = G − k der ursprüng­ lichen VDGL. Ist für

T
a ist erfüllt, denn es gilt

a bkG

= cos δT < 1.

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 51.

Rein theoretisch sind beliebig viele weitere Modelle denkbar. Es fragt sich natürlich, ob ein Modell die Populationsänderung einer Spezies, wenn auch nur grob, beschrei­ ben kann. Tatsache ist, dass die unterschiedlichen periodischen Schwankungen einer Spezies mit einer VDGL erfasst werden können. Bei Fruchtfliegen wäre das beispiels­ weise das Modell 3b.

13 Epidemiemodelle Vorüberlegungen Die ersten Entscheidungen, die man beim Entwurf eines Modells fällen muss, sind folgende: Welche Faktoren will ich miteinbeziehen und welche zur Vereinfachung außer Acht lassen oder zu einer Gruppe zusammennehmen? Dies wären z. B. die folgenden: – Ist die Ansteckbarkeit altersabhängig? – Wird die Ansteckung durch Tröpfchen oder durch Blutkontakt übertragen? – Ist ein Genesener immun geworden oder ist ein Rückfall möglich? – Wie lange ist die Inkubationszeit? – Kann ich Geburtenrate und nicht krankheitsbedingte Todesrate gleichsetzen? Wann kann ich sie sogar vernachlässigen? Bei den Krankheitsarten kann man zwischen den folgenden unterscheiden: Mikroparasitisch Die Krankheit wird zum Beispiel durch einen Virus (Grippe), ein Bakterium (Tuberkulose) oder einen Parasiten (Malaria) ausgelöst. Epidemisch Krankheiten, welche nur zu einem bestimmten Zeitpunkt oder unter be­ stimmten Bedingungen ausbrechen (Grippe, Cholera). Endemisch Krankheiten, welche verbreitet sind und bei denen Erkrankungen in re­ gelmäßigen Abständen auftreten (Masern). Im Folgenden werden wir die Individuen in drei Krankheitsklassen einteilen: Anfällig In diese Klasse fallen alle Individuen, die nicht krank, aber gefährdet sind, angesteckt zu werden. Bezeichnung der Klasse: S („Susceptibles“). Ansteckend In diese Klasse fallen alle Individuen, die schon Symptome aufweisen und somit ansteckend sind. Bezeichnung der Klasse: I („Infectives“). Entfernt In diese Klasse fallen alle Individuen, die nicht mehr von der Krankheit be­ troffen werden können, da sie z. B. immun oder tot sind. Bezeichnung der Klasse: R („Removables“).

13.1 Epidemisches Modell SI Das SI-Modell ist das einfachste aller Modelle und liefert uns damit einen guten Ein­ stieg in die Modellierung ansteckender Krankheiten. Die modellierte Bevölkerung besteht nur aus Anfälligen (S) und Infizierten (I) und wenn ein Individuum erkrankt, dann ist diese Erkrankung dauerhaft. Im Folgenden gehen wir außerdem davon aus, dass die Bevölkerung abgeschlos­ sen ist, d. h., es gilt S(t) + I(t) = N, wobei N die Populationsgröße ist. https://doi.org/10.1515/9783110683806-013

13.2 Epidemisches Modell SIS

| 155

Zudem nehmen wir an, dass die Inkubationszeit verschwindend klein ist, dass also die Krankheit mit Beginn der Ansteckung ausbricht. Wir machen auch keinen Altersunterschied und schließlich können wir auch die Geburtenrate mit der natürlichen (nicht krankheitsbedingten) Todesrate gleichsetzen, weil die Epidemie nur kurze Zeit dauert. Mit all diesen Annahmen folgern wir, dass Suszeptible nur im Kontakt mit Infizier­ ten angesteckt werden. Zur Zeit t gibt es theoretisch S(t) ⋅ I(t) mögliche Kontakte. Wir nehmen an, dass in der Zeitspanne t bis t + dt gerade α ⋅ S(t)⋅ I(t) Ansteckungen erfolgt sind. α heißt Ansteckungsrate oder Wahrscheinlichkeit, jemanden anzustecken. Damit erhält man das DGL-System dS = −αSI ⋅ dt Ṡ = −αSI dt oder dI I ̇ = αSI . = αSI ⋅ dt dt Ersetzt man I durch N − S, so erhält man die logistische DGL I ̇ = αI(N − I) mit den Lösungen I0 ⋅ N , S(t) = N − I(t) und lim I(t) = N , lim S(t) = 0 . I(t) = t→∞ t→∞ I0 + (N − I0 ) ⋅ e−αNt Irgendwann sind somit alle angesteckt. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 52.

13.2 Epidemisches Modell SIS Dieses Modell sieht jetzt neu Genesung, aber nicht Immunität vor. Ein „Genesener“ kann wieder einen Rückfall erleiden. Er kommt also nicht in die R-Klasse (wie im darauffolgenden Modell), sondern bleibt in der S-Klasse. Am einfachsten beschreibt man den Anteil der „Genesenen“ proportional zur Anzahl der Infizierten, also γI (pro­ portional zu S wäre auch möglich und gleichwertig). γ heißt Gesundungsrate, oder Wahrscheinlichkeit, (vorübergehend) gesund zu werden. Alle anderen Voraussetzun­ gen des SI-Modells bleiben erhalten. Das Differenzialgleichungssystem sieht dann so aus: Ṡ = −αSI + γI I ̇ = αSI − γI , wobei S(t) + I(t) = N ist. Der von (0, 0) verschiedene GWP ist G(S ∞ , I∞ ) = G( γα , N − αγ ). Wie beim SI-Modell kann man eine logistische DGL erzeugen: γ I ̇ = α(N − I)I − γI = αI [(N − ) − I] . α

156 | 13 Epidemiemodelle

Die Lösungen haben die Gestalt I(t) = i)

I0 ⋅ (αN − γ) , αI0 + ((αN − γ) − αI0 ) ⋅ e−(αN−γ)t

S(t) = N − I(t) .

αN − γ > 0. Epidemie bricht aus. lim I(t) = N −

t→∞

γ γ , lim S(t) = . α t→∞ α

ii) αN − γ < 0. Epidemie bricht nicht aus. lim I(t) = 0, lim S(t) = N .

t→∞

t→∞

Die Basisreproduktionszahl Die Größe ϱ := αN γ ist offenbar das Maß für die Heftigkeit einer Epidemie. Man nennt sie Basisreproduktionszahl. Die Zahl gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt während ihrer Infiziertenphase anstecken wird. Kurzer Beweis: α ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum ein Anderes (sa­ gen wir pro Tag) ansteckt. αN ist die mittlere Anzahl Personen, die von einem Indivi­ duum pro Tag angesteckt werden können. γ ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein In­ dividuum gesund wird. Dann muss man durchschnittlich 1γ Tage warten, bis man ge­ sund wird. (Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, dass am Morgen die Sonne scheint, sei 1 1 3 . Also muss man durchschnittlich 3 = 1 solcher Vormittage abwarten, um Sonne zu 3

erhalten). 1 αN γ ist die mittlere Anzahl an Tagen einer Person in der infizierten Phase. Also ist γ die durchschnitttliche Anzahl Individuen, die von einer infizierten Person während seiner Infiziertenphase neu angesteckt werden können. Beispiel: Für α = 0,003, N = 200, γ = 0,1 ist ϱ :=

αN 0,003 ⋅ 200 = = 6. γ 0,1

Zur Illustration einige Kennzahlen: Infektionskrankheit

ϱ Basisreproduktionszahl in Anzahl Infektionen

Keuchhusten Masern Mumps Röteln Diphtherie Pocken Grippe

13–17 12–16 4–7 6–7 4–6 3–5 1,2–2

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 53.

13.3 Epidemisches Modell SIR

|

157

13.3 Epidemisches Modell SIR In diesem Modell gibt es jetzt eine R-Klasse. Das sind diejenigen, die nicht mehr an­ gesteckt werden können, da sie entweder immun sind, verstorben sind oder isoliert wurden. Alle anderen Voraussetzungen des SIS-Modells bleiben erhalten. Dieses Mo­ dell geht auf Kermack und McKendrick aus dem Jahr 1927 zurück. Das Differenzialglei­ chungssystem sieht dann so aus: Ṡ = −αSI I ̇ = αSI − γI Ṙ = γI , wobei S(t) + I(t) + R(t) = N ist. Das DGL-System lässt sich nicht mehr geschlossen lösen, denn keine der Größen S, I, R lässt sich mittels N durch eine andere allein ausdrücken. Zur Darstellung muss man auf eine Simulation zurückgreifen. Da die beiden ersten Gleichungen von R un­ abhängig sind, kann man zur Stabilitätsanalyse die Projektion der Trajektorie auf die SI-Ebene betrachten: Ṡ = −αSI I ̇ = αSI − γI . Die Epidemie bricht aus, falls I ̇ > 0, also S > αγ gilt. Man nennt dies den Schwellenwert. Für I ̇ < 0 ist sie rückläufig. Der von (0, 0, 0) verschiedene GWP ist G(S∞ , I∞ , R∞ ) = G( γα , 0, N − αγ ). Die SI-Trajektorie Analog zum Lotka-Volterra-Modell 1 betrachten wir I ̇ αSI − γI γ = = −1 + . ̇S −αSI αS ̇

γS = 0. Folglich haben wir S − Umgeformt ist dies I ̇ + Ṡ − αS Speziell gilt die Gleichung auch für t = 0:

C = S0 −

γ ln S0 + I0 α

mit

γ α

ln S + I = konst. = C.

S0 = S(0), I0 = I(0) .

Schließlich lautet die Trajektorie I(S) = I0 + S0 − S +

γ S ln ( ) . α S0

(13.1)

Im Unterschied zum LVM1 kann man somit die Trajektorie explizit angeben. Für einen beliebigen Anfangswert A(S0 , I0 ) mit S > αγ fällt die Anzahl (Abb. 13.1) der Suszeptiblen monoton, während diejenige der Infizierten zuerst bis zu einem Ma­ ximum ansteigt, um wieder auf Null abzusinken. Der maximale Wert der Infizierten

158 | 13 Epidemiemodelle

Abb. 13.1: Graphen von (13.1)

ergibt sich für S = αγ . Dann ist auch I ̇ = 0. Es gilt zudem zu beachten, dass jederzeit S + I = S0 + I0 = N sein muss. Deswegen beginnt die Trajektorie auf der Geraden I = N − S. Zudem ist γ γ γ γ γ γ Imax = I ( ) = I0 + S0 − + ln ( ) = I0 + S0 + (ln ( ) − 1) . α α α αS0 α αS0

Eine Lyapunov-Funktion Die Trajektorie startet bei A, geht über M nach B und von da so lange entlang der posi­ tiven S-Achse, bis wieder S > αγ gilt. Diesen periodischen Verlauf kann man beweisen. Dazu erinnern wir uns, dass zum DGL-System des LVM1 ẏ 1 = αy1 − βy1 y2 ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 die schwache Lyapunov-Funktion ∞ V(y1 , y2 ) = γ (y1 − y∞ 1 − y 1 ln (

y1 y2 ∞ )) + β (y2 − y∞ 2 − y 2 ln ( ∞ )) y∞ y 1 2

existiert. Übertragen auf unser System lautet die Lyapunov-Funktion V(S, I) = S − S∞ − S∞ ln (

S )+I . S∞

̇ Man erhält V(S, I) = 0, was bedeutet, dass G(S∞ , 0) global stabil ist.

13.4 Endemisches Modell SIR nach Soper 1 | 159

Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 54 und 55.

Die bisherigen Modelle eignen sich zur Beschreibung von Epidemien, also einem zeit­ lich begrenzten Krankheitsverlauf. Diese sind geschlossene Systeme mit der Gesamt­ zahl N. Die Individuen werden lediglich auf die drei Kategorien S, I und R umver­ teilt. Daher konnten hier Zuwanderung/Geburten und Abwanderung/Tod, wenn nicht durch die Krankheit verursacht, vernachlässigt werden. Ist die Krankheit aber ständig in der Population vorhanden, dann spricht man von einer Endemie. Zur Analyse eines Langzeitverhaltens müssen deshalb Geburten und nicht von der Krankheit verursach­ te Tode ins Modell einbezogen werden. Am einfachsten wäre es, Geburten und Tode gleich und konstant zu setzen. Dies würde für Krankheiten zutreffen, die nicht zum Tode führen. In Industrieländern wäre das (z. B. für Masern) praktikabel. Allerdings liegt in den weniger entwickelten Län­ dern eine hohe Sterblichkeit für Masern vor. Der Erste, der periodisch wiederkehrende Krankheiten zu modellieren versuchte, war H. E. Soper, 1929. Er ging von folgenden Annahmen aus: Alle Geburten oder Zu­ wanderungen sind konstant mit einer Rate von μ und gelangen in die S-Klasse: μK. Dabei soll K eine bestimmte maximale Menge darstellen. Die Sterbe- oder Abwande­ rungsrate ist ebenfalls gleich μ, betrifft aber nur die R-Klasse. Das Modell ist wenig befriedigend, denn die Bevölkerung unterliegt zeitlich bedingten Schwankungen, und dies gilt somit für jede der Klassen S, I und R. Zudem wird bei kleinen Werten von S(t) und I(t) der Wert von R(t) negativ (siehe Übung 55). Trotz dieser Mängel betrachten wir zwei Varianten, nämlich K = R und K = S.

13.4 Endemisches Modell SIR nach Soper 1 Ṡ = −αSI + μR I ̇ = αSI − γI Ṙ = γI − μR Damit wird das System aber wieder geschlossen: S + I + R = N. Erneut kann man die Projektion der Trajektorie auf die SI-Ebene betrachten. Dazu ersetzen wir R durch N − S − I: Ṡ = −αSI + μ(N − S − I) (13.2) I ̇ = αSI − γI . Als GWPe erhält man G1 (N, 0, 0)

und

γ μ(αN − γ) γ(αN − γ) , G2 ( , ) . α α(γ + μ) α(γ + μ)

160 | 13 Epidemiemodelle Im Fall von G1 bricht die Krankheit nicht aus. Für die Existenz von G2 muss ϱ = sein. Die Jacobi-Matrix lautet Jf(S, I) = ( Dann ist

−αI − μ αI

−μ Jf(G1 ) = ( 0

αN γ

>1

−αS − μ ) . αS − γ

−αN − μ ) . αN − γ

Es folgt det Jf = −μ(αN − γ) < 0 und Spur Jf = αN − γ − μ ⋚ 0. Aus der Übersicht Kapitel 8.3 folgt, dass G1 einem instabilen Sattel entspricht. Die Krankheit kann somit jederzeit ausbrechen. Weiter ist μ(αN+μ) −(γ + μ) − γ+μ ) . Jf(G2 ) = ( μ(αN−γ) 0 γ+μ Es ergibt sich det Jf = μ(αN − γ) > 0

und

Spur Jf = −

μ(αN + μ) 0 und Spur Jf = − αμN γ+μ < 0. Je nachdem, ob nun Spur Jf 2 ⋚ 4 det Jf ist, hat man entweder eine asymptotische Spirale oder einen asymptotisch stabilen Knoten (2. Art/3. Art) vorliegen. Aufgabe Bearbeiten Sie die Übung 58.

13.7 Endemisches Modell SIR, krankheitsbedingter Tod

| 163

Bemerkung. Unterscheidet sich die Geburtenrate ν von der natürlichen Sterberate μ, dann ist die Populationsgröße nicht mehr konstant, sie könnte theoretisch auch Null werden. Das DGL-System lautet dann Ṡ = −αSI + νN − μS I ̇ = αSI − γI − μI Ṙ = γI − μR . Die GWPe sind ν G1 ( N, 0, 0) μ

und

G2 (

γ + μ ανN − μ(γ + μ) γ(ανN − μ(γ + μ)) , , ) α α(γ + μ) αμ(γ + μ)

ανN . Es ergibt sich dasselbe Ergebnis für die mit der Basisreproduktionszahl ϱ := μ(γ+μ) Stabilität von G1 und G2 wie für ν = μ. Auf die Simulation dieses Modells gehen wir nicht ein. Qualitativ ändern sich die Verläufe nur sehr wenig im Vergleich zum Modell mit ν = μ.

13.7 Endemisches Modell SIR mit gleicher Zuund Abwanderungs-Rate und krankheitsbedingtem Tod Vor der Entdeckung des Penicillins und anderer Antibiotika, aber auch in heutigen Entwicklungsländern muss man leider einen krankheitsbedingten Tod mit der Rate σ hinzufügen. Man erhält Ṡ = −αSI + μN − μS I ̇ = αSI − γI − σI − μI Ṙ = γI − μR . Für die GWPe ersetzt man die Rate γ durch γ + σ. Die GWPe sind G1 (N, 0, 0)

und

G2 (

γ + σ + μ μ(αN − (γ + σ + μ)) (γ + σ)(αN − (γ + σ + μ)) , , ) . α α(γ + μ) α(γ + σ + μ)

αN . Für die Stabilitäten von G1 und G2 Die Basisreproduktionszahl beträgt ϱ = γ+σ+μ ergeben sich abermals dieselben Ergebnisse wie im Modell 13.6: G1 entspricht einem instabilen Sattel, die Krankheit kann somit jederzeit ausbre­ chen. Für G2 kann man wiederum nur lokale Aussagen machen: αμN Es ergibt sich det Jf = μ(αN − (γ + σ + μ)) > 0 und Spur Jf = − γ+σ+μ < 0.

Wiederum entscheidet die Ungleichung Spur Jf 2 ⋚ 4 det Jf , ob entweder eine asymptotische Spirale oder ein asymptotisch stabiler Knoten vorliegt.

164 | 13 Epidemiemodelle

13.8 Endemisches Modell SIR mit gleicher Zuund Abwanderungs-Rate ohne krankheitsbedingten Tod mit Impfung Das Ziel jedes Modells ist es, eine Möglichkeit zur Kontrolle oder sogar zur Ausrottung einer Krankheit zu gewinnen. Die Basisreproduktionszahl ϱ ist also die entscheidende Größe für dieses Ziel. Nur wenn man es schafft, den Wert von ϱ unter 1 zu drücken, dann kann eine Epidemie gestoppt werden. Da sich ϱ aus den Parametern α, γ und N zusammensetzt, sind folgende Optionen denkbar: 1. α senken. Dies kann man bei Menschen erreichen, indem man z. B. Schulen schließt, um die Anzahl der Kontakte zwischen den Menschen zu reduzieren. Während des BSE-Ausbruchs (Rinderwahnsinn) versuchte man dies durch Isola­ tion ganzer Herden, die mit infizierten Tieren in Kontakt standen. 2. γ erhöhen. Dies ist schwierig. In Großbritannien wird es dadurch erreicht, dass man die kranken Tiere schlachtet. 3. N senken. Dies müsste geschehen, bevor die Krankheit ausbricht. Dies wurde wie­ derum durch Schlachten von Tieren versucht zu erreichen. 4. Den Anteil der Suszeptiblen senken durch Impfung. Dies leitet über zum letzten Modell. Nehmen wir an, vor dem Ausbruch einer Epidemie würde ein Anteil p mit 0 < p < 1 geimpft werden. Dann ist der Anteil μNp immun und kann der Klasse R zugeschrieben werden. Der Anteil μN(1 − p) ist nicht immun und kommt in die S-Klasse. Dann sieht das neue Gleichungssystem so aus: Ṡ = −αSI + μN(1 − p) − μS I ̇ = αSI − γI − μI Ṙ = γI + μNp − μR . Die GWPe sind G1 (N(1−p), 0, Np) und G2 (

γ + μ μ(αN(1 − p) − (γ + μ)) αN(γ + pμ) − γ(γ + μ) , , ). α α(γ + μ) α(γ + μ)

αN Die Basisreproduktionszahl beträgt ϱ = γ+μ . G1 entspricht einem instabilen Sattel. Die Krankheit kann somit jederzeit ausbrechen. Für G2 findet man

det Jf = −μ(αN(1 − p) − (γ + μ)) < 0 und

Spur Jf = αN(1 − p) − γ − 2μ ⋚ 0 .

Die Ungleichung Spur Jf 2 ⋚ 4 det Jf klärt, welcher Art die lokale asymptotische Stabi­ lität ist.

13.8 Endemisches Modell SIR, kein Tod, Impfung | 165

Die zentrale Frage, die sich im Zusammenhang mit einer Impfung stellt, lautet: Welchen Anteil einer Bevölkerung muss man impfen, um die Krankheit in absehbarer Zeit auf Null abzusenken? Gesucht ist somit die Impfrate p, so dass I∞

μ(αN(1 − p) − (γ + μ)) =0 α(γ + μ)

wird. Es folgt αN(1 − p) ≤ (γ + μ)

󳨐⇒

1−p ≤

1 ϱ

󳨐⇒

p ≥ 1−

1 . ϱ

Man nennt den Wert pkrit = 1 − 1ϱ die kritische Durchimpfungsrate. Trägt man p gegen ϱ auf, so erkennt man: Je größer die Basisreproduktionszahl ist, umso mehr nähert sich der Wert der kritischen Durchimpfungsrate dem Wert 1. Schließlich noch einige Kennzahlen, die diesen Zusammenhang für einige typi­ sche Endemien zeigen: Infektionskrankheit

ϱ Basisreproduktionszahl in Anzahl Infektionen

p krit kritische Durchimp­ fungsrate in Prozent

Keuchhusten Masern Mumps Röteln Diphterie Pocken Grippe

13−17 12−16 4−7 6−7 4−6 3−5 1,2−2

≥ 92−94 ≥ 92−93 ≥ 75−83 ≥ 84 ≥ 75−83 ≥ 67−80 ≥ 40−50

Für die Grippe bedeutet das, dass jeder Infizierte durchschnittlich 1,2 bis 2 Personen ansteckt, und deshalb 40 % − 50 % der Suszeptiblen geimpft werden müssten.

14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung 14.1 Verfolgungs- und Fluchtkurven Bei dieser Art von Problemen sind die Akteure meistens ein Hund, der sein Herrchen verfolgt, ein Bauer, der seinem Ferkel nachrennt oder, etwas dramatischer formuliert, ein Piratenschiff, das ein Segelschiff verfolgt. Wir wollen die erste Variante bevor­ zugen. Ein Hund befinde sich zum Zeitpunkt t = 0 im Punkt A(0, a) (Abb. 14.1). Sein Besitzer starte im Punkt B(0, 0) und laufe entlang der x-Achse mit der konstanten Ge­ schwindigkeit v2 . Seine Bewegung wird also beschrieben durch x2 (t) = v2 ⋅ t, und y2 (t) = 0. Der Hund eilt zu seinem Herrchen, indem er ihn ständig mit der konstanten Geschwindigkeit v1 anpeilt. Zur Beschreibung der Bahn des Hundes betrachten wir einen beliebigen Punkt P(x1 , y1 ) seines Weges.

Abb. 14.1: Skizze zur 1. Verfolgungskurve

Für die Geschwindigkeitskomponenten des Hundes in x- und y-Richtung gilt allge­ mein x2 − x1 v1x = v1 ⋅ cos α = v1 ⋅ √(x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 und v1y = v1 ⋅ sin α = −v1 ⋅ https://doi.org/10.1515/9783110683806-014

y1 − y2 √(x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2

14.1 Verfolgungs- und Fluchtkurven |

167

(„−“, weil die Geschwindigkeit abnimmt). Einsetzen von x2 und y2 ergibt in diesem Fall v2 ⋅ t − x1 und v1x = v1 ⋅ cos α = v1 ⋅ √(v2 ⋅ t − x1 )2 + y1 2 y1 . v1y = v1 ⋅ sin α = −v1 ⋅ √(v2 ⋅ t − x1 )2 + y1 2 Als Beispiel nehmen wir a = 100 m, v1 = 2 ms , v2 = 1 ms . Man erhält (Abb. 14.2) ẋ 1 (t) = ẏ 1 (t) =

2 ⋅ (t − x1 ) , √(t − x1 )2 + y1 2 −2 ⋅ y1 √(t − x1 )2 + y1 2

(14.1) mit

x1 (0) = 0 , y1 (0) = 100 .

Wir schreiben ein zugehöriges Programm Define verfolgung(n) Wir führen das Programm für n = 100 aus Prgm xa:= {xi} ya:= {yi} xi:= 0 yi:= 100 For i,1,n 2⋅(i−xi) xi:= xi + ((i−xi) 2 +yi2 )0.5 , i steht für die Zeit yi:= yi +

−2⋅yi ((i−xi)2 +yi2 )0.5

xa:= augment(xa,{xi}) ya:= augment(ya,{yi}) End For Disp xa, ya End Prgm

Abb. 14.2: Simulation von (14.1)

168 | 14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung

Abb. 14.3: Skizze zur 2. Verfolgungskurve

Für den Treffpunkt erhält man etwa T(56, 0). Als Erweiterung des Problems betrachten wir jetzt eine beliebige Fluchtkurve des Verfolgten. xF (t), yF (t) seien die Parametergleichungen der Fluchtkurve. Ein Hund befinde sich zum Zeitpunkt t = 0 im Punkt A(0, a) (Abb. 14.3). Sein Besitzer starte im Punkt B(0, 0) und laufe entlang einer Kurve mit der konstanten Geschwindigkeit v2 . Seine Bewegung wird also beschrieben durch x2 (t) = f(t) und y2 (t) = g(t). Der Hund eilt zu seinem Herrchen, indem er ihn ständig mit der konstan­ ten Geschwindigkeit v1 anpeilt. Die Bahn des Hundes wird durch die Punkte P(x1 , y1 ) beschrieben. Ist die Geschwindigkeit v2 gegeben, dann muss für die Geschwindigkeitskompo­ nenten des Mannes in x- und y-Richtung √v2x 2 + v2y 2 = v2 gelten. Dieser Sachverhalt wird es schwierig machen, beliebige Fluchtkurven zu betrach­ ten, bedeutet es doch, dass man bei gegebener Fluchtkurve, z. B. y = x2 und zugehö­ riger Parametrisierung xF (t) = t, yF (t) = t2 , erreichen muss, dass das Bogenstück von t bis t + 1 immer konstant sein muss, nämlich der konstanten Geschwindigkeit des t+1 Mannes: ∫t √ẋ F (t)2 + ẏ F (t)2 dt = vM . Nur bei wenigen Kurven kann die Bogenlänge einfach berechnet werden: Geraden, Kreise, spezielle Spiralen. In der Praxis geht es um „Flucht“, weswegen wohl nur die beiden erstgenannten in Frage kommen. Beispiel. Die Fluchtkurve sei y = x. Parametrisiert haben wir xF (t) = yF (t) = t. Es folgt t t v k = √ẋ F (t)2 + ẏ F (t)2 = √2 󳨐⇒ x2 (t) = , y2 (t) = . √2 √2 Eingesetzt in die Geschwindigkeitskomponenten für den Hund ergibt das (Abb. 14.4) 2 ⋅ ( √t − x1 ) 2

ẋ 1 (t) = √( t √2

2

− x1 ) + ( √t − y1 )

√( t √2

,

2

−2 ⋅ (y1 −

ẏ 1 (t) =

2

2

− x1 ) +

(14.2)

t ) √2

( √t 2

− y1 )

2

mit

x1 (0) = 0 , y1 (0) = 100 .

14.1 Verfolgungs- und Fluchtkurven |

169

Abb. 14.4: Simulation von (14.2)

Es ergibt sich gezeichneter Verlauf mit einem Treffpunkt von etwa T(28, 28). Eine andere Verfolgungsjagd besteht darin, dass der Abstand zum Verfolgten kon­ stant gehalten wird. Zum Beispiel könnte ein Detektiv einen Verdächtigen auf diese Weise verfolgen und einen Sicherheitsabstand einhalten. Diese Aufgabe hat ihren Ursprung bei Leibniz, wobei der Zusammenhang ein we­ niger dramatischer ist. Er betrachtete seine auf dem Tisch liegende Taschenuhr. Zog er das Ende der Kette entlang der x-Achse, so beschrieb die Uhr eine Bahn (Abb. 14.5 links). Er nannte sie Traktrix oder Schleppkurve (von lat. „trahere“, schleppen) Zurück zu unserem Beispiel: Der Verlauf der Verfolgungskurve ist unabhängig von der Geschwindigkeit des Verdächtigen. Es gilt aber folgendes: Ist die Geschwindigkeit des Verdächtigen konstant, dann ist die Geschwindigkeit des Detektivs variabel und umgekehrt. Dies deswegen, weil der Abstand konstant = a gehalten werden muss. Es bleibt aber dabei, dass der Detektiv den Verdächtigen ständig anpeilt. P(x1 , y1 ) sei ein Punkt seiner Bahn (Abb. 14.5 rechts)

Abb. 14.5: Skizzen zur Traktrix

170 | 14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung

Betrachtet man wieder die Geschwindigkeitskomponenten so sieht man, dass ẋ 1 (t) y1 y1 =− =− ẏ1 (t) x2 − x1 √ a2 − y1 gilt. Da man aber y󸀠 (x) =

dy dx

=

dy/dt dx/dt

=

ẋ 1 (t) ẏ 1 (t)

y󸀠 (x1 ) = −

schreiben kann, folgt y1 √ a2

− y1

,

was die Zeitunabhängigkeit zeigt. Setzen wir der Einfachheit halber y1 = y und trennen nach Variablen, dann ist dy = −

y

dx

√a 2 − y

oder geordnet

dx = −

√ a2 − y dy . y

Durch Integration erhält man x(y) = − ∫

√a2 − y dy . y

Das ist die Integralschreibweise der Traktrix. Die Lösung ist aufwendig. 1. Substitution z = √a2 − y2 1 dz 1 y y = ⋅ (a2 − y2 )− 2 ⋅ (−2y) = − =− dy 2 z √ a2 − y2

z = √ a2 − y2 −∫ 2.



z2 = a2 − y2

dy = −

z ⋅ dz y

y2 = a2 − z2

√ a2 − y2 z2 z z z2 dz ⋅ dx = − ∫ ⋅ (− ) dz = ∫ 2 dz = ∫ 2 y y y y a − z2

Polynomdivision ∫

z2 a 2 −z2

dz =?

z2 : (−z2 + a2 ) = −1 + z2 − a2 0 + a2 ∫ 3.





a2

a2 a2 − z2

z2 a2 a2 dz = ∫ −1 + 2 dz = −z + ∫ 2 dz 2 2 −z a −z a − z2

Partialbruchzerlegung ∫

a2 a 2 −z2

dz =?

a2 A B = + 󳨐⇒ a2 = A ⋅ (a − z) + B ⋅ (a + z) a2 − z2 a + z a − z Für z = a folgt B = 2a . Für z = −a folgt A = 2a . a2 a 1 a 1 dz = ⋅ ∫ dz + ⋅ ∫ dz 2 2 2 a+z 2 a−z a −z a a a a+z a2 dz = ⋅ ln(a + z) − ⋅ ln(a − z) = ⋅ ln ( ) ∫ 2 2 2 2 a−z a − z2



14.1 Verfolgungs- und Fluchtkurven |

171

Ergebnis von 3 in 2 einsetzen: ∫

a2

z2 a2 a a+z dz = −z + ∫ 2 dz = ⋅ ln ( )−z 2 2 a−z −z a − z2

Ergebnis von 2 in 1 einsetzen: −∫

√ a2 − y2 a a + √ a2 − y2 ) − √ a2 − y2 ⋅ dy = ⋅ ln ( y 2 a − √ a2 − y2 x(y) =

a a + √ a2 − y2 ) − √ a2 − y2 + c ⋅ ln ( 2 a − √ a2 − y2

=

a a + √ a2 − y2 ) − √ a2 − y2 + c ⋅ ln ( 2 a − √ a2 − y2

=

a + √ a2 − y2 a + √ a2 − y2 a ⋅ ) − √ a2 − y2 + c ⋅ ln ( 2 a − √ a2 − y2 a + √ a2 − y2

=

a (a + √a2 − y2 )2 ⋅ ln ( 2 ) − √a 2 − y 2 + c 2 a − (a2 − y2 )

=

(a + √a2 − y2 )2 a ) − √a 2 − y 2 + c ⋅ ln ( 2 y2

=

a a + √a2 − y2 ⋅ 2 ⋅ ln ( ) − √ a2 − y2 + c 2 y

= a ⋅ ln (

a + √a 2 − y 2 ) − √ a2 − y2 + c y

Anfangsbedingung x(a) = 0 einsetzen liefert 0 = a ⋅ ln (

a + √ a2 − a2 ) − √ a2 − a2 + c a

0 = a ⋅ ln(1) + c x(y) = a ⋅ ln (

󳨐⇒

oder

c=0

a + √ a2 − y2 ) − √ a2 − y2 . y

Das ist die Gleichung der Traktrix. Diese kann nicht nach y aufgelöst werden. Aus die­ sem Grunde wählten wir die Integration über y. Diese konnten wir explizit ausführen. Bemerkung. Die Substitution z = Aufgabe Bearbeiten Sie die Übungen 59 und 64.

1 cosh(t)

würde auch zum Ziel führen.

172 | 14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung

14.2 Die Brachistochrone Das folgende Problem der Brachistochrone („brachistos“: kürzeste, „chronos“: Zeit) wurde erstmals von Johann Bernoulli 1696 gestellt und von ihm selbst gelöst. Ein Massepunkt soll sich vom Punkt P1 (0, 0) zum Punkt P2 (x2 , y2 ), der tiefer als P1 , aber nicht senkrecht unter ihm liegt, in möglichst kurzer Zeit reibungsfrei bewe­ gen und das nur unter Einfluss der Schwerkraft. Es zeigt sich, dass weder die Gerade noch der Kreis Lösung des Problems sind (Abb. 14.6 links). Interessanterweise geht der Ansatz von Bernoulli von zwei physikalischen Gesetzen aus: Das erste Prinzip ist folgendes: Licht sucht sich immer den schnellsten Weg. Das zweite ist das Brechungs­ gesetz von Snellius: In diesem Beispiel wählt das Licht durch das Wasser (vWasser = 225.000 km/s) zuerst den Weg an die Oberfläche als direkten Weg zum Auge. Den Zeitverlust für die­ sen Umweg wird es in der schnelleren Materie (vLuft = 300.000 km/s) wieder durch eine höhere Geschwindigkeit auf dem längeren Weg ausgleichen. So betrachtete auch Johann Bernoulli das Problem. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den ver­ schiedenen Medien entsprechen in unserer Aufgabe den Momentangeschwindigkei­ ten des Massenpunkts. β1 v1 Nach dem Brechungsgesetz gilt sin sin β 2 = v 2 , wenn v 1 = v Luft und v 2 = v Wasser (Abb. 14.6 rechts).

Abb. 14.6: Skizzen zur Brachistochrone

Beweis. Gegeben sind die Höhen y1 und y2 zur Wasseroberfläche und s als Abstand der Projektionen von Auge und Gegenstand auf die Wasseroberfläche. x und s − x sind die Teilabstände zum Eintritts-/Austrittspunkt des Lichts. Gesucht ist x, so dass die Zeit √x2 + y21 √(s − x)2 + y22 s1 s2 t(x) = t1 + t2 = + = + vL vW vL vW minimal wird. Die Ableitung liefert t󸀠 (x) =

1 x 1 (s − x) ⋅ − ⋅ =0. vL √x2 + y2 vW √(s − x)2 + y2 1 2

14.2 Die Brachistochrone

|

173

Diese Gleichung lässt sich numerisch bei gegebenen Werten nach x auflösen. Interes­ siert aber nur das Brechungsgesetz, dann kann man folgern x √x2

+

y21

= cos α 1 = sin β 1

(s − x)

und

√(s − x)2 + y22

Somit ist v1L ⋅ sin β 1 − v1W ⋅ sin β 2 = 0 und schließlich Daraus ergibt sich cos α 1 v1 = cos α 2 v2

󳨐⇒

sin β 1 sin β 2

= cos α 2 = sin β 2 .

=

vL vW .

cos α = konst. =: c . v

Bernoulli betrachtete nun die Kurve der Brachistochrone als einen Polygonzug aus vielen dieser Brechungen. Die Teilstrecken sind in ihrer Länge und ihrem Winkel ge­ mäß dem Brechungsgesetz variabel. Eine Annäherung an die Lösung finden wir so: Da die Geschwindigkeit mit dem Durchlaufen zunimmt, muss der Winkel α abnehmen, da cos α zunimmt, um die Konstanz von cosv α zu erhalten. Die Kurve beginnt somit mit einer starken Krümmung und nimmt zum Punkt P2 hin ab. Für immer kleinere Streckenzüge nähert sich der Polygonzug der gesuchten Kurve (Abb. 14.7 links). Nach dem freien Fall gilt v = √2gy. Zusammen mit Obigem ist cos α = c ⋅ √2gy = √c2 ⋅ 2gy

oder

cos α = √

y k

mit

k=

1 . 2gc2

Für eine infinitesimal kleine Strecke ist (Abb. 14.7 mitte) cos α =

dx √dx2 + dy2

oder



y dx = k √dx2 + dy2

Quadriert man diese Gleichung, so erhält man y dx2 = 2 k dx + dy2

󳨐⇒

k dx2 + dy2 = y dx2

󳨐⇒

k dy 2 =1+( ) . y dx

dy 󸀠 √ k−y = √ k−y Schließlich folgt dx y oder y = y , die DGL der Brachistochrone. Der Winkel α durchläuft in unseren bisherigen Überlegungen absteigend die Wer­ te von 2π bis 0. Um die Kurve nachher darzustellen, ist es sinnvoller die Winkel auf­ steigend zu betrachten. Dies erreichen wir, indem wir einfach den Winkel t = 2π − α π bilden. Dann gilt dy dx = cot t mit 0 ≤ t ≤ 2 . Löst man die DGL nach y auf, so ergibt sich

y(t) =

k k ⋅ sin2 t k k = = = k ⋅ sin2 t . = 2 1 + (y󸀠 )2 1 + cot2 t 1 + cos2 t sin2 t + cos2 t sin t

Um x(t) zu bestimmen, schreiben wir zuerst dy = dx

dy dt dx dt

= cot t

󳨐⇒

dx dy = cot t ⋅ . dt dt

174 | 14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung

Abb. 14.7: Skizzen zu Bernoullis Beweis

Dann folgt 2k ⋅ sin t ⋅ cos t = cot t ⋅

dx dt

󳨐⇒

dx = 2k ⋅ sin2 t ⋅ dt .

Integration ergibt x(t) = 2k ∫ sin2 t ⋅ dt = 2k ⋅ (

k t sin t ⋅ cos t − ) + C = ⋅ (2t − sin 2t) + C . 2 2 2

Mit der Anfangsbedingung x(0) = 0 folgt C = 0 und damit x(t) = 2k ⋅ (2t − sin 2t). Skizziert man die Kurve mit x(t), y(t), so sieht sie wie eine Zykloide aus. x(t) ist dabei schon in der uns bekannten Form, y(t) muss man noch etwas umformen: cos 2t + 1 k ) = ⋅ (1 − cos 2t) . 2 2 Substituiert man noch 2t → t und beachtet, dass y(t) nach unten abgetragen wird, so erhält man schließlich die Parameterdarstellung der Zykloide als Lösung des Pro­ blems: k x(t) = ⋅ (t − sin t) 2 k y(t) = − ⋅ (1 − cos t) für 0 ≤ t ≤ π . 2 Aus der Theorie der Zykloiden wissen wir, dass k der Durchmesser des abrollenden Kreises ist. Folglich ist der Punkt (x(t), y(t)) in unserem Fall auf dem Kreis-Rand (Abb. 14.7 rechts). y(t) = k ⋅ sin2 t = k ⋅ (1 − cos2 t) = k ⋅ (1 −

Beispiel. Wir nehmen k = 4 und P1 (0, 0). Daraus folgt 4 (π − sin π) = 2π 2 4 y(π) = − (π − cos π) = −4 . 2 Somit hat man P2 (2π, −4) und die Parameterform der Kurve ist x(π) =

x(t) = 2(t − sin t) y(t) = −2(1 − cos t) . k = 4 entspricht dem Durchmesser des abrollenden Kreises (Abb. 14.8 links).

14.2 Die Brachistochrone

|

175

Abb. 14.8: Beispiel zur Brachistochrone

Um die minimale Zeit T für den Weg von P1 nach P2 zu berechnen, benutzen wir √2g ⋅ y(x). die Definition v = ds dt . Diese ist nach dem freien Fall gegeben durch v(x) = Außerdem ist die Strecke ds ein Stück der Bogenlänge, also ds = √1 + y󸀠 (x)2 ⋅ dx. Zusammen ist dt =

ds √1 + y󸀠 (x)2 = ⋅ dx . v √2g ⋅ y(x)

Daraus wird t

x2

0

x1

√1 + y󸀠 (x)2 1 dx . ∫ dt = T = ∫ √2g √y(x) Dies wollen wir zuerst für eine lineare Bewegung von P1 (0, 0) und P2 (2π, −4) aus­ rechnen. Aus y(x) = | − 2π x| = 2π x folgt y󸀠 (x) = | − 2π | = 2π . Schließlich hat man 2π √1

1 T= ∫ √2g 0

2

+ ( 2π )

√ 2π x

2 2π

dx =

√1 + ( 2π ) √2g√ 2π

2

√1 + ( 2π ) 1 2π dx = ∫ [2√x]0 = 1,68 s . √x 2 √2g√ π 0

Dieses Ergebnis können wir mit Hilfe einer Punktmasse, die auf dieser Geraden (= schiefe Ebene) hinunterrollt, kontrollieren (Abb. 14.8 rechts). FH = FG ⋅ sin α, FN = FG ⋅ cos α. Die Beschleunigung beträgt a = g ⋅ sin α. Weiter ist 2 α = tan−1 ( ) und s = √42 + (2π)2 . π Mit s = 12 at2 folgt t=√

2s 2√42 + (2π)2 =√ = 1,68 s . a g ⋅ sin (tan−1 ( 2 )) . π

176 | 14 Spezielle Probleme mit Differenzialgleichungen 1. Ordnung Schließlich bestimmen wir noch die kürzeste Zeit von P1 (0, 0) nach P2 (2π, −4) ent­ lang der Zykloide x(t) = 2(t − sin t) y(t) = −2(t − cos t) . Es gilt x2

√1 + y󸀠 (x)2 1 T= ⋅ dx . ∫ √2g √y(x) x1

Weiter ist

dy dx

=

ẏ ẋ

und

√1 + y󸀠 (x)2 √y(x)

dx dt

= x.̇ Dann folgt

⋅ dx = =

√1 +

ẏ 2 ẋ 2

√y(x)

⋅x⋅̇ dt =

√ẋ 2 (t) + ẏ 2 (t) √y(t)

√ẋ 2 + ẏ 2 √ẋ 2 + ẏ 2 ̇ ⋅x⋅dt = ⋅ dt √y(x) √y(x) ⋅ √ẋ 2

⋅ dt .

Insgesamt ist t2

√ẋ 2 (t) + ẏ 2 (t) 1 ⋅ dt . T= ∫ √2g √y(t) t1

Mit

̇ = 2(1 − cos t) x(t) ̇ = −2 sin t y(t)

folgt ẋ 2 (t) + ẏ 2 (t) = 4(1 − 2 cos t + cos2 t + sin2 t) = 8(1 − cos t) und schließlich T=

π

π

0

0

√8(1 − cos t) 2 1 1 ⋅ dt = ∫ ∫ 2 ⋅ dt = √ ⋅ π = 1,42 s . g √2g √2(1 − cos t) √2g

Übungen 1.

Zeichnen Sie das Richtungsfeld der DGL und lösen Sie sie. a)

2.

3.

5.

y x

y󸀠 =

b)

1 y

y󸀠 =

c)

x y

d)

y󸀠 = xy

y󸀠 = −xy

e)

Berechnen Sie die Lösung der DGL. y x2

a)

y󸀠 =

d)

y󸀠 + xy − x = 0

x y+1

b)

y󸀠 =

e)

y󸀠 = −y2 x + x = 0

c)

y󸀠 = −

y2 x+1

Berechnen Sie die Lösung der DGL. a)

4.

y󸀠 =

y󸀠 = 2x − y

b)

y󸀠 = (x + y)2

c)

y󸀠 = 3x + 2y + 1

d)

y󸀠 =

1 −1 x+y

d)

y󸀠 = y −

Berechnen Sie die Lösung der DGL. a)

y󸀠 = x +

e)

y󸀠 =

y x

x2 + y2 xy

b)

y 2 y y󸀠 = ( ) + x x

c)

y󸀠 = y +

f)

y󸀠 =

y y ⋅ ln ( ) x x

g)

y󸀠 =

y x

y x

x2 − xy + y2 x2

Berechnen Sie die Lösung der DGL. y = x+1 x x d) y󸀠 − 2 =1 x +1 2y 1 g) y󸀠 + = x x+1 a)

y󸀠 +

b)

y󸀠 + tan x ⋅ y =

e)

y󸀠 + xy = e−

h)

y󸀠 +

1 cos x

x2 2

1 y = ex x2

c)

y󸀠 +

f)

y󸀠 − (2x + 1)y = 2x + 1

y =x x(x − 1)

6.

Leiten Sie aus der Newton’schen Formel F = ma die Formel für die kinetische Energie eines Körpers Ekin = 12 mv2 her. Schreiben Sie dazu unter anderem a = dv dt .

7.

Wie lautet die zugehörige DGL, welche die Lösung y(x) = kx mit k ∈ ℝ besitzt? (Als Beispiel sei das Gesetz von Boyle-Mariotte erwähnt: p(V) = Vk . Bei konstanter Temperatur ist der Druck p umgekehrt proportional zum Volumen).

8. Ein Metallstab der Länge L dehnt sich bei Erwärmung aus. Wie ändert sich die Länge L(T) mit der Temperatur T? a) Stellen Sie die zugehörige DGL für L(T) auf. b) Lösen Sie die DGL. https://doi.org/10.1515/9783110683806-015

178 | Übungen

9.

Flüssigkeiten, wie z. B. Wasser, lassen sich komprimieren, wenn auch bei sehr großem Druck. Wir nehmen eine konstante Temperatur an. Wie ändert sich das Volumen V(p) mit dem Druck p? a) Stellen Sie die zugehörige DGL für V(p) auf. b) Lösen Sie die DGL. c) Um wieviel Prozent ist das Volumen des Wassers im tiefsten Punkt der Erde (Marianengraben, 11.000 m.u.M.) gegenüber dem Normaldruck komprimiert? 3 Verwenden Sie p = ρgh für den Druck und ρ = 1000 m kg für die Dichte des Wassers.

10. Eine Tasse Tee der Temperatur T0 soll auf die Raumtemperatur TR abgekühlt wer­ den. Wie ändert sich die Temperatur T(t) mit der Zeit t? a) Stellen Sie die zugehörige DGL für T(t) auf. b) Lösen Sie die DGL. 11. x sei die pro Hektar ausgestreute Menge eines Düngers, E(x) der resultierende Hektarertrag einer gewissen Frucht. Vermehrte Düngung wird den Ertrag steigern, allerdings nicht unbeschränkt. Es wird schließlich ein Maximalertrag EM erreicht werden. Überdüngung kann zu Ertragsminderung führen. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für E(x) auf. b) Lösen Sie die DGL. 12. Betrachtet wird der Durchmesser D(t) einer Fichte auf einer Höhe von einem Meter in Abhängigkeit der Zeit t in Jahren. Wir nehmen ein logistisches Wachstum mit k = 0,05, einem Startdurchmesser von 0,5 m und einem Grenzdurchmesser von 1,5 m an. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für D(t) auf. b) Lösen Sie die DGL. 13. Einer Population P(t), (t in h) von 100 Individuen, stehen nur beschränkte Ressourcen Verfügung. Ihre Maximalgröße ist 500. Der Wachstumsfaktor sei k = 0,002. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für P(t) auf. b) Lösen Sie die DGL. 14. 1956 war Marion King Hubbert leitender Ölexperte bei Shell. Er prägte den Be­ griff „Peak Oil“. Er kannte den Verlauf der Ölförderung bei einzelnen Quellen, der sich grob einer logistischen Verteilung annähert und übertrug dies sowohl auf die nordamerikanische wie auch auf die globale Förderung. Mit Peak Oil bezeichne­ te er den Zeitpunkt, bei dem ein Fördermaximum erreicht wird (im logistischen Verlauf die Grenze G). Die Fördermenge nimmt ab, sofern nicht ein neues Feld entdeckt wird. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Fördermenge F(t) zur Zeit t auf, wenn wir von einer Startfördermenge von 5 Mio. Barrel/Tag ausgehen. Als maxi­

Übungen |

179

male Fördermenge nehmen wir 12 Mio. Barrel/Tag. Für den Faktor k betrach­ ten wir die jährliche Wachstumsrate der verschiedenen Länder. Sie liegt bei durchschnittlich 7,5 %. Daraus lässt sich der Wachstumsfaktor zu k = 0,01 errechnen. b) Lösen Sie die DGL. 15. Licht verliert einen Teil seiner Intensität, wenn es Wasser durchdringt. I0 sei die Anfangsintensität des Lichts. Der Verlust sei 8 % pro Tiefenmeter. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Intensität I(t) zur Zeit t auf. b) Lösen Sie die DGL. c) In welcher Tiefe ist noch 1 % der anfänglichen Lichtintensität vorhanden? 16. An einer Schule mit N Schülern wird ein Gerücht durch Mundpropaganda verbrei­ tet. I(t) sei die Anzahl der zur Zeit t informierten Personen. a) Wie groß ist die Anzahl der Nichtinformierten in der Zeitspanne dt? b) Ein Informierter habe in der Zeitspanne dt total k Kontakte mit Informierten und nicht Informierten. Wieviel neu Informierte erzeugt er dann in der Zeit­ spanne dt? c) Wenn jetzt jeder der Informierten ebenfalls k Kontakte hat, wieviel neu Infor­ mierte erzeugen dann alle in der Zeitspannne dt? d) Stellen Sie die zugehörige DGL für I(t) auf und lösen Sie sie. 17. Ein Satellit soll von der Erde aus auf die Höhe h gebracht werden (Abb. 9, 1. Skizze). Welche Arbeit W ist hierzu erforderlich? Für ein kleines Höhenstück dh kann die Anziehungskraft F zwischen Satellit und Erde als konstant angenommen werden: dW = F ⋅ dh. E ⋅m S a) Benutzen Sie F(h) = G⋅m und leiten Sie eine DGL für die Arbeit W(h) her. (R+h)2 b) Lösen Sie die DGL. c) Welche Arbeit wäre erforderlich, um den Satelliten ins Unendliche zu beför­ dern? 18. Ein Gefäß mit dem Querschnitt Q ist bis zu einer Höhe H mit Wasser gefüllt. Es wird am Boden des Gefäßes über ein Rohr mit dem Querschnitt q entleert (Abb. 9, 2. Skizze). Wie ändert sich die Höhe des Wasserspiegels mit der Zeit t? a) v(t) sei die Ausfließgeschwindigkeit des Wassers. Führen Sie einen Volumen­ vergleich der ausfließenden Wassermenge über die beiden Querschnitte Q und q aus. b) Für ein kleines Zeitintervall dt kann man die Ausfließgeschwindigkeit als kon­ stant annehmen. Für die Geschwindigkeit auf der Höhe h gilt: v(t) = √2gh(t). Stellen Sie die zugehörige DGL für h(t) auf. c) Lösen Sie die DGL. d) Nach welcher Zeit ist der Tank leer? (vgl. 5. Band, Strömungen).

180 | Übungen

19. Sand sinkt von der Wasseroberfläche hinab (Abb. 9, 3. Skizze). Mit welcher Ge­ schwindigkeit fällt der Sand? Wir fassen dazu die Sandkörner als Kugeln auf. Für Kugeln gilt das Gesetz von Stokes. Es besagt, dass eine Kugel in einer Flüssigkeit den Reibungswiderstand FR = 6π⋅η⋅r⋅v erfährt. Dabei sind r der Radius der Kugel, v die Geschwindigkeit des sinkenden Körpers und η die Viskosität der Flüssigkeit. Zudem erfährt das Sandkorn noch einen Auftrieb der Größe FA = ρ Fl ⋅ V ⋅ g. a) Für ein kleines Zeitintervall t kann man die Geschwindigkeit als konstant an­ nehmen. Stellen Sie die zugehörige DGL für v(t) über die Gleichung Ftot = FG − FR − FA auf. b) Lösen Sie die DGL. c) Integrieren Sie die Lösung und bestimmen Sie die Gleichung für den Ort x(t). d) Welcher Kurve nähert sich x(t) für t → ∞? kg e) Wie lange braucht der Sand, um 10 m abzusinken? (η Wasser = 1,00 ⋅ 10−3 m⋅s , kg 3 Radius der Sandkugeln r = 0,1 mm, Dichte von Sand ρ = 2,50 ⋅ 10 m3 ). 20. Wie sinkt der Luftdruck mit steigender Höhe? Für den Druck p gilt die Formel p = ϱ ⋅ g ⋅ h. Damit ist das Problem nur auf die sich ändernde Dichte ϱ in der Höhe h verlagert. Wir treffen eine weitere Annahme: Die Temperatur wird in je­ der Höhe als konstant angenommen (sonst müsste man die allgemeine Gasglei­ chung heranziehen). In diesem Falle besagt das Gesetz von Boyle-Mariotte, dass p ⋅ V = konst. Daraus folgt p0 ⋅ ϱm0 = p ⋅ mϱ . Also pϱ00 = pϱ . Dabei sind p0 , ϱ 0 Druck und Dichte der Luft am Boden und p, ϱ Druck und Dichte der Luft auf der Höhe h. Für ein kleines Höhenstück dh nehmen wir den Druck p als konstant an. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für den Druck p(h) auf. b) Lösen Sie die DGL. 21. In Übung 15 haben wir die Temperatur als konstant angenommen. Tatsächlich fällt sie annähernd linear mit steigender Höhe, je 100 m um etwa 0,6 °C. Das ergibt für die Temperaturänderung in der Höhe h: T(h) = T0 − 0,006 ⋅ h, wenn T0 die Tempe­ ratur in Kelvin am Boden ist. Bei 20 °C sind das 293 K. Benutzen Sie, dass in diesem p N Fall für die Dichte ϱ der Luft zu jedem Zeitpunkt Tϱ = konst. = 192,20 kg⋅K gilt. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für den Druck p(h) auf. b) Lösen Sie die DGL. c) Stellen Sie p(h) dar und vergleichen Sie mit Übung 20. 22. In Übung 20 haben wir die Fallbeschleunigung als konstant angenommen. Tat­ R 2 sächlich verändert sie sich mit steigender Höhe h. Es gilt g(h) = g0 ⋅ ( R+h ) . R ist dabei der Radius der Erde, und g0 die Fallbeschleunigung auf der Erdoberfläche. Ersetzen Sie in der DGL für den Druck p(h) von Übung 20 g durch g(h) und lösen Sie die entstandene DGL. Bemerkung: Man könnte schließlich alle drei Größen T, ϱ, g als mit der Höhe veränderlich betrachten. Die Aufgabe wäre lösbar, aller­ dings müsste man eine komplizierte Partialbruchzerlegung durchführen. Später werden wir eben diese Aufgabe mit Hilfe eines numerischen Verfahrens lösen.

Übungen | 181

Abb. 9: Skizzen zu den Übungen 17, 18, 19 und 23

23. Ein kugelförmiger Gegenstand fällt aus großer Höhe auf die Erde (Abb. 9, 4. Skiz­ ze). Mit welcher Geschwindigkeit fällt der Körper, wenn der Luftwiderstand beach­ tet, der Auftrieb in diesem Fall vernachlässigt wird? Der Luftwiderstand bremst den Fall also ab. Für den Reibungswiderstand gilt: FR = 12 cW ⋅ ρ ⋅ A ⋅ v2 . Dabei sind A der Querschnitt der Kugel, v die Geschwindigkeit des Körpers, ρ die Dichte der Luft und cW die Widerstandszahl, die ein Maß für den Strömungswiderstand der Luft darstellt. a) Für ein kleines Zeitintervall t kann man die Geschwindigkeit als konstant an­ nehmen. Stellen Sie die zugehörige DGL für v(t) über die Kraftgleichung F tot = FG − FR auf. c ρA b) Lösen Sie die DGL. Benutzen Sie folgende Abkürzung: a := W2m . Schreiben Sie die DGL in der Form v󸀠 = g(1 − ag v2 ) und substituieren Sie dann u 2 = ag v2 . c) Welcher Grenzgeschwindigkeit nähert sich v(t) für t → ∞? 24. Einem Patienten wird eine Zuckerlösung über eine Infusion verabreicht, sagen wir β Gramm pro Minute. Gleichzeitig wird die Glukose mit der Zeit t im Blut ab­ gebaut. Und zwar ist die Änderung der Glukosemenge proportional zur vorhan­ denen Menge mit der Konstante k. Im Blut sei schon die Menge G0 an Glukose vorhanden. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Glukosemenge G(t) im Blut auf. b) Lösen Sie die DGL. c) Was geschieht für t → ∞? 25. Nehmen wir an, eine Ameisenkolonie macht sich in Ihrer Wohnung breit. Als sie Ihnen zum ersten Mal auffällt, zählt sie u 0 Ameisen. Diese vermehrt sich mit der Zeit t gemäß einem beschränkten Wachstum mit G als maximale Anzahl. Ihnen gelingt es, täglich β Ameisen pro Tag aus Ihrer Wohnung zu schaffen. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Anzahl Ameisen u(t) auf und lösen Sie sie. b) Wie lautet u(t) für u 0 = 25, β = 20, k = 0,2, G = 1000? Stellen Sie u(t) dar. c) Was geschieht für t → ∞?

182 | Übungen

26. In Häusern, die im Winter unbenutzt und ungeheizt bleiben, drohen die Wasser­ leitungen zu bersten, falls man sie nicht im Herbst entleert. Nehmen wir an, die Luft- und Wassertemperatur beträgt um 18 Uhr 10 °C und sinkt bis zum nächsten Morgen um 6 Uhr auf −2 °C. Nehmen Sie das übliche Abkühlungsgesetz mit k = 1, aber jetzt mit einer veränderlichen Grenztemperatur. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Temperatur u(t) zur Zeit t auf und lösen Sie sie. b) Um welche Zeit wird der Gefrierpunkt erreicht? 27. Sie stellen ein Glas kaltes Wasser von 2 °C nachts in den Garten. Über Nacht steigt die Umgebungstemperatur in 10 Stunden von 10 °C bis hin zur maximalen Tempe­ ratur von 20 °C. Für die Veränderung der Umgebungstemperatur wählen wir ein beschränktes Wachstum mit k = 0,3 aber eben noch mit veränderlicher Grenztem­ peratur. a) Geben Sie die Gleichung u(t) für die Umgebungstemperatur zur Zeit t an. b) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Temperatur T(t) im Glas auf mit einem Wachstumsfaktor von k = 1 und lösen Sie die DGL. 28. In einem Tank von 1000 l Wasser werden 50 kg Salz gelöst. Beginnend mit der Zeit t = 0 fließen ständig 10 Liter pro Minute der Lösung aus und 10 l Wasser pro Minute mit dem Salzgehalt von 2 kg hinzu. Wir gehen davon aus, dass das Mischgerät ständig für eine vollständige und sofortige Mischung sorgt. s(t) sei die Salzmenge zur Zeit t. a) Wieviel Salz enthält jeder Liter zur Zeit t? b) Wie viele Liter Salz werden im Intervall dt entfernt? c) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Salzmenge s(t) auf und lösen Sie sie. d) Was geschieht für t → ∞? 29. Wir gehen von der gleichen Situation wie in Übung 28 aus. Aber jetzt fließen 15 Li­ ter pro Minute Wasser mit einem Salzgehalt von 3 kg dazu. s(t) sei wieder die Salz­ menge zur Zeit t. a) Wieviel Salz enthält jeder Liter zur Zeit t? b) Wie viele Liter Salz werden im Intervall dt entfernt? c) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Salzmenge s(t) auf und lösen Sie sie. d) Wann ist kein Salz mehr vorhanden? 30. Jemand nimmt in sehr kurzer Zeit 1  (Promille) Alkohol zu sich. 5 % werden auf direktem Weg über die Niere ausgeschieden. Magen und Darm geben den Rest ans Blut ab. Sagen wir anfangs 0,75  pro h, dann exponentiell fallend mit einem Wachstumsfaktor von k = 0,5. Der Abbau im Blut erfolgt linear und zwar 0,15  pro h. a) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Alkoholmenge A(t) zur Zeit t auf und lösen Sie sie. b) Wann ist der gesamte Alkohol abgebaut?

Übungen | 183

31. Betrachten wir folgende chemische Reaktion. Ein Atom/Molekül vom Typ A ver­ einigt sich mit einem Atom/Molekül vom Typ B zu einem Molekül vom Typ AB. Also A + B → AB. Beispiel: Kohlenmonoxid (AB) steht mit Kohlenstoff (A) und Kohlendioxid (B) gemäß der Hin- und Rückreaktion 2CO 󴀕󴀬 C + CO2 im Gleichge­ wicht. Die Anzahl der Atome/Moleküle vom Typ A bzw. Typ B betragen zu Beginn der Reaktion (t = 0) a bzw. b. Nach der Zeit t seien x(t) Moleküle vom Typ AB entstanden. Es gilt x(0) = 0. a) Wie viele „freie“ Atome/Moleküle vom Typ A bzw. vom Typ B sind zur Zeit t vorhanden? b) Wie viele Moleküle vom Typ AB entstehen im Zeitintervall dt? c) Stellen Sie die zugehörige DGL für die Anzahl Moleküle vom Typ AB zur Zeit t auf und lösen Sie sie. d) Was geschieht für t → ∞, wenn i) a > b, ii) a < b? Interpretieren Sie das Ergebnis. e) Für den Fall a = b müssen Sie die DGL neu aufstellen und lösen. Führen Sie dies aus. 32. Bestimmen Sie die Lösungen des DGL-Systems ẏ 1 = −α ⋅ y2 ẏ 2 = −β ⋅ y1 mit α, β > 0 und den Anfangsbedingungen y1 (0) = M1 , y2 (0) = M2 . 33. Gegeben ist das DGL-System ẏ 1 = −α ⋅ y1 ẏ 2 = α ⋅ y1 − β ⋅ y2 mit α, β > 0 und den Anfangsbedingungen y1 (0) = M1 , y2 (0) = M2 . a) Berechnen Sie die Lösungen des DGL-Systems. Ersetzen Sie dazu in der allge­ meinen Formel α → −α, β → 0, γ → α, δ → −β. b) Was geschieht für t → ∞? c) Wie reduzieren sich die Lösungen, wenn M 1 = M, M2 = 0 gilt? d) Wie reduzieren sich die Lösungen, wenn α = β gilt? Dazu müssen Sie zu den Lösungen von a) zurückgehen. 34. Ein Patient nimmt eine einmalige Dosis eines Medikaments ein, z. B. eine Tablette von 150 mg gegen Kopfschmerzen. Der Wirkstoff gelangt über den Magen-Darm­ mg trakt ins Blut (Kompartiment 1) und wird dann mit einer Rate von 0,15 min in die Leber (Kompartiment 2) überführt. In der Leber selber wird der Stoff mit einer Rate mg von 0,2 min abgebaut. a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell und stellen Sie das zuge­ hörige DGL-System für die Wirkstoffmengen in den einzelnen Kompartimen­ ten auf.

184 | Übungen

b) Berechnen Sie die Lösungen des DGL-Systems mit den Anfangsbedingungen y1 (0) = M1 , y2 (0) = M2 . c) Interpretieren Sie den Verlauf der Graphen von y1 (t) und y2 (t). 35. Sie trinken einen halben Liter Wasser auf einmal. Nehmen wir an, ihr Magen (Kompartiment 1) gibt die Flüssigkeit exponentiell fallend weiter mit einer Ra­ te von 0,15 Liter min . Für kleine Mengen ist diese Annahme in Ordnung, eigentlich geschieht die Weitergabe linear in kleinen Portionen. Der Dünndarm (Kompar­ timent 2), unsere Schaltzentrale für die Aufnahme von Flüssigkeit, tut dies mit einer Rate von 0,7 Liter min . a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell und stellen Sie das zuge­ hörige DGL- System für die Wassermengen in den einzelnen Kompartimenten auf. b) Berechnen Sie die Lösungen des DGL-Systems mit den Anfangsbedingungen y1 (0) = 0,5 Liter, y2 (0) = 0 36. Gegeben ist das DGL-System ẏ 1 = −α ⋅ y1 + β ⋅ y2 ẏ 2 = α ⋅ y1 − β ⋅ y2 mit den Anfangsbedingungen y1 (0) = M1 , y2 (0) = M2 . a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell und berechnen Sie die Lö­ sungen des DGL-Systems. b) Was geschieht für t → ∞? 37. In einem Tank T1 von 100 l Wasser sind 5 kg Salz gelöst. Ein Tank T2 enthält 300 l Wasser mit ebenfalls 5 kg Salz. Beginnend mit der Zeit t = 0 werden pro Minute ständig 10 l Salzlösung von T1 nach T2 und 10 Liter von T2 nach T1 gepumpt und sofort verrührt. a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell, stellen Sie das zugehörige DGL-System für die Salzmengen in den einzelnen Kompartimenten zur Zeit t auf und berechnen Sie die Lösungen des DGL-Systems. b) Gegen welchen Wert strebt der Salzgehalt in T1 und T2 für t → ∞? 38. In einem Tank T1 von 1000 l Wasser sind 50 kg Salz gelöst sind. Ein Tank T2 ent­ hält ebenfalls 1000 l Wasser mit 20 kg Salz. Beginnend mit der Zeit t = 0 werden pro Minute ständig 80 l Salzlösung von T1 nach T2 , 20 Liter von T2 nach T1 und 60 Liter von T2 nach T3 gepumpt und sofort verrührt. a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell, stellen Sie das zugehörige DGL-System für die Salzmengen in den einzelnen Kompartimenten zur Zeit t auf und berechnen Sie die Lösungen des DGL-Systems. b) Stellen Sie die Graphen von T1 (t) und T2 (t) dar.

Übungen | 185

39. Cholesterin ist eine Kohlenstoffverbindung, die eine beherrschende Rolle beim Fettstoffwechsel und bei der Arterienverkalkung spielt. Um seinen Umsatz im Kör­ per zu erfassen, nehmen wir Blut und Organe zu einem Kompartiment 1 und den Rest des Körpers (Muskeln, Fett usw.) zu einem Kompartiment 2 zusammen. y1 und y2 seien die Abweichungen zum normalen Cholesterinniveau in den entspre­ chenden Kompartimenten. Mit Hilfe einer radioaktiven Flüssigkeit („Tracer“) fand man die täglichen Übergangsraten: Von y1 nach y2 etwa 0,036, von y2 zurück nach y1 etwa 0,02 und von y1 direkt zur Ausscheidung etwa 0,098. a) Zeichnen Sie das zugehörige Kompartimentmodell, stellen Sie das zugehörige DGL-System für die Abweichungen der Cholesterinmengen in den einzelnen Kompartimenten zur Zeit t auf und berechnen Sie die Lösungen des DGL-Sys­ tems. b) Stellen Sie die Graphen von T1 (t) und T2 (t) dar. 40. Betrachten Sie das Lotka-Volterra-Modell 1: ẏ 1 = y1 (α − βy2 ) ẏ 2 = y2 (γy1 − δ) mit α = 0,2, β = 0,04, γ = 0,008, δ = 0,1, y1 (0) = 5, y2 (0) = 2. a) Bestimmen Sie die Zeitpunkte, bei denen die gleiche Anzahl Hasen wie Füch­ se vorhanden sind mit Hilfe des Befehls „If |y1i − y2i| < a Then. . . “. Wählen Sie a entsprechend. Bestimmen Sie auch die Periodizität der Lösungskurven. b) Die Periodizität des Systems kann man auch anders zeigen. Dazu trägt man y2 als Funktion von y1 auf. Das heißt, man betrachtet, wie sich y2 in Abhän­ gigkeit von y1 verändert. Hierzu müssen Sie nur y1 als x-Achse und y2 als y-Achse erklären. Bauen Sie folgende drei Befehle in das Programm ein: xc:= augment(ya,{y1i}) yc:= augment(yb,{y2i}) Disp . . . ..xc, yc Die entstehende Kurve nennt man Trajektorie oder Bahn des Systems. Inter­ pretieren Sie den Verlauf. c) Nun stellen wir uns die Frage, bei welchen Anfangswerten y1 (0) und y2 (0) von Hasen und Füchsen ihre Bestände konstant bleiben würden. Geht das überhaupt? Untersuchen und bestätigen Sie durch Simulation: Verändert man bei gleichen α, β, γ, δ nur die Startwerte y1 (0) und y2 (0) dann erhält man Kurven, die sich nirgends schneiden, sondern sich vielmehr um einen Punkt G winden. Wir können uns das so vorstellen, dass kleiner werdende Kurven in G zusammenschrumpfen. Im Punkt G würde dann gelten, dass die Bestände konstant sind. Berechnen Sie die Koordinaten von G, indem Sie überlegen, dass die Zu- oder Abnahme in G Null ist, also y1̇ = y2̇ = 0 gilt.

186 | Übungen d) Nehmen Sie in Ihrem Programm nun die in c) berechneten Werte für y1 (0) und y2 (0) und zeigen Sie, dass sich waagrechte Geraden als Lösungskurven ergeben. 41. Betrachten Sie das Lotka-Volterra-Modell mit Eingriff von außen: ẏ 1 = (α − η)y1 − βy1 y2 ẏ 2 = γy1 y2 − (δ + λ)y2 mit α = 0,2, β = 0,04, γ = 0,008, δ = 0,03, y1 (0) = 5, y2 (0) = 2. y1 sei die Population von Schädlingen, z. B. von Schildläusen, und y2 sei die Po­ pulation der natürlichen Feinde, z. B. der Marienkäfer. Wir setzen ein relativ star­ kes Gift gegen y1 ein, sagen wir mit η = 0,1. Mit dem Gifteinsatz wird auch ein Teil von y2 dezimiert, wir nehmen dazu λ = 0,04. a) Untersuchen Sie, was mit den Beständen von y1 und y2 geschieht. Wie groß werden die maximalen Bestände? Vergleichen Sie mit den Beständen ohne Gifteinfluss. b) Nun setzen wir ein gleichstarkes Gift ein, was aber den Bestand von y2 un­ angetastet lässt. Dies ist in der Praxis nicht zu realisieren! Untersuchen Sie trotzdem, was mit den Beständen von y1 und y2 geschieht. Wie groß werden die maximalen Bestände? Vergleichen Sie mit den Beständen von a). c) Eine ganz andere, chemiefreie Methode, besteht darin, kein Gift zu verwen­ den und dafür die natürlichen Feinde des Schädlings zu vermehren, indem man regelmäßig eine konstante Anzahl von Feinden des Schädlings dem Sys­ tem zuführt, aber so, dass noch δ + λ > 0 ist. Für unser DGL-System bedeutet das, dass η = 0 und λ < 0 gewählt wird. Nehmen Sie η = 0 und λ = −0,08 und untersuchen Sie, was mit den Beständen von y1 und y2 geschieht. Wie groß werden die maximalen Bestände? Vergleichen Sie mit den Beständen von a) und b). 42. Untersuchen Sie die DGL des beschränkten Wachstums ẏ = k(G − y) mit y(0) = a auf Stabilität. 43. Gegeben ist das DGL-System ẏ 1 = 4y1 − y1 y2 ẏ 2 = −y2 + y21 . a) Bestimmen Sie die Gleichgewichtspunkte. b) Geben Sie mit Hilfe der Jacobi-Matrix Auskunft über die (lokale) Stabilität der Gleichgewichtspunkte. c) Bestimmen sie die Isoklinen und skizzieren Sie das Vektorfeld.

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44. Gegeben ist das DGL-System ẏ 1 = y2 − y21 ẏ 2 = −y1 − y2 . Suchen Sie eine geeignete Lyapunov-Funktion, die eine Aussage über die Stabili­ tät der Gleichgewichtspunkte erlaubt. 45. Betrachten Sie das Lotka-Volterra-Modell 3: ẏ 1 = y1 (α(K − y1 ) − β ẏ 2 = y2 (γ

F y2 ) F + y1

F y1 − δ) F + y1

mit α = 0,01, β = 0,06, γ = 0,03, δ = 0,1 und K = 20, F = 5, y1 (0) = 5, y2 (0) = 2 a) Stellen Sie den Verlauf des Beutebestands y1 und der Räuberpopulation y2 für die ersten 200 Zeiteinheiten dar. Wie groß werden die maximalen Bestände? b) Stellen Sie die Trajektorie des Systems ebenfalls für n = 200 dar. c) Betrachten Sie das zum Monod-Modell alternative Modell für die Beschrän­ kung der Fressmenge: y1

ẏ 1 = α(K − y1 )y1 − βF (1 − e− 2F ) y2 y1

ẏ 2 = γF (1 − e− 2F ) y2 − δy2 und berechnen Sie den Gleichgewichtspunkt G allgemein. d) Nehmen Sie dieselben Werte wie bei a) und bestimmen Sie die Zahlwerte für G. Vergleichen Sie diese mit dem Modell in a). 46. Betrachten Sie das Lotka-Volterra-Modell 4: ẏ 1 = αy1 (K1 − y1 ) − βy1 y2 ẏ 2 = γy2 (K2 − y2 ) − δy1 y2 . Führen Sie für alle möglichen Fälle I.–V. eine Simulation mit den gegebenen Wer­ ten für die ersten 200 Zeiteinheiten durch. Nehmen Sie jeweils K1 = 50, K2 = 20 und die Startwerte y1 (0) = 5, y2 (0) = 2. I)

αK1 = βK2 , γK2 = δK1 , α = 0,02 , β = 0,05 , γ = 0,02 ,

δ = 0,008

II)

αK1 ≥ βK2 , γK2 < δK1 , α = 0,02 , β = 0,05 , γ = 0,01 ,

δ = 0,008

III)

αK1 < βK2 , γK2 ≥ δK1 , α = 0,02 , β = 0,06 , γ = 0,02 ,

δ = 0,008

IV)

αK1 > βK2 , γK2 > δK1 , α = 0,03 , β = 0,05 , γ = 0,03 ,

δ = 0,008

V)

αK1 < βK2 , γK2 < δK1 , α = 0,02 , β = 0,06 , γ = 0,008 , δ = 0,01 .

188 | Übungen 47. Gegeben ist die gestörte Verzweigungs-DGL ẏ = αy(k − y) − c mit α, k, c ∈ ℝ+ . a) Bestimmen Sie die Gleichgewichtspunkte. b) Untersuchen Sie die Stabilität der beiden GWPe. c) Skizzieren Sie das c, y-Diagramm. Welcher Art ist die Verzweigung? 48. Gegeben ist die gestörte Verzweigungs-DGL ẏ = αy(k − y) − cy mit α, k, c ∈ ℝ+ . a) Bestimmen Sie die Gleichgewichtspunkte. b) Untersuchen Sie die Stabilität der beiden GWPe. c) Skizzieren Sie das c, y-Diagramm. Welcher Art ist die Verzweigung? 49. Gegeben ist das Nahrungskettemodell ẏ 1 = αy1 (K − y1 ) − βy1 y2 ẏ 2 = γy1 y2 − δy2 y3 − εy2 ẏ 1 = λy2 y3 − μy3 . Führen Sie eine Simulation mit den gegebenen Werten für die ersten 100 Zeitein­ heiten durch. α = 0,02, β = 0,03, γ = 0,03, δ = 0,05, ε = 0,1, λ = 0,04, μ = 0,3, K = 20. Startwerte y1 (0) = 5, y2 (0) = 3, y3 (0) = 2. 50. Gegeben ist das Nahrungskettemodell βF1 y2 ] F1 + y1 γF1 δF2 y1 − y3 − ε] ẏ 2 = y2 [ F1 + y1 F2 + y2 λF2 ẏ 3 = y3 [ y2 − μ] F2 + y2 ẏ 1 = y1 [α(K − y1 ) −

mit α = 0,02, β = 0,03, γ = 0,05, δ = 0,05, ε = 0,1, λ = 0,006, μ = 0,01, F1 = 5, F2 = 3 und den Startwerten y1 (0) = 5, y2 (0) = 3, y3 (0) = 2. a) Bestimmen Sie die Werte des GWPs für K = 10, 11 und führen sie jeweils eine Simulation durch. b) Bestimmen Sie die Werte des GWPs für K = 15, 16, 17, 18, 19, 20 und führen Sie eine Simulation für K = 20 durch. ̇ = −ay(t) + ky(t − T)(G − y(t)) mit a, k, G > 0. 51. Gegeben ist die VDGL y(t) a) Bestimmen Sie die Gleichgewichtspunkte. b) Linearisieren Sie die VDGL Sie um die GWPe und entscheiden Sie das Stabili­ tätsverhalten. 52. Betrachten Sie das SI-Epidemiemodell mit S + I = N als Gesamtpopulation Ṡ = −αSI I ̇ = αSI . a) Ersetzen Sie in der ersten Gleichung I durch N − S und in der zweiten Glei­ chung S durch N − I und berechnen Sie die Lösungen von I(t) und S(t).

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b) Ein Einwohner eines mittelalterlichen Dorfes mit N = 200 Einwohnern wird mit einer zu dieser Zeit unheilbaren, aber nicht unmittelbar tödlichen Grippe infiziert. Die Ansteckungswahrscheinlichkeit beträgt 15 %. Ein Einwohner des Dorfes hat am Tag durchschnittlich mit 10 anderen Bewohnern des Dorfes Kontakt. Bestimmen Sie die Ansteckungsrate α. c) Nehmen Sie I(0) = 1, stellen Sie S(t), I(t) dar und interpretieren Sie deren Verlauf. d) Welchen Nachteil hat das Modell? 53. Betrachten Sie das SIS-Epidemiemodell mit S + I = N als Gesamtpopulation Ṡ = −αSI + γI I ̇ = αSI − γI . a) Bringen Sie die zweite Gleichung in die logistische Form I ̇ = C 1 I(C2 − I) mit C1 , C1 = konstant und berechnen Sie die Lösungen von I(t) und S(t). b) In der Lösung von I(t) taucht der Ausdruck αN − γ mehrmals auf. Deswegen untersuchen wir die Fälle αN − γ ⋚ 0. Benutzen Sie nun die Lösung von a) und berechnen Sie limt→∞ I(t), falls αN − γ > 0 und falls αN − γ < 0 gilt. Wann stirbt die Krankheit aus, wann verbleibt sie in der Population? c) Stellen Sie S(t) und I(t) dar und fertigen Sie eine Skizze für die Fälle i) αN − γ > 0, N = 200, α = 0,0005, γ = 0,12, I0 = 1 und ii) αN − γ < 0, N = 200, α = 0,0005, γ = 0,08, I0 = 1 an. Interpretieren Sie den Verlauf. d) Im Fall αN − γ = 0 erhält man beim Einsetzen in die berechnete Gleichung für I(t) einen Ausdruck der Form 00 . Das liegt daran, dass die zweite Differenzial­ gleichung gar keine logistische Form mehr hat. Führen Sie die Berechnung für diesen Fall erneut durch und ermitteln Sie die Lösungen für S(t) und I(t). e) Stellen Sie nun auch für diesen Fall S(t) und I(t) dar und fertigen Sie eine Skizze mit αN − γ = 0, N = 200, α = 0,0005, γ = 0,1, I0 = 1. Interpretieren Sie den Verlauf. 54. Betrachten Sie das SIR-Epidemiemodell mit S + I + R = N als Gesamtpopulation Ṡ = −αSI I ̇ = αSI − γI Ṙ = γI . a) Schreiben Sie ein Programm, das den Verlauf der drei Größen S(t), I(t), R(t) simuliert. Nehmen Sie die Größen S0 = 199, I0 = 1, R0 = 0 und außerdem α = 0,0005, γ = 0,04, n = 200. Interpretieren Sie den Verlauf. b) Wann erreicht die Epidemie ihr Maximum (für die Anzahl siehe f))? c) Unter welcher Bedingung bricht eine Epidemie überhaupt aus?

190 | Übungen d) Zum Zeitpunkt t = 0 ist zuerst einmal R0 = 0. In b) haben Sie die Bedingung für eine Epidemie hergeleitet: S0 > αγ . In der Simulation von a) beträgt αγ = 80. Nehmen Sie nacheinander S0 = 150, 100, 80, 50, simulieren Sie die Verläufe und bestätigen Sie die Bedingung. e) Nun interessiert uns, unter welchen Umständen die Grippe aufhört. Es sollte Ihnen beim Betrachten des Verlaufs aufgefallen sein, dass I(t) gegen 0 geht, obwohl S(t) es nicht tut! Das heißt, es können noch Suszeptible vorhanden sein, obwohl die Epidemie vorbei ist. Damit ist auch die Frage geklärt, ob die Epidemie mangels Suszeptibler oder mangels Infizierter aufhört. Letzte­ res ist also der Fall. Wie viele Suszeptible verbleiben? Oder anders: Kann man limt→∞ S(t) berechnen? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir untersu­ chen, wie sich I als Funktion von S verhält oder umgekehrt. Was wir suchen, nennt man die Trajektorie oder Bahn von S und I. Dazu betrachten wir den ̇ Ausdruck SI ̇ . Ausgeschrieben erhält man dI/dt dI = . dS/dt dS Mit den zugehörigen Differenzialgleichungen ergibt sich: αSI − γI γ dI = = −1 + . dS −αSI αS Umgeformt: dI = (−1 +

γ ) dS . αS

Integration auf beiden Seiten ergibt: I

S

S

∫ dI = − ∫ dS + 0

0

Man erhält I − I0 = −S + S0 +

γ 1 ∫ dS . α S 0

γ (ln(S) − ln(S0 )) α

und aufgelöst I(S) = I0 + S0 − S +

f)

S γ ln ( ) . α S0

Damit kann man jetzt die Anzahl der maximal Infizierten berechnen. Benut­ zen Sie b), leiten Sie eine Formel für IMax her und berechnen Sie den Wert für das Zahlenbeispiel a). Wenn die Epidemie endet, ist I(S) = 0. Gegen welchen Wert strebt nun S? Leider kann man die Gleichung 0 = I0 + S0 − S + αγ ln( SS0 ) nicht explizit, son­ dern nur numerisch für jedes Zahlenbeispiel lösen. Berechnen Sie den Rest der Suszeptiblen für das Zahlenbeispiel a).

Übungen |

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g) Um I als Funktion von S darzustellen, müssen Sie S als x-Achse und I als y-Achse erklären. Bauen Sie folgende drei Befehle in das Programm ein: xd:= augment(ya,{y1i}) yd:= augment(yb,{y2i}) Disp \ldots..xd, yd Wie wird die Kurve durchlaufen? Was entspricht den Nullstellen der Kurve, was dem Maximum? 55. In den Jahren 1665–1666 trat in dem kleinen Dorf Eyam in der Nähe von London die Beulenpest auf. Das Besondere bei diesem Vorfall ist, dass die Menschen in Eyam sich aufgrund des Aufrufs des ansässigen Schulleiters freiwillig von der Au­ ßenwelt abschotteten, um, so die Hoffnung, nicht die umliegenden Dörfer mit der Beulenpest anzustecken. Aufgrund dieser Tatsache kann man hier von einer ge­ schlossenen Population ausgehen. Außerdem führten die Bürger damals genau Buch über die Anzahl der Kranken und der Gesamtpopulation, so dass wir detail­ lierte Daten besitzen, die wir mit den Werten, welche unser Modell liefert, verglei­ chen können. Datum (1666)

Anfällige (Suszeptibles)

Angesteckte (Infectives)

3. Juli 19. Juli 4. August 19. August 3. September 19. September 4. Oktober 20. Oktober

235 201 154 121 108 97 No account 83

15 22 29 21 8 8 No account 0

Nehmen Sie die Daten in eine Liste auf, und stellen Sie sie als Punkte dar. 56. Betrachten Sie das SIR-Endemiemodell von Soper Ṡ = −αSI + μS I ̇ = αSI − γI Ṙ = γI − μS . Ändern Sie das bestehende Programm ab und simulieren Sie den Verlauf der drei Größen S(t), I(t), R(t). Nehmen Sie die Größen S0 = 199, I0 = 1, R0 = 0. Zudem sei α = 0,002, γ = 0,2, μ = 0,02, n = 400. n ist in diesem Beispiel die Anzahl Wochen bei einem Gesamtzeitraum von etwa 8 Jahren. Interpretieren Sie den Verlauf.

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57. Betrachten Sie das SIR-Endemiemodell mit gleicher Zu-und Abwanderungsrate ohne krankheitsbedingten Tod Ṡ = −αSI + μN − μS I ̇ = αSI − γI − μI Ṙ = γI − μR . a) Ändern Sie das bestehende Programm ab und simulieren Sie den Verlauf der drei Größen S(t), I(t), R(t). Nehmen Sie S0 = 199, I0 = 1, R0 = 0. Zudem sei α = 0,002, γ = 0,2, μ = 0,02, n = 200. Wählen Sie für N nacheinander folgende Werte: 200, 400. n sind in diesem Beispiel die Anzahl Wochen bei ei­ nem Gesatzeitraum von etwa 8 Jahren. Interpretieren Sie den Verlauf. Stellen Sie jeweils auch I(t) alleine dar. b) Die Größen S, I und R oszillieren für t → ∞ immer weniger und erreichen schließlich ihren Grenzwert. Diesen Zustand nennt man endemisches Gleich­ gewicht. In diesem Gleichgewicht gilt nicht nur Ṡ = I ̇ = Ṙ = 0, sondern auch N = S + I + R. Berechnen Sie daraus die Grenzwerte für S, I und R zuerst allgemein ausgedrückt mit α, γ, μ und N und dann mit den Zahlen aus a) für N = 200 und N = 400. 58. Betrachten Sie das SIR-Endemiemodell mit gleicher Zu-und Abwanderungsrate ohne krankheitsbedingten Tod mit Impfung Ṡ = −αSI + μN(1 − p) − μS I ̇ = αSI − γI − μI Ṙ = γI + μNp − μR . a) Ändern Sie das bestehende Programm ab und simulieren Sie einzig den Ver­ lauf von I(t). Nehmen Sie S0 = 199, I0 = 1, R0 = 0. Zudem sei α = 0,002, γ = 0,2, μ = 0,02, n = 200. Wählen Sie für p nacheinander folgende Werte: 0,1, 0,2, 0,4. n sind in diesem Beispiel die Anzahl Wochen bei einem Gesamt­ zeitraum von etwa 8 Jahren. Interpretieren Sie den Verlauf. b) Berechnen Sie die Grenzwerte für S, I und R für das endemische Gleichge­ wicht Ṡ = I ̇ = Ṙ = 0, N = S + I + R zuerst allgemein ausgedrückt mit α, γ, μ, p und N und dann mit den Zahlen aus a). c) Welcher Anteil der Bevölkerung muss nun geimpft werden, damit die Krank­ heit ausstirbt, d. h. im Grenzwert I = 0 gilt? Lösen Sie dazu die aus b) berech­ nete Gleichung y2̇ = γy1 (K1 − y1 ) − δy1 y2 für I nach p auf. Man nennt den Mindestwert von p auch den „kritischen Durchimpfungswert“. Berechnen Sie p mit den Zahlen aus a). d) Tragen Sie p als Funktion der Basisreproduktionszahl ϱ auf. Interpretieren Sie.

Übungen | 193

59. In beiden Teilaufgaben sollen Sie die Geschwindigkeitskomponenten ẋ 1 (t) und ẏ 1 (t) für den Hund bestimmen, seine Bahn darstellen und den ungefähren Ein­ holpunkt bestimmen. a) Situation wie im Beispiel. Der Startpunkt des Herrchens ist aber B(−30, 0). b) Situation wie im Beispiel. Der Startpunkt des Herrchens ist aber B(0, 100). 60. In den beiden Teilaufgaben ist jeweils die Fluchtkurve des Mannes vorgegeben. Der Startpunkt von Hund und Mann seien A(0, 100), B(0, 0) respektive. i) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitskomponenten ẋ 1 (t) und ẏ 1 (t) für den Hund. ii) Ändern Sie das bestehende Programm entsprechend ab und stellen Sie die Verfolgungskurve des Hundes dar. iii) Bestimmen Sie den ungefähren Einholpunkt. a) y = 34 x, vM = 1 ms , vH = 2 ms b1 ) Kreis mit Mittelpunkt M(0, 100), vM = 1 ms , vH = 2 ms b2 ) Wie b1 ). Aber nacheinander i) vH = 1,5 ms , ii) vH = 0,5 ms , iii) vH = 1 ms . 61. Eine Ente, die sich im Punkt A(0, 100) auf der einen Seite eines Flusses befin­ det, will zum Punkt B(0, 0), der auf der anderen Seite des Flusses liegt, schwim­ men. Die Ente schwimmt mit der konstanten Geschwindigkeit von vE = 2 ms , den Punkt B dabei ständig anpeilend. Die Flussgeschwindigkeit beträgt vF = 1 ms . a) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitskomponenten ẋ 1 (t) und ẏ 1 (t) für die En­ te. b) Ändern Sie das bestehende Programm ab und stellen Sie die Bahn der Ente dar. c) Wie b). Aber nacheinander i) vE = 1,5 ms , ii) vE = 1,1 ms , iii) vE = 1 ms . 62. Gleiche Situation wie in 61. Nur ist die Flussgeschwindigkeit diesmal nicht kon­ y stant, was auch der realen Situation entspricht. Es gilt vF (y) = 2500 (100 − x). In m der Mitte des Flusses ist die Geschwindigkeit somit 1 s und an den Ufern 0 ms im Sinne einer Parabel abnehmend. a) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitskomponenten ẋ 1 (t) und ẏ 1 (t) für die En­ te. b) Ändern Sie das bestehende Programm ab und stellen Sie die Bahn der Ente dar. 63. Wir betrachten 4 Hunde, die in den vier Ecken A(0, 100), B(0, 0), C(100, 0), D(100, 100) eines Quadrates stehen (Abb. 10). Jeder Hund rennt mit der Ge­ schwindigkeit 2 ms auf den rechts neben ihm Stehenden zu. Zu jedem Zeitpunkt bilden die Standorte der vier Hunde ein Quadrat. Somit ergeben sich die Koordi­ naten der restlichen Hunde aus den Koordinaten des Hundes A. a) Wie lauten die Lagekoordinaten der restlichen drei Hunde ausgedrückt mit den Ortskoordinaten (x1 , y1 ) des ersten Hundes?

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Abb. 10: Skizze zu Übung 63

b) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitskomponenten ẋ 1 (t) und ẏ 1 (t) für den Hund A. c) Ändern Sie das bestehende Programm und stellen Sie die Bahn aller vier Hun­ de dar. 64. Ein Detektiv befindet sich im Punkt A(0, 100) und startet seine Verfolgung ge­ genüber einem Verdächtigen, der sich im Punkt B(0, 0) befindet und entlang der positiven x-Achse flüchtet. Der Detektiv hält den Abstand auf 100 m konstant. a) An welchem Ort befindet sich der Verdächtige, wenn der Detektiv den Punkt P(x, y) erreicht? b) Berechnen Sie die Bogenlänge dieser Traktrix zwischen den beiden Punkten mit den Höhen y1 und y2 wobei y1 > y2 . c) Nehmen wir an, der Detektiv läuft mit konstanter Geschwindigkeit vD = 0,5 ms . i) Wo befindet er sich nach 50 s? ii) Wo befindet sich der Verdächtige nach dieser Zeit? d) Verallgemeinern Sie den Sachverhalt aus d) mit denselben Voraussetzungen. Geben Sie eine Formel für den Ort x2 (t) des Verdächtigen an. e) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitsfunktion ẋ 2 (t) des Verdächtigen und stellen Sie die Kurve dar. f) Jetzt betrachten wir den eigentlichen Verfolgungsfall, bei dem der Verdäch­ tige mit der konstanten Geschwindigkeit v2 läuft und der Detektiv seine Ge­ schwindigkeit anpassen muss. Es sei v2 = 1 ms , also x2 (t) = t. Bestimmen Sie die Koordinaten yD (t) des Detektivs und stellen Sie die erhaltene Funktion dar. g) Bestimmen Sie die Geschwindigkeitsfunktion ẏ D (t) des Detektivs und stellen Sie die Kurve dar.

Weiterführende Literatur J. Argyris, G. Faust, M. Haase und R. Friedrich. Die Erforschung des Chaos – Dynamische Systeme. Springer Vieweg, aktualisierte und erweiterte 3. Auflage, 2017. J. Baumeister. Differentialgleichungen. Vorlesungsskript, Goethe-Universität, Frankfurt, 25. Oktober 1999. H. J. Dirschmid. Mathematische Grundlagen der Elektrotechnik. Springer Vieweg, 4., verbesser­ te Auflage, 1988. ISBN 3-528-03035-6). M. Dreher. Dynamische Systeme. Vorlesungsskript, Fachbereich für Mathematik und Statistik Uni­ versität Konstanz, Wintersemester 2010/2011. J. Fuhrmann. Differenzialdifferenzengleichungen. Analysis-Skript, Uni Mainz, August 2015. L. Grüne. Stabilität und Stabilisierung linearer Systeme. Vorlesungsskript, Mathematisches Institut Fakultät für Mathematik und Physik. Universität Bayreuth, Wintersemester 2002/2003. L. Grüne. Modellierung mit Differentialgleichungen. Vorlesungsskript 3. Auflage, Mathematisches Institut Fakultät für Mathematik und Physik. Universität Bayreuth, Sommersemester 2008. M. Gubisch. Gewöhnliche Differenzialgleichungen. Vorlesungsskript, Uni Konstanz, Wintersemester 2008/2009. M. Gubisch. Gewöhnliche Differenzialgleichungen. Vorlesungsskript, Uni Konstanz, Wintersemester 2008/2009. C. P. Guill. Dynamik alters- und stadienstrukturierter Populationen. Dissertation, Technische Univer­ sität Darmstadt, Februar 2011. B. von Harrach. Numerische Mathematik. Vorlesungsskript, Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Mathematik, Wintersemester 2019/2020. H. Heuser. Gewöhnliche Differentialgleichungen. Einführung in Lehre und Gebrauch. Vieweg und Teubner, 6., aktualisierte Auflage, 2009. U. Krause und T. Nesemann. Differenzengleichungen und diskrete dynamische Systeme. Eine Einfüh­ rung in Theorie und Anwendungen. B. G. Teubner Stuttgart/Leipzig, 1999. V. Liebscher. Differentialgleichungen in der Biologie. Vorlesungsskript Wintersemester 2016/2017, EMAU Greifswald, Version 25. Januar 2018. C. P. Ortlieb. Dynamische Modelle in den Lebens- und Gesellschaftswissenschaften. Vorlesungs­ skript, Uni Hamburg, Wintersemester 2009/2010. J. W. Prüss, R. Schnaubelt und R. Zacher. Mathematische Modelle in der Biologie. Birkhäuser, 2008. ISBN 978-3-7643-8436-4. R. Robeva und D. Murrugarra. The spruce budworm and forest: a qualitative comparison of ODE and Boolean models. Research Articles, University of Kentucky UKnowledge, 2016. C. K. Schmitt. Die Populationsdynamik kanadischer Rotlachse. Dissertation, Technische Universität Darmstadt, 2015. J. Struckmeier. Modellbildung in der Mathematischen Biologie. Vorlesungsskript, Fachbereich Ma­ thematik Universität Hamburg, Wintersemester 2010/2011. G. Sweers. Gewöhnliche Differentialgleichungen. Notizen zur Vorlesung Wintersemester, Uni Köln, 2008/2009. R. Thies. Chaos – Nichtlineare Dynamik. Vorlesungsskript, Universität Dortmund – Fachbereich In­ formatik Lehrstuhl für Systemanalyse (LS11), Sommersemester 2004. J. Werner. Gewöhnliche Differentialgleichungen und ihre numerische Behandlung. Vorlesungsskript, Uni Göttingen, Wintersemester 2001/2002. T. P. Wihler. Mathematik für Biologie. Vorlesungsskript, Mathematisches Institut Universität Bern, Herbst 2009. P. Wittbold. Differentialgleichung I. Vorlesungsskript (Skript von Y. Okonek), TU Berlin, Wintersemes­ ter 2006/2007. https://doi.org/10.1515/9783110683806-016

Stichwortverzeichnis Abstoßend 50, 51, 101, 103 Ambivalente Exklusion 83 Anfangsänderung 51 Anfangsbedingung 12, 14, 25, 31, 38, 51, 67, 171, 174 Anfangszustand 1 Anziehend 50, 101, 103 Äquivalenz 63 Asymptotisch stabil 49–51, 69, 71, 72, 75, 76, 79, 82, 83, 87, 91, 97, 107, 117, 118, 120–122, 126, 131, 133, 137, 141–144, 147, 150–153 Bahn 25, 35, 46–48, 53, 54, 60, 61, 82, 83, 91, 99, 100, 104, 105, 110, 130, 166, 168, 169, 185, 190, 193, 194 Banachraum 64 Basisreproduktionszahl 156, 162–165, 192 Bernoulli 172, 173 Brachistochrone 172, 173, 175 Cauchy-Folge 114, 115 Cauchy-Schwarz 63 Charakteristische Gleichung 72, 144, 147, 149 Chemostat 87, 88, 90–92, 94 Darwin 80 Differenzengleichung 1, 25 Diffusionsprozess 20 Diskret 95 Diskretisierung 31 Dynamisches System 1, 25 Eigenvektor 54, 55, 58 Eigenwert 54, 59–61, 63, 68, 69, 71, 72, 106, 107, 140, 143–145, 147 Endemisch 154 Epidemisch 154 Euler-Verfahren 29 Fadenpendel 41, 42, 52, 74 Falten 102, 103, 109 Federgesetz 10 Fixpunkt 96, 98, 113, 115, 117–120, 122 Fluchtkurve 166 Fortpflanzungsrate 144 https://doi.org/10.1515/9783110683806-017

Fressrate 33, 45 Fundamentalsystem 55–57, 59 Geburtenrate 154, 155, 163 Gleichgewichtspunkt 1, 26, 39, 45, 49, 51–53, 81, 83, 86, 99–103, 105, 116, 128, 129, 186–188 Global stabil 53 Grenzzyklus 106–108, 134 Gronwall 68, 70 Haie 28, 32, 36 Hawkins-Simon 81 Hefekultur 15 Hethcote, H. W. 162 Heugabel 104, 106, 107, 109, 112 Heun-Verfahren 31 Homogene Gleichung 7, 8 Hopf 106, 108, 109, 120, 122, 134, 136, 145, 147 Hysterese 111, 112, 129 Indifferenz 82 Inhomogene Gleichung 7 Jacobi-Matrix 70, 71, 83, 86, 102, 105–107, 118, 132, 149, 160, 162, 186 Jordan-Normalform 59 Kaninchen 80 Kapazitätsgrenze 11, 45 Kermack und McKendrick 157, 162 Knoten 60, 61, 99–102, 105, 112, 117, 129, 160, 162, 163 Konkurrenz 85 Konkurrenzmodell 19, 28 Kontinuierlich 95 Kontrahierend 113 Konvergenzradius 65 Lag phase 11 Langzeitverhalten 1, 95, 124, 145 Leibniz 169 Linear 97 Linearisierung 39, 41, 42, 46, 49, 53, 54, 73–75, 83, 86, 96, 107, 132, 149–152 Linienelement 2 Lipschitz-stetig 64 Log phase 11

198 | Stichwortverzeichnis

Majorantenkriterium 65 Marienkäfer 80, 186 Mikroparasitisch 154 Monod 126, 187 Nichtlinear 97 Niveaulinien 43 Norm 63, 64 Nulllösung 26, 45, 69–71, 73, 76, 103, 129, 142–144, 147, 150–153 Periodenverdoppelung 123, 124 Pharmakokinetik 20 Phasendiagramm 60–62 Physikalisches Pendel 52 Plankton 88 Poincaré-Bendixson 134 Polygonzug 9, 29, 173 Potenzial 50 Raupen 127, 129 Rekursionsformel 31 Sattel 60, 99–102, 112, 117, 129, 160, 162–164 Schildlaus 37 Selbstabbildung 113 Snellius 172 Soper 159, 162, 191 Spirale 45, 47, 53, 61, 107, 133, 160, 162, 163 Stabil 49, 50, 52–54, 74, 76, 78, 86, 99, 103, 109, 128, 141, 144, 147, 150, 152, 158 Startpunkt 53, 54, 56, 60, 76, 77, 83, 193 Stationäre Lösung 26 Stationärer Zustand 93 Sterberate 11, 33, 45, 144, 162, 163 Stern 60 Störfunktion 7, 67 Subkritisch 101, 103 Superkritisch 102, 106, 108 Symbiosemodell 18 Taylor 30, 41 Trajektorie 25, 35, 40, 44–47, 53, 54, 60, 61, 70, 72, 82, 83, 97–99, 102, 105–108, 111, 112, 130, 134, 138, 157–159, 161, 185, 187, 190 Traktrix 169–171, 194 Trapez-Verfahren 30

Variation der Konstanten 7 Vektorfeld 40, 45, 46, 53, 54, 56–58, 73, 82, 86, 90, 91, 130, 131, 186 Verfolgungskurve 166 Verlustrate 13 Verzweigungsdiagramm 99, 101, 103, 106, 108, 129, 188 Wachstumsmodell 11 Wachstumsrate 33, 129, 179 Wronski-Determinante 55–57 Zeitdiskretes System 1, 95 Zerfallsprozess 9 Zustandsänderung 1, 96