Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: Band 4 [8. Aufl. Reprint 2020] 9783112388044, 9783112388037

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Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: Band 4 [8. Aufl. Reprint 2020]
 9783112388044, 9783112388037

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Allgemeines Landrecht für die

^Preußtsdien Staalm. In zwei Theilen oder vier Bänden.

Vierter Band.

Allgemeines Landrecht für die

Preußischen Stellten. Unter Andeutung der obsoleten oder aufgehobenen Vorschriften und Einschaltung der jüngeren noch geltenden Bestimmungen, herausgegeben

mit Kommentar in Anmerkungen von

Dr. C. F. Koch. Achte Auflage. Mit besonderer Berücksichtigung der Reichsgesetzgebling bearbeitet

von

A. Achille?,

Dr. P. Hinschins,

N. Zohow,

Obcr-Lnndcsqerichtsrath.

Geh. Justizrath und ord. Professor der Rechte.

Geh. Ober-Justizrath.

F. Uierhaus, Rcqierunqsrath.

Vierter Band.

Berlin Verlag

von

unb

Leipzig.

I.

Guttentag

(D. Collin.)

1886.

Vorwort zur achten Auflage des vierten Bandes.

In dem vorliegenden vierten Bande sind die Titel

10 bis 12 von dem

Geh. Justizrath Professor Dr. Hinschius und die übrigen Titel von Titel 13

an von dem Regierungsrath Vierhaus bearbeitet worden.

Der Druck der Titel Herbst

10 bis 12 ist, nachdem er im Anfang des Jahres 1884 begonnen, im

desielben bereits vollendet gewesen, hat aber dann, um erst die früheren Bände zum Abschluß zu bringen, Wirt werden müssen.

Titeln,

namentlich mit Rücksicht

auf die

Dadurch sind zu den gedachten

inzwischen erlassenen Gesetze

für die

evangelische Kirche und vor allem auf das tief einschneidende kirchenpolitische Gesetz vom 21. Mai 1886, dessen Abänderungen allerdings nur kurz hervorgehoben werden

konnten, eine Reihe von Nachträgen erforderlich geworden.

Ärchaltpverzeichlttß de? vierten Vnnde?. (IT. Theil, Tit. 9—20.) Seite Neunter Titel. Von den Pflichten und Rechten des Adelstandes 1 Zehnter Titel. Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staats.................... 10 Eilfter Titel. Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Oieiellschaften 162 E rster A bschnit t. Von Kirchengesellschaften überhaupt........................................ 171 Zweiter Abschnitt. Von den Mitgliedern der Kirchengesellschaften................... 209 Dritter Abschnitt. Von den Obern und Vorgesetzten der Kirchengesellschaften . 268 Vierter Abschnitt. Von den Gütern und dem Vermögen der Kirchengesellschaften 430 Fünfter Abschnitt. Von Parochien............................................................................... 453 Sechster Abschnitt. Von dem Pfarrer und dessen Rechten....................................... 471 Siebenter Abschnitt. Von weltlichen Kirchenbedienten............................................ 529 Achter Abschnitt. Von Kirchenpatronen.......................................................................... 531 Reu nter Abschnitt. Von der Verwaltung der Güter und des Vermögens der Pfarrkirchen....................................................................................................................... 541 Zehnter Abschnitt. Von Pfarrgütern und Einkünften................................................. 580 Eilfter Abschnitt. Von Zehnten und anderen Pfarrabgaben.................................. 594 Zwölfter Abschnitt. Von geistlichen Gesellschaften überhaupt.................................. 605 Dreizehnter Abschnitt. Von katholischen Domstiften und Capiteln........................ 623 Vierzehnter Abschnitt. Von Collegiatsstiften..........................................................669 Fünfzehnter Abschnitt. Von Klostergesellschaften...................................................... 677 Sechszehnter Abschnitt. Von geistlichen Ritterorden................................................. 679 Siebzehnter Abschnitt. Von weltgeistlichen Canonicis............................................679 Achtzehnter Abschnitt. Von Mönchen und Ordensleuten....................................... 684 Neunzehnter Abschnitt. Von den Mitgliedern der geistlichen Ritterorden . . 689 Zwanzigster Abschnitt. Von protestantischen Stiften, Klöstern, Ritterorden, und deren Mitgliedern................................................................................................... 690 Zwölfter Titel. Von niederen und höheren Schulen........................................................... 691 Dreizehnter Titel. Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt . . . 767 Vierzehnter Titel. Von den Staatseinkünften und fiskalischen Rechten.........................919 Fünfzehnter Titel. Von den Rechten und Regalien des Staats in Ansehung der Landstraßen, Strome, Häfen und Meeresufer........................................................... 936 Erster Abschnitt. Von Land- und Heerstraßen........................................................... 936 Zweiter Abschnitt. Von Strömen, Häfen und Meeresufern....................................... 964 Dritter Abschnitt. Von der Zollgerechtigkeit.......................................................... 1014 Vierter Abschnitt. Vom Postregal............................................................................. 1023 Fünfter Abschnitt. Von der Mühlengerechtigkeit.................................................... 1043

VIII

Jnhaltsverzeichniß des vierten Bandes. Seite

Sechszehnter Titel.

Von den Rechten des Staats auf herrenlose Güter und Sachen 1047 Erster Abschnitt. Von den Rechten des Staats auf herrenlose Grundstücke . . 1049 Zweiter Abschnitt. Von den Rechten des Staats auf erblose Verlassenschaften 1050 Dritter Abschnitt. Vom Jagdregal...................................................................... 1050 Vierter Abschnitt. Vom Bergwerksregal......................................................................... 1055

Siebzehnter Titel.

Von den Rechten und Pflichten des Staats zum besonderen Schutze seiner Unterthanen............................................................................1074 Erster Abschnitt. Von der Gerichtsbarkeit.................................................................... 1074 Zweiter Abschnitt. Von Auswanderungen, Abfahrts- und Abschoßgeldern . . 1087 Achtzehnter Titel. Von Vormundschaften und Curatelen............................................... 1144 Erster Abschnitt. Von den Personen, welchen Vormünder oder Curatoren bestellt werden müssen............................................................................................................... 1144 Zweiter Abschnitt. Von denjenigen, welchen die Bestellung der Vormünder und Curatoren zukommt und obliegt......................................................................... 1147 Dritter Abschnitt. Von den Personen, welche das Amt eines Vormundes zu übernehmen schuldig, und dazu fähig sind......................................................... 1150 Vierter Abschnitt. Von Verpflichtung und Bestätigung der Vormünder . . . 1155 F ünfter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Vormünder überhaupt 1156 Sechster Abschnitt. Von der Sorge für den Unterhalt, und die Erziehung der Pflegebefohlenen....................................................................................................................1159 Siebenter Abschnitt. Von der Vorsorge für das Vermögen der Pflegebefohlenen 1161 Achter Abschnitt. Von Aufhebung der Vormundschaften............................................... 1180 Neunter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Curatoren.......................... 1199 Neunzehnter Titel. Von Armenanstalten und anderen milden Stiftungen . . . 1203 Zwanzig st er Titel. Von Verbrechen und Strafen............................................................... 1241

Neunter Titel.

Von den Rechten und Pflichten des Adelstandes^). §. 1.

Beseitigt-).

V'S

§. 2. Zum Adelstände werden nur diejenigen gerechnet, denen der Geschlechtsadel durch Geburt oder landesherrliche Verleihung zukommt. des Adels? §. 3. Durch die Geburt kommt er Allen zu, die von einem adlichen Vater i) durch Gcaus einer Ehe zur rechten Hand erzeugt, oder darin geboren sind 31).2 Heirat^ §. 4. Der Adel wird also durch den Vater fortgepflanzt, auch wenn die Mutter nicht von Adel ist4).5 6 §. 5. Auch das von einem adlichen Vater außer der Ehe erzeugte Kind lvird durch gesetzmäßige Vollziehung einer Ehe zur rechten Hand mit der Mutter, i ngleichen durch eine derselben gleich zu achtende gerichtliche Er­ klärung des Vaters3), des Adelstandes theilhaft. (Tit. 2. §. 596. 597.) §. 6. Aufgehoben G).

1) H. Die Bestimmungen des L.N. beziehen sich nur auf den niederen Adel. 'Vgl. v. Rönne, Staatsrecht d. preuß. Monarchie 4. Ausl. 2 S. 322 ff. Einen in staatsbürgerlicher oder bürgerlicher Beziehung bevorrechtigten Stand bildet der Adel nicht nrehr. Seit dem Jahre 1807 sind allmählich die dahin gehörigen Rechte desselben beseitigt worden. S. zu §§. 34 ff. d. T. Nur gewisse Ehrenrechte desselben find bestehen geblieben (s. §§. 14 ff. d. T.), eben so sind nicht beseitigt worden die besonderen oem Adelstände eigenthüm­ lichen Rechtsinstitute privatrechtlicher Bedeutung, welche keine Rechtsungleichheit gegenüber den anderen Staatsbürgern herbeiführen. Wegen des Rechtes eines Theiles des Adels auf Mitglied­ schaft im Herrenhause s. V. v. 12. Okt. 1854 u. V. v. 10. Nov. 1865, Zusätze zu II 13. 2) Durch Art. 4 d. Verf.Urk. f. d. preuß. Staat (G.S. S. 17): „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt." Der §. lautete: „Dem Adel, als dem ersten Stande im Staat, liegt, nach seiner Bestimmung, die Vertheidigung des Staats, so wie die Unterstützung der äußeren Würde und innern Verfassung desselben, hauptsächlich ob." Dieses Vorrecht hatte schon seit der Heereseinrichtung von 1808 und 1813 keine Wirklichkeit mehr. 3) Wenn nicht bei der Verleihung ein anderes festgesetzt worden ist, wie es bei den Standeserhöhungen, welche bei Gelegenheit der Huldigung im Jahre 1840 vorgenommen wurden, vorgekommen ist. Allg. Pr. Staatsz. 1840 Nr. 287; H. Rose, der Adel Deutschlands. Berlin 1883. S. 88 Note 5. 4) Damit ist das Dasein des sog. Kunkeladels verneint. Vergl. §. 12 d. T. — Nic. Hier. G-undling, an nobilitet venter? Halae 1718. — Jo. Petr, de Ludewig, Differentiae Juris Romani et Germanici in dignitate uxoris, vom Kunkeladel, Halae 1718. 5) Die gesperrt gedruckten Worte fallen aus; denn der §. 597 II. 2, wo diese Legitima­ tionsart gegründet ist, ist durch das Ges. v. 24. April 1854 §. 22 (H. Zusatz 28 zu II. 1 §. 1119) aufgehoben, man hat es jedoch übersehen, daselbst die §§. 5 u. 6 d. T. als abgeändert mit zu bezeichnen, Anm. 11. zu II. 2. §. 597. 6) Durch das in der vor. Anm: cit. Gesetz. Die Worte lauteten: „Eben das geschieht, wenn die Mutter durch Urtel und Recht für die Ehefrau des adlichen Vaters erklärt wird. (Ebend. 8. 592.)" S. Anm. 1 zu dem cit. §. 592. Koch, Allgemeines Lnndrccht. IV. 8. Anfl. 1

2

Zweiter Theil.

Neunter Titel.

§§. 7—28.

§. 7. In wie fern durch landesherrliche Legitimation, oder durch Annahme an Kindesstatt, der Adel erlangt werde, ist gehörigen Orts bestimmt. (Ebend. §. 603. 604. 605. §. 682-685.) §. 8. Wenn eine Person weiblichen Geschlechts aus einem niederen Stande sich mit einer Mannsperson von Adel zur rechten Hand verehelicht: so erlangt sie dadurch die äußeren Rechte des Adels; in so fern nicht etwa die Ehe selbst nach den Gesetzen für eine Mißheirath zu achten ist. lTit 1. §. 30— 33. §. 940. 952 7). 2) durch lan§. 9. Nur das Oberhaupt des Staats kann einem Unterthan, welcher den Berlethung. Adel durch die Geburt nicht hat, denselben verleihen 8). §. 10. Auch nur ihm allein kommt es zu, Jemanden von einer niederen Stufe des Adels in eine höhere zu erheben9).10 11 §. 11. Die vom Landesherrn verliehene Standeserhöhung kommt auch den alsdann schon vorhandenen Kindern, sie mögen noch unter väterlicher Gewalt sein, oder nicht, zu statten; sobald dieselben nicht ausdrücklich ausgenommen sind. §. 12. Standeserhöhungen der Frauen und Wittwen haben auf ihre Kinder keinen Einfluß. §. 13. Kein Unterthan des Staats soll, ohne Erlaubniß seines Landesherrn, Standeserhöhungen bei fremden Staaten suchen; oder deren, welche ihm etwa aus eigner Bewegung von selbigen verliehen werden, in hiesigen Landen sich bedienen. Anh. §. 118. Kein Unterthan des Staats sott ohne Erlaubniß des Landesherrn Standes­ erhöhungen bei fremden Staaten suchen, oder von ihnen annehmen; darf daher auch, wenn ihm solche etwa aus eigner Bewegung von selbigen verliehen werden, dieser Standeserhöhungen sich nicht bedienen^).

§. 14. Niemand, welcher den Adelstand nicht durch Geburt, oder landes­ herrliche Begnadigung, erlangt hat, darf adliche Prädicate H) und Vorrechte sich an.maßen 12). §. 15. Eben so wenig darf Jemand aus dem niederen Adel Rechte oder Prä­ dicate der höheren Stufen sich eigenmächtig beilegen13). §. 16. Niemand darf sich eines adlichen Familienwappens14) bedienen, welcher nicht zu der Familie gehört, der dieses Wappen entweder ausdrücklich beigelegt ist, oder die dasselbe von alten Zeiten her geführt hat. 7) Das gesperrt Gedruckte ist beseitigt, s. Ges. v. 22. Febr. 1869 (Zus. 1 zu II. 1 §§. 30 bis 33). 8) H. Veral. Art. 50 der Verf.Urk. Nach dem Allerh. Erl. v. 12. Juli 1867, G.S. S. 1310, ist die landesherrliche Genehmigung auch zur Aenderung des adelichen Namens erforderlich. 9) ». Rose a. a. O. S. 87. 10) Aus dem Reskr. v. 29. Sept. 1789, Rabe 5 S. 213. 11) H. Das Prädikat „Hochwohlgeboren" ist kein ausschließlich adeliches. Vergl. auch Reskr. v. 3. Jan. 1840, V.M.Bl. S. 4, darüber, in wie fern dies Prädikat nichtadelichen Offizieren zu­ kommt. 12) H. Die unbefugte Annahme von Adelsprädikaten fällt unter R.Str.G.B. §. 360 Nr. 8. Ueber die der Strafverfolgung vorhergehende Verwarnung Reskr. v. 16. Febr. 1838, Jahrb. 51 S. 177, und Oppenhoff, Str.G.B. zu §. 360 Nr. 8. H. O.Tr. I v. 4. Nov. 1861, Entsch. 46 S. 197, erklärt, daß was die Frage betrifft, ob das Recht zur Führung eines adelichen Namens und Wappens Gegenstand eines Civilprozesses sein kann, zu scheiden sei zwischen der öffentlichrechtlichen Frage, ob Jemand den adelichen Stand habe, und der privatrechtlichen, ob Jemand einer bestimmten adelichen Familie als Mit­ glied angehöre. S. auch das freilich den hohen Adel betreffende Erk. d. R.G. III v. 7. Mai 1880, Entsch. 2 S. 145. 13) H. Zuwiderhandlungen fallen gleichfalls unter das Strafgesetz. Vergl. vor. Anm. 14) D. h. nicht eines solchen, welches einer adelichen Fannlie zusteht. Ein Phantasiewappen kann Jeder führen.

Vom Adelstände.

3

§. 17. Die Aufnahme in adliche Ritterorden und Stifter zu adlichen Stellen; Ausweis zu Turnieren; zur Ritterbank auf den Landtagen und in den Collegien, so wie zu bcd 9lbcl5* adlichen Hofämtern, beweiset den einer Familie zukommenden Geschlechtsadel15). §. 18. Wer entweder selbst, oder wessen Vorfahren im Jahre 1740. im wirk­ lichen Besitze des Adels sich befunden, und desselben nach der Zeit nicht verlustig gemacht haben, der soll in seinen adlichen Rechten durch den Fiscus nicht beunruhigt werden. (Th. 1. Tit. 9. §. 641. sqq.)16) §. 19. Wer entweder selbst, oder wessen Vorfahren vier und vierzig Jahre hindurch sich adlicher Prädicate und Vorrechte ruhig bedient, und also ein aus­ drückliches oder stillschweigendes Anerkenntniß des Staats für sich haben, für den streitet die rechtliche Vermuthung, daß ihm der Geschlechtsadel wirklich zukomme17).18 §. 20. Dagegen ist die nur ein- und anderesmal geschehene Beilegung adlicher Prädicate, in gerichtlichen oder anderen öffentlichen Ausfertigungen, zum Beweise des Geschlechtsadels für sich allein noch nicht hinreichend. §. 21. In Ansehung der wesentlichen Rechte und Eigeuschaften des Adel- Von altem standes ist zwischen älterem und neuerem Adel kein Unterschied. llllWee(l.lcm §. 22. Wo aber Statuten, Privilegien, oder das ununterbrochene Herkommen eines Ordens, Capitels, oder einer anderen Corporation, einen stifts- oder turnier­ mäßigen Adel erfordern, hat es dabei auch ferner sein Bewenden "). §. 23. Die im Ahnenbriefe Jemandem ertheilten Ahnen werden in einem solchen Falle der Regel nach nicht mitgezählt. §. 24. Auch muß bei Nachweisung der Ahnen, in der Regel, die adliche Geburt der Vorfahren von beiderlei Geschlecht dargethan werden. §. 25. Der zuerst geadelte Vorfahr, so wie seine etwa mit ihm zugleich in den Adelstand erhobenen Descendenten werden, bei der Nachweisung der Ahnen, in der Regel nicht gerechnet. §. 26. Wie viel Ahnen nachgewiesen, und wie die Nachweisungen geführt werden müssen, bleibt hauptsächlich der näheren Bestimmung der Statuten, der Privilegien, und des Herkommens bei einem jeben Dtben19), Stifte ober Corporation überlassen. §. 27. Wo jeboch hierburch über bie Art ber Führung bes Nachweises nichts Gewisses festgesetzt ist, ba muß bie Ahnentafel hauptsächlich mit beglaubigien Aus­ zügen aus Kirchenbüchern, Tauf- ober Trauungsregistern, belegt werben. §. 28. Wo biese, besonbers für ältere Zeiten, nicht herbeigeschafft werben können, ba sinb für bie in ber Ahnentafel vorkommenben Heirathen unb Ab-

15) H. Der Beweis der Aufnahme zur Ritterbank, wo dieselbe (bis 1807) noch vorhanden war, genügt zum Ausweise des Adels, v. Rönne a. a. O. 2 S. 329. 16) H. Der Besitz in den Normaljahren ist an sich entscheidend, auf die Beschaffenheit des Besitzes und auf die bona fides kommt es nicht an. S. v. Rönne a. a. O. 2 S. 329. Uebrigens sind die Normaljahre in verschiedenen Provinzen andere, so z. B. in Westpreußen das Jahr 1797, in der Nheinprovinz das Jahr 1815. Vgl. I. 9 §. 641 Anm. 43. 17) H. Der §. 19 ist auch für den Grundbuchverkehr maßgebend. Johow, Jahrb. d. Kammerger. 2 S. 84. 18) Der alte Adel wurde gewöhnlich bei den deutschen Hoch- und Domstiften erfordert (H. P. Hinschius, Kirchenrecht 2 S. 67, 82). Dieses Erforderniß ist dem gemeinen Kirchen­ rechte und den Absichten des päpstlichen Stuhls entgegen gewesen; allem es war durch Statuten, Privilegien, den westfälischen Frieden und die Wahlkapitulation begründet, und der §. 92 be­ stätigt dergleichen Statuten und Privilegien. Durch den Frieden mit Frankreich 1803 und die darauf erfolgte Jndemnisation und Säkularisation (H., sowie die Bulle: De salute animarum, Zus. 64 zu II. 11 §. 1022 n. XXII.) hat dieses Vorrecht seine Wichtigkeit fast ganz verloren. 19) Manche Orden, z. B. der Malteser- und Deutschorden, verlangen 16 Ahnen, d. h. adeliche Urur-Großältern von beiden Seiten.

4

Zweiter Theil.

Neunter Titel.

§§. 29—50 (Zusätze).

stammungen, auch Eheberedungen, Erbreccsse, ^chnbriefc, und andere unverdächtige Familienurkunden, als Beweismittel zulässig. §. 29. Was solchergestalt nicht vollständig nachgewiesen werden kann, mag durch das eidliche Zeugniß, wenigstens zweier Personen von bekanntem ritterbürtigen und stiftsmäßigen Adel, denen von der Familie, in welcher der Beweis geführt werden soll, nähere Kenntniß beiwohnt, ergänzt werden. §. 30. In wie fern noch außerdem die eidliche Versicherung des Beweisführers: daß, nach den ihm bekannten Familiennachrichten, die vorgelegte Ahnen­ tafel ihre Richtigkeit habe, erforderlich oder zulässig sei, ist nach den allgemeinen Grundsätzen vom Beweise zu beurtheilen. §. 31. So weit die Ahnentafel aus einer anderen entnommen ist, die eben derselbe Orden, dasselbe Capitel, oder dieselbe Corporation schon einmal richtig be­ funden hat, bedarf es darüber keiner besonderen Beweisführung. Vom Pcr§. 32. Die einem Collegio oder einer Corporation von dem Landesherrn °"cnQ e ’ beigelegten, oder mit einem Amte verbundenen adlichcn Rechte können über die wörtliche Bestimmung des Gnadenbriefes nicht ausgedehnt werden. §. 33. Dergleichen Rechte werden durch die Geburt nicht fortgepflanzt. Vorrechte des §. 34. Beseitigt 2°). e’‘ §§• 35. 36 desgleichen §. 37 gleichfalls 22 20).23 21 24 §. 38. Welches adliche Güter sind, ist durch die besonderen Verfassungen einer jeden Provinz bestimmt2S). §§. 39—42. Fallen weg "). §. 43. Ihnen 25) kommen die mit dem Kirchenpatronat verbundenen Ehren­ rechte zu. §. 44. Sie müssen also mit ihrer Familie in das Kirchengebet ausdrücklich eingeschlossen, und die Kirchentrauer, wo dieselbe üblich ist, muß für sie angelegt werden. §. 45. Sie mögen nach dem Gute sich nennen, und in Urkunden, oder bei öffentlichen Gelegenheiten, sich des Besitzes davon als eines besonderen Titels bedienen.

20) H. Durch Aufhebung des eximirten Gerichtsstandes, V. v. 2. Jan. 1849 §§. 1, 9 (G.S. S. 1), s. auch deutsch. G.V.G. §. 15. Der §. 34 lautete: „Personen des Adelstandes sind der Regel nach nur dem höchsten Gericht in der Provinz unterworfen." 21) Durch Art. 4 d. Verf.Urk., Anin. 2 zu §. 1 d. T. Lauteten: 35: Der Adel ist zu den Ehrenstellen im Staat, wozu er sich geschickt gemacht hat, vorzüglich berechtigt. §. 36: Doch bleibt dem Landesherrn die Beurtheilung der Tüchtigkeit, und die Auswahl unter mehreren Be­ werbern unbenommen." 22) H. Durch das Edikt v. 9. Okt. 1807 §. 1 (G.S. S. 170). Lautete: „Nur der Adel ist zum Besitze adlicher Güter berechtigt." 23) H. Das wesentlichste Vorrecht der Rittergüter, die mit dem Besitz desselben verbun­ dene Kreisstandschaft und die polizeiobrigkeitliche Gewalt, sind im Geltungsgebiete der KreisOrdn. v. 13. Dez. 1872 weggefallen und werden vollkommen beseitigt sein, wenn die neue Verwaltungsorganisation, V Ges. über die allgem. Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 $§. 154, 155 (G.S. S. 195), erst in Posen und den beiden älteren westlichen Provinzen eingeführt ist. 24) Lauteten: „§. 39. In wie fern zum Besitze solcher Güter, außer dem Adel, auch noch das Jndigenat erfordert werde, hängt ebenfalls von Provinzialverfassungen ab. §. 40. Nur der Adel kann Familien-Fideicommisse aus adlichen Gütern errichten. §. 41. Adliche Gutsbesitzer sind zur Ausübung der dem Gute verliehenen Jagdgerechtigkeiten in ihrem eignen Namen berechtigt. §. 42. Sie können die dem Gute anklebende Gerichtsbarkeit in ihrem Namen aus­ üben lassen." H. Vgl. Anm. 20, 22 und Ges. v. 31. Okt. 1848 §. 1 (Zus. 5 zu I. 9 §. 127). 25) D. h. den Besitzern der mit dem Patronatsrechte verbundenen Güter, also auch den nichtadelichen.

§§. 46—50.

Fallen weg

1. Gesetz über die persönliche Fähigkeit und Ausübung der Rechte der Standschaft, der Gerichtsbarkeit und des Patronats^'). Vom 8. Mai 1837. (G.S. S. 99.) Wir rc. re. haben Uns auf den Antrag Unseres Staatsministeriums und nach eingeholtenr Gutachten Unseres Staatsrathes bewogen gefunden, über die persönliche Fähigkeit zur Ausübung der Rechte der Standschaft, der Gerichtsbarkeit und des Patronats für sämmtliche Provinzen Unserer Monarchie Folgendes zu verordnen: §. 1. Nur Personen von unbescholtenem Rufe sind fähig, für sich oder Andere, die Rechte der Standschaft, der Gerichtsbarkeit oder des Patronats auszuüben, oder in ihrem Namen aus­ üben zu lassen. §. 2. In Ansehung der Standschaft verbleibt es in dieser Beziehung bei den darüber vorhandenen besonderen Verordnungen. §. 3. Wer nach Maaßgabe jener Verordnungen wegen Mangels unbescholtenen Rufs von der Ausübung der Standschaft ausgeschlossen worden ist, soll auch der Ausübung der Gerichts­ barkeit oder des Patronats (§. 1.) verlustig gehen. §. 4. In einen: solchen Falle hat die Regierung, in deren Bezirk das berechtigte Gut liegt, wegen fernerer Verwaltung der genannten Rechte sofort das Erforderliche zu veranlassen. §. 5. Wird ein zur Standschaft gehörender Gutsbesitzer der Gerichtsbarkeit oder des Patronats dllrch Kriminal-Erkenntniß für verlustig erklärt, so liegt dem Gerichte ob, sofort nach beschrittener Rechtskraft des Erkenntnisses, dem Ober-Präsidenten der Provinz davon Kenntniß zu geben, damit auch die Ausschließung von der Standschaft in dem geordneten Wege veranlaßt werden kann. §. 6. Wo mit dem Besitze eines Landguts zwar Gerichtsbarkeit oder Patronat, nicht aber auch Standschaft verbunden ist, soll die Unfähigkeit zur Ausübung der zuerst genannten Rechte jederzeit eintreten, wenn der Besitzer durch rechtskräftiges Erkenntniß zur Zucht­ hausstrafe verurtheilt, oder ihn: die Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit untersagt worden ist28 26).27 26) Die §§. lauteten: „§. 46: Das Recht, in den Versammlungen des Adels auf Kreisund Landtagen zu erscheinen, und über die daselbst vorkommenden Angelegenheiten zu stinunen, gebührt in der Regel nur den: angesessenen Adel. §. 47. Unadliche Personen sollen bei solchen Versammlungen, als Stellvertreter oder Be­ vollmächtigte adlicher Mitglieder, in der Regel nicht zugelassen werden. §. 48. Wenn jedoch ein Gutsbesitzer von Adel, während seiner Abwesenheit, die Besorgung seiner Gutsangelegenheiten überhaupt einem Generalbevollmächtigten bürgerlichen Standes auf­ getragen hat: so kann dieser auch das Stimmrecht seines Machtgebers bei Kreis- und Landtagen ausüben. §. 49. Auch können die Vornmnder der Angesessenen von Adel, ingleichen die Deputirten der Magisträte, welche adliche Kämmereigüter besitzen, wenn sie gleich für ihre Personen zum Bürgerstande gehören, von solchen Versammlungen nicht ausgeschlossen werden. §. 50. Unadliche Besitzer adlicher Güter sind, wenn sie auch in Person nicht erscheinen, dennoch ihr Stimmrecht, von einem Falle zum anderen, Adlichen aufzutragen berechtigt." H. Vgl. den folgenden Zusatz 1. 27) H. Dies Gesetz hat jetzt im Wesentlichen nur noch Bedeutung in Bezug auf den Patronat, da die Gerichtsbarkeit im Gebiete des ganzen preuß. Staates und die Standschaft im Gebiete der Kr.Ordn. beseitigt ist, s. auch Anm. 23. 28) R.Str.G.B. §§. 31—37. Die in: §. 6 weggelassenen, durch die gesperrten ersetzten Worte lauteten: „entweder I. durch rechtskräftiges Kriminal-Erkenntniß a) zur Verwaltung öffent­ licher Aemter, oder zur Ableistung eines nothwendigen Eides für unfähig, oder b) des Adels unter den: Hinzutritt Unserer Allerhöchsten Genehmigung, oder des Bürgerrechts, oder des Rechts zur Tragung der National-Kokarde für verlustig erklärt, oder c) zur Zuchthausstrafe oder Festungsarbeit, oder d) wegen Meineides, Diebstahls oder Betrugs zu irgend einer Kriminalstrafe verurtheilt worden ist; oder II. in den Fällen des §. 39. der Städteordnung v. 19. November 1808. oder der §§. 19. und 20. der revidirten Städteordnung v. 17. März 1831. durch einen Beschluß der Stadtbehörde das Bürgerrecht verloren hat."

6

Zweiter Theil.

Neunter Titel.

§§. 50 (Zusätze).

§. 7. Die Regierung hat, sobald einer der vorstehend bezeichneten Fälle zu ihrer Kenntniß gelangt, denselben von Amtswegen zu verfolgen und nach vorgängiger Vernehmung des Besitzers, auch nach näherer Untersuchung, wo eine solche noch erforderlich erscheint, in einer Plenarsitzung auf den schriftlichen Vortrag des Justitiars einen Beschluß über die Anwendung des Gesetzes abzusassen und solchen dem Besitzer in einer Ausfertigung mitzutheilen. 8- 8. Gegen den Beschluß der Regierung findet nur der Rekurs an das Ministerium des Innern und der Polizei statt, ohne Beschränkung auf eine bestimmte Frist. Das Ministerium hat in Verbindung mit denjenigen Ministerien, zu deren Ressort die Verwaltung der Gerichts­ barkeit oder des Patronats gehört, die Beschwerde zu prüfen und darüber zu entscheiden. Der Rekurs hält jedoch die Ausführung des Beschlusses der Regierung nur dann auf, wenn er inner­ halb sechs Wochen, vom Tage der erfolgten Zustellung desselben an gerechnet, bei dem OberPräsidenten angebracht worden ist. §. 9. Wenn die Unfähigkeit des Besitzers ausgesprochen ist, so wird fortan und auf die Dauer seines Besitzes die Verwaltung der Gerichtsbarkeit oder des Patronats in Unserm Auf­ trage geführt und die damit verbundenen Lasten und Kosten werden, ohne daß hierüber ein Prozeß zulässig ist, aus dem Vermögen des Besitzers bestritten. War der Letztere zur Ausübung der genannten Rechte und für Andere berufen, so fällt die Verwaltimg diesen oder deren ander­ weit zu bestellenden Vertretern anheim20). §. 10. Insofern nach besonderer Lehnsverfassung der Mangel unbescholtenen Rufs schon zu dem Besitz eines Lehnguts und zur Beleihung überhaupt unfähig macht, behält es auch ferner dabei sein Bewenden. §. 11. Nur eine ausdrücklich von Uns Allerhöchstselbst ausgesprochene Wiedereinsetzung in die verloren gegangenen Rechte macht zu derer: Wiederausübung fähig. Der bloße Erlaß, oder die Verwandlung erkannter Strafen, oder die Wiederverleihung der aberkannten Nationalkokarde hebt die Wirkungen der Unfähigkeit nicht auf. §. 12. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch auf die Jurisdiktions- und PatronatsRechte Anwendung, welche einzelnen Personen oder Familien, ohne Verbindung mit dem Besitze eines Guts, zustehen. 2. Gesetz über dieEntziehung oderSuspension ständischerRechte wegen bescholtenen oder angefochtenen Rufes. Vom 23. Juli 1847. (G.S. 1. Die unmittelbaren Staatsbeamten9"), welche eine etatönläßige Stelle bekleiden, erhalten ihre Besoldung aus der Staatskasse vierteljährlich im Voraus. 2. Die Hinterbliebenen der im 8- 1 bezeichneten Beamten erhalten für das auf den Sterbenionat folgende Vierteljahr noch die volle Besoldung des Verstorbenen (Gnadenquartal) nach Maßgabe der Kabinetsorder vom 15. November,1819 (Gesetz-Samml. 1820 S. 45) 10°), auch wenn derselbe nicht in kollegialischen Verhältnissen gestanden hat. 8- 3. Hat ein verstorbener Beamter (8- 2) eine Wittwe oder eheliche Nachkommen nicht hinterlassen, so kann mit Genehmigung des Verwaltungschefs das Gnadenquartal außer den in der Kabinetsorder vom 15. November 1819 erwähnten auch solchen Personen, welche die Kosten

98) H. Dazu vergl.: 1. B. betr. die den Justizbeamten im Bezirke des Oberlandesgerichts zu Köln re. zu gewährenden Tagegelder und Reisekosten v. 11. Febr. 1880, G.S. S. 53. 2. Die V. v. 29. Nov. 1873, v. 30. Okt. 1876 u. v. 8. Juni 1880, betr. die Tagegelder und Reisekosten der Beamten der Staatseisenbahnen und der unter Verwaltung des Staats stehenden Privatbahnen, G.S. 1873 S. 475, G.S. 1876 S. 451, G.S. 1880 S. 273. 3. V. v. 1. April 1874, G.S. S. 131, u. v. 1. Nov. 1876 betr. die Tagegelder und Reise­ kosten für die Landgensd'armerie, G.S. S. 459 (vgl. auch G.S. v. 1876 S. 270). 4. P. v. 21. Juni 1876 betr. die Entschädigung der Strafanstaltsbeamten, G.S. S. 257. 5. Ges. v. 9. März 1872 betr. die den Medizinalbeamten zu gewährenden Vergütungen, G.S. S. 265, und dazu die V. betr. die Tagegelder und Reisekosten der Medizinalbeamten v. 17. Sept. 1876, G.S. S. 411. 6. V. betr. die Tagegelder, Fuhrkosten und Umzugskosten der Reichsbeamten, v. 21. Juni 1875, R.G.Bl. S. 249. 7. V. betr. die Tagegelder und Reisekosten der Beamten der Reichseisenbahn- und Postver­ waltung v. 5. Juli 1875, R.G.Bl. S. 253. Vgl. auch Anm. 94 zu Zus. 24 bei 8- 85 d. T. 99) H. Vgl. 8- 69 d. T. Daß die Beamten auf Kündigung angestellt sind, macht keinen Unterschied, Centr.Bl. f. d. ges. Unterrichtsverwaltung v. 1881 S. 542. Durch K.O. v. 25. Mai 1881 ist die Anwendung des Gesetzes auch auf die Beamten und Hinterbliebenen der Beamten der unter staatlicher Verwaltung stehenden Stiftungsanstalten und Stiftungsfonds des Ressorts des geistl. Ministers genehmigt worden, a. a. O. S. 41 f. 100) H. Vgl. auch Anm. 37 zu Zus. 32 bei §. 97 d. T.

Von den Dienern des Staats.

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der letzten Krankheit und der Beerdigung bestritten haben, für den Fall gewährt werden, daß der Nachlaß zu deren Deckung nicht ausreicht. §. 4. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch auf die zur Disposition stehenden Beamten und Wartegeldempfänger sowie auf deren Hinterbliebene Anwendung. §. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1881 in Kraft. Urkundlich 2c.

§. 86. Niemand soll sein Amt zur Beleidigung oder Bevortheilung Anderer mißbrauchen. 29. Allerhöchste Kabinetsorder vom 21 sten November 1885., die Amts­ verschwiegenheit der öffentlichen Beanlten betreffend. (G.S. S. 237.) Obgleich Gesetze und Dienst-Instruktionen den öffentlichen Beamten Verschwiegenheit über Gegenstände ihres Amtes zur Pflicht machen, so habe Ich doch nrißfällig in Erfahrung gebracht, daß diese Pflicht aus den Augen gesetzt, über dergleichen Gegenstände, ohne amtliche Veran­ lassung, mündliche und schriftliche Mittheilungen gemacht und solche selbst zur Publizität gebracht worden. Eine solche Verletzung der gesetzlichen Vorschriften ist nicht länger zu dulden; das Staatsministerium hat daher diese Mißbräuche abzustellen und zu veranlassen, daß die Departements-Ehefs nicht nur ihren untergeordneten Behörden und Beamten die im Interesse des Dienstes unerläßliche Verschwiegenheit wiederholend und ernstlich einschärfen, sondern auch die geeigneten Anordnungen treffen, um die genaue Beobachtung derselben zu sichern und die Propalation amtlicher Verhandlungen zu verhindern. Die Departenrents-Ehefs haben auf die Befolgung dieser für die Beamten aller Kategorien geltenden Vorschrift mit Ernst und Sorgfalt zu halten, die Beamten, welche dieselbe verletzen, unnachsichtlich zur Verantwortung und Bestrafung zu ziehen und Mir anzuzeigen, daunt sie, den: Befiilden nach, neben der verwirkten Strafe, ohne Pension aus dem Dienste entfernt werden.............

§. 87. Was ein Beamter vermöge seines Amtes und nach den Borschriften desselben unternimmt1),2 kann gegen ihn als eine Privatbeleidigung llicht gerügt werden. §. 88. Wer ein Amt übernimmt, muß ans die pfliebtmäßige Führung desselben die genaueste Aufmerksamkeit -) weuden.

1) Was aber die Grenzen dieser Vorschriften überschreitet, ist eine Privatbeleidigung, wofür der Betroffene Rechenschaft fordern kann. Das gilt auch von Dienstvorgesetzten gegen Unter­ gebene in der Handhabung des Aufsichtsrechts. Dieses berechtigt nicht, statt der verordneten Disziplinarstrafen im geei gneten Verfahr en, grobe persönliche Anzüglichkeiten oder gering­ schätzige Redensarten gegen einen Untergebenen zu sprechen oder gar zu schreiben. Das sind Privatbeleidigungen. — Ueber die Bedingungen der Rechtsverfolgung gegen ausschreitende Be­ amte: Verf.Ürk. v. 31. Jan. 1850 Art. 97 und Ges. dazu v. 13. Febr. 1854, Zus. zu II. 13, H. s. auch Eins.Ges. z. G.V.G. £• 11. H. Vgl. übrigens auch R.Str.G.B. §. 193. 2) Die „genaueste Aufmerksamkeit" entspricht dem „geringsten" Versehen. Damit harmonirt der folgende 89 nicht, der nur auf ein mäßiges Versehen hinweiset. Durch diesen unbestimmten Ausdruck hat man das Prinzip des §. 88 etwas mildern wollen, wie Suarez zu erkennen giebt: denn nach seinen Bemerkungen in der rev. mon. soll der Beamte, der Regel nach, zwar für culpa levissima haften, daher der Ausdruck: „genaueste Aufmerksamkeit" im $. 88, dabei soll aber doch einiger Spielraum für die Billigkeit übrig bleiben, daher die Modifi­ kation und nähere Bestimmung des Ausdrucks im §. 89. (Ges.Rev. Pens. 12 S. 53.) Die Praxis hat angenommen, daß Beamte wegen des durch Verabsämnung ihrer Amts­ pflicht entstandenen Schadens nur aus einem groben oder mäßigen Versehen haften. O.Tr. I v. 22. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 195. In dem Erk. I v. 16. März 1868 sagt dass, wieder: „Es fragt sich —, was für ein Versehen der Beklagte — begangen, und welchen Grad des Versehens der Beklagte in seiner Eigenschaft als richterlicher Beamter überhaupt zu vertreten hat. — In Betreff des zweiten Theiles dieser Frage ist nun dem Appellationsrichter allerdings nicht beizutreten, wenn er ailsgeführt hat, daß Beklagter bei seiner Amtsführung nur ein mäßiges, nicht auch ein geringes Versehen gesetzlich zu vertreten hat. — Denn §. 88 be-

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Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 89—91.

§. 89. Jedes dabei begangene Versehen, welches bei gehöriger Aufmerksam­ keit, und nach den Kenntnissen, die bei der Verwaltung des Amtes erfordert werden, hätte vermieden werden können und sollen, muß er vertreten. §. 90. Vorgesetzte, welche durch vorschriftsmäßige Aufmerksamkeit die Amts­ vergehungen ihrer Untergebenen hätten hindern können, sind für den aus Vernach­ lässigung dessen entstehenden Schaden, sowohl dem Staat, als einzelnen Privat­ personen, welche darunter leiden, verhaftet'^). §. 91. Doch findet in beiden Fällen (§. 89. 90.) die Vertretung nur als-

ftinnnt (folgen die Worte) und es ist nicht zweifelhaft, das; diese „genaueste Aufmerksamkeit" dem Begriffe eines „geringen Versehens" entspricht." Str. Arch. 70 S. 188. (H. So auch ö r ster - (r e e i u s 2 S. 538; Dernburg 3. Aufl. 2 S. 862.) — Was zur Amtspflicht gehöre, ist Sache der Kasilistik. In einem Falle ist ange­ nommen worden, der zur Aufnahnle eines .Kaufvertrages ernannte richterliche Kommissar sei zwar nicht verpflichtet, sich aus den Grundakten des zu verkaufenden Grundstücks auch über diejenigen Forderungen zu informiren, deren Eintragung blos; erst nachgesucht, aber noch nicht erfolgt ist; habe er jedoch der Partei auf ihren Wunsch aus den Grundakten über das zu ver­ kaufende Grundstück Auskunft ertheilt, so seien seine desfallsigen Rechte und Pflichten nach den besonderen Vorschriften über die Vertretilngsverbindlichkeit der Beamten abzumessen; er sei daher den der Partei aus seinen; mäßigen Versehen verursachten mittelbaren Schaden zu ersetzen nicht verpflichtet, O.Tr. I v. 23. Febr. 1855, Str. Arch. 17 S. 51. Die Schlüssigkeit ist nicht einleuchtend; man sollte glauben, die Prämissen und der Verbindungssatz müßten zur .Haftbarkeit führen. Die 88, 89 bestimmen nnr den Grad des von den; Beninten zu vertreteilden Versehens; es ist aber darin nichts enthalten, wodurch die Anwendbarkeit der allgenieinen Grundsätze des sechste;; Titels des ersten Theils über die Frage- in wie fern die Schuld des Beschädigten den Beschädige;- von; Schadensersätze befreie, und nan;entlich der Vorschrift des £. 20 daselbst aus­ geschlossen würde, O.Tr. 1 v. 30. Mai 1859, Str. 'Arch. 33 S. 274, H. s. auch T v. 16. April 1869, Str. Arch. 74 S. 233; I v. 24. Febr. 1871, a a. O. 82 S. 4; ferner R.G. V v. 7. April 1883, Gruchot 27 S. 894 gegenüber Grundb.Ordn. H- 29. H. Die §§. 88 ff. finden auch auf nüttelbare Staatsbeanüe Anwendung, O.Tr. I v. 6. April 1853, Str. Arch. 9 S. 86; 1 v. 3. Juni 1859, a. a. O. 33 S. 279; I v. 4? April 1870, a. a. O. 77 S. 295, nicht aber auf Rechtsanivälte, selbst wenn sie von Anttswegen zugeordnet sind, O.Tr. I v. 13. Mai 1861, Cntsch. 45 S. 445, I v. 17. März 1871, a. a. O. 65 S. 370; vgl. auch Anm. 18 zu Zus. 15 bei £. 71 d. T. Den Rechtsanwälten stellt Dernburg a. a. O. S. 865 die Rotare und Gerichtsvollzieher gleich, wogegen Forster-Eecius 2 S. 534 Anm. 3 die hier gegebenen Vorschriften auf sie nngewendet wissen null. In Betreff der Notare vgl. auch O.Tr. III v. 3. Mai 1872, Str. Arch. 84 S. 336. Vgl. auch die folgende Anm. 4. 3) H. Ueber die Frage, ob der Beamte, welcher eine polizeiliche von der vorgesetzten Be­ hörde demnächst als unzulässig aufgehobene Verfügung erlassen hat, zum Schadensersatz verpflichtet sei, ist der Rechtsweg zulässig. Erk. des Komp.Ger.H. v. 13. Jan. 1877, J.M.Bl. S. 43. 4) Derjenige, welchen; gegenüber der verantwortliche Beainte zun; Ersätze verbunden ist, ist nicht bloß der Dienstherr (der Staat), sondern auch die beschädigte Person, wenngleich dies in Beziehung auf den Beschädiger selbst (§§. 89, 91) nicht ausgesprochen ist. Die SS- 89—91 treten nämlich in die Stelle des rön;. Prinzips der sog. Spndikatsklage (actio in factum contra judicem, qui litem suam facit) und des Prinzips Tit. 1). quod quisque Juris etc. (II, 2), bezüglich auf eine ungerechte Obrigkeit. Diese beiden Prinzipien sind hier verschmolzen und zugleich erweitert. Rach röm. Rechtsansichten konnte nämlich gegen einen ungerechten Richter und gegen eine ungerechte Magistratsperson, wegen Mangels eines obligatorischen Verhältnisses zwischen ihnen und dem Verletzten, ein Anspruch nicht begründet werden. Diese Lücke sollten die erwähnten beiden positiven Rechtssätze nusfüllen; sie bezogen sich jedoch nur auf den Fall des Dolus. Das L.R. hingegen giebt dem Verletzten das Klngerecht auch im Falle des Ver­ sehens, und zwar eines jeden Versehens (vergl. jedoch Ann;. 2 zu $. 88) und gegen alle Beamten. Darin besteht die Erweiterung. An der subsidiarischen Natur dieses Rechtsmittels ist nichts geändert. Die Erweiterung muß jedoch mit der Einschrünkuug verstanden werden, daß die actio in factum gegen den ungerechten Richter nicht durch ein bloßes Versehen begründet werden kann. Das Prinzip ist jedoch keineswegs bis jetzt zur Klarheit gekommen. Die Praxis bietet uns ein Pr. des O.Tr. (443) v. 6. März 1838, lautend: a) Die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über

dann statt, wenn kein anderes gesetzmäßiges Mittels, wodurch den nachtheiligen Folgen eines solchen Versehens abgeholfen werden konnte, mehr übrig ist6). die Verbindlichkeit der Beamten, die bei der Verwaltung ihres Amtes begangenen Versehen zu vertreten, finden auf die von einem Richter in streitigen Sachen gesprochenen Urtel nicht An­ wendung. b) Die unterliegende Partei ist nicht berechtigt, den Spruchrichter wegen eines bei Abfassung des rechtskräftig gewordenen Erkenntnisses von ihn: angeblich begangenen Versehens, auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, Entsch. 3 S. 253. Der erste Satz (a) ist ohne weiteres für eine Rechtswahrheit anzuerkennen; ein rechtsprechender Richter kann wegen seines Urtheils nicht nach dem allgemeinen Grundsätze des §. 89 wegen eines „jeden" angeblichen Ver­ sehens verantwortlich sein; der Streit würde kein Ende haben, indem jedem folgenden Richter ebenso gut ein Versehen zur Last gelegt werden dürfte. Der zweite Satz (b) aber ist zu allge­ mein gefaßt, indem er jedes Versehen für untauglich zur Begründung des Anspruchs erklärt; und nach den Gründen scheint es gar (ganz deutlich ist es nicht), daß die Syndikatsklage gegen den erkennenden Richter an sich unzulässig sei, wegen Mangels absoluter Gewißheit, daß die schädliche Entscheidung unrichtig sei. Dieser Grund berührt das Prinzip der Syndikatsklage gar­ nicht, und eine positive Bestimmung, wodurch die Syndikatsklage gegen einen ungerechten Richter abgeschasft worden wäre, giebt es nicht. Jnr Gegentheile, das Gemeine Recht, nämlich das durch die Reichsgesetzgebung (R.A. v. 1532 §. 17; Kammerger.Ordn. v. 1555 P. III Dit. 53 5, 6, 10; Reichshofraths-Ordn. Tit. 5 §. 7; Reichoabschied v. 1654 §. 157) bestätigte R. R. hat in der A.G.O. III 5 22 und 23 dadurch Anerkennung gefunden, daß der Richter, welcher „eine Ungerechtigkeit verübt", für schuldig erklärt wird, der Partei den dadurch verursachten Schaden zil ersetzen. Ueber das innere Erforderniß (die Gesinnung des Richters) findet sich keine besondere neue Bestinunung. Wenn nun die neue allgemeine Bestnnmung des $. 89 d. T., daß sogar jedes Bersehen den Beamten verantwortlich nrachen soll, nach dem O.Tr. des Pr. Satz a auf den Fall des ungerechten Richterspruchs nicht Anwendung finden kann, so folgt daraus doch gewiß nicht, daß diese für den Beamten härtere Bestinunung eine Aufhebung der ohnehin zu begründenden Syndikatsklage, dem Prinzip nach, enthalte. Es folgt daraus nur dieses: das; über die Erfordernisse des an sich anerkannten Klagerechts keine neile Bestimmung gegeben, daß es mithin beim Alten geblieben ist. Danach gilt aber dieses: 1. Rach der subsidiarischen Ratur der Klage (§. 91) ist der Fall derselben nur dann vorhanden, wenn gegen den angeblich ungerechten Richterspruch kein Rechtsrnittel zulässig war; 2. der Richtermuß ungerecht gesprochen, d. h. er muß dolose gegen das ihm wohlbekannte Recht erkannt haben; grobe Fahrlässigkeit steht aber in causis civilibus, also auch hier, dein Dolus gleich. — Das Pr. 443 unter b müßte also lauten: daß die Klage einer unterliegenden Partei', auf Schadloshaltung wegen widergesetzlichen Richterspruchs, gegen den erkennenden Richter, durch ein von ihm angeblich begangeiies geringes oder mäßiges Versehen, nicht begründet werde. Die Grundsätze des Pr. 443 finden übrigens auch auf den Beschluß über die Eröffnung eines Kon­ kurses (preuß. K.O. 118, 119) Anwendung. O.Tr. I v. 18. Okt. 1869, Str. Arch. 76 S. 225. H. Derselben Ansicht, wie Koch, auch Förster-Eccius 2 S. 540 Annr. 25 und Dern­ burg st. a. O. 2 S. 863. H. Das Vorstehende bezieht sich nur auf die Urtheilsthätigkeit des Richters. Für seine übrige Thätigkeit, so jetzt insbesondere in Vormundschaftssachen (II. 18 FH. 301, 170, 293, 294, 304 sind durch die Vorm.Ordn. beseitigt, Förster-Eccius 2 S. 541), kommen die allge­ meinen Regeln der 88- 88 ff- zur Anwendung, doch enthalten noch besondere Bestimmungen I. 11 88- 255, 358, 1. 12 88- 110, 141 (vgl. die Annr. dazu) und Grundb.Ordn. 8- 29. 5) Damit ist der Gebrauch aller Prinzipalen Klagerechte, keineswegs aber gemeint, daß der Verletzte den Prozeß gegen die Hauptverpflichteten durch alle zulässigen Instanzen verfolgen müsse. O.Tr. I v. 22. Juni 1857, Str. Arch. 25 S. 254; H. Förster-Eccius 2 S. 538 Anm. 19. 6) „Eine Klage zur vorläufigen Feststellung der Vertreturrgspflicht eines Beamten wegen eines von demselben im Amte begangenen Versehens, bevor die übrigen Mittel zur Be­ friedigung des Beschädigten angewendet worden sind, und der Betrag des Schadens feststeht, findet nicht statt." Pr. 504 des O.Tr. v. 13. Aug. 1838, Präj.S. 1 S. 206. H. Jetzt ist die­ selbe aber zulässig, wenn die Voraussetzungen des 8- 231 der E.P.O. vorliegen. „Eine analoge Anwendutlg des 8- 298 und der 88- 284, 285 I. 14 findet bei Regreßansprüchen gegen Beamte nicht statt." Pr. 1381 des O.Tr. v. 27. Rov. 1843, Präj.S. 1 S. 206, u. Erk. I v. 10. Okt. 1856, Str. Arch. 23 S. 1. Die Bestimmung des 8- 91 gewährt nicht das Recht, ganz allgemein und losgelöst von den faktischen Einzelheiten des speziellen Falles einzelner Kassendefekte, lediglich im Prinzip eine besondere Stufen- und Reihenfolge der verschiedenen Beamtenklassen für die amtliche Regreßpflicht aufzustellen, O.Tr. I v. 27. Febr. 1871, Str. Arch. 81 S. 181. Vergl. bezüglich der Haftpflicht des Staates für die Beamten II. 6 8- 81 und die Anm. dazu.

112

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 91 (Zusatz 30).

30. Verordnung über die Festsetzung und den Ersatz der bei Kassen und anderen Verwaltungen vorkommenden Defekte. Do dato den 24. Januar 1844. (G.S. S. 52.)7)8 9 10 11 Wir rc. verordnen zur Ergänzung der bestehenden Vorschriften über die Festsetzung uwd den Ersatz der bei Kassen und andern Verwaltungell vorkommenden Defekte, auf den Antrcrg Unseres Staatsministeriums und nach vernonunenem Giltachten Unseres Staatsraths, für den ganzen Umfang der Monarchie, was folgt: §. 1. Die Feststellung der Defekte an öffentlichem oder Privatvermögen, welche bei öffent­ lichen Kassen oder anderen öffentlichen Verwaltungen entdeckt werden, ist zunächst von derjenigen Behörde zu bewirken, zu deren Geschäftskreise die unmittelbare Aufsicht über die Kasse ode-r andere Verwaltung gehört. §. 2. Von dieser Behörde ist zugleich festzustellen, wer nach den Vorschriften der gegen­ wärtigen Verordnung für den Defekt zu hasten hat, und bei einem Defekt an Materialien, ans U'ie hoch die zu erstattende Summe in Gelde zu berechnen ist. tj. 3. Eben so (§§. 1. und 2.) hat die unmittelbar vorgesetzte Behörde die Defekte an solchem öffentlichen oder Privatvermögen festzustellen, welches, ohne zu einer öffentlichen Kasse oder anderen öffentlichen Verwaltung gebracht zu seyn, vermöge besonderer amtlicher Anordnung in die Gewahrsam eines Beamten gekommen istH). §. 4. Ueber den Betrag des Defekts"), die Persoir des 511111 Ersatz Verpflichteten*o) und den Grund seiner Verpflichtung ist von der in den §§. 1. und 3. bezeichneten Behörde ein motivirter Beschluß abzufassen. §. 5. Hat diese Behörde die Eigenschaft einer Central- oder Provinzialbehörde, so ist der Beschluß ohne Weiteres vollstreckbar. §. 6. In allen andern Fällen unterliegt der Beschluß der Prüfung der vorgesetzten Pro­ vinzialbehörde, und wird erst nach deren Genehmigung vollstreckbar. 7. Der vorgesetzten Centralbehörde bleibt jedoch in allen Fällen unbenommen, einzu­ schreiten, und den Beschluß selbst abzufassen oder zu berichtigen.

§. 8. Nach Befinden der Umstünde kann die Behörde auch mehrere Beschlüsse abfassen, wenn ein Theil des Defekts sofort klar ist, der andere Theil aber noch weitere Ermittelungen nothwendig macht, ungleichen, wenn unter mehreren Personen die Verpflichtung der einen fest­ steht, die der andern noch zweifelhaft ist. §. 9. In dem abzufnssenden Beschlusse ist zugleich zu bestimmen, ob der Beamte zum Ersatz des Defekts oder nur zur Sicherstellung anzuhalten, und im ersten Falle, ob die Exekution unbedingt oder mit welchen näher zu bestimmenden Modifikationen zu vollürecken "). §. 10. Der abzufassende Beschluß kann auf die unmittelbare Verpflichtung zum Ersatz gerichtet werden:

7) H. In Betreff der Defekte der Gerichtsbeamten ausdrücklich aufrechterhalten durch Ausf.Ges. zum G.V G. v. 24. April 1878 82. Durch Ges. v. 17. Juui 1880, G.S. S. 271, sind die Befugnisse, welche in diesem Gesetze den Provinzialbehörden gegeben sind, auch den Königl. Eisenbahn-Direktionen beigelegt worden. 8) Hierher gehören Gelder, welche Exekutoren (11. jetzt Gerichtsvollzieher) in Parteisachen beigetrieben haben. Ferner Gelder, welche von den Auktionskommissarien in Empfang genominen worden sind. 9) H. „Defekt" bezeichnet Alles, was ein Rechnungsleger seinem Prinzipal zu gewähren hat, aber nicht gewährt, O.Tr. IV v. 4. Febr. 1858, Str. Arch. 29 S. 62. 10) In so fern er ein Beamter ist. Vergl. 9, 15 u. 16. 11) In dem abzufassenden Beschlusse ist, in so sern durch denselben die unmittelbare Ver­ pflichtung zum Ersätze eines Defekts bei einer Kasse oder anderen Verwaltung ausgesprochen wird, jedesmal zugleich über die Verbindlichkeit der sür ersatzpflichtig erklärten Beamten zur Tragung der durch die Ermittelung des Defekts erwachsenen Kosten die erforderliche Festsetzung zu treffen. Beschl. des Staatsministeriums v. 31. Aug. 1863, J.M.Bl. S. 222.

1) sofern der Defekt nach dem Ermessen der Behörde durch Vorsatz bewirkt worden, gegen jeden Beamten, welcher der Unterschlagung oder Veruntreuung als Urheber oder Theilnehmer geständig ist, oder für überführt erachtet wird; 2) sofern der Defekt nach dem Ermessen der Behörde durch grobes Versehen entstanden ist, a) gegen diejenigen, welchen die Kasse u. s. w. zur Verwaltung übergeben war, auf Höhe des ganzen Defekts, b) gegen jeden andern Beamten, der an der Einnahme oder '»Ausgabe, der Erhebung, der Ablieferung oder dem Transport von Kassengeldern oder andern Gegenständen vernwge seiner dienstlichen Stellung Theil zu nehniell hatte, nur auf Höhe des in seine Gewahrsam gekonunenen Betrages. Eber: dies gilt gegen die §. 3. genannten Beamten in den daselbst bezeichneten Fällen 12). 11. Der abzufassende Beschluß kaun ferner auf Beschlagnahme des Vermögens oder (Gehalts zur Sicherung des deitmächst im Wege Aechten«) aitozuführendetl Anspruchs, sofern der Defekt aus derrr Vertnögen der Lj. 10. genannten zunächst verantwortlichen Beamten und deren Dieustkaution incht zu decken seyn sollte, gerichtet iverdem: gegen diejenigen, welche zwar die defektirten Gelder oder andere Gegenstütlde nicht in ihre Ge­ wahrsam gehavt, aber an deren Vereinnahmung, Verausgabung oder Verschlusse in der Weise unmittelbar Theil zu nehmen hatten, daß der Defekt ohne ihr grobes Verschulden nicht hätte entstehen können. Lj. 12. Sind Beamte, gegen welche die erekutivische Einziehung des Defekts zulässig ist, in der Verwaltung ihres Anites, wofür sie eine Amtskaution bestellt habeir, belassen worden, jo

ist die Erekution nicht zunächst in diese Kautioil, sondern in das übrige Vermögen zu vollstrecken, jedoch so iveit die bestellte Kaution reicht, nur auf Sicherstellung eines gleichen Betrages zu richten. Lj. 13. Bei Gefahr im Verzüge kann die unmittelbar vorgesetzte Behörde, auch wenn sie nicht die Eigenschaft einer Provinzialbehörde hat, oder der unmittelbar vorgesetzte Beamte vor­ läufige Sicherheitsmaaßregeln durch Beschlagnahme des Vermögens oder Gehalts gegen die nach 10. der Exekution unterworfenen Beamten ergreifen; es niuß aber davon der vorgesetzten Provinzialbehörde ungesürnnt Anzeige genincht, und deren Genehmigung eingeholt werden. Lj. 14. Die Verwaltungsbehörde kann den zur Vollstreckung geeigneten Beschluß selbst zur Ausführuilg bringen, so weit dieselbe nach den bestehenden Gesetzen Erekution zu verfügen befugt ist. Ailßerdem ist das betreffende Gericht dieserhalb zu requiriren. §. 15. Die Gerichte und Hypothekenbehördeir sind verpflichtet, den an sie ergehenden Requisitionen zu genügen, die Exekution gegen die benannten Personen ohne vorgängiges Zahlungs­ mandat ’•“) schleunig zu vollstrecken, die Beschlagnahme der zur Deckung des Defekts erforderlichen Vermögensstücke zu verfügen, und die in Antrag gebrachte,: Eintragungen, wenn sonst kein Anstand obwaltet, im Hypothekenbuche zu veranlassen, ohne auf eine Beurtheilung der Rechtmäßigkeit einzugehen 13).

12) H. Rach D.Tr. I v. 4. Sept. 1857, Entsch. 36 S. 378, ist dies Festsetzungsverfahren nicht gegen den Erben des Beamten statthaft. Dagegen R.G. IV v. 3. Juli 1882, Entsch. 7 S. 335, Annal. 6 S. 161, welches bei vorhandenen: Streit über die Erbeseigenschaft Feststellung derselben in: Prozeßwege vor Erlaß des Defekte::beschlusses für erforderlich erachtet. Vgl. auch Ann:. 13 zu §. 15 dies. Ges. 12a) Ter monitorische Zahlungsbefehl war schon durch Ges. v. 20. März 1854 §. 15, G.S. S. 115, allgemein aufgehoben. 13) Bei Defekten von Kassenbeamten sind die Verwaltungsbehörden zur Vollstreckung der Exekution nur gegen den Defektanten und den zum Ersätze sonst verpflichteten Beamten befugt. Gegen dritte Personen, welche als Bürgen oder als Besitzer eines zur Kaution gestellten Grund­ stücks verhaftet sind, nüissen sie dagegen ihre Ansprüche in: Rechtswege geltend machen. Erk. des Gerichts!), zur Entsch. der Kompetenzkonfl. v. 20. Okt. 1855, J.M.Bl. 1856 S. 68. Den Erben eines Kassenbeamten kann gegen die angeordnete Beschlagnahme des Vermögens desselben, soweit sich die Beschlagnahme auf Rachlaßgegenstünde beschränkt, der Rechtsweg nur in demselben Maße, wie den: Beamten selbst (Lj. 17), gestattet sein, Erk. des Komp.Gerichtsh. v. 17. April 1858, J.M.Bl. S. 239, eben so R.G. IV v. 31. Mai 1880, Entsch. 2 S. 188, Gruchot 25 S. 121. Koch, 'llUstcniciiics Landrecht. IV.

8. Ausl.

8

114

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 92, 93 (Zusatz 31), 94—97.

§ . 16. Gegen den Beschluß, wodurch ein Beamter zur Erstattung eines Defekts für ver­ pflichtet erklärt wird (§. 10.), steht demselben sowohl hinsichtlich des Betrages als hinsichtlich der Ersatzverbindlichkeit, außer dem Rekurse an die vorgesetzte Behörde, die Berufung auf recht­ liches Gehör 13a).

Von dieser Befugniß muß jedoch innerhalb Eines Jahres14), vom Tage der dem Ver­ pflichteten geschehenen Bekanntmachung des vollstreckbaren Beschlusses, oder wenn der Verpflichtete ausgetreten ist, vom Tage des abgefaßten Beschlusses an, Gebrauch gemacht werden. Die Exekution behält, des eingeschlagenen Rechtsweges ungeachtet, bis zur rechtskräftigen Entscheidung nach Maaßgabe des Beschlusses ihren Fortgang, wenn nicht von der Verwaltung davon Abstand genommen wird. In der etwa eingeleiteten Untersuchung bleiben dem Verpflichteten, insofern es auf die Bestrafung ankommt, seine Einreden gegen den abgefaßten Beschluß auch nach Ablauf des Jahres, wenn gleich sie im Civilprozeß nicht mehr geltend gemacht werden können, vorbehalten. § . 17. Gegen einen Beschluß, wodurch die Beschlagnahme des Vermögens oder Gehalts nach §. 11. angeordnet worden, steht den: Bemnten die Berufung auf rechtliches Gehör in der­ selben Weise zu, wie dies gegen einen gerichtlich angelegten Arrest zulässig ist. § . 18. Das gegenwärtige Gesetz findet auf sämmtliche öffentliche Kassen und Verwaltungen und deren Beamte, einschließlich der gerichtlichen, so wie auf die Militairkassen, Magazine und Verwaltungen aller Art, und nicht nur auf Militair-Beamte, sondern auch auf Militair-Personen Anwendung. Wegen Ausführung des Gesetzes in der Militairverwaltung wird Unser Kriegsminister eine Instruktion ertheilen, welche nmnentlich die Behörden zu bezeichnen hat, die den nach §§. 5. und 6. an die Provinzialbehörde zur Abfassung oder Bestätigung verwiesenen Beschluß zu erlassen befugt sind. § . 19. Wenn in Folge besonderer Gesetze den Behörden oder einzelnen Instituten bereits ein Exekutionsrecht gegen ihre Beamten zusteht, ohne daß es eines von der Provinzialbehörde abzufassenden oder zu bestätigenden Beschlusses bedarf, so behält es dabei sein Bewenden. § . 20. Eben so bleiben die Gesetze in Kraft, wodurch die Exekution gegen Erhebungs­ beamte wegen gewisser an öffentliche Kassen abzuliefernder Einnahmen ohne Zulassung des Rechts­ weges angeordnet ist. § . 21. (betrifft die Anwendung dieser Verordnung auf die damals bereits zur Kenntniß der Behörde gekommenen Defekte).

§. 92. Kein Beamter darf den zur Ausübung seines Amtes ihm angewiesenen Wohnort ohne Vorwissen und Genehmigung seiner Vorgesetzten verlassen^"). 13a) Wenn diese Berufung eingelegt wird, so liegt der Behörde nicht ob, ihrerseits die Klage anzustellen, vielmehr kann sie ihren Beschluß vollstrecken, bis in petitorio ein anderes entschieden ist; denn es ist Sache des Provokanten, mit der Petitorienklage vorzugehen, O.Tr. V v. 6. Okt. 1857, Str. Arch. 26 S. 261. Die Gerichte sind nicht befugt, über die Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Fest­ stellung von Kassendefekten und zur Bestimmung des dafür Verhafteten bloß formell zu urtheilen und deren Beschlüsse aus bloß formellen Gründen aufzuheben, O.Tr. I v. 23. März 1855, Str. Arch. 17 S. 95. Der Rechtsweg gegen den Beschluß ist zulässig, auch wenn seit der Insinuation des Be­ schlusses bereits eine längere Zeit als Jahresfrist verstrichen ist; denn ob der Klage der Einwand entgegenstehe, daß sie zu spät nach Insinuation des Beschlusses erhoben worden, unterliegt der richterlichen Kognition; die Erhebung eines Kompetenzkonflikts kann darauf nicht gegründet werden. Entsch. des Komp.Gerichtsh. v. 30. Jan. 1858, J.M.Bl. S. 110. 14) H. Diese Frist ist eine Präklusivfrist und es genügt zur Innehaltung derselben nicht, wenn ein zu Zuchthausstrafe Verurtheilter sich binnen dieser Frist, ohne Zustimmung des ihm bestellten Vormundes, gegen einen wider ihn als früheren Kassenbeamten erlassenen Defektenbeschluß auf richterliches Gehör beruft, O.Tr. I v. 18. Okt. 1867, Entsch. 59 S. 399, Str. Arch. 68 S. 274. 15) Der Min. des Inn. und der Min. der geistl. Ang. haben nach einer an die Regierung zu Breslau erlassenen Verf. in Folge gemeinsanwr Berathung angenommen, daß der §. 92 der

Von den Dienern des Staats.

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§. 93. In wie fern, zu bloßen Reisen und Entfernungen auf eine Zeitlang, die Erlaubniß der unmittelbaren oder höheren Vorgesetzten erforderlich sei, ist nach den einer jeden Classe von Beamten vorgeschriebenen besonderen Gesetzen und Amts­ instructionen zu bestimmen^). Anh. §. 124. Königliche Offizianten, welche ein fremdes Bad besuchen wollen, müssen durch ein medicinisches Attest 17 * *) * bescheinigen * * * * 16 lassen, daß das fremde Bad zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit nothwendig, auch kein einheimisches eben so geschickt dazu fei18).

31. Königliche Order vom 4. August 1863., betreffend die bei Beurlaubung von (5 i v i l b e a m t e n hinsichtlich der o r t z a h l il n g des Gehalts st a t t f i n d e n d e n Grundsätze. (J.M.Bl. S. 191.) In Betreff der Beurlaubung von Civilbeamten werden fortan folgende Grundsätze befolgt: 1) Bei der Beurlaubung eines Beamten wird auf die ersten 112 Monate des Urlaubes das Gehalt unverkürzt gezahlt; für weitere 41'2 Monate tritt ein Gehaltsabzug zum Betrage der Hälfte des Gehalts des betreffenden Beanrten ein, während bei ferneren: Urlaub kein Gehalt zu gewähren ist. 2) Bei Beurlaubungen wegen Krankheit und zur Herstellung der Gesundheit findet auch für die über l’> Monate hinausgehende Zeit der ilnumgänglich nothwendigen Abwesenheit des Beamten kein Abzug vom Gehalte statt111)-

§. 94. Bei derjenigen Instanz, von welcher die Besetzung eines Alntes ab- Nieder-^ hängt, muß auch die Eutlassung davou gesucht lverdeu. se-ung und §. 95. Die Eutlassung soll nur alsdauu, wenn daraus eiu erheblicher Nachtheil für das gemeiue Beste zu besorgen ist, versagt werden 20). §. 96. Einem Beamten, dem aus diesem Grunde die Entlassung versagt wird, steht dagegen die Berufung auf die uumittelbare laudesherrliche Entscheidung offen. §. 97. In keinem Falle aber darf der abgehende Beamte seinen Posten eher verlassen, als bis wegen Wiederbesetzung oder einstweiliger Verwaltung desselben Ver­ fügung getroffen ist.

Aufsichtsbehörde nur die Befugnis; giebt, die Niederlassung eines Beamten in einer anderen Ge­ meinde, als in derjenigen des Amtssitzes, zu inhibiren, nicht aber, so lange dieses nicht geschehen, die rechtlichen Folgen der gewählten Niederlassung unwirksam zu machen. Demgemäß werden die Beamten in defir vorausgesetzten Falle mit ihrem Gesammtvermögen in der Gemeinde ihres wirklichen Wohnortes zur Kommunalsteuer herangezogen, und nur in so fern tritt auf Grund der Bestimmung des §. 8 des Ges. v. 11. Juli 1822 eine Modifikation ein, als das dienstliche Ein­ kommen an dem Orte des Anttssitzes besteuert wird. B.M.Bl. 1863 S. 67. 16) H. Darüber treffen Bestimmung: I. Für die Reichsbeamten die V. v. 2. 9iov. 1874 über den Urlaub der Reichsbeamten und deren Stellvertretung, R.G.Bl. S. 129, s. auch dazu die Nachweisungen bei Lab and, Staats­ recht 1 S. 420 Anm. 1. II. Für Preußen fehlt es an einer allgemeinen Verordnung. Für die Justizbeamten vgl. das Cirk.Reskr. des Just.Min. v. 14. Jan. 1880, J.M.Bl. S. 15. In Betreff der übrigen Beamten sind die Spezialbestimmungen bei v. Rönne, Staatsrecht 3 Aufl. 3 S. 464 Anm. 2 zusammengestellt. Wegen der Rechtsanwälte s. Rechtsanw.Ordn. §. 29, Zus. 15 zu §. 71 d. T. 17) Dieses Attest muß von den: zuständigen Kreisphpsikus entweder selbst ausgestellt oder doch besonders bescheinigt sein. Verf. des Just.Min. v. 15. April 1843, J.M.Bl. S. 103. 18) Aus der K.O. v. 7. Dez. 1799, Rabe 5 S. 653. H. Ist außer Gebrauch gekommen. 19) H. Vgl. auch v. Rönne a. a. O. 3 S. 465 20) H. Einem zur Kriminal-Untersuchung gezogenen Beamten kann auch vor Beendigung der Untersuchung die Dienstentlassung ertheilt werden. Allerh. Erlaß v. 22. März 1856, J.M.Bl. S. 162. Mit der Einreichung des Entlassungsgesuches hören aber die Pflichten als Beamter noch nicht auf, O.Tr. v. 4. Nov. 1867, Oppenhoff, Nechtspr. 8 S. 659.

116

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 97 (Zusatz 32).

32. Gesetz, betreffend die Pensionirung der unmittelbaren Staats­ beamten, sowie der Lehrer und Beanrten an den höheren Unter richtsan st alten mit Ausschluß der Universitäteu, vom 27. März 1872. (G.S. S. 268.) in der Fassung des Gesetzes, betreffend die Abänderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872. Vom 31. März 1882. (G.S. S. 133.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen re. verordnen, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages Unserer Monarchie, was folgt21): §. 1. Jeder unmittelbare Staatsbeamte, welcher sein Diensteinkommen aus der Staatskasse bezieht, erhält aus derselben eine lebeusläugliche Pension, wenn er nach einer Dienstzeit von wenigstens zehn Jahren in Folge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, und deshalb in den Ruhestand versetzt wird. Ist die Dienstunfähigkeit die Folge einer Krankheit, Verwundung oder sonstigen Beschä­ digung, welche der Beamte bei Ausübung des Dienstes oder aus Veranlassung desselben ohne eigene Verschuldung sich zugezogen hat, so tritt die Pensionsberechtigung auch bei kürzerer als zehnjähriger Dienstzeit ein. Bei Staatsministern, welche aus beut Staatsdienste ausscheiden, ist eingetretene Dienst­ unfähigkeit nicht Vorbedingung des Anspruchs auf Pension. Diese Bestimmung findet g l e i ch f a l l s A n w e n d u n g a ll f d i e j e n i g e n V e a nr t e n, welche das f ü n f rl n d s e ch s z i g st e Lebensjahr vollendet haben22).23 24 §. 2. Die unter dem Vorbehalte des Widerrufs oder der Kündigung2"1) angestellten Beamten haben einen Anspruch auf Pension nach Maßgabe dieses Gesetzes nur dann, wenn sie eine in den Besoldungsetats aufgeführte Stelle bekleiden21). Es kann ihnen jedoch, wenn sie eine solche Stelle nicht bekleiden, bei ihrer Versetzung in den Ruhestand eine Pension bis auf Höhe der durch dieses Gesetz bestimmten Sätze bewilligt werden. §. 3. Die bei den Auseinandersetzungsbehörden beschäftigten Oekonomiekornmissarien und Feldmesser, sowie die bei Landesmeliorationen beschäftigten Wieseubautechniker und Wiesen­ baumeister haben nur insoweit einen Anspruch auf Pension, als ihnen ein solcher durch den Departementschef besonders beigelegt worden ist. Wie vielen dieser Beainten und nach welchen Diensteiukommensätzen die Pensionsberechtigung beigelegt werden darf, wird durch den Staatshaushalts-Etat bestimmt. Für jetzt bewendet es bei den hierüber durch Königliche Erlasse gegebenen Vorschriften. §. 4. Das gegenwärtige Gesetz findet airch auf die Oberivachtmeister und Gendarmen der Landgendarmerie Anwendung; dagegen erfolgt die Pensionirung der Offiziere der Landgendarmerie nach den für die Offiziere des Reichsheeres geltenden Vorschriften. §. 5. Beamte, deren Zeit und Kräfte durch die ihnen übertragenen Geschäfte nur nebenbei in Anspruch genommen, oder welche ausdrücklich nur auf eine bestiurmte Zeit oder für ein feiner Natur nach vorübergehendes Geschäft angenommen werden, erwerben keinen Anspruch auf Pension nach den Bestimmungen dieses Gesetzes. Darüber, ob eine Dienststellung eine solche ist, daß sie die Zeit und Kräfte eines Beamten nur nebenbei in Anspruch nimmt, entscheidet mit Ausschluß deS Rechtsweges die dem Beamten vorgesetzte Dienstbehörde. §. 6. Auf die Lehrer an den Universitäten ist dieses Gesetz nicht anwendbar. Dagegen find die Bestimmungen desselben anzuwenden auf alle Lehrer und Beamten an Gynmasien, Progymnasien, Realschulen, Schullehrer-Seminarien, Taubstummen- und Blinden-

21) H. Vgl. Art. III. des Abänderungsges. (s. den 22) H. Zus. des Art. I des Abänderungsges. 23) H. R.G. IV v. 27. Mai 1881, Gruchot 26 waltungsbehörde über den Grund der Kündigung bindet 24) H. Namentlich braucht der Beamte aber nicht vor. Annr. eit. Entscheidung.

folgenden Zus. 33). S. 1114: Die Entscheidung der Ver­ den Richter. im Etat auf geführt zu sein, s. die in

Von den Dienern des Staats.

Pensions-Gesetz.

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anstalten, Kunst- und höheren Bürgerschulen. Wegen Aufbringung der Pension für diejenigen unter ihnen, bereit Pension nicht aus allgemeinen Staatsfonds zu gewähren ist, kommen die Vorschriften der Verordnung vom 28. Mai 1846. (Gesetz-Samml. 214.) zur Anwendung. §. 7. Wird außer dem im zweiten Absatz des §. 1. bezeichneten Falle ein Beamter vor Vollendung des zehnten Dienstjahres dienstunfähig und deshalb in den Ruhestand versetzt, so kann demselben bei vorhandener Bedürftigkeit mit Königlicher Genehmigung eine Pension ent­ weder auf bestimmte Zeit oder lebenslänglich bewilligt werden. §. 825).26 *Die * * Pension beträgt, wenn die Versetzung in den Ruhestand nach vollendetem zehnten, jedoch vor vollendetem elften Dienstjahre eintritt, 15/00 und steigt von da ab mit jedem weiter zurückgelegten Dienstjahre um vti0 des in den §§. 10 bis 12 bestimmten Diensteinkommens. Ueber den Betrag von 45',i0 dieses Einkommens hinaus findet eine Steigerung nicht statt. In dem im §. 1 Absatz 2 erwähnten Falle beträgt die Pension 15/ß0, in dem Falle des §. 7 höchstens 15 00 des vorbezeichneten Diensteinkommens. §. 9. Bei jeder Pension werden überschießende Thalerbrüche auf volle Thaler abgerundet. §. 10. Der Berechnung der Pension wird das von dem Bemuten zuletzt bezogene gesammte Dieusteinkoulmeu, soweit es nicht zur Bestreitung von Repräsentations- oder Dienstaufwandskosten gewährt wird, nach Maßgabe der folgenden näheren Bestimmungen zu Grunde gelegt2"). 1) Feststehende Dienstemolumeute2""), namentlich freie Dienstwohnung, sowie die anstatt der­ selben gewährte Miethsentschädiguug, Feuerungs- und Erleuchtungsmaterial, Naturalbezüge an Getreide, Winterfutter u. s. w., sowie der Ertrag von Dienstgrundstücken kommen nur insoweit zur Anrechnung, als deren Werth in den Besoldungsetats auf die Geldbesoldung des Beamten in Rechnung gestellt, oder zu einem bestimmten Geldbeträge als anrechnungs­ fähig bezeichnet ist. 2) Dienstemolltmente, welche ihrer Natur nach steigend und fallend sind, werden nach den in den Besoldungsetats oder sonst bei Verleihung des Rechts auf diese Emolumente deshalb getroffenen Festsetzungen und in Ermangelung solcher Festsetzungen nach ihrem durchschnitt­ lichen Betrage während der drei letzten Kalenderjahre vor dem Jahre, in welchem die Pension festgesetzt wird, zur Anrechnung gebracht. 3) Bloß zufällige Diensteinkünfte, wie widerrufliche Tantieme, Kommissionsgebühren, außer­ ordentliche Remunerationen, Gratifikationen und dergleichen kommen nicht zur Berechnung. 4) Das gesammte zur Berechnung zu ziehende Diensteinkommen einer Stelle darf den Betrag des höchsten Normalgehalts derjenigen Dienstkategorie, zu welcher die Stelle gehört, nicht übersteigen. Ohne diese Beschränkung kommen jedoch solche Gehaltstheile oder Besoldungszulagen, welche zur Ausgleichung eines von dem betreffenden Beamten in früherer Stellung be­ zogenen Diensteinkommens demselben mit Pensionsberechtigung gewährt sind, zur vollen Anrechnung. 5) Wenn das nach den Bestimmungen dieses Paragraphen ermittelte Einkommen eines Be­ amten insgesammt mehr als 4000 Rthlr. beträgt, wird von dem überschießenden Betrag nur die Hälfte in Anrechnung gebracht. §. 11. Ein Beamter, welcher früher ein mit einem höheren Diensteinkommen verbundenes Amt bekleidet und dieses Einkommen wenigstens Ein Jahr lang bezogen hat, erhält, sofern der Eintritt oder die Versetzung in ein Amt von geringerem Diensteinkommen nicht lediglich auf seinen im eigenen Interesse gestellten Antrag erfolgt oder als Strafe auf Grund des §. 16. des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten u. s. w., vom 21. Juli

25) H. §. 8 in der Fassung des Abänderungsges. Art. I, wodurch nur die Pensions­ sätze anders bestimmt sind. 26) H. Die den Kreissteuereinnehmern für die Erhebung der Bank- und Domänen-Amortisationsrenten zugesicherte Tantieme ist bei deren Pensionirung als ein Theil des pensionsfähigen Diensteinkommens anzusehen, O.Tr. I v. 8. Dez. 1876. Str. Arch. 97 S. 75, Entsch. 79 S. 75. 26») Vgl. Ges. v. 12. Mai 1873 §. 6, Zus. 23 zu §. 85 d. T.

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Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

97 (Zusatz 32).

1852. (Gesetz-Samml. S. 465.), oder des §. 1. des Gesetzes, betreffend einige Abänderungen des Gesetzes über die Dienstvergehen der Richter vom 7. Mai 1851. u. s. w., vom 22. März 1856. (Gesetz-Samml. S. 201.) gegen ihn verhängt ist, bei seiner Versetzung in den Ruhestand eine nach Maßgabe des früheren höheren Diensteinkommens unter Berücksichtigung der gesanunten Dienstzeit berechnete Pension; jedoch soll die gesammte Pension das letzte pensionsberechtigte Diensteinkommen nicht übersteigen. §. 12. Das mit Nebenämtern oder Nebengeschäften verbundene Einkommen begründet nur dann einen Anspruch auf Pension, wenn eine etatsmäßige Stelle als Nebenamt bleibend ver­

liehen ist. §. 13. Die Dienstzeit wird vom Tage der Ableistung des Diensteides gerechnet. Kann jedoch ein Beamter Nachweisen, daß seine Vereidigung erst nach dem Zeitpunkte seines Eintritts in den Staatsdienst stattgefunden hat, so wird die Dienstzeit von diesem Zeitpunkte an ge­ rechnet. §. 14. Bei Berechnung der Dienstzeit kommt auch die Zeit in Anrechnung, während welcher ein Beamter: 1) unter Bezug von Wartegeld in einstweiligen Ruhestand nach Maßgabe der Vorschriften des Gesetzes vom 21. Juli 1852. §. 87. Nr. 2. (Gesetz-Samml. S. 465.), der Erlasse vom 14. Juni 1848. (Gesetz-Samml. S. 153.) und 24. Oktober 1848. (Gesetz-Samml. S. 338.) und der Verordnung vom 23. September 1867. §. 1. Nr. 4. (Gesetz-Samml. S. 1619.), oder 2) im Dienste des Norddeutschen Bundes oder des Deutschen Reichs sich befunden hat, oder 3) als anstellungsberechtigte ehemalige Militairperson nur vorläufig oder auf Probe im Eivildienste des Staats, des Norddeutschen Bundes oder des Deutschen Reichs beschäftigt worden ist, oder 4) eine praktische Beschäftigung außerhalb des Staatsdienstes ausübte, insofern und insoweit diese Beschäftigung vor Erlangung der Anstellung in einen: unmittelbaren Staatsamte Behufs der technischen Ausbildung in den Prüfungsvorschriften ausdrücklich angeordnet ist, oder 5) als Lehrer (§. 6.) das vorgeschriebene Probejahr abhielt. § . 15. Der Civildienstzeit wird die Zeit des aktiven Militairdienstes hinzugerechnet''). § . 16. Die Dienstzeit, welche vor den Beginn des ein und zwanzig st en27 28)29Lebensjahres fällt, bleibt außer Berechnung. Nur die in die Dauer eines Krieges fallende und bei einem inobilen oder Ersatztruppen­ theile abgeleistete Militairdienstzeit kommt ohne Rücksicht auf das Lebensalter zur Anrechnung. Als Kriegszeit gilt in dieser Beziehung die Zeit vom Tage einer angeordneten Mobil­ machung, aus welche ein Krieg folgt, bis zum Tage der Demobilmachung. § . 17. Für jeden Feldzug, an welchen: ein Beamter im Preußischen oder im Reichsheer oder in der Preußischen oder Kaiserlichen Marine derart Theil genon:n:en hat, daß er wirklich vor den Feind gekommen oder in dienstlicher Stellung den mobilen Truppen in das Feld gefolgt ist, wird demselben zu der wirklichen Dauer der Dienstzeit Ein Jahr zugerechnet. Ob eine militairische Unternehmung in dieser Beziehung als ein Feldzug anzusehen ist, und inwiefern bei Kriegen von längerer Dauer mehrere Kriegsjahre in Anrechnung kommen sollen, dafür ist die nach §. 23. des Reichsgesetzes von: 27. Juni 1871. (Reichsgesetzbl. S. 275.) in jedem Falle ergehende Bestimmung des Kaisers maßgebend "). Für die Vergangenheit bewendet es bei den hierüber durch Königliche Erlasse gegebenen Vorschriften.

27) H. seines Amtes aktiv gedient 28) H. 29) H. S. 133.

R.G. IV v. 28. Juni 1880, Entsch. 2 S. 292, auch dann, wenn der durch Urtheil entlassene, später aber wieder angestellte Beamte vor der Zeit seiner Verurtheilung hat. Fassung des Art. I. des Abänderungsges. Vergl. den Allerh. Erlaß v. 11. Febr. 1875 u. Reskr. v. 1. Juni 1875, J.M.Bl.

Von den Dienern des Staats.

Pensions-Gesetz.

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§. 18. Die Zeit a) eines Festungsarrestes von einjähriger und längerer Dauer, sowie b) der Kriegsgefangenschaft kann nur unter besonderen Umständen mit Königlicher Genehmigung angerechnet werden. §. 19. Mit Königlicher Genehmigung kann zukünftig bei der Anstellung nach Maßgabe der Bestimmungen in den §§. 13. bis 18. zugesichert und bei den jetzt bereits Angestellten an­ gerechnet werden: die Zeit, während welcher ein Beamter a) sei es im In- oder Auslande als Sachwalter oder Notar fungirt, im Gemeinde-, Kirchen- oder Schuldienste, inr ständischen Dienste, oder im Dienste einer landes­ herrlichen Haus- oder Hofverwaltung sich befunden, oder b) im Dienste eines fremden Staates gestanden hat; 2) die Zeit praktischer Beschäftigung außerhalb des Staatsdienstes, insofern und insoweit diese Beschäftigung vor Erlangung der Anstelluilg hi einen: unmittelbaren Staatsamte her­ kömmlich war. Die Anrechnung der unter 1. erwähnten Beschäftigung muß erfolgen bei denjenigen Be­ amten, welche mit den im Jahre 1866. erworbenen Landestheilen in den unmittelbaren Staats­ dienst übernommen worden sind, sofern dieselben auf diese Anrechnung nach den bis dahin für­ ste maßgebenden Pensionsvorschriften einen Rechtsanspruch hatten'^). 20. Zum Erweise der Dienstunfähigkeit eines seine Versetzung in den Ruhestand nach­ suchenden Beamten ist die Erklärung der demselben unmittelbar vorgesetzten Dienstbehörde er­ forderlich, daß sie nach pflichtmäßigem Ermessen den Beamten für unfähig halte, seine Amts­ pflichten ferner zu erfüllen'^). Inwieweit noch andere Beweismittel zu erfordern, oder der Erklärung der munittelbar vorgesetzten Behörde entgegen für ausreichend zu erachten sind, hängt von dem Ermessen der über die Versetzung in den Ruhestand entscheidenden Behörde ab. § . 21. Die Bestimmung darüber, ob und zu rvelchem Zeitpunkte dem Anträge eines Be­ amten auf Versetzung in den Ruhestand stattzugeben ist, erfolgt durch den Departenrents-Chef. Bei denjenigen Beamten, welche durch den König zu ihren Aemtern ernannt lvorden sind, ist die Genehmigung des Königs zur Versetzung in den Ruhestand erforderlich. § . 22. Die Entscheidung darüber, ob und welche Pension einen: Bemnten bei seiner Ver­ setzung in den Ruhestand zusteht, erfolgt durch den Departements-Ehef in Gemeinschaft mit dem Finanzminister. § . 23. Gegen diese Entscheidung (§. 22.) steht dem Beamten nur die Beschreitung des Rechtsweges nach Maßgabe des Gesetzes, betreffend die Erweiterung des Rechtsweges, vom 24. Mai 1861. (Gesetz-Samml. S. 241.) 3‘2) offen. § . 24. Die Versetzung in den Ruhestand tritt, sofern nicht auf den Antrag oder mit aus­ drücklicher Zustimnumg des Beantte:: ein früherer Zeitpunkt festgesetzt wird, mit dem Ablauf des Vierteljahres ein, welches auf den Monat folgt, in welchem dem Bemnten die Entscheidung über­ feine Versetzung in den Ruhestand und die Höhe der ihm etwa zustehenden Pension (§. 22.) bekannt gemacht worden ist. § . 25. Die Pensionen werden nwnatlich im Voraus gezahlt. § . 26. Das Recht auf den Bezug der Pension kann weder abgetreten noch verpfändet

1)

werden.

30) H. Ueber die Voraussetzungen, unter welchen der Eintritt eines Beamten in den Staatsdienst auch vor seiner Beeidigung anzunehmen und bei der Pensionirung zu berücksichtigen ist, s. O.Tr. V v. 27. Nov. 1877, Entsch. 81 S. 141. 31) H. Vgl. Cirk.Verf. betr. das Verfahren bei Vorbereitung der Pensionirung von Civilbeamten rc. v. 24. Sept. 1874, M.Bl. f. d. i. V. S. 249. 32) H. S. Zus. 21 zu 85 d. T.

120

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 97 (Zusatz 32).

In Ansehung der Beschlagnahme der Pensionen bleiben die bestehenden Bestimmungen in Kraft'™). §. 27. Das Recht auf den Bezug der Pension ruht: 1) wenn ein Pensionair das Deutsche Jndigenat verliert, bis zu etwaiger Wiedererlangung desselben"); 2) wenn und so lange ein Pensionair inr Reichs- oder Staatsdienste ein Diensteinkommen be­ zieht, insoweit als der Betrag dieses neuen Diensteinkommens unter Hinzurechnung der Pension den Betrag des von dem Beamten vor der Pensionirung bezogenen Tienstein­ kommens übersteigt'35 33).34

§. 28. Ein Pensionair, welcher in eine an sich zur Pension berechtigende Stellung des unmittelbaren Staatsdienstes wieder eingetreten ist (§. 27. Rr. 2.), erwirbt für den Fall des Zurücktretens in den Ruhestand den Anspruch auf Gewährung einer nach Maßgabe seiner nun­ mehrigen verlängerten Dienstzeit und des in der neuen Stellung bezogenen Diensteinkommens berechneten Pension nur dann, wenn die neu hinzutretende Dienstzeit wenigstens ein Jahr be­ tragen hat. Mit der Gewährung einer hiernach neu berechneten Pension fällt bis auf Höhe des Be­ trages derselben das Recht auf den Bezug der früher bezogenen Pension hinweg. Dasselbe gilt, wenn ein Pensionair im Deutschen Reichsdienste eine Pension erdient. §. 29. Die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Pension auf Grund der Be­ stimmungen in den §§. 27. und 28. tritt mit dein Beginn desjenigen Monats ein, welcher auf das, eine solche Veränderung nach sich ziehende Ereignis; folgt. Im Falle vorübergehender Beschäftigung im Reichs- oder im Staatsdienste gegen Tage­ gelder oder eine anderweite Entschädigung35 a) wird die Pension für die ersten sechs Monate dieser Beschäftigung unverkürzt, dagegen uüin siebenten Monate ab nur zu dem nach den vor­ stehenden Bestimmungen zulässigen Betrage gewährt. §. 30. Sucht ein nicht richterlicher Beamter, welcher das fünfund sechs­ zigste Lebensjahr vollendet hat, seine Versetzung in den Ruhestand nicht nach, so kann diese nach Anhörung des Beamten unter Beobachtung der Vor­ schriften der §§. 20 ff. dieses Gesetzes in der nänrlichen Weise verfügt werden, wie wenn der Beamte seine Pensionirung selbst beantragt hätte. Im Uebrigen behält es in Ansehung der unfreiwilligen Versetzung in den Ruhestand und des dabei stattfindenden Verfahrens bei den Bestimmungen in den §§. 56 bis 64 des Gesetzes, be­ treffend die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine

33) H. Vgl. jetzt C.P.O. §. 749. 34) H. Schon die Allerh. Erlasse v. 7. Jan. 1867, J.M.Bl. S. 78, und v. 20. März 1871, J.M.Bl. S. 110, hatten angeordnet, daß die Pensionäre innerhalb des Gebietes des Norddeutschen Bundes resp, des Deutschen Reichs ihren Wohnsitz haben dürfen, ohne eine Kürzung ihrer Pension, wie eine solche durch $. 28 des früheren Pensionsgesetzes vorgeschrieben war, befürchten zu müssen. Das gegenwärtige Gesetz enthält eine solche Beschränkung überhaupt nicht mehr und kann also jetzt der Pensionär auch seinen Wohnsitz im Auslande nehmen, nur darf er nicht das deutsche Jndigenat verlieren. 35) H. R.G. IV v. 29. Sept. 1881, Gruchot 26 S. 1116: Der 27 Nr. 1 findet auch Anwendung auf einen Beamten, welcher nach seiner Pensionirung bei einer unter Staats­ verwaltung stehenden Privateisenbahn angestellt ist und ein Gehalt vom Staate bezieht. Vgl. ferner Cirk. des Finanzministers und des Ministers d. Inn. v. 16. März u. 6. Sept. 1881, betr. die Berechnung des Werths der Dienstwohnung bei Ermittelung des Diensteinkommens eines wiederbeschäftigten Pensionärs zunr Zweck der Einbehaltung oder Kürzung der Pension, M.Bl. f. d. i. V. S. 78, 205. S. auch §. 29 dies. Ges. 35a) H. Nach dem im Einvernehmen mit der Ober-Nechnungs-Kammer von den Ministern der Finanzen und des Innern erlassenen Cirkular v. 19. Aug. 1880, M.Bl. f. d. i. V. S. 200, liegt dieser Fall vor, wenn ein Pensionär bei seiner zur Befriedigung eines vorübergehenden Be­ dürfnisses angeordneten Wiederbeschäftigung solche Dienstverrichtungen wahrzunehmen hat, wie sie im Fall dauernden Bedürfnisses fest angestellten Reichs- oder Staatsbeamten übertragen zu werden pflegen.

andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 7. Mai 1851 (Gesetz-Samml. S. 218) und in den §§. 88 bis 93 des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 21. Juli 1852 (GesetzSamml. S. 465) sein Bewenden ^). Wird hiernach gemäß §. 90. des letzterwähnten Gesetzes von dem Rechtsmittel des Rekurses an das Staatsministerium ÖZebrauch gemacht, so läuft die sechsmonatliche Frist zur Anstellung der Klage wegen unrichtiger Festsetzung des Pensionsbetrages (§. 2. des Gesetzes, betreffend die Erweiterung des Rechtsweges, vom 24. Mai 1861., Gesetz - Samml. S. 241.) erst von den: Tage, an welchem denl Beamten die Entscheidung des Staatsininisteriuins bekannt gemacht ist.

§ 31. Hinterläßt ein Pensionair eine Wittrve oder eheliche Rachkommen, so wird die Pension noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat gezahlt. An wen die Zahlung erfolgt, bestimmt die Provinzialbehörde, auf deren Etat die Pension übernommen war. Die Zahlung der Pension für den auf den Sterbemonat folgenden Monat kann auf Ver­ fügung dieser Behörde auch dam: stattfinden, wenn der Verstorbene Eltern, Geschwister, Ge­ schwisterkinder oder Pflegekinder, deren Ernährer er ge^vesen ist, in Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn der "Rachlaß nicht ausreicht, um die Kosten der letzten Krankheit und der Beerdigung zu decken. Der über den Sterbemonat hinaus genmhrte eimnonatliche Betrag der Pension kann nicht Gegenstand einer Beschlagnahme sein. §. 32. Ist die nach Maßgabe dieses Gesetzes bemessene Pension geringer als die Pension, rvelche dem Beamten hätte gewährt iverden müssen, wenn er am 31. März 1872. nach den bis dahin für ihn geltenden Bestimmungen pensionirt worden wäre, so wird diese letztere Pension an Stelle der ersteren bewilligt.

§. 33. Den in Folge der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit aus dem Privat­ gerichtsdienst in den ilnmittelbaren Staatsdienst übernommenen oder bereits vor dieser Aufhebung in den unmittelbaren Staatsdienst übergegangenen Beamten wird die Zeit deö Privatgerichts­ dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes angerechnet. Den vormals Schleswig-Holsteinischen Beainten wird die Zeit, welche sie als beeidigte Sekretaire oder Volontaire bei den Oberbeamten zugebracht haben, bei Feststellung ihrer Dienst­ zeit mit angerechnet. §. 34. Die Zeit, während welcher ein Beamter in den neu erworbenen Landestheilen oder ein mit einem solchen Landestheile übernommener Beanrter auch in einen: anderen Theile des Landes, welchem seine Heimath vor der Vereinigung mit Preußen angehört hat, im un­ mittelbaren Dienste der damaligen Landesherrschaft gestanden hat, wird in allen Fällen bei der Pensionirung nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes in Anrechnung gebracht. §. 35. Hinsichtlich der Hohenzollernschen, in den Preußischen Staatsdienst übernommenen Beamten bleiben die Bestimmungen unter Nr. 2. und 3. des Erlasses vom 26. August 1854. (Gesetz-Samml. 1855. S. 33.) in Kraft. §. 36. Zusicherungen, welche in Bezug auf dereinstige Bewilligung von Pensionen an einzelne Beamte oder Kategorien von Beamten durch den König oder einen der Minister gemacht worden sind, bleiben in Kraft. Doch finden auf Beamte, hinsichtlich deren durch Staatsverträge die Bewilligung von Pensionen nach den Griurdsätzen fremdländischer Pensionsbestimmungen zugesichert worden ist, die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes insoweit Anwendung, als sie für die Beamten günstiger sind. §. 37. Die im §. 79. des Gesetzes, betreffend die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 14. April 1869. (Gesetz-Samml. S. 589.) festgestellte

36) H. Diese Absätze in der Fassung des Abänderungsges. Art. I.

122

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 97 (Zusätze 33 und 34).

Verpflichtung der Staatskasse zur antheiligen Uebernahme der Pensionen städtischer Beamten wird durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt. §. 38. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. April 1872. in Kraft. Mit diesem Zeit­ punkte treten, soweit nicht durch §. 32. Ausnahmen bedingt lverden, alle den Vorschriften dieses Gesetzes entgegenstehenden Bestimmungen, insbesondere das Pensionsreglement für die CivilStaatsdiener vom 30. April 1825. und die dasselbe ergänzenden, erläuternden und abändernden Bestimmungen außer Krafts). Wo in den bestehenden Gesetzen und Verordnungen auf die­ selben Bezug genommen wird, kommen die Bestinrnlllngen des gegenwärtigen Gesetzes zur An­ wendung. Urkundlich re. 33. Gesetz, betreffend die A b ä n d e r u n g des P e n s i o n s g e s e tz e s v o m 2 7. März 1872. Vom 31. Mürz 1882. (G.S. S. 133.) Artikel I. An die Stelle des tz. 1 Absatz 3, des tz. 8, des tz. 16 Absatz 1 und des tz. 30 Absatz 1 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Gesetz - Samml. S. 268) treten folgende Vorschriften^).

Artikel II. Ist die nach Maßgabe dieses Gesetzes beniessene Pension geringer als die Pension, welche dem Beamten hätte gewährt werden müssen, wenn er anr 31. März 1882 nach den bis dahin für ihn geltenden Bestimmungen pensionirt ivorden wäre, so wird diese letztere Pension an Stelle der ersteren bewilligt. Artikel III. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden ausschließlich Anwendung auf un­ mittelbare Staatsbeamte und die in dem zweiten Absätze des tz. 6 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 genannten Lehrer und Beamten. Artikel IV. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit denr 1. April 1882 in Kraft. Urkundlich re. 34. Gesetz, betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Reichsbeamten der Civilverwaltung. Vorn 20. April 1881. (R.G.Bl. S. 85.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen re. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

37) H. Die K.O. v. 27. April 1816 wegen der Hinterbliebenen Königl. Beamten zu bewilligenden Gnaden- und Sterbequartale ist in Nr. 1 und 2 ersetzt.durch das als Zus. 28 zu tz. 85 d. T. mitgetheilte Ges. v. 6. Febr. 1881 tz. 2. Eine Gnadenbewilligung steht, wie demnächst die K.O. v. 15. Nov. 1819, G.S. 1820 S. 45, bestimmte, der Regel nach nur der Wittwe, den Kindern und Enkeln des Verstorbenen ohne Rücksicht darauf zu, ob sie dessen Erben sind oder nicht, und zwar mit der Maßgabe, daß darauf kein Gläubiger des Verstorbenen einen Anspruch hat. Die Minister sind aber berechtigt, im Falle der Erblasser der Ernährer arnrer Aeltern, Geschwister, Geschwisterkinder oder Pflege­ kinder gewesen ist, ausnahmsweise denselben das Gnadengehalt anzuweisen, und sind dieselben auch befugt, in diesem Falle die Vertheilung unter den Hinterbliebenen zu reguliren. H. Dazu tritt jetzt noch die Vorschrift des tz. 3 des eit. Gesetzes. Der Allerh. Erlaß v. 18. April 1855 (J.M.Bl. S. 166 u. M.Bl. f. d. i. V. S. 113) bewilligt die Sterbe- und Gnadengehälter auch den Hinterbliebenen derjenigen Beamten, welche nicht zu den etatsmäßigen gehören, sondern nur als Hülfsarbeiter, oder als Hülfsschreiber fixirte Re­ muneration beziehen. Bezüglich des Gnadengehaltes für die Hinterbliebenen der Kommunal­ beamten vergl. die K.O. v. 22. Jan. 1826, G.S. S. 13. Durch die letztere werden die Kommunalbeamten den Staatsbeamten völlig gleichgestellt. Zur Auslegung und Anwendung der Bestimmungen wegen Zahlung der Gnadengehälter ist die Jnstr. des Just.Min. v. 26. Nov. 1832 ergangen, v. Kamptz, Jahrb. 40 S. 447 u. folg. Uebrigens sind die Hinterbliebenen eines pensionirten Bemnten berechtigt, ihren Anspruch auf Bewilligung des Gnadenmonats, falls ihnen derselbe bestritten wird, im Rechtswege geltend zu machen. Erk. des Komp.Gerichtsh. v. 14. Mai 1870, J.M.Bl. S. 270. 37a ) H. S. die Anmerkungen zu den angeführten tztz. im vorhergehenden Zusatz.

Gesetz, betr. die Fürsorge für Wittwen und Waisen der Reichsbeamten.

123

1. Beamte der Civilvermaltnng, welche Diensteinkommen oder Wartegeld aus der Reichskasse beziehen und welchen beim Eintritt der Voraussetzungen der Versetzung in den Ruhe­ stand nach Erfüllung der erforderlichen Dienstzeit Pension aus der Reichskasse gebühren würde, sowie in den Ruhestand versetzte Beanrte der Eivilverwaltung, welche kraft gesetzlichen Anspruchs oder auf Grund des §. 39 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 (Reichs - Gesetzbl. S. 61) lebenslängliche Pension aus der Reichskasse beziehen, sind verpflichtet, Wittwen- und Waisengeldbeiträge zur Reichskasse zu entrichten. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht auf solche Beanite, welche nur nebenamtlich im Reichsdienft angestellt sind. §. 2. Von dein den Hinterbliebenen eines zur Entrichtung von Wittiven- und Waisen­ geldbeiträgen verpflichteten Beamten nach den §§. 7, 8, 31 und 69 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 gebührenden oder bewilligten Betrage des vierteljährlichen Gehalts oder Wartegelds beziehungsweise der einmonatlichen Pensioir des Verstorbenen sind die Wittwenund Waisengeldbeiträge gleichfalls zu entrichten. §. 3. Die Wittwen- und Waisengeldbeiträge betragen jährlich 3 Prozent des pensions­ fähigen Diensteinkommens, des Wartegeldes oder der Pension mit der Maßgabe, daß der die Jahressumme von 9000 Mark des pensionsfühigen Diensteinkommens oder Wartegeldes und von 5 000 Mark der Pension übersteigende Betrag nicht beitragspflichtig ist. §. 4. Die Wittwen- und Waisengeldbeiträge werden in denjenigen DHeilbeträgen, in welchen das Diensteinkomnien, das Wartegeld oder die Pensioil zahlbar ist, durch Einbehaltung eines entsprechenden Theiles dieser Bezüge erhoben. Der einzubehaltende Theil ist weder der Pfändung unterworfen, noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem Betrage die Bezüge der Pfändung unterliegen, zu berechnen. £. 5. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Wittwen- und Waisengeldbeiträge erlischt: 1. mit dem Tode des Beamten, vorbehaltlich der im 2 getroffenen Bestimmungen; 2. wenn der Beamte ohne Pension aus dem Dienste scheidet, oder mit Belassung eines Theiles derselben aus dem Dienste entlassen wird; 3. wenn der Beamte in den Ruhestand versetzt wird und ihm auf Grund des §. 39 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 eine Pension auf bestimmte Zeit bewilligt ist; 4. für den Beamten, welcher weder verheirathet ist, noch unverheirathete eheliche oder durch nachgefolgte Ehe legitimirte Kinder unter 18 Jahren besitzt, mit dem Zeitpunkte der Ver­ setzung in den Ruhestand; 5. für den pensionirten Beamten mit dein Ablauf desjenigen Monats, in welchem die unter Ziffer 4 bezeichnete Voraussetzung zutrifft. Durch eine nach der Pensionirung geschlossene Ehe oder durch das Vorhandensein von Kindern aus einer solchen wird das Erlöschen der Verpflichtilng nicht gehindert. § . 6. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes pensionirten Beanrten, welche weder verheirathet sind, noch ruwerheirathete eheliche oder durch nachgefolgte Ehe legitimirte Kinder unter 18 Jahren besitzen, sind von Entrichtung der Wittwen- und Waisengeldbeiträge befreit. Eine nach der Pensionirung geschlossene Ehe sowie Kinder aus einer solchen kommen hierbei

nicht in Betracht. § . 7. Die Wittwe und die Hinterbliebenen ehelichen oder durch nachgefolgte Ehe legitinrirten Kinder eines zur Zeit seines Todes zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbei­ trägen verpflichteten Beamten erhalten aus der Reichskasse Wittwen- und Waisengeld nach Maß­ gabe der nachfolgenden Bestimmimgen. § . 8. Das Wittwengeld besteht in dem dritten Theile derjenigen Pension, zu welcher der

Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre. Das Wittwengeld soll jedoch, vorbehaltlich der im §. 10 verordneten Beschränkung, mindestens 160 Mark betragen und 1600 Mark nicht übersteigen. § . 9. Das Waisengeld beträgt:

124 1. für Kinder, Wittwengeld 2. für Kinder, Bezüge von Kind.

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 97 (Zusatz 35).

deren Mutter lebt und zur Zeit des Todes des Beamten zum Bezüge von berechtigt war, ein Fünftel des Wittwengeldes für jedes Kind; deren Mutter nicht mehr lebt oder zur Zeit des Todes des Beamten zum Wittwengeld nicht berechtigt war, ein Drittel des Wittwengeldes für jedes

§ . 10. Wittwen- und Waisengeld dürfen weder einzeln noch zusammen den Betrag der Pension übersteigen, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre. Bei Anwendung dieser Beschränkung werden das Wittwen- und das Waisengeld verhältnißmäßig gekürzt. § . 11. Bei den: Ausscheiden eines Wittwen- oder Waisengeldberechtigten erhöht sich das Wittwen- oder Waisengeld der verbleibenden Berechtigten von dem nächstfolgenden Monat an insoweit, als sie sich noch nicht im vollen Genuß der ihnen nach den §§. 8. bis 10. gebühren­ den Beträge befinden. § . 12. War die Wittwe mehr als 15 Jahre jünger als der Verstorbene, so wird das nach Maßgabe der §§. 8 und 10 berechnete Wittwengeld für jedes angefangene Jahr des Alters­ unterschiedes über 15 bis einschließlich 25 Jahre um 1'20 gekürzt. Auf den nach §. 9 zu berechnenden Betrag des Waisengeldes sind diese Kürzungen des Wittwengeldes ohne Einfluß. § . 13. Keinen Anspruch auf Wittwengeld hat die Wittwe, wenn die Ehe mit dem ver­ storbenen Beamten innerhalb dreier Monate vor seinem Ableben geschlossen und die Eheschließung zu dem Zwecke erfolgt ist, um der Wittwe den Bezug des Wittwengeldes zu verschaffen. Keinen Anspruch auf Wittwen- und Waisengeld haben die Wittive und die Hinterbliebenen Kinder eines pensionirten Beamten aus solcher Ehe, welche erst nach der Versetzung des Beamten in den Ruhestand geschlossen ist. § . 14. Stirbt ein zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteter Beamter, welchem, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre, auf Grund des §. 39 des Reichsbeamtengesetzes von: 31. März 1873 eine Pension hätte bewilligt werden können, so kann der Wittwe und den Waisen desselben Wittwen- und Waisengeld durch den Reichskanzler bewilligt werden. Stirbt ein zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteter Beamter, welchem nach §§. 50 und 52 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 im Falle seiner Versetzung in den Ruhestand die Anrechnung gewisser Zeiten auf die in Betracht kommende Dienstzeit hätte bewilligt werden können, so ist der Reichskanzler befugt, eine solche Anrechnung auch bei Festsetzung des Wittwen- und Waisengeldes zuzulassen. § . 15. Die Zahlung des Wittwen- und Waisengeldes beginnt mit dem Ablauf des Gnaden­ quartals oder des Gnadenmonats. §. 16. Das Wittwen- und Waisengeld wird monatlich im voraus gezahlt. An wen die Zahlung gültig zu leisten ist, bestimmt die oberste Reichsbehörde, welche die Befugniß zu solcher Bestimmung auf die höhere Reichsbehörde übertragen kann. Nicht abgehobene Theilbeträge des Wittrven- und Waisengeldes verjähren binnen vier Jahren, vom Tage ihrer Fälligkeit an gerechnet, zum Vortheil der Reichskasse. §. 17. Das Wittwen- und Waisengeld kann mit rechtlicher Wirkung weder abgetreten, noch verpfändet oder sonst übertragen werden. §. 18. Das Recht auf den Bezug des Wittwen- und Waisengeldes erlischt: 1. für jeden Berechtigten mit dem Ablauf des Monats, in welchem er sich verheirathet oder stirbt; 2. für jede Waise außerdem mit dem Ablauf des Monats, in welchem sie das 18. Lebens­ jahr vollendet. §. 19. Das Recht auf den Bezug des Wittwen- und Waisengeldes ruht, wenn der Be­ rechtigte das deutsche Jndigenat verliert, bis zur etwaigen Wiedererlangung desselben.

Gesetz, betr. die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten.

125

20. Mit den aus §. 14 sich ergebenden Maßgaben erfolgt die Bestimmung darüber, ob und welches Wittwen- und Waisengeld der Wittwe und den Waisen eines Beanrten zusteht, durch die oberste Reichsbehörde, welche die Befugniß zu solcher Bestimmung auf die höhere Reichsbehörde übertragen kann.

§. 21. Das den Hinterbliebenen eines Beamten zu bewilligende Wittwen- oder Waisen­ geld darf nicht hinter demjenigen Betrage zurückbleiben, welcher denselben nach den bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes für sie geltenden Bestimmungen aus der Reichskasse hätte gewährt werden müssen, wenn der Beamte vor diesem Zeitpunkte gestorben lväre. §. 22. Beamte, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes Wittwen- und Waisengeld­ beiträge zu entrichten haben, sind nicht verpflichtet, einer Militär- oder Landesbeamten-Wittwenkasse oder der sonstigen Veranstaltung eines Bundesstaates zur Versorgung der Hinterbliebenen von Beamten beizutreten.

23. Diejenigen nach §. 1 zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteten Beamten, welche Mitglieder einer der im §. 22 bezeichneten Landesanstalten und derselben nicht erst nach der Verkündung dieses Gesetzes beigetreten sind, bleiben, wenn sie binnen drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes durch eine schriftliche Erklärung für ihre etwaigen künftigen Hinterbliebenen auf das in den §§. 7 ff. bestimmte Wittwen- und Waisengeld verzichten, von Entrichtung der im §. 3 bestimmten Wittwen- und Waisengeldbei­ träge befreit. Andernfalls sind sie berechtigt, aus der Landesanstalt auszuscheiden. g. 24. Diejenigen nach g. 1 zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteten Beamten, welche vor der Verkündung dieses Gesetzes und während sie im Dienste des Norddeutschen Bundes oder des Reichs befindlich waren, auf ihren Todesfall ihren Ehe­ frauen oder Kindern eine Leibrente oder ein Kapital oder ihren gesetzlichen Erben ein Kapital bei einer Privat-Versicherungsgesellschaft versichert haben, können, falls diese Versicherung zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch besteht, und wenn sie binnen drei Monaten nach diesem Zeitpunkte durch eine schriftliche Erklärung für ihre etwaigen künftigen Hinterbliebenen auf das in den gg. 7 ff. bestimmte Wittwen- und Waisengeld verzichten, durch die oberste Reichsbehvrde oder die von derselben ermächtigte höhere Reichsbehörde von Entrichtung der Wittwenund Waisengeldbeiträge befreit werden. Die näheren Voraussetzungen, unter denen eine solche Befreiung zulässig, sowie die Be­ dingungen, von welchen dieselbe abhängig zu machen ist, bestimmt der Reichskanzler.

§. 25. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1881 in Kraft. Urkundlich re. 35.

Gesetz, betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der

unmittelbaren Staatsbeamten.

Vom 20. Mai 188238).

(G.S. S. 298.)

g. 1. Unmittelbare Staatsbeamte, welche Diensteinkommen oder Wartegeld aus der Staats­ kasse beziehen und welchen beim Eintritt der Voraussetzungen der Versetzung in den Ruhestand nach Erfüllung der erforderlichen Dienstzeit Pension aus der Staatskasse gebühren würde, sowie in den Ruhestand versetzte unmittelbare Staatsbeamte, welche kraft gesetzlichen Anspruchs oder auf Grund des §. 7 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Gesetz - Samml. S. 268) lebens­ längliche Pension aus der Staatskasse beziehen, sind verpflichtet, Wittwen- und Waisengeldbeiträge

zur Staatskasse zu entrichten. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht auf 1) Beamte, denen ein Pensionsanspruch nur auf Grund der Vorschrift in dem zweiten Absätze des §. 3 der Verordnung vom 6. Mai 1867 (Gesetz-Samml. S. 713) zusteht; 2) Bramte, welche nur nebenamtlich im Staatsdienst angestellt sind;

38) H. Vgl. die dazu ergangenen allgemeinen Ausführungsbestimmungen v. 10. Juni 1882 im M.Bl. f. d. i. V. S. 99 ff., vgl. ferner a. a. O. S. 171 ff.

126

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

£. 97 (Zusatz 35).

diejenigen Beamten, welche nur auf Grund des §. 79 des Gesetzes, betreffend die Ver­ fassung und Verwaltung der Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 14. April 1869 (Gesetz - Samml. S. 589) ein Einkommen aus der Staatskasse beziehen; 4) die mit Bewilligung von Wartegeld oder Pension aus einer der unter Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Stellungen ausgeschiedenen, soivie diejenigen Beamten, welche nur auf Grund einer nach dem ersten Absatz des §. 36 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 in Kraft gebliebenen Zusicherung eine Pension aus der Staatskasse beziehen.

3)

§ . 2. Von dem den Hinterbliebenen eines zur Entrichtung von Wittwen- und Waisen­ geldbeitrügen verpflichteten Beamten nach der Kabinetsorder von: 27. April 1816 (Gesetz-Samml. S. 134), dem Gesetze vom 6. Februar 1881, betreffend die Zahlung der Beamtengehülter und Bestimmungen über das Gnadenquartal (Gesetz-Samml. S. 17), sowie dem §.31 des Pensions­ gesetzes vom 27. Mürz 1872 gebührenden oder bewilligten Betrage des vierteljährlichen Gehalts oder Wartegeldes beziehungsweise der einmonatlichen Pension des Verstorbenen sind die Wittwenund Waisengeldbeiträge gleichfalls zu entrichten.

§ . 3. Die Wittwen- und Waisengeldbeiträge betragen jährlich 3 Prozent des pensions­ fähigen Diensteinkommens, des Wartegeldes oder der Pension mit der Maßgabe, daß der die Jahressumme von 9 000 Mark des pensionsfähigen Diensteinkommens oder Wartegeldes und von 5000 Mark der Pension übersteigende Betrag nicht beitragspflichtig ist. § . 4. Die Wittwen- und Waisengeldbeitrüge iverden in denjenigen Theilbeitrügen erhoben, in welchen das Diensteinkommen, das Wartegeld oder die Pension zahlbar ist. Die Erhebung erfolgt durch Einbehaltung eines entsprechenden Theils dieser Bezüge, wenn und insoweit die­ selben zur Deckung der Beiträge ausreichen. Andernfalls sind letztere vierteljährlich im Voraus an die Staatskasse einzuzahlen. § . 5. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Wittwen- unb Waisengeldbeiträge erlischt: 1) mit dem Tode des Beamten, vorbehaltlich der im §. 2 getroffenen Bestimmungen; 2) wenn der Beamte ohne Pension aus dem Dienste scheidet oder mit Belassung eines Theiles derselben aus dem Dienste entlassen wird; 3) wenn der Beamte in den Ruhestand versetzt und ihm auf Grund des §. 7 des Pensions­ gesetzes vom 27. März 1872 eine Pension auf bestimmte Zeit bewilligt ist; 4) für den Beamten, welcher weder verheirathet ist, noch unverheirathete eheliche oder durch nachgefolgte Ehe legitimirte Kinder unter 18 Jahren besitzt, mit dem Zeitpunkte der Ver­ setzung in den Ruhestand; 5) für den pensionirten Beamten mit dem Ablauf desjenigen Monats, in welchem die unter Ziffer 4 bezeichnete Voraussetzung zutrifft. Durch eine nach der Pensionirung geschlossene Ehe oder durch das Vorhandensein von Kindern aus einer solchen wird das Erlöschen der Verpflichtung nicht gehindert. § . 6. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes pensionirten Beamten, welche weder verheirathet sind, noch unverheirathete eheliche oder durch nachgefolgte Ehe legitimirte Kinder unter 18 Jahren besitzen, sind von Entrichtung der Wittwen- und Waisengeldbeiträge befreit. Eine nach der Pensionirung geschlossene Ehe, sowie Kinder aus einer solchen kommen hierbei nicht in Betracht.

§ . 7. Die Wittwe und die Hinterbliebenen ehelichen oder durch nachgefolgte Ehe legitimirten Kinder eines zur Zeit seines Todes zur Entrichtiuig von Wittwen- und Waisengeldbei­ trägen verpflichteten Beamten erhalten aus der Staatskasse Wittwen- und Waisengeld nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen.

§ . 8. Das Wittwengeld besteht in dem dritten Theile derjenigen Pension, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre. Das Wittwengeld soll jedoch, vorbehaltlich der im §. 10 verordneten Beschränkung, min­ destens 160 Mart betragen und 1 600 Mark nicht übersteigen.

Gesetz, bete, die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten.

] 27

§. 9. Das Waisengeld beträgt: für Kinder, deren Mutter lebt und zur Zeit des Todes des Beamten zum Bezüge von Wittwengeld berechtigt war, ein Fünftel des Witwengeldes für jedes Kind; 2) für Kinder, deren Mutter nicht mehr lebt oder zur Zeit des Todes des Beamten zum Bezüge von Wittwengeld nicht berechtigt war, ein Drittel des Witwengeldes für jedes Kind. § . 10. Wittwen- und Waisengeld dürfen weder einzeln noch zusammen den Betrag der Pension übersteigen, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre. Bei Anwendung dieser Beschränkung werden das Witwen- und das Waisengeld verhältnißmüßig gekürzt. § . 11. Bei dein Ausscheiden eines Witwen- und Waisengeldberechtigten erhöht sich das Witwen- oder Waisengeld der verbleibenden Berechtigten von dem nächstfolgenden Monat an insoweit, als sie sich noch nicht im vollen Genuß der ihnen nach den £§. 8 bis 10 gebührenden Betrüge befinden. tz. 12. War die Witwe mehr als 15 Jahre jünger als der Verstorbene, so wird das nach Maßgabe der §§. 8 und 10 berechnete Wittwengeld für jedes angefangene Jahr des Altersunterschiedes über 15 bis einschließlich 25 Jahre um Vjo gekürzt. Aus den nach §. 9 zu berechnenden Betrag des Waisengeldes sind diese Kürzungen des Wittwengeldes ohne Einfluß. § . 13. Keinen Anspruch auf Wittwengeld hat die Wittwe, wenn die Ehe mit den: ver­ storbenen Beamten innerhalb dreier Monate vor seinen: Ableben geschlossen und die Eheschließung zu dem Zwecke erfolgt ist, um der Witwe den Bezug des Wittwengeldes zu verschaffen. Keinen Anspruch auf Witwen- und Waisengeld haben die Witwe und die Hinterbliebenen Kinder eines pensionirten Beamten aus solcher Ehe, welche erst nach der Versetzung des Beamten in den Ruhestand geschlossen ist.

1)

§ . 14. Stirbt ein zur Entrichtung von Witwen- und Waisengeldbeiträgen, verpflichteter Beamter, welchem, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt wäre, auf Grund des §. 7 des Pensionsgesetzes von: 27. März 1872 eine Pension hätte bewilligt werden können, so kann der Wittwe und den Waisen desselben von dem Departementschef in Gemeinschaft mit dem Finanzminister Witwen- und Waisengeld bewilligt werden. Stirbt ein zur Entrichtung von Witwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteter Beamter, welchem nach den §§. 18 und 19 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 im Falle seiner Versetzung in den Ruhestand die Anrechnung gewisser Zeiten auf die in Betracht kommende Dienstzeit hätte bewilligt werden können, so ist der Departementschef in Gemeinschaft mit dem Finanzminister befugt, eine solche Anrechnung auch bei Festsetzung des Wittwen- und Waisen­

geldes zuzulassen. § . 15. Die Zahlung des Wittwen- und Waisengeldes beginnt mit dem Ablauf des Gnaden­ quartals oder des Gnadenmonats. § . 16. Das Wittwen- und Waisengeld wird monatlich im Voraus gezahlt. An wen die Zahlung gültig zu leisten ist, bestimmt der Departementschef, welcher die Befugniß zu solcher

Bestimmung auf die Provinzialbehörde übertragen kann. Richt abgehobene Theilbetrüge des Wittwen- und Waisengeldes verjähren binnen vier Jahren, vom Tage ihrer Fälligkeit an gerechnet, zum Vortheile der Staatskasse. §. 17. Das Wittwen- und Waisengeld kann mit rechtlicher Wirkung weder abgetreten noch verpfändet oder sonst übertragen werden. § 18. Das Recht auf den Bezug des Wittwen- und Waisengeldes erlischt:

für jeden Berechtigten mit dem Ablauf des Monats, in welchem er sich verheirathet oder stirbt; 2) für jede Waise außerdem mit dem Ablauf des Monats, in welchem sie das 18. Lebensjahr vollendet. 1)

128

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 98—101 (Zusatz 36).

§ . 19. Das Recht auf den Bezug des Wittwen- und Waisengeldes ruht, wenn der Be­ rechtigte das Deutsche Jndigenat verliert, bis zur etwaigen Wiedererlangung desselben. § . 20. Mit den aus §. 14 sich ergebenden Maßgaben erfolgt die Bestimmung darüber, ob und welches Wittwen- und Waisengeld der Wittwe und den Waisen eines Beamten zusteht, durch den Departementschef, welcher die Befugnis; zu solcher Bestimmung auf die Provinzial­ behörde übertragen kann. Die Beschreitung des Rechtsweges steht den Vetheiligten offen, doch muß die Entscheidung des Departementschefs der Klage vorhergehen und letztere sodann bei Verlust des Klagerechts innerhalb sechs Monaten, nachdem den Betheiligten die Entscheidung des Departementschefs bekannt gemacht worden, erhoben werden. § . 21. Die Vorschriften 1) der §§. 10 und 12 des Dänischen Pensionsgesetzes vom 24. Februar 1858, 2) des dritten Theils des Kurhessischen Staatsdienstgesetzes vorn 8. März 1831, 3) der §§. 28 ff. des Staatsdie,;eredikts für das Fürstcnthum Hohenzollern-Signmringen vom 20. August 1831 und der §§. 26 ff. der Dienstpragmatik für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen vom 11. Oktober 1843 treten für die Hinterbliebenen derjenigen Beaurten, welche auf Grund des §. 23 Absatz 1 dieses Gesetzes aus der Landesanstalt, der sie seither angehörten, ausscheiden, mit der Maßgabe außer Kraft, daß das denselben zu bewilligende Wittwen- oder Wnisengeld nicht hinter demjenigen Betrage zurückbleiben darf, welcher ihnen nach den vorstehend unter Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Vorschriften aus der Staatskasse hätte bewilligt werden müssen. §. 22. Der Beitritt zu der allgemeinen Wittwenverpflegungsanstalt ist den nach §. 1 zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen verpflichteten Beamten, sowie den Beainten des Deutschen Reichs nicht ferner gestattet. §. 23. Diejenigen nach §. 1 zur Entrichtung von Wittwen- und Waisengeldbeiträgen ver­ pflichteten Beamten, welche Mitglieder einer Militär- oder Staatsbeanrten-Wittwenkasse oder einer sonstigen Veranstaltung des Staats zur Versorgung der Hinterbliebenen von Beamten und derselben nicht erst nach der Verkündigung dieses Gesetzes beigetreten sind, bleiben, wenn sie binnen drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes durch eine schriftliche Erklärung für ihre etwaigen künftigen Hinterbliebenen auf das in den §§. 7 ff. bestimmte Wittwen- und Waisengeld verzichten, von Entrichtung der im §. 3 bestimmten Wittwen- und Waisengeldbei­ trüge befreit. Andernfalls sind sie berechtigt, aus der Landesanstalt auszuscheiden. Diese Bestimmungen finden sinngemäße Anwendung auf die Vtitglieder der Beanrtenpensionskassen bei den vom Staate erworbenen Privateisenbahnen einschließlich der Unterstützungs­ kasse der Angestellten der Eöln-Mindener Eisenbahn, ferner der Berliner allgemeinen Wittwenpensions- und Unterstützungskasse, sowie auf diejenigen Beamten, welche wegen ihrer Angehörigkeit zu einer anderen Privatversicherungsgesellschaft von der ihnen sonst obliegenden Verpflichtung zur Theilnahme an einer der im ersten Absatz bezeichneten Anstalten entbunden oder nach An­ ordnung ihrer vorgesetzten Behörde zum Zwecke der Versorgung ihrer Ehefrau für den Fall ihres Todes einer Privatversicherungsgesellschaft beigetreten und noch zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes Mitglieder der Gesellschaft sind. §. 24. Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1882 in Kraft. Urkundlich re.

§. 98. Kein Vorgesetzter oder DepartementS-Chef kann einen Civilbedienten, wider seinen Willen, einseitig entsetzen oder verabschieden. §§. 99-101. Fallen weg 39) H. S. die folgenden Zusätze. Die §§. lauteten: 99. Vielmehr muß er, wenn die Verabschiedung nöthig befunden wird, den Beaurten mit seiner Erklärurrg oder Verantwortung darüber ordnungsmäßig hören, und die Sache zum Vortrage im versammelten Staatsrathe be­ fördern. §. 100. Was dieser durch die Mehrheit der Stimmen beschließt, dabei hat es lediglich

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten re.

129

36. Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand. Vom 21. Juli 1852. (G.S. S. 465.)39») Wir Friedrich Wilhelm rc. verordnen, mit Zustimmung der Kammern, was folgt: §. 1. Das gegenwärtige Gesetz findet unter den darin ausdrücklich gemachten Beschränkungen auf alle in unmittelbarem oder mittelbaren: Staatsdienste stehenden Beamten^9) Anwendung, die nicht unter die Bestimmungen des die Richter betreffenden Gesetzes vom 7. Mai 1851. fallen. Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen über Dienstvergehen und deren Bestrafung.

§. 2. Ein Beamter, welcher die Pflichten verletzt, die ihn: sein Amt auferlegt, oder 2) sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt, unterliegt den Vorschriften dieses Gesetzes. § . 3. Ist eine der unter §. 2. fallenden Handlungen (Dienstvergehen) zugleich in den ge­ meinen Strafgesetzen vorgesehen, so können die durch dieselben angedrohten Strafen nur auf Grund des gewöhnlichen Strafverfahrens von denjenigen Gerichten ausgesprochen werden, welche für die gewöhnlichen Strafsachen zuständig finb10a). § . 4. In: Laufe einer gerichtlichen Untersuchung darf gegen den Angeschuldigten ein Dis­ ziplinarverfahren wegen der nämlichen Thatsachen nicht eingeleitet werden. Wenn im Laufe eines Disziplinarverfahrens wegen der nämlichen Thatsachen eine gericht­ liche Untersuchung gegen den Angeschuldigten eröffnet wird, so muß das Disziplinarverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des gerichtlichen Verfahrens ausgesetzt werden. § . 5. Wenn von den gewöhnlichen Strafgerichten auf Freisprechung erkannt ist41), so findet wegen derjenigen Thatsachen, welche in der gerichtlichen Untersuchung zur Erörterung ge­ kommen sind, ein Disziplinarverfahren nur noch insofern statt, als dieselben an sich und ohne ihre Beziehung zu dem gesetzlichen Thatbestände der Uebertretung, des Vergehens oder des Ver­ brechens, welche den Gegenstand der Untersuchung bildeten, ein Dienstvergehen enthalten4^). Ist in einer gerichtlichen Untersuchung eine Verurtheilung ergangen, welche den Verlust des Amtes nicht zur Folge gehabt hat, so bleibt derjenigen Behörde, welche über die Einleitung 1)

sein Bewenden. §. 101. Doch muß bei Bedienungen, zu welchen die Bestallung von dem Landes­ herrn selbst vollzogen wird, ein auf Entsetzung und Entlassung ausgefallener Beschluß des Staatsraths, jedesmal dem Landesherrn zur unnnttelbaren Prüfung und Bestätigung vorgelegt werden." 39a) Eingeführt in die neuerworbenen Landestheile durch die V.O. v. 23. Sept. 1867. Dies Gesetz hat bezüglich der Justizbeamten verschiedene Abänderungen erlitten durch das Ges. betreffend die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze v. 9. April 1879, s. Zus. 38. Bei den einzelnen ist auf diese Abänderungen hingewiesen. 40) H. Mit Ausnahme der Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts, welche keinem Diszi­ plinarverfahren unterliegen, s. Ges. betr. die Berfassung der Verwaltungsgerichte re. v. 3. Juli 1875, bez. 2. Aug. 1880 §§. 20-25 (G.S. 1880 S. 328). Wegen der Subaltern- und Unter­ beamten des Gerichts s. tz. 30a dess. Ges. 40a) Der Disziplinarrichter, welcher findet, daß die zum Gegenstände der disziplinarischen Verfolgung genmchte Handlung den Thatbestand eines im Strafgesetzbuche vorgesehenen Straf­ falles darstelle, darf sich deshalb nicht für inkompetent erklären, O.Dr. I v. 24. März 1862, J.M.Bl. S. 151. 41) Wird der Angeschuldigte durch Beschluß des Anklagesenats außer Verfolgung gesetzt, so hindert ein solcher Beschluß, der einer „Freisprechung" nicht gleichzustellen ist, die Disziplinar­ untersuchung auf Grund der zur Erörterung gekommenen Thatsachen nicht. Reskr. des Kult.Min. v. 19. März u. 12. Mai 1866, Eentralbl. der Unt.Verw. S. 388. 42) Abgesehen von der Bestimmung des §. 5 gilt auch in Disziplinarsachen der Grundsatz des non bis in idem, O.Tr. I v. 28. Jan. 1861, Oppenhoff, Rechtspr. 1 S. 229. Koch. Allgemeines Landrecht.

IV.

8. Aust.

9

Zweiter Theil.

130

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

des Disziplinarverfahrens zu verfügen hat, die Entscheidung darüber vorbehalten, ob außerdem ein Disziplinarverfahren einzuleiten oder fortzusetzen sei. § . 6. Spricht das Gesetz bei Dienstvergehen, welche Gegenstand eines Disziplinarverfahrens werden, die Verpflichtung zur Wiedererstattung oder zum Schadenersätze, oder eine sonstige civilrechtliche Verpflichtung aus, so gehört die Klage der Betheiligten vor das Civilgericht, jedoch vorbehaltlich der Bestimmung des §. 100. § . 7. Ist von dem gewöhnlichen Strafrichter auf eine Freiheitsstrafe von längerer als einjähriger Dauer, auf eine schwerere Strafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehre, auf zeitige Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, auf immerwährende oder zeitige Un­ fähigkeit zu öffentlichen Aemtern oder auf Stellung unter Polizeiaufsicht erkannt, so zieht das Straferkenntniß den Verlust des Anües von selbst nach sich, ohne daß darauf besonders er­ kannt wird. § . 8. Ein Beamter, welcher sich ohne den vorschriftsmäßigen Urlaub von seinem Amte entfernt hält, oder den ertheilten Urlaub überschreitet, ist, wenn ihm nicht besondere Ent­ schuldigungsgründe zur Seite steten, für die Zeit der unerlaubten Entfernung seines 'Dienst­ einkommens verlustig43).44 45 § . 9. Dauert die unerlaubte Entfernung länger als acht Wochen, so hat der Beamte die Dienstentlassung verwirkt. Ist der Beamte dienstlich aufgefordert worden, sein Amt anzutreten oder zu demselben zurückzukehren, so tritt die Strafe der Dienstentlassung schon nach fruchtlosem Ablauf von vier Wochen seit der ergangenen Aufforderung ein. § . 10. Die Entziehung des Diensteinkommens (§. 8.) wird von derjenigen Behörde ver­ fügt, welche den Urlaub zu ertheilen hat. Im Falle des Widerspruchs findet das förmliche Disziplinarverfahren statt. § . 11. Die Dienstentlassung kann mir im Wege des förmlichen Disziplinarverfahrens aus­ gesprochen werden. Sie wird nicht verhängt, wenn sich ergiebt, daß der Beamte ohne seine Schuld von seinem Amte fern gewesen ist. §. 12. Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen unerlaubter Entfernung vom Amte und die Dienstentlassung vor Ablauf der Fristen (§. 9.) ist nicht ausgeschlossen, wenn sie durch besonders erschwerende Umstände als gerechtfertigt erscheint. §. 13. Die in dem §. 9. erwähnte Aufforderung, sowie alle anderen Aufforderungen, Mittheilungen, Zustellungen und Vorladungen, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes erfolgen, sind gültig und bewirken den Lauf der Fristen, wenn sie demjenigen, an den sie er­ gehen, unter Beobachtung der für gerichtliche Insinuationen^^) vorgeschriebenen Formen in Person zugestellt oder wenn sie in seiner letzten Wohnung an dem Orte insinuirt werden, wo er seinen letzten Wohnsitz im Jnlande hatte. Die vereideten Verwaltungsbeamten haben dabei den Glauben der Gerichtsboten. §. 14. Die Disziplinarstrafen bestehen in")

1) 2) 3) 4)

Ordnungsstrafen, Entfernung aus dem Amte. §. 15. Ordnungsstrafen sind: Warnung, Verweis, Geldbuße, gegen untere Beamte auch Arreststrafe auf die Dauer von höchstens acht Tagen, welche jedoch nur in solchen Räumen zu vollstrecken ist, die den Verhältnissen der zu bestrafenden Beamten angemessen sind.

43) 44) 45) Strafart

H. Vergl. Staatsmin.Beschl. v. 14. April 1860, J.M.Bl. 1860 S. 170. H. Vgl. R.Str.P.O. §. 37 u. C.P.O. §§. 152 ff. Die Amtssuspension ist in Bezug auf alle nicht richterliche Beamte als eine zulässige nicht anzusehen, O.Tr. V v. 12. Dez. 1854, Str. Arch. 15 S. 279.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

131

Zu dieser Beamtenklasse werden im Allgemeinen nur gerechnet: Exekutoren, Boten, Kastellane, Diener und die zu ähnlichen, so wie die zu blos mechanischen Funktionen bestimmten Beamten. Außerdem ist das Staatsministerium ermächtigt, in der Steuer-, Post-, Polizei- und Eisenbahn-Verwaltung diejenigen Beamten-Kategorien speziell zu bezeichnen, gegen welche Arreststrafen verhängt werden sönnen46).47 48 49 §. 16. Die Entfernung aus dem Amte kann bestehen: 1) in Versetzung in ein anderes Amt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens und Verlust des Anspruches auf Umzugskosten, oder mit einem von beiden Nachtheilen. Diese Strafe findet nur auf Beamte in unmittelbarem Staatsdienste Anwendung; 2) in Dienstentlassung. Diese Strafe zieht den Verlust des Titels ,7) und Pensions-Anspruches von selbst nach sich; es wird darauf nicht besonders erkannt, es sei denn, daß vor Beendigung des Disziplinar­ verfahrens aus irgend einem von dessen Ergebniß unabhängigen Grunde das Amtsver­ hältniß bereits aufgehört hat und daher auf Dienstentlassung nicht mehr zu erkennen ist. Gehört der Angeschuldigte zu den Beamten, welche einen Anspruch auf Pension haben, und lassen besondere Umstände46) eine mildere Beurtheilung zu, so ist die Disziplinar­ behörde ermächtigt, in ihrer Entscheidung zugleich festzusetzen, daß dem Angeschuldigten ein Theil des reglementsmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung zu verabreichen sei. § . 17. Welche der in den §§. 14. bis 16. bestimmten Strafen anzuwenden sei, ist nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit Rücksicht auf die sonstige Führung des Angeschuldigten zu ermessen, unbeschadet der bes^mderen Bestimmu^lgen der §§. 8. und 9. Zweiter Abschnitt. Von dem Disziplinarverfahren.

§ . 18. Jeder Dienstvorgesetzte ist zu Warnungen und Verweisen gegen seine Untergebenen befugt. § . 19 "). In Beziehung auf die Verhängung von Geldbußen ist die Befugniß der Dienst­ vorgesetzten begrenzt, wie folgt: Die Vorsteher derjenigen Behörden, welche unter den Provinzialbehörden stehen, einschließlich die Landräthe, können gegen die ihnen selbst untergebenen Beamten, sowie gegen die Beamten der ihnen untergeordneten Behörden Geldbußen bis zu drei Thalern verfügen. Gleiche Befugniß haben die Vorsteher der Postanstalten in Bezug auf ihre Untergebenen und die Postinspektoren in Bezug auf die Unterbeamten ihres Bezirks. Andere Vorgesetzte der unteren Beamten dürfen solche Geldbußen nur insofern verfügen,

als ihnen die Befugniß zur Verhängung von Geldbußen durch besondere Gesetze oder auf Grund solcher Gesetze erlassene Instruktionen beigelegt ist. 46) H. Vergl. hinsichtlich der hierher noch zu rechnenden Beamten die Staatsmin.Beschl. v. 28. Febr., 6 Okt. u. 26. Nov. 1853, V.M.Bl. 1853 S. 113 u. 263 u. 1854 S. 2. 47) H. Bezieht sich auch auf den Titel „Lehrer". Reskr. v. 12. Jan. 1860, V.M.Bl. S. 27. 48) H. Der Umstand, daß ein Beamter bis dahin unbescholten gewesen und wesentlich durch unverschuldeten Vermögensversall zu unredlichen Handlungen getrieben worden, kann als ein besonderer Umstand im Sinne dieses §. nicht angesehen werden, Reskr. v. 10. Aug. 1854, V.M.Bl. S. 161. 49) H. Da auf diejenigen Beamten, welche seit der Errichtung des Deutschen Reichs in einem von diesem unmittelbar geleiteten Verwaltungszweige thätig sind, das Neichsbeamtenges. v. 31. März 1873 §§. 72 ff. (Zus. 10 zu §. 69 d. T.) Anwendung findet, und zu diesen Be­ amten die Post- und Telegraphenbeamten gehören, so sind die Vorschriften des §. 19, so weit sie sich auf die letzteren beziehen, beseitigt. H. Wegen der Eisenbahnverwaltung s. Ges. betr. die Uebertragung von Befugnissen, welche den Provinzialbehörden und deren Vorstehern gesetzlich vorbehalten sind, auf die Königlichen Eisenbahndirektionen und deren Vorsteher v. 17. Juni 1880, G.S. S. 271.

132

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

Den Ober-Postdirektoren, dem Telegraphendirektor, sowie den von der Staatsregierung eingesetzten Behörden der Eisenbahnverwaltung steht die Befugniß zu, gegen alle ihnen unter­ gebenen Beamten Geldbußen bis zu zehn Thalern zu verhängen. Die Provinzialbehörden sind ermächtigt, die ihnen untergeordneten Beamten mit Geld­ buße bis zu dreißig Thalern zu belegen, besoldete Beamte jedoch nicht über den Betrag des einmonatlichen Diensteinkommens hinaus. Gleiche Befugniß haben die Vorsteher der Provinzialbehörden in Ansehung der bei letzteren angestellten unteren Beamten '^).

Die Minister haben die Befugniß, allen ihnen unmittelbar oder mittelbar untergebenen Beamten Geldbußen bis zum Betrage des monatlichen Diensteinkommens, unbesoldeten Beamten aber bis zur Summe von dreißig Thalern aufzuerlegen. Welche Beamten im Sinne dieses Paragraphen zu den unteren zu rechnen sind, wird durch das Staatsministerium bestimmt61). §. 20. Nur diejenigen Dienstvorgesetzten, welche gegen die, in §. 15. Nr. 4. bezeichneten Beamten Geldbuße verhängen können, sind ermächtigt, gegen dieselben Arreststrafen zu verfügen. Diejenigen Vorgesetzten, deren Strafgewalt auf Geldbuße bis zu drei Thalern beschränkt ist, dürfen bei den Arreststrafen das Maaß von drei Tagen nicht überschreiten. §. 21. Gegen die Verfügung von Ordnilngsstrafen findet nur Beschwerde im vorgeschriebenen Jnstanzenzuge statt. §. 22. Der Entfernung aus dem Anite muß ein förmliches Disziplinarverfahren vorhevgehen. Dasselbe besteht in der von einem Kommissar zu führenden schriftlichen Voruntersuchung und in einer mündlichen Verhandlung nach den folgenden näheren Bestimmungen. §. 23. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens wird verfügt und der Untersuchungs­ Kommissar ernannt: 1) wenn die Entscheidung der Sache vor den Disziplinarhof gehört (§. 24. Nr. 1.), von dem Minister, welcher dem Angeschuldigten vorgesetzt ist. Ist jedoch Gefahr im Verzüge, so kann diese Verfügung ulld Ernennung vorläufig von dem Vorsteher der Provinzialbehörde des Ressorts ausgehen. Es ist alsdann die Ge­ nehmigung des Ministers einzuholen und, sofern dieselbe versagt wird, das Verfahren ein­ zustellen ; 2) in allen anderen Fällen von dem Vorsteher der Behörde, welche die entscheidende Dis­ ziplinarbehörde bildet (§. 24. Nr. 2.), oder von den: vorgesetzten Minister6^). §. 24. Die entscheidenden Disziplinarbehörden erster Instanz sind: 1) der Disziplinarhof zu Berlin (§. 29.) in Ansehung derjenigen Beamten, zu deren An­ stellung nach den Bestimmungen, welche zur Zeit der verfügten Einleitung der Untersuchung gelten, eine von dem Könige oder von den Ministern ausgehende Ernennung, Bestätigung oder Genehmigung erforderlich ist; 2) die Provinzialbehörden, als: die Regierungen6^), die Provinzial-Schulkollegien, die Provinzial-Steuerdirektionen, die Oberbergämter,

50) H. Vergl. Staatsmin.Beschl. v. 7. April 1853, V.M.Bl. S. 114. Die Befugniß er­ streckt sich nicht auf die Mitglieder der Behörde und die Hülfsarbeiter. 51) H. Vergl. die vor. Anm. 52) H. Vergl. Reskr. v. 12. Jan. 1854, V.M.Bl. S. 42, über die Kompetenz zur Ver­ fügung der Einleitung der Disziplinar-Untersuchung und der Ernennung des UntersuchungsKommissarius. 53) H. Vergl. Reskr. v. 23. Dez. 1865, V.M.Bl. 1866 S. 1, wonach nur die bei den Regierungen selbst angestellten Beamten der Disziplin der Regierungspräsidenten, alle übrigen Beamten der Disziplin der Regieruirgen unterworfen sind.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

die die das die

133

Generalkommissionen, M i l i t a i r i n t e n d a n t u r e n M), Polizeipräsidium zu Berlin, Eisenbalhnkommissariate,

in Ansehung aller Beamten, die bei ihnen angestellt oder ihnen untergeordnet und nicht vorstehend unter 1. begriffen sind. Den Provinzialbehörden werden in dieser Beziehung gleichgestellt die unter den Ministern stehenden Central-Verwaltungsbehörden in Dienstzweigen, für welche keine Provinzialbehörden bestehen, sowie die Generallandschafts- und Hauptritterschafts-DirektionenfiR). 25. Für diejenigen Kategorien von Beamten, welche nicht unter den im §. 24. bezeichneten begriffen sind, ist die entscheidende Disziplinarbehörde die Regierung, in deren Bezirk sie fungiren, und für die in Berlin oder im Auslande fungirenden die Regierung in Potsdam'^'). 26. Die Zuständigkeit der Provinzialbehörden kann von dem Staatsministerium auf einzelne Kategorien solcher Beamten ausgedehnt werden, welche von den Ministern ernannt oder bestätigt werden, aber nicht zu den etatsmäßigen Mitgliedern einer Provinzialbehörde gehören57 54).58 55 56 § . 27. Für den Fall, daß bei der zuständigen Disziplinarbehörde die beschlußfähige Anzahl von Mitgliedern nicht vorhanden ist, oder wenn auf den Antrag des Beamten der Staats­ anwaltschaft oder des Angeschuldigten der Disziplinarhof das Vorhandensein von Gründen an­ erkennt, aus welchen die Unbefangenheit der zuständigen Disziplinarbehörde bezweifelt werden kann, tritt eine andere durch das Staatsministerimn substituirte Disziplinarbehörde an deren Stelle. § . 28. Streitigkeiten über die Kompetenz der Disziplinarbehörden als solcher werden von den: Staatsministerium, nach Vernehnrung des Gutachtens des Disziplinarhofes, entschieden. j § . 29. Der Disziplinarhof besteht aus einem Präsidenten und zehn anderen Mitgliedern, von denen wenigstens vier zu den Mitgliedern des O bertrib unalsM) gehören müssen. Die Mitglieder des Disziplinarhofes werden von dem Könige auf drei Jahre ernannt. Ein Mitglied, welches im Laufe dieser Periode ernannt wird, bleibt nur bis zum Ende

derselben in Thätigkeit. Die ausscheidenden Mitglieder können wieder ernannt werden. § . 30. Zur Erledigung der Disziplinarsachen ist bei dem Disziplinarhofe die Theilnahme

54) H. Diese fallen fort, weil die Militärbeamten in Preußen jetzt dem Reichsbeamtengesetz unterstehen, s. Anm. 49 zu dies. Ges. 55) H. Das Plenum des Oberverrvaltungsgerichts tritt ein für die Mitglieder und stell­ vertretenden Mitglieder des Provinzialraths, wenn diese im Wege der Disziplin ihrer Stellen enthoben werden sollen, Gesetze über die allgemeine Landesverwaltung v. 26. Juli 1880 §. 13 (G.S. S. 293) und v. 30. Juli 1883 H. 14, G.S. S. 198. Das Gleiche gilt für die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bezirksausschusses, welche aber nicht den Vorschriften dieses Gesetzes, sondern denen des Ges. v. 7. Mai 1851 (s. Zus. 37) unterliegen. Der Bezirksausschuß (Bezirksverwaltungsgericht bis zum 1. April 1884) ist die erste Instanz, das Plenum des Oberverwaltungsgerichts die zweite in Disziplinarsachen wegen Entfernung der gewählten Mitglieder des Kreis- (Stadt-) Ausschusses, s. die eit. Ges. §. 32. bez. §. 39. Vgl. auch Anm. 6 zu §. 78 d. G. 56) Vgl. auch ferner die besonderen, Berlin betreffenden Vorschriften der in der vor. Anm. eit. beiden Gesetze §§. 38, 40, bez. §§. 45, 47.

57) H. In dieser Beziehung ist maßgebend der Staatsmin.Beschl. v. 23. Aug. 1853 be­ treffend die Zuständigkeit der Provinzialbehörden als entscheidender Disziplinarbehörden erster Instanz, J.M.Bl. 1853 S. 227. Dazu sind ferner ergangen: a. der Staatsmin.Beschl. v. 16. März 1854, V.M.Bl. S. 75, in Betreff der Feldmesser, der Beamten der landwirthschaftlichen Lehranstalten und der bei den Staatsgestüten angestellten Beamten; b. der Staatsmin.Beschl. v. 30. Mai 1864 bezüglich der Beamten der Strafanstalts- und Gefänguißverwaltung im Ressort des Min. des Inn., V.M.Bl. S. 137; c. der Staatsmin.Beschl. v. 5. Rov. 1877, a. a. O. Jahrg. 1878 S. 24. 58) H. Die richterlichen Mitglieder müssen jetzt dem Oberlandesgericht in Berlin angehören, §. 13 des Abänderungsges. Zus. 38.

134

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

von wenigstens sieben Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzeuden erforderlich, von denen wenigstens zwei zu den Mitgliedern des Obertribunalsftö) gehören müssen. §. 31. Bei den Provinzialbehörden werden die Disziplinarsachen in besonderen Plenar­ sitzungen erledigt, an welchen mindestens drei stimmberechtigte VLitglieder Theil nehinen müssen^).

In diesen Plenarsitzungen steht, bei den Negierungen, den Mitgliedern derselben nur dasjenige Stimmrecht zu, welches ihnen durch die allgemeinen Vorschriften für Verhandlung in Plenum beigelegt ist. Bei den übrigen Provinzialbehörden nehmen an den zur Erledigung der Disziplinar­ sachen bestimmten Plenarsitzungen nur die etatsnmßigen Mitglieder und diejenigen Theil, welche eine etatsmäßige Stelle versehen. Bei den Eisenbahnkommissariaten tritt zur Erledigung der Disziplinarsachen der, ein- für allemal hierzu bestimmte Kornrnissarius der Regierung, in deren Bezirk das Eisenbahnkommissariat seinen Sitz hat, in Berlin der Justitiarius des Polizei­ präsidiums ein. Alle in dieser Weise zur Theilnahme Berufenen haben ein volles Stimmrecht, auch wenn die Behörde sonst keine kollegialische Einrichtung hat. §. 32. In der Voruntersuchung wird der Angeschuldigte unter Mittheilung der An­ schuldigungspunkte vorgelnden und, wenn er erscheint, gehört; es werden die Zeugen eidlich vernommen und die zur Aufklärung der Sache dienenden sonstigen Beweise herbeigeschafft Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft werden durch einen Beamten wahrgenommen, welchen die Behörde ernennt, von der die Einleitung des Disziplinarverfahrens verfügt wird62 59).63 6064 61 Bei der Vernehmung des Angeschuldigten und dem Verhöre der Zeugen ist ein vereideter Protokollführer zuzuziehen,i3). §. 33. Der dem Angeschuldigten vorgesetzte Milnster ist ermächtigt, mit Rücksicht auf den Ausfall der Voruntersuchung, das fernere Verfahren einzustellen und geeigneten Falles nur eine Ordnungsstrafe zu verhängen^). Ist eine sonstige Behörde, welche die Einleitung der Untersuchung verfügt hat, der Ansicht, daß das fernere Verfahren einzustellen sei, so muß sie darüber an den Minister zu dessen Be­ schlußnahme berichten. In beiden Fällen erhält der Angeschuldigte Ausfertigung des darauf bezüglichen, mit Gründen zu unterstützenden Beschlusses. §. 34. Wird das Verfahren nicht eingestellt, so wird nach Eingang einer von dem Beamten der Staatsanwaltschaft anzufertigenden Anschuldigungsschrift der Angeschuldigte unter abschrift-

59) Vergl. vor. Anm. 60) H. Ueber die Auslegung dieser Bestimmung vergl. das Reskr. v. 12. März 1853, V.M.Bl. S. 73. Ueber das Stimmrecht der Schulräthe in Disziplinar-Untersuchungen ivider Lehrer vergl. Reskr. v. 15. Aug. 1855, V.M.Bl. S. 176. Die forsttechnischen Mitglieder haben in DisziplinarUntersuchungen wider Forstbeamte volles Stimmrecht, V.M.Bl. 1866 S. 66. Regierungs-Assessoren sind nur stimmberechtigt, wenn sie Referenten sind, Reskr. v. 20. Juli 1859, V.M.Bl. S. 195. Das Protokoll soll ergeben, daß die Nichtstimmberechtigten auch nicht mitgeftimmt haben, Reskr. v. 27. April 1867, V.M.Bl. S. 109, und bei Stimmengleichheit soll die Stimme des Vorsitzenden, nicht aber die mildere Meinung den Ausschlag geben, Reskr. v. 28. Juli 1865, V.M.Bl. S. 177. Vgl. auch noch v. Rönne, Staatsrecht 4. Aust. 3 S. 388. 61) H. Auch in Disziplinar-Untersuchungen kann die Ablegung des Zeugnisses erzwungen werden, O.Tr. v. 10. Mai 1861, Goltdamm'er, Arch. 9 S. 487, und die eidliche Vernehmung ist auch dann zulässig, wenn es sich erst um die Ermittelung des schuldigen Beamten handelt, O.Tr. v. 24. Mai 1866, Goltdammer 14 S. 486. Der requirirte Richter hat auch nicht zu untersuchen, ob Veranlassung zu einer Disziplinar-Untersuchung vorliegt. O.Tr. v. 16. Mai 1852, J.M.Bl. S. 234. 62) H. Bei den Regierungen ernennt dieselben der Regierungs-Präsident. Reskr. v. 22. Febr. 1854, V.M.Bl. S. 42. Diese Beamten sind bezüglich der ihnen übertragenen Funktionen dem Departementschef unterworfen (Reskr. v. 28. Febr. 1858, V.M.Bl. S. 34) und sollen Abschrift der Erkenntnisse sofort dem Ressortminister einreichen und vorläufig die Berufung anmelden. Reskr. v. 30. Sept. 1854, V.M.Bl. S. 197. Vgl. auch die Nachweisungen in Anm. 55 zu §. 24 dies. Ges. 63) H. Dieser braucht kein Kriminalaktuar zu sein. Reskr. v. 2. Nov. 1852, V.M.Bl. S. 285. 64) H. Vergl. Reskr. des Kult.Min. v. 8. Juni 1866, V.M.Bl. S. 387.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

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licher Mittheilung dieser Anschuldigungsschrift zu einer, von dem Vorsitzenden der Disziplinar­ behörde zu bestinunenden Sitzung zur inündlichen Verhandlung vorgeladen. §. 35. Bei der mündlichen Verhandlung, welche in nicht öffentlicher Sitzung stattfindet, giebt zuerst ein von dem Vorsitzenden der Behörde aus der Zahl ihrer Mitglieder ernannter Referent eine Darstellung der Sache, wie sie aus den bisherigen Verhandlungen hervorgeht. Der Angeschuldigte wird vernommen. Es wird darauf der Beamte der Staatsanwaltschaft mit seinem Vor- und Anträge, und der Angeschuldigte in seiner Vertheidigung gehört. Dem Angeschuldigten steht das letzte Wort zu. §. 36. Wenn die Behörde auf den Antrag des Angeschuldigten oder des Beanüen der Staatsanwaltschaft, oder auch von Amtswegen die Vernehinung eines oder nrehrerer Zeugen, sei es durch einen Kommissar, oder mündlich vor der Behörde selbst, oder die Herbeischaffung anderer Mittel zur Aufklärung der Sache für angemessen erachtet, so erläßt sie die erforderliche Verfügung und verlegt nöthigenfalls die Fortsetzung der Sache auf einen anderen Tag, welcher dem Angeschuldigten bekannt zu machen ist. §. 37. Der Angeschuldigte, welcher erscheint, kann sich des Beistandes eines Advokaten^^) oder Rechtsanwaltes als Vertheidigers bedienen. Der nicht erscheinende Angeschuldigte kann sich durch einen Advokaten oder Rechtsanwalt vertreten lassen. Der Disziplinarbehörde steht es jedoch jederzeit zu, das persönliche Erscheinen des Angeschuldigten unter der Warnung zu verordnen, daß, bei seinen: Ausbleiben, ein Vertheidiger zu seiner Vertretung nicht werde zugelassen werden. 38. Bei der Entscheidung hat die Disziplinarbehörde, ohne an positive Beweisregeln gebunden zu sein, nach ihrer freien, aus den: ganzen Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu beurtheilen, in wieweit die Anschuldigung für begründet zu erachten. Die Entscheidung kann auch auf eine bloße Ordnungsstrafe lauten. Die Entscheidung, welche mit Gründen versehen sein muß, wird in der Sitzung, in welcher die nründliche Verhandlung beendigt worden ist, oder in einer der nächsten Sitzungen verkündigt und eine Ausfertigung derselben dem Angeschuldigten auf sein Verlangen ertheilt. §. 39. Ueber die mündliche Verhandlung wird ein Protokoll ausgenommen, welches die Ramen der Anwesenden und die wesentlichen Momente der Verhandlung enthalten muß. Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer unterzeichnet. £. 40. Das Rechtsmittel des Einspruchs (Restitution oder Opposition) findet nicht statt. §. 41. Gegen die Entscheidung steht die Berufung an das Staatsministerium, sowohl dem Beamten der Staatsanwaltschaft, als dem Angeschuldigten offen. §. 42. Die Anmeldung der Berufung geschieht zu Protokoll oder schriftlich bei der Behörde, welche die anzugreifende Entscheidung erlassen hat. Von Seiten des Angeschuldigten kann sie auch durch einen Bevollmächtigten geschehen. Die Frist zu dieser Anmeldung ist eine vierwöchentliche, welche mit dem Ablaufe des Tages, an welchem die Entscheidung verkündigt worden ist, und für den Angeschuldigten, welcher hierbei nicht zugegen war, mit dem Ablaufe des Tages beginnt, an welchem ihm die Entscheidung zugestellt worden ist. §. 43. Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung steht demjenigen, der dieselbe recht­ zeitig angemeldet hat, eine fernere vierzehntägige Frist offen. Diese Frist kann auf den Antrag des Appellanten angemessen verlängert werden. Reue Thatsachen, welche die Grundlagen einer andern Beschuldigung bilden, dürfen in zweiter Instanz nicht vorgebracht werden. §. 44. Die Anmeldung der Berufung und die etwa eingegangene Appellationsschrift wird dem Appellaten in Abschrift zugestellt, oder dem Beamten der Staatsanwaltschaft, falls er Appellat ist, in Urschrift vorgelegt.

65) H. Fällt fort.

Solche giebt es nicht mehr.

136

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

Innerhalb vierzehn Tagen nach erfolgter Zustellung oder Vorlegung kann der Appellat eine

Gegenschrift einreichen. Diese Frist kann auf den Antrag des Appellaten angemessen verlängert werden. § . 45. Nach Ablauf der in dem §. 44. bestimmten Frist werden die Akten an das Staats­ ministerium eingesandt 06). Das Staatsministerium beschließt auf den Vortrag eines von dem Vorsitzenden ernannten Referenten; in Sachen jedoch, in welchen der Disziplinarhof in erster Instanz geurthellt hat, auf den Vortrag zweier von dem Vorsitzenden ernannten Zteferenten, von denen einer dem Justizministerium angehören nruß. Ist die Berufung von der Entscheidung einer Provinzialbehörde eingelegt, so kann das Staatsministerium keinen Beschluß fassen, bevor das Gutachten des Disziplinarhofes eingeholt worden ist. Der Disziplinarhof kann die zur Aufklärung der Sache etwa erforderlichen Verfügungen erfassen. Er kann auch eine mündliche Verhandlung anordnen, zu welcher der Angeschuldigte vorzuladen und ein Beamter der Staatsanwaltschaft zuzuziehen ist. Der Letztere wird in diesem Falle vom Minister des Ressorts bezeichnet. § . 46. Lautet die Entscheidung oder das Gutachten des Disziplinarhofes auf Freisprechung des Angeschuldigten, oder nur auf Warnung oder Verweis, so kann das Staatsministerium, wenn es den Angeschuldigten strafbar findet, nicht die Strafe der Dienstentlassung, sondern nur eine geringere Disziplinarstrafe verhängen, oder die einstweilige Versetzung in den Ruhestand mit Wartegeld verfügen. § . 47. Eine jede Entscheidung der Disziplinarbehörde, gegen die kein Rechtsmittel mehr stattfindet und durch welche die Dienstentlassung ausgesprochen ist, bedarf der Bestätigung des Königs, wenn der Beamte vom Könige ernannt oder bestätiget worden ist67).

Dritter Abschnitt. Vorläufige Dien st entheb ung.

§ . 48. Die Suspension eines Beamten vom Amte tritt kraft des Gesetzes ein: wenn in dem gerichtlichen Strafverfahren seine Verhaftung beschlossen, oder gegen ihn ein noch nicht rechtskräftig gewordenes Urtheil erlassen ist, welches auf den Verlust des Amtes lautet, oder diesen kraft des Gesetzes nach sich zieht66); 67 68 2) wenn im Disziplinarverfahren eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, 1)

welche auf Dienstentlassung lautet. §. 49. In dem im vorhergehenden Paragraphen unter Nr. 1. vorgesehenen Falle dauert die Suspension bis zum Ablauf des zehnten Tages nach Wiederaufhebung des Verhaftungsbeschlusses oder nach eingetretener Rechtskraft desjenigen Urtheils höherer Instanz, durch welches der an­ geschuldigte Beamte zu einer anderen Strafe als der bezeichneten verurtheilt wird. Lautet das rechtskräftige Urtheil auf Freiheitsstrafe, so dauert die Suspension bis das Urtheil vollstreckt ist. Wird die Vollstreckung des Urtheils, ohne Schuld des Verurtheilten, aufgehalten oder unterbrochen, so tritt für die Zeit des Aufenthaltes oder der Unterbrechung

66) H. Die Akten wider nichtrichterliche Justizbeamte sind dem Justizminister einzureichen und vorher ist zu prüfen, ob die §§. 41—44 des Ges. beobachtet sind. Reskr. v. 1. Okt. 1852, I M.Bl. S. 350. Vergl. auch Reskr. v. 25. Jan. 1853, J.M.Bl. S. 82, Inhalts dessen angeordnet ist, daß den an den vorgesetzten Ressortminister einzusendenden Akten auch stets die Personal­ akten des Angeschuldigten beigefügt werden sollen. 67) H. Stirbt der Angeschuldigte vor der Rechtskraft, so sind die Akten ohne weiteres unter Niederschlagung der Kosten zu reponiren. Verf. v. 5. April 1867, Centralbl. der Unt.Verw. S. 266. H. Ueber die Verrechnung der durch die Stellvertretung eines suspendirten Beamten und durch Disziplinar-Untersuchungen der Staatskasse entstehenden Kosten s. den Beschl. des Staats­ ministeriums u. Eirk. v. 22. April 1882, M.Bl. f. d. i. V. S. 82. 68) H. Vgl. hierzu Allg. Verf. des Just.Min. v. 25. Aug. 1879, J.M.Bl. S. 251.

Gesetz, best, die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

137

eine Gehaltsverkürzung (§. 51.) nicht ein. Dasselbe gilt für die im ersten Absätze dieses Para­ graphen erwähnte Zeit von zehn Tagen, wenn nicht vor Ablauf derselben die Suspension vom Amte int Wege des Disziplinarverfahrens beschlossen wird. In dem §. 48. unter Nr. 2. erwähnten Falle dauert die Suspension bis zur Rechtskraft der in der Disziplinarsache ergehenden Entscheidung. §. 50. Die zur Einleitung der Disziplinaruntersuchung ermächtigte Behörde kann die Sus­ pension, sobald gegen den Beamten ein gerichtliches Strafverfahren eingeleitet, oder die Ein­ leitung einer Disziplinaruntersuchung verfügt wird, oder auch demnächst im ganzen Laufe des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung verfügen. §. 51. Der suspendirte Beamte behält während der Suspension die Hälfte seines Diensteinkonrmens69). Auf die für Dienstunkosten besonders angesetzten Beträge ist bei Berechnung der Hälfte

des Diensteinkonlniens keine Rücksicht zu nehmen. Der innebehaltene Theil dec» DiensteinkoiumeuS ist zu den Kosten, welche durch die Stell­ vertretung des Angeschuldigten verursacht werden, der etwaige Rest zu den Untersuchungskosten 511 verwenden. Einen weiteren Beitrag zu den Stellvertretiulgskosten zu leisten, ist der Beamte nicht verpflichtet70).71 §. 52. Der zu den Kosten (§. 51.) nicht verwendete Theil des Einkonunens wird dein Beamten nicht nachgezahlt, wenn das Verfahren die Entfernung aus dem Amte zur Folge gehabt hat. Erinnerungen über die Verwendung des Einkommens stehen dein Beamten nicht zu; wohl aber ist ihm auf Verlangeil eine Nachweisung über diese Verivenduiig zu ertheilen7^. 8- 53. Wird der Beamte freigesprochen, so muß ihm der innebehaltene Theil des Diensteinkommens vollständig nachgezahlt werden. Wird er iiur mit einer Ordnungsstrafe belegt, so ist ihiil der innebehaltene Theil, ohire Abzug der Stellvertretungskosten, nachzuzahlen, soweit derselbe nicht zur Deckung der Unter­ suchungskosten und der Ordnungsstrafe erforderlich ist. §. 54. Wenn Gefahr im Verzüge ist, kann einem Beamten auch von solcheir Vorgesetzten, die seine Suspension zu verfügen nicht ermächtigt sind, die Ausübilng der Amtsverrichtungen vor­ läufig untersagt werden; es ist aber darüber sofort an die höhere Behörde zu berichten. Vierter Abschnitt.

Nähere und besondere Bestimmungen in Betreff der Beamten der Justiz­ verwaltung.

§. 55. Hinsichtlich der Beamten der Justizverwaltung, welche kein Richteramt bekleiden, gelten die nachfolgenden näheren Bestimmungen. §. 56. Der Justizminister kann gegen alle Beamte Ordnungsstrafen jeder Art (§§. 15., 19.) verhängen, vorbehaltlich der in den §$. 66. bis 68. enthaltenen Einschränkungen.

69) Betreffs der Behandlung der Dienstwohnung siehe Staatsmin.Beschl. v. 9. Aug. 1855, J.M.Bl. S. 348, H. s. auch Reskr. des Just.Min. v. 1. Nov. 1881, M.Bl. f. d. i. V. S. 228. 70) Dieser allgemein ausgesprochene Grundsatz ist auf alle nichtrichterliche Beamte, ohne Unterscheidung, ob von ihnen nach Maßgabe der K.O. v. 15. April 1837 eine Kaution bestellt worden, oder nicht, zu beziehen. Die in letzterer Ordre ausgesprochene Verhaftung der von einem Beamten gestellten Kaution für die aus dem zurückbehaltenen Theile seines Diensteinkommens nicht gedeckten Stellvertretungskosten fällt mithin fort, und soll ferner auch nicht denjenigen Beamten gegenüber in Anspruch genommen werden, deren Kautions-Empfangscheine unter Hinweis auf jene Ordre ausgefertigt worden sind. Staatsmin.Beschl. v. 30. Sept. 1856, J.M.Bl. S. 290 und M.Bl. f. d. i. V. S. 217. 71) Klagen suspendirter Gemeindebeamten, daß ihnen wegen ihrer Amtssuspension zuviel von ihrem Diensteinkommen entzogen worden sei, können nach aufgehobener Suspension im Wege des Prozesses geltend gemacht werden. Erk. des Gerichtsh. zur Entscheidung der Kompe­ tenzkonfl. v. 17. Febr. 1855, J.M.Bl. S. 145.

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Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

§. 57. Der Staatsanwalt bei einem Appellationsgerichte'') (Oberstaatsanwalt, Generalprokurator) ™) ist befugt, gegen alle im Bezirke des Appellationsgerichts angestellten Beamten der Staatsanwaltschaft Warnungen und Verweise gegen die Beamten der Staatsanwaltschaft bei den P o l i z e i g e r i ch t e n (P o l i z e i a n w a l t e)71) und gegen die Beamten der gerichtlichen Polizei7^) Warnungen, Verweise und Geldbuße bis zu zehn Thalern zu verhängen. Die Artikel 280., 281., 282. der Rheinischen Strafprozeßordnung sind aufgehoben.

§. 58. Der Staatsanwalt bei einem Gerichte e r st e r I n st a n z (O b e rp r o k u r a t o r)76) ist befugt, allen Beamten der Staatsanwaltschaft und der gerichtlichen Polizei77) im Bezirke dieses Gerichtes Warnungen zu ertheilen. 59. Die Vorgesetzten, welche außer den: Justizminister befugt sind, von Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft gegen Bureau- und Unterbeamte der Gerichte. Ordnungsstrafen zu verhängen, sind, vorbehaltlich der Bestinunungen der §§. 60. und 61.:

1) Der Erste Präsident des ObertribunalS in Ansehung der bei demselben a n g e st e l l t e n B e a m t e n. Die Geldbuße darf die S u m m e von dreißig Thalern nicht ü b e r st e i g e n7S). 2) Der Erste Präsident eines Appellatio nsgerichts in Ansehung der Beamten innerhalb des Appellationsg erichtsb ezirks7"), mit der nämlichen Beschränkung in Betreff der Geldbußen. 3) Der Präsident oder Direktor eines Gerichts erster Instanz^) in Ansehung der Beamten innerhalb des Bezirks dieses Gerichts. Die Geldbuße darf die Summe von zehn Thalern nicht übersteigen. 4) Der Dirigent einer KreiSgeri chtsdeputation in Anseh ung der bei derselber: a n g e st e l l t e n Beamten. Die Geldbuße darf die © n nt nt e von drei Th alern nicht übersteigen^^). 5) Der Einzelrichter ^') in Ansehung der bei dem G e r i ch t e (d e r G e r i ch t S k o m m i f f i o n)83) angestellten Beamten mit der rmrnlichen Beschränkung in Betreff der Geldbuße. 6) Der Präsident des Re visionskollegirlms8^) in Ansehung der bei dieser Behörde angestellten Beamten. Die Geldbuße darf die Sumnre von dreißig Thalern nicht übersteigen. 7) Der Generalauditeur in Ansehung der bei dem Generalauditoriate angestellten oder dieser Behörde untergeordneten Beamten. Die Geld­ buße darf die Summe von dreißig Thalern nicht übersteigen8'^). §§. 60. u. 61. Aufgehoben88). 72) H. Jetzt Oberlandesgericht, s. 8- 3 des Abänderungsges. v. 9. April 1879,Zus. 38. 73) H. Fällt fort. Solche giebt es nicht mehr. 74) H. Dafür ist jetzt zu setzen: Amtsgerichten und Schöffengerichten (Amts­ anwälle), Abänderungsges. §. 15. 75) H. Nach §. 16 a. a. O. zu setzen: des Polizei- und Sicherheitsdienstes, welche Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind und ihr Amt nicht als Ehrenamt bekleiden. 76) H. Jetzt zu setzen: Landgericht, Abänderungsges. §. 2. 77) H. Zu substituiren das Anm. 75 Angegebene. 78) H. Mit der Aufhebung des Obertribunals beseitigt. 79) H. Zu setzen: Oberlandesgerichts und Oberlandes gerichtsbezirks. 80) H. Dafür heißt es jetzt: eines Landgerichts. 81) H. Mit.der Beseitigung der Kreisgerichtsdeputationen entfallen. 82) H. Amtsrichter, Abänderungsges. §. 2. 83) H. Amtsgerichte. 84) H. An dessen Stelle ist das Ober-Landeskulturgericht getreten, s. Ges. betr. das Verfahren in Auseinandersetzungssachen v. 18. Febr. 1880 §. 2, G.S. S. 59. 85) H. Nr. 7 fällt weg, da die dieser Behörde untergeordneten Beamten jetzt Reichsbeamte sind. Der §. 158 des Reichsbearntenges. (Zus. 10 zu §. 69 d. T.) bezieht sich nicht auf die hier fraglichen Beamten. 86) H. Durch Abänderungsges. §§. 17, 18.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

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62. Die Beschwerde gegen Ordnungsstrafen geht: 1) in den Fällen des §. 59. Nr. 1. und 2. an den Justizminister; 2) in den Fällen des Z. 59. Nr. 3., 4. und 5. an den Ersten Präsidenten des Appellationsgerichts^^), und von dessen Verfügung an den Justiz minister; 3) von den Verfügungen eines Beamten der Staatsanwaltschaft an den höheren Beamten derselben, und von dessen Verfügung an den Justizminister; 4) in den Fällen des §. 59. Nr. 6. an den Minister für die landwirthschaftlichen Angelegen­ heiten; 5) in den Füllen des §. 59. Nr. 7. an den KriegsministerS8). §. 63. Die Bestimmungen über die Entfernung aus den: Ainte (§. 23. Nr. 1., §§. 24. ff.) finden auf die Beamten der Staatsanwaltschaft Anwendung. In Ansehung der Polizeianwalte^o) und der Beamten der gerichtlichen Polizei''") ist deren sonstige amtliche Eigen­ schaft für die Zuständigkeit der Disziplinarbehörde maaßgebend. £. 64. Hinsichtlich der Büre au- und Unterbeamten bei den Gerichten (§. 59.)91 87)92 88 treten 93 8994 9095 folgende Modifikationen ein: 1) Die Verfügung wegen Einleitung des Disziplinarverfahrens steht, auch bei den von dein Justizminister ernannten Beamten, den: Appellativ ns ger ich te9'H, und die Ernennung des Untersuchungskommissars dein Ersten Präsidenten des Gerichts'^) zu, unbe­ schadet der Befugnis; des Justizministers zu dieser Verfügung und Ernennung; 2) die entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz ist das Appellationsgericht, und zwar in derjenigen Abtheilung, in welcher der Erste Präsident gewöhn­ lich den Vorsitz führt'"); 3) der Staatsanwalt bei dem Appellationsger ichte9'') kann die Einleitung des Dis­ ziplinarverfahrens beantragen. Es werden denrselben vor dem Abschlusse der Vorunter­ suchung die Akten zur Stellung seines Antrages vorgelegt; 4) wenn der Beamte bei dem Nevisionskollegiunr99) airgestettt ist, so werden die den Appellationsgerichten und deren Ersten Präsidenterr unter Nr. 1. und 2. beigelegten Befugnisse von dieser Behörde und deren Präsidenten wahrgenommen, unbeschadet der Befugniß des Ministers für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten, die Einleitung der Untersuchung zu verfügen und den Komurissar zu ernennen. 5) ist der Beamte bei dem Generalauditoriate angestellt oder demselben untergeordnet, so werden die unter Nr. 1. und 2. bezeichneten Befugnisse von dem Generalnuditori ate und dem Generalauditeur wahrgenommen, unbeschadet der Befugnis; des Kriegsministers, die Einleitung der Unter­ suchung zu verfügen und den Kommissar zu ernennen96»).

87) H. Muß jetzt mit Rücksicht auf §. 20 des Abänderungsges. und §. 78 des Ausf.Ges. z. G.V.B. v. 24. April 1878 lauten: §§. 59 Nr. 3: an den Präsidenten des Oberlandesgerichts uixb von dessen Verfügung an den Justiznlinister,in den Fällen des 8-59 Nr. 5: an den Präsidenten des Landgerichts, von dessen Ver­ fügung an den Präsidenten des Oberlandesgerichts und von dessen Ver­ fügung an den Justiz mini st er. 88) H. Fällt fort. S. Anm. 85 zu §. 59 dies. Ges. 89) H. Amtsanwalte, s. Anm. 74 zu 57. 90) H. des Polizei- und Sicherheitsdienstes, welche Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, s. Anm. 75. 91) H. Nicht nur der Gerichtsschreiber, sondern auch der Gerichtsvollzieher und der Büreauund Unterbeamten der Staatsanwaltschaft, Abänderungsges. §§. 17—19. 92) H. Jetzt: Oberlandesgerichte. 93) H. Jetzt: Präsidenten des Oberlandesgerichts. 94) H. Dafür ist nach H. 11 des Abänderungsges. zu setzen: das Oberlandesgericht, und zwar derjenige Senat desselben, in welchem der Präsident den Vorsitz führt, in der Besetzung von 5 Mitgliedern mit Einschluß des Präsidenten. 95) H. Oberlandesgerichte. 96) H. Ober-Landeskulturgericht, s. Anm. 84.

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Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

tz. 65°7). Wenn ein Gerichtsschreiber oder Gerichtsvollzieher im Bezirke des Rheinischen Appellationsgerichtshofes zu Köln ein Dienstvergehen be­ gangen hat, welches mit schwererer Strafe als Verweis oder Geldbuße zu ahnden ist, so findet das durch die Verordnung vom 21. Juli 1826. vorge­ schriebene Verfahren statt. An der Befugniß der Gerichte, jede der im §. 3. jener Verordnung be­ stimmten Strafen zu v erhängen, sowie über die in der Sitzung statt find end en Dienstvergehen zu erkennen, wird nichts geändert. Die §§. 2. bis 7., 48. bis 50. des gegenwärtigen Gesetzes finden ebenfalls Anwendung; in An­ sehung der Gerichtsschreiber auch die §§. 8. bis 13. und 51. bis 53. Jedoch steht die Verfügung der Amtssuspension (§. 50.), welche auf den schriftlichen Antrag des Staatsanwalts erfolgen kann, nur dem Gerichte zu, welches in der Disziplinarsache zu erkennen hat, vorbehaltlich der von einer Verfügung des Landgerichtes zulässigen Beschwerde an den Appellationsgerichtshofb«). §. 66. Aufgehoben ov).

§. 67. Hinsichtlich der Notarien im Bezirke des R hei nischen Appellationsger ichtshofes'oo) Köln verbleibt es bei der Verordnung vom 25. April 1822. Wegen der Amtssuspension gelten die Bestimmungen des letzten Absatzes des §. 65. §§. 68—76. Fallen weg *). 8- 77. Wenn ein Rechtsanwalt^), ein Notar oder ein Gerichtsvollzieher^) durch Blindheit, Taubheit oder ein sonstiges körperliches Gebrechen, oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, so hat der Staatsanwalt bei dem Appellationsgerichte ‘) ihn oder seinen nöthigenfalls zu bestellenden Kurator schriftlich unter Angabe der Gründe zilr Niederlegung des Amtes aufzufordern. Tritt innerhalb sechs Wochen nach dieser Aufforderung die freiwillige Niederlegung des Amtes nicht ein, so beschließt das Appellationsgericht in seiner Plenarversamm­ lung^), nachdem das im §. 61. des die Richter betreffenden Gesetzes vom 7. Mai 1851. vorge­ schriebene und geeigneten Falls das inr 8- 62. daselbst zugelassene Verfahren stattgefunden hat, nach Anhörung der Staatsanwaltschaft endgültig darüber, ob der Fall der ^Niederlegung des Amtes vorliege. Beschließt das Gericht, daß dieser Fall vorhanden sei, so kann der Justizminister die Stelle für erledigt erklären. Fünfter Abschnitt.

Besondere Bestimmungen in Betreff der Genreindebeamten.

§. 78. In Bezug auf solche Gemeindebeantte, die weder von dem Könige, noch von der Bezirksregierung oder deren Präsidenten ernannt oder bestätigt lverden, gilt die nachstehende besondere Vorschrift: Außer dem Präsidenten der Bezirksregierung kann auch diejenige Behörde, welcher die 96») H. S. Anm. 85. 97) Abs. 1 und 2 fallen fort, s. Abänderungsges. §§. 17, 18. Abs. 3 hat noch Bedeutung für die Notarien im Oberlandesgerichtsbezirk von Köln, s. 8- 67 dies. Ges. 98) H. Muß jetzt heißen: an den zu Anm. 94 bezeichneten Senat des Ober­ landesgerichts. 99) H. An die Stelle dieser Vorschriften treten diejenigen der Nechtsanwaltsordn., s. Zus. 15 zu §. 71 d. T., und bezüglich der I^otarien die 88- 21 u. 22 des Abänderungsges. Be­ züglich der Verhängung von Ordnungsstrafen gegen die Rechtsanwalte, welche sich in den Sitzungen der Gerichte ein Dienstvergehen zu Schulden kommen lassen, siehe die §§. 180 u. folg, des G.V.G. Das Gericht kann eine Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark festsetzen. 100) Jetzt des Oberlandesgerichts. 1) S. die vorhergehende Anm. 99. 2) ii. 3) H. Die gesperrt gedruckten Worte fallen fort, s. §. 18 des Abänderungsges. und Anm. 99 zu §. 66 dies. Ges. 4) H. Oberlandesgerichte. 5) H. Jetzt: der Disziplinarsenat, s. Anm. 94 zu §. 64 dies. Ges.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

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Ernennung oder Bestätigung der Beamten zusteht, wenn Veranlassung zu einem förmlichen Disziplinarverfahren vorliegt, die Einleitung desselben verfügen und den Untersuchungs-Kommissar ernennen. Nach geschlossener Voruntersuchung werden die Akten dem Präsidenten der Bezirksregie­ rung übersandt 0). Sechster Abschnitt. Besondere Bestimmungen in Betreff der Beamten der Militairverwaltung. § §. 79—82. Aufgehoben?).

Siebenter Abschnitt. Besondere Bestimmungen in Betreff der Entlassung von Beamten, welche auf Widerrrlf angestellt sind, der Referendarien u. s. w. § . 83. Beamte, welche auf Probe, auf Kündigung, oder sonst auf.Widerruf angestellt sind, können ohne ein förmliches Disziplinarverfahren von der Behörde, welche ihre Anstellung ver­ fügt hat, entlassen werden8). Dem auf Grund der Kündigung entlassenen Beamten ist in allen Fällen bis zum Ablaufe der Kündigung sein volles Diensteinkommen zu gewähren ^). §. 84. Referendarien oder Auskultatoren *0), welche durch eine tadelhafte Führung zu der Belassung im Dienste sich unwürdig zeigen, oder in ihrer Ausbildung nicht gehörig fort­ schreiten, können von dem vorgesetzten Minister nach Anhörung der Vorsteher der ProvinzialDienstbehörde, ohne weiteres Verfahren aus dem Dienste entlassen werden. §. 85. In Ansehung der Entlassung der Supernumerarien und der sonst zur Erlernung des Dienstes bei den Behörden beschäftigten Personen kommen die darauf bezüglichen besonderen Bestimmungen zur Anwendung. §. 86. In Bezug auf Kanzleidiener, Boten, Kastellane und andere in gleicher Kategorie stehende oder blos zu den mechanischen Dienstleistungen bestimmte Diener, welche bei den obersten Verwaltungsbehörden oder in solchen Verwaltungszweigen angestellt sind, in welchen keine Provinzialdienstbehörden bestehen, entscheidet endgültig der Minister, nach Anhörung des An­ geschuldigten und auf den Vortrag zweier Referenten, zu denen stets ein Justitiar, oder, wenn ein solcher bei der Verwaltungsbehörde nicht angestellt ist, ein Rath des Justizininisteriurns ge­ hören muß. Achter Abschnitt.

Verfügungen im Interesse des Dienstes, welche nicht Gegenstand eines Disziplinarverfahrens sind. §. 87.

Die nachbenannten Verfügungen, welche im Interesse des Dienstes") getroffen

6) H. Es kommen hier noch weiter in Betracht: in Betreff der Dienstvergehen der Bürger­ meister, Beigeordneten, Magistratsmitglieder, sowie der sonstigen Gemeindebeamten Ges. über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden v. 1. Aug. 1883 §§.20—22; in Betreff der Dienstvergehen der Amtsvorsteher Kreis-Ordn. v. 13. Dez. 1872, bez. 19. März 1881 §. 68, G.S. v. 1881 S. 232; in Betreff der Beamten des Kreises §. 134 a. a. O.; in Betreff der Mitglieder des Provinzialausschusses die Prov.Ordn. v. 29. Juni 1875, bez. 22. März 1881 §. 51, G.S. v. 1881 S. 244; in Betreff der Landesdirektoren und der Pro­ vinzialbeamten §. 98 a. a. O., s. auch Anm. 55 zu §. 24 dies. Ges. 7) H. S. Reichsbeamtenges. §§. 120—123, Zus. 10 zu §. 69 d. T. 8) Gegen eine solche Entlassung steht dem Beamten der Rechtsweg nicht offen, wenn er sich auch auf einen besonders geschlossenen schriftlichen Dienstkontrakt beruft. Erk. d. Gerichts!), zur Entsch. der Kompetenzkonfl. v. 17. Dez. 1853, J.M.Bl. 1854 S. 38; Erk. dess. Gerichtsh. v. 30. Okt. 1858, J.M.Bl. 1859 S. 172. Bezüglich der Feldmesser und Oekonomiekommissare vergl. Reskr. v. 26. Rov. 1852, V.M.Bl. S. 326. 9) Hiernach ist auch in dem Falle, wenn die Amtssuspension eines solcher: Beamten vor Ablauf der Kündigungsfrist nothwendig geworden ist, für die hierdurch erwachsenen Stellvertretungskosten nicht von dem suspendirten Beamten aufzukommen, folglich ist die Vorschrift der K.O. v. 15. April 1837, wonach die Kaution auch für die Stellvertretungskosten haftet — ver­ steht sich, wenn der Beamte solche zu tragen hat, sonst fehlt eben eine Schuld, für welche die Kaution die Sicherheit geben soll — auf solchen Fall nicht anwendbar. 10) H. Fällt fort, da es Auskultatoren nicht mehr giebt.

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Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 101 (Zusatz 36).

werden können, sind nicht der Gegenstand des Disziplinarverfahrens, vorbehaltlich des im §. 46. vorgesehenen Falles: 1) Versetzung in ein anderes Amt von nicht geringerem Range und etatsmäßigem Dienstein­ kommen, mit Vergütung der reglementsmäßigen Umzugskosten11 12). Als eine Verkürzung im Einkommen ist es nicht anzusehen, wenn die Gelegenheit zur Verwaltung von Nebenämtern entzogen wird, oder die Beziehung der für die Dienstunkosten besonders ausgesetzten Einnahmen mit diesen Unkosten selbst fortfällt. Landrüthe, welche für einen bestimmten Kreis auf Grund ihrer Ansässigkeit und in Folge vorgängiger Wahl ernannt worden, können außer im Wege des Disziplinarverfahrens wider ihren Willen in ein anderes Amt nicht versetzt werden, so lange die Erfordernisse erfüllt bleiben, durch welche ihre Wahl bedingt war. 2) Einstweilige Versetzung in den Ruhestand mit Gewährung von Wartegeld nach Maaßgabe der Vorschriften der Verordnungen vom 14. Juni und 24. Oktober 184813).14 15 Außer dem daselbst vorgesehenen Falle können durch Königliche Verfügung jederzeit die nachbenannten Beamten mit Gewährung des vorschriftsmäßigen Warlegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden: Unterstaatss ekretaire, Ministerialdirektoren, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und Vieepräsidenten, M i l i t a i r i n t e n d a n t e n ri), Beamte der Staatsanwaltschaft bei den Gerichten, Vorsteher Königlicher Polizeibehörden, Landräthe, die Gesandten und andere diplomatische Agenten 1,r>). Wartegeldempfänger sollen bei Wiederbesetzung erledigter Stellen, für welche sie sich eignen, vorzugsweise berücksichtigt werden. 3) Gänzliche Versetzung in den Ruhestand mit Gewährung der vorschriftsmäßigen Pension, nach Maaßgabe der §§. 88. ff. dieses Gesetzes. § . 88. Ein Beamter, welcher durch Blindheit, Taubheit oder ein sonstiges körperliches Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, soll in den Ruhestand versetzt werden. § . 89. Sucht der Beamte in einem solchen Falle seine Versetzung in den Ruhestand nicht nach, so wird ihm oder seinem nöthigenfalls hierzu besonders zu bestellenden Kurator von der vorgesetzten Dienstbehörde unter Angabe des zu gewährenden Pensionsbetrages und der Gründe der Pensionirung eröffnet, daß der Fall seiner Versetzung in den Ruhestand vorliege. § . 90. Innerhalb sechs Wochen nach einer solchen Eröffnung (§. 89.) kann der Beamte seine Einwendungen bei der vorgesetzten Dienstbehörde anbringen. Ist dies geschehen, so werden die Verhandlungen an den vorgesetzten Minister eingereicht, welcher, sofern nicht der Beamte von dem Könige ernannt ist, über die Pensionirung entscheidet. 11) Beamte, welche, unter Belassung ihres bisherigen Ranges und etatsmäßigen Dienst­ einkommens, von ihrem Amte abberufen und, mit dem Vorbehalt ihrer anderweiten Ver­ wendung, lediglich im Interesse ihres Dienstes versetzt worden sind, haben auch bei nicht er­ folgender Wiederanstellung einen Anspruch auf Vergütung der reglementsmäßigen Umzugskosten, O.Tr. 1 v. 11. Nov. 1864, Str. Arch. 55 S. 283.' 12) H. Der §. 87 Nr. 1 bezieht sich auch auf Beamte im mittelbaren Staatsdienst; Elementarlehrer können daher unter Einhaltung seiner Bestimmungen unfreiwillig versetzt werden. Reskr. v. 31. Dez. 1861, V.M.Bl. 1862 S. 59. Die Entlassung provisorisch oder auf Kündigung angestellter Elementarlehrer erfolgt durch die Schulabtheilung der betreffenden Regierung. Reskr. v. 9. Nov. 1863, V.M.Bl. S. 231. 13) Vgl. O.Tr. I v. 14. Juni 1869, Entsch. 62 S. 219. 14) H. Fällt fort, s. Reichsbeamtenges. §. 25 (Zus. 10 zu §. 69 d. T.). 15) Vgl. O.Tr. I v. 9. Juli 1869, Str. Arch. 75 S. 277.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten rc.

143

Gegen diese Entscheidung steht dem Beamten der Rekurs an das Staatsministerium binnen einer Frist von vier Wochen nach Empfang der Entscheidung zuDes Rekursrechtes ungeachtet kann der Beamte von dem Minister sofort der weiteren Amtsverwaltung vorläufig enthoben werden. Ist der Beamte von dem Könige ernannt, so erfolgt die Entscheidung von dem Könige auf den Antrag des Staatsministeriums. §. 91. Dem Beamten, dessen Versetzung in den Ruhestand verfügt ist, wird das volle Gehalt noch bis zum Ablaufe desjenigen Vierteljahres fortgezahlt, welches auf den Monat folgt, in dem ihm die schließliche Verfügung über die erfolgte Versetzung in den Ruhestand mitgetheilt worden ist. §. 92. Wenn der Beamte gegen die ihm gemachte Eröffnung (§. 89.) innerhalb sechs Wochen keine Einwendungen erhoben hat, so wird in derselben Weise verfügt, als wenn er seine Pensionirung selbst nachgesucht hätte. Die Zahlung des vollen Gehaltes dauert bis zu dem im Z. 91. bestimmten Zeitpunkte. §. 93. Ist ein Beamter vor dem Zeitpunkte, mit welchem die Pensionsberechtigung für ihn eingetreten sein würde, dienstunfähig geworden, so kann er gegen seinen Willen nur unter Beobachtung derjenigen Formen, welche für die Disziplinaruntersuchung vorgeschrieben sind, in den Ruhestand versetzt werden. Wird es jedoch für angemessen befunden, dem Beamten eine Pension zu dem Betrage zu bewilligen, welcher ihn: bei Erreichung des vorgedachten Zeitpunktes zustehen würde, so kann die Pensionirung desselben nach den Vorschriften der §§. 88. bis 92. erfolgen. §. 94. Die vorstehenden Bestimmungen über einstweilige und gänzliche Versetzung in den Ruhestand finden nur auf Beamte in unmittelbarem Staatsdienste Anwendung. §. 95. In Bezug auf die mittelbaren Staatsdiener bleiben die wegen Pensionirung der­ selben bestehenden Vorschriften in Kraft'"). Wenn jedoch mittelbare Staatsdiener vor dem Zeitpunkte, mit welchen: eine Pensions­ berechtigung für sie eingetreten sein würde, dienstunfähig geworden, so können auch sie gegen ihren Willen nur unter den für Beantte in: unmittelbaren Staatsdienste vorgeschriebenen Formen (§. 93.) in den Ruhestand versetzt werden. §. 96. Auf Universitätslehrer finden die Bestimmungen der §§. 87. bis 95. keine Anwendung.

Neunter Abschnitt. Allgenreine und Uebergangs-Be st immun gen. §. 97. Die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes gelten auch in Ansehung der zur Dis­ position gestellten oder einstweilen in Ruhestand versetzten Bemnten. §. 98. Rücksichtlich der Vergehen der Civilstandsbeamten im Bezirke des Rheinischen Appellationsgerichtshofes^^) zu Köln gegen die Gesetze über den Civilstand wird an den Bestimmungen der bisherigen Gesetzgebung 18 16) 17 durch dieses Gesetz nichts geändert. §. 99. Die gerichtlichen Untersuchungen, welche zur Zeit der Verkündigung der Verordnung vom 11. Juli 1849. bereits eröffnet waren, werden in der bisherigen Weise zu Ende geführt. Die Untersuchung wird als eröffnet betrachtet, wenn der Beschuldigte als solcher vernommen oder behufs seiner Vernehmung vorgeladen ist. Die ergangenen oder ergehenden Strafurtheile werden ohne Rücksicht auf die Bestimmungei: dieser Verordnung vollstreckt. Die bereits eingeleiteten Disziplinaruntersuchungen werden bis zum Abschlusse der Vor­ untersuchung nach den zur Zeit der Einleitung gültig gewesenen Vorschriften zu Ende geführt. Im Uebrigen finden auf das Verfahren die Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung. 16) H. Ueber das Verfahren bei Pensionirung von Kommunalbeamten vergl. Reskr. v. 3. Mai 1855, V.M.Bl. S. 92. 17) H. Oberlandesgerichts. 18) H. Wegen der Aenderungen, welche durch das Reichspersonenstandsges. v. 6. Febr. 1875 eingetreten sind, s. §. 11 desselben, Zus. 11 zu II. 1 §. 145 und Anm. 3 zu tz. 2 daselbst.

144

Zweiter Theil.

Zehnter Litel.

§§. 102, 103 (Zusatz 37).

§ . 100. Alle diesem Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen sind aufgehoben. Dagegen wird durch dasselbe in der Befugniß der Aufsichtsbehörden, im Aufsichtswege Beschwerden Ab­ hülfe zu verschaffen, oder Beamte zur Erfüllung ihrer Pflichten in einzelnen Sachen anzuhalten, und dabei Alles zu thun, wozu sie nach den bestehenden Gesetzen ermächtigt sind, nichts geändert. § . 101. Erledigte Übergangsbestimmung.

§ . 102. Amtsverbindungen, deren Dauer durch die Natur des Geschäftes, oder durch ausdrücklichen Vorbehalt, auf eine gewisse Zeit eingeschränkt ist, erlöschen mit dem Ablaufe dieser Zeit von selbst. (§. 97.) § . 103. Was bei Entsetzung ober Entlassung der Justizbedientcn statt finde, ist im siebzehnten Titel, und in der Prozeßordnung bestimmt"). 37. Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der Richter und die unfrei­ willige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand. Vom 7. Mai 1851. (G.S. S. 218.)-°) Wir 2c. verordnen, mit Zustimmung der Kammern, was folgt: Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen über Dienstvergehen der Richter und deren Bestrafung. §. 1. Ein Richter, welcher 1) die Pflichten verletzt, die ihm sein Amt auferlegt, oder 2) sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt, unterliegt den Vorschriften dieses Gesetzes. 2. Ist eine der unter §. 1. fallenden Handlungen (Dienstvergehen) zugleich in den ge­ meinen Strafgesetzen vorgesehen, so können die dllrch dieselben angedrohten Strafen nur auf Grund des gewöhnlichen Strafverfahrens von denjenigen Gerichten ausgesprochen werden, welche für die gewöhnlichen Strafsachen zuständig sind. § . 3. Im Laufe einer Untersuchung vor den gewöhnlichen Strafgerichten darf gegen den Angeschuldigten ein Disziplinarverfahren wegen der nämlichen Thatsachen nicht eingeleitet werden. Wenn im Laufe eines Disziplinarverfahrens wegerr der nänrlichen Thatsachen eine Unter­ suchung von dem gewöhnlichen Strafrichter gegen den Angeschuldigten eröffnet wird, so muß das Disziplinarverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung der strafgerichtlichen Untersuchung ausgesetzt werden. § . 4. Wenn von den gewöhnlichen Strafgerichten auf Freisprechung erkannt ist, so findet wegen derjenigen Thatsachen, welche in der strafgerichtlichen Untersuchung zur Erörterung ge­ kommen sind, ein Disziplinarverfahren nur noch insofern statt, als dieselben an sich und ohne ihre Beziehung zu dem gesetzlichen Thatbestände der Uebertretung, des Vergehens oder des Ver­ brechens, welche den Gegenstand der Untersuchung bildeten, ein Dienstvergehen enthalten. Ist in einer Untersuchung vor den gewöhnlichen Strafgerichten eine Verurtheilung ergangen, welche den Verlust des Amtes nicht zur Folge gehabt hat, so bleibt es dem Disziplinargerichte vorbehalten, darüber zu entscheiden, ob außerdem ein Disziplinarverfahren einzuleiten oder fortzusetzen und eine Disziplinarstrafe zu verhängen sei. § . 5. Spricht das Gesetz bei Dienstvergehen, welche Gegenstand eines Disziplinarverfahrens werden, die Verpflichtung zur Wiedererstattung oder zunr Schadenersatz, oder eine sonstige civil­ rechtliche Verpflichtung aus, so gehört die Klage der Betheiligten vor das Eivilgericht, jedoch vorbehaltlich der Bestimmung des §. 81. § . 6. Ist von dem gewöhnlichen Strafrichter auf eine Freiheitsstrafe von längerer als 19) S. jetzt Zus. 12 zu §. 70 d. T.; Zus. 36 §§. 55 ff. zu §§. 99—101 d. T. und den folgenden Zus. 20) H. Vergl. hierzu das Gesetz, betr. die Abänderungen von Bestimmungen der Dis­ ziplinargesetze v. 9. April 1879 im folgenden Zus. 38.

einjähriger Dauer, auf eine schwerere Strafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehre, auf zeitige Unter­ sagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, auf immerwährende oder zeitige Unfähigkeit zu öffentlichen Aemtern, oder auf Stellung unter Polizei-Aufsicht erkannt, so zieht das Straferkenntniß den Verlust des Amtes von selbst nach sich, ohne daß darauf besonders erkannt wird. §. 7. Ein Richter, welcher sich ohne den vorschriftsmäßigen Urlaub von seinem Amte entfernt hält, oder den ertheilten Urlaub überschreitet, ist, wenn ihm nicht besondere Entschul­ digungsgründe zur Seite stehen, für die Zeit der unerlaubten Entfernung seines Dienstein­ kommens verlustig^'). 8. Dauert die unerlaubte Entfernung länger als acht Wochen, so hat der Richter die Dienstentlassung verwirkt. Ist der Richter dienstlich aufgefordert worden, sein Anit anzutreten oder zu demselben zurückzukehren, so tritt die Strafe der Dienstentlassung schon nach fruchtlosem Ablauf von vier Wochen seit der ergangenen Aufforderung ein. § . 9. Die Entziehung des DiensteinkominenS (§. 7.) wird von derjenigen Behörde ver­ fügt, welche den Urlaub zu ertheilen hat. Im Falle des Widersprllchs wird im Disziplinarwege entschieden. § . 10. Die Dienstentlassung kann nur im Disziplinarwege ausgesprochen werden. Es wird darauf nicht erkannt, wenn sich ergiebt, daß der Richter ohne seine Schuld von seinem Anüe fern gewesen ist. § . 11. Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen unerlaubter Entfernung vom Amte und die Dienstentlassung vor Ablauf der Fristen (§. 8.) ist nicht ausgeschlossen, wenn sie durch besonders erschwerende lUnstände gerechtfertigt wird. § . 12. Die im §. 8. erwähnte Aufforderung, sowie alle andere Aufforderungen, Mitthei­ lungen, Zustellungen und Vorladungen, welche nach den Bestinunungen dieser Verordnung er­ folgen, sind gültig und bewirken den Lauf der Fristen, wenn sie Demjenigen, an den sie ergehen, in Person zugestellt, oder wenn sie in seiner letzten Wohnung an dein Orte insinuirt werden, wo er seinen letzten Wohnsitz im Jnlande hatte. § . 13. Ein Richter, welchem ein geringes Dienstvergehen zur Last fällt, ist nach einer vorher von ihn: erforderten Erklärung auf die Pflichten aufnlerksanl zu machen, welche ihm sein Amt auferlegt. Den Beruf, diese Mahnung üoii Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft zu erlassen, hat der Präsident oder Direktor-") eines jeder: Gerichts in Ansehung der übrigen Mitglieder desselben; der Dirigerlt einer Kreisgerichts-Deputation in Ansehung der Mitglieder dieser Deputation"^). In Ansehung der Einzelrichter^^) steht er dem Präsidenten oder Direktor desjenigen (Berichts erster Instanz"*) zu, in dessen Ge­ richtssprengel der Richter angestellt ist; in Ansehung aller Richter, insbesondere auch der

21) Die Entziehung des Diensteinkomnrens in diesen Fällen ist an die Stelle der nach den älteren Vorschriften in solchen Fällen zu verhängenden Ordnungsstrafen, insbesondere der „verhältnißmäßigen Geldstrafen" getreten und ist ihrer Natur nach zu den „im Wege der Aufsicht ausgesprochenen Geldstrafen" zu rechnen, welche durch die K.O. v. 30. April 1837 (G.S. S. 75) dem Unterstützungsfonds für hülfsbedürftige Kinder verstorbener Justizbeamten überwiesen sind. So weit daher der entzogene Theil des Diensteinkomnrens nicht zu den Kosten der Stellvertretung des Beamten hat verwendet werden müssen, ist er den: gedachten Fonds zu überweisen. Verf. des Just.Min. v. 22. März 1855, J.M.Bl. S. 102. Die Bestimmungen des §. 7 dies. Ges. und des §. 8 des Ges. v. 21. Juli 1852 sind als Straffestsetzungen zu betrachten, und die Verrechnung der fraglichen Gehaltsbetrüge ist unter den Ordnungsstrafen zu bewirken. Beschl. des Staatsmin. v. 14. April 1860, J.M.Bl. S. 170. 22) K Das gesperrt gedruckte Wort fällt fort. Die Direktoren haben nicht mehr die Leitung eines ganzen Gerichts. 23) H. Ebenfalls mit den Kreisgerichtsdeputationen beseitigt. 24) H. Amtsrichter, s. tz. 2 des Abänderungsges. 25) H. Landgerichts. Koch, Assqemcine^ Landrecht. IV. 8. ?!nfl. 10 .

146

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 103 (Zusatz 37).

Friedensrichter^), des Appellationsgerichts - Bezirks ^) dem Ersten Präsidenten des Appellationsgerichts^^); in Ansehung der Ersten Präsidenten der Appella­ tiv nsgerichtedem Ersten Präsidenten des obersten Gerichtshofes^). Die Mahnung geschieht zu Protokoll oder durch ein die Gründe enthaltendes Schreiben, von welchem die Urschrift aufbewahrt roirt)3o). §. 14. Erscheint wegen der Schwere des Dienstvergehens eine Mahnung dem zuständigen Disziplinargerichte als nicht hinreichend, so tritt die Disziplinarbestrafung ein. §. 15. Disziplinarstrafen sind: 1) Warnung. 2) Verweis. Derselbe kann mit Geldstrafe verbunden iverden, deren Betrag das Diensteinkommen eines Monates nicht übersteigt. 3) Aufg ehoben3i). 4) Dienstentlassung. Diese Strafe zieht den Verlust des Titels und Pensionsanspruches von selbst nach sich; es wird darauf nicht besonders erkannt. Lassen aber besondere Umstände eine mildere Berücksichtigung zu, so ist das Dis­ ziplinargericht ermächtigt, in dein Urtheile zugleich 511 erkennen, daß dem Angeschuldigten ein Theil des reglementsmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung zu verabreichen sei. § . 16. Welche der in den vorhergehenden Paragraphen bestinnnten Strafen anzuwenden sei, ist nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit Rücksicht auf die sonstige Führung des Angeschuldigten zu ermessen, unbeschadet der besonderen Bestimmungen der §§. 7. und 8.

Zweiter Abschnitt. Von dem Disziplinarverfahren.

§ . 17. Der Anwendung einer Disziplinarstrafe muß in allen Fällen eine niündliche Ver­ handlung vor dem zuständigen Disziplinargerichte vorhergehen. Ob dieselbe durch eine von einem Richter-Kommissar zu führende Voruntersuchung oder in anderer Weise vorzubereiten ist, bestimmt das Disziplinargericht. § . 18. Die zuständigen Disziplinargerichte sind: 1) Das Obertribunal in Ansehung seiner Mitglieder und der Präsidenten und Direktoren der Appellativ ns gerichtet'); 26) H. Diese giebt es nicht mehr. 27) H. Oberlandesgerichtsbezirks. 28) H. Präsidenten des Oberlandesgerichts. 29) H. Der letzte Satz ist beseitigt, s. §. 14' des Abänderungsges. 30) H. Vgl. hierzu auch §. 23 des Abänderungsges. 31) H. Durch Ges., betr. einige Abänderungen des Ges. über die Dienstvergehen der Richter v. 7. Mai 1851 G.S. S. 218 und die Einführung eines Ehrenrathes für die Rechts­ anwalte bei dem Ober-Tribunal. Vom 26. März 1856. (G.S. S. 201.) §. 1. Von den im §. 15. des Gesetzes vom 7. Mai 1851. aufgeführten Disziplinarstrafen wird die „zeitweise Entfernung von den Dienstverrichtungen" hiermit aufgehoben. An Stelle dieser Strafe tritt Versetzung in ein anderes Richteramt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkonrnlens und Verlilst des Anspruchs auf Umzugskosten, oder mit einem von beiden Nachtheilen. In den dazu geeigneten Fällen kann statt der Ver­ minderung des Diensteinkommens eine Geldbuße verhängt werden, welche ein Drittel des Jahres­ gehaltes nicht übersteigt. Die Bestimmungen des §. 49. des Gesetzes v. 7. Mai 1851. finden Anwendung, wenn die Disziplinaruntersuchung die Versetzung in ein anderes Amt zur Folge gehabt hat. Ist gegen ein Mitglied des Revisionskollegiums (jetzt: Ober-Landeskultur­ gerichts) oder des Generalauditoriats auf diese Strafe erkannt, so kann dieselbe in der Weise vollzogen werden, welche in denr ersten Satze des §. 68. und des §. 74. des angeführten Gesetzes bestimnit ist.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der Richter rc.

147

2) der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Ansehung seiner Mit­ glieder, der Präsidenten des Rheinischen Appellationsgerichtshofes und des Direktors des Justizsenats zu Ehrenbreit st ein ™); 3) die Appellationsgerichte, einschließlich des Appellationsgerichtshofes zu Köln und des Justizsenats zu Ehrenbreitstein, in Ansehung ihrer Mitglieder, mit Ausschluß der Präsidenten und Direktoren^), und in Ansehung aller übrigen Richter ihres Gerichtssprengels35). §.19. Zur Erledigung der Disziplinarsachen können nur die etatsm ä ß i g e n Mitglieder Mitwirken^"). §. 20. Bei den beiden obersten Gerichtshöfen, sowie bei den Appella­ tiv nsgerichten, erfolgt die Erledigung der Disziplinarsachen in Plenar­ sitzungen, an denen wenigstens sieben Mitglieder mit Einschluß des Präsi­ denten Theil nehmen müssen. Appellationsgerichte, welche aus weniger als sieben Mitgliedern be­ stehen, können die Disziplin ar fachen bei Anwesenheit oon fünf Mitgliedern mit Einschluß des Präsidenten erledigen'^). §. 21. Der oberste Gerichtshof'") verweiset auf den Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Appellationsgerichte, oder des Angeschuldigten, die Erledigung einer Disziplinar­ sache an ein anderes Appellationsgericht'^), wenn bei dem zuständigen Gerichte die be­ schlußfähige Anzahl von Mitgliedern nicht vorhanden ist. Der oberste Gerichtshofs) kann auf den Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten diese Verweisung beschließen, wenn Gründe vorliegen, aus welchen die Unbe­ fangenheit des zuständigen Gerichts bezweifelt werden kann. - '---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 41)

§ . 22. Streitigkeiten über die Kompetenz der Appellationsgerichte") in Disziplinar­ sachen werden von dem obersten Gerichtshöfe ia) entschieden. § . 23. Die Einleitung der Disziplinarilntersuchung kann nur durch einen Beschluß des Disziplinargerichts erfolgen. Erachtet dasselbe eine Voruntersuchung für nöthig, so beauftragt der Erste Präsident des Gerichts^^), welches die Einleitung verfügt, einen Richter mit der Führung der Vor­ untersuchung. § . 24. Ueber die Einleitung der Displinaruntersuchung muß entweder von Amtswegen, jedoch nach Vernehmung des Antrages der Staatsanwaltschaft, oder auf den Antrag der Staats­ anwaltschaft Beschluß gefaßt werden. 32) H. Jetzt muß es heißen: Der große Disziplinarsenat in Ansehung der Präsidenten und Senatspräsidenten der Oberlandesgerichte, s. §. 8 des Abänderungsges. 33) H. Die Nr. 3 war schon durch die Vereinigung des Revisions- und Kassationshofes mit dem Obertribunal durch Ges. v. 17. März 1852 (G.S. S. 73) entfallen. 34) H. Lautet jetzt: d i e Disziplinarsenate bei den Oberlandesgerichten in Ansehung der Mitglieder der letzteren, mit Ausschluß des Präsidenten und der Senats Präsidenten, s. §§. 4 ff. des Abänderungsges. 35) H. Jetzt: Des betreffenden Oberlandesgerichtsbezirks. 36) H. Ersetzt durch §. 12 des Abänderungsges. 37) H. Beseitigt durch die in den vorangehenden Anmerkungen citirten Vorschriften. 38) H. Der große Disziplin arsenat, s. Anm. 32. 39) EL Oberlandesgericht. 40) H. große Disziplinarsenat. 41) H. Der hier weggelassene dritte Satz bezog sich auf den Revisions- und Kassationshof. 42) H. Oberlandesgerichte. 43) H. großen Disziplinars enate. Auch bei diesem §. ist ein zweiter, den in der Anm. 33 gedachten Gerichtshof betreffender Satz fortgelassen worden. 44) EL der Vorsitzend e desDisziplinargerichts, denn in Berlin beim Kammer­ gericht ist der Präsident nicht Vorsitzender des Disziplinarsenats, s. §. 6 des Abänderungsges. 10*

148

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 103 (Zusah 37).

§. 25. Gegen den Beschluß eines Appellativnsgerichts, durch welchen die Einleitung der Disziplinaruntersuchung abgelehnt wird, steht der Staatsanwaltschaft bei dem Appel­ lationsgerichte die Beschwerde an den ob ersten'Gerichts Hof offen45).46 47 48 §. 26. Wenn das Appellationsgericht eine Disziplinaruntersuchung in Fällen, wo sie stattfinden sollte, nicht einleitet, so ist der oberste Gerichtshof berechtigt, nach Anhörung der Staatsanwaltschaft die Einleitung derselben dem betreffenden Appellationsgerichte aufzugeben. §. 27. In der Voruntersuchung wird der Angeschuldigte vorgeladen, und, wenn er erscheint, gehört; es werden die Zeugen eidlich vernommen und die zur Aufklärung der Sache dienenden sonstigen Beweise herbeigeschafft4(5). Wenn der Richter-Kommissar die Vorunterstlchung für geschlossen erachtet, so theilt er die Akten der Staatsanwaltschaft zur Stellung ihres Schlußantrages mit.

Hält die Staatsanwaltschaft fernere Handlungen der Voruntersuchung für erforderlich, so hat sie dieselben bei dem Richter-Kommissar in Antrag zu bringen, welcher, wenn er entgegen­ gesetzter Ansicht ist, den Beschluß des Disziplinargerichts einzuholen hat.

§. 28. Trägt die Staatsanwaltschaft darauf an, den Angeschuldigten gänzlich außer Ver­ folgung zu setzen, so giebt das Gericht, insoweit es diese Ansicht theilt, dem Anträge statt, und ertheilt dem Angeschuldigten Ausfertigung des darauf bezüglichen, mit Gründen zu unterstützenden Beschlusses, welcher die Wirkung eines rechtskräftigen Urtheils hat. Wird die Sache nicht auf diese Weise erledigt, so verweist das Disziplinargericht dieselbe wegen aller Anschuldigungspunkte, die im Einleitungsbeschlusse erwähnt oder in der Vorunter­ suchung erörtert sind, zur mündlichen Verhandlung4^).

§. 29. Rach Erlaß des Verweisungsbeschlusses, oder, falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, des Einleit.ungsbeschlusses (§. 24.), und nach Eingang einer von der Staats­

anwaltschaft anzufertigenden Anschuldigungsschrift wird der Angeschuldigte, unter abschriftlicher Mittheilung des Beschülsses und der Anschuldigungsschrift, zu einer von dem Präsidenten4^^ des Disziplinargerichts zu bestimmenden Sitzung zur mündlichen Verhandlung vorgeladen49), 8- 30. Bei der mündlichen Verhandlung, welche in nicht öffentlicher Sitzung stattfindet, giebt zuerst ein von dem Vorsitzenden des Disziplinargerichts aus der Zahl der Mitglieder des­ selben zu ernennender Referent eine Darstellung der Sache, wie sie aus den bisherigen Ver­ handlungen hervorgeht. Der Angeschuldigte wird vernommen. Es wird darauf die Staatsanwaltschaft mit ihrem Vor- und Anträge und der Angeschul­ digte mit seiner Vertheidigung gehört. Dem Angeschuldigten steht das letzte Wort zu. §. 31. Wenn das Gericht auf den Antrag des Angeschuldigten oder der Staatsanwalt­ schaft, oder auch von Amtswegen die Vernehmung eines oder mehrerer Zeugen, sei es durch einen Richter-Kommissar, oder mündlich vor dem Gerichte selbst, oder die Herbeischaffung anderer Mittel zur Aufklärung der Sache für angemessen erachtet, so erläßt es die erforderliche Ver­ fügung und vertagt nöthigenfalls die Fortsetzung der Sache auf einen anderen Tag, welcher dem Angeschuldigten bekannt zu machen ist.

45) H. Auch hier ist wieder zu substituireu Oberlandesgericht, bez. großen Disziplinarsenat. 46) Der Staatsanwalt ist nicht berechtigt, vor Eröffnung der Disziplinaruntersuchung gegen einen richterlichen Beamten zu seiner Information Zeugen vernehmen zu lassen. J.M.Bl. 1851 S. 294. 47) Eine durch Beschluß eingeleitete Disziplinaruntersuchung kann nur durch Erkenntniß zum Austrage gebracht werden, wenn nicht die Staatsanwaltschaft darauf anträgt, den Ange­ schuldigten außer Verfolgung zu setzen. Beschl. des O.Tr. v. 7. Okt. 1864, J.M.Bl. S. 394. ‘ 48) H. Vorsitzenden, s. Änm. 44 zu 8- 23 dies. Ges. 49) Das Disziplinargericht bleibt auch kompetent, wenn der angeschuldigte richterliche Be­ amte vor rechtskräftig entschiedener Sache auf seinen Antrag aus seinem Staatsdienste entlassen wird oder zur Rechtsanwaltschaft übergeht. O.Tr. I v. I. Dez. 1871, J.M.Bl. 1872 S- 14.

8- 32. Der Angeschuldigte, welcher erscheint, kann sich des Beistandes eines Advokaten oder''O) Rechtsanwaltes als Vertheidigers bedienen. Der nicht erscheinende Angeschuldigte kann sich durch einen Advokaten oder^o) Rechts­ anwalt vertreten lassen. Dem Disziplinargerichte steht es jedoch jederzeit zu, das persönliche Erscheinen des Ange­ schuldigten unter der Warnung zu verordnen, daß bei seinem Ausbleiben ein Vertheidiger zu seiner Vertretung nicht zugelassen werden wird. 8- 33. Bei der Entscheidung hat das Disziplinargericht, ohne an positive Beweisregeln gebunden zu sein, nach seiner freien, aus dein ganzen Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu beurtheilen, inwieweit die Anschuldigung für begründet zu er­ achten sei. Das Urtheil, welches die Entscheidungsgründe enthalten muß, wird in der Sitzung, in ivelcher die mündliche Verhandlung beendigt worden ist, oder in einer der nächsten Sitzungen verkündigt und eine Allsfertigung desselben dem Angeschuldigten auf sein Verlangen ertheilt. §. 34. Ueber die mündliche Verhandlung wird ein Protokoll ausgenommen, welches die Namen der Anwesenden und die wesentlichen Momente der Verhandlung enthalten muß. Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und dern Protokollführer unterzeichnet. §. 35. Das Rechtsmittel des Einspruches (Restitution oder Opposition) findet nicht statt. 8- 36. Gegen die von den ^tppellationsgerichten erlassenen Urtheile steht der Staatsanwaltschaft und dem Angeschuldigten die Berufung an den obersten Gerichtshofs') offen52 50).53 51 §. 37. Die Anmeldung der Berufung geschieht bei dem Gerichtshöfe, welcher das anzu­ greifende Urtel erlassen hat, in der für die Anmeldung der Berufung in Strafsachen vor­ geschriebenen Form. Von Seiten des Angeschuldigten kann dieselbe auch durch einen Bevoll­ mächtigten geschehen. Die Frist zu dieser Anmeldung ist eine vierwöchentliche, welche mit dem Ablaufe des Tages der Urtheilsverkündigung, und für den Angeschuldigten, welcher hierbei nicht zugegen war, mit dem Ablaufe des Tages beginnt, an welchen: ihm das Urtheil zugestellt worden ist. §. 38. Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung steht demjenigen, der dieselbe recht­ zeitig angenwldet hat, eine fernere vierzehntägige Frist offen. Diese Frist kann auf den Antrag des Appellanten angemessen verlängert lverden. 8- 39. Die Anmeldung der Berufumg und die etwa eingegangene Appellationsschrift wird den: Appellaten in Abschrift zllgestellt, oder der Staatsanwaltschaft, falls sie Appellatin ist, in Urschrift, vorgelegt. Innerhalb vierzehn Tagen nach erfolgter Zustellung oder Vorlegung kann der Appellat eine Gegenschrift einreichen. Diese Frist kann auf dell Antrag des Appellaten von dem Gerichte angemessen verlängert

werden. §. 40. Nach Ablauf der in dem §. 39. bestimmten Frist werden die Akten an den obersten Gerichtshof5'^) eingesandt. Es wird ein Termin zur mündlichen Verhandlung der Sache angesetzt, zu de:n der Angeschuldigte vorzuladen ist. §. 41. Die Bestimmungen der 88- 30. bis 35. finden auch in der Appellations-Instanz Anrvendung.

50) H. Diese Worte fallen weg. 51) H. Hier muß es wieder heißen: Disziplinarsenaten, bez. großen Dis­ ziplinarsenat. 52) Die nur von dem Staatsanwalte eingelegte und zwar gegen den Angeschuldigten ge­ richtete Berufung kann eine Abänderung des ersten Erkenntnisses zu Gunsten des Angeschuldigten nicht herbeiführen. O.Tr. v. 5. Dez. 1859, Entsch. 42 S. 133. 53) H. großen Disziplinarsenat.

150

Zweiter Theil.

Zehnter Trtel.

103 (Zusatz 37).

§ . 42. Das Rechtsmittel der Richtigkeits-Beschlverde (des Kassations-Rekurses) findet in Dis­ ziplinarsachen nicht statt. § . 43. Gegen rechtskräftige Entscheidungen findet das außerordentliche Rechtsmittel der Restitution statt. Rücksichtlich der Fälle, in denen dasselbe zulässig ist, sowie rücksichtlich des Verfahrens, kommen, soweit dies Gesetz nicht etwas Anderes festsetzt, die Vorschriften des ge­ wöhnlichen Strafprozesses zur Anwendung. Dritter Abschnitt. Von der Amtssuspension.

§ . 44. Die Suspension eines Richters vom Amte tritt kraft des Gesetzes ein: wenn in dem gewöhnlichen Strafverfahren seine Verhaftung beschlossen, oder gegen ihn ein noch nicht rechtskräftig gewordenes Urtheil erlassen ist, welches auf den Verlust des Amtes lautet, oder diesen kraft des Gesetzes nach sich zieht; 2) wenn im Disziplinarverfahren ein noch nicht rechtskräftiges Urtheil auj Dienstentlassung ergangen ist. § . 45. In dem im vorhergehenden Paragraphen unter Nr. 1. vorgesehenen Falle dauert die Suspension bis zum Ablaufe des zehnten Tages nach Wiederaufhebung des Verhaftungs­ beschlusses oder nach eingetretener Rechtskraft desjenigen Urtheils höherer Instanz, durch welches der angeschuldigte Richter zu einer anderen Strafe, als der bezeichneten, verurtheilt wird. Lautet das rechtskräftige Urtheil auf Freiheitsstrafe, so dauert die Suspension, bis das Urtheil vollstreckt ist. Wird die Vollstreckung des Urtheils ohne Schuld des Verurtheilten auf­ gehalten oder unterbrochen, so tritt für die Zeit des Aufenthaltes oder der Unterbrechung eine Gehalts-Verkürzung (§. 48.) nicht ein. Dasselbe gilt für die im ersten Absätze dieses Paragraphen erwähnte Zeit von zehn Tagen, wenn nicht vor Ablauf derselben die Suspension vom Amte von dem zuständigen Disziplinargerichte beschlossen wird. In dem unter Nummer 2. erwähnten Falle dauert die Suspension bis zur Rechtskraft des in der Disziplinarsache ergehenden Urtheiles. § . 46. Bei Erlassung des Beschlusses auf Einleitung der Disziplinaruntersuchung und im ganzen Laufe derselben kann das Gericht, bei welchem sie anhängig ist, von Amtswegen, jedoch nach Vernehmung des Antrages der Staatsanwaltschaft, oder auf den Antrag der Staats­ anwaltschaft, die Suspension des Angeschuldigten vom Amte beschließen, wenn dieselbe mit Rück­ sicht auf die Schwere des Dienstvergehens als angemessen erscheint. Die nämliche Befugniß steht dem zuständigen Disziplinargericht in allen Fällen zu, wo gegen einen Richter im Wege des gewöhnlichen Strafverfahrens eine Untersuchung eingeleitet worden ist. § . 47. Gegen den Beschluß eines Appellationsgerichts, durch welchen die Suspension verhängt oder abgelehnt wird, steht der Staatsanwaltschaft, und gegen den Beschluß, durch welchen sie verhängt wird, steht dem Angeschuldigten die Beschwerde an den obersten Gerichts­ hof") offen. Der angegriffene Beschluß wird bis zu der Wiederaufhebung vollstreckt. § . 48. Der suspendirte Richter behält während der Suspension die Hälfte seines Dienst­ einkommens -,5). Auf die für Dienstunkosten besonders angesetzten Beträge ist bei Berechnung der Hälfte des Diensteinkommens keine Rücksicht zu nehmen. 1)

54) Zu lesen: Disziplinarsenates, bez. großen Disziplinarsenat. 55) Bei Feststellung des den suspendirten Beamten gemäß §. 51 des Ges. v. 21. Juli 1852 und gemäß des §. 48 des Ges. v. 7. Mai 1851, zu belassenden Theiles ihres Dienst­ einkommens sind von dem letzteren die Wittwenkassen-Beiträge des betreffenden Beamten vorweg in Abzug zu bringen. Beschl. des Staatsmin. v. 9. Aug. 1855, J.M.Bl. S. 348. Aus der zurückgehaltenen Gehaltshälfte kann der suspendirte Beamte die theilweise Er­ stattung des Miethswerthes der ihm eingeräumt gewesenen Dienstwohnung verlangen. Reskr. v. 19. Juni 1856, M.Bl. f. d. i. V. S. 218.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der Richter rc.

151

Aus dem innebehaltenen Theile des Diensteinkommens sind die Kosten der Stellvertretung des Angeschuldigten und des Untersuchungsverfahrens zu bestreiten^). § . 49. Der zu den Kosten (§. 48.) nicht verwendete Theil des Einkommens wird dem Richter nicht nachgezahlt, wenn die Untersuchung die Strafe der Versetzung in ein anderes Amt'^) oder den Verlust des Amtes zur Folge gehabt hat. Erinnerungen über die Verwendung des Einkommens stehen dem Richter nicht zu; wohl aber ist ihm auf Verlangen eine Nachweisung über diese Verwendung zu ertheilen. § . 50. Wird der Richter freigesprochen, so muß ihm der innebehaltene Theil des Diensteinkonunens vollständig nachgezahlt werden. Wird er nur mit einer Warnung oder einem Ver­ weise belegt, so ist ihm der innebehaltene Theil ohne Abzug der Stellvertretungskosten nach­ zuzahlen, soweit derselbe nicht zur Deckung der Untersuchungskosten erforderlich ist.

Vierter Abschnitt. Von der unfreiwilligen Versetzung auf eine andere Stelle.

§ . 51. Die Versetzung eines Richters von einer Stelle auf eine andere wider dessen Willen kann, a u ßer dem Falle,wennsie durchVeränderungeninderOrganisation der Gerichte oder ihrer Bezirke nöthig wird^^), nur geschehen, wenn sie durch das Interesse der Rechtspflege dringend geboten ist. § . 52. Wenn zwischen Richtern, welche bei dem nämlichen Gerichte angestellt sind, ein Schwägerschafts-Verhältniß bis zum dritten Grade einschließlich entsteht, so muß sich derjenige, durch dessen Verheirathung ein solches Verhältniß eingetreten ist, die Versetzung auf eine andere Stelle gefallen lassen ^). § , 53. Die unfreiwillige Versetzung kann nur in ein anderes Richteramt von gleichem Range und Gehalte erfolgen; hat der Richter dazu nicht auf die im §. 52. bezeichnete Weise Veranlassung gegeben60), so müssen ihm die vorschriftsmäßigen Versetzungskosten gewährt werden. § . 54. Die unfreiwillige Bersetzung kann nur auf Grund eines von dem obersten Gerichts­ höfe in einer Plenarversammlung gefaßten Beschlusses erfolgen, welcher erklärt, daß der Fall der Versetzung vorliege. Der Gerichtshof kann einen solchen Beschluß nur fassen, wenn die Staats­ anwaltschaft bei demselben, unter Vorlegung eines ihr von dem Justizminister dazu ertheilten Befehles, ihren Antrag darauf richteto*). §. 55. Bevor dem Anträge der Staatsanwaltschaft stattgegeben werden kann, muß der betreffende Richter unter Mittheilung des Antrages mit einer vierwöchentlichen Frist zur schrift­ lichen Erklärung aufgefordert werden.

Ein weiteres Verfahren findet nicht statt.

Fünfter Abschnitt. Von der unfreiwilligen Versetzung in den Ruhestand.

§. 56. Ein Richter, welcher durch Blindheit, Taubheit oder ein sonstiges körperliches Ge­ brechen, oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig ist, muß in den Ruhestand versetzt werden. §. 57. Sucht der Richter in einem solchen Falle seine Versetzung in den Ruhestand nicht nach, so findet das in den nachstehenden Paragraphen vorgeschriebene Verfahren statt. §. 58. Der Richter oder sein nöthigenfalls hierzu besonders zu bestellender Kurator wird

56) Bezüglich der Gehaltszahlung an suspendirte Beamte vergl. die Reskr. v. 9. Aug. 1853, J.M.Bl. S. 334, und v. 24. März 1855, J.M.Bl. S. 94. 57) Vergl. Ges. v. 26. März 1856 §. 1. S. Anm. 31 zu §. 15 dies. Ges. 58) H. Ersetzt durch die materiell gleiche Vorschrift des G.V.G. §. 8 Abs. 3. 59) H. Ist durch §. 8 des G.V.G. nicht aufgehoben 60) H. Diese Voraussetzung entfällt zufolge §. 1 des Ges. v. 24. Febr. 1877, Zus. 24 zu §. 85 d. T. Eine Ausnahme s. in Anm. 31 zu §. 15 dies. Ges. Der Absatz 2 des Paragraphen fällt fort. 61) H. Der zweite, das Obertribunal und den Kassationshof betreffende Absatz ist fortgelassen.

152

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

103 (Zusatz 37).

von dem Vorsitzenden des Gerichts, dessen Mitglied er ist, schriftlich unter Angabe der Gründe darauf aufmerksam gemacht, daß der Fall der Versetzung in den Ruhestand vorliege. In Ansehung der Einzelrichter hat den Beruf hierzu der Präsident oder Direktor desjenigen Gerichts erster Instanz, in dessen Gerichtssprengel der Einzelrichter angestellt ist °-); in Ansehung der Präsidenten oder Direktoren der Gerichte erster Instanz der Erste Präsident des Appellationsgerichts; in Ansehung der Ersten Präsidenten der Appellationsgerichte der Erste Präsident des obersten Ger ich tshofeso^). § . 59. Die in dem vorhergehenden Paragraphen vorgeschriebene Eröffnung geschieht durch den zuständigen Vorsitzenden von Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft. Wird sie nicht vorgenommen, so beschließt das unmittelbar höhere Gericht^'"'"), oder wenn es sich um den Ersten Präsidenten eines Appellationsgerichts oder ein Mitglied eines obersten GerichtshofesoZ handelt, dieser Gerichtshof in seiner Plenarversammlung^^), von Amtswegen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft, daß sie stattfinden solle, und in diesem Falle muß sie von dem ErstenO^) Präsidenten des be­ schließenden Gerichts vorgenommen werden. Dem Ersten Präsidenten eines obersten Gerichtshofesob) kann die Eröffnung nur auf Grund eines Beschlusses dieses Gerichtshofeso») gemacht werden, welcher alsdann von dem gesetzlichen Stellvertreter des Ersten Präsidenten^) vollzogen wird. tz. 60. Wenn der Richter oder dessen Kurator nicht innerhalb sechs Wochen von dem Tage der ihm in Gemäßheit der §§. 58. oder 59. gemachten Eröffnung seine Versetzung in den Ruhestand freiwillig nachsucht, so muß, wenn es sich um ein Mitglied eines obersten Gerichts­ hofes oder um den Ersten Präsidenten eines Appellationsgerichtsn) handelt, oder wenn in Gemäßheit des §. 59. ein Beschluß des obersten Gerichts!) ofes72) ergangen ist, dieser Gerichtshof, in allen übrigen Fällen das Appellationsgericht7'7), nachdem ihm die etwaige Gegenerklärung des betreffenden Richters vorgelegt worden ist, in einer Plenar­ versammlung7^) darüber Beschluß fassen, ob dem Verfahren Fortgang zu geben sei oder nicht. § . 61. Beschließt das Gericht die Fortsetzimg des Verfahrens, so ernennt dessen Erster Präsident7^) einen Richter-Kommissar. Dieser hat die Thatsachen, durch welche die Versetzung in den Ruhestand begründet werden soll, zn erörtern, die erforderlichen Zeugen und Sach­ verständigen eidlich zu vernehmen, und zum Schlüsse den Richter oder dessen Kurator mit seiner Erklärung über das Ergebniß der Erörterung zu hören. § . 62. Die geschlossenen Akten werden den: Gerichte vorgelegt, welches in seiner Plenarversammlung 7O) nach Anhörung der Staatsanwaltschaft darüber Beschluß faßt, ob der Fall der Versetzung in den Ruhestand vorliege. Das Gericht kann vor Abfassung dieses 62) H. Hier ist jetzt zu setzen: Amtsrichter, bez. Präsident desjenigen Land­ gerichts. 63) H. Muß lauten: in Ansehung der Präsidenten der Landgerichte der Präsident des Oberlandesgerichts, in Ansehung der Präsidenten der Oberlandesgerichte der Präsident des großen Disziplinarsenates. 63») H. Jetzt: D iszip linar sen at. 64) H. Präsidenten eines Oberlandesgerichts. 65) H. der große Disziplinarsenat. 66) H. Fällt fort. 68) H. Jetzt: Den Präsidenten der Oberlandesgerichte. 69) H. des großen Disziplin ar senates. 70) H. Muß jetzt lauten: Wenn er den Präsidenten des Kamnrergerichts be­ trifft, von dem ältesten Senatspräsidenten. 71) H. den Präsidenten eines Oberlandesgerichts. 72) H. großen Disziplinarsenates. 73) H. Disziplinarsenat des Oberlandesgerichts. 74) H. Diese Worte entfallen, s. Abänderungsges. §. 4. 75) H. Vorsitzender, s. Anm. 44 zu §. 23 dies. Ges. 76) H. Diese Worte sind zu streichen, s. Anm. 74 zu §. 60 dies. Ges.

Gesetz, betr. die Dienstvergehen der Richter rc.

153

Beschlusses die Borlndung der Zeugen und der Sachverständigen zum Zwecke ihrer mündlichen Vernehnrung in der Sitzung verordnen. Dem Gericht steht es jederzeit zu, das Erscheinen des betheiligten Richters unter der Warnung zu verordnen, daß bei seinem Ausbleiben ein Anwalt zu seiner Vertretung nicht zugelassen wird. £. 63. Der Beschluß ist einem Rechtsmittel nicht unterworfen. Er wird dem Justizminister übersandt, welcher, wenn derselbe dahin lautet, daß der Fall der Versetzung in den Ruhestand

vorliege, das Weitere zu veranlassen hat. §. 64. Die Versetzung in den Ruhestand findet bei Richtern, welchen reglementsmäßig eine Pension zu bewilligen ist, nur unter Gewährung der reglementsmäßigen Pension statt. Es wird ihnen das volle Gehalt noch bis zum Ablaufe desjenigen Vierteljahres fortgezahlt, welches auf den Monat folgt, in den: ihnen die schließliche Verfügung über die erfolgte Ver­ setzung in den Ruhestand nütgetheilt worden ist.

Sechster Abschnitt. Nähere Bestimmungen, betreffend die Auseinandersetzungs-Behörden, das Geireralanditoriat und die Auditeure^).

§. 65. Die Vorschriften dieser Verordnung sind mit den folgenden näheren Bestimmungen anwendbar: 1) auf die Präsidenten, Dirigenten und übrigen Mitglieder des Nevisionskollegiums für Landeskultur-Sachen^^), der Generalkominissionen und landwirthschaftlichen Regierungsabtheilungen70); 2) auf den Generalauditeur, die übrigen Mitglieder des Generalauditoriates und die Auditeure80 77).81 7882 79 66. Die Bestiminungen, welche die Gerichte erster Instanz betreffen, finden auf die Generalkommissionen und landwirthschaftlichen Regierungsabtheilungen Anwendung. Von dem Revisionskollegium werden die Verrichtungen wahrgenommen, welche den Appellationsgerichten zustehensl). Das Obertribunal und dessen Erster Präsident8^') üben die ihnen beigelegten Befugnisse auch in Ansehung der genannten Auseinandersetzungs-Behörden aus. $. 67. In den Füllen des §. 21. verweiset das Obertribunal die Sache an ein Appellativ ns g er icht83).84 85 86 §. 68. Die unfreiwillige Versetzung eines Mitgliedes des Revisionskollegiums8') auf eine andere Stelle kann an eine Provinzialbehörde erfolgen, für die dasselbe die gesetzliche Qualifikation besitzt. Der in Gemäßheit des §. 54. vorzulegende Befehl wird von dem Justiz­ minister und dem Minister für landwirthschaftliche Angelegenheiten erlassen. An diese Minister wird auch im Falle des §. 63. der Beschluß eingesandt8''). sj. 69. Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionskollegium werden von der Staatsanwaltschaft bei dem Appellativnsgerichte8^) wahrgenommen, in dessen Bezirke das Revisionskollegium seinen Sitz hat. §. 70. Das Generalauditoriat ist das zuständige Disziplinargericht für die Auditeure.

77) H. Vgl. Reichsbeamtenges. §. 158, Zus. 10 zu $. 69 d. T. 78) H. Jetzt: Ober-Landeskulturgerichte, s. Anm. 84 zu Zus. 36 bei 99—101 d. T. 79) H. Diese Worte entfallen, denn die betreffenden Regierungsabtheilungen sind beseitigt, s. die Ges. über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung v. 26. Juli 1880 §8. 15, 22, G.S. S. 291, ii. v. 30. Juli 1883 §§. 16, 23. 80) H. Vergl. §. 14 des Abänderungsges. 81) H. Ober-Landeskulturgericht, bez. Disziplinarsenaten der Ober­ landesgerichte. 82) H. Der große Disziplinarsenat und dessen Vorsitzender. 83) H. der große Disziplinarsenat an ein Oberlandesgericht. 84) H. Ober-La ndeskulturge,r icht. 85) H. Vgl. hierzu Anm. 31 zu §. 15 dies. Ges. 86) H. Ober-Landeskulturgericht, bez. Oberlandesgerichte.

154

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§. 103 (Zusatz 38).

Es erledigt in derjenigen Zusammensetzung, welche für seine Entscheidungen überhaupt vorgeschrieben ist, auch die Disziplinarsachen. Es ist befugt, ohne förmliches Disziplinarverfahren, Warnungen, Verweise und Geldbußen bis zu zehn Thalern gegen Auditeure endgültig zu verhängen. § . 71. Die in dem §. 13. dieses Gesetzes vorgeschriebene Verrichtung wird in Ansehung des Generalauditeurs von dem Ersten Präsidenten des Obertribunales^^), in Ansehung der übrigen Mitglieder des Generalauditoriates und der Auditeure von dem General­ auditeur wahrgenommen. § . 72. Das Obertribunal an) ist das zuständige Disziplinargericht für die Mitglieder des Generalauditoriates. Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Generalauditoriates und die Berufung von dessen Entscheidungen, soweit die eine oder die andere zulässig ist, geht an das Obertribunal **). § . 73. Dem Obertribunale stehen die ihm in den §§. 21., 22. und 26. beigelegten Befugnisse auch in Ansehung des Generalauditoriates zu. Die Verweisung (§. 21.) geschieht an ein Appellationsgericht *&). § . 74. Die unfreiwillige Versetzung eines Mitgliedes des Generalauditoriates kann an ein Appe llationsgericht^«) erfolgen. Der Beschluß darüber, ob der Fall der unfreiwilligen Ver­ setzung vorliege, wird von dem Obertribunale^o) erlassen. In Ansehung der Auditeure steht dieser Beschluß dem Generalauditoriate zu. Ist ein Divisionsauditeur zum Felddienst untauglich geworden, so kann die Versetzung in eine Auditeurstelle geschehen, zu deren Verwaltung die Felddienstfähigkeit nicht erforderlich ist. Der in Gemäßheit des §. 54. vorzulegende Befehl wird von den Ministern der Justiz und des Krieges erlassen”'). § . 75. Ueber die unfreiwillige Versetzung in den Ruhestand wird hinsichtlich der Auditeure von dem Generalauditoriate, und in Ansehung der Mitglieder des Generalauditoriates von dem Obertribunaleo") Beschluß gefaßt. Die in dem §. 58. vorgeschriebene Eröffnung wird in Ansehung des Generalauditeurs von dem Ersten Präsidenten des Obertribuna les °3), in Ansehung der übrigen Mit­ glieder des Generalauditoriates und der Auditeure von dem Generalauditeur vorgenommen. Dem Obertribunaleo^) stehen die ihm durch die §§. 59. bis 61. beigelegten Befugnisse auch in Ansehung der Mitglieder des Generalauditoriates und der Auditeure zu. Im Falle des §. 63. wird der Beschluß an die Minister der Justiz und des Krieges gesandt. § . 76. Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft bei dem Generalauditoriate werden von einem durch die Minister der Justiz und des Krieges zu bezeichnenden Beamten wahrgenommen,

welcher die Qualifikation zum höheren Richteramte besitzt. §. 77. Hinsichtlich der Auditeure finden die §§. 43., 44. der Verordnung vom 21. Oktober 1841. (Gesetz-Sammlung S. 325.) mit der Maaßgäbe An­ wendung, daß die Ordnungsstrafen nie in Arre st st rasen bestehen dürfenoft).

Für die Zeit des Krieges sind die Bestimmungen der Verordnung vom 24. September 1826. Nr. 2. anwendbar.

87) H. Fällt fort, s. §. 14 des Abänderungsges. 88) H. Dem großen Disziplinarsenat. 89) H. Oberlandesgericht. 90) H. S. Anm. 88. 91) H. Vgl. hierzu Anm. 31 zu §. 15 dies. Ges. 92) H. großen Disziplinarsenate. 93) H. Vorsitzenden des groß en Disziplinarsenates. 94) H. großen Disziplinarsenat. 95) H. Dieser Absatz ist durch die V. über die Disziplinarbestrafung in der Armee v. 21. Juli 1867 §. 58 (Armeeverordnungsbl. S. 103) aufgehoben. An Stelle dieser letzteren ist die Dis­ ziplinarstrafordnung für das Heer v. 31. Okt. 1872 §§. 32-37 (Armeeverordnungsbl. S. 330) getreten.

Gesetz, betr. die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze.

155

§ . 78. In dem Bezirke des Rheinischen Appellativnsgerichtshofes zu Köln findet wege n Dien st vergehen, welchen n ter suchungs richte r oder Friedens­ richter als Beamte der gerichtlichen Polizei begehen, lediglich eine Bestrafung und ein Verfahren nach den Bestimmungen dieser Verordnung statt96).97 § . 79. Die Untersuchungen, welche zur Zeit der Verkündigung des gegenwärtigen Gesetzes im Wege des gewöhnlichen Strafverfahrens oder des Disziplinarverfahrens bereits eröffnet sind, werden in der bisherigen Weise zu Ende geführt. Die Untersuchung wird als eröffnet betrachtet, wenn der Beschuldigte als solcher vernommen oder Behufs seiner Vernehmung vorgeladen ist. Die ergangenen Strafurtheile werden ohne Rücksicht auf die Bestimmungen dieses Gesetzes vollstreckt. § . 80. Handelt es sich um die Suspension üom Amte (§§. 44. ff.), so gelten die Be­ stimmungen dieses Gesetzes. Ueber das Fortbestehen oder die Aufhebung einer Suspension, welche von einem anderen Gerichte, als dem nach den Vorschriften dieses Gesetzes zuständigen Disziplinargerichte bereits verfügt ist, geht die Beschwerde zunächst an dieses Disziplinargericht. § . 81. Alte diesem Gesetze entgegenstehenden Vorschriften werden aufgehoben. Dagegen wird durch dasselbe in der Befugnis; der Aufsichtsbehörden, im Aufsichtswege Beschwerden Ab­ hülfe zu verschaffen oder Richter zur Erfüllung ihrer Pflichten in einzelnen Sachen anzuhalten, und dabei alles zu thun, ivozu sie nach den bestehenden Gesetzen ermächtigt sind, nichts geändert; ebensowenig in der Befugniß höherer Gerichte, in diesen Fällen Rügen auszusprechen"?), und Richter z u m Ersätze von K o st e n und u n t e r Vorbehalt des Rechtsweges z u m Ersätze von Schäden anzu halten98).99 § . 82. Dieses Gesetz tritt an Stelle der vorläufigen Verordnung vom 10. Juli 1849. Urkundlich re.

38. Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen der Dis­ ziplinargesetze. Vom 9. April 1879. (G.S. S. 345.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnade;: König von Preußen re. verordnen, unter Zustünmung beider Häuser des Landtages der Monarchie, was folgt: §. 1. Die Bestimmungen 1) der Gesetze vom 7. Mai 1851 und 26. März 1856, betreffend die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, 2) des Gesetzes vom 21. Juli 1852, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Be­ amten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, 3) der Verordnung vom 23. September 1867, betreffend die Ausdehnung der Preußischen Disziplinargesetze auf die Beamten in den neu erworbenen Landestheilen, 4) des §. 5 des Gesetzes vom 27. März 1872, betreffend die Einrichtung und die Befugnisse der Ober-Rechnungskammer, des §. 34 Absatz 2 des Gesetzes vom 12. Mai 1873 über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten, sowie die in diesen gesetzlichen Bestimmungen (Nr. 1 bis 5) in Bezug genommenen Gesetze werden durch die in den §§. 2 bis 26 enthaltenen Vorschriften abgeändert. §. 2. Im Sinne der im §. 1 bezeichneten Gesetze gelten als Einzelrichter die Arntsgerichte, als Gerichte erster Instanz die Landgerichte. 5)

96) H. Entfällt, da die hören, G.V.G. §. 153. 97) H. Vgl. Ausf.Ges. z. 98) H. Beseitigt durch 99) H. Der zweite Absatz 1851 bedeutungslos geworden.

Richter nicht mehr zu den Beamten der gerichtlichen Polizei ge­

G.V.G. v. 24. April 1878 §§. 80, 81. 82 des vor. Anm. eit. Gesetzes. ist schon durch die Einführung des preuß. Str.G.B. v. 14. April

156

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

103 (Zusatz 38).

8- 3. 2ln die Stelle der Appellationsgerichte treten die Oberlandesgerichte. §. 4. Zur Erledigung der Angelegenheiten, welche den Plenarversammlungen der Appellations­ gerichte zugewiesen sind, werden bei den Oberlandesgerichten Disziplinarsenate gebildet. Dieselben entscheiden in der Besetzung von sieben Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. §. 5. Vorsitzender des Disziplinatsenats ist der Präsident, im Falle der Verhinderung desselben der älteste Senatspräsident. Zu den Mitgliedern gehört der älteste Senatspräsident oder, falls dieser den Vorsitz führt, der nächstälteste Senatspräsident. §. 6. Für den Disziplinarsenat des Oberlandesgerichts zu Berlin gelten die nachstehenden besonderen Bestimmungen: Vorsitzender des Disziplinarsenats ist der älteste Senatspräsident, im Falle der Verhinderung desselben der nächstälteste Senatspräsident. Zu den Mitgliedern gehört der nächstälteste Senatspräsident oder, falls dieser den Vorsitz führt, der ihm dem Alter nach folgende Senatspräsident. §. 7. Die Bestimmung der aus der Zahl der Räthe erforderlichen Mitglieder des Dis­ ziplinarsenats erfolgt nach den für die Bildung der Eivil- und Strafsenate geltenden Vor­ schriften. §. 8. An die Stelle des Obertribunals tritt der bei dem Oberlandesgericht zu Berlin zu bildende große Disziplinarsenat. Der große Disziplinarsenat entscheidet in der Besetzung von fünfzehn Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. §. 9. Vorsitzender des großen Disziplinarsenats ist der Präsident, inr Falle der Verhinderung desselben der älteste Senatspräsident. Zu den Mitgliedern gehören die fünf ältesten Senatspräsidenten oder, falls der älteste Senatspräsident den Vorsitz führt, die fünf ihm den: Alter nach folgenden Senatspräsidenten. Die Bestimmung der aus der Zahl der Räthe erforderlichen Mitglieder des großen Dis­ ziplinarsenats erfolgt nach den für die Bildung der Eivil- und Strafsenate geltenden Vorschriften.

Ein Richter, welcher bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung des großen Disziplinarsenats kraft Gesetzes ausgeschlossen. 8- iO. Das Alter der Senatspräsidenten wird nach dem Dienstalter, bei gleichen: Dienst­ alter nach dem Lebensalter bestimmt. Die Senatspräsidenten, welche im einzelnen Falle in Folge rechtlicher oder thatsächlicher Verhinderung an der Entscheidung nicht Theil nehmen können, konunen für die nach dem Alter sich ergebende Reihenfolge nicht in Betracht. §. 11. Die Angelegenheiten, welche den Abtheilungen und Senaten der Appellations­ gerichte zugewiesen sind, werden von dem Senat des Oberlandesgerichts, in welchen: der Präsident den Vorsitz führt, in der Besetzung von fünf Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden erledigt. §. 12. Hülfsrichter sind von der Theilnahme an den Entscheidungen über Disziplinar­ sachen ausgeschlossen. Die mit der Voruntersuchung beauftragten Richter sind von der Theilnahme an den Ent­ scheidungen, die Richter, welche an Beschlüssen außerhalb der Hauptverhandlung mitgewirkt haben, von der Theilnahme an dem Hauptverfahren nicht ausgeschlossen. Die Entscheidungen erfolgen nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. §. 13. Die richterlichen Mitglieder des Disziplinarhofes für nicht richterliche Beamte müssen den: Oberlandesgericht in Berlin angehören. §. 14. Die Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Revisionskollegiums für Landeskultursacheno^rr), der Ober-Rechnungskammer und des Königlichen Gerichtshofes fürkirchliche Angelegenheiten, sowie der General-Auditeur der Armee, unterliegen nicht der Vorschrift des §. 13. des Gesetzes vom 7. Mai 1851.

99a)

h.

Jetzt: des Ober-Landeskulturgerichts.

Gesetz, betr. die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze.

157

Den bezeichneten Beamten kann die im §. 58 des Gesetzes vom 7. Mai 1851 vorgeschriebene Eröffnung nur auf Grund eines Beschlusses des großen Disziplinarsenats gemacht werden. §. 15. Die in dem Gesetze vom 21. Juli 1852 hinsichtlich der Polizeianwälte getroffenen Bestimmungen finden auf die Amtsanwälte entsprechende Anwendung. §. 16. Die in den §§. 57, 58, 63 des Gesetzes vom 21. Juli 1852 hinsichtlich der Be­ amten der gerichtlichen Polizei getroffenen Bestimmungen finden auf die Beamten des Polizeiund Sicherheitsdienstes, welche Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, mit der Maßgabe An­ wendung, daß gegen solche Beamte, welche ihr Amt als Ehrenamt versehen, Ordnungsstrafen von den Justizbehörden nicht festgesetzt werden dürfen §. 17. Die im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln hinsichtlich der Gerichts­ schreiber geltenden besonderen Vorschriften werden aufgehoben. Die Gerichtsschreiber gelten auch in dem gedachten Bezirke int Sinne des Gesetzes vom 21. Juli 1852 als Büreaubeamte bei den Gerichten. $. 18. Die. Gerichtsvollzieher unterliegen denselben Bestimmlingen wie die Gerichts­ schreiber 10°). Die Befugnis; zur Festsetzung von Ordnungsstrafen gegen Gerichtsvollzieher steht den in Gemäßheit des §. 73 des Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze vom 24. April 1878 zu bestimmenden Aufsichtsbeamten zu. Geldstrafen dürfen verhängt werden: 1) von den Aufsichtsbeamten bei den Oberlnndesgerichten bis zum Betrage von neunzig Mark; 2) von den Aufsichtsbeamten bei den Landgerichten bis zum Betrage von dreißig Mark; 3) von den Aufsichtsbecnnten bei den Amtsgerichten bis zum Betrage von neun Mark. §. 19. Hinsichtlich der Büreau- und Unterbeamten, welche unter der alleinigen Aufsicht der Staatsanwaltschaft stehen, finden die hinsichtlich der Büreau- und Unterbeantten bei den Ge­ richten in dem Gesetze vom 21. Juli 1852 getroffenen Bestimmungen mit der Maßgabe Annwndung, daß die Befugnis; zur Festsetzung von Ordnungsstrafen den Beamten der Saatvanivaltschaft zusteht, Geldstrafen jedoch nur verhängt werden dürfen: 1) von dem Oberstaatsanwalt bis zunl Betrage von neunzig Mark; 2) von dein Ersten Staatsanwalt bis zum Betrage von dreißig Mark. $. 20. Beschwerden der in den §§. 17 bis 19 bezeichneten Beamtei; gegen die Festsetzung von Ordnungsstrafen werd eil int Aufsichtswege erledigt. §. 21. In dein Geltungsbereiche des Gesetzes vom 30. April 1847 über die Bildung eines Ehrenraths und im Kreise Herzogthum Laueilburg ist hinsichtlich der Notare der Disziplinarsenat des Oberlandesgerichts (§. 4) das zuständige Disziplinargericht erster Instanz. Auf das Dis­ ziplinarverfahren und die vorläufige Enthebung vom Amte finben mit den aus dem gegen­ wärtigen Gesetze sich ergebenden Abänderungen die Vorschriften des zweiten und dritten Abschnitts des Gesetzes vonl 7. Mai 1851 Anwendung. §. 22. Wird gegen einen Notar, welcher zugleich Rechtsanwalt ist, auf Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft rechtskräftig erkannt, so erlischt dessen Amt als Notar von selbst. §. 23. Richterlichen Beamten gegellüber liegt in dem Recht der Aufsicht (§. 78 des Aus­ führungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze vom 24. April 1878) die Befugniß, die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen und zu dessen rechtzeitiger und sachgelnäßer Erledigullg zu ermahnen. Beantragt der richterliche Beamte die Einleitung der Disziplinaruntersuchung, weil ihm eine Ordnungswidrigkeit oder Säumniß in der Erledigung eines Amtsgeschäfts nicht zur Last falle,

99 b) Davon soll durch die Beamten der Staatsanwaltschaft aber erst Gebrauch gemacht werden, wenn die den Hülfsbeamten im Hauptamte vorgesetzten Behörden vergeblich um Abhülfe ersucht worden sind. R. d. Just.Min. v. 7. Okt. 1879, M.Bl. f. d. i. V. v. 1880 S. 2. 100) H. Ueber die Qualität der Gerichtsvollzieher als unmittelbarer besoldeter Staats­ beamter s. R. d. Min. d. Inn. v. 6. Juni 1881, M.Bl. s. d. i. V. v. 1881 S. 179, und v. 22. März 1882, a. a.'O. v. 1882 S. 81.

158

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 104—126.

so ist diesem Anträge stattzugeben. In dem Endurtheil ist zugleich über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der im Aufsichtswege getroffenen Maßregel zu erkennen. Es kann in diesem Verfahren im Falle der Feststellung eines Disziplinarvergehens auch auf Disziplinarstrafe erkannt werden. Hat der Beamte die Beschwerde auf Grund des §. 85 des Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze eingelegt, so findet der Antrag auf Einleitung der Disziplinar­ untersuchung nicht statt. Ebenso schließt der Antrag auf Einleitung der Disziplinaruntersuchung die Beschwerde aus. §. 24. Die Vorschriften des §. 23 Abs. 2 und 3 finden entsprechende Anwendung, wenn auf Grund des §. 13 des Gesetzes vom 7. Mai 1851 eine Mahnung erlassen ist. §. 25. Auf richterliche Beamte, welche nicht unter der Aufsicht der Justizverwaltung oder nicht ausschließlich unter der Aufsicht der Justizverivaltung stehen, finden die Bestimmungen der §§. 23, 24 nicht Anwendung. §. 26. Die Vorschriften der im §. 1 bezeichneten Gesetze finden mit den aus dem gegen­ wärtigen Gesetze sich ergebenden Abänderungen auf die in Gemäßheit des Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze von: 24. April 1878 zur Verfügung des Justizministers verbleibenden und einstweilig in den Ruhestand tretenden Beamten entsprechende Anwendung. §. 27. Die Bestimmungen der im §. I Dir. 1 bezeichneten Gesetze kommen mit den aus dem gegenwärtigen Gesetze sich ergebenden Abänderungen auch im Kreise Herzogthum Lauenburg zur Anwendung. §. 28. Soweit nach den bestehenden Vorschrift^: für die Festsetzung von Stempelstrafen gegen Beamte eine Justizbehörde als vorgesetzte Dienst- oder Disziplinarbehörde zuständig ist, geht diese Zuständigkeit auf den Präsidenten des Landgerichts über. Ueber den Rekurs entscheidet unmittelbar der Justizminister. §. 29. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch auf die vor dem Inkrafttreten des­ selben anhängig gewordenen Angelegenheiten Anwendung. §. 30. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit den: Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze in Kraft. Urkundlich 2C. Rechte der Civilbedien­ ten in ihren Privatange­ legenheiten.

§. 104. Civilbediente werden in ihren Privatangelegenheiten nach eben den Gesetzen und Rechten, wie andere Bürger des Staats, beurtheiltA). §.105. Fällt weg §. 106. Sie stehen unter eben den Gesetzen, welchen die übrigen von der ge­ meinen Gerichtsbarkeit ansgenommenen Personen derselben Provinz oder desselben Ortes unterworfen sind. §. 107. Fällt weg -). §§. 108 -111. Entfallen"). §§. 112 und 113. Fallen weg"). 1) H. In Betreff der Beschränkungen der Freiheit des Gewerbebetriebes s. §. 12 der Gew.O. und die Anm. dazu. la) H. In Folge der Beseitigung des eximirten Gerichtsstandes. Der 8- lautete: „König­ liche Beamte haben sich, als Eximirte, eines privilegirten Gerichtsstandes zu erfreuen (Tit. 17)." 2) H. S. vor. Anm. Der §. lautete: „Sie behalten diese Rechte, wenn auch die Aus­ übung der Gerichtsbarkeit über sie einem Untergerichte aufgetragen (delegirt) worden." 3) Sie lauteten: 108. Beamte, die nicht unmittelbar in den Diensten des Staats, sondern anderer demselben untergeordneten Eollegien, Eorporationen und Gellleinen stehen, haben in der Regel keinen privilegirten Gerichtsstand, und werden nach den Gesetzeil ihres Wohnortes beurtheilt. §. 109. In so fern jedoch dergleichen Beainte adlichen Standes, oder von: Lalldesherrn mit einem Charakter bekleidet sind, genießen sie, gleich den Königlichen Beanltell, die Rechte des privilegirten Gerichtsstandes. §. 110. Ein Gleiches findet in Ansehung derjenigen statt, die eine Königliche und eine andere Civilbedienung zugleich verwalten. §. lil. Ausnahmen von den §. 109. 110. festgesetzten Regeln müssen durch besondere Privilegia und Verordnungen nachgewiesen werden." 4) Zufolge des Ges. v. 11. Juli 1822, betr. die Heranziehung der Staatsdiener zu Ge­ meindelasten (G.S. S. 184). Vgl. zu II. 8. Diese SS- lauteten: 112. Auch in Rücksicht auf

Gesetz, betr. die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze.

159

§ . 114. Wenn mehrere Beamte in ein Collegium zusammengezogen sind, ^Collegi^s so gilt wegen ihrer Versammlungen, Berathschlagungen und Schlüsse6), in der cr cam cn* Regel eben das, was im sechsten Titel von öffentlichen Gesellschaften und Corporationen verordnet ist. § . 115. Doch können dergleichen Collegia die von dem Landesherrn oder ihrer vorgesetzten Instanz gemachten Einrichtungen, auch durch einmüthige Beschlüsse, nicht ändern 7). § . 116. Eben so wenig können sie über Grundstücke, Gerechtigkeiten, Capitalien und Einkünfte des ganzen Collegii eigenmächtig Verfügung treffen. § . 117. Ueber die Rechte des Collegii können sie, ohne Genehmigung der vorgesetzten Instanz, keinen Vergleich schließen. § . 118. Gegenstände, welche zur Behandlung des Collegii gehören, müssen nach der Mehrheit der Stimmen entschieden werden. § . 119. Auch der unmittelbare Vorgesetzte des Collegii muß in Sachen, die zur evllegialischen Bearbeitung gehören, der Mehrheit der Süunnen sich unter- Couden, werfen s). §. 120. Dem Vorgesetzten des Collegii kommt nur das Recht zu, die Stimmen zu sammeln, und den Schluß imd) der Mehrheit derselben abzufassen. §. 121. Wenn aber die ^tinnnen der Mitglieder über einen Gegenstand der Berathschlagungen gleich sind, so giebt er durch die seinige den Ausschlag 9). §. 122. Aenßere Ordnung bei dem Collegio, und was dahin gehört, hängt lediglich von der Direetion des Vorgesetzten ab. §. 123. Doch darf er von der bisherigen Ordnung nicht abgehen, wenn dnrch eine Veränderung der Lauf der Geschäfte unterbrochen oder aufgehalten würde. §. 124. Die dem Collegio ausdrücklich vorgeschriebene Instruction darf er eigenmächtig nicht ändern. §. 125. Die §. 120. 121. bestimmten Verhältnisse des Vorgesetzten bei der Stimmensammlung kommen auch demjenigen zu, n^elcher bei der Abwesenheit des Ersteren desselben Stelle vertritt. §. 126. Dagegen darf dergleichen bloß einstweiliger Vorgesetzter in der bisher bei dem Collegio beobachteten Ordnung nichts ändern.

bürgerliche Rechte, Lasten und Pflichten sind Königliche Beamte als Eximirte zu betrachten. §. 113. Andere Civilbediente können sich eine solche Exemtion nicht anmaßen, wenn ihnen die­ selbe nicht besonders ausdrücklich verliehen worden." 5) Wie viel Beamte zu einem Kollegium erforderlich sind, war früher nirgends bestimmt; die Praxis nahm drei an. Später ist die Zahl in den verschiedenen organischen Verordnungen hinsichtlich der Gerichte festgesetzt worden. 6) Wegen anderer Gegenstände und Angelegenheiten aber kann nicht unbedingt auf die Grundsätze von juristischen Personen und Korporationen zurückgegangen werden. Zu vergl. Anm. 1 zu II. 6. 7) Natürlich. Die Beamten sind nur Beauftragte und Stellvertreter, an welcher Eigen­ schaft dadurch, daß mehrere zusammenhandeln und ihren Gesammtwillen durch Schlüsse finden und feststellen sollen, nichts geändert werden kann. 8) In so weit nicht die besonderen Dienstordnungen eine Ausnahme machen. 9) Ueber die §§. 120, 121 sagt Suarez in der revi.s. monitor.: „Rach diesen Vorschriften hat der Präsident in regula gar kein Votum, sondern entscheidet bloß dann, wenn vota paria für zwei verschiedene Meinungen im Kollegio vorhanden sind. Verschiedene Monenten und be­ sonders Herr von Grolmann meinen, daß dadurch dem Präsidenten an seinem nöthigen Amtsansehen zuviel entzogen werde. Die Sache hat allerdings zwei Seiten; ich würde aber bei dem Texte stehen bleiben, weil das Uebergewicht der Präsidenten oft allzugefährlich werden kann." Ges.Rev. Pens. 12 S. 77. — Der Satz gehört jedoch zu denjenigen theoretischen, von welchen (H. schon damals) keine Anwendung gemacht worden ist. M. vergl. z. B. in Beziehung auf den Hauptfall, nämlich die Justizkollegien, den beseitigten §. 17 III. 2. der A.G.O.

160 Vertretung^ verbmduch-

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 127—133.

§. 127. Geschäfte, welche dem ganzen Collegio obliegen, müssen von allen Mitgliedern desselben vertreten werden'0). § . 128. In wie fern die Mitglieder für einen durch Vorsatz oder Versehen entstandenen Schaden als Mitschuldner, oder ein Jeder nur für feinen Antheil, haften, ist nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu bestimmen1 ’)• (Th. 1. Tit. 6. §. 29. sqq.) § . 129. Kann in Fällen, wo jedes Mitglied nur für seinen Antheil haftet^), von einem oder dem anderen dessen Antheil an der Entschädigung nicht beigetrieben werden: so müssen die übrigen denselben zu gleichen Theilen vertreten. § . 130. Der Einwand, daß ein Versehen durch den unrichtigen Vortrag eines Mitgliedes; oder durch die von demselben geschehene Abfassung einer denl Schlüsse des Collegii nicht gemäßen Verfügung; oder durch audere Pflichtwidrigteiten oder Fahrlässigkeiteu desselbeu entftaudeu sei, befreit das Eollegimu '^) nicht von der Einlassung auf die Klage. § . 131. Findet sich aber bei der Untersuchung, daß dieser Einwand seine Richtigkeit habe, so muß der Klüger au dasjenige Mitglied, welches solchergestalt das Versehen unmittelbar begangen hat, vorzüglich sich halten. § . 132. Nächst diesem haftet der Vorgesetzte, welln er durch Zblwendung der ihm vermöge seines Amtes obliegenden Aufmerksamkeit (§. 90.) das vorgefallene Versehen hätte verhüten oder ablvenden können"). 10) Das O.Tr. hat, wit Recht, ausgesprochen, das; der Umstand, dast nicht sänuntliche, dem ganzen Kollegiuni obliegenden, sondern nur die von dem Vorsitzenden als Vortragssache bezeichneten, und die von dem Dezernenten selbst als zweifelhaft erachteten Sachen dem Kollegium vorgetragen worden, die Vertretungsverbindlichkeit des ganzen Kollegiunls nicht beseitigen könne. (§. 136.) O.Tr. I v. 13. Vpril 1863, Str. Arch. 48 S. l295. H. In demselben Erk. ist ausgeführt, daß die Beweislast hinsichtlich des Einwandes, daß das betreffende Versehen, z. B. daß der Dezernent die Sache gar nicht vorgetragen habe, lediglich Einem Mitgliede zur ^ast falle, dem dies be­ hauptenden Mitgliede obliege. 11) In Ermangelung besonderer Vorschriften. Hierher gehört z. B. 8der Grundb.Ordn. Die Fassung des §. 128 ist übrigens aus Unachtsamkeit widersprechend sowohl den be­ zeichneten allgemeinen Grundsätzen als dem nachfolgenden §. 129 ausgefallen; denn nach I. 6 88- 29 ff. kann der Fall nicht eintreten, daß mehrere nur pro rata haften. 12) Kann nach 8- 128 niemals vorkommen. S. vor. Anm. 13) Soll heißen: die Mitglieder des Kollegiunrs, welche an dein schädlichen Schlüsse Theil genommen Häberl und ihre abweichende Stimme nicht nachweisen können. Denn das Kollegiurn als solches kann nicht auf Schadensersatz belangt werden, weil damit die durch das Kollegium vertretene Person (der Staat, Fiskus) in Anspruch genornmen sein würde, diese aber für die Versehen ihrer Vertreter nicht verantwortlich ist. — Aus dem Umstande allein, daß eine Ver­ fügung nicht von einem Sitzungstage datirt ist, kann juristisch nicht gefolgert werden, daß die­ selbe deshalb dem Kollegium nicht vorgetragen worden. Der voll den Mitgliedern des Kollegiums darüber zu leistende Eid, daß die betreffende Verfüguilg voll dem Dezernenten im Kollegium nicht vorgetragen worden, ist, wenn ein Ausnahnlefatt nach den 88- H1 ff- nicht vorliegt, de veritate zu leisten. Die Länge der verlaufellen Zeit rechtfertigt das Nichtwissen nicht. Vergl. auch Anm. 10. Das Gesetz sichert den Beschädigten nicht hilllänglich. Dieser ist, da er sich nicht in der Lage befindet, den eigentlich Schuldigen zu kennen, genöthigt, alle Mitglieder, welche Theil ge­ nommen haben, zu belangen. Wenn nun Einem oder Einigen der inl 8- 131 gestattete Einwand zu Statten kommt, so wird zwar kein verständiges Gericht die Klage angebrachtermaßen abweisen, sondern nur diejenigen, welche den Einwand bewiesen haben, von der Klage entbinden und die Uebrigell verurtheilen. Wer aber soll die Kosten für den Theil der Ersteren tragen und erstatten? Doch wohl der Beschädigte. Wie konunt der dazu ? Der Grundsatz ist unrichtig. Zu vergl. die Anm. 15. 14) Vergl. 8- 20. — Durch die Gegenzeichnung einer Expedition seitens des Vorsitzenden bei der Superrevision haftet derselbe nicht bloß für die Uebereinstilllmung der Expedition mit der Verfügung, sondern auch für das Materielle der Verfügung selbst. H. S. das oben Anm. zu 8- 127 mitgetheilte Erk. des O.Tr. v. 13. April 1863.

Gesetz, betr. die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze.

161

§. 133. Die übrigen Mitglieder haften nur, in Ermangelung beider, und nur in so fern, als besondere Gesetze ihnen eine vorzüglich eigene Aufmerksamkeit auf die Handlungen ihrer Collegen bei Geschäften dieser Art, ausdrücklich zur Pflicht gemacht haben 15).

15) Es ist nicht leicht, sich einen praktischen Fall für diese Bestimmung zu veranschaulichen; der Satz ist eben so unpraktisch und unklar wie die ganze Theorie von der Vertretungsverbindlich­ keit. Die im Entw. vorgeschlagenen Grundsätze waren praktischer. Der §. 95 (§. 128 d. T.) hatte den Grundsatz: Jedes Mitglied haftet für seinen Antheil; der §. 96 schrieb subsidiarische Haftung für Unvermögende vor, und §. 97 (§. 130) verordnete: Hat eines der Mitglieder, durch unrichtigen Vortrag oder sonst, das Versehen veranlaßt, so haben die übrigen den Regreß an ihn. Hiergegen waren Monita eingegangen, worüber Suarez in der rev. mon. berichtete: „Dieser Satz (§. 97) wird von vielen Monenten allzuhart gefunden. Es ist allerdings nicht möglich, daß bei einem Vortrage aus weitläufigen Akten jedes Mitglied den Dezernenten kontroliren kann, sondern es muß sich nach der Natur der Sache auf ihn verlassen. Eben so wenig können die Mitglieder des Kollegii dafür, wenn der Dezernent das Dekret nicht dem Konkluso gemäß abfaßt, oder wenn er die Sache nach dem Vortrage liegen läßt. In dem Falle dieses würden also m. v. die übrigen Mitglieder in subsidium und auch so nur alsdann haften, wenn ihnen besondere Gesetze einen vorzüglichen Grad von Aufmerksamkeit auf Sachen dieser Art zur Pflicht gemacht hatten und sie nach der Verfassung des Kollegii diesen Grad anzuwenden im Stande waren, z. B. wenn über die Sache schriftlich hätte votirt werden sollen." Ges.Rev. Pens. 12 S. 81. Dies hatte die Veränderung der ganzen Theorie zur Folge; an die Stelle der §§. 95—97 des Entw. traten die heutigen §§. .1.28—133. Diese ergeben folgende Grund­ sätze: 1) Hauptschuldner ist der, welcher das Versehen begangen oder veranlaßt hat (§§. 130 u. 131); 2) hülfsweise haftet der Vorgesetzte, welcher die pflichtmäßige Beaufsichtigung versäumt hat (§. 132); 3) alle Uebrigen haften erst unter den im §. 133 bestimmten Voraussetzungen. Diese sind: a) die in Ermangelung Beider, nämlich des Dezernenten und des Vorgesetzten. Was heißt: „in Ermangelung Beider"'^ Der Wortsinn ist: wenn sie nicht vorhanden sind, was doch nicht gemeint sein kann, da — wenn man auch an den Todesfall derselben denken wollte — doch ihre Erben aufkommen müssen. §. 145. Man kann darunter also nur den Fall des Unver­ mögens verstehen, b) wenn den Uebrigen, durch besondere Gesetze, eine vorzügliche Beaufsichtigung über ihre Kollegen zur Pflicht gemacht ist. Dergleichen Gesetze sind nicht vorhanden, und eine sölche Beaufsichtigung ist auch mit der Natur der Kollegialität völlig unverträglich. Das Beispiel des schriftlichen Votirens, welches S. giebt, gehört dahin nicht. Denn ganz richtig bemerkt schon der Revisor a. a. O.: Wenn schriftlich voürt wird, so ist Jeder Dezernent; wenn aber nicht schriftlich votirt wird, obgleich es vorgeschrieben ist, so handelt Jeder, welcher auf den mündlichen Vortrag eines VLitgliedes seine Stimme giebt und nicht vielmehr Verwahrung gegen die Ordnungs­ widrigkeit des Verfahrens einlegt, pflichtwidrig, mithin sind wieder Alle in gleicher Schuld. Der §. 133 ist mithin gegenstandslos. — Wenn aber ein Fall, für welchen er gegeben ist, wirklich vorkäme, so müßte angenommen werden, daß Alle nur pro rata und eventualiter solidarisch haften; denn dieser Grundsatz liegt im Falle eines bloßen Versehens hier im Hintergründe, jeden­ falls hat man ihn, wie er im Entwürfe ausdrücklich ausgesprochen war, im Sinne behalten, wie der §. 129 zeigt; auch läßt sich dafür I. 6 §. 31 anrufen. — Wenn nach dem Geschäfts­ reglement der Dezernent nicht verpflichtet ist, seine Sachen im versammelten Kollegium vorzutragen, sondern darin nur eine Auswahl nach seinem Gutfinden (wenn ihm die Sache zweifelhaft scheint) treffen darf, so kann von einer Haftung der übrigen Mitglieder, außer dem Vorsitzenden, wenn ihm eine Revision der Verfügungen zur Pflicht gemacht ist, überhaupt nicht die Rede sein. Die büreaumäßige Behandlung der Sachen ist jetzt eine ganz andere, als das L.R. voraussetzt. Kein Mitglied hat es in seiner Gewalt, von den Verfügungen eines Anderen Kenntniß zu erlangen oder dagegen Einspruch zu thun. Die Sicherheit, welche ein Kollegium dem Publikum gewähren soll, ist faktisch annullirt. Vom O.Tr. I v. 22. Febr. 1856 ist ausgesprochen, daß, wenn der Schaden aus einem groben Versehen entstanden, der Beschädigte auch einen einzelner: oder einige der an dem schäd­ lich gewordenen Beschlusse des Kollegiurns betheiligterr Mitglieder allein auf das Ganze in Anspruch nehmen könne. Str. Arch. 20 S. 195. Das ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wahr, setzt aber natürlich die Theilnahme der in Anspruch Genommenen faktisch voraus. Wie soll die Feststellung geschehen? Präsenzlisten werden nicht geführt, Vortrag wird nicht über jede Sache gehalten und die Dekrete (Beschlüsse) werden nicht von Allen unterschrieben. Die heutige Einrichtung paßt durchaus nicht zu den hier vorgeschriebenen Grundsätzen über die Verantwort­ lichkeit der Mitglieder der Kollegien. Koch, Allgemeines Landrecht. IV.

8. Anfl.

11

162

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 134-145.

Eilfter Titel.

§§. 1-4.

§. 134. Hat der Vorgesetzte das Geschäft ohne Zuziehung des Collegii, oder nur mit Zuziehung einiger Mitglieder vorgenommen: so ist derselbe nur allein, oder nur mit den zugezogenen Mitgliedern, verantwortlich lß). §. 135. Die nicht zugezogenen Mitglieder sind nur alsdann zur Vertretung gehalten, wenn hiernächst das Geschäft dem Collegio vorgetragen, und zu einer Zeit, da dem Versehen noch abgeholfen werden konnte, von selbigem genehmigt worden. §. 136. Hat das Collegium die Besorgllng der verschiedenen Arten seiner Geschäfte unter seine Mitglieder eigenmächtig vertheilt, so ändert dieses nichts in der Vertretungsverbindlichkeit der A^itglieder gegen die Partei. §. 137. Doch bleibt den übrigen der Regreß gegen diejenigen Mitglieder Vor­ behalten, welche die Besorgung des Geschäftes ausschließend übernommen, und dabei das Versehen begangen haben. §. 138. Sind aber durch Gesetze, Amtsinstructionen, oder höhere Anweisungen, gewisse Arten von Geschäften einem oder etlichen Mitgliedern zur ausschließenden Besorgung angewiesen: so müssen diese für ein dabei begangenes Versehen, und zwar, wenn ihrer mehrere sind, nach Vorschrift §. 127. 128. 129. haften. §. 139. Ist dem einen die eigentliche Besorgung des Geschäftes, den übrigen aber eine besondere Aufsicht über ihn solchergestalt angewiesen: so werden Letztere nur für die Vernachlässigung dieser Aufsicht verannvortlich. §. 140. Sind dergleichen zu einem gewissen Geschäfte besonders verordnete Mitglieder oder Subalternen,zum Schadellsersatze nicht vermögend, so haften der Vorgesetzte und die übrigen Mitglieder nur in so fern, als bei der Auswahl oder Bestellung des Subjects ein grobes oder mäßiges Versehen begangen, oder die über das Geschäft zu führende allgemeine Aufsicht vernachlässigt worden. §. 141. In keinem Falle sind Mitglieder eines Collegii zur Vertretung ge­ halten, wenn ihnen bei dem Geschäfte, worin das Versehen vorgefallen ist, kein Votum zukam; §. 142. Auch alsdann nicht, wenn sie mit Vorwissen uiib Genehmigung des Vorgesetzten abwesend waren; §. 143. Ferner alsdann nicht, wenn sie durch Krankheit der Versammlung des Collegii beizuwohnen verhindert worden; §. 144. Endlich alsdann nicht, wenn sie überstimmt worden, und ihr Votum schriftlich, unter Anführung der Gründe, zu den Acten gebracht haben. 145. Auch die Erben der Mitglieder hasten für den dem Erblasser ob­ liegenden Ersatz, eben so, wie für andere Schulden desselben.

Eilfter Litel "). Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften'). Allgemeine Grundsnhc.

§. 1. Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein 2).

16) Der §. 134 bezieht sich auch auf Subalternbeamte (§. 140). 16. Juli 1860, Str. Arch. 39 S. 13.

H. S. auch O.Tr. I v.

*) H. Diejenigen Vorschriften des Titels 11, welche die neuere Gesetzgebung nur modifizirt hat, sind im Texte zwar veivehalten, aber mit einem * bezeichnet. H. Ueber das Kirchenrecht des ^.R. vgl. Lasp eyres, Geschichte u. heut. Verfassung der

162

Zweiter Theil.

Zehnter Titel.

§§. 134-145.

Eilfter Titel.

§§. 1-4.

§. 134. Hat der Vorgesetzte das Geschäft ohne Zuziehung des Collegii, oder nur mit Zuziehung einiger Mitglieder vorgenommen: so ist derselbe nur allein, oder nur mit den zugezogenen Mitgliedern, verantwortlich lß). §. 135. Die nicht zugezogenen Mitglieder sind nur alsdann zur Vertretung gehalten, wenn hiernächst das Geschäft dem Collegio vorgetragen, und zu einer Zeit, da dem Versehen noch abgeholfen werden konnte, von selbigem genehmigt worden. §. 136. Hat das Collegium die Besorgllng der verschiedenen Arten seiner Geschäfte unter seine Mitglieder eigenmächtig vertheilt, so ändert dieses nichts in der Vertretungsverbindlichkeit der A^itglieder gegen die Partei. §. 137. Doch bleibt den übrigen der Regreß gegen diejenigen Mitglieder Vor­ behalten, welche die Besorgung des Geschäftes ausschließend übernommen, und dabei das Versehen begangen haben. §. 138. Sind aber durch Gesetze, Amtsinstructionen, oder höhere Anweisungen, gewisse Arten von Geschäften einem oder etlichen Mitgliedern zur ausschließenden Besorgung angewiesen: so müssen diese für ein dabei begangenes Versehen, und zwar, wenn ihrer mehrere sind, nach Vorschrift §. 127. 128. 129. haften. §. 139. Ist dem einen die eigentliche Besorgung des Geschäftes, den übrigen aber eine besondere Aufsicht über ihn solchergestalt angewiesen: so werden Letztere nur für die Vernachlässigung dieser Aufsicht verannvortlich. §. 140. Sind dergleichen zu einem gewissen Geschäfte besonders verordnete Mitglieder oder Subalternen,zum Schadellsersatze nicht vermögend, so haften der Vorgesetzte und die übrigen Mitglieder nur in so fern, als bei der Auswahl oder Bestellung des Subjects ein grobes oder mäßiges Versehen begangen, oder die über das Geschäft zu führende allgemeine Aufsicht vernachlässigt worden. §. 141. In keinem Falle sind Mitglieder eines Collegii zur Vertretung ge­ halten, wenn ihnen bei dem Geschäfte, worin das Versehen vorgefallen ist, kein Votum zukam; §. 142. Auch alsdann nicht, wenn sie mit Vorwissen uiib Genehmigung des Vorgesetzten abwesend waren; §. 143. Ferner alsdann nicht, wenn sie durch Krankheit der Versammlung des Collegii beizuwohnen verhindert worden; §. 144. Endlich alsdann nicht, wenn sie überstimmt worden, und ihr Votum schriftlich, unter Anführung der Gründe, zu den Acten gebracht haben. 145. Auch die Erben der Mitglieder hasten für den dem Erblasser ob­ liegenden Ersatz, eben so, wie für andere Schulden desselben.

Eilfter Litel "). Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften'). Allgemeine Grundsnhc.

§. 1. Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein 2).

16) Der §. 134 bezieht sich auch auf Subalternbeamte (§. 140). 16. Juli 1860, Str. Arch. 39 S. 13.

H. S. auch O.Tr. I v.

*) H. Diejenigen Vorschriften des Titels 11, welche die neuere Gesetzgebung nur modifizirt hat, sind im Texte zwar veivehalten, aber mit einem * bezeichnet. H. Ueber das Kirchenrecht des ^.R. vgl. Lasp eyres, Geschichte u. heut. Verfassung der

Rechte und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften.

163

§. 2. Jedem Einwohner im Staat muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit gestattet werdens. §. 3. Niemand ist schuldig, über seine Privatmeinungen in Religionssachen Vorschriften vom Staat anzunehmen. §. 4. Niemand soll wegen seiner Religionsmeinungen beunruhigt, zur Rechen­ schaft gezogen, verspottet, oder gar verfolgt werden.

kathol. Kirche Preußens. Halle 1840. Th. I S. 457 ff.; Merkel, das Protestant. Kirchenrecht des 18. Jahrh, in Rudelbach u. Guericke, Zeitschr. f. luther. Theologie Jahrg. 1860 (21) S. 23 ff.; Jacobson, d. evangel. Kirchenrecht des preuß. Staats. Halle 1864. S. 23; Richter, Beiträge zum preuß. Kirchenrecht, herausgeg. v. P. Hinschius. Leipzig 1864. S. 12, 50; O. Mejer, zur Geschichte der römisch-deutschen Frage. Rostock 1871. 1, 414 ff.; Friedberg, Grenzen zwischen Staat u. Kirche. Tübingen 1872. S. 284 ff. 1) Dieser Titel tritt an die Stelle des kanonischen Rechts, welches unter den „anderen fremden subsidiarischen Rechten und Gesetzen", auf welche nach §. I u. II des Publ.Pat. v. 5. Febr. 1794 (vergl. auch die Bd. 1 S. 20 angeführten Patente) nicht mehr zurückgegangen werden darf, mit verstanden ist. Damit ist jedoch dasselbe nicht durchgängig und in allen Stücken abgeschafft. In Sachen des bürgerlichen Rechts war dasselbe schon durch das Corp. jur. Frid, aufgehoben worden, welches im P. I lib. 1 Tit. 2 §. 12 verordnete: „Da nach dem Westphälischen Friedensschlüsse Unsere katholischen Unterthanen nach ihren Principiis in Glaubens­ sachen gerichtet werden sollen: so muß auch das kanonische 9iecht in so weit vim legis behalten. — In allen weltlichen Sachen aber wollen Wir das jus canonicum hierdurch aufgehoben haben, außer was die officia und dignitates und davon dependirende jura bei den Stiftern, item die Zehntsachen betrifft, welche nach den kanonischen Rechten auch bei den Evangelischen dijudizirt werden sollen." Das von der Gesetzgebung hierdurch ausgesprochene Prinzip ist im L.R. nirgends beseitigt, vielmehr ist dasselbe von den Redaktoren festgehalten worden, wie die Materialien ergeben. Der Entw. schlug nämlich, bezüglich auf die Geistlichen, den Satz (§. 66 d. T.) vor: „Ihre Rechte und Pflichten bei Ausübung ihres geistlichen Amts sind bei den Katholiken durch die Vorschriften des kanonischen Rechts, bei den Protestanten aber durch die Kirchenordnungen bestimmt." Earmer gab diesem Satze folgende Fassung: „Die Rechte und Pflichten eines katholischen Priesters sind durch die Vorschriften des kanonischen Rechts; der protestantischen Geistlichen aber durch die Konsistorial- und Kirchenordnung bestimmt." Dagegen erinnerte Suarez: „Durch Wegstreichung der Worte: bei Ausübung ihres Amts, bekommt der §. einen schiefen oder gar falschen Sinn. Denn nur ratione internorum officii gelten die Vorschriften des kanonischen Rechts; nicht in ^lnsehung der äußeren Ver­ hältnisse und Gerechtsame." (v. Kamptz, Jahrb. f. d. preuß. Gesetzgebung 58 S. 61.) Dies ist das Nämliche, was der gedachte §. 12 a. a. O. des Corp. jur. Frid, als gesetzliches Prinzip hingestellt hatte. Das L?R. hat nur auch noch die dort gemachte Ausnahme von der Aufhebung des kanonischen Rechts „in weltlichen Sachen", nämlich: „was die officia und digni­ tates und davon dependirende jura bei den Stiftern, item die Zehntsachen betrifft", dadurch aufgehoben, daß auch über diese Gegenstände gesetzlich verordnet worden ist. Hiernach kommen die Bestimmungen des kanonischen Rechts jetzt noch in folgenden Verhältnissen und Fällen zur Anwendung: 1) in Glaubenssachen; 2) in Ansehung der besonderen Rechte und Pflichten der katholischen Geistlichkeit in geistlichen Amtssachen (§§. 66, 107); 3) in den Fällen, wo das L.R. darauf verweist. (§§. 980, 1126, 1135.) Dies geschieht auch durch Bezugnahme auf Gewohn­ heiten und Herkommen, in so fern solche Gewohnheiten und Herkommen in der Anwendung von Bestimmungen des kanonischen Rechts bestehen, was gewöhnlich oder doch sehr oft der Fall ist, so wie durch Verweisung auf die Grundsätze der Kirche (§. 107) und auf die Neligionsgrundsätze oder Vorschriften der Kirchenordnung. H. Diesen Ausnahmen sind als vierte Kategorie die Fälle anzureihen, für welche die neuere Gesetzgebung, namentlich der jetzt aufgehobene Art. 15 der Verfaffungsurkunde der freien Ent­ wickelung des kanonischen Rechtes Raum geschaffen hatte (s. d. Nähere darüber u. Anm. 40 Abs. 2 zu §. 32 d. T.). A. M. Laspeyres a. a. O. S. 817 ff., 834, welcher dem gemeinen kanonischen Rechte neben der kirchlichen Landesgesetzgebung wahre Rechtskraft vindizirt, und die Bedeutung einer allerdings nur präsumtiven und subsidiären Rechtsquelle der katholischen Kirche des Landes in dem Maße beilegt, als diese in öffentlich anerkannter«'Episkopatverfaffung innerhalb Preußens besteht. 2) H. Der §. bezieht sich auf die Stellung des Staats zu den einzelnen Unterthanen. Die Konsequenz daraus zieht §. 2. 3) H. Zus. 1 zu §. 6 d. T.

Zweiter Theil.

164

Eilfter Titel.

§§. 5, 6 (Zusätze 1, 2), 7—10 (Zusatz 3V

§. 5. Auch der Staat kann von einem einzelnen Unterthan die Angabe: zu welcher Religionspartei sich derselbe bekenne, nur alsdann fordern4),5 6wenn die Kraft und Gültigkeit gewisser bürgerlicher Handlungen davon abhängt &). §. 6. Aber selbst in diesem Falle können mit dein Geständnisse abweichender Meinungen nur diejenigen nachtheiligen Folgen für den Gestehenden verbunden werden, welche aus seiner dadurch, verniöge der Gesetze, begründeten Unfähigkeit zu gewissen bürgerlichen Handlungen oder Rechten ß) von selbst fließen. 1.

Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850.

(G.S. S. 17.)

Art. 12. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesell­ schaften (Art. 30. und 31.) und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Ten bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen. Art. 13. Die Religionsgesellschaften, so wie die geistlichen Gesellschaften, welche keine Kor­ porationsrechte haben, können diese Rechte nur durch besondere Gesetze erlangen. Art. 14. Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung im Zusammenhänge stehen, unbeschadet der im Art. 12. gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt.

2. Bund es g esetz7), betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung. Vom 3. Juli 1809. (B.G.Bl. S. 292.)

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen rc., verordnen im Ramen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustinunung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: Einziger Artikel. Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt­ nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hier­ durch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein. Urkundlich re.

Vom häus-^ §. 7. Jeder Hausvater kann seinen häuslichen Gottesdienst nach Gutbefinden bienfte. anordnen8).

§. 8. Er kann aber Mitglieder, die einer anderen Religionspartei zugethan find, zur Beiwohnung desselben wider ihren Willen nicht anhalten. §. 9. Fällt weg 9). 4) H. Jedoch schreiben einzelne Gesetze die Angabe auch für andere Fälle vor, s. das preußische Personenstandesgesetz §§. 35 u. 37 und das Reichs-Personenstandesgesetz §§. 52 u. 54. Zus. 11 zu II. 1 §. 145. 5) H. Wie z. B. der Eidesleistung (vgl. E.P.O. §§. 360, 443, 446; R.Str.P.O. §§. 66, 62, 64) und früher auch der Eheschließung. 6) H. Vergl. hierzu Bundesgesetz v. 3. Juli 1869, Zus. 2. 7) H. Jetzt Reichsgesetz, s. B.G.Bl. v. 1870 S. 647, 656 und R.G.Bl. v. 1871 S. 87. 8) Jus devotionis domesticae. Dabei hat derselbe nur die Vorschriften des Ges. über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts, v. 11. März 1850 (G.S. S. 277), zu beobachten. Die K.O. v. 9. März 1834, wonach Zusammenkünfte zu außerordentlichen Religionsübungen verboten und mit Strafen bedroht waren (Annal. 18 S. 76), ist schon durch den §. 4 der V. v. 6. April 1848 über einige Grundlagen der preuß. Verfassung außer Kraft gesetzt worden. Verf. d. Min. d. Kult, ii. d. Inn. v. 18. Mai 1848, M.Bl. f. d. i. V S. 196. 9) Der Wortlaut ist: „Heimliche Zusammenkünfte, welche der Ordnung und Sicherheit des Staats gefährlich werden könnten, sotten, auch unter dem Vorwande des häuslichen Gottesdienstes, nicht geduldet werden." Das Ges. v. 11. Mürz 1850 ist maßgebend. Vor. Anm. 8.

Rechte und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften.

165

§. 10*. Wohl aber können mehrere Einwohner des Staats, unter dessen Ge- Religionsge­ nehmigung io), jn Religionsübungen sich verbinden. fciwften. 3. Patelrt, die Bildullg neuer Religionsgesellschaften betreffend. 30. März 1847. (G.S. S. 121.)

Vom

Wir 2c. thun hierdurch kund und zu wissen: Indern Wir beifolgend eine Urrs von Unserm Staatsrninisteriunr überreichte Zusarnmenstellung der im Allgemeinen Landrecht enthaltenen Vorschrifterr über Glaubens- und Religions­ freiheit zur öffentlichen Kenntniß gelangen lassen, finden Wir Uns bewogen, hierdurch zu er­ klären, daß, sowie Wir einerseits entschlossen sind, den in Unseren Staaten geschichtlich und nach Staatsverträgerr bevorrechteten Kirchen, der evangelischen und der römisch-katholischen, nach wie vor Unseren kräftigsten landesherrlichen Schutz angedeihen zu lassen und sie in dem Genusse ihrer besonderen Gerechtsame zu erhalten, es andererseits ebenso Unser unabänderlicher Wille ist. Unseren Unterthanerr die in dem Allgemeinen Landrecht ausgesprochene Glaubens­ und Gewissensfreiheit unverkümmert aufrecht zu erhalten, auch ihnen nach Maaßgabe der allgemeinen Landesgesetze die Freiheit der Vereinigung zu einem gemeinsamen Bekenntnisse und Gottes­ dienste zu gestatten. Diejenigen, welche in ihrem Gewissen mit dem Glauben und Bekenntnisse ihrer Kirche nicht in Uebereinstimmung zu bleiben vernrögen und sich demzufolge zu einer besonderen Religions­ gesellschaft vereinigen, oder einer solchen sich anschließen, genießen hiernach nicht nur volle Frei­ heit des Austritts, sondern bleiben auch, in soweit ihre Vereinigung vom Staate genehmigt ist, im Genuß ihrer bürgerlichen Rechte und Ehren — jedoch unter Berücksichtigung der §§. 5. 6. 27 — 31. und 112. Tit. 11. Theil II. des Allg. Landrechts; — dagegen können sie einen Antheil an den verfassungsmäßigen Rechten der Kirche, aus welcher sie ausgetreten sind, nicht mehr in Anspruch nehmen. Befindet sich eine neue Religionsgesellschaft in Hinsicht auf Lehre und Bekenntniß mit einer der durch den Westphälischen Friedensschluß in Deutschland anerkannten christlichen Religions­ parteien in wesentlicher Uebereinstimmung und ist in derselben ein Kirchenministerium eingerichtet, so wird diesem bei Genehmigung der Gesellschaft zugleich die Berechtigung zugestanden werden, in den Landestheilen, wo das Allgemeine Landrecht oder das gemeine deutsche Recht gilt, solche die Begründung oder Feststellung bürgerlicher Rechtsverhältnisse betreffende Amtshandlungen, welche nach den Gesetzen zu denl Amte des Pfarrers gehören, mit voller rechtlicher Wirkung vorzunehmen") — in wiefern einer neuen Kirchengesellschaft dieser Art außerdem noch einzelne besondere Rechte zu verleihen sind, bleibt im vorkommenden Falle nach Bewandniß der Um­ stände Unserer Erwägung vorbehalten. In allen anderen Fällen bleiben bei neuen, nach den Grundsätzen des Allgemeinen Land­ rechts zur Genehmigung von Seiten des Staats geeignet befundenen Religionsgesellschaften die zur Feier ihrer Religionshandlungen bestellten Personen von der Befugniß ausgeschlossen, auf bürgerliche Rechtsverhältnisse sich beziehende Amtshandlungen der oben bezeichneten Art mit zivilrechtlicher Wirkung vorzunehmen*-): diese soll bei den Gegenständen jener Amtshand­ lungen nach näherer Vorschrift der dieserhalb von Uns heute erlassenen besondern Verordnung durch eine vor der Gerichtsbehörde erfolgende Verlautbarung sicher gestellt werden, dem Be-

10) Der hier vorgeschriebenen Genehmigung des Staats bedarf es nach dem Art. 12 der Verfassungsurkunde (Zus. 1 zu §. 6) nicht mehr; man hat nur die Vorschriften des Ges. v. 11. März 1850 zu beobachten. Vergl. Erk. des O.Tr. Sen. f. Strafsachen v. 18. März 1853, Entsch. 25 S. 228. 11) H. Gegenüber den Anm. 4 zu §. 5 d. T. erwähnten Personenstandesgesetzen hat diese Zusicherung jede Bedeutung verloren. 12) H. Seit der Einführung der CivilstandeSregister und der obligatorischen Civilehe sind die Geistlichen und Religionsdiener aller Konfessionen, auch die der christlichen vollprivilegirten Kirchen, von der Vornahme solcher Handlungen mit civilrechtlichen Wirkungen ausgeschlossen.

166

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 10 (Zusatz 3).

theiligten jedoch gestattet sein, die gedachten Amtshandlungen mit voller Wirkung b3) auch durch einen Geistlichen einer der öffentlich aufgenommenen christlichen Kirchen verrichten zu lassen,

wenn ein solcher sich dazu bereitwillig findet. Nachdem die jetzigen Bewegungen auf dem kirchlichen Gebiete Uns veranlaßt haben. Unsere Grundsätze über Zulassung und Bildung neuer Religionsgesellschaften im Allgemeinen aus­ zusprechen, behalten Wir Uns vor, mit Benutzung der bei Anwendung derselben zu machenden Erfahrungen, nach Bedürfniß die über diesen Gegenstand bestehenden, in der anliegenden Zu­ sammenstellung enthaltenen Vorschriften des Allg. Landrechts durch besondere gesetzliche Be­ stimmungen zu ergänzen.

Z u s a m m e n st e l l u n g der in dem Allgemeinen Landrechte enthaltenen Bestimmungen über Glaubens- und Religionsfreiheit.

1. Jedem Einwohner im Staat steht für seine Person vollkommene Glaubens- und Gewissens­ freiheit zu. Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein. Niemand ist schuldig, über seine Privatmeinungen in Religionssachen Vorschriften vom Staate anzunehmen. Niemand soll wegen seiner Religionsrneinungen beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, ver­ spottet oder gar verfolgt werden. §£. 1. bis 4. Theil II. Tit. 11. des Allgem. Landrechts. Jedein Bürger des Staats, welchen die Gesetze fähig erkennen, für sich selbst zu urtheilen, soll die Wahl der ReligionSpartei, zu welcher er sich halten will, frei stehen, Tit. 2. §. 74. sog. Der Uebergang von einer Religionspartei zu einer andern geschieht in der Regel durch ausdrückliche Erklärung, §§. 40. und 41. Theil II. Tit. 11. des Allg. Landrechts. Durch die Berufung auf abweichende Glaubensansichten kann jedoch der Einzelne sich gegen die durch die allgemeinen Landesgesetze bedingten zivil- und strafrechtlichen Folgen seiner Hand­ lungen nur dann schützen, wenn das Gesetz zu Gunsten seiner Glaubensgenossen eine Ausnahme von einzelnen allgemeinen Bestimmungen nachgelassen hat, und in soweit als er durch seine eigenthümlichen Religionsansichten verhindert wird, diejenigen Rechtshandlungen vorzunehmen, deren Form nach den Gesetzen durch bestimmte religiöse Ueberzeugung bedingt ist, muß er sich die daraus folgende Verminderung seiner bürgerlichen Rechtsfähigkeit gefallen lassen, §§. 5. und 6. §§. 27. bis 31. §. 112. ebendaselbst. 2.

Den Einzelnen steht es frei, mit Genehmigung der Obrigkeit sich zu Religionsübungen zu verbinden und gemeinschaftliche Zusammenkünfte zu halten, in soweit dadurch nicht die gemeine Ruhe, Sicherheit und Ordnung gefährdet wird, §§. 9. und 10. Theil II. Tit. 11. §§. 1. bis 3. Theil II. Tit. 6. eine solche Verbindung hat aber nur dieselben Rechte, wie jede andere erlaubte Privatgesellschaft, §§. 11. bis 14. Theil II. Tit. 6. Sie steht als solche unter der fortwährenden Aufsicht des Staats, welcher sie verbieten

13) H. S. vorige Anm.

Rechte und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften.

167

kann, sobald sich findet, daß sie andern gemeinnützigen Absichten und Anstalten hinderlich oder nachtheilig ist, §. 4. ebendaselbst; und ihre Mitglieder bilden, auch rvenn sie die Aussonderung von den im Staate aufgenommenen Kirchengesellschaften bezwecken 11), dennoch keine rechtlich bestehende, besondere Religionspartei, sondern fürerst nur eine bloße Privatgesellschaft, und werden in rechtlicher Beziehung — nach wie vor — als Angehörige derjenigen Religionspartei angesehen, zu der sie bis dahin ge­ hört haben, in soweit nicht besondere Gesetze Ausnahmen davon begründen.

3. Religionsgrundsätze, welche mit der Ehrfurcht gegen die Gottheit, dem Gehorsam gegen die Gesetze, der Treue gegen den Staat und der allgemeinen Sittlichkeit unvereinbar sind, dürfen überhaupt im Staat nicht ausgebreitet werden, §§. 13. bis 15. Theil II. Tit. 11. Einer jeden neu sich bildenden Religionsgesellschaft liegt daher der "Rachweis ob, daß die von ihr gelehrten Meinungen nichts enthalten, was dem zuwiderläuft, $. 21. ebendaselbst.

4. Erhält eine Religionsgesellschaft die Genehmigung des Staats, so erlangt sie dadurch die Rechte einer geduldeten Kirchengesellschaft und ist demgemäß befugt, gottesdienstliche Zusammen­ künfte in gewissen dazu bestimmten Gebäuden anzustellen und hier sowohl als in den Privat­ wohnungen der Mitglieder die ihren Religionsgrundsätzen gemäßen Gebräuche auszuüben, §§. 22. und 23. ebendaselbst. Sie bleibt aber dabei der Oberaufsicht des Staats unterworfen und letzterer ist berechtigt, von demjenigen, was in ihrer: Versammlungen gelehrt und verhandelt rvird, Kenntniß ein­

zuziehen,

$§. 32. und 33. ebendaselbst. In: Uebrigen bestimmen sich ihre Rechte nach der besonderen Konzession, welche ihr vor: dem Landesherrn ertheilt wird, §§. 20. 29. ebendaselbst. §. 22. Theil II. Tit. 6. 5. Die irr: Staat öffentlich aufgenornmenen Kirchengesellschaften haben die Rechte privilegirter Korporationen, §. 17. Theil II. Tit. 11. Nur die ihnen gehörenden gottesdienstlichen Gebäude werden „Kirchen" genannt und ge­ nießen als solche die Vorrechte der öffentlichen Gebäude des Staats, §. 18. ebendaselbst. Kircher:, so wie Pfarr- und Küstergüter sind in der Regel von der: gerr:einen Lasten des Staats frei und die zur Feier des Gottesdienstes und zum Religionsunterricht bestellten Per­ sonen haben mit anderen Beamter: im Staate gleiche Rechte, §. 165. ebendaselbst. §. 174. ebendaselbst. §§. 774. bis 777. ebendaselbst.

14) H. Die Kontroverse, ob der §. 2 der Zusammenstellung sich bloß auf solche Dissiderüen bezieht, die erst noch „bezwecken", sich vor: der im Staate aufgenommenen Kirchengemeinde auszusondern, oder auch auf solche, die sich bereits von derselben ausgesondert und einer anderen, jedoch vorn Staate nicht anerkannten Gemeinde angeschlossen haben, beziehe, und ob ir: dem früheren Rechtszustande durch den Art. 12 der Verf.Urk. eine Aenderung eingetreten sei, vgl. darüber P. Hin sch ins, preuß. Kirchengesetze des I. 1873. Berlin 1874. S. 181, ist durch das Ges. betr. den Austritt aus der Kirche v. 14. Mai 1873 (s. Zus. 8 zu §. 42 d. T.) erledigt. S. auch Anm. 70 dazu.

168

Zweiter Theil.

(Stifter Titel.

§. 10 (Zusätze 4 und 5).

19. ebendaselbst. 96. und 97. ebendaselbst. In Ansehung der über ihr Vermögen verhandelten Geschäfte und geschlossenen Verträge haben die öffentlich aufgenonrmenen Religionsgesellschaften die Rechte der Minderjährigen; sie' genießen wegen dieses Vermögens im Konkurse besonderer Vorrechte und es findet gegen sie nur die außerordentliche Verjährung von 44 Jahren statt, §§. 228. bis 234. Theil II. Tit. 11. §§. 629. bis 632. Theil I. Tit. 9. Die zu einer vom Staat öffentlich aufgenommenen Religionspartei gehörigen Kirchen sind befugt, gegen die innerhalb ihrer Parochie wohnenden Glaubensverwandten, soweit letztere nicht besonders eximirt sind, den Pfarrzwang auszuüben und dieselben zu den aus der Parochialverbindung fließenden Lasten und Abgaben heranzuziehen, §. 237. Theil II. Tit. 11. §§. 260. und 261. ebendaselbst. H. 418. ebendaselbst.

6. Auf die vorstehend unter 5. aufgeführten Rechte der öffentlich aufgenommenen Kirchen­ gesellschaften haben die nur geduldeten Religionsgesellschaften als solche keinen Anspruch; den Umfang ihrer Rechte im besonderen Falle bestinimt vielmehr die irrten ertheilte Konzession (cfr. H. 4.).

4. Generalkonzession für die von der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner. Vom 23. Juli 1845. (G.S. S. 516.) Wir rc. Auf die Uns vorgetragenerr Bitten und Wünsche derjenigen Unserer Lutherischen Unterthanen, welche sich vor: der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche getrennt halten, wollen Wir in Anwendung der in Unserer Monarchie bestehenden Grundsätze über Gewissens­ freiheit und freie Religionsübung und im Interesse der öffentlichen bürgerlichen Ordnung zu­ lassen und gestatten, daß von den gedachten Lutheranern nachstehende Befugnisse unter den hinzu­ gefügten maaßgebenden Bestimmungen in Ausübung gebracht werden: 1) Den von der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheranerrr soll gestattet sein, zu besonderen Kirchengenreinden zusammen zu treten und einen Verein dieser Gemeinden unter einem gemeinsamen, dem Kirchenregimente der evangelischen Landes­ kirche nicht untergebenen Vorstande zu bilden. 2) Zur Bildung einer jeden einzelnen Gemeinde ist jedoch die besondere Genehmigung des Staats erforderlich. Die Ertheilung dieser Genehmigung steht gemeinschaftlich den Ministern der geistlichen Angelegenheiten, des Innern und der Justiz zu. 3) Eine solche Kirchengemeinde (Nr. 2.) hat die Rechte einer moralischen Person. Sie kann daher auch Grundstücke auf ihren Namen mit Genehmigung des Staats erwerben, sowie eigene, dem Gottesdienste gewidmete Gebäude besitzen, welchen jedoch der Name und die Rechte der Kirchen (§. 18. Titel 11. Theil II. des Allgemeinen Landrechts) nicht beizulegen sind. 4) Als Geistliche der von der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner dürfen nur Männer voir unbescholtenem Wandel angestellt werden, welche zu einer bestimmten Gemeinde vozirt, von denr Vorstande (Nr. 1.) bestätigt und von einem ordinirten Geistlichen ordinirt sind. 5) Nach eben dieser Vorschrift (Nr. 4.) ist zu beurtheilen, ob und unter welchen Bedingungen die bisher schon als Geistliche dieser Religions-Partei thätig gewesenen Personen in dieser Eigenschaft ferner zugelassen werden können. 6) Die von diesen Geistlichen (Nr. 4. und 5.) vorgenommenen Taufen, Konfirmationen, Auf­ gebote und Trauungen haben volle Gültigkeit15), und werden die von ihnen und ihren 15) H. Die staatliche Gültigkeit kommt den betreffenden Akten nicht mehr zu, s. Anm. 12.

Vorgängern bisher verrichteten Amtshandlungen mit rückwirkender Kraft hierdurch als gültig anerkannt. 7) Bei Führung der Geburts-, Trauungs- und Sterberegister haben die Geistlichen dieser Gemeinden die gesetzlichen Vorschriften genau zu befolgen, insbesondere auch Duplikate dieser Register bei dem Gerichte ihres Wohnorts niederzulegen. Die aus diesen Registern von ihnen ertheilten Auszüge sollen öffentlichen Glauben haben. 8) Aufgebote zu Trauungen können fortan mit rechtlicher Wirkung,ß) in dell zum Gottes­ dienst bestimmten lokalen derjenigen Gemeinden vorgenommen werden, zu denen die Ver­ lobten gehören. 9) Wenn Mitglieder der gedachten Genreinden die Verrichtung einzelner geistlichen Amts­ handlungen in der evangelischell Landeskirche nachsuchen, so soll daraus allein der Austritt aus ihrer Gemeinde nicht gefolgert werden. 10) In Ansehung der Verpflichtung zu den aus der Parochialverbindung fließenden Lasten und Abgaben soll auch bei den, sich von der evangelischen Landeskirche getrennt haltenden Lutheranern die Vorschrift des §. 261. Tit. 11. Thl. II. des Allgemeinen Landrechts zur Anwendung kommen, soweit nicht nach Provinzialgesetzen oder besonderem Herkommen der­ gleichen Abgaben auch von Nichtevangelischen an evangelische Kirchen oder Pfarreien, und umgekehrt, zu entrichten sind'H. Zur Entrichtung des Zehntens sollen die gedachten Lutheraner, wenn die zehntberechtigte Kirche oder Pfarrei eine evangelische ist, überall verpflichtet bleiben, wo die Zehntpflicht sich nach der Konfession des Zehntpflichtigen bestilnmt18). Unsere Minister der geistlichen Angelegenheiten, des Innern und der Justiz sind beauftragt, für die Ausführung dieser Bestimmung Sorge zu tragen19).

5. 1874.

Gesetz, betreffend die Verhältnisse der Mennoniten^).

Vom 12. Juni

(G.S. S. 238.)

Wir 2c. verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages, für den Umfang der Monarchie, was folgt: §. 1. Mennoniten-Gemeinden können durch gemeinschaftliche Verfügung der Minister der Justiz, des Innern und der geistlichen Angelegenheiten Korporationsrechte erlangen. 1' 6) H. Diese Vorschrift ist ebenfalls in Folge der Einführung der Eivilstandsregister fort­ gefallen. 17) H. Anm. zu §. 261 d. T. 18) H. Vgl. jetzt aber §. 3 des Ges. v. 14. Mai 1873 (s. Anm. 14). 19) H. In Ausführung dieser Vorschrift ist seitens der gedachten Minister der CirkularErlaß v. 7. Aug. 1847 ergangen, Min.Bl. f. d. i. V. S. 317, auch bei Vogt, Kirchen- und Eherecht i. d. preuß. Staaten, Berlin 1857, 2 S. 232 und Boche, der preuß. evangel. Pfarrer, 5. Ausg. v. Altmann, Braunschweig 1875, S. 74 ff. Danach ist als der oberste Borstand der betreffenden Gemeinden das in Breslau bestehende sog. Ober-Kirchenkollegium anerkannt. Uebrigens hat die V. d. Kult.Min. v. 24. Juni 1848, Min.Bl. f. d. i. V. S. 197, ausgesprochen, daß den Altlutheranern die öffentliche dlusübung ihres Gottesdienstes, mithin auch der Gebrauch des kirchlichen Geläutes und die öffentliche Abhaltung kirchlicher Begräbnißfeierlichkeiten nicht versagt werden kann. Auf diejenigen Separatisten, welche sich von den imter dem Breslauer Kirchenkollegium vereinigten Lutheranern (sog. Altlutheranern) i. I. 1861 losgetrennt haben (s. Boche a. a. O. S. 61), findet die General-Konzession, vgl. Abs. 1, keine Anwendung. Sie haben also die dadurch gewährten Rechte nicht, s. Boche a. a. O. S. 78. Eine ähnliche Stellung, wie sie den sog. Altlutheranern i. I. 1845 eingeräumt worden ist, hatten schon früher die evangelischen Brüdergemeinden oder Herrnhuter, vgl. die General-Konzession v. 7. Mai 1746 und die Konfirmation v. 10. April 1789, Boche a. a. O. S. 68 ff.; Jacobson i. d. Zeitschrift für Kirchenrecht 1 S. 294. Ihre Gemeinden haben eben­ falls die Rechte juristischer Personen, Boche a. a. O. S. 60 und Dove i. d. Zeitschrift für Kirchenrecht 3 S. 460. 20) H. Ueber die früheren, die Stellung der Mennoniten regelnden Erlasie und Ver­ ordnungen vergl. B o ch e a. a. O. S. 83 ff.

170

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 10 (Zusatz 6), §§. 11—15.

§. 2. Die Ertheilung der Korporatiousrechte ist nur zulässig und darf nicht versagt werden, wenn 1) der Bezirk der Gemeinde geographisch abgegrenzt ist, 2) nach der Zahl und Vermögenslage der dazu gehörigen Mitglieder anzunehmen ist, daß die Gemeinde den von ihr Behufs Ausüburlg ihres Gottesdienstes nach ihren Grundsätzen zu übernehmenden Verpflichtungen dauernd zu genügen im Stande sein wird, 3) in dem Statut der Gemeinde keine Festsetzungen getroffen sind, welche mit den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen im Widerspruch stehen. §. 3. Die Vorschriften, nach welchen die Mennoniteu zu persönlichen Abgaben oder Leistungen an evangelische oder katholische Kirchensysteme verpflichtet sind, insbesondere das Edikt, die künftige Einrichtung des Mennonistenwesens in sämmtlichen Königlichen Provinzen exklusive des Herzogthums Schlesiens betreffend, vom 30. Juli 1789. werden aufgehoben. Abgaben und Leistungen an evangelische oder katholische Kirchensysteme, welche nicht per­ sönlicher Natur sind, insbesondere solche Abgaben und Leistungen, welche entweder kraft be­ sonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften, oder von allen Grundstücken des Bezirks, oder doch von allen Grundstücken einer gewissen Klasse in dem Bezirk ohne Unterschied des Be­ sitzers zu entrichten sind, werden durch dieses Gesetz nicht Urkundlich 2c.

6. Gesetz, betreffend die Ertheilung d e r K o r p o r a t i o n s r e ch t e a n B a p t i st e n gemeinden^). Vom 7. Juli 1875. (G.S." S. 374.) Wir 2c. verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages, für den Umfang der Monarchie, was folgt: §. 1. Baptistengemeinden können durch genleinschaftliche Verfügung der Minister der Justiz, des Innern und der geistlichen Angelegenheiten Korporationsrechte erlangen. §. 2. Die Ertheilung der Korporationsrechte ist nur zulässig und darf nicht versagt werden, wenn 1) der Bezirk der Gemeinde geographisch abgegrenzt ist, 2) nach der Zahl und Vermögenslage der dazu gehörigen Mitglieder anzunehinen ist, daß die Gemeinde den von ihr Behufs Ausübung ihres Gottesdienstes nach ihren Grundsätzen zu übernehmenden Verpflichtungen dauernd zu genügen im Stande sein wird, 3) in dem Statut der Gemeinde keine Festsetzungen getroffen sind, welche mit der; allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen im Widerspruch stehen"^). Urkundlich 2C.

Kirchengesell§. schaftcn. dienstes

11. Religionsgesellschaften, welche sich zur öffentlichenFeier des Gottesverbunden haben, werden Kirchengesellschaften25) genannt.

21) H. Vgl. zu §. 261. Zus. 37. 22) H. Vergl. Boche a. a. O. S. 65 ff. 23) H. Außer den Altlutheranern, Herrnhutern, Mennoniten und Baptisten haben noch Korporationsrechte die Niederländischen Reformirten (Kohlbrüggianer), s. Jacobson, Zeitschr. f. Kirchenrecht 3 S. 359, endlich die vorschriftsmäßig gebildeten Synagogen-Gemeinden der Juden, Gesetz über die Verhältnisse der Juden v. 23. Juli 1847 (G.S. S. 263) §. 37. 24) D. h. gemeinschaftlichen, in gewissen dazu bestimmten Gebäuden, im Gegensatze zu den Hausandachten in Privatwohnungen. §. 23. 25) H. Unter Kirchengesellschaft sind nach der Auffassung des L.R. nicht die Kirchen als Gesammtkorporationen zu verstehen, sondern nur die einzelnen Gemeindeverbindungen. Bei der Revision der Monita (s. Materialien zum L.R. 15, 139, v. Kamptz, Jahrb. 58 S. 73) äußerte Suarez: „Es giebt keine allgemeine Kirchengesellschaft im Staate, sondern nur einzelne besondere Gesellschaften, die durch kein äußeres Band unter einander verknüpft sind. Dieser Satz, auf den Herr v. Tevenar so sehr besteht, hat wohl seine unbezweifelte Richtigkeit, die ich hier nicht zu beweisen brauche. Selbst die unitatem ecclesiae, die von den Eatholiquen salviert wird, kann man höchstens nur in Ansehung des Lehrbegrisfs oder im theologischen, aber nicht im politischen und rechtlichen Verstände gelten lassen, wenn man nicht die ganze Hierarchie mit allen ihren oer

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

171

§. 12. Diejenigen, welche zu gewissen anderen besonderen Religionsübungen GeistUcheGevereinigt sind, führen den Namen der geistlichen Gesellschaften2ß)fen^aften.

Erster Abschnitt. Bon Kirchengesellschaften überhaupt. §. 13** Jede Kirchengesellschaft ist verpflichtet, ihren Mitgliedern Ehrfurcht Gnmdsah. gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat, und sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen27). §. 14*. Religionsgrundsätze, welche diesem zuwider sind, sollen im Staat nicht unerlaubte gelehrt, und weder mündlich, noch in Volksschriften, ausgebreitet werden 27). ^'schäften-"' §. 15. Nur der Staat2S) hat das Recht, dergleichen Grundsätze, nach an­ gestellter Prüfung, zu verwerfen, und deren Ausbreitung zu untersagen 28).

Vernunft und dem Wohle des Staates so nachtheiligen Folgen authorisiren will. Indessen, wenn man sich gleich allerdings nur so viel einzelne Kirchengesellschaften, als Kirchengemeinden im Staate sind, denkt, so giebt es doch eine Anzahl von Wahrheiten und Sätzeir, die alle diese Sozietäten mit einander gemein haben, und die ihr Verhältniß theils gegeir den Staat, theils gegen andere Gemeineil, sowohl ihres eigenen, als eines anderen Religionsbekenntnisses, theils die äußeren Rechte der Kirchengesellschaften, theils die inneren Verhältnisse zwischen den ver­ schiedenen Klassen ihrer Mitglieder bestimmen. Diese Bestimmungen fließen theils aus den Be­ griffen und (Grundsätzen von Sozietäten überhaupt, theils aus dem Zwecke der Kirchengesell­ schaften, theils aus der Subordination, in der sie gegen den Staat stehen müssen." Im L.R. selbst ist fast iinmer nur von Kirchengesellschaften die Rede, und zwar auch von solchen innerhalb derselben Konfession (£§. 114, 115/189 d. T.), an vielen Stellen (§§. 58, 59, 108, 111, §§. 157, 159, $$. 170 ff., §§. 189, 192) steht Kirchengesellschaft und Kirchengemeinde synonym, und endlich läßt sich kein einziger $. nachweisen, wo Kirchengesellschaft unzweifelhaft in dem Sinne von Kirche und ohne jede Beziehung auf die Genreindeverfassung gebraucht rvird. Daher ist die Annahme — s. Ricolovius, über das bischöfliche Recht in der evangelischen Kirche in Deutschland (v. Kamptz, Jahrb. 31 S. 126 und [u. Kamptz?j in seiner: Annalen 11 S. 830) —, daß das L.R. auf dem althergebrachten Episkopalsystem beruhe und das Wort: Kircherrgesellschaft nicht eine Gemeinde, sonde/n die Verbindung aller Ehristen unter demselben Lehrbegriff bezeichne, irrig. Vgl. auch Laspeyres, Gesch. d. kath. Kirche Preußens S. 481 u. Merkel in der Anm. 1 citirten Zeitschr. S. 29 2lnm. 1. H. Nicht identisch mit Kirchengesellschaft ist aber die Parochie, denn diese setzt Angehörige einer öffentlich aufgenommenen Religionspartei und die in 237 d. T. angegebene Organisation voraus. Erk. des O.Tr. I v. 29. April 1847 (Rechtsfälle 1 S. 113): a. Eine Kirchengesellschaft im Sinne des §. 11 II. 11 L.R. entsteht schon dann, wenn eine Gesellschaft unter öffentlicher Autorisation eine Abtrennung vom bisherigen Pfarrverbande beschließt und zur Errichtung einereigenen Gemeinde zusammentritt, b. Die von einer dergestalt neugebildeten Kirchengemeinde ernannten Deputirten sind wirkliche Vertreter der Gemeinde und die von ihnen in Gemäßheit ihrer Vollmacht vorgenommenen Handlungen haben sowohl für die damalige als für die fort­ gesetzte Gemeinde verbindliche Kraft. 26) H. Dahin rechnet das L.R. die Stifter, Klöster und Orden, s. §. 939 d. T. Kirchen­ gesellschaften und geistliche Gesellschaften sind also nach seiner Terminologie die beiden Unter­ arten des Genus: Religionsgesellschaft. Die Verf.Urk. Art. 13 (s. Zus. 1 zu §. 6) hat diesen Sprachgebrauch nicht beibehalten, setzt vielmehr Religionsgesellschaft und geistliche Gesellschaft gegenüber. Vgl. auch Anm. 1 zu H. 939 d. T. 27) H. Der §. spricht eine aus dem früheren Staatskirchenthum herfließende Anschauung aus. Derartige Pflichten können als staatsrechtliche gegenüber der Gewährung der Religions­ freiheit und der Autonomie an die Religionsgesellschaften nicht bestehen. Uebrigeils lassen sie sich auch praktisch nicht erzwingen, wie der Verlauf des sog. Kulturkampfes gegenüber der katholischen Kirche gezeigt hat. 27) H. Dieser §. ist durch die Art. 12, 27, 30 der Verf.Urk. v. 31. Jan. 1850 und die neuere Preßgesetzgebung (s. jetzt Reichsges. über die Presse v. 7. Mai 1874, R.G.Bl. S. 65) modifizirt. 28) H. So weit ihm die bestehenden Straf- und sonstigen Gesetze, s. die vor. Anm., dazu die Mittel gewähren.

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

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§. 12. Diejenigen, welche zu gewissen anderen besonderen Religionsübungen GeistUcheGevereinigt sind, führen den Namen der geistlichen Gesellschaften2ß)fen^aften.

Erster Abschnitt. Bon Kirchengesellschaften überhaupt. §. 13** Jede Kirchengesellschaft ist verpflichtet, ihren Mitgliedern Ehrfurcht Gnmdsah. gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat, und sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen27). §. 14*. Religionsgrundsätze, welche diesem zuwider sind, sollen im Staat nicht unerlaubte gelehrt, und weder mündlich, noch in Volksschriften, ausgebreitet werden 27). ^'schäften-"' §. 15. Nur der Staat2S) hat das Recht, dergleichen Grundsätze, nach an­ gestellter Prüfung, zu verwerfen, und deren Ausbreitung zu untersagen 28).

Vernunft und dem Wohle des Staates so nachtheiligen Folgen authorisiren will. Indessen, wenn man sich gleich allerdings nur so viel einzelne Kirchengesellschaften, als Kirchengemeinden im Staate sind, denkt, so giebt es doch eine Anzahl von Wahrheiten und Sätzeir, die alle diese Sozietäten mit einander gemein haben, und die ihr Verhältniß theils gegeir den Staat, theils gegen andere Gemeineil, sowohl ihres eigenen, als eines anderen Religionsbekenntnisses, theils die äußeren Rechte der Kirchengesellschaften, theils die inneren Verhältnisse zwischen den ver­ schiedenen Klassen ihrer Mitglieder bestimmen. Diese Bestimmungen fließen theils aus den Be­ griffen und (Grundsätzen von Sozietäten überhaupt, theils aus dem Zwecke der Kirchengesell­ schaften, theils aus der Subordination, in der sie gegen den Staat stehen müssen." Im L.R. selbst ist fast iinmer nur von Kirchengesellschaften die Rede, und zwar auch von solchen innerhalb derselben Konfession (£§. 114, 115/189 d. T.), an vielen Stellen (§§. 58, 59, 108, 111, §§. 157, 159, $$. 170 ff., §§. 189, 192) steht Kirchengesellschaft und Kirchengemeinde synonym, und endlich läßt sich kein einziger $. nachweisen, wo Kirchengesellschaft unzweifelhaft in dem Sinne von Kirche und ohne jede Beziehung auf die Genreindeverfassung gebraucht rvird. Daher ist die Annahme — s. Ricolovius, über das bischöfliche Recht in der evangelischen Kirche in Deutschland (v. Kamptz, Jahrb. 31 S. 126 und [u. Kamptz?j in seiner: Annalen 11 S. 830) —, daß das L.R. auf dem althergebrachten Episkopalsystem beruhe und das Wort: Kircherrgesellschaft nicht eine Gemeinde, sonde/n die Verbindung aller Ehristen unter demselben Lehrbegriff bezeichne, irrig. Vgl. auch Laspeyres, Gesch. d. kath. Kirche Preußens S. 481 u. Merkel in der Anm. 1 citirten Zeitschr. S. 29 2lnm. 1. H. Nicht identisch mit Kirchengesellschaft ist aber die Parochie, denn diese setzt Angehörige einer öffentlich aufgenommenen Religionspartei und die in 237 d. T. angegebene Organisation voraus. Erk. des O.Tr. I v. 29. April 1847 (Rechtsfälle 1 S. 113): a. Eine Kirchengesellschaft im Sinne des §. 11 II. 11 L.R. entsteht schon dann, wenn eine Gesellschaft unter öffentlicher Autorisation eine Abtrennung vom bisherigen Pfarrverbande beschließt und zur Errichtung einereigenen Gemeinde zusammentritt, b. Die von einer dergestalt neugebildeten Kirchengemeinde ernannten Deputirten sind wirkliche Vertreter der Gemeinde und die von ihnen in Gemäßheit ihrer Vollmacht vorgenommenen Handlungen haben sowohl für die damalige als für die fort­ gesetzte Gemeinde verbindliche Kraft. 26) H. Dahin rechnet das L.R. die Stifter, Klöster und Orden, s. §. 939 d. T. Kirchen­ gesellschaften und geistliche Gesellschaften sind also nach seiner Terminologie die beiden Unter­ arten des Genus: Religionsgesellschaft. Die Verf.Urk. Art. 13 (s. Zus. 1 zu §. 6) hat diesen Sprachgebrauch nicht beibehalten, setzt vielmehr Religionsgesellschaft und geistliche Gesellschaft gegenüber. Vgl. auch Anm. 1 zu H. 939 d. T. 27) H. Der §. spricht eine aus dem früheren Staatskirchenthum herfließende Anschauung aus. Derartige Pflichten können als staatsrechtliche gegenüber der Gewährung der Religions­ freiheit und der Autonomie an die Religionsgesellschaften nicht bestehen. Uebrigeils lassen sie sich auch praktisch nicht erzwingen, wie der Verlauf des sog. Kulturkampfes gegenüber der katholischen Kirche gezeigt hat. 27) H. Dieser §. ist durch die Art. 12, 27, 30 der Verf.Urk. v. 31. Jan. 1850 und die neuere Preßgesetzgebung (s. jetzt Reichsges. über die Presse v. 7. Mai 1874, R.G.Bl. S. 65) modifizirt. 28) H. So weit ihm die bestehenden Straf- und sonstigen Gesetze, s. die vor. Anm., dazu die Mittel gewähren.

172

öffentlichaufgenommene.

Zweiter Theil.

(Stifter Titel.

§§. 16—18.

§. 16. Privatmeinungen einzelner Mitglieder machen eine Religionsgesellschaft nicht verwerflich. §. 17. Die vom Staat ausdrücklich ausaenommenen Kircheu-Gesellschaften 29) die Rechte privilegirter Corporationen. H. 29) Das L R. kennt: 1. ausdrücklich aufqeiwmmene Kirchengesellschaften, d. h. solche, die das exercitium religionis publicum in vollem Umfange haben, ecclesiae (absolute) receptae; 2. geduldete Kirchengesellschaften §§. 20 ff. d. T., die das Recht auf das sog. exercitium reli­ gionis privatum besitzen. Zwischen diesen beiden Klassen stand indessen noch eine weitere Gruppe, die aufgenommenen konzessionirten, aber nicht privilegirten Kirchengesellschaften, welche, wie z. B. die Herrnhuter, weitergehende Rechte erlangt hatten, als die bloß geduldeten, s. Jacobson, über die Arten der Religionsgesellschaften re. in Preußen, Zeitschr. f. Kirchenrecht 1 S. 392 ff. Weitere Kategorien hat das Patent v. 30. März 1847 (Zus. 3 zu §. 10 d. T.) hinzugefügt, Jacobson a. a. O. S. 416. H. Die Verfassungsurkunde Art. 12 hat die Staatsgenehmigung für die Zulassung neuer Religionsgesellschaften beseitigt und unterscheidet zwischen Religionsgesellschaften mit Korporations­ rechten (d. h. solchen, deren einzelnen Gemeinden oder (Sinzelorganisationen Korporationsrechte zustehen, ohne daß die Religionsgesellschaft als Ganzes die juristische Persönlichkeit zu besitzen braucht, O.Tr. Str.S. II v. 11. Okt. 1877, Entsch. 81 S. 324) uud zwischen Religionsgesell­ schaften ohne Korporationsrechte. Diese (Sintheilung bezieht sich nur auf die privatrechtliche Stellung der Religionsgesellschaften, die sonstigen bis dahin bestandenen Verschiedenheiten sind aber dadurch nicht berührt worden. Diese liegen nicht allein auf dem privat-, sondern auch aus dem öffentlich rechtlichen (Gebiete. (Ss ergiebt sich somit für das geltende Recht folgende Eintheilung: 1. Religionsgesellschaften, welche lediglich nach den Normen des Privatrechts be­ urtheilt werden: a. mit Korporationsrechten in dem vorhin gedachten Sinne ^wie die Mennoniten und Baptisten, Zus. 5 und 6 zu §. 10 d. T., und Kohlbrüggianer, Anm. 23 zu Zus. 6 a. a. O.) und b. ohne Korporationsrechte, wie die Jrvingianer, Nazarener, Quäker, freien Gemeinden und Deutschkatholiken, Boche (s. Anm. 19 zu Zus. 4 zu §. 10 d. T.) S. 53, 60. 2. Religionsgesellschaften, welche die Stellung der öffentlichen Korporationen — oder heute, wo die landrechtliche Anschauung von den Kirchengesellschaften (s. Anm. 25 zu §. 11 d. T.) nicht mehr herrschend ist, richtiger als Anstalten des öffentlichen Rechts (s. P. Hinschius, Handb. d. öffentl. Rechts von Marquardsen, Freiburg und Tübingen 1883, I. 1 S. 249 ff.) haben. Dazu gehören diejenigen, welche das L.R. als mit den Rechten privilegirbarer Korporationen aus gestattet bezeichnet, d. h. zu seiner Zeit die sog. drei Reichs­ konfessionen, die lutherische, reformirte und katholische Kirche, s. Religionsedikt u? 9. Juli 1788 §. 1, Rabe, Sammt, preuß. Ges. 1 Abth. 7 S. 726, jetzt, so weit es sich um das Geltungs­ gebiet des L.R. handelt, die aus der lutherischen und reformirten vereinigte evangelische Landes­ kirche der älteren Provinzen (s. Anm. 49 zu §. 39 d. T.) und die katholische Kirche, mit Einschluß der altkatholischen (Zus. 28 zu §. 235 d. T.). Diese heißen (allerdings auch die ehe­ maligen evangelischen Landeskirchen der im Jahre 1866 der Monarchie einverleibten Provinzen, P. Hin sch ius, preuß. Kirchengesetze des Jahres 1873, Berlin 1873, S. 5, 102) im Sprach­ gebrauch der Verfassungsurkunde Art. 12 ff., vgl. namentlich den aufgehobenen Art. 15 — s. Anm. 40 zu §. 32 d. T. —, des R.Str.G.B. §. 166 und der neueren preußischen kirchlichen Gesetzgebung seit 1873, s. die Zusätze 8 zu §. 42 d. T., 9 zu §. 57 und 10 zu §. 60, allein Kirchen, bez. christliche Kirchen, wenngleich die meisten anderen der in Preußen bestehenden Religionsgesellschaften, wie z. B. die separirten Altlutheraner, die Herrnhuter, Mennoniten, gleichfalls christliche sind. Das Wesen ihrer Rechtsstellung liegt darin, daß der Staat sie nicht nach den Normen des Privatrechtes (über gewöhnliche oder auch init Korporationsrechten ausgestattete Privatvereine) bemißt, sowie die Verhältnisse der Kirchenglieder überhaupt und die Beziehungen derselben zu den Leitungsorganen nicht der Beurtheilung nach diesen Regeln unterwirft, sondern daß er die Macht, welche die Kirchen über ihre Glieder beanspruchen, als eine nicht auf privatem, sondern auf öffentlichrechtlichem Titel ruhende, als eine obrigkeitliche Gewalt anerkennt, welche — vorbehaltlich seiner Kontrole in bestimmten Beziehungen über das ihnen zur Selbst­ verwaltung überlassene Gebiet allein und unabhängig in der Weise verfügt, daß der Staat die innerhalb dieser Grenzen sich haltenden Verfügungen seinerseits für sich und nach außen hin ohne weiteres als bindend betrachtet und respektirt. (Weiteres s. bei P. Hinschius, Handbuch von Marquardsen a. a. O. S. 255.) H. Verknüpft damit ist — was nicht wesentlich mit der Stellung als Korporation oder Anstalt des öffentlichen Rechts verbunden zu sein braucht, aber regelmäßig damit verbunden ist pnd somit als Naturale derselben bezeichnet werden kann (s. a. a. O. S. 257 ff., 261) — die An-

§. 18.

Die von ihnen zur Ausübung ihres Gottesdienstes gewidmeten Ge­

erkennung der juristischen Persönlichkeit der regelmäßig vorkommenden Einzelorganisationen der Kirchen (Gemeinden, Bisthümer 2c., s. Anm. 63 zu §. 160 d. T.) und die Gewährung der staat­ lichen Macht zur Durchführung der Geltung des kirchlichen Rechts und der kirchlichen Anord­ nungen in einer Reihe von Beziehungen nach stattgehabter staatlicher Prüfung, sei es in der Gestalt des Adnrinistrativzwanges, wie z. B. bei der Einziehung der kirchlichen Steuern, s. Anm. 82 zu Zus. 23 bei §. 156 d. T., und der Vollstreckung von Disziplinar-Erkenntnissen, s. Anm. 15 und 16 zu Zus. 15 §. 9 bei §. 124 d. D.), oder in der Gestalt des gerichtlichen Schutzes, welcher an sich und prinzipiell nicht bloß für privatrechtliche Verhältnisse statthaft ist, so z. B. in Betreff des Patronatrechts, §. 577 d. T., welches kein Privatrecht ist, s. Anm. 2 zu 568 d. T., ferner in Betreff der Einziehung der Stolgebühren, Zus. 14 §. 15, Nr. 5 zu 110 d. T. H. Endlich treten zu diesen Rechten noch eine Reihe accidenteller Privilegien, der Gebrauch der Glocken (§. 25 d. D.), Gewährung von Staatsmitteln für die Bedürfnisse der Kirchen, Be­ freiung der Geistlichen von gewissen staatlichen Lasten, sowie von Kommunal-Abgaben und Leistungen (§. 96 d. T.), Gleichstellung derselben mit den Staatsbeamten in gewissen Beziehungen (§. 19 d. T.), Steuer-Eremtionen für bestimmte kirchliche Gebäude und Grundstücke (§§. 166, 174 d. T.), sowie gänzliche oder theilweise Beobachtung der kirchlichen Festtagsordnung als bürgerlicher (§. 35 d. T.). H. Wesentlich für die Stellung einer Religionsgesellschaft als Korporation oder Anstalt des öffentlichen Rechts ist allein die Anerkennung einer obrigkeitlichen Gewalt in einem staatlich bestimmten Umfange, dagegen ist die Gewährung der vorhin als naturaler und accidenteller be­ zeichneten Rechte nicht nothwendig. Freilich hat die bisherige Theorie gerade im Besitze der letzteren das wesentliche Kriterium für jene Stellung gesehen. Ihre Unhaltbarkeit ergiebt sich aber schon daraus, daß sie nicht anzugeberr vermocht hat, ob alle oder welche einzelne dieser Rechte und Privilegien begrifflich erfordert werden oder nicht. Im Uebrigen vgl. die Widerlegung bei P. Hinsch ins a. a. O. S. 250 ff. H. Vom Standpunkte der hier vertretenen Anschauung unterliegt es nun zwar keinem Zweifel, daß die geduldeten Kirchengesellschaften im Sinne des L.R. (§§. 30 ff.) zu den lediglich nach privatrechtlichen 9!ormen zu beurtheilenden Vereinen (s. unter 1) gehören, und daß, wie §. 20 ausdrücklich erklärt, die Vorschriften des II. 6 §§. II ff. aus sie Anwendung finden. H. Anders steht es mit denjenigen, welche in die dritte vom L.R. nicht erwähnte Gruppe der aufgenommenen konzessionirten, aber nicht privilegirten Kirchengesellschaften gehören. H. Den Herrnhutern ist in der General-Konzession v. 7. Mai 1746 für Schlesien die Handhabung ihrer Kirchenzucht und ihrer Kirchenverfassung und die Anerkennung ihrer bischöflichen Verfassung gewährt, vgl. auch die Bestätigung ihrer Privilegien v. 10. April 1789, Jacobson a. a. O. S. 395; Boche a. a. O. S. 68. Desgleichen besitzen ihre Gemeinden Korporationsrechte, wogegen es ttoch nicht zur Sprache gekommen ist, ob die zur Erhaltung ihres Kirchenivesens erforderlichen, ordnungsmäßig auferlegten Beiträge durch Administrativ-Exekution beigetrieben werden können, die Frage aber mangels besonderer positiver Bestimmungen von der Theorie verneint wird, s. Jacobson a. a. O. S. 396 Anm. 18. H. Den sog. separirten Altlutheranern ist durch die General-Konzession von 1845 (Zus. 4 zu §. 10 d. T.) gestattet, zu besonderen Kirchengemeinden zusammenzutrcten und einen Verein dieser Geineinden unter einem gemeinsamen, dein Kirchenregirnente der evangelischen Landes­ kirche nicht unterworfenen Vorstand (dem Ober-Kirchenkollegiunr in Breslau, s. Anm. 19 a. a. O.) zu bilden. Ihre mit staatlicher Genehmigung errichteten Gemeinden haben gleichfalls Korporalionsrechte, dagegen wird ihnen der Exekutivschutz für ihre Umlagen nicht gewährt, Boche a. a. O. S. 72 und S. 74 Anm. 5. H. Beide genannten Religionsgesellschaften haben demnach ein staatlich anerkanntes Kirchen­ regiment mit obrigkeitlicher Gewalt, das Essentiale der Korporation des öffentlichen Rechts kommt ihnen also zu, wie ihnen auch ferner ein Naturale derselben, die juristische Persön­ lichkeit, gewährleistet ist. Als bloße Privatvereine oder auch Privatkorporationen können sie demnach rechtlich nicht behandelt werden, und so hat auch das O.Tr. I v. 26. Okt. 1857, Str. Arch. 27 S. 87, angenommen, daß über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der Aus­ schließung aus einer Gemeinde der Altlutheraner durch die kirchlichen Behörden derselben eine Berufung auf rechtliches Gehör nicht statthaft sei und daß II. 6 §§. 44, 47 für diese Fülle nicht zur Anwendung kommen. H. Die bisherige Theorie, welche das Wesender Neligionsgesellschaften als Korporationen des öffentlichen Rechtes in die zufälligen Rechte und Privilegien gesetzt hat, hat dieses Verhältniß nicht klar erkannt und daher die Herrnhuter und Altlutheraner nicht hierher gerechnet. Der staatliche Exekutivschutz für die Leistungen ihrer Angehörigen fehlt ihnen allerdings, eben so ent­ behren die Herrnhuter der sonstigen Privilegien der großen christlichen Kirchen (ihre Gotteshäuser

174

Zweiter Theil.

Stifter Titel.

§§. 18, 19.

heißen namentlich nicht Kirchen, sondern Bethäuser und entbehren der Glocken), und wennschon die Verwaltungspraxis den Altlutheranern den Gebrauch des Geläutes tmb die öffentliche Abhaltung kirchlicher Begräbnißfeierlichkeiten nicht versagt hat, so fehlen ihnen doch gleichfalls eine Reihe anderer der gedachten Privilegien (f. §. 96 d. T.). H. Vollprivilegirt sind sie demnach nicht. Das L.R. selbst steht gleichfalls auf dem Boden der früheren Anschauung. In den §§. 17 ff. identistzirt es diejenigen Kirchen, welche es nicht dem Gebiete des Privatrechts, dem Tit. 6 Th. II, unterstellt, deren obrigkeitliche öffentlich recht­ liche Gewalt über ihre Angehörigen es also anerkennt, mit den privilegirten Korporationen, d. h. die von ihm als öffentlich rechtliche Korporation anerkannte Kirche hat nach seiner Auf­ fassung immer alle von ihm festgesetzten naturalen Rechte und aceidentiellen Privilegien, also ist auch eine, selbst die mit einer obrigkeitlichen Gewalt zugelassene Kirche, welche diese Privilegien nicht besitzt, im Sinne des L.R. keine öffentlich rechtliche Korporation im eigentlichen Sinne. H. Daraus folgt für das Gebiet des preußischen Rechts, daß diese letzteren nicht in allen Beziehungen, sondern allein, so weit es ihre Konzessionen bedingen, als öffentlich rechtliche Kor­ porationen behandelt und betrachtet werden dürfen. Die Frage hat namentlich praktische Be­ deutung, in wie fern die kirchlichen Aetnter als öffentliche Aemter, die Geistlichen und kirchlichen Beamten bez. Behörden als öffentliche Beamte oder Behörden zu erachten sind. H. Freilich ist der Begriff des öffentlichen ^lmtes, des öffentlichen Beantten und der öffent­ lichen Behörde weder gesetzlich bestimmt (das R.Str.G.B. §§. 31, 359 giebt keine Defüntion, und so weit sich aus seinen Vorschriften etwas entnehmen läßt, kann dies nach seiner eigenen Vor­ schrift nur für das Straf-, nicht für das Staatsrecht in Betracht konnnen), noch hat die Theorie des öffentlichen Rechtes sich bisher in ausreichendent Maße mit der Feststellung dieses Begriffs beschäftigt. Was die Gerichtspraxis betrifft, so hat das O.Tr. IV v. 26. März 1863, Entsch. 49 S. 163, Str. Arch. 48 S. 276, die öffentliche Behörde alo eine mit öffentlicher Autorität versehene amtliche Stelle, welcher geivisse obrigkeitliche Verpflichtungen und Prärogative in einem von: Gesetz bemeffenett Geschäftskreise dauernd beigelegt sind, und welche, wenn sie aus ntehreren Personett besteht, nach außen nur als eine von ihrem Vorgesetzten repräsentirte Ge­ sammtheit oder Einheit erscheint, definirt. Ferner sittd vom O.Tr. Pl.Beschl. v. 27. Mai 1839, Entsch. 4 S. 273, städtische Deputationen und Komntissionen, welche zur Verwaltung einzelner Geschäftszweige des Gemeinwesens aus Mitgliedern des Magistrate und der Bürgerschaft ge­ bildet sind, als öffentliche Behörden, vom O.V.G. I v. 12. April 1882, Eentr.Bl. f. d. Unterr.= Verw. Jahrg. 1882 S. 572, die Mitglieder des Schulvorstandes als öffentliche Beamte, ferner von verschiedenen früheren Appellationsgerichten in Betreff des Grundbuchverkehrs die Kuratorien der Kreis- und der städtischen Sparkassen, Johow, Jahrb. der App.-Ger. 7 S. 108 und 8 S. 135, vgl. auch Min.Bl. f. d. i. V. v. 1880 S. 201, die königliche Hofkammer, Johow a. a. O. 5 S. 71 ff. und die Aeltesten der Kaufmannschaft zu Berlin, a. a. O. S. 72, als öffentliche Behörden anerkattnt worden. H. Die Definition des O.Tr. erscheint nicht ausreichend. Zunächst kann es keinem Zweifel unterliegen, daß alle unmittelbaren und mittelbaren Staatsümter, bez. Beamten tmd Behörden (s. Anm. 1 zu II. 10 §. 1 und Anm. 53 zu §. 69 a. a. O.) hierher gehören, weil die Funktionen derselben von dem öffentlichen Recht beherrscht werden, und es ist dabei gleichgültig, ob die betreffenden Aemter zur Ausübung obrigkeitlicher Funktionen oder nicht (wie z. B. das des Universitäts-Professors) bestimmt sind. Es erscheint daher richtig, wenn der Aufsatz von Schering, J.M.Bl. von 1849 S. 326, außer den königlichen Behörden auch die städtischen und landschaftlichen, die Landarmendirektionen, Kreditdirektionen, Provinzial-Feuersocietätsdirektionen hierher rechnet. Darüber hinaus aber wird nur denjenigen Personen, welchen öffentlich recht­ liche Befugnisse, z. B. die Beglaubigung von Urkunden mit der Wirkung, diese zu öffentlicherr Urkunden zu machen, ausdrücklich durch Gesetz gewährt sind, oder den Aemtern, Behörden und Beamten solcher Korporationen oder Anstalten, welche kraft Gesetzes als öffentlich rechtliche anerkannt sind, denen also eine staatlich anerkannte obrigkeitliche Gewalt über ihre 9Ritglieder zusteht, dieser Charakter beizulegen sein. H. In Betreff der Religionsgesellschaften ist dies nach den obigen Ausführungen durch Gesetz nur bei den erwähnten vollprivilegirten christlichen Kirchen, nicht denjenigen christlichen Religionsgesellschaften, welchen zwar nach ihrer Konzession gewisse obrigkeitliche Befugnisse zu­ kommen, denen aber die Rechte privilegirter Korporationen fehlen, geschehen. Die Aemter und Beamten in der Gemeinschaft der Herrnhuter und Altlutheraner können daher nicht als öffent­ liche erachtet werden, wohl aber ist dies der Fall mit den Aemtern und Beamten in der evan­ gelischen Landeskirche, sowie in der römischkatholischen und altkatholischen Kirche, vgl. Anm. 26 zu §. 133 d. T. (bischöfliches General-Vikariat), Anm. 45 zu Zus. 18 bei §. 145 (evangelischer Oberkirchenrath), Anm. 19 zu Zus. 20 §. 22 bei §. 156 (Gemeindekirchenrath) und Anm. 34 zu §. 54 ebendaselbst (Kreissynodalvorstand), Anm. 55 zu Zus. 25 bei §. 157 (katholischer Kirchen­ vorstand), Anm. 1 zu §. 550 (Presbyterien) und Anm. 1 zu §. 1022 (Domkapitel). —

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

175

bäude werden Kirchen genannt, und sind als privilegirte Gebäude des Staats anzusehen30). §. 19. Die bei solchen Kirchengesellschaften zur Feier des Gottesdienstes und zum Religionsunterricht bestellten Personen haben mit anderen3') Beamten im Staat gleiche Rechte. Die den Veranstaltern von Versammlungen behilfs Erörterung öffentlicher Angelegenheiten auferlegte Pflicht zur Anzeige bei der Ortspolizeibehörde und die Nothwendigkeit, die Statuten und Mitgliederverzeichnisse des Vereins ebendaselbst einzureichen, besteht nach §§. 1 und 2 des Ges. v. 11. März 1850 (f. Anni. 7 zu §. 7) picht für kirchliche und religiöse Vereine und deren Versammlungen, wenn diese Vereine Korporationsrechte haben. 30) H. D. h. sie stehen rechtlich den privilegirten Gebäuden des Staates gleich, wie sich aus §. 174 d. T. ergiebt. 31) H. Schon nach der landrechtlichen Gesetzgebung (s. außer §. 19 auch §. 96 d. T.) konnten die Geistlichen nicht als unmittelbare Staatsbeamte betrachtet werden. Ganz abgesehen davon, daß II. 13 §. 7 für die letzteren staatliche Verleihung des Amtes verlangt, werden sie II. 17 32; 18 §§. 208, 213; 20 §. 326, A.G.O. I. 2, §§. 43, 77, 85; 49 §. 27 von den Staatsbeamten unterschieden. Außerdem bestand ihr Amt seinem wesentlichen Inhalte nach nicht in der Voll­ ziehung staatlicher Funktionen. So erklärt sie auch Suarez (Jahrb. 58 S. 63): „Sobald ich mir einen protestantischen Geistlichen gedenke, denke ich mir allemal eine Gemeine, bei welcher er als Prediger, Lehrer oder Seelsorger bestellt ist. Qua talis gehört er zu den mittelbaren Beamten des Staats und hat als solcher gewisse Rechte und Pflichten" nur für mittelbare Staatsbeamte, d. h. für solche, welche nicht in umnittelbaren Diensten des Staates, sondern in denen einer demselben untergeordneten Korporationen oder Gemeinden stehen, II. 10 §§. 68, 69; A.G.O. I. 24 Anh. §. 161 zu I. 24 §. 108: „Allen im L.N. II. 10 68 und 69 gedachten Beamten, nnthin auch den städtischen, geistlichen und landschaftlichen, kommt die Vorschrift des §. 106 des Anh. zu statten." Zu dieser Auffassung hat naturgemäß das dainals herrschende Staats­ kirchenthum geführt, d. h. die Anschauung, daß die Kirche einerseits als Sittlichkeitsanstalt die Zwecke des Staates zu fördern (vgl. §. 13 d. T.), andererseits der Staat dagegen auch die Verwirklichung der Zwecke der Kirche mit in seine Aufgaben einzubeziehen und eine weitgehende Kontrole und Mitwirkung gegenüber der Kirche auszuüben habe, vgl. P. Hi nschiu s in Mar­ quard sen, Handb. d. öffentl. Rechts, Freiburg und Tübingen 1883, 1 S. 254. Wo man, wie in Preußen, die Wesensverschiedenheit zwischen Staat und Kirche damals nicht ganz verkannte und nicht völlig ignorirte, erschien daher die Bezeichnung: mittelbare Staatsbeamte für die Geistlichen als adäquater Ausdruck des bestehenden Staatskirchenthums. In der hier fraglichen Beziehung läuft diese Charakterisirung der Stellung der Geistlichen praktisch darauf hinaus, daß ihnen die besonderen Vorrechte der Staatsbeamten gewährt werden. Bei der Formulirung dieses Grund­ satzes sind in §§. 19 und 96 ähnliche Ungenauigkeiten im Ausdruck vorgekommen, wie in den §§. 18, 170, 174 d. T., von denen der erstere die Kirchen als privilegirte Gebäude des Staates erklärt, während sie nach den letzteren im Eigenthum der Kirchengesellschaft stehen, s. Laspeyres a. a. O. S. 504. Nachdem aber die Verfassungsurkunde Art. 15 die Kirchen selbstständig gestellt und die staatliche und kirchliche Sphäre von einander geschieden, also die prinzipielle Basis des früheren Staatskirchenthums beseitigt hat, können die Geistlichen vollends nicht mehr als Staatsbeamte angesehen werden, um so'weniger, als der Grundsatz der Ver­ fassungsurkunde auch sofort durchgeführt worden ist, wie z. B. der Staatsdiener- und Ver­ fassungseid für die Geistlichen in Fortfall gebracht, das Disziplinargesetz v. 21. Juli 1852 (Zus. 36 zu II. 10 §§. 99 ff.) für die sämmtlichen unmittelbaren und mittelbaren, nicht richterlichen Staatsbeamten sich auf die Geistlichen nicht erstreckt, ferner das preuß. Str.G.B. v. 1851 §§. 104, 131 die unbefugte Verrichtung geistlicher Amtshandlungen nicht unter die unbefugte Ausübung eines öffentlichen Amtes begriffen und die Geistlichen nicht zu den Staatsbeamten gerechnet hat. H. Braun in der Zeitschr. f. K.N. 17, 281 ist dagegen der Ansicht, daß die anerkannte Selbstständigkeit der Kirche keineswegs die Leugnung der Eigenschaft als mittelbarer Staatsdiener bedingt, ja umgekehrt, seitdenr die Gesammtkorporation der evangelischen Kirche als Einheit, nicht mehr bloß wie in der Auffassung des L.R. als ein Konglomerat vereinzelt dastehender Kirchengemeinden, erscheine, passe der Begriff der mittelbaren Staatsdiener erst recht für die Beamten dieser im öffentlichen Recht des Staates anerkannten Korporation. Diese Anschauung erklärt sich daraus, daß die Beamten aller öffentlichen Korporationen, d. h. nach der Definition des Verfassers derjenigen Korporationen, welche der Staat wegen ihrer Bedeutung für das Volkswohl in die staatsrechtliche Ordnung eingliedert, für mittelbare Staatsdiener erklärt, und als Konsequenzen der Stellung der letzteren bezeichnet werden: die Negative, daß die betreffende Person nicht im Dienste des Staates, sondern einer vom Staate verschiedenen Korporation stehe und die Positive, daß sie bis zu einem gewissen Grade gleiche Rechte und Pflichten wie ein

176 geduldete.

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§§. 20—30.

§. 20*. Eine Religionsgesellschaft, welche der Staat genehmigt'^-), ihr abew Staatsdiener haben solle. Das Fundament dieser Ansicht bildete ein Begriff der öffentlichem Korporation, welcher völlig schwankend bestimmt ist. Der Ausdruck „Eingliederung in dve staatsrechtliche Organisation" erscheint vieldeutig und unpräzis. Aber ganz abgesehen davon isst die Begriffsbestimmung eine rein willkürliche, und sie ignorirt die staatsrechtlichen und politischem Anschauungen zur Zeit des L.N., welche den Begriff der mittelbaren Staatsbeamten, wie ihm II. 10 §. 69 formulirt, hervorgerufen haben, sticht das Bedürfniß, die Beamten gewisser Kor­ porationen hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten den eigentlichen oder unmittelbaren Staats­ beamten gleichzustellen, ist für die Bildung des Begriffes entscheideild gewesen, sondern der Umstand, daß nach damaliger Anschauung die Aufgaben und Thätigkeit gewisser Korporationem als staatliche betrachtet wurden. Das galt insbesondere von den Aufgaben der Kirche, und wenm bei der damals bestehenden Verfassung der evangelischen Kirche die dieselbe leitenden Behördem als Staatsbehörden galten, so war es nur konsequent, die Beamten der einzelnen Kirchen­ gemeinden, geistliche oder weltliche Kirchenbediente, wegen ihrer kirchlichen Funktionen als zucr Erfüllung staatlicher Aufgaben berufen anzusehen, d. h. sie für Staatsdiener und zwar, da sie nicht in unmittelbarem Dienstverhältniß zunr Staate standen, für mittelbare zu erklären (vgl. II. 10 §. 69 Anm. 53). H. Durch den citirten Verfassungsartikel ist aber dieser Auffassung der Boden entzogen worden. Die Gewährung der Autononne an die Kirchen heißt nichts anderes, als daß die Erfüllung kirchlicher Aufgaben nicht mehr der Thätigkeit des Staates anheimfallen soll. Das preußische Staatsrecht hat nun allerdings den Begriff mittelbarer Staatsdiener beibehalten, aber in Folge der Veränderung der Anschauungen über den Beruf des modernen Staates, nicht nur in Betreff der kirchlichen, sondern auch einer Reihe anderer Aufgaben, läßt sich der Begriff nur dahin formuliren, daß er die Beamten solcher Korporationen, welche eine direkte Beziehung zunr Staate haben, d. h. welche nach Lage der obwaltenden Verhältnisse und der bestehenden Gesetz­ gebung als wesentlich für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, wie die die Unterlage des Staatsbau bildenden kommunalen Verbände oder doch als das staatliche Wohl direkt för­ dernd, wie z. B. die landschaftlichen oder ritterschaitlichen Kreditvereine, betrachtet werden müssen, s. a. a. O., umfaßt. Eine direkte Beziehung ihrer Ausgaben zu den Thätigkeiten des Staates muß bei allen diesen Korporationen vorhanden sein. Wenn der Staat verfassungsmäßig die Selbstständigkeit und Autonomie der Kirchen und Religionsgesellschaften anerkennt, so leugnet er damit aber gerade diese direkte Beziehung. Indem er ihnen die Pflege der Religion und der kirchlichen Angelegenheiten überläßt, scheidet er die betreffende Thätigkeit aus seinem Berufe aus, und wenn er gleich die eine oder andere Kirche mittelbar durch Privilegien rc. fördern kann, lehnt er prinzipiell die direkte Verwirklichung ihrer Zwecke seinerseits, sei es durch seine staatlichen, sei es durch die der Kirche angehörigen Organe ab. Es ist bei dieser Sachlage unmöglich, Be­ amte, welche weder staatliche Aufgaben erfüllen noch in einem Dienstverhältnisse zum Staate stehen, als staatliche Beamte, sei es auch nur als mittelbare, zu betrachten. Es war daher völlig berechtigt, daß die preußische und deutsche Gesetzgebung diese Anschauung in den vorhin er­ wähnten positiven Bestimmungen zur Geltung gebracht hat. Wenn dagegen den Geistlichen noch heute gewisse Privilegien der unmittelbaren Staatsbeamten verblieben sind, so erscheint dies unerheblich, denn dadurch werden sie nicht zu mittelbaren Skaatsdienern. Diese Vorrechte hängen vielmehr mit der privilegirten Stellung einzelner Kirchen überhaupt zusammen. H. Das O.Tr. Str.S. II v. 16. Rov. 1876, Oppenhoff, Rechtsprechung 17 S. 143, und v. 9.Nov. 1876, kirchl. Ges.-u. V.-Bl.v. 1876/1877 S. 145, in dessen Gründen die Begriffe unmittel­ bares Staats- und öffentliches Amt nicht scharf auseinander gehalten werden (vgl. auch Anm. 29 zu §. 17 a. E.), erachtet den Geistlichen, so weit er mit der Verwaltung des Kirchenver­ mögens betraut ist, mithin in dieser Eigenschaft als mittelbaren Staatsbeamten, eine Unter­ scheidung zwischen den Funktionen des geistlichen Amtes, welche keinen Anhalt hat, weil die kirchliche Vermögensverwaltung an sich ebenso wenig Staatssache ist. H. Die Aufhebung des Art. 15 der Verfassungs-Urkunde durch das Ges. v. 18. Juni 1875 (Zus. zu II. 13) ist für die vorstehenden Ausführungen bedeutungslos, denn damit ist der durch den Art. 15 geschaffene Rechtszustand nicht ohne weiteres beseitigt, s. H. Schulze, preuß. Staatsrecht 1 S. 314 und O.V.G. I. v. 4. Okt. 1881, Entsch. 8 S. 395 ff., und überdies ist, was speziell die evangelische Kirche betrifft, gerade deren Selbstständigkeit durch weitere gesetzliche Maßnahmen noch in größerem Umfange verwirklicht worden, vgl. Zus. 17 zu §. 144 d. T. und Zus. 19 ff. zu §. 156 d. T. H. Wegen der heutigen Stellung der Mitglieder der kollegialischen kirchenregimentlichen Be­ hörden in der evangelischen Kirche s. Anm. 37 a zu Zus. 17 bei §. 144 d. T. 32) H. Die Genehmigung ist fortgefallen. S. Anm. 10 zu §. 10.

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

177

die Rechte öffentlich aufgenommener Kirchengesellschaften nicht beigelegt hat, genießt nur die Befugniß geduldeter Gesellschaften 33). (Tit. 6. §. 11. sqq.) §. 21. Aufgehoben 3^). §. 22*. Einer geduldeten Kirchengesellschast ist die freie Ausübung ihres Privatgottesdienstes verstattet35).36 37 38 §. 23. Zu dieser gehört die Anstellung gottesdienstlicher Zusammenkünfte in gewissen dazu bestimmten Gebäuden, und die Ausübung der ihren Religionsgrund­ sätzen gemäßen Gebräuche, sowohl in diesen Zusammenkünften, als in den Privat­ wohnungen der Mitglieder. §. 24. Eine bloß geduldete Kirchengesellschaft kann aber das Eigenthum solcher Gebäude ohne besondere Erlaubniß des Staats nicht erwerben 3G). §. 25. Ihr ist nicht gestattet, sich der Glocken zu bedienen, oder öffentliche Feierlichkeiten außerhalb der Brauern ihres Versammlungshauses anzustellen. §. 26. Die von ihr zur Feier ihrer Religionshaudlungen bestellten Personen genießen, als solche, keine besondere persönliche Rechte3^). §. 27. Sowohl öffentlich aufgenommene, als bloß geduldete Religions- und ^chäunib Kirchengesellschafteu müssen sich, in allen Angelegenheiten, die sie mit anderen bürger- gesellschaftcn liehen Gesellschaften gemein haben, imd) den Gesetzen des Staats richten33). §. 28. Diesen Gesetzen sind auch die Obern, und die einzelnen Mitglieder, in allen Vorfällen des bürgerlichen Lebens unterworfen. §. 29. Soll denselben, wegen ihrer Religionsmeinungen, eine Ausnahme von gewissen Gesetzen zu statten kommen, so muß dergleichen Ausnahme vom Staat ausdrücklich zugelassen sein. §. 30. Ist dieses nicht geschehen: so kann zwar der Anhänger einer solchen Religionsmeinung etwas gegen seine Ueberzeugung zn thun nicht gezwungen werben 39); 33) H. Vergl. Anm. 29. 34) H. Anm. 10. Der §. 21 lautete: Jede Kirchengesellschaft, die als solche auf die Rechte einer geduldeten Anspruich machen will, muß sich bei dem Staat gebührend melden, und nach­ weisen, daß die von ihr gelehrten Meinungen nichts enthalten, was dem Grundsätze des §. 13. zuwid erläuft. 35) H. S. auch Zus. 1 zu §. 6. 36) Nämlich unter der Kollektivbenennung einer Gesellschaft (juristischen Person). Auf den Namen der einzelnen Gesellschafter zu erwerben, ist unverschränkt. 37) H. Die Religionsdiener der Privatgesellschaften sind bloße Privatbeamten. Sie haben daher namentlich nicht das den öffentlichen Beamten zustehende Exekutions-Privilegium, E.P.O. §. 749 Nr. 8. 38) Hiernach ist es unerlaubt, wenn katholische Geistliche das int Trauerregulativ v. 7. Okt. 1797 und Ges. v. 28. Nov. 1845 (G.S. S. 830) allgemein angeordnete Trauergeläute unter dem Vorgeben, daß sie hierzu keine Ermächtigung ihrer geistlichen Behörde hätten, verweigern, wie es 1861 von Einzelnen vorgekommen ist. Jene Anordnung des Trauergeläutes ist keine kirchliche, sondern eine staatliche, und deshalb genmß §. 27 sofort ohne weiteres zu befolgen. 39) H. Durch diese Vorschrift hat man neuerdings, s. stenogr. Ber. des Abgeordnetenh. 12. Legisl. I Session 1873/1874 S. 1403 u. II Session 1875 S. 824, u. P. Reichensperger, Kulturkampf. Berlin 1876 S. 77 ff., den Widerstand der katholischen Bischöfe gegen die Mai­ gesetze zu rechtfertigen gesucht. Die Pflicht, den Gesetzen Gehorsam zu leisten, ist aber in den §§. 13, 28, 134 d. T. deutlich genug ausgesprochen, s. übrigens auch Art. 12 der Verf.Urk. (Zus. 1). Die §§. 29, 30 handeln gar nicht von der Unterwerfung unter die Gesetze, die durch §. 28 statuirt ist,' sondern davon, in wie fern die Anhänger einer Religionsgemeinschaft Exemtionen und Privilegien mit Rücksicht auf ihre Religionsauffassung beanspruchen können. §. 29 sagt nur, daß eine solche Begünstigung allein dilrch den Staat bewilligt werden könne, und §. 30, daß, wenn dies nicht geschehen, das allgemeine Gesetz zwar wirksam sei, also zum Gehorsanr verpflichte, wo aber die Gesetze einen Spielraum lassen und nicht absolut verpflichten, wie z. B. zur Ableistung von Eiden in Prozessen, kein Zwang eintreten solle, vgl. auch Martens, d. Be­ ziehungen zw. Kirche u. Staat. Stuttgart 1877 S. 458. Koch, Allgemeines Landrecht. IV.

8. Stuft.

12

178 §. 31. unterlassenen §. 32. schaft ist der

Zweiter Theil.

(Stiftet Titel.

§§. 31—35.

Er muß aber die nachtheiligen Folgen, welche die Gesetze mit ihrer Beobachtung verbinden, sich gefallen lassen. Die Privat- und öffentliche Religionsübung einer jeden Kirchengesell­ Oberaufsicht des Staats unterworfen^").

40) Vermöge des Juris majestatis circa sacra. Dieses Hoheitsrecht ist keineswegs, wie behauptet worden ist (Jahrb. 31 S. 25), ein solches Attribut des Selbstherrschers, welches aus dessen Eigenschaft als oberstem Bischöfe fließt. Denn wenn das Wahrheit wäre, würde ihm das Aufsichtsrecht nur in der Kirche zustehen, zu welcher er sich bekennt, da das erste Erforder­ niß eines Bischofs die Mitgliedschaft seiner Kirche ist. Aber das fr. Hoheitsrecht steht unbe­ stritten in Beziehung auf die Kirchengesellschaften aller Konfessionen und Religionen dem Staate zu. Das Aufsichtsrecht berechtigt übrigens nicht zur Geschäftsführung für die Gesellschaften. Schles. Arch. 3 S. 540 ff. H. Aus Anlaß des Art. 15 der Verfassungsurkunde: „Die evangelische und die römischkatholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Angelegen­ heiten selbstständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds" ist mehrfach, s. z. B. Gerlach, das Verhältniß des preuß. Staates zu der katholische Kirche, 2. Ausl. 1 Abth. Paderborn 1867; die Abhandlung im Archiv f. kathol. Kirchenrecht 11 S. 58 ff., die Ansicht ausgestellt werden, daß dadurch das staatliche OberaufsichtSrecht über die Kirchen beseitigt worden sei, und daß die Kirche die volle Selbstständigkeit in allen, nach ihren Glaubenslehren von ihr zu regelnden Angelegenheiten erlangt habe. Ganz abgesehen davon, daß nach dieser Auslegung der Art. 15 die gesammte Bevölkerung je nach ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Kirchen und Religionsgese'llschaften in eine Anzahl von Gruppen aufgelöst haben müßte, welche in den nach ihren Glaubenslehren zu normirenden Angelegenheiten dem Staate völlig souverän gegenüber ständen, und damit ein Prinzip sestgesteUt hätte, welches praktisch nicht mir zur gegenseitigen Befehdung der Religionsgesellschasten, sondern auch zur Auflösung des Staates führen würde, gilt nach heutigem Staatsrecht das aus der Souveränetät deo Staates fließende Recht der Gesetzgebung und Oberaufsicht als unveräußerlich. Ein Verzicht des Staates darauf läßt sich daher schon aus allgemeinen Gründen nicht annehmen. Dazu kommt, daß die Ausdrücke: ordnen und verwalten keine souveräne Gesetzgebungsgewalt, sondern nur eine Ordnungsgewalt im eigenen Kreise, die Autonomie, bezeichnen. Die Begrenzung dieses Kreises ist nicht dem Belieben der Religionsgesellschaften überlassen, sie ist vielmehr vom Standpunkte des Staates, dessen gesetz­ geberischer Akt die Verfassungsurkunde war, zu bestimmen, und von ihm selbst praktisch vor­ zunehmen, weil die Befugniß dazu keinem andern gesetzlich beigelegt ist. Denrgemüß hat der Art. 15 den Religionsgesellschaften nur die Verwaltung solcher Angelegenheiten, welche aus­ schließlich innerhalb ihrer eigenthümlichen Sphäre liegen, unter Oberaufsicht des Staates zugestanden, und die selbstständige Leitung der betreffenden Angelegenheiten durch den Staat und ein aktiv bestimmendes Eingreifen desselben in bevormundender Weise beseitigen wollen. Nur in so weit, als bisherige gesetzliche Bestimmungen eine derartige Thätigkeit des Staates ge­ statteten, vergl. auch Art. 109, sind sie aufgehoben worden. S. übrigens auch Richter-Dove, Kirchenrecht 7. Aufl. §. 74 Anm. 14, §. 100 Anm. 3; Friedberg, d. evangel. u. kathol. Kirche d. neu einverleibten Länder. Halle 1867 S. 62 ff.; Dove in der Zeitschr. f. Kirchenrecht 7 S. 307 ff.; v. R önne, Staatsrecht d. preuß. Monarchie §. 193; H. Schulze, preuß. Staats­ recht 2, 701. Durch das Gesetz v. 5. dlpril 1873 (G.S. S. 143) hat der Art. 15 die nach­ stehende Fassung erhalten: „Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber denStaatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen. — Mit der gleichen Maßgabe bleibt jede Religionsgesellschaft im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds." Wenn die vorhin dargelegte Auffassung des Sinnes des ursprünglichen Wortlautes der Verf.Urk. richtig ist, so kann dieses Gesetz nur den Charakter einer das staatliche jus circa sacra feststellenden Dekla­ ration haben, vergl. auch P. Hinschi u s, d. preuß. Kirchengesetze des Jahres 1873 S. XXXV ff., welchem R.G. II v. 13. Jan. 1880 u. v. 5. Juli 1881, Annal. 1 S. 431 u. 4 S. 268 bei­ getreten ist. Durch das Ges. v. 18. Juni 1875 (G.S. S. 259) — s. Zus. zu II. 13 §. 18 — ist der Art. 15 nebst Art. 16 u. 18 der Verf.Urk. aufgehoben worden. Damit find aber die durch den Art. 15 beseitigten gesetzlichen Vorschriften nicht wieder hergestellt, weil feine frühere Wirkung mit feiner Aufhebung nicht fortgefallen ist, und er bleibt daher immer noch in so fern von Bedeutung, als nach seiner ursprünglichen Fassung und Tragweite zu beurtheilen ist, welche Vorschriften des Landrechts und der früheren Gesetze von ihm beeinflußt morden find.

Voll Kirchengesellschaften überhaupt.

179

§ . 33. Der Staat ist berechtigt, von demjenigen, was in den Versammlungen der Klrchengesellschaft gelehrt und verhandelt wird, Kenntniß einzuziehen. § . 34. Die Anordnung öffentlicher Bet-, Dank- und anderer außerordentlicher Festtage hängt allein vom Staat41) ab. § . 35. In wie fern die bereits angeordneten Kirchenfeste mit Einstellung aller Handarbeiten und bürgerlichen Gewerbe begangen werden sollen, oder nicht, kann nur der ©tacit42) bestimmen4^). Vgl. über das letztgedachte Gesetz auch P. Hiuschius, die preuß. Kircheugesetze der Jahre 1874 u. 1875. Berlin 1875 S. XX. 41) H. Dieses Recht übt der König Namens des Staates aus; die K.O. v. 7. Febr. 1837 (Zus. 7 zu 35) wies den Bezirksregierungen — und zwar den etwaigen Abtheilungen für Kirchen- und Schulsachell, §. 3 Nr. 4 Verordn, v. 27. Juni 1845 (G.S. S. 440); §. 18 d. Negier.-Jnstruktion o. 13. Okt. 1817 (G.S. S-. 217) — nur das Recht zu, die äußere Heilig­ haltung der Sonn- und Festtage zu bewahren. H. Nach dem Ges. über die Organisation der allgeuleiuen Landesverwaltung v. 26. Juli 1880 (G.S. S. 291) 3, 21, 37 treten überall die genannten Abtheilungen der Regierungen, und für Berlin der Polizei-Präsident ein. Die­ selben Vorschriften wiederholt das am 1. April 1884 in Kraft tretende Ges. über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195) 3, 22, 44. Aus §§. 34 und 35 ergiebt sich das Recht des Staates, auch die staatliche und bürgerliche Feier bestehender Kirchenfeste aufzuheben. H. Kirchliche Festtage anzuordnen, steht den kirchlichen Organen, in der evangelischen Kirche dem evangel. Ober-Kirchenrath, 1 'Nr. 2 des Ressort-Reglements v. 29. Juni 1850 (Zus. 18 zu §. 145, es bedarf aber zur Einführung und Abschaffung allgemeiner kirchlicher Feier­ tage eines Kirchengesetzes, General-Synodal-Ordn. §. 7 Nr. 4, Zus. 23 zu §. 156 d. T.), und in der katholischen den Bischöfen, wenn es sich aber um allgenwine Festtage handelt, dem Papste zu, Cone. Trid. Sess. XXIV c. 2 de regulär., Benedicti XIV de syn. dioeces. XIII 18, Richter-Dove. K.R. §. 248. Die gesetzlichen Feiertage in Preußen, welche kirchlich und bürgerlich gefeiert werden sollen, sind außer den Sonntagen: Neujahr, der erste und zweite Tag von Weih­ nachten, Ostern und Pfingsten, der Charsreitag, ein am Mittwoch nach Jubilate ab­ zuhaltender Buß- und Bettag — Ed. v. 28. Jan. 1773 (Nabe 1, 5, 1), K.O. v. 28. Juni 1826 (Annal. 19, 742) —, der Himmelfahrtsta g — Ed. v. 19. März 1789 (Rabe 13, 178) —, das allgemeine Kirchenfest zur Erinnerung der Verstorbenen am letzten Sonn­ tage des Kirchenjahres — K.O. v. 17. Nov. 1816 (Amtsbl. v. 1867) —, der Allerheiligentag, der aber nur den Katholiken gegenüber und von diesen gefeiert werden darf — K.O. v. 5. Juli 1832 (G.S. S. 197), v. 7. Febr. 1837 (G.S. S. 21) u. v. 22. Juli 1839 (G.S. S. 249). — Bei den anderen Feiertagen ist eine bürgerliche Feier nicht geboten. H. Nach R.G. v. 2. Vtov. 1880, Ent sch. in Strass. 2 S. 398, ist der Tag Epiphanias (6. Jan.) in Westpreußen kein allgemeiner Feiertag im Sinne der C.P.O. §. 681. Die hiergegen im Archiv für kathol. Kirchenrecht 47 S. 79 geübte Kritik basirt auf der die Geltung der §§. 34, 35 leugnenden Behauptung, daß es in Preußen gesetzliche Feiertage nicht gäbe, weil es darüber an einer Konvention mit dem päpstlichen Stuhle fehle. Sie ist also hinfällig. H. Zufolge Allerh. Erl. v. 7. Nov. 1877 ist der evang. Ober-Kirchenrath ermächtigt worden, die Aufhebung der kirchlichen Feier aller oder einzelner der sog. halben oder kleinen Feiertage, nämlich Epiphanias am 6. Jan., Mariä Reinigung am 2. Febr., Mariä Verkündigung am 15. März, Mariä Heimsuchung am 2. Juli, Johannisfest am 24. Juni, Michaelisfest am 29. Sept., Reformationsfest am 31. Okt., Gründonnerstag, Laurentiustag am 10. Aug., der Kirchweihtage und der dritten Feiertage der ersten hohen Feste auf Antrag des Gemeindekirchenrathes für die betreffende Geuwinde zu genehmigen, Reskr. v. 1. Dez. 1877, kirchl. Gesetz- u. Verordnungsbl. 1878 S. 2. 42) H. Vergl. vorige Annr. 43) Darüber sind eine Reihe von Bestinrmungen ergangen. Die wesentlichsten sind: a. Das Publ. des M. d. G., U. u. M.Angel. v. 31. Mai 1818 (v. Kamptz, Annal. 2 S. 349). Auf mehrfach eingegangene Klagen beider Religionstheile über Entweihung der Sonnund Festtage, hat, in Folge eines von dem Königl. Eorrsistorio erstatteten Berichts, das Ministeriurn der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten in einer an das Oberpräsidium der Provinz erlassenen Verfügung v. 10ten März d. I. Folgendes festgesetzt: 1) Die Abhaltung der Jahrmärkte an Sonn- und Festtagerr ist nicht zu gestatten, sondern sie sind auf den nächsten Montag, wie früher bereits verfügt, zu verlegen. 2) Die Abhaltung der Wochenmärkte an Sonn- und Festtagen ist nur in jenen Gegenden 12*

180

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 35 (Zusatz 7), §§. 36—39.

7. Allerhöchste Kabinetsorder vom 7. Februar 1837., über die Befugnrß der Behörden, durch polizeiliche Bestimmungen die äußere Heilighaltung der Sonn- und Festtage zu bewahren. (G.S. S. 19.) Zur Beseitigung der Zweifel, welche nach dem Berichte des Staatsministerii vom 15. v. M. über die Befugniß der Behörden, durch polizeiliche Bestimnumgen die äußere Heilighaltung der Sonn- und Festtage zu bewahren, in einigen Landestheilen bisher obgewaltet haben, setze Ich für den ganzen Umfang der Monarchie hierdurch fest, daß die Regierungen die nach den Ver­ hältnissen der einzelnen Orte oder Gegenden ihres Bezirkes zu diesem Zwecke erforderlichen An­ zu dulden, wo der Abschaffung jenes Gebrauchs wichtige polizeiliche Gründe entgegen stehen. In keinem Falle aber ist zu gestatten, daß während des feierlichen Gottes­ dienstes (des hohen Amts und der Predigt) Markt gehalten wird. 3) Wenn auf den Dominial-Wirthschaftsümtern wahrend des sonn- und festtäglichen Gottesdienstes Geschäfte getrieben werden, wodurch die Gutsuntersassen von dem Be­ suche der Kirche ab gehalten werden, so ist dieser ^tißbrauch eben so den Gesetzen als den Gesinnungen Sr. Majestät des Königs zuwider. 4) Eben so kann dem Gesinde die Bestellung des sogenannten Gesindeackers während des Gottesdienstes nicht gestattet werden. 5) Treibjagden dürfen an Sonn- und Festtagen, ohne ausdrückliche Erlaubniß, gar nicht, und andere Jagden nicht während des öffentlichen Gottesdienstes gehalten werden. 1). K.O. v. 16. April 1818, welche verordnet, daß die Entheiligung der Vorabende großer Kirchenfeste durch Bälle und ähnliche Lustbarkeiten nicht stattfinden soll. Darunter sollen begriffen sein: die drei großen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten, der Eharfreitag, der evangelische allgemeine Bettag und die, dem Andenken der Verstorbenen gewidmeten, evangelischen und katholischen Jahrestage, welche sämmtlich an den Vorabenden eingeläutet werden sollen. (Annal. 2 S. 348.) c. K.O. v. 26. Febr. 1826, welche festsetzt, daß ailch am Eharfreitage und Buß- und Bettage keine Bälle und ähnliche Lustbarkeiteir gestattet sind. (Annal. 10 S. 86.) (1. K.O. v. 20. März 1826, wonach an den Orten, wo es bisher üblich und hergebracht gewesen, an den ersten Feiertagen des Weihnachts-, Oster- und Pfingstfestes Schauspiel­ vorstellungen, Bälle und ähnliche Lustbarkeiten nicht stattfinden zu lassen, es ferner bei dieser Ordnung und Gewohnheit bleiben, und die in der K.O. v. 26. Febr. für den Ehar­ freitag und den allgemeinen Bilß- und Bettag enthaltene Bestinunung dahin ausgedehnt werden soll, daß auch an dem Tage des Festes zum Andenken an die Verstorbenen keine der erwähnten oder ähnliche Lustbarkeiten stattfinden dürfen. (Annal. 10 S. 87.) e. K.O. v. 26 Febr. 1837, betreffend die Untersagung von Bällen und ähnlichen Lustbarkeiten sowie von Schauspielvorstellungen von mehreren, ernster Feier gewidmeten Tagen und deren Vorabenden. (Annal. 21 S. 83.): Durch Meine an Sie, den Staatsminister Freiherr^ v. Alten stein und an den Staatsnnnister v. Schuckmann am 13ten Dezember 1817., 14ten März 1818y 26sten Februar und 20sten März 1826 erlassenen Ordres ist festgesetzt, daß am Vorabende der drei großen Feste: Weihnachten, Ostern und Pfingsten, des Eharfreitages, des allgemeinen Buß- "und Bettages und des dein Andenken der Verstorbenen gewidineten Jahrestages, sowie auch an den Abenden dieser drei letzten Tage keine Bälle oder ähnliche Lustbarkeiten stattfinden sollen. Ich will es nicht nur hierbei belassen, sondern auch diese Bestiinmung auf die ganze Eharwoche ausdehnen, und zugleich verordnen, daß eben so iveilig am Ascher-Mittwoch Bälle gegeben werden sollen......... Zur Erläuterung dieser K.O. eröffnet ein Beschl. des M. d. G^, U. u. M.Ang. v. 7. Dez. 1837: daß es bei dem Erlasse der A. K.O. v. 26. Februar d. I. nicht in der Absicht Sr. Majestät des Königs gelegen hat, früher ergangene Bestimmungen über die stille Begehung der hohen Festtage und ihrer Vorabende, namentlich aber diejenigen, u^elche in dem Allerhöchsten Befehle v. 20. März 1826 enthalten sind, aufzuheben oder zu modifiziren. Unter Bezugnahnie auf die über diesen Gegen­ stand schon vorhandenen Verordnungen haben vielmehr Se. Königl. Majestät ausdrücklich aus­ zusprechen geruht, daß Allerhöchstdieselben es dabei belassen, und als erweiternde Vorschrift fest­ setzen wollen, daß jene Bestimmungen auf die ganze Eharwoche und den Aschermittwoch aus­ gedehnt werden sollen. Da nun in der Allerhöchsten Ordre v. 20. März 1826, deren Gültigkeit als fortdauernd betrachtet werden muß, bestimmt ist: daß an den Orten, wo bisher an den ersten Festtagen des Weihnachts-, Oster- und Pfingstfestes theatralische Vorstellungen (d. h. Theater­ vorstellungen im eigentlichen Sinne, nicht ähnliche Lustbarkeiten, z. B. Seiltänzerdarstellungen, nach dem Besch, v. 19. Juli 1837, Annal. 21 S. 85), Bälle und ähnliche Lustbarkeiten nicht stattgefunden, es ferner bei dieser Ordnung und Gewohnheit verbleiben soll, so ergiebt sich von selbst, daß es auch ferner dabei zu belassen ist, und also dergleichen rauschende Vergnügungen

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

181

Ordnungen zu erlassen und deren Befolgung durch Strafverbote, welche jedoch die im §. 10.44 * *) * * * * * * * * * * * * * * ihrer Dienst-Instruktion vom 23. Oktober 1817. vorgeschriebene Gränze nicht überschreiten dürfen, zu sichern, befugt seyn sollen. Dieser Befehl ist durch die Gesetzsammlung bekannt zu machen.

§. 36. Mehrere Kirchengesellschaften, wenn sie gleich zu einerlei Religions-aegen andere Partei gehören, stehen dennoch unter sich in keiner nothwendigen Verbindung45).46 47Ä48 7Sen; 5 §. 37. Kirchengesellschaften dürfen so lvenig, als einzelne Mitglieder derselben, einander verfolgen oder beleidigen40). §. 38. Schmähungen und Erbitterung verursachende Beschuldigungen müssen durchaus vermieden werden4^). §. 39. Protestantische4S) Kirchengesellschaften des Augsburgschen Glaubens- acgen ihre bekentttnisses sollen ihren Mitgliedern wechselseitig die Theilnahme auch an ihren a7Zltl3hcbcl‘ eigenthümlichen Religionshandlungen nicht versagen, wenn dieselben keine Kirchen­ anstalt ihrer eignen Religionspartei, deren sie sich bedienen können, in der Nähe haben 49). an den gedachten hohen Festtagen in xDrteit, wo sie vor der Allerhöchsten Ordre v. 20. März 1826 nicht üblich gewesen, auch nach dein Erscheinen des Allerhöchsten Befehls v. 26. Febr. d. I. nicht zu gestatten sind. (Annal. 21 S. 971.) Der Ausdruck: „ähnliche Lustbarkeiten" in der K.O. v. 26. Febr. 1836 soll auf Schauspiel­ vorstellungen nicht zu beziehen sein, jdiese sollen vielmehr am Eharfreitage und arn Buß- und Bettage ganz unterbleiben, wogegen sie anr Gedächtnißtage der Verstorbenen, in so fern sie ernsten Inhalts sind, stattfinden dürfen. Eirk.Verf. ders. M. v. 16. März 1837 (Annal. 21 S. 83). Auch sollen unter deni gedachten Ausdrucke nur solche Lustbarkeiten zu verstehen sein, bei welchen die Theilnehmer selbstthätig mitwirken (Besch, des Min. des Inn. und der Pol. v. 4. April 1838, (Annal. 22 S. 401). f) K.O. v. 19. Aug. 1837 (Annal. 21 S. 972): Auf Ihre Anfrage v. 19. v. M. eröffne Ich Ihnen, daß Meine Ordre vom 26ften Februar d. I., durch welche das Verbot der Bälle und ähnlicher Lustbarkeiten auf die ganze Charwoche erweitert ist, auf Lokalobservanzen, wie sie in Breslau durch die stille Begehung der letzten acht Tage in der Adventzeit und während der letzten Hälfte der Fastenzeit hergebracht sind, keine Beziehung haben, und es ist nicht Meine Absicht gewesen, in solchen Lokalobservanzen etwas abzuändern. Die Heilighaltung der Sonn- und Feiertage ist in neuerer Zeit wiederholt eingeschärft. H. Vergl. auch R.Str.G.B. §. 366 Nr. 1. Weitere auf den Gegenstand bezügliche Erlasse sind zusammengestellt bei Th. Meier, das preufi. gemeine und provinzielle Kirchenrecht. Berlin 1868, S. 21 ff. 44) Nicht der §. 10, sondern 11 hat allegirt werden sollen. Publ. des Staatsmin. v. 24. Dez. 1838, G.S. 1839 S. 19. 45) H. Vergl. Anm. 25 zu 8- H d. T. 46) H. Vergl. R.Str.G.B. §§. 130, 166, 167, 304. 47) Damit soll nicht die Hervorhebung der abweichenden Glaubenssätze anderer Konfessionen in der Predigt, um durch den Gegensatz die Wahrheit der eigenen Lehre in helleres und klareres Licht zu setzen, untersagt sein, nur daß sich Vorsicht und Milde, die bei solchen Kanzelvorträgen auch in den katholischen Diözesanstatuten (z. B. Ermlünd. Stat. bei Hartzheim, Coll. conc. Tom. IX p. 99) zur Pflicht gemacht ist, von selbst versteht. Das Verbot ist nur gegen die sog. Kontroverspredigten — vgl. dazu auch Cirk.Reskr. des Min. d. geistl. Angel, v. 16. Mai 1827 (Annal. 11 S. 407) — gerichtet, welche bezwecken, andere im Staate aufgenommene Konfessionen zu bekämpfen und dadurch Haß und Zwietracht zu stiften. 48) Ueber diese Bezeichnung, für welche schon das Corp. jur. Frid. P. I lib. 1 Tit. 2 §. 12 den richtigen Ausdruck „evangelisch" hat, sagt die K.O. v. 3. April 1821: „Die Benennung: Protestanten, protestantische Religion, für die Bekenner und das Bekenntniß der evangelischen Lehre, ist Mir stets anstößig gewesen; sie gehört der Zeit an, in welcher sie aufkam. Das evangelische Glaubens-Bekenntniß gründet sich lediglich auf die heilige Schrift, der Name muß also davon ausgehen. Im gemeinen Leben läßt sich eine altge^vordene Benennung schwer ver­ tilgen, im Geschäftsstile aber, bei der Censur von Druckschriften und der öffentlichen Blätter soll darauf gehalten werden, die Benennung: evangelisch, statt protestantisch — Evangelische, statt Protestanten, zu gebrauchen, weil eben dadurch der alte unpassende Name nach und nach ver­ schwinden wird.". . . (Annal. 5 S. 341.) 49) H. Der §. hat jetzt nur noch seine Bedeutung für diejenigen protestantischen Gemeinden, welche nicht der sog. Union beigetreten sind.

182

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 39.

Diese, die Vereinigung der früher getrennten Lutheraner und Reformirten zu einem ein­ heitlich verfaßten Kirchenkörper, ist herbeigeführt worden durch die K.O. v. 27. Sept. 1817, betreffend die Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche(Annal. 1, 1, 64). Dieselbe lautet: Schon Meine in Gott ruhende, erleuchtete Vorfahren, der Kurfürst Johann Sigismund, der Kurfürst Georg Wilhelm, der große Kurfürst, König Friedrich I. und König Friedrich Wilhelm I., haben, wie die Geschichte Ihrer Regierung und Ihres Lebens beweiset, mit frommem Ernst es sich angelegen sein lassen, die beiden getrennten protestantischen Kirchen, die reformirte und lutherische,' zu einer evangelisch-christlichen in Jhrevl Lande zu vereinigen. Ihr Andenken und Ihre heilsame Absicht ehrend, schließe Ich Mich gern an Sie an, und wünsche ein Gott gefälliges Werk, welches in dem damals unglücklichen Sekten-Geiste unüberwindliche Schwierigkeiten fand, unter dem Einfluß eines besseren Geistes, welcher das Außerwesentliche beseitigt und die Haupt­ sache im Christenthum, worin beide Confessionen eins sind, festhält, zur Ehre Gottes und zum Heil der christlichen Kirche, in Meinen Staaten zu Stande gebracht und bei der bevorstehenden Säcularfeier der Reformation damit den Anfang gemacht zu sehen! Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten protestantischen Kirchen, ist den großen Zwecken des Christenthums gemäß; sie entspricht den ersten Absichten der Re­ formatoren; sie liegt im Geiste des Protestantismus; sie befördert den kirchlichen Sinn; sie ist heilsam der häuslichen Frömmigkeit; sie wird die Quelle vieler nützlichen, ost nur durch den Unterschied der Consession bisher gehemmten Verbesserungen in Kirchen und Schulen. Dieser heilsamen, schon so lange und jetzt wieder so laut gewünschten und so oft vergeblich ver­ suchten Vereinigung, in welcher die reformirte nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergehet, sondern beide eine neu belebte, evangelisch-christliche Kirche int Geiste ihres heiligen Stifters werden, steht kein in der Natur der Sache liegendes Hinderniß mehr entgegen, sobald beide Theile nur ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinn sie tvollen, und von diesem erzeugt, würde sie würdig den Dank aussprechen, welchen wir der göttlichen Vorsehung für den unschätzbaren Seegen der Reformation schuldig sind, und das Andettken ihrer großen Stifter, in der Fortsetzung ihres unsterblichen Werks, durch die That ehren. Aber so sehr Ich wünschen muß, daß die reformirte und lutherische Kirche in Meinen Staaten diese Meine wohlgeprüfte Ueberzeugung mit Mir theilen möge, so weit bin Ich, ihre Rechte und Freiheiten achtend, davon entfernt, sie aufdringen und in dieser Angelegenheit etwas verfügen und bestimmen zu wollen. Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung noch Jndifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgehet, und sie nicht nur eine Vereinigung mit der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen nach echt biblischen Grundsätzen ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat. So wie Ich Selbst in diesem Geiste das bevorstehende Säcularfest der Reformation, in der Vereinigung der bisherigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeine zu Potsdam, zu einer evangelisch-christlichen Gemeine feiern und mit derselben das heilige Abendmahl ge­ nießen werde: so hoffe Ich, daß dies Mein eigenes Beispiel wohlthuend auf alle protestantischen Gemeinen in Meinem Lande wirken, und eine allgemeine ^Nachfolge im Geiste und in der Wahr­ heit finden möge. Der weisen Leitung der Konsistorien, detn frommen Eifer der Geistlichen und ihrer Synoden überlasse Ich die äußere übereinstimmende Form der Vereinigung, überzeugt, daß die Gemeinen in echt christlichem Sinne dem gern folgen werden, und daß überall, wo der Blick nur ernst und aufrichtig, ohne alle unlautere Nebenabsichten auf das Wesentliche und die große heilige Sache selbst gerichtet ist, auch leicht die Form sich finden und so das Aeußere aus dem Innern, einfach, würdevoll und wahr von selbst hervorgehen werde. Möchte der verheißene Zeitpitnkt nicht mehr ferne sein, wo unter einem genreinschaftlichen Hirten alles in einem Glauben, in einer Liebe und in einer Hoffnung sich zu einer Heerde bilden wird! — H. Diese Kabinetsordre, an welche sich die in Anm. 48 citirte v. 3. April 1821 angeschlossen hat, war von der Voraussetzung ausgegangen, daß sich zwischen den beiden evangelischen Konfessionen in der Lehre eine Ausgleichung und Einigung vollzogen habe. Gegen diese Auffassung machte sich bald Widerspruch geltend. Derselbe erhielt weitere Nahrung durch die gleichzeitige Ein­ führung der neuen Agende, und in Folge dessen trat nun der Gedanke auf, daß die beiden Konfessionen in der evangelischen Kirche gleichberechtigt, aber dergestalt neben einander bestehen, daß die zwischen ihnen obwaltenden Differenzen nicht als Hinderniß der Abendmahlsgemeinschaft und der Aufnahme der Genossen der einen in das Gemeinrecht der anderen gelten. Er spricht sich aus: 1. in der K.O. v. 30sten April 1830., den Einfluß der Union auf die, an die reformirte oder lutherische Konfession geknüpften Stiftungen, Schenkungen oder auf andere Weise erworbene Rechte evangelischer Gemeinden, Kirch­ lichen- oder Schul-Stellen betreffend (G.S. S. 64):

Aus Ihrem Berichte vom 16 ten d. Mts. habe Ich ersehen, daß einzelne evangelische Gemeinden, ungeachtet die Union keinen Konfessions-Wechsel enthält, derselben beizutreten Be­ denken tragen, weil sie befürchten, in dem bisherigen Genusse an die reformirte oder lutherische Konfession geknüpfter Stiftungen, Schenkungen oder auf andere Weise erworbener Vortheile nach Annahme der Union beeinträchtigt zu werden. Ich verordne deshalb, daß Niemand befugt seyn soll, einer reformirten oder lutherischen Gemeinde, imgleichen einer geistlichen oder weltlichen Kirchen- oder Schul-Stelle dergleichen Rechte aus einem von dem Beitritte zur Union her genommenen Grunde vorzuenth alten oder zu entziehen ............. 2. in der K.O. v. 28. Febr. 1834, betreffend denZweck und die Bedeutung der Union und der Agende (Annal. 18 S. 74): Es hat Mein gerechtes Mißfallen erregen müssen, daß von einigen Gegnern des kirchlichen Friedens der Versuch gemacht worden ist, durch die Mißdeutungen und unrichtigen Ansichten, in welchen sie hinsichtlich des Wesens und des Zwecks der Union und Agende befangen sind, auch andere irre zu leiten.... DieUnion bezweckt und bedeiltetkein Aufgeben des bisherigen Glailbeirsbekenntnisses, auch ist die Autorität, welche die Bekenntnißschriften der­ be id e n evangelischen Konfessionen bisher gehabt, durch sie nicht aufgehoben worden. Durch den Beitritt zu ihr wird nur der Geist der Mäßigung und Milde aus ged rückt, welcher die Verschiedenheit einzelner ^ehrp unkte der andern Konfession nicht mehr als den Grund gelten läßt, ihr die äußerliche kirchliche Gemeinschaft zu versagen. Der Beitritt zui* Union ist Sache des freien Entschlusses, und es ist daher eine irrige Meinung, daß an die Einführung der erneuerten Agende nothwendig auch der Beitritt zur Union geknüpft sei, oder indirekt durch sie bewirkt werde. Jene beruht auf den von Mir erlassenen Anordnungen; dieser geht nach Obigem aus der freien Entschließung eines Jeden hervor. Die Agende steht mit der Union nur in sofern im Zusammenhänge, daß die darin vorgeschriebene Ordnung des Gottesdienstes und die fürkirchliche ^Amtshandlungen aufgenommenen Formulare, weil sie schriftnräßig sind, ohne Anstoß und Beschlverde auch in solchen Gemeinden, die aus beiderlei Konfessions-Verwandten bestehen, zu genreinsamer Förderung christlicher Gottesfurcht und Gottseligkeit, in Anwendung kommen können. Sie ist auch keineswegs bestinrmt, in der evangelischen Kirche an die Stelle der Be­ kenntnißschriften zu treten, oder diesen in gleicher Eigenschaft beigesellt zu werden, sondern hat lediglich den Zweck, für den öffentlichen Gottesdienst und die amtlichen Verrichtungen der Geist­ lichen eine dem Geiste der Bekenntnißschriften entsprechende Ordnung, die sich auf' die Autorität der evangelischen Agenden aus den ersten Zeiteir der Reformation gründet, festzustellen, und alle schädliche Willkühr und Verwirrilng davon fern zu halten; mithin ist das Begehren derer, welche aus Abneigung gegen die Union ailch der Agende widerstreben, als ilnstatthaft, ernstlich und kräftig abzuweisen. Auch in nicht unirten Kirchen muß der Gebrauch der Landes-Agende unter den für jede Provinz besonders zugelassenen Modifikationen stattfinden, am wenigsten aber — weil es am unchristlichsten sein würde — darf gestattet werden, daß die Feinde der Union, im Gegensatz zu den Freunden derselben, als eine besondere Religionsgesellschaft sich konstituiren. — H. Trotzdem, daß damit der ursprüngliche Gedanke der Union modifizirt war, wurde der Be­ wegung gegen die Union der Boden nicht entzogen, und man sah sich schließlich genöthigt, den­ jenigen, die in der Landeskirche nicht mehr das reine lutherische Bekenntniß zu finden glaubten, durch die General-Konzession v. 23. Juli 1845 (s. Zus. 4 zu §. 10 d. T.) die Möglichkeit zur Bildung einer besonderen, von der Landeskirche gesonderten Gemeinschaft zu gewähren. Die konfessionellen Bestrebungen, welche namentlich in Folge der nach dem Jahr 1848 rückläufigen Bewegung mächtig wurden und sich gegen die Union richteten, veranlaßten eine Königliche Erklärung, ivelche die Grundsätze der Ordre v. 28. Febr. 1834 auf die Verfassung übertrugen, die K.O. v.6. März 1852 betreffend die amtliche Verpflichtung der Kirchenbehörden in Be­ ziehung auf Union und Konfession (Aktenstücke des evangel. Ober-Kirchenrathes Hft. 5 S. 2), in der es heißt: Ich halte aber auch dafür, daß es nunmehr an der Zeit ist, diesen Grundsätzen in der Gestaltung der Kirchenbehörden einen bestimmten und für die letzteren selbst maßgebenden Aus­ druck zu verleihen, und dadurch Bürgschaft zu geben, daß in dem Regimente der evangelischen Landeskirche eben so sehr die mit Gottes Gnade in der Union geknüpfte Gemeinschaft der beiden evangelischen Konfessionen aufrecht erhalten, wie auch die Selbstständigkeit jeder der beiden Bekenntnisse gesichert werden soll. Demgemäß ertheile Ich hierdurch den nachstehenden Mir von dem evangelischen Oberkirchenrathe vorgetragenen Grundsätzen Meine Genehmigung: 1. Der evangelische Oberkirchenrath ist verpflichtet, eben so wohl die evangelische Landeskirche in ihrer Gesammtheit zu verwalten und zu vertreten, als das Recht der verschiedenen Konfessionen und die auf dem Grunde desselben ruhenden Einrichtungen zu schützen und zu pflegen. 2. Der

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Zweiter Theil.

(Stifter Titel.

§§. 40—42 (Zusatz 8).

§. 40. Jedem Bürger des Staats, welchen die Gesetze fähig erkennen, für evangelische Oberkirchenrath besteht aus Gliedern beider Konfessionen. Es können aber nur solche Personen in denselben ausgenommen werden, welche das Zusammenwirken von Gliedern beider Konfessionen im Regimente mit ihrem Gewissen vereinbar finden. 3. Der evangelische Oberkirchenrath beschließt in den zu seiner Entscheidung gelangenden Angelegenheiten kollegialisch nach Stimmenmehrheit seiner Mitglieder. Wenn aber eine vorliegende Angelegenheit der Art ist, daß die Entscheidung nur aus einem der beiden Bekenntnisse geschöpft werden kann, so soll die konfessionelle Vorfrage nicht nach den Stimmen sämmtlicher Mitglieder, sondern allein nach den Stimmen der Mitglieder des betreffenden Bekenntnisses entschieden werden, und diese Ent­ scheidung dem Gesammtbeschlusse des Kollegiums als Grundlage dienen. Dieses Verfahrens ist in den betreffenden Ausfertigungen zu gedenken. — H. Da die streng lutherische Strömung indessen aus dieser Ordre das Recht zur Wiederauf­ richtung der konfessionellen Eigenthümlichkeiten hernahm, so traten die beiden Königlichen Erlasse v. 12. Juli u. 11. Okt. 1853 (Aktenstücke des ev. O.K.R. Hft. 6 S. 5 u. Hst. 7 S. 1) solchen Mißdeutungen entgegen, indem sie die evanglische Landeskirche überall als Einheit behandelt wissen wollten. H. Die Generalsynodal-Ordnung v. 20. Jan. 1876 §. 1 (u. Zus. 23 zu §. 156 d. T.) hat in dem Bekenntnißstand und der Union nichts geändert, vielmehr die bestehenden Verhältnisse aus­ drücklich aufrecht erhalten. H. Vergl. über die Union in Preußen v. M ü hler, Gesch. d. evangel. Kirchenverfassung i. d. Mark Brandenburg. Weimar 1846 S. 341; L. Richter, Beiträge zum preuß. Kirchenrecht, herausgeg. v. P. Hinsch ins, Leipzig 1865 S. 23; A. Altmann, d. evangel. Union in Preußen. Braunschweig 1867; Jacobson, preuß. Kirchenrecht S. 4; Boche-Altmann, der preuß. legale Pfarrer S. 160. H. Sind auch die meisten evangelischen Gemeinden der Union beigetreten, so ist es doch nicht korrekt, wie mitunter geschieht, die in den älteren Provinzen allein vollberechtigte, die sog. Landeskirche dieses Theiles der preußischen Monarchie als „unirt" zu bezeichnen. Es giebt auch lutherische und reformirte Gemeinden, welche der Union nicht beigetreten, also ihren be­ sonderen konfessionellen Charakter rein bewahrt, aber sich dem Regimente der landesherrlichen Kirchenbehörden gefügt haben, so daß für diese der §. 39 d. T. noch von praktischer Be­ deutung ist. H. Ueber den Charakter der Union ist Folgendes zu bemerken: 1. Ein abgesondertes lutherisches, bez. reformirtes Kirchenregiment besteht nicht mehr, sondern alle Gemeinden sind dem Regünente der einen evangelischen Landeskirche unterworfen. 2. In der evangelischen Landeskirche sind die für die einzelnen Gemeinden maßgebenden Be­ kenntnisse oder Symbole (s. darüber Richter, Beiträge S. 21) in Geltung geblieben, aber die Verschiedenheit der Lehrpunkte bildet kein Hinderniß, den Mitgliedern der andern Konfession die Gottesdienst-, insbesondere die Abendmahlsgemeinschaft und das Gemeinderecht zu gewähren. Diese Voraussetzung bildet nur das Minimum der Union, eine darüber hinausgehende Ver­ einigung , also das Fallenlassen der theologischen Differenzen und Annahme des gemeinsamen Inhaltes der lutherischen und reformirten Bekenntnisse als symbolischer Norm (sog. KonsensusUnion) ist statthaft und kommt namentlich in Rheinland und Westfalen vor. 3. Die Union hat nicht bloß in konfessionell-gemischten, sondern auch in konfessionell-ungemischten Gemeinden ihre Stätte. 4. Das Zeichen der Union ist der Ritus des Brotbrechens beim Abendmahl, wie­ wohl andererseits die Gemeinden, in denen derselbe nicht üblich ist, nicht ohne weiteres als nichtunirt zu betrachten sind. 5. Der Beitritt zur Union ist Sache des freien Entschlusses der Einzel­ gemeinde. 6. In den unirten Gemeinden sind die Genossen der anderen Konfession berechtigt, die Zulassung zum Abendmahl und zur Mitgliedschaft in der Gemeinde zu verlangen. Dagegen enthält 7. der Beitritt zur Union keinen Konfessionswechsel, wie dies auch in den vorhin ange­ führten Ordres ausgesprochen worden ist, s. ferner Reskr. v. 2. Mai 1826 (Annal. 10 S. 351). Daher wird — so O.Tr. I v. 9. Juli 1860, Entsch. 43 S. 287; Str. Arch. 38 S. 147 — an Orten, wo zwei evangelische Kirchengemeinden, des lutherischen und des reformirten Bekennt­ nisses, der Union beigetreten sind, durch diesen Beitritt für sich allein die Möglichkeit nicht aus­ geschlossen, daß ein Gemeindemitglied von der einen zur andern Religionspartei mit rechtlicher Wirkung übergeht. (Vgl. übrigens auch Anm. 24 zu §. 260 d. T.) Ferner werden Stiftungen, welche an die eine oder die andere Konfession gebunden sind, durch die Annahme der Union nicht gemeinschaftlich und es tritt da, wo zwei Gemeinden verschiedener Konfession sich innerhalb des gewöhnlichen Maßes unirt haben, keine Konfusion der ursprünglich gesonderten Stiftungsfonds zu einer gemeinsamen Masse ein, vergl. auch die mitgetheilte K.O. v. 30. April 1830. Wenn­ gleich die Ordination ohne Rücksicht auf die konfessionelle Zugehörigkeit des ordinirenden GeneralSuperintendenten oder Superintendenten erfolgt, so haben doch die Gemeinden, welche nur die Union in ihrem Minimum angenommen haben, ein Recht darauf, daß ihnen ein solcher Geist-

Ges., betr. den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873.

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sich selbst zu urtheilen, soll die Wahl der Religionspartei, zu welcher er sich halten will, frei stehen 50). (Tit. 2. §. 74. sqq.) §. 41. Der Uebergang von einer Religionspartei zu einer anderen geschieht in der Regel durch ausdrückliche Erklärung'^). §. 42. Die Theilnehmung an solchen Religionshandlungen, wodurch eine Partei sich von der anderen wesentlich unterscheidet5-), hat die Kraft einer ausdrücklichen Erklärung, lvenn nicht das Gegentheil aus den Umständen deutlich erhellet. (§. 39.) 8. Gesetz, betreffend den Austritt aus der Kirche. Vom 14. Mni 1873. (G.S. S. 207.)52) Wir 2C. verordnen, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages, für den Umfang der Monarchie, einschließlich des Jadegebiets, was folgt: §. 1. Der Austritt aus einer Kirche5a) mit bürgerlicher Wirkung") erfolgt durch Er­ klärung ö*) des Austretendell 5'9 in Persoll 59 vor dem Richter-'^) seines Wohnortes. licher vorgesetzt wird, dessen Stelülng 511111 Bekenntniß ihrem geschichtlichen Bekenntnißstande und ihrer Beziehung zur Union entspricht. Dagegen sind in den Gemeinden, welche auf dem Konsensus stehen, Geistliche beider Konfessionen ohne Unterschied qulllifizirt, auch ivird von Amtswegen nicht dagegen einzuschreiten sein, wenn eine ursprünglich reformirte Wahlgemeinde sich einen ursprünglich lutherischen Geistlichen und umgekehrt wählt. Vergl. hierzu Richter a. a. O. S. 34. 50) H. Daß auch der Uebertritt vom Ehristenthum 51111t Judenthum gestattet sei, ist in verschiedenen ungedruckten Kabinetsordres verneint worden, s. Jacobson a. a. O. L. 491; M artens (Anin. 39 zu 30) S. 278 ff., jetzt steht, s. Art. 12 der Verf.Urk., kein Hinderniß mehr entgegen, wie schon das Reskr. v. 28. Juli 1848 (M.Bl. f. d. i. Veriv. S. 221) erklärt hat. 51) O.Tr. I v. 29. April 1861, Str. Arch. 41 S. 201: Unter der behufs Uebergangs von einer Religionspartei zur andern nach §. 41 d. T. erforderlichen „ausdrücklichen Erklärung" ist nicht eine dem Vorsteher der Kirchengesellschaft, aus welcher der Austritt geschehen soll, abgegebene, sondern überhaupt jede bestimmte Willenserklärung desjenigen zu verstehen, welcher zu einer anderen Religionspartei übergehen will. Zu einer solchen bestimmten Erklärung genügt schon der Uebertritt zu einer anderen Religionspartei, ohne daß es einer besonderen Äustrittserklärung bedarf. H. Dadurch ist die entgegengesetzte Ansicht des evangelischen Oberkirchenraths, s. Erlaß dess. v. 10. Mai 1853 (Aktenstücke Hft. 6 S. 92), verworfen worden. In wie fern §§. 41 u. 42 d. T. noch Geltung haben, darüber Anin. 52», 60, 84, 89, 91 zu Zus. 8. 52) Das Merkmal ist freilich unbestimmt. Die Messe ist doch gewiß eine solche Religions­ handlung, wodurch die Katholiken sich wesentlich von jeder anderen Religionspartei unterscheiden. Dennoch wird es gewiß Keinem einfallen, zu denken, daß ein Jude oder ein Puritaner, oder sonst ein Andersgläubiger, ivelcher einer katholischen Messe beigewohnt hat, dadurch katholisch ge­ worden. Selbst das Abendmahl ist unter den verschiedenen evangelischen Konfessionen nicht so wesentlich verschieden in der äußeren Form, daß die Theilnahme eines Lutheraners an der Abendmahlsfeier der Mitglieder der preußischen Landeskirche für ein sicheres Zeichen des Uebertritts zur Union angesehen werden kann. 52») H. Das Gesetz regelt den Austritt aus den privilegirten Kirchen und den mit Kor­ porationsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften (§§. 1 u. 8), sowohl hinsichtlich der Form (£§. 1, 2, 7) als auch hinsichtlich der Wirkungen desselben, von seiner Regelung schließt es aber die Fülle aus, wo mit dem Austritt aus einer der gedachten Religionsgesellschaften zugleich der Eintritt in eine andere desselben Charakters verbunden ist, ohne daß der Austretende die Befreiung von den vermögenswerthen Leistungen der früheren Gemeinschaft erlangen will (§. 1 Abs. 2 u. 3), und läßt es in dieser Hinsicht bei dem bestehenden Recht bewenden. Daher sind die §§. 41, 42 d. T. in so weit in Kraft geblieben. 53) H. Darunter versteht das Gesetz das Aufgeben der Mitgliedschaft in einer der privi­ legirten christlichen Kirchen (s. Anm. 29 zu $. 1.7 d. T.). Das ergiebt sich aus den: Sprach­ gebrauch der preußischen Gesetze und ferner aus dem der Vorschrift des §. 8 dieses Gesetzes. Der Austritt aus der Kirche wird gegenübergesetzt dem Austritt, welcher zugleich mit dem Uebertritt zu einer andern der erwähnten christlichen Kirchen, also mit der Erlangung der Mitgliedschaft in einer solchen, verbunden ist. Diese Unterscheidung ist eine rein künstliche, welche nur deshalb gemacht ist, weil das bestehende Recht hinsichtlich des Uebertrittes aufrecht erhalten werden sollte, während naturgemäß jeder Austritt, mag er zugleich mit einem Ueber­ tritt oder ohne einen solchen erfolgen, die bisherige Zugehörigkeit zu der früheren Kirche aufhebt.

186

Zweiter Theil.

(Stifter Titel.

42 (Zusatz 8).

Rücksichtlich des Uebertrittes von einer Kirche zur anderett verbleibt es bei dem bestehenden Rechts.

Will jedoch der Uebertretende von den Lasten seines bisherigen Verbandes befreit werden oo), so ist die in diesem Gesetz vorgeschriebene Form zu beobachten. Deshalb können die beiden Begriffe nur nach Maßgabe der Bestimntungen des Gesetzes ge­ schieden werden. Da der Uebertritt im Sinne des letzteren stets die gleichzeitig mit dem Aus­ tritt erfolgende Erwerbung der Mitgliedschaft in einer anderen christlichen Kirche voraussetzt, so bedeutet Austritt die Aufgabe der Mitgliedschaft in einer solchen, gleichviel ob der Betreffende in Verbindung damit gar keiner Religionsgeselffchaft oder einer Gemeinschaft, welche keine Kor­ porationsrechte besitzt, beitritt. Wegen des Nebertritts zu einer mit den letzteren ausgestatteten Religionsgesellschaft vgl. §. 8 des Gesetzes. — Die bestehenden Vorschriften über den bloßen Wechsel der Parochie berührt das Gesetz nicht. Diesen Fall hat es nicht zum Gegenstand seiner Regelung gemacht. S. auch Anm. 55. 54) H. D. h. mit staatlicher Wirkung für die Beitragspflicht. 55) H. Diese muß aber unzweideutig die Absicht ergeben, aus der ganzen Kirche oder Religionsgesellschaft, nicht etwa bloß aus einer Gliederung imrerhalb einer solchen auszutreten, daher genügt z. B. eine Erklärung: „Ich trete aus der hiesigen evangelischen Staatskirche aus" nicht, Johow, Jahrbuch der App.Ger. 5, 27. Dagegen kann eine an sich deutliche Erklärung mit einem bloß an und für sich unerheblichen, die Absicht und Bedeutung des Aus­ trittes gar nicht in Frage stellenden Zusatz, wie z. B. die Erklärung: „Ich will aus der evan­ gelischen Kirche austreten und in die rcfornnrtc Kirche eintreten" vom Richter nicht zurück­ gewiesen werden, Top ho ff in Zeitschr. f. K.R. 14, 109. 56) H. Hinsichtlich der Befugniß zum Austritt bestimmt das Gesetz nichts. Es ist daher in dieser Beziehung bei dem bestehenden Recht verblieben. In den Landestheilen, in welchen das L.R. gilt, genügt das vollendete 14. Lebensjahr, auch für Kinder, welche noch in väterlicher Gewalt stehen, s. II. 2 §§. 74, 84 u. II. 11 §. 40. H. Der Austritt der Aeltern hat für die Kinder, welche jene Altersgrenze erreicht haben, keine Wirkung. Die letzteren sind in Betreff des Konfessionswechsels vollkommen selbstständig, und müssen daher, falls sie die Zugehörigkeit zu der bisherigen Religionsgemeinschaft lösen wollen, ihrerseits eine dahingehende Erklärung abgeben. H. Hinsichtlich derjenigen Kinder, welche noch innerhalb des erwähnten Alters stehen, hat der Vater kraft seiner väterlichen Gewalt die Bestimmung zu treffen. Es ist allerdings denkbar, daß der Vater, selbst wenn er die Konfession wechselt, die Kinder in der früheren Religion fort­ erziehen läßt. Das Natürliche ist dies aber nicht, vielmehr wird mangels einer besonderen Er­ klärung des Vaters anzunehmen sein, daß die nicht diskretionsfähigen Kinder, welche seiner Gewalt noch unterstehen, der neuen Religionsgesellschaft angehören sollen, s. Boche-Altmann, der preußische legale Pfarrer S. 97. Dagegen Dernburg, preuß. Privatrecht 3 S. 150, und Iohow a. a. O. 4 S. 34, weil das Gesetz die Austrittserklärung in Person verlange und die unmündigen Kinder selbst eine solche nicht abgeben könnten. Damit ist aber dem Vater, welcher die Konfession wechselt, das Recht genommen/ über die Religion der Kinder zu bestimmen. Außerdem wird dabei übersetzen, daß umnündige Kinder kein selbstständiges Recht in der Kirche haben, nicht selbstständig berechtigte und verpflichtete Mitglieder derselben sind, und lediglich der Vater über ihre Mitgliedschaft zu entscheiden hat. 57) H. Ist dieselbe verhindert, sich an die Gerichtsstelle zu begeben, so muß der Richter die Erklärung, eben so wie bei Testamentell, in der Behausung entgegennehmen. 58) H. Vgl. §. 7 des Ges. 59) H. Vgl. §§. 41, 42 d. T. 60) H. D. h. von allen vermögensrverthen Leistungen, welche ihm als Mitglied einer Kirche kraft der Zugehörigkeit zu derselben und zu einer Parochie der letzteren obliegen (vgl. auch §. 3 des Ges.). Es gehören also hierher namentlich die Kirchensteuern, Beiträge zu Bauten, die für dieselben zu leistenden Hand- und Spanndienste (s. z. B. L.R. II. 11 §. 714; ostpreuß. Pro­ vinzialrecht Zus. §. 196), Kirchstuhlgelder, bestimmte regelmäßig an den Geistlichen zu entrichtende Abgaben (z. B. die Kalende, Vitaltag, Quartalgeld, Personaldezem, vgl. §. 59 des westpreuß. Provinzialrechts). Wegen der Stolgebühren s. zu §. 5 des Ges. Die sonstigen Folgen der Zugehörigkeit zu der früheren Kirche, die maßgebende Bedeutung der verlassenen Kirche für die religiöse Erziehung der Kinder (vgl. L.R. II. 2 §§. 80 ff.) werden schon durch einen nach Abs. 2 bewirkten Uebertritt zu einer andern Kirche beseitigt, und ein solcher berechtigt auch den Betreffenden, an den in den Kirchen- und Synodal-Ordnungen der letzteren gewährten Rechten Theil zu nehmen, nur kann er in die Lage kommen, wenn diese jene Befugnisse von der Erfüllung der kirchlichen Gemeinde-Lasten abhängig machen (s. z. B. Kirchen­ gemeinde- und Synodal-Ordnung für die 6 älteren östlichen Provinzen v. 10. Sept. 1873 §. 34),

Ges., betr. den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873.

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§. 2. Der Aufnahme der Austrittserklärung muß ein hierauf gerichteter Antrag^') voran­ gehen. Derselbe ist durch den Richter dem Vorstande der Kirchengemeinde62), welcher der An­ tragsteller angehörtö3), ohne Verzug bekannt zu machen3^). Die Aufnahme der Austrittserklärung findet nicht vor Ablauf von vier Wocheir, und spätestens innerhalb sechs Wochenti5) nach Eingang des Antrages66) zu gerichtlichem Protokollß7) statt. Abschrift des Protokolls ist dem Vorstände der Kirchengemeinde zuzustellen. Eine Bescheinigung des Austritts3^ ist dem Ausgetretenen auf Verlangen zu ertheilen. §. 3. Die Austrittserklärung ß0) bewirkt, daß der Ausgetretene zu Leistungen, welche auf der persönlichen Kirchen- oder Kirchengemeinde-Angehörigkeit beruhen^), nicht mehr verpflichtet wird 71).

sowohl für die Bedürfnisse seiner früheren wie auch die seiner neuen Konfessions-Gemeinde bei­ tragen zu müssen. 61) H. Dieser kann schriftlich eingereicht oder zu Protokoll erklärt werden, s. auch Ar. 2 der Jnstr. v. 13. Juni 1873 a. Schl, des Gesetzes. 62) H. Also nicht den: Geistlichen als solchein. Es hat damit der Schein vermieden werden sollen, als ob die Anzeige behufs Herbeiführung einer seelsorgerischen Einwirktlng auf die be­ treffende Person erfordert werde. Unter Kirchenvorstand ist jedes Organ zu verstehen, dem die Leitung der Gemeinde über­ haupt oder auch nur die der Vermögens-Angelegenheiten zukommt, also auch der ilach Maßgabe des Ges. v. 20. Juni 1875 §§. 1, 5 (). Zus. 25 zu §. 157 d. T.) gebildete Kirchenvorstand. 63) H. D. h. sein Domizil hat, resp, der Vater sein Domizil gehabt hat. Bei doppelten! Wohnsitz ist demnach der Antrag den Kirchenvorständen beider Parochien mitzutheilen. Vgl. §§. 260 ff. d. T. 64) H. Durch Zustellung einer Abschrift, s. Instruktion Nr. 2. Eine bestimmte Jolge der Verabsäumung der Anzeige seitens des Richters an den Kirchenvorstand setzt das Gesetz nicht fest. Demgemäß ist der Richter auch nicht berechtigt, wenn er die Anzeige unterlassen hat, die Aufnahme der Austrittserklärung (s. Abs. 2) zu verweigern. 65) H. Also zwischen dem 29. und 42. Tage ab gerechnet von dem Tage, an welchem der schrift­ liche Antrag beim Gericht präsentirt oder die mündliche Erklärung ausgenommen worden ist. 66) H. Da ein besonderer Termin nach Eingang des Antrages nicht angesetzt wird, so ist dem Antragsteller, wenn er diesen schriftlich dem Gerichte eingereicht hat, Mittheilung über den Tag des Präsentatums zu machen. Vgl. auch Instruktion Nr. 2. Die Unterlassung dieser Be­ nachrichtigung hat aber keine Wirkung auf den Lauf der Frist. Das Gesetz berechnet diese schlechthin vom Eingang des Antrages ab und überläßt es dem Antragsteller, sich über diesen Zeitpunkt nöthigenfalls durch Nachsrage Kenntniß zu verschaffen. Wenn die Instruktion die erwähnte Benachrichtigung vorschreibt, so ist dies ein bloßes Entgegenkonnnen, welches freilich den Geschäftsgang erleichtert, aber durch das Gesetz nicht bedingt ist. Das 9!ichtbeachten der instruktionellen Vorschrift kann daher an der positiven Vorschrift des Gesetzes nichts ändern. 67) H. Dies kann vom Richter allein ausgenommen werden, da das Gesetz (s. §. 1) nur den Richter als thätig voraussetzt. Auch die Instruktion (f. Nr. 2) verlangt die Zuziehung eines Protokollführers nicht. 68) H. Das Formular dafür theilt die Instruktion mit. Hat es an einer wesentlichen Voraussetzung der Austrittserklärung gefehlt, s. Anm. 55 u. 67, so kann die ertheilte Bescheinigung von dem ausstellenden Gericht oder von der vorgesetzten Instanz im Falle einer Beschwerde für nichtig erklärt werden, vgl. Johow, Jahrb. d. App.Ger. 5, 28. 69) H. D. h. eine, welche den Vorschriften der 1 u. 2 entspricht. Eine ohne vor­ gängigen Antrag, nicht innerhalb der Frist des §. 2 Abs. 2, nicht persönlich, nicht vor dem kompetenten Richter abgegebene Erklärung entbehrt der im Gesetze vorgeschriebenen Wirkungen. 70) H. Zu diesen gehören prinzipiell alle kirchlichen Abgaben und Leistungen, denn Niemand hat die Verbindlichkeit für die Bedürfnisse einer Gemeinschaft beizutragen, der er nicht angehört, vgl. auch §. 261 d. T. Von diesem allgemeinen Grundsätze bestehen aber Ausnahmen nach zwei Richtungen hin. Einmal sind die kirchlichen Abgaben zum Theil wesentlich mit Rücksicht darauf, daß sie in älterer Zeit auf das hauptsächlichste in Frage kommende Vermögen, den Grundbesitz, repartirt wurden, dinglich geworden. Zweitens aber hatte früher in Deutschland die eine oder andere der drei Reichskonfessionen (die evangelisch-lutherische, evangelisch - reformirte oder die katholische Kirche) fast ausnahmslos die Stellung der ecclesia dominans, und es waren ihr daher die Angehörigen der andern, wenn sie auch geduldet wurden, vielfach in Bezug auf den Pfarrzwang unterworfen.

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Zweiter Theil.

Stifter Titel,

tz. 42 (Zusatz 8).

Diese Wirkung tritt mit dem Schlüsse des auf die AuStrittserkläruttg folgendeit Kalender­ jahres^) ein. Zu den Kosten eines außerordentlichen Baues7S), dessen Nothwendigkeit vor

So haben die kirchlichen Abgaben nicht nur theils eine dingliche 9tatur angenommen, sondern sie haben auch theils ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu der bestimmten Konfession entrichtet werden müssen. Hinsichtlich der Anhänger der privilegirten christlichen Kircheir sind Verhältnisse der letzteren Art jetzt in Preußen im Allgemeinen beseitigt und es haben sich solche nur noch sehr vereinzelt erhalten. Dagegen ist eine derartige Verpflichtung, zur Unterhaltung der privi­ legirten christlichen Kirchen beizutragen, viel länger für die Mitglieder der nicht privi­ legirten Religionsgesellschaften bestehen geblieben und hat in Preußen noch zum Theil bis zur Einführung des Gesetzes fortgedauert. Für die älteren Provinzen war aber die Frage bestritten, ob der Austritt aus einer* der privilegirten christlichen Kirchen ohne Uebertritt zu einer andern von der Beitragspflicht für die Zivecke der ersteren befreie. Die Minister der geistlichen Angelegenheiten und des Innern hatten in der Eirk.Verf. v. 19. Nov. 1850 (Aktenstücke des evangel. Oberkirchenraths Bd. 1 Hft. 1 S. 71 und A ltma n n, Praxis der preuß. Gerichte rc. S. 316) und der Oberkirchenrath in den Erlassen v. 17. Dez. 1850 u. 10. Mai 1853 (Aktenstücke Bd. 1 Hft. 1 S. 71; Hft. 6 S. 92) sich für die Bejahung der Frage entschieden. Dagegen hatte das O.Tr^ I v. 8. Febr. 1854, Entsch. 27 S. 375; Str. Arch. 12 S. 110; Alt­ in ann a. a. O. S. 313, den Rechtssatz ausgesprochen: Der förmlich erklärte Austritt aus der Kirche befreit den Austretenden von den bisher getragenen Parochiallasten noch nicht, sondern erst dann, wenn er einer andern vom Staate anerkannten Religionsgesellschaft sich angeschlossen hat. Nachdem der Minister der geistlicheit Angelegenheiten und der evangelische Oberkirchenrath in Folge dieses Ausspruches des höchsten Gerichtshofes in den Verfügungen v. 31. März u. 7. Mai 1858 (Aktenstücke Bd. 2 S 312) von ihrer früheren Ansicht zurückgetreten waren, wurde aber in Folge der vielfach ergangenen Beschtverden nach nochntaliger Prüfung der Sache von dem ersteren im Einverständnisse mit dem Staatsministerium die Eirk.Verf. v. 15. Mai 1861 (M.Bl. f. d. i. V. S. 114; Aktenstücke Bd. 5 S. 160; Zeitschr. f. K.R. Bd. 1 S. 493; A ltmann a. a. O. S. 315) erlassen, worin zu der ursprünglichen Auffassung vom Jahre 1850 zurückgekehrt ist. Da das O.Tr. indessen bei seiner früheren Attsicht blieb (s. I v. 5. Juli 1867, Entsch. 58 S. 351, s. auch I v. 28. März 1873, a. a. O. 69 S. 174; Str. Arch. 88 S. 345), trotzdem daß dieselbe wegen der Jgnorirung des Einflusses der Verf.Urk. auf die Vorschriften des Landrechtes über die Stellung der Religionsgesellschaften unhaltbar war, und sich die Doktrin übereinstimmend gegen den Ausspruch des O.Tr. erklärt hatte (vgl. Jaeobson in Dove'S Zeitschr. für K.R. Bd. 1 S. 430; Dove a. a. O. S. 491; Altmann a. a. O. S. 320 Note; Wettich in Gruchot 8 S. 528; P. Hinschius in der Zeitschr. f. Gesetzq. u. Rechtspfl. 2 S. 196), so bestand in der erwähnten, wichtigen Frage eine ungelöste Differenz zwischen der Verwaltungs- und Gerichts-Praxis. Diese ist durch die Bestimmung des Abs. 1 des §. 3 beseitigt, und zwar zu Gunsten der sowohl prinzipiell wie auch nach dem früheren preußischen Recht begründeten Meinung. 71) H. Ob in dem Falle, daß eine solche Verpflichtung wegen des Austrittes aus der Kirche abgelehnt wird, der Rechtsweg statthaft ist, ist streitig, so wett nicht die Baulast in Frage steht, hinsichtlich welcher der Rechtsweg über die Verbindlichkeit zur Leistmtg der Beiträge nach 707 bis 709 d. T. unbedingt zulässig ist. Komp.Ger.Hof v. 30. Jan. 1858, M.Bl. f. d. i. V. S. 178, und O.Tr. I v. 20. Febr. 1865, Entsch. 54 S. 305. Das O.Tr. I v. 8. Febr. 1854, Str. Arch. 12 S. 110, nimmt die Statthaftigkeit des Rechtsweges an, dagegett haben die Erk. des Komp.Ger.Hofes v. 7. Okt. 1854, J.M.Bl. S. 443, v. 17. Febr. 1855, a. a. O. 1855 S. 135, und v. 8. Jan. 1876, M.Bl. f. d. i. V. 1876 S. 126, erklärt, daß die Behauptung, daß man aus dem Parochialverbande ausgetreten sei, die Zulassung des Rechtsweges nicht begründe. Ein besonderer Grund im Sinne von II. 14 §. 79, welcher auf §$. 4—8 daselbst verweist, also für einen solchen nur Privileg, Vertrag und Verjährung erklärt, liegt hier allerdings nicht vor, s. auch R.G. IV v. 22. Sept. 1881, Entsch. 5 S. 303, ein solcher ist aber nöthig, nm nach dem Ges. v. 24. Mai 1861 §. 15 (Zus. 14 zu §. 110 d. T.) den Rechtsweg zu begründen. S. auch Anm. 25 zu §. 261 d. T. 72) H. Daher hat das austretettde Mitglied noch für alle Lasten zu haften, welche in die Zeit bis zum 31. Dez. (einschließlich) des auf die Austrittserklärung folgenden Jahres fallen. 73) H. Diese Bestimmung hat den Zweck, einen Austritt, namentlich einen Massen-Austritt aus rein pekuniären Motiven zu erschtveren, wentt erhöhte Anforderungen an die Gemeinde­ mitglieder zur Deckung von Baukosten gentacht werden müssen, und dadurch die Auflösung der rechtlichen Unterlagen der kirchlichen Baulast zu verhüten. — Unter einem außerordentlichen Bau kann nur ein solcher verstanden werden, welcher nach den besonderen Verhältnissen der einzelnen Gemeinden im Hinblick auf die bauliche Verwaltung der Kirchengebäude und vom baulichen Standpunkt aus als ein ungewöhnlicher, nicht regelmäßig vorkommender erscheint. Es gehören also hierher Erweiterungsbauten, welche durch das Anwachsen der Gemeinde erforderlich ge­ worden sind. Ferner alle Neubautett, denn wenn solche auch selbst ohne den Eintritt außer-

Ges., betr. den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873.

189

Ablauf des Kalenderjahres, in welchem der Austritt aus der Kirche erklärt wird, festgestellt ist7J), hat der Austretende bis zum Ablauf des zweiten auf die Austrittserklärung folgenden Kalender­ jahres ebenso beizutragen7"), als wenn er seinen Austritt aus der Kirche nicht erklärt hätte™). Leistungen, welche nicht auf der persönlichen Kirchen- oder Kirchengemeinde-Angehörigkeit beruhen77), insbesondere Leistungen, welche entweder kraft besonderen Nechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften7^), oder von allen Grundstücken des Bezirks, oder doch von allen Grund­ stücken einer gewissen Klasse in dem Bezirk ohne Unterschied des Besitzers 70) zu entrichten sind, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt. gewöhnlicher Ereignisse, wie z. B. von Feuersbrünsten, Erdbeben, denr Laufe der Dinge genläß in einem gegebenen Zeitpunkt nothwendig iverden, so bleibt ein derartiger Bau doch gerade für die betreffende Generation immer etwas Außergewöhnliches, in so fern als ihr in einem solchen Fall außerordentliche Lasten aufgebürdet werden. Endlich gehören hierher auch größere und umfangreichere Reparaturbauten, weil hinsichtlich dieser dieselben Verhältnisse obwalten. Unzu­ lässig muß es erscheinen, den Begriff des außerordentlichen Baues lediglich danach zu benlessen, ob er im Vergleich zu dem regelmäßigen Budget der Genieinde eine Mehrbelastung, selbst eine erheblichere Mehrbelastung herbeiführt. Das erstere wird mit jedem Baue der Fall sein, und was das letztere betrifft, so fehlt es hier einmal an einem festen und bestimmten Kriterium, ferner aber würde dies auch dem Wortlaut der Vorschrift widersprechen, da diese dem Aus­ tretenden nicht die Haftung fiir Bauten, welche erhebliche oder außerordentliche Kosten verur­ sachen, sondern für die Kosten aitßerordentlicher Bautet: auferlegt. Thatsächlich wird sich freilich die Sache fast immer so stellet:, daß diese letzterer: auch außerordentliche Lasten bedingen. 74) H. Die Nothwendigkeit muß von dei: für die betreffettde Kirche fompekmtei: Organen ausgesprochen seil:. Sowohl für die evnt:gelische .Ü irche wie für die katholische Kirche sind dies die Königlicher: Regierunger:, s. 707 d. T., wegen der katholischer: Kirche vgl. Verordr:. betr. die Ressortverhältrnsse der Prov.Behörder: in kath.-kirchl. Ar:gelegenheiten v. 27. Juni 1845 §. 3, G.S. .S. 443, die Regul. v. 25. Mai u. 19. Nov. 1850,' M.Bl. f. d. i. V. v. 1851 S.' 32, und Neskr. v. 8. Mai 1852 (Beiträge z. preuß. K.R. Hft. 2 S. 7). Wo für der: Fall deö Streites über die ^lothrvendigkeit des Baues der ^iekurs an eine höhere Behörde ergriffe:: werdet: katn: (vgl. Reskr. v. 23. Äug. 1828 u. 13. Jan. 1874, Ann:. 93 zu £. 709 d. T., nach weichet: h: solchen Fällen die Regierunge:: eit: Resolut zu erlassen und den Jnteressente:: bei der Publikation eine angen:esset:e, in der Regel und ttüt:destet:s 3wöchentliche Frist für die etwaigen Rekursbeschtverden an das 3Nit:isteriuti: der geistlichen Airgelegenheiten zu gewähren haben), ist der Tag der Feststellut:g des Baues erst derjenige, ar: welchem die Rekursfrist verstrichet: oder die Entscheidung der betreffenden höherer: Behörde publizirt rvorden ist, denr: bis dahin ist es stets ungewiß / ob es bei dem beschlossener: Baue bleibt, und das Gesetz kann nur die definitive Ar:ordr:ung gemeint haben. 75) H. D. h. er haftet für alle Beiträge, welche während der betreffenden zweijährigen Frist repartirt und auSgeschrieber: werden, dagegen aber nicht für spätere, welche etwa deshalb noch nöthig werden, weil der Bau ir: der gedachter: Zeit nicht vollendet worden ist. 76) H. Der Austretende gilt also in Bezug auf die betreffende Angelegenheit noch als Mitglied der Kirche, welche er verlassen hat, und kar:n alle Rechtsmittel gegen die Prägravation geltend mache::, welche der: Zugehöriger: der betreffenden Kirchengemeinschast zustehen. 77) H. D. h. diejenigen, bei welcher: die Angehörigkeit zur bestimmten Kirche nicht das allein entscheidende Monrent ist, so die Baulast des Patrons bei einen: persönlichen Patronat. Die Baulast der sog. Forenser:, d. h. derjenigen, welche zwar keinen Wohnsitz in der Parochie, aber doch Grundstücke in derselben haben, eine' Verpflichtung, welche nach preußischen: Recht in: Allgemeinen nicht besteht, aber durch Observanz hergebracht sein kann, füllt nicht imter diese Vorschrift des Gesetzes, vielmehr unter den Abs. 1 des H. Forense kann allein derjenige sein, welcher derselben Konfession angehört ; nur bestinnnt sich bei ihrn die Zugehörigkeit zur Parochie nicht, wie gewöhnlich, durch das Domizil, sondern durch die Lage der ihr:: gehöriger: Grundstücke. Wegen der Zehntverpflichtung s. Anrn. 79. 78) H. Hierher gehört die Baulast des Patrons, so fern das Patronatrecht — was nach §. 579 d. T. die Regel — auf einem Grundstück haftet, also dinglich ist (§. 583 a. st. O.), ferner ein Zehntrecht, welches kraft eines besonderen Entstehungsgrundes, z. B. der Ersitzung gegen ein bestimmtes Grundstück erworben ist, unter der Voraussetzung, daß, wie dies in: Großherzogthum Posen der Fall ist, die Grundbesitzer des evangelischen Bekenntnisses an und für sich frei sir:d (vgl. Pr. 2679 des O.Tr. I v. 22. Dez. 1856, Entsch. 35 S. 149). 79) H. Hierunter sind alle Abgaben begriffen, welche eine dingliche Natur a::genommen haben, also Reallasten sind. Es gehören dahin z. B. die Baulasten in: ehemaligen Herzogthun:

190

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 42 (Zusatz 8).

§. 4. Personen, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes ihren Austritt aus der Kirche nach den Vorschriften der bisherigen Gesetze^") erklärt haben, sollen vom Tage der Gesetzeskraft dieses Gesetzes^') ab zu anderen, als den im dritten Absatz des §. 3. bezeichneten Leistungen nicht ferner herangezogen werden^"). §. 5. Ein Anspruch auf Stolgebühren^'^) und andere bei Gelegenheit bestimmter Amts­ handlungen zu entrichtende Leistungen **) kann gegen Personen, welche der betreffenden Kirche nicht angehören8ft), nur dann geltend gemacht werden, wenn die Amtshandlung auf ihr Verlan­ langen wirklich verrichtet worden ist. Magdeburg und in der Mark Brandenburg, die Parochiallasten in den ehemals königl. sächsischen Landestheilen, die im großen und kleinen Marienburgischen Werder in Preußen zum Unterhalt der evangelischen Geistlichen und Kirchendiener zu entrichtenden Abgaben und Leistungen (Verordn, v. 30. Jan. 1846, G.S. S. 87); der Sackzehnte, die große und kleine Kalende in Ostpreußen (ostpreuß. Provinzialrecht Zus. 213 H. 4). Der Zehnte dagegen nicht allgemein, denn wenn er auch Reallast-Natur hat, so ist die Verpflichtung dazu doch vielfach (so nach §. 872 d. T., ferner in der Ober-Lausitz, O.Tr. I v. 21. Dez. 1857, Str. Arch. 27 S. 227) durch die per­ sönliche Zugehörigkeit zur Parochie, also die Zugehörigkeit zur betreffenden Konfession, bedingt. -- Die Worte: „Grundstücke einer bestimmten Klasse" hat das Gesetz deshalb gebraucht, weil nicht immer sämmtliche Grundstücke da, wo die Dinglichkeit der Kirchenlasten besteht, sondern nur bestimmte Kategorien derselben verhaftet sind. 80) II. S. 88- 41, 42 d. T. u. 8- 17 der Verordn, v. 30. März 1847 (G.S. S.- 125). 81) H. Durch diese Bestimmungen sollen auch diejenigen, welche bisher auf Grund der erwähnten, nicht haltbaren Praxis^ des O.Tr. (s. 4lnm. 70 zu §. 3 des Ges.) zu Beiträgen herangezogen worden sind, von diesen für die Zukllnft befreit werden, und das muß selbst da gelten, wo eine rechtskräftige Verurtheilung mit Rücksicht auf jene irrthümliche Rechtsansicht erfolgt ist. Auch in diesen Fällen sind die Voraussetzungen des 8- vorhanden. Daß das Gesetz, welches an und für sich auch die Folgen rechtskräftiger Erkenntnisse beseitigen kann, gerade die Verpflichtungen der bereits verurtheilten Dissidenten nicht hat bestehen lassen wollen, läßt sich um so mehr annehmen, als diese nicht in der Lage sind, den Austritt, welchen sie nach dem früheren Recht gültig vorgenommen haben, unter der Herrschaft des gegenwärtigen Gesetzes nochmals zu wiederholen, mithin gar kein Mittel besitzen, sich der ihnen zu Unrecht aufgebürdeten Lasten zu entziehen 82) H. Demgemäß haben die in der gedachten Weise ausgetretenen Personen nur die in die Zeit bis zu dem erwähnten Tage fallenden Leistungen zu tragen. Das gilt auch von den­ jenigen, welche nur die Form des Abs. 2 8- L nicht die des Abs. 3 erfüllt haben. 83) H. D. h. die für die Vornahnie bestinunter ArntShandlungen, namentlich Taufen, Trauungen re. an den Geistlichen zu zahlenden Gebühren. So lange die Angehörigen anderer Konfessionen oder die aus der Kirche ausgetretenen Personen noch dem Pfarrzwange einer anderen Kirche unterworfen waren, wurden sie konsequenterweise auch hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung von Stolgebühren den wirklichen Pachorianen gleichgestellt. Wie diese, falls sie eine dem Pfarr­ zwange unterworfene Handlung von einem anderen als ihrem kompetenten Pfarrer vornehmen ließen, an den letzteren die Stolgebühren zu zahlen hatten (vgl. z. B. §8- 422 ff., 458 ff. d. T.), so mußten solche auch von den erwähnten Personen, welche sich des Geistlichen oder Religionsdieners ihrer Konfession bedienten, an den Geistlichen der fremden Religionsgesellschaft entrichtet werden, dessen Parochialzwang sie unterworfen waren. Auch diese aus der Stellung bestimmter Kirchen als ecclesiae dominantes und auo der nicht vollen Gleichberechtigung der Dissidenten herfließende Konsequenz ist nunmehr beseitigt. 84) H. Zuschläge zu den Stolgebühren, welche nicht für den Geistlichen, sondern für andere Personen, wie die Kirchspielsarmen, oder zu bestimmten besonderen Zwecken, — so die in den Bisthümern Münster, Paderborn, Trier, l^nesen-Posen und Ermland bei jedem Trauungs-, Sterbeund Tauffalle als Zuschläge zu erhebende Katyedralsteuer von einigen Silbergroschen zur Er­ haltung der Domkirchen (Kab.Ordres v. 13. April und 24. Mai 1825, G.S. S. 71 u. 225) — gezahlt werden müssen. 85) H. Gleichviel also, ob sie niemals Mitglieder derselben gewesen oder erst ausgetreten sind. Tritt Jemand in Gemäßheit des §. 1 Abs. 2 zu einer anderen Kirche über, so genügt schon die Beobachtung der dort für statthaft erklärten Form, und es bedarf nicht erst noch der Form des Abs. 3 a. a. O. Das folgt aus der allgemein lautenden Vorschrift des 5. Ferner aber daraus, daß der Uebertritt nach §. 1 Abs. 2 die Zugehörigkeit in den rein kirchlichen Be­ ziehungen löst und das Recht des Pfarrers auf Vornahme von kirchlichen Amtshandlungen in erster Linie zu diesen gehört, nicht aber zu der Kategorie der aus dem Parochialverbande hervor­ gehenden vermögenswerthen Lasten, da der Anspruch auf Stolgebühren nur ein Accesiorium seines Rechtes auf die Amtshandlung ist.

Ges., betr. den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873.

§ . 6.

191

Als Kosten des Verfahrens werden nur Abschriftsgebühren und baare Auslagen in

Ansatz gebracht^).

§ . 7*. Die in diesem Gesetze dem Richter beigelegten Verrichtungen werden im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln durch den Friedensrichter, im Gebiete der ehemals freien Stadt Frankfurt a. M. durch die zweite Abtheilung des Stadtgerichts daselbst wahrgenommen ^). § . 8. Was in dell §§. 1. bis 6. von den Kirchen bestimmt ist, findet auf alle Religions­ gemeinschaften, welchen Korporationsrechte gewahrt finb83), Anwendung 86) H. Vgl. die Instruktion Nr. 5. 87) H. Mit der Einführung der allgemeinen deutschen Gerichtsverfassung am 1. Okt. 1879 ist dieser §. entfallen. Die betreffenden Verrichtungen sind auf die Alntsgerichte übergegangen, Ausf.Ges. z. G.V.G. v. 24. April 1878 (G.S. S. 230) §. 25. 88) H. Vgl. Amn. 23 zu Zus. 6 bei §. 10 d. T. 89) H. Für den Austritt aus dell Gemeiilden der in der vor. Alllll. gedachten Religionsgesellschaften bedarf es also auch der Erklärung in Gemäßheit des 1 Abs. 1 und §. 2. Eine solche befreit den Austretendeu von den auf der persönlichen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft be­ ruhenden Leistungen nach Maßgabe des 3 Abs. 2, während er für die sonstigen Lastell (a. a. O. Abs. 3) verhaftet bleibt. H. Der Abs. 2 des §. 1, welcher für den Uebertritt im Gegensatz 511111 Austritt aus der Kirche das bestehende Recht, so weit es sich nicht um die Befreiung von den Lasten des bisherigen Ver­ bandes handelt, aufrecht erhält, kommt hier gleichfalls zur Geltung. Die 41, 42 d. T. beziehen sich nämlich nicht allein auf einen Uebergang von der einen ausdrücklich privilegirten Kirche zur anderen, sondern auch auf einen solchen zu einer ausdrücklich staatlich anerkannten christlichen Kirchengesellschaft, wie es die Altlutheraner und Herrnhuter sind, vgl. O.Tr. I v. 11. Nov. 1859 u. v. 19. April 1861, Str. Arch. 34 S. 353 und 41 S. 201; Altmann, Praris :c. S. 768; Jacobs 0 n, K.R. S. 492 Anm. 10; Boche, der preuß. legale Pfarrer S. 70, 71, also auf den Wechsel innerhalb aller staatlich anerkannten Religionsgesellschaften im früheren Sinne. Demnach unterliegt sowohl der Uebertritt aus einer privilegirten christlichen Kirche zu den Herrnhutern und Altlutheranern, von einer dieser (Gemeinschaften zur andern, wie auch aus einer solchen zu einer der christlichen Kirchen dem §. 1 Abs. 2 u. 3. Für diejenigen Religionsgesellschaften, welche nach Erlaß der Verfassungs-Urkunde Korporationsrechte erhalten haben und erhalten, sind aber £§. 41, 42 deshalb bedeutungslos und unanwenbbar, weil die Verfassungs-Urkunde Art. 12 -15 außer den privilegirten Kirchen nur Religionsgesellschaften mit Korporationsrechten und ohne dieselben kennt, also die landrechtlichen früheren Kategorien, öffentlich aufgenommene privilegirte, aufgenommene und konzessionirte sowie geduldete Religionsgesellschaften für die Zukunft gegenstandslos geworden sind; vgl. Anm. 29 zu §. 17 d. T. H. Mit Rücksicht darauf, daß nach dem Rechte, welches zur Zeit des Erlasses des obenstehenden Gesetzes in Geltung stand, alle Juden zu einer der unter staatlicher Autorität gebildeten SynagogenGemeinden gehören mußten, s. Ges. v. 23. Juli 1847 über die Verhältnisse der Juden §. 35, G.S. S. 263, und demnach ein bloßer Austritt aus der Gemeinde sie nicht von den mit der Mitgliedschaft verbundenen Pflichten befreien konnte, s. O.Tr. 1 v. 17. Sept. 1852, Pr. 2397, Entsch. 24 S. 301 u. Str. Arch. 6 S 322, v. 6. Okt. 1854 u. 15. Jan. 1855, Str. Arch. 13 S. 299 u. 16 S. 65, war, wie das Gesetz sich nur auf den Austritt aus der Kirche, nicht auf den Austritt aus der Parochie bezieht, so auch seine analoge Anwendung auf die Juden nur im Falle des Austritts aus dem Judenthum, nicht aber im Falle des Austritts aus einer einzelnen Synagogen-Gemeinde zulässig. Dies ist erst später in dem Ges., betr. den Austritt aus den jüdischen Synagogen-Gemeinden, v. 28. Juli 1878, G.S. S. 353, welches jedem Juden ohne Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft (dem Judenthum) einen solchen aus seinerbisherigen Synagogen-Gemeinde wegen religiöser Bedenken gestattet, ausdrücklich anerkannt, §. 9. In wie fern der so Ausgetretene noch zu den Lasten dieser Gemeinde beizutragen hat, bestimmt $.6 a. a. O. Die dort festgesetzten Lasten fallen aber zum Theil durch einen nachträglichen Austritt aus dem Judenthum überhaupt fort, §. 9 Abs. 2 a. a. O. Da die Juden eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft bilden, so sind die Vorschriften des bisher geltenden ^Rechtes für ihren Uebertritt zu einer der christlichen Kirchen oder einerandern derartigen Religionsgesellschaft in dem §. 1 Abs. 2 u. 3 angegebenen Umfange gleichfalls maßgebend (s. auch Boche, der preuß. legale Pfarrer S. 129). Auf die nicht mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgenwinschaften, — dahin gehören in den älteren Provinzen die Anglikaner, freien Gemeinden, diejenigen Lutheraner, welche sich von den sog. Altlutheranern abgezweigt haben (vgl. Boche a. a. O. S. 47, 53, 60 ff.), bezieht sich das Gesetz nicht. Für den Austritt derselben aus ihrer Gemeinschaft kommen lediglich die besonderen, bei ihnen besteheuden Roruien, dann die etwaigen für den Austritt aus allen

192

Zweiter Theil.

Güster Titel.

§§. 43—48.

§ . 9. Die Verpflichtung jüdischer Grundbesitzer, zur Erhaltung christlicher Kirchensysteme beizutragen, wird mit dem Eintritt der Gesetzeskraft dieses Gesetzes auf den Umfang derjenigen Leistungen beschränkt^), welche nach dem dritten Absatz des §. 3. des gegenwärtigen Gesetzes den aus der Kirche ausgetretenen Personen zur Last bleiben. § . 10. Alle dem gegenwärtigen Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen91) werden hier­ durch aufgehoben. § . 11. Der Justizminister und der Minister der geistlichen Angelegenheiten sind mit der Ausführung dieses Gesetzes9') beauftragt. Urkundlich 2c.

Religionsgesellschaften geltenden Bestimmungen oder Nechtssütze, eventuell die allgemeinen Regeln über den Austritt aus gewöhnlichen Gesellschaften zur Anwendung. 90) H. Das in der vor. Anm. citirte Ges. v. 23. Juli 1847 bestimmt 3 Abs. 4: „Wo das Patronat einer Gemeinde zusteht, können deren jüdische Mitglieder an der Ausübung desselben nicht Theil nehmen, sie müssen aber die damit verbundenen Neallasten von ihren Besitzungen tragen. Außerdem bleiben die ansässigen jüdischen Mitglieder einer Stadt- oder Dorfgemeinde verpflichtet, die nach Maäßgabe des Grundbesitzes zu entrichtenden Beiträge zur Erhaltung der Kirchensysteme zu tragen; auch sind alle jüdischen Grundbesitzer zur Leistung der auf ihren (Grundstücken haftenden kirchlichen Abgaben verbunden." Es ist demnach fortgefallen die Beitragspflicht, so weit diese eine persönliche war, aber nach Maßgabe des Werthes des Grundbesitzes repartirt wurde, also nur die zweite Vorschrift des mitgetheilten Absatzes des $. 3. Die beiden andern Bestimmungen desselben sind dagegen bestehen geblieben. Denn diese betreffenden Reallasten, d. h. solche, deren Tragung nach Abs. 3 des §. 3 dies. Ges. durch den Austritt aus der Kirche nicht beseitigt wird. 91) H. Für die Beurtheilung der Frage, ivelche älteren Vorschriften für aufgehoben zu erachten sind, ist zu berücksichtigen, daß das Gesetz nur die Form des Austrittes aus der Kirche und den mit Korporationsrech'ten ausgestatteten Religionsgeseltschaften sowie die bürgerlichen Folgen eines solchen regeln will, imb daß dasselbe, außerdem, so weit ein bloßer Uebertritt in dem Anm. 53 gedachten Sinne erfolgt, welcher nicht die Loslöstlng von den verinögenswerthen Lasten bezweckt, es bei dem bestehenden Recht bewendeil läßt. Demgemäß ist, was die Form betrifft, aufgehoben allgemein der §. 17 der Verordn, v. 30. März 1847; ferner sind beseitigt die 41, 42 d. T., so weit es sich um einen Austritt ohne Anschluß an eine andere Neligionsgesellschaft, mit Anschluß an eine solche ohne Korporations­ rechte oder mit gleichzeitigen: Eintritt in eine Kirche oder eine mit Korporationsrechten bewidmete Neligionsgesellschaft handelt, falls danlit mid) die Freiheit von den Lasten derselben herbeigeführt werden soll. 92) H. Behufs der Ausführung ist die nachstehende Jnftruktion ergangen: Allgemeine Verfügung ^des Jilstizniinistersj vom 13. Iuni 1873, — be­ treffend die Ausführung des Gesetzes über den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai 1873. (J.M.Bl. S. 183.) Zur Ausführung des Gesetzes über den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai 1873 (Gesetz-Sammlung S. 207) wird, im Einverständnisse mit dein Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Folgendes bestimmt: 1. Die in dem bezeichneten Gesetze den Gerichten zugewiesenen Geschäfte werden durch die für die Aufnahme von Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestimmten richterlichen Beamten versehen. Insofern für die Führung der Register über die Geburten, Trauungen und Sterbefälle der Dissidenten und Juden ein besonderer Kommissarius bestimmt ist, hat derselbe auch jene Geschäfte wahrzunehmen93). Für den Bezirk des Appeltationsgerichtshofes zu Eöln und für das Gebiet der ehemals freien Stadt Frankfurt a. M. sind die zuständigen Beamten in dem Gesetze selbst (§. 7) bestimmt93). 2. Der Antrag auf Aufnahme der Austrittserklärung (§. 2 des Gesetzes) kann mündlich zu Protokoll oder schriftlich erfolgen. Wird der Antrag als vollständig befunden, so ist derselbe unverzüglich dem Vorstände der Kirchengemeinde, welcher der Antragsteller angehört, in Abschrift nachrichtlich zuzustellen. Dem Antragsteller ist hiervon unter Bezeichnung des Tages, an welchem sein Antrag eingegangen ist, Kenntniß zu geben. Die Anberaumung eines Termins zur Aufnahine der Austrittserklürung findet nicht statt. Es steht vielmehr dem Antragsteller frei, sich an jedem Geschüftstage, welcher in die von dem Gesetze (§. 2 Abs. 2) bestimmte 14tägige Frist fällt, zur Abgabe der Austrittserklärung an der Gerichtsstelle zu melden. Erfolgt die Meldung rechtzeitig, so hat der Richter die Aus­ trittserklärung zu Protokoll zu nehmen und die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Protokolls an den Vorstand der Kirchengemeinde zu veranlassen. 93)

H. Vgl. Anm. 87 zu §. 7 des Ges.

Von Kirchengesellschaften überhaupt.

193

§ . 43. Keine Religionspartei soll die Mitglieder der anderen durch Zwang oder listige Ueberredungen zum Uebergange zu verleiten sich anmaßen. § . 44. Unter dem Vorwande des Religionseifers darf Niemand den Haus­ frieden stören, oder Familienrechte kränken. § . 45*. Keine Kirchengesellschaft ist befugt, ihren Mitgliedern Glaubensgesetze wider ihre Ueberzeugung aufzudringerr94). § . 46. Wegen der äußeren Form und Feier des Gottesdienstes kann jede Kirchengesellschaft9V) dienliche Ordnungen einführen. § . 47*. Dergleichen Anordnungen müssen jedoch dem Staat zur Prüfung, nach dem §. 13. bestimmten Grundsätze, vorgelegt werden"). § . 48*. Nach erfolgter Genehmigung haben sie mit anderen Polizeigesetzen gleiche Kraft und Verbindlichkeit. Ueber die beiden Zustellungen an den Vorstand der Kirchengemeinde sind Bescheinigungen zu den Akten zu bringen. 3) H. Verlangt der Antragsteller eine Bescheinigung über den von ihm erklärten Austritt, so ist ihnr dieselbe nach denr beigesügten Formular zu ertheilen, und, das; dies geschehen, unter dein Protokoll zu vermerken. 4) H. Die auf Austrittserklärungen bezüglichen Verhandlungen sind nach der Reihenfolge zu einem besonderen Aktenstücke zu bringen. Dasselbe ist mit einem alphabetischen Register zu ver­ sehen, in welches die Ramen der aus der Kirche ausgetreteneil Personeir fortlaufend nachzutragen sind. 5) H. An Kosten des Verfahrens werden außer den baaren Auslagen (Porto, Gebühren der Gerichtsvogte oder Gerichtsvollzieher) nur Abschriftsgebühren erhoben. Der Satz der letzteren wird für den Geltungsbereich des Ges. über den Ansatz und die Erhebung der Gerichtskosteir v. 10. Mai 1851 (Ulf 10 Sgr. bestimmt, .vaben die Verhandlungen nicht zur Aufnahme der Austrittserklärung geführt, so wird nur die Hälfte dieses Satzes erhoben. Für die Bescheinigung des Austritts (Nr. 3) ist eine Stempelgebühr von 5 Sgr. zu erheben. Schließlich werden die Gerichte darauf aufmerksam gemacht, daß diejenigen Vorschriften noch ferner maßgebend bleiben, welche die Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbe­ fälle solcher Personen betreffen, welche einer Religionsgesellschaft, deren Geistliche zu Amts­ handlungen mit bürgerlicher Wirkung ermächtigt sind, nicht angehören. — (Ist mit Einführung der Civilstandsregister gegenstandslos geworden.) — Insbesondere ist die Verordn, v. 30. März 1847 (G.S. S. 125) mit der Maßgabe in Kraft verblieben, daß an Stelle ihres §. 17 die Vor­ schriften des Ges. v. 14. Mai d. I. über die Form des Austritts aus der Kirche treten, und daß ihre Bestimmungen, gemäß der im §. 8 des Ges. erhaltenen Erweiterung, fortan auch auf solche Personen Anwendung finden, welche nicht aus einer der christlichen Kirchen, sondern aus einer andern mit Korporationsrechten versehenen Religionsgemeinschaft ausgetreten sind.

F o r in u l a r. D . . . . hat laut Protokolls von .... seinen Austritt aus der Religionsgemeinschaft der . . (seinen Uebertritt von der Religionsgemeinschaft der ... zu der Religionsgemeinschaft der . . .) unter Beobachtung der durch das Gesetz vom 14. Mai 1873 vorgeschriebenen Form erklärt. Zum Beweise dessen ist die vorliegende Bescheinigung ausgefertigt worden. (Datum, Siegel und Unterschrift des Gerichts.) 94) H. Aber, wenn sie einen in der verfassungsmäßigen Form rechtsgültig festgestellten Glau­ benssatz nicht anerkennen wollen, sie ihrer Mitgliedschaft für verlustig zu erklären und auszuschließen. Denn die Feststellung und Erklärung des Dogmas ist eine der rein kirchlichen Sphäre angehörige Angelegenheit, welche mit Rücksicht auf den Art. 15 der Verf.Urk. der freien autonomischen Regelung der Kirchen anheimgefallen ist. 95) H. In der katholischen Kirche steht dieses Recht den Bischöfen, bez. dem Papste zu, in der evangelischen Kirche jetzt nicht mehr allein den kirchenregimentlichen Behörden, s. Erl. des evanget. Ober-Kirchenraths v. 8. Febr. 1860 (Aktenstücke Bd. 5 S. 28), vielmehr haben auch die Gemeindeorgane, die Provinzial-Synoden und die General-Synode nach Maßgabe der §§. 15, 65 Nr. 3 der Kirchengemeinde- und Synodal-Ordnung v. 10. Sept. 1873 (Zus. 20 zu §. 156 d. T.), u. des §. 7 Nr. 3 der General-Synodnl-Ordnung v. 20. Jan. 1876 (Zus. 23 zu §. 156 d. T.) zu konkurriren. Ueber die Annahme und Einführung der Agende in die Kirchengemeinden der preußischen Landeskirche s. m. d. K.O. v. 9. Juli 1825 u. 27. Febr. 1826, u. die Min.Verf. v. 29. Okt. 1825 u. v. 24. April 1826. (Annal. 9 S. 1015; 10 S. 348.) 96) H. Diese §§. müssen durch den Art. 15 der Verf.Urk. (s. Anur. 40 zu §. 32) für beKvch, Allgemeines Landrecht. IV.

8. Anst.

13

194

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§§. 49-57.

§ . 49*. Sie können aber auch ohne Genehmigung des Staats nicht ver­ ändert, noch wieder aufgehoben werden. § . 50. Jedes Mitglied einer Kirchengesellschaft ist schuldig, sich der darin ein­ geführten Kirchenzucht zu unterwerfen. § . 51*. Dergleichen Kirchenzucht soll bloß zur Abstellung öffentlichen Aerger­ nisses abzielen97). § . 52*. Sie darf niemals in Strafen nit ifeib, Ehre, oder Vermögen der Mitglieder ausarten) ist oder sich in Untersuchung befindet10); 3) wenn gegen den Anzustellenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß derselbe den Staatsgesetzen oder den innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen Anordnungen der Obrigkeit entgegenwirken oder den öffentlichen Frieden stören werde").

Die Thatsachen, welche den Einspruch begründen I2), sind anzugeben.

") Gegen die Einspruchserklärung kann innerhalb 30 Tagen bei dem Königlichen Gerichtshöfe für die kirchlichen Angelegenheiten und, so lange dessen Einsetzung nicht erfolgt ist, bei dem Minister der geistlichen Angelegenheiten Berufung eingelegt werden. 13)2)ic Entscheidung ist endgültig.

in Folge des Einspruchs des Oberpräsidenten Hütte vorgegriffen werden können. Vgl. auch Witkowski in Behrend u. Dahn, Zeitschr. f. deutsche Gesetzgebung 8 S. 217. Die Unfähigkeit der Jesuiten und der Mitglieder der ihnen verwandten Genossenschaften ist reichsgesetzlich (Zus. zu §. 941 d. T.) festgestellt worden. Ihre Anstellung ist also ebenfalls nichtig, aber nicht nach §. 1 des vorliegenden Ges. 8) H. Es kommt, eben so wie dies für die Unterscheidung der Kategorien: „Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen" der Fall ist, nur darauf an, daß das Verbrechen oder Vergehen mit einer der gedachten Strafen bedroht ist, nicht aber darmlf, ob der Betreffende auch wirklich zu einer solchen verilrtheilt ist. 9) H. Selbstverständlich: „rechtskräftig". Gleichgültig ist es, ob die Strafvollstreckung stattgefunden hat oder durch die Verjährung (s. §. 70 R Str.G.B.) ausgeschlossen worden ist, nur die Vegiladig^lng kann die betreffende Folge der Berurtheilung beseitigen. 10) H. Es muß gegen die betreffende Person das Hauptverfahren (R.Str.P.O. §§. 196 ff.) eröffnet sein. Ein bloßes Skrutinial-, Ermittelungs- oder Voruntersuchungsverfahren berechtigt nicht zur Erhebung des Einspruches auf Grund der Nr. 2. Da dasselbe einen rem informatori­ schen Charakter hat und jeden Augenblick wieder eingestellt werden kann, so folgt aus seiner Eröffnung an und für sich noch nicht, daß der gegründete Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt. — Um die Oberpräsidenten leichter in den Stand zu fetzen, auf Grund der Nr. 2 Ein­ spruch erheben zu können, ist die allgemeine Verfügung des Just.Min. v. 12. Juni 1873 (J.M.Bl. S. 182; P. Hinschins, Kirchengefetze des Jahres 1873 S. 165) ergangen. 11) H. Also den normalen Zustand des öffentlichen und kirchlichen Lebens in der be­ treffenden Pfarrei durch Aufreizen der einen Konfession gegen die andere, durch aufrührerische Predigten, durch ungeschicktes und taktloses Benehmen u. s. w. verwirren oder ganz in Frage stellen werde. Uebrigens ist es nicht nöthig, daß bei denr Anzustellenden eine absichtliche Störung des Friedens zu vermuthen ist, die Nr. 3 trifft auch dann zu, wenn derselbe wegen seines ganzen früheren Benehmens und wegen feines heftigen Charakters als eine Persönlichkeit erscheint, welche, wenngleich nicht doloser Weise, Zwistigkeiten und Störungen hervorruft. Ferner wird die bestimmte, zu übertrageirde Stellung mit in Rücksicht zu ziehen fein, also z. B. ob es sich um ein Amt in einen: Ort mit gemischter oder nicht gemischter Bevölkerung handelt. Vgl. hierzu auch das Erk. d. Gerichtsh. f. kirchl. Angelegen!), v. 20. Febr. 1880 in der Zeitschr. f. K.N. 15 S. 117. H. Ob ein Einspruch auf Grund der 9tr. 3 erhoben werden soll, wird unter Prüfung aller konkreten Umstände, sowie unter Berücksichtigung der Frage, ob überwiegende Gründe des Staatsinteresses oder des öffentlichen Wohles diese Maßregel bedingen, zu erwägen sein. In den Fällen der Nr. 1 und Nr. 2 ist dagegen der Einspruch stets geltend zu machen, denn hier handelt es sich entweder um eine nichtige Anstellung oder un: die Anstellung einer Person, welche im staatlichen Interesse und im Interesse der Würde des geistlichen Standes nicht im Amte geduldet werden kann. 12) H. Die Stellung dieser Vorschrift in einem besonderen Absatz ergiebt, daß die That­ sachen in allen 3 Fällen, nicht bloß im Falle der Nr. 3 anzugeben sind. 13) H. Diese beiden letzten Absätze des §. sind d urch das Abänderungsges. v. 11. Juli 1883 (s. den folgenden Zus. 12) Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 aufgehoben. Demnach bleibt jetzt nur eine formlose Beschwerde an den Minister der geistlichen Angelegenheiten offen. Dasselbe gilt auch für den Einspruch aus §. 12 des Ges. Vgl. den Art. 2 Nr. 2.

228

Zweiter Theil.

(Stifter Titel.

60 (Zusatz 10).

§. 17. Die Uebertragung eines geistlichen Amtes n), welche der Vorschrift des 1. zu­ widerläuft "), oder welche vor Ablauf der im §. 15. für die Erhebung des Einsprttchs gewährten Frist erfolgt16), gilt als nicht geschehen1'). §. 18. Jedes Pfarramt16) ist innerhalb eines Jahres11') vom Tage der Erledigung'^),

14) H. Dasselbe, was für diesen Fall im §. 17 vorgeschrieben ist, gilt auch von der wider­ ruflichen Uebertragung des Amtes oder Uebertragung einer Stellvertretung oder Hülfsleistung, so fern hierbei gegen den jetzt durch die neuere Gesetzgebung ntodifizirten Umfang des §. 2, vgl. die Anm. dazu, verstoßen ist, ferner von der Uebertragung eines Amtes an einen schon in einem andern Amt befindlichen Geistlichen, oder der Verwandlung einer widerruflichen An­ stellung in eine dauernde (§. 3), denn §§. 2 und 3 sind von §. 17 indirekt dadurch angezogen, daß sie auf den §. 1 verweisen. 15) H. Vgl. hierzu Ges. v. 21. Mai 1874 Art. 1 (Zus. 11). 16) H. Diese an sich überflüssigen Worte, welche den Sinn des §. nur verdunkelt haben, sind von der Kommission des Abgeordnetenhauses eingeschoben worden. S. das in vor. Anm. citirte Ges. und- Anm. 59 dazu. 17) H. D. h. ist für den Staat nichtig, bez. erkennt der Staat ihre rechtliche Wirkung nicht an. Der widerrechtlich angestellte Geistliche erhält zunächst nicht die allgemeinen Standesprivi­ legien, z. B. Freiheit von persönlichett Gemeindediensten, von der Uebernahme von Gemeinde­ ämtern, dem Amte des Schiedsmanttes und des Geschworetten, nicht das Recht einer bestimmten Gehaltskompetenz bei Exekutionen u. s. w., ferner nicht die Befugniß, das Pfründenvermögen, so weit ihm dies zusteht, rechtlich zu vertreten, ebenso wenig auch die mit dem Amte etwa ver­ bundene Mitgliedschaft im Kirchenvorstand. Sodann steht ihm kein Recht auf den der Stelle gewährten Staatszuschuß, nicht das Recht zur Forderung und Einklagung von Stolgebühren, und das Recht auf Benutzung der Amtswohnung zu; aus der letzteren kann er vielmehr im Wege der Verwaltungs-Exekution entfernt werden. Daß ein solcher Geistlicher sich nicht durch einen früher ordnungsgemäß angestellten Vikar oder Hülfsgeistlichen vertreten lassen kann, liegt auf der Hand, denn der Auftrag, welchen er diesem zu derartigen Handlungen giebt, ist, weil er selbst nicht gültig angestellt ist, von einer dazu nicht befugten Person gegeben, also ebenfalls nichtig. Umgekehrt kann aber auch der ordnungsmäßig angestellte Pfarrer diese Handlungen nicht durch einen den Vorschriften des Gesetzes zuwider mit der Stellvertretung beauftragten Geistlichen vollziehen lassen. Denn ein solcher Auftrag ist gleichfalls nichtig, berechtigt also den Vertreter nicht zum Vornehmen der gedachten Handlilngen. Die vom §. 17 ausgesprochene Folge, daß die Uebertragung des Amtes als nicht ge­ schehen gilt, hat aber nicht bloß Bedeutung für diejenigen Handlungen, welche wie die Ehe­ einsegnung, die Führung der Kirchenbücher vor der Einführung der staatlichen Standesregister und der obligatorischen Eivilehe das bürgerliche Gebiet berührten; der nichtig angestellte Geist­ liche ist auch nicht befugt, dlmtshandlungen vorzunehnren, welche sich innerhalb des rein geistlichen Gebietes halten; z. B." wird er im Wege der Ad^ninistrativ-Exekution (durch Zuschließen der Kirche) an der Abhaltung des Pfarrgottesdienstes, ebenso gut wie eine andere unberufene Person verhindert werden können. Wenn "von ultramontaner Seite behauptet worden ist, daß nach §§. 17 und 23 nur die Vornahme der aus dem bestimmten Amte herfließenden Handlungen, nicht aber die Ausübung der allgemeinen priesterlichen Thätigkeit verboten sei, weil der Priester als solcher zu gewissen Handlungen, wie bestimmten Gebeten, Messelesen und Beichtehören, ver­ pflichtet sei, so ist nur so viel richtig, daß der Priester durch die Weihe allerdings die Fähigkeit zur Vornahme dieser Handlungen erhält, daß ihm aber das katholische Kirchenrecht abgesehen von der privaten Verrichtung des täglichen Gebetes (s. P. H inschius, Kirchenrecht Bd. 1 S. 142) und der Messe nicht Beichtehören u. s. w. als allgemeine Standespflicht auferlegt. Die Weihe, also die Fähigkeit, priesterliche Funktionen auszuüben, giebt dem Geistlichen noch nicht das Recht dazu, vielmehr bedarf es dafür immer noch eines besonderen Auftrages (mis8io) des Bischofes (P. Hin­ schius a. a. O. S. 166; Schulte, kath. K.R. 2 S. 103). Dieser liegt in der Anstellung auf ein geistliches Amt im Sinne des Gesetzes, und somit ist der Priester, welcher als Pfarrer an­ gestellt wird, nur kraft dieser Anstellung berechtigt, Beichte zu Hörell, zu predigen, die Pfarrmesse zu lesen u. s. w., nicht aber bloß kraft seiner Priesterweihe. Ist eine solche Anstellung dem Staate gegenüber nichtig, so fällt auch ihm gegenüber die Berechtigung, priesterliche Handlungen vor­ zunehmen, welche eben nur kraft jenes Amtes ausgeübt iverden sönnen, fort, gleichviel, ob der betreffenden Person nach der dogmatischen Anschauullg ihrer Kirche die Fähigkeit dazu verblieben ist, gleichviel, ob die Kirche — was für den Staat völlig gleichgültig erscheint — dem Gesetze zuwider stattgehabte geistliche Funktionen dogmatisch für gültig erklärt. 18) H. Nach dem Sprachgebrauch des heutigen katholischen Kirchenrechts werden unter Seelsorgeümtern, Kuratbenefizien, beneficia cur ata, b. quae curam animarum hab ent anncxa diejenigen verstanden, deren Inhaber das Recht auf die Verwaltung der Seel­ sorge, d. h. die Verwaltung der Sakramente, namentlich der Binde- und Lösegewalt, sowie auf

Ges. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen v. 11. Mai 1873.

229

die Leitung des Gottesdienstes und die Ausübung des kirchlichen Lehramtes für einen be­ stimmten Kreis von Personen haben (Ferraris, prompta biblioth. canonica, s. v. belie­ ße ium art. I. ii. 23; Phillips, Lehrb. d. K.R. S. 132). Es gehören dahin das Amt des Bischofs, des Pfarrers, ferner das Amt der Vikare, welche statt einer mit Pfarrrechten über einen bestimmten Bezirk versehenen juristischen Person, z. B. eines Klosters, eines Domkapitels, das ^lmt der Kapläne, welche für einen bestimmten Theil einer Parochie in Unterordnung unter dem Pfarrer, das Anrt der Mönche, welche für die Ordensgemeinde eines bestimmten Klosters die Seelsorge ausüben. Das Pfarramt, welches nach dem eben Bemerkten nur eine Art der Seelsorgeämter, aber auch zugleich das Prototyp derselben bildet, ist dagegen dasjenige Seel­ sorgeamt, dessen Inhaber die Seelsorge über einen bestimmten geographisch abgegrenzten Kreis und an einem bestimmten gottesdienstlichen Gebäude in Unterordnung unter dem Bischof zu verwalten hat, also das regelmäßig für den in Rede stehenden Zweck eingerichtete Amt (s. auch §§. 318, 237 d. T.). Daß die Zugehörigkeit zur Parochie .sich nicht rein nach geographischen Gesichtspunkten, sondern auch mit Rücksicht auf eine persönliche Qualifikation, z. B. bei den Garnisongemeinden, bei den Anstaltsparochien (s. II. 19 §§. 77, 78 L.R.) bestimmt, macht keinen Unterschied, jedoch kommt für diese Pfarrämter der §. 29 Abs. 2 des Gesetzes in Frage. Charakteristisch für das Pfarramt ist aber jedenfalls das Moment, daß der Inhaber desfelben die betreffenden Befugnisse kraft eigenen Rechtes in Folge des ihm zustehenden Amtes, nicht bloß in Stellvertretung eines Andern, auszuüben hat. Nach kanonischem Recht gehört es ferner zum Wesen des Pfarramtes, daß dasselbe zugleich ein fest fundirtes Benefieium bildet, welches dem Pfarrer dauernd übertragen wird (s. P. Hinschius, Kirchenrecht 2 S. 293, 294). Die neuere Entwickelung hat aber dieses Prinzip, wie z. B. die Entstehung der Sukkursal-Pfarreien in Frankreich und in den Rheinlanden und die Errichtung vieler sog. Missionspfarreien (s. Anm. 23) zeigt, in der Weise durchbrochen, daß in der heutigen kanonistischen Doktrin sogar mit Rücksicht auf diese Anomalien die Kontroverse entstanden ist, ob die gedachte Eigenschaft zum Wesen des Amtes gehört (P. Hinschius, Kirchenrecht a. a. O.). H. Das Gesetz erachtet sie zum Begriff des Pfarramtes in seinem Sinne unzweifelhaft nicht für erforderlich. Es will durch seine Vorschrift, wie namentlich auch die Bestimmung des §. 19 Abs. 2 zeigt, jene Unregelmäßigkeiten beseitigen, und mußte daher gerade vor allem solche Pfarr­ ämter treffen, bei denen diese obwalten. H. In der evangelischen Kirche, welche einen viel einfacheren Aemterorganismus wie die katholische Kirche ausgebildet hat, und in der das Pfarramt das regelmäßige und einzige Amt der Seelsorge ist, kann zwar auch begriffsmäßig ein Unterschied zwischen Seelsorgeümtern im Allgemeinen und dem Pfarramte insbes. gemacht werden, eine große praktische Bedeutung hat derselbe aber nicht. Exceptionelle Gestaltungen sind, weil das Pfarramt in seiner Reinheit er­ halten und nicht zu ihm fremden Zwecken verwendet worden ist (s. z. B. P. Hinschius a. a. O. S. 283, 284), weil ferner bei der einfachen Verfassung der evangelischen Kirche Exemtionen vom Pfarrverbande viel seltener waren, fast nur da vorgekommen und möglich, wo die äußeren Verhältniffe noch nicht die Einrichtung einer festen Pfarrei gestatten, aber das Bedürfniß nach einer Seelsorge vorhanden ist. So würden z. B. Pfarr-Vikariate, mit denen in großen Parochien, so lange deren Dismembration noch nicht ausführbar erscheint, die volle Seelsorge für einen Theil derselben verbunden ist, Seelsorgeämter, aber keine Pfarrämter sein. 19) H. D. h. eines nach dem Gebrauch des gewöhnlichen Lebens kalendermäßig zu be­ rechnenden Jahres. Die Frist reicht vollkommen aus. Nach kanonischem Recht und nach §§. 402, 398 d. T. sind die geistlichen Oberen der Regel nach verpflichtet, die erledigten Aemter binnen 6 Monaten wieder zu besetzen. Konkurriren bei der Besetzung andere Berechtigte, z. B. ein Patron, welcher zu präsentiren hat, so ergeben sich daraus keine Schwierigkeiten, weil die Präsentationsfrist weniger als 1 Jahr beträgt, so nach §. 398 d. T. nur 6 Monate, nach ostpreuß. Provinzialrecht Zus. 179 3 beim weltlichen evangelischen, 4 bei weltlichem katholischen, 6 bei geistlichem Patronatrecht, im Herzogthum Magdeburg 4 (Jacobson, K.R. S. 433), und bei schuldvoller Verzögerung der Präsentation die Besetzung auf den geistlichen Oberen übergeht. Wo die Gemeinde zu wählen hat, bestehen für die Ausübung des Wahlrechtes zum Theil ebenfalls bestimmte Fristen (so nach der rhein.-westfäl. Kirchen-Ordn. §. 58 3 Monate für Stellen ohne Nachjahr, d. h. Gnadenjahr, 9 Monate für Stellen mit einem solchen), oder es hat die Kirchenbehörde das Recht, angemessene Fristen zur Vornahme der Wahl bei Strafe des Eintrittes der Devolution festzusetzen, s. Verordn, v. 2. Dez. 1874 §. 13 (Zus. zu §. 324 d. T.). H. Für Fälle, in denen durch unvorhergesehene Hindernisse die rechtzeitige Wiederbesetzung verzögert wird, oder wo eine solche aus genügenden Gründen — z. B. zur Aufsammlung eines dringend nothwendigen Baufonds aus dem Gehalte der Stelle bei vorhandener Möglichkeit, die­ selbe interimistisch verwalten zu lassen — gerechtfertigt erscheint, gewährt der Schluß des Abs. 1 das erforderliche Mittel, um etwaige Härten zu beseitigen.

230

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 60 (Zusatz 10).

wo gesetzlich oder observanzmäßig ein Gnadenjahr besteht^'), vom Tage der Erledigung der Pfründe-") an gerechnet, dauernd"'') zu besetzen'^). Die Frist ist vom Oberpräsidenten im Falle des Bedürfnisses auf Antrag angemessen zu verlängern.

20) H. Bez. der amtlichen Kenntniß von der Erledigung, da sonst dem geistlichen Oberen das volle Jahr, welches ihm das Gesetz offenbar hat bewilligen wollen, nicht frei bleibt. 21) H. Vgl. §§. 838 ff. d. T. 22) H. Der Ausdruck: Erledigung der Pfründe, ist nicht korrekt. Die Pfründe, das Beneficium, d. h. das für den geistlichen Anitsträger bestimmte, fest mit seiner Stelle verbundene Einkommen wird als Bestandtheil des Anrtes gleichzeitig mit demselben erledigt. Der Wittwe, resp, den Kindern, welche zum Gnadenjahre berechtigt sind, wird nicht die Pfründe übertragen, sondern sie erhalten nur das Recht auf alle oder aus bestiinmte Einkünfte der Pfründe. Was gemeint ist, erscheint allerdings klar: die Frist soll erst von deur Tage ab, wo die Berechtigung auf das Gnadenjahr erlischt, also der Nachfolger in den vollen Genuß aller Einkünfte der Stelle gelangen kann, berechnet werden. 23) H. Die dauernde Besetzung bedingt die Verleihuug der Stellen auf Lebenslang und definitiv, und schließt somit eine jede Beseitigung des Amtsinhabers wider idessen Willen ohne regelmäßige Disziplinaruntersuchung aus. Durch die Vorschrift des §. 18 Abs. 1 sind die geistlichen Oberen gehindert: n) Pfarreien, welche im Sinne des kanonischen Rechtes feste Benefizien sind, nnthin nach den Vorschriften desselben dauernd vergeben werden sollen, bloß auf Widerruf (ad nutuin) zu verleihen, eine Praxis, welche von manchen preußischen Bischöfen, zum Theil auch im Einverständniß mit den Patronen, mehrfach geübt worden ist. — b) Ob die Vorschrift des Gesetzes die bisher übliche Verleihungsweise der bestehenden sog. Missionspfarreien beseitigt, ist fraglich. Die katholische Kirche scheidet ihr Gebiet in sog. provinciac sedis apostolicae und sog. terrae missionis. Erstere sind diejenigen Länder, in denen der Katholizismus eine alt und fest begründete und gesicherte Stätte hat, und in denen die regelmäßige Verfassung der katholischen Kirche, namentlich die bischöfliche Organisation besteht; letztere diejenigen,' in denen der Katholizismus überhaupt noch nicht festen Fuß gefaßt oder das von ihm früher verlorene Terrain wieder zu erobern sucht. Für die Leitung dieser Länder besteht ein beweglicher Organismus, dessen charakteristische Eigenthümlichkeiten darin liegen, daß hier jegliche Gewalt auf direkter oder indirekter päpstlicher Uebertragung beruht, also die Leitung statt durch Bischöfe durch apostolische Vikare oder Delegaten geführt wird, und daß ferner alle kirchlichen Stellungen nur widerruflich übertragen werden und ihre geographischen Distrikte jederzeit beliebig wieder verändert werden können. Von den preußischen Landestheilen gehören zu dem Missionsgebiete die Mark Brandenburg, Pommern, ferner die altprotestantischen Lande links der Elbe und endlich Schleswig-Holstein, Landestheile, welche bezüglich von den Bischöfen von Breslau, Paderborn und Osnabrück als päpstlichen Delegaten bez. Provikaren geleitet werden. Missionspfarreien im eigentlichen Sinne sind demnach Seelsorge-Stationen für einen bestimmten Distrikt in einem Acissionslaude, denen mit Rücksicht auf das Bemerkte einmal eine fest fundirte Unterlage, die Pfründe, und ein dauernd abgegrenzter Amtsbezirk, die objektive Perpetuität, fehlt, und dann ferner auch die den eigentlichen Pfarrämtern zu­ kommende subjektive Perpetuität abgeht, weil die betreffenden Geistlichen niemals fest, sondern nur ad nutuin amovibel angestellt werden. Da die Organisation der Missionsländer den Zweck hat, durch allmähliche Uebergangsstufen die Einführung der ordentlichen Verfassung der katho­ lischen Kirche vorzubereiten, so bildet ihr Organismus keinen absoluten Gegensatz gegen die ordentliche Verfassung, d. h. es können gewisse Elemente der letzteren auch in den Missions­ ländern , andererseits aber auch Missions-Einrichtungen in den Ländern der regelmäßigen Ver­ fassung vorkommen. In den vorhin genannten preilßischen Landestheilen sind zwar die meisten Pfarreien Missionspfarreien, indessen giebt eS andererseits in ihnen auch feste Pfarreien mit nicht beliebig absetzbaren Geistlichen'(so z. B. die zu Berlin, Potsdam, Stettin und Stralsund), ferner kommen aber Missionspfarreien ebenfalls in Westfalen, Preußen, mithin in Provinzen, für welche die ordentliche Bisthumsverfassung besteht, vor. Für die Subsumtion der eben näher charakterisirten Pfarreien unter das Gesetz scheint zu sprechen, daß sie nach der neueren katho­ lischen Doktrin immer eigentliche Pfarreien sind und daß sie auch vielfach die staatlichen Rechte derselben erhalten haben. Da das Gesetz aber keine rückwirkende Kraft hat und auch nicht einmal die Errichtung von derartigen Pfarreien unter allen Unrständen verbietet, so wird man eine dauernde Besetzung derselben, so weit sie schon bei Erlaß des Gesetzes bestanden haben, um so weniger verlangen dürfen, als das letztere selbst darauf hindeutet, daß es die Missions­ pfarreien nicht hat treffen wollen. Für die denselben ähnlichen Sukkursal-Pfarreien (s. §. 19) ist eine besondere, ihre Umwandlung in feste Pfarreien betreffende Bestimmung gegeben, obwohl eine solche, wenn ihnen das Gesetz die Missionspfarreien hätte gleichstellen wollen, auch für diese nahe gelegen hätte.

Ges. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen v. 11. Mai 1878.

231

Nach Ablauf der Frist ist der Oberpräsident befugt, die Wiederbesetzung der Stelle durch

Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern zu erzwingen ^). Die Androhung und Fest­ setzung der Strafe darf wiederholt werden, bis dem Gesetze genügt ist. Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, bis dahin Staats­ mittel einzubehalten welche zur Unterhaltung der Stelle oder desjenigen geistlichen Oberen dienen, der das Pfarramt zu besetzen oder die Besetzung zu genehmigen hat. §. 19. Die Errichtung von Seelsorgeänttern^'), deren Inhaber unbedingt abberufen werden dürfen''^), ist nur mit Genehmigung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten zulässig. Die Bestimmungen des §. 18. beziehen sich auch auf die sogenannten Sukkursal-Pfarreien des Französischen Rechts "O) mit der Maßgabe, daß die in Absatz 1. des §. 18. vorgeschriebene Frist vom Tage der Publikation dieses Gesetzes'^) an zu laufen beginnt.

24) H. Da nach dem Gesetze die Pfarrmnter nicht länger als ein Jahr interimistisch ver­ waltet werden sollen, so bedeutet: „besetzen" so viel als denjenigen Akt vornehmen, wodurch der betreffende Geistliche das Recht llnd die Pflicht zur Verwaltung des Amtes erlangt, gleichviel ob dieser Akt freie Verleihung, Konfirmation oder Approbation des geistlichen Oberen ist. Was die bereits beim Inkrafttreten des Gesetzes vorhandenen Vakanzen betrifft, so ist die einjährige Frist nicht von diesem Zeitpunkt ab zu rechnen, vielmehr von dem Zeitpunkt der vorher eingetretenen Vakanz. So fern bei dieser Berechnungsweise die Besetzung wegen der Kürze der Frist nicht möglich wird, wird der Oberpräsident die Frist angemessen zu verlängern haben. Daß das Gesetz in dieser Beziehung rückwirkende Kraft hat äußern wollen, ergiebt sich daraus, daß seine Bestimnulng absoluten Charakter hat und für den hier in Rede stehenden Fall, nicht wie für den des §. 19 Abs. 2, eine ausdrückliche Ausnahme genracht worden ist. Diese Ansicht ist übrigens auch die in der Verwaltungspraxis herrschende und ebenfalls vom O.Tr. Str.S. II v. 16. Juni 1874 Entsch. 73 S. 390 angenommen. 25) H. D. h. gegen den geistlichen Oberen, welcher das seiner freien Verleihung unter­ liegende Amt nicht besetzt oder anderenfalls bei Zögerung dritter Personen von seinem Devo­ lutionsrecht keinen Gebrauch macht. Werden die Funktionen des geistlichen Oberen durch ein Kollegium, z. B. ein Konsistorium versehen, so kann die Geldstrafe nur gegen den Präsidenten, welcher die Erledigung der Wiederbesetzung nicht zum Vortrag bringt, oder gegen die eine solche durch ihre Abstimmung verhindernden Mitglieder verhängt werden. 26) H. Vgl. Anm. 89 zu §. 13 dies. Ges. 27) H. Die Errichtung jedes Seelsorgeamtes, so fern dasselbe nicht dauernd verliehen werden sott, ist nur mit Genehmigung des Miiüsters der geistlichen Angelegenheiten zulässig. Die Anm. 23 zu §. 18 unter b gedachten Missionspfarreien fallen ebenfalls unter die hier in Rede stehende Vorschrift, denn sie weisen alle charakteristischen Merkmale des Pfarramts, welches das Prototyp des Seelsorgeamtes ist, auf. Somit ist die Errichtung von Missionspfarreien, also von Pfarr­ ämtern, welche nicht dauernd besetzt werden, nicht ganz ausgeschlossen. Man hat diese Ausnahmen zulassen müssen, um nicht die Befriedigung der seelsorgerischen Bedürfnisse von Katholiken und Evangelischen, welche in der Diaspora leben, unmöglich zu machen. 28) H. D. h. welche nicht dauernd besetzt werden. Statthaft ist dagegen ohne Genehmigung des Ministers die bloß widerrufliche Anordnung von Stellvertretungen und Hülfsleistungen, welche sich dadurch von der Errichtung von Seelsorgeämtern unterscheidet, daß in solchen Fällen der Vikar oder Stellvertreter nicht einen für alle Mal bestimmten Kreis von seelsorgerischen Funktionen zugewiesen erhält, sondern daß das Gebiet seiner Wirksamkeit stets veränderlich ist und er selbst für die Ausübung seiner Thätigkeit immer, sei es eines besonderen, sei es eines generellen Auftrages bedarf. 29) H. Vergl. über die Sukkursal-Pfarreien Jacobson in Her zog's Real-Encyklopädie für Protestant. Kirche und Theologie 3 S. 330 (2. Ausl. 7 S. 516); Bouix, tractatus de parocho. Paris 1855 S. 233; Raimund im Arch. f. kath. K.R. 21 S. 423; Pricotte a. a. O. 22 S. 54; Jo der, Finamovibilite des desservants au point de vue du droit. Strassbourg 1882. Von den Missionspfarreien unterscheiden sich die Sukkursalen dadurch, daß sie nicht in ihrem Bestände beliebig verändert werden können, von den eigentlichen Pfarreien in den Ländern des französischen Rechts nur dadurch, daß das Gehalt der Inhaber der letzteren, der ordentttchen Pfarrer, größer und daß diese nicht ad nutum entfernt werden können. Das Gesetz stellt nunmehr die Sukkursal-Pfarreien den festen Parochien gleich, und beseitigt damit die bisherrge abhängige Stellung der Inhaber derselben, der sog. Desservants, indem es den geistlichen Oberen die dauernde Anstellung zur Pflicht macht. Wird eine Sukkursal-Psarrei durch Abberufung in der Zwischenzeit von der Publikation

232

Zweiter Theil.

Eilster Titel.

§. 60 (Zusatz 10).

§. 20. Anordnungen oder Vereinbarungen, welche die durch das Gesetz begründete Klag­ barkeit der aus dem geistlichen Amtsverhältnisse entspringenden vermögensrechtlichen Ansprüche ausschließen oder beschränken, sind nur mit Genehmigung der Staatsbehörde zulässig. §. 21. Die Verurtheilung zur Zuchthausstrafe, die Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter hat die Erledigung der Stelle^'), die Unfähigkeit zur Ausübung des geistlichen Amtes und den Verlust des Amtseinkommens zur Folge. IV. Strafbc§. 2232). Ein geistlicher Oberer, welcher den §§. 1. bis 3. zuwider33) ein geistliches stunmungcn. überträgt oder die Uebertragung genehmigt, wird mit Geldstrafe von 200 bis zu 1000 Thalern bestraft"). Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher der Vorschrift des §. 19. Abs. I.35) zuwider­ handelt.

des Gesetzes bis zum Ablauf der Frist erledigt, so unterliegt die Anstellung des neuen SukkursalPfarrers unzweifelhaft allen Vorschriften dieses Gesetzes. Der Bischof darf also auch eine solche nicht widerruflich vornehmen. Das ergiebt die Bezugnahme auf den §. 18 Abs. 1. Nur ist ihm gestattet, vorläufig, d. h. bis zum Ablauf der Frist, die Sukkursal-Pfarrei interimistisch durch einen bloßen Verweser, eben so wie im Falle der Vakanz eines festen Pfarramtes, verwalten zu lassen. Das Gesetz hat den Bischöfen allein einen angemessenen Zeitraum für die Um­ wandlung der Sukkursal-Pfarreien in feste Pfarrstellen gewahren, nicht aber die fernere An­ stellung von Pfarrern ad nutum erlauben wollen. Die im Momente des Ablaufs der Frist noch auf Sukkursal-Pfarreien fungirenden Desservants, lvelche in früherer Zeit ad nutum amovibel eingesetzt sind, gelten selbstverständlich nicht in Folge des Zeitablaufs als ihrer Stellen enthoben. Der Bischof kann vielmehr gezwungen werden, ihnen die dauernde Anstellung zu ertheilen, vorbehaltlich ihrer Beseitigimg durch den Staat, falls sie die vorgeschriebene Quali­ fikation nicht haben, und vorbehaltlich ihrer Bestrafung nach §. 23 Abs. 2. Vgl. hierzu Erk. des Gerichtsh. f. kirchl. Angelegenh. v. 3. Okt. 1877 b. Hart m ann, Zeitschr. f. Gesetzgeb. d. öffentl. Rechts 4 S. 167. 30) EL Diese ist am 15. Mai 1873 erfolgt. 31) EL In dem Ges. v. 12. Mai 1873 §.' 24 Abs. 2 (Zus. 15 zu §. 124 d. T.) sind diese Folgen mit dem Ausdruck: „Entlassung aus dem Amte" bezeichnet, und damit klar gestellt, daß auch das geistliche Amt für den Staat als verloren gilt. Wenn im Arch. f. kath. K.R. 50 S. 331 aus der im 5$ 21 gewählten Fassung gefolgert wird, daß das Amt nur für den Staat, aber nicht für die Kirche als entzogen gelten solle, so ist dabei überseheil, daß die Stelle (das Amt und Pfründe) doch nicht staatlich erledigt und kirchlich unerledigt fein kann, und daß, wenn der Verlust des staatlichen und kirchlichen Amtseinkonnnens ausgesprochen ist, dies ebenfalls nur als Folge einer gleichfalls kirchlichen Erledigung aufgefaßt werden kann. Daß die Kommission des Abgeordnetenhauses, von welcher diese Formulirung herrührt, die Folgen, welche der §. festsetzt, irriger Weise als Entziehung des staatlichen Exequatur aufgefaßt hat, darüber P. Hinschius, Kirchenges. v. 1873 S. 149 Note 4. 32) H. Vgl. hierzu P. Hinschius i. v. Holtzendorff, Handbuch d. deutsch. Straf­ rechts 4. (Supplement-) Bd. S. 522 ff. 33) H. Vgl. hierzu die in den Anmerkllngen zu diesen $§. citirten Abänderungsgesetze und das Deklarationsgesetz Art. 1 in Zus. 11. — Auf die Anm. 98 Abs. 2 und 4 zu §. 15 des Ges. gedachten Fälle trifft die Strafbestimmung nicht zu. Ter Bischof stellt weder den Weihbischof noch die erwähnten Stellvertreter und Hülfsgeistlichen an, noch genehmigt er deren Bestellung; ferner ist der Dechant oder Pfarrer, der eine solche vorninrmt, nicht geistlicher Oberer im Sinne des Gesetzes. Außer der Nichtigkeit der Anstellung (§. 17) und der kraft derselben vorgenommenen Amtshandlungen, ferner der Bestrafung des Angestellten nach §. 23 tritt aber die weitere Folge ein, daß der Bischof, welcher dem Weihbischof die Vornahme von Amtshandlungen, der Dechant oder Pfarrer, der die Stellvertretung oder Hülfsleistung aufgetragen hat, als Anstifter zu dem im §. 23 vorgesehenen Vergehen nach §. 48 R Str.G.B. bestraft werden kaun. Vgl. auch Anm. 67 zu Art. 2 des folg. Zus. 11. 34) H. O.Tr. Str.S. II v. 4. Mai 1875, Oppenhoff, Rechtsprechung Bd. 16 S. 338: Die Genehmigung der Anstellung eines Geistlichen ist, wenn sie den gesetzlichen Vorschriften zuwider erfolgte, auch dann strafbar, wenn sie nicht auf die Uebertragung eines bestimmten Amtes gerichtet, sondern in der Form einer generellen Ermächtigung zu geistlichen Amtshandlungen ertheilt war. Erk. dess. Sen. I v. 28. Mai 1875, Oppenhoff a. a. O. Bd. 16 S. 397: Die bischöfliche Verleihung einer Urkunde über den rechtlichen Besitz einer Pfarre an den bisherigen Administrator derselben enthält die Uebertragung eines geistlichen Amtes. 35) H. D. h. ein Seelsorgeamt, dessen Inhaber unbedingt abberufen werden kann, ohne

Ges. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen v. 11. Mai 1873. §. 23.

Wer geistliche Amtshandlungen

233

in einem Amte vornimmt, welches ihm den

Genehinigung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten errichtet. Vollendet ist die Errichtung mit der Bekanntmachung des sog. Erektions-Dekretes, nmg diese öffentlich oder nur an die Be­ theiligten geschehen sein,' wenngleich auch die Verfügung noch nicht völlig ausgeführt ist, z. B. die Ernennung des Geistlichen oder die Uebergabe der nöthigen Vermögensstücke noch nicht stattgesunden hat. Die nachträglich eingeholte Genehmigung beseitigt demnach die Straffälligkeit nicht. 36) H. Geistliche Amtshandlungen sind alle Handlungen, die in Ausübung des geistlichen Amtes vorgenommen werden, selbst wenn sie, wie z. B. die Mitwirkung im KirchenDorstande, die Vornahme von Verwaltungsgeschäften, an und für sich nicht einen geistlichen Charakter haben. Auch diese sind daher strafbar. A. M. O.Tr. Str.S. II i. d. Erk. v. 6. April 1876, Entsch. 77 S. 265, Oppenhoff, Rechtsprechung 17 S. 365. Dieser Auffassung, welche zu den geistlichen Amtshandlungen nur die aus dem geistlichen Amte herfließenden Hand­ lungen geistlichen Charakters rechnet, steht die ratio legis entgegen. Das Gesetz will eine Uebertragung deS geistlichen Amtes seinen Vorschriften zuwider hindern, zu diesem Behufe erklärt es eine solche für nichtig und da es weiter die Ausübung des Amtes mit Strafe bedroht, so kann nur angenomnren werden, daß diese Strafandrohung ebenso weit gehen soll, als die 'Richtigkeit. Wenn das O.Tr. endlich auf eine Scheidung der geistlichen und jurisdiktionellen, das äußere Kirchenamt betreffenden Seite desselben Gewicht legt, so ist nur so viel richtig, daß das Gesetz die Jurisdiktions-Aemter als solche nicht trifft, daraus folgt aber noch nicht, daß eine solche Unterscheidung bei den Aemtern, auf ivelche es sich bezieht, gerechtfertigt ist. Ueberdies kommt noch der Art. 2 d. Deklaratoria (s. den folgenden Zusatz) in Betracht, welcher die Vornahme von Amtshandlungen schlechthin bestraft. H. Der tz. 23 beschränkt sich nicht auf geistliche Amtshandlungen, welche in einem PfarrAmt vorgenommen werden, O.Tr. v. 9. Jan. 1878, Oppenhoff 19 S. 13. Eben so sind strafbar alle Amtshandlungen, welche kraft des nichtig übertragenen Amtes oder des nichtigen Auftrages zilr Stellvertretung oder Hülfeleistung vorgenouunen worden sind, wenn sie auch möglicher Weise kraft der allgemeinen Standespflicht statthaben könnten, so auch das O.Tr. in d. Erk. v. 12. Juni 1874 (bei Hartmann, Ztschr. IS. 150, s. ferner Str.S. II v. 25. Febr. 1875, Entsch. 74 S. 327; Oppenhoff a. a. O. 16 S. 149); es genügt, daß die Handlung sich ihrem Wesen und ihrer äußeren Erscheinung nach als Ausfluß der Allsübung eines geistlichen AlnteS darstellt, Johoiv, Jahrb. d. Kamlllerger. 1 S. 214. H. Bergl. ferner O.Tr. v. 14. Febr. 1874, a. a. O. S. 151, u. v. 2. Juni 1874, Oppen­ hoff, Rechtsprechung 15 S. 354, wonach das Lesen einer stillen Messe in der Pfarrkirche — eben so Erk. des O.App.Ger. zu Berlin v. 21. März 1874, Oppenhoff, Rechtsprechung 15 S. 172 —das Halten einer Beerdigllngsrede und das Einsegnen einer Leiche, ferner Erk. dess. v. 30. Juni 1874, Hartmann 1 S. 49, wonach das Taufell, Trauen, Beicht­ hören, O.Tr. Str.S. II v. 6. April 1875, Oppenho ff 16 S. 267, wonach das Abhalten eines Hochamtes, v. 8. März 1876, a. a. O. 17 S. 192, wonach das Predigen und Einläuten eines päpstlichen Erlasses unter den Begriff der geistlichen Amtshandlungen im Sinne des §. 23 des Gesetzes fällt. Dagegen ist von der Verwaltungspraxis angenommen wordeil, daß das Lesen einer Messe durch den Geistlichen allein, falls sie ohne Zuziehung von Andächtigen, in Betreff derer dadurch eine cura animarum ausgeübt werden würde, erfolgt, als eine in Erfüllung der allgemeinen Priesterpflicht vorgenommene, also nicht strafbare Handlung ailzusehen ist, vgl. auch O.Tr. Str.S. II v. 15. Dez. 1874, Oppenhoff a. a. O. 15 S. 867, v. 4. März u. 8. Juli 1875, Oppenhoff 16 S. 184, 527, 639, s. ferner I ihow a. a. O. 3 S. 331. Ebenso wenig kann die von eiitem Geistlichen ertheilte Nothtau e in allen Fällen für eine geistliche Amtshandlung erachtet werden, vgl. a. a. O. S. 337. Die geistlichen Handlungen, welche'Privatkapläne in der Hauskapelle einer Familie für dieselbe vornehmen, qualifiziren sich nicht als Ausflüsse eines geistlichen Amtes, sie werden es aber dann, wenn dem Publikum der Zutritt gestattet wird, O.Tr. Str.S. II v. 25. Febr. 1875, Oppenhoff 16 S. 150, oder wenn sie in eigentlichen Parochialverrichtungen, z. B. Taufen, Ehe-Einsegnungen, zu deren Vornahme die Kapellen überhaupt nicht bestimmt sind, bestehen. In beiden Fällen werden die geistlichen Be­ dürfnisse solcher Personen befriedigt, für welche die allgemeinen kirchlichen, insbesondere PfarrEinrichtungen bestehen, und es bildet daher die Vornahme solcher Handlungen durch einen Privatkaplan die Ausübung von Hülsshandlungen für den Inhaber des geistlichen Amtes. Die K.O. v. 16. Febr. 1841, J.M.Bl. S. 159, welche übrigens nicht als Gesetz publizirt ist, kann für die Beurtheilung des Begriffs einer geistlichen Amtshandlung nach §. 23 nicht maß­ gebend sein. H. Dagegen hat das O.Tr., Str.S. (Pr. 339 Nr. 1) v. 12. Okt. 1874: „Ein Geistlicher, welcher unbefugt sich mit Ertheilung des religiösen Unterrichts in einer öffentlichen Volksschule befaßt, ist im Geltungsbereiche des L.R. nach dem §. 132 der. R.Str.G.B. strafbar", Entsch. 73

234

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

60 (Zusatz 10).

S. 406; Oppenhoff, Rechtsprechung des O.Tr. 15 S. 655; Hartmann a. a. O. 1 S. 305, ausgesprochen, daß die betreffende Handlung durch einen nichtig angestellten Geistlichen nicht nach §. 23 dieses Gesetzes strafbar ist. Begründet ist dies damit, daß nach I. 12 §§. 1 ff. L.R. die Schulen Veranstaltungen des Staates sind und der Aufsicht des Staates unter­ liegen, sowie daß der Art. 24 Äbs. 2 der Verf.Urk. über die Leitung des Religionsunterrichts in den Volksschulen durch die Religionsgesellschaften zu den nach Art. 112 bis zum Erlasse des Art. 26 vorgesehenen allgemeinen Unterrichtsgesetzes suspendirten gehöre, worin auch durch das Ges. v. 11. März 1872 (Zus. zu II. 12 §. 2) nichts geändert sei. Vgl. auch Str.S. 1 v. 10. Juni 1874, II v. 6. Jan. 1876, Oppenhoff 15 S. 375 u. 17 S. 10. Rach Str.S. II v. 12. Okt. 1876, a. a. O. 17 S. 656, ist es nach den Umstünden zu beurtheilen, ob der Religions­ unterricht, welchen ein staatlicherseits dazu nicht berechtigter Geistlicher den Schulkindern ertheilt, sich als schulplanmäßiger Unterricht und also als ilnbefugte Ausübung eines öffentlichen AinteS darstellt. Daher kann auch ein Religionsunterricht, ivenngleich sich derselbe nicht auf den Beichtund Kommunions-Unterricht beschränkt, sondern sich auch auf Materien erstreckt, welche den Gegenstand des schulplanmäßigen Unterrichts bilden, und Kinder, welche voraussichtlich erst im folgenden Jahre zur Beichte gehen, zugelassen iverden, ohne Rechtsirrthum als kirchlicher Religions­ unterricht angesehen werden. H. Darauf, daß der Geistliche auch die Absicht gehabt habe, das geistliche Amt als solches zu verwalten, konnnt es nicht an, s. O.Tr. Str.S. II v. 28. Mai 1874, Entsch. 72 S. 385; Oppenhoff, Rechtsprechung deö O.Tr. 15 S. 335: „in Erwägung, daß eine Verkennung des richtigen Sinnes des $. 23 darin liegt, wenn der Anklage-Senat es für erheblich erachtet hat, ob der Beschuldigte die fraglichen Amtshandlungen in der Absicht, das Pfarramt zu B. zu ver­ walten, vorgenommeir habe, da das Gesetz von einer derartigen Absicht die Strafbarkeit des Geistlichen im Falle des §. 23 nirgends abhängig macht, vielmehr als einzige in dieser Beziehung einschränkende Bestimmung die im 2 Abs. 2 enthaltene ausstellt/' Vgl. auch Erk. ders. Abth. v. 25. Febr. 1875, Entsch. 74 S. 327; Oppenhoff a. a. O. 16 S. 149, u. v. 17. Juni 1875, Oppenhoff 16 S. 460. H. Der §. 23 Abs. 1 setzt nicht voraus, daß die Uebertragung durch den geistlichen Oberen unmittelbar geschieht, sondern es genügt, wenn sie von ihm ausdrücklich oder stillschweigend ge­ nehmigt ist, O.Tr. Str.S. II v. 7. Mai 1874, Entsch. 72 S. 392, Oppenhoff 15 S. 289, v. 28. Mai 1874, Entsch. 72 S. 385, Oppenhoff a. a. O. S. 332, v. 1. März 1876, a. a. O. 17 S. 152. H. Die Frage, ob mehrere einzelne dem §. 23 zuwider vorgenommene Handlungen nach §. 74 zu bestrafen oder ob in diesem Falle die Voraussetzungen der 78 u. 79 des R.Str.G.B. vor­ liegen, war vom O.Tr. Str.S. I v. 6. Mai 1874 und II v. 2. Juni 1874, Entsch. 72 S. 346 ; Hartma n n, Ztschr. 1 S. 139; Oppenhoff a. a. O. 15 S. 281, 316, unter Heranziehung des §. 132 des R.Str.G.B. dahin entschieden worden, daß das Wesen des Vergehens des $. 23 nicht in der Vornahme der einzelnen Amtshandliuuzen, sondern in der unbefugten Ausübung des Amtes als solchen, welche sich in der Vornahme der einzelnen Handlungen manisestire, bestehe, während das frühere O.App.Ger. in dem Erk. v. 28. März 1874, J.M.Bl. von 1874 S. 126; Oppenhoff a. a. O. S. 197, angenommen hatte, daß jede einzelne geistliche Amtshandlung als thatsächlicher Ausdruck der Uebernahme des Amtes strafbar sei. Das Pr. 339 des O.Tr. Str.S. v. 12. Okt. 1874 Nr. 2: „Wenn Jemand in einem ihm den Vorschriften der §§. 1—3 des Gesetzes v. 11. Mai 1873 zuwider übertragenen Amte mehrere geistliche Amtshandlungen vor­ genommen hat, so steht der §. 23 dieses Gesetzes der Annahme der Jnstanzrichter nicht entgegen, daß der Schuldige mehrere selbstständige Handlungen begangen habe", Entsch. 73 S?406; Oppenhoff a. a. O. 15 S. 655; Hartmann a. a. O. 1 S. 305, hat sich mit Recht auf die letztere Seite gestellt. H. Um seine Strafbarkeit auszuschließen, kann sich der Geistliche auf einen Rechtsirrthum in Betreff der Grundsätze des Kirchenrechts berufen (§. 59 R.Str.G.B ), also z. B. darauf, daß er geglaubt habe, er sei kraft des ihm vor Erlaß der Maigesetze übertragenen Amtes zur Vor­ nahme der ihm zur Last gelegten Handlungen befugt gewesen, weil es sich hierbei nicht um einen Rechtsirrthum über das Strafgesetz und den Umfang des dadurch aufgestellten Verbotes handelt, O.Tr. Str.S. II v. 4. (v. 11.?) Juni 1876, Entsch. 77 S. 370 u. Oppenhoff 16 S. 320. Dasselbe gilt von einem Irrthum über den Umfang der ihm zustehenden Befugnisse seines Amtes, I v. 2. April 1876, Oppenhoff 20 S. 181. H. Erk. dess. I v. 17. Nov. 1876, Oppenhoff 17 S. 146: Die Straflosigkeit eines Hülfe leistenden Geistlichen ist von der Feststellung abhängig, daß die Hülfeleistung als Ausfluß einer eigenen pfarramtlichen Thätigkeit zu betrachten oder'daß doch der Geistliche sich dabei in un­ verschuldeter Kenntniß der thatsächlichen Voraussetzungen des Gesetzes befunden habe. H. Nur das Amtiren zuwider den citirten strafrechtlichen Vorschriften, nicht ein Amtiren,

Ges. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen v. 11. Mai 1873.

235

Vorschriften der §§. 1. bis 3. zuwider übertragen worden ist 37), wird mit Geldstrafe bis zu 100 Thalern bestraft ^). Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der geistliche Amtshandlungen in einem von ihm nicht dauernd39) verwalteten Pfarramte vornimmt, nachdenr er von dein Oberpräsidenten benachrichtigt worden ist, daß das Zwangsverfahren Behufs Wiederbesetzung der Stelle in Gemäßheit der Vor­ schrift in §. 18. Abs. 2. eingeleitet fei10). 8- 24. Wer geistliche Amtshandlungen vornimntt, nachdenr er in Folge gerichtlichen Straf­ urtheils die Fähigkeit zur Ausübung des geistlichen Amtes verloren hat (§. 21.), wird mit Geldstrafe bis zu 100 Thalern bestraft. §. 25. Ausländer "), welchen vor Verkülrdrrng dieses Gesetzes ein geistliches Amt") (§. 2.) v. lieber* oder eines der im §. 10. erwähnten Aemter an kirchlichen Anstalten übertragen worden ist, ^Schlußbeftimmungcn.

welches bloß kirchliche Satzungen verletzt, ist nach 8- 23 strafbar. Das hat zum Ueberfluß R.G. Str.S. I v. 11. Dez. 1879, Entsch. in Str.S. 1 S. 172, Ann. 1 S. 254, u. Arch. f. kath. K.R. 45 S. 70 erst feststellen müssen. 37) H. S. Anm. 33 zu 8- 22 des Ges. 38) H. Vergl. auch das R.G. v. 4. Mai 1874, s. Zus. 16 zu 8- 124 d. T., und ferner Art. 2 des Ges. v. 21. Mai 1874 (folg. Zus.). 39) H. In dem auf Grund des 8- 23 Abs. 2 eingeleiteteu Strafverfahren hat der Straf­ richter auch die Frage selbstständig zu entscheiden, ob das Pfarramt dauernd verwaltet sei oder nicht, wenngleich vorher der Oberpräsident für die von ihm einzuleitenden Maßregeln diese Frage gleichfalls zu prüfen hat, O.Tr. Str.S. II v. 16. Juni 1874, Entsch. 73 S. 390; Oppenhoff, Rechtspr. 15 S. 414. H. Eine dauernde Verwaltung des Pfarramtes liegt nicht vor, wenn auch der Geistliche, welcher es provisorisch verwaltet, "durch die Präsentation des Patrons ein persönliches Recht (jus ad rem) auf die Verleihung des Amtes erlangt hat. Das Gesetz versteht vielmehr darunter ein definitiv und unwiderruflich übertragenes Amt, so daß also noch das Hinzukommen der In­ stitution des Präsentirteu (der Erwerb des sog. jus in re) erforderlich ist, s. die cit. Entscheidung. 40) H. Dieser Absatz hat die Fälle im Auge, wo eine anfänglich interimistische Verwaltung von Pfarrämtern dadurch zu einer ungesetzlichen wird, daß die 8- 18 Abs. 1 dafür gestatteten Fristen abgelaufen sind. Ferner bezieht er sich auch auf die Vornahme von Amtshandlungen durch Sukkursal-Pfarrer, welche über die 8- 19 Abs. 2 gedachte Frist hinaus, obwohl sie nicht dauernd angestellt sind, ihr Amt weiter versehen, denn auch deren Aemter sind Pfarrämter, welche von jener Zeit ab dauernd verwaltet werden sollen. Bedingung der Strafbarkeit ist in diesen Fällen die Benachrichtigung des Oberpräsidenten, daß er dem geistlichen Oberen die dauernde Besetzung unter Androhung einer Geldstrafe aufgegeben habe. Damit, nicht mit einer bloßen Aufforderung ohne Präjudiz," beginnt das Zwangsverfahren. H. O.Tr. Str.S. II v. 3. Febr. 1876, Oppenhoff, Rechtsprechung 17 S. 83: Ein Gehülfe des Pfarrers, welcher geistliche Amtshandlungen an einer Pfarrkirche" vornimmt, an der das Pfarramt selbst seit mehr als Jahresfrist erledigt ist, fällt nur dann unter die Vorschrift des Abs. 2, wenn er Handlungen nicht kraft eigenen Rechtes, sondern in Ausübung der Rechte des Pfarrers vornimmt; s. ferner Str.S. II v. 11. Jan. 1877, a. a. O. S. 30: Ein vor Inkraft­ treten der Maigesetze angestellter Pfarrer darf (abgesehen von etwaigen aus dem Parochialzwang folgenden Ausnahmen) in seinem Pfarrbezirk geistliche Amtshandlungen auch für die nicht in demselben Eingesessenen, insbesondere die Parochianen einer benachbarten Parochie vornehmen, selbst dann wenn er früher mit der gleichzeitigen Verwaltung des benachbarten Pfarramtes be­ traut gewesen ist und inzwischen von dem Oberpräsidenten die gesetzlich vorgeschriebene Benach­ richtigung über das behufs der Wiederbesetzung eingeleitete Zwangsverfahren erhalten hat, sofern er nur die betreffenden Amtshandlungen nicht in der Absicht vornimmt, die Verwaltung der benachbarten Parochie fortzusetzen. Vgl. übrigens jetzt Art. 5 des Ges. v. 14. Juli 1880 (Zus. 69 zu 8- 1043 d.T.) und Art. 3 des Ges. v. 11. Juli 1883 (s. folgenden Zus. 12). Wenngleich in Folge der Einleitung des Zwangsverfahrens die von dem provisorisch angestellten Geistlichen vorgenommenen Amtshandlungen strafbar sind, so hat das Gesetz sie doch nicht für nichtig erklärt. So auch in Bezug auf eine Eheschließung: R.G. I. H. v. 5. Mai 1882, Entsch. 7 S. 227, Annal. 5 S. 553. Val. lnerzu auch Zeitschr. f. K.R. 17 S. 320 und Jurist. Rundschau f. d. kathol. Deutschland Heft 2 S. 57. 41) H. D. h. nicht Deutsche, s. 8- 1 des Ges. 42) H. Das Citat ergiebt, daß unter Amt auch die Versetzung einer Stellvertretung oder Hülfsleistung gemeint ist.

236

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 60 (Zusatz 10).

haben bei Vermeidung der Folgen des 21.13) innerhalb sechs Monaten die Reichsangehörigkeit zu erwerben"). Der Minister der geistlichen Angelegenheiten kann mit Rücksicht auf die besonderen Be­ dürfnisse des einzelnen Falles diesen Zeitraum verlängern. §. 26. Die Vorschriften dieses Gesetzes über den Nachweis wissenschaftlicher Vorbildung und Befähigung finden keine Anwendung auf Personen, welche vor Verkündung dieses Gesetzes ") im geistlichen Amte nngestellt sind oder die Fähigkeit zur Anstellung im geistlichen Amte erlangt") haben47). Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, denjenigen Personen, welche vor Verkündung dieses Gesetzes in ihrer Vorbildung zum geistlichen Amte vorgeschritten waren48), den in diesem Gesetze vorgeschriebenen Nachweis der Vorbildung ganz oder theilweise zu erlassen. Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist auch ermächtigt, Ausländer4") von den Erfordernissen des §. 4. dieses Gesetzes zu dispensiren. §. 27. Die in den §§. 4. und 8. dieses Gesetzes vorgeschriebene Staatsprüfung kann mit der theologischen Prüfilng verbunden werden -'"), insofern die Einrichtung dieser letzteren Prüfung

43) H. Der Erledigung der Stelle, der Unfähigkeit zur Ausübung des betreffenden Amtes und des Verlustes des Amtseinkommens. Die Vornahme von geistlichen Amtshandlungen, nach­ dem diese Wirkungen eingetreten sind, ist nicht unter Strafe gestellt, da der aus den §§. 23 und 24 zu entnehmende Thatbestand diesen Fall nicht mU umfaßt. Dagegen können solche'Geist­ liche, wie alle andern Ausländer, ausgewiesen werden. Dasselbe gilt auch von den Lehrern und Erziehern, deren Beibehaltung nach Ablauf der Frist seitens der" geistlichen Behörden nicht zu den im §. 13 festgesetzten Maßregeln berechtigt. 44) H. Die Reichsangehörigkeit muß also binnen des vorgeschriebenen Zeitraums nicht bloß nachgesucht, sondern auch erworben sein, sonst treten die erwähnten Folgen, sofern nicht etwa vom Minister der geistlichen Angelegenheiten eine längere Frist bewilligt ist (s. Abs. 2), ohne weiteres ein. 45) H. Vgl. Anm. 30 zu §. 19 des Ges. 46) H. D. h. die zu diesem Behufe nöthigen Examina abgelegt haben. Demnach muß da, wo für die evangelischen Theologen 2 Examina (exanien pro lieentia concionandi und pro ministerio) bestehen, wie in Altpreußen, das letzte abgelegt sein. WaS die katholischen Geistlichen betrifft, so müssen diese die bis dahin für die Erlangung des Pfarramtes erforderliche Prüfung, die Pfarrkonkurs- oder Pfarrbefähigungs-Prüfung, welche von Zeit zu Zeit in den einzelnen Diözesen abgehalten wird (für Breslau s. Sauer, pfarramtl. Geschäftsverwaltung 2. Aufl. Breslau 1868 S. 34; für Paderborn, Gerlach, Paderborner Diözesanrecht 2. Ausl. S. 19) absolvirt haben. Die Ablegung der Examina pro approbatione. d. h. derjenigen, kraft welcher nur die Befugnis; erlangt wird, auf bestimmte Zeit die )^probation zur Seelsorge zu erhalten und Aushülfe in derselben zu leisten, genügt nicht. Die Bestimnlung des §. 26 kommt auch für die Versetzung von Hülfsämtern oder Stell­ vertretungen, die dem Geistlichen vor dem Inkrafttreten des Gesejzes übertragen worden sind, zur Anwendung, vgl. Anm. 42 zu §. 25 des Ges.; dagegen trifft sie nicht zu für Ordettsgeistliche, wenn vor dem gedachten Zeitpunkte bloß vom Bischof ein genereller Auftrag an den Orden bez. ein Kloster desselben zur Verwaltung der Seelsorge ertheilt worden ist, weil daraus der einzelne Ordensgeistliche für seine Person kein Recht erlangt hat. 47) H. Nach dem Cirk.Erl. d. evang. Ober-Kirchenraths v. 26. März 1878, kirchl. Ges. u. Verordn.Bl. v. 1878 S. 67, hat der Kultusminister in einen; Spezialfall entschieden, daß die Vorschrift sich auch auf solche bezieht, welche die Fähigkeit in andern Landeskirchen des deutschen Reiches außer der preußischen erlangt haben. Vgl. auch Anm. 67 a. E. zu Art. 2 des Ges. v. 21. Mai 1874 (Zus. 11). 48) H. Mindestens muß also das theologische Studium zurückgelegt sein. 49) H. Diese Dispensationsbefugniß erstreckt sich nur auf die Erfordernisse der Vorbildung (§. 4), nicht auf die von der Nothwendigkeit des Erwerbes der Reichsangehörigkeit (§. 1), s. auch R.G. Str.S. I v. 24. Nov. 1879, Rechtsprechung in Strafsachen 1 S. 91, Annäl. 1 S. 256 und Arch. f. kath. K.R. 45 S. 67. Von letzterem Requisite gab es imd) dem Gesetz keine Dispen­ sation, jetzt kann sie aber unter bestimmten Beschränkungen stattfinden, vgl. Anm. 38 zu §. 1 des Ges., Anm. 49 zu §. 3 und Annr. 78 zu §. 10. 50) H. Also gleichzeitig abgehalten, aber nicht dadurch ersetzt werden. Die mit der theo­ logischen Prüfung kombinirte Staatsprüfurrg muß also immer als eine selbstständige erscheinen.

Ges. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen v. 11. Mai 1873.

237

und die Bildung der Prüfungskommissionen Behörden zusteht, deren Mitglieder sämmtlich oder theilweise vom Könige51) ernannt werden. §. 28. Die Vorschriften dieses Gesetzes über das Einspruchsrecht des Staats (§§. 1. 3. 10. 15. und 16.) finden in den Fällen keine Anwendung, in welchen die Anstellung durch Be­ hörden erfolgt52), deren Mitglieder sämmtlich vom Könige ernannt werden"'^). §. 29. Soweit die Mitwirkung des Staats54) bei Besetzung geistlicher Aemter auf Grund des Patronats oder besonderer Nechtstitel55) anderweit geregelt ist, behält es dabei sein Be­ wenden'^). Desgleichen werden die bestehenden Rechte des Staats bezüglich der Anstellung von Geistlichen beim Militair"^) und an öffentlichen Anstalten durch das vorliegende Gesetz nicht berührt.

Es ist mithin ein besonderes Zeugniß darüber auszustellen. Sind bestimmte Mitglieder der theologischen Prüfungskommission auch zu den Examinatoren für die Staatsprüfung ernannt, so haben sie diese letztere allein vorzunehmen und auch allein über den Ausfall abzustimmen. Vgl. hierzu z. B. den Erlaß des Konsistor. zu Berlin v. 6. Febr. 1875 (Allg. Kirchenblatt f. d. evang. Deutschl. 1875 S. 451). 51) H. Das ist wenigstens in der Regel der Fall mit den Prüfungs-Kommissionen für die evangelischen Theologen. Diese bestehen mindestens 511m Theil aus Mitgliedern der Kon­ sistorien oder Professoren der Universitäten, welche durch den König ernannt werden. Das „theilweise" erklärt sich daraus, daß sowohl nach der rhein.-westfäl. Kirchen-Ordn. v. 1835 §. 49, als auch nach der Kirchengemeinde- und Synodal-Ordnung für die älteren 6 östlichen Provinzen v. 10. Sept. 1873 §. 65 Rr. 9 Mitglieder der Provinzialsynoden, welche von denselben gewählt werden, den theologischen Prüfungen der evangelischen Kandidaten mit vollem Stimmrecht beizinvohnen befugt sind. Vereinzelte Ausnahmen kommen allerdings vor, so legen z. B. die in dem Berliner Seminaire de theologie befindlichen reformirten theologischen Studenten nach Beendigung ihrer Studienzeit ein die sonstige erste theologische Prüfung ersetzendes Examen pro candidatura ab. Wenngleich die Abhaltung desselben dem Provinzial-Konsistorium angezeigt wird und dieses auch die Censuren bestätigt, so wird doch die Staatsprüfung mit diesem Examen nicht verbunden: werden dürfen, weil die sranzösisch-reformirten Geistlichen der Stadt Berlin dabei als Examina­ toren fungiren, und diese nicht vom König ernannt werden. 52) H. Gleichviel ob durch freie Uebertragung des geistlichen Amtes oder nur durch Be­ stätigung der von anderen Personen vorgenommenen Designation, Präsentation, Wahl u. s. w. 53) H. Die Voraussetzung des Fortfalls des Einspruchsrechts ist 1) die Ernenuung, nicht bloß die Bestätigung der Mitglieder (z. B. etwa später von den protestantischen Synoden in Vorschlag zu bringender Konsistorial-Mitglieder) durch den König, und 2) das Ernennungsrecht hinsichtlich aller Mitglieder. Das Gesetz eximirt nach seiner Fassung keine bestimmte Kirche. Da aber für die evangelischen Landeskirchen der einzelnen Provinzen diese Voraussetzungen, ab­ gesehen von bestimmten singulären Fällen, obwalten (Anm. 98 zu §. 15 dies. Ges ), so unterliegt die Verleihung der evangelischen geistlichen Aemter für die Regel nicht dem Einspruchsrecht. 54) H. Die Befugnisse desselben, welche über das bloße negative, durch Einspruch geltend zu machende Recht der Abwehr hinausgehen oder wenigstens ein umfassenderes Einspruchsrecht als das Gesetz gewähren. 55) H. Für die Besetzung der katholischen B i s ch 0 f s st ü h l e, vergl. Zus. zu §. 1022 d. T., und der Kanonikate, ebendaselbst. Zu den besonderen Rechtstiteln gehört auch der zwischen d. preuß. Regierung und dem Erzbischof von Posen vereinbarte Vertrag v. 16. Sept. 1854, wonach bei der Besetzung bestimmter Pfarrstellen der Oberpräsident in Vertretung des Staates befugt ist, unter den ihm vorher zu benennenden Kandidaten die personae minus gratae auszuschließen, Arch. f. kath. K.R. 24 S. 229. 56) H. Nur so weit die Vorschriften des Gesetzes mit der anderweit geregelten Mitwirkung des Staates nicht vereinbar sind, ist seine Anwendung ausgeschlossen. Die Bestimmungen des­ selben über die Nothwendigkeit der Reichsangehörigkeit und vorgeschriebenen wissenschaftlichen Bildung finden auch auf die hier in Rede stehenden Aemter Anwendung. Die Bischöfe und Domherren müssen also z. B. Deutsche sein. Dadurch ist der Bulle de salute animarum, welche die Wahl eines Preußen für den erledigten Bischofsstuhl fordert, gegenüber eine allerdings schon längst praktisch gehandhabte Erweiterung herbeigeführt. 57) H. In Betreff der evangelischen Militürgeistlichen vergl. §§. 7 — 20 der MilitärKirchenordnung v. 12. Febr. 1832, G.S. S. 69, u. Allerh. Erlaß v. 12. Dez. 1867, G.S. v. 1868

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Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 60 (Zusätze 10 und 11).

§. 30. Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt58). Urkundlich re.

S. 47. Nachdem durch die K.O. v. 15. März 1873 die durch das päpstliche Breve v. 22. Mai 1868 (Arch. f. kath. K.R. 20 S. 432 u. Lünnemann, Handb. der kath. Militärseel­ sorge Preußens. Köln 1870 S. 86) kreirte Stelle eines katholischen Feldpropstes der Armee aufgehoben worden ist, hat man von einer anderweitigen besonderen Organisation der katholischen Militärseelsorge abgesehen, vielmehr werden gemäß eines Erlasses des Kriegsministers v. 11. Juni 1873 nötigenfalls geeignete Eivilgeistliche, welche sich die erforderlichen geistlichen Vollmachten beschaffen, zu stellvertretenden Militärgeistlichen durch den Kriegsminister im Einverständniß mit dein Kultusminister ernannt. 58) H. Zur Ausführung des Gesetzes ist ergangen die Instruktion des Ministers der geistlichen Angelegenheiten für die durch das Gesetz vom 11. Mai 1873, G.S. S. 191, angeordnete wissenschaftliche Staats-Prüfung der Kandidaten des geistlichen Amts. Vom 26. Juli 187 3. (M.Bl. f. d. i. V. S. 289.) H. 1. Der Zweck der Prüfung ist, zu erforschen, ob der Kandidat sich die für das geistliche Amt erforderliche allgemeine wissenschaftliche Bildung erworben hat. t ). 2. Die Gegenstände der Prüfung sind: Philosophie, Geschichte und deutsche Literatur. § . 3. Der Ort und die Termine der Prüfung werden in öffentlichen Blättern der verschiedenen Provinzen zu Anfang jedes Jahres bekannt gemacht. § . 4. Die Mitglieder der Prüfungs-Kommission und der Vorsitzende unter ihnen werden von dem Minister der geistlichen re. Angelegenheiten: auf die Dauer eines Jahres ernannt. Jedes der drei Fächer ist in der Komnüssion durch einen besonderen Eraminator vertreten. § . 5. Die Meldung zur Prüfung geschieht bei dem Vorsitzenden der Kommission. Vorzulegen sind bei der Meldung: a) eine kurze Darstellung der bisherigen Lebensverhältnisse und des Bildungsganges des Kandidaten in deutscher Sprache. Es muß daraus unter anderem auch zu ersehen sein, wann und wo derselbe geboren, welches Standes sein Vater ist, und welcher Konfession er selbst angehört; b) das Zeugniß über die Ablegung der Entlassungs-Prüfung auf einem deutschen Gym­ nasium; c) die Zeugnisse über die Zurücklegung eines dreijährigen theologischen Studiums auf einer deutschen Staats-Universität oder auf einem kirchlichen Seminar, in Betreff dessen der Minister der geistlichen Angelegenheiten nach §. 6 des Gesetzes vom 11. Mai d. I. anerkannt hat, daß das Studium "auf demselben das Universitäts-Studium zu ersetzen geeignet sei, sofern der Kandidat dem Sprengel angehört, für den das Seminar errichtet ist. Ist ein Kandidat in der Lage, eine von ihm herausgegebene Druckschrift oder eine andere freie Ausarbeitung mit vorlegen 511 können, so ist ihm dies gestattet, und die Kommission wird dergleichen Leistungen bei der Prüfung und bei der Beurtheilinug des Kandidaten nach Befinden berücksichtigen. §. 6. Die Prüfung ist öffentlich und nur mündlich. Der Vorsitzende bestimmt die Zahl der gleichzeitig zu prüfenden Kandidaten. g. 7. Ziele der Prüfung und leitende Gesichtspunkte für dieselbe. Es kommt bei allen drei Gegenständen §. 2 nicht sowohl darauf an, daß eine Menge einzelner geschichtlicher Notizen in das Gedächtniß aufgenoimnen, als vielmehr darauf, daß der innere Zusammenhang der Hauptmonrente der Entwickelung eines jeden derselben mit wissen­ schaftlichem Sinn erfaßt sei und klar dargelegt werden könne. Dabei wird die Kommission dem Nachweise spezieller frei gewählter Studien auf einem der drei Prüfungsgebiete gebührende Beachtung schenken. A. Philosophie. Der Kandidat muß von dem Begriff der Philosophie und ihren verschiedenen Disziplinen eine deutliche Erkenntniß haben, und mit der Geschichte der Philosophie so weit bekannt sein, daß er das Charakteristische der epochemachenden Systeme sowie ihr gegenseitiges Verhältniß in ihrer Aufeinanderfolge anzugeben im Stande ist. Er muß ferner eine nähere Bekanntschaft mit den Grund lehren der Psychologie und der Logik, sowie mit den­ jenigen Systemen wissenschaftlicher Pädagogik nachzuweisen vermögen, welche in den letzten zwei Jahrhunderten einen nachhaltigen Einfluß auf Erziehung und Unterricht gehabt haben. B. Geschichte. Die Anforderung auf diesem Gebiet ist, daß der Kandidat einen sicheren Ueberblick über die allgemeine Entwickelung der Weltgeschichte besitze, und mit der Geschichte

Ges. wegen Deklaration und Ergänzung des Gesetzes v. 11. Mai 1873 re.

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11. Gesetz wegen Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen (Gesetz - Samml. 1873. S. 191). Vom 21. Mai 1874. (G.S. S. 139.) Wir rc. verordnen, mit Zustinimung beider Häuser des Landtages Unserer Monarchie, zur Deklaration und Ergänzung des Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873., was folgt: Art. 1. Das Gesetz vom 11. Mai 1873. wird dahin deklarirt ^), daß die Uebertragung der drei letzten Jahrhunderte, vornehmlich aber mit der vaterländischen Geschichte, im weiteren und engeren Sinne des Wortes genauer bekannt sei. Ein besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, ob der Kandidat von den die verschiedenen Zeiträume bewegenden und be­ herrschenden Ideen, sowohl nach der politischen Seite wie nach der der Kulturentwickelung, eine klare Vorstellung hat. Der künftige Beruf des Kandidaten legt es nahe, dabei auch das Gebiet der Kirchengeschichte zu betreten, und den Einfluß zur Sprache zu bringen, welchen die Religion und die Kirche sowohl aut das Staatsleben wie auf die Kultur der Völker gehabt hat. C. Deutsche Literatur. Auch bei diesem Gegenstände ist die Prüfung hauptsächlich darauf zu richten, ob ben Kandidaten der innere Entwickelungsgang und diejenigen geschichtlichen Momente bekannt sind, welche auf denselben fördernd oder hemmend eingewirkt haben. Auf Jahreszahlen und dergleichen ist dabei wie bei allen geschichtlichen Theilen der Prüstmg kein unverhältnißmäßiger Werth zu legen. Die hervorragenden Schriftsteller der deutschen Rational-Literatur, vornehmlich aus den beiden letzten Jahrhunderten, dürfen keinem Kandidaten unbekannt sein, und die eingehendere Beschäftigung mit einigen der bedeutendsten klassischen Werke 11111(5 von jedem nachgewiesen werden können. Die Prüfung hat den Kandidaten Gelegenheit zu geben, sich in dieser Beziehung über die nach freier Wahl getriebenen Studien auszusprechen. 8- 8. Ueber den Gang der Prüfung wird wechselnd von den Mitgliedern der Kommission, welche während der ganzen Prüfung anwesend bleiben, ein Protokoll ausgenommen. Dasselbe wird von allen Mitgliedern unterzeichnet. §. 9. Die Dauer der Prüfung richtet sich nach dem Zweck derselben. Bei zweifelhaftem Ergebniß kann der Vorsitzende eine Fortsetzung der Prüfung in dem betreffenden Gegenstände anordnen. Ebenso ist derselbe befugt, auch in den von ihm nicht vertretenen Fächern seinerseits ergänzende Fragen zu stellen. §. 10. Die Entscheidüng über den Ausfall der Prüfung wird von der Kommission kollegialisch getroffen und den Kandidaten alsbald mitgetheilt. Die Annahme einer Kompensation unter den drei Gegenständen ist dabei nur soweit zulässig, daß ein Mangel an Detailkenntniß in der deutschen Literatur-Geschichte durch desto gründlichere Kenntnisse im Gebiet der allgemeinen Geschichte und der Philosophie ausgeglichen werden kann. 8- 11. Das über das Ergebniß der Prüfung auszustellende Zeugniß lautet auf „be­ standen" oder „nicht bestanden", nachdem zuvor bei den einzelnen Gegenständen Dasjenige an­ gegeben ist, was für die Beschaffenheit der Kenntnisse und der allgemeinen geistigen Bildung des betreffenden Kandidaten bezeichnend ist. §. 12. Wiederholung der P r ü f u n g. Diejenigen Kandidaten, welche die Prüfung nicht bestanden haben, können zu derselben nicht vor Ablauf eines halben Jahres wieder zuge­ lassen werden. Sie haben sich wegen der Wiederholungsprüfung an dieselbe Kommission zu wenden, von welcher sie das erste Mal geprüft worden sind. Die Zulassung bei einer andern Kommission bedarf der Genehmigung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten. 8. 13. Eine Prüfungs-Geb ü h r wird von den Kandidaten nicht erhoben. 8- 14. Am Ende jedes Jahres wird von jeder Kommission dem Minister der geistlichen Angelegenheiten ein Verzeichniß der im Laufe desselben von ihr geprüften Kandidaten mit Angabe der Prüfungsergebnisse eingereicht. §. 15. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch Anwendung, wenn die Staatsprüfung mit der theologischen Prüfung verbunden wird. Die durch diese Verbindung bedingten Ab­ änderungen und Ergänzungen bleiben besonderer Verfügung vorbehalten. 59) H. Die Motive des Gesetzentwurfes bemerken hierzu (Drucks, des Abg.H. 12. Legisl. - Per. I. Seff. 1873/1874 Rr. 280 S. 5): „Das Bedürfniß einer Deklaration der 88- 22 xi. 23, im Zusammenhang damit auch der 88- I7 und 1 des Ges. v. 11. Mai v. I. ist dadurch hervorgerufen, daß einzelne Gerichte erster Instanz" — s. P. Hinschius, Kirchen­ gesetze von 1873 S. 150 Anm. 2 — „die Strafbestimmungen der 88- 22 und 23 nur auf solche Fälle beziehen wollen, wo gegen eine Anstellung seitens des Oberprüsidenten wirklich der Ein­ spruch erhoben worden sei, und daß demgemäß in den Fällexx von ihnen auf Freisprechung erkannt ist, wo eine Benennung des Kandidaten beiin Oberpräsidenten in Gemäßheit des 8- 15 gar nicht stattgehabt hatte. Hervorgerufen ist diese Auffassung vornehmlich durch die jetzige

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Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 60 (Zusatz 11).

eines geistlichen Amtes ^0), sowie die Genehmigung einer solchen Uebertragung61) auch dann den

Fassung des §. 17, welche anscheinend eine Unterscheidung zwischen solchen Anstellungen, die dem §. 1 zuwiderlaufen, und solchen, die vor Ablauf der für den Einspruch gewährten Frist erfolgen, aufstellt. Diese Annahme muß zwar für unbegründet erachtet werden, in so fern die Worte im §. 17: „oder welche vor Ablauf der im §. 15 für die Erhebung des Einspruchs gewährten Frist erfolgt," gar nicht den Zweck haben sollten und konnten, eine besondere, neben den Vorschriften des §. 1 hergehende Übertragung des geistlichen dlmts als nicht geschehen zu bezeichnen, sondern, wie die Entstehungsgeschichte der jetzigen Fassung deutlich ergiebt, auf Vorschlag der Kommission des Abgeordnetenhauses in das Gesetz nur deshalb ausgenommen sind, um, wie es in dem Kommissionsberichte vom 3. Februar pr. Seite 29 heißt: „eine Fassungsverbesserung zum voll­ ständigeren Ausdruck des Gemeinten herbeizuführen". Auch kann es keinem begründeten Zweifel unterliegen, daß, wenn schon der §. 1 selbst als Erfordernis; für die Uebertragung eines geist­ lichen Amts aufstellt, „daß gegen die Anstellung kein Einspruch von der Staatsregierung erhoben worden ist," zur Feststellung dieses Requisites gehört, das; die im Gesetz vorgeschriebene Benennung erfolgt und nach derselben innerhalb der gesetzlichen Frist kein Einspruch erhoben worden, weil von der Erhebung des Einspruchs überhaupt erst die Rede sein kann, wenn die Benennung vorangegangen ist; denn ohne Benennung gilt die Anstellung als nicht geschehen (§. 17), und gegen einen nicht geschehenen Akt kann selbstverständlich auch kein Einspruch erhoben werden. Obwohl nun auch die große Mehrzahl der Gerichte dieser letzteren Auffassung gefolgt ist, so hat doch die gegentheilige Ansicht in neuester ^eit an Anhang gewonnen, so daß jetzt schon von sieben verschiedenen Gerichten freisprechende Erkenntnisse in jenem Sinne ergangen sind. Es leuchtet ein, daß hieraus, zumal wenn diese, als irrig zu bezeichnende Auffassung nock) weitere Verbreitung finden möchte, nicht nur für die Rechtssicherheit, sondern auch für die Durchführung der kirchenpolitischen Gesetze vom Mai v. I. die allerbedenklichsten Folgen entstehen müßten. Denn einmal würde unter allen Unrständen eine längere Zeit vergehen, bis durch die Recht­ sprechung des Obertribunals und des Ober-Appellationsgerichts eine feste Norm gewonnen werden würde, während die Staatsregierung inzwischen in den betreffenden Bezirken dem gesetzwidrigen Verhalten der Bischöfe und der Geistlichkeit gegenüber völlig wehrlos dastände, und sodann würde, wenn weitere derartige Entscheidungen erfolgten, den Bischöfen sogar die Möglichkeit geboten werden, ihr Verhalten durch Berufurrg auf diese gerichtlichen Erkenntnisse mit einem Scheine des Rechtes zu umgeben und auf diese Weise ihren Widerstand in den Augen der Gemeinden als mit den Gesetzen nicht einmal im Widerspruch stehend erscheinen zu lassen. Aus diesen Gründen erscheint es dringend gerathen, sofort eine Deklaration der §§. 22 und 23 des Gesetzes vom 11. Mai pr. eintreten zu lassen. — Was die Fassung einer solchen Deklaration betrifft, so ist, nachdem einmal Zweifel über die Bedeutung der Worte, „welche den §§. 1—3 zuwiderläuft", entstanden sind, Vorsorge zu treffen, daß alle Fälle einer gesetzwidrigen Ueber­ tragung eines geistlichen Amtes oder der Genehmigung einer solchen getroffen werden, damit nicht Naum zu neuen Zweifeln frei bleibe. Demgemäß sieht der Artikel 1 alle denkbaren Fälle, sowohl einer Uebertragung ohne jede Benennung, als auch einer Uebertragung vor der Benennung, als auch endlich einer solchen Uebertragung vor, die entweder gleichzeitig mit der Benennung, oder nach der Benennung, jedoch vor Ablauf der für die Erhebung des Einspruchs gewährten Frist erfolgt." H. Die durch den Artikel l jetzt gesetzlich festgestellte Auslegung der §§. 1—3, 15 (§. 17) des Ges. v. 11. Mai 1873 ist schon von Anfang an von P. Hinschius, Kirchengesetze von 1873 S. 135 Anm. 2 u. 3 vertheidigt worden. Dieser Ansicht haben sich angeschlossen Witkowski in Behrend u. Dahn, Zeitschr. f. deutsche Geseügeb. 8 S. 223 ff., 229, ferner das O.Tr. Str.S. II in den Erk. v. 26. Febr. 1874 (J.M.Bl. v. 1874 S. 78, Entsch. 72 S. 363, Oppenhoff, Rechtspr. des O.Tr 15 S. 116) u. v. 9. April 1874 (Entsch. a. a. O. S. 339, Oppenhoff a. a. O. S. 213, vergl. auch das Erk. v. 31. Dez. 1873 bei Hart­ mann, Zeitschr. 1 S. 145, v. 6. u. 8. Akai 1874 bei Oppenhoff a. a. O. S. 285, 294, v. 2. Juni 1874, a. a. O. S. 346) und das jetzt aufgehobene Ober-Appellationsgericht zu Berlin im Erk. v. 21. März 1874 (J.M.Bl. a. a. O. S. 120, Oppenhoff a. a. O. S. 180). Auf die Gründe, welche gegen diese Ansicht geltend gemacht worden sind (vergl. Kugel, Archiv f. kath. K.R. 32 S. 132, u. Gerlach, d. Bedeutung der Strafbestimmungen in den §§. 22, 23 des Ges. v. 11. Mai 1873. Paderborn 1874), braucht jetzt, wo die Kontroverse gesetzlich entschieden ist, nicht mehr eingegangen zu werden. H. Da der Artikel 1 nur eine Deklaration enthält, so findet er auch auf alle vor dem Inkraft­ treten des Gesetzes vorgekommenen Fälle Anwendung. 60) H. Vergl. Anm. 36 zu §. 1 in Zus. 10 zu'tz. 60 d. T. 61) H. Hierunter sind die Fälle zu verstehen, wo ein Drittberechtigter, der Patron, die wahlberechtigte Gemeinde, ein Pfarrer, der sich seinen Vikar ernennt, konkurrirt, und der geistliche Obere den Vorgeschlagenen oder Ernannnten bestätigt.

Ges. wegen Deklaration und Ergänzung des Gesetzes v. 11. Mai 1873 rc.

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Vorschriften der §§. 1. bis 3. des Gesetzes §2) zuwider sind, wenn dieselben ohne die im §. 15. daselbst vorgeschriebene Benennung des Kandidaten oder vor dieser Benennung oder vor Ablauf der im §. 15. für die Erhebung des Einspruchs gewährten Frist erfotgetx63). Art. 2. Die Strafe des §. 23. des Gesetzes vom 11. Mai 1873. trifft einen jeden Geist­ lichenwelcher Amtshandlungenb-') vornimmt60), ohne den Nachweis führen zu sonnen67), daß

H. Die Ausdrücke: „Übertragung eines geistlichen Amtes, sowie die Genehmigung einer solchen Uebertragung" umfassen auch 1) die widerrufliche Übertragung des Amtes, 2) die Übertragung einer Stellvertretung oder Hülfsleistung, 3) die Uebertragung eines Amtes an einen schon in einem andern Amt befindlichen Geistlichen, 4) die Verwandlung einer widerruflichen Anstellung in eine dauernde und 5) die Genehmigung zu diesen Akten, denn der Art. 1 zieht die davon handelnden §§. 2 u. 3 des Ges. v. 11/Mai 1873 ausdrücklich an, und diese stellen die gedachten Fälle der im §. 1 erwähnten Uebertragung des Amtes gleich, s. auch P. Hinschius, Kirchenges. v. 1873 S. 135 Sinnt. 1. 62) H. Jetzt in ihrer Abänderung und Beschränkung, wie sie in Slum. 49 a. E. zu §. 3 des Zus. 10 (vgl. §. 60 d. T.) angegeben sind. 63) H. Nach dieser Vorschrift steht der Nichtbeachtung des nach §. 15 erhobenen Ein­ spruches gleich: 1. die Anstellung des Kandidaten ohne jedwede Benennung, 2. die Anstellung mit gleichzeitig oder nachher erfolgter Benennung, 3. die Einstellung vor dem Ablauf der 30tägigen Einspruchsfrist. Es ergiebt sich daher 1. daß die Uebertragung eines Amtes, die Genehmigung einer solchen oder die Vornahme der Sinin. 61 gedachten Akte in der Abs. 1 unter 1—3 erwähnten Weise gegen §. 1 des Ges. v. 11. Mai 1873 verstößt, und daß demgemäß 2. nach §. 17 dieses Gesetzes die gedachten Akte nichtig sind, 3. der Obere, welcher sie vornimmt, der Strafe des §. 22 Abs. 1 desselben verfällt, 4. der Geistliche, welcher auf Grund eines solchen Slktes Amtshandlungen ausübt, der Strafe des 23 Abs. 1 a. a. O. unterliegt, endlich 5. daß die Anstellung eines Lehrers an den §. 10 des citirten Gesetzes genannten Anstalten gleichfalls unter Verletzung desselben erfolgt ist, wenn dabei in der Abs. I unter 1—3 gedachten Art verfahren ist, sowie daß auch in diesen Fällen die Folgen des §. 13 eintreten, weil der £. 12 die §§. 15 und 17 und letzterer den §. 1, also damit auch die vorliegende Tetlaratoria, anzieht. Vgl. auch Sinnt. 13 a. E. zu Art. 1 des Ges. v. 11. Juli 1883 (Zus. 12). 64) H. Nach O.Tr. Str.S. I v. 23. Juni 1875, Entsch. 75 S. 410, Oppenhoff, Rechtspr. 16 S. 485, bezieht sich dies nicht auf evangelische Geistliche, welche durch das zuständige Konsistorium im Disziplinarwege ihres Amtes entsetzt sind, weil diese dadurch die Qualität als Geistliche verlieren. Ueber das letztere vgl. Heppe i. Zeitschr. f. K.N. 13 S. 241; Zimmer­ mann a. a. O. 14 S. 34. Eine Bestrafung wäre daher nur statthaft, wenn man im Art. 2 unter den „Geistlichen" auch einen „gewesenen Geistlichen" verstehen könnte. Dies ist aber nach dem Sprachgebrauche der Maigesetze, s. insbesondere §. 24 des Ges. v. 11. Mai 1873, (vor. Zus.) nicht möglich. Hieraus ergiebt sich auch, daß die Abhaltung eines Laiengottesdienstes nicht strafbar ist, s. Arch. f. kath. K.R. 38 S. 91. Der Art. 2 findet auch Anwendung auf Geistliche, welche vor dem Inkrafttreten des Ges. v. 11. Mai 1873 angestellt sind, O-Tr. Str.S. I v. 8. Jan. 1879, Oppenhoff 20 S. 12. 65) H. Hiermit sind diejenigen Handlungen gemeint, welche sich als Ausfluß der in §§. I u. 2 des Ges. v. 11. Mai 1873 gedachten Aemter und Stellungen charakterisiren. 66) H. Die Amtshandlungen brauchen nicht in der Absicht vorgenommen zu sein, das Ges. v. 11. Mai 1873 zu umgehen, O.Tr. Str.S. I v. 8. Jan. 1879, Oppenhoff 20, 12. Ob das Amt, in welchem Aushülfe geleistet worden ist, erledigt war oder nicht, ist gleich­ gültig. Erk. dess. Sen. I v. 8. Jan. 1879, a. a. O. S. 17, eben so, daß nur eine Amtshandlung vorgenommen worden ist, a. a. O. 67) H. Nach den Motiven soll jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, daß der Strafe des §. 23 unterliegt: 1) derjenige, welcher das Slmt, bez. die Stellvertretung oder Hülfsleistung ohne nachweisliche Uebertragung ausgeübt, und 2) derjenige, der bei einem angestellten Pfarrer auf Grund eines Privatabkommens mit diesem als Hülfsgeistlicher fungirt. Da in dem letzten Falle aber eine Uebertragung vorliegt und im §. 23 nicht eine Uebertragung seitens des geist­ lichen Oberen gefordert wird, so war der Hülfsgeistliche schon nach dem §. 23 und der an­ stellende Pfarrer als Anstifter strafbar, s. Sinnt. 33 zu §. 22 in Zus. 10 u. Witkowski bei Behrend u. Dahn, Zeitschr. 8 S. 239. Gegen diesen Fall, welchem der des Fungirens eines nicht gesetzmäßig angestellten Weihbischofs gleichsteht, reichte das bisherige Recht aus. Auch hat ferner — allerdings erst kurz nach Erlaß des Deklarationsgesetzes — das O.Tr. Str.S. II v. 28. Mai 1874, bez. v. 7. Mai 1874 angenommen, daß im Falle der §§. 1 — 3 des Koch, Allgemeines Landrecht. IV. 8. Aufl. 16

Ges. v. 11. Mai 1873 eine stillschweigende Übertragung eines geistlichen Amtes einer aus­ drücklichen gleichsteht, bez. die (stillschweigende) Uebertragung eines solchen mit einem Vertrage, welcher, unter dem Vorbehalte beiderseitiger Kündigung, die Verhältnisse zwischen dem Pfarrer und dem angenommenen Hülfsgeistlichen regelt, nicht unvereinbar ist (Entsch. 72 S. 385 u. 392; Oppenhoff, Rechtsprechung des O.Tr. 15 S. 289, 332, 335); ebenso I v. 1. März 1876, 1876, Oppenhoff 17 S. 152. H. Eine wirkliche Erweiterung enthält aber die Vorschrift für den ersten Fall, weil der §. 23 die Uebertragung des Amtes zur Voraussetzung hat. Praktisch wird sie zugleich auch für die Fälle stillschweigender Uebertragung Abhülfe gewähren, weil letztere schwer nachweisbar ist. H. Die Tragweite des Artikels 2 geht aber weit über die in den Motiven hervorgehobenen Fälle hinaus. Er regelt, indem er den Inhalt des §. 23 in sich aufnimmt, einmal die Be­ weislast für alle Fälle, in denen ein Geistlicher Aurtshandlungen ausübt. Der angeklagte Geist­ liche hat jetzt immer nachzuweisen, daß die Erfordernisse der modifizirten (s. Anm.' 62 zu Art. 1 dieses Ges.) §§. 1—3 des Ges. v. 11. Mai 1873 zu der Zeit vorhanden waren, wo er die inkriminirte Handlung vorgenommen hat, daß er also deutscher Reichsangehöriger war (bez. innerhalb der zulässigen Schranken dispensirt worden, Anm. 38 zu §. 1 von Zus. 10), die vor­ geschriebene wissenschaftliche Bildung erhalten und bei seiner Anstellung, bez. Ermächtigung die Vorschriften über den Einspruch (so weit dieser noch stattfindet, s. Anm. 49 a. E. zu §. 3 von Zus. 10 und Anm. 11 ff. zu Art. 1 des Ges. v. 11. Juli 1883, Zus. 12) gewahrt worden sind. Hier­ mit ist die bisherige Kontroverse, ob die Kenntniß des angestellten Geistlichen von der mangelnden Anzeige (behufs Wahrung des Einspruchs) eine Voraussetzung der Strafbarkeit desselben bildet, — bejaht von Witkowski a. a. O. S. 234, verneint von P. Hinschius, Kirchengesetze von 1873 S. 152 Anm. 2 a. E. zu 8- 23 u. vom O.Tr. Str.S. II v. 9. April 1874 (Entsch. 72 S. 399, Oppenhoff 15 S. 203) ii. v. 12. Nov. 1874 (Oppenhoff, Rechtsprechung des O.Tr. 15 S. 771) — in dem letzteren Sinne gesetzlich entschieden. Da die Vorschriften des 8- 1 des Ges. v. 11. Mai 1873 auf solche Geistliche, welche vor seiner Verkündigung angestellt waren, nur unter den Modifikationen der 88- 25 u. 26 Anwendung finden, so wird für diese der Nachweis genügen, daß sie die in letzteren erleichterten Erfordernisse erfüllt haben, so auch Witkowski a. a. O. S. 242, 243. Für den Ausnahmefall, wo eine Stellvertretung oder Hülfsleistung vorbehaltlich des Einspruchs angeordnet rverden kann (8- 2 des Ges. v. 11. Mai 1873), ist durch Art. 2 dem Geistlichen der Beweis auferlegt, daß die Voraussetzung, die Gefahr im Verzüge, obgewaltet hat, denn nur dann ist dargethan, daß er nicht dem 8- 2 zuwider­ gehandelt hat, O.Tr. Str.S. I v. 8. Jan. 1879, Oppenh off 20, 13. Der Nachweis der Uebertragung des Amtes braucht nicht durch eine schriftliche Urkunde geführt zu werden, Joh ow, Jahrb. d. Kammerger. 1 S. 215, denn das katholische Kirchenrecht hat keine Vorschrift, daß die Verleihung eines Anües in schriftlicher Form erfolgen müsse, P. Hinschius, Kirchenrecht 3 S. 2. Zweitens schließt der Artikel 2, weil der 8- 1?inschius, K.A. 2 S. 221), und dies muß also auch analogisch auf die sonstigen bischöflichen Konunissare angewendet werden. Dasselbe schreiben neuere Provinzial-Synoden in Betreff der Landdekane vor (a. a. O. S. 287 Nr. 11). Hinsichtlich der Entfernung der amoviblen Pfarrer und Verwalter von Seelsorge-Aemtern bestehen zwar unter den Kanonisten vielfache Kontroversen (vgl. Analecta Juris pontificii. Rome. Jahrg. 1855 ]). 1656 ff.; Bouix, tractatus de parocho. Paris 1855 p. 401 ff.; P. Hinschius a. a. O. 3 S. 300), jedoch wird von allen eine remotio ex odio oder ex malitia für unstatthaft erklärt, von vielen auch eine solche, welche dem Nemovirten oder einem Andern einen erheblichen Schaden zusügt, endlich geht eine dritte Ansicht dahin, daß ihre Abberufung erlaubter Weise nur aus einem zureichenden Grunde erfolgen dürfe. Eine diesen Stellilngen inhärente Qualität ist es also nicht, daß ihre Inhaber der bloßen Willkür der kirchlichen Behörden preisgegeben sind. Unb wenn bie diesen vorgesetzten Kirchen-Oberen das Recht in Anspruch nehmen, den Nemovirten gegen reine Vergewaltigungen zil schützen, so wird der Staat dieselben gleichfalls, eben so wie den festangestellten Kirchendiener, vor rein willkürlicher Behandlung zu sichern befugt sein. Vgl. ferner Erk. b. Gerichtsh. f. kirchl. Angel, v. 11. Juni 1878 i. Hartmann, Zeitschr. 4 S. 357. Dasselbe wenbet §. 2 auch auf ben Fall ber Anstellung eines Küsters an, welcher zwar gegen Künbigung, aber auch unter ber Verpflichtung zur gewissenhaften Amtsführung angenommen war, s. inbessen Anm. 84 lit. a a. E. Nach evangelischem K i r ch en r e ch t gehören zu ber Entfernung aus bem Amte: a. Die Amtsents etzung ober Dienstentlassung (§. 532 b. T.), welche ben Verlust bes Amtes, aller aus bemselben herfließenben Rechte, sowie ber bem Geistlichen zustehenben Privilegien bebingt. b. Die Versetzung wiber Willen (§ 531 b. T.), an beren Stelle jeboch nach ber K.O. v. 27. April 1830 (G.S. S. 81; Zus. zu g. 533 b. T.) c. auch bie „unfreiwillige Emeritirung ober Pensionirung mit einem nach bem Grabe ber Verschulbung abzumessenben gerin­ geren Emeritengehalte ober Pensionsbetrage" treten kann. 93) H. Unter ben: „u. s. w." sinb solche Disziplinarstrafen zu verstehen, welche hinsichtlich ihrer Wirkung auf bie Amtsrechte ben im g. 2 aufgezählten gleichstehen. Da aber sämmtliche gegen Geistliche ausschließlich anwenbbare Strafmittel erwähnt sinb, so kann bas Gesetz unter seiner clausula generalis nur solche verstehen, welche auch gegen Laien vorkommen, bie aber, wenn sie gegen Geistliche verhängt werben, wie bie Exkommunikation unb bie interdictio ingressus ecclesiae in ber katholischen Kirche, ähnliche juristische Folgen wie bie Suspension äußern. Es ergiebt sich hieraus übrigens eine weitere Bestätigung bafür, baß bas vorliegenbe Gesetz bem Ges. v. 13. Mai 1873 (Zus. 9 zu §. 57 b. T.) nur ergänzenb unb mobisizirenb zur Seite tritt, unb nicht bloß auf bie in ihm selbst besonders erwähnten Straf- unb Zuchtmittel gegen Kirchenbiener beschränkt werben kann. 94) H. Die Worte bebeuten ein Verfahren, bei welchem bie Grunbbebingungen jeber strafgerichtlichen Prozebur, also bie substantialia ober essentialia processus beachtet worben sinb, bemnach ist nöthig: bie Formulirung bestimmter Anschulbigungen, bie Anhörung bes Angeschulbigten barüber, bie Erhebung bes Be- unb Entlastungs-Beweises, bie Gewährung einer Vertheibigung nach geführtem Beweise unter Mittheilung ber Resultate besselben unb bie schrift­ liche Feststellung ber geführten Verhanblungen, so auch Gerichtsh. f. kirchl. Angel, v. 9. Jan. 1878, § ar t mann Zeitschr. 4 S. 239. Ein bestimmtes Verfahren ist nicht vorgeschrieben, es wirb also auch bas zur Regel geworbene Jnquisitionsverfahren genügen, ba basselbe in seiner reinen, nicht burch bie besonberen Grunbsätze für bie Ketzer-Inquisition bepravirten Gestalt keineswegs ber Garantien eines georbneten prozessualischen Verfahrens entbehrt, vgl. c. 24 X. de accusat. V, 1, insbesonbere erscheint es nicht nöthig, daß bas Verfahren ein münbliches ist, Erk. bes geb. Gerichtsh. v. 14. April 1875, Zeitschr. f. K.R. 17 S. 138. H. Ueber bas Disziplinarverfahren in ber evangelischen Kirche vgl. bie Zusätze zu g. 533.

Ges. über die kirchliche Disziplinargewalt :c. vom 12. Mai 1873.

277

In allen diesen Fällen"^) ist die Entscheidung"'') schriftlich unter Angabe der Gründe zu erlassen. 8- 3. Die körperliche Züchtigung"^) ist als kirchliche Disziplinarstrafe oder Zuchtmittel unzulässig. 8- 4. Geldstrafen dürfen dell Betrag von 30 Thalern oder, wenn das eilunonatliche Amtseinkomnlen höher ist, den Betrag des letzteren"^) nicht übersteigen. 8- 5. Die Strafe der Freiheitsentziehung (8- 2.) darf nur in der Verweisung in eine Derneriten-Anstalt") bestehen. Die Verweisung darf die Dauer voll drei Monatell 10°) nicht übersteigen und die Vollstreckuilg derselben wider den Willen des Betrosfeilen iveder begonllen nach fortgesetzt werden *). Die Verweisung in eine außerdeutsche Demeriten-Anstalt ist unzulässig.

95) H. Die Vorschrift bezieht sich, lvie das „allen" und die Stellung in einem besonderen Absätze ergiebt, sowohl auf die Verhällgllng der hu Abs. 1, lvie auch der inl Abs. 2 erwähnten Strafell. 96) H. Durch dieses Wort lvird hier, wie in den 8S- 7, 9, 10-14, 21, 23 angedeutet, daß es nicht darauf ankomlne, ob die Disziplinarstrafe in Fonn eilles Erkellntilisses oder einer einfachen Verfügung ergeht, ulld ob diese als Erlaß oder Aesolutioll oder Beschluß oder sonstwie bezeichnet wird. 97) H. Die Bestimmungen des kanollischeil Rechtes, lvelche die Strafe der körperlichell Züch­ tigung und zwar bei Klerikern geringeren Grades auf Grund von 5. Mos. XXV, 3 u. 2. Korinth. XI. 24 die Zahl von 39 Hieben vorschreiben, sind c. 6 C. XI. qu. 1: c. 1 C. XXIII. qu. 5; c. 8 Dist. XLV. 98) H. Dieser ist zu beinessen nicht allein nach den festen Amtseinkünften (dem (behalte), sollderll auch mit HinzurechllUllg etwaiger sonstiger kraft des Allltes zu beziehender Einnahlllell, also der Meßstipendiell, Stolgebühren u. s. w., welche scholl gewöhnlich nach einem bestimlllten Durchschnittsertrage berechnet werden, eventuell in dieser Weise zu veranschlagen sind. 99) H. Die nur der katholischen Kirche eigenthümlichen Demeriten-Anstalten, Denleriten-, Korrektions- oder Pönitenz- (auch Priester-) Häuser sind solche Anstalten, in welche die katho­ lischen Geistlichen zum Zweck von Bußübungen (recollectiones) und zum Zweck ihrer Besserung wegen begangener Vergehen, wie auch wegen Obdachs- und Mittellosigkeit, verwiesen werden. Wegen des unauslöschlrchen Charakters, welchen die Priesterweihe' nach der katholischeir Lehre verleiht, kann die katholische Kirche diese Anstalten nicht gut entbehren. Daher hat auch der Staat in der Bulle: De salute animarum v. 16. Juli 1821 (Zus. 64 zu 8- 1022 d. T.) die Verpflichtung übernommen, derartige Häuser zu errichten, bez. genügend zu d'otiren.

100) H. Die Frist bildet eine Schranke für die Ausübung der kirchlichen Disziplinargeivalt. Deumach ist eine Entscheidung, welche von vornherein die Verweisung auf längere Zeit festsetzt, eine im Sinne des 8- 10 Nr. 3 unzulässige Strafe. Daß ein in die Demeriten-Anstalt ver­ wiesener Geistlicher dort freiwillig länger verweilt, ist ebenfalls ausgeschlossen. Das Gesetz ge­ stattet im öffentlichen Interesse eine Beschränkung der Freiheit nur auf bestimmte Zeit. Mithiir müssen alle Demeriten, welche sich schon seit länger als 3 Monaten in den Demeriten-Häusern befinden, entlassen werden, und es kann auch für die Folgezeit der Einzelne diese Vorschrift nicht durch freiwillige längere Unterwerfung unter die Ordnung der Demeriten-Anstalt beseitigen. So lange er sich in derselben befindet, ist er Demerit, und dies soll er niemals länger als 3 Monate sein. Die gegentheilige Annahme würde übrigens auch das Gesetz so gut wie illusorisch machen, ferner zu dem Resultat führen, daß die vom Staat zur Unterhaltung dieser Anstalten gewährten Mittel für Personen verwendet würden, welche gar kein Recht besitzen, aus letzteren ernährt zu werden. Diejenigen, deren Verweisung in die Anstalt nicht aus Gründen der Disziplin, sondern als eine Art Versorgungsmaßregel erfolgt ist, find dagegen als Emeriten, sofern die Anstalt gleichzeitig für solche bestimmt ist und benutzt wird, anzusehen. Ihrem freiwilligen Verbleiben steht also nichts entgegen. Wenn aber, wie dies praktisch vorgekommen, einem dienst­ untauglichen Geistlichen nach erfolgter Amovirung der Unterhalt durch Verweisung in eine Demeriten-Anstalt vom Bischöfe gewährt ist, so muß der erstere, so lange er sich in der Anstalt befindet und der Hausordnung unterworfen wird, immer als Demerit betrachtet werden. Es finden also alle Bestimmungen des Gesetzes auf ihn Anwendung. Denn zur bloßen Gewährung des Unterhaltes an dienstuntaugliche Geistliche sind die Anstalten nicht bestimmt, und daher sind die Bischöfe nicht berechtigt, die Versorgung solcher durch lebenslängliche Verweisung in diese Anstalten zu beschaffen. 1) H. Diese Vorschrift ist deshalb getroffen, iveil die Verweisung in eine Demeriten-Anstalt

278

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

124 (Zusatz 15).

§. 6. Die Demeriten-Anstalten -) sind der staatlichen Aufsicht3) unterworfen. Ihre Haus­ ordnung ist dem Oberpräsidenten der Provinz zur Genehmigung einzureichen *). Er ist befugt, Visitationen der Denleriten-Anstalten anzuordnen und von ihren Einrichtungen Kenntniß zu nehmen"). Von der Ausnahme eines Demeriten hat der Vorsteherder Anstalt unter Angabe der Behörde, welche sie verfügt, binnen 24 Stunden^) dein Oberpräsidenten Anzeige zu machen,

nicht den Eharakter der Freiheitsstrafe, vielmehr nur die Bedeutung „einer dienstlichen Anweisung des Aufenthaltsortes" zu den schon gedachten Zivecken (s. Annr. 99 zu dies. §.) haben soll (Reg.Motive S. 13). 2) H. Jede Anstalt, welche zu dein Airm. 99 zii §. 5 gedachten Zwecke dient, selbst wenn sie eigentlich eine andere Bestimmung hat. Demgemäß imterstehen auch die Knaben-Seminare lind die sog. Emeriten-Häuser, in deiren altersschwache lind dienstunfähige Geistliche für den Rest ihrer Lebensdauer Aufnahme und Versorgung finden, so weit sie zugleich als DemeritenHärrser verwendet werden, ferner Klöster, ivelchc die Bischöfe in Ermangelung besonderer der­ artiger Anstalten zu denrselben Zwecke benutzen, den Vorschriften der S§. 5 u. 6. Die staatliche Kontrole geht in solchen Fällen so weit, als erforderlich ist, nur Sicherheit darüber gewinnen zu können, ob und wie viel Detinirte in der Anstalt sich befinden und ob die gesetzlichen Vor­ schriften beobachtet werden. Sie kann nicht etwa auf bestimmte, von den kirchlichen Behörden bezeichnete Raunte eingeengt oder gar, wenn das Kloster oder die Emeriten-Anstalt eine Zeit lang als Demeriten-HauS benutzt worden, durch das Vorgeben ganz zurückgewiesen werden, daß sich augenblicklich kein Detinirter in der Anstalt befinde. Daß dadurch auch die Kenntnißnahme voll anderen, als den ausschließlich hier in Rede stehenden Zwecken dienenden Einrichtungen, also z. B. von den Einrichtungen der Klöster überhaupt bedingt ist, läßt sich nicht vermeiden. Werden Demeriten einem "anderen Geistlichen überwiesen, um die Demeritenzeit hindurch bei diesem zu verbleiben und unter dessen Leitullg ihre Bußübllngen abzuhalten, so kann dadurch ivelln sich eine solche Zuweisung nicht stuf einen einzigen beschränkt, ebenfalls eine DemeritenAnstalt entstehen. Das Gesetz findet daher auch auf solche Fälle Anwendung. 3) H. Diese Aufsicht haben die Oberpräsidenteil zu üben, s. Dienst-Instruktion für die Provinzial-Konsistorien v. 23. Okt. 1817 §. 4 (G.S. S. 237) und Dienst-Instruktion für die Oberpräsidenten v. 31. Dez. 1825 §. 2 (G.S. v. 1827 S. 1); über denselben selbstverständlich der Minister der geistlichen Angelegenheiten, V. v. 27. Okt. 1810 (G.S. S. 3) u. K.O. v. 3. Rov. 1817 (G.S. S. 290). An letzteren kann über alle vorn Oberpräsidenten getroffenen Verfügungen Beschwerde erhoben werden. 4) H. Damit ist zugleich die Pflicht für die geistlichen Behörden statuirt, eine solche zu entwerfen und dafür zu sorgen, daß keine andere als die vom Oberpräsidenten genehmigte gehandhabt wird. Nachträge und Zllsätze zu einer genehmigten Hausordnung müssen ebenfalls genehmigt sein, ehe sie zur Anwendung gebracht werden dürfen. 5) 11. Die Genehmigung wird dann zu verweigern sein, wenn die Hausordnung Bestimmungen enthält, welche mit den Vorschriften des Gesetzes in Widerspruch stehen oder den Zweck des Gesetzes, die Wahrung der persönlichen Freiheit der Detinirten, beeinträchtigen, also z. B. wenn die Hausordnung körperliche Züchtigung, Einsperrung in eine besondere Zelle, ungewöhnliche Fasten, ferner" Kontrole und Eröffnung der brieflichen Korrespondenz deö Detinirten mit der Außenwelt, namentlich mit den staatlichen Behörden, durch den Vorsteher, oder gänzliche Absperrung von Besuchen dritter Personen anordnet. Da die Anstalten unter "fortlaufender Kontrole stehen, so kann die ertheilte Genehmigung jederzeit widerrufen werden. 6) H. Die Visitationen können beliebig als ordentliche und außerordentliche und zwar auch durch Delegirte des Oberpräsidenten, welche sich durch ihr Kommissorium zu legitimiren haben, abgehalten werden. Vor allem werden sie sich auf den Personalbestand der Anstalt, die Beschaffen­ heit der Lokalitäten, sowie die Behandlung und Verpflegung der Demeriten, welche der Visitator ebenfalls zu vernehmen befugt ist, zu richten haben. Eine vorgängige Anzeige an den Vor­ steher oder den Bischof ist nicht nöthig. Daß der Eintritt nöthigenfalls erzwungen werden kann, eben so daß der Oberpräsident berechtigt ist, die Abstellung der wahrgenommenen Mißbräuche und Ungehörigkeiten zu verlangen und auch selbst die Freilassung eines wider Willen fest­ gehaltenen Detinirten zu erzwingen, versteht sich von selbst. 7) H. D. h. Jeder, der die Anstalt thatsächlich leitet und die Aufsicht über die Demeriten führt, gleichviel ob er fest angestellt ist oder noch sonstige Aemter, wie der Abt, Guardian re. eines als Demeriten-Anstalt benutzten Klosters versieht. 8) H. Nach dem Wortlaut ist eine eomputatio a momento ad moinentum anzunehmen. Tie rechtzeitige Absendung einer schriftlichen Anzeige auf dem üblichen Korrespondenzweige genügt.

Ges. über die kirchliche Disziplinargewalt :c. vom 12. Mai 1873.

279

Ueber sämmtliche Dementen ist von denr Vorsteher ein Verzeichniß zu führen, welches den Namen derselben, die gegen sie erkannteir Strafen und die Zeit der Aufnahme und Entlassung enthält. Am Schluß jedes Jahres^) ist das Verzeichniß dem Oberpräsidenten einzureichen. 8- 7. Von jeder kirchlichen Disziplinarentscheidung, welche auf eine Geldstrafe von inehr als 20 Thalern, auf Verweisung in eine Demeriten-Anstalt für mehr als 14 Tage oder auf Ent­ fernung aus dem Amte (§. 2.) lautet, ist dem Oberpräsidenten gleichzeitig mit der Zustellung ein den Betroffenen Mittheilung zu machen. Die Mittheilung muß die Entscheidungsgründe enthalten. 8. Der Oberpräsident ist befugt, die Befolgung der in den 88- 5—7. enthaltenen Vor­ schriften ") und der auf Grund derselben von ihm erlassenen Verfügungen r2) durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern zu erzwingen,3).

9) H. D. h. Kalenderjahres. 10) H. Oder wenn eine solche nicht erfolgt, weil die Entscheidung dem Betroffenen mündlich eröffnet wird, gleich nach der Publikation. Die Mittheilungspflicht ist eine absolute. 11) H. Demgemäß können Geldstrafen angedroht werden namentlich: l) für die Verhängung einer anderen Freiheitsstrafe als der Veriveisung in eine Demeriten-Anstalt; 2) einer solchen Verweisung auf länger als drei Monate hinaus; 3) für die Einbringung und Festhaltung des Betroffenen wider seinen Willen; 4) für die Verweisung in eine außerdeutsche Demeriten-Anstalt; 5) für die Hinderung der Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts innerhalb der Grenzen des (Gesetzes; 6) für die Unterlassung der Aufstellung oder der Einreichung der Hausordnung; 7) für die Nichtbefolgung einer genehmigten oder die Befolgung einer nicht genehmigten Haus­ ordnung; 8) für die Unterlassung, nicht rechtzeitige oder nicht vollständige Einreichung der An­ zeige der Aufnahme von Demeriten, sowie 9) des Jahresverzeichnisses; 10) für die Nichtführung oder nicht ordnungsmäßige Führung des letzteren; 11) für die gar nicht erfolgte oder nicht recht­ zeitig oder nicht ausreichend erfolgte Mittheilung der im 8- 8 gedachten Entscheidungen. Der Grmidgedanke des Gesetzes ist dadurch, daß die Kommission des Abg.H. durch Aenderung des Eitates die vier ersten Fälle mit den übrigen auf eine Linie gestellt hat, zerstört. Als Schutz­ mittel gegen die Ueberschreitung der Grenzen der kirchlichen Disziplinargewalt gewährt dasselbe die Berufung an den Staat, es setzt aber für die Ueberschreitung keine Kriminalstrafen fest und schließt ferner vor Erledigung der Berufung ein exekutivisches Vorgehen aus. Das Recht zur Verhängung von Strafen war dem Oberpräsidenten in der Regierungsvorlage nur zur Er­ zwingung der Kontrolmaßregeln gewährt. Es ist somit über seinen naturgemäßen Kreis aus­ gedehnt worden, und zwar auf Fälle, wo dasselbe nicht paßt. Bei widerrechtlicher Festhaltung des Detinirten oder Transportirung desselben wider seinen Willen in das Ausland ist der all­ gemeine polizeiliche und strafrichterliche Schutz, wodurch der Person ihre Freiheit wiedergegeben wird, das angemessene und auch ausreichende Mittel. 12) H. Daß der Oberpräsident befugt ist, allgemeine Anordnungen zu erlassen und in diesen für ihre Verletzung Strafen anzudrohen, wird deshalb verneint werden müssen, weil das Gesetz, indem es eine solche allgemeine Strafandrohung selbst unterlassen hat, damit andeutet, daß es sich hier nur um Exekutivmaßregeln handelt, d. h. solche, die erst im Falle einer Renitenz angewendet werden dürfen. Dies bestätigt der Ausdruck: „die Befolgung der Vorschriften durch Geldstrafen zu erzwingen". Es wird also in jedem besonderen Falle erst die Androhung der Strafe innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen erfolgen müssen, dann die Festsetzung und schließlich die Exekution. Für diese Auffassung spricht auch der Abs. 2 des 813) H. Gegen wen der Zwang stattfinden, d. h. gegen wen die Geldstrafe angedroht und von wem sie eingezogen werden soll, sagt das Gesetz nicht. Es ist aber selbstverständlich, daß gegen Jeden, welcher kraft seiner Stellung die Pflicht und die Möglichkeit hat, die KontrolVorschriften zu erfüllen, und dies verweigert, vorgegangen werden kann, also namentlich gegen den Vorsteher der Anstalt und gegen den Bischof, wenn dieser den letzteren anweist, sich den staatlichen Aufsichtsmaßregeln zu widersetzen und auf erfolgte Androhung der Strafe seinen Befehl nicht zurücknimmt. Auch ist die Androhung resp. Festsetzung der Strafen gegen beide durch das Gesetz nicht ausgeschlossen, selbst wenn der Leiter der Anstalt sich auf den Befehl des Bischofs berufen kann. Ein bloßer Protest genügt natürlich nicht, um die Anwendung von Geld­ strafen zu rechtfertigen. Eine aktive Betheiligung der kirchlichen Leitungsbehörden bei der Ausübung der staatlichen Kontrole, namentlich der Bischöfe, verlangt das Gesetz nicht, also kann der Ober­ präsident auch eine solche nicht erzwingen. Nur dem Vorsteher der Anstalt sind die im §. 6 erwähnten, positiven Pflichten auferlegt.

280

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

Die Androhung utib Festjetzung der Strafe darf

124 (Zusatz 15).

wiederholt werden, bis dem Gesetze

genügt ist. Außerdem kann die Demeriten^Anstalt geschlossen werden rl). §. 9. Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinarentscheidungen") im Wege der Staatsver­ waltung'^) findet nur dann statt, wenn dieselben von dem Oberpräsidenten 1;) nach erfolgter Prüfung der Sache 18) für vollstreckbar erklärt worden sind. Tie Exekution selbst kann nur in das eigene Vermögen der betreffenden Personen, alsd allerdings ailch in ihr Amtseinkommen erstreckt werden. 14) H. Die Voraussetzungen der Schließung sind nicht näher angegeben. Da sie aber die härteste und empfindlichste Maßregel ist, so wird sie allein bei besonders hartnäckiger und fort­ gesetzter Renitenz auszusprechen sein. Eine selbstverständliche Folge der Schließung ist die, daß der Staat die bisher für die Anstalt gezahlten Fonds nicht weiter zu leisten braucht. Etwaige anderweit für dieselbe zu zahlenden Beiträge können nicht eingeklagt iverden. Die Anstalt gilt staatlich als nicht existent und ihr Zweck als ein gesetzlich verbotener. Das Gebäude, und die etwaigen besonderen Fonds verbleiben allerdings dem bisherigeil Eigenthülller und können nicht als bonuni vacans eingezogen werden. Wo eine Emeriten-Ailstalt oder ein Kloster zugleich als Denleriten-Anstalt benutzt wird, fmui natürlich bloß diese letztere Verweildung gehindert, nicht aber das Emeriten-Haus oder daS Kloster ganz geschlossen werden. Die Schließung muß im Wege der adniinistrativen Exekution erfolgen. Eine Visitation des früher als Denleriten-Anstalt benutzteil Gebäudes, also auch eines Klosters oder eines Emeriteil-Hauses, um Sicherheit zu geiviiulen, daß dasselbe lvirklich seiner früheren Bestimmung eiltzogen worden, ist gestattet, weit eine solche Maßregel mit zur Durchführung der Schließung gehört. Mit der letzteren ist dem kirchlichen Oberen nicht die Befugnis; genommen, überhaupt im Disziplinarwege auf Verweisung in eine Denleriten-Ailstalt zu erkennen. Der Zweck des Gesetzes geht nur dahin, eine Neberwachung der Anstalten durchzuführen, und es steht also nichts ent­ gegen, daß der Detinirte sich in die Anstalt einer anderrr Diözese, iüo die Kontrole des Staates nicht unmöglich gemacht wird, begiebt. Macht endlich das Gesetz die Errichtung neuer Demeriten-Anstaltelr auch nicht von der Zu­ stimmung der Staatsbehörden abhängig, so wird doch die Eröffnung einer solchen oder Benutzung eines anderweitigen Institutes (z. B? eines Klosters) für die betreffende Diözese, deren Anstalt geschlossen ist, inhibirt werden dürfen. Das Gesetz will es verhindern, daß solche Anstalten, welche der staatlichen Aufsicht nicht unterworfen werden, überhaupt existiren, und den kirchlichen Oberen, unter deren Leitung dieselben stehen und welche ihrerseits in der Lage sind, den gesetz­ lichen Vorschriften nachzukommen, die Möglichkeit entziehen, diese illusorisch zu machen. Dieser Erfolg würde aber, wenn nach der Schließung des Demeriten-Hauses die sofortige Eröffnung eines andern zulässig wäre, vereitelt werden. 15) H. Rach dem bisherigen Recht war eine solche adininiftrative Beihülfe des Staates weder ausgeschlosseir noch geboten. Im Wesentlichen ist es also bei dem früheren Zustande ge­ blieben, nur sind die Voraussetzungen der staatlichen Hülfe näher geregelt. 16) H. D. h. im Wege der Adnünistrativ-Exekution. Die Kommission des Abgeordnetenhauses hat den Zusatz der Regierungsvorlage: „Die Vollstreckung erfolgt im Verwaltungswege" gestrichen, um damit anzudeuten, daß gerichtliche Entscheidungen und Vollstreckungen nicht ausgeschlossen sein sollen. Aber die Eivilgerichte haben in diesen Angelegenheiten keine sachliche Zuständigkeit. Die Disziplinarstrafen verhängt die Kirche als Anstalt des öffentlichen Rechtes kraft ihrer staatlich anerkannten obrigkeitlichen Stellung; und es handelt sich daher bei der Vollstreckung der be­ treffenden Verfügung niemals um privatrechtliche Verhältnisse. Der im Disziplinarverfahren verurtheilte Geistliche ist weder kraft civilrechtlicher Verpflichtung verpflichtet, die gegen ihn ver­ hängte Geldstrafe zu zahlen, noch bei erfolgter Absetzung seine Anrtswohnung zu räumen, sondern die Verpflichtung dazu beruht in allen Fällen auf dem öffentlichen Recht. Offenbar hat bei dieser Aenderung die Anschauung obgewaltet, daß die Kirche zugleich als eine den Regeln des Privatrechtes unterstehende Korporation betrachtet und die Verhängung der Disziplinarstrafen auch als Ausübung eines auf Grimd des Korporations- oder Gesellschafts-Statutes beruhenden Rechtes angesehen werden kann. Diese Ansicht ist aber gegenüber der der katholischen und evangelischen Kirche eingeräumten Stellung unhaltbar, und müßte dazu führen, daß die Gerichte über alle nicht bloß staatlichen, sondern auch über alle kirchlichen Voraussetzungen der Verhängung einer kirchlichen Disziplinarstrafe zu befinden hätten. Vgl. auch P. Hinschius in Marquardsen, Handbuch d. öffentl. Rechts 1 S. 255 ff., insbesondere S. 258. 17) H. Bei der Entlassung oder Strafversetzung derjenigen evangelischen Kirchenbeamten, deren Ernennung dem König vorbehalten ist (hierher gehören z. B. die Superintendenten der 6 öst-

Ges. über die kirchliche Disziplinargewalt ?c. vom 12. Mai 1873.

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8 10. Gegen Entscheidungen der kirchlichen Behörden, welche eine Disziplinarstrafeii. Berufunff verhängen, steht die Berufung^") an die Staatsbehörde^') (§. 32.) offen: cm den Staat.

lichen alten Provinzen), vgl. d. K.O. v. 12. April 1822 (G.S. S. 105, Zus. zu 533), ist die Bestätigung des Erkenntnisses durch den König erforderlich. In der Praxis sind diese Rechte des Regenten bisher als Ausflüsse des landesherrlichen Kirchenregiments aufgefaßt worden (Richter-Dove, K.R. 8- 231 Nr. 11). Wenn jene Ansicht auch haltbar wäre (s. darüber unten zu 8- 38 des Ges.), so rvürde die Bollstreckbarkeitserklärung des Oberpräsidenten selbst in dieseil Fällen erforderlich sein, da das Gesetz keine Ausnahme rnacht. In einem Fall, dem des 8- 3, ist die Bollstreckbarkeitserklärung llnstatthaft, weil die in diesem zugelassene Ver­ weisung in die Demeriten-Anstalt oder das Verbleibet: in derselben niemals erzwungen werden darf, vgl. auch stenogr. Bericht des Herrenh. S. 549. 18) H. Die Mitwirkung des Staates, also die Vollstreckbarkeits-Erklärung durch bei: Oberpräsidenten, hängt von der Prüfung ab, ob die zu vollstreckende Disziplinar Entscheidung von der zuständigen Behörde ergangen, ob ein ordnurigstnäßiges Verfahren eii:gehalter: worden ist, in materieller Hinsicht keine Verletzutlg allgemeiner Rechtsgrundsätze oder positiver Staatsgesetze stattgefunden hat, ob kein Mißbrauch der geistlichen Anüsgeivalt vorliegt ii. dgl., kurz, der Ober­ präsident ist nur ernrüchtigt, eine Prüfung von: staatlichen, nicht aber von: kirchliche!: Stand­ punkt aus vorzunehlnen. 19) H. D. h. eine Strafe oder Censur, ivelche für ein Disziplii:arvergehen ü: den: oben (Anm. 83 zur lleberschrift) erwähnten Siin: auferlegt ivorden ist. Der 8- findet auch dann Anwen­ dung, wenn eine Disziplil:arstrase festgesetzt ist, ivelche i:icht ii: diesen: Gesetze besonders erwähnt wird, also z. B. ein Verweis. 20) 11. Die Bezeichnung des geivährtei: Rechtsnnttels: Beruf:u:g an die Staatsbehörde, ist eine deutsche Uebersetzung des herkönunlichei: Ausdruckes: appcllatio ab abusu oder recursus ab abusu. Nach den Bestimmungen des Gesetzes ist dasselbe aber trotz dieser Bezeichnung kein Rechtsuüttel zur Reformirung der kirchlichen Entscheidung aus n:ateriellen Gründen, wegen Iniqui­ tät, sondern nur zur Beseitigung einer solchen wegen Verletzung weseittlicher Formvorschriften und des staatlichen Rechts, es hat also die Natur einer Kassatioiwklage. Das ergeben einnurl die Fälle, in denen die Berufung zulässig ist (88- 10 u. 11), ferner die Vorschrift, daß die an­ gefochtene Entscheidung entweder nur vernichtet oder das Rechtsmittel zurückgewiesen werden kann. Dmnit ist zugleich anerkannt, daß die kirchlichen Entscheidungen auf Grund des kanonischer: Rechts, der kirchlichen Versassung, der Glaubenslehren und des Kultus keiner rnateriellen Prüfung durch den Staat in Bezug auf ihre materielle Richtigkeit in: Sinne der kirchlichen Ordnung unterliegen, vielmehr klargestellt, daß das Rechtsmittel lediglich auf das Recht des Staates basirt ist, Eingriffe der Kirchen in sein Gebiet abzuwehren. Damit hängt es ferner zusammen, daß die Einlegung auch dem Oberpräside::ten, als dem mit der Ausübung des jus circa sacra betrauten Organe (8- 12), gestattet ist und dieselbe Suspensiveffekt hat (8- 14). DaS Gesetz hat keine ausdrückliche Vorschrift darüber, ob eine Disziplinar-Entscheid u n g, w e l ch e g e g e n d i e S t a a t s g e s e tz e, n a n: e n t l i ch gegen d i e B e st i n: n: u n g e n d e S vorliegenden Gesetzes verstößt, nur in: Wege der durch 8- 10 eingeführten Berufung und deS sich an dieselbe anschließende!: Verfahrens für nichtig erklärt oder ob sie auch ohne ein solches von den Staatsbehörden als nichtig behai:delt werden kann. Ist also z. B. die Regierung befugt, einen katholischen Geistlichen, ivelcher durch ein außerdeutscheS geist­ liches Gericht seines Pfarramtes entsetzt worden, im Besitze desselben zu schützen, wenn weder er selbst noch der Oberpräsident die Beruf:n:g ei::gelegt hat? Der Zweck des Gesetzes bedingt es, sich im Sinne der ersten der vorhin aufgestellten Alternativen zu entscheiden, mithin die eben aufgeworfene Frage zu verneinen. Durch die Errichtung eines besonderen Gerichtshofes (s. 8- 32 des Ges.) hat gerade eine Garantie dafür gegeben werden sollen, daß das Oberhoheitsrecht deS StaateS in gesetzlicher und unparteiischer Weise ausgeübt wird. Ferner bestätigt auch die Kon­ struktion des Rechtsmittels diese Auffassung. Hütte das Gesetz an die Möglichkeit gedacht, die kirchlichen Disziplinar-Entscheidungen ohne weiteres in: Verwaltungswege als nichtig zu be­ handeln, so würde dasselbe auch der kirchlichen Behörde, welche sich dadurch verletzt geglaubt hätte, in: Interesse der Rechtsgleichheit die Berufung an den Gerichtshof auf Gültigkeitserklärung ihres Erkenntnisses haben gestatten müssen. Da aber eine solche Besugniß nicht gewährt ist, so hat das Gesetz offenbar gar nicht die Möglichkeit vorausgesetzt, daß die betreffende Behörde in eine solche Lage gebracht werden kann. Endlich wäre die Berufung deS Oberpräsidenten in: öffentlichen Interesse, welche der 8- 12 gestattet, vollkommen überflüssig, wenn jeder Staats­ behörde das Recht hätte beigelegt werden sollen, die kirchlichen Disziplinar-Entscheidungen auf Grund ihrer eigenen Prüfung als nichtig anzusehen. Ein praktisches Bedürfniß, eine derartige Befugniß der Staatsbehörde zu statuiren, liegt überdies auch nicht vor. Das Interesse des Staates ist genügend durch die Vorschrift der 88- 9 u. 12 Abs. 2, und daS des einzelnen

282

Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 124 (Zusatz 15).

1) wenn die Entscheidung von einer durch die Ltaatsgesetze ausgeschlossenen Behörde^-) er­ gangen ist; Kirchendieners durch die Möglichkeit der Berufung gewahrt, uur fo mehr, als diese Suspensiv­ effekt hat und der letztere nöthigenfalls erzwungen werden kann. Schließt die Einlegilng der Berufung die Einleitung einer Kriminal­ untersuchung auf Grund des 5 deS Straf- und Zuchtulittelgesetzes, oder umgekehrt diese letztere das Recht der Berufung ixiiö? Es ist z. B. gegen einen (Geistlichen im Sßege der Disziplinaruntersuchung, weil er sich geweigert hat, den großen Kirchen­ bann mit namentlicher Nennung des Betroffenen öffentlich bekannt zu machen, von der Diszipli­ narbehörde die Suspension verhängt worden. Tie Weigerung ist in einem solchen Falle eine durch das Straf- und Zuchtmittelgesetz SS- L 4 vorgeschriebene Handlung. Der Geistliche ist also befugt nach §. 10 Nr. 4“ dieses Gesetzes die Berufung einzulegen, andererseits ist aber auch eine Bestrafung der Mitglieder des Disziplinargerichtes nach §. 2 Nr. 1 und 5 des eben ge­ dachten Gesetzes statthaft. Nach deni Amu. 83 daraelegten Verhältniß der beiden Gesetze schließt das eine Verfahren das andere nicht aus. Es folgt dies übrigens auch aus dem Zweck beider Gesetze. Durch das Kriminalverfahren wird uur die Bestrafung der Richter erreicht, welche in diesem Falle in die staatliche Sphäre übergegrifseu haben. Damit ist der Geistliche aber noch nicht in'seinen Amtsfunktionen geschützt, ivelche ihn: durch die Eensur entzogen sind. Dazu bedarf es erst der ^Nichtigkeitserklärung durch den Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten. Jedes Verfahren hat also seinen selbstständigei: Zweck und keius wird durch das andere über­ flüssig gemacht. Darüber, ob in solcher: Fälle:: die thatsächliche F e st st e l l u n g des Gerichts­ hofes für kirchliche Angelegenheiten das ordentliche Kriminalgericht und umgekehrt die des letzteren den ersteren bindet, bestimmt das Gesetz nichts. Irgend welche Analogien über das Verhältniß des Kriuünal- und Eivil-Urtheils lassen sich hier, ganz abgesehen davon, daß diese früher kontroverse Frage (vgl. darüber die Abhdlg. in Gruchot 8 S. 233 und Goltdammer' s Arch. 5 L. 344) jetzt durch das Einf.Ges. zur E.P.O. $. 14 Nr. 1 in den: Sinne, daß das erstere den Eivilrichter nicht bindet, entschieden ist, nicht heranziehen. Mangels einer positiven Vorschrift wird man daher eine präjudizielle Bedeutung des Erkenntnisses des einen Gerichtshofes für das des andern nicht annehmen können, um so weniger, als das Gesetz das Verfahren in den beiden Fällen nicht im entferntesten in Beziehung setzt, namentlich in solchen Fällen den: Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten eine Aussetzung der Verhandlung über die Berufung bis dahin, wo im Kriminalverfahren rechtskräftig entschieden ist, nicht zur Pflicht macht. Endlich ist auch die Frage aufzu werfen, ob ei:: etwaiges Erkenntniß des Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten den Eivilrichter und u m g e kehrt bindet? Der Eivilrichter hat an sich das kirchlicherseits ergangene Tisziplinarurtheil zu beachten, B. Klagen des durch ein solches abgesetzten Geistlichen auf Gehalt, Stolgebühren :c. ab­ zuweisen, weil ihm keine Kontrole über die Ausübung der Tisziplinargerichtsbarkeit durch die kirchlichen Behörden zusteht. Diese letztere übt gerade der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten innerhalb der ihm angewiesenen Grenzen. Taraus folgt, daß die Entscheidungen des letzteren über kirchliche Disziplinarverfügungen auch für den Eivilrichter ebenso bindend sein müssen, wie die der kirchlichen Disziplinarbehörden selbst. Das kann aber nur gelten, wenn feststeht, daß eine Disziplinarmaßregel ausgeübt worden ist. Ob das letztere geschehen, hat aber der Eivil­ richter, falls diese Frage an ihn in einem Prozesse herantritt, selbstständig zu entscheiden, denn keine gesetzliche Vorschrift entzieht ihm die Kognition darüber. Der Eivilrichter ist also nicht gehindert, bei Klagen auf Gehalt eines Organisten die Stellung desselben nach den Regeln eines civilrechtlichen Vertrages zu beurtheilen, wenn er einen solchen nach Lage der Sache als vorliegend erachtet, trotzdem daß der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten den Organisten in demselben Falle als Kirchendiener betrachtet und auf ihn die Bestimmungen des hier fraglichen Gesetzes angewendet hat. Andererseits bindet die Auffassung des Eivilrichters auch den Gerichts­ hof für kirchliche Angelegenheiten nicht, d. h. wenn der erstere in dem erwähnten Fall dem ent­ setzten Organisten sein Gehalt zugesprochen hat, weil er das Verhältniß als civilrechtliches be­ trachtet und die Entlassung für civilrechtlich unbegründet erklärt hat, kann der gedachte Gerichts­ hof die Berufung des Organisten als unzulässig verwerfen, iveil er die Entlassung als eine nicht ungesetzliche Disziplinarmaßregel auffaßt. 21) H. D. h. „den königl. Gerichtshof für kirchliche Zlngclegenheiten", s. §. 32. 22) H. Also jedenfalls einer nach §. 1 ausgeschlossenen Behörde. Damit ist der Inhalt der Vorschrift nicht erschöpft. Ein Kirchendiener, welcher sein Amt den gesetzlichen Vorschriften zu­ wider erhalten hat, z. B. ein vom Papste ohne Wahl des Domkapitels kreirter, nicht landes­ herrlich anerkannter Bischof, resp, die Delegaten eines solchen, die den §§. 1 ff. des Ges. v.

Ges. über die kirchliche Disziplinargewalt :c. vom 12. Mai 1873.

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2) wenn die Vorschriften des 2. nicht befolgt worden^) sind; 3) wenn die Strafe gesetzlich unzulässig ist21); 4) wenn die Strafe verhängt ist: a) wegen einer Handlung oder Unterlassung2^), zu welcher die Staatsgesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen2^) verpflichten, b) wegen Ausübung oder "Aichtausübung eines öffentlichen Wahl- unb Stiinmrechts2 ), c) wegen Gebrauchs der Berufung iui die Staatsbehörde ($. 32.) auf Grund dieses Gesetzes28).

20. Mai 1874 (Zus. zu §. 1043 d. X.) zuwider bestellten Bisthumsverweser, welche DisziptinarErkenntnisse fällen, sind ebenfalls durch die Staatsgesetze ausgeschlossene Behörden. 23) H. Hierunter ist begriffen: der Mangel schriftlicher Entscheidung und schriftlicher Ent­ scheidungsgründe bei Festsetzung einer Vermögensstrafe, 'der Verweisung in eine DemeritenAnstalt und der Entfernung aus dem Amte; der Mangel des vorgängigen Gehörs bei einem Erkenntniß auf die erstgedachten Strafen und der Mangel eines ordentlichen prozessualischen Verfahrens (s. Anm. 94 zu §. 2 dies. Ges.), insbesondere auch eines ordnilngsgemäßell Beweis­ verfahrens, Gerichtsh. f. kirchl. Angel, v. 20. Mai 1874, a r t m a n n, ^tschr. 1 L. 130, bei Aussprechung der zuletzt erwähnten Strafe. Wegen Disziplinarverfügungen, welche auf geringere Strafen, wie z. B. Verweis oder Suspension von eiilzelnen kirchlichen Rechten lauten, und ohne Beobachtung der Vorschriften des 2 erlassen find, kann also die Berufung auf Grund der Nr. 2 nicht eingelegt werden. In Bezug aas diese ist das Gesetz offenbar von der An­ schauung ausgegangen, daß es sich hier um Fälle von geringerer praktischer Bedeutsamkeit handelt. 24) H. Also überhaupt, nicht bloß nach den Besti^iunungen dieses Gesetzes. Demgenläß findet z. B. eine Berufung statt, wenn auf eine ditrch das Straf- und Zuchtmittelgesetz (Zus. 9 zu §. 57 d. T.) verbotene Strafe erkannt worden ist, welche nicht etwa in Folge der besonderen Bestim­ mungen des ersteren, wie die Vermögensstrase innerhalb bestimmter Grenzen, zulässig erscheint. Die Frage, ob eine Festsetzung in dem Erkenntniß dahin, daß ein an sich zulässiges Straf- und Zuchtmittel öffentlich bekannt gemacht, oder in einer Weise, welche eine Beschimpfung enthält, voll­ zogen oder verkündet werden soll, einen Grund zur Berufung abgiebt, nruß bejaht werden. In diesen Fällen liegt stets eine die Ehrininderung des Verurtheilten herbeiführende Strafe vor. Ab­ gesehen davon folgt auch aus den: Verbote des angeführten §. 4 des erwähnten Gesetzes von selbst, daß ein Erkenntniß, welches die betreffenden Handlungen anordnet , wenngleich es nicht kriminalrechtlich strafbar erscheint, doch mindestens unzulässig ist. Als unstatthaft muß auch eine Strafe angesehen werden, welche zwar an sich erlaubt ist, aber eine unzulässige Strafe zur Ausführung zu bringen beabsichtigt. Dies ergiebt sich daraus, daß das Verbot bestimmter Strafarten selbstverständlich deren Realifirung in sich schließt. Dem­ nach wird die Verhängung der Exkommunikation oder der Suspension deshalb, weil der in die Demeriten-Anstalt verwiesene Kirchendiener sich nicht in dieselbe begeben oder sie vor der fest­ gesetzten Zeit wieder verlassen hat, gleichfalls im Wege der Berufung angefochten werden dürfen. 25) H. Durch diese Vorschrift sind die Kirchendiener vor allem dagegen geschützt, daß Dis­ ziplinarstrafen gegen sie deshalb ausgesprochen werden, weil sie die Vorschriften dieses und des Straf- und Zuchtmittelgesetzes beobachten, also z. B. der Vorsteher einer Demeriten-Anstalt, wenn er die vorgeschriebenen Anzeigen nracht oder sich der Visitation des Oberpräsidenten fügt, der Geistliche, wenn er sich weigert, bei der Verhängung oder Verkündung von nach diesem Gesetze und dem Straf- und Zuchtmittelgesetze unzulässigen Strafen mitzuwirken. Im Uebrigen vgl. Zus. 9 zu §. 57 d. T. Anm. 14. Mit Bezug auf das dort über die nur unter bestimmten Vor­ aussetzungen vorzunehmenden Handlungen Bemerkte ist aber noch hervorzuheben, daß der Kirchen­ diener diese Voraussetzungen nicht herbeiführen darf, wenn er damit gegen seine amtlichen Ver­ pflichtungen verstößt, also'deswegen auch disziplinarisch bestraft werden kann. Für die Eingehung der Ehe "vor dem Civilstandsbeamten dürfen keine Censuren oder Strafmittel verhängt werden. Der katholische Geistliche der höheren Weihegrade hat aber die Pflicht des Cölibats. Geht er dem zuwider eine Ehe in der erwähnten Form ein, so ist eine Disziplinarbestrafung nicht wegen der letztgedachten Handlung, wohl aber, weil er das Cölibatsgesetz verletzt hat, gestattet. 26) H. S. den citirten Zusatz Anm. 16. 27) H. Vergl. a. a. O. Anm. 17. 28) H. Hier handelt es sich um eine in das Belieben der Betreffenden gestellte Handlung. Eine Einwirkung auf die Vornahme von solchen Handlungen in einer bestimnlten Richtung oder auf ihre Unterlassung durch die kirchliche Straf- und Zuchtgewalt gestattet im Allgemeinen so­ wohl das Straf- und Zuchtmittelgesetz, wie auch das vorliegende. Zu der einen Ausnahme,

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Zweiter Theil.

Eilfter Titel.

§. 124 (Zusatz 15).

S- 11. Tie Berufung findet außerdem statt, lvenn 1) die (Lntfermlng uuö dem kirchlichen Alnte (§. 2. Abs. 2.) als Disziplinarstrafe oder sonst wider den Willen des davon Betroffenen29) ausgesprochen worden ist, und die Entscheidung der klaren thatsächlichen Lage widerspricht oder die Gesetze des Staates30) oder allgemeine Rechtsgrundsätze31) verletzt32);

welche für die öffentlichen Wahl- und Stinnnrechte gemacht worden ist, tritt die in Rr. 4 c. fest­ gesetzte hinzu. Dieselbe war nöthig, weil nach katholischen^ Kirchenrechte für die Berufung an die iveltliche Gewalt die ipso jure eintretende, den: Papste speziell zicr Absolution vorbehaltene, große Exkommunikation angedroht ist, const. Pii IX. Apostolicae scdis v. 12. Okt 1869 (f. a. st. O. Anni. 8), st Isst den kstthstlischen Kirchendienern gegen die Anwendung dieser Eensur, sonne anderer Disziplinarstrafen, welche noch außerdem verhängt werden könnten, der staatliche Schutz gewährt werden nmßte. 29) H. Diese Vorschrift hat die Anm. 84 zu $. 1 deü Ges. ged achtel: Stellungen im Auge, welche nur widerrllflich verliehen werden. Bei diesen ist es sehr leicht möglich, daß die Diüziplinannaßregel sich äußerlich unter der formal freigestellten Rencotion ohne Gründe oder eilwr vorgeblich int Interesse des Dienstes ausgesprochellen Abberilfung verbirgt. Nothwendig ist aber in einen: solchen Falle, daß das eine oder andere der weiter in Nr. 1 angegebenen Momente damit konkurrirt. So ivürde z. B. die Entfernung eines Erzpriesters, welcher zufolge seiner A::stellung ad nutum anwvibel ist, mit der Berufung allgefochtei: werden könne::, wenn die Amotion deshalb erfolgt ist, weil er sich nicht freiwillig der Verweisung in eine Deu:eriten-Anstalt unter­ zogen hat. Hier ist das Staatsgesetz in so fern verletzt, als dasselbe eine solche Berweisung nur mit Willen des Betroffenen gestatten will, und also derjenige, welcher von diesem Rechte Gebrauch geinacht, auch keine Nachtheile deshalb erleiden darf. 30) H. d. h. solche, welche vom Staat erlassen sind. Deumach gehören hierher auch die Rechtsnormen, welche die Beziehungen des Staates zur Kirche regeln, selbst wenn eine Kirche, wie die katholische, das betreffende Gebiet, z. B. das persönliche Eherecht, Gerichtsbarkeit über die Kleriker u. f. w., als der staatlichen Gesetzgebung entzogen betrachtet. Den Gegensatz zu den Gesetzen des Staates bilden im Sinne des Gesetzes die von der Kirche innerhalb der ihr staatlich zngewiesenen Sphäre erlassenen Bestimmungen und Ordnungen. Das gilt sowohl für die katholische wie auch für die protestantische Kirche. Als kirchliche Normen der letzteren sind die­ jenigen anzusehen, welche von dem Landesherr:: kraft der Kirchengewalt, des sog. jus in sacra, gegeben worden sind. Für die Zeit vor Erlaß der Verfassungsurkunde ist die Frage, ob eine landes­ herrliche Anordnung in die eine oder andere Kategorie gehört, für jede in Betracht kommende durch besondere thatsächliche Feststellung zu erledigen. Die Vorschriften des L.R. II 11 sind jedenfalls als Staatsgesetze zu betrachten, da das Ällaein. Landrecht wegen seines Charakters als eines staatlichen Gesetzbuches als Emanation der staatlichen Gesetzgebungsgewalt des Landesherrn betrachtet werden muß, und überdies die Redaktoren des Landrechts das jus episcopale des Landesherr:: in Zweifel gezogen haben (Jacobson, K.N. S. 110). Eine Verletzung der Staatsgesetze, welche Voraussetzung der Berufung ist, liegt dann vor, wenn die Entscheidung solche Vorschriften, welche eine absolute Bedeutung haben, nicht berücksichtigt und dem Verurtheilten eine Handlung oder Unterlassung als strafbar anrechnet, welche der Staat entweder verlangt, oder deren Vornahme dem Angefchuldigten unter allen Umständen frei bleiben soll. Die erstere Kategorie von Fällen deckt sich mit der im §. 10 Nr. 4 a. gedachten. So gehört hierher z. B. die Amtsentsetzung eines Geistlichen, welcher entgegen dem Befehle des Bischofs eine von der Polizei auf Grund des §. 10 des Vereinsgesetzes v. 11. März 1850 verbotene Prozession abzuhallen oder einen Hirtenbrief von der Kanzel mit Rücksicht auf §. 130 a. des R.Str.G.B. zu verlesen, sich geweigert hat; denn in diesen beiden Fällen liegt eine durch die An­ ordnung der Obrigkeit, resp, das Gesetz gebotene Unterlassung vor. Bedeutsam ist die Bestimmung dagegen wegen der zweiten Kategorie. Zu dieser würde eine Amtsentsetzung, weil der Geist­ liche sich der unzulässigen körperlichen Züchtigung oder der Verweisung in eine Demeriten-Anstalt nicht gefügt hat, kurz die ganze Gruppe der An:::. 24 a. E. zu §. 10 charakterisirten Fälle ge­ hören. Vgl. ferner Erk. d. Gerichtsh. f. kirchl. Angel, v. 20. Juni 1874, Hartmann, Ztschr. 1 S. 130. Dieses hat eine Bestrafung wegen Nichtbeachtung eines Konsistorialschreibens vernichtet, welches den Geistlichen die Erhebung von Denunziationen und Civilklagen, sowie die Einlassung in Jnjuriensachen verbot, welche ihren Grund in den kraft amtlicher Pflicht oder Befugniß vorgenommenen Handlungen haben. Vgl. ferner Erk. dess. Gerichtsh. v. 28. Mai 1881, Zeitschr. f. K?R. 17 S. 141. 31) H. Dies sind diejenigen, welche auf allen Rechtsgebieten ohne Ausnahme, nicht bloß auf dem Gebiete des kirchlichen Rechts gelten, und welche für jede rechtliche Ordnung eines bestinunten Verhältnisses wegen ihrer Fundamentalität maßgebend sind, bez. sein müssen, also z. B.

Ges. über die kirchliche Disziplinargewalt re. vom 12. Mai 1873.

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2) nach erfolgter vorläufiger Suspension vom Amte "'^) das weitere Verfahren ungebührlich verzögert wird"). 12. Die Berufung steht Jedem zu, gegen welchen die Entscheidung ergangen ist, sobald er die dagegen zulässigen Rechtsmittel3,r*) bei der vorgesetzten kirchlichen Instanz30) ohne Erfolg gellend gemacht hat3^). Liegt ein öffentliches Interesse vor, so steht die Berufung auch dem Oberprüsidenten zu, jedoch erst dann, wenn die bei den kirchlichen Behörden angebrachten Rechtsmittel3S) ohne Erfolg geblieben sind oder die fti’ift zur Einlegung derselben versäumt ist3'').

der Grundsatz, daß der Angeklagte nicht den Beweis seiner Nichtschuld zu führen hat, das; ein suspektes Gericht nicht erkennen darf, daß erzwungene Geständnisse keine Beweiskraft besitzen, daß Handlungen, welche erzwungen oder von einem Unzurechnungsfähigen begangen sind, vgl. Gerichtsh. f. kirchl. Angelegenh. v. 14. April 1875, H artm a n n a. n. O. 1 S. 620, nicht bestraft werden können u. s. w., ferner, daß für eine strafbare That eine bestinunte, fest bemessene Strafe nuferlegt und nicht ohne rechtlichen Anhalt der erkannten Strafe eine andere, eventuell substituirt wird, Erk. dess. Gerichtsh. v. 12. Mai 1880, H a r t m a n n a. a. O. 6 S. 558 u. Zeitschr. f. K.R. 16 S. 339, s. auch Anni. 27 zu Zus. 52 bei 533 d. T. 32) H. Die Verletzung von Gesetzen des Staates oder von allgemeinen Rechtsgrundsätzen bildet allein die Voraussetzilng der Berufuiig. Sie ist nicht etwa dadurch beschränkt, daß das Dogma oder die Kult usordniln g einer Kirche dein Staatsgesetze entgegensteht. Die Befürchtung, daß der Gerichtshof in da«) innerste Gebiet der Kirche übergreifen, und so zum obersten Richter über die Kirchenlehre geluncht werden könnte, ist völlig unbegründet. Der Gerichtshof kann mit seinen Entscheidungen nur insoweit Dognm und Kultus treffen, als schon früher der Staat durch seine sonstigen Organe jede unter Hinweis aut Dog;ua unb Kultus begangene Gesetzesverletzung zurückzuiveisen berechtigt war. Dagegen ist es nicht niöglich, daß er in die ^age kommt, eine Entscheidung abzugeben, was Dognra oder Kultusakt einer Kirche ist oder nicht, nun! darüber weder die Stantsgesetze noch die allgenwinen Rechtsgru;:dsätze irgend eine Bestimnnmg enthalten. 33) H. wenn die Suspension bei Eröffnung oder während der Untersuchung als provisorische Maßregel, also nicht als Disziplinarstrafe verhängt ist. 34) H. Damit wird die Möglichkeit eines Schutzes gegen Verschleppungen der Untersuchung gewährt; namentlich gegen Umgehung des Gesetzes dadurch, daß die bloß vorübergehenden Zwecken dienende Suspension faktisch in eine wirkliche Strafe verwandelt wird. Ist die Berufung begründet, so wird die vorläufige Suspension von dem Gerichtshöfe für nichtig erklärt (